Roma victa: Von Roms Umgang mit Niederlagen [1. Aufl.] 978-3-476-04830-1;978-3-476-04831-8

Die Geschichte der römischen Republik war eine militärische Erfolgsgeschichte. Texte, Monumente und Rituale erinnerten a

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German Pages XI, 484 [491] Year 2019

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Roma victa: Von Roms Umgang mit Niederlagen [1. Aufl.]
 978-3-476-04830-1;978-3-476-04831-8

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XI
Einleitung (Simon Lentzsch)....Pages 1-19
Methodische Vorbemerkungen (Simon Lentzsch)....Pages 21-71
Seit dem Bestand unserer Herrschaft der gefährlichste Gegner – Roms Keltenkriege (Simon Lentzsch)....Pages 73-169
Unters Joch – Die Samnitenkriege (Simon Lentzsch)....Pages 171-208
Die dunkelste Stunde – Die römisch-karthagischen Kriege (Simon Lentzsch)....Pages 209-432
Zusammenfassung (Simon Lentzsch)....Pages 433-444
Back Matter ....Pages 445-484

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Simon Lentzsch

Roma victa Von Roms Umgang mit Niederlagen

SCHRIFTEN ZUR ALTEN GESCHICHTE

Schriften zur Alten Geschichte

In dieser Reihe erscheinen Monographien und Sammelbände aus der aktuellen althistorischen und altertumswissenschaftlichen Forschung. Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/16092

Simon Lentzsch

Roma victa Von Roms Umgang mit Niederlagen

Simon Lentzsch Alte Geschichte University of Cologne Köln, Deutschland

ISSN 2524-4280 ISSN 2524-4299  (electronic) Schriften zur Alten Geschichte ISBN 978-3-476-04830-1 ISBN 978-3-476-04831-8  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-476-04831-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. J.B. Metzler © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Einbandgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart J.B. Metzler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort

Das vorliegende Buch stellt die überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertation dar, die unter dem Titel „Militärische Niederlagen in der römischen Erinnerungskultur“ im Wintersemester 2016/2017 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen wurde. Das Manuskript habe ich im Herbst 2018 abgeschlossen, wobei ich mich bemüht habe, Literatur einzuarbeiten, die seit dem Absolvieren der Defensio im Dezember 2016 erschienen ist. Nun, nachdem diese Arbeit getan ist, ergreife ich sehr gerne die Gelegenheit, Lehrern, Kollegen und Freunden zu danken, ohne die das Entstehen meiner Studie nicht möglich gewesen wäre. An erster Stelle ist hier mein Doktorvater Professor Dr. Karl-Joachim Hölkeskamp zu nennen, der mir seit dem Studium ein akademischer Lehrer und Förderer im umfassenden Sinne des Begriffes war und ist. Für unerschöpflichen Rat und Zuspruch wie auch für große Geduld, als es um den Abschluss meiner Arbeit ging, danke ich ihm sehr. Großen Dank schulde ich zudem Professor Dr. Peter Franz Mittag sowie Professor Dr. Jan Felix Gaertner (beide Köln), die so freundlich waren, sich der Mühe des Zweit- bzw. Drittgutachtens zu unterziehen und mir wichtige Hinweise zukommen ließen, die mich vor manchem Irrtum bewahrt haben. Den Vorsitz in der mündlichen Prüfung übernahm Professorin Dr. Sabine von Heusinger (ebenfalls Köln), wofür ich ihr ebenfalls herzlich danke. Seit der Zeit meines Studiums schätze ich mich sehr glücklich, in der Abteilung für Alte Geschichte des Kölner Historischen Institutes eine universitäre Heimat gefunden zu haben, wozu neben den bereits genannten Professoren Karl-Joachim Hölkeskamp und Peter Franz Mittag auch ihre Kollegen Professor Dr. Walter Ameling und Professor Dr. Werner Tietz, durch freundlichen Rat und Unterstützung, beigetragen haben. Dies trifft auch auf meine Kölner Kolleginnen und Kollegen zu, mit denen ich in den letzten Jahren in überaus angenehmer Atmosphäre zusammenarbeiten durfte, wofür jeder und jedem von ihnen herzlich gedankt sei. Sehr gerne danke ich insbesondere Dr. Frank Bücher, der in seinem Einführungsseminar einst mein Interesse für die Geschichte der römischen Republik weckte, mir seither in vielerlei Hinsicht geholfen hat und stets mit Ratschlägen und Hinweisen zur Seite stand. Meinen Kolleginnen und Bürogenossinnen Dr. Julia Hoffmann-Salz, Sema Karataş und Katharina Kostopoulos danke ich für die immer äußerst angenehme Zusammenarbeit, die vielen Gespräche, die wir in den V

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Vorwort

letzten Jahren führen durften, und ihre freundschaftliche Unterstützung, die mir auf meinem Weg sehr geholfen haben. Umso mehr freue ich mich darüber, dass unsere jeweiligen Arbeiten nun alle vor ihrem Abschluss bzw. vor ihrer Veröffentlichung stehen. Als Freund und Kollege ebenso hilfsbereit und mit einem offenen Ohr für eine unerschöpfliche Bandbreite von Themen und Problemen zeigte sich auch Dr. Michael Kleu, der zudem so freundlich war, Teile des Textes zu lesen und zu kommentieren. Meinem Kollegen und Freund Marian Helm (Ruhr-Universität Bochum), der sich der Mühe der Lektüre von Teilen des Textes unterzog, danke ich für Hinweise zu ganz verschiedenen Themen rund um Roms Kriege der mittleren Republik und vor allem für die Gelegenheit, immer wieder Fragen zu unserem gemeinsamen Interessensgebiet zu diskutieren. In dem ersten Jahr der Arbeit an meinem Projekt bot mir Prof. Dr. Dr. h.c. Karl Galinsky (University of Texas, Austin) in seinem Max-Planck-Forschungspreisprojekt Memoria Romana. Memory in Roman Culture durch ein großzügiges Stipendium eine wunderbare Förderung, wofür ich ihm großen Dank schulde. Während meines Aufenthaltes an der Faculty of Classics der University of Cambridge boten mir vor allem Dr. John Patterson und Professor Dr. Andrew Wallace-Hadrill jegliche Hilfe an, die ich benötigte und die dazu beitrug, dass ich in dieser Zeit meine Studien konzentriert und erfolgreich fortführen konnte. Professor Wallace-Hadrill danke ich zudem für die Möglichkeit, meine Ideen in seinem Doktorandenseminar vorzustellen. Die Hinweise, die ich hier erhalten habe, haben mir sehr geholfen. Dies gilt ebenso für die ganz unterschiedlichen Anregungen, Fragen und konstruktive Kritik, die ich im Rahmen von Kolloquien und Tagungen in Bielefeld, Bochum, Darmstadt, Essen, Fribourg, Innsbruck, Münster, Passau und Rom erhalten habe. Meinen jeweiligen Gastgeberinnen und Gastgebern sowie den anderen Diskutanten danke ich sehr für die Gelegenheit, dass ich meine Gedanken zu Roms Umgang mit Niederlagen in ihren jeweiligen Veranstaltungen vortragen und dabei immer wieder neu überdenken durfte. Bei der mühseligen Last des Korrekturlesens hatte ich mit meinem Vater Günter Lentzsch einen aufmerksamen wie kompetenten Unterstützer an meiner Seite. Es versteht sich von selbst, dass alle etwaigen Fehler und Ungereimtheiten, die der Text noch aufweisen mag, allein in meinen Verantwortungsbereich fallen. Dem Metzler-Verlag, vor allem Dr. Oliver Schütze, bin ich großen Dank schuldig, für die Bereitschaft, meine Arbeit in ihr Programm aufzunehmen. Für hilfreiche Hinweise zu technischen Fragen danke ich zudem Dr. Ferdinand Pöhlmann sowie Frau Britta Rao, die mir bei der Erstellung des Manuskriptes als Ansprechpartner zur Seite standen. Professor Dr. Jürgen Malitz war so freundlich, mir die Abbildungen von Münzen aus der Numismatischen Bilddatenbank Eichstätt für die Publikation in meiner Arbeit zur Verfügung zu stellen, wofür ich ihm herzlich danke. Nicht allein mein berufliches Umfeld, sondern vor allem meine Familie boten die eigentliche Voraussetzung, meine Studien beginnen und abschließen zu können. Meinen Eltern, Ute und Günter Lentzsch, danke ich daher für ihre stete Ermutigung und Unterstützung, die sie mir seit meiner Kindheit haben angedeihen

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lassen und vor allem für das Interesse, das sie allem, was ich tue, seitdem entgegenbringen. Meine Schwiegereltern, Marion Teubner und Ralf Haven-Teubner, haben durch vielerlei Hilfe, nicht zuletzt durch große Unterstützung bei der Kinderbetreuung zum Gelingen meiner Arbeit beigetragen. Den größten Dank schulde ich indes einer besonderen Kollegin, ohne die ich meine Studie wohl weder begonnen noch erfolgreich beendet hätte – meiner Frau Melina Teubner, die mich nicht nur durch guten Rat und große Ermutigung unterstützt hat, sondern auch an ihren eigenen Forschungsprojekten teilhaben ließ. Für unsere Kinder, Emilia, Klio und Paul war und ist meine Beschäftigung mit „den Römern“ ein konstanter Teil ihrer Kindheit. Ihnen und meiner Frau sei diese Arbeit daher gewidmet. Köln im Dezember 2018

Simon Lentzsch

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Nicht nur eine Erfolgsgeschichte – zu Thema und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Besiegte Feldherren und ‚traumatische‘ Erinnerung – Forschungen zu Niederlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2 Methodische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.1 Kollektives Gedächtnis, soziales Gedächtnis, Erinnerungskulturen, Geschichtskulturen – Begriffe und Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.2 Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3 Seit dem Bestand unserer Herrschaft der gefährlichste Gegner – Roms Keltenkriege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.1 Die ‚Gallische Katastrophe‘ – die Niederlage an der Allia und die gallische Eroberung Roms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.1.1 Erinnerung im Kalender – der Dies Alliensis . . . . . . . . . . . . 77 3.1.2 Nachrichten aus alten Zeiten – frühe literarische Zeugnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.1.3 Der Sturm auf das Kapitol – vom 3. bis zum 2. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.1.4 Neue Gründung der Stadt und neue Wege auf das Kapitol – die späte Republik. . . . . . . . . . . . . . 94 3.1.5 Fall und Wiederaufstieg – die augusteische Zeit. . . . . . . . . . 103 3.1.6 Die Katastrophe als Ursprung – die ‚Gallische Katastrophe‘ in der antiquarischen Forschung . . . . . . . . . . . 132 3.1.7 Das Kapitol in Flammen – frühe bis mittlere Kaiserzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3.1.8 Ausblick – die weitere Erinnerung an die ‚Gallische Katastrophe‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3.2 Selbstopfer für die res publica und Helden der Barbaren – Niederlagen in Keltenkriegen des 3. und 2. Jahrhunderts. . . . . . . . . 149 3.3 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

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4 Unters Joch – Die Samnitenkriege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4.1 Erinnerung im Bild – Numismatische Zeugnisse für die Niederlage von Caudium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4.2 Die Form der Niederlage – Zeugnisse der späten Republik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 4.3 Schmachvolle Lektionen – die augusteische Zeit. . . . . . . . . . . . . . . . 180 4.4 Vergessene Kämpfe? – die frühe und mittlere Kaiserzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 4.5 Ausblick – Roms Samnitenkriege in der Spätantike . . . . . . . . . . . . . 207 4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 5 Die dunkelste Stunde – Die römisch-karthagischen Kriege . . . . . . . . . . 209 5.1 Ein edler Gefangener und Hühner, die nicht essen wollen – der erste Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 5.1.1 Bellum Punicum – Zeugnisse zeitgenössischer Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 5.1.2 Das Beispiel des Tribunen – Zeugnisse des zweiten Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 5.1.3 Fortgesetzte Foltern – das erste Jahrhundert bis zum Ende der Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 5.1.4 Literatur der augusteischen Zeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 5.1.4.1 Ein großes Beispiel für beiderlei Geschick – T. Livius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 5.1.4.2 Das Beispiel des Gefangenen – Dichtung der augusteischen Zeit. . . . . . . . . . . . . . . 230 5.1.5 Die Beispiele der Konsuln – Zeugnisse der frühen Kaiserzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 5.1.6 Das Beispiel des Vaters – Silius Italicus, Punica. . . . . . . . . . 238 5.2 Der Feind vor den Toren – der zweite Krieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 5.2.1 Zeitgenössische Reflektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 5.2.1.1 Botschaften an die Bundesgenossen? – Römische Münzen aus der Zeit des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 5.2.1.2 Veteranen formen die Erinnerung – Zeugnisse von Zeitgenossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 5.2.2 Der Krieg des Senats – das zweite und das frühe erste Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 5.2.3 Das erste Jahrhundert bis zum Ende der Republik . . . . . . . . 286 5.2.3.1 Ein alter Feind als exemplum – M. Tullius Cicero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 5.2.3.2 Ein alter Feind, neu betrachtet – die Hannibal-Biografie des Cornelius Nepos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 5.2.3.3 Ein Feind aus alten Zeiten – weitere Zeugnisse der späten Republik . . . . . . . . . . . . . . . . 300

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5.2.4 Zwischenfazit. Die Niederlagen des zweiten römisch-karthagischen Krieges in der Geschichtskultur der Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 5.2.5 Die augusteische Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 5.2.5.1 Im Unglück bewunderswerter als im Glück – T. Livius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 5.2.5.2 Verrätselte Verweise – Zeugnisse der augusteischen Dichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 5.2.6 Denkwürdige Niederlagen – Zeugnisse der frühen Kaiserzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 5.2.7 Würdig meines Himmels – Silius Italicus, Punica. . . . . . . . . 390 5.2.8 Alte und neue Kriege – Ausblick auf die folgenden Jahrhunderte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 6 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Ortsregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481

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Einleitung

1.1  Nicht nur eine Erfolgsgeschichte – zu Thema und Aufbau der Arbeit Kriege und bewaffnete Konflikte waren geradezu „Fundamentalphänomene“ des Lebens der meisten Menschen der antiken Welt.1 Für die Römer spielte der Krieg vielleicht eine besonders wichtige Rolle. Durch erfolgreiche Kriege stieg Rom zur Herrscherin über die Mittelmeerwelt auf. Durch die direkte und indirekte Beute aus Kriegen veränderte sich die ökonomische Situation Roms und der italischen Halbinsel innerhalb von wenigen Generationen grundlegend, während die von Rom geführten Kriege gleichzeitig die römischen ‚Staatsfinanzen‘ dominierten.2

1Schulz

2012, 7: Krieg als „Fundamentalphänomen“ des antiken Alltagslebens. Vgl. zur Bedeutung des Krieges für die Gesellschaften (nicht nur) der griechisch-römischen Antike u. a. Maier 1987; Lendon 2005, 197; Sidebottom 2008, 7; Schulz 2013, 727 f.; Rüpke 1990, 17–28; Rosenstein 2007, 132 f.; Zimmermann 2009, 43 f. (der, ebd., 55–58, indes zu Recht für eine größere Differenzierung vor allem mit Blick auf Teilabschnitte der Kaiserzeit plädiert); Howarth 2013, 29; Mann 2013, 1; Millett 2013, 59; Tritle 2013, 281, 291 f.; Raaflaub 2014, 15; Stoll/Meier 2016, 3; Stoll 2016, 93. Alle Jahreszahlen zur römischen Geschichte sind als solche vor Christus zu verstehen, sofern nichts anderes vermerkt ist. Alle Literaturangaben erscheinen in den Anmerkungen als Kurztitel, die im Literaturverzeichnis aufgelöst werden. Die Abkürzungen der antiken Autoren und Werktitel richten sich nach denen aus dem Neuen Pauly (DNP, Bd. 1, XXXIX–XVII). 2Kay 2014, 25. Vgl. die grundlegende Arbeit von Tenney Frank, nach dessen Berechnungen zu Beginn des zweiten Jahrhunderts 77 % der Staatseinnahmen der Republik benötigt wurden, um die Aufwendungen für das Militär zu decken (Frank 1933, 146). Es ist zwar durchaus fraglich, ob die eher spärliche Quellenlage eine so präzise Berechnung hergibt, aber es ist Kay wohl zuzustimmen, wenn er die Zahlen Franks als eine Metapher für „a very high percentage of revenue“ begreifen möchte (Kay 2014, 25). Kays eigene vorsichtige Schätzungen führen zu einer Summe von 8.1 Mio. Denaren bzw. 1350 Talenten Silber, die die Republik im ersten Drittel des 2. Jahrhunderts im Durchschnitt jährlich aufbringen musste, um ihre Legionen und Flotten in dieser Phase besonders intensiver Kriegführung (der 2. und 3. Makedonische Krieg, der Krieg gegen Antiochus III. sowie Kriegführung in Spanien und Norditalien) zu unterhalten. Vgl. hierzu zuletzt Rosenstein 2016. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Lentzsch, Roma victa, Schriften zur Alten Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-476-04831-8_1

1

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1 Einleitung

Die Ereignisse dieser Kriege inspirierten die Anfänge der lateinischen Literatur in nahezu all ihren Erscheinungsformen.3 Die Erfahrungen des Krieges hatten außerdem einen beachtlichen Einfluss auf die religiösen Vorstellungen der Römer.4 Die Architektur nicht nur Roms, sondern auch vieler römischer und italischer Städte zeigte und zeigt die Einflüsse des Krieges in Form von Beuteweihungen, Schlachtenreliefs oder gerüsteten Göttern, Feldherren und Kaisern.5 Ein hoher Anteil von Bürgern diente bis in das erste Jahrhundert vor Christus hinein selbst im Heer – vielleicht zu einem höheren Anteil als in jedem anderen staatlichen Gebilde der Vormoderne.6 Die persönliche Beteiligung an Kriegen blieb nicht zufällig eine der Quellen, aus denen sich der soziale Status von Römern verschiedener sozialer Schichten speisen konnte – für die Angehörigen der Nobilität besonders spektakulär in Gestalt des Triumphzuges, doch auch durchaus für andere Gruppen der Bevölkerung in Form von Auszeichnungen oder indirekt durch die Beteiligung an der Kriegsbeute.7 All dies ist alles andere als unbekannt. Die Geschichte der Römischen Republik ist daher seit der Antike oft als militärische Erfolgsgeschichte geschrieben und beschrieben worden. Diese Perspektive wurde und wird auch in der modernen Forschung aufgenommen, und auch jenseits der Zirkel der Fachwissenschaft dürfte die militärische Expansion des römischen Reiches zu den bekanntesten Phänomenen der antiken Welt zählen.8 Das Fundament für dieses Imperium wurde

3Siehe

hierzu die Ausführungen unten in Abschn. 2.2. Die hohe Bedeutung des Krieges als Thema lässt sich ingesamt für die Historiografie der griechisch-römischen Antike feststellen (vgl. hierzu u. a. Maier 1987, 7; Stoll/Meier 2016, 3 und wiederum die entsprechenden Abschnitte unten in Abschn. 2.2). 4Rüpke 1990; Rich 2013b. 5Siehe hierzu etwa Hölscher 1978; 1980 und 2003; Gruen 1992, 86–90; Zimmermann 2009; Davies 2017, 3–5 (jeweils mit weiteren Nachweisen). Vgl. zudem Phang 2011, 114 f. für eine Übersicht zu neueren Arbeiten. 6So eine oft zitierte Einschätzung von Hopkins 1978, 11 („The Romans conquered the whole of the Mediterranean basin in two centuries of almost continuous fighting. During these two centuries of conquest, a higher proportion of Roman citizens was under arms for longer than I have found in any other pre-industrial state.“). Siehe hierzu indes auch die neueren Beiträge von u. a. Rich 1993, 39; Lendon 2007, 510 f., und zuletzt Walter 2017a, 21 f., 146 f. Vgl. Kay 2014, 25 („warrior state“). 7Zur Möglichkeit der Steigerung des eigenen Sozialprestiges durch den Einsatz im Krieg siehe zusammenfassend etwa Schulz 2012, 181–183. Zum Ritual des Triumphzuges siehe u. a. Itgenshorst 2005; Hölkeskamp 2006b; 2008; Schulz 2012, 182 f.; Walter 2017a, 73, 215 (jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Bedeutung der Kriegsbeute für Soldaten wie Feldherren behandeln etwa Harris 1979/1985; Bleckmann 2016; Rosenstein 2016 (wiederum ebenfalls mit jeweils weiteren Hinweisen). 8Siehe nur zuletzt Woolf 2015, 11: „Jede römische Geschichte, die geschrieben wird, ist die Geschichte eines Weltreichs.“ Schon der Begriff und das Konzept des Imperiums selbst gehen auf die Expansion der römischen Republik zurück, und angesichts des Einflusses des Impe­ rium Romanum in der Rezeption der Idee und des Konzeptes der Reichsbildung in den nachantiken Epochen, kann dieses als „paradigmatisches“ Beispiel für die Idee des Imperiums bezeichnet werden. So etwa in dem Titel des Beitrages, den Kai Ruffing dem von M. Gehler und

1.1  Nicht nur eine Erfolgsgeschichte – zu Thema und Aufbau der Arbeit

3

bereits in der Epoche der Republik gelegt, an deren Ende der Mittelmeerraum sowie auch bereits Teile der angrenzenden Regionen von den Armeen Roms kontrolliert wurden. Geschwindigkeit und Ausmaß der römischen Expansion wurden bereits von antiken Beobachtern, wie dem griechischen Geschichtsschreiber Polybios, als beeindruckend wahrgenommen.9 Durch die Eroberung der etruskischen Rivalin Veii zu Beginn des vierten Jahrhunderts gelang es den Römern, ihr Territorium zu verdoppeln. Ein Jahrhundert später stand bereits ein großer Teil der italischen Halbinsel unter direkter oder indirekter Kontrolle Roms. Seit dem langwierigen, doch schließlich erfolgreichen Ersten Punischen Krieg (264–241) breitete sich die Herrschaft Roms in immer rasanterem Tempo zuerst über den westlichen, dann auch den östlichen Mittelmeerraum hinweg aus, und zur Zeit des Augustus, des ersten Princeps, konnte der römische Dichter Vergil seinen Iuppiter von einem imperium sine fine sprechen lassen.10 Es ist also durchaus naheliegend, die Sieghaftigkeit Roms zu betonen. Die Suche nach den Ursachen des römischen Erfolgs, die soziale Position von siegreichen Feldherren, die Bedeutung des sozialen Kapitals, das durch Siege errungen werden und das teilweise über Generationen hinweg akkumuliert werden konnte, sowie die verschiedenen Repräsentationen von Siegern und Siegen in der römischen Geschichtskultur wurden daher auch zu Recht zum Ausgangspunkt für eine Reihe von umfangreichen wie instruktiven Forschungsarbeiten.11 Doch die römische Erfolgsgeschichte war nicht frei von Rückschlägen. So hinterließen die römischen Heere auf ihrem Weg zur Weltherrschaft „eine blutige Spur gefallener Soldaten – vor allem aus den eigenen Reihen“ (Schulz).12 Schon die spezifischen Formen der Kampftaktik, die die Römer für ihre Feldzüge wählten,

R. Rollinger herausgegebenen Sammelband über „Imperien und Reiche in der Weltgeschichte“ beigesteuert hat (Ruffing 2014): „Rom – das paradigmatische Imperium“. Für eine aktuelle und pointierte Übersicht zu Forschungen zu den „Ursachen der Ausdehnung und Dauerhaftigkeit der römischen Republik“ siehe zuletzt Walter 2017a, 100 f. 9Siehe nur die berühmte Passage zu Beginn des ersten Buches, in der Polybios die Wahl seines Themas und die Struktur des Werkes begründet. Pol. 1,1–4. 10Verg. Aen. 1,279. 11Siehe u. a. Afzelius 1942; Hölscher 1978; 1980; 2003; Hopkins 1978; Harris 1979/1985; Eckstein 1987; 2006; 2007; Hölkeskamp 1987/2011 (siehe dort, ebd., 316 f., die in den Addenda zur zweiten Auflage gesammelten Titel); 1993/2004; 2010, 98–124; Rich 1993; 2013b, bes. 551– 559; Cornell 1995, 345–368; Rüpke 1995b; Heftner 1997; Beck 2005a; Forsythe 2005, 324–368; Itgenshorst 2005; Cowan 2009; Schulz 2012, u. a. 204–226; Walther 2016, 103 f.; Linke 2017. Siehe zudem die Beiträge in Rich/Shipley (Hgg.) 1993. Siehe außerdem die unten in Abschn. 2.2 aufgeführten Hinweise zu den unterschiedlichen Medien der römischen Geschichtskultur. 12Schulz 2012, 180 (Zitat). Um eine Schätzung der Anzahl der gefallenen römischen Soldaten vom Ende des dritten bis zur Mitte des zweiten Jahrhunderts bemüht sich Rosenstein 2004, 107–140 (siehe dort (140) u. a.: „Scholars undoubtedly have long been aware in a general way of the terrible toll Rome’s wars took upon its soldiers, but their full extent has for too long not been adequately gauged. To win the republic its empire in the second century, tens of thousands of young Roman and Italian men paid the ultimate price: they were killed in combat, died of complications to their wounds, or perished from the diseases prevalent in military camps.“). Vgl. zuletzt Clark 2018, 191.

4

1 Einleitung

scheinen im Durchschnitt zu signifikant höheren Gefallenenzahlen geführt zu haben als es etwa in Landschlachten zwischen griechischen Hoplitenheeren der Fall war.13 Hinzu kommt, dass die römischen Armeen auf den zahlreichen Feldzügen, in die sie Senat und Volksversammlung im Laufe der Jahrhunderte entsandten, eben keinesfalls stets siegreich waren. Eine exakte Zusammenstellung aller römischen Niederlagen in der gesamten Epoche der Republik, die über jeden Zweifel erhaben wäre, wird zwar nicht zu erlangen sein. Zu unsicher sind hierfür die Nachrichten, die für die Generationen der frühen Republik überliefert sind. Zu groß sind auch die Quellenverluste für große Teile des dritten und zweiten Jahrhunderts, wodurch etwa in Hinsicht auf die römischen Feldzüge auf der Iberischen Halbinsel viele Fragen offen bleiben müssen.14 Dass die römische Republik jedoch über die gesamte Zeit ihres Bestehens hinweg regelmäßig mit militärischen Niederlagen von teils erheblichen Ausmaßen konfrontiert war, zeigt bereits ein oberflächlicher Blick auf die hierzu verfügbaren Daten, sodass sich dieser Umstand trotz Unsicherheiten hinsichtlich der Überlieferung einzelner Schlachten und Feldzüge kaum bestreiten lässt.15 Wenn ihre Kriege und die Siege, die sie in ihnen errungen, für die Römer der Zeit der Republik von hoher Bedeutung waren, stellt sich die Frage, wie in dieser Gesellschaft mit der Erfahrung militärischer Niederlagen umgegangen wurde – gerade weil diese ja eben kein seltenes Phänomen darstellten. So hatten Niederlagen insbesondere für die republikanische Führungsschicht, die Nobilität, – jedenfalls wenn sie kein Einzelfall blieben – das Potenzial als Herausforderung für den eigenen Führungsanspruch angesehen zu werden, speiste sich dieser doch nicht zuletzt auch aus einer Aura politisch-militärischer Kompetenz und Erfolges.16 Jeder Misserfolg birgt zudem ganz allgemein das Potenzial, Zweifel an

13Diesen

Schluss konnte Sabin 2000, 5 f. in einem umfangreichen Vergleich der überlieferten Gefallenenzahlen nahelegen. Sabin verbindet dies u. a. mit dem Einsatz der römischen Manipulartaktik. Vgl. Zimmermann 2009, 53 f.; Schulz 2012, 180–194 (mit weiteren Hinweisen); Walter 2014, 102 f. 14Mitunter sind Feldzüge und Schlachten, Siege wie Niederlagen Roms, lediglich in einer Quelle überliefert, sodass wir, wäre diese – wie der Großteil der einst vorhandenen schriftlichen Produktion der Antike – verlorengangen, keine Kenntnis von den jeweiligen Ereignissen hätten (vgl. Clark 2018, 192, Anm. 4). Grundsätzlich ändert sich diese Quellenlage auch nicht hinsichtlich der Überlieferung von militärischen Operationen in der Kaiserzeit. Vgl. Turner 2018, 279 („If an important victory is known solely from the chance find of an inscription, how many failures were covered up, ignored, or forgotten?“). 15Einen Eindruck vermitteln jeweils die Zusammenstellungen von römischen Niederlagen in Rosenstein 1990a, 179–204; Clark 2014b, XI–XIII (besonders für das 3. und 2. Jahrhundert); Engerbeaud 2017, 473–501 (für den Zeitraum von 753–264). 16Siehe hierzu u. a. (jeweils mit weiteren Nachweisen) Hölkeskamp 1993/2004, bes. 38 f.; 1987/2011, 236–240; Zimmermann 2009, 47 f.; Stein-Hölkeskamp/Hölkeskamp 2018, 62–64; sowie zuletzt Linke 2017, bes. 385: „Die Aura des Erfolges und der Aufstieg zur Großmacht sicherten ganz wesentlich den politischen Dominanzanspruch der Oberschicht insgesamt.“ In diesem Beitrag betont Linke indes zu Recht die Ambivalenz militärischer Siege für die Nobilität als Gruppe. Für deren Stabilität bildeten große militärische Erfolge einzelner Feldherren stets auch ein gewisses Bedrohungspotenzial.

1.1  Nicht nur eine Erfolgsgeschichte – zu Thema und Aufbau der Arbeit

5

hergekommenen Gewohnheiten und Einrichtungen zu wecken. In das Bild einer militärischen Erfolgsgeschichte scheinen sich Niederlagen auf den ersten Blick zudem nur schlecht einzufügen. Die bisher skizzierten Beobachtungen, die hohe Bedeutung von Krieg und Militär für die römische Gesellschaft und Kultur, die Betonung der eigenen Sieghaftigkeit, indes eben auch das reale Auftreten von zahlreichen militärischen Niederlagen bilden den Ausgangspunkt für die vorliegende Studie. Dabei soll es darum gehen zu ermitteln, welche Spuren die Niederlagen Roms in der römischen Geschichtskultur, genauer formuliert, im Geflecht der sich wandelnden und auch innerhalb einer Zeitebene teilweise sehr heterogenen Geschichtskulturen der römischen Republik und der frühen römischen Kaiserzeit hinterlassen haben. Damit lässt sich die vorliegende Arbeit gleich mehreren rezenten Forschungstendenzen zuordnen. Zunächst versteht sie sich als ein Beitrag zur Erforschung der römischen Geschichtskultur, insbesondere derjenigen der römischen Republik sowie der frühen Kaiserzeit, und zwar zu einem Themenkomplex, der – wie auf den vorangegangenen Seiten ausgeführt – in dem Bild, das sich die Römer späterer Generationen von ihrer Vergangenheit machten, einen zentralen Platz einnahm. Um den Kontext der Forschungen zu römischen Geschichtskulturen zu verdeutlichen und um die Untersuchungsziele hinsichtlich ihrer Möglichkeiten und Grenzen genauer zu definieren, ist ein Überblick zum Komplex der Forschungen zu Erinnerungs- und Geschichtskulturen dem eigentlichen Untersuchungsteil vorangestellt. Die Geschichtskultur der römischen Republik bildete zudem einen wichtigen Bestandteil der politischen Kultur Roms insgesamt – für die wiederum der Krieg, insbesondere die militärische Sieghaftigkeit, wie gesehen, von hoher Bedeutung waren.17 Fragen nach dem Umgang mit Niederlagen lenken den Blick auf ganz unterschiedliche Bereiche dieser politischen Kultur, so in Hinsicht auf Reaktionen in Senat und Volksversammlung, die vom Umgang mit besiegten Feldherren und von der Praxis der Besetzung von Feldherrenstellen über die Veranlassung besonderer religiöser Maßnahmen oder Rekrutierungsverfahren reichen. Hierzu gehören jedoch eben auch die Darstellung und Deutung von weniger erfolgreichen Kapiteln der eigenen Vergangenheit, eben in der eigenen Geschichtskultur.18 Nicht zuletzt bildet die vorliegende Studie auch einen Beitrag zu einer erweiterten Militärgeschichte der antiken Welt, die sich längst nicht mehr nur in einer Rekonstruktion einzelner Schlachten und der Operationsgeschichte bekannter Feldzüge erschöpft, sondern sich darum bemüht, die militärischen Ereignisse, Akteure und Institutionen, die für so viele Menschen der römischen Antike einen elementaren Bestandteil ihres Lebens und der Kultur, in der sie

17Zur

römischen Geschichtskultur in ihrer Bedeutung für die politische Kultur des republikanischen Rom insgesamt siehe die Synthese in Walter 2004a und die ausführlichen Erwägungen unten in Abschn. 2.2. 18Zum Konzept der politischen Kultur, gerade mit Blick auf die römische Republik, siehe, mit umfassenden Belegen, Hölkeskamp 2004; 2010 und zuletzt 2017.

6

1 Einleitung

lebten, darstellten, in ihrer Verbindung zu anderen Bereichen menschlichen Denkens und Handelns zu rekonstruieren. Eine derart erweiterte Militärgeschichte bildet nicht zuletzt auch einen Teil der Kulturgeschichte, im Fall der vorliegenden Arbeit vor allem einen Beitrag zu einer „Kulturgeschichte des Krieges“, die eben auch nach dem „gesamten Komplex der Kommunikation über den Krieg, den aktuell stattfindenden, ebenso wie den gedachten oder erinnerten“ fragt.19 Diesem Ansatz wird auch in der vorliegenden Arbeit Rechnung getragen, wenn die Niederlagen Roms auf dem Schlachtfeld weniger mit Blick auf Details von Waffentechnik oder auf den Verlauf von Operationen betrachtet werden, sondern vielmehr, in enger Verzahnung mit der politischen Kultur Roms, als immer wieder rekonstruierter und umgedeuteter Teil der medial vermittelten Erinnerungen an die eigene Vergangenheit.20 Damit wird ein Ansatz gewählt, den zuletzt Nathan Rosenstein, dessen Buch zu den imperatores victi der römischen Republik die Forschungen zur Frage nach den Folgen römischer Niederlagen wie kein zweites angeregt hat, als wichtigen Gegenstand weiterer Studien benannt hat.21

19Programmatisch

hierzu zuletzt Meier/Stoll 2016, bes. 4–6. Siehe zudem Lipp 2000, bes. 214 („Nimmt man den Krieg mit all seinen Weiterungen in den kulturgeschichtlichen Blick und betrachtet nicht nur das Ereignis und seine militärisch definierten Akteure, eröffnet sich ein Forschungsfeld, das den Rahmen einer Militärgeschichte im engeren Sinne deutlich überschreitet. Eine solche Erweiterung weist zumindest in zwei Richtungen. Zum einen betrifft sie das Veränderungspotenzial von Kriegen für kulturelle Strukturen, wie beispielsweise Nationsvorstellungen und die damit verbundenen Selbst- und Fremdbilder. Zum zweiten umfaßt sie den gesamten Komplex der Kommunikation über den Krieg, den aktuell stattfindenden, ebenso wie den gedachten oder erinnerten. Diese Themen umreißen ein Forschungsfeld, das sich treffender als Kulturgeschichte des Krieges denn als kulturgeschichtlich erweiterte Militärgeschichte etikettieren läßt.“); Carl/Kortüm/Langewiesche/Lenger 2004, 4. Vgl. Zimmermann 2009 (u. a. ebd., 45: „Für den Historiker ist darüber hinaus von besonderem Interesse, in welche Deutungshorizonte diese elementaren und unmittelbaren Erlebnisse eingeordnet werden und werden müssen.“) und die Forschungsüberblicke in Schulz 2012, 8–12 (der indes, ebd., 8, den „Bereich der Erinnerungs- und Mentalitätsgeschichte des Krieges“ in dieser Darstellung lediglich insoweit berücksichtigt, als dass „er für das Verständnis der politischen und militärischen Entwicklungszusammenhänge unabdingbar ist“); Howarth 2013, 41–44; Mann 2013, 60–63. Vgl. zu einer solchen erweiterten Militärgeschichte allgemein u. a. Kühne/Ziemann 2000 (allerdings mit inhaltlichem Schwerpunkt auf Themen, die vor allem das 19. und 20. Jahrhundert betreffen). 20In Hinsicht auf die antike Welt haben sich gerade in den letzten Jahren einige Arbeiten diesem Themenkomplex angenähert. Siehe etwa Hölscher 2003; Lendon 2005; Harris 2006; Hornblower 2007; Zimmermann 2009; Arrington 2011; 2015; Cooley 2012, sowie die Beiträge in Dillon/ Welch (Hgg.) 2006; Meier/Stoll (Hgg.) 2016; Clark/Turner (Hgg.) 2018. Siehe zudem die Hinweise zum Forschungsstand unten in Abschn. 1.2. 21Rosenstein 2018, 371: „[…] how historians, poets, and other writers used defeat to illustrate and instruct their audiences provides a wealth of material for further study, yet one should not overlook the ways which the commemoration of the fallen in epitaphs and funeral monuments sought to accomplish the same goals“. Zu letzterem Punkt vgl. Hope 2003a; 2003b; Cooley 2012 (zu Rom, besonders in der Epoche der Kaiserzeit) und Arrington 2011; 2015 (zu Athen im 5. und 4. Jahrhundert). Rosensteins klassische Studie: Rosenstein 1990a (siehe hierzu unten Abschn. 1.2).

1.1  Nicht nur eine Erfolgsgeschichte – zu Thema und Aufbau der Arbeit

7

Der vielfältige Umgang mit den eigenen Niederlagen in der römischen Geschichtskultur soll also in den folgenden Kapiteln untersucht werden. Dabei wird es zunächst darum gehen, ob und ggf. wie die Niederlagen in den entsprechenden Medien der römischen Geschichtskultur in einer erkennbaren Weise erklärt wurden und inwiefern mit diesen Erklärungen unter Umständen weitergehende Deutungen des vergangenen Geschehens verbunden waren. Zudem wird untersucht, welchen Protagonisten, Maßnahmen und sonstigen historischen Faktoren die Überwindung der betreffenden Niederlagen und ihrer Folgen in der römischen Geschichtskultur zugeschrieben werden konnte. Ein im Wesentlichen chronologischer Aufbau der Untersuchung soll dazu beitragen, mögliche Veränderungen in Erklärung und Deutung sichtbar zu machen. Zusätzlich zu der Frage, wie die Niederlagen Roms in späteren Zeiten der römischen Geschichte erklärt und mitsamt ihrer Folgen gedeutet wurden, soll der Blick auch darauf gerichtet werden, inwiefern sich eine generelle Kenntnis der vergangenen Ereignisse rekonstruieren lässt. Dieses Geschichtswissen muss keinesfalls stets auf den Modus der Erklärung und Deutung von Niederlagen und ihrer Überwindung beschränkt gewesen sein, und Spuren dieses Wissens finden sich nicht allein in den historiografischen Berichten von Roms Kriegen, sondern in einer Vielzahl von sehr unterschiedlichen Quellen.22 Dies soll dazu beitragen zu erschließen, welchen Stellenwert diese Ereignisse im Geschichtsbild der Angehörigen späterer Generationen einnahmen bzw. was diese überhaupt noch hierüber wussten. Der zeitliche Rahmen, aus dem die Quellen stammen, die Aufschluss über den Umgang mit den Niederlagen Roms in der Geschichtskultur der jeweiligen Zeit geben sollen, wurde dabei bewusst weit gewählt. Systematisch aufgenommen werden zunächst – sofern das möglich ist – Zeugnisse, die noch aus der Zeit der Niederlagen stammen und damit die ersten medialen Repräsentationen der Ereignisse darstellen. Auf der anderen Seite bildet der Übergang von der frühen zur mittleren Kaiserzeit, also in etwa die Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert nach Christus, einen Einschnitt. Quellen späterer Jahrhunderte werden jeweils lediglich in Form eines Ausblicks diskutiert. Diese Begrenzung wurde zum einen deswegen vorgenommen, um den Umfang der Arbeit nicht zu groß werden zu lassen, zum anderen da in diese Zeit das Erscheinen der Punica des Silius Italicus anzusetzen ist – ein Werk, das auch mit Blick auf die folgenden Jahrhunderte die umfangreichste Auseinandersetzung mit dem Zweiten Punischen Krieg darstellt, einem der für die vorliegende Arbeit wichtigsten Konflikte, was die Gelegenheit bietet, hier innezuhalten und einen Blick auf die erzielten Ergebnisse zu werfen.23

22Vgl.

Clark 2018, 192, Anm. 4 („other types of references have much to offer furher examination“). Anspruch auf Vollständigkeit wird auch in Bezug auf die nun eingegrenzte Zeitspanne, die immerhin vom dritten Jahrhundert vor Christus bis zum Beginn des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts reicht, nicht erhoben, doch wurde sich darum bemüht, ein möglichst umfangreiches Bild zu gewinnen. Die Auseinandersetzung mit den Niederlagen Roms in der Republik endet indes nicht in dieser Zeit und auch nicht nach dem Ende der Antike. So versprechen etwa Untersuchungen nachantiker Deutungen und Darstellungen von Niederlagen wie derjenigen des M. Atilius Regulus (255) oder der Schlacht bei Cannae (216) weitere Potenziale für die rezeptionsgeschichtliche Forschung.

23Ein

8

1 Einleitung

Es bleibt, die Auswahl der Niederlagen zu begründen. Römische Heere mussten über die gesamte Dauer der Republik und auch noch danach Niederlagen hinnehmen. Da in der vorliegenden Arbeit jedoch nicht alle dieser Schlachten ausführlich untersucht werden können, ohne dass die Untersuchung ein vertretbares Maß überschreiten würde, war eine Auswahl unumgänglich. Zunächst kann auch hier ein chronologischer Rahmen abgesteckt werden. Den Anfangspunkt bildet in dieser Arbeit dabei die Niederlage an der Allia und die anschließende Einnahme Roms durch die Gallier (die sogenannte ‚Gallische Katastrophe‘), die sich um das Jahr 386 herum ereignet zu haben scheint. Durch das Ausklammern der früheren Jahrhunderte fallen zwar so interessante Ereignisse wie die vermutliche Einnahme Roms durch den Etrusker Porsenna oder der Untergang der Fabier an der ­Cremera aus der Untersuchung heraus, doch lässt sich dies zum einen angesichts der unsicheren Überlieferungssituation vertreten, die kaum eine solide Rekonstruktion der Ereignisse erlaubt, zum anderen ist mit der Monographie von Matthieu Engerbeaud nun eine Arbeit erschienen, die gerade die Niederlagen in Roms ‚archaischer Epoche‘ in den Blick nimmt.24 Eine weitere Begrenzung wurde zudem gegen Ende des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts gezogen, in dem diejenigen militärischen Misserfolge Roms, die sich nach der Eroberung Numantias (133) zugetragen haben, nur vereinzelt aufgenommen wurden. Der Beweggrund hierfür war keineswegs, dass Roms Armeen hiernach keine Niederlagen mehr hätten hinnehmen müssen – ganz im Gegenteil lassen sich auch für die späte Republik Niederlagen gegen auswärtige Feinde, gegen rebellierende Bundesgenossen und aufständische Sklaven in verblüffend hoher Anzahl und in dichter Frequenz konstatieren. Trotz aller im Kern berechtigten Bedenken gegen die strenge Epochengliederung zwischen mittlerer und später Republik, bewog doch der Umstand, dass sich die politischen und sozialen Bedingungen der römischen Welt in der späten Republik deutlich von denen der vorangegangenen Jahrhunderte unterschieden, insbesondere was die Rolle und Macht des Senates, aber auch das Verhältnis zwischen Feldherren und Soldaten, betrifft, dazu, im späten zweiten Jahrhundert die untere Grenze für die Berücksichtigung römischer Niederlagen zu ziehen.25 Innerhalb dieses Rahmens sind grundsätzlich verschiedene Gliederungsprinzipien und Optionen der Auswahl denkbar. Um sich nicht vorschnell auf einige wenige

24Engerbeaud

2017. ähnlichen Gründen hat auch Clark 2014b, 14 das Ende des zweiten Jahrhunderts als chronologischen Endpunkt ihrer Studie begründet, wobei sie die Niederlagen gegen Kimbern und Teutonen noch in ihre Untersuchung aufgenommen hat. Da die Niederlagen der späten Republik indes eine gesonderte Behandlung verdienen, beabsichtigt der Verfasser, sich diesem Thema in Zukunft mit einem eigenständigen Beitrag zu widmen. Mit Blick auf die Niederlagen der frühen und mittleren Kaiserzeit sei zudem auf eine Reihe von neueren Beiträgen sowie auf eine im Entstehen begriffene Studie verwiesen, die diesen Zeitraum systematisch behandeln wird. Siehe Stoll 2016 und Turner 2018, die sich jeweils mit den Niederlagen der Kaiserzeit beschäftigen. Unter der Leitung von Oliver Stoll wird nun im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität Passau der Umgang mit Niederlagen in der römischen Kaiserzeit untersucht, in dessen Rahmen Frau Lena Meier eine Dissertation anfertigt, deren Erscheinen der Verfasser mit großem Interesse entgegensieht („Die Darstellung von Feldherren und Niederlagen in der historiographischen Literatur der römischen Kaiserzeit“, siehe Meier/Stoll 2016, 2).

25Aus

1.1  Nicht nur eine Erfolgsgeschichte – zu Thema und Aufbau der Arbeit

9

Ereignisse festzulegen, die auf diese Weise von vornherein als besonders relevant markiert worden wären, wurde eine Engführung auf eine kleine Gruppe von Fallbeispielen vermieden. Stattdessen ist die Untersuchung nach Gegnergruppen gegliedert, gegen die die Römer in dem genannten Zeitraum besonders viele Niederlagen erlitten und die sich daher grundsätzlich für eine Untersuchung anbieten. Die Zusammenfassung von Gegnergruppen in einem Kapitel erlaubt es zudem leichter, kulturell geformte Vorstellungen auf römischer Seite zu berücksichtigen, die mit solchen Gegnergruppen verbunden waren und Einfluss auf Erklärung und Deutung von Misserfolgen in der römischen Geschichtskultur haben konnten. Zudem lassen sich auf diese Weise auch besser Darstellung und Deutungen von Niederlagen gegen einen bestimmten Gegner bei einem Autor untersuchen. Das ist insbesondere deswegen angemessen, da diese durchaus in einem narrativen Zusammenhang präsentiert worden sein können, der durch eine Betrachtung von einzelnen Fallbeispielen schwieriger sichtbar wäre. Für die Untersuchung im Rahmen eigener Kapitel ausgewählt, wurden die römischen Niederlagen in Kriegen gegen Kelten, Samniten und Karthager.26 Diese Auswahl wurde getroffen, weil diese Gegnergruppen zum einen klar voneinander abzugrenzen sind, sie zum anderen jeweils stellvertretend auch für andere Gegner Roms stehen, die nicht systematisch in die Untersuchung aufgenommen werden konnten. Die Kelten bieten in diesem Rahmen ein Beispiel für sogenannte ‚barbarische‘ Feinde außerhalb der römischen Ordnung, die Samniten erscheinen stellvertretend für die generationenlangen Kämpfe gegen italische Gemeinwesen und Stämme im Zuge der römischen Expansion auf der Halbinsel, die Karthager stehen exemplarisch für einen Staat der erweiterten hellenistischen Welt.27 Auf diese Weise kann ein möglichst weiter Rahmen von Niederlagen gegen teilweise sehr unterschiedliche Gegner abgedeckt werden, die zudem eine breite Palette von Darstellungen und Deutungen in der römischen Geschichtskultur provoziert haben.28

26Zur

Definition des Keltenbegriffs siehe unten Kap. 3. Im weiteren Verlauf der Untersuchung firmieren einzelne Konflikte jeweils unter unterschiedlichen Bezeichnungen (Zweiter Punischer Krieg, zweiter römisch-karthagischer Krieg, Hannibalkrieg), was in erster Linie im Dienste einer sprachlichen Variation geschieht. 27Überzeugend für die Einordnung Karthagos als Teil der hellenistischen Welt ist Ameling 1993 eingetreten, dem es gelungen ist, eine Reihe von älteren Ansichten über den Aufbau der karthagischen Gesellschaftsordnung zu revidieren (siehe zudem auch Roth 2007, 368, der den Einfluss der karthagischen Kriegsführung und Strategie auf die griechische Welt hervorhebt). Die kulturelle Erinnerung an die Niederlagen Roms gegen den epirotischen König Pyrrhos wäre zwar wohl ebenfalls ein lohnenswerter Untersuchungsgegenstand, doch fiel die Wahl auf die Karthager, da die Römer gegen diesen Gegner deutlich mehr Niederlagen hinnehmen mussten und sich mit diesem auch über einen deutlich längeren Zeitraum hinweg in Kampfhandlungen befanden. Zu Roms Niederlagen im Pyrrhoskrieg siehe nun auch Engerbeaud 2017, 339–362. 28Vgl. Lipp 2000, 224 („Die kulturelle Hinterlassenschaft von Kriegen ist auch in innergesellschaftlichen Abgrenzungsdiskursen zu sehen, d. h. in den Selbst- und Fremdzuschreibungen, die Kriege, ebenso aber Siege und mehr noch Niederlagen auch innerhalb nationaler Einheiten nach sich ziehen oder verstärken.“). Diesen Ansatz haben u. a. Carl/Kortüm/Langewiesche/Lenger 2004, 4 in Bezugnahme auf Lipp 2000 aufgegriffen.

10

1 Einleitung

Fragen nach der Erinnerung an Niederlagen und der Art und Weise, wie diese Ereignisse der Vergangenheit erklärt und gedeutet wurden, verweisen auf einen Komplex der kulturwissenschaftlichen Forschung, in dem Fragen nach den Bedingungen und Eigenschaften kollektiver Erinnerungen in historischen und gegenwärtigen Gesellschaften diskutiert werden. Um von den Arbeiten, die auf diesem Forschungsfeld entstanden sind, profitieren zu können, folgt auf eine Übersicht zum Forschungsstand eine kritische Überprüfung des Forschungsfeldes ‚Erinnerungskultur‘. Daran anschließend werden die Niederlagen Roms gegen die genannten Gegnergruppen unter den erläuterten Fragestellungen untersucht.

1.2  Besiegte Feldherren und ‚traumatische‘ Erinnerung – Forschungen zu Niederlagen Sowohl mit Blick auf Forschungen zur Repräsentation von Kriegen in den Geschichtskulturen einer Gemeinschaft, als auch in Hinsicht auf eine Kultur­ geschichte des Krieges, die im vorangegangenen Abschnitt beide als vielversprechende Anknüpfungspunkte für die vorliegende Studie vorgestellt wurden, hat sich gerade die Beschäftigung mit militärischen Niederlagen als fruchtbarer Untersuchungsgegenstand erwiesen. In diesem Zusammenhang kann nämlich auf eine Reihe von instruktiven, neueren Arbeiten zu diesem Themenkomplex verwiesen werden, in denen militärische Misserfolge in räumlich und zeitlich weit getrennten Gesellschaften untersucht worden sind, wodurch nicht zuletzt die erheblichen Unterschiede im Umgang mit solchen Ereignissen in verschiedenen Epochen und Kulturen deutlich werden.29 Dies lässt auch eine umfassende Untersuchung zum

29Dies

kann bereits konstatiert werden, obwohl übergreifende, vergleichende Darstellungen bzw. Sammlungen von Beiträgen bislang vergleichsweise rar gesät sind. Siehe jedoch nun Meier/ Stoll (Hgg.) 2016; Clark/Turner (Hgg.) 2018, die indes beide, mit wenigen Ausnahmen, auf die Antike beschränkt bleiben. Vgl. Carl/Kortüm/Langewiesche/Lenger 2004, 2 („Das Spektrum [des Umgangs mit Niederlagen, Anm. des Verf.] reicht dabei vom uneingeschränkten Eingeständnis der Niederlage bis hin zur konzessionslosen Bestreitung: ‚Es liegt keine Niederlage vor!‘, ja bis zum ‚Vergessen‘ der Niederlage, die überhaupt nicht mehr als solche erkannt, sondern nur noch als Sieg erinnert wird. Zwischen diesen beiden Polen existiert ein weites Feld von Möglichkeiten, Niederlagen in eingeschränkter Form einzugestehen bzw. sie in eingeschränkter Form zu bestreiten.“). Perspektiven auf unterschiedliche Formen von Darstellungen und Deutungen von Niederlagen, die von fast vollkommener Negation bzw. Verschleierung bis hin zur ostentativen Betonung einer erlittenen Schmach reichen können, finden sich u. a. bei Wilkcke 2000 (zu sumerischen Klageliedern; für den Hinweis auf diese Quelle danke ich Dr. Sebastian Fink (Helsinki); Schivelbusch 2001 (zur Erfahrung der Niederlage im amerikanischen Süden nach 1865, in Frankreich nach 1871 und in Deutschland nach 1918); Wolpert 2002 (Athen nach dem Peloponnesischen Krieg); Clauss 2010; 2016 (zum Umgang mit Niederlagen im europäischen Mittelalter); Afflerbach 2013, sowie in Carl/Kortüm/Langewiesche/Lenger (Hgg.) 2004.

1.2  Besiegte Feldherren und ‚traumatische‘ Erinnerung

11

Umgang mit den Niederlagen der frühen und mittleren Republik, die bislang noch aussteht, vielversprechend erscheinen.30 In der römischen Republik oder der frühen Kaiserzeit selbst können solche Arbeiten keine Vorbilder finden. Einige Niederlagen tauchen zwar in beachtlichem Umfang in verschiedenen Quellen auf, ein Werk, das sich dezidiert mit Niederlagen befasst hätte, ist jedoch nicht bekannt.31 Offensichtlich existierten in Rom auch keine Institutionen, die systematisch Daten über Niederlagen auf dem Schlachtfeld gesammelt hätten.32 In der modernen Forschung hingegen hat das Thema durchaus Beachtung gefunden.33 So konnten Studien zur römischen Kriegsführung, zu religiösen Reaktionsmustern und zum Vorgehen bei der Besetzung von hochrangigen Kommandostellungen (Konsulat, Praetur, Dictatur) in Rom eine ganze Bandbreite von Reaktionen auf Niederlagen herausarbeiten.34 Fasst man die Ergebnisse dieser Arbeiten zusammen, ergibt sich das Bild einer Gesellschaft, oder zumindest einer sozialen, politischen und religiösen Elite, die durchaus in der Lage war, pragmatisch auf militärische Misserfolge zu reagieren – etwa, indem eigentlich gängige Normen zur Auswahl von Feldherren vorübergehend ausgesetzt wurden, um besonders erfahrene Kommandeure, teilweise kontinuierlich über Jahre hinweg auf wichtigen Kriegsschauplätzen einsetzen

30Viele der Schlachten und Kriege, in deren Verlauf sich Niederlagen, die in dieser Arbeit besprochen werden, ereigneten, waren seit dem Beginn der modernen altertumswissenschaftlichen Forschung im 19. Jahrhundert immer wieder Gegenstand der Untersuchung. Besonders die Forschungsliteratur zu den Kriegen zwischen Rom und Karthago ist längst so umfangreich, dass es sinnvoll erscheint, diese erst im jeweiligen Kapitel zu diskutieren. Im Folgenden sollen daher vor allem solche Untersuchungen aufgeführt werden, die sich entweder allgemein – d. h. nicht auf ein einzelnes Ereignis beschränkt – mit römischen Reaktionen auf Niederlagen auseinandersetzen, oder mit der Darstellung, der Deutung, der Verarbeitung und dem Umgang mit oder der Erinnerung an Niederlagen in Rom befassen, die römische Heere zur Zeit der Republik erlitten haben. 31Eine detaillierte Übersicht zu den betreffenden Quellen findet sich jeweils zu Beginn der Kapitel zu den einzelnen Fallbeispielen. 32Rüpke 1995a, 569 f.; 2006, 565; Walter 2004a, 205 (mit Anm. 43). 33Vgl. im Folgenden die Hinweise zur Forschung u. a. bei Schulz 2012, 193 f.; Clark 2014b, 1–15; Meier/Stoll 2016; Stoll 2016 (der, ebd., 109–120, auch eine umfangreiche „Bibliographie zum Thema“ bietet); Engerbeaud 2017, 14–26; Walter 2017a, 146; Clark/Turner 2018, 8–12. 34Siehe etwa Eadie 1967; Rawson 1991; McCall 2002; Saal 2012 (zu Änderungen der Bewaffnung der römischen Reiterei); Simon 1962; Gundel 1970 (zum Roms Kriegen auf der Iberischen Halbinsel im zweiten Jahrhundert); Lippold 1963; Kloft 1977; Beck 2005a (zum Zusammenhang von Iterationen des militärischen Oberamtes und Rogationen mit militärischen Krisen; zum römischen Oberkommando siehe zuletzt auch Vervaet 2014; Drogula 2015); Cornell 1996; Shean 1996; Erdkamp 1998; Goldsworthy 2000; 2001; Zimmermann 2005; 2008; 2011; Fronda 2007; 2010; 2011 (zum Zweiten Punischen Krieg, insbesondere zu den Folgen von Roms Niederlagen auf Italien); Hölkeskamp 1990/2004; Bleckmann 2002; Gehrke 2002 (zum Ersten Punischen Krieg); Linke 2000 (zu Reaktionen auf der religiösen Ebene); Daly 2002; Speidel 2004 (zur Schlacht von Cannae); Engels 2007 (Sammlung der Berichte von römischen Vorzeichen und der Reaktionen hierauf); Hölkeskamp 1987/2011; Grossmann 2009 (zu Roms Samnitenkriegen; die ältere Darstellung von Salmon 1967 bleibt indes wertvoll); Linke 2017.

12

1 Einleitung

zu können.35 Als pragmatische Reaktionen können aus der Perspektive der Zeitgenossen wohl auch Maßnahmen auf einer religiösen Ebene angesehen werden, wie etwa die Initiierung besonderer Sühnemaßnahmen, die Einführung neuer Kulte oder das Gelöbnis und der Bau von Tempeln.36 Direkt das militärische Handlungsfeld betreffen zudem Neuerungen in der Heeresorganisation oder der Bewaffnung von Teilen der Armee, die sich jeweils mit vorangegangenen Niederlagen in Verbindung bringen lassen.37 Finden sich diese Ergebnisse zu Reaktionen auf Niederlagen in einer Vielzahl von Studien mit ganz unterschiedlichen thematischen Ausrichtungen, befasst sich eine Reihe weiterer Untersuchungen wiederum explizit mit dem Umgang mit Niederlagen, wobei eine Gruppe von Arbeiten vor allem mit der literarischstilistischen Darstellung verschiedener Niederlagen bzw. einzelner Elemente hierin befasst ist. So untersuchte Heinz Bruckmann in seiner 1936 veröffentlichten Dissertation die Darstellung der römischen Niederlagen im Geschichtswerk des Titus Livius.38 Bruckmanns Interesse gilt hauptsächlich philologischen Beobachtungen, wie Mitteln der literarischen Gestaltung der Berichte. Hierbei gelingen ihm einige weiterführende Beobachtungen, andere Schlüsse – wie die Einteilung der Niederlagen in drei Typen: Allia, Cannae, Caudium – muten wohl etwas zu schematisch an.39 Aufgrund der zahlreichen treffenden Deutungen zu einzelnen Textstellen und Passagen ist Bruckmanns Arbeit für die Analyse der Darstellung der römischen Niederlagen bei Livius nach wie vor überaus hilfreich. Angesichts des sowohl methodisch wie auch – durch die Untersuchung allein auf Ab urbe condita bezogen – thematisch beschränkten Zugangs, ist wiederum klar, dass die Arbeit kein wirklich umfassendes Bild des Umgangs mit Niederlagen in der römischen Geschichtskultur bieten kann. Eine hinsichtlich sowohl des Themas als auch des Ansatzes recht ähnlich gelagerte Arbeit legte Karl-Heinz Niemann 1975 vor, wobei er die Darstellung von Niederlagen in den Punica des Silius Italicus untersucht und zu dem Schluss

35Siehe

unter anderem Kloft 1977 und vor allem, mit einer gründlichen statistischen Auswertung des Materials, Beck 2005a. 36Ziolkowski 1992; Orlin 1997; Weigel 1998 (alle drei zu den Tempeln der mittleren Republik und dem jeweiligen Kontext der Erbauung; vgl. hierzu zuletzt auch Davies 2017); Linke 2000; Engels 2007. 37Hierzu gehören wohl auch die Umstellung auf die Manipulartaktik und die Erweiterung des regulären jährlichen Aufgebotes auf vier Legionen in den Samnitenkriegen. Siehe hierzu u. a. Grossmann 2009 mit weiteren Hinweisen. 38Bruckmann 1936. In Auszügen auch bei Bruckmann 1977. 39So auch Seel 1938, 260, der zu Recht darauf hinweist, dass der Wert von Bruckmanns Untersuchung weniger in dieser Klassifikation als vielmehr in den zahlreichen Einzelbeobachtungen zu sehen ist. Vgl. aber auch Hellmann 1937, 661: „Die von Br. vorgenommene Verteilung der Niederlagenberichte auf 2 bzw. 3 als typisch erkannte Darstellungsformen ist berechtigt und klärend.“ Bruckmann selbst geht auf dieses Problem ein, sieht aber in der Gruppierung der Niederlagenberichte einen Vorteil, der vor allem in der so gewonnenen Übersichtlichkeit bestünde und „gewisse einzelne Unzulänglichkeiten“ (Bruckmann 1936, 2) überwiege.

1.2  Besiegte Feldherren und ‚traumatische‘ Erinnerung

13

gelangt, dass Silius die Niederlagen als göttliche Prüfung der Römer und als Mittel der moralischen Bewährung und Erneuerung Roms darstellt.40 Cannae, die größte Niederlage, erscheint in dieser Konzeption als Wendepunkt nicht nur des Kriegsverlaufes, sondern auch als Ausgangspunkt der Erneuerung der virtus Romana. In einem kurzen Aufsatz beschäftigte sich Wolfgang Will 1983 näher mit einem einzelnen Aspekt der Darstellung der Niederlagen und zwar mit dem Bild der besiegten Feldherren (imperatores victi) bei Livius und hier im Speziellen in den Büchern, die die erste Phase des Hannibalkrieges beinhalten.41 Will arbeitet dabei pointiert heraus, dass die Darstellung der imperatores victi zum Teil dazu diente, die jeweilige Niederlage zu erklären. Der unterlegene Feldherr werde als leichtsinnig und unbeherrscht dargestellt, was ihm wiederum verwehre, die Taktiken Hannibals zu durchschauen, sodass die römischen Soldaten in der Schlacht keine Chance auf den Sieg gehabt hätten. Der populus Romanus insgesamt sei so entlastet worden, auch wenn die discordia ordinum zuvor dem betreffenden ungeeigneten Feldherrn überhaupt erst die Gelegenheit zur militärischen Führung eröffnet hatte.42 Den Ansatz Wills griff später Sandra Geist auf, stellte ihre Untersuchung allerdings auf eine breitere Quellenbasis und bemühte sich jeweils um eine möglichst umfassende Aufnahme der in den literarischen Quellen erhaltenen Berichte zu den einzelnen Niederlagen.43 Zudem setzt sie, beginnend mit der Schlacht an der Allia und endend mit der ‚Varusschlacht‘, den zeitlichen Rahmen deutlich weiter als es in vorangegangenen Arbeiten geschehen war.44 So ist es ihr zwar möglich, ihre Ergebnisse in einen größeren Zusammenhang einzuordnen und Vergleiche zwischen den einzelnen Fallbeispielen zu ziehen, allerdings ist die Untersuchung der einzelnen Quellenstellen bei Weitem nicht so detailliert wie es etwa in den Arbeiten Bruckmanns oder Niemanns der Fall gewesen war.45

40Niemann

1975. 1983a. 42Will 1983a, 179 f. 43Geist 2009. 44Bei den von Geist behandelten Niederlagen handelt es sich um die Schlachten an der Allia, bei Drepana, an der Trebia, am Ticinius (die also in umgekehrter chronologischer Reihenfolge behandelt werden), am Trasimenischen See, bei Cannae, die „ersten drei Niederlagen gegen Kimbern und Teutonen“ sowie um die Schlachten bei Arausio, bei Carrhae, die Niederlage des M. Lollius (16 v. Chr.) und um die ‚Varusschlacht‘. 45Gravierender auf die Deutung ihrer Ergebnisse wirkt sich zudem aus, dass Geist neuere althistorische Arbeiten zu einzelnen Feldherren, etwa zu C. Flaminius (cos. 217), nicht ausreichend berücksichtigt hat und somit manch voreilige Interpretation hinsichtlich der politischen Konstellationen wagt, die um die einzelnen Feldherren vermutlich bestanden hätten. So geht Geist 2009, 61 mit Anm. 94 etwa ohne überzeugende Begründung von einer grundsätzlichen Feindschaft des C. Flaminius zum Rest des Senats und insbesondere zu Q. Fabius Maximus aus, wobei sie die Position von Bleicken 21968, 28–30 aufgreift. Die Annahme einer frühen Feindschaft des Flaminius zum Rest des Senats ist jedoch bereits von Meißner 2000 und in Anschluss daran auch von Beck 2005a, 244–268, bes. 244 mit guten Gründen infrage gestellt worden. 41Will

14

1 Einleitung

Jürgen von Ungern-Sternberg (2000) und Hans Beck (2006) verfolgten jeweils in einem kurzen Beitrag eine einander ähnliche Fragestellung.46 Beide untersuchen Teile der verschiedenen Schichten der Überlieferung zu einer Niederlage, um so Einsichten in die Entstehung und Veränderung der Tradition zu den jeweiligen Niederlagen zu gewinnen, mit dem Ziel, Strategien der Verarbeitung der Niederlagen in der literarischen Tradition offenzulegen. Hinsichtlich der Rekonstruktion der ‚wirklichen Ereignisse‘, die der jeweiligen Überlieferung zugrunde liegen, zeigen sich beide dezidiert zurückhaltend.47 Im Mittelpunkt ihrer Untersuchungen steht vielmehr die Frage nach Stufen und Tendenzen bzw. möglichen Ursachen der Ausprägung der vorliegenden Überlieferung, wobei sie jeweils aufgrund des begrenzten Rahmens erklärtermaßen nicht allen möglichen Deutungen nachgehen. Von beiden werden allerdings zahlreiche einzelne Motive, die in der Tradition um die jeweilige Niederlage eine bedeutende Rolle gespielt haben, zumindest in knapper Form genannt. Ungern-Sternberg (Gallierkatastrophe) konzentriert sich dabei vor allem auf verschiedene Aitiologien, die mit der gallischen Katastrophe in Zusammenhang zu bringen seien, während Beck (Cannae) einen Schwerpunkt auf die Frage nach der Erklärung der Niederlage vor allem in den historiografischen Quellen legt. In ihrer Dissertation aus dem Jahre 2004 hat sich Roxana Kath wiederum mit einem anderen Ansatz dem Thema der römischen Niederlagen zugewandt.48 Ausgehend von der Überlegung, dass die Römer ihre Ursprünge von den Troianern hergeleitet hätten, konstatiert Kath, dass „der historische Hintergrund des römischen Gründungsmythos durchaus als traumatisch bezeichnet werden kann“.49 Dieses ‚Gründungstrauma‘ wiederum habe dazu geführt, dass die Römer ihre Niederlagen stets negiert oder durch „Geltungsbehauptungen“ in Siege umgewandelt hätten.50 Abgesehen von diesem recht freihändigen Umgang mit der römischen Rezeption des Troia-Stoffes51 sowie mit dem Konzept des kulturellen

46Ungern-Sternberg

2000; Beck 2006. 2000, 207: „Dabei interessiert uns nicht der historische Hintergrund und der ‚wirkliche‘ Hergang des Geschehens; auch nicht die Frage, wie sehr Rom tatsächlich zerstört worden ist. Wir stellen einfach fest, daß das kollektive Gedächtnis der Römer eine Katastrophe in Erinnerung behalten hat und deshalb Wege finden mußte, sie in ihren Ursachen wie in ihren Konsequenzen zu verstehen und zu verarbeiten“. 48Kath 2006. 49Kath 2006, 173. 50Kath 2006, 44, 49–55, 175 und passim. 51Diese war bekanntlich viel zu komplex, als dass man sie auf eine solch einfache Schlussfolgerung verkürzen könnte. Vor allem wäre ein solches ‚Trauma‘ geradezu konträr zur Intention der römischen Übernahme der troianischen Genealogien aus der griechischen Welt gewesen. Siehe hierzu generell u. a. Förstemann 1894, 36–96; Galinsky 1969; Wiseman 1974/1987; Gruen 1992, 6–51; Hölkeskamp 1999/2004, bes. 203–210; Blösel 2003, 56; Walter 2006 und Pausch 2011, 24 f. Zu beachten ist auch, dass zumindest bis zum Ende der Republik die Abstammung von den Troianern niemals konkurrenzlos war (siehe nur die kurze Aufzählung verschiedener Genealogien bei Wiseman 1974/1987, 207–214). Genuin römische bzw. italische Herleitungen wurden im Gegenteil bevorzugt und die Ahnengalerien der Magistrate zählten immer mehr als die aus dem Mythos entlehnten Genealogien (Galinsky 1969, 164; Hölkeskamp 1999/2004, 212; Walter 2003, 256; 2006, 94 f., 97 f.). 47Ungern-Sternberg

1.2  Besiegte Feldherren und ‚traumatische‘ Erinnerung

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Traumas,52 lässt sich auch die These einer generellen Negation der Niederlagen nicht aufrechterhalten. Zuzustimmen ist allerdings der generellen Einschätzung, dass in der römischen Überlieferung offenbar gleich mehrere Friedensverträge, die die Römer nach einer Niederlage unter für sie ungünstigen Bedingungen tatsächlich abschließen mussten, verschleiert wurden bzw. die Überlieferung dahin gehend verändert wurde, dass es den Anschein hatte, dass ein Abkommen unmittelbar nach Abschluss des Vertrages wieder aufgehoben worden sei.53 Auch weitere Überlegungen Kaths, etwa zu Einzelheiten der Überlieferung sind wiederum durchaus bedenkenswert und werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit aufgegriffen werden. Aus einer anderen Perspektive heraus hat sich Nathan Rosenstein in einer Reihe von Veröffentlichungen mit römischen Niederlagen beschäftigt. Rosenstein interessiert sich in diesen Arbeiten weniger für Erklärung und Deutung militärischer Misserfolge in der römischen Erinnerungskultur, sondern dafür, welche Folgen diese Ereignisse für die Karrieren derjenigen Feldherren hatten, die auf dem Schlachtfeld besiegt worden waren (den imperatores victi).54 Auf der Basis einer statistischen Auswertung der Ämterlaufbahnen „aller“ römischen Magistrate, Promagistrate und Legaten, die zwischen 390 und 49 eine Niederlage gegen auswärtige Feinde erlitten, diese überlebten und ohne einen anschließenden Sieg nach Rom zurückkehrten,55 stellt Rosenstein die These auf, dass Niederlagen im Großen und Ganzen in keiner Weise negative Auswirkungen auf die spätere Laufbahn des jeweiligen Magistraten gehabt hätten.56 Rosensteins These blieb nicht ohne Widerspruch.57 Dieser entzündete sich u. a. an der methodischen Vorgehensweise Rosensteins. Kritisiert wurde etwa die statistische Basis, also die Zusammenstellung der Liste der besiegten Feldherren und daran anschließend auch die Auswertung der gesammelten Daten.58 Infrage gestellt wurden auch die in Rosensteins Arbeit

52Zur, nicht unberechtigten, Kritik an diesem Konzept siehe etwa Weilnböck 2007 und Weilnböck/ Kansteiner 2008. 53Das vielleicht berühmteste Beispiel ist der Vertrag, welchen die Römer 321 nach der Niederlage von Caudium mit den Samniten schließen mussten. Siehe hierzu (mit weiteren Nachweisen) zuletzt Grossmann 2009, 72–80. 54Rosenstein 1986; 1990a; 1990b. Rosenstein 1990c ist eine Erwiderung auf die Kritik von William Harris (Harris 1990). Vgl. Cheung 1998, welche den Ansatz und die Ergebnisse Rosensteins zustimmend aufgreift und sie mit den politischen Folgen von militärischen Niederlagen für Feldherren zur Zeit des frühen Principats vergleicht. 55Rosenstein 1990a, 179. 56Rosenstein 1990a, 6, 18, 37, 46–48. 57Siehe bes. Harris 1990; Erskine 1992; Rich 1991; Tatum 1991; 1992; Hölkeskamp 1994; Bleicken 2004, 179. 58So wurde zu Recht angemerkt, dass eine vollständige Liste schon angesichts der Quellenlage überhaupt nicht zu erstellen sei (Erskine 1992, 239; Tatum 1991, 149; 1992, 639 f. Vgl. zuletzt auch Waller 2011, 21; Rich 2012, 86–88. Siehe zudem oben Abschn. 1.1). Auch die klare Unterscheidung, die Rosenstein vornimmt, der zwischen schweren und leichten Niederlagen trennt, muss angesichts unserer oft kargen Informationen oft sehr freihändig ausfallen.

16

1 Einleitung

aufgestellten Kriterien für Erfolg und Misserfolg.59 Angemahnt wurden zudem die nicht ausreichende Einbettung der Überlegungen in den sozio-kulturellen Kontext der römischen Republik60 und die mangelnde Berücksichtigung des Umstandes, dass die von Rosenstein herangezogenen literarischen Quellen Texte darstellen, die von „Stereotypen, Topoi und literarischen Strategien der historiographischen Bewältigung“ durchzogen sind.61 Das große Verdienst von Rosensteins Arbeit besteht indes darin, dass es ihm gelungen ist aufzuzeigen, dass eine Niederlage auf dem Schlachtfeld die Karriere eines Feldherrn als Senator bzw. als zukünftiger Magistrat nicht automatisch beendete. Besiegte Generäle scheinen von ihren Standesgenossen und anderen Mitbürgern in Rom nachsichtiger behandelt worden zu sein als es in anderen antiken Gemeinschaften des Mittelmeerraumes üblich war.62 Vor wenigen Jahren wurde der Aspekt des Umgang mit den imperatores victi in der römischen Republik wieder in einer Reihe von Spezialstudien untersucht, die Martin Waller, John Rich und Jessica Clark vorgelegt haben.63 Auf Basis einer

Welche Probleme das lückenhafte Material für Rosensteins Auswertung bedeutet, lässt sich etwa daran zeigen, dass die praetorischen Fasten bekanntlich überhaupt nur für die Zeit von 218 bis 167 vollständig erhalten sind – also „gerade einmal 50 Jahre aus einer untersuchten Zeitspanne von über drei Jahrhunderten und ein Abschnitt, der wegen der Kriege gegen Karthago in Italien, Spanien und Africa und dann im Osten wohl kaum als repräsentativ gelten kann“ (so die ­Kritik von Hölkeskamp 1994, 335. Vgl. Erskine 1992, 239. Die Lücken in den praetorischen Fasten werden teilweise bereits von Rosenstein 1990a, 26 eingeräumt.). Zudem setzt Rosenstein für die gesamte Zeit der Republik bereits eine große Konkurrenz unter den Praetoren hinsichtlich ihrer Bewerbung um das Konsulat voraus, wobei er unberücksichtigt lässt, dass deren Anzahl erst Ende des dritten Jahrhunderts so groß geworden war, dass sich diese Konkurrenz entwickeln konnte. Siehe zu dieser Frage bes. Beck 2005a. 59So

ist es zum Beispiel durchaus fraglich, ob das Amt des Zensors tatsächlich, wie von Rosenstein vorausgesetzt (Rosenstein 1990a, 13), im Laufe der Republik durchgängig als höchstes Amt angesehen wurde und somit als Gradmesser für den Erfolg der weiteren Karrierewege der geschlagenen Feldherren angesehen werden kann (Tatum 1991, 150; Hölkeskamp 1994, 334). Zudem ist zu bedenken, dass dem Zensor eben keine militärischen Aufgaben übertragen wurden, sodass eine Bewährung als Feldherr bzw. das Gegenteil hiervon eben auch keine ausschlaggebende Rolle bei der Wahl zu diesem Amt gespielt haben muss (Rich 1991, 404). Vor diesem Hintergrund mögen auch gerade solche Konsulare, deren Amtsjahr als Konsul nicht in einen Triumph gemündet hatte, das Amt des Zensors angestrebt haben, um ihre Karriere hiermit, anstelle des verpassten Triumphes, zu krönen (Tatum 1991, 150; Hölkeskamp 1994, 334 f.). 60Hölkeskamp 1994, 340 f. Vgl. bereits Harris 1990, 294. 61Hölkeskamp 1994, 333 (Zitat). In der Tat berücksichtigt Rosenstein die Arbeiten Bruckmanns nicht, allerdings die Untersuchung von Will 1983a. 62Erskine 1992, 239; Tatum 1992, 638 („It will no longer be possible to explain a candidate’s failure merely by simplemindedly invoking a lackluster or even disastrous military career.“); Hölkeskamp 1994, 336: „Zwar ist die behauptete grundsätzliche und geradezu selbstverständliche Chancengleichheit der imperatores victi nicht überzeugend nachzuweisen – […]. Umgekehrt macht die von R. präsentierte erhebliche Zahl individueller Fälle aber immerhin deutlich, daß eine Niederlage die Karriere des verantwortlichen Feldherrn als Senator und (potentiellem) Magistrat zumindest nicht automatisch beendete“. Zustimmend in diesem Punkt auch Lundgreen 2011, 282 f., Anm. 802; Waller 2011, 24; Rich 2012, 88; Schulz 2012, 194, 505; Walter 2017b, 373. 63Waller 2011, Rich 2012, Clark 2014b.

1.2  Besiegte Feldherren und ‚traumatische‘ Erinnerung

17

Revision der statistischen Erhebung Rosensteins gelangt Waller zu dem Ergebnis, dass Niederlagen für die beteiligten Feldherren zwar nicht automatisch das Ende ihrer Karriere bedeutet hätten. Allerdings könne auch nicht von einer generellen Chancengleichheit ausgegangen werden.64 Der von Rosenstein hervorgehobene Umstand, dass besiegte Generäle in Rom sich nur selten vor Gericht verantworten mussten, sei nach Waller dadurch zu erklären, dass für die betreffenden Individuen die schlechteren Karriereaussichten bereits als ausreichende ‚Strafe‘ angesehen worden seien.65 Im Anschluss an die Ergebnisse Rosensteins und die Revision Wallers, der er zustimmt, hat John Rich in einem Aufsatz u. a. die Bedingungen untersucht, unter denen es in Rom doch zu einer Anklage gegen einen besiegten Feldherrn kommen konnte.66 Für den Zeitraum vom 4. bis zum 2. Jahrhundert seien solche Fälle indes überaus selten gewesen und seien durch den jeweils spezifischen Kontext erklärbar.67 In Form einer Monografie hat sich des Themas des Umgangs mit Niederlagen in Rom zuletzt Jessica Clark angenommen.68 Dabei konzentriert sie sich auf den Zeitraum vom Beginn des Zweiten Punischen Krieges bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts. Clark interessiert sich vor allem für die Reaktionen auf Niederlagen, die die Römer während der jeweiligen Kriege gezeigt hatten und legt hierbei einen Schwerpunkt auf den Umgang mit den besiegten Feldherren. Eine der Hauptthesen der Arbeit besteht darin, dass der römische Senat danach gestrebt habe, die Deutung über die Narrative zu erlangen und zu erhalten, in denen Kriege mit ihren Siegen und ihren Niederlagen in Rom wahrgenommen wurden. Dies sei bis etwa Mitte des zweiten Jahrhunderts auch weitgehend gelungen. Für die spätere Zeit ließen sich hingegen Veränderungen feststellen. Unter anderem gelingt es Clark zu zeigen, dass im letzten Drittel des zweiten Jahrhunderts imperatores victi deutlich häufiger aufgrund ihrer Niederlage belangt wurden als es noch zwei bis drei Generationen zuvor der Fall gewesen war.69 Den Grund hierfür sieht Clark vor allem darin, dass etablierte Vertreter der Nobilität dann zunehmend Schwierigkeiten dabei hatten, die Feldzüge in Nordafrika und die Kämpfe gegen die Kimbern und Teutonen zu einem siegreichen Ende zu führen. Dies habe in der römischen Bevölkerung allgemein und besonders in der Armee zu Unzufriedenheit geführt. Ein Resultat sei letztlich der steigende Einfluss einzelner Feldherren gewesen, die das abnehmende Vertrauen der Bevölkerung in die militärischen Fähigkeiten der Nobilität ausnutzen konnten.70 Clark gelingt es vor allem, detailliert aufzuzeigen,

64Waller

2011, 24 f. 2011, 24 f. 66Rich 2012. 67Rich 2012, 102. 68Clark 2014b. 69Clark 2014b. Vgl. Walter 2017a, 146 („Ende des 2. Jahrhunderts gab es sogar eine kleine Prozesswelle.“). 70Clark 2014b, 172–207. 65Waller

18

1 Einleitung

dass und wie sich der Umgang mit besiegten Feldherren in Rom veränderte und keineswegs über Jahrhunderte hinweg statisch blieb. Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang, dass Clark sich lediglich auf ein ‚langes zweites Jahrhundert‘ von 218–101 konzentriert und damit nicht nur die späte, sondern auch die frühe und weite Teile der mittleren Republik nahezu vollständig ausklammert.71 Clark geht in Ansätzen auch auf den Komplex der Erklärung und Deutung der Niederlagen in der römischen Geschichtskultur ein, etwa indem sie zu Recht darauf hinweist, dass in der römischen Historiografie eine Tendenz besteht, die Darstellung von Feldzügen stets mit einem Sieg der Römer zu beenden – auch wenn noch später Kampfhandlungen im entsprechenden Operationsgebiet stattfanden.72 Ida Östenberg wiederum hat in jüngerer Zeit mit zwei knappen, indes gehaltvollen Beiträgen Aspekte von kulturellen Repräsentationen von Niederlagen in der römischen Geschichtskultur, hier insbesondere in der Historiografie, untersucht, wobei sie sich besonders auf einige Niederlagen der mittleren Republik sowie der frühen Prinzipatszeit konzentriert.73 Einen thematisch zwar benachbarten, doch in der Ausgestaltung der Bearbeitung deutlich anderen Ansatz repräsentieren einige jüngere Studien, die sich mit den Phänomenen von ‚Krisen‘ bzw. der Bewältigung von solchen in der römischen Kultur auseinandersetzen, wobei dann auch militärische Niederlagen unter diesem Blickwinkel betrachtet werden können. Auch wenn hier also ein anders gelagerter Zugang zum Thema vorliegt, in den betreffenden Studien dann auch deutlich andere Schwerpunkte gesetzt werden, lassen sich die hier erzielten Ergebnisse durchaus mit einigen Ansätzen der vorliegenden Arbeit verbinden.74 Eine chronologisch umfassende Arbeit, in der Erklärungen und Deutungen der militärischen Misserfolge der Republik in der römischen Geschichtskultur untersucht worden wären, liegt noch nicht vor.75 Aufbauend auf den genannten

71Mitunter

wäre zudem eine noch größere Vorsicht in der Deutung des Quellenmaterials möglich gewesen. Dies trifft etwa auf die Auswertung der Statistik zur Triumphvergabe in den Kriegen auf der Iberischen Halbinsel im vierten Kapitel zu, die auf einer sehr fragmentarischen Quellenlage beruht. Auch Clarks Schluss, dass Niederlagen nicht nur keinen Nachteil für die Karriereaussichten der jeweiligen Feldherren mit sich bringen mussten, wie bereits von Rosenstein festgestellt, sondern sogar als Vorteil fungieren konnten, beruht auf einer recht schmalen statistischen Grundlage. 72Siehe hierzu Clark 2014b, 94–133. 73Östenberg 2014; 2018. 74Siehe zu diesem Ansatz etwa Golden 2013, der sich (ebd., 11–22, 26–41) insbesondere für die Dictatur als Reaktion auf äußere militärische Bedrohungen interessiert, was er unter anderem an den Beispielen der ‚Gallischen Katastrophe‘ und der römischen Niederlagen gegen Hannibals Armee zu Beginn des Zweiten Punischen Krieges diskutiert. Toner 2013, 131–143 hat Niederlagen wie die Schlacht von Cannae unter dem Phänomen der Krise subsumiert und so neben Naturkatastrophen oder Seuchen gestellt, wodurch sich sein Ansatz von dem in dieser Arbeit gewählten unterscheidet. 75Vgl. Meier/Stoll 2016, 2 („Für die Epoche der Antike jedenfalls fehlen entsprechende umfassende Versuche der Bearbeitung des Themas ‚Niederlagen‘ gänzlich.“); Stoll 2016, 93. Die Zusammenstellung von Paul Chrystal (Chrystal 2015) bietet eher eine chronologische Übersicht, die auf ein breiteres Publikum ausgerichtet ist und keine neuen Einsichten in das Thema bietet.

1.2  Besiegte Feldherren und ‚traumatische‘ Erinnerung

19

Forschungsbeiträgen soll das Unterfangen einer solch umfassenden Untersuchung des Umgangs mit Niederlagen in Rom in der vorliegenden Arbeit angegangen werden – um auf diese Weise die Geschichte der römischen Republik nicht einmal mehr entlang ihrer Erfolge, sondern vor allem entlang ihrer Niederlagen zu erzählen.

2

Methodische Vorbemerkungen

2.1  Kollektives Gedächtnis, soziales Gedächtnis, Erinnerungskulturen, Geschichtskulturen – Begriffe und Konzepte Um verstehen zu können, welchen Platz Niederlagen im Denken der Römer wäh­ rend der Republik und der frühen Kaiserzeit einnahmen, ist es hilfreich, sich zunächst zu fragen, wie die Erinnerung an diese Ereignisse in der r­ömischen Kultur weitergegeben wurde.1 Diese Frage verweist auf einen Komplex von Forschungen, die sich seit ungefähr drei Jahrzehnten mit den Themenfeldern ­ Erinnerungskultur(en), kollektiven, kulturellen, kommunikativen und/oder sozialen Gedächtnissen, Geschichtskulturen und Erinnerungsorten beschäftigen. Die genannten Konzepte unterscheiden sich jeweils hinsichtlich ihres theoretischen Zugriffs. Dennoch lassen sie sich zu einem Komplex von Forschungen mit ähnlich gelagerten Interessen und Denkmodellen zusammenfassen.2

1Der Begriff der ‚Kultur‘ wird im Folgenden in einem weiten Sinne verstanden, wie ihn zuletzt u. a. Jan Assmann und Neville Morley definiert haben. Siehe Morley 2004, 106 („The phrase is intended to encompass all the different aspects of how the Greeks and Romans thought, and thought about their world: covering not just the highest products of their intelligence and creativity (the history of ideas, of science, of philosophy, and so forth) but the conceptions and assumptions that shaped the lives of the mass of the population, including such topics as religion and myth and the thought processes that underlie those conceptions.“). 2Forschungsüberblicke bieten u. a. Oexle 1995, 16–29; Zelizer 1995, 215–218; Olick/Robbins 1998; Cornelißen 2003; Kansteiner 2004; umfassend Erll 2005 und pointiert Beck/Wiemer 2009, 10–16 sowie Galinsky 2016, 1–17. Einen Eindruck von der Bandbreite der Forschungsansätze vermitteln außerdem die Lexika und Handbücher zum Thema. Siehe etwa: Pethes/Ruchatz 2001; Erll/Nünning/Young (Hgg.) 2008; Boyer/Wertsch (Hgg.) 2009 und Olick/Vinitzky-Seroussi/Levy 2011.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Lentzsch, Roma victa, Schriften zur Alten Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-476-04831-8_2

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2  Methodische Vorbemerkungen

In Bezug auf diesen Forschungskomplex wurde wiederholt von einem „Boom“ oder einer wissenschaftlichen „Konjunktur“ gesprochen.3 Beides mag bereits teilweise wieder abgeklungen sein, doch für eine abgewogene Beurteilung wie auch ein fruchtbares Aufgreifen dieser Überlegungen muss dies keinen Nachteil darstellen. Zudem ändert dies auch nicht unbedingt etwas an dem Umstand, dass viele, wenngleich nicht alle, der im Zuge dieses Booms vorgebrachten Überlegungen, ein beträchtliches Erklärungspotenzial bei der Beschäftigung mit gegenwärtigen wie vergangenen Gesellschaften bieten. Nicht zu Unrecht wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass trotz, oder wohl eher gerade wegen, der „explosionsartigen Ausweitung von Studien zur Erinnerung“ nach wie vor keine wirklich umfassende „Super-Theorie“ formuliert wurde, die die verschiedenen Zugangsweisen und inzwischen erzielten Erkenntnisse in ein kohärentes Modell zu bringen vermöge.4 Angesichts dieses Befundes wird es kaum überraschen, dass ein solches Modell auch an dieser Stelle nicht nachgereicht werden wird. Vielleicht wäre dies nicht einmal wünschenswert. Gerade diese Offenheit kann schließlich auch als Möglichkeit begriffen werden, zahlreiche Anschlüsse

3So bereits J. Assmann 62007, 11, der diese Konjunktur vor allem durch drei Faktoren erklären möchte: die digitale Revolution der Medien („und damit: des künstlichen Gedächtnisses“), eines Gefühls der „Nach-Kultur“, in der alte Traditionen und Bindungen eben nur noch in der Gestalt der Erinnerung existieren, und schließlich dem Umstand, dass – zum Zeitpunkt der Niederschrift von Assmanns Gedanken – die Generation der „Zeitzeugen der schwersten Verbrechen und Katastrophen in den Annalen der Menschheitsgeschichte […] nun auszusterben“ beginne. Erll 2005, 2–4 hebt ebenfalls diesen Einschnitt und Wandel in der Erinnerung an Holocaust und Zweiten Weltkrieg hervor und fügt weitere „historische Transformationsprozesse“ wie das Ende des Kalten Krieges und die damit deutlicher hervortretenden vielfältigen nationalen und ethnischen Gedächtnisse oder die „zunehmende Multi(erinnerungs-)kulturalität westlicher Gesellschaften“ hinzu, die eine Folge von komplexen Prozessen der Dekolonialisierung und Migrationsbewegungen sei. Der Wandel der Medientechnologien sei zudem ebenfalls anregend für dieses Forschungsfeld gewesen. Sowohl die ungeahnt gestiegenen Speichermöglichkeiten von Wissen über die Vergangenheit als auch die Frage nach den Auswirkungen neuer (und ‚alter‘!) Medien auf die Vorstellungen, die Menschen sich von der Vergangenheit machen, hätten hierbei eine bedeutende Rolle gespielt. Hinzu trete eine „geistes- und wissenschaftsgeschichtliche Dimension“, da das Gedächtnisthema es erlaube und erfordere, in einen interdisziplinären „Dialog“ zu treten. Der letzte Punkt wird auch von Walter 2004a, 25, mit Anm. 50 betont, der dem Konstrukt „einer allzuständigen interdisziplinären Super-Kulturwissenschaft“ jedoch kritisch gegenüberzustehen scheint. Siehe auch Olick/Robbins 1998, 107 f.; Beck/Wiemer 2009, 13. Neben der „Holocaust-Problematik“ (ebd.) wird in beiden Beiträgen auf verschiedene in den siebziger und achtziger Jahren herausgebildete wissenschaftliche und intellektuelle Strömungen hingewiesen, für deren Vertreter Ideologiekritik und Dekonstruktion gängiger Narrative zentrale Anliegen waren bzw. sind, und die somit dazu beitrugen, nach der sozialen Konstruktion von Vergangenheit zu fragen. Vgl. auch Kühr 2006, 47; Galinsky 2016, 1 f. 4So

etwa A. Assmann 1999, 16; Echterhoff/Saar 2002, 14; Cornelißen 2003, 550. Kansteiner 2004, 121, 124 weist zudem darauf hin, dass bereits „einige der Schlüsselbegriffe der Erinnerungsforschung“ (124) kaum hinreichend definiert seien. Erll 2005, 90 konstatiert das Fehlen eines umfassenden Modells ebenfalls, zeigt sich jedoch optimistisch in Hinblick auf weitere Entwicklungen. Siehe auch ebd., 95 („Die alle Ansätze integrierende Super-Gedächtnistheorie ist noch nicht ersonnen worden.“). Siehe auch Zelizer 1995, 218, 234 f.; Diefenbach 2007, 4.

2.1  Begriffe und Konzepte

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h­ erzustellen und die mannigfaltigen Repräsentationen und Manifestationen kollektiver Gedächtnisse und Erinnerungskulturen in den Blick zu nehmen, ohne sich diesen Blick durch, vielleicht vorschnell gesetzte, theoretische Scheuklappen zu verstellen.5 In dieser Arbeit sollen also Ansätze verschiedener Theorien und Konzepte zu den Themenfeldern ‚Gedächtnis‘ und ‚Erinnerung‘ berücksichtigt werden. In bereits vorliegenden Studien haben sich dabei einige dieser Ansätze bereits als besonders tragfähig erwiesen und zugleich wurden manche Schwächen aufgezeigt. Einige dieser Überlegungen sollen im Folgenden nun genauer vorgestellt werden, um bisherige Leitlinien und Fragestellungen der Forschung herauszuarbeiten und somit auch die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit präziser zu formulieren. Doch auch auf einige der, zum Teil nicht unberechtigten, kritischen Äußerungen diesen Forschungen gegenüber soll eingegangen werden. Anschließend werden diese Überlegungen dann systematisch auf die Geschichtskultur der römischen Republik wie der frühen Kaiserzeit übertragen. Kaum eine Studie im umfangreichen Feld der Geistes- und Kulturwissenschaften, die sich auch nur im weiteren Sinne mit Phänomenen kollektiver oder sozialer Erinnerung befasst, kommt ohne einen Verweis auf die Forschungen des französischen Soziologen Maurice Halbwachs zu diesem Themenkomplex aus.6 Es ist dabei in gewisser Weise bezeichnend, dass bereits das theoretische Konzept Halbwachs‘ letztlich „als nicht ausreichend begrifflich differenziert und konsistent […] um als Basis eines kulturwissenschaftlichen Theorieentwurfs dienen zu können“ angesehen wurde.7 Davon unberührt ist freilich die

5Vgl. Kansteiner 2004, 124: „Dieses Arbeitsfeld gedeiht auf dem Boden konzeptioneller Unbestimmtheit, die auf einem Mangel theoretischer Präzision und einer heilsamen Dosis methodologischer Toleranz beruht.“ Siehe auch den Standpunkt von Ruchatz/Pethes 2001, 8, die in ihrem Lexikon die Artikel zu ‚Gedächtnis‘ und ‚Erinnerung‘ jeweils freigelassen haben. Vgl. Erll 2005, 95, die dem wenigstens partiell zustimmt, und siehe auch Galinsky 2016, 9 f. 6Hierbei spielen vor allem drei Werke Halbwachs‘ eine wichtige Rolle: Les cadres sociaux de la mémoire, 1925 (dt.: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, 1985), La mémoire collective, 1950 (dt.: Das kollektive Gedächtnis, 1967), La Topographie légendaire des Évangiles en Terre Sainte, 1941 (dt.: Stätten der Verkündigung im Heiligen Land, 2003). Zu Halbwachs‘ Studien und ihrer Wirkung siehe u. a. Oexle 1995, 23 f.; Olick/Robbins 1998, 109–111; J. Assmann 62007, 34–48; Hutton 1993, 73–90; J. Assmann 2002; Echterhoff/Saar 2002; Egger 2003; Kansteiner 2004, 120 f.; Erll 2005, 14–18; Beck/Wiemer 2009, 10–12; Hartmann 2010, 35–37 mit Anm. 21; Eckert 2016, 9–13; Galinsky 2016, 7–10. Frühe Auseinandersetzungen mit seiner Arbeit etwa bei Bloch 1925/2000; Bartlett 1932/1967, 294–296. 7So Erll 2005, 17. Vgl. Gedi/Elam 1996, 35, 37; J. Assmann 62007, 45 f.; Welzer 32011, 13 oder Jung 2006, 16 mit Anm. 11. In diesem Zusammenhang sollte allerdings wohl mitbedacht werden, dass Maurice Halbwachs seine Arbeiten zum Teil selbst nicht mehr vollenden konnte, nachdem er von den Nationalsozialisten im August 1944 nach Buchenwald deportiert wurde und dort im März 1945 starb. Mit diesem wichtigen Hinweis auch Hutton 1993, 74.

24

2  Methodische Vorbemerkungen

Bedeutung, die seinen zentralen Thesen – zu Recht – als nach wie vor aktueller Anknüpfungspunkt für Theorieentwürfe und Einzelstudien zugemessen wurde und wird.8 Halbwachs‘ wohl einflussreichster Beitrag zur Debatte um Erinnerung und Gedächtnis ist sein Konzept des kollektiven Gedächtnisses. Er zeigte sich davon überzeugt, dass Erinnerungen eines Individuums nur in sozialen Bezugsrahmen (cadres sociaux) entstehen könnten.9 Diese Rahmen seien überhaupt für die allgemeine Wahrnehmung äußerer Einflüsse insgesamt konstituierend, da sie Denkschemata bereitstellten, die Wahrnehmung und Erinnerung vorprägten. Das Gedächtnis des Individuums ist demnach also kollektiv geprägt und seinerseits bilden die jeweiligen, in den Individuen bewahrten, Gedächtnisinhalte und Wahrnehmungsweisen durch Interaktion und Kommunikation in verschiedenen Formen einen gemeinsamen Bezug zur Vergangenheit und eine Schnittmenge von geteiltem Wissen über diese. Beides ist von Gruppe zu Gruppe, von einem sozialen Bezugsrahmen zum anderen, unterschiedlich. Da Menschen in aller Regel aber mehr als einer sozialen Gruppe angehören, etwa einer Familie, einer Religionsgemeinschaft, einer Dorfgemeinschaft, einer Heeresabteilung, einem Staat, usw., haben sie auch an mehreren sozialen Bezugsrahmen Anteil. Individuell verschieden ist „die Kombination der Gruppenzugehörigkeiten und daraus resultierender Erinnerungsformen und -inhalte“.10 Ohne dies selbst explizit auszuführen, beschäftigt sich Halbwachs in seinen Überlegungen zum kollektiven Gedächtnis letztlich mit zwei unterschiedlichen Konzepten eines kollektiven Gedächtnisses.11 Zum einen handelt es sich um ein ‚kollektives Gedächtnis‘ als organisches Gedächtnis des Individuums, das durch die sozialen Bezugsrahmen geprägt wird, zum anderen um ein ‚kollektives Gedächtnis‘, das von Astrid Erll passend als ein innerhalb von sozialen Gruppen und Kulturgemeinschaften „durch ­ Interaktion, Kommunikation, Medien und Institutionen“ geschaffener gemeinsamer „Bezug auf Vergangenes“ beschrieben wird.12 Letzteres ist keine

8Niethammer

2005, 123: „Er hat uns als ein einsamer Innovator gelehrt, auf den sozialen Konstruktivismus nicht nur des kollektiven Gedächtnisses, sondern auch auf dessen Mitwirkung an der individuellen Erinnerung zu achten“. Nach „Jahrzehnten vollkommener Stille“ (Egger 2003, 219) erlebten diese Thesen im Zuge der kulturwissenschaftlichen Zuwendung zum Themenkomplex von Gedächtnis und Erinnerung eine Renaissance, die im deutschen Sprachraum besonders durch die einflussreichen Arbeiten von Aleida und Jan Assmann zum kulturellen Gedächtnis angestoßen wurde. Vgl. zur Rezeption von Halbwachs‘ Arbeiten auch Hutton 1993, 74; Niethammer 2005, 105 f.; Beck/Wiemer 2009, 11–13. 9Halbwachs 1950/1967, 26, 45 und passim; 1925/1985, 21 f., 121, 124, 195–201 und passim. Vgl. Burke 1991, 289; Oexle 1995, 23; A. Assmann 1999, 252–255; Echterhoff/Saar 2002, 25 f.; Erll 2005, 15 f. 10Etwa Halbwachs 1950/1967, 31, 64–66; Vgl. Confino 1997, 1399; Kansteiner 2004, 127; Erll 2005, 16 (Zitat). Siehe auch Popitz 1961/2006, 67 f., der betont, dass es sich bei der „Vielfalt der Zugehörigkeiten“ „keineswegs um ein spezifisch modernes Phänomen“ handele (wie es der „Zeitkritiker gerne für sich und seine Zeitgenossen in Anspruch“ nehme), diese vielmehr in allen Kulturen vorzufinden sei. Vgl. – ausführlicher – Popitz 1980/2006, 107–111. 11Richtig gesehen u. a. von Bloch 1925/2000, 241 f. und Erll 2005, 14 f. 12Vgl. Bartlett 1932/1967, 296: „memory in the group, and not […] memory of the group“. Siehe auch Walter 2004a, 20 mit Anm. 39.

2.1  Begriffe und Konzepte

25

den Individuen übergeordnete Instanz, denn es konstituiert sich schließlich erst in den Einzelgedächtnissen seiner Teilhaber und wird auch nur durch konkrete Erinnerungsakte sichtbar. Es schafft seinerseits aber eben erst die Voraussetzungen für das Gedächtnis des Individuums. Beide stehen also in gegenseitiger Abhängigkeit zueinander.13 Aus all dem folgt – als eines der wichtigsten Ergebnisse Halbwachs’ –, dass jede Erinnerung an die Vergangenheit nicht einfach „naturwüchsig“ aufgefunden wird, sondern vielmehr eine soziale Konstruktion darstellt.14 Da diese Konstruktion von der jeweiligen Gegenwart her erfolgt, unterliegt sie auch den Gegebenheiten und Bedürfnissen innerhalb der betreffenden sozialen Bezugsrahmen in dieser Gegenwart.15 Es ist evident, dass diese Überlegungen gerade die Arbeit des Historikers entscheidend betreffen, denn Erinnerungen sind letztlich „die elementare Ebene historischer Verarbeitung und damit die Voraussetzung für die Entstehung aller Arten von reflektierenden Quellen.“16 Halbwachs beschäftigte sich auch mit der Frage, wie das kollektive Gedächtnis losgelöst von der Interaktion zwischen Individuen innerhalb einer Gegenwart konstituiert werden könne, etwa wenn es durch Gegenstände, besonders aber durch Orte und Landschaften, vermittelt wird.17 Dennoch sind viele der von Halbwachs beschriebenen kollektiven Erinnerungsphänomene eher ephemer und stets vom Vergessen bedroht, da sie auf der alltäglichen Kommunikation von Individuen innerhalb sozialer Bezugsrahmen basieren.18

13Halbwachs

1950/1967, 31, 35; Echterhoff/Saar 2002, 21. 1925/1985, 57–68, 125–143, 390; 1950/1967, 45, 55 f. Vgl. dazu u. a. J. Assmann 62007, 48 („Vergangenheit steht nicht naturwüchsig an, sie ist eine kulturelle Schöpfung.“); ­Ferrarotti 1990, 30–33; Hutton 1993, 78 f.; Keppler 2001, 137; Echterhoff/Saar 2002, 18; Echterhoff 2005; Welzer 32011, 12 f., passim; Gehrke 2003, 64; Erll 2004, 4; Kansteiner 2004, 124. Siehe auch bereits die Überlegungen von Bartlett 1932/1967, 294–300, der sich Halbwachs in diesem Punkt anschließt, sowie jene von Heuß 1959, 19–23, der, ohne auf Halbwachs Bezug zu nehmen, instruktive Überlegungen zum „kollektiven Gedächtnis“ anstellt, die sich mit denen von Halbwachs, besonders hinsichtlich der sozialen Rahmen sowie der Rekonstruktivität von (kollektiven) Erinnerungen, treffen („Hier wird sichtbar, wie in der Kommunikation sich Erinnerung gestaltet, welche mehr ist als Eigenerinnerung, Erinnerung gleichsam zuwächst und Fremderinnerung angeeignet wird.“, Ebd., 23). Wie wenig sich diese Überlegungen, so naheliegend sie heute erscheinen mögen, von selbst ergeben, verdeutlicht J. Assmann 1988, 9, der auf biologistische Versuche verweist, „das kollektive Gedächtnis als ein vererbares“, etwa als ein „Rassengedächtnis“, zu konzipieren, „an denen es um die Jahrhundertwende nicht gefehlt“ habe. Es ist nicht nur vor diesem Hintergrund unangebracht, dass Klein 2000, 130 meint, die Erkenntnis, dass soziale Einflüsse die Erinnerung des Individuums formen, als „truism“ entlarven zu müssen. 15Halbwachs 1925/1985, 200 f., 368, 390. Vgl. die Zustimmung von Bartlett 1932/1967, 295 f. 16Walter 2004a, 24. Siehe hierzu auch Burke 1991, 291; Walter 2002 sowie Fried 2001; 2004; Rüsen 2008, 13 und Singer 2010. Vgl. ebenso bereits Heuß 1959, 14. 17Besonders in Halbwachs 1941/2003. Siehe zu dieser Dimension von Halbwachs‘ Arbeit Galinsky 2016, 8 f. 18Bloch 1925/2000, 247 und 249–251 sieht daher auch ein Versäumnis Halbwachs‘ darin, dass dieser zu wenig auf die Frage der Weitergabe von kollektiven Erinnerungen eingegangen sei und auch den, von den Teilhabern oft unbemerkten, Wandel von Inhalten kollektiver Gedächtnisse zu wenig berücksichtigt habe. So auch Connerton 1989, 38 f. Diese Kritik ist nicht unberechtigt, 14Halbwachs

26

2  Methodische Vorbemerkungen

Unter anderem an dieser Stelle setzen die Arbeiten von Aleida und Jan ­Assmann zum „kulturellen Gedächtnis“ an, indem sie sich mit der Frage beschäftigen, wie Inhalte des kollektiven Gedächtnisses dauerhaft gesichert werden können.19 Um das kulturelle Gedächtnis stärker zu akzentuieren, wird dieses bei den Assmanns zunächst vom sogenannten „kommunikativen Gedächtnis“ abgesetzt.20 Als solches wird dabei das Wissen um die Vergangenheit bezeichnet, das durch Alltagskommunikation zwischen Zeitgenossen entsteht. Dies hat zur Folge, dass das kommunikative Gedächtnis sich immer nur auf einen sich verändernden, gewissermaßen mit der Zeit wandernden, Zeithorizont beziehen kann und seine Inhalte daher stark veränderlich sind. Anknüpfend an Forschungen des Ethnologen Jan Vansina nimmt J. Assmann für diesen Zeithorizont eine Spanne von 80–100 Jahren an.21 Die Inhalte des kulturellen Gedächtnisses umfassen hingegen Ereignisse einer weiter zurückliegenden Vergangenheit.22 Nicht weniger wichtig als die Unterscheidung hinsichtlich der Zeitstruktur scheinen jene hinsichtlich der Form bzw. Geformtheit der Medien der Vermittlung und der Träger zu sein, die jeweils pointiert und überspitzt gegenübergestellt werden.23 Demnach ist das kommunikative Gedächtnis geprägt von einer diffusen Partizipationsstruktur, in der grundsätzlich jedes Individuum als gleichermaßen kompetent hinsichtlich seines Wissens über die Vergangenheit angesehen werde, auch wenn Assmann nicht bestreitet, dass „die einen mehr, die anderen weniger“ wüssten, und dass „das Gedächtnis der Alten […] weiter“ zurückreiche „als das der Jungen“. Entscheidend hinsichtlich der Träger des kommunikativen Gedächtnisses sei aber, dass es „keine Spezialisten und Experten solcher informellen Überlieferung“ gebe.24 Demgegenüber sei das kulturelle Gedächtnis grundsätzlich von eben solchen spezialisierten Traditionsträgern vermittelt. Dieser Unterschied spiegelt sich auch in den Unterscheidungen hinsichtlich der Medien und der jeweiligen Form wider. Während das kommunikative Gedächtnis auf der lebendigen Erinnerung in den organischen Gedächtnissen seiner

allerdings sollte erwähnt werden, dass sich Halbwachs dieser Aspekte durchaus bewusst war. Siehe etwa Halbwachs 1925/1985, 368: „Das Vergessen oder die Deformierung bestimmter Erinnerungen erklärt sich aber auch aus der Tatsache, daß diese Rahmen von einem Zeitabschnitt zum anderen wechseln. Die Gesellschaft stellt sich die Vergangenheit je nach den Umständen und je nach der Zeit in verschiedener Weise vor: sie modifiziert ihre Konventionen.“ J. Assmann 62007, 36 sieht hier dann auch nicht schlicht ein Versäumnis in Halbwachs Gedankengebäude, sondern vielmehr einen fruchtbaren Anschlusspunkt: „Der Vorteil dieser Theorie liegt darin, daß sie zugleich mit der Erinnerung auch das Vergessen zu erklären vermag“. 19Siehe vor allem J. Assmann 1988; 62007; A. Assmann 1999; J. Assmann 2000; 2008. 20Zum kommunikativen Gedächtnis siehe vor allem J. Assmann 62007, 50–56. 21J. Assmann 62007, 48 f. Vgl. Vansina 1985, 23 f. Auch Halbwachs erkannte bereits, dass der vom kollektiven Gedächtnis abgedeckte Zeitraum begrenzt sei. Wie weit dieser Horizont zurückreiche, variiere allerdings von Gruppe zu Gruppe: Halbwachs 1950/1967, 100. 22J. Assmann 62007, 52. 23Vgl. die Tabelle in J. Assmann 62007, 56. 24Ebd., 53.

2.1  Begriffe und Konzepte

27

Träger basiere und durch mündliche Alltagskommunikation vermittelt werde, seien die Medien des kulturellen Gedächtnisses ungleich stärker geformt und umfassten etwa „feste Objektivationen“, wie Bauwerke, symbolische Inszenierungen oder Feste und vor allem die Schrift.25 Entgegen der informellen und sich stets im Fluss befindlichen Form des kommunikativen Gedächtnisses sei die Form des kulturellen Gedächtnisses demnach auch stärker fixiert, gestiftet und teilweise auch in Formen zeremonieller Kommunikation eingebunden.26 Dieser stärkeren Fixierung in der Form, der starken Gebundenheit an Medien, deren Beherrschung, Verwendung und Decodierung oft ein beträchtliches Maß an Spezialwissen erfordert, was erst eine Gruppe von Experten der Überlieferung hervorbringt, entsprechen auch die Funktionen des kulturellen Gedächtnisses. Diese liegen in Assmanns Modell ganz wesentlich in der Stiftung und Tradierung einer kollektiven Identität und der Legitimation eben derjenigen Gruppe, die letztlich auch die Spezialisten und Experten der Traditionspflege hervorbringt.27 Die Inhalte des kulturellen Gedächtnisses unterlägen demnach auch stets einer mehr oder minder starken Kontrolle durch diese (Wissens-)Elite.28 So verdienstvoll die Konzeption dieser beiden Bereiche des kollektiven Gedächtnisses für das Verständnis des „Zusammenhangs von kultureller Erinnerung, kollektiver Identitätsbildung und politischer Legitimierung“ auch ist, hat die wissenschaftliche Diskussion des Assmannschen Konzeptes doch einige Leerstellen, Grenzen und auch Unstimmigkeiten aufgezeigt.29 Hier ist zunächst die Unterscheidung hinsichtlich der Zeitstruktur zu nennen, die die Zuordnung von Inhalten des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses ja jeweils mitbestimmen sollte. Anhand der zeitlichen Distanz zum erinnerten Ereignis allein lässt sich eine solche Zuordnung jedoch kaum treffen, können doch auch Erinnerungen an erst kurze Zeit zurückliegende Ereignisse bereits sehr bald durch Medien und Art der Vermittlung stark geformt sein, und ihre Deutung zum Beispiel von einer wissenssoziologischen Elite bestimmt werden, sodass solche Ereignisse schon nach kurzer Zeit selbst den Charakter einer fundierenden Erinnerung annehmen können und demnach dann beiden Bereichen, dem kommunikativen

25Ebd.,

56. ebd., 53 mit der wenn auch vorsichtigen Erwägung: „Man könnte also die Polarität ­zwischen dem kommunikativen und kulturellen Gedächtnis der Polarität zwischen Alltag und Fest gleichsetzen und gerade von Alltags- und Festgedächtnis sprechen“. Siehe dazu bereits J. Assmann 1991, 17–20. 27Ebd., 54 f. 28Ebd., 55: „Der Polarität der kollektiven Erinnerung entspricht also in der Zeitdimension die Polarität zwischen Fest und Alltag, und in der Sozialdimension die Polarität zwischen einer wissenssoziologischen Elite, den Spezialisten des kulturellen Gedächtnisses, und der Allgemeinheit der Gruppe“. 29Siehe hierzu etwa Erll 2005, 27, 112–122; Diefenbach 2007, 8–12. Vgl. auch Walter 2004a, 24 f.; Beck/Wiemer 2009, 16; Behrwald 2009, 24 f.; Eckert 2016, 18–30. 26Vgl.

28

2  Methodische Vorbemerkungen

wie dem kulturellen Gedächtnis angehören müssten.30 Auch die anderen Unterscheidungsmerkmale aus Assmanns Schema scheinen bei näherer Betrachtung nicht geeignet, um ein vergangenes Ereignis eindeutig dem Bereich des kommunikativen oder kulturellen Gedächtnisses zuzuordnen.31 Nach seiner zunächst pointierten und eindeutigen Gegenüberstellung weist dementsprechend auch J. Assmann selbst darauf hin, dass es sich bei den beiden von ihm beschriebenen Formen des kollektiven Gedächtnisses auch vielmehr um modi memorandi handele, um „zwei Funktionen der Erinnerung und der Vergangenheit“.32 Der entscheidende Unterschied liege demnach eben auch im „Modus“ der Erinnerung und zwar darin, ob ein Ereignis der „biographischen“ oder der „fundierenden“ Erinnerung zugeschrieben wird.33 Assmann sieht ebenfalls, dass sich diese ­beiden

30Erll

2005, 115–117. Die Beispiele für eine solche rasche Transformation sind zahlreich und keineswegs nur auf die Moderne beschränkt. Als prominente Fälle ließen sich hier etwa die Französische Revolution, der amerikanische Bürgerkrieg, die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in verschiedenen Erinnerungskulturen und die deutsche Wiedervereinigung anführen; oder – um ein Beispiel aus der Antike zu nennen – die Erinnerung an verschiedene Schlachten der Perserkriege in den griechischen Poleis. Siehe zu letzterem Jung 2006, bes. 225–295 zu den Anfängen der Erinnerung an Plataiai und 384: „Die Erinnerung an die Schlachten von Marathon und Plataiai begann unmittelbar nach den Ereignissen selbst. Intensive Bemühungen schon der Zeitgenossen zeigen, daß das Geschehen gedeutet und kommemoriert werden sollte.“ Vgl. Gehrke 1994, 248 f.; Jahn 2007, 12, Anm. 71 und zu Marathon auch Hölkeskamp 2009b, 29–36, bes. 29, mit der Feststellung, dass der Ursprung eines (politischen) „Mythos“ bzw. einer „fundierenden Geschichte“ offenbar „durchaus zeitnah […], ja sogar noch im Horizont des ‚kommunikativen Gedächtnisses‘ liegen“ kann. Siehe in diesem Sinne auch Beck 2009, 62–64 zu Plataiai. Zum amerikanischen Bürgerkrieg siehe Schivelbusch 2001, 52–121 und Osterhammel 2009, 27, der in Hinsicht auf die „historische Erinnerung“ an den amerikanischen Bürgerkrieg in den USA konstatiert: „Wie stets bei historischer Erinnerung handelt es sich nicht bloß um eine naturwüchsige Identitätsbildung, sondern auch um eine Instrumentalisierung zugunsten benennbarer Interessen: Südliche Propagandisten gaben sich alle Mühe zu vertuschen, dass es beim Bürgerkrieg zentral um Sklaverei und Emanzipation ging, und schoben die Verteidigung von ‚staatlichen Rechten‘ in den Vordergrund. Die Gegenseite scharte sich um die Mythisierung Abraham Lincolns, des 1865 ermordeten Bürgerkriegspräsidenten“. Umgekehrt können auch sehr lange zurückliegende oder gänzlich fiktive Ereignisse zu einem Bestandteil des kommunikativen Gedächtnisses werden, wenn etwa „die Bibel oder die Odyssee nicht als fundierende Texte“ und nicht im Bewusstsein ihrer „religiösen, nationalen oder kulturellen Bedeutung“ gelesen und verstanden werden, sondern als alltagsweltliche Repräsentationen (Erll 2005, 118). Vgl. hierzu auch Jahn 2007, 6 f. 31Vgl. ebd., 2005, 115. Keppler 2001, 157–159 stellt etwa infrage, ob in modernen Gesellschaften eine Abgrenzung von alltäglicher und institutionalisierter außeralltäglicher Erinnerungspraxis (noch) haltbar sei, da zum einen die Alltagskommunikation stark von Massenmedien geprägt sei, zum anderen „mediale Ereignisse“ überhaupt erst zu solchen werden können, wenn „sie in der lokalen Erinnerungspraxis“ auf „eine entsprechende kommunikative Resonanz stoßen“ (158). Für „die frühen Hochkulturen“ (ebd.) hält Keppler die Aufteilung jedoch nach wie vor für plausibel. Die Beispiele, die in unterschiedlichen Arbeiten auch zur Vormoderne, und dabei durchaus auch zur Antike, nähere Behandlung erfuhren (vgl. die vorangehende Anmerkung), legen allerdings nahe, dass eine solche strikte Trennung nicht erst für moderne Gesellschaften des 20. Jahrhunderts zweifelhaft ist. 32J. Assmann 62007, 51 f. 33J. Assmann 62007.

2.1  Begriffe und Konzepte

29

Funktionen oftmals nur analytisch trennen lassen.34 Dadurch, dass er sich vor allem auf das kulturelle Gedächtnis konzentriert, bleiben aber auch die Übergänge zwischen dem Zugang des kommunikativen und dem des kulturellen Gedächtnisses in der „Realität einer geschichtlichen Kultur“ wenig ausgeleuchtet, und das Modell wirkt zudem im Ganzen tatsächlich, wie etwa Diefenbach anmerkt, „im wesentlichen statisch angelegt und wenig geeignet, den historischen Wandel und das Veränderungspotential von gruppenbezogener Erinnerung in den Blick zu nehmen“.35 Ein anderer Kritikpunkt setzt an der identitätsstiftenden und legitimierenden Funktion des kulturellen Gedächtnisses an.36 In diesem Zusammenhang ist wichtig zu beachten, dass Assmann das Konzept eines kulturellen Gedächtnisses ganz wesentlich vor dem Hintergrund der Erinnerungskulturen des Alten Ägypten und des antiken Israels entwickelt hat. In diesen Gesellschaften mögen tatsächlich Verhältnisse vorgeherrscht haben, die die Ausbildung eines eher einheitlicheren kulturellen Gedächtnisses begünstigten, das dann als Basis einer kollektiven Identität dienen konnte.37 Obwohl Assmann selbst ‚das‘ antike Griechenland ebenfalls als Fallbeispiel heranzieht und zudem nahelegt, dass das Konzept des kulturellen Gedächtnisses auf eine große Zahl vormoderner wie moderner Gesellschaften übertragen werden könne, kann doch nicht verkannt werden, dass dieses Konzept im engeren Sinne auf die griechische(n) Erinnerungskultur(en) nur sehr begrenzt übertragen werden kann. Denn ein kulturelles Gedächtnis in Form eines kanonisch normierten, alle griechischen Gemeinwesen verbindlich betreffenden, Vergangenheitswissens kann hier kaum erwartet werden – zu heterogen erscheint die griechische Welt (auch) in dieser Hinsicht.38 Trotz einer größeren politischen Einheit gelten diese Einschränkungen auch für die römische Erinnerungskultur, und zwar sowohl für jene der Republik als auch die der Kaiserzeit. Zu heterogen und teilweise widersprüchlich erscheint etwa die Erinnerungskultur der römischen Republik, die trotz des, verglichen mit der Lage für moderne Epochen, ja eher spärlichen

34Er schlägt daher vor (J. Assmann 62007, 55), zwischen Gesellschaften zu unterscheiden, in denen „die kulturelle Erinnerung scharf gegen das kommunikative Gedächtnis abgehoben ist, so daß man geradezu von einer ‚Bikulturalität‘ sprechen“ könne, und solchen, in denen sich das Verhältnis zwischen diesen beiden Erinnerungstypen „besser im Bilde von Extrempolen auf einer Skala beschrieben“ ließe. 35Diefenbach 2007, 9. Vgl. Modrow 2017, 47 f. 36Siehe auch für das Folgende u. a. – und mit weiteren Hinweisen – Walter 2004a, 24–26; Diefenbach 2007, 9–12. 37Vgl. Walter 2004a, 25; Diefenbach 2007, 10. 38J. Assmann 62007, 160. Siehe Walter 2001, 245; 2004a, 25; Jung 2006, 18 f. („Obwohl das Konzept auch den Anspruch erhebt, auch für andere Kulturen der Alten Welt Gültigkeit zu besitzen, läßt es sich kaum auf das antike Griechenland übertragen.“, 18); Diefenbach 2007, 10; Kühr 2006, 49 f. mit Anm. 40: „Gerade für die polyzentrale griechische Poliswelt gilt, daß das kulturelle Gedächtnis nicht als kanonisch normiertes, alle Griechen jederzeit bindendes Vergangenheitswissen zu verstehen ist“.). Vgl. auch Gehrke 2004, 471 f., 479; Beck 2009, 78; Beck/ Wiemer 2009, 16; Hartmann 2010, 27 f.; Hölkeskamp/Stein-Hölkeskamp 2011, 42 f.

30

2  Methodische Vorbemerkungen

Quellenbefundes, etwa die ihr zugrunde liegende starke Konkurrenzsituation innerhalb der Nobilität oftmals noch erkennen lässt.39 Auch die Assmanns selbst, als Urheber der Theorie des kulturellen Gedächtnisses, haben diese Unschärfen und Schwächen berücksichtigt, sodass sie das Konzept an verschiedenen Stellen modifiziert haben. Eine wesentliche Erweiterung bildet dabei die Unterscheidung von Funktions- und Speichergedächtnis.40 Unter ersterem sei das in einer Gesellschaft jeweils „bewohnte Gedächtnis“ zu verstehen, das durch „Gruppenbezug, Selektivität, Wertbindung und Zukunftsorientierung“ gezeichnet sei und eben für Funktionen von Legitimation, Delegitimation oder Distinktion in einer jeweiligen Gegenwart genutzt werde.41 Dieser Nutzung gehe stets ein „Prozeß der Auswahl, der Verknüpfung, der Sinnkonstitution“ voraus. Im Speichergedächtnis hingegen würden, etwa in Archiven, Bibliotheken oder Museen, solche Wissensbestände „aufbewahrt“ werden, die gegenwärtig nicht Teil des Funktionsgedächtnisses seien, gewissermaßen ein „Repertoire verpaßter Möglichkeiten, alternativer Optionen und ungenutzter Chancen“.42 Das Speichergedächtnis bilde somit ein mögliches Korrektiv zum jeweils aktuell genutzten Vorrat des Funktionsgedächtnisses und erkläre dadurch auch die Wandlungsmöglichkeiten des kulturellen Gedächtnisses.43 Die Voraussetzung für einen solchen Vorrat an alternativen Überlieferungen sei dabei die Schrift, da nun, erst im kulturellen Gedächtnis, Wissensbestände angesammelt werden könnten, die schon bald den „Horizont des unmittelbar gebrauchten Vergangenheitswissens“ überschritten, sodass sich um jeweils normative Texte ganze Bibliotheken bildeten, deren Inhalte „jeden Bezug zu einer wie weit auch immer gefaßten kollektiven Identität verloren“ hätten „und damit auch weder Horizont noch Prägnanz“ besäßen.44 Gleichzeitig sei das kulturelle Gedächtnis selbst

39Die

bisherigen Forschungen zu Erinnerungs- und Geschichtskultur der römischen Republik – aber auch zur Kaiserzeit – haben deren, unter anderem durch die anhaltende Konkurrenz unter den adligen gentes bedingte, Heterogenität deutlich und überzeugend herausgearbeitet. Siehe etwa Walter 2001, 249–260; 2002, 329; 2004a (umfassend und grundlegend); Gowing 2005; Gallia 2012 (letztere beide zur Erinnerung an die Republik in der frühen Kaiserzeit); Vgl. ferner Hölkeskamp 2004, 66 = 2010, 66 f.; Walter 2006, 98 („anarchische Geschichtskultur der römischen Republik“). Gut ablesen lässt sich diese, die geschichtliche Überlieferung und wohl auch die kollektive Erinnerung prägende, Konkurrenz etwa an der pompa funebris, die den Angehörigen des Verstorbenen u. a. die Gelegenheit gab, die Verdienste und die Bedeutung nicht nur des Verstorbenen, sondern auch der eigenen Familie innerhalb der Nobilität herauszustreichen. Die klassische Belegstelle ist Pol. 6,53,1–54,3. Siehe hierzu u. a. Flaig 1995; Flower 1996, 91–127; Walter 2002, 331–334; 2004a, 89–108; Blösel 2003; Biesinger 2016, 31–40. Vgl. für detaillierte Hinweise unten Abschn. 2.2. 40A. Assmann 1999, 130–142; J. Assmann 2000, 38 f. Diese Unterscheidung wird zwar bereits in J. Assmann 1988, 13 angedeutet, die ihr zugrunde liegenden Gedanken werden dort jedoch noch nicht weiter ausgeführt. 41A. Assmann 1999, 134, 138 f. 42A. Assmann 1999, 137. 43A. Assmann 1999, 140 f. 44A. Assmann 1999, 137; J. Assmann 2000, 43 (Zitat).

2.1  Begriffe und Konzepte

31

„komplex, pluralistisch, labyrinthisch“ und umgreife „eine Menge von in Zeit und Raum verschiedenen Bindungsgedächtnissen und Wir-Identitäten“ und beziehe „aus diesen Spannungen und Widersprüchen seine Dynamik“.45 Das Konzept des kulturellen Gedächtnisses erscheint durch diese Erweiterungen nun weniger statisch und besser geeignet, Wandel hinsichtlich von Inhalten und Deutungen kollektiver Erinnerungen, also eine diachrone Pluralität, zu erklären.46 Diese Modifikationen bringen ebenfalls mit sich, dass das kulturelle Gedächtnis, wenn nun Funktions- und Speichergedächtnis in ihm zusammentreffen, hinsichtlich seiner Gegenstandsbereiche stark erweitert wird. Gerade diese Erweiterungen lassen das ursprüngliche Konzept allerdings auch nun – nach wie vor – unscharf erscheinen, und die dem ‚kulturellen Gedächtnis‘ insgesamt eigentlich ursprünglich zugesprochene Funktion der Stiftung von verbindlicher, geradezu kanonartiger, kollektiver Identität, wird zweifellos relativiert.47 Wie auch immer aber Funktions- und Speichergedächtnis jeweils zueinander stehen, bilden sie beide in jedem Fall einen geformten Zugang zur Vergangenheit, der stets Akte der Rekonstruktion voraussetzt, die von der jeweiligen Gegenwart ausgehen.48 Die Frage „nach den Schnittstellen und nach den Übergängen“ zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis, die Diefenbach zu Recht anmahnt, wird auch durch diese Erweiterungen freilich kaum beleuchtet.49 Und auch die Konkurrenz und Koexistenz verschiedener synchroner kultureller Gedächtnisse bleibt wenig beachtet, was nicht nur in Hinblick auf die Erinnerungskultur(en) der römischen Republik wenig befriedigend erscheint.50 Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erscheinen die von Peter Burke, Chris Wickham und James Fentress angestellten Überlegungen zu einem „sozialen Gedächtnis“ und von Jörn Rüsen zur „Geschichtskultur“ insgesamt geeigneter, um auch die Erinnerungskultur der römischen Republik oder der Kaiserzeit zu analysieren und zu beschreiben.51 Auch Burke greift die Erkenntnisse Halbwachs‘ auf und hebt als wichtigen Ausgangspunkt hervor, dass die Vorstellungen von der

45A. Assmann

1999. 2005, 32 und bes. 119–121. 47Vgl. die Kritik von Walter 2004a, 25 mit Anm. 54; Behrwald 2009, 24: „freilich kann nicht übersehen werden, daß nun das Proprium des ursprünglich unter dem Begriff ‚kulturelles ­ Gedächtnis‘ vorgestellten Entwurfes, gerade seine kanonhafte Verbindlichkeit, entsorgt ist“. 48Vgl. Erll 2005, 32 f. 49Diefenbach 2007, 9. Vgl. auch Jung 2006, 19 mit Anm. 21; Eckert 2016, 29. 50Ebenso wenig wird die Bedeutung ganz anders gelagerter Formen und Ausprägungen innerhalb von Erinnerungskulturen, etwa rituelle, dingliche oder monumentale, wirklich umfassend berücksichtigt. Vgl. Erll 2005, 113 f.; Diefenbach 2007, 8. 51Burke 1991 (ursprünglich engl. Burke 1989); Wickham/Fentress 1992; Rüsen 1994; 2008. Vgl. zur Bevorzugung dieser offeneren Konzepte u. a. Walter 2004a, 19–24; Kühr 2006, 49, Anm. 40 und Behrwald 2009, 25. Vgl. auch die zustimmenden Bemerkungen von Wolfgang Blösel in der Besprechung von Walters Studie (Rezension zu Walter 2004a, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 11 [15.11.2005]; http://www.sehepunkte.de/2005/11/7422.html. Zuletzt eingesehen am 06.09.2016). 46Erll

32

2  Methodische Vorbemerkungen

Vergangenheit, die ein Individuum entwickelt, stets durch, von sozialen Gruppen beeinflusste, „Kategorien und Schemata“ geprägt sind.52 Diese Schemata, auf die bereits, unabhängig voneinander, Frederick Bartlett und Aby Warburg aufmerksam gemacht haben, prägen die individuelle Wahrnehmung der Gegenwart und Vorstellungen von der Vergangenheit.53 Sie bringen diese in eine Form und verbinden sie dabei zu einem Narrativ, das den Erwartungen entspricht, die durch das jeweilige Schema erst bereit gestellt werden – wodurch es seine Bestätigung findet und als zutreffend erkannt wird, was seine weitere Verbreitung und Tradierung fördert. Durch Historiker können diese Schemata zwar, bei günstiger Quellenlage, nicht selten identifiziert werden, es ist im Einzelfall allerdings oft nicht möglich festzustellen, inwieweit diese Prägung vom Erinnernden bzw. seinen Zuhörern oder Lesern überhaupt bewusst erkannt wurde. Diese Schemata wirken etwa dann, wenn bruchstückhafte Erzählungen des Großvaters von seinen Kriegserlebnissen in eine stimmige Geschichte verwandelt werden, Veteranen Episoden aus dem Krieg unter dem offensichtlichen Einfluss von Berichten aus vergangenen Kriegen, historischen Romanen oder Filmen zum Besten geben, oder prägende Begegnungen der eigenen Biografie nach literarischen Vorbildern erzählt werden.54 In vielen Fällen scheint es sich dabei durchaus um eher unbewusste Übernahmen solcher Schemata zu handeln, sodass auch Verdikte einer ‚Fälschung‘ der Vergangenheit in einer bewussten Absicht mitunter auf die falsche Spur führen können.55 Burke hebt zu Recht hervor, dass diese Schemata nicht nur durch

52Burke

1991, 290 f. 1991, 291, 294 f.; Bartlett 1932/1967, 197–214, 293–300, bes. 296; Warburg 1932. Vgl. hierzu auch die Überlegungen Harald Welzers zu kulturellen Rahmen und Schemata, der die Existenz und Wirkung solcher Schemata unter anderem durch Ergebnisse seiner Arbeit in Zeitzeugeninterviews zum Themenkomplex Nationalsozialismus, Holocaust und Zweitem Weltkrieg plausibel machen kann: Welzer 32011, 152–206. Siehe auch Singer 2010, 332 f., 338 f. und die Überlegungen von Bloch 1921/2000 zur Entstehung von „Falschmeldungen“ im Krieg. J. ­Assmann 1988, 16, Anm. 1 macht übrigens darauf aufmerksam, dass Warburg offenbar Kenntnis von Halbwachs‘ Arbeiten besaß, auch wenn offen bleiben muss, inwiefern er sie rezipierte. 54Siehe die Beispiele bei Welzer 32011, 172–206; Burke 1991, 294 f.; Bloch 1921/2000, etwa 202–205 mit Überlegungen zur Entstehung und Verfestigung von „Falschmeldungen“ und „Legenden“ unter deutschen Soldaten im Ersten Weltkrieg, bei denen sich auch der Einfluss kulturell vermittelter Schemata zeigt, auch wenn Bloch diesen Begriff nicht verwendet. Vgl. auch bereits Whatley 1964, 121, 130. 55Siehe hierzu u. a. Fried 2001, 573–577; 2004, 46–56, 153–155, passim; Walter 2002, 326 f. mit Anm. 4: „Wenn also ein antiker oder mittelalterlicher Geschichtsschreiber Gehörtes und Gelesenes mit eigenen Erklärungen und Akzentuierungen zu einem neuen, für ihn selbst orientierenden Text verschmolz, so ist dieser Vorgang mit Begriffen wie ‚Unselbstständigkeit‘, ‚Tendenz‘ oder gar ‚Fälschung‘ nicht angemessen zu beschreiben“. Kühr 2006, 28–30 spricht sich in einem ähnlichem Zusammenhang dafür aus, die Tradierung von Geschichtsbildern in (Gründungs-)Mythen nicht primär als bewusste Legitimierungsstrategie zu interpretieren, sondern sieht ihre Wirkung gerade darin, dass Inhalte und Interpretationen der Vergangenheit eben „oft unbewußt bzw. unreflektiert“ (29) weitergegeben werden. Zustimmend hierzu auch Sommer 2013, 9, Anm. 6. Vgl. Reinhardt 1996, 98 f.; Walter 2004a, 20; Echterhoff 2005, 260 f.; Siegel 2006, 36, 42; Singer 2010, 331 und bereits Bloch 1914/2000, bes. 25 und 28 und 1921/2000. Siehe ferner auch Kansteiner 2004, 127 f. 53Burke

2.1  Begriffe und Konzepte

33

­ ündliche Traditionen weitergegeben werden, sondern sich in einem breiten m Spektrum von Medien niederschlagen, die alle jeweils auf unterschiedliche Weise auf Individuen und die sie umgebenden Gruppen einwirken. Als Beispiele nennt er so verschiedene Medien wie mündliche Traditionen, „konventionelle historische Dokumente“, Bilder im weitesten Sinne, kollektive Gedenkrituale, aber auch „geographische und soziale Räume“.56 Auch wenn man eine wohl oft unbewusste Übernahme von, durch kulturelle Schemata geprägten, Interpretationen und Deutungen und deren fortgesetzter Tradierung in verschiedenen Medien akzeptiert – und hierfür spricht in der Tat einiges –, wäre es wiederum gewiss „politisch naiv“, einen intentionalen Gebrauch historischer Erinnerungen, etwa in Gestalt einer Fälschung, der Generierung von politischen Heldenfiguren oder anderen Zusammenhängen, dabei auszuklammern.57 Das Zusammenspiel und die Interaktion verschiedener Medien und ein komplexes, von zahlreichen Zwischentönen geprägtes, Zusammenwirken von intentionaler Verwendung historischer Erinnerung, unbewusster Übernahme sozio-kulturell vermittelter Schemata und anderer Zugänge zur Vergangenheit prägen demnach das soziale Gedächtnis.58 Von diesen Überlegungen her liegt es schon grundsätzlich nahe, „in pluralistischen Begriffen über den Gebrauch der Erinnerungen in unterschiedlichen sozialen Gruppen“ nachzudenken, bzw. – deutlicher – von konkurrierenden, zum Teil grundsätzlich unterschiedlichen Positionen und Deutungen auszugehen.59 In diesem Sinne ist der Terminus eines ‚sozialen Gedächtnisses‘ wohl auch dem eines ‚kollektiven Gedächtnisses‘ vorzuziehen, da letzterer „strenggenommen

56Burke

1991, 292–295. auch Burke 1991, 296–299; Zelizer 1995, 226–230. Siehe für einige Beispiele Gehrke 1994, 255–260 und vgl. Olick/Robbins 1998, 117 f. Siehe außerdem Fried 2004, 49–56, der eine Unterscheidung zwischen „primären“ (Bedingungen von Erinnerungen) und „sekundären“ („Wille, Diskurskontext, jede Anpassung an eine Öffentlichkeit“, 54) Verformungsfaktoren des Gedächtnisses vorschlägt, wobei hiermit lediglich die „zeitliche Abfolge ihrer Wirksamkeit“ und „keine Wertigkeit der fraglichen Faktoren“ festgestellt sein solle. Die Grenzen zwischen „primären“ und „sekundären Faktoren“ seien „freilich fließend“ (54). Nimmt man die Wirksamkeit von kulturellen Schemata bei Vorgängen von Wahrnehmung und Erinnerung an, dann müsste in der Tat davon ausgegangen werden, dass auch Frieds „primäre“ Faktoren bereits durch „sekundäre“ Verformungskräfte vorgeprägt wurden – eben weil ein Individuum ein bestimmtes Interesse, einen Diskurs, usw. bereits so verinnerlicht hat, dass sie Wahrnehmung und Erinnerung mitbestimmen, was Fried auch anmerkt, wenn er „die konditionierenden, von Handlungserwartungen gelenkten, unbewußten Wissens­ vorgaben einer jeden Wahrnehmung“ (50) unter die Bedingungen einordnet, denen Erinnerungen unterliegen. Die Übergänge sind also nicht nur fließend, sondern beide Arten von Faktoren bedingen und beeinflussen sich gegenseitig, „beide Verformungskräfte wirken wechselseitig aufeinander ein“ (334). 57So

58Vgl.

dazu Olick/Robbins 1998, 112: „In this review, we refer to ‚social memory studies‘ as a general rubric for inquiry into the varieties of forms through which we are shaped by the past, conscious and unconscious, public and private, material and communicative, consensual and challenged“. 59Burke 1991, 298 (Zitat).

34

2  Methodische Vorbemerkungen

eine holistische Implikation“ zumindest suggerieren kann, die Partikular- oder Gruppengedächtnisse auszuschließen scheint.60 Die Überlegungen zum ‚sozialen Gedächtnis‘ harmonieren mit dem von Jörn Rüsen in die wissenschaftliche Diskussion eingebrachten Begriff der „Geschichtskultur“. Hierunter versteht Rüsen zunächst die „praktisch wirksame Artikulation von Geschichtsbewußtsein im Leben einer Gesellschaft“, wobei auch nicht von jenen „Dimensionen und Bereichen menschlicher Mentalität, die nicht in der Zielgerichtetheit und Reflexivität von Bewußtsein aufgehen“ – gleichsam einem „individuellen und kollektiven historischen Unbewußten“ – abgesehen werden dürfe.61 Der Terminus „Geschichtskultur“ umfasst also letztlich die ganze Bandbreite historischer Erinnerungen in einer Gesellschaft, bewusster wie unbewusster, emotional oder kognitiv motivierter, die es Individuen und Kollektiven ermöglichen, „zeitliche Orientierung der Lebenspraxis“ zu erlangen.62 Durch diesen offenen Ansatz kann es etwa gelingen, eben jene „Erinnerungsmodi“ in die Analyse zu

60Indes

sollte erwähnt werden, dass Halbwachs diese verschiedenen Gruppengedächtnisse durch seine Hinweise auf die verschiedenen sozialen Bezugsrahmen in seiner Theorie eines ‚kollektiven Gedächtnisses‘ ja gerade betont hat, er sich also trotz der, womöglich unabsichtlich, suggestiven Benennung des von ihm beschriebenen Phänomens, der Heterogenität kollektiver Erinnerungen durchaus bewusst war. Sichtbar wird dies unter anderem im oft zitierten „Spaziergang durch London“, in dem Halbwachs ja gerade die Anteile verschiedener Bezugsrahmen am Gedächtnis des Einzelnen betont (Halbwachs 1950/1967). Vgl. zu dieser Stelle Echterhoff 2005, 252 f. („Somit können individuelle Gedächtnisse, je nach aktuell relevanter oder salienter Gruppenzugehörigkeit, durch unterschiedlichste soziale Rahmen geprägt sein. Bis zu welchem Grad potentiell verschiedene soziale Bezüge auch auf Erinnerungen Einfluss nehmen, hängt jedoch auch von den psychischen, insbesondere kognitiven Zuständen und Operationen der jeweiligen Individuen ab“. Siehe auch Eckert 2016, 13. Zum Problem eines etwaigen Missverständnis des Begriffs: Walter 2004a, 20: „‚Geschichtskultur‘ umfaßt das synchrone und diachrone soziale Gedächtnis eines Kollektivs. Im Sinne von ‚gruppenbezogen‘ ist das Attribut ‚sozial‘ hier geeigneter als das in der Literatur überwiegend verwendete Attribut ‚kollektiv‘, weil in letzterem strenggenommen eine holistische Implikation liegt und die Möglichkeit segmentärer oder konkurrierender Gruppengedächtnisse – etwas eines der Plebs beziehungsweise der ­Popularen – ausgeschlossen wird“. In diesem Sinne bereits Zelizer 1995, 230–232. Vgl. auch Confino 1997, 1399–1402; Hartmann 2010, 27 f. („Ein monolithisches kollektives Gedächtnis und strikte Uniformität der Erinnerungspraxis gab und gibt es nicht, und dergleichen kann deshalb auch durch eine noch so umfassende Quellenerhebung nicht nachgewiesen werden“, 27). Siehe aber auch Beck/Wiemer 2009, 16 f., die die Unterschiede in der Begrifflichkeit nicht zu hoch gewichten wollen, da grundsätzliche Übereinstimmung zwischen Historikern über die wesentlichen Merkmale kollektiver Erinnerungen – „gruppenbezogen“ und „einer kulturellen Prägung“ unterliegend (17) – unabhängig von der exakten Begrifflichkeit bestünden.

61Rüsen

1994, 5 und 11; (aktualisiert:) 2008, 235 f. 1994, 11. „Historische Erinnerung“ wird von Rüsen dabei als „mentaler Vorgang eines Selbstbezuges, der sich erinnernden Subjekte in der Form einer Vergegenwärtigung ihrer Vergangenheit“ verstanden, der „über die Grenzen der eigenen Lebenszeit in die Vergangenheit zurückgeht“ und damit auch für die eigene Lebenssituation eine Zukunftsperspektive entwerfe, die ihrerseits „über die Grenze der eigenen Lebenszeit hinausweist“ (Ebd., 7). Dabei spielten so unterschiedliche Modi wie „Funktionen der Belehrung, der Unterhaltung, der Legitimation, der Kritik, der Ablenkung, der Aufklärung und anderer Erinnerungsmodi in die übergreifende Einheit der historischen Erinnerung“ hinein (Ebd., 4).

62Rüsen,

2.1  Begriffe und Konzepte

35

integrieren, die im ursprünglichen Konzept eines „kulturellen Gedächtnisses“ Assmannscher Prägung weniger Beachtung fanden, etwa „gelehrte Neugier oder Bedürfnis nach Erbauung“.63 Sowohl die Ausprägungen historischer Erinnerungen als auch die medialen Formen ihrer Weiter- und Wiedergabe sind auch in Rüsens Modell jeweils spezifisch kulturell geprägt, etwa insofern als dass „aktuell erfahrene, handelnd bewirkte und zukünftig beabsichtigte Veränderungen nach einem Muster von Zeitverläufen gedeutet werden, das Absichten erfahrungsgestützt und Erfahrungen Absichten leiten läßt“ – Muster, oder mit Burke „Schemata“, die sich von Gesellschaft zu Gesellschaft unterscheiden.64 Eben diese Schemata und, etwas allgemeiner, die Rahmen „des innerhalb eines spezifischen kulturellen Systems bzw. einer bestimmten Gesellschaft grundsätzlich Möglichen bzw. Denkbaren“ lassen sich auch auf der Basis einer oftmals leider wenig reichhaltigen Quellenbasis rekonstruieren.65 Die kulturelle Prägung solcher Muster oder Schemata weist auf die Bedeutung der verschiedenen Medien für jede Form einer Geschichtskultur oder eines sozialen Gedächtnisses hin.66 Zugleich sind die Medien vergangener Gesellschaften unsere einzigen Quellen auch für die Rekonstruktion einer spezifischen Geschichtskultur bzw. für die Rekonstruktion des „innerhalb eines spezifischen kulturellen Systems

63Siehe

Walter 2004a, 22, der betont, dass „das Geschichtsbewußtsein in Rom gewiß ein wesentlicher Teil der politischen Kultur“ war, jedoch nicht in dieser aufging, „sondern […] auch durchaus gelehrte Neugier oder Bedürfnis nach Erbauung bedienen“ konnte. Vgl. auch Confino 1997, 1393–1395, bes. 1395: „We miss a whole world of human activities that cannot be immediately recognized (and categorized) as political, although they are decisive to the way people construct and contest images of the past. We can think of the family, voluntary association and workplace but should also include practices such as tourism and consumerism“. 64Rüsen, 2008, 241. 65Vgl. Gowing 2005, 9; Hartmann 2010, 28: „Möglich ist vor diesem Hintergrund allein das Aufzeigen eines Rahmens des innerhalb eines spezifischen kulturellen Systems bzw. einer bestimmten Gesellschaft grundsätzlich Möglichen bzw. Denkbaren. Damit ist ein legitimer Erkenntnisgegenstand bezeichnet, so dass die Unmöglichkeit einer vollständigen Materialvorlage nicht notwendig zu einem Rückzug auf isolierende Einzelstudien führen muss“. 66Vgl. u. a. Burke 1991, 292; Zelizer 1995, 232–234; Hölkeskamp 1996/2004, 170; 2001/2004, 163–165; 2012b, 406 f.; Sonne 1999, 535; Esposito 2002, 9 f.; Gehrke 2003, 68; Erll 2004, 4 f. und passim; Kühr 2006, 29, 49 f.; Walter 2001; 2004a, 21 f.; Kansteiner 2004, 128–132; J. Assmann 62007, 139. Die im weitesten Sinne mediale Beeinflussung auch persönlichster Erinnerungen übersehen Gedi/Elam 1996, 46, die ausführen, dass etwa Überlebende des Holocaust aus nachvollziehbaren Gründen ihre Erlebnisse oftmals lange verschwiegen hätten, gleichwohl dennoch „their own memories“ zu diesen Ereignissen hätten. Allerdings spricht nichts gegen die Annahme, dass bereits die Wahrnehmung dieser Erlebnisse von kulturellen Schemata geprägt gewesen war, und dass es sehr wahrscheinlich ist, dass auch die spätere Erinnerung hieran medialen Einflüssen unterlag. Solche Einflüsse wurden gerade im Zusammenhang mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges nachgewiesen. Beispiele finden sich etwa bei Welzer 32011, 172–206. Da solche Schemata und Einflüsse nicht vom Individuum selbst bereitgestellt werden können, ist es evident, dass auch bei persönlichsten Erinnerungen, die Personen über eine lange Zeit nicht im Gespräch mitteilen, soziale Faktoren Einfluss auf Gestalt und Inhalt jener Erinnerungen nehmen.

36

2  Methodische Vorbemerkungen

bzw. einer bestimmten Gesellschaft grundsätzlich Möglichen bzw. Denkbaren“.67 Angesichts dieser Bedeutung kann es nicht überraschen, dass es nicht an Versuchen mangelt, die verschiedenen Medien zu kategorisieren.68 Bei allen Unterschieden hinsichtlich der jeweiligen Eigenschaften der verschiedenen Medien, ist es dennoch erforderlich, sie insgesamt als „Facetten eines einzigen Phänomens kultureller Weltaneignung und Selbstreproduktion“ zu begreifen, und somit, etwa im hier besonders interessierenden Fall der Geschichtskultur der römischen Republik, „Erziehung und antiquarische Forschung, soziale Rituale und künstlerisch gestaltete Texte, Bilder und Objekte“, rhetorisch-politischen Machtkampf und „herrschaftliche Selbstrepräsentation“ – sowie andere mehr – als Bestandteile eines ‚Geflechtes‘ zu betrachten, in dem die einzelnen Elemente sowohl aufeinander verweisen als auch sich mitunter gegenseitig bedingen.69 Die Relevanz der verschiedenen Medien für die römische Geschichtskultur wird Gegenstand des nächsten Kapitels sein. Schon an dieser Stelle sei aber darauf hingewiesen, dass die jeweiligen Medien in jeweils verschiedener Weise die von ihnen tradierten Inhalte nicht unberührt lassen, sie also keinesfalls nur als Träger von „unveränderlichen ‚Botschaften‘ “ fungieren.70 So bedingen etwaige Vorgaben und ‚Gesetze‘ eines bestimmten Mediums mitunter erst Inhalte und Deutungen oder verändern diese in beträchtlichem Umfang. Um solche Prozesse genauer zu

67Hartmann

2010, 28 (Zitat). 1991, 292–294 nennt mündliche Tradition, konventionelle historische Dokumente, „gemalte oder photographische, ruhende oder bewegte Bilder“, kollektive Gedenkrituale sowie geografische und soziale Räume. Gehrke 2003, 68f. unterscheidet „mündliche Weitergabe“, „rituelle Repetition“ und verschiedene Formen der „Verdinglichung“ durch Monumentalisierung, bildliche Repräsentation oder Verschriftlichung. Siehe außerdem die differenzierte Zusammenstellung in Dally/Hölscher/Muth/Schneider 2014, 10–30 (vgl. hierzu zudem die weiteren Beiträge in Dally/Hölscher/Muth/Schneider 2014 (Hgg.)). 69Siehe etwa Walter 2004a, 22 (Zitat) und vgl. u. a. Wickham/Fentress 1992, 47 („Thus, as in the case of individual memory, the images held in social memory are composite: they are composed from a mixture of pictorial images and scenes, slogans, quips and snatches of verse, abstractions, plot types and stretches of discourse, and even false etymologies.“); Irwin-Zarecka 1994, xi; Beck 2003, 75 f., 89 f.; Erll 2004, 11; Kansteiner 2004, 128; Gowing 2005, 9–14 sowie Pausch 2011, 18–24. Siehe außerdem, jeweils mit weiteren Hinweisen, die Fallstudien für ein solches Geflecht bei Hölkeskamp 2001/2004, bes. 139, 163–165; 2006a, 481, 485–487; 2012, bes. 386 f., 394 f. und 406 f.; 2014a, 69 f. 70Burke 1991, 292; Walter 2001, 256 f. und passim; 2003, 256; 2004a, 22, 32 und passim; Erll 2004, 5 („Medien sind keine neutralen Träger von vorgängigen gedächtnisrelevanten Informationen. Was sie zu enkodieren scheinen – bestehende Wirklichkeits- und Vergangenheitsversionen, Werte und Normen, Identitätskonzepte – konstituieren sie vielmals erst.“); 2005, 123–125; Kansteiner 2004, 132; Münker 2008, 328–330. Auch die Konzeption einer Unterscheidung von „Funktions-“ und „Speichergedächtnis“ weist auf diese Eigenschaft der Medien hin, da ja erst „jetzt im Medium der Schrift die Erinnerungsbestände schnell den Horizont des unmittelbar gebrauchten Vergangenheitswissens“ sprengen (J. Assmann 2000, 43). Siehe zu der Bedeutung und zu den Eigenheiten der Schrift als Speichermedium auch Timpe 1988, 273 f.; 2003, 288. Vgl. ferner Esposito 2002, 34–36; Dally/Hölscher/Muth/Schneider 2014, 6. 68Burke

2.1  Begriffe und Konzepte

37

erfassen, ist es daher in der Tat notwendig „die Gattungsentwicklung der wichtigsten Erinnerungsmedien und ihre spezifische Grammatik sowie die Möglichkeiten und Umstände ihrer Rezeption, in deren Verlauf aus Überresten und Deutungsbedürfnissen erst ‚Geschichte‘ wurde, möglichst konkret“ zu rekonstruieren und zu ­vernetzen.71 Bevor nun die Geschichtskulturen der römischen Republik und der frühen Kaiserzeit skizziert werden, soll auch auf einige der Einwände eingegangen werden, die gegen manche der vorgestellten Konzepte und Modelle vorgebracht wurden. Dies scheint zum einen sinnvoll, um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, zum anderen, da zumindest einige der genannten Überlegungen keineswegs auf ungeteilte Zustimmung gestoßen sind, sondern vielmehr teils entschiedenen Widerspruch provoziert haben.72 Kritik provozierte etwa eine zu unbefangene Übertragung individualpsychologischer Begriffe auf Kollektive und die Verwendung von „anthropomorphen Formulierungen“ in Bezug auf Gruppen, Medien und das Gedächtnis selbst.73 Letztere, also „anthropomorphe Formulierungen“ für Gruppen oder Gegenstände sind auch im alltäglichen Sprachgebrauch verankert, ohne dass sie dadurch missverstanden werden müssen. Allerdings besteht in der Beschäftigung mit sozialen oder kollektiven Erinnerungen bzw. Gedächtnissen durchaus die Gefahr einer allzu schlichten Übertragung individualpsychologischer Begriffe auf kulturelle Formationen. Warnungen hiervor sind also berechtigt, da aus Erkenntnissen über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns nicht umstandslos „Schlussfolgerungen hinsichtlich der Funktionsweise der Gesellschaft gezogen werden“ können.74 Die sich hierbei ergebenden Schwierigkeiten haben sich besonders in Hinsicht auf die Adaption psychoanalytischer Konzepte gezeigt – zu nennen ist hier besonders die Metapher des cultural trauma, die in der Tat „mehr Missverständnisse hervorgebracht als Einsichten in erinnerungskulturelle Prozesse

71Walter

2004a, 32. Vgl. Hölkeskamp, 2012b, bes. 406 f.; Dally/Hölscher/Muth/Schneider 2014, 3. er Halbwachs‘ Arbeiten insgesamt begrüßte, äußerte bereits Bloch 1925/2000 auch Kritik. Vgl. Erll 2005, 14, bes. 95–99. Teils bedenkenswerte Einwände gegen manch unangemessenen Gebrauch des Gedächtnis-Begriffes, mit konstruktiv-kritischen Vorschlägen bieten etwa Confino 1997 und Klein 2000. 73So bereits Bloch 1925/2000, 246 (Zitat). Siehe auch Wickham/Fentress 1992, 25; Klein 2000, 132, 136 („The new ‚materialization‘ of memory thus grounds the elevation of memory to the status of a historical agent, and we enter a new age in which archives remember and statues forget.“) und vgl. Confino 1997, 1397 und Kansteiner 2004, 125: „Da die Grenze zwischen Individuum und Kollektiv oft ohne entsprechende methodologische Angleichung überschritten wird, lesen wir dann, dass Kollektive sich erinnern, vergessen und die Vergangenheit verdrängen, ohne dass wir gewahr werden, dass eine solche Sprache bestenfalls metaphorisch und schlimmstenfalls irreführend ist.“ Siehe zudem Erll 2005, 98 f., die die „wichtige Unterscheidung […] zwischen produktiven und irreführenden Metaphern“ (98) anmahnt. Eine knappe, aber durchaus differenzierte Verteidigung der Begriffsübertragung unternimmt Reinhardt 1996. 74Esposito 2002, 18. 72Obwohl

38

2  Methodische Vorbemerkungen

eröffnet“ hat.75 Das ändert jedoch nichts daran, dass die soziokulturellen – oder eben kollektiven – Bedingungen für die Erinnerung des Individuums nicht zu bestreiten sind. Zudem lässt es sich in der Tat über Erinnerung und G ­ edächtnis nicht ohne den Gebrauch von Metaphern verhandeln.76 Aber braucht es die Gedächtnis-Metapher, um die mit ihr beschriebenen Phänomene zu analysieren überhaupt, oder reichen schon länger etablierte Begriffe wie ‚Tradition(sausübung)‘, ‚Wissensaneignung‘ oder ‚Mythos‘ nicht bereits aus?77 Dem ist zum einen entgegenzuhalten, dass die Gedächtnis-Metapher als Sammelbegriff, wie das verwandte Konzept der Geschichtskultur, geeignet ist, „distinkte Phänomene in ihrem Funktionszusammenhang zu begreifen“ und zu analysieren.78 Zwar ist der Hinweis auf die Gefahr eines Verwischens der Unterschiede zwischen verschiedenen kulturellen Phänomenen nicht von der Hand zu weisen, allerdings geraten – zum anderen – die emotionale Dimension und die Rolle von Affekten bei der Aneignung von Vergangenheit, die sich in „der Aufhebung der Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart im Akt der

75Erll

2005, 99 (Zitat). Ähnlich bereits Irwin-Zarecka 1994, 116. Siehe auch Kansteiner 2004, 120, 125 f. sowie Weilnböck 2007 und Weilnböck/Kansteiner 2008, die das Konzept des ­cultural trauma mit guten Argumenten infrage stellen. Insgesamt kritisch in Hinsicht auf die Übernahme psychoanalytischer Zugriffe für die Beschäftigung mit den antiken Quellen zeigt sich auch­ Morley 2004, 109–114. Vgl. ferner Hoffmann 2000, 6 und Eckert 2016, 23 f., die indes ein methodisch kontrolliertes Modell eines „cultural trauma“ (24) als fruchtbaren Anknüpfungspunkt für ­Forschungen erachtet. In Hinsicht auf ein angebliches kollektives Trauma der Römer nach der Niederlage von Cannae siehe zuletzt die klärenden Ausführungen bei Modrow 2017, 98–111.

76Weinrich 1976, 294; Gedi/Elam 1996, 35; A. Assmann 1999; J. Assmann 2000, 20; ­ Walter 2004a, 20, Anm. 39; Erll 2005, 96. Bei einer Betrachtung der Geschichte der Gedächtnismetaphern selbst, wie sie etwa A. Assmann 1999 unternimmt, wird deutlich, dass die verwendeten Metaphern in der Tat „ihren Gegenstand ermöglichen und konstituieren und nicht bloß bestehendes Wissen veranschaulichen“ (Pethes, in Pethes/Ruchatz 2001, 196, s. v. Gedächtnismetapher). Vgl. ferner Timpe 2003, 287, Anm. 1. Zudem sollte bedacht werden, dass auch solchen Metaphern, die in der Geschichtswissenschaft lange etabliert sind, ihrerseits ebenfalls ein beträchtliches suggestiv-irreführendes Potenzial innewohnt. Am prominentesten ist unter His­ torikern in diesem Zusammenhang schon der Begriff der ‚Quelle‘, über den sich etwa Bloch 1914/1925, 19 wenig glücklich zeigt. Vgl. auch Morley 2004, 3. 77So etwa Cancik/Mohr 1990, 300 f., 308–311; Gedi/Elam 1996, 47: „Collective memory is but a misleading new term for the old familiar ‘myth’ which can be identified, in its turn, with ‘collective’ or ‘social’ stereotypes“. Sie übersehen hierbei offenbar zum einen, wie unbestimmt und variantenreich der Mythos-Begriff seinerseits selbst ist (siehe etwa jeweils mit weiteren Hinweisen Kühr 2006, 15–19; Hölkeskamp 2009b, 9–16; Sommer 2013, 6–12), und zum anderen, dass die unter ‚Mythos‘ beschriebenen Phänomene solchen, die durch Gedächtnismetaphern beschrieben werden, zwar ähneln, es sich hierbei jedoch keineswegs um die gleiche Angelegenheit handelt. Mythen (politische und andere) sind Teile des ‚Geflechtes‘ eines sozialen Gedächtnisses bzw. einer Geschichtskultur, stehen jedoch neben anderen Elementen, die, bei aller Offenheit des Begriffes, als Mythos sicher nicht adäquat beschrieben wären. Vgl. auch bereits Weinrich 1976, der anmerkt, dass die verschiedenen Gedächtnismetaphern keineswegs bloßen „Redeschmuck“ (291) darstellten, sondern vielmehr „den Wert von (hypothetischen) Denkmodellen“ (294) besäßen, die helfen, „Fragen zu stellen“. 78Erll 2005, 98.

2.1  Begriffe und Konzepte

39

Selbstidentifikation mit einer Gemeinschaft und ihrer Überzeitlichkeit in der Geschichte“ offenbaren, leicht aus dem Blick, wenn die verschiedenen Phänomene auf Lernen, Rezeption oder Brauchpflege reduziert werden.79 Hier kann die Annahme eines sozialen Gedächtnisses oder einer Geschichtskultur gewiss weitere Facetten aufzeigen, ohne dass hierdurch der Anspruch erhoben wird (bzw. werden sollte), die bisher etablierten Begriffe und Forschungen obsolet zu machen.80 Die Untersuchung einer Geschichtskultur oder Verkörperungen eines sozialen Gedächtnisses, sollte zudem nicht dahin gehend missverstanden werden, dass die Faktizität historischer Ereignisse geleugnet werde.81 Gerade wenn man diese Faktizität betont, ist es aber nun sehr wohl sinnvoll, sich Gedanken über die Entstehung und Weitergabe von Erinnerungen zu machen, die letztlich die Basis für die Quellen darstellen, die uns aus der Welt der römischen Antike noch vorliegen.82 Auch wenn in vielen Fällen Unsicherheit in Hinsicht auf Details, Daten und Zahlen oder auch größere Zusammenhänge bleiben muss, wird die grundlegende Faktizität der Niederlagen, die in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehen sollen, in der Regel kaum zu bestreiten sein. Zu rekonstruieren, wie einige der größten militärischen Niederlagen, die die Römer zur Zeit der Republik erlitten, nun in diesem Geflecht der verschiedenen Erinnerungsmedien, mit ihren jeweils unterschiedlichen (Gattungs-)Traditionen, Möglichkeiten und sonstigen Eigenschaften sowie verschiedenen Modi der historischen Erinnerung, ihren Niederschlag fanden, ist das Ziel der vorliegenden Arbeit. Dass hierbei kein vollständiges Bild (mehr) gezeichnet werden kann liegt auf der Hand. Zu groß ist generell der Verlust an Quellen, kaum fassbar sind uns heute die Ansichten und Geschichtsvorstellungen der römischen Unterschichten, die nur relativ wenige Spuren in den Quellen hinterlassen haben. Gefragt werden kann jedoch, wie Andreas Hartmann zu Recht betont hat, nach den Rahmen des Möglichen und Denkbaren – in der vorliegenden Arbeit in Bezug auf die Niederlagen römischer Heere auf dem Schlachtfeld.83 Um diese Rahmen vorab etwas genauer abzustecken, werden im nächsten Schritt die römischen Geschichtskulturen der Zeit der Republik und der frühen Kaiserzeit skizziert. Im Mittelpunkt steht dabei zum einen die Frage nach den die historische

79So

zu Recht Walter 2004a, 20 f. mit Anm. 39 und 40. u. a. Walter 2002, 326; Fried 2004, 49–56; Hölkeskamp/Stein-Hölkeskamp 2011, 40 (die daher auch eine ideen- und kulturgeschichtliche „Ergänzung und Erweiterung der Struktur- und Gesellschaftsgeschichte“ konstatieren). Vgl. zudem allgemein Hölkeskamp 2017, 460 zu kulturwissenschaftlichen ‚turns‘, die das Potenzial zur Perspektivenerweiterung böten, dabei indes keine „grundstürzend neuen Entdeckungen, Erfindungen oder revolutionären ‚Paradigmenwechsel‘“ seien. 81Walter 2002; 2004a, 19 mit Anm. 36. Siehe auch Pausch 2011, 8. Vgl. ferner Itgenshorst 2005, 41. 82Fried 2004, 46–49. Vgl. Walter 2004a, 19 („alle Quellen für faktisches Geschehen sind geronnene Erinnerungen, weswegen es legitim ist, deren Modi und Möglichkeiten vorgängig zu eruieren“). 83Vgl. Hartmann 2010, 28. 80Siehe

40

2  Methodische Vorbemerkungen

Erinnerung tragenden Medien, zum anderen, wie militärische Niederlagen generell in ihren repräsentiert werden konnten.

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit Bereits seit einiger Zeit kann das antike Rom in Hinblick auf Forschungen zu seiner Geschichtskultur und zu Repräsentationen eines kollektiven Gedächtnisses nicht mehr als unbestelltes Feld gelten.84 Auf den folgenden Seiten sollen einige wichtige Merkmale und Eigenheiten sowie verschiedene Bereiche der heterogenen und vielfältig vermittelten Geschichtskultur der römischen Republik und der frühen Kaiserzeit umrissen werden. Enzyklopädische Vollständigkeit wird dabei nicht angestrebt.85 Vielmehr soll auf diesem Wege die Bedeutung, die die verschiedenen Medien für die Darstellung, Deutung und Tradierung von Niederlagen in der ­römischen Geschichtskultur hatten, skizziert werden, ohne den Ergebnissen der Einzeluntersuchungen vorgreifen zu wollen. Heterogenität Es stellt im Grunde bereits eine unzulässige Vereinfachung dar, von ‚der‘ römischen Geschichtskultur zu sprechen, selbst wenn man diese auf die Epoche der Republik einschränken will.86 Denn auch wenn die Quellenbasis, besonders für den Bereich der frühen und mittleren Republik, nicht nur in Hinblick auf dieses

84Ohne

einen Anspruch auf bibliografische Vollständigkeit zu erheben: Flaig 1995; 1999; 2003; Hölkeskamp 1996/2004; 2001/2004; 2006a; 2006 (2007); 2014a; Späth 1998; 2001; Ungern-Sternberg 2000; Mutschler 2000; Beck 2003; 2005c; Blösel 2003; Pina Polo 2004; Walter 2001; 2002; 2003; 2004a; Flower 2003; 2006; Gowing 2005; Bücher 2006; Kath 2006; Diefenbach 2007; Rodríguez Mayorgas 2007; Behrwald 2009; Hartmann 2010; Heusch 2011; Krasser 2011; Pausch 2011; Gallia 2012; Eckert 2016; Modrow 2017. Siehe außerdem eine Reihe von Beiträgen in Stein-Hölkeskamp/Hölkeskamp (Hgg.) 2006; 2010; Beck/Wiemer (Hgg.) 2009 und Galinsky (Hg.) 2014; (Hg.) 2015; (Hg.) 2016. Siehe ferner die Forschungsüberblicke bei Beck/Wiemer 2009, 17 und die Projekte und Bibliografien auf der Homepage des „Memoria Romana“-Projektes, das in den Jahren 2009 bis 2013 von Karl Galinsky geleitet wurde (http:// www.utexas.edu/research/memoria. Zuletzt eingesehen am 11.09.2016). 85Für umfassende Überblicke siehe: Walter 2001, 249–257; 2004a; Bücher 2006, 102–149; Pausch 2011, 18–46. 86Vgl. Walter 2001, 245. In einem anderem, aber sehr verwandten, Zusammenhang (der römischen „Gedankenwelt“) warnt auch von Albrecht 1994, 32 vor einer zu vereinheitlichenden Sichtweise und – darüber hinaus – vor verallgemeinernden Deutungen, wenn zunächst einmal lediglich das Zeugnis Einzelner steht: „Vieles hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Vieles ist je nach dem Ort verschieden – ist doch Italien recht bunt. Vieles wechselt je nach der städtischen oder ländlichen Umwelt, vieles wird selbst von ein und derselben Person in veränderter Situation verschieden beurteilt. Vieles, was wir für allgemein gültig halten, ist durch das Urteil einzelner großer Autoren geprägt“.

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

41

Thema, bekanntermaßen gewiss günstiger sein könnte, steht es wohl außer Frage, dass die Vorstellungen von der eigenen Vergangenheit und die Repräsentationen dieser Vorstellungen in der Geschichtskultur über den langen Zeitraum von rund einem halben Jahrtausend nicht statisch waren, sondern sich immer wieder veränderten, wenn auch in langsamen und über Jahrzehnte dauernden Prozessen. Dies gilt auch für eine Gesellschaft, in der, wie in der römischen, ein großer Wert auf Traditionen und Althergebrachtes gelegt wurde. Denn auch das Konstrukt des mos maiorum oder das Anführen von exempla zur demonstrativen Anbindung an vergangene Helden und Werte unterlagen Veränderungsprozessen – in den Reden Ciceros etwa haben die ‚frischeren‘ exempla gegenüber denen aus älterer Zeit Vorrang und werden öfter zitiert.87 Angesichts der Theorien zur Ausbildung von kollektiven Erinnerungen seit Halbwachs, stellt die Beobachtung, dass sich Form und Inhalt der römischen Geschichtskultur wandelten, keine große Überraschung dar, da die Vorstellungen von der Vergangenheit ja von der jeweiligen Gegenwart her bestimmt werden. Dass sich in ihrer Gegenwart im Vergleich zu der Welt der Vorfahren vieles unterschied, war zweifellos auch Zeitgenossen der späten Republik und der Kaiserzeit bewusst.88

87Flower

2011, 21. Zum Gebrauch von exempla in den Reden Ciceros siehe Walter 2004a, 35–38 und insbesondere Bücher 2006. 88So Wiseman 2008, 11: „To be fair to the Roman antiquarians, they did know that the distant past might be very unfamiliar, and sometimes they succeeded in preserving evidence of a lost world“. Weit verbreitet sei eine solche differenzierte Sichtweise auf die Vergangenheit und das Bewusstsein vielfältiger Veränderungen aber nicht gewesen (Wiseman 2008, 12). Die Anfänge einer antiquarischen Literatur in Rom dürften insgesamt eng mit dem Bewusstsein von Veränderungen besonders im politischen Bereich zusammenhängen, die als Krise verstanden wurden, und der die frühen Antiquare zur Zeit der Gracchen mit einer Behandlung politischer, insbesondere staatsrechtlicher, Konflikte begegnen wollten, indem sie mit ihren Nachforschungen zur Klärung der Fragen beitragen wollten (siehe Rawson 1985, 234 f.; Sehlmeyer 2003, bes. 165–170; Walter 2004a, 210). Ein „Bewusstsein von Zeitlichkeit“ (Walter 2004a, 208) mochte indes bereits aus der Kenntnis von Texten alter Zeiten erwachsen, die dem jeweiligen Leser schwer oder gar nicht mehr verständlich waren. Pol. 3,22,3 ist hierfür nur ein bezeichnendes Beispiel (auch kundige römische Interpreten, die Polybios zum Verständnis des ersten ‚römisch-­ karthagischen Vertrages‘ heranziehen musste, hatten bei der Interpretation der alten Vertragstexte große Schwierigkeiten). Für die Schwierigkeiten, mit denen sich schon Autoren des 2. und 1. vorchristlichen Jahrhunderts beim Verständnis alter Texte aus der Zeit der frühen Republik oder gar der Königszeit konfrontiert sahen, siehe Wiseman 2008, 8–15. Die Nutzung und das Verständnis der exempla Romana, insbesondere in Reden, scheint der ­Entwicklung eines Zeitbewusstseins, das aus der Anschauung von Texten ferner Zeiten und der Erforschung alter Einrichtungen erwachsen konnte, zunächst diametral entgegenzustehen, doch muss man sich das Verhältnis von Redner und Rezipienten zu den exempla wohl komplexer vorstellen (siehe Walter 2004a, 53f., 61 f. und umfassend Bücher 2006). Wenn es den eigenen Absichten entgegenkam, konnte ein sonst ‚gültiges‘ exemplum wegen seines hohen Alters und seiner dadurch fragwürdigen Gegenwartsrelevanz auch diskreditiert werden (vgl. Walter 2004a, 56–61). Einsatz und Verständnis waren situations- und auch diskursabhängig. So auch Lundgreen 2011, 274 f.

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2  Methodische Vorbemerkungen

Gerade deswegen projizierten sie ja Vorstellungen und Wünsche in eine ferne, teils idealisierte Vergangenheit, was diese oft verzerrt erscheinen lässt.89 Gleichzeitig scheinen sowohl das Ausmaß der Differenz zur eigenen Zeit als auch die Dynamik von Veränderungen innerhalb vergangener Generationen mitunter unterschätzt worden zu sein. Denn auch zur Zeit der frühen und mittleren (‚klassischen‘) Republik veränderten sich die Lebenswelt und buchstäblich der Horizont vieler Römer immer wieder in umfassender Hinsicht. Dem wird durch eine Binnenperiodisierung der Geschichte der römischen Republik bekanntlich Rechnung getragen, die vielleicht noch weiter differenziert werden könnte.90 In jedem Fall werden diese Veränderungen auch für die Geschichtskultur der jeweiligen Zeit großen Einfluss gehabt haben. Dies kann zwar heute nicht mehr auch nur annähernd lückenlos nachvollzogen werden, aber wo es möglich scheint, sollen diese gewandelten Gegenwarten und die damit womöglich auch gewandelten Deutungen und Deutungsmuster in Hinblick auf Niederlagen in den folgenden Kapiteln berücksichtigt werden. Eine Geschichtskultur ist aber nicht nur in diachroner Hinsicht heterogen, sondern auch innerhalb einer jeweiligen Gegenwart. Auch in Bezug auf Rom ist nicht davon auszugehen, dass hier eine monolithische Vorstellung von der Vergangenheit geherrscht hat.91 Die ‚memoria der gentes‘, die ‚Familiengedächtnisse‘ der einflussreichen Familien Roms, die sich unter anderem auf Archive in deren Häusern stützten, sind für uns indirekt noch recht gut in ihrer Heterogenität greifbar, wenn man etwa die Annahme akzeptiert, dass manche Varianten in der historiografischen Überlieferung hier ihren Ursprung haben.92 Adlige Familien haben

89Flower

2011, 19–21. Vgl. Beck 2005b, 690: „Was an dieser mittleren bzw. ‚klassischen‘ Republik als klassisch erscheinen mag, ist ja großenteils aus späten idealisierenden Quellen bekannt, in denen das vergiftete Klima der Gegenwart nicht selten mit einer (vermeintlich) besseren Vergangenheit, vorbildlichen Helden und ihren exemplarischen virtutes kontrastiert wurde“. Nicht „glücklich“ über die Bezeichnung „klassische Republik“ zeigt sich bereits Kienast 1957, 104. Siehe ebenfalls u. a. Lippold 1963, 69, 71. Vgl. Hölkeskamp 2007, 51. 90Vgl. hierzu Flower 2011, bes. 9–34, die einen Vorschlag für eine differenziertere Periodisierung unterbreitet („At least six republics, in addition to transitional periods of various kinds, appear to be easily recognizable in the political patterns that the ancient evidence preserves.“, 23). ­Flower geht allerdings selbst recht wenig auf die früheren Abschnitte ihres Schemas ein – die Jahrhunderte vom 5. bis zum 3. mit ihren umwälzenden Veränderungen werden nur knapp ­ umrissen, sodass die Unterschiede im Vergleich etwa zur späteren Republik auch wenig konturiert werden (so auch Bernstein 2012, 125; Walter 2017a, 99). Bei allen Veränderungen über die Zeit hinweg und allen Unterschieden zwischen den verschiedenen Gegenwarten der Republik sollten die verbindenden Elemente zwischen diesen allerdings nicht vergessen werden. So auch McCall 2002, 139; Sommer 2013, XXIII f. (die Republik sei „keine einheitliche Epoche“ (XXIII), aber verfüge dennoch auch „über alle Umbrüche und Jahrhunderte hinweg“ über „ein bemerkenswertes Maß an Kontinuität“). 91In

Hinsicht auf die exempla Romana Walter 2004a, 60: „Differenzierungen sind in jedem Fall nötig, um vor der Annahme eines allzu monolithischen Geschichtsbildes aus der Summe der fraglos gültigen Vorbilder zu warnen“. Vgl. in diesem Sinne auch Späth 2001, 387. 92Blösel 2003. Zu den Familienarchiven und der Tradierung von Vergangenheitswissen in den Häusern aristokratischer Familien siehe auch Badian 1966, 1; Ungern-Sternberg 1988, 238 f.; Culham 1989a, bes. 104 f.; Cornell 1995, 9 f.; Flower 1996, 148 f., 203 f.; Wiseman 2008, 13.

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

43

Archive mit Schriftstücken, die eigene Versionen der Vergangenheit enthielten, die durchaus vom Mainstream sonstiger Überlieferung abweichen konnten, wohl auch noch in späterer Zeit bewahrt.93 Da die Familienarchive jedoch in keinem einzigen Fall mehr erhalten sind, muss letztlich auch unklar bleiben, wieweit in die Vergangenheit diese Form der Überlieferung zurückreichte und was genau dort im Einzelfall überhaupt zu finden war.94 Noch gravierender dürften die Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen der Gesellschaft gewesen sein, etwa zwischen der Nobilität und den einfachen Plebejern, die ihrerseits wiederum auch keine homogene Masse bildeten. Zweifellos haben die weniger privilegierten Teile der Bevölkerung Ereignisse ihrer jeweiligen Gegenwart, wie eben Schlachten und Feldzüge, in anderer Weise wahrgenommen als etwa die Konsuln und anderen Feldherren, die die römischen Heere in diese Auseinandersetzungen geführt haben. Es ist nicht abwegig anzunehmen, dass ihre Taten und Erlebnisse auch in den Familien des populus Romanus, die nicht – oder noch nicht – zum senatorischen Adel gehörten, in mündlicher Form weitergegeben worden sind.95 Ein Beutestück oder vielleicht eine besondere Auszeichnung des Vorfahren durch einen Feldherrn, die den Nachfahren vielleicht sogar noch plastisch vor Augen standen, könnten dabei als „Kristallisationskerne“ der Erinnerung gedient haben – die ihrerseits freilich dadurch keinen hohen Gehalt an Historizität besessen haben muss.96 Darüber hin93So

nennt Tacitus private Archive als Anlaufstelle für Recherchen und Sueton verrät Kenntnis von Überlieferungen, die aus Familienarchiven zu stammen scheinen. Siehe Tac. Dial. 37,2; 39,1. Siehe hierzu Culham 1989a, 104, Anm. 18. Vgl. auch Suet. Tib. 3,2 zu einer überlieferten Familientradition, die von Sueton explizit als von gängigen Vorstellungen und Berichten abweichend kommentiert wird. Vgl. dazu Williams 2001, 143: „The chance survival of one family tradition reveals something of how heroic narratives about earlier Roman history circulated within noble families and were propagated by them as part of the continuous and competitive monumentalization of their past. Some of these stories will have caught on and been taken up by historians, while others […] failed to gain a wider currency for whatever reason and were confined to a purely familial stage, perhaps being brought out only on certain occasions for public rehearsal at family funerals and other suitable occasions“.

94Wiseman

2008, 13: „One wonders how many can have survived from the fourth century or before, and whether archaic Latin was any more intelligible when written on wax in cursive script than when cut into bronze or stone in a monumental inscription“. Siehe auch Hölkeskamp 1987/2011, 27 mit Anm. 118; Beck/Walter 22005, 31. 95So auch Bücher 2006, 114. Vgl. Itgenshorst 2005, 203–205. 96Über die Praxis von militärischen Auszeichnungen berichtet u. a. Pol. 6,39,1–10. Vgl. hierzu generell Lee 1996, 205 f.; Walter 2004a, 45 f., dort 45: „Auszeichnungen oder persönliche Beutestücke wurden aufbewahrt und dienten als handfeste Kristallisationskerne von Erzählungen.“; Bücher 2006, 114: „Die großen Taten der eigenen Vorfahren könnten ebenso gut erzählt worden sein, wenn jemand unter dem Kommando eines berühmten Adligen an einer großen Schlacht teilgenommen hatte und vielleicht ein Andenken aus einer Beute schon seit Generationen im Besitz einer Familie war“.; Harris 2006, 308 f. Zu solchen Auszeichnungen siehe MacMullen 1984, 449 f. (mit weiteren Nachweisen); ferner Rosenstein 2007, 134. Der Umstand, dass sich offenbar bereits relativ früh eine Korrelation zwischen bestimmten Taten und Auszeichnungen, die für diese spezifisch waren (corona civica, corona muralis), entwickelte, wird dazu beigetragen haben, dass sich auch auf der Mikroebene, etwa innerhalb der Familie, mündlich t­radierte

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2  Methodische Vorbemerkungen

aus gab es Leichenreden vielleicht nicht nur bei Begräbnisfeiern für Angehörige der Nobilitätsfamilien in Rom, sondern auch anlässlich der Begräbnisse einfacher Bürger, freilich in einem kleineren Rahmen.97 Falls die Verstorbenen an Kriegszügen teilgenommen hatten, was bis ins zweite Jahrhundert hinein bei vielen der Fall gewesen sein dürfte, dann war dies gewiss ein guter Anlass, an deren Taten auf dem Schlachtfeld zu erinnern. Es wäre interessant zu erfahren, wie in diesem Rahmen generell mit verlorenen Schlachten umgegangen wurde. Auf der Basis der dünnen Quellenlage entziehen sich auch nur annähernd gesicherte Informationen hierzu jedoch unserer Kenntnis.98 Nicholas Horsfall sieht in den Legionen eigene Erinnerungsgemeinschaften, die nicht nur über Jahrzehnte hinweg Erinnerungen an bestimmte Schlachten oder andere Ereignisse ihrer Geschichte bewahrten, sondern diese mithilfe bestimmter Symbole und Auszeichnungen, wie der corona civica, und Handlungen, wie Feiern am jeweiligen Jahrestag, auch über noch längere Zeiträume wachhalten

­ rzählungen ausbildeten, die die eigentlichen Umstände von Tat und Auszeichnungen bald E legendenhaft überwölbt haben werden. Eine poetische Einarbeitung eines solchen Erinnerungsträgers, dessen Erwähnung hier dazu dient, die Erzählung des Veteranen Marus von seinen Erlebnissen an der Seite des M. Atilius Regulus in Afrika einzuleiten, findet sich zu Beginn des sechsten Buches der Punica des Silius Italicus (Sil. 6,132–139). Vgl. zur Stelle Fröhlich 2000, 145–147 und siehe unten Abschn. 5.2.7. Vgl. allgemein Maxfield 1981; Rüpke 1990, 204 f. Der archäologische Nachweis von persönlichen Beutestücken für die republikanische Periode ist auf Basis der bisher bekannten Funde nicht einfach. Keltische Schwerter, die in einem der römischen Lager vor Numantia gefunden wurden, könnten allerdings durchaus als Erinnerungsstücke gedient haben. Vgl. Koon 2010, 8 f., Anm. 49. Die für die Republik bis in das erste Jahrhundert v. Chr. hinein gut belegte Verbrennung der Waffen der Feinde noch auf dem Schlachtfeld spricht wohl nicht unbedingt gegen die Existenz von persönlichen Beutestücken in Form von Waffen. Denn für die Epochen, in denen die römischen Soldaten ihre Ausrüstung in eigener Verantwortung und auch nicht aus zentraler Quelle beschafften, kann eine vollständige Vernichtung brauchbarer und damit wertvoller erbeuteter Waffen wohl als eher unwahrscheinlich gelten. Die Waffenverbrennung wird in der Forschung auch mit dem „Widerwillen gegen Waffen im pome­ rium“ in Verbindung gebracht (Rüpke 1990, 200). Da allerdings zunehmend weniger Soldaten tatsächlich in der Stadt Rom selbst bzw. innerhalb des pomeriums ihre Wohnsitze hatten, war ein Behalten erbeuteter Waffen in dieser Hinsicht wohl unbedenklich, sodass der Besitz von solchen Waffen in den Häusern einfacher Soldaten wenigstens für die späte Republik angenommen werden darf – wo sie als Kristallisationskerne von Erinnerungen fungiert haben könnten. 97So

jedenfalls Kierdorf 1980, 2 mit dem Hinweis auf eine solche Rede, die Cicero für das Begräbnis des Sohnes eines gewissen Serranus Domesticus, der sonst nicht weiter bezeugt ist, schrieb: Cic. ad. Q. fr. 3,8,5. Die Stelle könnte wenigstens ein Beleg für eine solche Praxis in der späten Republik sein. Allerdings fällt eben auch auf, dass Cicero die Rede für den Vater schrieb, sodass dessen persönliche Erinnerungen oder die anderer Angehöriger an den Verstorbenen in eher geringem Maße in die laudatio eingeflossen sein dürften. 98Dies ist umso bedauerlicher, da entsprechende Studien anderen epochalen Zuschnitts bereits gezeigt haben, welches Erkenntnispotenzial in einer Erforschung der Perspektive(n) des einfachen Soldaten auf den Krieg bzw. die Erinnerungen an diesen birgt. Siehe hierzu nur Lipp 2000, 217–222; Kühne/Ziemann 2000, 31–34 (mit weiteren Nachweisen, die allerdings vor allem Beispiele seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts vorstellen).

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

45

konnten.99 Da es erst mit dem Überhandnehmen der Freiwilligenrekrutierung im römischen Heer zu solchen festen Truppenkörpern kommen konnte, können die Erinnerungsgemeinschaften der Legionen allerdings auch erst dementsprechend spät angesetzt werden. Das alte Verfahren des dilectus sollte dem Zusammenschluss der immer gleichen Kameraden gleicher regionaler Herkunft offenbar bewusst und gezielt entgegenwirken.100 Allerdings scheinen sich bereits im frühen zweiten Jahrhundert Veränderungen in der römischen Armee vollzogen zu haben, die sich u. a. darin niederschlugen, dass sich zumindest „unter den Centurionen so

99Horsfall

2003, 103–115. Siehe bereits zuvor MacMullen 1984; Lee 1996, 207–210. In diesem Sinne auch Lendon 2005, 254 („Units began [seit der späten Republik] to have long histories and preserved the memories of fighting in many campaigns, under many generals.“); Cagniart 2007, 84 f. zu den Soldaten Caesars, die bereits ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer „distinct society with its own rules and codes“ (84) besessen hätten; siehe dort auch 86 f. Zur Gruppenidentität einzelner Legionen, in denen Erinnerungen an die Geschichte der Einheit gepflegt wurden, in der Kaiserzeit siehe Ward 2018, bes. 284, 290 f. Rüpke 1990, 184–198, diskutiert Elemente einer religio militum auch unter dem Aspekt der „Gruppenbildung“ (184). Der überwiegende Anteil der dort präsentierten Zeugnisse entstammt der ‚hohen‘ Kaiserzeit, allerdings weist Rüpke auch auf die verschiedenen militärischen signa zur Zeit der Republik hin, deren Symbolik von Marius bekanntlich vereinheitlich wurde, und für die neben ihrer religiösen Bedeutung wohl durchaus (spätestens seit Marius) auch jeweils identitätsstiftende Wirkung angenommen werden darf (vgl. ebd., 185 f.). Sollte zudem die These zutreffen, dass sich die verschiedenen Symbole (Adler, Wolf, Minotaurus, Pferd, Eber/Schwein) in ihrem Ursprung jeweils in dem Sinne geografisch zuordnen lassen, dass die italischen socii im Zuge ihrer Inkorporierung in das Bundesgenossensystem „ihre eigenen tiergestaltigen signa in das gemeinsame Heer einbrachten“ (Rüpke 1990, 185), kann man die ‚Funktion‘ der signa als identitätsstiftende bzw. –symbolisierende Elemente wohl als recht hoch einschätzen. 100Eine ausführliche Beschreibung überliefert Polybios (Pol. 6,19–20). Siehe hierzu Gschnitzer 1981, 70 Anm. 27 und Jehne 2006, 250–256, der zu Recht hervorhebt (bes. 254–256), dass die Intention dieser Vorgehensweise nicht allein, wie von Polybios hervorgehoben (Pol. 6,20,7), darin bestanden haben kann, die Wehrkraft der einzelnen Legionen anzugleichen, sondern dass offenbar bewusst Soldaten unterschiedlicher Herkunft (und unterschiedlicher Alters- bzw. Erfahrungsstufen, Gschnitzer 1981, 81 Anm. 49) in einer Legion zusammen dienen sollten – wohl um den Integrationseffekt unter den weit voneinander entfernt lebenden römischen Bürgern zu verstärken. Da sich die meisten Veteranen in Friedenszeiten eben deswegen allerdings wohl äußerst selten wiedergesehen haben dürften, wird es für die meiste Zeit der Republik im Rahmen der Legionen kaum zur Ausbildung von langlebigen Erinnerungsgemeinschaften gekommen sein. Vgl. Mann 2013, 33; Howarth 2013, 32 („Individual units had no permanent or long-term identity and the soldiers enrolled only for specific campaigns.“), 34 und ferner Meyer 1924, 225 f.; Lendon 2005, 184 f.; Lovano 2013, 87. Etwas anders Scullard ²1973, 22, der „bonds of war service“ auch in Friedenszeiten, hier bei Wahlen, wirksam sieht. Für die überschaubareren Kontingente der Kavallerie, die sich auch aus einem engeren Kreis von Personen rekrutierten, die, verglichen mit den Fußtruppen, eine homogenere Herkunft besaßen, mag das anders ausgesehen haben. So jedenfalls McCall 2002, 6 und 82 f.: „Cavalry service provided an opportunity for elite Romans from different areas to meet and build relationships. It is not unreasonable to suppose these social contacts and shared experiences of service reinforced the elite’s own sense of corporate identity“ (6). Die seit dem 4. Jahrhundert angeblich jährlich stattfindende Prozession der Reiter, die transvectio equitum, mag ebenso zu einer solchen dauerhaften, gemeinsamen Identität und Erinnerungsgemeinschaft der Reiterabteilungen beigetragen haben. Vgl. McCall 2002, 7; Walter 2011, 230, Anm. 37.

46

2  Methodische Vorbemerkungen

etwas wie ein Berufssoldatentum“ entwickelte.101 Gänzlich undenkbar ist es indes nicht, dass die Veteranen, die in unterschiedlichen Einheiten gekämpft hatten, nach den Feldzügen wieder in ihrer jeweiligen Nachbarschaft zusammenkamen und ihre, gegebenenfalls unterschiedlichen, Perspektiven auf das Erlebte verglichen und im weiteren Sinne gemeinsame Erinnerungen wachhielten. In jedem Fall bildeten die Legionen für die relativ kurze Dauer eines Feldzuges wichtige soziale Bezugsrahmen, in denen Erinnerungen an geteilte Erlebnisse, insbesondere gemeinsam bestandene Kämpfe (Siege wie Niederlagen) ihre erste Gestalt annahmen und in dieser Gruppe auch geformt wurden.102 Wie dem auch sei: Auch für spätere Generationen, als es feste Legionen gab bzw. der gezielte Zusammenschluss von Männern gleicher regionaler Herkunft möglich war, sind uns Erinnerungen, die in den Legionen gepflegt wurden, nicht in einem solchen Maße erhalten, das erlauben würde, die Geschichte von großen Niederlagen aus der Sicht der einfachen Soldaten zu schreiben. Zudem blieb ‚die römische Armee‘ über den gesamten Zeitraum ihrer Geschichte ein heterogenes Gebilde, in dem Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsregionen und in unterschiedlichen Abteilungen dienten.103 All diese Menschen werden in vieler Hinsicht einen anderen Blick auf die jeweiligen Ereignisse gehabt haben und warteten womöglich auch mit ganz anderen Deutungen des Geschehenen auf als wir sie in

101Jehne 2006, 266. Diese meldeten sich oft freiwillig, bestanden dabei auf eine Wiedereinsetzung im alten Rang, und es ist durchaus denkbar, dass sie auch ihnen bekannte Soldaten der unteren Ränge mitbrachten oder immer wieder um sich scharten. Die Entwicklung hin zu den festen Legionen der späten Republik und der Kaiserzeit setzte bekanntlich schon deutlich ein bis zwei Generationen vor Marius ein. Siehe hierzu Jehne 2006, 266 f.; Schulz 2012, 227–244. Vgl. im hier interessierenden Zusammenhang auch Rüpke 1990, 95: „Damit [mit Tendenzen hin zu einer Professionalisierung der Truppen hin zu einer Berufsarmee] beginnt ein Prozeß der Einengung der sozialen und regionalen Herkunftsräume der Soldaten, der nur durch die massive Mobilisierung der Jahren zwischen 49 und 29 v. Chr. verwischt wird: Untere Schichten und bestimmte Regionen dominieren die Legionen“. 102Vgl.

Culham 1989b, 193. Siehe in diesem Sinne auch Daly 2002, 52–54, 200 der integrierende Rituale diskutiert, die in der römischen Armee bereits im 2. Jahrhunderts v. Chr. verankert waren. Für eine Reihe seiner Beispiele kann er allerdings lediglich Belege aus der späten Republik und der Kaiserzeit anführen. Daher ist seine Einstufung der Legionen als einer „society within a society“ (ebd., 80; vgl. aber auch seine spätere Einschränkung: „The Roman army of the Republic, despite its peculiar rituals, was not a separate society, unlike the essentially foreign army employed by the Carthaginians.“, 135) auch im hier vorgestellten Sinne zu modifizieren – die Legionen, die für Rom im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. kämpften, bildeten lediglich relativ kurzlebige (Erinnerungs-)Gemeinschaften. Eine gewisse Rolle bei der Formation und Orientierung dieser Gemeinschaften wird vermutlich das römische Feldlager gespielt haben – als konkreter physischer oder auch als symbolischer Ort (immerhin dürften viele Marschlager kaum über einen längeren Zeitraum hinweg benutzt worden sein). Denn der Aufbau und Betrieb des Lagers erfolgte offenbar stets nach dem gleichen Schema (Pol. 6,27–39). Vgl. zur Bedeutung des Lagers in religiöser Hinsicht Rüpke 1990, 165–171. 103Vgl. Phang 2011, 106 f., 109 f.

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

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den heute erhaltenen literarischen Quellen finden können. Ihre Erinnerungen und Ansichten bleiben uns jedoch weitgehend verschlossen.104 Auch in anderer Hinsicht können wir mit einer großen Heterogenität im Rahmen des sozialen Gedächtnisses rechnen. Römische Frauen haben sich vermutlich in anderer Weise an Schlachten und Niederlagen erinnert als ihre Männer.105 Wer in der Nähe des Ortes einer Schlacht lebte, wurde mit der Erinnerung an diese in ganz anderer Weise konfrontiert als ein Einwohner Roms.106 Die Soldaten, die ab der Zeit der Kriege gegen Karthago teils jahrelang fern Italiens im Einsatz waren, hatten gewiss einen anderen Blick auf Gegenwart und Vergangenheit als die Bauern oder Stadtrömer, die zu Hause blieben oder nur für wenige Feldzüge in Italien selbst rekrutiert worden waren. Die Zusammensetzung des populus Romanus veränderte sich zudem mit jeder Eingliederung größerer Gruppen in den Bürgerverband, sodass dieser auch in Hinsicht auf Gruppenidentitäten und kollektive Erinnerungen an die jeweilige Vergangenheit in eher zunehmendem Maße heterogen gewesen sein wird.107 Wie auch immer sich dies im Einzelnen niedergeschlagen hat – diese Überlegungen müssen eher theoretisch bleiben. Auf der Basis der gegebenen Quellenlage können wir nicht erwarten, die römisch-italische Geschichtskultur und die mannigfaltigen sozialen (Teil-)Gedächtnisse in Rom selbst und auf der Halbinsel in ihrem geschichtlichen Wandel umfassend nachvollziehen zu können. Gemäß den im vorherigen Abschnitt vorgestellten Ansätzen kann es aber durchaus darum

104Vgl. Evans 1988, 122; Toner 2013, 113 f. MacMullen 1984, 452 f. diskutiert in knapper Form Belege, in denen die unterschiedlichen Perspektiven von Feldherren und einfachen Soldaten zum Vorschein kommen. 105Zu den Rollen, die Frauen in Kriegen der Antike einnehmen konnten, und ihren Erfahrungen im Kontext der Wahrnehmung von und Erinnerung an Kriege siehe allgemein (mit Hinweisen zur Forschung) etwa Kühne/Ziemann 2000, 16 (Zitat), und in Hinsicht auf die griechische Antike u. a. Loman 2004; Hornblower 2007, 43–46. 106Vgl. Hope 2003b, 80. 107Dies kann umso mehr angenommen werden, da „die italischen Völker […] bis weit ins erste Jahrhundert [v. Chr.] hinein ihre Sprache und ihre nationale Identität“ bewahrten (Jehne/­ Pfeilschifter 2006b, 13). Auch nach der Verleihung des römischen Bürgerrechts können diese Identitäten nicht gleichsam über Nacht und spurlos verschwunden sein. Diese Veränderungen im Bereich des Politischen – die eben auch veränderte soziale Bezugsrahmen darstellen – w ­ erden auch auf die soziale Identität und das soziale Gedächtnis der römischen Republik nicht ohne Einfluss geblieben sein. So kann Schlange-Schöningen 2006 zeigen, dass etwa die Marser, oder zumindest Teile von ihnen, bis in die Kaiserzeit hinein „als eigene Ethnie oder Gruppe fortbestanden und rezipiert wurden“ (ebd., 157. vgl. etwa Plin. nat. 7,15) und auch in „höheren Rängen des römischen Militärs“ (Schlange-Schöningen 2006, 169) nachzuweisen sind. Siehe auch Pina Polo 2006, 204 (in Hinsicht auf das zweite Jahrhundert v. Chr) und Mouritsen 1998, 59–86, der die lokalen Eigenheiten nach dem Bundesgenossenkrieg allerdings deutlich auf dem Rückzug sieht (ebd., 8 f., 86): „The first century BC probably saw the disappearance of the indigenous Italian languages, most of their cultural distinctiveness vanished as romanization progressed […]“ (8). Vgl. generell Lomas 2004, 179 f., 191 f., 194 (Vielfalt epigraphischer Kulturen im ­römischen Italien, „even within the Latinized epigraphic culture of the 1st century AD onwards“, 180); ­Scheidel 2006, 224 f.; Fronda 2007, 105 f.; 2010, 21; Levene 2010, 225; Sommer 2013, 354 f.

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2  Methodische Vorbemerkungen

gehen, die Rahmen möglicher Vorstellungen und Formen von Wissen von der Vergangenheit abzustecken und möglichst viel über die spezifischen Ausprägungen solcher Arten von ‚Wissen‘ in Erfahrung zu bringen. Es lohnt sich daher, das Problem nun auch von der anderen Seite her anzugehen und zu fragen, was Römer und Italiker über schwere Niederlagen gewusst haben können, welche Medien ihrer Geschichtskultur dieses Wissen transportierten, und wer hiervon – vermutlich – erreicht oder eben nicht erreicht wurde.108 Medien der römischen Geschichtskultur(en) Unter den bislang skizzierten Bedingungen ist es wohl von vornherein nur für relativ wenige Ereignisse zu erwarten, dass sie in einer größeren Schnittmenge von sozialen Bezugsrahmen einen mehr oder weniger dauerhaften Platz gefunden haben. Die Feldzüge, in die die Magistrate der Republik Bürger wie Bundesgenossen gleichermaßen führten, dürften schon eher zu solchen Ereignissen hinzuzählen sein. Denn wenn auch niemals alle römischen Bürger, geschweige denn die gesamte römische Bevölkerung, als Kombattanten an diesen teilnahmen, waren die Kriege eben doch auf vielen Ebenen des privaten und öffentlichen Lebens präsent. So konnte man durch Angehörige von den Feldzügen erfahren. Tod und Leid in der (un-)mittelbaren Umgebung machten die Erinnerung an die Kämpfe unausweichlich. Aber auch rascher ökonomischer Gewinn auf persönlicher Ebene brachte die Kriege der res publica auch denen in Bewusstsein und Erinnerung, die selbst nicht aktiv daran teilnahmen.109 Mündliche Überlieferung Schlachten sind also in jedem Fall kollektive Ereignisse im besten oder schlechtesten Sinne. Die hohe Anzahl der Beteiligten führt zu einer bei erster Betrachtung eigentlich günstigen Ausgangssituation für eine Überlieferung, da eine Vielzahl von Augenzeugen unmittelbar beteiligt war. Die Berichte von Teilnehmern und anderen Betroffenen sind im Grunde die Ausgangsbasis jeder sozialen Erinnerung an die jeweilige Schlacht, und manche dieser Berichte flossen wohl auch tatsächlich in Texte ein, die uns noch erhalten sind – die Berichte selbst aber nicht. Es kann in diesem Zusammenhang hilfreich sein, sich die Ausgangsbedingungen, die für diese mündliche Überlieferung bestanden, vor Augen zu führen, um Vermutungen über ihren Gehalt und Charakter anstellen zu können. Zunächst waren schon die Bedingungen für die Wahrnehmung des Schlachtgeschehens für einen Beteiligten in Schlachten mit oft zehntausenden Kombattanten extrem begrenzt. Dem einzelnen Soldaten wird es in der Regel kaum möglich

108Ein

vollständiger Überblick über die Verästelungen der römischen Geschichtskultur kann und soll an dieser Stelle indes nicht geboten werden. Siehe hierzu bes. die Synthese von Walter 2004a und die anderen oben in Anm. 85 genannten Titel. 109Vgl. Meier/Stoll 2016, 3 und die eingangs der Einführung in diese Arbeit genannten Arbeiten zum Charakter des Krieges als „Fundamentalphänomen“ des antiken Alltagslebens (Schulz 2012, 7).

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

49

gewesen sein, das Gesamtgeschehen auch nur annähernd zu überblicken, denn zu sehr werden ihn visuelle und akustische Hindernisse, verursacht durch den Kampf wie auch bereits durch seine Ausrüstung, in seiner Wahrnehmung beeinträchtigt haben. Diese Umstände waren antiken Historikern wohl bekannt und werden in einer Reihe von Schlachtendarstellungen genannt.110 Wenn einzelne Kämpfer, vom einfachen Soldaten bis hin zum Feldherrn selbst, während der Schlacht keinen Überblick über das Geschehen behalten konnten, dann folgt daraus, dass ein Narrativ der jeweiligen Schlacht nach Ende der Kämpfe (bestenfalls) aus den Erinnerungen mehrerer Teilnehmer zusammengesetzt werden konnte.111 Es erscheint nicht abwegig, dass – besonders im Falle einer Niederlage – schon in dieser frühen Formierungsphase gemeinsamer Erinnerung nach Erklärungen gesucht wurde, vielleicht auch nach Schuldzuweisungen oder Rechtfertigungen.112 Bereits in dieser Phase vermischten sich sehr wahrscheinlich Erinnerungssplitter des Individuums mit denen seiner Mitkämpfer, sodass sich die Erzählungen der Soldaten gegenüber den Daheimgebliebenen oder eben Historikern, die sie später befragten, durchaus geähnelt haben mögen. Mit zunehmendem Abstand zum Geschehen – das legen zahlreiche Studien zu mündlicher Tradierung gerade auch von Kriegserlebnissen nahe – wirken zudem Medien ­verschiedenster

110Thuk.

4,34,2; 7,44,1 (ferner : 4,44,4); Xen. an. 1,8,8; Pol. 1,34,2; 5,85,12; Plut. Eum. 16,6; Plut. Marius 26,3; Plut. Pomp. 72,1; Amm Marc. 16,12,37. Vgl. Whatley 1964, 120 f., 129 f.; Lee 1996, 201; Sabin 1996, 68; Goldsworthy 2001, 127; Daly 2002, 19 f., 168–171. Siehe auch Keegan 1976, 47, 128–133, 139–142, der ebenfalls auf die eingeschränkte Wahrnehmung von Soldaten auf dem Schlachtfeld hinweist, die sich in literarischen Schlachtenschilderungen allerdings selten niederschlage. Die bei Keegan angegebenen Stellen beziehen sich zum Teil auf die Schlacht von Waterloo. Manche Faktoren, die dort die Wahrnehmung der Ereignisse für den einzelnen Kombattanten erschwerten, wie dichte Rauchschwaden und Geschützlärm, spielten in der Antike keine Rolle, andere (Lärm allgemein, Sichtbehinderungen durch das Gelände, durch andere Menschen sowie durch die Ausrüstung) hingegen sehr wohl. So bedeckten Helme des Typs, der zumindest im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. gebräuchlich gewesen zu sein scheint (Montefortino-Typ), die Ohren der Träger vollständig (siehe Koon 2010, 13). Zudem muss die psychische Ausnahmesituation der Schlacht berücksichtigt werden, die die Wahrnehmung des Gefechtes und die spätere Erinnerung hieran ebenfalls beeinflussen konnte. Vgl. Arrington 2011, 181. 111Vgl. dazu einen oft zitierten Vergleich von Arthur Wellesley, Duke of Wellington: „The history of the battle is not unlike the history of a ball! Some individuals may recollect all the little events of which the great result is the battle is lost or won; but no individual can recollect the order in which, or the exact moment at which, they occurred, which makes all the difference as to their value or importance“ [Hervorhebung: S. L.]. Zitiert nach Keegan 1976, 117. Siehe auch Whatley 1964, 121, 129; Sabin 1996, 63 Anm. 21. 112Auch mögen Aufrufe zum Durchhalten bzw. Weiterkämpfen geäußert worden sein oder auch pessimistische Prognosen die nähere Zukunft betreffend. Eine solche Runde findet sich literarisch stilisiert und mit ganz eigenen Deutungsmustern verbunden im Treffen der Militärtribunen in der Darstellung des Livius der Ereignisse nach der Schlacht von Cannae, wo P. Cornelius ­Scipio, in Vorwegnahme seiner späteren Leistungen, eine Gruppe von Verzweifelten an der Flucht aus Italien hindert: Liv. 22,53,1–13.

50

2  Methodische Vorbemerkungen

Art unter den Bedingungen der jeweiligen sozialen Bezugsrahmen auf die Erinnerungen des Einzelnen ein und verformen diese weiter.113 Hinzu tritt ein Umstand, der von John Keegan als „Bullfrog effect“ bezeichnet wurde. Damit ist das Bestreben von Veteranen gemeint, ihre eigenen Leistungen herauszustellen, da ihr Ruf unter ihren Aussagen zu gewinnen oder zu leiden habe.114 Schließlich werden sich womöglich Überlebende einer Niederlage veranlasst gesehen haben zu erklären, warum sie die Schlacht überlebt haben, während so viele andere Soldaten gefallen waren. Wenn also etwa Polybios, der angibt u. a. mit C. Laelius dem Kampfgefährten des älteren Africanus gesprochen zu haben, auch Augenzeugen zum Beispiel zur Schlacht von Cannae befragt haben sollte, dann wird er sich mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert gesehen haben. Selbst die jüngsten Veteranen müssten zum Zeitpunkt eines Gespräches mit dem griechischen Historiografen, das ja schwerlich vor seiner Deportation nach Rom 167 stattgefunden haben kann, um die sechzig Jahre alt gewesen sein.115 Es wären also mehrere Jahrzehnte vergangen gewesen, in denen die ehemaligen Soldaten ihre Geschichte sicher mehr als einmal erzählt und dabei auch ausgestaltet haben werden. In den Werken des Q. Fabius Pictor, des Cincius Alimentus und des Q. Ennius war das Geschehen (wahrscheinlich) behandelt worden. Auch dies werden Faktoren gewesen sein, die die Berichte von manchen Augenzeugen ebenfalls beeinflusst haben.116 Aber – wie bereits erwähnt – auch wenn man die Soldaten einige Wochen nach der Schlacht befragt hätte, wären ihre Erzählungen durch andere Aspekte beeinflusst gewesen und es wäre nicht leicht gefallen, hieraus den Ablauf der Schlacht zu rekonstruieren. Diese Ebene der sozialen Erinnerung an eine Schlacht, die

113Beispiele von Berichten zum Zweiten Weltkrieg, die deutlich durch den Einfluss von Filmen und Büchern verformt wurden, präsentiert Welzer 32011, 172–206. Siehe oben Abschn. 2.1. Vgl. Jehne 2006, 254 mit Anm. 49. 114Keegan 1976, 33: „One, well known to all scholars, is the danger of reconstructing events solely or largely on the evidence of those whose reputations may gain or lose by the account they give; even if it is only a warrior’s self-esteem which he feels to be at stake, he is liable to inflate his achievements – what we might call ‘the Bullfrog Effect’ – and old warriors, particularly if surrounded by Old Comrades who will endorse his yarn while waiting the chance to spin their own on a reciprocal basis, are notoriously prone to do so.“ Zustimmend Daly 2002, 19. 115Daly 2002, 19. Natürlich kann sich Polybios auch zuvor bereits mit römischen Veteranen des Zweiten Punischen Krieges über ihre Erlebnisse unterhalten haben, doch werden solche Gespräche dann noch nicht so sehr vom Interesse der späteren historiografischen Verarbeitung motiviert gewesen sein. Polybios gibt in Pol. 10,3,2 an, mit C. Laelius gesprochen zu haben. Dieser Quelle misst er besonderen Wert bei. Siehe jedoch Seibert 1993a, 118, Anm. 226: „In der Erinnerung des alten Mannes könnte auch diese Geschichte [die angebliche Rettung des Konsuls von 218, P. Cornelius Scipio, durch seinen Sohn, den späteren Africanus, Anm. Simon Lentzsch] verdreht worden sein“. Vgl., in anderem sachlichen Zusammenhang, über die Probleme des Polybios bei seinen Recherchen Kromayer 1912, 173, Anm. 1. 116Vgl. zum Einfluss medialer Darstellungen vergangener Ereignisse auf die Erinnerungen von Zeitzeugen Abschn. 2.1.

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

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Berichte der direkt Beteiligten, ist uns leider nicht mehr erhalten – genauso wie der größte Teil dieser informellen Form der Kommunikation über Vergangenheit in Rom insgesamt.117 ‚Oral tradition‘ – carmina convivalia – laudationes Es ist nicht nur deswegen sinnvoll, andere Arten der mündlichen Überlieferung in Rom von diesen alltäglichen und kaum fassbaren Formen zu trennen.118 Den Berichten von Veteranen im eigenen Haus, in der Schänke oder der Dorfschmiede, im Kreise anderer Veteranen, Angehöriger oder auch gegenüber dem Historiker standen andere, an festere Kontexte und soziale Normen gebundene, Formen der mündlichen Überlieferung zur Seite, die in der Forschung unter dem Begriff der ‚oral tradition‘ diskutiert werden.119 Es kann als sehr wahrscheinlich gelten, dass es in Rom eine ebensolche Form der mündlichen Ausprägung der Geschichtskultur gegeben hat, auch wenn sie nicht direkt überliefert ist: die sogenannten carmina convivalia.120 Die Belege zum Inhalt der ‚Heldenlieder‘ nehmen sich allerdings auch deswegen sehr dünn aus, weil sie bereits für den älteren Cato nur noch „ein Stück erinnerter Geschichtskultur“ waren.121 Somit ist es auch nicht zu entscheiden, welchen Anteil diese Form der ‚oral tradition‘ für die Überlieferung der heroischen Taten der Protagonisten der frühen römischen Geschichte hatte, die uns in der späteren Überlieferung begegnen. So könnten manche Details über die Taten von bestimmten Individuen innerhalb einzelner Episoden und Berichte auch von Niederlagen in der frühen Republik (Cremera, ‚Gallierkatastrophe‘) oder der rühmend beschriebenen Aufopferung einzelner für die Gemeinschaft (Horatius Cocles) auch diesen Quellen entstammen.

117Lazenby

1978/1998, vii; Sabin 2000, 8 f. Vgl. Walter 2004a, 70 f.; Rodríguez Mayorgas 2007, 106. 118Vansina 1985, 12 f.; Walter 2004a, 71. 119Zur ‚oral tradition‘ siehe allgemein mit knappen Überblicken zu verschiedenen Forschungszweigen (aus jeweils unterschiedlicher Perspektive) Boedeker 1988 und Finnigan 1996 und die klassische Studie von Vansina (Vansina 1985). In Bezug auf Rom siehe Timpe 1988; von Ungern-Sternberg 1988. 120So wenig über die Details des Vortrages bzw. der Vortragssituation, geschweige denn über genaue Inhalte, bekannt ist, besteht kein Anlass, grundsätzlich an der Existenz der carmina zu zweifeln. So u. a. Momigliano 1957/1969, 328 f., 331; Walter 2004a, 71. Anders noch ­Dahlmann 1950/1970, 28, 32. Zur Forschung insgesamt siehe u. a. Dahlmann 1950/1970; Momigliano 1957/1969 (Forschungsgeschichte, 313–326, und Diskussion der antiken Belege, 326–335); 1990, 92 f.; Walter 2004a, 70–75. 121Walter 2004a, 73. Bis in welche Zeit die Praxis reichte, ist unklar. Momigliano 1957/1969, 331 sieht keinen Anlass, ein Ende der carmina-Vorträge vor dem Ende des 4. Jahrhunderts anzusetzen. Rüpke 2000, 35, 44 scheint an einen Zeitraum Ende des 3. Jahrhunderts zu denken, ­Walter 2004a, 73 f. mit Anm. 140 lehnt dies ab und geht davon aus, dass die Praxis der car­ mina vor oder mit „der Ausbildung der Nobilität“ im 4. Jahrhundert verschwand. Cic. Brut. 75 lässt in der Tat eher einen längeren Zeitraum zwischen den carmina als lebendiger Praxis und der Lebenszeit des älteren Cato vermuten (multis saeclis ante suam aetatem), sodass das vierte Jahrhundert wahrscheinlicher anmutet.

52

2  Methodische Vorbemerkungen

Es ist jedoch nicht möglich, hierüber Gewissheit zu erlangen oder gar konkrete Zuweisungen vorzunehmen.122 So bleiben die carmina convivalia ein zwar faszinierender, aber schemenhafter Teil der frühen römischen Geschichtskultur. Doch es gab noch weitere geprägte Formen der mündlichen Kommunikation über Vergangenheit in Rom, die (etwas) besser zu fassen sind. Hierzu gehört die laudatio funebris, die anlässlich der Leichenfeier für einen verstorbenen Römer aus hochadligem Hause gehalten wurde.123 Das römische Adelsbegräbnis mit Prozession und Rede wird von Polybios bekanntlich idealtypisch beschrieben.124 Aus verschiedenen Gründen steht die pompa funebris seit rund zwei Jahrzehnten im Zentrum des Forschungsinteresses, sodass eine genaue Analyse an dieser Stelle wohl nicht notwendig ist.125 Es verdient aber hervorgehoben zu werden, dass die pompa funebris wohl für die breite Masse „der stadtrömischen Bevölkerung, die mit literarischer Historiographie nicht vertraut war, […] die wichtigste und wohl am meisten prägendste Begegnung mit – genealogisch organisierter – römischer Geschichte“ war.126 Es wäre interessant zu erfahren, wie in diesem Rahmen, vor allem in der laudatio funebris, mit besiegten Feldherren und deren Niederlagen umgegangen wurde. Diese waren ja eben nicht so selten, dass sich nicht regelmäßig ein Nachfahre mit der Schwierigkeit konfrontiert gesehen haben wird, wie mit diesen unrühmlichen Kapiteln in der Vita des zu Ehrenden umgegangen

122Vgl. Momigliano 1957/1969, 331–335. Dort aber auch: „Aber im ganzen gewinnt man den Eindruck, daß der größere Teil [der angeblichen oder möglichen Balladenthemen, Anm. d. Verf.] (Tarquinius‘ Abschlagen der Mohnköpfe, Coriolan als Bittflehender wie Themistokles, die Dreihundert Fabier, von denen nur einer überlebte, Camillus‘ Gebet) das Ergebnis einer direkten Bekanntschaft mit griechischen literarischen Quellen ist, die man schwerlich in vorhellenistische Zeiten verlegen könnte“. Vgl. auch Walter 2004a, 74. Rüpke 2000, 35 nimmt allerdings neben den carmina „halbwegs stabile Prosaerzählungen ähnlichen Inhalts“ an, die ebenfalls mündlich tradiert worden seien. 123Sammlung der wenigen erhaltenen Fragmente bei Kierdorf 1980. Siehe außerdem Flower 1996, 128–158. Inwieweit auch Römer mit niedrigerem sozialem Rang mit einer solchen lau­ datio geehrt wurden, kann nicht sicher beantwortet werden. Das von Kierdorf 1980, 2 Anm. 2 angeführte „sichere[s] Beispiel für diese Abart der Rede“ (Cic. ad. Q. fr. 3,8,5. Vgl. zum Inhalt oben Anm. 97) kann nicht ignoriert werden, steht aber recht isoliert da. Auch die Laudatio Murdiae (ILS 8394) gehört ans Ende der Republik. Vielleicht entwickelte sich diese Form der Leichenrede für Römer und Römerinnen, deren Sozialstatus unter dem eines Senators lag, also erst später, in jedem Fall gehörte sie aber in einen eher privaten Rahmen, der mit der laudatio funebris auf dem Forum kaum zu vergleichen ist. Vgl. Flower 1996, 131 f. 124Pol. 6,53–54. Wie lange diese Praxis zurückreicht, verrät Polybios nicht, aber die Annahme einer Ausformung im 4. Jahrhundert, mit der Ausbildung der Nobilität, scheint überzeugend, wobei die Annahme einer Entwicklung aus älteren Begräbnisriten naheliegend ist. Vgl. zu dieser Frage: Hölkeskamp 1987/2011, 223 f.; Flaig 1995, 121, Anm. 14; Flower 1996, 132. 125Siehe (jeweils mit weiteren Hinweisen) die Beiträge von Hölkeskamp 1987/2011, 222–224; 2010, 112–115; Flaig 1995; Flower 1996, 91–127; 2006; Walter 2004a, 89–108; Modrow 2017, 37–40. 126Walter 2004a, 90 (Zitat). Siehe bereits Flower 1996, 110 und 126 f.: „When viewed as a pageant of Rome’s history, it is hard to imagine a more accessible source of these traditions for the ordinary Roman citizen“ (127).

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

53

werden sollte. Bei den Misserfolgen der mitmarschierenden Ahnen dürfte das Problem wohl noch gering gewesen sein. Die Reihe der Ahnen, in Gestalt der pompa funebris wie auch in den Ahnenbildnissen im Atrium eines adligen Hauses, erhob keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da es offenbar möglich war, Personen und sogar ganze Familienzweige, auf welche die Lebenden ‚Anspruch‘ gehabt hätten, nicht zu präsentieren, wenn diese mit einem zweifelhaften politischen Ruf behaftet waren.127 Bei imperatores victi des eigenen Stammbaums aus älterer Zeit konnte man sich solche Operationen vielleicht auch ersparen, da der Großteil des Publikums (und vielleicht auch der Redner selbst) vermutlich ohnehin eher vage Kenntnisse über die Taten des Einzelnen besaß, sodass eine Konzentration auf die Ämter und die ruhmvollen res gestae, bei einem Auslassen oder Marginalisieren von Misserfolgen, wohl gar nicht weiter auffiel.128 Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass in Hinsicht auf Ämter und Erfolge der Ahnen offenbar verschiedene Formen und Grade von Fälschungen und Manipulationen kaum ungewöhnlich, sondern, wenn wir etwa die Zeugnisse Ciceros und Livius‘ ernst nehmen, vielmehr recht häufig waren.129 Anders stellte sich dies vermutlich bei dem jüngst Verstorbenen selbst dar. Wenn er als Feldherr eine Niederlage zu verantworten gehabt hatte, muss er in der Regel mindestens im Rang eines Praetors gewesen sein. Der Verzicht auf ein großes Begräbnis scheint dann eigentlich undenkbar, sodass offenbar Wege gefunden worden sind, mit Niederlagen im ‚Lebenslauf‘ auch in diesem Rahmen umzugehen. Vielleicht wurden sie einfach übergangen, was gerade bei nobiles mit großen und zahlreichen Erfolgen nicht einmal besonders auffällig gewesen sein musste, noch dazu weil wohl auch hier galt, dass strikte Genauigkeit in diesem Rahmen nicht erwartet wurde.130 Umstände und Natur der Rede legen zudem nahe, dass man insbesondere kleinere Misserfolge an diesem Ort und bei dieser Gelegenheit geflissentlich übergehen

127Ob Ahnen, die große Niederlagen zu verantworten hatten, hierzu gezählt wurden, ist allerdings nicht klar. Die Zeugnisse weisen eher auf innenpolitische Auseinandersetzungen hin, die den jeweiligen Vorfahren einen fragwürdigen Leumund eingetragen hatten. Siehe Cic. fam. 9,21,2–3. Cicero rät hier dazu, sich auf den patrizischen Teil der Ahnenreihe der Papirii zu beschränken, da die plebeischen Vorfahren durch populares Verhalten in ein schlechtes Licht gerückt seien. Vgl. Flaig 1995, 144–146, dort: „Die eigene Genealogie war also einem ‚generativen ­Gedächtnis‘ unterworfen: man selektierte die Ahnen wie man sie brauchte.“ (144); Flower 1996, 103 f.; Walter 2004a, 93. 128Vgl. Bethe 1935, 84 f.: „Und selbst wenn sie [die angeführten Ahnen, Anm. d. Verf.] alle echt waren und mit Recht in der Pompa daherschritten, konnte der Leichenredner, weil er jeden einzelnen pflichtmäßig bereden und berühmen mußte, nicht anders, als zum wenigsten einige hochklingende Lobeswendungen auf gut Glück für diesen oder jenen ertönen zu lassen, von dem weder er noch seine Zuhörer viel wußten“. Zustimmend: Flaig 1995, 142, Anm. 77. 129Cic. Brut. 62; Liv. 8,40,3–5. Flaig 1995, 137 f.; Flower 1996, 134; Beck/Walter 22005, 30. 130Flower 1996, 147: „In the funeral speech, whether spoken or written, strict veracity could hardly be expected and was probably never the original intention“. Siehe auch Biesinger 2016, 37 f. Zudem kann wohl vermutet werden, dass eine Niederlage, die länger zurücklag, längst nicht mehr in weiten Kreisen präsent gewesen sein musste – besonders, wenn das Schlachtfeld fern von Rom lag, was ja gerade seit dem späten 4. Jahrhundert zunehmend der Fall war.

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2  Methodische Vorbemerkungen

konnte – nicht zuletzt, da ja niemand davor gefeit war, selbst in eine ähnliche Situation zu geraten.131 Anders kann es bei wirklich großen Katastrophen ausgesehen haben. Was wird etwa der Sohn des C. Terentius Varro (cos. 216) von der Rednertribüne herab dem Volk über die Taten seines Vaters erzählt haben? Unabhängig von der Frage, wie mit Varro nach Cannae umgegangen wurde, war diese Schlacht ohne Zweifel das bekannteste Ereignis seines Lebens und ein schlichtes Übergehen von Cannae musste die Sache ja im Grunde noch schlimmer machen. Es wäre vor diesem Hintergrund möglich, dass manche Versuche, sein Verhalten positiv umzudeuten aus dieser Familientradition stammen.132 Da nur wenige Fragmente von Leichenreden, zumal aus der Republik, erhalten sind, bleiben solche Überlegungen aber notgedrungen spekulativ. Dass sie aber nicht vollkommen aus der Luft gegriffen sind, legt jedoch möglicherweise der Hinweis auf die Leichenrede für M. Claudius Marcellus, des Eroberers von Syrakus, nahe, der im Jahre 208 in einen Hinterhalt geriet und im Kampf fiel.133 Es scheint, dass Marcellus nach seinem Tod durchaus in Kritik geriet, da er, als sehr erfahrener Feldherr, sein Leben in einem Erkundungsritt riskiert habe und damit auch den Staat insgesamt in eine gefährliche Situation gebracht hatte.134 Ausdrücklich vermerkt Livius die ungewöhnlich große Anzahl von Überlieferungsvarianten zum Tod des Marcellus und nennt als eine Quelle seiner Vorlage Coelius Antipater ebenso explizit die Leichenrede, die Marcellus‘ Sohn, der ebenfalls an dem Kampf beteiligt gewesen sein soll, auf dem Forum für seinen Vater gehalten hatte.135 Die Angaben des Livius lassen es möglich erscheinen, dass der jüngere Marcellus die Todesumstände seines Vaters erwähnte und so ist es auch nicht abwegig zu vermuten, dass bereits er in seiner Rede den Versuch unternahm, das Verhalten seines Vaters zu rechtfertigen bzw. Erklärungen für dessen Niederlage zu präsentieren.136 Vielleicht stammt auch der bei Livius zu findende Hinweis, nach dem erst die

131Vgl.

Scholz/Walter 2013, 30. Bewertungen von Varros Verhalten vor, während und nach der Schlacht sind in der römischen Überlieferung durchaus nicht eindeutig. Siehe hierzu unten Abschn. 5.2.5.1. 133Pol. 10,32; Liv. 27,27,1–14; Val. Max. 1,6,9; Plut. Marc. 29; App. Hann. 50 (etwas abweichender Ereignisverlauf). Die Situation wurde noch dadurch verschlimmert, dass auch Marcellus’ Kollege, T. Quinctius Crispinus, in diesem Scharmützel schwer verwundet wurde und diesen Verletzungen wenig später erlag. Siehe zu den militärisch-historischen Hintergründen der Operationen in Süditalien im Jahr 208 Seibert 1993a, 363–366; Beck 2005a, 324 f. 134Liv. 27,27,11. Siehe hierzu Kierdorf 1980, 108: Marcellus sei „ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik geraten“; Carawan 1984, 140 f.; Flower 2003, 48. 135Liv. 27,27,13. 136Vgl. Vogt 1953, 134; Kierdorf 1980, 108: „Aus den Worten des Livius geht unzweideutig hervor, daß in der Rede von den Todesumständen des Marcellus gesprochen wurde; […] vielleicht bemühte er sich, die Motive seines Vaters für die verhängnisvolle Unternehmung zu rechtfertigen, und hob seine mannhafte Haltung in der ausweglosen Situation hervor.“; Flower 1996, 146 f.: „This process was started by his son who published a speech like the one he might have delivered, no doubt justifying his father’s actions and surely attributing a hero’s brave death to him“. 132Die

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

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ü­ bereilte Flucht der aus Etrurien stammenden Begleitung des Konsuls zu dessen Untergang führte, aus dieser Quelle bzw. aus dem Umfeld der Claudii Marcelli.137 Schon die ungewöhnlichen Umstände des Todes, wie wohl auch der Leichenfeier selbst,138 markieren dieses Beispiel freilich „als leicht begreifliche Ausnahme“, die aber, wenn auch vieles im Unklaren bleibt, vielleicht zu Überlegungen anregen kann, wie auch in anderen Fällen mit unrühmlichen oder umstrittenen Vorfällen in der laudatio umgegangen werden konnte.139 Geschichte auf der Bühne – Das römische Geschichtsdrama Hinsichtlich Produktion und Verbreitung nimmt das Geschichtsdrama eine mittlere Position zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit ein.140 Sie wurden offenbar zwar schriftlich festgehalten, Verbreitung fanden die Stücke wohl jedoch überwiegend im mündlichen Vortrag für ein „noch fast gänzlich präliterales Publikum, das auch später, im 2. und 1. Jahrhundert, nicht regelmäßig und intensiv mit Literatur in Berührung kam“.141 In der Forschung wurde wiederholt auf die Bedeutung der Geschichtsdramen für die Wahrnehmung, Stiftung und Verbreitung von historischem ‚Wissen‘ für Römer unterschiedlicher sozialer Herkunft hingewiesen.142 Die nur wenigen und meist auch in inhaltlicher Hinsicht wenig aussagekräftigen Fragmente lassen zwar kaum Schlüsse auf genaue Handlungsverläufe zu, aber, in Verbindung mit anderen antiken Zeugnissen die Stücke betreffend, lassen sich immerhin einige Themen und dargestellte Personenkreise rekonstruieren:143 Stoffe aus der römischen Geschichte „von politischer und historischer Bedeutung“ mit „römische[n] Amtsträger[n] (Magistrate, Feldherren, Könige)“ als Protagonisten.144 Was darüber hinaus betreffend der Anlässe der Aufführungen geschlossen werden kann, lässt es als sehr unwahrscheinlich

137Liv.

27,27,5. hierzu u. a. Seibert 1993a, 366 Anm. 30; Flower 1996, 147 Anm. 78; Bernstein 2000, 160; Manuwald 2001, 136; Flower 2003, 44, 49; Mineo 2011, 124 und vgl. unten Abschn. 5.2.1.2. 139Kierdorf 1980, 108 (Zitat). 140Vgl. Beck/Walter 22005, 31: Das Theater war „auf der Grenze zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit […] angesiedelt“. Siehe zur Forschung und zur Forschungsgeschichte zum ­römischen Geschichtsdrama (jeweils mit Hinweisen auf die ältere Literatur) u. a. Richter 1960; 1962; Altheim 1969; Seibert 1993b, 20 f.; von Albrecht 1994, 79–96; Wiseman 1998, 1–16; Bernstein 2000; Manuwald 2001, bes. 9–13; Walter 2004a, 76–83. 141Walter 2004a, 75 (Zitat). 142Bernstein 2000, 165: „Die Bühne war zu einem erstrangigen Medium ‚nationalrömischer‘ Erinnerung und damit kollektiven Selbstverständnisses wie kollektiver Selbstvergewisserung geworden.“; Walter 2004a, 75; Wiseman 1998; 2007, 72 f. 143Siehe hierzu vor allem Manuwald 2001, 131–258 (mit einer Sammlung der Fragmente). 144Manuwald 2001, 51 f. (Zitat: 52). 138Siehe

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2  Methodische Vorbemerkungen

erscheinen, dass eine militärische Niederlage hier thematisiert worden wäre.145 Da die Methode, aus ‚dramatisch‘ stilisiert anmutenden Passagen und Konstellationen in längeren und reichhaltiger überlieferten Werken, etwa von Livius oder Dionysios von Halikarnassos, Themen oder sogar Szenenfolgen von weiteren Stücken, die in die Historiografie eingeflossen seien, zu (re-)konstruieren, zu Recht als wenig fruchtbar bewertet wurde, können kaum weitere Zeugnisse dieses Genres herangezogen werden.146 Rituale im öffentlichen und privaten Raum Die Funktion und Wirkung zahlreicher Rituale, die in der römischen Gesellschaft zelebriert wurden, sind in der jüngeren Forschung – auch in Hinsicht auf ihre Bedeutung innerhalb der Geschichtskulturen der Republik und Kaiserzeit – wiederholt in umfangreicher Weise thematisiert worden, sodass es nicht notwendig erscheint, das Phänomen insgesamt an dieser Stelle erneut ausführlich zu besprechen.147 Generell dürfte unbestreitbar sein, dass Rituale in der römischen Erinnerungskultur eine beachtliche Rolle gespielt haben. Denn durch sie wurde ‚Wissen‘ über die Vergangenheit der Gemeinschaft – bzw. Teile dieser Gemeinschaft – nicht nur einem breiten Publikum vorgeführt, dessen Angehörige in vielen Fällen aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage waren, andere Medien der Geschichtskultur zu rezipieren, sondern dies geschah auch in einem mehr oder weniger regelmäßigem Abstand. Dies dürfte die Aussicht darauf erhöht haben, dass Personen und Ereignisse, die dabei thematisiert wurden, auch tatsächlich einen gewissen Bekanntheitsgrad unter den bei dem Ritual Anwesenden erlangten. Dies wurde in der Forschung bekanntlich gerade in Hinsicht auf die viel behandelte pompa funebris hervorgehoben, die indes – wie oben bereits ­ausgeführt – wohl eher wenig zur Verbreitung des Wissens um römische Niederlagen beigetragen hat.148 Ein Ritual, das dem öffentlichen Gedenken an die Opfer gedient hätte, die die Kriege der Republik der Gemeinschaft abverlangten, hat es in Rom anscheinend nicht gegeben. Eine römische Version der p­ erikleischen

145Eher

indirekt lässt sich möglicherweise auf in einzelnen Aufführungen intendierte Absichten schließen, die durch Niederlagen und Krisenwahrnehmung provoziert worden waren. So könnte sich Naevius‘ Stück Clastidium in Versuche der Nobilität einreihen, im Hannibalkrieg durch die Erinnerung an einen großen Sieg Zuversicht in Roms letztliche Sieghaftigkeit zu stärken bzw. überhaupt erst zu schaffen (Vgl. Bernstein 2000, 166–169; Walter 2004a, 83). Daher wird Clas­ tidium im Abschnitt zu den Niederlagen im Hannibalkrieg wieder aufgegriffen werden, um dort im Kontext mit anderen Zeugnissen besprochen und eingeordnet werden zu können (siehe unten Abschn. 5.2.1.2). 146Flower 1995, 170; Manuwald 2001, 133 f. 147Siehe u. a. (jeweils mit zahlreichen weiteren Hinweisen zur Forschung) Walter 2004a, 89–108; Beck 2005c; Itgenshorst 2005; Bücher 2006, 127–129; Flower 1996; 2006; Hölkeskamp 2006 (2007); 2008; 2014b; 2015, sowie die Beiträge in Beck/Wiemer (Hgg.) 2009. In Bezug auf die Geschichtskultur der römischen Republik ist dabei besonders Pfeilschifter 2009 hervorzuheben. 148Flower 1996, 127; Blösel 2003; 60; Walter 2003, 262 f.; 2004a, 89 f.

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

57

­ efallenenrede ist uns nicht überliefert.149 Allerdings ist uns eine Reihe von weniger G bekannten Ritualen überliefert, die in der literarischen Überlieferung mit Niederlagen Roms verbunden worden sind. Insbesondere die Erinnerung an die Einnahme Roms durch ein keltisches Heer zu Beginn des vierten Jahrhunderts scheint auch auf diesem Weg verbreitet worden zu sein.150 Dies ist in Hinsicht auf andere Beispiele schon sehr viel weniger deutlich zu erkennen. So ist bekannt, dass der 8. Juni der Stiftungstag des Tempels der Mens war, der nach der Niederlage am Trasimenischen See gelobt worden war. Nach dem Zeugnis Ovids wurde an diesem Tag jährlich ein Fest gefeiert.151 Inwieweit dies von der stadtrömischen Bevölkerung noch mit dem eigentlichen Anlass, der Schlacht am Trasimenischen See, verbunden wurde, muss offen bleiben. Im Fall des Dies Alliensis wiederum dürfte eine grundlegende Kenntnis über den Hintergrund der Benennung dieses Tages und der Bestimmungen, die für ihn galten, schon eher allgemein bekannt gewesen sein – auch wenn dessen Einrichtung wohl überhaupt nicht dem Zweck einer Memoralisierung des Ereignisses gedient hatte. Insgesamt lässt sich, ohne den Ergebnissen der Einzeluntersuchung vorzugreifen, feststellen, dass öffentliche Rituale in Rom durchaus dazu beitrugen, die historische Erinnerung an einige militärische Niederlagen zu tradieren. Dennoch spielten – im doppelten Sinne – die römischen Triumphe in diesem Bereich der Geschichtskultur eine deutlich größere Rolle. Monumente Spätestens seit dem zweiten Jahrhundert scheint es sich bei der Stadt Rom auch um eine Erinnerungslandschaft gehandelt zu haben, in der eine heute nicht mehr eindeutig zu ermittelnde Anzahl von Tempeln, Fora und weiteren öffentlichen Bauten, Statuen, Bögen oder Grabanlagen, die zudem mit Inschriften versehen oder durch an ihnen angebrachte Beutestücke verziert sein konnten, an die Vergangenheit des römischen Volkes – besonders seiner vornehmsten Vertreter – erinnerte.152 Niederlagen scheinen in diesem Zusammenhang keine besondere Rolle gespielt zu haben,

149Vgl. Beck 2006, 216. Eine ebenso bemerkenswerte wie bezeichnende Ausnahme bildet eine Passage in der 14. Philippischen Rede, die Cicero am 21. April 43 im Senat hielt. In dieser forderte er die Errichtung eines öffentlichen Monuments zum Gedenken für die römischen Bürger, die ihr Leben in der Schlacht bei Forum Gallorum etwa eine Woche zuvor verloren hatten. Die Motivation Ciceros leuchtet sofort ein, da der gegnerische Feldherr in dieser Schlacht sein Feind M. Antonius gewesen war, den er durch diesen Vorschlag – ein weiteres Mal – als Feind des populus Romanus insgesamt darstellen wollte. Nebenbei lässt sich aus der Passage die Information entnehmen, dass ein solches Denkmal für die Gefallenen der großen Kriege der Vergangenheit nicht errichtet worden war (Cic. Phil. 14,33). Vgl. Cooley 2012, 65. 150In diesen Fällen scheint der historische Bezug für die meisten Teilnehmenden einigermaßen klar gewesen zu sein – auch wenn dieser vermutlich realhistorisch überhaupt nicht existierte, da die betreffenden Rituale andere Ursprünge hatten. Siehe hierzu ausführlich unten Abschn. 3.1.6. 151Ov. fast. 6,241–248. Vgl. Cooley 2012, 84. 152Siehe hierzu nur zuletzt (und jeweils mit weiteren Hinweisen) Hölkeskamp 2001/2004; 2012; Walter 2004a, 112–121; Bücher 2006, 129–131; Rea 2007; Muth 2014; Davies 2017. Vgl. zudem Diefenbach 2007; Behrwald 2009; Hartmann 2010, 514–539.

58

2  Methodische Vorbemerkungen

denn es ist kaum ein Monument bekannt, das sich explizit auf einen militärischen Misserfolg der Armeen der Republik bezogen hätte.153 Es wurde zudem bereits erwähnt, dass dem öffentlichen Gedenken an Kriegsgefallene in Rom offenbar nur wenig Raum gegeben wurde. Weder in Rom noch auf einem der betreffenden Schlachtfelder scheint es ein Monument zur Erinnerung an die Opfer der Soldaten gegeben zu haben, die dort im Namen der Republik gefallen waren.154 Einem Betrachter des Reiterstandbildes des Q. Fabius Maximus Verrucosus ‚Cunctator‘ auf dem Kapitol, das dieser dort nach der unter seinem Kommando erfolgten Eroberung von Tarent hatte errichten lassen, mag der Hintergrund der Niederlagen des Hannibalkrieges und der damit verbundenen Krise in den Sinn gekommen sein. Schließlich verdankte der Cunctator seinem wesentlichen Beitrag bei der Überwindung dieser Rückschläge ja erst seinen jahrhundertewährenden Nachruhm. Im Denkmal selbst wurde dieser historische Kontext jedoch – jedenfalls soweit dies erkennbar ist – nicht thematisiert.155 Dies trifft wohl auch auf die Tempel und Altäre zu, die im Zusammenhang mit einer bedrohlichen militärischen Situation gelobt worden waren. Eine Reihe von Orten in Rom und dem unmittelbaren Umland wurde indes anscheinend mit der Einnahme Roms durch die Kelten in Verbindung gebracht. Wie genau diese Zuschreibungen im Einzelfall aussahen, wie sie entstanden waren und wie bekannt sie waren, wird im Kapitel zur Repräsentation der ‚Gallischen Katastrophe‘ wieder aufgegriffen werden. Münzen Ab der Mitte des dritten Jahrhunderts darf für das von Rom weitgehend kontrollierte Italien eine recht weite Verbreitung von römischen Münzen verschiedener Typen angenommen werden.156 Besonders in der späten Republik nutzten Angehörige mehr oder weniger einflussreicher Familien die ihnen jahrweise übertragene Aufgabe des Münzmeisters auch dazu, um an die Taten ihrer Ahnen zu erinnern.157 Was bereits in Hinsicht auf öffentliche Rituale und Monumente geäußert wurde, gilt auch hier: Die Römer hatten offenbar keinen Bedarf an Münzen, deren Bilder sie an Niederlagen vergangener Feldzüge erinnert hätten. Im Rahmen des Themas der vorliegenden Arbeit sind indes gerade die Motive auf denjenigen Münzen interessant, die während der Kriege geprägt wurden, in denen sich Niederlagen größeren Ausmaßes ereignet hatten. Diese könnten nämlich die

153Für

die interessante Ausnahme der Statue des C. Hostilius Mancinus siehe unten Abschn. 3.2. Beck 2006, 216 („Bei Cannae gab es offenbar nicht einmal ein Denkmal für die gefallenen römischen Soldaten – hier zeigt sich ein elementarer Unterschied zur Memorialpraxis in der griechischen Welt: Die monumentalen Grabanlagen für die gefallenen Athener bei Marathon oder für die Thebaner bei Chaironeia sind lebendige Zeugen dieser unterschiedlichen Zugänge zur ­memorialen Bewältigung von Krisen und Katastrophen.“); Stoll 2016, 98. 155Zur Statute des Fabius siehe u. a. Walter 2004a, 141 f. 156Howgego 22011, 65 f. 157Siehe etwa Hölkeskamp 1996/2004, 174 f., 178 f.; 2001/2004, 151 f., 155 f., 160; Walter 2004a, 96, 102, 376, 382; Howgego 22011, 76–88. 154Vgl.

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

59

Möglichkeit eröffnen, einen Teilbereich des öffentlichen Umgangs mit militärischen Misserfolgen für eine Zeit zu rekonstruieren, aus der mitunter kaum literarische Quellen überliefert sind. Dies betrifft besonders die Zeit des Hannibalkrieges, die ja auch mit einem epochalen Umbruch in der Geschichte der römischen Münzprägung zusammenfiel. Eine Reihe von Motiven auf den Münzen dieser Jahre soll im entsprechenden Kapitel daher genauer betrachtet werden.158 Exempla Romana im öffentlichen und literarischen Diskurs Dass antike Rhetoren gerne und häufig auf historische Beispiele zurückgriffen, um ihre Argumentation zu untermauern, ist seit langem bekannt. Im Zusammenhang mit dem Komplex der römischen Geschichtskultur wurde das Phänomen der exempla gerade in den letzten Jahren intensiv untersucht, etwa in Hinsicht auf ihren Gebrauch bei einzelnen Autoren.159 In Bezug auf die historischen exempla, die in Reden zu finden sind, ist dabei wiederholt konstatiert worden, dass die Verwendung derartiger Beispiele anzeigt, dass der Redner aufseiten seines Publikums eine gewisse Kenntnis des historischen Kontextes vermutete und wohl auch vermuten durfte. Dies gelte insbesondere dann, wenn jener Zusammenhang durch den Redner nicht mitgeliefert worden war.160 Dem ist grundsätzlich sicher zuzustimmen. Wie genau es um jenes Vergangenheitswissen bei den betreffenden Zuhörern bestellt war, entzieht sich wiederum in den meisten Fällen unserer Kenntnis. Es ist sehr wahrscheinlich, dass etwa die Nennung eines bestimmten Namens einer historischen Person oder auch eines Ortes bei den Zuhörenden Assoziationen wecken konnte, die weit über das, was der Redner konkret mitgeteilt hatte, hinausgingen. Das Auslösen solcher Assoziationen wird oftmals gerade intendiert gewesen sein. In welche Richtung ein Redner sein Publikum dabei lotsen wollte, lässt sich – mit gebotener Vorsicht – oft auch noch aus dem Kontext der Rede heraus rekonstruieren. Weitaus weniger klar ist es, was genau die Vorstellungen beinhalteten, die durch ein exemplum bei den jeweiligen Rezipienten hervorgerufen wurden. Vermutlich wird man hierbei mit einem breiten Spektrum rechnen dürfen, was den Umfang und die historische Genauigkeit der jeweiligen Assoziationen betraf. Wenn zum Beispiel Cicero in einer Rede auf Hannibal verwies, dann dürfte den meisten Zuhörern wenigstens ungefähr bekannt gewesen sein, um wen es sich bei dem karthagischen Strategen gehandelt hatte.161 Wie lange genau der Zweite Punische

158Siehe

unten Abschn. 5.2.1.1. des großen Umfangs der Publikationen kann hier nur auf einige Werke eingegangen werden, die auch einen Zugang zur weiteren Forschung bieten. Siehe u. a. Bloomer 1992; Hölkeskamp 1996/2004; 2012; 2014; Weileder 1998; Chaplin 2000; Walter 2004a, 51–70; Bücher 2006; Piepenbrink 2012; Wiegand 2013, 147–183. Vgl. auch Sauer 1910; Schütz 1913. 159Angesichts

160So bereits Bücher 2006, 155–161 (dort u. a.: Exempla seien nicht von allein wirksam, sondern benötigten „den Hintergrund und das Umfeld einer allgemein geteilten Kenntnis, eines allgemein verbreiteten Verständnisses von Geschichte, das Reaktionen […] berechenbar macht.“); Hölkeskamp 1996/2004; 2014, 67. Vgl. zudem Gowing 2005, 49; Piepenbrink 2012, 116. 161Siehe zu diesem Beispiel unten Abschn. 5.2.3.1.

60

2  Methodische Vorbemerkungen

Krieg nun schon vergangen war oder wie sein strategischer Verlauf gewesen war, dürfte wiederum bei weitem nicht jedem geläufig gewesen sein – für eine Einordnung des exemplum waren solche Spezialkenntnisse aber oft auch gar nicht notwendig.162 Auch dem Redner selbst müssen die genauen Zusammenhänge und historischen Hintergründe eines Beispiels übrigens nicht unbedingt bis ins Detail hinein bekannt gewesen sein. Aus der Verwendung von exempla Romana in Reden vor Volk, Senat und Gerichtshöfen – das jeweils unterschiedliche Publikum sollte in diesem Zusammenhang ebenfalls berücksichtigt werden – direkt auf die historischen Kenntnisse breiter Schichten des Volkes zu schließen, birgt also Risiken. Nimmt man die exempla zum Maßstab, wird dieses Geschichtswissen wohl auch weniger in Form eines „chronologisch strukturierten Ereigniszusammenhanges“ präsent gewesen sein, sondern eher konzentriert „auf das Geschehen selbst, konkrete Ereignisse, eben einzelne Geschichten“.163 Eine weitere methodische Schwierigkeit besteht darin, dass in der Regel unklar ist, inwiefern eine Rede in dem überlieferten Wortlaut auch tatsächlich gehalten wurde. Zudem ist es auch möglich, dass erst bei der Überarbeitung zur Veröffentlichung weitere historische Beispiele eingefügt wurden. Im Einzelfall lässt sich diese Frage wohl kaum stets eindeutig klären. Generell darf allerdings durchaus damit gerechnet werden, dass gerade solche exempla, die wiederholt auftauchen, zu denen gehörten, die im Rhetorikunterricht der späten Republik und frühen Kaiserzeit vermittelt wurden.164 Dass diese dann auch tatsächlich im mündlichen Vortrag verwendet wurden, ist schließlich nicht abwegig, auch wenn sich im Einzelfall – wie gesagt – kein sicherer Beweis erbringen lässt. Neben dem umfangreichen Œuvre Ciceros, der also auch in dieser Hinsicht eine unserer wichtigsten Quellen darstellt,165 ist in diesem Zusammenhang

162Vgl.

Bücher 2006, 219. 1996/2004, 177 (Zitat). 164Vgl. Gowing 2005, 49. 165Möglicherweise beabsichtigte Cicero, sich selbst auch als Historiograf zu bestätigen, doch setzte er dieses Projekt nie in die Tat um. Siehe u. a. Cic. leg. 1,5–10 und vgl. Cic. Att. 2,12,3; 2,14,2; 14,14,5 sowie Plut. Cic. 41,1. Siehe hierzu von Albrecht 1994, 437 und nun die ­Einleitung zu den Testimonien zu Ciceros Commentarius sein Konsulat betreffend in FRHist von Andrew ­Drummond in FRHist I, 370–379. Seine Werke verraten gleichwohl ein recht umfangreiches historisches ­Wissen, wobei in dieser Hinsicht freilich eine Differenzierung angebracht ist (vgl. zum Folgenden Bücher 2006, 212 f.). So lässt sich Ciceros Werk, insbesondere in Hinsicht auf seine rhetorischen und philosophischen Schriften, grob in drei Schaffensperioden gliedern (von ­Albrecht 1994, 416 f.). Zur ersten gehört vor allem das Frühwerk De inventione, das sich auf die Jahre 81–80 datieren lässt. Die zweite Periode beginnt nach Ciceros Rückkehr aus dem Exil (i. J. 57) mit dem Dialog De oratore im Jahr 55 und die dritte im Jahr 46. Diese Phasen sind eng mit Ciceros politischer Biografie verbunden, da er in der Zeit im Exil sowie in den wenigen Jahren, in denen er unter der Herrschaft Caesars lebte, besonders produktiv arbeitete und im Zuge dessen durch intensive Studien seine eigenen Kenntnisse auf verschiedenen Gebieten vertiefte (vgl. aus einem Brief Ciceros an M. Terentius Varro, den er Ende 47/Anfang 46 schrieb (Cic. fam. 9,1,2): Scito enim me, postea quam in urbem venerim, redisse cum veteribus amicis, id est cum libris nostris, in gratiam. Siehe die Werkübersicht zu Ciceros rhetorischen und philosophischen Schriften bei von Albrecht 1994, 423–427). Die Beobachtungen von Albrechts spiegeln sich auch hinsichtlich 163Hölkeskamp

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

61

unter anderem auch das Werk des M. Fabius Quintilian anzuführen.166 Ein weiteres großes Textkorpus stellt die Exempla-Sammlung des Valerius Maximus bereit.167 Inwiefern die von Valerius gesammelten historischen Beispiele tatsächlich von Rednern verwendet wurden und ob das Werk primär überhaupt als eine Hilfestellung zur Erstellung eigener Reden gedacht war, ist – trotz der auf den ersten Blick in dieser Hinsicht eindeutigen Einleitung des Valerius – umstritten.168 So wurde in einigen Arbeiten zu der Annahme tendiert, dass Valerius eher beabsichtigt habe, „konkrete Fallbeispiele (zur Nachahmung oder als Orientierungshilfe) für alle Lebenslagen zur Verfügung zu stellen“.169 Die Unterteilung in exempla hätte lediglich der besseren Lesbarkeit gedient.170 Zu einem eindeutigen Ergebnis ist diese Forschungsdiskussion nicht gelangt.171 Letztlich scheint es durchaus denkbar, dass die Leser des Valerius die Sammlung tatsächlich auch zu mehreren Zwecken nutzten und nutzen sollten – also etwa als Steinbruch für die Auffindung von exempla Romana bei der Erstellung eigener Reden oder als Quelle für weitgehend entkontextualisiertes Bildungskapital.172 In jedem Fall

der Verwendung von Beispielen wider, die sich auf den Zweiten Punischen Krieg beziehen. Denn die Mehrzahl entsprechender Belege findet sich in Werken, die Cicero schrieb, als er seine Kenntnisse erweitern konnte, da ihm aufgrund der jeweiligen Umstände zwar weitere intensive politische Tätigkeiten vorerst verwehrt blieben, er aber gleichzeitig nun mehr Zeit für Studien aufbrachte (siehe Bücher 2006, 212 mit Anm. 142, der ein „Verhältnis von 1:2 zwischen ‚früher Schaffensperiode‘ und ‚mittlerer/später Periode‘“ feststellt. Siehe dazu auch die Übersicht in Bücher 2006, 207–210 und vgl. Sauer 1910 und Schütz 1913. Vgl. Cic. Tusc. 1,1 (verfasst in der zweiten Jahreshälfte 45), wo Cicero die Situation freilich insofern geschönt darstellt, indem er lediglich ausführt, seine früheren Pflichten hätten ihm keinen Raum zur ausführlichen Arbeit an philosophischen Schriften gelassen.). Hieraus folgt wiederum, dass man die Einblicke in Ciceros Kenntnisse über die römische Geschichte in Hinsicht auf das Geschichtswissen seiner Zeitgenossen nicht gene­ ralisieren sollte (Bücher 2006, 213. Vgl. bereits die Einschränkung von Schütz 1913, 6, der vorsichtig formuliert, dass man aus einer Zusammenstellung der von Cicero genannten historischen Daten „einen Einblick […] in die Kenntnisse, die die römische Republik oder wenigstens einer ihrer feingebildetsten Vertreter vor Livius von der Geschichte hatten, oder die ihre Historiker ihr boten“, gewinnen könne.). Denn auch wenn Cicero kein Historiker im engeren Sinne war, waren seine historischen Kenntnisse im Vergleich zu den meisten anderen Römern, auch vielen anderen Senatoren, gewiss überdurchschnittlich (vgl. wiederum bereits Schütz 1913, 141 f.). 166Siehe

hierzu von Albrecht 1994, 995–1003; Fernández López 2007. Valerius Maximus und seiner Sammlung siehe u. a. Bloomer 1992; von Albrecht 1994, 852–859; Skidmore 1996; Wardle 1998, 1–25; Weileder 1998; Mueller 2002; Gowing 2005, 49–62; Krasser 2011; Langlands 2011; Wiegand 2013, 147–183; Rüpke 2016. 168Val. Max. 1,praef. 169Wiegand 2013, 152. 170Skidmore 1996, 73. 171Vgl. den Überblick bei Wiegand 2013, 150–159. 172So die Ansicht von u. a. Wiegand 2013, 155 f. die zu Recht annimmt, dass Valerius mit seinem Werk durchaus unterschiedliche Intentionen verfolgt haben könnte: „Vielmehr ist eine Überlagerung beider Interessen, der Verfügbarmachung von exempla für den (evt. angehenden) Rhetor einerseits und (landeskundlich orientierter) Moraldidaxe andererseits nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich.“. Vgl. ähnlich bereits Wardle 1998, 14 f. und siehe auch Langlands 2011, 102. 167Zu

62

2  Methodische Vorbemerkungen

bietet sie Hinweise darauf, welche historischen Stoffe bei einem gebildeten Publikum in der frühen Kaiserzeit mehr oder weniger präsent sein konnten. Dass sicher längst nicht jeder Rezipient in der Lage war, den passenden Kontext, aus dem ein exemplum stammte, sachlich richtig herzustellen, steht wiederum außer Frage. Der Einsatz historischer exempla begegnet indes nicht nur in Reden, Lehrschriften oder Sammlungen, sondern auch – und dies in beträchtlichem Umgang – in historiografischen Werken, die überdies für viele der in dieser Arbeit behandelten Ereignisse die Hauptquellen darstellen. Historiografie Die wichtigste Quellengattung zur Rekonstruktion des Verlaufs von Kriegen, Feldzügen und einzelnen Gefechten bildet die antike Historiografie, der eine gewisse Schwerpunktsetzung auf das Thema des Krieges allgemein nur schwer abgesprochen werden kann. Tatsächlich scheinen große Kriege sowohl in Griechenland als auch in Rom impulsgebend für die Anfänge der Geschichtsschreibung gewirkt zu haben.173 Es ist daher nicht überraschend, dass historiografische Werke auch in Hinsicht auf die römischen Niederlagen in vielen Fällen eine Fülle von Informationen bieten. Diese mögen aus der Perspektive eines Forschungsinteresses, dem es vor allem um die Rekonstruktion historisch-authentischer Vergangenheit(en) geht, oftmals als unzuverlässig und teilweise auch als wertlos erscheinen.174 Ausgehend von der Frage, welche Erklärungen in der römischen Geschichtskultur für militärische Niederlagen präsentiert werden bzw. in welche Deutungszusammenhänge und Narrative Niederlagen und ihre Bewältigung gestellt werden, stellt die Geschichtsschreibung, darunter auch jene Werke und Werkabschnitte, die aus historisch-kritischer Hinsicht zu vernachlässigen sind, wiederum reichhaltiges Anschauungsmaterial bereit, das in den folgenden Kapiteln eingehend untersucht werden wird.175 Sowohl die Entwicklung der römischen Geschichtsschreibung als auch ihr Ort in der römischen Geschichtskultur sind in der Forschung wiederholt intensiv untersucht und diskutiert worden. Es ist daher an dieser Stelle nicht notwendig, beide Themenkomplexe erneut ausführlich zu behandeln.176 Um eine Basis für die folgenden Kapitel zu legen, erscheint es

173Vgl.

Beck/Walter ²2005, 58–60; Walter 2004a, 233; Beck 2007, 259. etwa Walter 2004b, 424 und – in Bezug auf historiografische Berichte über das frühe Rom – Wiseman 2008, 15–18. 175Siehe zu diesem Zugriff auf die antike Geschichtsschreibung u. a. Mutschler 2000, 99–101; Walter 2001; 2004a, 212–220; Beck 2003, bes. 87–92; Beck/Walter 2004, 7; Pina Polo 2004, 151; Pausch 2011, 22–24. Vgl. Erll 2004, 4–6; 2005, 45. 176Zur Entwicklung der römischen Historiografie, insbesondere von ihren Anfängen bis in die augusteische Zeit, siehe (jeweils mit weiteren Hinweisen auf Quellen und die ältere Forschung) u. a. Wiseman 1989; 2007; Oakley 1997, 21–108; Flach 31998, 56–158; Beck/Walter 22005, 17–50; Kierdorf 2002; 2003; Walter 2004a, 212–356; Beck 2007; Näf 2010. Siehe zudem die ­Beiträge in Eigler/Gotter/Luraghi/Walter (Hgg.) 2003; Timpe (Hg.) 2007 sowie die Einführungen zu den einzelnen Autoren in FRHist I. Als Textgrundlage für die Fragmente der römischen ­Historiker vor Livius dient nun die Edition, die unter der Ägide von T. Cornell in der Oxford ­University Press (FRHist) erschienen ist. 174Vgl.

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

63

indes sinnvoll, zunächst einen Überblick über die Autoren zu geben, deren Werke für die vorliegende Arbeit besonders relevant sind, und anschließend auf einige Eigenschaften des Mediums der Geschichtsschreibung hinzuweisen, die auch bei der Beschäftigung mit historiografischen Darstellungen römischer Niederlagen zu bedenken sind. Die römische Historiografie begann bekanntlich mit dem Werk des Q. Fabius Pictor. Die genaue Datierung seiner Schrift ist in der Forschung umstritten. In jedem Fall ist jedoch klar, dass Pictor sowohl den ersten als auch den zweiten römisch-karthagischen Krieg miterlebt hat, sein Werk über die Geschichte der Stadt Rom von ihren Anfängen bis in die Gegenwart des Autors also eine sehr frühe Schicht der Überlieferung und auch der medialen Repräsentation von römischen Niederlagen aus der Feder eines Autors bot, der einige jener Niederlagen möglicherweise sogar selbst miterlebt hat. Auch die frühen Niederlagen gegen Kelten und Samniten werden in irgendeiner Form bereits bei Pictor behandelt worden sein.177 Ähnliches gilt für die Geschichtswerke des L. Cincius Alimentus und des M. Porcius Cato.178 In deutlichem chronologischem Abstand folgen darauf Autoren wie C. Acilius, L. Cassius Hemina, L. Capurnius Piso Frugi und Vertreter der ‚jüngeren Annalistik‘, wie Q. Claudius Quadrigarius oder Valerius Antias.179

177Zu Q. Fabius Pictor vgl. Gelzer 1933; Zimmermann 1933; Lippold 1963, 13–27; Badian 1966, 2–6; Timpe 1972; Frier 1979/1999, 230 f., 233–253; Momigliano 1990, 88–108; Seibert 1993b, 15 f.; Oakley 1997, 22–23; Flach 31998, 61–67; Kierdorf 2002, 400–411; Beck 2003; 2007, 259 f.; Walter 2004a, 229–255; Beck/Walter 22005, 55–61; Mineo 2011, 111–113; Biesinger 2016, 40–52. 178Zu L. Cincius Alimentus u. a. Badian 1966, 6 f.; Seibert 1993b, 16 f.; Flach 31998, 67 f.; Kierdorf 2002, 411 f.; Walter 2004a, 255–258; Beck/Walter 22005, 137 f. Zu den Origines des M. Porcius Cato siehe u. a. Badian 1966, 7–11; Gruen 1992, 52–83; Seibert 1993b, 18 f.; ­Walter 2004a, 279–296; Beck/Walter 22005, 148–154; Mineo 2011, 115 f. Die zeitgenössischen Berichte, die auf karthagischer Seite entstanden waren und daher besonders hinsichtlich der Niederlagen Roms gegen Karthago aufschlussreich wären sind ebenfalls nicht erhalten. In der Regel liegen hier nicht einmal Fragmente vor. Siehe jeweils die kurze Übersicht bei Seibert 1993b, 11–14 und ferner Meister 1975, 150–154. Nur dem Namen nach bekannt sind: ­Chaireas (FGrHist 177), Eumachos aus Neapel (FGrHist 178) und ein gewisser Xenophon (FGrHist 179). Pol. 3,6,1 f. kritisiert ‚Hannibalhistoriker‘, deren Werke ihm offenbar vorlagen, für ihre mangelnde Sorgfalt bzw. ihre methodische Inkompetenz bei der Erforschung der Ursachen des Krieges. Vgl. zur Stelle Walbank 1957, 305. Nachweislich auf seinem Feldzug begleitet haben Hannibal Silenos von Kaleakte (FGrHist 175) und Sosylos (FGrHist 176) aus Sparta, deren Berichte in wenigen Fragmenten erhalten sind. Vgl. hierzu u. a. Dessau 1916, 364–371; ­Cornelius 1932, 81–83; Meister 1975, 155–159; Seibert 1993b, 12f.; Stocks 2014, 13–15. 179Zu C. Acilius siehe: von Albrecht 1994, 302 f.; Beck/Walter 22005, 232 f.; zu L. Cassius Hemina: Forsythe 1990; von Albrecht 1994, 304 f.; Beck/Walter 22005, 242–245; zu L. ­Calpurnius Piso Frugi: von Albrecht 1994, 305; Flach 31998, 74–79; Beck/Walter 22005, 282–285. Das Geschichtswerk des Q. Claudius Quadrigarius, das in den antiken Zeugnissen meist Anna­ les genannt wird, entstand vermutlich in der Zeit vom Ende des Bürgerkrieges zwischen den Anhängern des C. Marius und des L. Cornelius Sulla und dem Ende der fünfziger Jahre des ersten Jahrhunderts. Siehe von Albrecht 1994, 310; Beck/Walter 2004, 109–111; Briscoe 2013b, 288 f. Zu Valerius Antias: von Albrecht 1994, 310 f.; Beck/Walter 2004, 168–171.

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2  Methodische Vorbemerkungen

Es liegt nahe, dass im Rahmen der vorliegenden Arbeit besonders die Monografie des L. Coelius Antipater über den Zweiten Punischen Krieg von besonderem Interesse ist.180 Dies gilt ebenfalls für die Hannibal-Biografie aus der Feder des Cornelius Nepos, auch wenn es sich hierbei der Gattung nach um kein historiografisches Werk handelt.181

180Zu

L. Coelius Antipater: Herrmann 1979; von Albrecht 1994, 307 f.; Flach 31998, 80–82; Beck/Walter 2004, 35–39 (mit weiterer Literatur); Beck 2007, 264. 181Cornelius Nepos gehörte der gleichen Generation wie Cicero an und war offenbar auch mit diesem sowie mit T. Pomponius Atticus befreundet (Gell. 15,28,1 (Freundschaft zu Cicero). Sueton war offenbar ein Briefwechsel zwischen Nepos und Cicero bekannt (Suet. Iul. 55,1). Vgl. zu den biografischen Angaben U. Eigler, DNP 8 (2000) 839 f., s. v. Cornelius Nepos, sowie von Albrecht 1994, 381 (mit weiteren Nachweisen). Wie Atticus betätigte er sich, soweit erkennbar, in keinem politischen Amt, legte aber ein durchaus umfangreiches literarisches Œuvre vor. Zu diesem gehörten verschiedene Gedichte, eine Chronik in drei Bänden und eine fünfbändige Sammlung von exempla der griechischen und römischen Geschichte. Das Buch über die Feldherren entstammt dem Hauptwerk, der 16 Bände umfassenden Sammlung De viris illustribus. Siehe für Belege von Albrecht 1994, 382; Anselm 2004, 32 f. Von diesem ist wiederum nur ein relativ geringer Anteil erhalten. Hierzu gehört ein Buch über berühmte ausländische Feldherren (de excellentibus ducibus exterarum gentium), das wohl Teil einer umfangreicheren Sammlung von Biografien war. Dieses Feldherrenbuch enthält auch eine Biografie des Hannibal (Die Fragen zu verschiedenen Ausgaben, zur Datierung einzelner Bücher und zu Gestalt und Inhalt verlorener Werkteile, die in der literaturwissenschaftlich-philologischen Forschung umfangreich diskutiert wurden, müssen an dieser Stelle größtenteils nicht weiter verfolgt werden. Siehe hierfür etwa Anselm 2004, 24–66 für eine detaillierte Auseinandersetzung mit früheren Beiträgen. Dort (36– 43) finden sich auch gute Argumente dafür, an der Annahme festzuhalten, dass Nepos tatsächlich als der Autor des Feldherrenbuches anzusehen ist. Hiervon wird auch in der vorliegenden Arbeit ausgegangen. Zur Forschungsgeschichte siehe, jeweils mit weiteren Hinweisen, u. a. ­Geiger 1985; Havas 1985; Dionisotti 1988, 36 f.; Anselm 2004, 24 f.; Beneker 2009; Pryzwansky 2009; Stem 2012). Unter anderem wurde die Komposition des Stoffes innerhalb der jeweiligen Biografie detailliert untersucht (vgl. hierzu Anselm 2004, 47–66). So konnte in einigen neueren Arbeiten gezeigt werden, dass es Nepos anscheinend darum ging, vor dem Hintergrund seiner eigenen Zeiterfahrung der späten Republik, anhaltender Bürgerkriege vor und nach der Diktatur Caesars, Beispiele für moralisch wertvolles Verhalten zu liefern, die seiner Ansicht nach auch bei nichtrömischen Feldherren gefunden werden konnten. Diese Intention spiegelt sich auch in den recht häufigen „auktorialen Kommentaren“ wider, die die Darstellung bei zahlreichen Gelegenheiten unterbrechen, um etwa Hinweise auf allgemeingültige Werte zu geben, die über die konkret geschilderte historische Situation hinaus von Bedeutung seien. Siehe in diesem Sinne Anselm 2004, 55 f., 171 (Zitat) und die detaillierte Untersuchung von Stem 2012, 128–229 und 234. Als Adressatenkreis, der Nepos vor Augen gestanden haben mag, sei hierbei an die politische Klasse des römischen Italien in einem weiten Sinne zu denken. So überzeugend Stem 2012, 230–237, dort bes. 234: „The brevity and overt moralizing of Nepos‘ political biography are thus the very things that make possible its appeal to a wide audience – a more middlebrow audience, admittedly, one that could realistically include the entire breadth of the Roman political class“. Anselm 2004, 175–182 nimmt an, dass Nepos sich seinen Freund Atticus als idealen Leser der Biografien vorstellte. Dies mag auf die „Moral- und Wertvorstellungen“ (ebd., 176) zutreffen, die Nepos bei seinen Lesern vermutlich erwecken wollte bzw. von denen er hoffte, dass sie diese schon besäßen. In Hinsicht auf Vorbildung und Kenntnis umfassender Zusammenhänge musste Nepos allerdings wohl nicht auf einen Leser vom Bildungsgrad eines Atticus oder Cicero hoffen. Die exempla waren in der Art und Weise, in der Nepos sie präsentiert, auch ohne umfassendes historisches Vorwissen verständlich (vgl. Stem 2012, 232 mit Anm. 5).

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

65

Erst die erhaltenen Bücher der Gesamtgeschichte des T. Livius bieten jedoch eine umfassende Überlieferung sowohl zu den römischen Niederlagen in Kriegen gegen Kelten und Samniten in Italien als auch zu den Niederlagen gegen die Karthager im Zweiten Punischen Krieg.182 Die jeweiligen Besonderheiten und Herausforderungen, die sich in der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Werkteilen stellen, werden an gegebener Stelle in den Kapiteln des Hauptteils diskutiert.183 Die erhaltenen Passagen aus den Historien des Polybios gelten zu Recht als eine der wichtigsten Quellen für die ersten beiden Punischen Kriege.184 Im Zuge der Auswertung der Spuren von Repräsentationen und Deutungen römischer Niederlagen in der römischen Geschichtskultur sollen Polybios‘ Ausführungen im Folgenden indes lediglich eine nachgeordnete Rolle spielen. Zwar ließen sich Gründe dafür anführen, Polybios‘ Historien als einen Teil (auch) der römischen Geschichtskultur zu begreifen, doch blieben Autor und Werk auf der anderen Seite in der römischen Kultur eben doch stets Außenseiter. Um der Untersuchung eine größere Kohärenz zu verleihen, wird im Folgenden daher darauf verzichtet, die Deutungen der römischen Niederlagen bei dem Griechen Polybios systematisch zu untersuchen.185 Die römische Historiografie bildete einen „wesentlichen Bestandteil der ­römischen Erinnerungskultur“ und wurde als solcher in einer Reihe von Beiträgen in der jüngeren Forschung wahrgenommen, analysiert und diskutiert.186 Im Zuge dessen sind auch die unterschiedlichen Eigenschafen und Besonderheiten dieses

182Die Menge der Forschungsbeiträge zu Livius ist insgesamt kaum zu überblicken. Zu verschiedenen Werkteilen liegen jedoch umfangreiche historische Kommentare vor, die dabei helfen, das Werk zu erschließen. Siehe vor allem Ogilvie 1965 (zu den ersten fünf Büchern) und Oakley 1997–2005 (zur zweiten Pentade). Ein ähnliches Werk zur dritten Dekade stellt bislang noch ein Desiderat dar (was bereits u. a. Lippold 1963, 68 bedauernd vermerkt). Allerdings liegt mit der sorgfältigen Arbeit von Händl-Sagawe 1995 ein historischer Kommentar für Buch 21 vor. Für die folgenden Abschnitte ist nach wie vor der Kommentar von Weißenborn/Müller eine gute Hilfe. Einen Forschungsüberblick bieten zudem etwa Pausch 2011, 3–12 und die Beiträge in Mineo (Hg.) 2015. 183Siehe unten jeweils Abschn. 3.1.5, Abschn. 4.3 und Abschn. 5.2.5.1. 184Vgl. Champion 2011, 95. Eine unverzichtbare Hilfe bei der Erschließung von Polybios‘ Werk bilden nach wie vor die drei Bände des historischen Kommentars von Walbank 1957–1979, der auch eine umfassende Auseinandersetzung mit der älteren Literatur bietet. Siehe außerdem u. a. Lippold 1963, 3–7; Irmscher 1989, 308–310; Schepens 1989, hier bes. 322–324; Seibert 1993b, 24–29; Eckstein 1995; Flach 31998, 52–54; Goldsworthy 2000, 20 f.; Champion 2004a; 2004b; 2011 und Dreyer 2011 mit einem umfangreichen Verzeichnis der Forschungen der letzten Jahrzehnte (156–169). 185Da die Historien jedoch Darstellungen und Deutungen der römischen Niederlagen bieten, die gerade aufgrund ihrer Unterschiede zu römischen Quellen, interessante Perspektiven aufwerfen, ist geplant, diese in einem eigenen Beitrag zu erörtern. 186Walter 2004a, 220 (Zitat). Siehe hierzu u. a. Mutschler 2000, 99–101; Walter 2001; 2004a, 212–220; Beck 2003, bes. 87–92; Beck/Walter 2004, 7; Pina Polo 2004, 151; Pausch 2011, 22–24. Vgl. Erll 2004, 4–6; 2005, 45. Vgl. außerdem Gehrke 2014, 43.

66

2  Methodische Vorbemerkungen

Mediums herausgearbeitet worden. Für die Historiografie der Epoche der r­ ömischen Republik haben dies, neben anderen, vor allem Hans Beck, Uwe Walter und Fritz-Heiner Mutschler getan, sodass dies an dieser Stelle nicht erneut in umfangreicher Form notwendig erscheint.187 Daher sollen hier einige grundlegende Anmerkungen und Hinweise genügen, die in den folgenden Kapiteln anhand konkreter Einzelfälle vertieft aufgegriffen werden sollen. Eine im Vergleich zu anderen Medien der römischen Geschichtskultur vielleicht besonders auffällige Eigenschaft der Historiografie besteht in ihrer Fähigkeit zur Kontextualisierung, zur Einbindung einzelner Ereignisse und Geschichten in ein Ganzes, durch das jene Kurzerzählungen erst zur Geschichte werden.188 Wie schwer eine solche Kontextualisierung ohne die Hilfe der Historiografie fällt, weiß nicht zuletzt der moderne Forschende, wenn er oder sie den Blick solchen Epochen zuwendet, für die eine entsprechende – und zuverlässige – Form der Überlieferung nicht vorliegt. Nicht nur im Fall der römischen Geschichte werden zahlreiche einzelne Kurzerzählungen und Erzählkreise erst durch die Aufnahme in ein historiografisches Werk überhaupt in eine relative chronologische Ordnung gebracht worden sein bzw. sich mehr oder weniger gelehrten Versuchen einer absoluten Datierung ausgesetzt gesehen haben.189 Gerade in Hinsicht auf die frühe Geschichte Roms sorgten derartige Unterfangen bei den Autoren der mittleren und späten Republik bekanntlich für nicht geringe Schwierigkeiten, wenn sie sich der Aufgabe gegenüber gestellt sahen, Ereignisse und Personen der (myth-)historischen Vergangenheit in ein zeitliches Nacheinander zu bringen, das noch dazu auch noch mit Daten aus der Geschichte der griechischen Welt abgeglichen werde musste.190 Eng verbunden mit der Möglichkeit zur Kontextualisierung sind die Optionen zur Bildung weitausgreifender Narrative, die Berichte von einzelnen Ereignissen nicht nur ordnen und sondern ihnen auch eine übergreifende Bedeutung zuweisen.191 Der bekanntlich äußerst fragmentarische Zustand nahezu der gesamten römischen Historiografie vor Livius erlaubt für diese Werke leider keine Analyse darüber,

187Mutschler

2000, 99–101; Beck/Walter 22005, 47–50; Beck 2003, bes. 87–92; Walter 2001; 2004a, 212–220. 188Zu diesem Aspekt siehe Beck/Walter 22005, 48; Walter 2004a, 214–216. Vgl. Biesinger 2016, 52–58. 189Walter

2004a, 215. 2004a, 215. Vgl. Wiseman 2007. 191Siehe hierzu etwa Mutschler 2000, 101; Beck 2003, 88 f. („Die von Fabius Pictor aus ganz verschiedenen Gedächtnisbeständen konstituierte Gesamtgeschichte Roms war gerade keine bloße Addition […] zersplitterter Episoden und Streiflichter, sondern sie war die Geschichte eines Kollektivs. Pictors res gestae waren die Geschichte des Senats und Volkes von Rom, kurz: die Geschichte der res publica. […] In gewisser Hinsicht wurde die Thematisierung der Nobilität in Form eines (relativ) einheitlichen Diskurses durch die Geschichtsschreibung überhaupt erst möglich.“ Vgl. Walter 2004a, 214–219. 190Walter

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

67

ob und inwiefern die Niederlagen Roms in derartige Narrative eingebunden wurden, wenngleich es möglich ist, hierzu einige Vermutungen anzustellen.192 Aus der Perspektive der Rezipienten ist zudem hervorzuheben, dass die Historiografie, wie andere Texte ebenfalls, „gegenüber Ort, Monument und Ritus im Vorteil“ war, weil sie – wenigstens in der Theorie – „an jedem Ort und zu jeder Zeit rezipiert werden konnte und somit auch außerhalb des politischen und kulturellen Zentrums ein größeres Publikum zu erreichen vermochte“.193 Dies könnte gerade in der späten Republik und der frühen Kaiserzeit eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben, als die etablierte Senatsaristokratie des zweiten Jahrhunderts in zunehmendem Maße nach Partizipation und Einfluss strebte und im Zuge dessen vermutlich auch für eine Vergrößerung des – einst wohl sehr begrenzten – (Lese-)Publikums der römischen Geschichtswerke sorgte.194 Unter Umständen konnte die Historiografie auch einer Tendenz zur Kanonisierung bestimmter Inhalte und bzw. oder der spezifischen Form der Darstellung und Präsentation Vorschub leisten.195 Doch auch die lückenhafte, antike Überlieferung lässt noch erkennen, dass eine solche Kanonisierung in Rom offenbar niemals gänzlich erreicht wurde.196 Mit Blick auf die Rezipienten lässt sich allerdings ebenfalls nicht übersehen, dass der Kreis der von den Werken der Historiografie direkt Erreichten notwendigerweise relativ begrenzt blieb und bleiben musste, wenn man dies mit der ‚Breitenwirkung‘ anderer Medien vergleicht.197 Die ökonomischen und soziokulturellen Bedingungen, unter denen der große Teil der italischen und ­römischen Bevölkerung lebte, werden vielen Menschen kaum Zeit und Muße gelassen haben, sich mit Geschichtswerken intensiv auseinanderzusetzen. Dies blieb

192Vgl.

zuletzt K.-J. Hölkeskamp, Rez. FRHist, in: HZ 303 (2016), 137–147, hier bes. 138. 2004a, 213. Siehe bereits Timpe 1988, 274; Heil 2003, 5. 194Siehe hierzu etwa Zimmermann 1933, 255; Flower 2011, 41; Pausch 2011, 38–45. Zur früheren Situation siehe etwa Mutschler 2000, 101 Anm. 57, der anmerkt, dass „kein Zweifel bestehen“ könne, „daß als die ursprünglichsten Rezipienten früher Epik und Geschichtsschreibung in Rom in allererster Linie die Mitglieder der Senatsaristokratie und der ökonomisch ähnlich gut gestellten Schicht unmittelbar unterhalb derselben in Betracht kommen. Dies gilt auch, wenn man annimmt, daß die epischen Texte schon bald zu Unterrichtszwecken benutzt wurden, da eine (auch) literarische Lektüre umfassende Erziehung gewiß in den Familien der Oberschicht eingesetzt und erst später den Weg in die öffentlichen Schulen gefunden haben wird“. Vgl. hierzu auch Hartmann 2010, 20 und – für die Situation im Mittelalter – ferner Wickham/Fentress 1992, 146. 193Walter

195Vgl.

Walter 2004a, 215; Levene 2010, 34 f. gilt auch für die große Geschichte des Livius, wie sich etwa an einer Bemerkung Suetons ablesen lässt, der von einer Version um das Schicksal des Goldes zu berichten weiß, das nach der Belagerung des Kapitols an die Gallier gezahlt wurde, die sich nicht mit der im fünften Buch von Ab Urbe Condita gebotenen Variante in Übereinstimmung bringen lässt (Suet. Tib. 3,2). 197Eine grundlegende Erforschung des Publikums sowie der ‚Breitenwirkung‘ antiker Geschichtsschreibung allgemein ist in der Forschung wiederholt als wichtiges Desiderat bezeichnet worden (Momigliano 1978/1998; Beck/Walter 22005, 48, Anm. 81). 196Das

68

2  Methodische Vorbemerkungen

weitgehend einer sozialen und ökonomischen Elite vorbehalten.198 In diesem Zusammenhang ist ebenfalls auf die wohl eher begrenzte Verfügbarkeit und den zunehmend beträchtlichen Umfang dieser Schriften hinzuweisen.199 Wenigstens für die Verfasser der ersten Vertreter der Gattung in Rom ist zudem unzweifelhaft, dass sie der (erweiterten) senatorischen Führungsschicht angehörten, ihre Perspektive daher auch in der Regel die jener Gruppe war.200 Diese Befunde haben dazu beigetragen, dass die römische Historiografie von einigen Forschern hinsichtlich ihrer Bedeutung für die römische Geschichtskultur insgesamt als eher marginal bewertet wurde.201 Diese Sichtweise wurde zwar mit bedenkenswerten Gründen relativiert, wobei nicht zuletzt die bereits genannten Besonderheiten der Historiografie angeführt wurden.202 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die in der Geschichtsschreibung gebotenen Erklärungen, Deutungen und Diskurse nicht umstandslos auf die gesamte Geschichtskultur übertragen werden können.203 Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass die Historiografie einen Teil der römischen Geschichtskultur bildete, dem aufgrund der genannten Eigenheiten der Gattung einerseits eine besondere Bedeutung zugesprochen werden kann, insbesondere was die Möglichkeiten zur Kontextualisierung, zu dem Entwurf von Narrativen und einer Chronologie und damit zur Einbettung einzelner Ereignisse in weite „Sinnhorizonte“ angeht.204 Andererseits blieb der Kreis der direkten Rezipienten über die gesamte Dauer der römischen Geschichte hinweg recht begrenzt, auch wenn es gegen Ende der Republik zu einer signifikanten Erweiterung des Leserkreises kam.205 Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang indes die Möglichkeit, dass Deutungen und Narrative, die im Medium der Historiografie kreiert worden waren, durch die Vermittlung von Produzenten und Rezipienten dieser Gattung auch an solche Mitglieder der Gesellschaft weitergegeben wurden, die selbst nicht willens oder in der Lage waren

198Blösel 2003, 69; Morley 2004, 61 („Given the limitations of a pre-industrial economy, few Greeks or Romans could take food for granted; it is at least plausible that for most of them it was more important, both physically and culturally, than politics or war.“); Bücher 2006, 138–140; Hartmann 2010, 20; Näf 2010, 206–209; Flower 2011, 41. Vgl. Beck/Wiemer 2009, 9. 199Heil 2003, 7–10. 200Siehe u. a. Walter 2001; 2004a, 229 f.; Beck 2003; Pina Polo 2004; Flower 2011, 40 f. 201Hölscher 2001, 188 (Geschichtsschreibung stelle „einen späten, komplexen Seitenzweig des geschichtliches Gedächtnisses von geringerer Öffentlichkeit, Monumentalität und Verbindlichkeit“ dar). 202Siehe bes. Walter 2001; 2004a, 212–220; Beck/Walter 22005, 47–50. Vgl. zudem bereits Mutschler 2000, 99–105. 203Vgl. u. a. Pausch 2011, 23 f. 204Vgl. in Bezug auf die livianische Darstellung des M. Furius Camillus Walter 2004a, 404 („Ebenfalls allein in einem literarischen Erinnerungsmedium von solcher Spannweite möglich war die Einbindung des Camillus in die ganz weiten Sinnhorizonte.“). Siehe hierzu ausführlich unten Abschn. 3.1.5. 205Siehe hierzu Pausch 2011, 38–45 mit zahlreichen weiteren Hinweisen.

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

69

Geschichtswerke zu lesen. Dabei ist nicht nur an das erweiterte Publikum der in diesem Zusammenhang in der Forschungsdiskussion oft genannten öffentlichen Lesungen einzelner Werke zu denken, dessen Angehörige ihren Familienmitgliedern, Freunden und sonstigen Bekannten ohne Weiteres von dem Gehörten berichtet haben können. Auch die Vermittlung in Form von historischen exempla durch belesene Individuen wie Cicero, der ja offenbar selbst Geschichtswerke studierte, ist in diesem Zusammenhang zu bedenken.206 Auf diesem Weg konnten gewiss auch Informationen, die über die reine Kenntnis von einzelnen Protagonisten der römischen Vergangenheit hinausgingen, vermittelt werden. Eindeutige Zeugnisse liegen hierzu zwar nicht vor, doch es ist gut vorstellbar, dass etwa das von „Fundamentalkritik an der Moral und der politischen Kultur seiner Zeit“ bestimmte Narrativ, das Sallusts Schriften bestimmt, in einfachen Pinselstrichen auch einem Publikum vermittelt werden konnte, das diese Werke aus eigener Anschauung nicht kannte.207 Poesie Vieles von dem, was auf den vorangegangen Seiten hinsichtlich der Einbettung der Historiografie in die römische Geschichtskultur konstatiert werden konnte, ließe sich auch in Bezug auf das römische Epos anführen.208 Auch dieses stellt einen Rahmen bereit, der die Einbindung von einzelnen Protagonisten, Motiven und Erzählkreisen in narrative Zusammenhänge und Horizonte ermöglicht, der dem mündlichen Vortrag wohl eher vorenthalten blieb.209 Aufgrund der Tradition der Gattung eigneten sich Epen prinzipiell auch in der lateinischen Literatur in hervorragender Weise dazu, das Thema des Krieges aufzugreifen. Bereits die Auswahl der Themen, die römische Dichter dabei als würdig erachteten, in der Tradition des homerischen Vorbildes geschildert zu werden, besitzt eine gewisse Aussagekraft.210 Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit ist dabei erwähnens-

206Cicero war ohne jeden Zweifel ein in hohem Maße belesener Senator. Umfang und Auswahl seiner historiografischen Lektüre lassen sich zwar nicht im Detail ermitteln, doch können einige Schlüsse hinsichtlich seiner Arbeit als Historiker gezogen werden. Siehe u. a. Fleck 1993; Walter 2004a, 361–373; Bücher 2006, 141–147. 207Walter 2004a, 217 (Zitat). Siehe allgemein zur Wirkung der Schriftkultur auch in wenig alphabetisierten Gesellschaften Assmann 62007, 266. 208Siehe allgemein von Albrecht 1994, 64–75, sowie die Hinweise in den folgenden Anmerkungen. 209Vgl. Mutschler 2000, 99–105 (u. a. 101 in Bezug auf das historische Epos in Rom: „Erst die historische Großerzählung [gemeint sind Geschichtsschreibung und Epos, Anm. S. L.] konnte römische Geschichte als ein einheitliches und gleichwohl strukturiertes Ganzes schaffen, indem sie die Geschichten, die, an unterschiedliche Formen der Erinnerung geknüpft, in Umlauf waren, zusammenfaßte, unter durchgehende Gesichtspunkte stellte und ihnen narrative Kohärenz verlieh. Das Ganze war auch hier mehr als die Summe seiner Teile.“). 210Vgl. von Albrecht 1994, 72 f.

70

2  Methodische Vorbemerkungen

wert, dass sowohl eines der frühesten lateinischen Epen, das Bellum Punicum des Cn. Naevius,211 als auch das umfangreichste überlieferte Werk dieser Gattung in lateinischer Sprache, die Punica des Silius Italicus, von Kriegen handeln, in denen die römischen Heere eine hohe Anzahl von Schlachten verloren und Rom in nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten geriet.212 Neben diesen beiden Epen sind in einer Arbeit, die sich mit der Repräsentation von Ereignissen der römischen Geschichte in der römischen Geschichtskultur auseinandersetzt, zudem zwei hinsichtlich ihrer Wirkung auf „Geschichtsbild und historische Orientierung“ außerordentlich einflussreiche Werke selbstverständlich ebenfalls zu berücksichtigen – die nur fragmentarisch erhaltenen Annales des Q. Ennius und Vergils Aeneis.213 Mit Blick auf die Werke der Dichter der augusteischen Epoche mag

211Cn.

Naevius, der offenbar aus Kampanien stammte, nahm am Ersten Punischen Krieg aufseiten der Römer und ihrer italischen Verbündeten teil und verfasste vermutlich während des zweiten Krieges das Bellum Punicum, das den Ersten Punischen Krieg zum Inhalt hatte. Zu Cn. Naevius siehe u. a. Richter 1960; 1962; Altheim 1969; Seibert 1993b, 20 f.; von Albrecht 1994, 98–106; Bernstein 2000; Walter 2004a, 221–229; Jahn 2007, 52–58. Die Fragmente des Bellum Punicum werden im Folgenden nach der Ausgabe von Blänsdorf zitiert. Die Datierungsfrage des Epos und die damit verbundenen Deutungen sind im Rahmen der vorliegenden Arbeit besonders in Hinsicht auf die Reaktionen auf römische Niederlagen im Zweiten Punischen Krieg von Bedeutung, sodass dieser Komplex im entsprechenden Kapitel aufgegriffen werden wird. 212Die Punica, die der römische Senator Tib. Catius Asconius Silius Italicus vermutlich unter der Regierungszeit des Domitian (81–96) verfasste, stellen das umfangreichste lateinische Epos dar, das aus der Antike überliefert wurde (siehe zu den biografischen Daten von Albrecht 1994, 759 f.; Hartmann 2004, 63 f.). Diese besondere Stellung des Epos in der lateinischen Literatur schlug sich lange Zeit nicht in der Forschung nieder, in der den Punica sowohl von altphilologischer als auch von althistorischer Seite wenig Beachtung geschenkt wurde. Seit dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts hat sich dies allerdings zunehmend geändert. Zur Forschungsgeschichte siehe von Albrecht 1964, 9–12; 1994, 767; Spentzou 2008, 133f. Zu den Punica allgemein siehe u. a. von Albrecht 1964; 1973; 1994, 759–768; Niemann 1975; Burck 1979, 254–299; Marks 2005; Tipping 2010; Stocks 2014, sowie die Beiträge in Augoustakis (Hg.) 2010. 213Die Fragmente von Ennius‘ Annales werden im Folgenden nach der Ausgabe von Otto Skutsch (Skutsch 1985) gezählt und zitiert. Der einstige Umfang der Annales wurde unterschiedlich eingeschätzt. Suerbaum 2002a, 133, dem u. a. Walter 2004a, 259 folgt, nimmt einen Umfang von 13.000 bis 15.000 Versen an. Es handelt sich hierbei freilich um einen „Minimalwert“ (ebd., 259, Anm. 216). Das Epos könnte auch deutlich länger gewesen sein. Cornell 1986, 245 geht etwa von einem Umfang von 25.000 bis 30.000 Versen aus. Von diesem einst beträchtlichen Umfang haben sich immerhin „etwa 600 Verse oder Versteile“ erhalten (vgl. Walter 2004a, 260 (Zitat), mit weiteren Nachweisen). Der Titel wird bereits von antiken Gewährsleuten genannt (früheste erhaltene Nennung bei Lucilius (Lucil. 343 M. = 345 C./G.) hierzu F. Skutsch 1905, 2603; Skutsch 1985, 6 f. mit weiteren Nachweisen. Zu Q. Ennius insgesamt siehe u. a. Skutsch 1968; 1985 (vgl. zu letzterem die Besprechung von Cornell 1986); Seibert 1993b, 22–24; ­Gildenhard 2003; Walter 2004a, 258–279; Jahn 2007, 74–80; Elliott 2013 sowie Walther 2016, 180–186. Q. Ennius stammte, wie bereits sein Vorgänger der Kampaner Cn. Naevius, nicht aus Rom, sondern aus der Stadt Rudiae, also „aus altem messapischem Gebiet“. Siehe hierzu Cic. Cato 14. Vgl. F. Skutsch 1905, 2589 (Zitat); Skutsch 1985, 1.

2.2  Römische Geschichtskulturen – Republik und frühe Kaiserzeit

71

man vielleicht mit Recht von einem breiteren und heterogeneren Publikum ausgehen können als in Bezug auf die Historiografie.214 Auch dieses wird sich jedoch wohl vor allem aus dem Kreis einer erweiterten gesellschaftlichen Elite rekrutiert haben. Für die vorliegende Arbeit besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang zu beobachten, welche Themen und Ereignisse bei einem solchen Publikum vonseiten der Dichter offenbar als ausreichend bekannt angesehen werden konnten, dass eine weitere Kontextualisierung nicht notwendig erschien.215 Diese Beobachtungen lassen sich zudem auch für andere Formen literarischer Betätigung in Rom anführen, wobei auch in diesem Fall gilt, dass gerade die einst vorhandenen Werke republikanischer Dichter nahezu gänzlich verloren sind. Indes hat sich etwa eine Reihe von Fragmenten aus den Satiren des C. Lucilius erhalten, die für die vorliegende Arbeit aufschlussreich sind.216 Erheblich günstiger gestaltet sich die Überlieferungslage für die späteren Autoren der augusteischen Zeit. Für eine Weitergabe von Erklärungen und Deutungen römischer Niederlagen in Kriegen gegen Kelten, Samniten und Karthager war also ein weiter und vielfältiger Raum von Medien der komplexen und heterogenen römischen Geschichtskultur gegeben, der in den folgenden Kapiteln auf der Suche nach den Spuren von Roms Katastrophen an Allia und Trasimenischem See, bei Caudium und Cannae sowie vielen anderen Orten durchschritten werden soll.

214Offenbar gab es „öffentliche Dichterlesungen vor einem größeren Publikum“ (von Albrecht 1994, 514). Siehe hierzu auch Horsfall 2003, 58–61. 215Vgl. bereits Callies 1971, 342 f. (u. a. 343: „Es ist vielmehr nötig, gerade die sonstige Prosa und die Dichtung zur Grundlage der Aussage zu machen, um so einen verläßlicheren Eindruck von der Erinnerung [an ein vergangenes Ereignis, Anm. S. L.] eben nicht nur bei der kleinen Gruppe derer zu erhalten, die von ihrem Metier her gewissermaßen Erinnerung haben […].“). 216Die Fragmente des Lucilius werden im Folgenden nach den Ausgaben von Friedrich Marx (1904), Werner Krenkel (1970) sowie derjenigen von Johannes Christes und Giovanni Garbugino (2015) zitiert. Die genaue Lebenszeit des Lucilius ist in der Forschung umstritten, ein Geburtsdatum um die Mitte des 2. Jahrhunderts ist aber wohl anzunehmen. Siehe auch J. Christes, DNP 7 (1999), 463–465, s. v. C. Lucilius, bes. 463 und Christes/Garbugino 2015, 9–14, die die knappen Informationen zu Leben und Werk des Lucilius übersichtlich präsentieren. Über die Biografie des Lucilius ist wenig bekannt. Er war offenbar Ritter, recht vermögend und nahm am Numantinischen Krieg i. J. 134/133 teil (siehe die Testimonien und zahlreiche Verweise auf die Forschung bei Suerbaum 2002c, 305–307). Lucilius Schriften erfreuten sich anscheinend bis in das 1. Jahrhundert n. Chr. hinein einer gewissen Popularität, wobei der Leserkreis ein wohl eher „exklusives Publikum“ umfasste. In der Forschung wird davon ausgegangen, dass die Gesamtedition aller 30 Bände erst postum vorlag. Siehe Suerbaum 2002c, 308–310 (Veröffentlichung) und 315–318 (zu Würdigung und Rezeption), dort (315): „Lucilius schrieb eher für ein exklusives Publikum.“ Sollte Lucilius tatsächlich eine Klage wegen Beleidigung seiner Person auf einer öffentlichen Bühne eingereicht haben (so jedenfalls Rhet. Her. 2,13,19), dann spräche das gleichwohl für eine „gewisse Popularität der Satiren“ (Suerbaum 2002c, 316). Vgl. zur Abfassungszeit und Veröffentlichung bereits die ausführliche Untersuchung von Cichorius 1908/1964, 63–98 und die Einleitung in der Ausgabe von Christes/Garbugino 2015, 12.

3

Seit dem Bestand unserer Herrschaft der gefährlichste Gegner – Roms Keltenkriege

In seiner im Jahr 56 gehaltenen Rede Über die konsularischen Provinzen nennt Cicero den Feind der Römer, den er als am gefährlichsten einstuft. Dabei greift Cicero noch weiter aus, indem er betont, dass, „seit dem Bestehen unserer Herrschaft“, niemand, der sich eingehend mit der römischen Geschichte auseinandergesetzt habe, daran zweifeln könne, dass kein anderer Gegner dieser Herrschaft so gefährlich gewesen war wie Gallien.1 Ungeachtet Ciceros spezifischer Intention in dieser Passage lässt sich ihm wenigstens in Hinsicht auf die Dauer des Konfliktes auf den ersten Blick kaum widersprechen. Seit Beginn der Republik führten römische Feldherren Armeen gegen gallische Heere, und im Jahr 56 tobte der bis heute prominenteste ‚Gallische Krieg‘, in dem C. Iulius Caesar das Einflussgebiet der römischen Republik in die bis dahin wenig bekannten europäischen Binnenräume jenseits der Alpen hinein erweiterte.2 Einfälle ­keltischer Krieger nach Etrurien sowie keltische Migrationsbewegungen in die Poebene ­hinein können bereits für das späte 5. Jahrhundert angenommen werden.3 Im Laufe der folgenden J­ ahrhunderte kämpften Römer gegen Kelten in Norditalien, auf der Iberischen Halbinsel, von den Pyrenäen bis zum Rhein, in Kleinasien

1Cic.

prov. 33 (nemo sapienter de re publica nostra cogitavit iam inde a principio huius imperii, quin Galliam maxime timendam huic imperio putaret). 2Vgl. Dyson 1985, 7: „Starting with the traumatic events of the defeat on the Allia and the sacking of the city by the Celts, the Romano-Gallic wars developed into some of the longest, most brutal conflicts in the history of the Republic“. 3Siehe hierzu u. a. Dyson 1985, 9–13, 48; Cornell 1995, 314 f.; Birkhan 1997, 92–97; Cunliffe 1999, 70–75; Maier 2000, 94–100; Forsythe 2005, 251. Die Frage, ab wann von einer keltischen Besiedlung Oberitaliens gesprochen werden kann, lässt sich kaum sicher beantworten, besonders da Kelten und andere Gruppen im archäologischen Befund nicht in allen Fällen sicher zu unterscheiden sind. Für die Zeit von der Wende vom 5. zum 4. Jahrhundert scheint die keltische Präsenz in der Po-Ebene allerdings sicher belegt. Hiervon zeugen auch die Keltendarstellungen in der etruskischen Bildkunst, von denen die Abbildung auf einer Begräbnis-Stele aus der Nähe von © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Lentzsch, Roma victa, Schriften zur Alten Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-476-04831-8_3

73

74

3  Roms Keltenkriege

sowie auf den britischen Inseln, wo unter dem Befehl des Cn. Iulius ­Agricola in der Schlacht am Mons Graupius (83 n. Chr) im schottischen Hochland die römische Unterwerfung Britanniens besiegelt wurde.4 Römer kämpften also über mehr als ein halbes Jahrtausend hinweg gegen Kelten, wobei sich diese Auseinandersetzungen in einem Gebiet ereigneten, das von Portugal bis zum Hadrianswall und vom Atlantik bis in die heutige Türkei reichte. Diese enorme zeitliche wie geografische Ausdehnung legt bereits nahe, hinter diesem Gegner keine homogene Gruppe zu vermuten, und tatsächlich ist die Frage nach einer genauen Definition der Bedeutung des Begriffes der ‚Kelten‘ in der Forschung notorisch umstritten. Anders als zum Beispiel die Karthager bildeten die Kelten keine klar zu benennende politische Gemeinschaft mit einem administrativen oder auch religiösen Zentrum, dessen Fall oder Fortbestehen Ende oder Fortexistenz dieses Gegners aus Sicht der Römer hätte klar anzeigen können.5 Der schon im Altertum recht diffuse Keltenbegriff bildet natürlich eine Voraussetzung dafür, dass es Cicero und anderen antiken Gewährsleuten möglich war, hier Kontinuitäten über die Jahrhunderte hinweg zu konstruieren und etwa Cae­ sar dafür zu feiern, dass er mit seinem Sieg über Gallien diese alte Gefahr für das römische Reich endlich überwunden hätte.6 Die kulturellen Deutungsmuster, die hinter solchen Aussagen stehen, werden im folgenden Kapitel an verschiedener Stelle Teil der Analyse sein. Den Beginn der alten Feindschaft zu den Kelten setzten nicht nur die Römer zu Ciceros Zeit mit einem Angriff ­keltischer Krieger an, der nach deren Sieg an der Allia, unweit von Rom, sogar zur Eroberung der Stadt geführt haben soll.

Bologna wohl die bekannteste ist. Im unteren Abschnitt ist ein gerüsteter berittener Krieger zu erkennen, der einen nackten Kelten, der zu Fuß kämpft, niederreitet. Das Motiv findet sich in den folgenden Generationen in vielen Variationen in der etruskischen Bildkunst wieder, was wohl u. a. als Niederschlag der Erfahrung generationenlanger Kämpfe gegen Kelten aus dem ­Norden gedeutet werden kann. Vgl. Höckmann 1991, bes. 216, 220; Holliday 1994, 23 f., und siehe zudem Dyson 1985, 46 zu Darstellungen von Keltomachien, die im Gebiet der Veneti gefunden wurden. 4Tac. Agr. 29–38. 5Siehe hierzu u. a. Birkhan 1997, 32–51; Cunliffe 1999, 20–38; Maier 2000, 13–18 (bes. 16: „Die Unzulänglichkeit einer Definition der Kelten anhand ihrer materiellen und geistigen Kultur ersieht man ohne weiteres daraus, daß die als typisch keltisch geltende Latènekunst etwa in Irland und auf der Iberischen Halbinsel kaum eine Rolle spielte, daß die frühkeltischen Handelspartner der Griechen zur Zeit Herodots ganz andere Siedlungs- und Wirtschaftsformen besaßen als die keltischen Völker zur Zeit Caesars und daß den weitaus meisten inschriftlich bezeugten keltischen Göttern nur lokale oder regionale Bedeutung zukam. Ähnliches gilt für das Gemeinschaftsbewußtsein der heute als Kelten bezeichneten Völker.“). 6Siehe etwa Cic. prov. 34 (Freilich mit dem durch die Absicht der Rede gebotenen Hinweis, dass dieses Werk noch nicht vollständig vollbracht sei, weshalb Caesar noch einige Jahre benötige, um die Gallier dauerhaft zu unterwerfen.). Vgl. Williams 2001, 179. Zum antiken Keltenbegriff u. a. Birkhan 1997, 22–27, 32; Cunliffe 1999, 1–9, bes. 2.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

75

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘ – die Niederlage an der Allia und die gallische Eroberung Roms Die Niederlage an der Allia und die anschließende Einnahme Roms durch die Gallier im frühen vierten Jahrhundert stellen die frühesten historisch greifbaren Niederlagen dar, die die Römer gegen keltische Gegner erlitten haben.7 In den folgenden Jahrhunderten wurde beide Ereignisse zu Bezugs- bzw. Anknüpfungspunkten für eine ganze Reihe von ‚Erinnerungsorten‘ und Aitia für Kulthandlungen oder Ortsbezeichnungen, was auch daran liegt, dass die (auch nur vermeintlichen) Spuren dieses Ereignisses in Rom und seinem Umland bereits in der Antike das besondere Interesse der antiquarischen Forschung erregten. Allerdings lässt sich die Herkunft einzelner Aitia nur in seltenen Fällen einigermaßen sicher chronologisch fixieren. Daher wird dieser Komplex von Spuren, die die Einnahme Roms durch die Kelten in der römischen Geschichtskultur hinterlassen hat, in diesem Kapitel in einem eigenen Abschnitt besprochen. Dieser ist zwischen die Zeugnisse von Autoren der augusteischen Zeit sowie denen der frühen und mittleren Kaiserzeit eingefügt. Hiermit wird man einer Reihe von Aitia in Hinsicht auf die zeitliche Verortung ihrer Entstehung zwar wohl kaum gerecht, da einige gewiss älteren Datums sind, jedoch stammen die meisten Quellen, aus denen sich heute Kenntnis von ihnen gewinnen lässt, aus der Zeit vom ersten vor- bis zum zweiten nachchristlichen Jahrhundert, sodass die Platzierung dieses Unterkapitels an dieser Stelle als nicht ungerechtfertigt erscheint. Reaktionen von Zeitgenossen auf die Niederlage an der Allia und die anschließende Einnahme Roms durch die Kelten sind uns nicht mehr erhalten, so dass sich hierzu weitgehend lediglich recht allgemeine Überlegungen anstellen lassen. Der Umstand, dass keltische Beutezüge kleineren und größeren Ausmaßes offenbar auch in den nachfolgenden Jahrzehnten ein Teil der Erfahrungen waren, welche die Römer jener Generationen mit den Kelten verbanden, wird bereits dazu beigetragen haben, die Erinnerung an frühere Auseinandersetzungen mit diesem Gegner im sozialen Gedächtnis der römischen Bevölkerung präsent zu halten. Unter diesen werden die Niederlage an der

7Es besteht kein Anlass, an der grundsätzlichen Historizität der Niederlage an der Allia und der Einnahme Roms zu zweifeln (vgl. u. a. Ogilvie 1965, 719 f.; Dyson 1985, 14; Cornell 1995, 314; Kolb 2002, 140 f.; Forsythe 2005, 252 f.). Die Kunde von diesem Ereignis erreichte nämlich schon bald die griechische Welt, was sich in einigen Quellenzeugnissen niedergeschlagen hat (Plutarch nennt jedenfalls Hinweise, die er bei Aristoteles und Herakleides Pontikos gefunden haben will: Plut. Cam. 22,2–3). Da allerdings die meisten der in den Quellen zu findenden Details hinsichtlich des chronologischen Ablaufs, der agierenden Individuen und Gruppen sowie ihrer Motivationen als unglaubwürdig gelten müssen, sind viele Fragen zum genauen Hergang der Ereignisse ungeklärt. In den letzten Jahrzehnten wurde eine Reihe von Vorschlägen vorgebracht, um zumindest einen groben ereignisgeschichtlichen Ablauf zu rekonstruieren, sodass eine weitere Rekonstruktion hier nicht notwendig erscheint. Siehe hierzu indes u. a. Alföldi 1963, 355–365; Dyson 1985, 14–16; Cornell 1995, 313–318; Cunliffe 1999, 75 f.; Maier 2000, 96 f.; Rosenberger 2003a, 365; Forsythe 2005, 251–259; Cowan 2009, 1–3; Richardson 2012, 123–130; Sommer 2013, 114–120; Blösel 2015, 54 f.

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3  Roms Keltenkriege

Allia und die Einnahme Roms wohl schon aufgrund der Singularität des Vorgangs einen besonderen Status eingenommen haben.8 In diesem Zusammenhang wurde in der Forschung die ethnische Identität der Angreifer an der Allia diskutiert, die, nach Livius und anderen Autoren, dem keltischen Stamm der Senonen angehört haben sollen.9 Inwieweit dies historisch zutreffend überliefert worden ist, lässt sich ebenso wenig sicher entscheiden, wie die Frage, in welcher Beziehung jene Senonen mit den Kelten standen, die im dritten Jahrhundert das Gebiet zwischen Ariminum und Ancona besiedelten und ebenfalls als Senonen bekannt waren.10 Letztere gehörten jedenfalls zu den ersten Kelten, die römischen Vorstößen in keltisch kontrollierte Gebiete in Oberitalien zum Opfer fielen, nachdem der Konsul des Jahres 283, P. Cornelius Dolabella, ein keltisches Heer besiegte, das womöglich Teil einer weiter ausgreifenden Allianz mit Etruskern war. Anschließend ließ Dolabella das Territorium der Senonen plündern und weitflächig verwüsten, wobei tausende Angehörige des Stammes starben oder in die Sklaverei gerieten.11 Im Zuge dieser Operationen oder in der historiografischen Darstellung von Dolabellas Feldzug mag die Rolle der Senonen in der ‚Gallischen Katastrophe‘ dann hervorgehoben oder auch erst überhaupt hinzugefügt worden sein.12 Der Kampf gegen die Senonen im Jahr 283 hätte vor diesem Hintergrund dann als Rache oder allgemeiner als Rechtfertigung für das Vorgehen dienen können.13 Inwiefern diese Überlegungen zutreffen, muss wiederum unklar bleiben, da keine Quellen aus dem frühen dritten Jahrhundert zur Bezeichnung der Kelten erhalten sind, die Rom eingenommen hatten.

8Möglicherweise

waren diese Erinnerungen auch ein Antrieb dafür, dass die Römer ihrerseits Feldzüge in keltisch kontrollierte Gebiete im Norden unternahmen. Jedenfalls scheint es nicht abwegig zu vermuten, dass zur Rechtfertigung bzw. zur Motivation dieser Kampagnen an die Attacken erinnert wurde, die die Römer ihrerseits vonseiten der Kelten zu erleiden hatten. Allein da hierbei die Stadt Rom selbst betroffen gewesen war, lässt sich annehmen, dass die keltische Eroberung des Zentrums der römischen Welt dabei besonders hervorgehoben wurde. Vgl. Dyson 1985, 22: „It [die Niederlage an der Allia und die anschließende Einnahme Roms] created an intense collective fear of the Gauls that was to carry over into later Roman history. Yet it was itself a single event from which Rome recovered, and it could be regarded as a transitory incident in the Polybian sense. The emergence of the Gauls as an element in Rome’s periodic war with the Latins and other neighboring groups created another, more permanent source of ethnic tension. To the sudden terror of the single attack was added the repeated devastation of frontier raiding. The combination of the two experiences developed in the Romans a fierce hatred and fear of the Gauls that was to fuel the wars of conquest and extermination of the next century“. 9Liv. 5,35,3; Diod, 14,113,3; Dion. Hal. 19,13; Strab. 5,1,6; App. Celt. 11. 10Zum Siedlungsgebiet der Senonen Oberitaliens siehe u. a. Birkhan 1997, 96. 11Vgl. Dyson 1985, 15. 12So bereits Hirschfeld 1895/1913, 284. 13So Dyson 1985, 15: „It should be remembered, though, that the Senones were among the first Gallic tribes conquered by the Romans and that the subjugation was effected with a thoroughness and brutality close to genocide. The Romans coveted Senonian land, and they may well have been tempted to justify their actions by blaming them for the sack“.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

77

3.1.1  Erinnerung im Kalender – der Dies Alliensis Der 18. Juli als Datum der Niederlage an der Allia ist bereits in den ältesten erhaltenen römischen Kalendern als Tag eingetragen, an dem öffentliche Geschäfte zu ruhen hatten.14 Auch in zahlreichen literarischen Zeugnissen ist der Dies Alliensis bezeugt.15 Ob es sich hierbei um eine authentische Überlieferung handelt, die Römer also tatsächlich an einem 18. Juli an der Allia einem keltischen Heer unterlagen, lässt sich freilich nicht mit letzter Sicherheit klären. Möglich ist eine Einrichtung im vierten Jahrhundert, relativ kurze Zeit nach der eigentlichen Niederlage indes durchaus.16 Insgesamt war die Vorstellung, dass bestimmte Tage eine glückbringende bzw. unheilverheißende Qualität besitzen konnten, sowohl in der griechischen, als auch in der römischen Welt insgesamt verbreitet.17 Die Hintergründe der Einrichtung des Dies Alliensis wurden in der Forschung mehrfach untersucht.18 Demnach bot die Identifizierung des Tages der Allia-Schlacht als ‚Unglückstag‘ zunächst einmal eine Erklärung für die Niederlage an, die an diesem Datum eben nicht zu vermeiden gewesen sei.19 Diese Form der Deutung lässt sich auch als ein noch tiefer greifendes kulturelles Phänomen verstehen.20 Die politische und militärische Entwicklung auf der italischen Halbinsel war, auch für Rom, im fünften und vierten Jahrhundert von Unsicherheit und ungewissen Zukunftsaussichten geprägt. Marodierende keltische Kriegergruppen gehörten offenbar ebenso zu wiederkehrenden Phänomenen der Zeit wie Interventionen

14Bei

diesem ältesten Kalender handelt es sich bekanntlich um die Fasti Antiates maiores, die das einzige erhaltene Exemplar eines römischen Kalenders vor der julianischen Kalenderreform darstellen. Der Dies Alliensis ist bereits hier eingetragen. Siehe InscrIt. 13,2,15: C. [Al]liens(is) die(s) (vgl. für eine Abbildung Rüpke 1995a, 40). Siehe außerdem u. a. InscrIt. 13,2,189. 15Siehe u. a. Varro ling. 6,32; Cic. Att. 9,5,2; Liv. 6,1,11–12; Plut. qu.R. 25; Cam. 19,1; Gell. 5,17,2; Fest. 6,19–21 L. Für weitere Belege siehe Rüpke 1995a, 567, Anm. 12; Oakley 1997, 395. 16Da es nicht gänzlich abwegig erscheint, dass die pontifices bereits im vierten Jahrhundert wenigstens grobe Aufzeichnungen anfertigten, und Abschriften hiervon einige Generationen überdauern konnten, könnte der Dies Alliensis durchaus schon im vierten Jahrhundert fixiert worden sein (vgl. Ungern-Sternberg 2000, 210; Forsythe 2012, 21). Das Urteil hierüber hängt eng damit zusammen, wie zuverlässig man wenigstens das grobe Gerüst der vorliterarischen Überlieferung Roms für das frühe vierte Jahrhundert einschätzt; in diesem Fall besonders, für welchen Zeitpunkt man den Beginn der regelmäßigen Aufzeichnungen auf den tabulae der pontifices maximi ansetzt. Siehe hierzu den Überblick bei Walter 2004a, 196–204 (mit zahlreichen Hinweisen auf wichtige Quellen und weitere Literatur), zur Frage des Beginns der Aufzeichnungen bes. 200 f. Vgl. Feeney 2010, 884. 17Siehe hierzu u. a. Michels 1967, 25, 63–65; Scullard 1981/1985, 66 f., 229 f.; Brind’Amour 1983, 227–232; Grafton/Swerdlow 1988; Chaniotis 1991 (zu „Gedenktagen“ in der griechischen Welt); Rüpke 1995a, 565–575; Walter 2004a, 204 f.; Forsythe 2012, 19 f. 18Besonders intensiv in Rüpke 1995a. Siehe für das Folgende vor allem ebd., 567–575; Walter 2004a, 204–207. 19Rosenstein 1990a, 67 f. 20Vgl. für das Folgende Rüpke 1995a, 567–575.

78

3  Roms Keltenkriege

und Feldzüge griechischer, etruskischer und natürlich nicht zuletzt römischer Heerführer in benachbarte Städte und Regionen.21 Die Plünderung Roms durch die Kelten bzw. der Zwang, ihnen ein hohes Lösegeld für ihren Abzug zu zahlen, wird selbst vor diesem generell unsicheren politischen Hintergrund des archaischen Italiens als höchst beunruhigend gewirkt haben. Die Identifizierung des Dies Alliensis könnte dazu beigetragen haben, den Eindruck von unheilvoller und unvorhersehbarer Kontingenz zu verringern, der sich aus der Erfahrung der eigenen Niederlage womöglich ergeben hatte.22 Denn auch wenn diese schmerzhaft gewesen war, stellte das Erkennen der Qualität des Dies Alliensis nicht nur eine Erklärung für das einzelne Ereignis dar, sondern darüber hinaus gewissermaßen auch einen ‚Fortschritt‘ im Begreifen und Deuten einer komplexen und gefährlichen Umwelt. Diese Erkenntnis konnte beruhigend wirken – jedoch nur dann, wenn eine Wiederholung künftig vermieden wurde, weshalb der Eingriff in die Alltagsgeschäfte an diesem Tag notwendig war.23 Dadurch, dass sich die Qualität des Dies Alliensis erst durch die Niederlage offenbart hatte, war es vor dem Kampf auch nicht möglich gewesen zu erkennen, dass eine Auseinandersetzung an jenem Tag keinen Erfolg versprach, was dazu beigetragen haben mag, etwaige Schuldzuweisungen an die römischen Heerführer einzudämmen, sollte es zu solchen gekommen sein.24 Auch wenn der Zweck des Dies Alliensis nicht in der Kommemoration des Ereignisses lag, es sich hierbei keineswegs um einen ‚Gedenktag‘ im eigentlichen Sinne des Begriffes handelte, ist es in der Tat „kaum denkbar“, dass er schon „durch den jährlich wiederkehrenden Eingriff in die Alltagsgeschäfte“ nicht „doch schon erinnernd“ wirkte.25 Durch den festen Eintrag im römischen Kalender blieb der Dies Alliensis zudem präsent, was sich durch zahlreiche l­iterarische

21Vgl.

die Übersicht bei Cornell 1995, 318–326; Forsythe 2005, 268–321 und zuletzt Walter 2016, bes. 28–31. 22Siehe Rüpke 1995a, 569: „Der psychologische Mechanismus dieser Strategie erscheint klar: Zur Bewältigung großer negativer Ereignisse wird die Kontingenz des Unglücks zu unverfügbarer Zwangsläufigkeit umgedeutet. […], es dient aber auch der Psychohygiene des historischen Bewußtseins der Römer. Militärische Katastrophen werden so über die Tagesqualität dies reli­ giosus bewältigt.“ Siehe auch allgemein Rüpke 1995a, 23–36 zur „sozialen Dimension“ von Zeit und dem Beitrag zur Reduktion von Komplexität, den die Einrichtung eines Kalenders generell leistet, da er den Mitgliedern einer Gesellschaft hilft, sich in der eigentlich „gleichförmig ‹heranfließenden› Zeit, durch Strukturbildung“ zurechtzufinden (ebd., 34). Durch das „Nachdenken über unterschiedliche Qualitäten gleicher und ungleicher Kalendertage“ lässt sich diese „Reduktionsstrategie […] durchaus noch steigern“ (ebd., 35). Zu den sozialen Funktionen von Kalendern im Allgemeinen vgl. Feeney 2010, 883 f. 23Vgl. Walter 2004a, 205; Rich 2012, 95. 24Vgl. Rosenstein 1990a, 67 f. 25Walter 2004a, 204 f., Zitat: 205. Siehe in diesem Sinne auch u. a. Beck 2006, 204; Kath 2006, 29–35; Rüpke 2006, 564; Rodríguez Mayorgas 2007, 120.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

79

Belege zeigen lässt. Dies galt dann wohl auch für die Schlacht, die sich einst an jenem Datum ereignet hatte.26 Inwiefern der Tag in nachfolgenden Generationen, etwa in der späten Republik, von weiten Kreisen der römischen Gesellschaft tatsächlich (noch) als unheilvoll empfunden worden ist, lässt sich wiederum kaum abschätzen.27 Die grundsätzliche Bedeutung als Tag mit einem besonderen unglückverheißenden Charakter scheint der 18. Quintilis, später Julius, generell indes stets behalten zu haben. Zudem ist zu beobachten, dass zu einem nicht genauer zu bestimmenden Zeitpunkt ein Tagessynchronismus zur Niederlage der 300 Fabier am Cremera-Bach ‚erkannt‘ wurde. Nach Livius sei das Zusammentreffen beider Niederlagen an einem Tag den Römern kurz nach dem Abzug bzw. der Vertreibung der Kelten aus Rom bewusst geworden.28 Naheliegend ist die Deutung, nach der auf diese Weise verschiedene Niederlagen der römischen Frühzeit wechselseitig erklärt werden sollten.29 Ob die Überlieferung, nach der drei Fabier auch im Rahmen der Ereignisse, die zur Einnahme Roms führten, eine wesentliche Rolle gespielt haben sollen, nach Livius sogar als Militärtribunen an der Allia kämpften, ein Produkt dieser Angleichung ist oder – umgekehrt – dazu führte, dass beide Niederlagen auch in Bezug auf das Datum der Schlacht miteinander verbunden wurden, lässt sich nicht mehr klären.30 Bemerkenswert ist es jedoch in jedem Fall, dass noch Ovid das Datum für den Kampf an der Cremera den 13. Februar kannte und favorisierte.31 Die Überlieferung, die den Tagessynchronismus beinhaltete, scheint offenbar noch keine ausschließliche Gültigkeit besessen zu haben. Eine anscheinend dem Dies Alliensis in gewisser Weise nahestehende Einrichtung findet sich in der Vorstellung der sogenannten Dies atri. Grundsätzlich handelt es sich hierbei jedoch um ein unterschiedliches Phänomen, das von demjenigen des Dies Alliensis deutlich zu trennen ist.32 Als Dies atri oder Dies postriduani wurden die Tage benannt, die jeweils den Kalenden, Nonen und Iden eines Monats nachfolgten. Diesen Tagen wurde ein sakraler Status zugesprochen, der die Ausführung einer Reihe von privaten Unternehmungen und öffentlichen Geschäften untersagte.33 In der antiken Überlieferung werden diese Tage mit der

26Vgl.

Oakley 1997, 396 (hier Verweis auf: Cic. Att. 9,5,2; Liv. 6,1,11; Tac. hist. 2,91,1; Gell. 5,17,2; Macr. Sat. 1,16,23). Siehe zudem die Nachweise in TLL 1,1676, 27–48. 27Vgl. Scullard 1981/1985, 230 in Bezug auf Cic. Att. 9,5,2. 28Liv. 6,1,11. 29Vgl. Walter 2004a, 205. 30Walter 2004a, 205. 31Ovid. fast. 2,195–196. Siehe hierzu Brind’Amour 1983, 231; Grafton/Swerdlow 1988, 14; Walter 2004a, 205; Forsythe 2012, 32. Die Datierung der Schlacht an der Cremera auf den 13. Februar ist allerdings ebenso unwahrscheinlich wie diejenige auf den 18. Juli. Erwogen wird daher, dass es sich hierbei um ein Aition für den Beginn der Parentalia handelte (vgl. zuletzt Forsythe 2012, 33). 32Rüpke 1995a, 570–575; Oakley 1997, 395 f.; Ungern-Sternberg 2000, 210. 33Liv. 6,1,11–12; Gell. 5,17,1–2; Macr. Sat. 1,16,24–25. Vgl. Forsythe 2012, 24 f.

80

3  Roms Keltenkriege

Niederlage an der Allia in Verbindung gebracht, indem behauptet wird, die Dies atri verdankten ihre besondere Qualität dem Umstand, dass Q. Sulpicius Longus, einer der Militärtribunen, die das römische Heer in die Katastrophe führten, zuvor die Auszugsauspicien am Tag nach den Iden des Quintilis ohne günstiges Ergebnis durchgeführt habe. Dies habe er jedoch – mit den offensichtlichen fatalen Folgen – ignoriert.34 Bereits Livius scheint sich über die Stichhaltigkeit dieser Erklärung nicht ganz sicher zu sein und Plutarch übt – wohl berechtigte – Kritik an der Herleitung der Dies atri von der Niederlage an der Allia.35 Gleichwohl zeigt doch gerade die Existenz einer solchen sachlich falschen Herleitung an, wie präsent der Dies Alliensis und die mit ihm verbundene Tradition Römern späterer Generationen offenbar war.

3.1.2  Nachrichten aus alten Zeiten – frühe literarische Zeugnisse Die nicht zu klärende Frage nach dem Zeitpunkt und dem Hintergrund des Synchronismus des Tages des Untergangs der 300 Fabier an der Cremera mit dem Dies Alliensis offenbart eine methodische Schwierigkeit, die in einer

34Liv.

6,1,11–12; Gell. 5,17,1–2. scheint zumindest die vage Referenz auf die Livius vorliegenden Quellen hinzudeuten. Liv. 6,1,11–12. Siehe hierzu Oakley 1997, 398 („we should share his [Livius’] scepticism about its authenticity“). Plutarchs kritische Anmerkungen bei Plut. qu.R. 25. Vgl. den Hinweis bei Rüpke 1995a, 570, Anm. 24. In der modernen Forschung wurde eine Verbindung der Dies postriduani mit der Niederlage an der Allia meist zurückgewiesen und durch plausible Erklärungen ersetzt. Siehe hierzu bereits Michels 1967, 65, Anm. 16; Grafton/Swerdlow 1988, 14; Forsythe 2012, 24–27, sowie die ausführliche Analyse bei Rüpke 1995a, 570–575. Gegen einen historisch authentischen Zusammenhang mit der Niederlage an der Allia spricht bereits der Umstand, dass die Schlacht drei Tage nach den Iden stattfand und in der antiken Überlieferung daher auf die etwas ungelenke „Konstruktion eines um zwei Tage vorausgehenden Opfers“ (Rüpke 1995a, 570) zurückgegriffen werden musste. Die Verbindung zu den Nachtagen der Kalenden und Nonen erscheint noch unsicherer, weshalb Rüpke 1995a, 750 wohl zu Recht vermutet, dass die Nachtage von Kalenden, Nonen und Iden „alle allein durch den Kalender als technisches System ihre religiöse Prominenz gewonnen haben“. Die Verbindung zur Schlacht an der Allia ist also ursprünglich nicht gegeben gewesen, sondern wurde erst in der antiken Überlieferung sekundär hergestellt. Die eigentliche Begründung der Qualität dieser Tage bleibt hingegen weitgehend unklar, sodass hierzu in der Forschung verschiedene Vermutungen vorgebracht wurden. Siehe hierzu weiterführend Rüpke 1995a, 571–575, nach dem die sogenannten ‚nachfolgenden Tage‘, die dies postriduani, die mit ihnen verbundenen Einschränkungen hinsichtlich kultischer und sonstiger öffentlich-sozialer Tätigkeiten (u. a. Heiratsverbot) deswegen erhielten, um vorbereitende „Aktivitäten an den als Festtagen und Versammlungsterminen dienenden Orientierungstagen“ zu verhindern (ebd., 571). Die Bezeichnung als ‚schwarze Tage‘ sei zudem nicht dem abnehmenden Mond nach der Monatsmitte, den Iden, zu verdanken (wie von Wackernagel 1924 vermutet), sondern schlicht der Verwendung des Farbadjektives schwarz als Symbol für Unglück. Diese, dem heutigen Betrachter naheliegende, Assoziation war offenbar bereits „in der Antike weit verbreitet“ (Rüpke 1995a, 574). Skeptisch gegenüber Wackernagels These zeigt sich auch Brind’Amour 1983, 231. Vgl. Oakley 1997, 398 f. und zuletzt Forsythe 2012, 27.

35Darauf

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

81

­ ntersuchung der Repräsentation der ‚Gallischen Katastrophe‘ auch in Hinsicht U auf andere Fragen konstatiert werden muss. Anders als etwa im Fall der Niederlagen gegen die Karthager in den ersten beiden Punischen Kriegen existieren keine schriftlichen Quellen mehr, die mehr oder weniger im zeitgenössischen Horizont der Ereignisse entstanden sind. Hinzu kommt, dass auch die frühesten römischen Autoren ihre Darstellungen und Interpretationen des Ereignisses erst rund fünf Generationen nach diesem verfassten. Wie diese Schilderung etwa im Geschichtswerk des ersten römischen Historikers, Q. Fabius Pictor, im Detail aussah, ist weitgehend unklar. Nun ist es zwar keineswegs ausgeschlossen, dass auch spätere Quellen teilweise sehr alte Traditionsstränge enthalten mögen, doch auch im Unterschied zur Zeit der Punischen Kriege, für die man für die Überlieferung vor Cicero notwendigerweise ebenfalls nicht ohne zahlreiche Konjekturen auskommt, fällt es für die ‚Gallische Katastrophe‘ weitaus schwerer, die Entwicklung von einzelnen Elementen der Darstellung und mit diesen verbundenen Deutungen zu verfolgen.36 Jede Arbeit, die sich mit dem ‚frühen Rom‘ bis etwa zum Beginn des dritten Jahrhunderts beschäftigt, muss sich daher grundsätzlich mit der Frage nach Gestalt, Form und Inhalt der frühen Überlieferung zu jener Zeit auseinandersetzen. Fabius Pictor verfasste sein Werk, in dem die Schlacht an der Allia und die anschließende Einnahme Roms gewiss behandelt wurden, wohl erst gegen Ende des dritten Jahrhunderts, sodass zunächst offen bleiben muss, auf welchen Wegen genau Kenntnis von der ‚Gallischen Katastrophe‘ zu Pictor und seinen Zeitgenossen gelangte, und welche Inhalte bereits Teil dieser frühen Gestaltung waren. Die frühesten noch halbwegs sicher greifbaren Zeugnisse, die zur keltischen Eroberung Roms erhalten sind, stammen aus der Feder griechischer Autoren, die Italien oder gar Rom wohl niemals selbst betreten haben.37 In der Natur­ geschichte Plinius’ des Älteren findet sich der Hinweis auf das Werk eines

36So

auch Ungern-Sternberg 2000, 207, Anm. 5, in Bezug auf die Repräsentation der ‚Gallischen Katastrophe‘ im „kollektiven Gedächtnis“ der Römer und den Möglichkeiten von deren Untersuchung: „Uns ist es wichtig, daß die Erinnerung an eine die Gemeinschaft definierende ‚Urzeit‘ in jedem Fall ihre die Individuen übergreifende Einheitlichkeit in der Begründung des gegenwärtigen Zustandes und seiner Bedürfnisse findet. Diese der ‚Urzeit‘ gegenüberstehende ‚Gegenwart‘ müssen wir freilich ebenso zeitlos konstruieren, da wir die über viele Jahrhunderte streuenden Zeugnisse nicht verschiedenen, klar voneinander abgehobenen ‚Gegenwarten‘ zuordnen können. Deshalb geraten häufig Varianten der Überlieferung in ein Nebeneinander, weil wir sie in ihrem Nacheinander (aus einer gewandelten Zeit heraus) nicht erfassen können“. Vgl. zudem bereits Tränkle 1998, 146: „In vollem Umfang kenntlich ist uns nur die letzte Stufe dieser Entwicklung, eben diejenige, die durch Livius repräsentiert wird. Für die vorausgehenden Phasen sind wir auf bruchstückhafte Nachrichten bei den verschiedenen Autoren angewiesen, und es ist oft nicht leicht zu sagen, was als älter, was als jünger gelten muß, und von welchem Punkt eine bestimmte Version ihren Ausgang genommen hat, zumal stets mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß in einer späteren Quelle eine an sich sehr alte Überlieferung steckt“. 37Siehe hierzu auch bereits Williams 2001, 145–150, der auf frühere Studien verweist, in denen plausibel auf unter anderem etrurische, sizilische und auch massaliotische Versionen des Ereignisses geschlossen worden ist (siehe bes. ebd., 145).

82

3  Roms Keltenkriege

gewissen ­Theopompos, gemeint ist vermutlich Theopompos von Chios. Demnach sei dieser der erste griechische Autor gewesen, der Rom in seinem Werk erwähnte. Mehr als die Nachricht, dass die Stadt von den Galliern eingenommen worden sei, habe sich bei Theopompos, so jedenfalls Plinius, nicht finden lassen.38 In seiner Biografie des legendären M. Furius Camillus nennt Plutarch zwei ihm bekannte Schriften zu dem Ereignis, die von der bei ihm gebotenen Darstellung abweichen. Hierbei handelt es sich um Werke des Aristoteles und des Herakleides von Pontos, der in einer Schrift über Über die Seele (Περὶ ψυχῆς) hiervon berichtet habe.39 Aus Herakleides’ Werk sei, nach Auskunft Plutarchs, zu erfahren gewesen, dass aus dem Westen die Nachricht gekommen sei, dass ein Heer aus dem Land der Hyperboreer eine griechische Stadt namens Ῥώμη, die an der Küste des „Großen Meeres“ liege, erobert habe.40 Aristoteles hatte offenbar ebenfalls Kunde von der keltischen Eroberung Roms und wusste, in einer leider verlorenen Schrift, davon zu berichten, dass ein gewisser Λεύκιος die Stadt gerettet habe.41 Auf welchen Wegen Theopompos, Herakleides und Aristoteles jeweils Kenntnis von der keltischen Einnahme Roms erhalten hatten, lässt sich nicht mehr feststellen. Dies gilt auch in Hinsicht auf die Form der Darstellung und mögliche Deutungen, die hiermit verbunden waren. Dass aus dem Text des Herakleides eine eher vage Vorstellung der Geschehnisse zu entnehmen war, bedarf keiner weiteren Erörterung. In welchem Kontext der Fall Roms in seiner Schrift Περὶ ψυχῆς behandelt wurde, bleibt unklar.42 Auch über das Werk des Theopompos, in dem

38FGrHist

115 F 317 = Plin. nat. 3,57: Theophrastus, qui primus externorum aliqua de Romanis diligentius scripsit – nam Theopompus, ante quem nemo mentionem habuit, urbem dumtaxat a Gallis captam dixit.

39Plut.

Cam. 22,2–3. Cam. 22,2: Ἡρακλείδης γὰρ ὁ Ποντικὸς οὐ πολὺ τῶν χρόνων ἐκείνων ἀπολειπόμενος ἐν τῷ Περὶ ψυχῆς συγγράμματί φησιν ἀπὸ τῆς ἑσπέρας λόγον κατασχεῖν, ὡς στρατὸς ἐξ Ὑπερβορέων ἐλθὼν ἒξωθεν ᾑρήκοι πόλιν Ἑλληνίδα Ῥώμην, ἐκεῖ που κατῳκημένην περὶ τὴν μεγάλην θάλασσαν. Vgl. Wiseman 2007, 69. 41Plut. Cam. 22,3: Ἀριστοτέλης δὲ ὁ φιλόσοφος τὸ μὲν ἁλῶναι τὴν πόλιν ὑπὸ Κελτῶν ἀκριβῶς δῆλός ἐστιν ἀκηκοώς, τὸν δὲ σώσαντα Λεύκιον εἶναί φησιν· ἦν δὲ Μάρκος, οὐ Λεύκιος, ὁ Κάμιλλος. 42Wehrli 1969, 94 nimmt allerdings an, dass Herakleides über die Eroberung Roms ebenso gut unterrichtet gewesen sein muss wie Aristoteles, sodass sich die „geheimnisvolle Unbestimmtheit aus den besonderen Voraussetzungen“ der Anlage der Schrift als Dialog über die Seelenlehre erkläre, was Plutarch jedoch offenbar entgangen sei. Mehr als die historischen Umstände der Eroberung Roms hätte Herakleides die „rätselhafte Kunde vom Ereignis“ interessiert, was wiederum darauf schließen lasse, dass „er sie durch irgendwelche Divination erklärte“. Dass Herakleides weniger an einer möglichst präzisen Rekonstruktion der keltischen Offensive, sondern eher an der Nachricht selbst interessiert war, ist durchaus denkbar. Eine genaue Einordnung des Fragmentes in das Werk ist mangels weiterer Belege hierzu jedoch nicht zu leisten. 40Plut.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

83

dieser sich über die keltische Einnahme Roms äußerte, ist zu wenig bekannt, um hieraus weitere Schlüsse ziehen zu können.43 Der Umstand, dass Aristoteles nach Plutarch einen Λεύκιος als Retter Roms kannte, hat in der Forschung aber immerhin Anlass zu verschiedenen Überlegungen gegeben.44 Denn der römische Anführer, der die Römer schließlich rettet, heißt, in der bei Livius fassbaren historiografischen Überlieferung sowie in einer Vielzahl von weiteren Quellen bekanntlich M. Furius Camillus. Als eine denkbare Option zur Lösung der Frage, welcher Lucius bei Aristoteles gemeint war, wurde L. Furius Camillus vorgeschlagen, der nach der historiografischen Überlieferung und dem Eintrag in den Fasten der Sohn des M. Furius Camillus war. Die Taten des Sohnes, der nach Livius Meriten im Abwehrkampf gegen Kelten, die nach Mittelitalien einfielen, erworben haben soll, hätten in diesem Fall möglicherweise auf die Überlieferung über die Erfolge seines Vaters eingewirkt.45 Nun taucht auch in Livius’ Bericht indes durchaus ein Lucius auf, der als ein Retter in Erscheinung tritt. Dabei handelt es sich um einen gewissen L. Albinius, der seine Familie von seinem Karren weist, um auf diesem die Priesterinnen der Vesta sowie die sacra publica ins sichere Caere zu bringen. Daher könnte, so eine Deutung des Fragmentes, Aristoteles diesen L. Albinius gemeint haben, dem demnach in wenigstens einer frühen Überlieferung, die dem griechischen Gelehrten bekannt war, eine zentrale Rolle auf römischer Seite zukam und der sogar als Retter Roms gelten konnte.46 Ob Aristoteles jedoch tatsächlich jenen L. ­Albinius meinte, ist indes unklar, weshalb sich Jürgen von Ungern-Sternberg hierzu zu Recht skeptisch äußert.47 Allerdings, so wiederum Ungern-Sternberg, weist das Fragment des Aristoteles „immerhin“ darauf hin, dass „die Überlieferung schon früh das Bedürfnis nach einer Retterfigur empfand“.48 Dass im vierten Jahrhundert

43Vgl.

Meister 1990, 90–93; Williams 2001, 146. 1995, 316; Bruun 2000; Williams 2001, 149 f. Zu Bruun 2000 vgl. Walter 2004a, 385. 45Diese Deutung scheint Flacelière 1961, 237 als recht gesichert anzunehmen. Vgl. hierzu die bibliografischen Hinweise bei Bruun 2000, 59, Anm. 91. 46Siehe bereits Sordi 1960, 49–52. Vgl. zustimmend etwa Cornell 1995, 316. Williams 2001, 149 schlägt eine Rekonstruktion vor, die eine Kombination aus verschiedenen Thesen darstellt. Zum einen übernimmt er die Ansicht Sordis, dass mit dem Λεύκιος des Aristoteles Lucius Albinius gemeint sei. Dieser habe demnach bereits in einer Überlieferung, die Aristoteles bekannt war, die sacra publica gerettet. Zum anderen sei in dieser frühen Tradition auch das Kapitol von den Galliern eingenommen worden – nach der von Skutsch vermuteten älteren Variante, die bei Q. Ennius gestanden habe. Die militärische Niederlage der Römer sei also vollständig gewesen, weshalb der Bewahrung der sacra in Caere und der hierdurch ermöglichten Kontinuität des Kultes, der für das Bestehen der religiösen Gemeinschaft der Römer bedeutend war, eine so wichtige Rolle in der frühen Überlieferung zugekommen sei. 47Ungern-Sternberg 2000, 212 („Die fromme Tat gleich als Rettung Roms zu betrachten, und deshalb den von Aristoteles genannten Retter Lucius heranzuziehen, ist wohl doch zuviel des Guten.“). 48Ungern-Sternberg 2000, 212. So auch Walter 2004a, 387. 44Cornell

84

3  Roms Keltenkriege

noch nicht der später hierfür gerühmte M. Furius Camillus als jener Retter Roms galt, ist grundsätzlich denkbar.49 An dieser Erkenntnis setzt eine Überlegung an, mit der der Lucius des Aristoteles in die Geschichte um Fall und Rettung Roms integriert werden könnte.50 In den Fasten der Zeit um das Jahr 400, die ihrerseits hinsichtlich ihrer Authentizität hoch umstritten sind, taucht ein gewisser L(ucius) Furius Medullinus als anscheinend sehr erfolgreicher Aristokrat auf, über den allerdings kaum konkrete Informationen bekannt sind, da seine Taten als Magistrat im livianischen Geschichtswerk fast gänzlich unerwähnt bleiben. Nachdem M. Furius Camillus bei Livius seinen ersten Auftritt hatte, verschwindet L. Furius Medullinus aus der Überlieferung.51 Möglicherweise, so die Überlegung, habe dieser L. Furius in der Überlieferung des vierten Jahrhunderts eine prominente Rolle bei der Verteidigung Roms gespielt, was erst durch die spätere Genese und Ausbreitung der Camillus-Legende in Vergessenheit geraten sei.52 Diese These hat Christer Bruun wiederum weitergeführt, indem er vermutete, dass es sich bei dem bekannten altrömischen Helden M. Furius Camillus um eine gänzlich fiktive Figur gehandelt habe. In diese Gestalt sei zum einen die Überlieferung um den historisch einflussreichen L. Furius Medullinus eingegangen, die vermutlich bereits früh durch die mündliche Überlieferung legendenhaft überwölbt gewesen sein wird. Zum anderen seien in die Ausgestaltung der Figur des M. Furius Camillus Elemente älterer, heute jedoch verlorener, mittelitalischer Volksüberlieferungen eingegangen. Diese sind zwar nicht mehr greifbar, doch Bruun nimmt an, dass es sich bei den Wandzeichnungen, die in der Tomba François in Vulci gefunden wurden, um Illustrationen zu jenen Überlieferungen handele. Die dort dargestellten Figuren sind mit Beischriften versehen, um dem Betrachter eine Identifizierung zu erleichtern, und bei einer der Gestalten ist der Name Marce Camiltnas zu lesen.53 Bruun vermutet in den legendenhaften Geschichten, die in Mittelitalien über diesen Mann mutmaßlich verbreitet waren, eine weitere Quelle, die zur Ausformung der Camillus-Figur beigetragen haben

49In

der Forschung konnte nämlich bereits seit geraumer Zeit der Schluss nahegelegt werden, dass die Legenden um die Taten des M. Furius Camillus das Produkt einer langen Überlieferungsgeschichte darstellen, in der immer wieder neue Elemente und Erzählkreise hinzugefügt wurden, die vorher teils unabhängig voneinander existiert hatten. Für eine umfangreiche Präsentation und Interpretation des Materials siehe zuletzt vor allem Späth 2001 und Walter 2004a, 382–407. Siehe zudem bereits Münzer 1910. Vgl. auch Bruun 2000, 43. 50Siehe zum Folgenden Bruun 2000. 51Bruun 2000, 57 f. (u. a. 57: „Altogether we can say that the person of Furius Medullinus comes across completely without personality in Livy. On the two occasions where he is mentioned, he handles routine tasks.“). Im Einzelnen soll L. Furius Medullinus in den Jahren 413 und 409 Konsul sowie 407, 405, 398, 397, 395, 394 und 391 Militärtribun mit konsularischer Amtsgewalt gewesen sein. Siehe Broughton 1951, für Nachweise zu den jeweiligen Jahren. 52Bruun 2000, 59. 53Die Zeichnungen in der Tomba François werden in der Forschung in die zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts datiert. Siehe u. a. Coarelli 1983/1996, 138. Vgl. Bruun 2000, 45 („This means that the scenes we see depicted are from the past, historical, legendary – from the painter’s point of view.“).

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

85

könnte.54 Verschiedene Versionen seien zunächst mündlich tradiert worden, bis sich schließlich die bekannte Camillus-Legende durchgesetzt und etabliert habe.55 Die Vermutung, dass verschiedene Versionen über den Angriff der Kelten und deren Einnahme Roms in Mittelitalien in Form mündlicher Überlieferung kursierten, ist grundsätzlich vollkommen plausibel, und auch die Möglichkeit, dass die Figur des M. Furius Camillus gänzlich fiktiv ist, ist durchaus gegeben. Angesichts des spärlichen Quellenmaterials für diese Zeit ist Bruuns interessante These allerdings nicht zu erhärten.56 Im Dunkeln tappt die Forschung, wie oben bereits aus­geführt, auch hinsichtlich des Inhaltes der von Cato erwähnten carmina con­ vivalia. Zwar ist es grundsätzlich nicht unwahrscheinlich, dass in diesen auch Taten einzelner Römer gerühmt wurden, die im Zusammenhang mit der Eroberung Roms durch die Kelten bzw. mit deren Abzug oder, in einer für die Römer günstigeren Variante, mit ihrer Vertreibung standen. Doch Schlüsse, die über allgemeine Annahmen und hypothetische Vermutungen hinausgingen, lassen sich in der Hinsicht nicht gewinnen. Die frühe Phase der Repräsentation der ‚Gallischen Katastrophe‘ in der römischen Geschichtskultur bleibt nahezu gänzlich verborgen.

3.1.3  Der Sturm auf das Kapitol – vom 3. bis zum 2. Jahrhundert Ende der dreißiger Jahre des dritten Jahrhunderts begannen verschiedene römische Feldherren damit, eine neue Expansion Roms in die oberitalischen Keltengebiete in Angriff zu nehmen.57 Der Gedanke liegt nahe, dass in einer Phase der intensivierten Auseinandersetzung der Römer mit Kelten auch die Erinnerung an Roms Keltenkriege der Vergangenheit verstärkt worden sein könnte. ­Aufgrund des fragmentarischen Zustandes von Quellen aus dieser Zeit fällt es jedoch schwer nachzuvollziehen, inwiefern dies tatsächlich der Fall war und in welcher Form dies geschah. Im Folgenden sollen diese Quellen indes genauer betrachtet

54Bruun

2000, 46–56. Vgl. hierzu Walter 2004a, 385. Siehe zudem, mit teilweise hiervon abweichenden Überlegungen, Coarelli 1983/1996, 167–169. 55Siehe Bruun 2000, 65–67, der zudem, in Anschluss an die Überlegungen von Wiseman 1998 Aufführungen von Bühnenstücken in der Verbreitung der Camillus-Legende einen wichtigen Einfluss zuschreiben möchte und in der Livius-Passage, in der Camillus gerade rechtzeitig zur Vertreibung der Gallier in Rom eintrifft (Liv. 5,48,9–49,6), ein Echo dieser Dramen vermutet. Siehe hierzu bereits oben Abschn. 2.2 zur Frage der Einordnung von Dramen historischen Inhaltes in die römische Geschichtskultur. 56So auch Walter 2004a, 385. 57Das Unternehmen scheint zunächst umstritten gewesen zu sein, doch setzten die Römer in den folgenden Jahrzehnten ihre expansive Politik in den Norden fort. Ihrerseits hatten sie sich keltischen Angriffen zu erwehren, besonders im Jahr 225, als ein großes keltisches Heer bei Telamon schwer geschlagen wurde. Zu den römischen Feldzügen in Oberitalien in den ersten Jahrzehnten des zweiten Jahrhunderts siehe zuvor bereits Dyson 1985, 35–41; Birkhan 1997, 124; Heftner 1997, 350–354.

86

3  Roms Keltenkriege

werden, um wenigstens eine ungefähre Vorstellung vom Umgang mit Roms einstiger Niederlage gegen Kelten in dieser Zeit der erneuten Auseinandersetzungen zu erlangen. Wie erwähnt, neigt die Forschung mehrheitlich zu der Annahme, dass die Gestalt des M. Furius Camillus erst relativ spät in die Überlieferung um den Ereigniszusammenhang der Niederlage an der Allia und der Einnahme Roms durch die Kelten eingewoben wurde.58 Für welchen Zeitraum hiermit zu rechnen ist, bleibt wiederum unklar. Möglicherweise war Camillus bereits zur Zeit der Keltenkriege der zwanziger Jahre des dritten Jahrhunderts eine zentrale Rolle in der Erinnerung an die ‚Gallische Katastrophe‘ zugemessen worden, auch wenn die Camillus-Legende kaum bereits in der vollständigen später etablierten Version vorlag.59 Sicher ist immerhin, dass in dieser Zeit die ersten Werke römischer Autoren entstanden, in denen die Schlacht an der Allia und die Einnahme Roms behandelt wurden. Die erste Darstellung der ‚Gallischen Katastrophe‘ aus der Feder eines römischen Autors, von der bekannt ist, dass sie existierte, war wohl im Werk des ersten römischen Historiografen, Q. Fabius Pictor, zu finden. Pictor nahm an den erwähnten Keltenkriegen der zwanziger Jahre des dritten Jahrhunderts offenbar selbst teil, und einige der Fragmente aus seinem Werk lassen sich der Darstellung dieser Feldzüge zuordnen.60 Falls die Zuordnung eines bei Gellius zitierten Fragmentes aus den Annales eines gewissen Fabius zum Werk des Pictor zutreffend ist, ließe sich zudem argumentieren, dass Fabius die Einnahme Roms durch die Gallier bereits als chronologischen Fixpunkt, und damit womöglich auch als historischen Markstein und Wende begriffen hat. Da indes bereits die Zuordnung des Fragmentes zu Fabius Pictor nicht vollständig gesichert ist, muss dies zwangsläufig auch für davon abgeleitete Interpretationen gelten.61

58Siehe

u. a. Horsfall 1987, 63; Cornell 1995, 317; Forsythe 2005, 255. wäre es zumindest denkbar, dass die Gründung einer Kolonie im Gebiet der Anares mit dem Namen Camillomagus kein Zufall, sondern eine bewusste Bezugnahme auf den großen Anführer der Römer in den Keltenkämpfen der Vergangenheit war. Doch muss diese Deutung ohne weitere Informationen unsicher bleiben. So wäre es ebenso denkbar, dass Camillus zur Zeit der Gründung von Camillomagus als erfolgreicher Feldherr in Roms Auseinandersetzung mit den Kelten bekannt war, er in der Überlieferung jedoch noch nicht als Retter der Römer vor den keltischen Eroberern etabliert war. So Dyson 1985, 52, mit dem Hinweis, dass einer der Konsuln, der 224 das römische Aufgebot gegen die Insubrer führte, ein Angehöriger der gens Furia war (P. Furius Philus, der in diesem Jahr der Kollege des C. Flaminius war). 60FRH 1 F 29 = FRHist 1 F 20 (=Plin. nat. 10,71); FRH 1 F 30 a und b = FRHist 1 F 21 a und b (=Eutr. 3,5 bzw. Oros. 4,13,6–7). 61FRH 1 F 23 = FRHist 1 F 30 (=Gell. 5,4,1–3, bes. 3: quapropter tum primum ex plebe alter consul factus est duovicesimo anno postquam Romam Galli ceperunt). Zur Diskussion um die Zuordnung des Fragmentes siehe zuletzt (mit weiteren Nachweisen) den Kommentar in FRHist III, 47 f. 59Dann

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

87

Generell ist es sehr wahrscheinlich, dass die ‚Gallische Katastrophe‘ bei Pictor behandelt wurde, vielleicht auch in etwas umfangreicherer Form als andere Geschehnisse aus diesem Zeitraum.62 In diesem Zusammenhang wird oftmals angenommen, dass zumindest weite Teile von Polybios’ Überblick zur Geschichte keltisch-römischer Kriege im vierten und dritten Jahrhundert auf Pictor basieren.63 Ein Blick in die entsprechende Passage bei Polybios zeigt etwa, dass die Kelten dort von Rom abziehen, da sie ihre Heimat vor einem Angriff der Veneti schützen müssen.64 Sollte dies tatsächlich auch bei Q. Fabius Pictor gestanden haben, dann scheint es eher unwahrscheinlich, dass Camillus eine tragende Rolle in der Darstellung des Pictor einnahm, jedenfalls in der bei Livius vorzufindenden Form als Retter Roms.65 Darüber hinaus wurde die Vermutung formuliert, dass Pictor eine wesentliche Rolle hinsichtlich der Form der Darstellung der keltischen Eroberung Roms sowie in Hinsicht auf damit verbundene Deutungen spielte. Hierbei seien insbesondere Pictors Kenntnis der griechischen Kultur im Allgemeinen und der Historiografie im Speziellen sowie der intensivierte Kontakt Roms zur griechischen Welt seit dem Ende des dritten Jahrhunderts zu berücksichtigen.66 In den Annales des Q. Ennius tauchte die ‚Gallische Katastrophe‘ ohne Zweifel auf. Auch in diesem Fall lassen sich hinsichtlich der genauen Gestalt ihrer Einarbeitung allerdings lediglich Vermutungen anstellen. Ennius verteilte seinen Stoff über 18 Bücher, in denen er vom vierten bis sechsten Band die frühe Geschichte der römischen Republik behandelte. Die Einnahme Roms durch die Kelten dürfte in Buch vier gestanden haben.67 In diesen Zusammenhang ordnet Otto Skutsch zwei Verse ein, die von M. Terentius Varro ohne Angabe eines Buches überliefert worden sind und die in der Forschung intensiv diskutiert wurden:68 Septingenti sunt, paulo plus aut minus, anni Augusto augurio postquam incluta condita Roma est

62Die

Schlacht an der Allia dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Teil von Pictors Geschichte zu finden gewesen sein, von dem Dionysios von Halikarrnassos berichtet, dass Fabius hier die Ereignisse nach der Gründung der Stadt in recht knapper Form dargestellt hatte. Dion. Hal. ant. 1,6,2. Siehe hierzu die ausführliche Untersuchung von Timpe 1972. 63Pol. 2,18–35. Siehe hierzu Walbank 1957, 184: „The source for most of this is probably Fabius Pictor […], who himself took part in the war of 225 […].“; Timpe 1972, 938. 64Pol. 2,18,3. 65So auch Walbank 1957, 185. 66Da Pictors Werk kaum bekannt ist, stützen sich diese Vermutungen letztlich auf die Schilderung im fünften Buch des Livius, weshalb diese auch erst im entsprechenden Abschnitt weiter unten diskutiert werden. Siehe unten Abschn. 3.1.5. 67Siehe zur Bucheinteilung von Ennius’ Annales Skutsch 1985, 5. 68Enn. ann. 154–155 (=Varro r.r. 3,1,2–3).

88

3  Roms Keltenkriege

Auch wenn schon dies keineswegs als gesichert gelten kann, wird oft davon ausgegangen, dass diese Passage aus einer Rede stammt, sodass sich die Frage nach dem Sprecher und der Situation stellt, in der die Rede gehalten wurde.69 Skutschs Argumentation geht von der Annahme aus, dass in den Annales Romulus ein Enkel des Aeneas war, die Könige von Alba Longa hier also nicht vorkamen. Da Ennius das von Eratosthenes ‚ermittelte‘ Jahr des Falles von Troia, 1184, wohl bekannt war, könne man für die Annales von einer Gründung Roms um das Jahr 1100 herum ausgehen.70 Rechnet man von hier aus 700 Jahre weiter, gelangt man in ein Jahr um 400, also in etwa das der ‚Gallischen Katastrophe‘.71 Die bekannteste Rede aus dem Kontext dieses Ereignisses, die sich in der späteren Überlieferung finden lässt, ist diejenige, die M. Furius Camillus im fünften Buch des Livius hält, um das römische Volk davon abzuhalten, seine zerstörte Heimatstadt zu verlassen und nach Veii überzusiedeln. Der livianische Camillus betont dabei u. a. die von heiligen Ritualen begleitete Gründung der Stadt, die es verbiete, ihren Grund aufzugeben. In eben diesen argumentativen Zusammenhang gehörten nach Skutsch auch die beiden Zeilen des Ennius, was Skutsch als Beweis dafür ansieht, dass Camillus bereits in den Annales eine tragende Rolle als Retter Roms zukam, die ihm, wie oben gesehen, in der früheren Überlieferung wohl nicht zuteilwurde.72 Dass die Camillus-Legende bereits zu Ennius’ Zeiten eine gewisse Gestalt angenommen hatte, ist durchaus nicht unwahrscheinlich.73 Skutschs Argumentation über die chronologischen Verweise in dem Fragment ruht allerdings auf sehr unsicheren Annahmen.74 Ein Vergleich der Ennius-Verse mit der ­Camillus-Rede bei Livius fördert ebenfalls kein eindeutiges Ergebnis zu Tage.75

69Passage

Teil einer Rede: u. a. Skutsch 1968 12 f.; 1985, 314–316; Cornell 1986, 247. Dem hat zuletzt Elliott 2013, 65 widersprochen, die daran erinnert, dass bereits diese Zuschreibung der Passage nicht als gesichert gelten kann. 70Skutsch 1968, 12. 71So die Überlegung in Skutsch 1968, 12 f.; 1985, 314 f. 72Skutsch 1968, 13. 73Vgl. Walter 2004a, 387–391. 74Siehe Gaertner 2008, 41, Anm. 68 („The view […] is based on an extremely tenuous argument: even if Ennius dated Rome’s foundation to about 1100 B. C. and Enn., Ann. 154 […] indicates that the lines Ann. 154–5 were spoken by a statesman of the fifth or fourth century B. C., this still does not prove that the context of such a speech was the refoundation after the Gallic sack […], let alone that the speaker was Camillus and not Lucius Lucretius or one of the other men mentioned at Plut., Vit. Cam. 31–2.“). 75Die zum Vergleich herangezogene Passage ist Liv. 5,51–54, bes. 5,52,2 (urbem auspicato inauguratoque conditam habemus) und 5,54,4 (trecentesimus sexagesimus quintus annus urbis, Quirites, agitur). Vgl. zur zweiten Stelle Skutsch 1985, 315: „[…] the number of years is naturally changed to the Varronian era“. Zustimmend Cornell 1986, 247; Walter 2004a, 389, Anm. 73 („wahrscheinlich die erste Version der Rede“ des Camillus). Skeptisch bereits Tränkle 1998, 147, Anm. 6; Gaertner 2008, 41, Anm. 68 („The verbal resemblance between Ann. 154–5 […] and Liv. 5.52.2 […] and 5.54.5 […] is not only rather faint (pace Skutsch) but also insignificant in view of the fact that the expression urbem auspicato condere has at least seven exact parallels in Cicero […].“) und zuletzt Elliott 2013, 65, 237.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

89

Man wird daher zwar die Möglichkeit einräumen können, dass Camillus bereits in den Annales eine wichtige Rolle im Zusammenhang der Eroberung Roms durch die Kelten eingenommen haben könnte, doch kann dies keinesfalls als gesichert gelten, und erst recht keine eindeutige Aussage darüber ermöglichen, ob Camillus bereits in dem Umfang in die Handlung eingebunden war, wie es im fünften Buch des Livius der Fall ist. Zudem ist es ebenso möglich, dass die Passage aus einem gänzlich anderen Kontext stammt. Neben dieser Stelle hat ein kurzes Textstück, das bei Macrobius überliefert worden ist und sich möglicherweise auf die ‚Gallische Katastrophe‘ beziehen lässt, Anlass zu intensiven Diskussionen gegeben.76 Hierbei handelt es sich um folgende Verse:77 Qua Galli furtim noctu summa arcis adorti Moenia concubia uigilesque repente cruentant

Hinsichtlich der Einordnung und Deutung dieser kurzen Passage ergibt sich eine Reihe von Fragen. Die erste betrifft die Zuordnung in das siebte Buch der Anna­ les, die durch Macrobius überliefert ist und nicht ohne Grund verworfen werden sollte.78 Aus diesem Grund hat Theodor Mommsen diese Passage auch mit einem gallischen Angriff auf römische Kolonien im dritten Jahrhundert in Verbindung bringen wollen, was zwar eine durchaus denkbare Deutung darstellt, in der Forschung seitdem jedoch kaum mehr aufgegriffen wurde.79 Bereits zuvor hatten Joseph Lawicki und Otto Ribbeck die Vermutung geäußert, dass die Aktion der Gallier Teil einer Retrospektive auf die gallische Eroberung Roms war, die dann im siebten Buch gestanden hätte.80 Auch dies ist eine denkbare Variante. Rückund Vorausblicke sind schließlich bekanntlich seit Homer Bestandteil der Gattung des Epos, und sowohl im zweiten Buch des Polybios, als auch in den Punica des Silius Italicus treten Kelten auf, die im Zuge von Einfällen nach Italien im dritten Jahrhundert explizit auf den erfolgreichen Feldzug ihrer ‚Vorfahren‘ auf Rom anspielen.81 Den Gedanken, dass eine solche Retrospektive bereits bei Ennius zu

76Siehe

bes. Skutsch 1953; 1978; 1985, 405–408. ann. 227–228. 78Macr. Sat. 1,4,17 (Ennius enim – nisi cui videtur inter nostrae aetatis politiores munditias respuendus – noctu concubia dixit his versibus: ‚qua Galli furtim noctu summa arcis adorti moe­ nia concubia vigilesque repente cruentant.‘ quo in loco animadvertendum est non solum quod noctu concubia, sed quod etiam qua noctu dixerit. et hoc posuit in Annalium septimo, in quorum tertio clarius idem dixit: […]). Die Zuordnung in Buch sieben hat zuletzt Elliott 2013, 314 in ihrer umfassenden Studie zu den Annales verteidigt. 79Mommsen 1879, 298, Anm. 3. 80Lawicki 1852, 39 (der Hinweis hierauf bei Skutsch 1985, 405, Anm. 17); Ribbeck 1856, 276 f. 81Pol. 2,22,4; 2,23,7; Sil. 6,555–559. Vgl. hierzu Skutsch 1953, 77; 1985, 405. 77Enn.

90

3  Roms Keltenkriege

finden war, hat Skutsch in einer Reihe von Aufsätzen sowie im Rahmen s­einer kommentierten Edition der Annales aufgegriffen und erweitert.82 So möchte Skutsch aus der Formulierung cruentant schließen, dass es den Galliern hier tatsächlich gelingt, die römischen Wachen zu töten und somit auch das Kapitol mit der arx einzunehmen, die sie des Nachts heimlich erklommen haben. Die Passage gehöre nämlich in den Zusammenhang der nächtlichen Attacke auf das Kapitol, die die Gallier bei Livius unternehmen, nachdem sie die Spuren des Boten, den die nach Veii geflüchteten Römer zu den im Zentrum Roms eingeschlossenen Verteidigern geschickt hatten, entdeckt haben. In Livius’ Version kann sich M. Manlius Capitolinus, durch das Schnattern der Gänse gewarnt, den Angreifern gerade noch rechtzeitig entgegenstellen und auf diese Weise entscheidend dazu beitragen, die Attacke abzuwehren. Die gesamte Legende um die Heldentat des Capitolinus ist deutlich erkennbar das Produkt einer späteren Ausgestaltung, und Skutsch vermutet, dass grundsätzlich die gesamte erhaltene Überlieferung dahin gehend verändert wurde, dass es ursprünglich überhaupt keine erfolgreiche Verteidigung des Kapitols gab, sondern es den Galliern gelang, dieses einzunehmen.83 Skutschs Interpretation ist in der Forschung auf ein geteiltes Echo gestoßen. Eine Reihe von Forschern hat sie positiv aufgenommen und geht davon aus, dass tatsächlich eine mutmaßlich ältere Version existierte, in der es den Galliern gelang, ganz Rom einzunehmen.84 Auf der anderen Seite ist Skutschs These wiederholt und mit Nachdruck zurückgewiesen worden.85 So hat Cornell zu Recht angeführt, dass der entsprechenden Ennius-Passage keine Aussage darüber zu entnehmen ist, dass es den Galliern gelungen sei, sämtliche römischen Verteidiger niederzuringen, sondern lediglich, dass sie die „Wächter“ (vigiles) niedergestreckt hätten, was sich eben durchaus auch nur auf einen kleinen Teil der Garnison auf dem Kapitol beziehen könnte.86 Auch die Stellen bei Silius Italicus enthalten keine eindeutigen Informationen darüber, dass das Kapitol gefallen sei. Die Formulierung des Lucan könnte eine rhetorische Übertreibung sein.87 Zudem wäre es doch zumindest erstaunlich, wenn kein antiker Textzeuge auf eine solche Variante explizit a­ ufmerksam gemacht hätte. Zuletzt spricht in der Tat die weite Verbreitung

82Skutsch

1953, 77 (bibliografisch ergänzte Version in Skutsch 1968, 138–142); 1978; 1985, 405–408, bes. 407 f. Die Deutung, dass es sich bei den von Macrobius zitierten Versen um einen Rückblick handele, wird grundsätzlich akzeptiert u. a. von Elliott 2013, 68. 83Siehe die Hinweise in der vorangegangenen Anmerkung. Diese Überlegung versucht Skutsch zudem durch den Hinweis auf einige weitere Stellen u. a. bei Lucan zu stützen, die seiner Ansicht nach ebenfalls auf eine vollständige Eroberung Roms, mitsamt des Kapitols, hindeuten. So etwa auf Lucan. 5,27; Tert. apol. 40,9. 84So u. a. Sordi 1984, 88; Horsfall 1987; Williams 2001, 144 f.; Kolb 2002, 94; Perl 2007; Richardson 2012, 128. 85Siehe vor allem Cornell 1986, 247 f. 86Cornell 1986, 248: „These lines do not say that the Gauls massacred the garrison, but rather that they killed the vigiles, a very different matter. […] In Livy the sentries were asleep; in Ennius they were surprised (while sleeping?) and dispatched“. 87Cornell 1986, 248.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

91

der Legende von Manlius Capitolinus und den Gänsen, die ihn rechtzeitig weckten, sodass er die Gallier aufhalten konnte, eher gegen die von Skutsch und anderen vermutete Überlieferung.88 Es muss daher festgehalten werden, dass sich eine Version der Überlieferung, wie sie von Skutsch vermutet worden ist, nicht nachweisen lässt.89 Angesichts der Bedeutung, die dem Kapitol als politisches und religiöses Zentrum der römischen Welt zukam, wäre es zwar durchaus denkbar, dass eine solche Version, wenn sie denn überhaupt einmal existiert hat, in späteren Generationen zurückgedrängt und durch die Legende einer heroischen Verteidigung ersetzt wurde, doch muss dies auf Basis der bekannten Quellen unsicher bleiben. M. Porcius Cato war offenbar der erste römische Geschichtsschreiber, der sich dazu entschloss, die Geschichte Roms in lateinischer Sprache aufzuschreiben.90 Unter anderem zeichnete sich die Schrift anscheinend durch eine „breite Einbeziehung der italischen Völker und Landschaften“ aus, der Cato besonders im zweiten und d­ ritten Buch einigen Platz eingeräumt und dabei auch „geographisch-topographischen, mythologischen, historischen und kulturgeschichtlichen Notizen“ Eingang in sein Werk gestattete.91 In diesem Teil der Origines könnte auch eine Schilderung der Einnahme Roms durch die Gallier gestanden haben, doch sind hierzu keine Belege erhalten.92 In den weiteren Kontext des Ereignisses gehört zumindest bei Livius die Überlieferung über die Ursachen der keltischen Migration nach Italien, wo auch die Legende um Arruns von Clusium auftaucht, der die Kelten zu einem Einfall in seine Heimat überredet, um seinen Rivalen Lucumo zu besiegen, der die Frau des Arruns verführt hatte.93 Das Auftauchen der Kelten vor Clusium setzt die für Rom verhängnisvolle Kette von Ereignissen in Gang. Nach einem Eintrag bei Aulus ­ Gellius zu urteilen war diese Legende Cato wohl bereits bekannt.94 Ob sie in den

88Mit

diesem Hinweis bereits u. a. Ogilvie 1965, 720. Vgl. Ungern-Sternberg 2000, 215 f.: „Sollte das Kapitol nicht behauptet worden sein, dann würde die Rettungstat der Gänse wegfallen – die doch zum Aition für sehr unterschiedliche Bräuche geworden ist“. 89So auch Ogilvie 1965, 720; Ungern-Sternberg 2000, 215; Williams 2001, 144 f.; Walter 2004a, 269, Anm. 255. 90Siehe nur Beck/Walter ²2005, 150; Cornell 2013, 195 f. 91Beck/Walter ²2005 152, (Zitat). 92Vgl. zur Bucheinteilung Beck/Walter ²2005, 152 f. 93Liv. 5,33,3–4. 94FRH 3 F 2,5 = FRHist 5 F 27 (=Gell. 17,13,4): in secunda quoque origine M. Cato non longe secus hac particula usus est: neque satis, inquit, habuit, quod eam in occulto uitiauerat, quin eius faman prostitueret. Dion. Hal. ant. 13,10,2 berichtet davon, dass Lucumo nicht nur danach gestrebt habe, die Frau des Arruns von Clusium zu verführen, sondern den Ehebruch auch öffentlich zu machen, um sie – und natürlich ihren Ehemann – öffentlich zu demütigen. Das Fragment scheint gut in diesen Zusammenhang zu passen. Es sollte jedoch nicht verschwiegen werden, dass handschriftlich nicht eam, sondern eum überliefert ist, was ausschließen würde, dass die Frau des Arruns hier das Objekt der Absichten des Lucumo ist, sodass wohl auch eine Verbindung dieses Fragmentes mit der Überlieferung um Arruns von Clusium entfiele. Siehe für diesen Hinweis den Kommentar in FRHist III, 77 f., wo sich mit plausiblen Argumenten für die

92

3  Roms Keltenkriege

­ rigines, wie bei Livius, mit der Einnahme Roms durch die Kelten in Verbindung O stand, und wie genau eine solche mögliche Verbindung aussah, bleibt freilich gänzlich unklar.95 Das früheste Werk, von dem sich Fragmente finden lassen, die sich eindeutig dem Kontext der ‚Gallischen Katastrophe‘ zuweisen lassen, ist vermutlich dasjenige des L. Cassius Hemina, wohl eines Zeitgenossen des Polybios’.96 So verweist Appian im Buch über Roms Keltenkriege auf das Zeugnis eines gewissen Κάσσιος ὁ Ῥωμαῖος, womit Cassius Hemina gemeint sein könnte.97 Bei der zitierten Episode handelt es

Lesung eam ausgesprochen wird. Ohne jeden Zweifel gesichert ist die Zuordnung der Passage zur Geschichte um Arruns also nicht. Sie wird jedoch in den gängigen Editionen und Kommentaren als plausible Annahme vertreten (siehe die Kommentare in FRH und FRHist für Nachweise). 95Siehe hierfür die genaue Untersuchung von Williams 2001, 103 f. und FRHist III, 78. Mit hoher Wahrscheinlichkeit behandelte Cato indes die von den Kelten bewohnten Gebiete Oberitaliens, was ihm eine Gelegenheit gegeben hätte, auf die keltischen Einfälle nach Mittelitalien und den Angriff auf Rom näher einzugehen und dabei auch eigene Akzente im Zusammenhang mit der Frage nach der Herkunft und der Motivation der Kelten zu setzen. Auch jenseits der Geschichte um Arruns und Clusium ist es aufgrund der Quellenlage nicht möglich, hierzu mehr als allgemeine Annahmen zu formulieren. Die wenigen Fragmente, die sich aus den Notizen zu Kelten in den Origines erhalten haben, betreffen ethnologische Betrachtungen genereller Art. Dabei hebt Cato deren Bereitschaft zur Kriegsführung und eine gewisse Redegewandtheit hervor, was sich recht gut in offenbar verbreitete Vorstellungen von den Kelten in der griechischen und römischen Welt im zweiten Jahrhundert einfügt (so etwa in FRH 3 F 2,3 = FRHist 5 F 33 (=Charis. 2 p. 263 B). Zu zeitgenössischen Vorstellungen von den Kelten siehe u. a. Williams 2001, 68–99). In den Zusammenhang (kultur-)geschichtlicher Notizen zu einzelnen Landschaften und Städten könnte das oben zitierte, von Gellius überlieferte, Fragment übrigens ohne Frage ebenfalls hineingepasst haben, etwa in einen Exkurs zur Geschichte Etruriens oder Clusiums, der nicht eben nicht notwendigerweise direkt mit einer Darstellung des keltischen Zuges auf Rom in Verbindung gestanden haben muss (dieser berechtigte Hinweis zuletzt bei FRHist III, 78). 96Siehe zu L. Cassius Hemina die bibliografischen Hinweise oben in Abschn. 2.2. 97FRH 6 F 22 = FRHist 6 F 22 (=App. Celt. fr. 6): […] Κελτοὶ μηδεμιᾷ μηχανῇ δυνηθέντες ἐπιβῆναι τῆς ἀκροπόλεως ἠρέμουν ὡς λιμῷ τοὺς ἔνδον παραστησόμενοι. καί τις ἀπὸ τοῦ Καπιτωλίου κατέβαινεν ἱερεύς, ὄνομα Δόρσων, ἐπὶ ἐτήσιον δή τινα ἱερουργίαν ἐς τὸν τῆς Ἑστίας νεὼν στέλλων τὰ ἱερὰ διὰ τῶν πολεμίων εὐσταθῶς· τὸν δὲ νεὼν ἐμπεπρησμένον ἰδὼν ἔθυσεν ἐπὶ τοῦ συνήθους τόπου καὶ ἐπανῆλθεν αὖθις διὰ τῶν πολεμίων αἰδεσθέντων ἢ καταπλαγέντων αὐτοῦ τὴν τόλμαν ἢ τὴν εὐσέβειαν ἢ τὴν ὂψιν ἱερὰν οὖσαν. ὅ μὲν δὴ κινδυνεύειν ὑπὲρ τῶν ἱερῶν ἑλόμενος ὑπ’ αὐτῶν ἐσώζετο τῶν ἱερῶν. καὶ τόδε φησὶν ὧδε γενέσθαι Κάσσιος ὁ Ῥωμαῖος. Die Zuordnung ist nicht vollkommen sicher, da in der einzigen Handschrift, durch die das Appian-Fragment greifbar ist, einem byzantinischen Exzerpt des 10. Jahrhunderts, nicht Κάσσιος, sondern Καύσιος als Name des Römers verzeichnet ist. Die Emendation in Κάσσιος wird jedoch weitgehend angenommen, da die korrupte Überlieferung durch einen einfachen Abschreibfehler leicht erklärbar ist. Anders allerdings Forsythe 1990, 342 f., der zwei Alternativen für denkbar hält. Zum einen schlägt er eine Emendation in Κλαύδιος und vermutet in der Stelle einen Verweis auf das Werk des Q. Claudius Quadrigarius (zu diesem siehe unten Abschn. 3.1.4). Zum anderen hält er auch die Änderung in Κάσσιος für denkbar, geht aber davon aus, dass hiermit dann das Werk des Cassius Dio gemeint sei. Beide Vorschläge sind wenig plausibel, worauf bereits mehrere Kommentatoren hingewiesen haben. So erscheint ein Fehler bei der Abschrift,

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

93

sich um den, grundsätzlich auch bei Livius (siehe unten) überlieferten, Opfergang des Römers C. Fabius Dorsuo, der von dem von den Galliern eingeschlossenen Kapitol herabgestiegen sein soll, um durch die Reihen der Feinde zu schreiten und ein Opfer am Vestatempel durchzuführen. Aus Ehrfurcht vor seiner Frömmigkeit, durch den Anblick der heiligen Handlung oder aus einem anderen Grund hätten die Kelten den Römer wider Erwarten nicht attackiert, sodass dieser die Opferhandlung durchführen und sogar zum Kapitol zurückkehren konnte. Im Vergleich zur später bei Livius zu findenden Version dieser Geschichte fällt auf, dass der Ort der Opferhandlung nicht der gleiche ist. Bei Livius opfert Dorsuo nämlich auf dem Quirinal, wo er ein Opfer vollzieht, das der gens Fabia vorgeschrieben war, während er bei Appian/Cassius zum Vestatempel geht.98 Welche Variante die frühere ist, lässt sich nicht sicher klären.99 Es ist denkbar, dass Dorsuo ursprünglich einen Gentilkult auf dem Quirinal gepflegt haben soll, und Cassius Hemina dann durch die Einsetzung des öffentlichen Vesta-Kultes eine Aufwertung der Handlung suggerieren wollte, die sich nun auf das Wohl der gesamten res publica bezogen hätte.100 Es ist andererseits ebenso möglich, dass die Überlieferung um das Opfer im Vestatempel älter ist und der fabische Gentilkult erst im Rahmen einer Hervorhebung der Bedeutung dieser gens im Zusammenhang der ‚Gallischen Katastrophe‘ mit der Episode um Dorsuo verbunden wurde.101 Eine Gemeinsamkeit, die beide abweichenden Versionen verbindet, besteht in der Betonung römischer pietas in einer äußerst gefährlichen Situation. In welchen weiteren Deutungszusammenhang dieses Motiv bei Cassius Hemina gestellt worden war, lässt sich freilich nicht mehr detailliert nachvollziehen, sodass es im Rahmen der Untersuchung der Darstellung bei Livius wieder aufgegriffen werden wird.102 Die Schrift des Cassius Hemina war offenbar auch eine Quelle für Macrobius, der hierauf im Rahmen seiner Erforschung des Ursprungs der dies postri­ duani zurückgriff, da dieser deren besondere Qualität offenbar mit dem Opfer des ­Militärtribun Q. Sulpicius am Tag nach den Iden des Quintilis (also am 16. Juli) verbunden hatte. Zudem habe man im Nachhinein erkannt, dass ein solches Opfer auch im Vorfeld der Schlacht an der Cremera „und bei vielen anderen

der zu der Form Κάσσιος führte, weitaus wahrscheinlicher (lediglich ein Buchstabe wurde falsch erkannt) als ein solcher, der zu Κλαύδιος geführt hätte. Der erhaltene Bericht des Cassius Dio (Cass. Dio. fr. 25,5–6) passt wiederum nicht zu dem in dem Exzerpt beschriebenen Vorgang. Siehe mit diesen Argumenten die Kommentare von Beck/Walter ²2005, 265, sowie in FRHist III, 171 (mit weiteren Hinweisen). Daher wird im Folgenden davon ausgegangen, dass die Passage tatsächlich auf das Werk des L. Cassius Hemina zurückgeht. 98Mit diesem Hinweis zuletzt die Kommentare in Beck/Walter ²2005, 265; FRHist III, 171. 99Vgl. die unterschiedlichen Vorschläge in Ungern-Sternberg 2000, 213; Beck/Walter ²2005, 265. 100So die Deutung von Beck/Walter ²2005, 265. 101So Ungern-Sternberg 2000, 213: „Die Verdrängung durch einen Gentilkult der Fabier entspräche dann der auch sonst zu beobachtenden Tendenz, diese Gens vermehrt herauszustellen“. 102Siehe unten Abschn. 3.1.5.

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3  Roms Keltenkriege

­Gelegenheiten“ (multisque aliis temporibus) durchgeführt worden sei. Daraufhin hätten die pontifices auf Veranlassung des Senates gehandelt und festgelegt, dass an den Nachtagen von Kalenden, Nonen und Iden weder Kämpfe noch Volksversammlungen stattfinden sollten.103 Hemina ist demnach der früheste bekannte Gewährsmann für diese, sachlich sicher unzutreffende, Erklärung des Charakters der dies postriduani. Ob das Aition auf seine eigenen Nachforschungen zurückgeht und woher es genau stammte, lässt sich nicht mehr sicher erschließen. Grundsätzlich ging es, wie erwähnt, darum, verschiedene schwere Niederlagen der Frühzeit wechselseitig zu erklären und hierdurch in gewissem Sinne Kontrolle über die Ereignisse der Vergangenheit zu gewinnen.104 Dass dem Senat hierbei in Heminas Darstellung eine zentrale Rolle zukam, sollte nicht überraschen. Die Versammlung beanspruchte in Heminas Lebenszeit, wie auch davor, eine kaum angefochtene Führungsrolle hinsichtlich der „drei, hier eng miteinander verbunden dargestellten Felder: Kommunikation mit den Göttern, Verfügung über den sozialen Rhythmus der Zeit und Gestaltung der periodischen Erinnerung an einschneidende kollektive Erfahrungen“.105 Dass der Senat auch in der Aufarbeitung der ‚Gallischen Katastrophe‘ maßgebend war, konnte Hemina also vollkommen natürlich erscheinen.106 Als weiteren Gewährsmann für seine Herleitung nennt Macrobius neben L. Cassius Hemina übrigens Cn. Gellius, allerdings ohne mögliche Unterschiede in den Darstellungen beider Autoren zu erwähnen, sodass unklar bleibt, ob und inwiefern Gellius in der betreffenden Passage seines Werkes eine eigenständige Position entwickeln konnte.107

3.1.4  Neue Gründung der Stadt und neue Wege auf das Kapitol – die späte Republik Eine Gesamtgeschichte Roms schrieb auch Q. Claudius Quadrigarius, doch eine, die sich von Vorgängerwerken in einem Punkt unterschied, der in Hinsicht auf den Umgang mit der ‚Gallischen Katastrophe‘ in der römischen Geschichtskultur bemerkenswert ist. Es kann nämlich als sehr wahrscheinlich gelten, dass Quadrigarius seine Darstellung der römischen Geschichte nicht mit den Taten des Aeneas

103FRH

6 F 23 = FRHist 6 F 23 (=Macr. Sat. 1,16,21–24). oben Abschn. 3.1.1. 105Beck/Walter ²2005, 266 (Zitat). 106Diese zentrale Rolle des Senates in der Koordination der Reaktionen auf Niederlagen ist in der römischen Geschichtsschreibung anhand einer Reihe von Beispielen zu zeigen, wenngleich gerade in Hinsicht auf Darstellung und Deutung der Reaktionen auf die ‚Gallische Katastrophe‘ auch andere Akzente gesetzt wurden, wie im Kapitel zur Schilderung bei Livius noch zu zeigen sein wird. Siehe unten Abschn. 3.1.5. 107FRH 10 F 24 = FRHist 14 F 8 (=Macr. Sat. 1,16,21–24). Vermutlich fand sich auch im Werk des Vennonius eine Schilderung von Roms Einnahme durch die Gallier, doch bleibt diese angesichts des bestenfalls schemenhaften Bildes, das sich heute noch von Vennonius’ Schrift erschließen lässt, gänzlich jenseits unserer Reichweite. Vgl. S. Northwood, Vennonius, in: FRHist I, 250 f. 104Siehe

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

95

oder der Gründung der Stadt begann, sondern mit dem Angriff der Kelten auf Rom, wodurch dieses Ereignis allein durch die Komposition des Stoffes eine besondere Stellung erhielt. Das Binnenproömium, das Livius an den Beginn der zweiten Pentade in Buch sechs gesetzt hat, geht vermutlich auf die Entscheidung des Quadrigarius zurück.108 Diese könnte Quadrigarius aus dem pragmatischen Grund getroffen haben, dass er die Quellenlage für die frühere Zeit als nicht ausreichend bewertete. Jedenfalls schreibt Plutarch zu Beginn seiner Biografie des Königs Numa, dass „ein gewisser Clodius“ (Κλώδιός τις) in einer kritischen Untersuchung der frührömischen Geschichte festgestellt habe, dass im Galliersturm alle älteren Aufzeichnungen vernichtet worden seien, weshalb eine Darstellung erst ab diesem Punkt möglich sei.109 Ganz ohne Vorbild war die Entscheidung des Quadrigarius für die ‚Gallische Katastrophe‘ als Beginn der erforschbaren römischen Geschichte freilich nicht, da bereits Polybios diesen Ausgangspunkt wählte.110 Auf der anderen Seite hatten viele andere römische und griechische Historiografen vor und nach Claudius Quadrigarius jedoch trotz der offenkundigen Quellenproblematik keine Skrupel, auch den Jahrhunderten der Geschichte Roms vor dem Angriff der Gallier umfangreiche Darstellungen zu widmen. Daher ist es doch möglich, dass die Entscheidung des Quadrigarius nicht allein pragmatischen Beweggründen folgte, sondern er mit ihr auch eine bestimmte Deutung akzentuieren wollte, nach der der Wiederaufbau Roms nach dem Abzug der Gallier eine Form der (erneuten) Gründung der Stadt darstellte. Ob all dies tatsächlich der Fall war und, falls dem so war, inwiefern Quadrigarius diesen Gedanken in seiner Darstellung im Detail ausgeführt haben mag, entzieht sich jedoch ebenso unserer Kenntnis wie die Antwort auf die grundsätzliche Frage, ob der römische Historiograf sein Werk tatsächlich mit der ‚Gallischen Katastrophe‘ beginnen ließ.111

108Eine eindeutige Aussage eines antiken Gewährsmannes, dass Q. Claudius Quadrigarius seine Darstellung mit der ‚Gallischen Katastrophe‘ begann, ist nicht überliefert. Allerdings sind zahlreiche Fragmente, die sich diesem Ereignis zuweisen lassen, durch Gellius ausdrücklich für das erste Buch von Quadrigarius’ Annales bezeugt. Die erhaltenen Fragmente lassen zudem erkennen, dass Livius’ Darstellung der keltischen Eroberung Roms anscheinend von der des Quadrigarius beeinflusst wurde. Für frühere Teile von Ab Urbe Condita lässt sich hingegen keine Benutzung feststellen. Vgl. Beck/Walter 2004, 110; Briscoe 2013b, 289. Zu den Parallelen zu Polybios und Livius vgl. Gaertner 2008, 37. 109Plut. Num. 1,2. Dies hält Plutarch dann freilich nicht davon ab, eine umfassende Biografie des Numa folgen zu lassen. Die Ähnlichkeit zur Einführung Plutarchs in die Parallelbiografie des Lykurg ist auffallend (Plut. Lyk. 1,1), doch die Nennung eines konkreten Werkes des „Clodius“ erlaubt die Annahme, dass es sich hierbei nicht nur um ein Stilmittel handelte, sondern dass Plutarch auch eine entsprechende Quelle vorlag. Dies wiederum lässt vermuten, dass Claudius Quadrigarius der Ansicht war, dass die Quellen für die Zeit vor der gallischen Eroberung keine detaillierte Darstellung zuließen. Vgl. u. a. Oakley 1997, 27 („(conjectured) view of Quadrigarius that there was no reliable testimony for Roman history before 389“). 110Pol.

1,6,1–3; 2,18,1–3; 2,22,4–5. ist die Deutung von Gaertner 2008, 37 („Hence, from at least the second century B. C., the restoration after the Gallic Sack became viewed as a sort of second foundation.“) durchaus möglich, auch wenn ein sicherer Beleg aus den Quellen nicht zu gewinnen ist. 111Insofern

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3  Roms Keltenkriege

Überliefert sind indes einige Fragmente aus dem ersten Buch von Quadrigarius’ Annales, die alle in Buch 17 der Noctes Atticae bei Aulus Gellius überliefert sind. Das erste dieser Zeugnisse, das sich eindeutig den Ereignissen um die Eroberung Roms durch die Kelten zuweisen lässt, zeigt, dass Quadrigarius die Episode um den Boten Cominius kannte, der die auf dem Kapitol eingeschlossenen Römer über einen geheimen Aufstieg erreichte und sie auf dem gleichen Weg wieder verließ. Die gallischen Belagerer der Festung bemerkten ihn nicht, sodass auf diese Weise der Kontakt zwischen Verteidigern und den Römern, die sich außerhalb der Stadt befanden (bei Livius in Veii) gehalten werden konnte. Zur gleichen Episode gehört offenbar noch ein weiteres Fragment, ohne dass sich erkennen ließe, ob und inwiefern sich die Darstellung bei Quadrigarius grundsätzlich von der später bei Livius zu findenden unterschieden hätte.112 Sehr wahrscheinlich werden die Gallier auch bei Quadrigarius die Spuren des Cominius entdeckt haben, denn Gellius zitiert noch eine weitere Passage, in der Quadrigarius auf einen früheren Teil des Werkes verweist, in dem er die Rettung des Kapitols durch den Einsatz des M. Manlius geschildert hatte. Die gleiche Stelle gibt zudem einen Hinweis darauf, dass Rom zum einen durch die Tat des Manlius, zum anderen durch den Einsatz des Dictators M. Furius (Camillus) gerettet worden sei, was das früheste direkte Zeugnis für die Involvierung des Camillus in das Geschehen um die Einnahme Roms durch die Kelten und deren Abzug darstellt.113 Ob Quadrigarius das Cognomen Capitolinus, das M. Manlius aufgrund seiner Tat verliehen worden sein soll, bereits geläufig war, ist nicht sicher zu erschließen.114 Vier weitere Fragmente, die Gellius in der erwähnten Passage zitiert, lassen sich wahrscheinlich ebenfalls den Ereignissen um die Belagerung des Kapitols zuordnen, doch ist diese Zuordnung jeweils nicht sicher zu erweisen.115

112FRH 14 F 4 und 5 = FRHist 24 F 1 und 2 (=Gell. 17,2,24 und 17,2,26). Übrigens taucht in Appians ᾿Ιβηρική (App. Ib. 43,176) ebenfalls ein Cominius auf, der im Heer des Konsul Ti. Sempronius Gracchus im Krieg gegen die Keltiberer gedient habe. Dieser Mann habe sich dadurch hervorgetan, dass er sich unter Lebensgefahr heimlich in eine verbündete Stadt, die von den Keltiberern belagert wurde, begeben hatte, um den Verbündeten vom Kommen der Entsatzarmee des Konsuls zu berichten. Möglicherweise verdankt der Cominius, der sich auf das belagerte Kapitol begab, seinen Namen diesem Reiterführer des spanischen Krieges, doch lässt sich dies auf der vorhandenen Quellenbasis kaum verifizieren. 113FRH 14 F 7 = FRHist 24 F 3 (=Gell. 17,2,14): nam Marcus, inquit, Manlius, quem Capito­ lium servasse a Gallis supra ostendi, cuiusque operam cum M. Furio dictatore apud Gallos cum­ prime fortem atque exsuperabilem res publica sensit, is et genere et vi et virtute bellica nemini concedebat. 114Allerdings wurde in der Forschung plausibel argumentiert, dass das ältere Cognomen, das sich vermutlich ursprünglich auf einen Wohnsitz bezog, erst in späterer Überlieferung mit der Geschichte um die Belagerung des Kapitols durch die Kelten verbunden wurde und – in sekundärer Deutung – überhaupt erst das Aition für die Episode um Manlius’ Heldentat geboten hatte. Vgl. den Kommentar in Beck/Walter 2004, 115 f. 115Hierbei handelt es sich um: FRH 14 F 1 = FRHist 24 F 24 (=Gell. 17,2,12: postquam nuntia­ tum est, inquit, ut pugnatum esset in Gallos, id civitas graviter tulit). Offenbar geht es hier um eine Niederlage der Römer gegen Gallier, und die Schlacht an der Allia ist in diesem Zusammenhang

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

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Fasst man diese Beobachtungen zusammen, kann es als recht wahrscheinlich gelten, dass die Schlacht an der Allia und besonders die Einnahme Roms und die Belagerung des Kapitols durch die Kelten im ersten Buch der Annales des Q. Claudius Quadrigarius eine hervorgehobene Stellung einnahmen. Besonders zur Belagerung des Kapitols hatte Quadrigarius vermutlich bereits einige Episoden in seine Darstellung integriert, die später auch Livius in diesen Zusammenhang einordnete. Ob Quadrigarius auch die Leistung zuzuschreiben ist, überhaupt erst die Kontextualisierung dieser verschiedenen Episoden hergestellt zu haben, ist, aufgrund der recht unsicheren Quellenlage für die frühere Zeit, unklar.116 Auch wenn sich bei ihm schon eine Darstellung gefunden haben sollte, die derjenigen ähnelte, die bei Livius erhalten ist, sollte man hiermit im Übrigen keineswegs die Vorstellung verbinden, dass dies dann eine allgemeingültige, kanonische Version gewesen wäre. In Hinsicht auf eine Reihe von Elementen der Überlieferung existierten nach wie vor unterschiedliche Varianten, wie sich anhand zahlreicher Belegstellen in der späteren Überlieferung aufzeigen lässt – etwa verstreut über das Œuvre des M. Tullius Cicero. In Ciceros Schriften finden sich Hinweise und Anspielungen auf die ‚Gallische Katastrophe‘, die anzeigen, dass Cicero bei seinen Zuhörern bzw. Lesern mit einer gewissen Kenntnis des Ereignisses rechnen konnte. Dabei handelt es sich insgesamt um ein Dutzend verschiedener Stellen, die sich in etwa gleichmäßig auf die Reden und die übrigen Werke verteilen.117 Vergleicht man diese Sammlung etwa mit den Bezügen auf den Zweiten Punischen Krieg und seine prominenten Akteure in

eine naheliegende Deutung, besonders da Gellius ja offenbar in Buch 17 einige Passagen zitiert, die eindeutig der Darstellung des Quadrigarius zur Eroberung Roms durch die Gallier entstammen. FRH 14 F 2 = FRHist 24 F 22 (=Gell. 17,2,10: sole, inquit, occaso). Bei Livius erreichen die Römer Rom nach der Schlacht an der Allia nach Sonnenuntergang des gleichen Tages (siehe hierzu unten Abschn. 3.1.5). In diesem Zusammenhang hat Peter (Kommentar HRR, 205) auf Liv. 5,39,2 als mögliche Parallele zum Fragment des Quadrigarius hingewiesen (haud multo ante solis occa­ sum). FRH 14 F 3 = FRHist 24 F 28 (=Gell. 17,2,19: tanta, inquit, sanctitudo fani est ut num­ quam quisquam violare sit ausus). Nach Peter (Kommentar in HRR, 205) gehört diese Stelle in eine Passage, in der Quadrigarius schilderte, wie der flamen Quirinalis und die Priesterinnen der Vesta einige der sacra publica in einem Schrein proximo aedibus flaminis Quirinalis vergraben (zu finden in Liv. 5,40,8). Das ist im Kontext des Buches, das Gellius auswertete, eine durchaus naheliegende Vermutung, auch wenn sie sich freilich nicht sicher belegen lässt (vgl. den Kommentar in FRHist III, 310). FRH 14 F 6 = FRHist 24 F 27 (=Gell. 17,2,17: cum iis, inquit, consermonabatur). Peter (Kommentar in HRR, 206) schlägt vor, diese Stelle in den Kontext der Verhandlungen zwischen Römern und gallischen Belagerern einzuordnen, was möglich, jedoch ebenfalls nicht näher zu verifizieren ist (siehe wiederum den Kommentar in FRHist III, 310). 116Vgl. Beck/Walter 2004, 111, die in Hinsicht auf Episoden um Heldentaten einzelner römischer Adliger der frühen Republik davon ausgehen, dass Quadrigarius diese Kontextualisierung leistete („Zum ‚Faktum‘ wurden diese Episoden weiterhin nicht einfach nur durch ihre Verschriftlichung, sondern durch ihre Verortung in einem konkreten Kontext. Anders gewendet: Durch Claudius setzte insofern eine Historisierung dieser und ähnlicher Episoden ein, als sie nun einen festen Platz im historischen Ereignisverlauf erhielten.“). 117Die Stellen sind gesammelt bei Sauer 1910, 9; Schütz 1913, 67; Bücher 2006, 180–182.

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3  Roms Keltenkriege

­Ciceros Gesamtwerk, ist das eine eher bescheidene Bilanz.118 Form und Inhalt der Passagen machen eine genauere Untersuchung dennoch lohnenswert. Der erste Hinweis auf die Einnahme Roms durch die Gallier findet sich in der Rede Pro M. Fonteio, die Cicero vermutlich im Jahr 69 hielt.119 M. Fonteius scheint in den Jahren 75/4–72 in der Gallia Narbonensis als Propraetor agiert zu haben, wo er gegen keltische Stämme kämpfte sowie Aushebungen und Requirierungen für Cn. Pompeius’ Krieg in Spanien sowie römische Feldzüge im Osten durchführte.120 Nach seiner Rückkehr nach Rom wurde Fonteius von dem Quaestor M. Plaetorius Cestianus sowie einem gewissen M. Fabius, die als Vertreter des keltischen Stammes der Allobroger agierten, wegen verschiedener Vergehen angeklagt, derer sich Fonteius während seiner Statthalterschaft in der Provinz schuldig gemacht haben soll. Daraufhin übernahm Cicero die Verteidigung des ehemaligen Propraetors vor dem Repetundengerichtshof, dessen Familie, wie die Ciceros, aus Tusculum stammte.121 In der Rede betont Cicero, neben anderen Themen, zunächst generell die lange von Krieg geprägte Geschichte zwischen Rom und den Kelten, was deren Gefährlichkeit zeige, wenn auch die Kämpfe letztlich stets mit römischen Siegen geendet hätten.122 Zudem erkannte Cicero in diesem Zusammenhang offenbar eine passende Gelegenheit, um eine Invektive gegen die Ankläger seines Mandanten mit einem Verweis auf die Belagerung des Kapitols durch die Kelten zu verbinden: Den Aussagen der Allobroger gegen Fonteius sei auch dann nicht zu trauen, wenn sie diese unter heiligen Eiden getätigt hätten. Schließlich handele es sich hier um die Nachfahren jener Völker, die einst gegen die „unsterblichen Götter selbst Krieg geführt“ hätten, als sie nach Delphi zogen, um den Tempel Apollons sowie die dortige Orakelstätte auszuplündern, und das Kapitol mitsamt dem Tempel Iuppiters belagerten, durch dessen Namen schon die maiores die fides von Aussagen binden wollten.123 Einige Kapitel später suggeriert Cicero, es werde ein neuer

118Siehe

hierzu unten Abschn. 5.2.3.1. von Albrecht 1994, 418. 120Sämtliche Angaben sind allein in Ciceros Rede belegt. Cic. Font. 13; 16. 121Zum historischen Kontext der Rede und der Statthalterschaft des Fonteius siehe Coşkun 2006, bes. 354–357; Dyck 2012, 11–15. Ciceros Motivation zur Verteidigung des Fonteius scheint wesentlich daher hergerührt zu haben, dass dieser als Schützling des Pompeius galt, der ja indirekt auch für einige der Fonteius angelasteten Vergehen verantwortlich war, da er diese befohlen und „von denen er selbst unmittelbar profitiert hatte“ (Coskun 2006, 361). Gemeint sind hier Sonderabgaben für Pompeius’ Kampagne auf der Iberischen Halbinsel. Zudem konnte es für Cicero attraktiv erscheinen, sich vor den equites als Verteidiger einer der ihren zu präsentieren (vgl. Coskun 2006, 361). 122Zum Aufbau von Pro Fonteio und dem Bild der Kelten generell siehe Kremer 1994, 83–104; Dyck 2012, 12–15. 123Cic. Font. 30: An vero istas nationes religione iuris iurandi ac metu deorum immortalium in testimoniis dicendis commoveri arbitramini? quae tantum a ceterarum gentium more ac natura dissentiunt, quod ceterae pro religionibus suis bella suscipiunt, istae contra omnium religiones; 119Vgl.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

99

Krieg mit den notorisch kriegslüsternen Barbaren ausbrechen, wenn diese mit ihren Anklagen gegen einen ehemaligen Statthalter der Provinz Erfolg hätten.124 Nur wenig später brachte Cicero eine Anspielung auf den Angriff der Gallier auf das Kapitol in der Rede Pro A. Caecina unter. Erneut handelt es sich also um eine Gerichtsrede, doch ging es Cicero hierbei darum, den Eigentumsanspruch auf ein Grundstück für seinen Mandanten Caecina durchzusetzen.125 Um die ­Möglichkeit der Verwendung des Wortes unde sowohl im Sinne von ex quo loco als auch von a quo loco zu belegen, führt Cicero verschiedene Beispielsätze an, in denen er auch auf den – erfolglosen – Angriff der Gallier auf das Kapitol verweist (unde deiecti Galli? a Capitolio). Noch in der gleichen Passage nutzt er das Gallier-Beispiel um die Bedeutung der Anweisung, man solle jemanden dorthin wieder einsetzen, zu erläutern. Hätten die Gallier von den römischen Vorfahren verlangt, sie wieder in den Ort einzusetzen, wo dem sie vertrieben worden waren, wäre damit das Kapitol gemeint gewesen und nicht der Tunnel (cuniculum), durch den sie dorthin gelangt waren.126 Die Bezugnahme auf die ‚Gallische Katastrophe‘ ist hier anderer Art als es in der Rede für Fonteius der Fall gewesen war, doch gemeinsam ist beiden Beispielen, dass Cicero offenbar darauf vertrauen konnte, dass dieses Ereignis für seine Zuhörer eine derart bekannte Episode darstellt, dass diese den Verweis ohne weitere Erläuterung verstehen konnten. Gerade an die­ser Stelle musste dies für Cicero ein wichtiges Kriterium bei der Suche nach einem passenden exemplum sein, da sich seine Zuhörer ja auf seine Ausführungen zur Semantik der juristisch relevanten Vokabeln k­ onzentrieren sollten. Der Rückgriff auf eine abseitige Episode der r­ömischen Geschichte hätte dabei nur ablenkend gewirkt.127 Interessant ist die Passage vor allem ­deswegen, weil Cicero offenbar

illae in bellis gerendis ab dis immortalibus pacem ac veniam petunt, istae cum ipsis dis immorta­ libus bella gesserunt. hae sunt nationes quae quondam tam longe ab suis sedibus Delphos usque ad Apollinem Pythium atque ad oraculum orbis terrae vexandum ac spoliandum profectae sunt. ab isdem gentibus sanctis et in testimonio religiosis obsessum Capitolium est atque ille Iuppiter cuius nomine maiores nostri vinctam testimoniorum fidem esse voluerunt. Vgl. zur Stelle Kremer 1994, 95; Bücher 2006, 181; Dyck 2012, 65 f. Zur Verbindung, die in der römischen Überlieferung zwischen dem keltischen Zug auf Delphi im Jahr 278 und der Eroberung Roms um 386 gezogen wurde, siehe Williams 2001, 158–170. 124Cic. Font. 36. Dass negative Bild, das Cicero hier von den Galliern entwirft, muss keineswegs nur ein Produkt seiner spezifischen Intention an dieser Stelle sein. Es spricht nichts dagegen anzunehmen, dass Cicero besonders die Kelten, die jenseits der Alpen siedelten, tatsächlich mit Argwohn betrachtete und daher auch etwa in der Ausübung der Statthalterschaft durch M. Fonteius keinen moralischen oder ethischen Grund zur Beanstandung sah; besonders da dieser aus römischer Sicht seine Aufgaben anscheinend zur allgemeinen Befriedigung erfüllt hatte, weshalb man wohl in der Tat u. a. mit Coşkun davon ausgehen kann, dass der Prozess gegen Fonteius nicht mit einer Verurteilung des ehemaligen Statthalters endete (siehe Coşkun 2006, 363). 125Für eine Zusammenfassung des Rechtsstreites siehe Stroh 1975, 80 f. 126Cic. Caec. 87–88. Vgl. zum Aufbau der Argumentation Ciceros in dieser Passage Stroh 1975, 98 und siehe zudem Bücher 2006, 181. 127Zur Frage der Verbreitung des Wissens über historische exempla bei Rednern und Publikum siehe allgemein oben Abschn. 2.2.

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3  Roms Keltenkriege

eine andere Variante der Überlieferung kannte als diejenige, die sich später bei Livius finden lässt. In der Geschichte, die er seinem Publikum in Erinnerung ruft, scheinen die Gallier das Kapitol nämlich durch einen Tunnel erklommen zu haben und nicht entlang der Spuren des Cominius, wie es Livius berichtet. Bei letzterem ist von einem cuniculum, durch den die Kelten das Kapitol erreichen, zumindest keine Rede.128 Die nächste Rede, in der Cicero direkt auf die ‚Gallische Katastrophe‘ anspielt, hielt er, soweit es überliefert ist, erst gegen Ende seiner Karriere, wohl im Dezember 44.129 In der dritten Philippischen Rede attackiert er seinen Gegner M. Antonius, der den Senat einberufen hatte, unter anderem mit dem Hinweis darauf, dass dieser Feind des römischen Volkes das Kapitol auf dem gleichen Weg hinaufgestiegen sei, den einst die Gallier genommen hatten.130 Dabei verwendet Cicero erneut den Ausdruck cuniculum Gallorum, was, nach der Anspielung in Pro Cae­ cina, einen zweiten Hinweis auf diese Variante der Überlieferung darstellt, die sich von der livianischen unterscheidet.131 Die grundsätzliche Tendenz der Argumentation bedarf kaum einer weiteren Erläuterung. Antonius’ Status als hostis sollte durch diesen Hinweis untermauert werden.132 Wenn der eine oder andere Senator in der Verbindung zum Angriff der barbarischen Kelten darüber hinaus eine Anspielung auf den, nach Cicero, angeblich wüsten Charakter des Antonius herausgehört haben sollte, wird das ebenfalls ganz in Ciceros Sinne gewesen sein. In weiteren exempla taucht die ‚Gallische Katastrophe‘ in den Reden Ciceros nicht auf. Gemeinsam ist allen drei Passagen, dass hier jeweils ausschließlich auf ein ganz bestimmtes Element des Ereignisses verwiesen wird, und zwar auf den Angriff auf das Kapitol bzw. seine Belagerung durch die Kelten. Dabei bleibt Cicero zudem eher unspezifisch und nennt bis auf den cuniculum Gallorum keine Details zum Geschehen, andere Episoden, die in diesen Kontext gehören, wie die Schlacht an der Allia oder andere Vorgänge, die sich während des Aufenthaltes der Kelten in Rom ereignet haben sollen, bleiben ungenannt. Es lag also in der jeweiligen Geschichtskenntnis der einzelnen Zuhörer, inwieweit sie Ciceros Anspielung mit weiteren Elementen der Überlieferung assoziieren konnten. Auf das Verstehen der grundsätzlichen Tendenz und damit einer wenigstens vagen Vorstellung davon, was es mit den Galliern am Kapitol auf sich hatte, konnte Cicero aber offenbar

128Vgl.

Wiseman 1979, 39; Sordi 1984, 88 f. politischen Kontext, in dem Cicero im Senat sprach, siehe u. a. Bringmann 2010, 269–273. 130Cic. Phil. 3,20. 131Vgl. Wiseman 1979, 39: „However, the story Cicero had learnt as a boy was that the Gauls ascended the Capitol by means of tunnels. He mentions it twice […], both times in a casual and unemphatic way which suggests that the cuniculi Gallorum were well known to all educated people“. Siehe außerdem Bücher 2006, 182. 132Siehe zudem Manuwald 2007, 397: „The idea that Antonius has somehow crept up the Capitoline Hill by such a passageway, ridicules Antonius’ sudden return to Rome (cf. Phil. 13,19)“. 129Zum

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

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setzen. Auffällig ist, worauf bereits Frank Bücher hingewiesen hat, dass Cicero zwar in drei Reden M. Furius Camillus nennt, dabei aber keine Verbindung zu dessen Rolle in der Einnahme Roms bzw. der Vertreibung der Gallier aus Rom herstellt.133 Allerdings erscheint die Camillus-Legende bereits bei Livius wiederum in einer sehr detailliert ausgearbeiteten Fassung, die durchaus auf frühere Quellen zurückzugreifen scheint. Die parallele Existenz von verschiedenen Varianten noch in der späten Republik und frühen Kaiserzeit erscheint daher wohl am wahrscheinlichsten.134 In Ciceros staatstheoretischen und philosophischen Schriften finden sich ­verstreut über das Gesamtwerk drei Verweise auf die Einnahme Roms durch die Kelten, eine weitere Passage stammt aus einem Brief an Atticus. In De re publica rühmt Cicero den gewissermaßen natürlichen Schutz Roms, für den bereits der Stadtgründer Romulus durch eine geschickte Nutzung der Topografie gesorgt habe. Daher habe die Burg sogar den Angriffen der Gallier widerstehen können.135 An zwei anderen Stellen äußert sich Cicero zur Datierung dieses Ereignisses, wobei dies in jeweils unterschiedlicher Form geschieht. In beiden Fällen handelt es sich um eine Abstandsdatierung, aber während Cicero im ersten Buch der Tusculanae Disputationes das Jahr der Veröffentlichung dieses Werkes als Ausgangspunkt wählt (und die Einnahme Roms dabei in das Jahr 395 datiert), geht er in De Divinatione von der römischen Eroberung Veiis aus; sechs Jahre nach dieser hätten die Kelten Rom eingenommen.136 In letzterer Stelle offenbart Cicero zudem, dass ihm aus wenigstens einer seiner Quellen ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Eroberung Veiis durch die Römer und dem Fall Roms an die Gallier wenig später bekannt war. In den Schicksalssprüchen,

133Da dies auch dann nicht geschieht, wenn es durchaus nahegelegen hätte, scheint es möglich, dass Cicero eine solche Rolle des Camillus entweder nicht kannte oder aber als nicht hinreichend bekannt ansah, als dass es sich gelohnt hätte, hierauf in einer Rede zu verweisen. Siehe hierzu Bücher 2006, 181 f. (u. a. 182: „Von Cicero und dem politischen Diskurs seiner Zeit wird – jedenfalls was die spärlichen Hinweise hergeben – aus Camillus keine große Figur der römischen Geschichte konstruiert. Die Stilisierung des großen Camillus ist vielleicht doch mehr mit der augusteischen Vergangenheitskonstruktion anzusetzen“). Vgl. Walter 2004a, 397 f. 134Ein solches Nebeneinander von unterschiedlichen Varianten in der römischen Geschichtskultur lässt sich in Hinsicht auf die Frage nach dem Verbleib des Goldes deutlich nachweisen, das den Galliern gezahlt worden sein soll. Auf den ersten Blick mag es zudem überraschen, dass Cicero ausgerechnet in der Rede, in der er auch über den großen Keltenkrieg seiner eigenen Zeit spricht, auf Verweise auf die ‚Gallische Katastrophe‘ verzichtet hat. In der Rede De provinciis consula­ ribus kommen solche nämlich an keiner einzigen Stelle vor. Lieber verweist Cicero dort, wie in der eingangs des Kapitels zitierten Passage, auf die generelle Gefahr, die von den Galliern stets ausgegangen sei. Da diese grundsätzliche immer noch bestehe, sei auch eine Fortsetzung von Caesars Feldzug dringend notwendig. Zu suggerieren, dass bei einem Abzug der Legionen des Prokonsuls aus den Gebieten jenseits der Provinzgrenzen eine erneute Attacke der Kelten auf die Hauptstadt gedroht hätte, erschien wohl auch Cicero zu abwegig, sodass er auf eine Anspielung auf die Kelten vor dem Kapitol in diesem Fall verzichten konnte. 135Cic. rep. 2,11. 136Cic. Tusc. 1,90; div. 1,100.

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3  Roms Keltenkriege

von denen ein Überläufer aus Veii den Römern berichtet hatte und die ihnen den Weg zur Einnahme der etruskischen Stadt wiesen, sei nämlich ebenfalls offenbart ­wurden, dass Rom wenig später von den Galliern erobert werden würde – was eben sechs Jahre nach Veiis Fall geschehen sei.137 In einem Brief an Atticus, den Cicero am 10. März 49 in Formiae verfasst hat, nutzt er die Niederlage an der Allia und die Einnahme Roms für einen Vergleich, um seine Einschätzung der gegenwärtigen politischen Lage – Caesar ist in Italien einmarschiert, Pompeius mit einem Teil des Senates nach Griechenland geflohen – zu illustrieren.138 In gewisser Weise grolle Cicero Pompeius sogar noch mehr als Caesar. Schließlich galt den maiores der Tag an der Allia auch noch unheilvoller als derjenige der Einnahme Roms, denn ohne das erste Unglück hätte sich das zweite überhaupt nicht ereignen können.139 ‚Ähnlich‘ läge der Fall also auch hier: Hätte sich Pompeius in den vorangegangenen zehn Jahren tatkräftiger und auch moralisch vollkommen integer gezeigt, dann wäre Rom überhaupt nicht in die gegenwärtige Lage geraten. Ein Vergleich zwischen der Katastrophe der Frühzeit und der, aus Ciceros Sicht, desaströsen Verfassung der Republik im Jahr 49 ist in der Anspielung wohl implizit angelegt, ohne dass dieser weiter ausgeführt wird. In Atticus konnte Cicero indes auf einen gebildeten Adressaten vertrauen, der keiner weiteren Erläuterungen bedurfte, um die historischen Querverweise, Vergleiche und Anspielungen seines Freundes zu verstehen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass in den drei zitierten Passagen andere Aspekte der historischen Erinnerung an die ‚Gallische Katastrophe‘ eine Rolle spielen als in den Reden, in denen die exempla sich ausschließlich auf das Kapitol und dessen Bedrohung durch die Gallier beziehen. Eine extrem tiefgehende Detailkenntnis seitens der Leserschaft, die über das oberflächliche Wissen hinausgeht, dass Rom in der Frühzeit der Republik einmal von Galliern eingenommen worden war, war für das grundsätzliche Verständnis dieser Beispiele wohl nicht notwendig – die Fähigkeit jene ‚narrativen Abbreviaturen‘ (Rüsen) wenigstens einordnen zu können indes durchaus.140

137Cic.

div. 1,100. Wie genau die Verbindung zwischen der jeweiligen Eroberung beider Städte in der Quelle Ciceros dargestellt wurde, lässt sich im Einzelnen nicht mehr klären, doch tritt dieses Thema später in Buch fünf des Livius (in weiter entwickelter Form?) wieder auf. Siehe unten Abschn. 3.1.5. 138Cic. Att. 9,5,2. 139Cic. Att. 9,5,2 (semper enim causae eventorum magis movent quam ipsa eventa. haec igitur mala (quibus maiora esse quae possunt?) considerans vel potius iudicans eius opera accidisse et culpa inimicior eram huic quam ipsi Caesari. ut maiores nostri funestiorem diem esse voluerunt Alliensis pugnae quam urbis captae, quod hoc malum ex illo (itaque alter religiosus etiam nunc dies, alter in vulgus ignotus), sic ego decem annorum peccata recordans, in quibus inerat ille etiam annus, qui nos hoc non defendente (ne dicam gravius) adflixerat, praesentisque temporis cognoscens temeritatem, ignaviam, neglegentiam suscensebam.). 140Vgl. Rüsen 2008, 19 f.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

103

3.1.5  Fall und Wiederaufstieg – die augusteische Zeit Die Epoche der Bürgerkriege am Ende der Republik und die Herrschaftszeit des Augustus, die in dieser Arbeit vereinfacht als augusteische Zeit bezeichnet werden, gehört zu den Abschnitten der antiken Geschichte, aus der sich eine relativ reichhaltige Überlieferung in verschiedenen Quellengattungen erhalten hat. Das erleichtert insofern auch eine Untersuchung der Repräsentationen der ‚Gallischen Katastrophe‘ in der römischen Geschichtskultur, da für diese Zeit nicht lediglich Fragmente und vereinzelte Hinweise auf bestimmte Maßnahmen greifbar sind. So stammt aus dieser Zeit mit der zweiten Hälfte des fünften Buches des Titus Livius auch die umfangreichste noch vorliegende Darstellung des Ereignisses. Um der Komplexität von Livius’ Darstellung gerecht zu werden, bietet es sich an, diese in einzelnen Schritten zu betrachten. Da nicht nur die entsprechenden Kapitel, sondern das gesamte fünfte Buch sowie der Kontext von Livius’ erster Dekade erhalten sind, erscheint zunächst ein Blick auf die Komposition des Stoffes in Ab Urbe Condita lohnenswert, die für sich genommen bereits Hinweise auf die Art und Weise der Darstellung des Ereignisses und seine Deutung offenbart. Anschließend wird auf die Erklärungen eingegangen, die sich bei Livius für die Niederlage Roms finden lassen, die wiederum zu zusätzlichen Beobachtungen zur Einbindung der ‚Gallischen Katastrophe‘ in weitere historische Horizonte führen. Livius hat die Darstellung der Schlacht an der Allia und die anschließende Einnahme Roms an das Ende der ersten Pentade gesetzt. Das sechste Buch beginnt mit einem Binnenproömium, in dem Livius den bis dahin behandelten Teil der Geschichte Roms resümiert sowie einen zweiten Beginn dieser Geschichte markiert.141 Das fünfte Buch weist insofern eine eigene Komposi­ tion auf, als dass die Handlung um die Belagerung von zwei Städten kreist – Veii, das in der ersten Hälfte des Buches von den Römern belagert und eingenommen wird, und Rom, das die Gallier im zweiten Buchteil mit Ausnahme des Kapitols einnehmen, das sie anschließend für sieben Monate belagern.142

141Liv.

6,1,1–3 (Quae ab condita urbe Roma ad captam eandem Romani sub regibus primum, consulibus deinde ad dictatoribus decemvirisque ac tribunis consularibus gessere, foris bella, domi seditiones, quinque libris exposui, res cum vetustate nimia obscuras, velut quae magno ex intervallo loci vix cernuntur, tum quod [parvae et] rarae per eadem tempora litterae fuere, una custodia fidelis memoriae rerum gestarum, et quod, etiam si quae in commentariis pontifi­ cum aliisque publicis privatisque erant monumentis, incensa urbe pleraeque interiere. Clariora deinceps certioraque ab secunda origine velut ab stirpibus laetius feraciusque renatae urbis gesta domi militiaeque exponentur.). Vgl. mit weiteren Hinweisen Kraus 1994, 269; Oakley 1997, 381 f. 142Ogilvie 1965, 626; Luce 1971, 268; Levene 1993, 175; Kraus 1994, 282; Jaeger 1997, 59; Tränkle 1998, 145; Oakley 2015, 230 f.; Stoll 2016, 91. Jaeger 1997, 60 weist zudem auf die räumliche Dimension der Darstellung hin, die sich u. a. dadurch auszeichnet, dass sich der Ort der Interaktionen zwischen Römern und Galliern schrittweise (Verhandlungen in Clusium – Schlacht an der Allia – Einnahme der Stadt – Angriff auf das Kapitol) von der Peripherie des römischen Machtbereiches bis hin zu dessen Zentrum bewegt.

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3  Roms Keltenkriege

Die Darstellung der Belagerung von Veii, das die Römer tatsächlich zu Beginn des vierten Jahrhunderts einnehmen konnten, hat Livius teilweise in Anlehnung an die Belagerung Troias gestaltet, wobei den Römern, die sich in anderen Kontexten auf ihre troianischen Ursprünge beriefen, hier die Rolle der Griechen zukommt.143 Als entscheidend für den Erfolg wirkt es sich schließlich aus, dass die Römer im Gegensatz zu den Bewohnern von Veii besondere pietas zeigen und deswegen nach langer Belagerung unter Führung des M. Furius Camillus die etruskische Stadt einnehmen können.144 Die Figur des Camillus, der der zentrale Akteur des fünften Buches ist, fungiert als ein weiteres Bindeglied zwischen beiden Buchhälften, da der erfolgreiche Feldherr durch die undankbare Behandlung seiner Mitbürger, die Camillus wegen angeblich ungerechter Verteilung der in Veii gemachten Beute anklagen wollen, in das Exil getrieben wird. Dies wirkt sich dann während des Kelteneinfalls in fataler Weise aus, da den Römern nun ein adäquater Anführer fehlt.145 Camillus kehrt jedoch noch rechtzeitig zurück um Rom zu retten und direkt anschließend die Fundamente zur Neugründung auf den Trümmern zu legen, die die Kelten hinterlassen haben. Hiermit wird gleichzeitig der Grundstein für den militärischen Erfolg Roms gelegt, das aus der überwundenen Niederlage heraus zum Siegeszug über Italien aufbricht. Die Zerstörung der Städte Veii und Rom sowie der Neuaufbau der Hauptstadt der Römer werden in Buch fünf des Livius also in einen übergreifenden, großen „Zusammenhang von Zeitenende und Neubeginn“ eingebunden, was der ‚Gallischen Katastrophe‘ eine bedeutende Stellung in der Komposition von Livius Geschichtswerk insgesamt zuweist.146 Die Behandlung des Camillus durch seine Mitbürger, also die erwähnte Episode um die Vertreibung des verdienten Feldherrn, führt zum Komplex der Erklärungen der Niederlage in Livius’ Darstellung.

143Siehe

hierzu ausführlich Kraus 1994, bes. 271–273. Wie Troia wird auch Veii über zehn Jahre hinweg von den Verteidigern gehalten und kann erst durch eine List bezwungen werden. Für den Erfolg ist jedoch die innere Haltung, die die Römer an den Tag legen, wichtiger als das Strategem. Nachdem sich im Heerlager Uneinigkeit und Unzufriedenheit ausgebreitet hatten, gelingt es dem Appius Claudius, die Geschlossenheit durch eine große Rede wiederherzustellen (Liv. 5,3–6). In dieser Rede weist Appius Claudius die römischen Soldaten selbst auf das Vorbild der Belagerung Troias hin, um sie davon abzuhalten aufzugeben. Die Griechen hätten Troia schließlich über einen Zeitraum von zehn Jahren belagert. Diese Ausdauer sei also nun auch von ihnen zu erbringen (Liv. 5,4,11–12). Vgl. hierzu Ogilvie 1965, 637; Galinsky 1969, 137; Kraus 1994, 271. 144Vgl. Ogilvie 1965, 673 f.; Burck 1967, 313–315; Walter 2004a, 388. 145Siehe hierzu Burck 1967; Luce 1971, 268; Tränkle 1998, 145; Gaertner 2008, 27; Oakley 2015, 230. 146Siehe nur Ungern-Sternberg 2000, 208 („Im Grunde ist […] der Gesamtkomplex des Kampfes zwischen Rom und Veji und der Gallierkatastrophe ein großer Zusammenhang von Zeitenende und Neubeginn.“); Walter 2004a, 382.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

105

Grundsätzlich lassen sich mehrere Erklärungen für die Niederlage gegen die Gallier finden. Diese sind teilweise eng miteinander verknüpft und lassen sich in weitergehende Deutungsmuster einbinden, teilweise stehen sie jedoch auch eher ergänzend nebeneinander. Es kann daher vermutet werden, dass verschiedene Erklärungsansätze neben- und nacheinander entwickelt worden waren, bevor sie in eine Darstellung integriert wurden, auch wenn diese Prozesse im Detail – trotz der Hinweise, die die Fragmente der früheren Überlieferung geben – nicht mehr sicher zu rekonstruieren sind. Denn Livius’ Text bietet in den meisten Fällen den frühesten klaren Beleg für eine Variante, sodass es günstig erscheint, Erklärungen und Deutungen zur ‚Gallischen Katastrophe‘ anhand seiner Schilderung zu untersuchen.147 Eine Erklärungsvariante deutet die Niederlage als das Ergebnis von Uneinigkeit unter den römischen Bürgern. Bereits zu Beginn des fünften Buches hebt der Patrizier Ap. Claudius die concordia als Voraussetzung für das Gedeihen und Bestehen der Herrschaft Roms über seine Nachbarn hervor.148 Nach der Einnahme Veiis kommt es unter den Römern jedoch zum Streit über die Verteilung der Beute, da ein Teil der Plebs dem Dictator Camillus vorwirft, den Soldaten einen zu geringen Anteil zuzuweisen. Schließlich wird Camillus durch den Volkstribunen L. Apuleius wegen der Beuteverteilung angeklagt, woraufhin der verdiente Feldherr Rom freiwillig verlässt, womit die Römer, so Livius, die „einzige menschliche Hilfe, die sie hatten“, aus der Stadt vertrieben hätten, was jede Aussicht genommen habe, die Einnahme Roms zu verhindern.149 Als er die Stadt verließ, habe Camillus selbst die Götter darum gebeten, sie mögen unter den römischen Bürgern das Verlangen nach seiner Rückkehr wecken, sofern er unrechtmäßig

147Dabei wird jedoch auch auf Vermutungen zu möglichen Vorbildern und Einflüssen, die auf den Text in Livius’ fünftem Buch eingewirkt haben könnten, eingegangen werden, wobei auf die in den vorangegangenen Abschnitten erarbeiteten Ergebnisse zurückgegriffen werden kann. Die Darstellung der Schlacht an der Allia, der Einnahme Roms bis zur Befreiung der Stadt durch Camillus in Buch fünf des Livius sind in der Forschung wiederholt intensiv untersucht worden, sodass im Rahmen dieses Kapitels auf eine Reihe von Arbeiten zurückgegriffen werden kann. Siehe bes. Niebuhr 1853, 647–661; Schwegler 1872, 234–282; Mommsen 1878; Kornemann 1911; Hirschfeld 1895/1913; 1913; Alföldi 1963, 355–365; Ogilvie 1965, 693–752; Burck 1967; Wiseman 1978; 1979/1987; Sordi 1984; Horsfall 1987; Jaeger 1997, 57–74; Kraus 1994; Luce 1971; Tränkle 1998; Ungern-Sternberg 2000; Williams 2001, 140–184; Rosenberger 2003a; 2003b; Urban 2004, 682–685; Forsythe 2005, 253–257; Perl 2007; Richardson 2012, 116–152; Oakley 2015. 148Liv. 5,3,10 (Quae si perpetua concordia sit, quis non spondere ausit maximum hoc imperium inter finitimos brevi futurum esse?). Siehe zudem Liv. 5,6,11, wo unterstellt wird, dass die Verteidiger von Veii sich nichts mehr als seditiones im römischen Lager wünschen könnten. Die Uneinigkeit zweier Militärtribunen vor Veii führt zum zwischenzeitlichen Verlust des römischen Lagers (Liv. 5,8,4–13; vgl. hierzu Ogilvie 1965, 645; Oakley 2015, 234). Siehe zur concordia als Voraussetzung für das Wohlergehen Roms in Buch fünf des Livius Burck 1967, 313; Oakley 2015, 232 f. 149Liv. 5,32,7–9.

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3  Roms Keltenkriege

v­ ertrieben worden sei.150 Die Geschichte von Camillus’ Verbannung wurde vermutlich relativ spät in den Zusammenhang der Niederlage gegen die Gallier und deren Einnahme Roms eingefügt.151 Wahrscheinlich existierten jedoch bereits zuvor verschiedene Versionen und Erzählungen über die Taten des Camillus in den italischen Kriegen des frühen vierten Jahrhunderts, so dass die Frage aufkommen konnte, warum der große Held der Frühzeit im Geschehen des Kelteneinfalls keine Rolle spielte. Die Geschichte vom Exil des Camillus bot hierfür eine plausible Erklärung an.152 Womöglich erst sekundär ist die Deutung, die bei Livius suggeriert wird, nach der die Niederlage gegen die Kelten als eine Folge der Abwesenheit des Camillus zu werten sei.153 Die ganze Begebenheit erinnert zudem an Auseinandersetzungen zwischen militärisch erfolgreichen Feldherren und Teilen der Bürgerschaft in historisch hellerer Zeit, sodass vermutet wurde, dass einer oder mehrere dieser Vorgänge durch eine Rückprojektion in die Verhältnisse der frühen Republik die Überlieferung um den Prozess gegen Camillus und sein Exil hervorbrachten.154

150Liv. 5,32,9 (in exsilium abiit, precatus ab dis immortalibus, si innoxio sibi ea iniuria fieret, primo quoque tempore desiderium sui civitati ingratae facerent). Die Ähnlichkeit zu den Worten, die Achill in der Ilias anlässlich seines Streits mit Agamemnon äußert, dürfte kein Zufall sein, was bereits antiken Lesern auffiel, und einen weiteren Bezug zum troianischen Krieg darstellt. Vgl. Hom. Il. 1,233–244, und siehe Plut. Cam. 13,1; App. It. 8,5. Siehe hierzu u. a. Ogilvie 1965, 699; Kraus 1994, 273; Tränkle 1998, 150, Anm. 19 („Die Herkunft dieser Wendung ist so offenkundig, daß sie schon den antiken Schriftstellern auffiel […]“.); Gaertner 2008, 31 mit Anm. 17. 151Hierüber herrscht in der Forschung weitgehend Einigkeit. Siehe nur u. a. Williams 2001, 143; Richardson 2012, 127 f. (127: „Also problematic, and best rejected as wholly unhistorical, is the role of M. Furius Camillus.“). 152Siehe hierzu Tränkle 1998, 160 f. bes. 161: „Als dann Camillus immer mehr glorifiziert wurde, wurde auch die Frage drängend, wie denn zu seinen Lebzeiten eine so furchtbare Katastrophe wie die Niederlage an der Allia und die anschließende Zerstörung Roms überhaupt eintreten konnte. Das provozierte die Antwort: Weil er damals gar nicht in der Stadt weilte“. Bereits Hirschfeld 1895/1913, 277 nimmt an, dass der Prozess gegen Camillus und sein Exil „auf freier Erfindung beruhen“. Vgl. zudem Richardson 2012, 127. 153Vgl. Tränkle 1998, 150, Anm. 19. 154Siehe etwa Hirschfeld 1895/1913, 281 f. (Vermutung, dass gleich mehrere historische Prozesse Anregungen für die Ausgestaltung der Anklage gegen Camillus gegeben haben). Bekanntlich ‚erweiterten‘ römische Historiografen und andere Gelehrte besonders im zweiten und ersten Jahrhundert ihr Wissen über die frühe römische Geschichte durch derartige Rückprojektionen in beträchtlichem Umfang (siehe hierzu u. a. Badian 1966; Tränkle 1998, 146). Vielleicht wurde also zunächst die Idee einer Abwesenheit des Camillus von Rom während des Kelteneinfalls entwickelt, um zu erklären, warum er in den Berichten hierüber nicht auftauchte, was dann – siehe oben – auch als Erklärung für das Zustandekommen der Niederlage dienen konnte. Den Grund für Camillus’ Abwesenheit aus Rom konnte man dann durch einen Bericht um einen Prozess um die Beute von Veii ‚erklären‘, der wiederum durch historisch verbürgte Fälle aus späterer Zeit inspiriert worden sein könnte. Diese Rekonstruktion ist jedoch letztlich hypothetisch, da sich die genaue Entwicklung der Tradition nicht mehr feststellen lässt.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

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Als mögliche historische Vorbilder für den Prozess gegen Camillus kämen dann wohl solche Fälle infrage, in denen die Auseinandersetzung um die Verteilung von Kriegsbeute eine zentrale Rolle spielte, also zum Beispiel das Vorgehen von Volkstribunen und Teilen des Senates gegen die Brüder L. und P. Cornelius Scipio nach deren Feldzug gegen Antiochos III. mit dem Sieg bei Magnesia.155 Auch die Anklagen, die gegen L. Aemilius Paullus nach dem Sieg im Perseuskrieg erhoben wurden, ähneln denen, die Angehörige der Plebs und ein Volkstribun bei Livius gegen Camillus formulieren.156 Aus der Perspektive einer von Senatoren oder ihnen nahestehenden Akteuren betriebenen Historiografie könnte es in diesem Zusammenhang auch nahegelegen haben, eine undankbare und in ihren Forderungen maßlose Plebs als verantwortlich für den Streit innerhalb der Bürgerschaft darzustellen. Auf diese Weise konnte die Schilderung der Anklagen gegen Camillus auch illustrieren, welche negativen Folgen es haben konnte, wenn derartige Forderungen noch durch einzelne Volkstribune unterstützt wurden.157 Allerdings sind es nicht allein die Plebejer, denen in Livius’ Bericht ein für Rom nachteiliger Einfluss auf das Geschehen zugeschrieben wurde. So hat Gary Miles in einer ausführlichen Analyse des fünften Buches darauf hingewiesen, dass der Uneinigkeit unter den Römern sowohl im Feld vor Veii, als auch in ihrer eigenen Stadt, letztlich eine tiefere Ursache zugrunde liege und zwar die maßlose Gier nach Reichtum, die keinesfalls auf die Plebejer allein beschränkt sei.158 Diese Gier werde auch durch die beträchtliche Beute, die die Römer in Veii machen könnten, nicht gestillt, sondern eher noch stärker angefacht, was schließlich zur Anklage und Vertreibung des Camillus geführt habe. Auch danach entfaltet in Rom das übersteigerte Verlangen nach Reichtum und Macht schädliche Wirkung, die sich in Ignoranz gegenüber einfachen Römern (wiederum ein Mangel an concordia) und gegenüber göttlich sanktionierten Normen niederschlägt.159 So wird dem M. Caedicius, der dem Senat von der Warnung durch eine göttliche Stimme berichtet, kein Gehör geschenkt, wie Livius kritisiert, weil Caedicius von niedrigem Stand war.160 Zudem wird den Beschwerden der gallischen Gesandten auch deshalb nicht stattgegeben, weil die amibitio, so Livius, verhindert habe, dass der Senat über Männer „von so hohem Adel“ den Entschluss fasste, den die Versammlung eigentlich für richtig hielt.161 Das Volk,

155Vgl.

hierzu bereits (jeweils mit weiterführenden Hinweisen) Hirschfeld 1895/1913, 281 f.; Tränkle 1998, 160; Gaertner 2008, 31. 156Vgl. Walter 2004a, 389 f. 157Vgl. hierzu auch unten Abschn. 5.2.5.1 zur historiografischen Präsentation der Niederlagen der Römer gegen die Armee Hannibals und der unglücksseligen Rolle, die Volkstribune und ihre Verbündeten dabei gespielt haben sollen. 158Miles 1986, 5–10. Vgl. Jaeger 1997, 68 f.; Biesinger 2016, 239. 159Siehe zu den folgenden Beispielen die Hinweise bei Miles 1986, 10. 160Liv. 5,32,7 (propter auctoris humilitatem). Vgl. zu Livius’ Deutung und weiteren Quellen Engels 2007, 374 („Doch wurde Caedicius ignoriert, da, wie Livius kritisch bemerkt, sein niederer Stand die Zuhörer dazu veranlaßte, ihm keine Beachtung zu schenken.“). 161Liv. 5,36,9.

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3  Roms Keltenkriege

dem die Entscheidung dann vorgelegt wird, sei in noch höherem Maße von dem Einfluss und der Macht der Fabier beeindruckt und beeinflusst gewesen, sodass diese sogar zu Konsulartribunen gewählt werden.162 Den anrückenden Galliern können die Römer dann, wie erwähnt, auch deswegen so wenig Gegenwehr entgegenstellen, da Camillus vor den Anklagen geflohen war, die aus dem inneren Hader erwuchsen. Die Gier nach Reichtum höhlt demnach die moralische Integrität der Römer weiter aus, nachdem sie bereits durch Zwietracht innerhalb der Bürgerschaft stark beschädigt worden war. Die Betonung der Bedeutung der inneren Eintracht, der concordia, für das Wohlergehen Roms findet sich im gesamten livianischen Werk.163 Die Darstellung der Eroberung der zwei Städte Veii und Rom gehört indes zu den Passagen, in denen dieser Gedanke besonders deutlich hervortritt, wenn der Mangel an con­ cordia zur Katastrophe der Niederlage gegen die Gallier entscheidend beiträgt.164 Livius’ Wertschätzung der concordia mag durchaus auch aus der Erfahrung der Bürgerkriege in seiner eigenen Lebenszeit gespeist bzw. bekräftigt worden sein und dabei auch Erfahrungen und Ansichten vieler seiner Zeitgenossen widerspiegeln.165 In diesem Zusammenhang mag auch die Erklärung eingängig gewesen sein, dass diese Uneinigkeit letztlich aus dem übersteigerten Verlangen nach Reichtum resultierte, der leicht zur luxuria führe – bekanntlich ein bei einer Reihe von römischen Autoren anzutreffender Gedanke.166 Es ist auch denkbar, dass bereits der Eindruck der Niederlagen gegen in Italien einfallende Germanen Ende des zweiten Jahrhunderts, die offenbar in nicht unwesentlichem Maße durch Streit zwischen römischen Feldherren begünstigt worden waren, dazu beitrug, in solcher Uneinigkeit auch einen Grund für die Katastrophe der Frühzeit zu sehen, die ebenfalls durch Invasoren aus dem Norden beigefügt worden war.167 Wann genau dieses Motiv als Erklärung für den Misserfolg gegen die Gallier in die historiografische Überlieferung Eingang fand, kann aufgrund der Quellenlage jedoch nicht mit Sicherheit geklärt werden. Festhalten lässt sich allerdings, dass die Verblendung und Korrumpierung innerhalb der römischen Bürgerschaft bei Livius nicht nur zur Vertreibung des Camillus, sondern auch zur Ablehnung des berechtigten Ansinnens der Gallier führt.168 Hierdurch ziehen die Römer göttlichen Zorn auf sich. In der weiteren

162Liv.

5,36,10 (gratia atque opes). unter anderem Liv. 9,19,17 und vgl. Oakley 2015, 232, 239. 164Oakley 2015, 232. Vgl. Levene 1993, 190–192. Siehe zur Bedeutung der concordia in Ab Urbe Condita insgesamt Mineo 2015 (mit weiteren Hinweisen). 165Vgl. Oakley 2015, 232 („However, the text also echoes the experiences of its first readers: they must often have believed during the civil wars that the state would collapse if concordia were not achieved.“). 166Siehe nur Miles 1986, 5 mit zahlreichen Belegen und weiteren Hinweisen. 167Vgl. Williams 2001, 172 f. 168Vgl. Burck 1967, 315 („In einer unbegreiflichen Verblendung unterschätzen die Römer die gallische Gefahr, reizen durch eine schwere Verletzung des Völkerrechts durch ihre Unterhändler die Gallier zum Marsch gegen Rom und treffen fast keine Gegenmaßnahmen zum Schutze der Stadt.“). 163Siehe

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

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Darstellung des fünften Buches kommt der Deutung der Einnahme Roms durch die Kelten als einer Form von göttlicher Bestrafung besonderes Gewicht zu. Das Verhalten der Römer gegenüber den Göttern ist ein dominierendes Thema des fünften Buches insgesamt.169 Hatten sich die Römer vor Veii noch durch besonders sorgfältige Beachtung von Vorzeichen, korrekt durchgeführte Sühneopfer und die pietätvolle, von Respekt vor dem Göttlichen erfüllte, Überführung der Iuno von Veii nach Rom ausgezeichnet, lassen sie nun all diese Tugenden und tugendhaften Verhaltensweisen vermissen. In diesen Zusammenhang lässt sich eine Reihe von Passagen in der zweiten Hälfte von Buch fünf einordnen. In der ersten ignoriert der Senat, wie bereits gesehen, die Meldung des M. Caedicius, der eine göttliche Stimme gehört hatte, die vor dem Angriff der Gallier warnte.170 Nach dem Ignorieren der göttlichen Warnung und nach Camillus’ Gang ins Exil sei dann die „durch das Schicksal“ bestimmte Niederlage der Stadt heraufgezogen.171 Später ziehen die drei Fabier als Gesandte Roms nach Clusium um mit den Galliern zu verhandeln, beteiligen sich dort jedoch „gegen das Völkerrecht“ (contra ius gentium) an den Kampfhandlungen, wodurch sie erst den Zug der Gallier auf Rom provozieren.172 Die Forderung der Gallier nach Auslieferung der drei Fabier erkennt zwar wenigstens ein Teil des Senates als berechtigt an, doch verhindert der Einfluss der Fabier, dass die Senatoren dementsprechend handeln. Die Entscheidung wird an die Volksversammlung übertragen, die die Auslieferung schließlich ablehnt. Die Gallier drohen mit Krieg, und die drei Fabier werden unter die sechs Militärtribunen des nächsten Jahres gewählt. Das Fehlverhalten der Gesandten sowie die uneinsichtige Haltung von Senat und Volk führen die Römer also in die Niederlage.173 Zudem hätten sie, so Livius, trotz der offenkundig bedrohlichen Lage weder einen Dictator gewählt, noch hätten die Militärtribunen ihre Maßnahmen an die Situation angepasst. Ersteres habe die fortuna verhindert, die, so Livius, die Menschen blende, um zu verhindern, dass diese sich ihrem Wirken entgegenstellten.174 Die Feldherren, die das römische Aufgebot an der Allia befehligen, versäumen es zudem, die Auspicien einzuholen, was Livius als einen schweren Fehler vermerkt.175 In taktischer Hinsicht erweisen sich die römischen Anführer ebenfalls

169Siehe zur Bedeutung der Religion im fünften Buch insgesamt u. a. Luce 1971, 268; Levene 1993, 175, 192–203; Oakley 2015, 237 f. 170Liv. 5,32,6–7. Vgl. Levene 1993, 192. 171Liv. 5,33,1 (fatali urbi clade). 172Liv. 5,36,5–6. Siehe hierzu bereits Schwegler 1872, 237 f.; Bruckmann 1936, 41 f.; Ogilvie 1965, 716 („L. makes the story a moral and psychological pretext for the impending disaster at the Allia.“); Levene 1993, 194. 173Liv. 5,36,8–12. Siehe zu dieser Erklärung für die Niederlage an der Allia und der Einnahme Roms wiederum bereits Schwegler 1872, 237 f.; Bruckmann 1936, 41 f.; Ogilvie 1965, 716; Levene 1993, 194. 174Liv. 5,37,1. Vgl. bereits Schwegler 1872, 242, 246; Jaeger 1997, 60. 175Liv. 5,38,1.

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3  Roms Keltenkriege

als inkompetent, denn sie lassen kein Feldlager aufschlagen und die Aufstellung der Truppen ist dem Gelände unangemessen.176 Auch die einfachen römischen Soldaten kämpfen nicht in der von ihnen gewohnten Weise, was ebenfalls als Folge des Wirkens der fortuna gewertet werden kann. In der Schlacht selbst habe nämlich nichts an die Römer erinnert, während die fortuna aufseiten der Gallier gestanden habe.177 Den Römern soll ihre Strafe offenbar nicht erlassen werden. Die Niederlage steht folglich auch rasch fest, und die Römer fliehen daraufhin nahezu besinnungslos vom Schlachtfeld. Wie benommen wirken sie auch noch, als sie sich in Rom nicht nur direkt auf das Kapitol begeben, sondern es dabei auch versäumen, die Stadttore zu schließen.178 Andere Gruppen von Fliehenden schlagen sich ausgerechnet nach Veii durch.179 Die genannten Stellen fügen sich zu einer in sich schlüssigen Deutung zusammen. Zunächst schwächt übersteigertes Verlangen nach Reichtum den inneren Zusammenhalt der Römer, was in die Vertreibung ihres fähigsten Feldherrn mündet. Durch ihre Ignoranz gegenüber göttlichen Vorzeichen und durch ungesühnten Eidbruch ihrer Gesandten bringen die Römer dann die Götter selbst gegen sich auf. In der Schlacht sind die Römer – eine Folge des göttlichen Zornes – dann nicht Herren ihrer selbst, was ihre Niederlage unausweichlich macht. Die Gallier fungieren bis zu einem gewissen Grad mehr als Exekutoren des göttlichen Willens denn als unabhängige, eigenständige Akteure. Immerhin schreibt ihnen Livius jedoch eine große Gottesfürchtigkeit zu, zudem hätten sie unbestreitbar das Recht auf ihrer Seite gehabt.180 In irgendeiner Form herausragende Leistungen im Kampf seien offenbar wiederum nicht zu vermelden gewesen.181 Die Römer wiederum wenden sich zunächst gegen göttliches Recht und agieren dann wie geblendet und in fahrlässiger Weise. Die Fehler, die die Militärtribunen an der Allia bei Livius begehen, wie das Versäumnis, ein Lager zu errichten und die Auspicien einzuholen, oder die ungeschickte Aufstellung der Truppen zur Schlacht, lassen sich letztlich alle als Folge des Wirkens der fortuna erklären.182

176Liv.

5,38,1–2. Vgl. Bruckmann 1936, 42 f. 5,38,4–5 (adeo non fortuna modo, sed ratio etiam cum barbaris stabat. In altera acie nihil simile Romanis, non apud duces, non apud milites erat). Vgl. Ogilvie 1965, 719; Luce 1971, 270. 178Liv. 5,38,10. Vgl. schon Schwegler 1872, 252 („eine offenbare Uebertreibung der verzweifelten Rath- und Kopflosigkeit, in der man sich die unglückliche Bevölkerung dachte“). 179Liv. 5,38,10. Zu den offenen Stadttoren beim Anmarsch der Gallier vgl. die weiteren Ausführungen. 180Liv. 5,34,2–8; 5,36,11. Vgl. u. a. Levene 1993, 193 f.; Engels 2007, 375. 181Siehe mit dieser Beobachtung bereits Bruckmann 1936, 44 („Bei einem Vergleich auf die gesamte Erzählung […] fällt zunächst auf, daß es Livius hier wie dort peinlich vermieden hat, im Leser den Gedanken an eine große heldische Leistung der Feinde aufkommen zu lassen. Er hat im Gegenteil alles dafür getan, um den feindlichen Sieg als Kampfesleistung herabzumindern.“). Auf der anderen Seite hat Livius die virtus, welche die Fabier im Kampf vor Clusium gezeigt haben sollen, hervorgehoben, obgleich sich diese contra ius gentium an der Schlacht beteiligt hatten (Liv. 5,36,6–7). Vgl. Luce 1971, 277 („Livy could not resist pointing to an example of peregrina virtus (36.6) on the battlefield at Clusium“.). 182Vgl. auch Luce 1971, 271 f. 177Liv.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

111

Nach ihrer Niederlage und ihrer Flucht vom Schlachtfeld wandelt sich jedoch das Bild der Römer, in gewisser Weise sogar ihr Wesen, denn diejenigen von ihnen, die sich in Rom auf den Anmarsch der Gallier vorbereiten, hätten, so Livius, nicht mehr denen geglichen, die an der Allia geflohen waren.183 Diese Bemerkung markiert einen Wendepunkt im Verhalten der Römer, die nun all dies zeigen, was sie zuvor vermissen ließen. Es lässt sich ein Prozess beobachten, an dessen Ende schließlich eine „Wiederherstellung der römischen Moral“ steht, was eine Voraussetzung für die Befreiung Roms von den gallischen Besatzern und damit der Überwindung der Krise darstellt.184 Denn bevor die Gallier Rom erreichen, organisieren die Römer die Verteidigung der Stadt, genauer gesagt des Kapitols. Dorthin ziehen sich die wehrfähigen Römer mit ihren Familien zurück, um von dieser Festung aus „Götter, Menschen und den römischen Namen“ zu verteidigen.185 Anschließend fassen die Römer den Beschluss, dass der Flamen Dialis und die Priesterinnen der Vesta die sacra publica fortschaffen sollen, um dafür zu sorgen, dass die Verehrung der Götter nicht eingestellt werde, so lange auch nur ein Angehöriger des römischen Volkes übrig sei um dies zu bewerkstelligen.186 Als weniger wichtig wird das Überleben der älteren Römer angesehen, da diese ohnehin nicht mehr in der Lage seien, Rom zu schützen. Folgerichtig bleiben sie in der Stadt zurück, fliehen also weder in das Umland, noch begeben sie sich auf das Kapitol. Um den Plebejern die Akzeptanz dieser Entscheidung zu erleichtern, bleiben auch die Alten unter den Senatoren in der Stadt und erwarten dort die Gallier, indem sie im Atrium ihrer Häuser sitzen und die Zeichen ihrer ehemaligen Ämter tragen.187 Als die Gallier in Rom eintreffen und die alten Senatoren erblicken, sind sie zunächst von Ehrfurcht erfüllt, erschlagen die alten Männer dann jedoch vor deren Häusern und plündern diese. Zuvor hatte einer der Senatoren einen der Gallier mit seinem Elfenbeinstab auf den Kopf geschlagen, nachdem dieser seinen langen Bart berührt hatte.188 Livius weiß in diesem Zusammenhang davon zu berichten, dass einige überlieferten (tradant), die alten Senatoren hätten sich zuvor für ihre Stadt und ihre Mitbürger (pro patria Quiritibusque Romanis) devoziert.189

183Liv.

5,39,8 (Nequaquam tamen ea nocte neque insequenti die similis illi, quae ad Alliam tam pavide fugerat, civitas fuit.). 184Ogilvie 1965, 720 („restoration of Roman morale“); Miles 1986, 11 („sudden change of heart“). Siehe zu der hier beschriebenen Struktur bereits Burck 1967, 315 f.; Luce 1971, 268– 276; Levene 1993, 194–202; Jaeger 1997, 62 f.; Oakley 2015, 236 f. 185Liv. 5,39,10 (deos hominesque et Romanum nomen). 186Liv. 5,39,11. Vgl. hierzu Levene 1993, 195. 187Liv. 5,39,12–13. Vgl. Levene 1993, 195 f. 188Liv. 5,41,1–3; 5,41,8–10. 189Liv. 5,41,3 (Sunt, qui M. Folio pontifice maximo praefante carmen devovisse eos se pro pat­ ria Quiritibusque Romanis tradant.). Siehe hierzu Levene 1993, 196. Eine entsprechende Überlieferung könnte in der Tat der Ursprung der eigentümlichen Episode sein (vgl. Ogilvie 1965, 725). In der Regel wird in der Forschung angenommen, dass die Episode um den Tod der

112

3  Roms Keltenkriege

Die Rettung der sacra publica gelingt auch deswegen, da Flamen und Priesterinnen allein von der Sorge um deren Bewahrung erfüllt sind.190 Diese sei auf zwei Wegen sichergestellt worden. So sei ein Teil der heiligen Gegenstände in kleinen Fässern in einer Kapelle nahe des Hauses des Flamen Quirinus verborgen worden.191 Zudem habe der bereits erwähnte L. Albinius die Priesterinnen und den Flamen, die zu Fuß aus der Stadt flohen und entsprechend langsam vorankamen, mitsamt der sacra publica auf seinem Wagen aufgenommen und nach Caere gebracht, sodass das Fortbestehen des Kultes im Exil gesichert gewesen sei.192 Den Römern gelingt es bei Livius dann, den Kapitolshügel gegen die ersten Angriffe der Gallier zu verteidigen, sodass eine offenbar länger andauernde Belagerung beginnt.193 Deren Schilderung bietet Livius die Gelegenheit, eine ganze Reihe von einzelnen Episoden einzuflechten, die als weitere Schritte auf dem Weg der Römer zur Wiedererlangung der Gunst der Götter gelesen werden können, um die sie sich zuvor selbst durch ihr frevelhaftes Verhalten gebracht hatten.194 Zu diesen Episoden gehört der Opfergang des C. Fabius Dorsuo, der, wie oben gesehen, nachweislich bereits, in von Livius’ Text abweichenden Varianten,

alten Senatoren erst recht spät in die Überlieferung von der gallischen Einnahme Roms integriert wurde. Siehe zuletzt Koptev 2011, bes. 173–179, der glaubt, dass die Geschichte im letzten Drittel des zweiten Jahrhunderts in die Überlieferung Eingang fand. Hirschfeld 1895/1913, 272 vermutet, dass der gewaltsame Tod des Konsuls Cn. Octavius im Jahr 87 das Vorbild für diese Episode lieferte. Octavius soll sich nach dem Bericht des Appian (App. civ. 1,326– 328) geweigert haben, vor den Anhängern seiner Gegner Cinna und Marius zu fliehen, die in Abwesenheit Sullas in Rom einmarschierten. Stattdessen habe er seine Feinde auf dem Ianiculum, in Amtstracht, umgeben von den Rutenbündeln der Liktoren und aufrecht auf der sella curulis sitzend, erwartet, woraufhin ihn C. Marcius Censorinus geköpft haben soll. 190Liv. 5,40,7. 191Liv. 5,40,8. Nach Livius habe dort bis in seine Zeit das Ausspucken als Frevel gegolten, was offenbar mit dem Versteck der sacra publica dort während des Kelteneinfalls zusammenhänge. Siehe hierzu auch unten Abschn. 3.1.6. 192Liv. 5,40,6–10. Zu Erwägungen um eine frühere Integration der Rolle des L. Albinius in die Überlieferung der ‚Gallischen Katastrophe‘ siehe oben Abschn. 3.1.2. 193Liv. 5,43,1–5. Nach einem Überlieferungsstrang hätten die Gallier das Kapitol über sieben Monate hinweg belagert (Pol. 2,22,5). Eine präzise Zeitangabe findet sich bei Livius zwar nicht, doch ist von einer längeren Dauer auszugehen, da dort zum einen die Vorräte der Römer auf dem Kapitol zur Neige gehen, zum anderen Camillus und die nach Veii geflohenen Römer genügend Zeit haben, Truppen aufzustellen und Operationen gegen plündernde Gallier und Etrusker durchzuführen. Vgl. Luce 1971, 283 f. 194Vgl. Luce 1971, 277. Wie die Durchsicht der Fragmente der Werke früherer Werke in den vorangegangenen Kapiteln in diesem Zusammenhang bereits gezeigt hat, hatten einige dieser Episoden bereits deutlich vor Livius Eingang in historiografische Darstellungen und andere Medien der römischen Geschichtskultur gefunden. Innerhalb der lateinischen Literatur stellt die livianische Erzählung indes die früheste erhaltene Gesamtdarstellung dar, die jene Episoden miteinander verbindet. Möglicherweise waren diese Episoden allerdings bereits von Q. Claudius Quadrigarius in einen narrativen Kontext eingebunden worden (vgl. oben Abschn. 3.1.4).

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

113

in früheren Werken enthalten war.195 In Buch fünf von Ab Urbe Condita geht es Dorsuo darum, ein Opfer auf dem Quirinal durchzuführen, das der gens Fabia vorgeschrieben sei. Hierzu gürtet er sich auf Gabinische Art und schreitet mit den Opfergaben in den Händen durch die Reihen der Gallier. Livius ist sich nicht sicher, warum diese den Fabius nicht angreifen. Er äußert aber die Vermutung, dass diese entweder durch die kühne Tat selbst erstarrt waren oder als Folge ihrer „frommen Scheu“.196 In jedem Fall habe Dorsuo sein Leben riskiert, um das vorgeschriebene Opfer durchführen zu können.197 Die besondere pietas, die der Fabier hier offenbart, zeigen auch die anderen Römer im Laufe der Belagerung, was entscheidend dazu beiträgt, dass sie sich gegen die Angriffe der Gallier behaupten können. Denn auch als den auf dem Kapitol Eingeschlossenen die Vorräte zur Neige gehen, rühren sie die heiligen Gänse der Iuno nicht an, was explizit als Voraussetzung für die Rettung des Kapitols bezeichnet wird.198 Die Tiere bemerken die gallischen Angreifer, die sich auf der Spur des Pontius Cominius nachts auf das Kapitol schleichen, und verraten diese durch ihr Geschnatter und lautes Flügelschlagen, während die Wachhunde schlafen. So kann einer der Römer, M. Manlius, gerade noch rechtzeitig auf die Gallier aufmerksam werden und sich ihnen in den Weg stellen.199 Nach ihren Verfehlungen und der Missachtung eindeutiger Vorzeichen, die ihnen göttliche Missgunst und damit den Angriff der Gallier eintrugen, zeigen die Römer in der Belagerung also besondere pietas. Einzelne Männer und Frauen nehmen Opfer auf sich, um die Götter und die römische Gemeinschaft zu beschützen, die diese Götter verehrt. Zudem wird auch in einer Situation höchster Gefahr und Entbehrung an den überlieferten religiösen Pflichten und Sitten festgehalten, indem Opferhandlungen durchgeführt werden und weitere Vorschriften strenge Beachtung erfahren. Die Warnung durch die heiligen Gänse könnte man als ein Zeichen dafür betrachten, dass die Götter diesen Wandel der Römer honorieren. Denn schließlich gelingt es den Römern, das Kapitol, den „Sitz der Götter“, zu verteidigen.200 Wie gesehen war es jedoch nicht allein die Missachtung göttlicher Gebote und Zeichen, die die Römer in die Niederlage geführt hatte. Dem Angriff der Gallier standen sie auch deswegen so hilflos gegenüber, weil sie ihren großen Anführer Camillus durch inneren Zwist ins Exil getrieben hatten. Im Anschluss an die

195Levene

1993, 197 f. 5,46,1–3. Vgl. Ogilvie 1965, 731 („the superstition of the Gauls was proverbial“). 197So bes. Liv. 5,46,3. 198Liv. 5,47,4 (anseres non fefellere, quibus sacris Iunonis in summa inopia cibi tamen abstine­ batur. quae res saluti fuit […].). Vgl. Levene 1993, 198 f. 199Liv. 5,47,1–5. Zu den verschiedenen Aitia, die auf diese Episode zurückgehen bzw. überhaupt erst zu ihrer Entstehung beitrugen, siehe unten Abschn. 3.1.6. 200Liv. 5,39,12 (sedes deorum). Vgl. Levene 1993, 198 („Divine aid may also be seen in the story that follows, about the geese that saved the Capitol by warning its defenders of the Gauls’ attack […].“). 196Liv.

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3  Roms Keltenkriege

Niederlage an der Allia ist nun nicht nur in Hinsicht auf die religiöse, sondern auch auf die politische Gemeinschaft der Römer ein Wandel zum Besseren zu beobachten, der ihnen hilft, die Krise zu überwinden, die durch die Belagerung des Kapitols und die weitgehende Zerstörung der Stadt ausgelöst worden war.201 Schon die Bereitschaft der alten Senatoren, sich für die Rettung der Gemeinschaft zu devozieren, ist ein Zeichen dafür, dass der Streit zwischen verschiedenen Gruppen der Bürgerschaft überwunden werden kann. Während im Folgenden die Belagerung andauert, haben sich in Veii zahlreiche Römer gesammelt. Ihr Plan ist es, Rom zurückzugewinnen, wozu sie M. Furius Camillus als Anführer einsetzen wollen.202 Dies könne aber allein der Senat entscheiden, der schließlich für die Ernennung eines Dictators verantwortlich ist, denn obwohl „nahezu alles verloren war“ hätten Respekt vor dem Herkommen und den Kompetenzen der verschiedenen Institutionen der res publica alle Entscheidungen bestimmt.203 Dies habe dann zur Entsendung eines Boten zum eingeschlossenen Restsenat auf dem Kapitol geführt – eine Aufgabe, für die sich der bereits erwähnte Pontius Cominius, „ein fleißiger junger Mann“, freiwillig gemeldet habe, der diese dann auch ausführt. Das Eingreifen des Camillus erfolgt also nicht auf der Basis einer Selbstermächtigung des Feldherrn oder einer Wahl des Heeres im Exil, sondern gemäß der institutionellen Ordnung der Republik, obwohl die Voraussetzungen für deren Einhaltung äußerst widrig sind.204 Diese Haltung sei nach Livius auch weiterhin beibehalten worden. An der gleichen Stelle, an der zuvor Cominius den Hang zum Kapitol erklommen hatte und von dort später wieder herabgestiegen war, konnten kurz darauf auch die Gallier den Hügel hinaufklettern. Erst das Schnattern der Gänse habe M. Manlius aufgeschreckt, dem es allein gelingt, die Angreifer so lange aufzuhalten, bis auch die anderen Römer auf den Angriff aufmerksam werden.205 Nachdem die gallischen Angreifer unter Führung des M. Manlius zurückgeschlagen werden ­ konnten,

201Vgl.

zum Folgenden Ogilvie 1965, 727 f. 5,46,4–7. 203Liv. 5,46,7. 204Liv. 5,46,7–11. 205Liv. 5,47,1–6. Wiseman 1979 macht in Hinsicht auf den Ort des Angriffs darauf aufmerksam, dass bei Livius (Liv. 6,20,10–12) in der Schilderung der Hinrichtung des M. Manlius Capitolinus durch die Tribunen ein anderer Ort des Aufstiegs der Gallier zum Kapitol genannt wird. Nach Livius sei Manlius vom Tarpeischen Felsen gestoßen worden, was dem Erzähler die Bemerkung ermöglicht, dass dieser Ort zum Denkmal sowohl für Manlius’ Ruhm, als auch für die höchste Strafe geworden sei, zu der er aufgrund seines Umsturzversuches verurteilt worden war (Liv. 6,20,12: Tribuni de saxo Tarpeio deiecerunt, locusque idem in uno homine et eximiae gloriae monumentum et poenae ultimae fuit.). Da der Tarpeische Felsen jedoch wohl nicht am Abhang zum Tiber hin aufragte, bedeutet dies, dass in dieser Passage ein anderer Abschnitt des Hügels als der Ort angesehen wird, an dem die Gallier von Manlius aufgehalten worden waren, als dies in der Schilderung der Episode in Buch fünf der Fall ist. Wiseman vermutet, dass der Grund für diese Änderung darin bestand, die tragische wie didaktisch ergiebige Sentenz (Manlius strebt, im Gegensatz zu Camillus, danach, seinen Ruhm zur Erlangung einer persönlichen Machtposition einzusetzen, was sein Scheitern und damit auch seinen Tod herbeiführt; vgl. Jaeger 1997, 74–93) 202Liv.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

115

­ erden die Soldaten auf dem Kapitol nämlich durch ein Trompetensignal „zur w Heeresversammlung bei den Tribunen“ gerufen, da man „sowohl richtigem, als auch falschem Verhalten Lohn schuldig war“.206 Manlius wird von den Tribunen seiner Tapferkeit wegen ausgezeichnet und durch den Beschluss der Soldaten – unter den gegebenen Umständen – reich beschenkt. In sein Haus, das offenbar „auf der Burg“ (in arce) lag, brachte jeder von ihnen einen Quartarius Wein sowie ein halbes Pfund Weizen, was in der Belagerung für jeden Soldaten ein hohes Opfer, für den Beschenkten ein großes Geschenk dargestellt habe.207 Gegen die Wachen wiederum, die die Angreifer in der Nacht nicht bemerkt hatten, möchte der Militärtribun Q. Sulpicius more militari vorgehen, lässt sich auf Bitten der Soldaten aber darauf ein, die Schuld einem Einzelnen zuzuweisen, der „ohne Zweifel“ schuldig, mit allgemeiner Zustimmung vom Tarpeischen Felsen gestürzt wird.208 Die Römer auf dem Kapitol ergeben sich erst, nachdem auch die letzten Vorräte verzehrt sind, und die Soldaten daher von ihren Anführern verlangten, dass man entweder kapitulieren oder sich, unter welchen Bedingungen auch immer, loskaufen solle. Erst dann tritt der Senat zusammen, der den Tribunen den Auftrag erteilt, Verhandlungen mit den Galliern aufzunehmen. Diese Verhandlungen führen dann zur Übergabe des Goldes an die Gallier, um deren Abzug zu erkaufen. Nun zeigt sich auch, dass die Gier nach Reichtum, die vor dem Auftauchen der Gallier vor Clusium so negativen Einfluss entfalten konnte, einer freigiebigen Solidarität unter den Römern gewichen ist. So spenden wohlhabende Frauen freiwillig wertvollen Schmuck um die Lösegeldsumme zu erreichen, ohne dass die Römer hierfür auf Schätze in den Tempeln hätten zurückgreifen müssen. Die Betonung, dass dies nicht notwendig war, untermauert wiederum die nun wieder bewahrte Ehrfurcht vor den Göttern.209 Während der Übergabe taucht jedoch Camillus auf und sorgt damit für eine erneute Wendung.210 Bevor auf diese eingegangen wird, kann jedoch festgehalten werden, dass die Römer, sowohl die in Veii, als auch die auf dem Kapitol in Rom, nicht nur in Hinsicht auf ihre religiösen Pflichten, sondern auch hinsichtlich der politischen Sitten und Normen in besonders umsichtiger Weise agieren.211 Auf diese Weise kann der

zu kreieren, die sich in der zitierten Stelle in Livius’ Buch sechs findet (Liv. 6,20,12). Als möglichen Urheber der Episode vermutet Wiseman Valerius Antias (Wiseman 1979, 49). Vgl. zustimmend zu dieser Überlegung Jaeger 1997, 76; Oakley 1997, 489 f. 206Liv. 5,47,7: (Luce orta vocatis classico ad concilium militibus ad tribunos, cum et recte et per­ peram facto pretium deberetur). 207Liv. 5,47,8. 208Liv. 5,47,9–10. Vgl. zur Stelle und zur Verwendung des Ausdrucks mos militaris an dieser Stelle Ogilvie 1965, 735. 209Liv. 5,50,7. Siehe hierzu bereits Miles 1986, 12. 210Liv. 5,49,1. Vgl. Levene 1993, 199. 211Die Kompetenzen einzelner Institutionen (u. a. nicht die Exilrömer in Veii, sondern der Senat ernennt den Dictator) werden ebenso beachtet wie der ordnungsgemäße Ablauf der Verfahren (Tribunen rufen zur Heeresversammlung auf dem Kapitol, Belohnungen und Strafen werden verteilt).

116

3  Roms Keltenkriege

Schlag gegen die Gallier angemessen vorbereitet und durchgeführt werden. Zuvor hatten sich die Römer als untereinander zerstritten präsentiert und ihre Feldherren hatten die Armee an der Allia in den Kampf geführt, ohne die Vorbereitungen zur Schlacht ordnungsgemäß durchzuführen (siehe oben). In den Kämpfen, die die neu formierten Truppen der Römer vor Ardea und Veii gegen umherziehende Plünderer der Gallier bestreiten, offenbart sich die überlegene Organisation und Effizienz der römischen Truppen, sodass auch in dieser Hinsicht eine Wandlung der Römer zu alter Stärke attestiert werden kann.212 Beides – ihre Rückbesinnung auf die pietas sowie die besondere Beachtung von Normen, die das politische Zusammenleben sowie die militärische Organisation regeln – führen dazu, dass die Römer nun gewandelt erscheinen. Die Kapitulation der auf dem Kapitol Eingeschlossenen kann hierdurch freilich nicht verhindert werden. Die Ernennung des M. Furius Camillus zum Dictator durch den Senat bereitet allerdings die Rettung vor. Denn Camillus erscheint nun noch rechtzeitig, um die Übergabe des Goldes an die Gallier zu unterbrechen. Bezeichnenderweise greift Camillus nicht nur ein, indem er die Waffen sprechen lässt, sondern er führt zunächst aus, dass die Zahlung des Goldes ohne legitime Grundlage erfolge – schließlich komme allein ihm als Dictator zu, derartige Entscheidungen im Namen des römischen Volkes zu treffen. Die Ergebnisse der Verhandlungen, die die Gallier mit den Militärtribunen geführt hatten, seien also als nichtig zu betrachten. Dieser Sichtweise wollen sich die Gallier erwartungsgemäß nicht anschließen, weshalb es erst zum Waffengang kommt.213 Dass das Gold zurückgewonnen werden kann, ist also Camillus’ Eingreifen zu verdanken, zu dem es wiederum erst kommen kann, da die Römer, die die Niederlage auf Ardea, Veii und Rom verteilt hat, anders als vor der Katastrophe, auch unter schwierigen Umständen in Einigkeit agieren, wobei die gemeinsame Richtschnur des Handelns die allen bekannten mores sind. Den Verteidigern gelingt es wiederum auch deswegen, so lange durchzuhalten, weil sie selbst sich wieder den Göttern in besonders umsichtiger Weise zugewandt haben, deren Vorschriften befolgen und so die Tempel auf dem Kapitol beschützen können. Die erfolgreiche Behauptung zeigt auf der anderen Seite an, dass auch die Götter wieder dazu bereit sind, den Römern beizustehen. Vor dem Schicksal als „Losgekaufte zu leben“ hätten die Römer „Götter und Menschen“ beschützt, konstatiert Livius folglich am Ende seiner Schilderung der Belagerung.214 Dass das Auftauchen des Camillus in Rom erst relativ spät in die Erzählung von der Einnahme und Befreiung der Stadt eingefügt wurde, ist in der Forschung seit langem erkannt worden.215 Offenbar kursierte auch eine Reihe von Varianten

212Vgl.

Luce 1971, 274 f. 5,49,1–6. 214Liv. 5,49,1 (dique et homines prohibuere redemptos vivere Romanos). Vgl. allgemein Luce 1971, 272 („‚Gods and men‘ becomes thereafter a leitmotif which appears at each crucial stage of the story, […].“). 215Siehe u. a. Schwegler 1872, 262 f.; Luce 1971, 290. 213Liv.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

117

zur Rückgewinnung des Goldes, das die Römer an die Kelten gezahlt hatten, in denen Camillus entweder keine Rolle spielte oder es ihm erst zu einem späteren Zeitpunkt gelang, das Gold wieder für die Römer zurückzugewinnen.216 Wann und von wem die Version, die bei Livius steht, ersonnen wurde, ist letztlich unklar.217 Innerhalb der Komposition des fünften Buches von Ab Urbe Condita, in dem Camillus bis zu dieser Stelle bereits die überragende Figur auf römischer Seite war, stellt es in jedem Fall eine konsequente Konstruktion dar, ihn auch die Gallier aus Rom vertreiben zu lassen. Rom selbst ist damit allerdings noch nicht gerettet, denn nun bedroht doch wieder innere Uneinigkeit die Zukunft der Stadt. Ein Teil der Bevölkerung ist der Ansicht, dass es das Beste sei, die Ruinen, die von den Galliern hinterlassen worden sind, aufzugeben und stattdessen nach Veii überzusiedeln.218 Wieder muss M. Furius Camillus auftreten, um die Stadt Rom vor ihrem Ende zu bewahren.219 Zunächst sorgt er als Dictator dafür, dass sämtliche von den Galliern zerstörten Heiligtümer wiederrichtet werden, Sühnemaßnahmen beschlossen werden und den Einwohnern von Caere für ihre Hilfe bei der Bewahrung der sacra publica gedankt wird. Zudem sollen Spiele zu Ehren von Iuppiter Optimus Maximus eingerichtet werden, der das Kapitol geschützt habe. Darüber hinaus sollte die Nichtbeachtung der göttlichen Stimme, die die Römer vergeblich gewarnt hatte, durch die Errichtung eines Altars für Aius Locutius an der Nova Via gesühnt werden. Das wiedererrungene Gold solle im Tempel des Iuppiter unter dessen sella deponiert und zum Eigentum des Gottes erklärt werden.220 Diese Maßnahmen fügen sich gut in die zuvor in Livius’ Darstellung vertretene Deutung ein, nach der die Niederlage ganz wesentlich durch die Missachtung göttlicher Vorzeichen und Gesetze herbeigeführt wurde, weshalb er sie wohl auch in dichter Reihung präsentiert und ausführlicher als alle anderen Autoren, von denen sich Berichte hierzu erhalten haben, auf sie eingeht.221 Unter Anleitung des Camillus streben die Römer nun mit großer Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit eine vollständige Aussöhnung mit den Göttern an.

216In

Diod. 14,117,5 nimmt Camillus den Galliern das Gold bei einem späteren Feldzug in Etrurien wieder ab. Nach Suet. Tib. 3,2 sei es ein gewisser M. Livius Drusus gewesen, der als Praetor der provincia Gallia einen gallischen Anführer namens Drausus besiegt und dabei das Gold wieder errungen habe, das einst an die Senonen für ihren Abzug aus Rom gezahlt worden war. Strab. 5,2,3, p. 220 berichtet wiederum, dass die Einwohner von Caere den Kelten das Gold abgenommen und an die Römer zurückgegeben hätten. Vgl. Luce 1971, 292; Williams 2001, 143; Walter 2004a, 386 f. Vgl. hierzu Schwegler 1872, 262, 266. 217Vgl. Walter 2004a, 387. Zu einer Überlegung Bruuns siehe oben Abschn. 3.1.2. 218Liv. 5,49,8; 5,50,8. 219Liv. 5,49,8 (Servatam deinde bello patriam iterum in pace haud dubie servavit, cum prohibuit migrari Veios et tribunis rem intentius agentibus post incensam urbem et per se inclinata magis plebe ad id consilium). 220Liv. 5,50,1–7. 221Levene 1993, 199 („While there are one or two references to these events in other writers, no one but Livy brings them together and describes them in such detail […].“).

118

3  Roms Keltenkriege

Anschließend hält Camillus eine längere Rede, in der er in konzentrierter Form die Deutung der Ereignisse wiedergibt, die dem Leser bereits durch die Lektüre der vorangegangenen Kapitel nahegelegt wurde.222 Veii konnte durch besonders sorgfältige Beachtung göttlicher Zeichen erobert werden, und die Niederlage an der Allia sei durch Missachtung der warnenden Stimme sowie durch den Bruch des Völkerrechtes herbeigeführt worden. Ihr Unglück habe die Römer jedoch wieder an die res religionum erinnert, was dazu geführt habe, dass sie die Belagerung nicht nur durchstanden, sondern die Gallier schließlich erfolgreich vertreiben konnten.223 Hieran anschließend führt Camillus seinen Mitbürgern vor Augen, welch schlimmen Schaden sie anrichteten, sollten sie Rom für Veii verlassen. Rom sei nämlich tatsächlich der Ort, auf dem die Stadt unter strenger Beachtung religiöser Riten gegründet wurde, wo Tempel und Altäre ihre festen Plätze, und damit die Götter ein Heim hätten. Dort hätten sich verschiedene Gottheiten den Römern offenbart, und dort erhebe sich schließlich das Kapitol, das nach Auskunft der Seher einst das Haupt der Welt sein werde. Diese Bestimmung ließe sich nicht von einem auf einen anderen Ort übertragen, und an keinem anderen Ort könnten die religiösen Pflichten, die den Römern auferlegt sind, in angemessener Weise befolgt werden.224 Der Gedanke, der diesen Ausführungen zugrunde liegt, besteht darin, dass eine Verletzung dieser Pflichten wiederum erneut schreckliche Folgen für Rom haben würde.225 In der Rede des Camillus gelingt es Livius, nicht nur die Deutung, die seiner Schilderung der ‚Gallischen Katastrophe‘ zugrunde liegt, in komprimierter Form zu wiederholen, sein Camillus gibt den Römern zudem eine Reihe von Hinweisen auf wichtige Ereignisse in der Geschichte des bisherigen Aufstieg Roms, die Livius in der ersten Dekade bis dahin geschildert hatte und die nun am Ende des fünften Buches in einen übergreifenden Zusammenhang gebracht werden.226 Hierbei handelt es sich auch um solche Ereignisse, die als Stationen auf Roms Weg zur Herrschaft über die Welt gedeutet werden können und in denen das Kapitol – wie bereits in der gesamten Darstellung der gallischen Eroberung Roms zuvor – stets eine wichtige Rolle spielt.227 Camillus selbst beschließt den bisherigen Lauf der römischen Geschichte, indem er seine Mitbürger darauf hinweist, dass sich Rom im 365. Jahr

222Die

Rede des Camillus in Liv. 5,51,1–54,7. Siehe hierzu Ogilvie 1965, 741–750; Burck 1967, 316 f.; Levene 1993, 199–202; Jaeger 1997, 89–92; Walter 2004a, 401 f.; Oakley 2015, 238 f. 223Liv. 5,51,9 (adversae deinde res admonuerunt religionum). Vgl. Oakley 2015, 238. 224Liv. 5,54,7. Vgl. Oakley 2015, 239: „In short, in this final appearance of the theme of what it means to be a Roman, we learn that, for Camillus at least, ‘Romanness’ was not possible if Romans did not inhabit the city of Rome itself.“ 225Vgl. Tränkle 1998, 155. 226Vgl. Ogilvie 1965, 742. 227Zu diesen Episoden gehören die Gründung der Stadt durch Romulus, die Auffindung des sogenannten caput Oli im Zuge der Errichtung des Tempels für Iuppiter Optimus Maximus und die Weigerung der Gottheiten Iuventas und Terminus, sich im Zuge dieser Baumaßnahmen von ihren angestammten Plätzen entfernen zu lassen (Liv. 5,54,7). In der entsprechenden Passage im ersten Buch (Liv. 1,55,3–4) weigert sich allein Terminus, der Gott der Grenzen und Grenzsteine, den Ort zu räumen, was dort als Omen für die Dauerhaftigkeit des Ganzen aufgefasst wird (vgl.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

119

seit seiner Gründung befinde – 365 Jahre, in denen kein Gegner den Römern im Krieg gewachsen gewesen sei.228 Camillus möchte die Römer also durch den Hinweis auf die Vergangenheit Roms davon abhalten, das Areal der Stadt zu verlassen. Stattdessen sollen sie auf den Ruinen, die der Galliersturm hinterlassen hat, und im Bewusstsein der Kontinuität seit der Gründung ihre Stadt neu errichten. Zugleich deutet der Hinweis auf das 365. Jahr seit der Gründung der Stadt auf die Vorstellung eines sogenannten ‚Großen Jahres‘ hin, dessen Ende nach Ablauf von eben 365 Jahren gekommen sei.229 Der Hinweis darauf, dass mit dem Herrschaftsantritt des Augustus eine neue Epoche der römischen Geschichte angebrochen gewesen sei, war ein fester Bestandteil der Prinzipatsideologie.230 Livius rückt diese Entwürfe zur Periodisierung der römischen Geschichte in der Rede des Camillus in einen größeren Kontext, der die gesamte Geschichte Roms überspannt.231 Die Angabe von 365 Jahren war zwar chronologisch ungenau, das tut der mit ihr verbundenen Symbolik jedoch keinen Abbruch. Denn der Wiederaufbau der Stadt konnte in dieser Perspektive als eine zweite Gründung Roms gedeutet werden, die nach Ablauf eines ‚Großen Jahres‘ gekommen war. Wie bereits erwähnt feiern die römischen Soldaten den Camillus schließlich als „zweiten Gründer der Stadt“ (conditor alter urbis).232 In der Tat beginnt Livius das sechste Buch dann auch mit einem neuen Proömium, in dem er hervorhebt, dass mit der Zeit seit der Vertreibung der Gallier eine neue Epoche in der römischen Geschichte eingesetzt habe.233 Bei kontinuierlicher Lektüre des Werkes fällt dieser Zusammenhang besonders deutlich ins Auge, da diese zweite Einleitung direkt auf den Beschluss zum Wiederaufbau Roms am Ende des fünften Buches folgt.234 In der Gegenwart von Livius und seinen Rezipienten konnte dies gut an die ‚Neugründung‘ Roms unter Augustus im Jahr 27 erinnern, bis zu der „noch einmal fast genau die gleiche Zeitspanne vergehen“ sollte, die von der ersten Gründung unter Romulus bis zur zweiten unter Camillus vergangen war.235 Die Deutungen, die

Hölkeskamp 2001/2004, 137 f.). Eine ähnliche Begebenheit hinsichtlich der Iuventas wird dort nicht erwähnt, weshalb Ogilvie 1965, 750 vermutet, dass es sich hierbei um eine Ergänzung handelt, die auf die Forschungen von M. Terentius Varro zurückgeht, dem aufgefallen sein könnte, dass Iuventas in der cella der Minerva im kapitolinischen Tempel einen eigenen Schrein hatte. Siehe zu dieser Passage ferner Kraus 1994, 281. Eine eingehende Analyse der Art und Weise, in der das Kapitol, nicht nur in der Rede des Camillus, sondern in der zweiten Hälfte des fünften sowie in der ersten Hälfte des sechsten Buches als Mittelpunkt in Livius’ Narrativ fungiert, bietet Jaeger 1997, 57–93. 228Liv. 5,54,5. 229Zur Vorstellung eines ‚großen Jahres‘ siehe Ogilvie 1965, 749; Williams 2001, 156; Koptev 2011, 175 f. 230Galinsky 1996, 90–121. 231Siehe bereits Levene 1993, 201; Walter 2004a, 402 f. 232Liv. 5,49,7. 233Liv. 6,1,1–3. 234Liv. 5,55,3–5. 235Walter 2004a, 402 (Zitat). Siehe zuvor bereits Edwards 1996, 49; Williams 2001, 156.

120

3  Roms Keltenkriege

sich aus dieser historiografischen Konstruktion ergeben konnten, hat Uwe Walter bereits pointiert zusammengefasst.236 Zum einen ergebe sich demnach aus den Verbindungen, in die Livius den Sieger über die Gallier setzt, eine „Reihe ‚Romulus‘ – Camillus – Augustus“, als deren „vorläufiger Mittelpunkt auf der Zeitachse der Geschichte Roms“ Camillus erscheine, durch den auf diese Weise, zum anderen, „auch die Verschmelzung zweier Vergangenheiten mit einer Gegenwart zu einem fast acht Jahrhunderte währenden zyklischen Kontinuum mit passablen Zukunftsaussichten“ gelinge. Eine weitere Verbindung ergebe sich zu Aeneas, denn Camillus habe als „Brücke zwischen zwei Epochen“ verstanden werden können, ähnlich wie Aeneas als „Brücke zwischen zwei Welten“, der untergegangenen troianischen Vergangenheit und der in Italien beginnenden Zukunft der Römer, habe gedeutet werden können.237 Das Thema von Neugründung und Erneuerung sowie die Hinweise auf die Ähnlichkeiten zwischen Camillus und Aeneas verweisen, wie erwähnt, auf Augustus, dessen Herrschaft von Zeitgenossen als Begründung und Beginn eines neuen ‚Goldenen Zeitalters‘ gedeutet wurde, das in vieler Hinsicht an die glorreichen Abschnitte der römischen Geschichte anknüpfte.238 Diese Bezüge in Livius’ Darstellung erklärten sich, so Walter, aus der Notwendigkeit, dass Livius die „Ereignisse einer zeitlich weit entfernten Vergangenheit dem Publikum verständlich und nachvollziehbar“ machen musste.239 Diese Herstellung von Verweisen bot sich auch deswegen an, da ja ‚Rom‘, verstanden als Stadt wie als Herrschaftsraum, auch am Ende des dritten ‚Großen Jahres‘ seiner Geschichte bildlich gesprochen teilweise in Ruinen lag – in denen, die der Bürgerkrieg hinterlassen hatte, – und neue Konflikte zu nahen drohten. Gleichzeitig bot der Blick in die ferne Vergangenheit auch eine Perspektive für die Zukunft, denn in der Tat schien sich „die Lösung des Jahres 390 in der Zukunft dieses Jahres“, also im weiteren Verlauf der römischen Geschichte nach Abzug der Gallier, bewährt zu haben.240 Die Projektion von Konstellationen und Perspektiven aus der Gegenwart des Livius in die Zeit der ‚zweiten Gründung‘ nach der Überwindung der Vertreibung der Gallier konnte in diesem Sinne auch „der Hoffnung Ausdruck […] geben, daß die römische Geschichte über alle Brüche hinweg“ eben doch eine Erfolgsgeschichte war und blieb, die sich kontinuierlich von der Ankunft des Aeneas in Italien bis in die Zeit des ersten Kaisers erstreckte.241 Die Erinnerung an die Zerstörung und den

236Walter

2004a, 402 f. 2004a, 402 (Zitat). Siehe zur Verbindung von Romulus – Camillus – Augustus zudem vor allem Miles 1986, bes. 17 f.; Edwards 1996, 48 f. (49: „Camillus then, in Livy’s account, stands exactly midway between Romulus and Augustus.“). 238Galinsky 1996, 90–121. 239Walter 2004a, 402 f. 240Walter 2004a, 403. 241Walter 2004a, 403. 237Walter

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

121

darauf folgenden Wiederaufbau der Stadt konnte hier auch als Hinweis darauf gelesen werden, dass auch für die Zeitgenossen des Livius eine solche Erneuerung wie schon in der Vergangenheit nur durch eine Rückbesinnung auf altrömische Tugenden, Einigkeit in der Bürgerschaft und das Eingreifen eines in jeder Hinsicht besonders vorbildlichen Anführers, zu erlangen sei.242 Dabei muss man freilich nicht annehmen, dass erst unter der Herrschaft des Augustus die Figur des Camillus als eines zweiten Gründers in die Darstellung und Deutung der Gallierkatastrophe eingebunden wurde. Vielmehr liegt es näher anzunehmen, dass es Augustus auch in diesem Fall gelang, Vorstellungen, die bereits zuvor in der römischen Geschichtskultur einige Verbreitung gewonnen hatten, zu adaptieren und für seine Zwecke einzusetzen.243 An eine direkte Weisung des Princeps an die Adresse des Livius ist dabei nicht zu denken. Die Vorstellung des Camillus als eines zweiten Gründers konnte der Geschichtsschreiber aus Padua auch ohne eine direkte Einflussnahme des Augustus gewonnen haben, denn das Streben nach einer ‚Erneuerung‘ Roms nach Ende der Bürgerkriege verband nicht nur Augustus und Livius, sondern auch viele ihrer Zeitgenossen miteinander.244 In der Historiografie konnten diese Gedanken wiederum vielleicht besondere Tiefe gewinnen.245 Dies gilt insbesondere für ein Werk, in dem, wie in Livius’ Ab Urbe Condita, die gesamte Geschichte Roms von ihren Anfängen bis hin zur Zeit des Augustus erzählt wird, was ermöglicht, weite Erzählbögen zu spannen, Motive zu variieren und die Deutung einzelner Ereignisse in weitreichende Interpretationen einzuarbeiten, in der die ferne Vergangenheit mit der Gegenwart verbunden scheint.246 Die Geschichte von der Zerstörung und dem Wiederaufbau Roms im fünften Buch des Livius war allerdings auch dazu geeignet, Assoziationen zu einem anderen Narrativ vom Fall und der Behauptung einer großen Stadt hervorzurufen, nämlich zur Zerstörung Athens in den Perser­ kriegen des frühen fünften Jahrhunderts.

242So auch bereits Miles 1986, 22. Vgl. zudem schon zuvor mit Blick auf das Bild des Camillus in der ersten Dekade insgesamt Burck 1967, 311 f., 317 (dort, 317 u. a.: „Der Glaube an die Weltherrschaft und Ewigkeit Roms, den Livius schon in Buch 1 trotz der düsteren Eindämmung des Prooemiumschlusses in bedeutsamen Voraussagen durchbrechen läßt, findet in der Stunde der Neugründung Roms eine strahlende, aber zugleich auch warnende Bekräftigung: nur im Einklang mit den Göttern und in der Eintracht des ganzen Volkes kann Rom unter der Führung eines vom Schicksal erlesenen und ihm gehorsamen Feldherrn und Staatsmanns vom Rande des Abgrunds zur inneren und äußeren Neuordnung seines Kults, seines Staatswesens und der bürgerlichen Gemeinschaft kommen.“). 243So Gaertner 2008, 51 f. 244Vgl. etwa Burck 1967, 326 f.; Deininger 1985; Galinsky 1996, 280–287. 245Vgl. Walter 2004a, 404 („Ebenfalls allein in einem literarischen Erinnerungsmedium von solcher Spannweite möglich war die Einbindung des Camillus in die ganz weiten Sinnhorizonte.“). 246Vgl. zudem Gaertner 2008, 42 („Camillus’ prominence as a second founder and the religious themes of this speech clearly evoke the foundation of the city by Romulus and the institution of Roman cults by Numa in Book I and thus are a particularly suitable closure for the first five books of Ab Urbe Condita.“).

122

3  Roms Keltenkriege

Schon bei einer oberflächlichen Lektüre des fünften Buches fällt auf, wie wenig Raum Livius der Darstellung der eigentlichen Schlacht an der Allia eingeräumt hat. Diese erstreckt sich nämlich lediglich über relativ wenige Sätze. In diesen finden sich zudem keine Berichte von Heldentaten auf dem Schlachtfeld, die Livius, wie andere antike Autoren auch, sonst so gerne in seinen Text eingeflochten hat. Es hat sogar den Anschein, dass es kaum zu einem wirklichen Kampf gekommen sei.247 Der Schwerpunkt der Schilderung der ‚Gallischen Katastrophe‘ liegt eindeutig auf dem Geschehen in Rom, von der Flucht der Römer in ihre Stadt, über den Einmarsch der Gallier bis hin zum Eingreifen des Camillus.248 In diesem Zusammenhang ist in der Forschung bereits seit längerem bemerkt worden, dass Livius’ Darstellung der Einnahme Roms durch die Kelten sowie der anschließenden Belagerung des Kapitols Anklänge an die literarischen Schilderungen der Belagerung und Eroberung Athens in der griechischen Historiografie zeige. Ohne diese Beobachtung im Detail weiter verfolgt zu haben, hat bereits Barthold Georg Niebuhr angemerkt, dass die Darstellung des Livius Ähnlichkeiten zur Schilderung der Einnahme Athens durch die von Mardonius angeführte persische Armee des Xerxes bei Herodot aufweise.249 Dieser Gedanke wurde seitdem in der Forschung in einer Reihe von Arbeiten weitergeführt. Dabei konnte die Beobachtung Niebuhrs durchaus bestätigt werden, indem Ähnlichkeiten zwischen beiden historiografischen Berichten herausgearbeitet werden konnten.250 So werden beide Städte, Athen und Rom, vom Großteil ihrer Bewohner verlassen, sodass sie dem jeweiligen Feind ohne Gegenwehr in die Hände fallen.251 Weder bei Herodot noch bei Livius werden Athen bzw. Rom allerdings vollständig geräumt, denn eine kleine Besatzung zieht sich auf die Akropolis bzw. das Kapitol zurück, um diesen Ort gegen die Angreifer zu verteidigen.252 In beiden Fällen misslingt den Gegnern daraufhin ein Sturmangriff, sodass sie versuchen, die Festung durch einen heimlichen Angriff in der Nacht einzunehmen. Bei Livius misslingt dieser,

247Liv.

5,38,1–10. Vgl. Luce 1971, 278 („The colorless account of one of the best known episodes in Roman history is remarkable.”). Anders Ogilvie 1965, 718 (“[H]e [Livius] retells it starkly and with emotion.”). 248Wobei auffällt, dass letztere Passage, also der erfolgreiche Kampf der Römer unter ihrem Dictator Camillus gegen die Gallier in Rom (Liv. 5,49,3–6), sich durch bemerkenswerte Armut an Details und Farblosigkeit auszeichnet. 249Niebuhr 1846, 381 („[D]ie Erzählung ist sehr schön und erinnert an die von der Einnahme der Akropolis von Athen durch die Perser.“). 250Siehe etwa Soltau 1909, 80, 113 f.; Ogilvie 1965, 720; Sordi 1984, bes. 86–88; Horsfall 1987, 72 f.; Williams 2001, 152–155; Rosenberger 2003b, 47; Gaertner 2008, 31 mit Anm. 23; Richardson 2012, 130–138. 251Hdt. 8,41,1–3; 8,51,1. Liv. 5,39,9. 252In Livius’ Bericht gibt dies, wie bereits eingehend behandelt, Anlass zum Bericht zahlreicher Heldentaten unter den Belagerten. Nach Herodot legten einige Athener den Rat des Orakels, nach dem die Bewohner von Athen hinter hölzernen Mauern Schutz finden würden, dahin gehend aus, sich auf der Akropolis zu verschanzen, wo sie von einer dichten Hecke umgeben waren (Hdt. 8,51,2. Der Spruch des Orakels bei Hdt. 7,141,3).

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

123

da die Gänse, die im Tempel der Iuno gehalten werden, M. Manlius warnen, der sich durch sein entschlossenes Eingreifen den Beinamen Capitolinus verdient. Im Falle Athens überwältigen die Perser wiederum die Wächter auf der Akropolis, sodass tatsächlich die gesamte Stadt in feindliche Hände fällt.253 Athen bzw. Rom werden dann in beiden Berichten weitgehend zerstört. Das Vorhandensein dieser Parallelen in beiden Darstellungen wurde in der Forschung kaum bestritten. In der Deutung gehen die Ansichten jedoch auseinander, etwa hinsichtlich der Frage, ob Livius’ Text, möglicherweise durch eine Zwischenquelle, vom Bericht des Herodot beeinflusst wurde, oder ob die erwähnten Punkte ihre Ähnlichkeit lediglich dem Umstand verdanken, dass hier eine Reihe von stereotypen Elementen antiker Schilderungen von Belagerungen und der Eroberung von Städten von beiden Historikern unabhängig voneinander verwendet wurde.254 Für letztere Ansicht spricht, dass antike Geschichtsschreiber über eine breite Palette von Erzähl- und Darstellungselementen verfügten, mit denen sie Berichte über die Einnahme von Städten ausschmücken konnten, ohne dass hierhinter notwendigerweise historisch authentische Informationen oder eine direkte Beeinflussung durch andere Berichte stehen mussten.255 Im Fall der Schilderung der Einnahme Roms durch die Gallier spricht allerdings mehr dafür, tatsächlich Einflüsse aus der Überlieferung von der Eroberung und der Zerstörung Athens durch die Perser anzunehmen.256 Dies zeigt sich etwa darin, dass sich auch in Darstellungen der ‚Gallischen Katastrophe‘ weitere Anleihen von der Überlieferung der Eroberung Athens finden lassen. So berichten Dionysios von Halikarnassos und Plutarch davon, dass nach dem Abzug der Gallier, zur großen Überraschung der Römer, der lituus des Romulus, des Stadtgründers selbst, unversehrt aus Asche und Trümmern auf dem Palatin geborgen werden konnte. Die Römer hätten dies als Zeichen dafür gesehen, dass ihre Stadt die Zerstörung überstehen und neu aus dem Unglück hervorgehen werde, da das Zeichen noch existiere, das das Fortbestehen Roms symbolisiere. Dionysios stellt dabei explizit eine Verbindung zwischen Rom und Athen her, indem er von einem ähnlichen Ereignis berichtet, das sich bei der Einnahme Athens zugetragen habe.257 Diese Episode findet sich auch bei Herodot.258 Demnach hatte Xerxes diejenigen Athener, die sich als Flüchtlinge zu ihm begeben hatten, auf die Akropolis geschickt, um dort Opfer gemäß ihren eigenen Bräuchen darzubringen.259 Dort hätten diese Athener dann auch die

253Hdt.

8,53,2. letztere Deutung spricht sich Williams 2001, 153 f. aus. Zum Einsatz solcher Motive in Livius’ Schilderung der Einnahme Roms siehe auch Paul 1982, 152 f. 255Siehe nur Paul 1982 mit weiteren Hinweisen. Einen nachhaltigen Einfluss übte hierbei offenbar die Überlieferung von der Einnahme Troias aus (siehe Paul 1982, bes. 147 f.). 256So zuletzt entschieden Richardson 2012, 134–137, der in Auseinandersetzung mit der Untersuchung von Williams 2001 zu diesem Schluss gelangt. 257Dion. Hal. 14,2; Plut. Cam. 32,4–5. 258Hdt. 8,55. 259Hdt. 8,54. Siehe hierzu u. a. Will 2010, 84. 254Für

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3  Roms Keltenkriege

­ rümmer des Tempels des Erechtheus aufgesucht. In diesem Tempel habe sich ein T uralter Ölbaum befunden, den einst Athena selbst bei der Gründung der Stadt eingepflanzt hatte. Die Perser hatten nach Herodot auch diesen Ölbaum niedergebrannt, doch fanden die Athener, die von Xerxes ausgeschickt worden waren, am zweiten Tag nach dem Brand einen neuen Spross, der aus dem verbrannten Stoß herauswuchs – ein Zeichen für das Fortbestehen ihrer Stadt.260 Es hat den Anschein, dass die genannten Parallelen in einer ganzen Reihe von Texten durchaus über Allgemeinplätze und stereotype Motive hinausgehen, die in antiken Schilderungen von Städteeroberungen regelmäßig auftauchen. Dies spricht dafür, dass auch die Ähnlichkeiten, die zwischen den Darstellungen in Buch acht des Herodot und Buch fünf des Livius bestehen, nicht nur daher rühren, dass in beiden Fällen die Eroberung einer großen Stadt geschildert wird und die Autoren hierfür auf ein seit Homer bestehendes Set von typischen Motiven zurückgriffen. Vielmehr ist durchaus mit einer direkten oder – vielleicht wahrscheinlicher – indirekten Beeinflussung zu rechnen.261 Darüber hinaus wurde angemerkt, dass Livius’ Schilderung nicht nur Anklänge an die Eroberung Athens, sondern auch an den Angriff von Kelten auf den Tempel des Apollon in Delphi im Jahr 279 aufweise.262 Die offensichtlichste Ähnlichkeit beider Schilderungen besteht darin, dass der Anführer der angreifenden Kelten in beiden Fällen Brennus heißt.263 Da der Name des keltischen Feldherrn, der die Belagerung des Kapitols befehligte, kaum historisch authentisch überliefert sein dürfte, liegt der Gedanke nahe, dass der Brennus, der in historisch hellerer Zeit Kelten zum Angriff auf Delphi führte, seinem ‚Vorgänger‘ den Namen lieh. Zudem wird in beiden Überlieferungen eine Plünderung des Tempels bzw. eine Zahlung des Lösegeldes schließlich verhindert, sodass die Kelten erfolglos abziehen müssen.264 Der keltische Angriff auf Delphi hatte zunächst in der griechischen Welt und dann auch in Rom und Italien Beachtung gefunden.265 In Griechenland scheint das Ereignis darüber hinaus schon bald in eine Parallele mit dem Angriff und der Abwehr des persischen Großkönigs einige Generationen zuvor gesetzt worden zu sein, sodass auch auf diesem Wege eine indirekte Verbindung der Fälle Delphi – Athen – Rom gezogen werden konnte.266

260Diese

Legende scheint zu Herodots Zeiten in Athen kursiert zu sein (Hdt. 8,55). zuletzt auch Richardson 2012, 130 („Although many of these parallels are quite obvious, it is worth discussing them in detail. They cannot be dismissed as mere coincidences, nor are they necessarily the inevitable result of the similar nature of the two events. They must rather have been devised intentionally.“). 262Mit diesem Hinweis bereits Ogilvie 1965, 720. Siehe zuletzt ausführlich Williams 2001, 158–170. 263Liv. 38,16,1–2. Vgl. Prop. 3,13,51. Siehe Ogilvie 1965, 719 („a name not a title“); Williams 2001, 166. 264Liv. 5,49,1–6; 38, 265Siehe hierzu Williams 2001, 158–161. 266Williams 2001, 158 („In third-century BC Greece the traditions surrounding the invasions of Greece by the Keltoi or Galatai, and particularly those about the miraculous salvation from Brennus’ hordes of the shrine at Delphi, were invested with profound cultural symbolism. Thematic parallels with the events of the Persian Wars were sought and invented.“). 261So

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

125

Historiografische Konstruktionen, die auf diese Verbindungen rekurrieren, könnten auch die Darstellung der ‚Gallischen Katastrophe‘ in der römischen Überlieferung beeinflusst haben, die bei Livius greifbar ist. Dabei lassen sich einige verbindende Merkmale festhalten. In allen drei Fällen sind die Angreifer – wenigstens in ihrer Mehrheit – ‚Barbaren‘, und in allen Fällen gilt der Angriff nicht nur einem politisch-militärisch bedeutenden Ort, sondern auch dem religiösen Zentrum der angegriffenen Gemeinschaft. Dieses wird zwar im Fall Athens physisch verwüstet, den Verteidigern aller drei Orte gelingt es jedoch letzten Endes, den Kult, der den Fortbestand der Stadt und des Gemeinwesens sichert, zu beschützen und damit für die Fortexistenz der Gemeinschaft zu sorgen. Hinsichtlich der Deutung dieser Gemeinsamkeiten lassen sich nun weitere Überlegungen anschließen. Wie erwähnt steht die Schlacht an der Allia selbst nicht im Zentrum der zweiten Hälfte von Buch fünf. Schon rein quantitativ nimmt das Geschehen nach dem Kampf einen deutlich umfangreicheren Raum ein.267 Besonders oft verweilt die Darstellung in Rom, und hier steht eindeutig das Kapitol im Mittelpunkt.268 Hier verschanzen sich Roms letzte Verteidiger, hier steht Roms bedeutendster Tempel und es ist zudem der einzige Ort, den die Gallier nicht einnehmen können. Die tiefere Bedeutung des Kapitols hebt Camillus selbst in seiner Rede am Ende des Buches hervor. Vor den Römern, unter denen viele Rom für das eroberte Veii hatten verlassen wollen, liege das Kapitol, wo man einst, nach dem Fund eines menschlichen Schädels die Vorhersage erhalten habe, dass an dieser Stelle einst das „Haupt der Welt und die höchste Macht“ existieren werde, und wo einst Juventas und Terminus ihre angestammten Plätze nicht hatten räumen wollen.269 Zudem ist kaum zu bestreiten, dass das Kapitol insgesamt für die Römer spätestens seit der mittleren Republik eine hohe symbolische Bedeutung besaß.270

267Die Schilderung der Schlacht an der Allia nimmt lediglich ein Kapitel ein (Liv. 5,38), während sich die Darstellung der Einnahme Roms, der Belagerung des Kapitols und damit verbundener Episoden (Exilrömer in Veii und Camillus sammeln Truppen und vertreiben die Gallier aus dem Umland) über elf Kapitel erstreckt (Liv. 5,39–49). 268In Rom: Liv. 5,39,1–43,5; 46,1–3; 46,8–10; 47,1–49,7. Außerhalb (Veii/Ardea): Liv. 5,43,6– 45,8; 46,4–7; 46,11. 269Liv. 5,54,7. Die Begebenheit, auf die Livius den Camillus in dieser Passage anspielen lässt, schildert der Historiograf tatsächlich im ersten Buch im Zuge eines Berichtes über die Bauarbeiten für den großen Iuppiter-Tempel (Liv. 1,55,5–6). Der Ursprung von der Geschichte vom caput Oli reicht zeitlich allerdings viel weiter zurück, denn bereits Q. Fabius Pictor scheint sie bekannt gewesen zu sein (FRH 1 F 16 = FRHist 1 F 30 (=Arnob. 6,7)). Vgl. außerdem Valerius Antias FRH 15 F 14; Dion. Hal. ant. 4,59–61; Plin. nat. 28,15. Vgl. hierzu u. a. Ogilvie 1965, 211 f.; Sordi 1984, 84 f.; Cornell 1995, 145 („A tradition that is at least as old as Fabius Pictor.“); Williams 2001, 157; Hölkeskamp 2001/2004, 138; 2006a, 480. Chassignet 1996, 83 hält die Zuweisung des Fragments zu Pictor allerdings für unsicher. 270Das Kapitol bildete wohl schon seit dieser Zeit den Endpunkt einer jeden pompa triumphalis, wo der Triumphator dem Juppiter Optimus Maximus, dessen Tempel sich auf dem kapitolinischen Hügel über Rom erhob, ein Opfer darbrachte (Hölkeskamp 2001/2004, 150; Itgenshorst 2005, 60, 101 f., 212). Zudem ist die monumentale Ausgestaltung des Kapitols, die sich nicht auf die Errichtung von Tempeln beschränkte, bereits für diese Zeit belegbar (Kolb 2002, 91–96).

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3  Roms Keltenkriege

In Ritualen, Bauten und Geschichten wie denen von der Auffindung des caput Oli oder der Weigerung des Gottes Terminus, seinen angestammten Platz zu räumen, formte sich die Vorstellung des Kapitols nicht nur als Zentrum der römischen Welt, sondern auch als Symbol für die römische Herrschaft.271 Die Prophezeiung, die anlässlich des Fundes des caput Oli verkündet worden war, versprach die prinzipiell unbegrenzte Dauer dieser Herrschaft. An all diese Traditionen, die sich in einem weiten Spektrum der Medien der römischen Geschichtskultur niederschlugen, konnte Livius also anknüpfen, wenn er das Kapitol in Ab Urbe Condita einerseits als Symbol für die Herrschaft und Dauer Roms und gleichzeitig als physisches Zentrum der römischen Welt darstellt. Hieraus erklärt sich die Prominenz des Kapitols in Livius’ Text, das nicht nur alle anderen Handlungsorte im fünften Buch buchstäblich in den Schatten stellt, sondern auch über diese Abschnitte hinaus einer der wichtigsten Schauplätze in der livianischen Erzählung bleibt.272 Vor dem Hintergrund der Möglichkeit, dass sich in der Darstellung der ‚Gallischen Katastrophe‘ bei Livius Einflüsse griechischer Berichte von den Angriffen auf Athen und Delphi niedergeschlagen haben, ist in Bezug auf das Kapitol die Frage erwägenswert, ob sich die Schilderungen nicht ursprünglich auch in dem Punkt ähnelten, der in den erhaltenen Texten den wohl auffallendsten Unterschied darstellt – in dem Umstand, dass die Akropolis den Persern in die Hände fällt, während das Kapitol gehalten werden kann. In zwei jüngeren Betrachtungen zu dieser Frage wurde die oben erwähnte ältere These von Skutsch wieder aufgegriffen, nach der einst eine Überlieferungsvariante existierte, in der auch das Kapitol von den Galliern eingenommen werden konnte, von der heute jedoch nur noch Spuren, zum Beispiel bei Ennius, existierten.273 Wie oben an entsprechender Stelle erörtert, lässt sich die These von der Existenz dieser Überlieferungsvariante nicht sicher bestätigen. Sollte sie allerdings bei Ennius und anderen Autoren zu finden gewesen sein, führt dies zu der Frage, wann die in den vorliegenden Quellen verbreitete Version entstanden wäre, nach der das Kapitol als letzte Bastion der Römer gehalten werden konnte, und in welcher chronologischer Beziehung beide Varianten zueinander stünden.

271Die

Frage, wie universal die Römer im dritten Jahrhundert diese Herrschaft verstanden, muss letztlich offen bleiben. Vermutlich erweiterte sich der römische Herrschaftsanspruch jedoch erst im Zuge des Ersten und Zweiten Punischen Krieges, sodass mit Beginn des zweiten Jahrhunderts zunehmend der gesamte Mittelmeerraum in den Blick geriet. 272Siehe hierzu u. a. Jaeger 2015, 66 f. mit zahlreichen weiteren Hinweisen. 273Zu Skutschs These siehe oben Abschn. 3.1.3. Diese wurde zuletzt bekräftigt von Williams 2001, 144 f. und Richardson 2012, 128. Sollte diese Variante einst vorgelegen haben und erst später durch die heute bekannte von der Verteidigung des Kapitols verdrängt worden sein, bliebe allerdings doch wenigstens bemerkenswert, dass diese kaum Spuren hinterlassen hätte bzw. wir keinen expliziten Hinweis auf sie erhalten. Lagen doch den Autoren der späten Republik und frühen Kaiserzeit die Annales des Ennius immerhin noch vollständig vor, sodass ihnen dieser nicht unwesentliche Unterschied doch gewiss aufgefallen wäre. Siehe hierzu bereits oben Abschn. 3.1.3.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

127

Eine mögliche Antwort besteht darin anzunehmen, dass die Version, in der das Kapitol erobert worden war, eine ältere Schicht der Überlieferung darstellt, die vielleicht schon im vierten Jahrhundert entstanden war.274 Erst später, als das Kapitol im Laufe der militärisch-politischen Expansion Roms, zunächst über die italische Halbinsel und dann über den gesamten Mittelmeerraum, zunehmend mit einer symbolischen Bedeutung aufgeladen wurde, wäre dann der Gedanke daran, dass das Zentrum der römischen Welt einst von Barbaren erobert worden sein sollte, in zunehmendem Maße als unangemessen empfunden worden, weshalb die Überlieferung von der erfolgreichen Verteidigung des Kapitols entstanden sein könnte.275 Anschließend an diese jüngere Variante wären dann die verschiedenen Geschichten entstanden, die sich um einzelne Ereignisse rankten, in denen die Römer während der Belagerung Akte besonderer Tapferkeit und Treue gegenüber der eigenen Gemeinschaft und gegenüber den Göttern zeigen, die diese schützten. Wie gesagt ist es sicher zutreffend, dass diese Geschichten, wie praktisch wohl sämtliche Einzelheiten der Überlieferung der ‚Gallischen Katastrophe‘, wie sie bei Livius zu finden ist, fiktiv sind und zum Teil auch erst spät in Darstellungen des Ereignisses eingefügt worden sind. Daraus folgt, dass auch die dort geschilderte mehrfache heroische Verteidigung des Kapitols in dieser Form nie stattgefunden hat, was wiederum den Schluss notwendig macht, dass diese zu irgendeinem Zeitpunkt der Ausbildung dieser Tradition erfunden worden sein muss. Dies könnte etwa geschehen sein, als das Kapitol als Folge der römischen Expansion zunehmend an symbolischer Bedeutung gewann. Doch, wie bereits dargelegt – die Existenz einer Variante, in der die Eroberung des Kapitols durch die Kelten geschildert worden wäre, ist unsicher, und in den erhaltenen Darstellungen vorherrschende Deutung ist wiederum eindeutig: Als religiöses und politisches Zentrum der römischen Welt hatte das Kapitol auch die größte Katastrophe, die Rom seit der Gründung der Stadt erlebt hatte, unbesiegt überstanden. Bislang nicht thematisiert wurde die Frage, warum Livius oder, wahrscheinlicher, bereits seine Vorgänger die Schilderung von der gallischen Eroberung der Stadt mit Elementen aus der griechischen Überlieferung der Einnahme Athens durch die Armee des persischen Großkönigs sowie der keltischen Angriffe auf den Apollon-Tempel von Delphi gestaltet haben könnten. Eine naheliegende Antwort hierauf besteht darin, dass nicht nur die römische Historiografie, sondern zahlreiche Medien der römischen Geschichtskultur in hohem Maße von griechischen Vorbildern beeinflusst worden sind. Bekanntlich gilt dies neben anderem sowohl für das römische Epos, das Drama, vermutlich für die Praxis der, gänzlich verlorenen,

274Williams, der diese Ansicht vertritt, möchte dies unter anderem daraus schließen, dass Aristoteles, wie oben erwähnt, einen Lucius als Retter Roms kennt, den Williams als den Lucius Albinius identifiziert, der die sacra publica nach Caere gebracht haben soll. Demnach hätte in einer dem Aristoteles bekannten Version die Bewahrung jener heiligen Gegenstände in Caere als Rettung Roms gegolten, da dieses, symbolisiert durch die Fortexistenz der sacra publica, die Eroberung durch die Kelten überstanden habe (Williams 2001, 149). 275Siehe bereits Sordi 1984, 91. Vgl. Williams 2001, 149–157.

128

3  Roms Keltenkriege

carmina convivalia sowie vor allem für die römische Historiografie.276 Vor diesem Hintergrund hat James H. Richardson die Überlieferung der ‚Gallischen Katastrophe‘ in einem weiteren Kontext gedeutet. Demnach finde der gesamte Ereigniszusammenhang der Perserkriege vom Ionischen Aufstand bis hin zur Eroberung Athens eine parallele Entsprechung in der Überlieferung der Niederlage gegen die Gallier und der Einnahme Roms in der römischen Historiografie.277 Soweit muss man Richardson wohl nicht folgen, doch sind Ähnlichkeiten wiederum kaum abzustreiten. Es ist nicht mehr zu erschließen, wer in Rom wann damit begann, Ereignisse der römischen Geschichte unter dem erkennbaren Einfluss griechischer Überlieferungen zu schildern bzw. sogar den Verlauf einzelner Ereignisse in der eigenen Darstellung nach solchen in griechischen Texten zu findenden zu modellieren. Unter anderem Sordi vermutet, dass im Fall der Bezüge zwischen der Einnahme Roms und Athens Q. Fabius Pictor für diese Übernahmen verantwortlich sei, was durchaus denkbar erscheint.278 Da Pictor zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit in Bezug auf Form und Inhalt seines Stoffes Anregungen aus der griechischen Historiografie übernahm, ist es ebenso denkbar, dass die Bezüge zur Eroberung Athens oder zu dem Angriff auf Delphi bereits von griechischen Geschichtsschreibern hergestellt worden waren.279 Die Motive für diese Historiografen bzw. für Q. Fabius Pictor, römische Geschichte nach dem Vorbild der griechischen zu schildern, waren sicher heterogen. Ein ganz wesentliches Motiv bestand vermutlich darin, die Darstellungen mit lebhaften Schilderungen ausschmücken zu können, da über die römische Vergangenheit, besonders von der Zeit der Gründung bis etwa zur Mitte des vierten

276Wie in einer Reihe von Untersuchungen gezeigt werden konnte, sind zahlreiche Ereignisse der frühen römischen Geschichte in der uns vorliegenden Überlieferung nach Vorbildern aus der griechischen Geschichtsschreibung modelliert, wenn sie ihre Existenz in der römischen Historiografie nicht sogar gänzlich der Inspiration durch Ereignisse der griechischen Vergangenheit verdanken. Siehe hierzu bes. verschiedene Arbeiten von Gary Forsythe (Forsythe 2005, hier u. a. 74–77. Vgl. jedoch die in diesem Punkt kritische Rezension von K.-J. Hölkeskamp, in: Gnomon 2007, 50–56, hier bes. 54, der zu Vorsicht hinsichtlich weitreicher Parallelisierungen rät.). Siehe zudem Wiseman 2007 mit weiteren Hinweisen. 277Siehe die Übersicht in Richardson 2012, 151. 278Siehe bes. Sordi 1984, 87. Bekanntlich war Pictor in hohem Maße mit der griechischen Kultur und Sprache vertraut und verfasste auch sein eigenes Geschichtswerk in Griechisch, was Sordis’ Annahme bis zu einem gewissen Grad stützen kann. Allerdings muss dies in Ermangelung von Belegen unklar bleiben und es sei angemerkt, dass der Abschnitt zur ‚Gallischen Katastrophe‘ in Pictors Werk nicht allzu umfangreich ausgefallen sein kann, sodass man dort wohl auch nicht weitreichende Parallelisierungen, wie sie etwa Richardson in der Historiografie der späten Republik erkannt haben will, erwarten sollte. Vgl. zu Überlegungen zur Anlage von Pictors Werk zuletzt Bispham/Cornell 2013a, 172 f. 279Vielleicht waren hierfür dann jene Historiografen aus der Magna Graecia verantwortlich, die man ja auch überhaupt als Quelle für die Kenntnis von der gallischen Einnahme Roms und der Verhältnisse in Italien für Zeugen wie Aristoteles und seine Zeitgenossen annehmen darf. Vgl. Vattuone 2007.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

129

Jahrhunderts, nur wenige konkrete Informationen greifbar gewesen sein dürften.280 Waren diese Bezüge einmal etabliert, könnte in Hinsicht auf die Einnahme Roms durch die Gallier noch ein weiteres Motiv hinzugekommen sein. Die Erinnerung an die Eroberung Athens durch die Perser hatte in der athenischen Geschichtskultur des fünften und vierten Jahrhunderts eine hohe Bedeutung.281 Dies galt für die griechische Welt, spätestens seit dem dritten Jahrhundert, insgesamt auch in Hinsicht auf die Kämpfe griechischer Armeen gegen einfallende Kelten.282 In beiden Fällen spielte dabei nicht nur die Erinnerung an die militärischen Operationen im engeren Sinne eine Rolle, sondern diese wurden außerdem in einen weiteren Deutungshorizont eingebunden, in dem beide barbarischen Invasionen auch miteinander verbunden werden konnten.283 Der Kampf gegen die sogenannten Barbaren, Perser wie Kelten, eröffnete Königen, Städten, Bündnissystemen und anderen Akteuren der griechischen Welt sowohl Legitimierungsstrategien für eigene militärische und politische Aktionen, als auch die Möglichkeit zur Teilnahme an einem gemeinsamen identitätsstiftenden Diskurs, der die Menschheit vereinfacht gesagt in Hellenen und Barbaren einteilte.284 Als sich der Kontakt zwischen Römern und Griechen seit dem ersten Drittel des dritten Jahrhunderts zunehmend intensivierte, u. a. da nun auch mehr und mehr griechische Städte in Italien in das Bundesgenossensystem Roms aufgenommen wurden, scheinen auch die Römer von manchen Griechen im Rahmen dieses kulturellen Schemas ebenfalls als Barbaren gesehen worden zu sein.285 Von einer Reaktion von römischer Seite zeugen u. a. die Konstruktion von griechischen und vor allem troianischen Genealogien, die bis zurück in die mythische Epoche reichten, mit der römische Adelsfamilien wohl im dritten Jahrhundert begannen.286 Eine weitere bestand nun womöglich darin, auf

280Siehe

hierzu oben Abschn. 3.1. hierzu u. a. die neueren Beiträge von Jung 2006; Meier 2010; Zahrnt 2010 (jeweils mit zahlreichen weiteren Hinweisen). 282Siehe hierzu nur Mitchell 2003, bes. 284–287. 283Vgl. Williams 2001, 158 („Thematic parallels with the events of the Persian Wars were sougth and invented.“). 284Vgl. Mitchell 2003, 284: „Without exception the major Hellenistic monarchies used their own Galatian victories to argue that they had saved the Greeks from the new barbarian peril and thus to justify their own right to rule“. 285Siehe u. a. Plin. nat. 29,14. Vgl. Williams 2001, 162 mit Anm. 78 für weitere Nachweise. 286Da es sich für Römer in diesem Zusammenhang jedoch kaum anbot, die eigenen Ursprünge in einer der Städte Griechenlands zu verorten, die in ihrer Zeit noch eine wichtige politische Rolle spielten, boten Genealogien, die Römer als Nachkommen troianischer Adelsgeschlechter konstruierten, eine besonders willkommene Gelegenheit, sich in den Kontext der griechischen Kultur einzuordnen. Zudem nahmen die Troianer in der griechischen Vorstellungswelt offenbar selbst einen Status ein, der sie zwar nicht als Griechen, jedoch auch nicht zwangsläufig als Barbaren auswies. Die troianischen Genealogien römischer Adelsfamilien stellten für Römer unter anderem eine Möglichkeit dar, sich Griechen gegenüber auf einer gleichwertigen kulturellen Stufe stehend zu präsentieren (siehe etwa bereits Galinsky 1969, u. a. 161 f., 187–190). Siehe hierzu generell u. a. Förstemann 1894, 36–96; Galinsky 1969; Wiseman 1974/1987; Gruen 1992, 6–51; Hölkeskamp 1999/2004, bes. 203–210; Blösel 2003, 56; Walter 2006 und Pausch 2011, 24 f. 281Siehe

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3  Roms Keltenkriege

die eigenen Kämpfe gegen Kelten zu verweisen, durch die die Römer ihren Beitrag zur Verteidigung der zivilisierten Welt gegen den Ansturm der Barbaren demonstrieren konnten, der die Zivilisation aus der Perspektive des griechischen Barbarendiskurses fortwährend bedrohte. Dies muss nicht die anfängliche Intention der Übernahme von Motiven und Darstellungselementen aus griechischen Berichten von der Eroberung Athens oder dem Angriff auf Delphi gewesen sein. Aber vor dem Hintergrund jener Berichte konnte die Schilderung der römischen Kämpfe gegen die Kelten eine tiefere Sinndimension und kulturhistorische Bedeutung erhalten und den Römern einen eigenen Platz unter den wenigen zivilisierten Gemeinwesen zuweisen, die sich gegen die Welt der Barbaren behaupteten, die sie umgab.287 Auch die Erzählung von einer Niederlage konnte in diesem Zusammenhang beträchtliches Potenzial bieten und hatte zudem ja ein prominentes Vorbild in der Vergangenheit der größten Stadt Griechenlands. Außerdem war die Eroberung Roms ja eben nicht das Ende der Geschichte. Wie die Griechen nach der Eroberung Athens die Perser bei Salamis und bei Plataiai schließlich besiegten, gelang es auch den Römern, die Gallier zu vertreiben. Inwiefern die zuletzt vorgeschlagenen Deutungen tatsächlich von Römern und Griechen, die die Darstellung des Livius oder etwaige frühere Berichte rezipierten, wahrgenommen wurden, oder ob diese Interpretation die Anklänge an Schilderungen von Ereignissen der griechischen Geschichte überstrapaziert, ist freilich unklar. Deutlich ist indes, dass sich in der Darstellung der Niederlage an der Allia und der anschließenden Einnahme Roms durch die Gallier sowie der Befreiung der Stadt durch M. Furius Camillus bei Livius gleich mehrere Interpretationen überlagern und nebeneinanderstehen. Diesen ist gemeinsam, dass sie die – historisch vermutlich ja relativ unbedeutende – Episode in einen weiten Deutungszusammenhang einordnen, der ihr – wiederum gleich aus unterschiedlicher Perspektive – eine hohe symbolische Bedeutung zuweist: als Vorbedingung zu einer zweiten Gründung der Stadt, als Zeit der größten Bedrohung und zugleich der erfolgreichen Verteidigung des Kapitols und damit der Bewahrung von Roms Kontinuität über die Zeiten hinweg oder eben auch (möglicherweise) als Nachweis und Symbol für Roms Beitrag im Kampf der zivilisierten Welt gegen die Barbaren, die diese fortwährend bedrohten. Livius stand bei der Abfassung seines gesamten Werkes und vielleicht besonders bei der des fünften Buches in einer langen Tradi­ tion von Deutungen und Bearbeitungen. Dabei nahm er Anregungen auf, setzte aber auch durchaus eigene Akzente.288 Gerade die Ideen eines Zusammenhanges

287Vgl. Williams 2001, 167. In diesem Zusammenhang sollte auch erwähnt werden, dass sich einige römische Feldherren, etwa im zweiten Jahrhundert, anlässlich ihrer militärischen Erfolge gegen die keltischen Galater in Kleinasien den griechischen Bewohnern der angrenzenden Regionen gegenüber als Befreier von der barbarischen Bedrohung stilisierten und ihnen dabei, auf der anderen Seite, auch von jenen Griechen her dementsprechende Anerkennung zuteilwurde (Mitchell 2003, 289). 288Dies lässt sich zum Beispiel anhand von Entscheidungen zur Anordnung des Stoffes im fünften Buch und zur Setzung von Schwerpunkten der Darstellung zeigen. So weisen die Berichte in der Camillus-Biografie des Plutarch sowie in der Darstellung bei Diodoros Siculus und Dionysios von Halikarnassos eine ganze Reihe von Unterschieden im Vergleich zum livianischen Text auf.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

131

der Kämpfe der Römer gegen Veii und der Einnahme Roms durch die ­Gallier, eines Zyklus’ in Form eines ‚Großen Jahres‘, den die römische Geschichte regelmäßig durchlaufe, aber auch die Bezüge zur Überlieferung der persischen Eroberung Athens und der keltischen Angriffe auf Delphi wären dabei nicht in jedem Medium gleichermaßen umsetzbar gewesen. Die Historiografie eignete sich hierfür indes in besonderer Weise.289 Die ‚Gallische Katastrophe‘ wurde allerdings auch in anderen literarischen Gattungen und Medien der römischen Geschichtskultur der augusteischen Zeit aufgegriffen. So wurde in der Dichtung der augusteischen Zeit bei verschiedenen Gelegenheiten auf die ‚Gallische Katastrophe‘ verwiesen. Vergil reiht den Geheimangriff der Gallier auf das Kapitol in jene Stationen von Rückschlägen in der römischen Geschichte ein, die auf dem Schild des Aeneas zu sehen sind. In der dort beschriebenen Szene hat M. Manlius sich bereits, durch den Ruf der Gänse gewarnt, gewappnet und ist bereit die Gallier abzuwehren. Die Schildbeschreibung mündet allerdings in der Schlacht von Actium, also in der Auseinandersetzung, die in der augusteischen Geschichtskultur zum entscheidenden Sieg in Augustus’ Kampf zur Verteidigung der res publica stilisiert wurde. Auf dem Weg zu diesem Triumph – so könnten die Gallier auf dem Schild zu deuten sein – überwanden die Römer, wie auch der Held des Epos, Aeneas, selbst Rückschläge und Niederlagen, um am Ende durch einen militärischen Sieg die Basis für Roms erfolgreiche Zukunft zu legen.290 Die Rettung von Iuppiters Tempel durch das Schnattern der Gänse gehört auch zu den Themen, die der Dichter im dritten Gedicht des dritten Elegienbuches des Properz als Gegenstand seiner Dichtung in Erwägung zieht, bevor ihn Apollon davon abhält.291 Die hier gegebene Aufzählung von möglichen Themen, die alle verworfen werden, vermittelt gleichwohl einen Eindruck von den Inhalten und Themen, die etwa einem Epos angemessen wären und die Properz bei seinen Lesern als offenbar so hinreichend bekannt ansieht, dass er in knappen Anspielungen auf diese verweisen kann und dabei offenbar damit rechnet, verstanden zu werden. In diesem Kontext weiß wiederum Ovid dem Dies Allien­ sis durchaus positive Seiten abzugewinnen, seien an diesem Tag doch immerhin die Geschäfte geschlossen, sodass eine nach Geschenken gierende Geliebte leicht vertröstet werden könne.292 Die Stelle kann gerade wegen der Beiläufigkeit der Bemerkung durchaus als ein weiterer Beleg für die Kenntnis des Dies Allien­ sis im römischen Alltag gelten, auch wenn hieraus nicht zwingend hervorgeht,

Siehe für eine detaillierte Übersicht Mommsen 1878; Luce 1971, 277, bes. 289–297; Gaertner 2008, 29–35. 289Vgl. Gaertner 2008, 30 f. („a single quasi-epic plot of human success, hybris, and divine ­nemesis“). 290Verg. Aen. 8,652–662. 291Prop. 3,3,12. Sein Talent reiche hierfür nicht aus und zudem hätten diese Stoffe wenig Aussicht auf Anklang bei der Damenwelt. Vgl. auch unten Abschn. 5.2.5.2. 292Ov. am. 1,413.

132

3  Roms Keltenkriege

dass ­diejenigen Römerinnen und Römer, die an diesem Tag vor geschlossenen Geschäften standen, genau hätten erklären können, aus welchem Grund die Läden nicht geöffnet hatten.293 Im ersten Buch merkt Ovid zudem an, dass der Umstand, dass die Gans das Kapitol gerettet habe, sie nicht davor bewahre, ihre Leber für das Opfer an Isis geben zu müssen, was als beiläufiger Verweis auf die offenbar als bekannt vorausgesetzte Episode gelesen werden kann.294 Insgesamt sind die Anspielungen auf die ‚Gallische Katastrophe‘ in der augusteischen Dichtung eher rar gesät. Wird hierauf verwiesen, dann finden sich Elemente, die auch ohne tieferes Wissen um den Kontext der Einnahme Roms gedeutet werden können, da eine relativ vage Kenntnis bereits ausgereicht haben wird, um die Paarung ‚Gänse bzw. Gallier/Kapitol‘ dem passenden historischen Zusammenhang zuzuordnen, wobei die Beiläufigkeit, mit der die Dichter diese Beispiele jeweils einbringen, wiederum die Vermutung erlaubt, dass die Geschichte von der Einnahme Roms und der Belagerung des Kapitols unter den Rezipienten dieser Werke wohl bekannt war.295

3.1.6  Die Katastrophe als Ursprung – die ‚Gallische Katastrophe‘ in der antiquarischen Forschung Die ‚Gallische Katastrophe‘ bietet in den antiken Quellen einen Ausgangspunkt für zahlreiche Aitiologien zu Ortsnamen, religiösen Feiern, Alltagsbräuchen und zu Bezeichnungen von Gegenständen. Diese Erklärungen sind oft lediglich in einer oder in wenigen Passagen bezeugt, die wiederum selten aus Quellen stammen, die früher als ins erste Jahrhundert vor Christus zurückreichen. Die Datierung dieser teils recht eigentümlichen Bezüge auf die Eroberung Roms in der Frühzeit der Republik fällt daher oftmals schwer. Gary Forsythe etwa nimmt an, dass die Präsenz des sozusagen alterinnerten Dies Alliensis im römischen Kalender die römischen Antiquare, die ihre Erforschung der römischen Frühzeit seit dem späten zweiten Jahrhundert intensivierten, dazu ermutigte, die Ursprünge anderer religiöser Vorschriften und Feiern in den Geschehnissen der ‚Gallischen Katastrophe‘ zu ‚entdecken‘.296 Das ist eine durchaus plausible Annahme, doch

293Sollte Ovid die Fasti tatsächlich abgeschlossen haben, so wäre der Tag an der Allia wohl in einer eventuell verlorenen zweiten Hälfte zu finden gewesen. Zur Frage ob Ovid tatsächlich eine zweite Hälfte der Fasti erstellte siehe u. a. Fantham 1998, 2. 294Ov. fast. 1,453–454. 295Wie ausgeprägt das damit verbundene Wissen bei dem Einzelnen war, lässt sich aus den zitierten Zeugnissen wiederum in der Regel nicht schließen. Man wird jedoch wie auch in anderen Fällen damit rechnen können, dass die Assoziationen, die die jeweiligen Rezipienten mit solchen Anspielungen verbanden, recht unterschiedlich waren und von einer vagen Information über das Ereignis bis hin zur detaillierten Kenntnis der teilweise variantenreichen Tradition reichte. 296Forsythe 2005, 253 („In addition, the presence of the dies Alliensis in the official calendar encouraged later Roman antiquarians to discover the origin of other Roman festivals or important events in the circumstances surrounding the Gallic capture of the city.“). Vgl. bereits Forsythe 1994, 319 f.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

133

können noch weitere Faktoren angenommen werden, die dazu beitrugen, weitere Spuren der Vergangenheit der Gallischen Eroberung Roms ‚aufzudecken‘. So scheint dieses Ereignis, wie oben gesehen, bereits in der frühen römischen Historiografie sowie bei verschiedenen griechischen Geschichtsschreibern, die sich mit der römischen Vergangenheit beschäftigten, zu einem chronologischen Fixpunkt für Abstandsdatierungen und Synchronismen geworden zu sein – teilweise wohl auch deswegen, weil andere Daten, die als einigermaßen sicher überliefert angesehen wurden, nicht vorlagen.297 Die ‚sichere‘ Verortung des Galliereinfalls in der römischen Frühzeit mag auch dazu ermutigt haben, die Ursprünge von Feiern, Vorschriften oder Ortsbezeichnungen, die als alt angesehen wurden, mit diesem Ereignis zu verbinden. Inwiefern die römischen Antiquare dabei auf ältere Überlieferungen zurückgreifen konnten, etwa in Form von mündlicher Überlieferung, die deswegen natürlich längst noch keine höhere historische Authentizität beanspruchen konnte, oder ob sie eigenständig kreativ tätig wurden, ist weitgehend unklar.298 Ausgehend von dieser Ausgangssituation werden im Folgenden verschiedene Aitiologien, die mit der ‚Gallischen Katastrophe‘ verbunden waren, untersucht, ohne dass der Versuch einer durchgehenden chronologischen Ordnung unternommen wird. Stattdessen wird eine Aufteilung in Untergruppen vorgenommen, die von der Natur des jeweiligen Gegenstandes ausgehen (Feiern, Orte, Namen, usw.). Innerhalb dieser Untergruppen werden die einzelnen Beispiele dann gemäß ihres Auftauchens im Kontext der ‚Gallischen Katastrophe‘ angeführt. Intensive und kenntnisreiche Untersuchungen zu diesem Thema finden sich bereits in früheren Forschungsbeiträgen, sodass hier nicht jede Detailfrage angesprochen wird, von denen manche sich auch als kaum lösbar erwiesen haben.299 Trotz der Schwierigkeiten bei der Analyse dieser Passagen lohnt sich doch ein genauerer Blick, da diese Quellen eine weitere Perspektive auf Aspekte der Präsenz der ‚Gallischen Katastrophe‘ in der römischen Geschichtskultur ermöglichen, durch die zum Teil deutlich andere Schwerpunkte erkennbar werden als sie etwa in der historiografischen Überlieferung zu finden sind. So wurde in und um Rom in der späten Republik eine Reihe von Orten mit der Zeit der gallischen Eroberung verbunden. So seien die Römer nach Auskunft verschiedener Autoren (u. a. Cicero, Livius und Plutarch) durch eine göttliche Stimme vor der Ankunft der Gallier gewarnt worden.300 Wie oben bereits erwähnt, habe diese vom Hain der Vesta her den Wiederaufbau der städtischen Befestigungsanlagen verlangt (Cicero) bzw. auf der Nova Via dem Plebejer M.

297So wird man Liv 6,1,1–3 und Plut. Num. 1,2 jedenfalls wohl deuten können. Vgl. Oakley 1997, 381. 298Zudem ist es nicht immer klar zu erkennen, wie verbreitet eine bestimmte Herleitung war. Vgl. Walter 2004a, 208. 299Siehe bes. Schwegler 1872, 272–275; Ungern-Sternberg 2000. 300Cic. div. 1,101; 2,69; Liv. 5,32,6–7; 5,50,5; Plut. Cam. 14,2–4; Cass. Dio. 7.

134

3  Roms Keltenkriege

Caedicius befohlen, die Magistrate vor den nahenden Galliern zu warnen.301 Nach dem Abzug der Gallier sei dem Aius Loquens bzw. Aius Locutius ein Tempel als Dank für diese Warnung errichtet worden.302 Nach Plutarch habe Camillus schließlich diesen Schrein errichtet.303 Der Standort des Heiligtums konnte bis heute nicht identifiziert werden, doch scheint er für die Römer der späten Republik noch sichtbar gewesen zu sein.304 Eine Gottheit namens Aius Locutius ist aus keinem anderen Kontext bekannt, der Name selbst stellt offenbar einen Pleonasmus dar, aus dem kaum weitere Informationen zum Hintergrund des Kultes zu entnehmen sind, der im römischen Alltag anscheinend keine wichtige Rolle spielte.305 Der Altar, den Cicero und seine Zeitgenossen an der Nova Via sehen konnten, hatte gewiss keine historischen Berührungspunkte mit dem Angriff der Gallier, sodass sich die gesamte Geschichte um die göttliche Warnung im „Kern“ wohl in der Tat als „Kultaition für Aius Loquens oder Locutius“ erweist, eine Gottheit, deren ursprüngliche Natur längst in Vergessenheit geraten war.306 Ein weiterer Ort, der mit der Gallierkatastrophe verbunden wurde, war ein „Platz mit dem seltsamen Namen Doliola“, an dem es nach Auskunft Varros und Livius’ verboten gewesen sein soll auszuspucken. Die Doliola lagen nach Livius offenbar beim Haus des Flamen Quirinalis bzw., nach Varro, ad cluacam maxu­ mam.307 Die beiden Autoren geben unterschiedliche Gründe für den Namen und die Vorschrift an. So weiß Varro davon zu berichten, dass dort nach dem Tod des Königs Numa Pompilius Gebeine oder heilige Gegenstände vergraben worden sein sollen.308 Nach Livius hingegen hätten der Flamen Quirinalis sowie die Priesterinnen der Vesta an dieser Stelle einen Teil jener heiligen Gegenstände verborgen, die sie vor den anrückenden Galliern retten wollten, da sie nicht sämt301Cic. div. 1,101; 2,69. Liv. 5,32,6. Cicero scheint in Cic. div. 1,101 der Ansicht zu sein, dass die Stimme einem Faun zuzuschreiben sei, während Livius hierüber keine weiteren Aussagen macht. 302Liv. 5,50,5. 303Plut. Cam. 30,4; fort. Rom. 5 (mor. 319a). 304So recht eindeutig Cic. div. 1,101 (ara enim Aio Loquenti, quam saeptam videmus, exadversus eum locum consecrata est.). Vgl. Engels 2007, 375 und die Anmerkungen von J. Aronen, Aius Locutius, in: LTUR I (1993), 29. 305Das lässt sich wohl aus der spöttischen Bemerkung Ciceros im zweiten Buch über die Divination schließen, nach der jener ‚Warner‘ gesprochen habe, als ihm keiner zuhörte, und nun schweige, da ihm ein Tempel an der Nova Via geweiht sei (Cic. div. 2,69). 306Ungern-Sternberg 2000, 209 („Als Kern der Warnung erweist sich aber ein Kultaition für Aius Loquens oder Aius Locutius.“). Anders Wissowa 21912, 55, der die Überlieferung in diesem Punkt offenbar für historisch authentisch hält und annimmt, dass die Römer in der Zeit nach dem Abzug der Gallier dem Aius Locutius deswegen einen Altar errichteten, um der göttlichen Macht, „deren Einwirkung man erfahren zu haben glaubte, ohne daß man sich über den Namen des Gottes klar gewesen wäre […] Dank und Verehrung unter einem neugebildeten Namen, der an die Veranlassung der Weihung anknüpfte“, zukommen zu lassen. 307Varr. ling. 5,157; Liv. 5,40,7–8. Vgl. hierzu F. Coarelli, Doliola, in: LTUR II (1995), 20 f. sowie ferner Wissowa 21912, 478 mit Anm. 3. 308Varr. ling. 5,157 (locus qui uocatur doliola ad cluacam maxumam, ubi non licet despuere, a doliolis sub terra).

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

135

liche nach Caere bringen konnten.309 Dass besonders diese zweite Erklärung, die die Doliola mit der Gallischen Eroberung Roms in Verbindung bringen sollte, im Rahmen der sonstigen Überlieferung des Ereignisses recht wenig Sinn ergibt, liegt auf der Hand.310 Ungeachtet dessen zeigt diese Version, dass die ‚Gallische Katastrophe‘ im Rahmen der Suche nach Erklärungen für Bezeichnungen und Einrichtungen, deren ursprünglicher Sinn verloren gegangen war, offenbar eine prominente Rolle einnahm und daher mit zahlreichen Phänomenen verknüpft werden konnte.311 Bei den Busta Gallica sollen, nach Varro, die Römer die Leichen der gefallenen Gallier verbrannt und ihre Überreste vergraben haben, während Livius berichtet, dass dort die Gallier selbst die sterblichen Überreste derjenigen ihrer Mitstreiter verbrannt hatten, die einer Seuche zum Opfer gefallen waren.312 Obwohl hierzu auch ein epigrafisches Zeugnis vorliegt, lassen sich die Busta Gallica ebenso wenig genau lokalisieren wie etwa die Doliola oder der Altar für den Aius Locutius.313 Sie lagen jedoch anscheinend zentral im Stadtgebiet, vielleicht direkt unterhalb des Kapitols.314 Die Gründe für die ursprüngliche Bezeichnung dieses Ortes lagen wohl bereits in der Antike im Dunkeln.315 Für Römer späterer Generationen mag es dann nahegelegen haben, diese Bezeichnung mit der Gallischen Eroberung Roms in der Frühzeit zu verbinden, die ja zweifellos das bekannteste Ereignis in der Überlieferung der Stadtgeschichte darstellte, in dem Gallier in Rom auftraten.316

309Liv.

5,40,7–8. So auch Plut. Cam. 20,6. nur Ungern-Sternberg 2000, 211 („Offen muß auch bleiben, warum die Heiligtümer nicht mit den anderen auf das Kapitol gebracht wurden, oder anders herum: aus welchem Grunde nicht alle vergraben wurden, sondern ein Teil mit den Vestalinnen nach Caere gebracht werden mußte.“). Der eigentliche Hintergrund könnte in einem Tabu liegen, das mit diesem Ort verbunden war, über dessen Gründe keine Erkenntnisse mehr vorlagen. Vgl. Ogilvie 1965, 724, mit dem Hinweis auf Frazer 31911/1963, 196. 311Vgl. Ungern-Sternberg 2000, 211. 312Varr. ling. 5,157; Liv. 5,48,1–3; 22,14,11. Vgl. außerdem Sil. 8,642. 313CIL I2 809: in [scal]leis [Can]inieis ab cleivo [infi]mo busteis Galliceis versus [ad su]mmum cleivom. 314Siehe Liv. 22,14,11 (media in urbe). 315In der Forschung wird etwa die Möglichkeit diskutiert, dass die Menschenopfer der Jahre 228 und 216, bei denen auch jeweils ein Gallier und eine Gallierin geopfert worden waren, mit der Benennung in Zusammenhang standen, oder ob hier in einer frühen Phase des städtischen Ausbaus des Areals ein altes Grab, das einem keltischen Ursprung zugeordnet wurde, gefunden worden war. Siehe Ogilvie 1965, 737. Platner/Ashby 1929, 86 („One might conjecture that the name and the tradition had arisen from the discovery of some prehistoric cemetery […].“) und F. Coarelli, Busta Gallica, in: LTUR I (1993), 203 f. 316Einen interessanten Hinweis gibt zudem Ungern-Sternberg 2000, 217, der darauf aufmerksam macht, dass nach dem Bericht des Prokop Narses sein Lager auf dem Feldzug gegen Totila bei einem Ort namens Bustagallorum aufgeschlagen habe – ein Name, der nach dem Zeugnis Prokops auf den Sieg des Camillus zurückgeführt werde, wodurch die Erinnernug an die Niederlage der Gallier bis in seine Zeit weitergetragen würde (Prok. BG 4,29,4–5). 310Vgl.

136

3  Roms Keltenkriege

Bereits im Zusammenhang mit anderen Zeugnissen wurden die sogenannten cuniculi Gallorum genannt, die durch Cicero belegt sind.317 Da auch hier ein realhistorischer Hintergrund eher unwahrscheinlich ist, wird die Bezeichnung zu einem nicht näher fixierbaren Zeitpunkt mit der ‚Gallischen Katastrophe‘ in Verbindung gebracht worden sein. Die Beiläufigkeit, mit der Livius oder Cicero diese Orte erwähnen, spricht dafür, dass sie ihren Lesern die Herleitung der Namen nicht mehr genauer erklären mussten, sodass man wohl annehmen darf, dass sie wenigstens im ersten Jahrhundert bereits als bekannt vorausgesetzt werden konnten und vielleicht auch Teil von mündlich tradierter ‚Erinnerung‘ an die Niederlage der frühen Republik waren. Neben einer Reihe auffälliger Bezeichnungen für Orte im römischen Stadtgebiet wird in der antiken Überlieferung auch die Entstehung einiger Kulte und religiöser Feiern mit der ‚Gallischen Katastrophe‘ verknüpft. So weiß Ovid in den Fasti davon zu berichten, dass die Entstehung des Kultes des Iuppiter Pistor mit der Belagerung des Kapitols durch die Gallier zu verknüpfen sei. Dort sei auch der zwar wenig bedeutende aber berühmte Altar für Iuppiter Pistor zu finden. Der dazugehörigen Legende nach habe die lange Belagerung unter den Römern zu einer Hungersnot geführt, auf die eine Götterversammlung gefolgt sei. In dieser habe Mars durch eine große Rede den Iuppiter zum Einschreiten bewogen. Dieser habe schließlich der Vesta befohlen, bei den Belagerern den Eindruck zu erwecken, dass das bei den Römern eigentlich fehlende Getreide tatsächlich reichlich vorhanden sei, weshalb sie aus Resten ungemahlenen Kornes Mehl gewinnen und hieraus dann Brote backen sollte. In der Nacht forderte Iuppiter wiederum die Anführer der Römer auf sich zu erheben und von ihrer Festung herab dasjenige unter die Feinde zu schleudern, was sie am wenigsten ausliefern wollten. Diese erkannten schließlich, dass hiermit die Brote gemeint waren, und warfen diese auf die Belagerer, sodass diese die Hoffnung aufgeben mussten, das Kapitol durch Aushungern einnehmen zu können. Nach dem Abzug der Gallier sei dann dem Iuppiter Pistor zum Dank ein Altar errichtet worden.318

317Siehe

oben Abschn. 3.1.4. fast. 6,349–394. Der Altar ist lediglich aus dieser Erwähnung Ovids und einer knappen Bemerkung des Lactantius (Lact. inst. 1,20,33) bekannt. Siehe Littlewood 2006, 114. Eine Variante dieser Erzählung findet sich auch bei Livius, wo die Römer ebenfalls Brote auf die Gallier hinabwerfen, was dort aber keinesfalls den gewünschten Erfolg hat. Zudem findet sich eine Reihe von weiteren Stellen bei verschiedenen Autoren, die offenbar mit der von Ovid überlieferten Geschichte in Zusammenhang stehen, auch wenn sich kaum mehr feststellen lässt, wie genau sich diese entwickelt hat (Liv. 5,48,4). Für weitere Stellen, die in Verbindung mit der Erzählung stehen, siehe die umfangreiche Diskussion der Passage bei Ungern-Sternberg 2000, 213–215. Vgl. zudem Littlewood 2006, 112–123. Die Geschichte erinnert u. a. – trotz der Unterschiede zwischen beiden Passagen – an die betreffende Episode über den Stellungskampf bei Dyrrachium im Bellum Civile. Dort sollen Caesars Soldaten Brot, das sie zuvor aus Wurzeln gebacken hatten, zu ihren Feinden geschleudert haben, um diesen die Hoffnung zu nehmen, Caesars Truppen könnten wegen Mangel an Nachschub den Kampf aufgeben (Caes. civ. 3,48). 318Ov.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

137

Der Beiname der Iuno Moneta, deren Tempel ebenfalls auf dem Kapitolshügel stand, wurde in späterer Zeit ebenfalls in Bezug auf die Überlieferung von der Belagerung bzw. dem Angriff der Gallier auf das Kapitol erklärt. Denn die Gänse der Iuno seien es ja gewesen, die Manlius Capitolinus vor den nahenden Feinden gewarnt hätten, weshalb der Tempel für die ‚warnende‘ Iuno auf dem Kapitol zu finden sei. Auch in diesem Fall ist der ursprüngliche Zusammenhang nicht mehr sicher zu rekonstruieren.319 Jedenfalls im sozialen Gedächtnis gebildeter Schichten war mit der Belagerung des Kapitols durch die Gallier, wie bereits anhand einiger Beispiele gezeigt werden konnte, das Bild der Gänse, die die römischen Wächter gerade noch rechtzeitig warnen, gegen Ende des ersten Jahrhunderts eng verknüpft. Diese Tat der Gänse scheint tatsächlich „zum Aition für sehr unterschiedliche Bräuche geworden“ zu sein.320 So gehörte es nach Auskunft Plinius’ des Älteren und Plutarchs zu den ersten Pflichten der neugewählten Zensoren, die Verpachtung für die Aufgabe der Ernährung der heiligen Gänse der Iuno vorzunehmen, während zur Strafe für die Unachtsamkeit der Hunde jährlich ein Hund zwischen den Tempeln der Iuventas und des Summanus an eine Holzgabel aus Holunderholz genagelt wurde.321 Von Plutarch ist außerdem zu erfahren, dass in Rom in jedem Jahr in einer feierlichen Prozession ein gepfählter Hund und eine Gans, die auf einem kostbaren Kissen in einer Sänfte ruhte, durch die Stadt getragen wurden. Plutarch erwähnt explizit, dass dies als Erinnerung an die Rettungstat bzw. das Vergehen der jeweiligen Tiere während der Belagerung des Kapitols durch die Gallier geschehe.322 Leider verrät Plutarch nicht, welchen Weg diese recht eigentümliche Prozession nahm, doch sei die These gewagt, dass diese angesichts des behaupteten Ursprungs des Brauches in der Nähe des Kapitols entlangführte, vielleicht sogar auf das Kapitol hinauf. Es ist kaum notwendig zu erwähnen, dass keiner dieser Bräuche tatsächlich auf eine Belagerung des Kapitols zurückzuführen ist. Das rituelle Töten von Hunden ist auch für andere Städte Latiums belegt und wird ursprünglich in einem ganz anderen kultischen Kontext gestanden haben, auch wenn sich dieser nicht mehr im Detail rekonstruieren lässt.323 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass dieser eigentliche Kontext offenbar auch für Gelehrte wie Plinius oder Plutarch vollständig von der populären Version

319Für

einige Vorschläge siehe Forsythe 2005, 254. Vgl. zudem Wissowa 21912, 190. 320So Ungern-Sternberg 2000, 215 f., dessen Ausführungen auch im Folgenden heranzuziehen sind. 321Plin. nat. 10,51; 29,57. Plut. qu. R. 98 (mor. 287 b–d). 322Plut. fort Rom. 12 (mor. 325 d). Siehe außerdem Serv. Aen. 8,625; Lyd. mens. 4,114. Vgl. Zimmermann 2009, 41. 323Vgl. Forsythe 2005, 254 f. („The sacrifice of the dog on the Capitol was probably a primitive religious ritual whose original meaning had been forgotten by the second century B. C., and for which a historical etiology was concocted.“). Zur rituellen Tötung von Hunden in Rom und Italien in archaischer Zeit, die vermutlich im Rahmen von Lustrationsritualen durchgeführt wurden, siehe Wissowa 21912, 210, 393 Anm. 5; Scholz 1937, 10 f., 22, 56 f. Zu weiteren Parallelen im italischen Kontext siehe u. a. Forsythe 2005, 255.

138

3  Roms Keltenkriege

ü­ berlagert wurde, in der diese Opfer und die Prozession mit der ‚Gallischen Katastrophe‘ in Verbindung gebracht wurden. Mit der Zeit, die unmittelbar auf den Abzug der Gallier folgte, wurden wiederum, zumindest in machen Versionen der Überlieferung, zwei andere Feste verbunden, die Poplifugia am 5. Juli sowie die Nonae Capratinae am 7. Juli.324 Zum Ablauf der beiden Feiern ist nur wenig bekannt, ihre historischen Wurzeln liegen fast gänzlich im Dunkeln. Im Rahmen der Poplifugia hätten Männer die Stadt in einem offenbar irgendwie erkennbaren Zusammenschluss verlassen, wobei sie sich allerdings nicht wohlgeordnet voran bewegten, sondern dicht gedrängt und durcheinander, und sich dabei gängige männliche, römische Praenomina zuriefen. Auf dem Marsfeld, genauer beim sogenannten Ziegensumpf, sei dann ein Opfer dargebracht worden. Bei den Nonae Capratinae seien Sklavinnen, die in der typischen Tracht römischer Matronen gekleidet waren, dabei jedoch gleichzeitig bettelten sowie die Zuschauer mit Spott bedachten, ebenfalls auf das Marsfeld gezogen, wo sie, gemeinsam mit freien Römerinnen „ein Festmahl in Hütten aus Feigenästen“ einnahmen.325 Plutarch hat beide Feiern miteinander verbunden, zum Ursprung der Feste existierten in der späten Republik jedoch offenbar unterschiedliche Überlieferungen.326 Nach einer von diesen, die Varro berichtet, hätte sich Rom, offenbar geschwächt durch die Katastrophe, nach dem Abzug der Gallier in einem Zustand der Wehrlosigkeit befunden, u. a. da die Befestigungsanlagen schwer beschädigt worden seien. In dieser Notlage der Römer hätten sich dann die Bewohner einiger benachbarter Orte dazu verschworen, die Römer anzugreifen. Als die Feinde Rom erreichten, sei das Volk durch den plötzlichen Angriff aufgeschreckt geflohen, woraus der Brauch der Poplifugia, der Volksflucht, entstanden sei.327 Für die Capratinae wurde unter anderem berichtet, dass die Angreifer aus den Nachbarorten von den Römern die Erneuerung des Rechts des conubium gefordert hätten. Aus dieser Notlage habe die Römer die List einer Sklavin, als deren Name sowohl Tutula, als auch Philotis überliefert ist, befreit, die den römischen Magistraten vorschlug, zum Schein auf die Forderung der Feinde einzugehen, aber in Wahrheit lediglich sie und weitere Sklavinnen auszuliefern. Die Römer seien hierauf eingegangen, und die Täuschung sei gelungen. Nachdem die Sklavinnen im Lager der Feinde angelangt waren und diese – „nach ausgiebigem Sex und Weingenuß“, den der „vornehme Plutarch verschweigt“, während andere Autoren diese erzählerischen Farbtupfer dankbar aufnahmen – in Schlaf gefallen waren, kletterte besagte Tutula oder Philotis auf einen Ziegenfeigenbaum, um mit

324Vgl. zum Folgenden u. a. Schwegler 1872, 272–275; Robertson 1987; Ungern-Sternberg 2000, 220 f.; Pfeilschifter 2009. Dass beide Feste nicht, wie bisweilen angenommen, an einem Tag gefeiert wurden, sondern eine Datierung auf den 5. Juli für die Poplifugia bzw. auf den 7. Juli für die Nonae Caprotinae wohl am wahrscheinlichsten ist, hat Pfeilschifter 2008 nahelegen können. 325Siehe hierzu zuletzt die pointierte Zusammenfassung bei Pfeilschifter 2009, 109 (Zitat). 326Plut. Cam. 33,5–7. 327Varr. ling. 6,18. Vgl. zu ähnlichen Varianten Pfeilschifter 2009, 119 mit Anm. 39.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

139

einer Fackel den Römern in der Stadt das Signal zum Angriff zu geben.328 Die List gelang und die Römer konnten ihre Feinde in die Flucht schlagen.329 Nach Plutarch leiteten einige Römer aus dieser Begebenheit den Brauch der Nonae Capratinae ab, während andere diese mit dem Verschwinden des Romulus im Ziegensumpf in Verbindung brachten.330 All diesen Festen und Ritualen ist gemeinsam, dass sie zumindest für die Bewohner der Stadt Rom jeweils einen sichtbaren und erfahrbaren Teil ihres Alltages darstellten, über ihre eigentlichen historischen Hintergründe und ursprüngliche religiöse Bedeutung aber offenbar niemand mehr Bescheid wusste.331 Ob Bräuche wie die jährliche Opferung eines Hundes beim Tempel der Iuventas erst zur Entstehung der offenbar populären Legende von der Verteidigung des Kapitols durch die Wachsamkeit der Gänse, die ja tatsächlich im Tempel der Iuno auf dem Kapitol gehalten wurden, anregten oder ob – umgekehrt – das Hundeopfer später mit dieser Geschichte in Verbindung gebracht wurde, lässt sich nicht mehr sicher entscheiden. Beides ist denkbar. Diese Aitologien scheinen offenbar recht unumstritten gewesen zu sein, was für die Erklärung der Entstehung der Poplifugia bzw. der Nona Capratinae wiederum nicht der Fall war. Dies lag wiederum wohl auch daran, dass hier der Bezug zur ‚Gallischen Katastrophe‘ weniger ‚offensichtlich‘ war. Die Fragen nach der jeweiligen Verbreitung und dem allgemeinen Bekanntheitsgrad der unterschiedlichen Erklärungen können nicht mehr geklärt werden.332 Eine Reihe von Autoren betont, dass die vergleichsweise chaotische Anlage Roms ebenfalls ein Resultat der Zerstörung der Stadt durch die Gallier gewesen sei.333 Offenbar dachte man sich die erste Erbauung Roms unter der Ägide des Romulus und der Könige, die auf ihn folgten, als einen wohl geplanten und durchgeführten Akt, was wiederum wenig zu der Evidenz der alten Straßenzüge und Gebäude passte, die die Römer tagtäglich vor sich sahen. Da die Vorstellung einer umfassenden Zerstörung Roms durch die Gallier anscheinend bereits etabliert war, bestand die ‚logische‘ Erklärung für die ungeplante Anlage darin anzunehmen,

328Pfeilschifter

2009, 142 (Zitat). Cam. 33,1–4. 330Plut. Cam. 33,5–7. In diesem Kontext verbindet Plutarch (Plut. Rom. 29) auch beide Feste, was aber wohl sachlich falsch ist. Siehe hierzu auch Ungern-Sternberg 2000, 221 sowie bes. Pfeilschifter 2009, die die weiteren Varianten, die keine Verbindung zur Zeit nach dem Abzug der Gallier haben, diskutieren. Die Geschichte um die Sklavin Philotis ‚erklärte‘ darüber hinaus auch die Poplifugia, denn die Römer, die nun zur Vernichtung der Feinde nachts aus der Stadt aufbrachen, hätten sich zur Orientierung gegenseitig ihre Namen zurufen müssen um einen halbwegs geordneten Angriff herstellen zu können. Dass sie dann eigentlich, wie übrigens in anderen Erklärungen des Festes auch, keineswegs flohen, scheint für die Konstruktion dieser Aitiologie keine Rolle gespielt zu haben (Pfeilschifter 2009, 125 f.). 329Plut.

331Vgl. Pfeilschifter 2009, 110 mit Hinweisen auf eine Reihe von Erklärungen, die in der Forschung vorgebracht worden sind. 332Siehe hierzu die Überlegungen bei Pfeilschifter 2009, 111–118. 333Liv. 5,55,4–5; Diod. 14,116,8–9; Plut. Cam. 32,3.

140

3  Roms Keltenkriege

dass nach der weitflächigen Verwüstung Roms der Wiederaufbau unter dem Druck der Verhältnisse rasch hatte erfolgen müssen. Daher habe jeder gebaut, wie es ihm in diesem Moment gerade sinnvoll erschien, eine generelle Absprache sei nicht erfolgt.334 Diodor weiß zudem von der öffentlichen Bereitstellung von Bauziegeln zu berichten, die bis in seine Zeit „Staatsziegel“ genannt worden seien.335 Dass dieser eigentümliche Ausdruck, der „im Lateinischen sonst nicht belegt“ ist, wohl auf einen anderen Ursprung zurückgehen wird, ist anzunehmen, doch lassen sich über diesen tatsächlichen Hintergrund nur Vermutungen anstellen.336 Jedenfalls stellt er einen Beleg dafür dar, wie auch Begriffe aus sehr unterschiedlichen Bereichen, deren Herkunft in Vergessenheit geraten war, mit der ‚Gallischen Katastrophe‘ in Verbindung gebracht wurden.337 Wie tief verankert die Vorstellung einer weitgehenden Zerstörung Roms im gallischen Feuer war, zeigt wiederum der Umstand, dass mehrere antike Autoren den offenkundigen Mangel an Textquellen zur frühen Geschichte Roms damit erklärten, dass sämtliche anderen Aufzeichnungen, die einst existiert hatten, durch den Brand vernichtet worden seien.338 Dass solche Erklärungen dabei dann wiederum ihrerseits neue Widersprüche und Probleme mit sich brachten, scheint weitgehend hingenommen worden zu sein.339 Versuche, die darauf abzielten, den unregelmäßigen Aufbau Roms oder den Mangel an Quellen zur römischen Frühzeit zu erklären, gehörten freilich kaum zum Alltag der meisten Bewohner Roms. Bei diesen werden eher die genannten Feste und Orte sowie besonders der Dies Alliensis dazu beigetragen haben, die ‚Gallische Katastrophe‘ im kollektiven Gedächtnis der stadtrömischen Bevölkerung zu tradieren. Von Statuen oder sonstigen Monumenten, die explizit an dieses Ereignis erinnert hätten, ist darüber hinaus nichts bekannt. Immerhin bezeugen allerdings mehrere Autoren aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert, dass eine Statue des Camillus am Comitium stand.340 Wer nicht wusste, wer Camillus war bzw. wer er gewesen sein sollte, konnte dieses Standbild freilich auch nicht mit der ‚Gallischen Katastrophe‘ in Verbindung bringen. Noch deutlicher erinnerte eine Inschrift, die auf dem Augustusforum gefunden wurde, an die Geschehnisse während der gallischen Belagerung. Dort wurde nämlich ein namentlich nicht genannter Held gerühmt, der dafür gesorgt habe, dass die Vestalinnen und die sacra publica nach Caere in Sicherheit gebracht wurden, um sie dann nach dem Abzug der Gallier wieder nach

334Siehe

hierzu Ogilvie 1965, 750 f.; Ungern-Sternberg 2000, 208. 14,116,8 (δημοσίας κεραμῖδας). Von der Stellung von Ziegeln seitens des Staates berichtet auch Liv. 5,55,3. 336Ungern-Sternberg 2000, 212, Anm. 9 (Zitat). 337Vgl. Ungern-Sternberg 2000, 208. 338Siehe etwa Liv. 6,1,2; Plut. Num. 1,2. 339Vgl. Oakley 1997, 382. 340Vermutlich war diese auch erst in der Kaiserzeit aufgestellt worden, denn Cicero scheint sie noch unbekannt gewesen zu sein (Walter 2004a, 399). 335Diod.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

141

Rom zurückzubringen.341 In welchem Kontext man sich diese Inschrift genau vorstellen muss, ist zwar unklar, doch bot sie wohl wenigstens den Besuchern des Augustusforums eine weitere Erinnerung an die Katastrophe, die ihre Stadt einst ereilt hatte, und vor allem an die großen Taten, die von Römern in dieser schweren Stunde vollbracht worden waren.342 In Rom selbst sorgten also gleich mehrere jährlich wiederholte Feiern und Opfer sowie Monumente bzw. die Aitologien, die zur Klärung des Ursprungs dieser Einrichtungen und Bauwerke ersonnen wurden, dafür, dass die Erinnerung an die ‚Gallische Katastrophe‘ über Generationen weitergegeben wurde. Dabei verfestigten sich vermutlich manche Elemente der Geschichte, die damit aus ihrem Kontext gar nicht mehr wegzudenken waren (wie z. B. die Rettungstat der Gänse), sodass bei den meisten Bewohnern Roms ähnliche Vorstellungen mit dem Ereignis verbunden gewesen sein dürften. In Hinsicht auf die Formierung und die Inhalte des sozialen Gedächtnisses der Bevölkerung jenseits der Hauptstadt sind wir wesentlich schlechter unterrichtet. Angehörige der gebildeten Schichten der italischen Städte werden allerdings wohl auch mit römischer Überlieferung vertraut gewesen sein.343 Da vor Ort jedoch, anders als im Hannibalkrieg, jeweils keine Plätze oder Tempel mit dem Einfall der Gallier verbunden werden konnten (mit Ausnahme vielleicht von Clusium), entfällt diese Dimension des sozialen Gedächtnisses. Der römische Kalender mitsamt des Dies Alliensis galt freilich auch hier und konnte zum Vergleich mit anderen Katastrophen genutzt werden. So verwiesen die Einwohner von Pisa in einer Inschrift, mit der sie ihre Loyalität zum Kaiserhaus zeigen wollten, auf den Tag an der Allia, indem sie in einem Beschluss festlegten, welche öffentlichen Trauerbestimmungen künftig für den Todestag des jungen C. Iulius Caesar gelten sollten, des Enkels, Adoptivsohnes und designierten Nachfolgers des Augustus, der am 21. Februar des Jahres 4 n. Chr. in Limyra an der lykischen Küste an den Folgen einer Verwundung verstorben war. Wie am Dies Alliensis sollte es künftig am Todestag des jungen Prinzen verboten sein, öffentlich zu opfern, zu heiraten oder ein öffentliches Bankett zu feiern, zu planen oder an diesem Tag anzukündigen. Das

341InscrIt XIII 3, n. 11: [Cum Galli ob]siderent Capitolium, [virgines Ve]stales Caere deduxit; [ibi sacra at]que ritus sollemnes ne [intermitte]rentur, curai sibi habuit; [urbe recup]erata sacra et virgines [Romam re]vexit. Welche Person hier gerühmt wurde, ist umstritten. Nach dem livianischen Bericht liegt es in der Tat „nahe, an ein Lob des L. Albinius zu denken“, wobei jedoch „die Sorge für den Kult der Vesta […] weit über die Möglichkeiten eines einfachen Plebejers“ hinausgehe (Ungern-Sternberg 2000, 212). Es ist zudem zu bedenken, dass L. Albinius bei Livius auch keineswegs als Initiator der Evakuierung erscheint, sondern eher zufällig in das Geschehen eingreift. In Teilen der Forschung wird daher zu der Annahme tendiert, dass in der Inschrift der Flamen Quirinalis gemeint sei, der allerdings wenigstens bei Livius überhaupt nicht namentlich genannt wird und dort auch sonst nicht besonders hervortritt. Vgl. Ungern-Sternberg 2000, 212. 342Vgl. zur Konstruktion der Anlage, in der die Präsentation von ‚großen Gestalten‘ der römischen Geschichte geradezu in Form eines Kanons konstruiert wurde u. a. Galinsky 1996, 197– 213; Walter 2004a, 417–420 (mit zahlreichen weiteren Hinweisen). 343Siehe hierzu oben Abschn. 2.2.

142

3  Roms Keltenkriege

Verbot erstreckte sich zudem auch auf Theateraufführungen und Wagenrennen, die an diesem Tag weder veranstaltet noch besucht werden durften. Durchaus im Einklang mit anderen Repräsentationen der Geschichtskultur der augusteischen Zeit setzte ein Vorbild aus der Republik, hier der Umgang mit einer Katastrophe, den Maßstab für die eigene Zeit, wobei die Veränderungen, die sich im neuen Zeitalter ergeben hatten, auf der anderen Seite dadurch noch deutlicher hervortraten. Denn der Tod eines (gleichwohl wichtigen) Mitgliedes des Kaiserhauses steht hier immerhin auf einer Stufe mit einer der bekanntesten Katastrophen der Geschichte der römischen Republik.344 In den folgenden Jahrzehnten in die römische Elite nachrückende Individuen aus Italien und anderen Teilen des Reiches, für die etwa die ‚Gallische Katastrophe‘ kein Teil des Vergangenheitswissens war, mit dem sie sozialisiert worden waren, konnten sich die Kenntnis wichtiger Stationen der römischen Geschichte nicht nur über die römische Historiografie, sondern auch über Werke wie die exempla-Sammlung des Valerius Maximus aneignen. Deren Beispiele werden, neben anderen Zeugnissen, im folgenden Kapitel untersucht, um einige Aspekte der kollektiven Erinnerung an den Tag an der Allia und die anschließende Einnahme Roms in der frühen und mittleren Kaiserzeit zu beleuchten.

3.1.7  Das Kapitol in Flammen – frühe bis mittlere Kaiserzeit In der umfangreichen Sammlung des Valerius Maximus tauchen mehr oder weniger direkte Bezüge zur ‚Gallischen Katastrophe‘ an neun Stellen auf, was etwa deutlich hinter den zahlreichen Erwähnungen der Niederlagen der römisch-­ karthagischen Kriege, insbesondere der Schlacht von Cannae, zurückbleibt.345 Die Schlacht an der Allia selbst kommt bei Valerius Maximus kaum vor, lediglich an einer Stelle wird sie, ohne die Nennung weiterer Details, in eine Reihe mit ­anderen römischen Misserfolgen auf dem Schlachtfeld gestellt: dem Kampf der Fabier an der Cremera, dem Untergang der Scipionen in Spanien sowie den Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae.346 Alle anderen Stellen beziehen sich auf Ereignisse, die im Zusammenhang mit der Eroberung Roms und der Belagerung des Kapitols stehen. Die Episoden sind jeweils auch aus der

344CIL

XI 1421 = ILS 140 = InscrIt VII 1.7. (Siehe bes.: di[em]que eum, quo die C(aius) Cae­ sar obit qui dies est a(nte) d(iem) VIIII k(alendas) Martias pro Alliensi/lu[gub]rem memoriae prodi notarique in praesentia omnium iussu). Siehe hierzu bereits Lott 2012, 203: „Thus the well-established pattern of reworking a Republican precedent to provide a model for the proper interaction of the state and the imperial family appears again. Gaius’ death, the loss of the custos of the empire and praesidium of the colony, is a disaster akin to a military defeat and is to be treated similarly“. Für den freundlichen Hinweis auf diese Inschrift danke ich Prof. Dr. Gunnar Seelentag. 345Val. Max. 1,1,10; 1,1,11; 1,5,1; 3,2,7; 4,1,2; 5,6,8; 6,3,1a; 7,4,3; 9,11,ext. 4. Zu den Niederlagen der römisch-karthagischen Kriege bei Valerius Maximus siehe unten Abschn. 5.1.5 und 5.2.6. 346Val. Max. 9,11,ext. 4. Vgl. Weileder 1998, 185.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

143

h­ istoriografischen Überlieferung bekannt, die unter anderem bei Livius greifbar ist, wenngleich sie im Detail Unterschiede und Varianten zeigen, die Valerius offenbar nicht aus Livius’ Bericht übernommen haben kann. Als Beispiel für Tapferkeit (fortitudo) führt Valerius die älteren Römer, besonders die greisen Senatoren, an, die sich nicht auf das Kapitol flüchteten, um die Verteidiger nicht zu belasten, sondern in der Stadt blieben, woraufhin es zu der bekannten Episode des Massakers an diesen ehrwürdigen Männern kommt.347 Als Beispiele für die Bewahrung und gewissenhafte Beachtung der römischen Religion kennt Valerius zum einen die fromme Tat des L. Albinius, der seine Familie von seinem Karren absteigen lässt, um auf diesem die Priesterinnen der Vesta mitsamt der sacra nach Caere zu bringen, wo sie die Zeit der gallischen Besatzung Roms unbeschadet überstehen. Den Bewohnern von Caere seien die Römer daher fortan dankbar gewesen, und die Erinnerung an jene Zeit lebe unter anderem in dem Wort caerimonia fort, das eben dadurch entstanden sei, dass der Kult und seine Riten in Caere fortgeführt worden waren. Diese etymologische Notiz kannte Livius entweder nicht oder er überging sie, sodass Valerius hier aus einer anderen Quelle geschöpft haben muss. Als naheliegender Kandidat ist hier Varro vorgeschlagen worden, der ja – wie wir oben bereits gesehen haben – auch die Hintergründe anderer Bezeichnungen von Orten oder Festen durch eine Verbindung zur gallischen Eroberung Roms zu erhellen wusste.348 Zudem nennt Valerius den Gang des Fabius Dorsuo durch die Reihen der Gallier, den dieser auf sich nahm, um ein der gens Fabia aufgetragenes Opfer durchzuführen, woraufhin er in Valerius Worten geradezu als eigentlicher Sieger auf das Kapitol zurückgekehrt sei.349 In dieser Zeit habe außerdem M. Furius Camillus das Amt des Dictators erst dann angenommen, als nicht nur die Exilrömer in Veii oder Ardea, sondern der Senat in Rom auf dem Kapitol ihn ordnungsgemäß bestellt hatte – eine Haltung erfüllt von moderatio und in diesem Sinne noch bedeutender als Camillus’ Siege über Veii und die Gallier.350 Zu Verhandlungen konnten die belagerten Römer die Gallier dadurch bewegen, dass sie Brote auf sie hinabschleuderten, was den Belagerten die Hoffnung nahm, die Verteidiger aushungern zu können.351 Um das Gold zum Freikauf aufbringen zu können, hätten die römischen Matronen bereitwillig ihren Schmuck hergegeben, was wiederum ein inspirierendes Beispiel für die Römer im Zweiten Punischen Krieg gegeben habe, ihrerseits für die Rettung der res publica materielle Opfer zu bringen.352 Unter den bedeutenden Vorzeichen der ­ Vergangenheit nennt Vale-

347Val.

Max. 3,2,7. Der Römer, der durch seinen Schlag den Gewaltakt der Gallier auslöst, trägt hier allerdings einen anderen Namen (C. Atilius) als im Bericht des Livius (M. Papirius; Liv. 5,41,9). 348Val. Max. 1,1,10. Siehe hierzu bereits Wardle 1998, 16, 103; Weileder 1998, 185; Mueller 2002, 64 f. Vgl. Liv. 5,40,9–10. 349Val. Max. 1,1,11. Vgl. Wardle 1998, 105 („The idea of a triumph, […]“); Weileder 1998, 187. 350Val. Max. 4,1,2. Siehe hierzu Weileder 1998, 287. 351Val. Max. 7,4,3. 352Val. Max. 5,6,8.

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3  Roms Keltenkriege

rius den Befehl des Standartenträgers, vor dem Senatsgebäude zu halten, was die im Inneren tagenden Senatoren endgültig dazu brachte, von einer Verlegung der ­römischen Hauptstadt nach Veii abzusehen und stattdessen Rom wieder aufzubauen.353 Später wurde dann Manlius Capitolinus von eben jenem Ort in den Tod gestürzt, an dem er einst die Senonen bei ihrem nächtlichen Angriff auf das Kapitol abgewehrt hatte. Durch seinen Versuch, die Macht über Rom an sich zu reißen, sei er selbst zum Senonen geworden.354 Nahezu alle Stellen, in denen in der Sammlung des Valerius Maximus die ‚Gallische Katastrophe‘ auftaucht, stehen also mit der Belagerung des Kapitols in Zusammenhang. Die zitierten Episoden sind auch aus den historiografischen Quellen bekannt, im Detail, etwa hinsichtlich von Namen, zeigen sich Abweichungen, die allerdings nie den Kern der Überlieferung berühren, indes durchaus Weiterungen der Deutung offenbaren können. Da er zu den einzelnen exempla meist nur knappe Erläuterungen gibt, konnte Valerius sie bei seinen Rezipienten offenbar als bekannt voraussetzen. Camillus, der große Held der Darstellung der Ereignisse, die Livius bietet, taucht insgesamt in der Sammlung zwar immerhin an vier Stellen auf, allerdings bezieht sich von diesen interessanterweise nur eine auf seine Rolle in der Abwehr der Gallier.355 In den Werken des Tacitus finden sich verstreut immer wieder Bezüge zur ‚Gallischen Katastrophe‘.356 In den Annales tauchen die Gallier, die einst das Kapitol belagerten, als rhetorisches Argument auf. Keinesfalls dürfe nämlich den Nachfahren jener Feinde nun der Zugang zum Senatorenstand gestattet werden, fordern die Senatoren bei Tacitus, als sie gegen den entsprechenden Beschluss des Claudius opponieren.357 Ob die Senatoren in der historischen Debatte um die Aufnahme von Galliern in den Senat tatsächlich mit diesem historischen exemplum ‚argumentierten‘, lässt sich nicht mehr klären. Die Passage erinnert jedenfalls an die Invektive Ciceros an die Adresse der gallischen Zeugen, die seinen Mandanten M. Fonteius, den ehemaligen Statthalter der Gallia Narbonensis, belastet hatten, sodass es möglich scheint, dass entweder rhetorisch geschulte Senatoren oder Tacitus selbst sich von dieser Rede Ciceros inspirieren ließen oder aber in

353Val.

Max. 1,5,1. Max. 6,3,1a. 355Nämlich Val. Max. 4,1,2. Siehe außerdem 1,5,2; 1,8,3 (beide zur Einnahme von Veii); 2,9,1 (Camillus als Zensor). 356Zudem werden die Gallier in einer Passage in den Germania in eine Reihe von zwar einst gefährlichen allerdings nun überwundenen Gegnern eingruppiert (Samniten, Karthager, Spanier und Parther). Diese Aneinanderreihung verweist die Gallier insgesamt deutlich in den Bereich der abgeschlossenen Vergangenheit (Tac. Germ. 37). In Hinsicht auf die Germanen stehe dieser Erfolg allerdings noch aus. 357Tac. ann. 11,23,3–4 (quem ultra honorem residuis nobilium, aut si quis pauper e Latio sena­ tor foret? oppleturos omnia divites illos, quorum avi proavique hostilium nationum duces exer­ citus nostros ferro vique ceciderint, divum Iulium apud Alesiam obsederint. recentia haec: quid si memoria eorum oreretur qui sub Capitolio et arce Romana manibus eorundem postrati sint: fruerentur sane vocabulo civitatis: insignia patrum, decora magistratuum ne vulgarent.). 354Val.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

145

beiden Reden auf eine Invektive zurückgegriffen wurde, die in Bezug auf gallische Prozessgegner bzw. in Opposition gegen Vorhaben, die Galliern zugutekommen sollten, für geschulte Rhetoren gewissermaßen bereitlag.358 Bereits bekannt ist, nicht nur aus Pro Fonteio, außerdem die narrative Abbreviatur aus dem Begriffspaar Gallier/Kapitol für das Ereignis, die keiner weiteren Erläuterung mehr bedarf. Das Kapitol steht auch im Mittelpunkt eines historischen Vergleichs, den Tacitus in der Schilderung des Kampfes zwischen den Anhängern des Vitellius und des Vespasian anbringt, um das singuläre Ausmaß der Zerstörung des kapitolinischen Iuppiter-Tempels im Zuge der Kämpfe zu verdeutlichen. Keine Tat sei schändlicher als diese, wenngleich wohl unbeabsichtigte, Zerstörung des Tempels, die zuvor nicht einmal den Galliern oder Porsenna gelungen sei.359 Besonders interessant sind zwei weitere Passagen, die beide mit dem Brand Roms im Jahre 64 n. Chr. zusammenhängen. Zum einen hätten einige Römer nach dem Feuer, das große Teile des Stadtzentrums verwüstete, ‚bemerkt’, dass zwischen dem Tag, an dem die Gallier Rom in Brand gesteckt hatten, und dem Datum des Feuers unter Nero die jeweils gleiche Anzahl an Tagen, Monaten und Jahren vergangen sei.360 Diese Berechnung eröffnet einen interessanten Blick auf eine Variation der Vorstellung des Ablaufs der römischen Geschichte in Zyklen, in denen die gallische Eroberung Roms eine wichtige Rolle spielte. Livius‘ Camillus betonte ja, wie gesehen, den Neubeginn, die zweite Gründung Roms, nach der Katastrophe, dessen Zeit nach dem Ablauf von 365 Jahren, dem Ende eines ‚Großen Jahres‘, gekommen sei.361 Die Römer, von denen Tacitus berichtet, stellen demgegenüber die Wiederkehr der Katastrophe der Zerstörung Roms durch ein großes Feuer in den Mittelpunkt, wobei die gallische Eroberung in diesem Rahmen gewissermaßen das Urbild einer Zerstörung der römischen Hauptstadt bildet. Über die Frage, inwiefern sie darüber hinaus in apokalyptische Spekulationen eingebunden war, lassen sich wiederum nur Vermutungen anstellen.362 Die Erinnerung an die ‚Gallische Katastrophe‘ aus antirömischen Motiven wird bei Tacitus an anderer Stelle wiederum von keltischen Druiden evoziert – angeblich angeregt durch den Brand des Kapitols im ‚Vierkaiserjahr‘ 69 n. Chr. –, die die Angehörigen ihrer Völker auf diese Weise zum Aufstand gegen die römische Herrschaft antreiben wollen. Seinerzeit sei es zwar gelungen, die Stadt einzunehmen, nicht jedoch den Tempel auf dem Kapitol. Dessen Brand sei als ein Vorzeichen für die nun anbrechende Herrschaft der Völker „jenseits der Alpen“ zu

358Cic.

Font. 30. Siehe oben Abschn. 3.1.4. hist. 3,71,4–3,72,1 (sic Capitolium clausis foribus indefensum et indireptum conflagra­ vit. Id facinus post conditam urbem luctuosissimum foedissimumque rei publicae populi Romani accidit, nullo externo hoste, propitiis, si per mores nostros liceret, deis, sedem Iovis Optimi Maximi, auspicato a maioribus pignus imperii conditam, quam non Porsenna dedita urbe neque Galli capta temerare potuissent, furore principum excindi.). 360Tac. Ann. 15,41,2. Nämlich jeweils 418 Jahre, Monate und Tage. Vgl. Grotefend 1845, 153. 361Siehe oben Abschn. 3.1.5. 362Siehe zu weiteren derartigen Überlegungen Baudy 1991. 359Tac.

146

3  Roms Keltenkriege

werten.363 Es lässt sich nicht gänzlich ausschließen, dass keltische Anführer von Römern über die Eroberung Roms in der Frühzeit der Republik erfahren hatten und diese Überlieferung nun ihrerseits einsetzten, um einen Aufstand gegen die Römer zu motivieren. Vermutlich wird es sich hierbei jedoch um eine historiografische Konstruktion handeln, die Tacitus entweder übernahm oder selbst erfand, um auf die potentielle Gefahr hinzuweisen, die von den Völkern nördlich der Alpen ausging und wohl noch mehr auf den Schaden, den der Bürgerkrieg angerichtet hatte.364 Den Gedanken, dass eine Zwietracht im Inneren bedrohliche Folgen für die römische Herrschaft nach außen hätte, hatte ja, wie gesehen, bereits u. a. Livius sowohl in der Darstellung der ‚Gallischen Katastrophe‘ als auch anderer Niederlagen Roms formuliert.365 Im Bellum Civile des Lucan setzen Pompeius und andere Römer Caesars Angriff auf Italien mit dem Einfall der Gallier gleich.366 Dieses Motiv findet sich später auch bei Appian wieder, in dessen Darstellung der römischen Bürger­ kriege zudem bisweilen betont wird, dass die Grausamkeit einzelner Individuen oder Gruppen in diesen Konflikten noch die der Gallier bei der Einnahme Roms

363Tac.

Hist. 4,54,1–3. bereits Urban 1999, 73–75, bes. 73 f.: „Wieweit das Ereignis dagegen im Bewußtsein der Gallier Spuren hinterlassen hat, ist eine ganz andere, mit unseren Mitteln nicht zu beantwortende, Frage. Hinzuweisen ist allerdings auf das Fehlen eines ausgeprägten gallischen Nationalbewußtseins und einer gallischen Literatur. Eine entsprechende Wirkungsgeschichte ist deshalb nicht unbedingt zu erwarten.“ Gleichwohl bleibt die Möglichkeit, dass Gallier und Germanen im ersten Jahrhundert nach Chr. durch den Kontakt mit Römern auch von der Eroberung Roms zu Beginn der Republik erfahren hatten, was sie nun im Sinne eigener Geschichtskonstruktionen einsetzen konnten. Die Gestaltung der vorliegenden Passage ist in dieser Form hingegen in jedem Fall durch die historische ‚Erinnerung‘ an das Ereignis in der römischen Geschichtskultur geprägt, was sich u. a. in der besonderen Betonung des Kapitols als Symbol für Roms Herrschaft zeigt (vgl. auch hier bereits Urban 1999, 74). 365In Hinsicht auf Tac. 4,54,2–3 siehe wieder Urban 1999, 74 („Gut römisch ist, wie gesagt, auch die gleich dreifache (54,1 und 3; 55,4) Betonung der Gefährdung der Weltherschaft durch die Auseinandersetzungen im Inneren.“). Vgl. oben Abschn. 3.1.5. 366Siehe Lucan. 2,534–536. In 5,27–34 zieht Lentulus einen Vergleich zwischen der Situation des Exilsenates in Griechenland mit derjenigen der Römer während der Besatzung Roms durch die Gallier. Zu dieser Zeit habe sich Camillus in Veii aufgehalten, wodurch der Fortbestand des römischen Staates gewährleistet gewesen wäre. Der Vergleich zielt natürlich darauf ab, dass auch in der gegebenen Situation die Legitimität des Exilsenates nicht an den Ort Rom gebunden sei. Hierin unterscheidet sich die Argumentation des Lentulus nicht unwesentlich von der bei Livius gebotenen Deutung, wo ja gerade betont wird, wie sehr es Camillus darauf angekommen sei, seinen Auftrag zur militärischen Führung eben nicht nur von den Exilrömern in Veii, sondern von den republikanischen Rumpfinstitutionen auf dem Kapitol absegnen zu lassen (vgl. oben Abschn. 3.1.5). Ob sich die kurze Passage bei Lucan daher dafür eignet, als Evidenz für die von Skutsch vermutete Existenz einer anderen Überlieferungsvariante dienen zu können, darf, wie oben bereits angemerkt, bezweifelt werden vgl. oben Abschn. 3.1.3). Der Hinweis auf eine legitime Führung in Rom konnte an dieser Stelle nicht in Lentulus’ Interesse liegen und wurde daher von Lucan übergangen. An anderer Stelle suggeriert Pompeius seinen Anhängern gegenüber, dass er als zweiter Camillus Rom vor der Invasion retten werde (Lucan. 7,358–360). Vgl. zu diesen Passagen u. a. Gaertner 2008, 49–51. 364Vgl.

3.1  Die ‚Gallische Katastrophe‘

147

übertreffe.367 Tatsächlich hatte ja bereits Cicero die Situation vor dem Einmarsch Caesars in Italien mit dem Einfall der Gallier vor der Schlacht an der Allia in Verbindung gebracht (siehe oben). Vielleicht gehen die Vergleiche bei Lucan oder Appian auf zeitgenössische Vorwürfe unter den Bürgerkriegsgegnern bzw. frühere Schilderungen der Ereignisse zurück. So erwägt Gaertner ein ähnliches literarisches Motiv bereits bei Livius, der Lucan hier als Vorlage gedient haben könnte.368 Zudem hatten ja auch bereits Ciceros Invektiven gegen M. Antonius Beispiele dafür geboten, wie der Vergleich mit den Galliern, die Rom angreifen, auch in anderen Zusammenhängen für eine Attacke auf innenpolitische Gegner genutzt werden konnte. Seneca nutzte die Anspielung auf die ‚Gallische Katastrophe‘ im Rahmen seiner Abrechnung mit dem kurz zuvor verstorbenen Kaiser Claudius. Dieser sei schließlich einst im keltischen Lugdunum geboren worden, was ihn zu einem Gallier gemacht habe, und als wahrer Gallier habe er eben das getan, wonach jeder Gallier strebe – Rom zu erobern.369 Vielleicht ist dieser Angriff auch mit dem bei Tacitus überlieferten Protest der Senatoren gegen die Zulassung von Eliten aus den gallischen Provinzen zum Senat in Verbindung zu sehen.370 In den Punica des Silius Italicus stehen naturgemäß die Kämpfe des Hannibalkrieges im Vordergrund, weshalb dieses Werk erst im entsprechenden Kapitel an späterer Stelle besprochen werden soll, doch sei bereits hier darauf hingewiesen, dass in diesem Epos mehrfach auf die ‚Gallische Katastrophe‘ verwiesen wird. Die entsprechenden Stellen beziehen sich dabei nahezu ausschließlich auf die Bedrohung des Kapitols durch die gallischen Angreifer, deren Nachfahren nun unter Hannibals Kommando wieder auf Rom marschieren, um das alte Ziel der vollständigen Eroberung der Stadt, mitsamt des Kapitols, unter ihrem punischen Feldherrn zu verwirklichen, der ebenfalls nach diesem Ziel strebt.371

367App.

civ. 2,50,205. 2008, 49–51. 369Sen. apocol. 6,1 (ego tibi dico, quae cum illo tot annis vixi: Luguduni natus est, Marci muni­ cipem vides. quod tibi narro, ad sextum decimum lapidem natus est a Vienna, Gallus germanus. itaque, quod Gallum facere oportebat, Romam cepit.). Vgl. Williams 2001, 182. 370Tac. ann. 11,23. Die Antwort des Kaisers in Tac. ann. 11,24 ist bekanntlich auch inschriftlich überliefert (CIL 13,1668 = ILS 212). In beiden Versionen der Rede des Kaisers hebt dieser hervor, dass der römische Senat bereits in früheren Generationen stets durch Mitglieder aus anderen Volksgruppen ergänzt worden war, was als Hinweis darauf gedeutet werden kann, dass die Senatoren tatsächlich mit dem Argument der Fremdheit gegen die Aufnahme gallischer Senatoren agitierten. Ob sie dabei dann tatsächlich auch auf die ‚Gallische Katastrophe‘ als Negativbeispiel zurückgriffen, muss natürlich offen bleiben, vor dem Hintergrund der Verwendung dieser Invektive in anderen Kontexten scheint dies jedoch immerhin denkbar. 371Siehe nur Sil. 4,150–153; 6,555–556; 8,624–655 sowie 13,79–81 (vgl. hierzu Spaltenstein 1990, 211). In Sil. 13,1–2 ist es der tarpeische Hügel (Tarpeia […] culmina), der auf dem Rückzug der Karthager aus Hannibals Blickfeld entschwindet, was sein Scheitern verdeutlicht. Vgl. insgesamt zu diesen Passagen unten Abschn. 5.2.7. 368Gaertner

148

3  Roms Keltenkriege

3.1.8  Ausblick – die weitere Erinnerung an die ‚Gallische Katastrophe‘ Die ‚Gallische Katastrophe‘ blieb auch in der Geschichtskultur der Spätantike als eines der wohl bekanntesten Ereignisse der Geschichte der Republik präsent. Eine gewisse Prominenz kann dabei bis zum Ende des weströmischen Reiches in Hinsicht auf Camillus konstatiert werden, der in unterschiedlichen Kontexen als exemplum dienen konnte.372 Ein Punkt, an den spätantike Autoren in diesem Zusammenhang anschließen konnten, war die Rolle des Camillus als erfolgreicher Verteidiger Roms gegen einen barbarischen Angriff aus dem Norden. Dies konnte auch vor dem Hintergrund äußerer Bedrohungen in der Spätantike (wieder) relevant erscheinen. Camillus hatte zwar gegen Kelten gekämpft, doch blieb eine Gleichsetzung von Kelten bzw. Galliern und Germanen bis in die Spätantike hinein möglich, wenn dies den jeweils verfolgten rhetorischen, historiografischen oder geschichtsphilosophischen Intentionen des Verfassers zuträglich schien. So konnte Camillus bei Autoren wie Claudian als exemplum dafür dienen, dass sich „schon einmal ein Römer gegen den Feind der Gegenwart behauptet hatte“.373 Daneben blieb, so Felmy, Camillus auch als moralisches exemplum relevant, da er seine Heimatstadt trotz seiner Verbannung, die auf ungerechtfertigen Anschuldigungen beruht hatte, nicht im Stich gelassen hatte, sondern zurückgekehrt war um sie zu verteidigen.374 Neben der Gestalt des Camillus, dessen Legende „bis in die byzantinische Zeit hinein Veränderungen unterworfen“ war, behielt die Einnahme Roms durch die Gallier der ‚Gallischen Katastrophe‘ noch in der Spätantike eine gewisse Sonderstellung in der historischen Erinnerung an die Geschichte der Republik. Die Eroberung Roms durch Alarich im Jahr 410 n. Chr. konnte vor diesem Hintergrund eine erneute Erinnerung an die alte Niederlage evozieren. Dies wird zum Beispiel in der Geschichtsreflexion des Rutilius Namatianus erkennbar, der die Eroberung Roms durch die Gallier in eine Reihe mit den Niederlagen gegen Samniten, Pyrrhos und Hannibal stellt, um aus der Erfahrung dieser Schlachten der Vergangenheit für die eigene Gegenwart (vermeintlich) zuversichtlich abzuleiten, dass Rom, wie stets zuvor, auch aus der jüngsten Niederlage wieder gestärkt hervorgehen werde – denn „was nicht untergehen kann, taucht mit größerer Kraft wieder auf und schwingt sich aus der tiefsten Tiefe nur höher empor“ und so „wie die gesenkte Fackel neue Kräfte schöpft“, strebe auch Rom „aus tiefer Schmach leuchtender zur Höhe“. Denn der ordo renascendi, den Rutilius am Ende dieser Passage beschwört, sei die römische Fähigkeit, jene Kraft, „am Leide zu wachsen“ (crescere malis).375 Durch die vorangegangene Aufzählung der römischen Desas-

372Siehe

hierzu umfassend Felmy 2001, 125–159. Vgl. Walter 2004a, 406 f. 2001, 126. Siehe ebd., 135–142 zu einer detaillierten Analyse einzelner Passagen. 374Siehe die Hinweise hierzu bei Felmy 2001, 128–134. 375Rut. Nam. 1,115–140, hier bes. 125–132; 140 (Übersetzung: E. Doblhofer). 373Felmy

3.2  Selbstopfer für die res publica und Helden der Barbaren

149

ter der Vergangenheit ist es unzweifelhaft, aus welchen historischen Erfahrungen Rutilius meint, jene spezifischen Kräfte und Fähigkeiten ableiten zu können. Es ist dabei bemerkenswert, dass es sich hierbei ausschließlich um Niederlagen aus der Zeit der Republik handelt. Die ferne Vergangenheit war bereits am Ende der Republik in ‚großen Erzählungen‘, wie der des Livius, dargestellt, und die Niederlagen dieser Zeit im Rahmen eines Narrativs von Rückschlägen, auf die stets ein neuer Aufstieg folgte, gedeutet worden. Entgegen der Hoffnungen des Rutilius wiederholte sich dieser Zyklus nun nicht wieder. Mehr als acht Jahrhunderte, nachdem ein gallisches Plünderunternehmen zur Einnahme Roms geführt hatte, entstand auf den Trümmern des weströmischen Reiches eine neue Welt, in der Rutilius’ Idee eines ewigen Roms in ganz anderer Form weitergetragen wurde.376

3.2  Selbstopfer für die res publica und Helden der Barbaren – Niederlagen in Keltenkriegen des 3. und 2. Jahrhunderts Von etwaigen weiteren römischen Niederlagen gegen Kelten im vierten Jahrhundert haben sich praktisch keine Nachrichten erhalten, sodass auch keine entsprechenden Spuren in der römischen Geschichtskultur auszumachen sind. Für die Keltenkriege des dritten Jahrhunderts sind indes vier größere Niederlagen römischer Heere gegen Kelten überliefert: 295 bei Clusium (tatsächlich wohl bei Camerinum in Umbrien377), 284 bei Arretium, 225 bei Faesulae und 216 im Wald Litana.378 Zum ersten Kampf in dieser Liste äußert sich allein Livius, der allerdings dabei einen Einblick in die offenbar divergierende Quellenlage gibt, die ihm vorlag.379 Demnach operierte Q. Fabius Maximus Rullianus, einer der Konsuln des

376Siehe

hierzu einführend Meier/Patzold 2010, 69–82. 10,26,8–15. Siehe hierzu Dyson 1985, 23; Birkhan 1997, 109 f. 378Zur Niederlage bei Camerinum siehe Liv. 10,26,8–15. Vgl. hierzu Dyson 1985, 23; Birkhan 1997, 109 f.; Oakley 2005, 285–288; Grossmann 2009, 131–134; zu Arretium Pol. 2,19,8; Dion. Hal. 19,13,1–3; Liv. per. 12; Flor. 1,8,21; Eutrop. 2,10; App. Kelt. 11; App. Sam. 6; August. Div. 3,17,2; Oros. 3,22,13–14. Vgl. u. a. Dyson 1985, 25; Birkhan 1997, 111; Cunliffe 1999, 77; Blösel 2015, 75; zu Faesulae Pol. 2,23,5 (L. Aemilius wird nach Ariminum und ein Praetor wird nach Etrurien gesandt); 2,25,5–10 (Schlacht von Faesulae). Siehe hierzu Walbank 1957, 203 f.; Dyson 1985, 29; zum Wald Litana Pol. 3,118,6; Liv. 23,24,11–12. Siehe auch Frontin. strat. 1,6,4. Die Wahl des römischen Feldherrn, der im Wald Litana mit seinem Heer unterlag und dabei selbst fiel, L. Postumius Albinus (in absentia) für das Jahr 215, ist in der römischen Überlieferung gut belegt (Liv. 23,24,3; 23,24,6; 23,31,12; Fast. Cap. Chronograph). Sie sollte deswegen auch nicht ohne gute Argumente als „annalistische Erfindung“ (T. Schmitt, DNP 10 (2001), 223, s. v. Postumius Albinus) abgetan werden. Im Allgemeinen wird die Authentizität der Wahl daher nicht angezweifelt. Vgl. u. a. Münzer 1953, 913; Broughton 1951, 253; Lazenby 1978/1998, 94; Seibert 1993a, 226; Brennan 2000, 195; Goldsworthy 2000, 227 f. 379Liv. 10,26,10–12. 377Liv.

150

3  Roms Keltenkriege

Jahres, mit seinen Legionen in Etrurien, bis er nach Rom zurückgerufen wurde.380 Das Kommando über das Heerlager bei Clusium, in dem Fabius nach Livius eine Legion zurückließ, soll der Konsul dem „Propraetor“ L. Cornelius Scipio übergeben haben.381 Noch bevor Fabius mit dem Hauptheer und seinem Kollegen P. Decius Mus zurückkehrte, sei ein großes Heer von keltischen Senonen in der Nähe von Clusium aufgetaucht, woraufhin sich Scipio zur Schlacht entschlossen habe. Diese sei jedoch von ihm schlecht geplant gewesen, sodass die Legion, aufgrund mangelnder Aufklärung des Operationsgebietes, von den Kelten eingekreist und geschlagen wurde. Die Niederlage sei, nach Livius, von einigen Autoren generell geleugnet worden, was Livius wiederum als unglaubwürdig ansieht. Er selbst scheint in dem römischen Befehlshaber L. Cornelius Scipio den Verantwortlichen für die Niederlage gesehen zu haben, da dieser das Heer ohne ausreichende Aufklärung in das Operationsgebiet geführt habe.382 Dass der später mit hohem militärischem Ruhm bedachte Konsul Fabius Rullianus – nach Livius – noch vor dem Zusammentreffen mit den Kelten nach Rom aufgebrochen sein soll, wurde in der Forschung zudem angezweifelt.383 Der Grund für den Aufbruch nach Rom war offenbar bereits in Livius’ Quellen unklar, was die gesamte Reise in der Tat zumindest fragwürdig erscheinen lässt. Womöglich wurde der spätere Sieger von Sentinum also in der historiografischen Überlieferung nachträglich entlastet, indem die zwischenzeitliche Reise des Rullianus nach Rom in die Darstellung eingefügt wurde.384 Eine Verschleierung der tatsächlichen Hintergründe der Niederlage wurde auch im Fall der Schlacht von Arretium im Jahr 284 vermutet. Im Zusammenhang mit diesem Gefecht wird in einer Reihe von Quellen berichtet, dass die Kelten nicht, wie von Polybios dargelegt, nach Süden vorstießen um ‚lediglich‘ zu plündern, sondern von italischen Gegnern der Römer als Söldner angeworben worden waren.385 Falls dies tatsächlich der Fall gewesen sein sollte, stellt sich die Frage, ob Polybios diese Hintergründe ausließ, da er seine Darstellung der keltisch-römischen Kriege in dieser Zeit möglichst knapp halten wollte, oder ob bereits seine (mutmaßliche) Quelle Q. Fabius Pictor hierüber nichts berichtete. Im letzteren Fall besteht die Möglichkeit, dass Pictor dies mit der Intention tat, in seinem Werk den Eindruck von einer gesamtitalischen Einigkeit und eines Zusammenhaltes gegen externe Feinde zu erwecken. Ein solches Bestreben wurde ihm zumindest in ­Teilen der

380Die

Gründe für diese Rückberufung nach Rom waren in der römischen Geschichtsschreibung offenbar umstritten. Siehe Liv. 10,25,11–18, der angibt in seinen Vorlagen verschiedene Versionen gefunden zu haben. Vgl. Oakley 2005, 272–274. 381Liv. 10,25,11. 382Liv. 10,26,9. 383Siehe nur Harris 1971, 71; Oakley 2005, 287. 384Vgl. in diesem Sinne bereits Grossmann 2009, 133 f. Dass die Version, in der Fabius Rullianus vor der Niederlage nach Rom abberufen worden war, tatsächlich auf Q. Fabius Pictor zurückgeht, wie von Grossmann erwogen lässt sich wiederum nicht mehr nachweisen. 385Dion. Hal. 19,13,1–3; Liv. per. 12; Flor. 1,8,21; Eutrop. 2,10; App. Kelt. 11; App. Sam. 6; August. Div. 3,17,2. Vgl. Dyson 1985, 25.

3.2  Selbstopfer für die res publica und Helden der Barbaren

151

Forschung in Hinsicht auf seine Darstellung der Keltenkriege der zwanziger Jahre zugeschrieben.386 Angesichts der fragmentarischen Quellenlage müssen diese Überlegungen freilich zwangsläufig spekulativ bleiben. Die Niederlage im Wald Litana scheint vor allem auf der Seite der keltischen Sieger als erinnerungswürdig empfunden worden zu sein, falls es denn tatsächlich der Fall war, dass die Kelten die Hirnschale des getöteten Feldherrn L. Postumius vergoldeten und für Generationen als Trinkgefäß nutzten. Der Tod des Postumius im Kampf konnte zudem als ein Beispiel für die Feldherren Roms gewertet werden, die im Kampf gegen Hannibal ihr Leben ließen. Die gleiche Prominenz, wie sie für den Tod des L. Aemilius Paullus bei Cannae oder für die beiden Scipionenbrüder, die in Spanien fielen, aufgezeigt werden kann, besaß das Ende des Postumius dabei allerdings nicht.387 Bei Livius wird die Niederlage mit dem Hinterhalt der Kelten erklärt, denen es in dem unwegsamen Wald gelungen sei, die Legionen im Nahkampf aufzureiben, was wohl auch ungefähr dem tatsächlichen Geschehen entsprochen haben dürfte.388 Die Betonung des tapferen Kampfes des Postumius, der sich mit leidenschaftlichem Einsatz dagegen gewehrt haben soll, in Gefangenschaft zu geraten – einen Tod auf dem Schlachtfeld also vorzog –, reiht sich ein in ähnliche Schilderungen, die sich bei Livius auch im Zusammenhang mit dem Tod anderer Feldherren im Kampf finden lassen.389 Die römischen Niederlagen in Oberitalien gegen Kelten und gegen Ligurer sind vor allem durch Livius überliefert, der für seine Darstellung auf Werke von Vorgängern zurückgreift, die er teilweise auch namentlich nennt. Die Niederlage des Praetors Cn. Baebius Tamphilus ist allein aus der historiografischen Überlieferung bekannt. Der Bericht bei Livius nimmt dabei nur wenige Zeilen ein.390 Demnach sei Baebius „leichtfertig“ in das Gebiet der Insubrer eingefallen und wurde daraufhin mit nahezu seinem gesamten Heer eingeschlossen. Die Römer hätten in dem folgenden Kampf 6700 Soldaten verloren. Als besonders gravierend scheint es Livius anzusehen, dass Baebius eine so große Niederlage in einem Krieg herbeiführte, den man, aufgrund der Siege des Vorjahres, bereits zu fürchten aufgehört hatte.391 Der relativ knappe Bericht des Livius vermittelt also den

386So

bei Beck/Walter 22005, 131. Siehe zudem die Auflistung des Aufgebotes von Römern und Verbündeten für das Jahr 225 bei Pol. 2,24,1–17 und vgl. hierzu Walbank 1957, 196–203 (196: „P.’s figures evidently go back through Fabius to the actual καταγραϕαί, and are mainly reliable […]“). 387z. B. bei Cic. Tusc. 1,89. 388Liv. 23,24,7–11. 389Liv. 23,24,11. 390Liv. 32,7,5–7. 391Liv. 37,7,5–7 (5–6: Eodem anno Cn. Baebius Tamphilus, qui ab C. Aurelio, consule anni prio­ ris, provinciam Galliam acceperat, temere ingressus Gallorum Insubrum fines prope cum toto exercitu est circumventus: supra sex milia et septingentos milites amisit; tanta ex eo bello, quod iam timeri desierat, clades accepta est. Ea res L. Lentulum consulem ab urbe excivit.). Vgl. hierzu Clark 2014b, 110 („This suggests that the triumph of the previous year, however unconventional, ought to have put an end to concerns in the north.“) mit weiteren Hinweisen.

152

3  Roms Keltenkriege

Eindruck eines leichtsinnigen Feldherrn, der seine Truppen ohne jede Notwendigkeit ins Verderben geführt habe. In der römischen Geschichtskultur scheint dieses Ereignis freilich keine tieferen Spuren hinterlassen zu haben. Ausführlicher äußert sich Livius zu einem Feldzug, den M. Claudius Marcellus im Jahr 196 führte.392 Demnach habe der Konsul zunächst im Gebiet der Boier operiert, wo die Römer von einer größeren Truppe der Kelten angegriffen wurden, als sie gerade dabei waren, das Lager aufzuschlagen. Bei diesem Angriff sollen etwa 3000 Soldaten des Marcellus gefallen sein, darunter einige hochrangige Offiziere, die Livius namentlich nennt.393 Da die Boier aufgrund ihres unsteten Charakters, der für Kelten typisch sei, nicht in der Lage gewesen seien, das römische Lager einzunehmen, sei diese Niederlage allerdings ohne weitere Folgen geblieben. Marcellus sei anschließend über den Po in das Gebiet der Insubrer vorgerückt, wo er seine Armee zu einem großen Sieg über diese Gruppe führte, bei dem 40.000 Gegner getötet worden seien.394 Interessanterweise merkt Livius am Ende des Kapitels an, dass in den Darstellungen des Feldzuges, die er in seinen Quellen vorgefunden hatte, die Reihenfolge, in der beide Operationen durchgeführt wurden, variierte. Daher sei es unklar, ob der Sieg über die Insubrer die Niederlage gegen die Boier in Vergessenheit geraten ließ oder ob umgekehrt die Niederlage auf den Sieg folgte und diesen so seines Glanzes beraubte.395 Welche der beiden Varianten den historischen Ablauf des Geschehens korrekt wiedergibt, lässt sich nicht mehr klären. Möglicherweise jedoch wurde die Darstellung des Feldzuges insofern nachträglich beschönigt, als dass die Reihenfolge der Operationen vertauscht wurde, um den Eindruck zu erwecken, der Konsul Marcellus habe eine Niederlage, die zudem durch einen Überfall der Boier und nicht in offener Feldschlacht herbeigeführt worden war, durch einen glorreichen Sieg vollständig ausgeglichen.396 Die Niederlage des Q. Marcius Philippus gegen die Apuani in Ligurien sei, nach Livius, dadurch ausgelöst worden, dass der Konsul seine Truppen zu tief in das unwegsame Territorium der Ligurer geführt habe, wo er mit seinen Soldaten in einen Hinterhalt geraten sei und nach einem verlustreichen Kampf (angeblich ca. 4000 Gefallene) in offenbar ungeordnetem Rückzug aus dem ligurischen Gebiet geflohen sei.397 Immerhin bemerkenswert ist es, dass der Ort des Kampfes laut

392Liv. 33,36,4–15. Vgl. FRH 15 F 35 = FRHist 25 F 38; Oros. 4,20,11. Vgl hierzu auch den Kommentar in FRHist II, 320. 393Liv. 33,36,4–5. Auch den Namen des keltischen Anführers, Corolamus, kennt Livius übrigens, was in den Berichten über die Keltenkriege insgesamt eher selten vorkommt. 394Liv. 33,36,9–14. 395Liv. 33,36,15 (Id quoque inter scriptores ambigitur, utrum in Boios prius an Insubres con­ sul exercitum duxerit adversamque prospera pugna oblitteraverit, an victoria ad Comum parta deformata clade in Bois accepta sit.). Mit dem Hinweis auf diese Stelle zuletzt Clark 2014b, 4–7. 396Clark 2014b, 4–7. 397Liv. 34,20,5–8.

3.2  Selbstopfer für die res publica und Helden der Barbaren

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Livius fortan saltus Marcius genannt wurde, was an diese Niederlage erinnerte, obwohl Marcius danach gestrebt habe, die Kunde von seinem Misserfolg zu unterdrücken.398 Abgesehen von dieser Stelle bei Livius finden sich in der antiken Überlieferung keine weiteren Erwähnungen dieses Toponyms, sodass ungewiss bleiben muss, wie bekannt es überhaupt war und inwiefern es bei denen, die es kannten, mit der Niederlage des Marcius verbunden wurde.399 Zu weiteren Operationen mit aus römischer Sicht zumindest teilweise negativem Verlauf finden sich verstreute Hinweise in verschiedenen Quellen.400 Eine Niederlage des Ap. Claudius Pulcher im Jahr 143 gegen die Salasser sei durch einen Rat aus den Sibyllinischen Büchern überwunden worden, nach dem die Römer für einen Erfolg im Krieg gegen die Kelten in keltischem Gebiet ein Opfer bringen müssten.401 Den Untergang des L. Cassius Longinus im Jahr 107 schließlich, der mit seinem Heer den Tigurinern unterlag und in dieser Schlacht fiel, nutzte C. Iulius Caesar rund 50 Jahre später um sein aggressives Vorgehen gegen die ­Helvetier zu rechtfertigen. Diese hätten nämlich das Heer des Longinus besiegt und unter das Joch geschickt, weshalb ihnen auch nun nicht zu trauen sei.402 Ob durch Zufall oder durch den Beschluss der Götter sei es Caesar durch seinen militärischen Erfolg gelungen, nicht nur das Unrecht, das die res publica insgesamt erlitten habe, zu rächen, sondern auch für seine Familie Rache zu nehmen, da der Großvater seines Schwiegervaters, L. Calpurnius Piso, in jener Schlacht gefallen sei.403 Aus der Inhaltsangabe aus Livius’ (verlorenem) Buch 65 geht hervor, dass die römischen Soldaten, die die Schlacht überlebt hatten, mit den Helvetiern einen Vertrag ausgehandelt hatten, der es ihnen erlaubte a­bzuziehen, nachdem sie den Helvetiern Geiseln gestellt und die Hälfte ihrer Besitztümer übergeben

398Liv. 39,20,9–10 (Consul ubi primum ex hostium agro evasit, ne, quantum deminutae copiae forent, appareret in locis pacatis exercitum dimisit. Non tamen oblitterare famam rei male gestae potuit; nam saltus, unde eum Ligures fugaverant, Marcius est appellatus.). Vgl. Clark 2014b, 115 f. 399Dass es sich hierbei um eine recht entlegene Wildnis in Ligurien handelte, ist durchaus bemerkenswert, spricht aber wohl auch gegen eine weite Verbreitung der Kenntnis dieses Toponyms. Ob in der Niederlage des Q. Marcius Philippus tatsächlich die historischen Umstände der Bezeichnung des Gebietes liegen, ist nicht mehr zu klären. 400Neben den im Folgenden genannten Beispielen überliefern Livius, Valerius Maximus und weitere Autoren in Hinsicht auf den Tod des Q. Petilius Spurinus im Kampf gegen die Ligurer im Jahr 176 eine ungewöhnliche Episode. Demnach habe der Konsul selbst ein Vorzeichen auf sein baldiges Ende gegeben. Offenbar wurde ein taktisch bedeutender Höhenzug im Operationsgebiet Letum genannt. Petilius habe nun vor Beginn der Schlacht angekündigt, dass er an diesem Tag Letum, also „den Tod“, erringen werde. Noch zu Beginn der Schlacht sei Petilius dann gefallen. Diese sei dann jedoch für die Römer günstig ausgefallen (Liv. 41,17,6–18,16; Val. Max. 1,5,9; 2,7,15. Siehe ferner Front. Strat. 4,1,46). 401Obseq. 21. 402Caes. Gall. 1,7,4. 403Caes. Gall. 1,12,6–7.

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3  Roms Keltenkriege

hatten.404 Es wäre interessant zu erfahren, wie genau Livius diesen Vorgang geschildert hatte. Denn die Konstellation, in der sich eine römische Truppe in taktisch aussichtsloser Lage befindet, weshalb sie vor die Wahl gestellt ist, entweder Verhandlungen mit dem Feind aufzunehmen oder zu kämpfen und damit den eigenen Untergang in Kauf zu nehmen, wird in der historiografischen Darstellung von römischen Niederlagen wiederholt thematisiert, wobei narrative Verbindungen zu ähnlichen Situationen gezogen werden können.405 Caesar geht es in den betreffenden Passagen seines Berichtes jeweils darum, die Gefahr, die von den Helvetiern vermeintlich ausging, durch den Hinweis auf eine frühere Niederlage römischer Truppen gegen ein helvetisches Heer zu unterstreichen, weshalb er an gleich vier verschiedenen Stellen auf den Untergang der Armee des Longinus verweist.406 Vor diesem Hintergrund konnte er auf Details verzichten, wie sie Livius mutmaßlich berichtete. Mit der Ausnahme dieser Niederlage des L. Cassius Longinus haben die Misserfolge Roms in den Kriegen gegen Kelten und Ligurer im zweiten Jahrhundert in der römischen Geschichtskultur der Republik sowie der frühen und hohen Kaiserzeit – soweit erkennbar – keinen nennenswerten Niederschlag hinterlassen. Auch der Untergang des Longinus taucht in den vorliegenden republikanischen Quellen, aus den genannten Motiven, allein bei Caesar auf. Auch wenn sich also Spuren finden lassen, die diese Niederlagen in der römischen Geschichtskultur hinterlassen haben, ist der Kontrast zur vielfältigen Präsenz der „Gallischen Katastrophe“ vom Beginn des vierten Jahrhunderts in dieser Geschichtskultur in jedem Fall unverkennbar. Auf der Iberischen Halbinsel hatten römische Armeen im zweiten Jahrhundert Misserfolge in weitaus höherer Anzahl hinzunehmen.407 Die frühen Niederlagen römischer Heere, die sich nach dem Ende des zweiten römisch-karthagischen Krieges dort ereigneten, tauchen innerhalb der römischen Geschichtskultur ausschließlich in historiografischen Darstellungen auf. Livius berichtet dabei von den ersten drei dieser Schlachten in geradezu einsilbiger Kürze, und auch abseits des livianischen Berichtes, dessen Schwerpunkt für diese Jahre erkennbar nicht auf den Ereignissen in Spanien liegt, lassen sich kaum Spuren dieser Niederlagen in der römischen Geschichtskultur ausmachen.408 404Liv.

per. 65. hierzu ausführlicher die folgenden Hinweise zu den Niederlagen auf der Iberischen Halbinsel. 406Caes. Gall. 1,7,4; 1,12,5; 1,12,7; 1,13,2. 407Zu Roms Kriegen auf der Iberischen Halbinsel im zweiten Jahrhundert siehe (jeweils mit weiteren Nachweisen) u. a. Simon 1962; Gundel 1970; Rubinsohn 1981; Richardson 1986; Heftner 1997, 403–406; Clark 2014b, 147–171; Blösel 2015, 149–152. 408Die Belegstellen sind jeweils: Liv. 33,25,8–9, wo die Niederlage des C. Sempronius Tuditanus im Jahr 196 lediglich in indirekter Form durch das Eintreffen eines Briefes aus Spanien in Rom Erwähnung findet. App. Ib. 39 bietet einen vagen Hinweis auf anhaltende Unruhen auf der Iberischen Halbinsel, die dazu geführt hätten, dass M. Porcius Cato dorthin gesandt worden sei. Die verlustreichen Kämpfe, die Sex. Digitius 194 in Spanien führte, sind Livius ebenfalls nur wenige Zeilen wert (Liv. 35,1,1–2). Auch die Niederlage des L. Aemilius Paullus, die dieser als Pro405Siehe

3.2  Selbstopfer für die res publica und Helden der Barbaren

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In etwas umfangreicherer Form stellt Livius die Niederlage dar, die C. Calpurnius Piso und L. Quinctius Crispinus im Jahr 185 in Hispania Citerior hinnehmen mussten.409 Die Darstellung, die sich über insgesamt immerhin zwei Kapitel erstreckt, folgt dabei einem narrativen Schema, das auch aus Berichten über andere Niederlagen Roms in der römischen Historiografie bekannt ist: auf die Niederlage der Römer folgend kann in unmittelbarem Anschluss ein römischer Sieg errungen werden, der den vorangegangenen Misserfolg sowohl in quantitativer (Anzahl der Gefallenen) als auch in qualitativer (Folgen der Schlacht) Hinsicht übertrifft.410 Die Niederlage sei vor allem dadurch zustande gekommen, dass sich die Auseinandersetzung eher spontan aus einem Kampf zwischen den pabulato­ res beider Seiten entwickelt habe und dann in ungeordneter Weise eskaliert sei, wobei den Feinden der Römer auch die Vertrautheit mit dem Gelände zum Vorteil gereicht habe.411 Den bald folgenden Sieg erringen die Römer wiederum in einem ‚regulären‘ Treffen auf dem Schlachtfeld, wo die Hispani das römische Zentrum zwar durch einen wuchtigen, in Keilformation vorgetragenen, Angriff auf das römische Zentrum in Bedrängnis bringen können, doch siegen die Römer sowohl durch ihre überragende Disziplin als auch durch ihre taktische Überlegenheit, die sich zunächst in einer sorgfältigen Vorbereitung der Schlacht und dann auch im gelungenen Zusammenwirken verschiedener Waffengattungen manifestiert.412 Unabhängig davon, dass sich das Geschehen möglicherweise in etwa so abgespielt haben mag, bieten die beiden Kapitel also ein weiteres Beispiel für eine in der römischen Historiografie typische Handlungssequenz, die mit einer Niederlage unter widrigen Umständen beginnt, die nur wenig später, oft durch denselben Feldherrn, unter dessen Befehl die Niederlage zustande gekommen war, durch einen römischen Sieg nicht nur ausgeglichen, sondern sogar in den Schatten gestellt werden kann. Clark hat in diesem Zusammenhang die These aufgestellt, dass bereits der römische Senat im zweiten Jahrhundert danach strebte, Feldzüge dann zu beenden, wenn sich durch einen römischen Sieg ein günstiger Zeitpunkt hierfür bot – teilweise auch unabhängig davon, ob die Operationen in dem entsprechenden Gebiet damit tatsächlich zu einem für Rom erfolgreichen Abschluss gekommen waren. Das Streben, jede Niederlage im Rahmen einer „Monographie“

konsul in Spanien hinnehmen musste, schildert Livius lediglich in Form eines Berichtes an den Senat in Rom und in entsprechender Kürze (Liv. 37,46,7–8). Plutarch übergeht die Niederlage des Paullus in dem entsprechenden Kapitel der Aemilius-Biografie (Plut. Aem. 4) vollständig. 409Liv. 39,30–31. 410Für Römer und Bundesgenossen notiert Livius eine Anzahl von etwa 5000 Gefallenen (Liv. 39,30,6), auf spanischer Seite seien in dem zweiten Gefecht über 30.000 Tote zu beklagen gewesen (Liv. 39,31,14). Während die Römer sich von der Niederlage rasch erholen und die Gegner zurückschlagen können, sind ihre Gegner so stark geschwächt, dass die Kämpfe zu einem (vorläufigen) Ende gelangen. 411Liv. 39,30,2–3. 412Liv. 39,30,8–31,16.

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zu schildern, an deren Ende ein Sieg Roms stand, hat sich anscheinend auch in der römischen Historiografie niedergeschlagen.413 Die kompositionelle Anordnung des Geschehens muss demnach nicht erst von Livius selbst stammen. Folgt man Clarks These, liegt vielmehr die Vermutung nahe, dass bereits einige Geschichtsschreiber des zweiten Jahrhunderts die Operationen des Jahres 185 in einer Form darstellten, die der ähnelten, die bei Livius zu finden ist.414 Aufgrund des Verlustes dieser Quellen, lassen sich etwaige Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der Darstellungen allerdings nicht mehr nachvollziehen. Dies gilt weitgehend wiederum auch für die Art und Weise, in der Livius die weiteren Niederlagen römischer Armeen auf der Iberischen Halbinseln behandelt hat, die sich dort in den folgenden Jahrzehnten ereigneten. Aus den Periochae sind hierzu naturgemäß nur dürre Informationen zu entnehmen. Es hat allerdings den Anschein, dass die Misserfolge römischer Heere dort in den Jahren 154, 153 und 151 lediglich in geringem Umfang geschildert worden waren.415 Appian berichtet über den Feldzug des L. Mummius (pr. 153) allerdings in relativ ausführlicher Form und folgt dabei dem bereits erwähnten Erzählmuster von einem auf eine Niederlage direkt folgenden Sieg.416 Den Praetor des Jahres 151, Ser. Sulpicius Galba, beschreibt Appian als militärisch leichtsinnigen und hinterlistigen Feldherrn, dessen moralische Fehler sich zum einen daran zeigten, dass er die Gegner, die sich bereits ergeben hatten, in einem Massaker habe hinrichten lassen, zum anderen daran, dass er sich bei der Verteilung der Beute ausgesprochen habgierig verhalten habe.417 Inwiefern ähnliche Darstellungen vielleicht bereits bei Livius oder anderen Historiografen zu finden waren, lässt sich nicht mehr klären. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass in beiden Fällen wieder die bereits bekannte Abfolge des Geschehens geschildert wird: Auf eine Niederlage können die Römer auch hier schon bald darauf einen Sieg folgen lassen, bei dem die Verluste, die sie dem Gegner hinzufügen, deutlich höher sind als diejenigen, die ihnen zuvor selbst widerfuhren. Bemerkenswert ist es darüber hinaus, dass sich die Niederlage des Q. Fulvius Nobilior im Jahr 153 am Tag der Volcanalia, also am 23. August, ereignet haben soll. Dies habe

413Clark

2014b, 210 („What we can see in the wars of this period might thus be considered as an effort to have every conflict ‚read‘ like a monograph. Defeats were met by victories, and defeated commanders and armies were encouraged to re-engage after initial (and sometimes repeated) losses.“). 414Vgl. Clark 2014b, 99. 415Vermutlich wird man hier überwiegend knappe Notizen in der Form annehmen dürfen, wie sie für die fehlgeschlagenen Operationen der Jahre 196, 194 und 190 überliefert sind. Siehe Liv. per. 47 (Dort ist, wohl für die Jahre 154 und 153, lediglich allgemein festgehalten: Praeterea res in Hispania a compluribus parum prospere gestas continet.) und Liv. per. 48 (Ser. Sulpicius Galba praetor male adversus Lusitanos pugnavit.). Liv. per. 47 deckt zudem einen Zeitraum von fünf Jahren ab, was insgesamt weniger Raum zur Darstellung einzelner Ereignisse gelassen haben wird. Vgl. Brennan 1995, 55. 416App. Ib. 56–57. 417App. Ib. 58–60.

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nach Appian zur Folge gehabt, dass seitdem kein römischer Feldherr eine Schlacht an diesem Tag beginnen sollte, sofern er nicht durch äußere Umstände hierzu gezwungen sei.418 Im Jahr 147 begannen die Kämpfe der Lusitani und anderer Gruppen unter ihrem Anführer Viriathus gegen die Römer. Die Notizen zu diesem Heerführer, die sich der antiken Inhaltsangabe zu Livius’ Buch 52 noch entnehmen lassen, deuten darauf hin, dass Viriathus auch in dem vollständigen Bericht in durchaus umfangreicher Form dargestellt worden war.419 Appian stellt in seinem Werk eine Verbindung zwischen dem von Galba befohlenen Massaker an den Lusitani und der Erhebung unter Viriathus her, da dieser das Töten überlebt habe und in der Folgezeit Truppen sammelte, um eine Erhebung gegen die römischen Eroberer zu beginnen.420 Vielleicht fand sich dieser Zusammenhang bereits bei Livius oder seinen Vorgängern, was nicht unwahrscheinlich ist, da im livianischen Werk ja auch an anderer Stelle der Verlauf von einzelnen Schlachten und Feldzügen als Folge moralisch wertvollen oder verwerflichen Handelns gedeutet wird. Schließlich vermerkt zudem die Inhaltsangabe zu Buch 52, die in Papyrii aus Oxyrhynchos gefunden wurde, dass die Lusitani den Römern als Folge eines Unrechts eine schwere Niederlage beibrachten.421 Sueton weiß zudem aus seinen Quellen davon zu berichten, dass Galbas gebrochenes Versprechen den „Viriathischen Krieg“ herbeigeführt habe. Anscheinend war dieser Zusammenhang also in den Sueton vorliegenden Werken klar hervorgehoben worden.422 Viriathus wiederum wird in der Darstellung der Kampfhandlungen der folgenden Jahre bei Appian als Feldherr geschildert, der in strategischer wie auch in taktischer Hinsicht überaus besonnen und geschickt agiert und nach einigen Erfolgen einen Frieden mit den Römern schließt.423 Diesen kündigen diese jedoch kurz darauf auf, und der Prokonsul Q. Servilius Caepio kann erfolgreich die Ermordung des Viriathus ins Werk setzen.424 Anschließend berichtet Appian von den relativ aufwendigen Begräbnisfeierlichkeiten, die seine Anhänger für Viriathus durchgeführt hätten, und ehrt den Gegner Roms durch einen knappen Nekrolog, in dem

418App.

Ib. 45. Vgl. Forsythe 2012, 35, 37 f. Weitere Belege finden sich hierzu jedoch nicht, sodass unklar bleibt, ob römische Heerführer der nachfolgenden Generationen diesen Umstand auf ihren Kampagnen berücksichtigten. 419Immerhin ging Livius nämlich anscheinend auch auf die Herkunft des römischen Gegners ein. Siehe Liv. per. 52 (Viriathus in Hispania primum ex pastore venator, ex venatore latro, mox iusti quoque exercitus dux factus totam Lusitaniam occupavit). 420App. Ib. 60–61. 421Liv. Oxy. per. 52: A Lusitanis Romanorum peruria u[ltis gravis clades accepta. 422Suet. Galba 3,2. Siehe hierzu Simon 1962, 66. Einige Forscher sind dieser Deutung der antiken Quellen gefolgt, indem sie in dem von Galba befohlenen Massaker die Ursache der folgenden Kriege sehen. Siehe hierzu Rubinsohn 1981, 174 f., der eine Übersicht zu älteren Arbeiten bietet. 423App. Ib. 61–69. 424App. Ib. 71, 74.

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er diesem herausragende militärische Fähigkeiten, persönlichen Mut und moralische Integrität zuschreibt.425 Wiederum ist es durchaus wahrscheinlich, dass bereits frühere römische Autoren sich ähnlich positiv über Viriathus äußerten. So nannte Livius ihn offenbar einen „großen Mann und Heerführer“ (vir duxque mag­ nus), schilderte wohl ebenfalls die Begräbnisfeierlichkeiten und würdigte seine Leistungen in einem kurzen Rückblick.426 Valerius Maximus missbilligt zudem das Vorgehen des Caepio, das er als Beispiel für perfidia in seine Sammlung aufgenommen hat. Caepio habe sich seinen Sieg nicht verdient, sondern erkauft, was natürlich nicht dem moralischen Maßstab entspricht, der an einen römischen Feldherrn anzulegen ist.427 Florus nennt Viriathus sogar einen „spanischen Romulus“ (Hispaniae Romulus, was vermutlich auf eine entsprechend positive Schilderung bei Livius zurückgehen wird).428 Auch wenn die Zeugnisse hierfür insgesamt eher spärlich überliefert sind, scheint es also durchaus nicht abwegig, dass die Niederlagen römischer Armeen gegen Truppen unter dem Kommando des Viriathus in den Jahren 147–140 bereits in historiografischen Darstellungen römischer Autoren zurzeit der Republik, spätestens aber seit Livius, zum einen vor dem Hintergrund moralisch verwerflicher Vorgehensweisen der römischen Feldherren auf der Iberischen Halbinsel gedeutet wurden, zum anderen als Folge der herausragenden militärischen Fähigkeiten des

425App. Ib. 75. Siehe außerdem Simon 1962, 94 f. (mit weiterführenden Belegen) zu den zahlreichen Anekdoten, die sich in der antiken Überlieferung zu Viriathus finden lassen. In diesen wird besonders seine einfache Herkunft betont, die es ihm zum einen ermöglicht habe, im Krieg auch große Härten zu ertragen, ihn zum anderen immun gegen die Verführungen von Reichtum und Luxus gemacht habe, die er daher auch verachtet habe. Dies stellt nicht nur einen offensichtlichen Kontrast zum Charakter einiger seiner Gegner und auch dem seiner Mörder dar. Bei dieser materiellen Bescheidenheit, die zudem mit hoher physischer Widerstandskraft verbunden ist, handelt es sich um Tugenden, die auch erfolgreichen römischen Feldherren zugeschrieben wurden, die die Ideale altrömischer Anspruchslosigkeit und Sittenstrenge verkörperten (siehe nur Stein-Hölkeskamp 2002, 476 f.; Beck 2005a, 188 f. zur Stilisierung des M’. Curius Dentatus in der römischen Geschichtskultur, in der jener zum „exemplum eines frugalen Lebensstils, altrömischer Bedürfnislosigkeit und Unbestechlichkeit“ wurde, die gerade im zweiten Jahrhundert durch Autoren wie Ennius und Cato den Älteren als Kennzeichen altrömischer Natur von hohem moralisch-ethischem Wert angesehen wurde.). 426Liv. per. 54: Viriathus a proditoribus consilio Servilii Caepionis interfectus est et ab exercitu suo multum comploratus ac nobiliter sepultus, vir duxque magnus et per quattuordecim annos, quibus cum Romanis bellum gessit, frequentius superior. Vgl. Schulten 1917, 237; Simon 1962, 133 f. 427Val. Max. 9,6,4: Viriathi etiam caedes duplicem perfidiae accusationem recipit, in amicis quod eorum manibus interemptus est, in Q. Servilio Caepione consule quia is sceleris huius auctor impunitate promissa fuit, victoriamque non meruit sed emit. Vgl. Simon 1962, 133. 428Flor. epit. 1,33,15. Das positive Bild des Viriathus lebte, nach der Wiederentdeckung der antiken Quellen, bis in die Neuzeit fort. So wurde er in der nachantiken Rezeption, besonders im 19. Jahrhundert, zu einer populären Figur und einem portugiesischen Nationalhelden (siehe hierzu nur Cunliffe 1999, 13; Schulten 1917, 235; Rubinsohn 1981, 161). Noch Schulten 1917, 209, 215 f. verleiht seiner Faszination für den „großen barbarischen Volkshelden“ (209) mit pathetischen Worten Ausdruck.

3.2  Selbstopfer für die res publica und Helden der Barbaren

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ehemaligen Hirten, der bezeichnenderweise auch nicht durch einen Sieg auf dem Schlachtfeld, sondern nur durch einen Auftragsmord besiegt werden konnte. Die Qualitäten des Viriathus als Feldherr scheinen zudem bereits von Zeitgenossen der Kriege in Spanien durchaus anerkannt worden zu sein. Denn immerhin nennt Lucilius ihn in einem Vers neben Hannibal. Lucilius möchte die Niederlagen Roms gegen den karthagischen wie auch gegen den lusitanischen Feldherrn allerdings als Beleg dafür verstanden wissen, dass Rom auch und gerade nach schweren Rückschlägen letzten Endes doch siegreich aus jedem Krieg hervorgehe, wie zwei Fragmente zeigen, die, nach Nonius, beide aus dem 26. Buch des Lucilius stammen: „ut Romanus populus victus vi et superatus proeliis/ saepe est multis, bello vero numquam, in quo sunt omnia“, und, „contra flagitium nescire, bello vinci barbaro/Viriato, Annibale“.429 Die kurzen Passagen sind aus zwei Gründen aufschlussreich. Zunächst findet sich hier eine frühe Formulierung eines Gedankens, der in späteren Werken der römischen Geschichtskultur deutlicher greifbar wird –, nämlich der Idee, dass Rom auf dem Schlachtfeld oftmals besiegt werde, doch den Krieg insgesamt am Ende stets siegreich beenden könne.430 Die ‚vielen Schlachten‘, in denen das römische Volk besiegt worden ist, könnten sich bei Lucilius in erster Linie sogar auf den zähen Krieg in Spanien beziehen, an dem er offenbar selbst teilnahm und über den er in einer Reihe von Kriegsanekdoten auch in den Satiren schrieb. Der immer wieder von Rückschlägen gezeichnete Verlauf der Kriege auf der Iberischen Halbinsel war ein in Rom zwar vermutlich gerne verdrängtes, doch gleichzeitig auch präsentes Thema.431 Der Sieg über Numantia, das sich den Römern in den Vorjahren besonders vehement und erfolgreich widersetzt hatte, kann für Lucilius durchaus ein Anlass gewesen sein, diese Zeilen zu formulieren. Wenn der Dichter tatsächlich mit P. Cornelius Scipio Aemilianus befreundet war und in Spanien in

429Lucil.

613–614 M. = 683–684 K. = 591–592 C./G. und 615–616 M. = 685–686 K. = 593– 594 C./G. Christes 1971, 83 f. übersetzt: „wie das römische Volk besiegt durch Gewalt und überwunden worden ist oftmals in vielen Treffen, im Kriege aber niemals, worauf doch alles ankommt“ bzw. „dagegen die Schande nicht zu kennen, im Kriege von Barbaren wie Viriathus und Hannibal besiegt zu werden“. Siehe hierzu auch unten Abschn. 5.2.2. 430Zur Stelle siehe u. a. Clark 2018, 191. Vgl. zudem Liv. 9,18,9. Siehe dazu Oakley 2005, 234. 431Gerade in den Jahren vor dem Sieg über Numantia, der unter Scipios Kommando erfolgte, mussten römische Heere eine Reihe von teils schweren Niederlagen hinnehmen. So unterlagen die Römer in den Jahren 138 (unter M. Popilius Laenas) und 137 (unter C. Hostilius Mancinus) ihren spanischen Gegnern (siehe Broughton 1951, 484 für Nachweise). Cichorius 1908/1964, 29–40 diskutiert Fragmente der Satiren, die er mit den Kriegserlebnissen des Lucilius in Spanien in Verbindung bringt. Demnach habe Lucilius bereits seit 139 an den spanischen Feldzügen teilgenommen. Auf Basis von Lucil. 1324–1325 M. = 1340–1341 K. (vidimus abina) erwägt Cichorius 1908/1964, 37–39 zudem, dass Lucilius auch den Versuch der Römer, den ehemaligen Konsul C. Hostilius Mancinus an die Numantiner zu übergeben, miterlebt habe (vidimus wird als Hinweis auf eine Augenzeugenschaft gedeutet). Dies lässt sich freilich nicht belegen, auch wenn die Möglichkeit durchaus besteht. Die Vermutung, dass Lucilius dem spanischen Kriegsschauplatz allerdings eine besondere Beachtung geschenkt haben soll, ist insgesamt durchaus plausibel.

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3  Roms Keltenkriege

dessen ‚Stab‘ diente, dann läge die Verbindung Numantias mit der Herausstellung des Gedankens eines auch nach vielen Rückschlägen letztlich stets siegreichen Roms erst recht nahe.432 Auch das zweite Fragment stellt durch die Nennung des Viriathus, der kurz zuvor, im Jahr 139, ermordet worden war, eine Verbindung zu den Kriegen auf der Iberischen Halbinsel her und baut gleichzeitig eine Brücke zurück zum Zweiten Punischen Krieg – dort waren die Römer ja tatsächlich in vielen Schlachten besiegt worden, während am Ende ein römischer Sieg stand. Diese positive Sicht auf den römischen Sieg gegen Viriathus fand, wie gesehen, in der römischen Geschichtskultur offenbar keinen großen Widerhall. Lediglich die Eroberung Numantias konnte von späteren Generationen als wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu Roms Weltherrschaft gewertet werden.433 Aufgrund der äußerst schmalen Quellenbasis sind keine Aussagen darüber möglich, inwiefern die Zeitgenossen des Lucilius dessen Einschätzungen teilten. In der späteren Geschichtsschreibung scheint Viriathus dann jedenfalls, wie gesehen, vor allem als Figur von hoher moralischer Integrität gesehen worden zu sein. Außerhalb der Historiografie hat der Krieg gegen Viriathus in der römischen Geschichtskultur allerdings, soweit dies erkennbar ist, keine tieferen Spuren hinterlassen. Weit mehr als die bereits genannten Zeugnisse sind hierzu jedenfalls nicht auszumachen. Silius Italicus nennt indes immerhin einen Viriathus als Unterführer der Armee Hannibals im Katalog von dessen Truppen vor der Schlacht von Cannae.434

432Die Freundschaft der beiden Männer wird erwähnt bei Schol. Hor. sat. 2,1,72. Vgl. dazu Cic. de orat. 2,22 (Landgut Scipios bei Lavernium). Siehe auch Cichorius 1908/1964, 55 f., der herausarbeitet, dass der Landbesitz der Lucilii nahe beim Landgut Scipios bei Lavernium lag. Cichorius 1908/1964, 110–121 vermutete, die beiden Fragmente seien Teile einer Satire, die sich an einen jüngeren Historiker richtete, der beabsichtigte, ein Werk über die „alte Geschichte“ (vetus historia) zu schreiben (Lucil. 612 M. = 672 K.), wovon Lucilius ihm abgeraten habe. Lucilius habe dem jungen Mann stattdessen zugeredet, sich der jüngeren Vergangenheit zu widmen. Falls Cichorius’ Rekonstruktion richtig ist, könnte die Erwähnung Hannibals neben dem Namen des Viriathus darauf hindeuten, dass Lucilius seinem Freund empfahl, diese Zeitgeschichte mit dem Hannibalkrieg beginnen zu lassen. Allerdings wurde diese Rekonstruktion durch Christes 1971 mit plausiblen Argumenten infrage gestellt. So weist Christes (ebd., 26 f.) u. a. darauf hin, dass die Wendung vetus historia für „alte Geschichte“ sonst nirgends belegt sei. Diese Verse müssten demnach eine andere Bedeutung besitzen, wodurch die gesamte Rekonstruktion des Cichorius um die Anrede an einen ‚jungen Historiker‘ an dieser Stelle ins Wanken gerät. Christes 1971, 83 f. vermutet stattdessen, dass die beiden, in „epische[r] Diktion“ (83) verfassten Fragmente zu einer Einleitungssatire gehören, in welcher Lucilius „das Ansinnen abwehrt, sich statt der Satiren dem Epos zuzuwenden“ (ebd., 24). Siehe auch den Kommentar zur Stelle in Christes/Garbugino 2015. 433Siehe u. a. Cic. Phil. 4,5,13; Hor. carm. 2,12; Flor. 1,33,17. Vgl. Bane 1976, 410. 434Sil. 3,354–356 (hos Viriatus agit Lusitanumque remotis/extractum lustris, primo Viriatus in aeuo,/nomen Romanis †pactum† mox nobile damnis.). Zur Lesung der Passage siehe Spaltenstein 1986, 221 f. Kommentiert wird dies von Silius bei dieser Gelegenheit jedoch nicht, sodass diese Erwähnung durchaus auch nicht allen Rezipienten aufgefallen sein muss. Zu der Integration von Personen aus der Geschichte der Republik in die Schlachten des Hannibalkrieges in den Punica, in deren Zuge es auch dazu kommt, dass Protagonisten, die an den entsprechenden Kämpfen nicht teilgenommen haben, als Mitkämpfer genannt werden, siehe unten Abschn. 5.2.7.

3.2  Selbstopfer für die res publica und Helden der Barbaren

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Neben dem Krieg gegen Viriathus scheinen unter den römischen Niederlagen in den spanischen Provinzen im zweiten Jahrhundert noch die missglückten Operationen, die C. Hostilius Mancinus vor Numantia durchführte, eine relativ hohe Aufmerksamkeit in der römischen Geschichtskultur erfahren zu haben. Der Feldzug des Mancinus endete bekanntlich in der Kapitulation des römischen Heeres, dessen Feldherr mit den Numantinern ein Abkommen aushandelte, das vom Senat in Rom jedoch nicht ratifiziert wurde, der stattdessen entschied, Mancinus an die Numantiner auszuliefern, um dem Versprechen des Feldherrn Genüge zu tun und den Krieg gegen Numantia fortführen zu können.435 Aus der Inhaltsangabe zum 55. Buch des Livius lässt sich ableiten, dass dieser den Misserfolg des Mancinus in einem Umfang dargestellt hatte, der in jedem Fall über einige Zeilen hinausging. So sollen sich schon vor bzw. beim Aufbruch des Mancinus nach Spanien unheilvolle Vorzeichen ereignet haben, die seine Niederlage ankündigten.436 Diese Prodigien wird Livius wahrscheinlich bereits bei seinen Vorgängern vorgefunden haben, vielleicht gehen sie auch schon auf zeitgenössische Deutungen und Erklärungen der Niederlage zurück.437 Berichte zu jenen negativen Vorzeichen, die auf die Niederlage des Mancinus vorausgewiesen hätten, finden sich zudem noch bei einer Reihe von späteren Autoren, darunter Valerius Maximus, der sogar noch ein drittes Vorzeichen nennt, nämlich eine Schlange, die Mancinus auf einem zweiten Schiff vorgefunden habe, das er in Genua bestiegen habe, nachdem er, durch die bereits erwähnte Stimme gewarnt, einen Teil der Reise nach Spanien auf dem Landweg zurückgelegt hatte. Die Dreizahl der negativen Vorzeichen, die Mancinus auf seinem Weg nach Spanien begegneten, verbindet Valerius mit den drei calamitates, die dem Konsul anschließend widerfahren seien: die Niederlage in der Schlacht, der Abschluss eines schmachvollen Friedensvertrages und die Übergabe an die Feinde.438

435Zum

gescheiterten Feldzug des Mancinus und dessen Folgen siehe u. a. Cic. off. 3,109; rep. 3,28; Brut. 103; Liv. per. 55–56; Plut. Tib. Gr. 5–7; Flor. 1,34,5–6; 2,2,2; App. Ib. 80, 83. Vgl. hierzu Simon 1962, 146–155; Rosenstein 1986. 436Vgl. hierzu Engels 2007, 540 f. 437Liv. per. 55: C. Hostilio Mancino consule sacrificante pulli ex cavea evolaverunt; conscen­ denti deinde in navem, ut in Hispaniam proficisceretur, accidit vox: „Mane, Mancine“. Quae auspicia tristia fuisse eventu probatum est. Victus enim a Numantinis et castris exutus, cum spes nulla servandi exercitus esset, pacem cum his fecit ignominiosam, quam ratam esse senatus vetuit. XXXX milia Romanorum ab IIII milibus Numantinorum victa erant. 438Val. Max. 1,6,7 (im Anschluss an die Notizen der negativen Vorzeichen, die C. Flaminius vor der Schlacht am Trasimenischen See ignoriert haben soll): Flamini autem praecipitem audaciam C. Hostilius Mancinus vesana perseverantia subsequitur. cui consuli in Hispaniam ituro haec prodigia acciderunt: cum Lavinii sacrificium facere vellet, pulli cavea emissi in proximam silvam fugerunt summaque diligentia quaesiti reperiri nequiverunt. cum ab Herculis portu, quo pedibus pervenerat, navem conscenderet, talis vox sine ullo auctore ad aures eius pervenit: ‚Mancine, mane.‘ qua territus, cum itinere converso Genuam petisset et ibi scapham esset ingressus, anguis eximiae magnitudinis visus e conspectu abiit. ergo prodigiorum numerum numero calamitatium aequavit: infelici pugna, turpi foedere, deditione funesta. In Val. Max. 2,7,1 erwähnt Valerius die Niederlage des Mancinus ebenfalls, doch ohne dabei auf die Vorzeichen einzugehen. Zu weiteren Überlegungen siehe die Hinweise in Wardle 1998, 196.

162

3  Roms Keltenkriege

Es ist durchaus denkbar, dass die Berichte über die Vorzeichen schon zu Lebzeiten des Mancinus aufkamen oder zumindest in Schilderungen seines unglücklich verlaufenen Feldzuges enthalten waren, die vor dem Bericht des Livius entstanden sind. Die frühesten Belege für die Niederlage des Mancinus, die sicher zu greifen sind, finden sich allerdings verstreut in einigen Passagen bei Cicero.439 Die negativen Vorzeichen, auf die Livius und Valerius Maximus eingehen, erwähnt Cicero dabei indes nicht. Stattdessen stehen alle Passagen in einem Zusammenhang mit dem Vertrag, den Mancinus mit den Numantinern geschlossen hatte, bzw. mit den Reaktionen, die dies in Rom hervorgerufen hatte. So scheint Cicero der Ansicht gewesen zu sein, dass sich der Fall dafür eignete, um die Frage zu diskutieren, in welchen Fällen ein Römer sein Bürgerrecht verlieren konnte. Mancinus nämlich habe dieses keineswegs verloren, da die Numantiner seine Übergabe ja zurückgewiesen hatten, wodurch der ehemalige Feldherr wieder nach Rom zurückkehren konnte.440 Cicero lobt den Mancinus in diesem Zusammenhang gleich mehrfach als charakterlich vorbildlich und stellt ihn dabei an einer Stelle auch dem Q. Pompeius gegenüber, der i. J. 140 in ähnlicher Situation gegenüber den Numantinern ein Abkommen gebrochen habe. Eide seien aber auch im Krieg unbedingt einzuhalten.441 Zwar sind hierzu keine direkten Belege mehr erhalten, doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass Q. Pompeius bereits in Quellen, die Cicero bekannt waren, einen schlechten Leumund hatte und vielleicht in historiografischen Darstellungen der spanischen Kriege die Verantwortung für den Misserfolg zugeschrieben bekam.442 Der Umstand, dass Cicero es nicht für notwendig hält, seinen Lesern die Ereignisse, die zur Übergabe des Mancinus geführt haben, auch nur in groben Umrissen zu erläutern, weist wohl darauf hin, dass er mit einer gewissen Kenntnis des Falles rechnen konnte. Möglicherweise gehörte dieser – gewiss als ungewöhnlich und daher als markant empfundene – Fall zu denen, die in der Ausbildung römischer Redner und Juristen diskutiert wurden.443 In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass der Fall des Mancinus auch in der Sammlung des Quintilian auftaucht. Dort dient dieser als Beispiel für den abwägenden Vergleich zwischen zwei schlechten Alternativen, den der Rhetoriklehrer seinen Lesern als mögliche Vorgehensweise in einer Rede nahebringen möchte. So könne ein Angeklagter vor Gericht darauf plädieren, dass Schlimmeres eingetreten wäre, hätte er nicht so gehandelt, wie er es getan hatte. Mancinus etwa habe vor der Wahl gestanden,

439Cic.

har. esp. 43; Caecin. 98; rep. 3,28; de orat 1,181; 1,238; 2,137; off. 3,109. Caecin. 98. 441Cic. rep. 3,28; off. 3,107–109 (107: est autem ius etiam bellicum fidesque iuris iurandi saepe cum hoste servanda.). Der Vergleich zwischen C. Hostilius Mancinus und Q. Pompeius, in dem Mancinus’ Verhalten günstiger beurteilt wird, ist in eine Diskussion einer Reihe von Fällen in off. 3,109 eingeordnet. 442Jedenfalls weiß Cicero von der angeblich niedrigen Herkunft des Pompeius zu berichten (Cic. Verr. 2,5,181: humili atque obscuro loco natus.). Vgl. Garcia Riaza 2002, 89. 443Vgl. ähnlich bereits Nissen 1870, 55. 440Cic.

3.2  Selbstopfer für die res publica und Helden der Barbaren

163

ob er den Vertrag mit den Numantinern unter derart schlechten Bedingungen schließen sollte oder ob das römische Heer kämpfen solle, jedoch vernichtet werden würde. In dieser Situation entschied er sich für das „kleinere Übel“, also die Einwilligung in das Angebot der Numantiner.444 Die beiläufige Art und Weise, in der Quintilian auf den Fall des Mancinus anspielt, scheint – ähnlich wie bei der Erwähnung des Mancinus durch Cicero – anzuzeigen, dass dieser (angehenden) Rhetoren aus ihrer bisherigen Ausbildung geläufig war. Wenn man entsprechenden Zeugnissen aus Teilen der späteren Überlieferung Glauben schenkt, bieten diese Hinweise für den Umgang mit der Niederlage des Mancinus vonseiten des Feldherrn selbst und einigen seiner Zeitgenossen, die wiederum im Zusammenhang mit der Frage nach dem Umgang mit Niederlagen in der römischen Geschichtskultur relevant sind. So berichtet Plinius der Ältere, dass Mancinus nach seiner Rückkehr nach Rom eine Statue seiner selbst habe aufstellen lassen, die ihn im Moment der Übergabe an die Numantiner gezeigt habe, also offenbar als nackt und gefesselt.445 Sollte diese Statue tatsächlich in Rom aufgestellt worden sein, dann kann man sie wohl als Hinweis darauf deuten, dass Mancinus danach strebte, die Erinnerung an seine eigentliche Niederlage mit der Betonung seiner moralisch aufrechten Haltung danach, durch die er sich als Mann erwiesen habe, der Eide achtet und sein eigenes Wohlergehen hinter dem der res publica zurückstellt, gewissermaßen zu überdecken.446 Wie erfolgreich Mancinus dabei war, lässt sich schwer abschätzen. Cicero greift diese Deutung zwar in seinen Schriften auf, doch existierte daneben, wie gesehen, eine historiografische Tradition, in der offenbar vor allem von negativen Vorzeichen berichtet wurde, die nicht ausreichend beachtet worden waren. Die Deutung des Verhaltens des Mancinus scheint in der römischen Geschichtskultur der folgenden Jahrzehnte also durchaus unterschiedlich ausgefallen zu sein.447 Nach der Darstellung Appians sollen die Gegner des Mancinus mit einem historischen Beispiel argumentiert haben, das ihr Vorgehen zu rechtfertigen schien und somit als Präzedenzfall dienen konnte. Demnach hätte jene Mehrheit im Senat, die schließlich die Auslieferung des Mancinus an die Numantiner und die Fortsetzung des Krieges durchsetzen konnte, mit dem Hinweis argumentiert, dass die Feldherren, die einst mit einer römischen Armee bei Caudium in einen Hinterhalt der Samniten geraten waren, auch an jene Feinde ausgeliefert worden waren. Daraufhin hätten die Römer den Krieg bald wieder aufgenommen und zu einem erfolgreichen Ende gebracht. Eben auf diese Weise sei auch nun wieder zu verfahren.448 Ob Gegenspieler des Mancinus in der Numantia-Affäre tatsäch-

444Quint.

inst. 7,4,13. nat. 34,18. Vgl. u. a. Simon 1962, 157. 446In ähnlicher Weise bewertet diese Notiz bereits Gruen 1992, 120. 447Entschiedener für ein positives Bild des Mancinus in der römischen Geschichtskultur Simon 1962, 157. 448App. Ib. 360. 445Plin.

164

3  Roms Keltenkriege

lich mit dem historischen Beispiel Caudium argumentiert haben, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Allerdings trägt die Überlieferung der Niederlage aus dem zweiten Samnitenkrieg deutliche Spuren späterer Überarbeitung. Diese wiederum könnte im Rahmen einer Bezugnahme auf die Schlacht von Caudium in der Auseinandersetzung mit dem Misserfolg vor Numantia und der Beratung über das weitere Verfahren erfolgt sein. Dies ist freilich ebenso wenig sicher zu belegen wie schon eine mögliche Bezugnahme der Gegner des Mancinus auf die Niederlage des Samnitenkrieges.449 Abgesehen von der Frage nach dem weiteren Umgang mit dem glücklosen Mancinus und den unterschiedlichen Bewertungen, die dieser Fall bei Zeitgenossen und Nachgeborenen erfuhr, dürfte die Niederlage bei Numantia bereits in der Antike eine gewisse Prominenz auch dem Umstand verdankt haben, dass Ti. Sempronius Gracchus zu den Angehörigen des Stabes gehörte, die mit ihrem Feldherrn den Eid gegenüber den Numantinern geleistet hatten. Jedenfalls ist dies etwa für Plutarch ein Anlass, überhaupt über den Feldzug in Spanien zu berichten.450 Insgesamt scheinen im Zusammenhang mit der Niederlage des Mancinus weniger die militärischen Operationen vor Numantia Anlass für historische Bezüge in unterschiedlichen Medien der römischen Geschichtskultur gewesen zu sein, sondern eher die Verhandlungen mit den Numantinern und besonders die Folgen, die diese für Mancinus hatten. Der Abzug der Armee des Mancinus von Numantia scheint in der späteren Überlieferung zudem teilweise dramatisiert worden zu sein, etwa wenn dort berichtet wird, dass der Konsul und seine Soldaten unter dem Joch abzogen.451 Im Vergleich zu den anderen römischen Niederlagen auf der Iberischen Halbinsel im zweiten Jahrhundert vor Christus haben die Misserfolge gegen Viriathus und Numantia anscheinend noch relativ tiefe Spuren im sozialen Gedächtnis der römischen Republik hinterlassen. Immerhin gerieten sie offenbar nicht vollständig in Vergessenheit, sondern konnten noch zum Gegenstand von juristischen Erörterungen oder lehrreichen exempla werden. Verglichen mit den variantenreichen und langanhaltenden Auswirkungen, die die ‚Gallische Katastrophe‘ in dieser Hinsicht hatte, hatte die Erinnerung an die Niederlagen gegen Viriathus und Numantia jedoch eher geringe Ausmaße. Diese Beobachtung lädt dazu ein, in einer kurzen Zusammenfassung Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der kollektiven, historischen Erinnerung an die Niederlagen in Roms Keltenkriegen vom Beginn des vierten bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts zu betrachten.

449Repräsentationen und Deutungen der Schlacht von Caudium werden insgesamt im nächsten Kapitel eingehender thematisiert werden. 450Plut. Tib. 5–6. 451So Min. Fel. 26,3; Eutr. 4,17. Vgl. Simon 1962, 148 f. Hierzu bestand für die Numantiner überhaupt keine Notwendigkeit. Vermutlich handelt es sich hierbei um eine Angleichung an die Überlieferung der Niederlage von Caudium. Siehe hierzu unten Kap. 4.

3.3 Zusammenfassung

165

3.3 Zusammenfassung Über Jahrhunderte hinweg hatten römische Heere Feldzüge gegen keltische Gegner unternommen und dabei zahlreiche Niederlagen hinnehmen müssen, auch wenn sich der Einflussbereich Roms im Zuge dieser Kämpfe kontinuierlich ausbreitete. In den vorangegangenen Kapiteln konnte gezeigt werden, dass besonders die ‚Gallische Katastrophe‘ in der römischen Geschichtskultur über einen langen Zeitraum und in variantenreicher Form erinnert wurde.452 Die chronologisch früheste jener Niederlagen, die Schlacht an der Allia und die anschließende Einnahme Roms, war gleichzeitig diejenige, die in der römischen Geschichtskultur den prominentesten Platz einnahm. Dass weder die Niederlage des römischen Aufgebotes an der Allia noch die Einnahme Roms zu Beginn des vierten Jahrhunderts im Rahmen der Geschichte Italiens in der archaischen Epoche insgesamt Ereignisse von singulärem Rang waren, stand dem Ausnahmecharakter, den die ‚Gallische Katastrophe‘ von Römern späterer Zeiten zugewiesen wurde, dabei offenbar nicht entgegen. Unter den weiteren Misserfolgen in Roms Keltenkriegen lässt sich zudem für die Niederlagen gegen die Truppen des Viriathus sowie für die Kapitulation des Mancinus vor Numantia ein nennenswerter Rang in der römischen Geschichtskultur konstatieren. Beide Ereignisse bleiben hinsichtlich ihrer Wahrnehmung bei späteren Generationen jedoch deutlich hinter der ‚Gallischen Katastrophe‘ zurück. Die Niederlagen römischer Heere in den Keltenkriegen Oberitaliens im dritten und zu Beginn des zweiten Jahrhunderts scheinen keine tieferen Spuren im sozialen Gedächtnis der Römer hinterlassen zu haben. Da offenbar weder eine größere zeitliche Nähe noch die realhistorischen Auswirkungen eines Ereignisses zwingend in direktem Zusammenhang zu der Bedeutung stehen, die ihm in der römischen Geschichtskultur im Nachhinein beigemessen wurde, müssen hierfür andere Faktoren ausschlaggebend sein. Einer der Gründe für die Prominenz, die die ‚Gallische Katastrophe‘ noch in der Kaiserzeit für sich in Anspruch nehmen konnte, liegt sicher im Schauplatz der Ereignisse selbst begründet. In vielen Fällen des Bezuges auf den Einfall der Gallier stand, wie gesehen, weniger die Schlacht an der Allia selbst im Mittelpunkt, sondern solche Teile des Geschehens, die sich in Rom selbst zugetragen haben sollen, wie das Opfer der älteren Senatoren, der Botengang des Pontius Cominius, die Bewahrung der sacra publica und besonders die Attacke der Gallier auf das Kapitol selbst. Die Möglichkeit, die Überlieferung von der ‚Gallischen Katastrophe‘ an Schauplätze und „Schau-Plätze“ im Stadtgebiet Roms zu binden, dürfte den Bekanntheitsgrad dieser spezifischen Niederlage unter den Mitgliedern späterer Generationen in nicht unwesentlichem Maße befördert haben. Wie in den einleitenden Bemerkungen zu Beginn dieser Studie dargelegt, haben bereits

452Vgl. Williams 2001, 150 („The tradition of the Gallic sack as a whole […] was a consistently diverse and changing story, comprising many concurrent versions of various origins, geographical and chronological, within which conflicting traditions, old and new, could and did co-exist, at some points intersecting, at others continuing in isolation from one another […].“).

166

3  Roms Keltenkriege

­ albwachs und Assmann auf die Bedeutung von konkreten Räumen und Orten H für die Bildung und Weitergabe von Inhalten und Deutungen im sozialen Gedächtnis einer Gemeinschaft hingewiesen.453 Im Zusammenhang mit der ‚Gallischen Katastrophe‘ konnte auf den vorangegangenen Seiten aufgezeigt werden, wie solche Orte in Rom, jedoch auch – teilweise mit derartigen Orten verbundene – Kulthandlungen, bestimmte Prozessionen oder Opferrituale, die tatsächlich auf jeweils ganz andere Ursprünge zurückgehen dürften, mit der Niederlage und der Abwehr der Gallier in Verbindung gebracht wurden. Gewiss müssen diese aitiologischen Konstruktionen in chronologischer Hinsicht eher als sekundäre Formen des Bezuges auf die Vergangenheit angesehen werden. Bevor Römer in der späten Republik zu dem Schluss gelangen konnten, dass an den Busta Gallica die Leichen der einst gefallenen oder von einer Seuche dahingerafften gallischen Belagerer verbrannt worden waren oder das jährlich durchgeführte Opfer eines Hundes in der Nähe des Kapitols als symbolische Strafe für die mangelnde Wachsamkeit der Wachhunde in der Nacht des Angriffs der Gallier zu verstehen sei, mussten erst eine oder, das ist hier, wie gesehen, wahrscheinlicher, mehrere Versionen des Geschehenszusammenhanges vorhanden gewesen sein. Dann allerdings konnte die ‚Evidenz‘ der Schauplätze und Rituale sicher auch bei solchen Zeitgenossen, die literarische Texte lediglich in geringem Maße oder überhaupt nicht rezipierten, für eine Verbreitung und Tradierung von Wissen über die ‚Gallische Katastrophe‘ gesorgt haben. In welchen Schritten und auf welchen Wegen durch das gewiss schon im dritten und zweiten Jahrhundert dichte und komplexe Geflecht der römischen Geschichtskultur Schilderungen und Deutungen der ‚Gallischen Katastrophe‘ schließlich in das erste Jahrhundert gelangten, aus denen die meisten Zeugnisse stammen, die uns vorliegen, lässt sich in vielen Fällen kaum sicher herausarbeiten. Eine bedeutende Rolle hinsichtlich der offenbar ja festen Verankerung des Ereignisses hat wohl der Dies Alliensis gespielt, durch den die Römer jährlich an die Niederlage erinnert wurden. Die Existenz dieses chronologischen Fixpunktes für eine Epoche der römischen Geschichte, die an Ereignissen, die einigermaßen sicher zu datieren waren, eher arm war, trug zudem vermutlich dazu bei, der ‚Gallischen Katastrophe‘ einen festen Platz bereits in frühen (auch nichtrömischen) Narrativen von der Geschichte Roms zuzuweisen. Später ermutigte das Vorhandensein des Dies Alliensis zudem wohl römische Antiquare dazu, Ortsbezeichnungen, Kulte und Praktiken, die sich nicht mehr historisch erklären ließen, mit der ‚Gallischen Katastrophe‘ zu verbinden, was wiederum – siehe oben – deren Prominenz und die Bandbreite der möglichen Deutungen, die mit ihr verbunden werden konnten, noch vergrößerte. Darüber dass manches von dem, was man in der mittleren und späten Republik vom Einfall der Gallier und ihrer Abwehr zu wissen glaubte, keineswegs sicher überliefert war, machten

453Zur Differenzierung von ‚Schauplätzen‘ und ‚Schau-Plätzen‘ in diesem Zusammenhang siehe Hölkeskamp 2001/2004, 143. Siehe hierzu auch Halbwachs 1941/2003; J. Assmann 62007, 38 f. und die Hinweise oben in Abschn. 2.1.

3.3 Zusammenfassung

167

sich dabei anscheinend auch römische Beobachter wenig Illusionen, wie die entsprechenden Einschätzungen des Plutarch und des Livius zeigen. Doch darum ging es ihnen auch nicht unbedingt. In der Historiografie, für die Livius eine überaus einflussreiche Darstellung der ‚Gallischen Katastrophe‘ vorlegte, boten sich in vieler Hinsicht größere Möglichkeiten. Das generationenüberspannende Narrativ, in das Livius den Einfall der Gallier im fünften Buch eingebunden hat, steht dabei erkennbar erst am Ende einer längeren Entwicklung der Überlieferung. In dieser könnte etwa das Bestreben eine Rolle gespielt haben, den Kampf von Römern gegen Gallier vor dem Hintergrund von Auseinandersetzungen zwischen Griechen und Barbaren zu deuten, ebenso die zunehmende religiöse und politische Bedeutung des Kapitols, dessen Status deswegen im Nachhinein auch in der historiografischen Schilderung des Geschehens überhöht wurde, sowie die Weiterentwicklung der Camillus-Legende, die an prominenter Position in die Überlieferung vom Kampf gegen die Gallier integriert wurde. Die aus diesen unterschiedlichen Elementen und Traditionssträngen konstruierte Geschichte vom Fall und Wiederaufstieg eines sowohl in Hinsicht auf seine moralische Verfassung als auch auf seine physische Gestalt erneuerten Roms, das aus der Niederlage gestärkt hervorgegangen war, konnte in späteren Zeiten und in Bezug auf Herausforderungen der eigenen Zeit als exemplum dienen. Eng verbunden sind hiermit wiederum die Erklärungen, die für die Niederlage konstruiert worden waren. Die meisten von diesen haben gemeinsam, dass die Römer selbst bzw. Gruppen im römischen Volk für die Niederlage verantwortlich sind, weshalb ihnen auch die Möglichkeit gegeben ist, aus der Katastrophe zu lernen und so die erwähnte Erneuerung und den erneuten Aufstieg herbeizuführen. Sowohl im Guten als auch im Schlechten bleiben die Römer also Herren ihres Schicksals, auch wenn sie ihre Fehler und Versäumnisse teilweise erst spät erkennen. Dies gilt auch für den Dies Alliensis, der zwar durchaus einen Rest Unbehagens und ein Bewusstsein der Unverfügbarkeit über den nicht zu beseitigenden Charakter jenes Datums offenbart. Doch durch die Markierung und Einhegung im Kalender gewannen die Römer die Kontrolle hierüber soweit wie möglich zurück und bewahrten gleichzeitig die Erinnerung an die Niederlage der fernen Vergangenheit. In anderen Bereichen der römischen Geschichtskultur, etwa in den exempla in erhaltenen Reden oder Sammlungen, lässt sich eine Verengung der Bezüge auf wenige Aspekte erkennen, unter denen Verweise auf das Kapitol, dessen Bedrohung durch die Gallier sowie die Rettung durch die Gänse und M. Manlius Capitolinus herausragen. Die Bilder, die dabei bei den Rezipienten aufgerufen wurden, lassen sich in Anlehnung an die Terminologie Jörn Rüsens als „narrative Abbreviaturen“ deuten, die bei den jeweiligen Rezipienten ganz verschiedene Assoziationen von jeweils unterschiedlichem Ausmaß und inhaltlicher Tiefe wecken konnten.454 In jedem Fall zeigen diese Passagen, dass das Ereignis

454Rüsen

2008, 19 f. Vgl. hierzu oben Abschn. 2.1.

168

3  Roms Keltenkriege

zumindest grundsätzlich bekannt genug war, um auch mit eher knappen und nicht weiter ausgeführten Verweisen und Vergleichen verstanden werden zu können. Die Niederlagen Roms auf der Iberischen Halbinsel fielen im Vergleich hierzu, wie gesehen, hinsichtlich ihrer Prominenz deutlich zurück, was im Gegensatz zu den realhistorischen Folgen steht, die diese Kette von Misserfolgen für Rom tatsächlich hatte. Eine gewisse Aufmerksamkeit zog die Person des Viriathus auf sich, der zu den relativ wenigen feindlichen Feldherren der römischen Geschichte gehört, die nicht nur namentlich überliefert sind, sondern denen wenigstens die römischen Geschichtsschreiber Beschreibungen der Herkunft und des Charakters widmeten. Diese fußten wiederum wohl weniger auf tatsächlichen Informationen als vielmehr auf Konstruktionen, die auf kulturellen Schemata und Stereotypen aufbauten, die man auf den Anführer der Lusitanier übertragen konnte. Durch das Lob für den Charakter des Gegners bot sich zudem die Möglichkeit der Kritik an den eigenen Feldherren, deren militärische Fähigkeiten sowie moralische Beschaffenheit als Roms unwürdig geschildert werden. Letzten Endes waren die Feldzüge des Viriathus jedoch zu keinem Zeitpunkt eine Bedrohung für Rom selbst, sondern fanden an der Peripherie des römischen Einflussgebietes statt, was wohl dazu beitrug, dass die einzelnen Schlachten, in denen römische Heere auf diesem Kriegsschauplatz unterlagen, von Seiten späterer Generationen weniger Beachtung entgegengebracht wurde. Die Opfer, die die römischen Heere jener Zeit erbringen mussten, erschienen anscheinend als weniger erinnerungswürdig als die der Soldaten, die am Trasimenischen See oder bei Cannae gefallen waren, und die Feldherren, die in diesen Kämpfen fielen, taugten nicht zu Ikonen römischer Tapferkeit, wie es im Fall des L. Aemilius Paullus und anderer der Fall war.455 Am Fall des Mancinus interessierten spätere Beobachter offenbar vor allem die Bedingungen, unter denen er kapitulierte, und noch mehr, welche Folgen dies für ihn, seinen rechtlichen Status und seine Reputation hatte. Es hat den Anschein, dass dieser Fall unter anderem von römischen Rhetoren oder Juristen diskutiert wurde, vielleicht in deren Ausbildung, denn Cicero oder Quintilian können ihn bei ihren Rezipienten offenbar als geläufig voraussetzen. Bemerkenswert ist der Umgang mit der Niederlage des Mancinus noch in weiterer Hinsicht. Zum einen stellt er einen der wenigen Fälle dar, in denen der Versuch unternommen wurde, die Erinnerung an eine Niederlage in Form eines Monumentes, genauer eines Standbildes des Feldherrn, intentional zu beeinflussen. Der Urheber dieser Initiative soll der geschlagene Mancinus selbst gewesen sein, der auf diese Weise wohl danach strebte, die Erinnerung an seinen Misserfolg und dessen Deutung in eine für ihn günstige Richtung zu lenken, indem er das Opfer betonte, das er für die res publica erbracht habe. Zum anderen hat es den Anschein, dass im Rahmen der Diskussion um die Konsequenzen von Numantia,

455Zur

Darstellung und Deutung der Gestalt des L. Aemilius Paullus, der bei Cannae fiel, in der römischen Geschichtskultur siehe unten Kap. 5. u. a.; Abschn. 5.2.3.1 und 5.2.5.1.

3.3 Zusammenfassung

169

also der Form, in der die Zeitgenossen des Ereignisses selbst dieses deuten wollten, mit der Erinnerung an eine andere Niederlage Roms argumentiert wurde: der Schlacht von Caudium aus den Samnitenkriegen. Offenbar wurde hier wenigstens eine Ähnlichkeit zwischen beiden Ereignissen konstruiert, was Anlass dazu geben soll, die Repräsentation der Schlacht von Caudium und weiterer Niederlagen der Samnitenkriege in der römischen Geschichtskultur im folgenden Kapitel näher zu untersuchen.

4

Unters Joch – Die Samnitenkriege

Im Vergleich zu Roms Kriegen gegen Kelten und Karthager wurde und wird den römischen Kriegen gegen die Samniten sowohl vonseiten der Forschung als auch vonseiten eines breiteren Publikums eine relativ geringe Aufmerksamkeit zuteil. So konnte Lukas Grossmann in der Einleitung zu seiner Studie über „Roms Samnitenkriege“ noch 2009 konstatieren, dass seit Salmons 1967 erschienenem „Standardwerk zu den Samniten, das auch die militärischen Auseinandersetzungen mit Rom ausführlich behandelt“, keine neueren Monografien zu diesem Thema erschienen seien.1 An diesem Stand hat sich auch in den letzten Jahren wenig geändert.2 In neueren Standardwerken zur frühen römischen Republik, etwa von Tim Cornell und Gary Forsythe, werden die Samnitenkriege selbstverständlich ausführlich behandelt, in vielen Gesamtdarstellungen zur römischen Republik stehen sie wiederum in der Regel deutlich hinter den römisch-karthagischen Kriegen oder den römischen Feldzügen gegen die hellenistischen Reiche des östlichen Mittelmeerraumes zurück.3 Angesichts der teilweise gewaltigen Ausmaße, die etwa die Kriege Roms gegen Karthago annahmen, und der oft deutlich günstigeren Quellenlage, die in Bezug auf diese späteren Konflikte zu konstatieren ist, ist dieser Befund einerseits gut verständlich.4 Andererseits kann und sollte auch die Zeit der Samnitenkriege als wichtige Teilepoche der römischen Geschichte betrachtet

1Grossmann

2009, 1. Grossmann 2009, 1. Siehe jedoch die Beiträge in Jones (Hg.) 2004. 3Umfangreichere Untersuchungen finden sich bei Salmon 1967, 187–292; Cornell 1995, 352– 363; 2004; Forsythe 2005, 281–288, 292–311. Vgl. auch die knappe Übersicht bei Cornell 2017. Darstellungen der Samnitenkriege als Teil einer Gesamtgeschichte der Republik u. a. bei Bleicken 2004, 32–34; Sommer 2013, 124–132; Blösel 2015, 67, 71–74. 4Relevant sind in diesem Zusammenhang außerdem wohl auch antike wie moderne historiografische Narrative, die die punischen Kriege und mehr noch die römischen Eroberungen im Osten jeweils als mehr oder weniger unmittelbares Präludium für die so bedeutsamen letzten Generationen der Republik darstellen. 2Vgl.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Lentzsch, Roma victa, Schriften zur Alten Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-476-04831-8_4

171

172

4  Unters Joch – Die Samnitenkriege

werden. Besonders in den letzten Jahrzehnten des vierten Jahrhunderts, „in denen sich der grösste Teil der langwierigen Konflikte zwischen Römern und Samniten“ abspielte, kann nämlich der „Kern für zahlreiche wichtige Entwicklungen der römischen Republik“ auf verschiedenen Gebieten verortet werden.5 Zwar deutet nichts darauf hin, dass Römer oder Samniten die Feldzüge, die sie gegeneinander führten, als Teil eines Kampfes um die Hegemonie über Italien betrachtet hätten, doch in diesen Jahrzehnten und als Ergebnis jener Kämpfe erweiterte sich der römische Einflussbereich auf der italischen Halbinsel beträchtlich, was ebenso wie die Neuerungen hinsichtlich der Organisation und Kampfweise der römischen Armee wichtige Voraussetzungen für die großen Expansionsunternehmen Roms gegen Kelten und Griechen in Italien, gegen Karthager und Griechen in Spanien, in Afrika und in der hellenistischen Welt schuf.6 Der Kampf gegen die Samniten band auf römischer Seite über Jahrzehnte hinweg Kräfte und Ressourcen von erheblichem Ausmaß. Und so müssen vor allem die Feldzüge und Schlachten der Samnitenkriege für zwei Generationen römischer Bürgersoldaten, für die einfachen Legionäre und für ihre Feldherren, ­prägende

5Grossmann

2009, 1 (Zitat). Vgl. ebd., auch zum Folgenden. 1967, 214 („[…][I]t was the most decisive of all the wars in its ultimate results, since it paved the way for Roman supremacy in peninsular Italy.“) Vgl. zuletzt Beard 2015, 159 („Almost fifty years later, the decades of Samnite Wars ended, with more than half the peninsula under Rome’s thumb in various ways, from treaties of ‚friendship‘ to direct control. Roman writers presented these wars as if they were a struggle between two states for Italian supremacy. They were certainly not that, but the scale of the conflict was something new and set the stage for the future.“). Dass die Römer in diesem Konflikt tatsächlich mit den Samniten um die Oberherrschaft in Italien rangen, ist hiermit noch nicht gesagt (auch wenn Salmon 1967, 214 diese Ansicht zu vertreten scheint). Denn soweit sich dies erkennen lässt, verfolgten die Samniten keine Expansionspolitik, die wesentlich über den Horizont von Samnium und den angrenzenden Regionen hinausgegangen wäre. Cornell 2004, 123–129 kann überzeugend darlegen, dass sehr wahrscheinlich weder Römer noch Samniten ihren Konflikt als Kampf um die Herrschaft über Italien betrachtet haben. Die Samniten waren angesichts ihrer Organisation, die eher lockere Bündnisse beinhaltete, wohl auch gar nicht zu weiter ausgreifenden, von langer Hand geplanten Expansionsunternehmungen in der Lage. Inwieweit in Rom im späten vierten Jahrhundert bereits Expansionspläne, die über einzelne Feldzugsjahre hinausgegangen wären, existierten, bleibt unsicher. Vielleicht wurden solche Gedanken auch erst im Zuge der Kriege gegen die Samniten entwickelt. Parallel zu diesen Entwicklungen nach außen und auf vielfältige Weise mit diesen verbunden, fallen in diese Jahre zudem wichtige Prozesse im Inneren. So formierte sich die (neue) römische Nobilität aus Patriziern und Plebejern, aus der sich zu einem großen Teil die Politiker und Feldherren rekrutierten, die die Republik in den folgenden Generationen zur Hegemonie über den Mittelmeerraum führten. Dies wurde begleitet von zahlreichen (Weiter-) Entwicklungen und Neuschöpfungen kultureller Ausdrucksformen, etwa auf dem Gebiet der römischen Repräsentationskunst, die eng mit der außen- und innenpolitischen Geschichte verbunden waren. Siehe hierzu wiederum Grossmann 2009, 1. Zur Formierung der Nobilität im späten vierten und frühen dritten Jahrhundert siehe bereits Salmon 1967, 217 und grundlegend Hölkeskamp 1987/2011 (dort nun in den Addenda zur ersten Auflage mit zahlreichen Hinweisen zur neueren Forschung). Die Anfänge der römischen Repräsentationskunst, die ganz wesentlich durch die Beute aus den Samnitenkriegen angeregt wurden, hat Tonio Hölscher in einer Reihe von Beiträgen untersucht. Siehe vor allem Hölscher 1978; 1980.

6Salmon

4  Unters Joch – Die Samnitenkriege

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Ereignisse gewesen sein, in denen einerseits militärische Meriten erworben und reiche Beute gemacht werden konnte, andererseits tausende Römer ihr Leben verloren. Man kann davon ausgehen, dass die Veteranen der Feldzüge ihre Erlebnisse dieser Jahre in Erzählungen an die folgenden Generationen weitergaben. Diese Zeit mag etwa für den ersten römischen Historiografen Q. Fabius Pictor eine „lebendige Vergangenheit“ gewesen sein, von der ihm seine Großeltern noch berichtet haben könnten.7 Der lange Zeitraum, über den sich die Samnitenkriege erstreckten, deutet bereits darauf hin, dass die Armeen Roms in diesem Konflikt nicht Jahr auf Jahr triumphierten, und tatsächlich erlitten sie in dieser Zeit bei Caudium eine ihrer schmachvollsten Niederlagen, die jedoch lediglich aus einer Reihe von weiteren Misserfolgen herausragt. Bei der heute konventionellen Einteilung in drei Samnitenkriege, die jeweils in die Jahre 343–341, 326–304 und 298–290 datiert werden, handelt es sich um eine moderne Konstruktion, die sich in den antiken Quellen nicht wiederfindet.8 Zudem ist die Zuordnung einzelner Bevölkerungsgruppen und Stämme zu den Samniten nicht in allen Fällen unumstritten.9 Auch wenn hiermit also manche Unsicherheit akzeptiert wird, werden im Folgenden unter den ‚Samnitenkriegen‘ vor allem jene Konflikte und Kriege verstanden, die die Römer mit verschiedenen samnitischen Gruppen in einem Zeitraum von etwas mehr als einer Generation austrugen, nämlich von ca. 343–290.10 Berichte von Zeitgenossen der Samnitenkriege haben sich nicht erhalten. Die älteste überlieferte zusammenhängende Darstellung der Kriege findet sich in den Büchern acht bis zehn des Livius. Sein Bericht ist gerade in Hinsicht auf ungewöhnliche Ereignisse wie die Schlacht von Caudium offensichtlich das Produkt einer intensiven Überarbeitung, die vermutlich mehrere Stufen durchlaufen hat, die sich wiederum jedoch nur in relativ wenigen Fällen einigermaßen genau rekonstruieren lassen.11 Auch wenn der genaue Zeitraum der Abfassung des Werkes des Q. Fabius Pictor unsicher ist, ist doch klar, dass zwischen der Schlacht von Sentinum, die das Ende der Samnitenkriege einläutete, und der Niederschrift der römischen Geschichte durch Pictor zwei bis drei Generationen vergangen waren. Kein römischer Autor, dessen Werk uns auch nur in Fragmenten überliefert ist, hat die Kriege Roms gegen die Samniten also noch selbst erlebt.12

7Vgl.

Cornell 1995, 356 („living past“); 2004, 119; 2017, 472 f.; Forsythe 2005, 294 f. einer Vermutung von Cornell geht diese Einteilung möglicherweise auf Niebuhr zurück (Cornell 2004, 121–123). Dies ist ein auffälliger Unterschied etwa zur Zählung der römischkarthagischen Kriege, die sich bereits auf antike Zeugnisse stützen kann. Vgl. zuletzt auch Cornell 2017, 469. 9Siehe Cornell 2004, 126 f. 10Dies ist auch der Zeitraum, den Grossmann in seiner neueren Arbeit zu „Roms Samnitenkriegen“ gewählt hat (Grossmann 2009). 11Siehe hierzu ausführlich u. a. Nissen 1870; Oakley 1997, 13–20. 12Für Hinweise zur Datierung von Fabius Pictors Werk siehe oben Abschn. 2.2. 8Nach

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4  Unters Joch – Die Samnitenkriege

In diesem Zusammenhang lässt sich indes anführen, dass Untersuchungen in Kulturen mit oraler Überlieferung gezeigt haben, dass die – wandernde – ‚Grenze‘ (oder die floating gap) für die Vermittlung in zeitlicher Hinsicht bei ungefähr 80 Jahren, oder drei Generationen, verläuft.13 Pictor und seine Zeitgenossen werden in ihrer Kindheit und Jugend also vermutlich noch Veteranen der Samnitenkriege gekannt hatten, und vielleicht stammen einige der Informationen, die sie über diese Zeit hatten, tatsächlich aus solcher mündlicher Tradierung.14 Allerdings ist ebenfalls bekannt, dass Ereignisse, die an der Grenze zum floating gap liegen, wohl bereits recht vage vermittelt werden.15 Die anzunehmende, oftmals recht dürre Überlieferungslage scheint noch in der Darstellung des Livius durch, der für viele Jahre der Samnitenkriege einen relativ einsilbigen Bericht bietet, der ohne den Einschub von offensichtlichen Ausschmückungen wohl in zahlreichen Fällen wenig mehr als die Namen der römischen Magistrate enthalten hätte – die wiederum Livius selbst für allgemein unsicher überliefert hält.16 Die Enkel und Urenkel des Q. Fabius Rullianus und P. Decius Mus wurden allerdings nicht nur durch Erzählungen älterer Familienangehöriger an die Schlachten der Samnitenkriege erinnert, sondern auch bereits durch eine Reihe von weiteren Medien der römischen Geschichtskultur, die für uns heute indes nur noch schwer zu greifen sind. So wurde in der Forschung immer wieder angenommen, dass Episoden, die sich um einzelne Ereignisse ranken, etwa um die Taten der beiden eben genannten Protagonisten zunächst durch Familientraditionen vermittelt wurden, die erst s­ ekundär Eingang in die historiografische Überlieferung fanden. Denkbar ist auch, dass die von Cato dem Älteren genannten carmina convivalia zur Verbreitung von ­Wissen über die Samnitenkriege beitrugen, die sich allerdings, wie bereits dargelegt, nicht mehr greifen lassen.17 Über Vermutungen zur frühen Darstellung und Deutung der Niederlagen der Römer gegen die Samniten wird man also nicht hinauskommen. Recht sicher lässt sich wiederum annehmen, dass eine wie auch immer geartete Form der Überlieferung jener Niederlagen bereits in der frühen römischen Historiografie vorlag.18

13Siehe

bes. Vansina 1985, 23 f. und vgl. hierzu J. Assmann 62007, 48–50 und oben Abschn. 2.2. Für die Situation in Rom siehe etwa Ungern-Sternberg 1988; Timpe 1988; Walter 2004a, 42–83. 14Vgl. Cornell 1995, 356 („living past“); 2004, 119; Forsythe 2005, 294 f. 15Vgl. J. Assmann 62007, 50 f. 16Vgl. nur Badian 1966, bes. 11; Timpe 1972; Beck 2007. 17Siehe hierzu u. a. Walter 2004b mit weiterer Literatur und siehe oben Abschn. 2.2. 18Denn zum einen berichtet Livius von Varianten, die ihm zu einzelnen Ereignissen vorgelegen hätten. Zum anderen scheinen die Erinnerungen an die Reaktionen auf die Niederlage von Caudium in der Diskussion um den Umgang mit dem besiegten Feldherrn von Numantia im Jahr 137, C. Hostilius Mancinus, ob der angeblichen Ähnlichkeit beider Ereignisse eine Rolle gespielt zu haben. Sollte dies tatsächlich der Fall gewesen sein, würde dies bedeuten, dass wenigstens den Zeitgenossen des Mancinus eine Tradition zu Caudium bekannt war – wie auch immer diese im Einzelnen aussah (vgl. oben Abschn. 3.2). Auf diesen Aspekt wird im Folgenden im Rahmen der Untersuchung der Darstellung und Deutung der Niederlagen der Samnitenkriege bei T. Livius zurückgekommen werden (Siehe unten Abschn. 4.3).

4.1  Erinnerung im Bild

175

4.1  Erinnerung im Bild – Numismatische Zeugnisse für die Niederlage von Caudium? Ein römischer Denar, der offenbar von einem Münzmeister namens Ti. ­Veturius geprägt worden war, wurde in der Forschung, unter anderem von Michael Crawford, mit der römischen Niederlage von Caudium im Jahr 321 verbunden­ (Abb. 4.1).19 Auf dem Avers ist eine nach rechts blickende Büste des Mars zu sehen, der einen Helm trägt. Links neben dem Kopf des Kriegsgottes ist als Legende u. a. TI VE zu lesen. Auf dem Revers sind zwei Männer zu sehen, die einander gegenüberstehen. Beide sind bewaffnet, einer von ihnen ist bärtig und mit nacktem Oberkörper abgebildet, der andere trägt offenbar eine Rüstung, jedoch keinen Bart. In der linken Hand halten beide einen Speer, in der rechten ein Schwert, mit dem sie ein Schwein berühren, das eine Person hält, die zwischen den beiden Männer auf dem Boden kniet. Über den Männern lesen wir ROMA. Die allgemeine Interpretation, nach der es sich bei der auf dem Revers abgebildeten Handlung um eine Schwurszene handelt, ist sicher zutreffend.20 Vor diesem Hintergrund wurde bereits früh vermutet, dass diese Szene auf den Eid

Abb. 4.1  Denar des Ti. Veturius (137/136 v. Chr.?), RRC 234

19RRC

234. Siehe hierzu Crawford 1973, 4–6. Die Hauptquelle zu Roms Niederlage bei Caudium ist Liv. 9,1,1–16,19. Siehe außerdem einige Fragmente, die aus dem Werk des Claudius Quadrigarius erhalten sind (FRH 14 F 18–21 = FRHist 24 F 13–16), sowie weitere Berichte und Erwähnungen bei anderen Autoren: Cic. off. 3,109; Cato 41; inv. 91–92; Dion. Hal. 16,1,-2,4; Flor. epit. 1,11,9–12; App. Samn. 4,1–12; Cass. Dio frg. 36,8–22M; Zon. 7,26,10–16. Zur Forschung siehe u. a. Einträge in Brouhgton 1951, 150 f.; Salmon 1967, 224–229; Cornell 1995, 353; 2004; 2017, 474 f.; Forsythe 2005, 298–301; Oakley 2005, 25–38; Grossmann 2009. Siehe ferner die Abschnitte in den Überblicksdarstellungen zur Geschichte der römischen Republik bei Bleicken 2004, 33; Sommer 2013, 127 f.; Blösel 2015, 71 f. 20Siehe RRC, 234 (Kommentar); Crawford 1973, 4–6; Oakley 2005, 650.

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4  Unters Joch – Die Samnitenkriege

anspielt, den die Konsuln von Caudium den Samniten gegenüber geleistet haben sollen.21 Akzeptiert man diese Deutung, stellt sich die Frage, in welchem Kontext eine solche Prägung hätte erfolgt sein können. Crawford hat angenommen, dass die Münze im Kontext der Diskussionen um den Umgang mit C. Hostilius Mancinus geprägt worden ist. Demnach habe es sich bei dem Münzmeister T. Veturius, der sonst vollkommen unbekannt ist, um einen Cousin des Ti. Sempronius Gracchus gehandelt, der wegen der Kapitulation vor Numantia ja ebenfalls eine Auslieferung an die Feinde befürchten musste. Um seinen Verwandten zu unterstützen, habe Veturius in dieser Konstellation durch seine Prägung für die Einhaltung des Abkommens werben wollen, indem er eine Szene abbildete, die wie kaum eine andere für das Konzept der fides Romana stand.22 Zugleich habe Veturius an seinen Vorfahren, T. Veturius Calvinus, einen der Konsul von 321, die bei Caudium unterlagen, erinnern wollen, dessen Schwur hier also anscheinend als vorbildliche Tat verstanden werden sollte.23 Nach dieser Argumentation wäre die Münze also in die Jahre 137 oder 136 zu datieren.24 Sollte die Interpretation Crawfords richtig sein, müsste man wohl annehmen, dass im Jahr 137 bereits eine Version der Geschichte um Caudium existierte, in der das Abkommen mit den Samniten wenigstens für einige Jahre (bis 315?) eingehalten worden war, da es im Rahmen der von Crawford vertretenen Deutung sonst unverständlich bliebe, warum Veturius in Gestalt einer Schwurszene, in der offenbar ein Abkommen getroffen wird, an die Taten seines Vorfahren bei Caudium hätte erinnern sollen.25 Vermutlich war dies auch der tatsächliche Verlauf der Ereignisse der Jahre 321 bis 315 gewesen, deren Darstellung bei Livius in vieler Hinsicht unglaubwürdig ist.26 Crawford vermutet außerdem, dass Veturius mit dieser Münze als erster die Numantia-Affäre mit der Überlieferung um Caudium verbunden hat. Durch einen Verweis auf die Einhaltung des alten Abkommens in den Samnitenkriegen habe Veturius dafür werben wollen, auch den Vertrag mit den Numantinern einzuhalten – und daher weder Mancinus noch den Sempronius

21So

u. a. bereits Mommsen 1860, 556; Badian 1968, 34 f.; Crawford 1973, 5. Rawson 1991, 597 lehnt diese Deutung hingegen ab. Diese Annahme basiert vor allem auf dem Namen des Münzmeisters, in dem man einen Nachfahren eines der beiden Konsuln von Caudium sieht. Außerdem wurde in diesem Zusammenhang angeführt, dass einer der beiden Krieger auf dem Revers offensichtlich einen Angehörigen eines barbarischen Volkes darstellen solle, worunter die Samniten aus römischer Sicht ja durchaus fielen (vgl. besonders Crawford 1973, 5). 22Crawford 1973, 5 f. 23Siehe Crawford 1973, 5 („Some have objected that the foedus of the Caudine Forks would not be portrayed on a coin because of its disgraceful nature. But there is no a priori reason to suppose that a Veturius thought his ancestor’s action disgraceful; the story of the Caudine Forks was perhaps to him a story of an agreement honourably made and kept.“). 24Crawford 1973, 4. Mattingly 2004, 216 tritt mit plausiblen Argumenten dafür ein, die Prägung der Münze in das Jahr 136 zu datieren, schließt sich der Deutung Crawford indes grundsätzlich an. Ebenso Molinari 2016, 84 f. 25Vgl. Crawford 1973, 4–6. 26Siehe hierzu die Hinweise zur Forschung in Anm. 19.

4.2  Die Form der Niederlage

177

Gracchus an die Feinde auszuliefern.27 Erst daraufhin hätten deren Gegner im Senat damit begonnen, die Erinnerung an die Folgen von Caudium für ihre eigenen Zwecke zu nutzen, indem sie die Version von der Aufhebung des Abkommens verbreitet hätten – erfolgreich, wie die von Livius verbreitete Überlieferung zeigt. Letztere sei demnach erst im Zuge der Mancinus-Affäre entstanden. Oakley hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass eine umgekehrte Reihenfolge mindestens ebenso gut denkbar wäre. So könnten die Gegner des Abkommens mit Numantia dieses schon vorher mit dem Hinweis abgelehnt haben, dass auch bereits dasjenige von Caudium zurückgewiesen worden war. Erst als Reaktion darauf hätte Veturius dann die Münze geprägt, wobei sein Ansinnen letztlich erfolglos blieb.28 Insgesamt ist diese zweite Variante vielleicht die wahrscheinlichere. Schließlich, so bereits Loreto und Oakley, fällt es schwer, sich vorzustellen, dass Veturius von sich aus auf die Niederlage seines Vorfahren verwiesen hätte.29 Sollte die Datierung der Prägung grundsätzlich zutreffend sein, was freilich keineswegs sicher ist, erlaubt diese einen Einblick darin, dass zum einen mit der ‚Erinnerung‘ an Caudium im späten zweiten Jahrhundert argumentiert werden konnte, zum anderen wie (wahrscheinlich) die Überlieferung der beiden Niederlagen bei Caudium und Numantia miteinander verglichen und dabei vermutlich auch verändert wurde. Auch hierzu erlauben die Quellen, die in den folgenden Abschnitten besprochen werden, weitere Einblicke.

4.2  Die Form der Niederlage – Zeugnisse der späten Republik Die frühesten noch erhaltenen Erwähnungen der römischen Niederlagen in den Samnitenkriegen stammen von Cicero und beziehen sich auf die Schlacht von Caudium.30 Dabei handelt es sich um drei Stellen, in denen Cicero besonders auf (völker-)rechtliche Aspekte des Nachspiels der Niederlage eingeht.31 Auch wenn 27Crawford

1973, 6. 2005, 649 f. 29Oakley 2005, 650 („No Roman noble would spontaneously wish to remind the public that his ancestor was responsible for one of the greatest Roman disasters.“). Vgl. bereits Loreto 1989/90, 658 f.; Rawson 1991, 597. Anders jedoch Crawford 1973, 5. Zudem erlauben die literarischen Quellen des ersten Jahrhunderts die Vermutung, dass eine Version der Ereignisse von Caudium, in der die Römer das Abkommen zurückgewiesen hatten, bereits gegen Mitte des zweiten Jahrhunderts existierte (siehe unten Abschn. 4.2 und 4.3). 30Vgl. Schütz 1913, 69; Oakley 2005, 10; Grossmann 2009, 65. 31Cic. Cato 41 (haec cum C. Pontio Samnite, patre eius a quo Caudino proelio Sp. Postumius T. Veturius consules superati sunt); off. 3,109 (At uero T. Veturius et Sp. Postumius cum iterum consules essent quia cum male pugnatum apud Caudium esset legionibus nostris sub iugum missis pacem cum Samnitibus fecerant dediti sunt iis iniussu enim populi senatusque fecerant. eodemque tempore Ti. Numicius Q. Maelius qui tum tribuni pl. erant quod eorum auctoritate pax erat facta dediti sunt ut pax Samnitium repudiaretur. atque huius deditionis ipse Postumius qui dedebatur suasor et auctor fuit.); inv. 2,91 (in eo foedere, quod factum est quondam cum Sam28Oakley

178

4  Unters Joch – Die Samnitenkriege

es sich nur um knappe Erwähnungen handelt, können hieraus Erkenntnisse zur Gestaltung der Darstellungen der Niederlage gewonnen werden, wie sie Cicero vorlagen.32 Erstens scheint es recht deutlich, dass Cicero von einer Schlacht bei Caudium wusste, also nicht davon ausging, dass die Römer sich kampflos ergeben hätten, da die taktische Lage jedes Gefecht aussichtslos erscheinen ließ.33 Zweitens nahm er anscheinend an, dass die Römer mit den Samniten ein foedus geschlossen hatten.34 Beides stellt sich bei Livius grundlegend anders dar, wie im Folgenden noch zu sehen sein wird.35 Die Erwähnung Caudiums in De officiis legt nahe, dass Cicero sich an dieses Ereignis im Zusammenhang mit der Niederlage des C. Hostilius Mancinus vor Numantia und deren Folgen erinnerte und die grundlegend ähnliche Situation zum Anlass nahm, auf diese Schlachten einzugehen. Weitere Fälle, die Cicero hier zitiert, offenbar weil er auch in ihnen eine Parallele zu dem Fall der Konsuln von Caudium erkennt, sind die des M. Atilius Regulus sowie des Q. Pompeius, der einige Jahre früher als Mancinus, ebenfalls vor Numantia, in strategisch ungünstiger Konstellation mit seinen Feinden verhandelt hatte.36 Ob er diese Verbindung selbst gezogen hatte oder sie bereits vorfand, ist zwar letztlich nicht klar, doch vielleicht wurden beide Ereignisse im Zusammenhang mit dem infrage stehenden rechtlichen Komplex in der juristischen ‚Ausbildung‘ als historische exempla gelehrt und diskutiert und waren Cicero daher bekannt.37 In den Reden

nitibus, quidam adulescens nobilis porcum sustinuit iussu imperatoris. foedere autem ab senatu inprobato et imperatore Samnitibus dedito quidam in senatu eum quoque dicit, qui porcum tenue­ rit, dedi oportere.). Vgl. ferner eine Erwähnung des C. Pontius, die zwar nicht in einem direkten Zusammenhang mit den Ereignissen bei Caudium steht – jedenfalls ist ein solcher nicht zu erkennen – , dafür aber zeigt, dass Cicero anscheinend noch weitere Informationen zu dem samnitischen Feldherrn hatte, Cic. off. 2,75. 32Vgl. hierzu die knappe Analyse bei Oakley 2005, 10 f. 33Siehe bes. Cic. Cato 41 (Caudino proelio); off. 3,109: (cum male pugnatum apud Caudium esset). Vgl. Liv. 9,2,9–3,4. 34Cic. off. 3,109. 35Cic. inv. 2,91. Siehe unten Abschn. 4.3. 36Direkt nach der Erwähnung des Schicksals des Postumius nach Caudium geht Cicero zum Beispiel des Mancinus bei Numantia über (Cic. off. 3,109: atque huius deditionis ipse Postumius qui dedebatur suasor et auctor fuit. quod idem multis annis post C. Mancinus qui ut Numantinis qui­ bus cum sine senatus auctoritate foedus fecerat dederetur rogationem suasit eam quam L. Furius Sex. Atilius ex senatus consulto ferebant qua accepta est hostibus deditus.). Zu M. Atilius Regulus siehe unten Abschn. 5.1. Zu Q. Pompeius siehe oben Abschn. 3.2. 37Cicero verfasste De officiis in beachtlicher Geschwindigkeit (nämlich von Oktober bis Dezember 44, vgl. von Albrecht 1994, 427), weshalb durchaus naheliegt, dass er in vielen Fällen wohl selbst keine intensiven historischen Forschungen betrieb, sondern auf Informationen zurückgriff, die er entweder in seiner Rhetorikausbildung aufgenommen hatte oder bei seinen Recherchen im Exil bzw. im erzwungenen Ruhestand während Caesars Diktatur in anderen Werken gefunden hatte. Die vorliegende Passage erweckt den Eindruck, dass hier verschiedene historische exem­ pla, die jeweils unterschiedliche Aspekte eines ähnlichen Sachverhaltes beleuchten, bereits

4.2  Die Form der Niederlage

179

Ciceros taucht weder Caudium, noch eine der weiteren verlorenen Schlachten der Samnitenkriege auf. Eine von Livius überlieferte knappe Erwähnung weist auf die Darstellung der Schlacht von Caudium im Werk des Q. Claudius Quadrigarius hin.38 Aus dieser geht nicht nur hervor, dass Quadrigarius das Ereignis behandelt hatte, sondern auch, dass er offenbar der Ansicht war, dass die besiegten Konsuln der Römer vor Ort den Samniten gegenüber ein foedus geleistet hätten, was ja Cicero anscheinend ebenso sah. In dieser Frage nahm Quadrigarius also eine andere Position ein als Livius.39 A. Gellius hat zudem zwei weitere Fragmente bewahrt, die wohl ebenfalls in den Kontext von Caudium gehören und von denen eines erkennen lässt, dass Quadrigarius von der Übergabe der römischen Geiseln an die Samniten berichtete und in diesem Zusammenhang anscheinend auch Szenen emotionalen Schmerzes der Angehörigen der Geiseln schilderte, als sie in Rom hiervon erfuhren. Von Reaktionen, die von heftigen Emotionen begleitet waren, berichtet auch Livius im Kontext der Rückkehr des Heeres nach Rom, doch bietet er keine spezifische Beschreibung der Trauer der Angehörigen der Geiseln, sodass man schließen kann, dass er seine Vorlagen in diesem Punkt umarbeitete oder ihm noch eine andere Version vorlag als die des Quadrigarius und sich beide Varianten in dieser Hinsicht voneinander unterschieden.40 Ein weiteres Fragment gehört möglicherweise in den Kontext des (fiktiven) römischen Sieges bei Luceria ein Jahr nach Caudium, von dem auch Livius berichtet, doch muss diese Zuordnung letztlich unsicher bleiben.41

vorformuliert vorlagen, weshalb Cicero auch ohne weitere Kontextualisierung der Beispiele auskommt. 38FRH 14 F 18 = FRHist 24 F *13 (=Liv. 9,5,1–5). 39Vgl. den Kommentar in FRHist III, 306 f. (mit weiteren Hinweisen). Vgl. außerdem Crawford 1973, 3. 40FRH 14 F 19 = FRHist 24 F 14 (=Gell. 2,19,8: Item Quadrigarius in eodem libro in re tristi et inopinata verbo isto ita utitur: Id ubi rescierunt propinqui obsidum, quos Pontio traditos supra demonstravimus, eorum parentes cum propinquis capillo passo in viam provolarunt.). Gemeint (eodem libro) ist offenbar das erste Buch (siehe Gell. 2,19,7). Siehe hierzu die Anmerkungen in FRHist III, 307, wo das Fragment ebenfalls dem Kontext der Reaktionen von Angehörigen der 600 römischen Geiseln, die den Samniten übergeben worden waren, zugeordnet wird. (vgl. ebd.: „Claudius perhaps had a version in which the relatives of the hostages learned that rejection of the agreement was likely, and reacted as described in the fragment.“). Siehe zudem FRH 14 F 20 = FRHist 24 F 15 (=Gell. 17,2,21). 41FRH 14 F 21 = FRHist 24 F 16 (=Gell. 1,25,6). Die entsprechende Passage bei Livius ist Liv. 9,15,3. Siehe für Argumente für diese Zuordnung FRHist III, 308, wo auch eine Zuweisung in den Kontext der Verhandlungen der Römer mit den Tarentinern, die sich als Vermittler zwischen Samniten und Römern betätigen wollten, erwogen wird (Liv. 9,14,6–7). Beide Zusammenhänge sind denkbar, in beiden Fällen wäre die römische Eroberung Lucerias bei Q. Claudius Quadrigarius enthalten gewesen.

180

4  Unters Joch – Die Samnitenkriege

4.3  Schmachvolle Lektionen – die augusteische Zeit Die Schilderung der Ereignisse von Caudium zu Beginn des neunten Buches von Ab urbe condita bietet den bei Weitem umfangreichsten Bericht, der sich aus der antiken Überlieferung zu diesem Ereignis erhalten hat. Ebenfalls erwähnt Livius die Operationen der Jahre 315 (bei Lautulae) und 311 (unter dem Kommando des C. Iunius Bubulcus), in denen die Römer wohl jeweils unterlagen.42 Schließlich tauchen auch die Niederlagen von Camerinum und diejenige des Q. Fabius Maximus Gurges (i. J. 292) in Livius’ Darstellung auf.43 Zunächst ist es jedoch sinnvoll, Livius’ Darstellung und Deutung der Schlacht von Caudium zu beleuchten, da diese, erstens, chronologisch vorangeht und, zweitens, von Livius in deutlich umfangreicherer Weise behandelt wird. Die Niederlage bei Caudium sowie ihre unmittelbaren Folgen für Römer und Samniten bilden ohne Zweifel eine der markantesten Episoden in Livius’ Bericht über den Zweiten Samnitenkrieg. Die Bedeutung des Ereignisses hat Livius bereits durch die kompositionelle Anordnung des Stoffes unterstrichen.44 Die Darstellung der Ereignisse rund um die Niederlage von Caudium, von der einleitenden Rede des samnitischen Anführers C. Pontius bis zum römischen Sieg bei Luceria, bei dem Pontius in Gefangenschaft gerät und der Misserfolg egalisiert wird, umfasst rund ein Drittel des neunten Buches und stellt damit eines der am umfangreichsten geschilderten Einzelereignisse in Livius’ Bericht des Samnitenkrieges dar, der ansonsten in weiten Teilen recht einsilbig gehalten ist.45 Dieser knappe Bericht mag durchaus noch ein Niederschlag der, offenbar ebenfalls noch sehr knappen, Darstellungen dieser Abschnitte der römischen Geschichte bei den ersten römischen Historiografen sein.46 Dies lässt sich als weiterer Indikator dafür werten,

42Dass

die Römer beide Kämpfe verloren, ist für die Schlacht bei Lautulae klar zu erkennen, für das Gefecht des Bubulcus im Jahr 311 zumindest sehr wahrscheinlich, auch wenn Livius jeweils etwas anderes berichtet. Zu Lautulae siehe u. a. Diod. 19,72,3–9; Liv. 9,23,1–6. Vgl. (mit weiteren Hinweisen) Grossmann 2009, 92–96. Zum Feldzug des C. Iunius Bubulcus Liv. 9,31,2–16; Zon. 8,1,1. Siehe hierzu u. a. Salmon 1967, 244; Grossmann 2009, 105. Vgl. auch Oakley 2005, 404. Cornell 1995, 354 ist unentschieden, ob es zu einer römischen Niederlage kam. 43Liv. 9,23,1–6; 9,31,2–16. 44Siehe zum Folgenden ausführlich Bruckmann 1936, 3; Oakley 2005, 3–6, 11–13. 45Liv. 9,1,2–15,8. Vgl. Oakley 2005, 3, 11–13. 46Die knappe Form der Darstellung fügt sich jedenfalls gut zu Rekonstruktionen, die, auf der Basis von Bemerkungen antiker Gewährsleute, hinsichtlich der kompositionellen Anordnung des Werkes des Q. Fabius Pictor vorgelegt worden sind. Der grundlegende Beitrag zur Rekonstruktion des Aufbaus von Pictors Werk ist nach wie vor Timpe 1972. Siehe zudem die Einführungen in den neueren Ausgaben der Fragmente (Beck/Walter 22005, 55–61; Bispham/Cornell 2013a) und siehe oben die Hinweise in Abschn. 2.2. Nach Dionysios von Halikarnassos bestand Pictors Werk aus drei Großabschnitten, nämlich zunächst einem detaillierten Bericht über die Gründungsphase Roms, der vermutlich auch noch die ersten Jahre der Republik einschloss, einem knapp gehaltenen Mittelteil von der Mitte des fünften Jahrhunderts bis etwa zum Beginn des Ersten Punischen Krieges sowie schließlich einer wieder ausführlicheren Schilderung der Zeitgeschichte, womit im Falle Pictors wohl in etwa die Jahrzehnte von ca. 260–210 zu verstehen sind (Dion. Hal. 1,6,2). Bekanntlich entspricht dies recht genau solchen Schemata, die sich für

4.3  Schmachvolle Lektionen – die augusteische Zeit

181

dass die Caudium-Episode der Gegenstand einer späteren Narrativierung war, die wohl in mehreren Schritten verlaufen ist und auch durch Livius selbst wesentlich weiter getrieben wurde.47 Zum Aufbau der Episode lässt sich zunächst festhalten, dass Livius die Darstellung von der Niederlage bei Caudium und der römischen Revanche in zwei, etwa gleich große, Teile gegliedert hat.48 Der erste beginnt mit der Rede des C. Pontius, der die Samniten zum erneuten Kampf gegen Rom aufruft, versichert, dass die Götter nun auf der samnitischen Seite ständen und gleichzeitig verkündet, bereits eine Strategie parat zu haben.49 Dieser Plan wird von den Samniten nun offenbar bald umgesetzt. Die Römer brechen von Calatia in Richtung Luceria auf und geraten auf dem Weg dorthin in den Hinterhalt bei den caudinischen Pässen, wo ihr Unglück beginnt. Die spätere Rede des Konsuls Sp. Postumius Albinus vor dem Volk, in der er die Römer aufruft, den Samniten nicht nachzugeben, sondern stattdessen direkt einen Vergeltungsangriff ins Werk zu setzen, bildet den Ausgangspunkt für den folgenden Siegeszug Roms, leitet also die Wende ein und stellt somit den kompositorischen Mittelpunkt der Episode dar.50 In der zweiten Hälfte der Erzählung gelingt den Römern eine Reihe von Erfolgen gegen die Samniten, die ihren abschließenden Höhepunkt in der Unterjochung des samnitischen Heeres mitsamt des C. Pontius findet.51 Anders als im Fall von Livius’ Darstellung der ‚Gallischen Katastrophe‘ erweckt seine Schilderung von Caudium nicht den Ein-

Vergangenheitskenntnisse in Gesellschaften mit einer mündlich tradierten Überlieferung als typisch herausgestellt haben. Überlegungen zu möglicher mündlicher Tradierung der Samnitenkriege im dritten Jahrhundert haben wir ja bereits zu Beginn dieses Kapitels angestellt. Siehe allgemein bes. Vansina 1985, 23 f. und vgl. hierzu J. Assmann 62007, 48–50. Für die Situation in Rom siehe etwa Ungern-Sternberg 1988; Timpe 1988; Cornell 2004, 115 f.; Walter 2004a, 42–83 und die Hinweise oben in Abschn. 2.2. Der Zweite Samnitenkrieg fiel also wohl in jenen Mittelteil und wird daher auch bei Pictor vermutlich recht knapp dargestellt worden sein, was sich in gewisser Weise noch Generationen später im Bericht des Livius über jene Zeit niedergeschlagen zu haben scheint. Denn auch wenn in Ab Urbe Condita eine ganz Reihe von Ereignissen aus der Zeit der Samnitenkriege durchaus in umfangreicherer Form geschildert werden, lässt sich doch festhalten, dass Livius’ Darstellung zu vielen Jahren sehr kurz ist und daher auch lediglich relativ dürre Informationen enthält. Siehe jedoch auch Cornell 2004, 116–118, der betont, dass bereits einige von Livius’ Quellen durchaus umfangreicher gewesen sein könnten, als die jeweils erhaltenen Fragmente vermuten lassen können. 47Hierauf deuten ja bereits die Unterschiede zwischen den Versionen des Geschehens bei Livius und anderen Autoren, wie Cicero, Q. Claudius Quadrigarius und anderen Autoren hin, die im vorherigen Kapitel in Hinsicht auf die Frage nach dem Charakter der Aufeinandertreffens (Kampf oder kampflose Kapitulation) und die Beschaffenheit des Abkommens mit den Samniten (foedus oder sponsio) diskutiert worden sind (siehe oben Abschn. 4.2). 48Oakley 2005, 11. 49Liv. 9,1,2–11. 50Liv. 9,2,1–10,2. Vgl. Oakley 2005, 11, der die Konsulwahlen für das Jahr 320 als kompositorischen Mittelpunkt ansieht. Siehe außerdem Chaplin 2000, 33. 51Liv. 9,10,3–16,10. Vgl. Chaplin 2000, 34.

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druck, dass hier eine Reihe von einzelnen Episoden und Erzählkreisen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ursprünglich überhaupt nicht miteinander verbunden waren, zusammengefügt worden sind. Die Erzählung schreitet relativ zügig voran, indem die einzelnen Szenen überwiegend direkt aneinander anknüpfen, wodurch das Bild einer geschlossenen Geschichte entsteht, die bei Caudium beginnt und bei Luceria endet.52 Möglicherweise soll diese Gestaltung der Caudium-Episode nicht allein dazu dienen, eine größere Geschlossenheit der Handlung herzustellen, sondern auch eine bestimmte Interpretation des Geschehens zu fördern, die eine Erklärung für die römische Niederlage nahelegt, worauf an späterer Stelle noch zurückzukommen sein wird. Die offensichtlichste Erklärung, die Livius für die Niederlage von Caudium bietet, legt Livius indes dem Gegner Roms, C. Pontius, in den Mund, der in seiner Rede zu Beginn des neunten Buches seinem samnitischen Publikum darlegt, warum die Götter dieses Mal auf der Seite der Samniten stehen würden, weshalb der neue Feldzug wiederum zu einer Niederlage der Römer führen werde.53 Pontius greift dabei auf Ereignisse zurück, die Livius am Ende von Buch acht geschildert hatte.54 Die dort berichtete Niederlage hätten die Götter den Samniten widerfahren lassen, weil sie sich selbst durch den Beginn des Krieges des Vertragsbruches schuldig gemacht hätten. Diese Schuld sei durch den Misserfolg jedoch inzwischen vergolten. Da die Römer die samnitische Gesandtschaft, die nach dem römischen Sieg mit einem Friedensangebot und dem Willen zur Auslieferung der Schuldigen zu ihnen gekommen war, jedoch hochmütig zurückgewiesen hatten, hätten diese nun selbst in den Augen der Götter und Menschen Schuld auf sich geladen. Denn eine größere Wiedergutmachung sei nicht möglich, auch die Römer hätten durch ihre unversöhnliche Haltung daher gezeigt, dass sie jedes Maß verloren hätten, weshalb die Götter nun auf der Seite der Samniten ständen. Der Krieg gegen Rom sei nunmehr geradezu eine Notwehr gegen die blut- und beutegierigen Römer.55 Um die Interpretation der Vorgänge durch Pontius zu bestätigen, wollte sich Livius offenbar nicht darauf verlassen, dass seine Leser dessen Deutung aus der weiteren Darstellung der Ereignisse bei Caudium ablesen können, sondern er fügte direkt an die Rede des Samniten eine explizite

52Vgl.

Oakley 2005, 11 f. Zu Livius’ Darstellung der ‚Gallischen Katastrophe‘ siehe oben Abschn. 3.1.5. Dieser Eindruck wird noch dadurch unterstützt, dass Livius kaum Angaben zu der Zeit macht, die zwischen den einzelnen Ereignissen jeweils vergangen ist. Siehe für diesen Hinweis bereits Oakley 2005, 12. Vgl. Bruckmann 1936, 5. Diese Anlage der Darstellung ist durchaus ungewöhnlich, wenn man als Vergleich etwa die Schilderungen der Einnahme Roms durch die Gallier oder Hannibals Feldzug in Italien während des Zweiten Punischen Krieges heranzieht, wo Livius jeweils immer wieder Hinweise zu zeitlichen Abständen zwischen einzelnen Ereignissen gibt. 53Liv. 9,1,2–11. 54Liv. 8,38,1–39,15. 55Diese Gedanken äußert Pontius besonders in Liv. 9,1,9–11.

4.3  Schmachvolle Lektionen – die augusteische Zeit

183

Bestätigung an, in der er die Prophezeiung des Pontius nicht nur als ermutigend sondern auch als wahr oder zutreffend bezeichnet.56 Letztlich gelingt der Plan des Pontius, wodurch die Römer in die Falle bei Caudium gehen.57 Livius’ Darstellung in der entsprechenden Passage legt die Interpretation nahe, dass die Römer auch deswegen in diese Konstellation geraten, weil sie in einer Weise agierten, die für römische Soldaten gänzlich untypisch sei. Dies zeigt sich in der dicht gedrängten Passage, in der Livius die Reaktionen der Römer beschreibt, nachdem sie erkannt haben, dass sie in einen Hinterhalt geraten sind, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint. Die römischen Soldaten sind zunächst bestürzt und vor Schreck wie gelähmt, da sie eine „ungekannte Starre“ (torpor insolitus) befallen habe.58 Erst als sie sehen, dass die Zelte der Konsuln errichtet werden, bewegen sich die Soldaten wieder und einige von ihnen beginnen ebenfalls mit dem Lageraufbau, werden jedoch von anderen für diese Tätigkeit mit Spott überzogen. Die Konsuln, Sp. Postumius Albinus und T. Veturius Calvinus, selbst sind derart ratlos und bestürzt, dass sie keinen Kriegsrat einberufen, sondern untätig in ihren Zelten sitzen. Diese Situation führt wiederum dazu, dass die Römer hinsichtlich der Frage nach dem weiteren Vorgehen in eine verworrene Uneinigkeit verfallen und die gesamte Nacht mit ergebnislosen Diskussionen verbringen, wobei sie weder an Nahrungsaufnahme, noch an Schlaf gedacht hätten.59 In den Gesprächen zwischen den römischen Soldaten in dieser Nacht, die Livius pointiert zusammenfasst, wird ein weiteres Mal die Aussichtslosigkeit der taktischen Lage hervorgehoben.60

56Liv.

9,2,1 (Haec non laeta magis quam vera vaticinatus exercitu educto circa Caudium castra quam potest occultissime locat […]). Vgl. u. a. Bruckmann 1936, 5; Pausch 2011, 180 („Dieser Interpretation der Geschehnisse und der damit einhergehenden Kritik an Roms Außenpolitik widerspricht der Erzählers [sic] nicht, sondern stimmt ihm bei der Schilderung der Reaktion des internen Publikums ausdrücklich zu, wenn er festhält, daß Pontius dies nicht nur zur Freude seiner Zuhörer, sondern auch in Übereinstimmung mit der Wahrheit vorausgesagt hat.“). 57Liv. 9,2,4–5. Die eigentliche Entscheidung, den Weg durch die Caudinischen Pässe einzuschlagen, lässt Livius allerdings aus. Nach der Beschreibung der beiden möglichen Wege nach Luceria setzt die Handlung unmittelbar an dem Punkt an, an dem die Konsuln das Heer in das Tal bei Caudium führen (Liv. 9,2,9). Vgl. Grossmann 2009, 63. 58Liv. 9,2,10 (sistunt inde gradum sine ullius imperio, stuporque omnium animos ac velut torpor quidam insolitus membra tenet, […]). Vgl. zu dieser Stelle Oakley 2005, 62. 59Der Verzicht auf diese körperlichen Bedürfnisse kann von Livius und anderen Autoren durchaus auch als positiv, da Zeichen charakterlicher Stärke, geschildert werden. Siehe etwa Livius’ Charakterisierung des Hannibal (Liv. 21,4,3–9) oder diejenigen, die Sallust zu Iugurtha bietet (Sall. Iug. 6,1). In diesen Fällen handelt es sich jedoch jeweils um einen bewussten Verzicht und nicht – wie im Fall der Römer bei Caudium – um das Resultat geistiger Verwirrung. Vgl. zu den beiden genannten Stellen die Überlegungen unten in Abschn. 5.2.5.1. 60Liv. 9,3,1–4. Eigentlich gilt die Nacht in der antiken Überlieferung als die passende Zeit zum Schmieden eines Planes (vgl. die Beispiele in Oakley 2005, 64 (dort: „traditionally the time for making plans“). Dass den Römern dies hier nicht gelingt, sondern sie die Zeit mehr mit Jammern verbringen (querentes magis quam consultantes), scheint ein weiterer Hinweis darauf zu sein, wie sehr die ungewohnte Situation sowie die eigentümliche Umgebung im Tal zum gänzlich ungewohnten Verhalten der Römer beiträgt (vgl. bereits ähnlich Oakley 2005, 64).

184

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Fasst man diese Beobachtungen zusammen, wird die Niederlage von Caudium bei Livius also recht explizit dadurch erklärt, dass die Römer zuvor die Götter verärgert hätten, als sie das samnitische Ersuchen um Frieden abgelehnt hatten.61 Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass die Römer dies, jedenfalls nach der Ansicht des Pontius, vor allem aus einer Maßlosigkeit heraus getan hatten, in der sie das normkonforme Vorgehen der Samniten ignoriert hatten, da sie nach noch mehr Gewinn aus ihrem Sieg strebten.62 Die Niederlage bei Caudium ist die Strafe für dieses Vergehen. Diese Deutung wird an späterer Stelle nochmals durch den römischen Konsul Sp. Postumius Albinus bestätigt, der in einer Rede, die er nach der Wahl der neuen Konsuln im Rahmen der Diskussion über die Wiederaufnahme des Krieges hält, betont, dass bei Caudium „nichts“ nach „menschlichen Ratschlüssen“ geschehen sei, da die „unsterblichen Götter“ den Feldherren der Römer, wie auch denen der Feinde, den „Verstand“ genommen hätten.63 Denn die Römer seien zu unvorsichtig vorgerückt, während es die Samniten nicht verstanden hätten, ihren Sieg adäquat auszunutzen.64 Dass es sich hierbei nicht um eine reine Schutzbehauptung des Postumius handelt, sondern diese auch die Zustimmung des Erzählers findet, wird bei einer genaueren Analyse der Passage erkennbar, beginnend an der Stelle, in der die römischen Soldaten in das Tal bei Caudium einrücken. Dort werden die Römer, wie gesehen, nicht nur als überrascht oder erschrocken, sondern als teilweise wie gelähmt geschildert, was besonders auf die Konsuln zutrifft.65 Auch als sie wieder zu Aktionen oder zumindest zu Beratungen in der Lage sind, sind diese wenig zielführend.66 Auf der anderen Seite zeigen sich auch die Samniten als ratlos, was zunächst besonders erstaunlich erscheinen mag, da ihr Plan funktioniert hat und sie die Römer, wie vorgesehen, im Tal eingeschlossen haben.67 Lipovsky erkennt in der Darstellung der Römer bei Caudium daher einen temporären Verlust ihres eigentlichen Charakters, der eben durch den – letztlich ebenfalls vorübergehenden – Verlust der göttlichen Gunst zustande gekommen sei.68 Dieser Eindruck lässt sich tatsächlich gewinnen und er wird noch durch die Bemerkung des Livius unterstrichen, nach der es den Römern beim Verlassen des Tals, also nachdem sie

61So auch bereits Nissen 1870, 42 f.; Bruckmann 1936, 4 f.; Lipovsky 1984, 144; Levene 1993, 226 f.; Forsythe 1999, 70; Chaplin 2000, 34 f.; Oakley 2005, 13 f. (u. a. 13 :„[…] his primary explanation for Rome’s troubles is that she has lost the favour of the gods“); Grossmann 2009, 63 f. 62So in Liv. 9,1,9. 63Liv. 9,9,10 (nihil ad Caudium, patres conscripti, humanis consiliis gestum est: di inmortales et vestris et hostium imperatoribus mentem ademerunt.). Vgl. Bruckmann 1936, 25. 64Liv. 9,9,11–13. 65Liv. 9,2,11. Vgl. Oakley 2005, 16. 66Vgl. bereits Bruckmann 1936, 7 f. 67Liv. 9,3,4. Vgl. Lipovsky 1984, 145. 68Lipovsky 1984, 143–145. Vgl. zustimmend Oakley 2005, 16 und siehe bereits Bruckmann 1936, 6–8.

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185

kapituliert hatten und durch das Joch abgezogen waren, vorgekommen sei, als „seien sie der Unterwelt entrissen“ und als würden sie „zum ersten mal das Licht“ erblicken.69 Niedergeschlagen machen sich die Römer nun auf den Weg über Capua nach Rom, wobei sie einen mitleiderregenden Anblick bieten.70 In Rom gelangen sie zu später Stunde an, begeben sich direkt in ihre Häuser und meiden für die nächste Zeit die Öffentlichkeit. Erst mit den Wahlen der neuen Konsuln und der Rede des Postumius nimmt die Stimmung in Rom einen Umschwung, was die Voraussetzung für die erfolgreiche Vergeltung an den Samniten bietet.71 Bei Caudium befinden sich die Römer hingegen noch, wie gesehen, nicht nur in einem Zustand größter Verzweiflung und wirken ratlos, teilweise paralysiert, sondern fühlen sich beim Verlassen des Tales so, als würden sie die Unterwelt (infe­ ris) verlassen. In diesem Zusammenhang ist auch die Beschreibung der Topografie des Tals bei Livius von Interesse.72 Da wir nicht wissen, ob Livius diese Gegend jemals selbst besucht hat, ist es nicht ausgeschlossen, dass die oft angemerkten Ungenauigkeiten der Schilderung lediglich auf Unkenntnis zurückzuführen sind. So ist etwa der westliche Ausgang des Tals von Caudium, in dem das römische Heer vermutlich eingeschlossen wurde, tatsächlich nicht annähernd so schmal, wie Livius ihn beschreibt.73 Die Schilderung des Taleingangs durch Livius als angustia, die die tatsächlichen Verhältnisse also offenbar verzerrt, könnte nicht nur einem Mangel an Information sondern auch der Intention entstammen, jeden Angriff der Römer auf die samnitischen Stellungen als von vornherein aussichtslos zu präsentieren, um eine Rechtfertigung für die bald folgende Kapitulation gewissermaßen vorzubereiten.74 Allgemein ist zudem sicher der Beobachtung Bruckmanns zuzustimmen, der festhält, dass Livius schon durch die Wahl der Adjektive, mit denen er das Tal beschreibt, „das Bild einer auf den Menschen drückenden Landschaft“ evozieren möchte.75 In einem anderen Beitrag hat Morello

69Liv.

9,6,3 (ita traducti sub iugum et quod paene gravius erat, per hostium oculos, cum e saltu evasissent, etsi velut ab inferis extracti tum primum lucem aspicere visi sunt, tamen ipsa lux ita deforme intuentibus agmen omni morte tristior fuit.). Vgl. Morello 2003, 295. 70Liv. 9,6,3–13. 71Auf dem Weg dorthin muss allerdings noch das Problem des Abkommens angegangen werden, dessen Deutung bei Livius weiter unten einem näheren Blick unterzogen werden wird. 72Trotz jahrzehntelanger Bemühungen konnte im Gebiet rund um Caudium kein Ort gefunden werden, der vollständig auf die Beschreibung des augusteischen Historiografen passt. Zur Frage der Lokalisierung der Schlacht und der Topografie vor Ort siehe Nissen 1870, 10–18; Salmon 1967, 225 f.; Oakley 2005, 52–60; Grossmann 2009, 61–63; Cornell 2017, 475. 73Liv. 9,2,8. Hier dürfte es, wie bereits erwähnt, den Samniten kaum möglich gewesen sein, eine Sperre zu errichten, die von den Römern als unüberwindlich angesehen wurde, da für einen solchen Bau keine Zeit gewesen sein dürfte. Vgl. Grossmann 2009, 61 f. 74Siehe in diesem Sinne bereits Lipovsky 1984, 142; Oakley 2005, 16 („L.’s description of the terrain of the Caudine Forks is imaginary […]. However, he has exaggerated its difficulties in such a way as to help absolve the Romans from their defeat.“). Vgl. Grossmann 2009, 64. 75Bruckmann 1936, 6, Anm. 6 („Die Adjektiva (alti, silvosi, angusti, perpetui) sind nicht geeignet, eine bestimmte Gegend zu umreißen, sondern reizen alle die Phantasie des Lesers an und geben das Bild einer auf den Menschen drückenden Landschaft.“). Vgl. Morello 2003, 291 f.

186

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eine weitere Lesart vorgeschlagen, nach der Livius’ Beschreibung der Topografie bei Caudium, die Charakteristika eines locus amoenus aufweise, in dem die römischen Soldaten einen Fremdkörper darstellten, was wiederum dazu beitrage, ihre eigentümliche Unfähigkeit zu erklären, auf die bedrohliche Situation angemessen zu reagieren.76 Ob es tatsächlich naheliegt, einen bedrohlichen Ort, wie das Tal bei Caudium, mit den Charakteristika eines locus amoenus zu assoziieren, erscheint indes fraglich.77 Das schließt die Deutung Morellos zwar noch nicht gänzlich aus, deutet aber an, dass die Römer den Umständen, in denen sie „von der wirklichen Welt getrennt sind“, nicht willenlos ausgesetzt sind.78 Darauf dass sich die Römer grundsätzlich tatsächlich an einem Ort befinden, der sich von der Welt, aus der

76Morello

2003, bes. 293 f.: „This mismatch between the soldiers and their environment functions on other levels too. A soldier is usually a destructive alien in the pastoral world of otium and peaceful husbandry and the soldiering profession banishes men […] from the pastures. The locus amoenus is intrinsically hostile to the natural functioning of the Roman military unit.“. Zu den Charakteristika des locus amoenus in der klassischen Literatur siehe allgemein Haß 1998, bes. 98 f.). Besondere Aufmerksamkeit verdiene in diesem Zusammenhang die Beschreibung des Talkessels selbst, der nach Livius ein weites Feld, „reich an Gras und Wasser“, durch dessen Mitte ein Weg führe, umfasse. Siehe Liv. 9,2,7 (iacet inter eos satis patens clausus in medio campus herbidus aquosusque, per quem medium iter est) und vgl. Morello 2003, 292. Auch die hohen und in düsteren Farben gemalten Berge rund um das Tal stünden dieser Deutung des Schauplatzes nicht im Wege. Vielmehr weise der Weg durch die Felsschlucht, durch die die Römer in das Tal gelangt seien – die sich wiederum, wie oben bereits gesehen, in der realen Topografie von Caudium nicht finden lässt – auf eine „pastoral ambience“ hin, die sich sehr gut zur Interpretation des Schauplatzes als einer Form des klassischen locus amoenus anfügen lasse (Liv. 9,2,9: cava rupem). Vgl. Morello 2003, 292. An diese Beobachtungen ließen sich, nach Morello, wiederum mehrere Deutungen anschließen. Zum einen ist der locus amoenus in der klassischen Literatur ein gerne gewählter Schauplatz für Hirtenszenen. Dies korrespondiere, so Morello, in gewisser Weise mit der List der Samniten, die die Römer als Hirten verkleidet in den Hinterhalt im Tal locken. Es ließe sich darüber hinaus erwägen, ob sich hier noch eine weitere Anspielung auf den, zwar kaum den historisch-authentischen Umständen entsprechenden, von römischer Seite ihnen aber mitunter gerne zugeschriebenen, Charakter der Samniten als wenig zivilisiertes Berg- und Hirtenvolk verbirgt. Vgl. zur Stelle Morello 2003, 294. So etwa bei Liv. 9,14,3. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass das Bild, das sich Römer und Griechen in der Antike von den Samniten machten, nicht nur negativ ausgelegt wird, sondern, bei Livius und anderen Autoren, auch positive Elemente, wie eine ursprüngliche Tapferkeit und persönlichen Mut, enthält. Vgl. hierzu sowie zu antiken (und modernen) Vorstellungen von den Samniten u. a. Oakley, 2005, 18; Grossmann 2009, 15–18; Bernard 2015, 45. Zum anderen finde sich nach Morello hier eine Parallele zu anderen Werken, in der die Schönheit eines Ortes und die dort verborgene Gefahr oftmals einen Kontrast bilden (Morello 2003, 293 f.: „The challenge to the Romans is a struggle against the landscape itself, a terrain which by its nature prevents them from showing who they really are and what they can do.“, 294).

77In

jedem Fall gelingt es wenigstens einigen Römern, wie dem altgedienten Legaten und Konsular L. Lentulus (siehe unten) auch in dieser Umgebung Entschlossenheit und Hingabe an die res publica an den Tag zu legen. Die Rede des Lentulus bei Liv. 9,4,7–16. Vgl. in diesem Sinne Oakley 2005, 79 f. 78Morello 2003, 294 („separated from the real world“).

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die römischen Soldaten gekommen sind, deutlich unterscheidet, deutet die bereits erwähnte Formulierung des Livius hin, nach der die Römer sich beim Verlassen des Tals gefühlt hätten, als seien sie der „Unterwelt“ entrissen.79 Maßlosigkeit und Gier hatten die Römer davon abgehalten, die allen Normen entsprechende Wiedergutmachung der Samniten anzuerkennen, was wiederum dazu geführt hatte, dass die Götter den Römern ihre Gunst entzogen und sie mit der Niederlage bei Caudium für ihre Vergehen bestraften. Sowohl das Gelingen der List der Samniten als auch die Begebenheiten des Hinterhaltes selbst können daher als eine Folge der moralisch verwerflichen Handlungen der Römer angesehen werden, die die Strafe der Götter ausgelöst hatte.80 Das gilt letztlich wohl auch für weitere Erklärungen für die Niederlage, die sich im Text erkennen lassen.81 So erscheinen die beiden Konsuln, die bemerkenswerterweise nach dem Aufbruch des Heeres bis zur Rückkehr nach Rom kein einziges Mal namentlich erwähnt werden, als ausgesprochen führungsschwach.82 Dies bleibt wiederum nicht ohne Auswirkungen auf die einfachen Soldaten, die zum Zelt der Feldherren blicken und von ihnen offenbar ein Signal erwarten, doch in dieser Erwartung enttäuscht werden.83 Anschließend offenbart sich unter den Soldaten Uneinigkeit über das weitere Vorgehen, was wiederum als eine Folge des Mangels an klarer Führung durch die Konsuln anzusehen ist. Den entscheidenden Beitrag, der zur Annahme der samnitischen Bedingungen führt, liefert bezeichnenderweise auch nicht einer der beiden Konsuln, sondern der Veteran L. Lentulus.84 Wie schon hinsichtlich der ‚Gallischen Katastrophe‘ ist es also möglich, bei Livius eine Hierarchisierung der Erklärungen für die Niederlage herauszuarbeiten. Die grundlegende Ursache für den Misserfolg ist dabei in beiden Fällen moralischer Natur, denn die Römer ziehen die Missgunst der Götter durch ihre Habsucht und Gier auf sich.

79Liv. 9,6,3. S. hierzu Morello 2003, 294  f. Ohne Zweifel stellt die literarisch stilisierte Bearbeitung der Beschreibung der Topografie der caudinischen Pässe einen Grund dafür da, warum die zahlreichen forschenden Reisenden der Neuzeit erfolglos geblieben sind, die sich, mit dem Text des Livius in der Hand, auf die Suche nach einem Tal gemacht hatten, das den dort gegebenen Schilderungen genau entspricht. Vgl. Oakley 2005, 52 („The precise site of the Caudine Forks must have been well known in antiquity, but has been much debated by modern scholars. The main reason for this is that L.’s narrative, which provides our only description of the area, satisfies deeply as literature but hardly at all as a piece of topographical description; modern researchers have been quite wrong to use it as though it were a tourist-guide bought from nearby Benevento.“). Siehe allgemein außerdem Östenberg 2018, 243 zum schematischen Charakter von Schlachtfeldbeschreibungen in der römischen Überlieferung. 80Vgl. bereits ähnlich Chaplin 2000, 35 („But the episode’s moralistic colour is not limited to the god’s involvement. Livy’s human agents also invite a consideration of the moral issues to be found in history.“); Oakley 2005, 14 („The gods may be the prime movers in the downfall of the Romans, but the action still has to be worked out on the human level.“). 81Siehe hierzu bereits Oakley 2005, 14–16. 82Vgl. Oakley 2005, 20. 83Liv. 9,2,15. 84Direkt im Anschluss an die Rede des Lentulus berichtet Livius, dass sich die beiden Konsuln zu Pontius begeben hätten. Zu Lentulus siehe unten.

188

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Die Niederlage gegen die Samniten bei Caudium hatten die Römer durch ihre Missachtung des Angebotes ihrer Feinde, das am Ende des achten Buches geschildert wird und durch das sie die Missgunst der Götter auf sich gezogen hatten, selbst eingeleitet. Die weiteren Erklärungen der Niederlage, wie das Gelände bei Caudium, die Inkompetenz der Feldherren, die Uneinigkeit der römischen Soldaten, in der sich auch ein vorübergehender Verlust als typisch römisch bewerteter Charaktereigenschaften, wie Mut und Entschlossenheit, zeigt, gehen letztlich alle auf die eigentliche Ursache – die Verärgerung der Götter und die folgende Bestrafung – zurück. Vor diesem Hintergrund kann die Wende in der Handlung erst dann eintreten, wenn die Römer ihre Bestrafung durch die Niederlage erhalten haben, weshalb auch erst die Rede des Postumius, der den Weg zur gerechten Vergeltung an den Samniten weist, diese Wende im Text markieren kann. Allerdings lassen sich Hinweise darauf erkennen, dass die Römer schon zu einem früheren Zeitpunkt nicht gänzlich verblendet waren. So mögen sie das Angebot der Samniten zwar aus einer Einstellung zur Maßlosigkeit heraus abgelehnt haben, den Anstoß zum Marsch durch die Caudinischen Pässe gibt jedoch ein Hilferuf der Verbündeten in Luceria.85 Dieser ist zwar durch die Samniten fingiert (und passt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht zu den historischen Umständen), doch stellt er innerhalb der Erzählung im Text eine aus römischer Sicht sehr gerechte Begründung für den Krieg dar.86 Das Motiv, dass die Römer zur Unterstützung ihrer Verbündeten und auf deren Hilferuf hin in den Krieg ziehen, ist in der römischen Überlieferung weit verbreitet, dürfte für die Leser des Livius also einen akzeptablen Kriegsgrund darstellt haben, und erklärt zudem bis zu einem gewissen Grad textimmanent auch die Eile, mit der die Römer in Richtung Luceria aufbrechen und dabei dann auch die Durchquerung des unwegsamen und unübersichtlichen Geländes bei Caudium in Kauf nehmen.87 Auch die Rede des Legaten L. Lentulus, der die anderen römischen Soldaten davon überzeugt, auf die Forderungen der Samniten einzugehen und zu kapitulieren, ist im Zusammenhang mit der römischen Bewältigung der Niederlage zu beachten.88 Lentulus ergreift das Wort, weil die übrigen Römer im Tal mehrheitlich gegen die Annahme der schmachvollen Bedingungen des Pontius sind. Die Soldaten empfinden diese sogar noch schlimmer als den Tod. Lentulus kann demnach nicht sicher darauf zählen, eine Mehrheit für seinen Vorschlag hinter sich zu wissen.89 Um die anderen Römer zu überzeugen, verweist Lentulus zunächst

85Liv.

9,1,5. Chaplin 2000, 35; Grossmann 2009, 60 („Livius ist aber bemüht, das folgende Geschehen zu erklären und die römischen Feldherren zumindest teilweise von ihrer Schuld zu entlasten, indem er sie aus moralischer Verpflichtung heraus die Fehler begehen lässt, die zum folgenden Desaster führen werden.“). 87Das wird so zwar nicht explizit gesagt, aber darf angenommen werden, da ja erwähnt wird, dass der Weg, den die Römer schließlich wählen, der kürzere gewesen sei (Liv. 9,2,6). 88Liv. 9,4,7–16. Vgl. hierzu Oakley 2005, 77–85. 89Liv. 9,4,6. Vgl. Bruckmann 1936, 12. 86Vgl.

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189

auf eine vergleichbare Situation in der römischen Vergangenheit, um durch den Rückgriff auf das historische Beispiel Gewicht für seine eigene Position zu gewinnen. Hierbei handelt es sich um die Belagerung des Kapitols durch die Gallier nach deren Sieg an der Allia. Die Römer hatten damals bekanntlich nach langer Belagerung schließlich Verhandlungen mit den Feinden aufgenommen und sich mit Gold freigekauft, bevor – jedenfalls bei Livius – Camillus auftauchte um die Zahlung zu unterbinden und die Gallier zu vertreiben.90 Lentulus behauptet nun, dass sein Vater unter den Verteidigern des Kapitols der einzige Römer gewesen sei, der dem Senat von der Zahlung des Goldes an die Gegner abgeraten hätte.91 Lentulus’ Vater habe dazu raten können, weil die Bedingungen für einen Ausfall im Grunde recht günstig gewesen waren. Schließlich hätten die nachlässigen Gallier das Kapitol nicht einmal mit einem Wall umgeben gehabt. In ihrer eigenen Situation bei Caudium sei ein solches Unternehmen aufgrund der Geländeverhältnisse von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Nun sei es zwar gewiss ehrenvoll für das Vaterland zu sterben – und ohne Zweifel sei er, Lentulus, bereit hierzu –, doch sei dieses Vaterland dem Untergang geweiht, wenn nun sämtliche Soldaten Roms vernichtet würden und die Stadt selbst schutzlos dastehe.92 Daher sei es unter den gegebenen Umständen nicht nur vertretbar sondern sogar die Pflicht der eingeschlossenen Römer, die persönliche Schmach der Kapitulation auf sich zu nehmen, um dem Vaterland insgesamt dienen zu können.93 Die Position, die Lentulus schließlich durchsetzen kann, ist offenbar hoch umstritten. Morello sieht in der Rede des Legaten sogar einen weiteren Hinweis darauf, dass die wahren römischen Eigenschaften durch die fremdartige Umgebung des Tals vorübergehend verloren gegangen seien.94 Doch dies ist hier wohl nicht der Fall. Denn Livius gibt in seiner Schilderung der Rede und der Situation, in der Lentulus diese hält, Hinweise darauf, dass er die Ansicht des Legaten

90Liv.

5,49,1–7. Siehe ausführlich oben Abschn. 3.1.5. Verweis ist insofern bemerkenswert, als dass Livius in der Darstellung in Buch 5 den Vater des Lentulus überhaupt nicht erwähnt. Möglicherweise tauchte er in anderen Versionen der Geschichte auf, die heute verloren gegangen sind, auf die Livius sich aber noch beziehen konnte, auch wenn er sie nicht selbst in seine Darstellung eingebunden hatte. Es ist jedoch auch durchaus denkbar, dass Livius den Vater des Lentulus schlicht erfunden hat. Vgl. in diesem Sinne bereits Luce 1993, 87, Anm. 44, der zudem auf den sehr hohen zeitlichen Abstand zwischen beiden Ereignissen verweist, der es unplausibel erscheinen lässt, dass der Vater im Zuge der Belagerung des Kapitols, der Sohn bei Caudium jeweils eine tragende Rolle gespielt haben sollen („Note the seventy year gap.“); Oakley 2005, 80. Im Kontext der Rede des Lentulus scheint jedoch relevanter, dass der Legat (und durch ihn Livius) durch den Vergleich auf die Verteidiger des Kapitols, deren Mut und Opferbereitschaft zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt wird, darlegen kann, weshalb eine Kapitulation bei Caudium zu vertreten sei. Vgl. in diesem Sinne auch Chaplin 2000, 40 („Livy’s aim here, however, is not to reproduce his own narrative, but to explain why the Romans decided to accede to the Samnite demands.“). 92Liv. 9,4,9–14. 93Liv. 9,4,15–16. 94Morello 2003, 294. 91Dieser

190

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für die richtige hält, die römische Kapitulation in diesem Fall also zu rechtfertigen sei.95 Denn als Lentulus das Wort ergreift, verleiht ihm Livius eine besondere Autorität, indem er darauf hinweist, dass dieser seiner früheren Leistungen und Ämter wegen der princeps legatorum war.96 Ein besonderes Gewicht erhalten die Worte des Lentulus auch dadurch, dass er sich entgegen dem Beispiel, das einst sein Vater gegeben hatte, für die Annahme der samnitischen Bedingungen einsetzt. Von einem römischen Nobilis könnte man eigentlich eher eine Nachahmung der väterlichen Taten erwarten.97 Dass Lentulus hier derartigen Handlungserwartungen nicht entspricht, möchte Livius jedoch im gegebenen Kontext kaum als Anzeichen für mangelnde moralische Haltung des Legaten verstanden wissen, sondern im Gegenteil wohl als Ausweis für die ehrenhafte Gesinnung des Lentulus, der persönliche Belange hinter die der Gemeinschaft zurückstellt und auf diese Weise ein nachahmenswertes Beispiel bietet.98 Besondere Bestätigung erfährt der Rat des Lentulus im Nachhinein durch den weiteren Kriegsverlauf, nach der Wahl der neuen Konsuln, als es den Römern gelingt, rasch große Erfolge einzufahren.99 Trotz des vorübergehenden Verlustes ihrer eigentlich angestammten Tugenden und der hieraus folgenden Verzweiflung und Ratlosigkeit gelingt es also, wenn schon nicht den Konsuln, doch wenigstens einem römischen Unterführer, moralische Integrität mit selbstloser Opferbereitschaft für das Vaterland zu verbinden. Auf eine Wende zugunsten der Römer weist nicht nur die Rede des Lentulus hin. Noch expliziter geschieht dies durch die Worte zweier Figuren, die nicht auf römischer Seite stehen: des alten Samniten Herennius Pontius sowie des Capuaners A. Calavius. Beide haben gemeinsam, dass sie gegenüber ihren jeweiligen Landsleuten voraussagen, dass die Römer zwar in der Stunde der Niederlage

95Vgl.

in diesem Sinne bereits Chaplin 2000, 36; Oakley 2005, 16, Anm. 4., und siehe Grossmann 2009, 69, der die Passage ebenfalls dahin gehend deutet, dass Livius danach gestrebt habe, jedwede Zweifel am Charakter des Lentulus und damit auch an seiner Argumentation zu zerstreuen. 96Liv. 9,4,7 (tum L. Lentulus, qui princeps legatorum virtute atque honoribus erat). Offenbar war Lentulus im Jahr 327 Konsul und kämpfte in Kampanien gegen die Samniten (siehe Broughton 1951, 145 mit den Quellen). Ein hohes Alter und politische wie militärische Erfahrung deuten im livianischen Text auch an anderen Stellen allgemein eher darauf hin, dass den Argumenten des jeweiligen Sprechers recht hohes Gewicht beizumessen ist. Vgl. zur Wertschätzung des Alters in der römischen Gesellschaft generell Walter 2004a, 14 f. Im Rahmen der Caudium-Episode gilt dies in besonderem Maße, da hier gleich mehrere erfahrene Redner auftreten, denen zunächst niemand Glauben schenkt, deren Voraussagen sich jedoch erfüllen. Hierauf wird weiter unten noch eingegangen werden (siehe die folgenden Bemerkungen zu den „warning figures“ Herennius Pontius und A. Calavius). 97Siehe hierzu u. a. Walter 2004b mit einer Reihe von Beispielen. 98Vgl. Bruckmann 1936, 13 („Die Rede des Lentulus erzwingt in besonderem Maße die Billigung des römischen Verhaltens durch den Leser, da es auf diesen nicht ohne Eindruck bleiben kann, daß gerade Lentulus sich für die Annahme des Vertrages einsetzt, obwohl er von seinem Vater her gewissermaßen für Widerstand prädestiniert ist.“). 99Vgl. Oakley 2005, 16, Anm. 4.

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geschlagen erscheinen mögen, doch dass sie diese gemäß ihres Wesens keinesfalls hinnehmen würden. Bald schon würden die Römer erneut erstarken und die Samniten dann ohne Zweifel besiegen.100 Derartige „warning-figures“ tauchen in der antiken Überlieferung generell nicht selten auf.101 In der Darstellung von Krisen Roms, die durch militärische Niederlagen hervorgerufen worden waren, verwendet nicht nur Livius dieses Motiv auch an anderer Stelle.102 Dass gerade aktuelle oder ehemalige Feinde Roms sich davon überzeugt zeigen, dass die Römer trotz einer momentanen Niederlage wieder zu alter Stärke zurück gelangen und den Krieg noch zu ihren Gunst wenden würden, muss ihre Ansicht darüber hinaus noch relevanter erscheinen lassen.103 Der weitere Verlauf der Handlung gibt auch Herennius Pontius und Calavius recht, denn tatsächlich erheben sich die Römer auch in diesem Fall und bezwingen ihre Gegner nach einer niederschmetternden Niederlage.104 Eine wichtige Position bei der Überwindung der Niederlage und ihrer Folgen nimmt die Frage der Rechtmäßigkeit der römischen Wiederaufnahme der Kämpfe nach der Rückkehr des Heeres nach Rom ein. In dieser Hinsicht positioniert sich Livius in großer Klarheit, indem er entsprechende Deutungen bei Vorgängern

100Liv.

9,3,12–13; 9,7,2–5. Vgl. generell Lipovsky 1984, 145 f.; Chaplin 2000, 37–39; Oakley 2005, 19 f. 101Lipovsky 1984, 145; Oakley 2005, 19 („[…] L. presents us with two foreign warning-figures, who take a longer-term view of the Roman character and see the true consequences of the Caudine Forks for the Samnites.“). 102Etwa in Liv. 22,37,3 (Hieron II. von Syrakus, ein ehemaliger Gegner Roms, unterstreicht dessen besondere Fähigkeit, aus Niederlagen gestärkt wieder hervorzugehen); 23,12,8–13,5 (der Karthager Hanno warnt im karthagischen ‚Senat‘ vor dem Wiedererstarken der Römer). Siehe zur Verwendung von solchen „Warnern“ in der antiken, besonders in der griechischen, Literatur u. a. Lipovsky 1984, 119, Anm. 1; Oakley 2005, 68–70 (mit zahlreichen Beispielen und weiterführenden Hinweisen). Siehe zudem Caldwell 2018, 341 f. zu Warnungen an die Adresse der Sassaniden nach der Gefangenname Valerians in der Schlacht von Edessa (260 n. Chr.). 103Schließlich haben sie ja bereits selbst die römische Macht und das Potenzial zur Bewältigung von Rückschlägen erfahren und sehen dieses als typische Charaktereigenschaft der Römer an. Auch das hohe Alter und die damit verbundene Erfahrung der Sprecher sind dazu geeignet, ihren Worten hohes Gewicht zu verleihen. Die Verbindung von hohem Alter mit physischer und mentaler Vitalität geht besonders aus Liv. 9,3,5 hervor (in corpore tamen adfecto vigebat vis animi con­ siliique). Vgl. Oakley 2005, 70 („a commonplace of classical literature“). Siehe in diesem Sinne bereits Bruckmann 1936, 9, 19 f. Chaplin 2000, 34 weist zudem in Hinsicht auf die vermeintlich widersprüchlichen Anweisungen des Herennius Pontius darauf hin, dass Livius anmerkt, diese seien den Samniten erschienen als stammten sie von einem „zweideutigen Orakel“ (Liv. 9,3,8: velut ex ancipiti oraculo). Der einzige Samnite, der die Situation adäquat einzuschätzen weiß, wird demnach „associated with divine knowledge that is incomprehensible to other mortals“). 104Vgl. Oakley 2005, 20 („As one suspects when they speak, Herennius and Calavius are proved to be right and the Romans do indeed show their true character in the second half of the story.“). Bruckmann 1936, 10 bringt als weiteres Motiv des Erzählers für den Einbau solcher „warning-figures“ aufseiten der Feinde ins Spiel, dass mit deren Einsatz die „ganze historische Situation […] für die Römer erträglich gemacht“ werde. Es handele sich um einen „Lichtblick, der in das Dunkel der römischen Stimmung fällt“.

192

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zurückweist, nach denen die Römer bei Caudium ein foedus abgeschlossen hätten, das die Republik insgesamt völkerrechtlich gebunden hätte.105 Die entschiedene Interpretation des Abkommens als sponsio, die lediglich die Bürgen gebunden hätte, ist für Livius schon deswegen notwendig, weil sie die eigentliche Wende kurz danach vorbereitet. Hätte es sich nicht um eine sponsio gehandelt, wäre die Empfehlung des Sp. Postumius, die dieser einige Kapitel später vorbringen darf, schließlich kein Ausdruck eines heroischen Selbstopfers, sondern der Aufruf zum unverhohlenen Bruch eines Eides und völkerrechtlicher Regeln. Livius’ eigenwillige Interpretation, mit der er sich, nach eigener Aussage, wohl gegen die Mehrheit der übrigen Überlieferung stellt und die historisch wohl kaum haltbar ist, übernimmt im Rahmen der Caudium-Episode also eine wichtige Funktion und deutet bereits auf die folgende Wende zu Roms Gunsten hin.106 Diese wird dann endgültig mit der Wahl der neuen Konsuln, Q. Publilius Philo und L. Papirius Cursor, eingeleitet, über die Livius berichten kann, dass die gesamte Bürgerschaft einig hinter ihnen gestanden habe, da es „zu dieser Zeit keine berühmteren Heerführer gegeben“ hätte.107 Wiederum muss diese Darstellung mit der historischen Konstellation nur bedingt etwas zu tun haben. Vielmehr zielt sie darauf ab, den Rezipienten zu signalisieren, dass die folgende römische Offensive sowohl vom gesamten Volk getragen wird, wodurch das Livius in vielen Passagen seines Werkes so wichtige Ideal der concordia omnium ordi­ num erfüllt wird, als auch die besten verfügbaren Feldherren erhält, nach denen eben die gesamte Bürgerschaft verlangt habe.108 Im Anschluss an die Notiz über die Wahl geht Livius dann direkt zur Rede des Postumius über, der durch seinen Nachfolger Publilius aufgefordert wird, Rechenschaft über die pax Caudina abzulegen.109 Die Ansprache des ehemaligen Konsuls leitet, wie erwähnt, die Wende zugunsten der Römer im Krieg gegen die Samniten ein und wird von Livius als zentrales Element der Darstellung der Niederlage von Caudium und ihrer Folgen daher in einer langen direkten Rede wiedergegeben. Dabei darf Postumius sogar ein zweites Mal das Wort ergreifen, um zwei renitente Volkstribune in die Schranken zu weisen.110 Zunächst führt er aus, dass er auf die Forderungen der Samniten keinesfalls eingegangen sei, um sich selbst zu schüt105Liv.

9,5,1–6. Vgl. Bruckmann 1936, 13–16; Levene 1993, 227 f.; Forsythe 1999, 70 f. Oakley 2005, 17 f. Zur historischen Rekonstruktion des Abkommens von Caudium siehe u. a. Salmon 226–233; Cornell 1995, 353; Oakley 2005, 31–38; Grossmann 2009, 72–81. 107Liv. 9,7,15 (Is consules creavit Q. Publilium Philonem et L. Papirium Cursorem iterum haud dubio consensu civitatis, quod nulli ea tempestate duces clariores essent.). 108Vgl. bereits Oakley 2005, 114 („although this statement may be true, it is quite as likely to be an annalistic or Livian invention; for L. had a romantic view of his warrior-heroes and liked to believe that their appointment was uncontroversial“). Zu Livius’ Wertschätzung der concordia und ihrer Bedeutung für seine historiografische Darstellung und Konzeption siehe u. a. Mineo 2015 und unten Abschn. 5.2.5.1. 109Liv. 9,8,1. Vgl. Bruckmann 1936, 22. 110Liv. 9,8,3–10 (erste Rede); 9,9,1–19 (zweite Rede). Postumius gibt an, auf eine Verteidigung seiner selbst verzichten zu wollen, jedoch möchte er seine Sicht auf das Geschehene darlegen. 106Vgl.

4.3  Schmachvolle Lektionen – die augusteische Zeit

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zen, sondern um das Leben der Soldaten zu bewahren. Daher habe er auch lediglich eine sponsio geleistet, die allein die übrigen sponsores und ihn selbst binde. Man möge daher jene anderen Bürgen und ihn selbst ausliefern, damit die Römer in der Lage seien, erneut einen „gerechten und frommen Krieg“ (iustum piumque bellum) gegen die Samniten zu beginnen.111 Die Konsuln sollten daher unverzüglich damit beginnen, ein neues Heer auszuheben und zu bewaffnen.112 Auf den Einspruch der Volkstribunen, die die Argumentation des Postumius hinsichtlich der sponsio anzweifeln, da sie, nach Livius, ihre eigene Auslieferung – sie waren offensichtlich als sponsores bei Caudium beteiligt – verhindern wollten, reagiert der Konsular mit einer direkten Entgegnung, die seine zweite Rede bildet.113 Die Volkstribunen möge man für die restliche Dauer ihrer Amtszeit schonen und dann ausliefern – wenn es nach ihm ginge, nach einer öffentlichen Auspeitschung auf dem Forum. Den sachlichen Einwand bezüglich des Charakters des Abkommens als sponsio, den die Tribunen angezweifelt hatten, weist Postumius wortreich zurück.114 In diesem Zusammenhang verteidigt er sich dann in gewisser Weise doch noch gegen die Vorwürfe des Versagens, indem er hervorhebt, dass bei Caudium nichts „nach menschlichen Plänen“ geschehen sei, sondern die Götter selbst sowohl die Römer als auch die Samniten in ihren Aktionen beeinflusst hätten. Um einen nachhaltigen samnitischen Sieg, so lässt sich folgern, sei es den Göttern dabei gar nicht gegangen, denn sonst hätten die Samniten ja in vieler Hinsicht geschickter agieren können.115 Daher sei der Einwand der Tribunen zurückzuweisen und der Krieg gegen die Samniten unverzüglich wiederaufzunehmen. Ihn selbst, Postumius, und die übrigen Bürgen solle man jedoch nun ausliefern, denn durch seinen Tod werde er die „römischen Waffen“ (Romana arma) befreien.116 Diese Rede gibt in Rom endgültig den Ausschlag dafür, Veturius und Postumius sowie die übrigen Bürgen auszuliefern, während Q. Publilius Philo und L. Papirius Cursor ein neues Heer ausheben sollen.117 Die römischen Bürger feiern den

111Liv. 9,8,4–6 (ego tamen, quando neque de noxa nostra neque de poena rettulistis, omissa defensione, quae non difficillima esset apud haud ignaros fortunarum humanarum necessitati­ umque, sententiam de eo, de quo rettulistis, paucis peragam; quae sententia testis erit, mihine an legionibus vestris pepercerim, cum me seu turpi seu necessaria sponsione obstrinxi, qua tamen, quando iniussu populi facta est, non tenetur populus Romanus, nec quicquam ex ea praeterquam corpora nostra debentur Samnitibus. dedamur per fetiales nudi vinctique; exsolvamus religione populum, si qua obligavimus, ne quid divini humanive obstet, quo minus iustum piumque de integro ineatur bellum.). 112Seine erste Rede schließt Postumius mit einer Bitte an die Götter, sich mit der bereits geleisteten Bestrafung seiner selbst, seines Kollegen und seiner Soldaten zufriedenzugeben und den neuen Konsuln und ihrem Heer einen erfolgreichen Feldzug gegen die Samniten zu gewähren. Liv. 9,8,7–10. 113Liv. 9,9,1–19. 114Liv. 9,9,3–8; 9,9,14–18. Vgl. Oakley 2005, 18. 115Liv. 9,9,11–12. Vgl. Bruckmann 1936, 25; Lipovsky 1984, 148. 116Liv. 9,9,19. 117Vgl. hierzu Bruckmann 1936, 25 f.; Lipovsky 1984, 148 f.

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Postumius derweil für seine Opferbereitschaft und setzen ihn sogar mit P. Decius Mus gleich, einem Paradigma der Selbstaufopferung für die res publica.118 Die Argumente, die Postumius vorbringt, fügen sich gut zu dem, wie zuvor entweder durch Äußerungen einzelner Figuren oder durch die Stimme des livianischen Erzählers selbst die Gründe für die Niederlage sowie die Aussicht auf deren Überwindung durch die Römer gedeutet worden waren.119 Die Rede des Postumius weist also nicht nur den Weg in die Zukunft Roms, die nun wieder Siege und Triumphe über die Samniten und andere Feinde bereithalten wird, sondern rekapituliert nochmals das Geschehen, bündelt dabei die Erklärungen für die Niederlage und nennt die Voraussetzungen für den kommenden Erfolg. In den folgenden Kapiteln wird Postumius nicht nur durch den Siegeszug der neuen Konsuln bestätigt, der im römischen Sieg bei Luceria, der Unterjochung des Pontius und seiner Armee und damit gewissermaßen in einer Spiegelung der römischen Niederlage bei Caudium mündet.120 Denn fortan zeigen, wie wir nun sehen werden, in Livius’ Text sowohl die römischen Feldherren als auch die einfachen Soldaten, dass sie die richtigen Lehren aus der Niederlage gezogen haben. Bereits einige Jahre nach den Ereignissen von Caudium, im Jahr 311, zieht der Konsul Iunius Bubulcus mit seinen Truppen nach Samnium, wo die Römer in einem bewaldeten Gebirgstal von den Samniten von allen Seiten aus dem Hinterhalt heraus angegriffen werden.121 Für eine kurze Zeit geraten die Römer in Unordnung, doch schließen sie aufgrund ihrer militärischen Disziplin rasch ihre Reihen. Iunius eilt zwischen den Kämpfenden umher und stärkt die Moral seiner Soldaten, wobei er vor allem darauf hinweist, dass für die virtus Romana

118Gleichsetzung

des Postumius mit P. Decius Mus: Liv. 9,10,3–4 (3 : Postumius in ore erat, eum laudibus ad caelum ferebant, devotioni P. Deci consulis, aliis claris facinoribus aequabant…). Vgl. Oakley 2005, 131 („Postumius was compared to Decius because his action could be viewed as a substitutionary sacrifice on behalf of the state“), der zudem darauf hinweist, dass diese Anerkennung bereits in der Rede des Lentulus angedeutet worden war (nämlich in Liv. 9,4,10: equidem mortem pro patria praeclaram esse fateor et me vel devovere pro populo Romano legio­ nibusque vel in medios [me] inmittere hostes paratus sum…). 119Mit der Notwendigkeit einer Schonung der Soldaten hatte bereits Lentulus für die Annahme des samnitischen Angebotes argumentiert (Liv. 9,4,14: hic omnes spes opesque sunt, quas ser­ vando patriam servamus, dedendo ad necem patriam deserimus ac prodimus.). Den Charakter des Abkommens als sponsio hatte wiederum Livius selbst in einem knappen Kommentar unterstrichen und auf diese Weise die Argumentation des Postumius im Voraus bestätigt. Eine Deutung des Geschehens als Folge eines Eingreifens der Götter bei Caudium, durch das weder Römer noch Samniten Herren über ihre Aktionen waren, sondern wie in einem Raum außerhalb der wirklichen Welt agierten, war bereits zum einen durch den Samniten Pontius geliefert worden, zum anderen durch die Schilderung des Tals bei Caudium und des römischen Verhaltens dort nahelegt worden. 120Liv. 9,15,6–8. Vgl. Lipovsky 1984, 150 f.; Levene 1993, 228–230; Chaplin 2000, 34 („complete reversal of fortune“). 121Liv. 9,31,7–16. Bereits in Liv. 9,27,1 kehren die Heere von Römern und Samniten in die Nähe der Caudinischen Pässe zurück. Allerdings nutzt Livius diese Gelegenheit noch nicht dazu, die neue Einsicht und Überlegenheit der Römer zu demonstrieren. Vgl. jedoch Oakley 2005, 22.

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kein Gelände unbezwingbar sei.122 Durch diesen Hinweis ermutigt rücken die Legionäre daraufhin selbst gegen die Feinde vor und erringen einen überragenden römischen Sieg.123 Wiederum ein Jahr nach dem Feldzug des Bubulcus gelangt ein römisches Heer unter dem Befehl des Konsuls Q. Fabius Maximus Rullianus im Zuge von Operationen in Etrurien an den Rand des für seine Unwegsamkeit berüchtigten Ciminianischen Waldes.124 Obwohl seine Durchquerung große strategische Vorteile mit sich brächte, zögerten die Soldaten, da die Erinnerung an die Niederlage von Caudium noch zu präsent gewesen sei. Schließlich habe sich dort gezeigt, wie gefährlich für die Römer ein unwegsames und unbekanntes Gelände sei. Die Silva Ciminia wird passenderweise als unheimliches Gehölz dargestellt, als eine Wildnis, die zuvor kein Mensch betreten habe und noch schauriger als die Wälder Germaniens gewesen sei.125 Dies ist bereits dazu geeignet, nicht nur bei den Soldaten im Text sondern auch bei den Lesern weitere unheilvolle Erinnerungen an die Niederlage zu Beginn des Buches zu wecken. Livius hebt diesen Aspekt noch explizit hervor, indem er hinzufügt, dass die Erinnerung an die Niederlage von Caudium noch nicht geschwunden gewesen sei.126 Nun zeigt sich jedoch, dass die Römer nach Caudium nicht nur die Samniten bestraft, sondern auch aus diesem Misserfolg gelernt hatten. Der Bruder des Konsuls bietet sich an, den Wald allein zu erkunden. Das Heer gerät auf diese Weise nicht in Gefahr, denn erst als der Kundschafter den Wald erfolgreich durchquert und Verbündete auf der anderen Seite gewonnen hat, schickt der Konsul die Truppen hinterher und folgt erst dann selbst mit der Reiterei, nachdem er den Heereszug abgesichert hat.127 Obwohl die Soldaten seiner Armee durch die Erinnerung an die alte Niederlage, die ganz besonders durch die vermeintlich ähnliche Topografie evoziert wird, höchst verunsichert sind, bewahrt Rullianus also Fassung und behält auf diese Weise auch die Kontrolle über das Geschehen. Die Geschichte um die Erkundung des Ciminianischen Waldes, die den Eindruck erweckt, dass sie bereits vor ihrer Integration in die historiografische Darstellung und Deutung des Zweiten Samnitenkrieges als unabhängige Erzählung existiert hatte, dient bei Livius also vor allem dazu, zu demonstrieren, dass die

122Liv.

9,31,13. 9,31,14–16. Vgl. Kraus 1998, 268. 124Liv. 9,35,7–36,14. 125Liv. 9,36,1 (Silva erat Ciminia magis tum invia atque horrenda, quam nuper fuere Germa­ nici saltus, nulli, ad eam diem ne mercatorum quidem adita.). Vgl. zur stilistischen Gestaltung und zum Sprachgebrauch in dieser Passage Lipovsky 1984, 154, Anm. 2; Nenninger 2001, 33. Sowohl die Unberührtheit der Wildnis des Ciminianischen Waldes als auch seine Ausdehnung werden von Livius hier mit Sicherheit in übertriebener Weise dargestellt, wenn auch anzunehmen ist, dass der Wald Ende des vierten Jahrhunderts noch größer war als in Livius’ Zeit, was dieser ja auch selbst anzeigt (tum). Siehe hierzu und zu weiteren Hinweisen zu diesem Gebiet Oakley 2005, 467 f. 126Liv. 9,36,1 (eam intrare haud fere quisquam praeter ducem ipsum audebat; aliis omnibus cla­ dis Caudinae nondum memoria aboleverat.). 127Liv. 9,36,9–11. 123Liv.

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Römer aus der schweren Niederlage zu Beginn des Krieges die passenden Lehren gezogen hatten. Der Erfolg, den sie nun haben, stellt sich daher zu Recht ein.128 Die Samniten hingegen erkennen den Wandel und die neu gewonnenen Fähigkeiten der Römer (noch) nicht, denn als sie davon hören, dass Q. Fabius Maximus Rullianus mit seinen Truppen in den Ciminianischen Wald aufgebrochen ist, nehmen sie an, dass die Römer vom Nachschub abgeschnitten und umzingelt sind. Sie selbst gehen in Erinnerung an den Sieg von Caudium von einem glorreichen Sieg aus.129 Die Samniten, so wohl eine Botschaft dieser Passage, schätzen die Lage nicht nur falsch ein sondern zeigen sich, eben anders als die Römer, die für sich die passenden Lehren gezogen haben, als wenig lernfähig, wenn sie weiterhin von der Erinnerung an einen Sieg zehren, der ihnen schon mittelfristig – in der Darstellung des Livius – nicht nur keine Vorteile brachte, sondern erst die Voraussetzung für den folgenden römischen Rachefeldzug quer durch Samnium darstellte. Auch in der geistigen Auseinandersetzung mit Caudium und seinen Folgen triumphieren also letztlich die Römer über die Samniten.130 Wie Christina Kraus richtigerweise beobachtet hat, zeigt sich in den genannten Stellen ein ambivalentes Verhältnis der Römer in Livius’ Text zu ihrer eigenen großen Niederlage bei Caudium. Einerseits streben sie danach, diesen Misserfolg hinter sich zu lassen. Die Erinnerung an die Niederlage soll die römischen Soldaten nicht länger lähmen. Andererseits ist es gerade die Erinnerung, die ihnen hilft, den Weg zur Bewältigung neuer potenziell gefährlicher Situationen zu finden, indem sie ihre Strategien und Taktiken entsprechend anpassen.131 Es sind jedoch nicht allein die Römer in Livius’ Erzählung, die aus den Niederlagen Roms lernen können und sollen, sondern natürlich auch seine Leser, an die er sich in diesem

128Vgl.

Kraus 1998, 268; Chaplin 2000, 41 f. 9,38,4–5. Vgl. Chaplin 2000, 42; Oakley 2005, 22. 130Chaplin 2000, 42 („So here, equipped with the same experience, the Romans modify their behaviour while the Samnites assume the Romans will repeat the mistake. They have not taken into account the Roman ability to interpret the lessons of history.“). Die Samniten hatten sich ja auch bereits schon gegenüber dem Rat des weisen Herennius als uneinsichtig gezeigt, zunächst hatten sie diesen noch nicht einmal verstanden (Liv. 9,3,4–13. Vgl. Chaplin 2000, 38). Noch im Jahr 193 soll die Erinnerung an Caudium die Soldaten des Q. Minucius Thermus erschreckt haben, als dieser einen Feldzug in das Gebiet der Ligurer unternahm und dabei durch einen engen Pass zog (Liv. 35,11,1–3). Auch hier bewahrt der Feldherr jedoch Umsicht und sendet numidische Hilfstruppen aus, um ligurische Dörfer in der Umgebung in Brand zu setzen, woraufhin sich die Ligurer vom Pass zurückziehen, was den Römern den Sieg bringt (Liv. 35,11,4–13. Vgl. Chaplin 2000, 46 f.). 131Kraus 1998, 268 („These passages underscore a recurring tension between memory and forgetting: to move ahead the Romans have to forget, to delete their memory; but only preserving the knowledge of what happened before allows them to change.“). Vgl. zustimmend Oakley 2005, 22 f. Die Erinnerung an Niederlagen durch die Römer hebt Livius auch an anderer Stelle als wichtigen Bestandteil der Bewältigung der Folgen von militärischen Misserfolgen hervor. Vgl. unten Abschn. 5.2.5.1. 129Liv.

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Sinne ja bereits in der praefatio des Werkes gerichtet hatte.132 Im Zusammenhang mit Caudium sollte hier neben den bereits genannten Aspekten noch eine weitere Dimension dieses Lernens aus der Geschichte berücksichtigt werden, die Livius im Rahmen des sogenannten Alexander-Exkurses im neunten Buch eingebracht hat. Im Anschluss an einen Lobpreis auf den römischen Feldherrn L. Papirius Cursor, den Livius nach der Schilderung des Sieges der Römer über die Samniten bei Luceria eingeschoben hat, wagt er einen Vergleich zwischen Cursor und Alexander dem Großen.133 Von dort ausgehend eröffnet Livius den Alexander-Exkurs, indem er der Frage nachgeht, welchen Verlauf die römische Geschichte genommen hätte, wenn Alexander seine angeblichen Pläne zur Eroberung des westlichen Mittelmeerraums in die Tat hätte umsetzen können.134 Der folgende Exkurs erstreckt sich insgesamt über drei Kapitel, in denen Livius verschiedene Aspekte dieses fiktiven Aufeinandertreffens aufgreift und die Stärken beider Seiten gegeneinander abwägt.135 Auch die Niederlagen der Geschichte Roms haben in diesem Exkurs ihren Platz – und werden zum Vorteil für die römische Seite ausgelegt. Hätte Alexander, so Livius, nur eine einzige Niederlage erlitten, wäre auch der Krieg insgesamt für ihn verloren gewesen. Welche Schlacht hätte hingegen die Römer brechen sollen, die sogar durch Caudium und Cannae nicht gebrochen worden waren.136 Der Gedanke, den Livius hier aufgreift, wird vielen seiner Leser bereits wohlvertraut gewesen sein: Die Idee, dass Rom zwar in Schlachten besiegt werden könne, jedoch niemals in einem Krieg, findet sich bereits in Quellen des zweiten Jahrhunderts, besonders bei Lucilius, der sie, wie oben gesehen, in Bezug auf die Kämpfe Roms gegen die Truppen Hannibals und des Viriathus formuliert hatte.137 Es spricht durchaus einiges dafür, dass die Erfahrungen der Kriege gegen Pyrrhos und die Karthager dazu beigetragen hatten, diesen Gedanken in der römischen (Geschichts-)Kultur reifen zu lassen.138 Wie noch zu zeigen sein wird, bildete er nicht zufällig eine Grundlinie in der historischen Erinnerung an die Niederlagen

132Siehe bes. Liv. praef. 10. (hoc illud est praecipue in cognitione rerum salubre ac frugiferum, omnis te exempli documenta in inlustri posita monumento intueri: inde tibi tuaeque rei publicae quod imitere capias, inde foedum inceptu, foedum exitu, quod vites.). 133Liv. 9,16,19. 134Liv. 9,17,1–2. 135Liv. 9,17,3–19,17. Vgl. dazu Oakley 2005, 184–261. 136Liv. 9,19,9 (Uno proelio victus Alexander bello victu esset; Romanum, quem Caudium, quem Cannae non fregerunt, quae fregisset acies?). 137Lucil. 613–614 M. = 683–684 K. = 591–592 C./G. und 615–616 M. = 685–686 K. = 593– 594 C./G. („ut Romanus populus victus vi et superatus proeliis/saepe est multis, bello vero numquam, in quo sunt omnia“, und, „contra flagitium nescire, bello vinci barbaro/Viriato, Anni­ bale“). 138So zuletzt u. a. Oakley 2005, 254 („This way of viewing the Roman character was formed perhaps in the third century, under the influence of Roman successes in the Pyrrhic und Hannibalic Wars.“), und ausführlich Clark 2014b, 50–93.

198

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Roms in den Kriegen gegen Karthago, sodass Livius auch an dieser Stelle im Alexander-Exkurs kaum zufällig Caudium mit Cannae direkt verbunden hat.139 Nach einem Hinweis auf den Ersten Punischen Krieg, den Alexander in seinem relativ kurzen Leben schon aufgrund der schieren Dauer des Konfliktes überhaupt nicht durchgestanden hätte, schlägt Livius am Endes des Exkurses einen Bogen zurück zu Caudium.140 Zwar wird dieser Name nicht explizit genannt, doch wird der Bezug deutlich, wenn Livius hervorhebt, dass römische Heere (außer in den bella civilia!) „niemals auf günstigem Gelände […] in Bedrängnis geraten“ seien. Lediglich durch Hinterhalte, namentlich in „unwegsamen Bergwäldern“, müsse der römische Soldat seine Feinde fürchten.141 Als wohl noch bedeutender als die reinen militärischen Fähigkeiten betrachtet Livius abschließend die innere, moralische Einstellung der Römer. Besonderes Augenmerk gilt auch hier der concordia, die, wie bereits gesehen, für den Geschichtsschreiber der augusteischen Zeit für das Wohlergehen Roms eine kaum zu überschätzende Rolle einnimmt.142 Indirekt verweist Livius mit dieser Bemerkung den aufmerksamen Leser wiederum auf die Darstellung und Deutung der Niederlage gegen die Gallier im fünften Buch, zu der sich zudem noch weitere Bezüge in der Schilderung der Ereignisse von Caudium finden lassen. Denn die Niederlage bei Caudium stellt insofern eine besondere Form eines militärischen Misserfolges dar, als dass es hier – jedenfalls in der Darstellung bei Livius – nicht zu einer offenen Schlacht kommt.143 Doch im Fall der ‚Gallischen Katastrophe‘ verlieren die Römer zwar im Kampf an der Allia, weitaus mehr interessierte sich die spätere Überlieferung indes für die Belagerung des Kapitols. Auf die Belagerung des Kapitols im Zusammenhang der ‚Gallischen Katastrophe‘ verweist zuerst der Legat L. Lentulus in seiner Rede bei Caudium, mit der er seine Mitstreiter überzeugen kann, das Angebot der Samniten anzunehmen.144 Erst später fällt auch den Senatoren auf, dass vor den beiden Niederlagen an der Allia und bei Caudium jeweils die curia Faucia zuerst zur Abstimmung angetreten sei. Angesichts der einschlägigen Erfahrungen wird dies nun als Unglückszeichen angesehen, weshalb die

139Die Aneinanderreihung „quem Caudium, quem Cannae“ könnte dabei lediglich die chronologische Reihenfolge wiedergeben. Möglich ist jedoch auch sie als Steigerung zu lesen. 140Liv. 9,19,12–17. 141Liv. 9,19,15–16 (absit invidia verbo et civilia bella sileant: [numquam ab equite hoste] num­ quam a pedite, numquam aperta acie, numquam aequis, utique numquam nostris locis laboravi­ mus; equitem sagittas, saltus inpeditos avia commeatibus loca gravis armis miles timere potest.). 142Liv. 9,19,17 (mille acies graviores quam Macedonum atque Alexandri avertit avertetque, modo sit perpetuus huius, qua vivimus, pacis amor et civilis cura concordiae.). Vgl. hierzu die weiterführenden Bemerkungen bei Oakley 2005, 261. 143Vgl. Bruckmann 1936, 3. 144Um die Ausweglosigkeit der eigenen Situation zu unterstreichen, verweist er auf eine mündliche Überlieferung, die er von seinem Vater erhalten haben will und die oben bereits erwähnt wurde. Der Vater des Lentulus sei demnach der einzige gewesen, der gegen einen Freikauf der von den Galliern Eingeschlossenen plädiert habe. Siehe Liv. 9,4,8. Vgl. hierzu Oakley 2005, 80.

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Abstimmung wiederholt wird.145 Lentulus ruft das Beispiel der früheren Niederlage in Erinnerung, um seine Vorschläge für weitere Aktionen durch den Verweis auf diejenigen Römer zu legitimieren, deren Verteidigung des Zentrums der Stadt Livius selbst in Buch 5 als Voraussetzung für die symbolisch aufgeladene zweite Gründung der Stadt dargestellt hatte. Die nachträgliche Entdeckung der Senatoren, dass vor den Niederlagen an der Allia und bei Caudium jeweils die gleiche Kurie zuerst zur Abstimmung angetreten war, lässt sich hinsichtlich ihres Sinngehaltes mit der Parallelisierung der Daten der Schlachten an der Allia und an der Cremera vergleichen, für die anscheinend zunächst zwei unterschiedliche Tage überliefert waren, bevor diese synchronisiert wurden, sodass dieses Datum dann im Folgenden als Unglückstag galt.146 Neben einer Vorliebe in Teilen der antiken Überlieferung an chronologischen Synchronismen im Allgemeinen, hatte hier, wie oben gesehen, sicher auch eine Rolle gespielt, dass sich so beide Katastrophen wechselseitig erklärten und zwar auf eine Weise, die das Zustandekommen der Niederlagen zum einen nicht in den Bereich einer potenziell stets beunruhigenden Kontingenz verschob, zum anderen menschliche Schuld weitgehend ausblendete – schließlich hatte sich der unheilvolle Charakter des 18. Juli ja erst im Nachhinein offenbart. In ähnlicher Weise lässt sich wohl die Erklärung der Niederlagen von Caudium und Allia deuten, die von der Abstimmungsreihenfolge der Kurien ausgeht.147 Dass sowohl die Dies atri als auch der Hinweis auf die Curia Faucia jeweils nicht in die eigentliche Darstellung der Niederlage selbst integriert sind sondern erst im Nachhinein berichtet werden, kann kaum überraschen. Die Erklärung und Deutung der Niederlagen hat Livius dort, wie gesehen, auf andere Weise angelegt, indem er sehr konkret moralisch-rechtliches Fehlverhalten der Römer als eigentliche Ursache der Niederlagen präsentiert. Diese Fehler haben dann jeweils recht unterschiedliche Folgen – auch der Weg aus der Krise ist im Einzelnen ein anderer – gemeinsam ist ihnen jedoch, dass die Misserfolge das Resultat menschlichen Fehlverhaltens sind, das grundsätzlich bereits vorher als solches zu erkennen war. Für den Unglückscharakter mancher Tage oder Abstimmungsreihenfolgen galt das wiederum eben nicht – dieser konnte hier erst im Nachhinein erkannt werden, was indirekt auch die jeweiligen Protagonisten entlasten konnte, die Rom zuvor in die Niederlage geführt hatten. Widerspruchslos lässt sich ein solcher Erklärungsansatz

145Liv.

9,38,15. Siehe hierzu Rosenstein 1990a, 70 f.; Levene 1993, 232; Chaplin 2000, 42 f.; Oakley 2005, 14, Anm. 1. 146Tatsächlich weist Livius darauf hin, dass Licinius Macer berichtet habe, dass die curia Faucia auch vor der Niederlage an der Cremera als erste abgestimmt habe. Siehe Liv. 9,38,16 (Macer Licinius tertia etiam clade, quae ad Cremeram accepta est, abominandam eam curiam facit.) = FRH 17 F 18 = FRHist 27 F 23. Da Livius die Version Macers an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt, kann man wohl davon ausgehen, dass die Verbindung zur Cremera tatsächlich auch nur bei Macer auftauchte, er diese Variante also exklusiv hatte. Vgl. ähnlich bereits den Kommentar in FRHist III, 444 f. Zum Tagessynchronismus der Daten der Kämpfe an der Cremera und an der Allia siehe oben Abschn. 3.1.1. 147Vgl. Rosenstein 1990a, 70 f.; Stewart 1998, 43–46.

200

4  Unters Joch – Die Samnitenkriege

nicht gut mit einem historiografischen Narrativ, wie dem in Livius’ Büchern 5 und 9, verbinden, wo es ihm ja gerade auch darauf ankommt, durch positive wie negative Beispiele menschlichen Handelns eine didaktisch wertvolle Interpretation der historischen Vorgänge zu geben. Eine zweite Niederlage, mit der Caudium bereits in der Antike verglichen wurde, ist die Niederlage des C. Hostilius Mancinus bei Numantia auf der Iberischen Halbinsel.148 Angesichts der Kapitulation eines eingeschlossenen Feldherrn mitsamt seinem Heer, dem schmachvollen Abzug sowie der Auslieferung des römischen Befehlshabers an die Feinde zogen einige antike Beobachter bereits eine Parallele zwischen beiden Fällen bzw. einzelnen Aspekten der jeweiligen Überlieferung.149 Bei näherer Betrachtung lässt sich zudem auch hinsichtlich einiger Details eine Reihe von Ähnlichkeiten beobachten.150 Diese Ähnlichkeiten

148Siehe

oben Abschn. 3.2. etwa Cic. off. 3,109; Vell. 2,1,5; Plut. Tib. Gracchus 7,2; Flor. epit. 1,34,7; Tac. ann. 15,13,2; App. Ib. 83,360. Vgl. hierzu Oakley 2005, 27. 150Bereits erkannt von Nissen 1870, 50–65; Crawford 1973, 2; Oakley 2005, 27–31. Da Buch 55 des Livius verloren gegangen ist, lässt sich leider nicht mehr nachvollziehen, ob und ggf. wie bei ihm eine mögliche Beziehung zwischen beiden Niederlagen gezogen worden war (vgl. oben Abschn. 3.2). In seinem umfangreichen Kommentar zu Buch 9 hat Oakley jedoch eine Reihe von Stellen in anderen Werken gesammelt, die auf die Existenz von Parallelen in der Darstellung und Deutung hinweisen oder diese sogar belegen. Oakley 2005, 27–29. So klagen Mancinus wie auch Postumius vor dem Senat darüber, dass die Niederlage unausweichlich gewesen sei, da sie durch das Fehlverhalten von Vorgängern (bei Mancinus Q. Pompeius, der 139 mit den Feinden ein Abkommen ausgehandelt, dieses jedoch später zurückgewiesen habe) in eine extrem schlechte taktische Situation geraten seien (App. Ib. 83,360). Im Fall von Caudium hatte die Verfehlung der Römer erst das Eingreifen der Götter auf den Plan gerufen, während einige Autoren davon berichten, dass der Aufbruch des Mancinus nach Spanien von schlechten Vorzeichen begleitet gewesen sei, was übrigens Dionysios von Halikarnassos auch für das Jahr 321 im Vorfeld der Niederlage von Caudium berichtet. Siehe Liv. per. 55; Val. Max. 1,6,7; Oros. 5,4,19–20. Schlechte Omen (Blitzeinschlag) vor Caudium: Dion. Hal. 16,1,1–3. Livius dürfte diese Überlieferung ebenfalls bekannt gewesen sein, doch passte sie wohl nicht ausreichend in die Konzeption seiner Darstellung, in der er ja gerade den menschlichen Fehler der Römer, aus Maßlosigkeit das Angebot der Samniten abzulehnen, betonen möchte. Ähnlich bereits Engels 2007, 393, Anm. 119. Levene 1993, 227 zieht als Möglichkeit in Betracht, dass Livius die römische impietas vor der Schlacht nicht zu sehr betonen wollte, weshalb er dann diesen Vorzeichenbericht aus seiner Darstellung herausstrich. Beide Feldherren seien den jeweiligen Berichten nach durch gezielt gelegte falsche Gerüchte in die Falle gelockt worden. Siehe Liv. 9,2,1–5 (Caudium) und App. Ib. 80,346 (Numantia). In beiden Fällen habe dies dazu geführt, dass die Römer in einer Art Engpass eingeschlossen worden seien, aus dem sie sich allein durch ein Abkommen hätten befreien können (Liv. 9,2,9–3,4 (Caudium); Plut. Tib. 5,2; App. Ib. 80,346–347 (Numantia)). Senat und Volk von Rom hätten die Bedingungen, die von den Feldherren hingenommen worden waren, abgelehnt und die Verantwortlichen, hier Postumius, dort Mancinus, hätten sich daraufhin dazu angeboten, sich selbst an die Feinde ausliefern zu lassen. Siehe hierzu Liv. 9,8,1–10,1 (Caudium); Plut. Tib. 7,1–4; App. Ib. 83,358–360; Cass. Dio frg. 79 sowie Liv. per. 56; Cic. rep. 3,28; off. 3,109 (Numantia). Die Variante, dass Mancinus seine Auslieferung selbst angeboten hätte, findet sich vor allem bei Cicero. Siehe hierzu ausführlich (mit Nachweisen und Literatur) oben Abschn. 3.2. Beiden Feldherren sei hierdurch später Anerkennung zuteil geworden, da sie sich für ihr Vaterland geopfert hätten. Zudem sollen, wie oben erwähnt, die Senatoren, die im Jahr 136 auf eine Aufhebung des Vertrages und eine Auslieferung des Mancinus drängten, explizit das 149Siehe

4.3  Schmachvolle Lektionen – die augusteische Zeit

201

der Darstellung können nun auf unterschiedliche Weisen gedeutet werden, was vor allem Oakley in umsichtiger Weise diskutiert hat.151 So ist es zumindest theoretisch möglich, dass sich die Ereignisse rund um die Niederlage von Caudium und die Aufhebung des Vertrages tatsächlich mehr oder weniger in der Weise zugetragen hatten, wie sie bei Livius überliefert sind oder bereits in ähnlicher Weise zuvor überliefert worden waren. In diesem Fall hätten sich die Senatoren des Jahres 136, die danach strebten, das Abkommen mit den Numantinern aufzuheben und Mancinus auszuliefern, tatsächlich auf den alten Fall Caudium beziehen können, was sich dann auch in der teilweise noch vorliegenden Überlieferung niedergeschlagen hätte (Plutarch, Appian).152 Gegen diese Deutung spricht allerdings, dass der Bericht des Livius, wie oben bereits gesehen, in mehrfacher Hinsicht überaus unglaubwürdig ist, was ganz besonders für die Überlieferung von der Aufhebung des Abkommens und den folgenden römischen Siegen gilt. Allerdings haben einige Forscher in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen, warum in der römischen Überlieferung eine für Rom zunächst einmal so nachteilige Version des Geschehens wie die Zurückweisung eines bereits geschlossenen Abkommens hätte erfunden werden sollen.153 In diesem Zusammenhang weist Oakley auf ein durchaus denkbares Motiv zur Erfindung einer nachträglichen Ablehnung des Abkommens hin. Demnach sei hierfür die, dann vermutlich wohl schon früher erfolgte, Erfindung römischer Siege direkt nach Caudium verantwortlich, deren Rechtfertigung ohne Aufhebung des Abkommens ja erst recht moralisch fragwürdig erscheinen musste.154 In welchen Zeitraum diese Konstruktionen zuerst zu datieren sind, ist vollkommen unklar.155 Da die Details der livianischen Darstellung erstens, wie

Beispiel Caudium herangezogen haben und dabei auf das Schicksal des Postumius verwiesen haben. 151Oakley 2005, 29–31. 152In diesem Fall lägen hier also zwei Konstellationen vor, die sich sehr stark geähnelt hätten, was dann schon den Zeitgenossen des Mancinus sicher aufgefallen wäre, die sich dann vermutlich tatsächlich als Teil einer eigentümlichen „re-enactment“-Aufführung betrachtet haben müssen. Oakley 2005, 29 („If one believes either that the story of the repudiation of an agreement with the Samnites is true or that it was invented before 137 […], one may argue that it influenced both events at Numantia (which may have seemed like a curious re-enactment of a familiar story).“). 153Cornell 1989, 370 f.; Loreto 1989/90, 654. 154Oakley 2005, 30. 155Sollte jedoch die Darstellung der Ereignisse von Caudium bei Q. Claudius Quadrigarius, aus der zugebenermaßen lediglich dürre und inhaltlich wenig aussagekräftige Fragmente vorliegen, tatsächlich, wie von Forsythe vermutet, auf einer früheren Schilderung des C. Acilius aufbauen, könnte dies wohl bedeuten, dass die Zurückweisung des Friedens bereits bei ihm, also vermutlich schon vor 137/6, berichtet wurde. Siehe hierzu Forsythe 1999, 71, der allerdings der Ansicht ist, dass weder Quadrigarius noch Acilius von einer Zurückweisung des foedus berichteten. Dies muss freilich unklar bleiben. Vgl. Oakley 2005, 30, Anm. 1.

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4  Unters Joch – Die Samnitenkriege

gesagt, kaum Glaubwürdigkeit für sich in Anspruch nehmen können, und, zweitens, eine derart große Menge an Ähnlichkeiten im Vergleich zur Überlieferung der Mancinus-Affäre aufweisen, stellt es wohl in der Tat, mit Oakley und anderen, die wahrscheinlichste Variante dar, dass eine Version der Zurückweisung des Abkommens mit den Samniten und der folgenden römischen Erfolge bereits vor der Niederlage bei Numantia existierte, die dann inspiriert von dem jüngeren Vorgang deutlich ausgeschmückt und breiter erzählt wurde.156 Es kann also mit aller gebotenen Vorsicht die Deutung vertreten werden, dass der Bericht von Caudium, der bei Livius zu finden ist, der Numantia-Affäre vor allem die Ausgestaltung hinsichtlich einer ganzen Reihe von Details verdankte. Wie im vorherigen Kapitel anhand der Zeugnisse bei Cicero gezeigt werden konnte, wurde Mancinus wenigstens bei einigen Römern durchaus ein gewisser Nachruhm zuteil, wenn er dort als Beispiel für treue Pflichterfüllung gegenüber dem Vaterland, für die er auch vor persönlicher Schmach nicht zurückschreckte, gesehen wurde. Neben Details zur Ausgestaltung seiner Darstellung könnte Livius auch hinsichtlich seiner Zeichnung der Figur des Postumius hier inspiriert worden sein. Um dessen Aktionen in moralischer Hinsicht noch klarer und aufrechter erscheinen zu lassen, ist Livius dann möglicherweise auch auf die Idee verfallen, dass es sich bei dem Abkommen eben nicht um ein foedus handelte, wie es bei Claudius Quadrigarius oder Cicero zu lesen war, sondern um eine sponsio. Die weiteren Niederlagen der Römer in den Jahren nach Caudium, also die Schlacht von Lautulae und das mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls verlorene Gefecht des C. Iunius Bubulcus, hat Livius in seinem Bericht zu diesen Feldzügen nicht als Niederlagen überliefert, obwohl ihm offenbar teilweise entsprechende Überlieferungsvarianten vorlagen, aus denen hervorging, dass die römischen Armeen diese Kämpfe jeweils verloren hatten.157 Da Livius, wie wir bereits sehen

156Oakley 2005, 28 f. Eine Auslieferung eines römischen Feldherrn an Feinde, um ein auf dem Feldzug eingegangenes Abkommen zurückweisen zu können, war in der römischen Geschichte zudem auch nicht ohne Beispiel, wie der Fall des M. Claudius Clineas zeigt, der im Jahr 236 an die Bewohner von Korsika ausgeliefert worden war. Val. Max. 6,3,3a.; Cass. Dio. frg. 45; Zon. 8,18,7–8. Die Korsen scheinen, wie einhundert Jahre später die Numantiner, die Auslieferung des römischen Legaten nicht akzeptiert zu haben, weshalb sich Clineas ins Exil begeben musste. Siehe hierzu Kuhnert 2013, 113 f. Vielleicht bildete dieser vermutlich historisch authentische Fall für die Ausgestaltung der Aufhebung des Abkommens von Caudium eine frühe Vorlage. Für ein Vorhandensein einer früheren Variante der Geschichte spricht vielleicht ebenfalls, dass die Überlieferung um die Figur des Herennius Pontius offenbar deutlich vor das späte zweite Jahrhundert zurückgeht. Siehe hierzu ausführlich Oakley 2005, 40 f. Abgesehen von seiner Rolle in den Ereignissen um Caudium wird Herennius Pontius nur in einem anderen Zusammenhang explizit genannt. Nach Cic. Cat. 41 soll Herennius einst mit Platon in Tarent zusammengetroffen und ein philosophisches Gespräch geführt haben. Das klingt in der Tat nach einer apokryphen Legende, was wiederum den Schluss nahelegt, dass es sich hierbei nicht um die einzige Geschichte dieser Art handelte, die über Herennius Pontius in Süditalien kursierte. Siehe in diesem Sinne bereits Oakley 2005, 41 („Herennius must have been a legendary figure in southern Italy“). 157Siehe im Einzelnen Liv. 9,23,1–6 (Schlacht bei Lautulae; Livius kennt Überlieferung einer Niederlage, die er jedoch nicht übernimmt, siehe Liv. 9,23,5: invenio apud quosdam adversam

4.3  Schmachvolle Lektionen – die augusteische Zeit

203

konnten, nicht davor zurückschreckte, römische Niederlagen in seinem Werk zu erwähnen und teilweise sogar sehr ausführlich zu schildern, dürfte seine Entscheidung in diesen Fällen einen anderen Hintergrund besitzen als das schlichte Streben, römische Waffen glanzvoll und unbesiegbar erscheinen zu lassen. Dieser ist im weiteren Narrativ von Livius Darstellung zu suchen. Im Rahmen seiner Schilderung und Deutung des Krieges gegen die Samniten stellt die Niederlage von Caudium mitsamt ihren Folgen, nach Livius, einen Wendepunkt im Krieg dar. Denn die Römer sind nun in all ihrem Zorn so erfolgreich, dass sie Samnium überrennen und bei Luceria einen großen Sieg erringen, der als Spiegelung der vorherigen Niederlage dient und, laut Livius, vorausahnen lässt, dass die Römer nun auch im Krieg insgesamt die Oberhand behalten würden. Wenn die Wende allerdings bereits mit dem Sieg bei Luceria eingeläutet gewesen war, passten die Niederlagen der darauffolgenden Jahre nicht mehr ins Bild, was ein Grund dafür sein könnte, weshalb Livius sich dafür entschied, den Ausgang dieser Kämpfe jeweils als römischen Sieg zu deuten.158 Lediglich die Niederlage von Camerinum schildert Livius wieder klar und eindeutig als Misserfolg Roms. Dies stellte für ihn keine Schwierigkeit dar, da kurz darauf die Schlacht von Sentinum folgte, die nicht nur bei Livius als triumphaler römischer Erfolg geschildert und erinnert wurde. Wie bereits mehrfach beobachtet, stellte ein möglichst bald folgender kompensatorischer Sieg eine in der römischen Historiografie oft genutzte Strategie zum Ausgleich einer vorangegangenen Niederlage dar, was sich also auch hier wiederfindet.159

eam pugnam Romanis fuisse atque in ea cecidisse Q. Aulium magistrum equitum. Vgl. Lipovsky 1984, 152); 9,31,6–16 (Kampf des C. Iunius Bubulcus; Überlieferung einer Niederlage bei Zonaras, die von Livius nicht erwähnt wird: Zon. 8,1,1); 9,38,7–8 (Schlacht unter Kommando des C. Marcius Rutilus, die wahrscheinlich in einer Niederlage endete, wobei Livius einen unentschiedenen Ausgang annimmt, den erst die fama und die Verwundung des Konsuls in der Wahrnehmung der Römer zu einer Niederlage gemacht habe (Liv. 9,38,8)). Vielleicht trug die sehr erfolgreiche weitere Karriere des C. Marcius Rutilus, der gleichzeitig Pontifex und Augur und zudem in den Jahren 294 und sogar noch 265 Zensor gewesen sein soll, dazu bei, dass mögliche frühere Niederlagen von eher kleinerem Ausmaß weitgehend aus der Überlieferung verschwanden. Zu den Karrieredaten des Marcius siehe nur C. Müller, DNP 7 (1999), 862, s. v. Marcius [I 26] Rutilius Censorinus, C.). 158Vgl. hierzu bereits Lipovsky 1984, 149 („When once the Romans have regained their traditional character and the gods’ favor, Caudium – the result exclusively of special favors – can have no lingering effects upon the war. The battle emerges from Livy’s narrative not so much as a Samnite victory as a prolegomenon to massive Samnite defeats […].“). Siehe zudem Levene 1993, 230. 159Siehe nur Liv. 5,49,1–7; 39,30–31. Zu diesem Erzählschema siehe auch ausführlich Forsythe 2005, 298 f.; Clark 2014b, 94–133. Zu der verlorenen Schlacht bei Camerinum hatte Livius offenbar mehrere Überlieferungsvarianten vorliegen, von denen er sich für eine entschied, in der die Niederlage nicht dem Konsul Q. Fabius Maximus Rullianus sondern dem L. Cornelius Scipio Barbatus angelastet wurde, dem Fabius angeblich das Kommando übertragen haben soll, da er selbst wegen nicht näher genannter Amtsgeschäfte nach Rom gerufen worden war. Es ist durchaus denkbar, dass der später gefeierte Sieger von Sentinum auf diese Weise von einer direkten Beteiligung am vorangegangenen Misserfolg freigesprochen werden sollte (siehe hierzu

204

4  Unters Joch – Die Samnitenkriege

Neben Livius umfangreicher Darstellung findet sich an Verweisen auf Niederlagen Roms in den Samnitenkriegen in den Fasti Capitolini, deren Redaktion in die augusteische Zeit fiel, für das Jahr 332, in dem Sp. Postumius Albinus Zensor war, der Eintrag: … Albinus] qui postea [C]audinus appell(atus) [est.160

Die entsprechenden Einträge zu den Konsulatsjahren des Postumius, 334 und 321, sind nicht mehr erhalten, doch kann man annehmen, dass der Beiname Caudinus auch dort zu lesen war.161 Wann dieser entstanden war, lässt sich nicht mehr feststellen, da die Inschrift den einzigen Beleg für die Benennung bietet. Ein Eintrag in den Fasten deutet wohl darauf hin, dass Caudinus in diesem Zusammenhang als rühmender Beiname verstanden wurde. Der Gedanke, dass Nachfahren des Postumius auf diese Weise danach strebten, die Erinnerung an ihren Vorfahren in eine positive Richtung zu lenken, mag naheliegen, doch lässt sich dies nicht weiter verfolgen.162

ausführlich oben Abschn. 3.2). Ähnliches lässt sich mit aller Vorsicht, die schon daher geboten sein sollte, weil die entsprechende Passage aus dem elften Buch von Ab Urbe Condita durch den Verlust der zweiten Dekade nicht erhalten ist, auch für Livius’ Darstellung der Niederlage des Q. Fabius Gurges im Jahr 292 vermuten. So Grossmann 2009, 156–161. Wahrscheinlich begleitete den Konsul sein Vater Q. Fabius Maximus Rullianus, der Sieger von Sentinum, als Legat zunächst auf dem Feldzug (so jedenfalls Zon. 8,1,10–11). In den Periochae sowie in dem Bericht des Orosius, der auf Livius’ Schilderung zurückgehen könnte, tritt Rullianus allerdings erst nach der Niederlage seines Sohnes in Erscheinung. Er verspricht diesem nun als Begleiter und Ratgeber zur Seite zu stehen, womit er negative Folgen der Niederlage für seinen Sohn habe abwenden können, den der Senat vom Heer abberufen wollte (Liv. per. 11; Oros. 3,22,6–7). Wie schon im Fall der Schlacht bei Camerinum scheint Rullianus auch hier im Zuge einer Traditionsbildung, in der er in zunehmendem Maße zu einem der überragenden Helden der Samnitenkriege stilisiert wurde, von einer direkten Beteiligung an der Niederlage freigesprochen worden zu sein. Da sein Sohn Konsul war, war dieser auch eindeutig der formal Verantwortliche für die Niederlage. Bereits eine Beteiligung des Rullianus an der Niederlage als Legat scheinen einige Autoren bereits als unpassend empfunden zu haben. Vgl. Grossmann 2009, 160 f. 160Degrassi FCap. 44–45. 161Vgl. Oakley 2005, 11. 162InscrIt. 13,1,107 („scilicet posteriores Postumii cladem a gentili suo acceptam decori uertere studuerunt.“). Es wäre zudem durchaus denkbar, dass der Eintrag erst eine Folge der Darstellung des Postumius in späteren Quellen, etwa bei Livius, war, wo er – wie gesehen – letztlich durchaus in einem günstigen Licht erscheint. Vgl. bereits Oakley 2005, 11, Anm. 1 („However, the heroic role of Postumius in the Caudine story could have been invented by others apart from later Postumii.“).

4.4  Vergessene Kämpfe? – die frühe und mittlere Kaiserzeit

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4.4  Vergessene Kämpfe? – die frühe und mittlere Kaiserzeit Wie wir noch sehen werden, tauchen einige Niederlagen der römischen Republik durchaus noch recht häufig auch in Quellen der Kaiserzeit auf. Die Samnitenkriege, die so bedeutend für die Römer des vierten und frühen dritten Jahrhunderts waren, scheinen in der Geschichtskultur der Kaiserzeit indes keine große Rolle mehr gespielt zu haben. So erwähnt Valerius Maximus die Niederlage von Caudium lediglich in zwei Passagen.163 In der ersten schildert er die Hilfe, die den geschlagenen Römern nach ihrem Abzug von Caudium vonseiten der Bewohner Capuas zuteil geworden war, und weist abschließend auf den Abfall Capuas zu Hannibal rund ein Jahrhundert später hin, der wiederum in der Zerstörung der Stadt endete.164 In der zweiten Passage berichtet Valerius von dem weisen Rat, den Herennius Pontius den Samniten gegeben habe. Der Leichtsinn der zunächst siegreichen Samniten habe jedoch dazu geführt, dass sie Herennius’ Worten keine Beachtung schenkten. Als sie kurz darauf die Römer unter das Joch schickten, hätten die Samniten ihren eigenen Untergang beschleunigt.165 Während die Niederlage von Caudium in der ersten Passage lediglich als Ausgangspunkt für den eigentlichen Kern des Beispiels dient, greift Valerius in der zweiten eine der Schlüsselszenen des Berichtes, wie er bei Livius geboten wird, heraus.166 Die Erklärung für Niederlagen durch den Verweis auf die temeritas einzelner Individuen oder Gruppen ist in der römischen Überlieferung recht beliebt – hier findet sich ein Fall, in dem sie den Gegnern Roms unterstellt wird.167 Lucan erwähnt die Niederlage bei Caudium nur an einer Stelle im Rahmen eines Rückblicks auf die Epoche des C. Marius und L. Cornelius Sulla im zweiten Buch, wo in Hinsicht auf die Schlacht am Collinischen Tor (im Jahr 82) behauptet wird, fast wäre an diesem Tag das caput mundi an einen anderen Platz verlegt worden und die Samniten hätten gehofft, die Römer noch schwerer als einst bei Caudium zu schlagen.168 Für die gebildete Leserschaft des Lucan dürfte die Anspielung auf die Niederlage der Samnitenkriege leicht verständlich gewesen sein. Interessant ist diese

163Val. Max. 5,1,ext. 5; 7,2,ext. 17. Eine indirekte Anspielung auf die Niederlage von Caudium findet sich zudem in Val. Max. 6,1,9, wo es um das Schicksal des T. Veturius, des Sohnes des gleichnamigen Konsuls von Caudium geht, der offenbar in große finanzielle Not geraten war (vgl. hierzu Nissen 1870, 63). Auf Ereignisse aus den Samnitenkriegen nimmt Valerius zudem an folgenden Stellen Bezug, ohne dass die römischen Niederlagen dabei erwähnt werden: Val. Max. 2,7,8; 3,2,9; 4,3,5a. 164Val. Max. 5,1,ext. 5. 165Val. Max. 7,2,ext. 17. 166Siehe Liv. 9,3,4–13. 167Wie oben gesehen, waren die Römer, jedenfalls nach Livius, zu diesem Zeitpunkt bereits wieder auf dem Wege der moralischen Läuterung. Vgl. oben Abschn. 4.3. 168Lucan. 2,134–138 (iam quot apud Sacri cecidere cadavera Portum/aut Collina tulit stratas quot porta catervas,/tum cum paene caput mundi rerumque potestas/mutavit translata locum, Romanaque Samnis/ultra Caudinas speravit vulnera Furcas!). Vgl. Nissen 1870, 58.

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4  Unters Joch – Die Samnitenkriege

Passage auch deswegen, da man sich durchaus vorstellen kann, dass im Kontext der Kämpfe, die Sulla Ende der achtziger Jahre des ersten Jahrhunderts gegen die Samniten führte, von verschiedenen Seiten tatsächlich Bezüge zu den Samnitenkriegen des vierten und frühen dritten Jahrhunderts hergestellt bzw. propagiert wurden.169 Tacitus kannte die alte Überlieferung über die Samnitenkriege sicher wenigstens in groben Zügen, nahm jedoch deutlich seltener auf diese Zeit Bezug als auf andere Abschnitte der Geschichte der Republik, was sich auch hinsichtlich seiner Verweise auf Niederlagen zeigt – die ‚Gallische Katastrophe‘ kommt etwa deutlich häufiger vor als Caudium. Das könnte daran liegen, dass die römischen Armeen, deren Operationen Tacitus in seiner Darstellung großen Raum gewährt hat, mit Germanen und Kelten in Nord- und Mitteleuropa weiterhin Gegner hatten, die den keltischen Feinden der römischen Frühzeit in oberflächlicher Weise ähnelten. Noch entscheidender dürfte jedoch gewesen sein, dass die Eroberung Roms durch die Gallier, besonders die Belagerung des Kapitols, in der römischen Geschichtskultur, wie oben diskutiert, eine prominente Position einnahm und sich diese Erinnerung auch in der Kaiserzeit weiterhin noch wandelte.170 So weit erkennbar war dies in Hinsicht auf die Niederlagen des Samnitenkrieges offenbar nicht der Fall. Am bekanntesten blieb wohl diejenige bei Caudium, auf die Tacitus indes immerhin gelegentlich Bezug nimmt. So sollen Angehörige der römischen Armee des L. Iunius Caesennius Paetus auf dessen Feldzug gegen die Parther in eine Situation geraten sein, in der sie von ihren Feinden eingeschlossen worden waren, woraufhin sie auf die Entscheidung ihrer Vorgänger bei Caudium (und Numantia) verwiesen haben sollen, um ihre eigene Kapitulation zu rechtfertigen. Schließlich hätten auch die hervorragenden Männer der glorreichen alten Zeit in auswegloser Situation einen Frieden geschlossen, um das Überleben des Heeres zu sichern.171 Dass es sich hierbei um die Wiedergabe der in der historischen Situation tatsächlich geäußerten Argumente handelte, kann mit Recht bezweifelt werden, auch wenn letzte Sicherheit in dieser Frage nicht zu gewinnen ist. Wahrscheinlicher dürfte aber sein, dass Tacitus selbst die grundsätzliche Ähnlichkeit beider Konstellationen erkannte und diese dann durch den Vergleich unterstrich, den er den beteiligten Soldaten in den Mund legte.172

169Die

vorliegende Stelle bei Lucan bietet hierfür wiederum indes keinen direkten Beleg. oben Abschn. 3.1.6 und 3.1.7. 171Tac. ann. 15,13,1–3. 172Dass Tacitus eine Kapitulation auch in einer taktisch aussichtslosen Lage offenbar für erklärungsbedürftig ansah, lässt sich wohl auch an seiner Schilderung der, letztlich vergeblichen, Verteidigung von Vetera ablesen, als die Verteidiger nach einem langen und äußerst entbehrungsreichen Kampf schließlich aufgeben, anstatt sich weiter aushungern zu lassen, und Tacitus sich enttäuscht über diesen Entschluss zeigt. Tac. hist. 4,60. 170Vgl.

4.6 Zusammenfassung

207

4.5  Ausblick – Roms Samnitenkriege in der Spätantike Soweit sich dies aus den erhaltenen Quellen noch erkennen lässt, gerieten die Samnitenkriege bis zum Ende des weströmischen Reiches nie vollständig in Vergessenheit und waren einem gebildeten Publikum noch durchaus bekannt. Im Wesentlichen bezog sich diese Kenntnis dabei indes vermutlich auf die Niederlage von Caudium.173 So verweist Rutilius Namatianus in der bereits oben, im Kapitel zur ‚Gallischen Katastrophe‘ in der römischen Geschichtskultur, diskutierten Passage offenbar auf Caudium als eine der vielen von Rom überstandenen Krisen.174 Caudium gehört zudem zu denjenigen Ereignissen, die in Epitomen und Enzyklopädien, etwa in den Werken des Eutropius oder des L. Ampelius, offenbar als erinnerungswürdig angesehen wurden.175 Insgesamt handelt es sich dabei jedoch eher um vereinzelte Zeugnisse, sodass es den Anschein hat, dass die Zeit der Samnitenkriege zugunsten anderer Abschnitte der Geschichte der Republik in der Wahrnehmung der Autoren der Spätantike eher zurückgetreten ist.

4.6 Zusammenfassung Unter den Niederlagen, die römische Armeen in den Samnitenkriegen hinnehmen mussten, ragt diejenige von Caudium hinsichtlich der Bedeutung, die ihr in der römischen Geschichtskultur zugewiesen wurde, eindeutig heraus. In Livius’ Darstellung bildet dieses Ereignis den ersten Höhepunkt des Krieges, dessen Schilderung er in ein weiter ausgreifendes Narrativ eingefügt hat, das er in dieser Form vielleicht auch selbst erst konstruiert hat. Demnach war dieser Misserfolg das Resultat eines römischen Fehlverhaltens zuvor, als die Römer ein Angebot der Samniten zur Wiedergutmachung begangenen Unrechts, offenbar wesentlich motiviert durch Maßlosigkeit und Habgier, ausgeschlagen hatten. Hierdurch hatten sich die Römer in den Augen der Götter selbst ins Unrecht gesetzt, wofür sie bei Caudium zunächst geblendet und dann besiegt wurden. Durch diesen Misserfolg gewissermaßen ausreichend bestraft ist es ihnen anschließend wieder möglich, sich neu zu formieren und die Samniten in einer Serie von Siegen niederzuringen. Livius lässt keinen Zweifel daran, dass die Römer durch die Überwindung der Folgen der Niederlage von Caudium die wesentliche Wende in diesem Konflikt

173Dies lässt sich schon dadurch gut erklären, dass dieser Misserfolg bereits in den (spät-)republikanischen Quellen, die oben besprochen worden sind, eindeutig im Vordergrund stand. Siehe oben Abschn. 4.2 und 4.3. 174Rut. Nam. 1,126. Konkret heißt es dort: Samnis servitio foedera saeva luit. Hiermit kann eigentlich nur Caudium gemeint sein. Vgl. auch den Kommentar von Doblhofer 1977, 76. 175Eutr. 2,9. Nochmals aufgegriffen in 10,17. L. Ampelius führt Sp. Postumius – neben Horatius Cocles, M. Atilius Regulus und anderen – als Beispiele für Männer der Vergangenheit auf, qui pro salute se optulerunt. Siehe Ampelius 20,10 (Spurius Postumius qui a Pontio Telesino Sam­ nitum duce sub iugum missus cum exercitu auctor fuit rumpendi foederis seque hostibus censuit esse dedendum.).

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4  Unters Joch – Die Samnitenkriege

erreicht hatten. Die weiteren Niederlagen gegen die Samniten konnten vor diesem Hintergrund nicht den gleichen Rang einnehmen, auch wenn besonders die Schlacht von Lautulae in historischer Hinsicht vielleicht noch gravierendere Folgen mit sich brachte als die Kapitulation eines römischen Heeres bei Caudium.176 Die römischen Misserfolge in diesen Kämpfen hat Livius daher entweder marginalisiert oder gleich vollständig verschwiegen. Erst die Niederlagen, die sich nach dem angeblich zwischenzeitlich, im Jahr 304, geschlossenen Frieden am Ende des langen Ringens mit den Samniten ereigneten, besonders die Schlacht bei Camerinum, hat Livius wieder klarer geschildert. Allerdings folgt auf diesen Bericht kurz darauf der triumphale Erfolg bei Sentinum, der die Niederlage kurz zuvor relativiert. Besonders in den Kapiteln und Büchern, die auf den Bericht der Niederlage von Caudium folgen, zeigt Livius, dass die Römer in seinem Text aus den vergangenen Ereignissen gelernt haben. Fortan sind sie nicht mehr allein durch ungünstiges Gelände zu bezwingen, da sie koordinierter vorgehen, und selbst den unheimlichen Ciminianischen Wald, der dazu geeignet ist, schlechte Erinnerungen an Caudium zu wecken, können die Römer nun unter der umsichtigen Führung ihrer Anführer gefahrlos durchqueren. Caudium fungiert zudem nicht nur bei Livius als Paradigma für eine taktische Konstellation, in der römische Soldaten eingeschlossen sind und kaum eine Aussicht auf einen erfolgreichen Ausfall besteht, sodass die Wahl zwischen einem Kampf bis zum Tod oder Verhandlungen mit dem Feind aus einer deutlichen Position der Schwäche heraus erfolgen muss. Bei verschiedenen Autoren werden unterschiedliche Fälle miteinander verglichen, wobei neben Caudium besonders die nach der Niederlage an der Allia auf dem Kapitol belagerten Römer sowie der Konsul C. Hostilius Mancinus, der gegenüber den Numantinern Verhandlungen aufnehmen musste, genannt werden. Unterschiedlich ist in diesen Fällen jeweils das spezifische Interesse, das die überliefernden Autoren an dem Fall haben. Für Livius und andere steht besonders die moralische Dimension der Entscheidung im Mittelpunkt, indem thematisiert wird, welches Verhalten als entsprechend römischer pietas und virtus verstanden werden kann. Cicero wiederum interessiert sich noch mehr als Livius für die (völker-)rechtlichen Aspekte des Falls. Auch in anderen Quellen dominiert unter allen Niederlagen, die die Römer im Laufe von über drei Jahrzehnten gegen die Samniten hinnehmen mussten, eindeutig Caudium. Grundsätzlich hat es jedoch den Anschein, dass die Niederlagen jener langwierigen und verlustreichen Kriege in der Wahrnehmung späterer Generationen deutlich hinter den Misserfolgen in anderen Konflikten zurücktraten, besonders hinter denen der Kriege Roms gegen die große Rivalin Karthago, die im Zentrum der folgenden Überlegungen stehen werden.

176Vgl.

zu den Folgen der Schlacht von Lautulae bereits Salmon 1967, 235.

5

Die dunkelste Stunde – Die römischkarthagischen Kriege

Dass die Kriege zwischen Rom und Karthago in diesem Kapitel zusammengefasst sind, folgt nicht allein der Konvention der modernen Forschung. Bereits zur Zeit der Republik galten die drei ‚Punischen Kriege‘ „als historisch zusammengehörig“.1 Daher ist es sinnvoll, sie auch in diesem Kapitel nebeneinanderzustellen, nicht zuletzt um zu vergleichen, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Hinsicht auf Darstellungen, Deutungen und Erklärungen der römischen Niederlagen in den verschiedenen Kriegen zu finden sind bzw. welchen Niederschlag diese Konflikte jeweils in der römischen Geschichtskultur gefunden haben.2 Wie in den einleitenden Vorbemerkungen dieser Arbeit bereits erwähnt, beginnen die individuelle wie die kollektive Erinnerung an eine Schlacht nicht erst Generationen später, sondern unmittelbar nach dem jeweiligen Ereignis. Von den Erinnerungen, die in den Tagen, Wochen und Monaten nach einer Schlacht formuliert werden, können Impulse ausgehen, die auch spätere Formen des Umgangs

1Irmscher

1989, 307. In zunehmenden zeitlichen Abstand zu den Kriegen wurden diese sogar teilweise so nahe zusammengerückt, dass der zweite und dritte Krieg „als ein historisches Ereignis“ erscheinen konnten (Weileder 1998, 193). Die Forschung zu den ersten beiden Punischen Kriegen, insbesondere zum zweiten Krieg, ist derart umfangreich, dass hier ein Verweis auf lediglich einige Arbeiten genügt, die den Zugang zu weiteren Studien erleichtern. Zum ersten Krieg u. a. Lazenby 1996a; Le Bohec 1996, 67–106; Heftner 1997, 105–200; Goldsworthy 2000, 63–140; ­Bleckmann 2002; Gehrke 2002; Hoyos 2011. Zum zweiten Krieg siehe etwa (auch hier mit weiteren ­Hinweisen) Lazenby 1978/1998; Briscoe 1989; Seibert 1993a; 1993b; Le Bohec 1996, 129–196; Heftner 1997, 201–310; Goldsworthy 2000, 141–309; Christ 2003; Barceló 2004; Fronda 2010; Garland 2012; Blösel 2015, 111–119, sowie eine Reihe von Beiträgen in Cornell (Hg.) 1996 und, zu beiden Kriegen, außerdem Zimmermann 2005 und die Beiträge in Hoyos (Hg.) 2011. 2Ohne der Analyse vorzugreifen, lässt sich vorwegnehmen, dass die Schwerpunkte der Untersuchung auf dem ersten und insbesondere auf dem zweiten Krieg liegen werden, während der dritte Krieg, im Grunde wenig mehr als die Belagerung Karthagos, im Zusammenhang dieser Arbeit von geringerem Interesse ist. Vgl. u. a. Le Bohec 2011, 430 („dritter Krieg“ lediglich die Belagerung Karthagos) mit weiterführender Literatur. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Lentzsch, Roma victa, Schriften zur Alten Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-476-04831-8_5

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

prägen und dabei auch zum Inhalt der Geschichtskultur einer Gesellschaft werden. Jedoch muss zwischen frühen Erinnerungen und späten keine Kontinuität bestehen und in größerem zeitlichem Abstand können Deutungen und Narrative entstehen, die kaum noch eine Basis in früheren Äußerungen haben. Für antike Fälle lassen sich solche Entwicklungen, Brüche und Neuinterpretationen allerdings oft kaum oder überhaupt nicht in dem Umfang rekonstruieren, in dem dies für Beispiele aus späteren Epochen möglich ist. Auch für den Fall des ersten römisch-karthagischen Krieges gibt es kaum Quellen, die tatsächlich direkt aus jener Zeit stammen, aber immerhin finden sich einige Hinweise, die sich noch mit der Darstellung und Deutung der römischen Niederlagen während des Krieges in Verbindung bringen lassen.

5.1  Ein edler Gefangener und Hühner, die nicht essen wollen – der erste Krieg Zeitgenössische Quellen aus der Zeit des Krieges sind kaum erhalten geblieben, doch waren einige der römischen Autoren, deren frühe Werke über den Krieg fragmentarisch erhalten sind, Zeitgenossen des Konfliktes und nahmen wohl auch an diesem teil. Als zeitgenössische Reaktionen auf Niederlagen im Ersten Punischen Krieg lassen sich Stiftungen von Tempeln deuten, die in die Zeit des Krieges fallen. Denn „höchstwahrscheinlich in seiner Zensur 247“ weihte A. Atilius Caiatinus einen Tempel für Fides auf dem Kapitol „in unmittelbarer Nachbarschaft“ des Iuppiter Optimus Maximus, also „mitten im religiösen und politischen Zentrum der res publica“.3 Der Anlass dafür, ausgerechnet Fides einen Tempel zu errichten, wird sehr wahrscheinlich die nur wenige Jahre zuvor erfolgte Gesandtschaftsreise des M. Atilius Regulus nach Rom und dessen Schicksal in der karthagischen Gefangenschaft gewesen sein, in die dieser infolge der unter seinem Kommando erfolgten Niederlage bei Tunis im Jahr 255 geraten war.4 Nach dem Scheitern der Gesandtschaft kehrte Regulus nach Karthago zurück, wo er in der Kriegsgefangenschaft starb.5 Die Vermutung liegt nahe, dass die Familie des bei seiner Afrika-Invasion gescheiterten Regulus die Gelegenheit ergriff, sein Verhalten zum exemplum römischer fides zu stilisieren und damit zumindest für die Folgen der Niederlage eine positive Deutung anzubieten.6 Die Fides besaß zudem eine große

3Siehe hierzu Pietilä-Castrén 1987, 40 f.; Beck 2005a, 242 (Zitat). Für eine Übersicht verschiedener genauer Lokalisierungsvorschläge siehe Ziolkowski 1992, 28–30. Das Jahr der Tempelweihe ist nicht überliefert, die Datierung in die Zensur erscheint allerdings recht plausibel. 4Pol. 1,32,1–34,12. Der genaue Ort der Schlacht ist nicht überliefert, kann jedoch anhand des Kontexts in der Nähe von Tunis lokalisiert werden, weshalb das Gefecht hier unter diesem Namen aufgeführt wird. Siehe zur Frage der Lokalisierung Lazenby 1996a, 104. Vgl. zur Schlacht Lazenby 1996a, 105 f.; Heftner 1997, 138; Tipps 2003, 380 f.; Beck 2005a, 237. 5Zu Quellen und der modernen Forschung zu Regulus Beck 2005a, 229–243. 6Vgl. Beck 2005a, 243: „Konkreter Anlass für die Fides-Weihung des Atilius Caiatinus dürfte der […] Auftritt seines Cousins Regulus in Rom gewesen sein, der dann schnell zum exemplum wurde; in gewisser Hinsicht dürfte der Tempel selbst zur Verbreitung und Auskleidung dieser Geschichte beigetragen haben“. Vgl. Pietilä-Castrén 1987, 40 f.

5.1  Ein edler Gefangener und Hühner, die nicht essen wollen

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Bedeutung hinsichtlich der Verträge und der Vertragstreue zwischen den Römern und ihren Bundesgenossen sowie im Rahmen der Etablierung und Fortführung innerrömischer Klientelbeziehungen.7 Die Weihe auf dem Kapitol wird auch unter dem Aspekt zu betrachten sein, dass sie die „grundsätzliche fides des populus Romanus“ in den Beziehungen zwischen Römern und Nichtrömern und im Inneren proklamieren sollte.8 Dies ist wohl in besonderem Maße vor dem Hintergrund der politischen Konstellation sowie des Kriegsverlaufes in den Jahren vor der Tempel-Stiftung zu berücksichtigen. Immerhin hatten die Römer, wie auch ihre Verbündeten, in den zehn Jahren zuvor hohe Verluste hinnehmen müssen.9 Wenn die Tempel-Weihe sich tatsächlich auf das Schicksal des Regulus bezog, dann dürfte dieser Hintergrund auch den meisten Menschen, die den Fides-Tempel in Rom betrachteten, bewusst gewesen sein. Denn schließlich hätten die Mitglieder der gens Atilia es dann kaum an Bemühungen fehlen lassen, ihren eigentlich gescheiterten Angehörigen ihren Mitbürgern gegenüber als Beispiel zu stilisieren. Der Beginn der Regulus-Legende, die in späteren Quellen die historischen Vorgänge des Afrikafeldzuges nahezu vollständig überlagert, könnte dann durchaus auch bereits in der Zeit des ersten römisch-karthagischen Krieges selbst vermutet werden.10 Dass die verzerrende Rückschau auf Regulus und seine gescheiterte Kampagne bereits eine Generation später in der römischen Geschichtskultur präsent war, lässt sich jedenfalls aus den Fragmenten früher römischer Autoren heraus durchaus erahnen.

5.1.1  Bellum Punicum – Zeugnisse zeitgenössischer Autoren Aus den Fragmenten des Bellum Poenicum des Cn. Naevius lässt sich zwar kein vollständiges und detailliertes Bild der Darstellung römischer Rückschläge im Kampf gegen Karthago in diesem Epos mehr gewinnen, eine Reihe von Hinweisen kann indes durchaus in den überlieferten Fragmenten gefunden werden. So hat Cichorius den folgenden von Nonius überlieferten Vers aus dem Bellum

7Vgl.

Gehrke 2002, 161. 2005a, 243 (Zitat). 9Vermutlich ereignete sich auch der Prozess gegen P. Claudius Pulcher, der die Erinnerung an diese Verluste nochmals aktualisiert haben dürfte, im gleichen Jahr, 247, wie die Stiftung des Tempels der Fides. Zur Schlacht von Drepana (249) Pol. 1,49,6–51,12; Diod. 24,1,5; Zon. 8,15. Für weitere Quellen siehe Broughton 1951, 214; Walbank 1957, 113 f. Zum Verlauf der Operationen vgl. Thiel 1954, 272–281; Lazenby 1996a, 131–136; Bleckmann 2002, 186–188. Zum Prozess u. a. Ungern-Sternberg 1986/2005, 321; Hölkeskamp 1990/2004, 85–93; Lazenby 1996a, 136 f.; Bleckmann 2002, 192–201; Rich 2012, 102 f.; Kuhnert 2013, 109–113. 10Vgl. Beck 2005a, 243 („in gewisser Hinsicht dürfte der Tempel selbst zur Verbreitung und Auskleidung dieser Geschichte beigetragen haben“). 8Beck

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Punicum in den Zusammenhang einer der römischen Niederlagen des Krieges eingeordnet:11 atrox crudum Naevius belli Poenici lib. III ‚simul/atrocia proicerent exta ministratores‘.12

Seine weitere Deutung ist zumindest plausibel. Demnach hätte Naevius eine solche Szene vermutlich vor allem deswegen in sein Werk eingebunden, weil auf das unheilvolle Vorzeichen bei der Eingeweideschau ein entsprechender Fehlschlag der Operationen desjenigen römischen Feldherrn folgte, der sich hier auf einen Feldzug vorbereitete.13 Die Nummerierung des Buches weist dabei wohl eher auf ein Ereignis zu Beginn des Krieges hin. Die einzige römische Niederlage, die sich sicher in den ersten Kriegsjahren ereignete, ist diejenige des Cn. Cornelius Scipio Asina, der im Jahr 260 bei Lipara in Gefangenschaft geriet.14 Falls die Rekonstruktion von Cichorius zutreffen sollte, dann könnte es sein, dass Asina bei Naevius also vor seinem misslungenen Angriff auf Lipara unheilvolle Vorzeichen eingeholt hatte, dies jedoch ignoriert habe, weshalb er anschließend den Karthagern in die Hände gefallen sei.15 Freilich steht diese Rekonstruktion des ursprünglichen Kontextes des Fragmentes auf unsicherem Boden und kann keinesfalls als gesichert gelten.16 Nach der Niederlage des Cornelius Asina bei Lipara war die letztlich desaströs verlaufene Afrikainvasion des M. Atilius Regulus der nächste große Rückschlag für die römische Seite im Ersten Punischen Krieg. Dass diese Episode in Naevius’ Bellum Punicum in irgendeiner Form behandelt worden ist, hätte man auch dann annehmen können, wenn keine Fragmente, die sich hiermit in Zusammenhang bringen ließen, tradiert worden wären. Einige von Festus überlieferte Verse bieten jedoch wahrscheinlich genauere Einblicke in die Art und Weise der Darstellung des Regulus sowie einer frühen Ausformung der Regulus-Legende:

11Cichorius

1922, 30–32. 33 Strzelecki = 38 Blänsdorf (=Non. 106 L.). Offenbar gehört der Vers in den Zusammenhang einer Opferhandlung und da es wenig sinnvoll erscheint, dass die Opferdiener die Eingeweide des Opfertieres „hinwerfen“, wird man eher eine Übersetzung im Sinne von „darbringen“ annehmen können, die Cichorius für diese Passage vorschlägt. Der Übersetzungsvorschlag bei Cichorius 1922, 31 lautet: „sobald die Opferdiener die Eingeweide (obwohl sie) unheilverkündend waren, darbrachten“. 13Cichorius 1922, 31 f. 14Pol. 1,21,4–8. Siehe hierzu u. a. Lazenby 1996a, 66 f.; Bleckmann 2002 113–144; Beck 2005a 223–225. 15Cichorius 1922, 32. Falls Asinas Aktionen im Bellum Punicum tatsächlich in dieser Weise geschildert worden waren, wäre hier eine Erklärung für die römische Niederlage gegeben worden – nämlich mangelnde Berücksichtigung ungünstiger Feldzugsauspicien. Wenn dies der Fall war, wäre der Scipione bei Naevius wohl eher in ein ungünstiges Licht gerückt worden. Denn immerhin hätte Asina diese schlechten Vorzeichen dann wohl bewusst ignoriert. 16Dies hat bereits Cichorius selbst eingeräumt (Cichorius 1922, 32: „eine durchaus nicht beweisbare Möglichkeit“). Vgl. Altheim 1969, 341. 12Naev.

5.1  Ein edler Gefangener und Hühner, die nicht essen wollen

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seseque ei perire mavolunt ibidem/quam cum stupro redire ad suos popularis.17

und sin illos deserant fortissimos viros,/magnum stuprum populo fieri per gentis.18

Beide Stellen werden von Festus als Belegstellen „für stuprum in der Bedeutung ‚Schande‘“ zitiert.19 In dem ersten Fragment scheint es darum zu gehen, dass eine Gruppe entscheiden muss, ob sie an einem bestimmten Platz ehrenhaft zugrunde gehen sollte oder ob sie „mit Schande“ zu den ihren zurückkehren solle.20 Das zweite Fragment, das wohl inhaltlich dem ersten nahesteht, handelt anscheinend von der Frage, ob „tapfere Männer“ im Stich gelassen werden sollten, was dem Volk insgesamt „große Schande“ eintragen werde.21 Hinsichtlich der Einordnung in einen konkreten historischen Kontext wurden in der Forschung mehrere Vorschläge vorgebracht.22 Da in den Worten des Naevius eine gewisse Glorifizierung der beteiligten Personen erkennbar sei, hat u. a. Cichorius geschlossen, dass es sich hierbei sehr wahrscheinlich um Soldaten der Armee des Regulus gehandelt haben wird.23 Diese, zunächst grobe, Zuweisung ist grundsätzlich gewiss plausibel, da, zumindest soweit dies erkennbar ist, keine weiteren Episoden aus der Überlieferung zum Ersten Punischen Krieg bekannt sind, in denen ein römisches Heer vor der hier diskutierten Frage stand. Fraglich ist allerdings die genaue chronologische Einordnung. C ­ ichorius rechnet damit, dass die Verse in einen Kontext gehören, in dem die Reste des geschlagenen Heeres des Regulus bei Clupea an der afrikanischen Küste durch die Karthager eingeschlossen worden waren.24 Zu Recht hat allerdings Bleckmann darauf hingewiesen, dass in der sonstigen Überlieferung von etwaigen Verhandlungen, in denen die dort eingeschlossenen Soldaten mit den Karthagern um ihren Abzug verhandelt hätten, nirgends die Rede ist.25 Das gilt ebenso für eine mögliche Diskussion in Rom um die Frage, ob die an der Küste eingeschlossenen restlichen Truppen des Regulus gerettet werden sollten.26 Auch die Zuweisung

17Naev.

46 Strzelecki = 50 Blänsdorf (=Fest. 418 L.). 47 Strzelecki = 51 Blänsdorf (=Fest. 418 L.). 19Vgl. Cichorius 1922, 41 (Zitat). 20Hinsichtlich dieser Deutung herrscht in der Forschung Übereinstimmung. Siehe Cichorius 1922, 41; Bleckmann 1998. 21Offenbar sind die Akteure in beiden Fragmenten andere. Während im ersten Fragment vielleicht die Betroffenen selbst diskutieren, wird es sich im zweiten um eine andere Gruppe handeln. Siehe wiederum Cichorius 1922, 42. 22Vgl. zum Folgenden die pointierte Diskussion bei Bleckmann 1998, 61–65. 23Cichorius 1922, 41. 24Cichorius 1922, 41. So auch Blänsdorf 1995, 63. 25Bleckmann 1998, 61 f. 26Bleckmann 1998, 62 („Für eine solche Beratung im Zusammenhang mit Clupea findet man in den antiken Quellen zur Geschichte des Ersten Punischen Krieges keinen Anhaltspunkt.“). 18Naev.

214

5  Die römisch-karthagischen Kriege

zum Kontext der Friedensverhandlungen des Jahres 241 zwischen Hamilkar und römischen Gesandten, die Altheim vorgeschlagen hat, kann nicht vollends überzeugen.27 Eine von Bleckmann vorgeschlagene Rekonstruktion erscheint überzeugender.28 Demnach gehörten beide Fragmente in den Zusammenhang der Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch, die eine karthagische Gesandtschaft im Jahre 250 in Rom mit dem Senat führte.29 Da das erste der beiden Fragmente „im Indikativ Präsens gehalten“ ist, vermutet Bleckmann hier einen „Abschnitt aus einer direkten Rede“.30 Eine Rede des Regulus vor dem Senat in Rom ist bei mehreren Autoren bezeugt und grundsätzlich wird man auch annehmen dürfen, dass Regulus tatsächlich in irgendeiner Form vor dem Senat gesprochen haben wird.31 In späteren Versionen, besonders bei Horaz, stellt der Atilier seine Mitgefangenen in einem wenig günstigen Licht dar.32 Dies scheint bei Naevius nicht der Fall gewesen zu sein, denn, sofern er tatsächlich der Sprecher ist, stellt Regulus hier nachdrücklich fest, dass die Soldaten, ihn sicher eingeschlossen, lieber „daselbst“ (ibidem – in diesem Fall also wohl in Karthago) zugrunde gehen wollten als in Schande zu ihrem Volk zurückzukehren.33 In dem zweiten Fragment vermutet Bleckmann dann konsequenterweise eine in indirekter Rede wiedergegebene Diskussion im Senat. Die Senatoren hätten demnach große Skrupel gehabt, der Empfehlung des Regulus zu folgen. Stattdessen hätten sie

27Altheim

1969, 359 f. In der Überlieferung dieser Verhandlungen bei Zonaras ist zu erfahren, dass Hamilkar immerhin erreicht habe, dass seinen Soldaten und ihm die Schande erspart geblieben sei, unter dem Joch abzuziehen (Zon. 8,17,5). Hierzu passe nach Altheim das stuprum bei Naevius. Eine Rede Hamilkars scheine nach Altheims Rekonstruktion zum Beispiel denkbar. Siehe Altheim 1969, 359 („Der dort [bei Naevius, Anm. S. Lentzsch] Genannte weigerte sich mit dem Hinweis darauf, daß seine Leute lieber sterben wollten.“). In der entsprechenden Passage in der Darstellung des Diodor weist Hamilkar römische Gesandte ab, die ihm die Vertragsbedingungen vortrugen, da diese beinhalteten, die römischen Überläufer auszuliefern (Diod. 24,13). Diese seien, nach Altheim, mit den fortissimi viri des Naevius-Fragmentes gemeint (Altheim 1969, 360). Doch ungeachtet der sprachlichen Ähnlichkeiten der Naevius-Verse und der entsprechenden Passage in der Darstellung des Cassius Dio/Zonaras und des Diodor, auf die Altheim aufmerksam gemacht hat, scheint diese Zuordnung dennoch fraglich. So hat Bleckmann zu Recht angemerkt, dass es eher unwahrscheinlich scheint, dass „in einem nationalrömischen Epos“ Überläufer zur karthagischen Seite als fortissimi viri bezeichnet wurden. Zudem mag es übertrieben anmuten, dass Hamilkar die Auslieferung der römischen Überläufer an die Römer als Schande für Karthago bezeichnet hätte (Bleckmann 1998, 63). Hinzu treten Bedenken gegen quellenkritische Ableitungen Altheims. Insbesondere die rekonstruierte Verbindung zwischen Naevius und Philinos ist wenig überzeugend. Vgl. Bleckmann 1998, 64 f.

28Bleckmann

1998, 65–70. Cass. Dio Frg. 43,26. 30Bleckmann 1998, 67 (Zitat). Die Möglichkeit, dass es dabei um die Verwendung eines historischen Präsens handeln könnte, erwägt Bleckmann ebenfalls. Eine Rede wird aber, insbesondere angesichts des Inhaltes der Verse, wenigstens ebenso wahrscheinlich sein. 31Vgl. Beck 2005a, 241, Anm. 66. 32Hor. carm. 3,5. Siehe hierzu ausführlich unten Abschn. 5.1.4.2. 33Vgl. Bleckmann 1998, 68. 29Zon. 8,15,1–7;

5.1  Ein edler Gefangener und Hühner, die nicht essen wollen

215

nach Wegen gesucht, den gefangenen Feldherrn zu überzeugen, sich auslösen zu lassen.34 Wie noch zu zeigen sein wird, bieten spätere Versionen der RegulusLegende tatsächlich solche Versuche der übrigen Senatoren.35 Es liegt jedenfalls nahe, dass in einem Epos, in dem die Römer insgesamt in einem heldenhaften Kampf gegen Karthago dargestellt werden sollten, die durchaus heikle Angelegenheit der gescheiterten Verhandlungen über den Freikauf des Regulus glorifizierend verdeckt worden sein könnte.36 In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass die gens Atilia nach Ansicht von Teilen der Forschung aus Kampanien kam, was ja auch die Heimat des Naevius war.37 Möglicherweise sah sich Naevius der Familie des Regulus aus diesem Grund als besonders verbunden an, weshalb er diesen auch in einem günstigen Licht dargestellt haben könnte. Die Herkunft der Atilier ist allerdings nicht gesichert.38 Während es insgesamt als wenigstens wahrscheinlich gelten kann, dass die Regulus-Episode bei Naevius relativ breiten Raum einnahm – auch wenn die Einzelheiten unklar bleiben müssen – sind hinsichtlich anderer römischer Niederlagen lediglich Fragmente erhalten, die eine geringere Aussagekraft besitzen und deren Zuordnung unsicher ist.39

34Bleckmann

1998, 69 („Das Fragment 51 des Naevius gibt m.E. in indirekter Rede einen Teil dieser Skrupel des Senats wieder, der um das Los der fortissimi viri besorgt ist.“). 35Siehe unten insbesondere die Abschnitte zu Horaz, Valerius Maximus und Silius Italicus. Abschn. 5.1.4.2, 5.1.5 und 5.1.6. 36Vgl. Bleckmann 1998, 69: „Trifft unsere Zuordnung der beiden Fragmente zu, hat Naevius die Regulusgesandtschaft von 250 als einen tragischen Wettstreit edler Gefühle gezeichnet“. Denn der historische Ablauf der Reise des Regulus nach Rom und deren Ausgang dürften wesentlich weniger erbaulich gewesen sein. Die bereits erwähnten Tempelstiftungen der Atilier die noch während des Krieges erfolgten, sind vermutlich vor dem Hintergrund zu deuten, dass die ­Familie des ­Regulus danach strebte, sein Schicksal in vorteilhafter Weise umzudeuten. Die Darstellung im Bellum Punicum scheint offenbar in ganz ähnlicher Deutung ausgerichtet gewesen zu sein (Bleckmann 1998, 69 f.). 37Siehe hierzu Münzer 1920, 58 („entweder sind die Atilier dort zu Hause gewesen oder haben dort ihre Besitzungen gehabt […]; das eine schließt das andere nicht aus“). Vgl. Bleckmann 1998, 70. 38Siehe Bleckmann 1998, 70: „Naevius, der als Kampaner den Atiliern in besonderer Weise verpflichtet war, mag dann durch seine künstlerische Gestaltungskraft wesentlich dazu beigetragen haben, daß diese Geschichtslegende zum Exemplum römischer Virtus stilisiert wurde“. Für die unsichere Rekonstruktion der Herkunft der Atilier siehe etwa Hölkeskamp 1987/2011, 179 f., Anm. 84 (mit weiteren Hinweisen). 39So wollte Cichorius ein Fragment des sechsten Buches auf die Niederlage von Drepana beziehen Doch lassen sich auch dann, wenn man diese Deutung akzeptiert, hieraus nur wenige Schlüsse in Hinsicht auf die Darstellung jener Niederlage bei Naevius gewinnen. Aus dem sechsten Buch des Bellum Punicum zitiert Nonius folgenden Vers: superbiter contemptim conterit legiones (42 Strzelecki = 42  Blänsdorf (=Non. 830 L.)). Bei der handelnden Person wird es sich wohl in der Tat um einen römischen Feldherrn handeln, wobei die von Cichorius, im Wesentlichen anhand der von Nonius genannten Buchzahl, vorgenommene Zuordnung zu P. Claudius Pulcher und dessen Verhalten vor der Schlacht von Drepana einige Plausibilität besitzt (Cichorius 1922, 45. Vgl. zustimmend zu dieser Zuordnung Altheim 1969, 349; Blänsdorf 1995, 60). Eine hochmütige Einstellung des Claudius insbesondere gegenüber seinem Vorgänger ist in verschiedenen späteren Quellen belegt. Inwiefern diese Episode bei Naevius mit der unter Claudius’

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

In den Einzelheiten weitgehend unklar, bleiben auch Darstellung und Deutung der Niederlagen des Ersten Punischen Krieges bei den ersten römischen Historiografen, was insbesondere deswegen bedauerlich ist, da Q. Fabius Pictor durchaus noch selbst am Krieg teilgenommen haben könnte.40 Denn sollte Pictor tatsächlich um 270 herum geboren worden sein, wäre er zu Kriegsende etwa 30 Jahre alt gewesen, was durchaus die Möglichkeit eröffnet, dass er als junger Mann an der letzten Phase des Krieges beteiligt war. In diesem Fall wäre eine Teilnahme an den Operationen der letzten Kriegsjahre auf Sizilien wahrscheinlich. In diese Vorgänge gehört tatsächlich das einzige Fragment zum Ersten Punischen Krieg, das sich aus Pictors Werk erhalten hat. Im Zusammenhang seiner Darstellung des Stellungskrieges rund um den Berg Eryx in den Jahren 244–241 überliefert Polybios, dass die Kämpfe dort nach dem Zeugnis des Fabius aufgrund von Entkräftigung und übermäßigem Leid beendet worden sein sollten, während er der Ansicht war, dass das Ringen dort weiter angehalten hätte, wäre nicht auf einem anderen Schauplatz die Entscheidung in diesem Krieg gefällt worden.41 Ob der Eindruck von Leid und Anstrengung im Belagerungskrieg von hohem Ausmaß auf persönliche Erfahrung des Pictor zurückgeht, muss angesichts der Quellenlage offen bleiben.

Kommando erfolgten römischen Niederlage bei Drepana verbunden war, ob etwa eine Passage über den von Cicero bezeugten Auspicienfrevel im Bellum Punicum enthalten war, lässt sich aus dem dürren Vers heraus freilich nicht klären. Das gilt folgerichtig auch für die Erwägung bei Cichorius 1922, 45, dass Naevius möglicherweise „selbst schon 249 vor Lilybaeum unter P. Claudius Pulcher gedient“ haben könne und die Niederlage „vom Standpunkte der römischen socii, in deren Reihen er ja den letzten Teil des Krieges mitgemacht hatte“, schilderte. Nicht direkt mit einer Niederlage sondern eher mit den Reaktionen auf militärische Fehlschläge und Rückschläge lässt sich nach Cichorius schließlich ein weiteres Naevius-Fragment verbinden, in dem die Göttin Proserpina erwähnt wird: prima incedit Cereris Proserpina puer (Naev. 19 Strzelecki = 22  Blänsdorf (=Prisc. 2,231,13)). Cichorius vermutet, dass sich das Fragment mit der Einführung der ludi saeculares in Rom im Jahr 249 verbinden lässt (Cichorius 1922, 47 f.). Hierbei könnte es sich, um eine Reaktion der Römer auf die hohen und einschneidenden Verluste bei Drepana und in der Sturmkatastrophe bei Kamarina gehandelt haben, der dritten innerhalb weniger Jahre (vgl. hierzu Bernstein 1998, 141; Bleckmann 2002, 193, Anm. 4: „Die Säkularspiele von 249 wurden zur religiösen Bewältigung außerordentlicher Verluste eingerichtet.“; Gehrke 2002, 167; Forsythe 2012, 61. Vgl. außerdem Beard/North/Price 1998, 71). Sollte Naevius dieses Ereignis tatsächlich im Kontext des Fragmentes geschildert haben, würde dies wohl auf dessen Bedeutung in den Augen der Zeitgenossen hinweisen (Vgl. Cichorius 1922, 47 f.). Aus der Rückschau mag einigen Römern die Einführung der ludi saeculares als ein Wendepunkt in der Geschichte des Krieges erschienen sein, denn schließlich ereigneten sich nach dieser demonstrativen Hinwendung der Römer zu den Göttern keine weiteren Katastrophen oder schweren militärischen Niederlagen mehr. In neueren Arbeiten wurde das Fragment aufgrund der überlieferten Buchzahl indes mit guten Argumenten den mythischen Partien des Epos zugeordnet, wo es etwa Teil einer Schilderung einer Götterversammlung gewesen sein könnte. Siehe hierzu Blänsdorf 1995, 52 und Jahn 2007, 61, 64 (mit weiteren Hinweisen). 40In der Mehrheit der Forschungsbeiträge zu Q. Fabius Pictor wird angenommen, dass der erste römische Historiograf um das Jahr 270 herum geboren ist. Über seine Karriere und Biografie ist nur wenig bekannt, sodass unklar bleibt, ob er in irgendeiner Form am ersten römisch-karthagischen Krieg teilnahm. Vgl. zuletzt Bispham/Cornell 2013a, 162 mit weiteren Nachweisen. 41FRH 1 F 28 = FRHist 1 F 19 (=Pol. 1,58,2–6). Siehe bes. den klärenden Kommentar in FRHist III, 35 f.

5.1  Ein edler Gefangener und Hühner, die nicht essen wollen

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5.1.2  Das Beispiel des Tribunen – Zeugnisse des zweiten Jahrhunderts Q. Ennius gab in den Annales offenbar lediglich eine sehr kurze Zusammenfassung des Ersten Punischen Krieges.42 Es lassen sich daher auch nur generell wenige ­Fragmente der Annales dem ersten Krieg zwischen Rom und Karthago zuordnen. Von diesen lässt sich wiederum keines direkt in einen engen Zusammenhang mit den Niederlagen Roms bringen.43 Immerhin finden sich zwei kurze Passagen über spezifische Eigenschaften der karthagischen Gegner, die von Ennius mit Sicherheit als negative Charakteristika gedeutet wurden. Zum einen berichtet der Autor des Epos von der Sitte der Karthager, ihre Kinder dem Moloch zu opfern, zum anderen merkt er an, dass es sich bei den Soldaten der Karthager um Söldner gehandelt habe.44 Die Berichte über das Phänomen des Opferns von Kindern in Karthago basieren vermutlich in ihrem Kern auf historisch authentischen Informationen.45 Auch ist es zutreffend, dass die Karthager in den Kriegen gegen Rom auf die Rekrutierung von Söldnern zurückgriffen.46 Die Vermutung liegt allerdings nahe, dass beide Phänomene bei Ennius, wie es für spätere Autoren besser greifbar ist, in einer pejorativen Absicht mitgeteilt wurden. Im Fall der Opferung von Kindern ist aus römischer Sicht wohl auch kaum ein Zusammenhang denkbar, in dem dieses Verhalten als positiv ausgelegt worden sein könnte.47 Hinsichtlich der Notiz, die indirekt auf Söldner in Karthagos Diensten hinweist, ist das freilich nicht sicher. Der Kontext des Fragmentes ist gänzlich unklar. Unter anderem käme auch eine römische Niederlage in Betracht. So verweist Polybios in einer kurzen Erörterung für die Gründe der Niederlage des M. Atilius Regulus bei Tunis darauf, dass die Karthager den für sie glücklichen Ausgang der Schlacht im Wesentlichen dem Spartaner Xanthippos und dem von ihm kommandierten Söldnerheer zu verdanken gehabt hätten.48 Auch der römische Angriff auf Lilybaeum im Jahr 250 sei nach

42Dies

lag vielleicht daran, dass dieser bereits von Cn. Naevius in epischer Form behandelt worden war. Siehe hierzu Skutsch 1985, 8 und 366 f. 43Vgl. die Übersicht der Fragmente bei Skutsch 1985, 367. 44Enn. ann. 214 (Poeni soliti suos sacrificare puellos); 215 (Poeni stipendia pendunt). Aus dem Zusammenhang, in den Varro das letztere Zitat des Ennius stellt, geht hervor, dass dieser von Zahlungen der Karthager an Söldner schrieb (Varro ling. 5,182: militis stipendia ideo, quod eam stipem pendebant; ab eo etiam Ennius scribit: ‚Poeni stipendia pendunt‘.). Vgl. Skutsch 1985, 383. Beide Verse sind nicht eindeutig für das siebte Buch, in dem offenbar der Erste Punische Krieg geschildert wurde, belegt, doch nimmt Skutsch an, dass es sich bei beiden Stellen um Fragmente aus einem ethnografischen Diskurs handelt, der am Beginn des Konfliktes zwischen Römern und Karthagern eingeschoben wurde (Skutsch 1985, 381, 383 f.). Dies ist insgesamt eine plausible Vermutung. 45Allerdings wird es sich hierbei um ein Ritual gehandelt haben, das allein in Notzeiten durchgeführt wurde. Siehe hierzu Seibert 1993b, 111 f. 46Zur Entstehung der karthagischen Söldnerarmeen siehe Ameling 1993, 183–225. 47Vgl. Gruen 2011, 122 („At the last it reflects a campaign to brand the evildoers with the worst form of wickedness.“). 48Pol. 1,32,1–9 (Aufbau der karthagischen Verteidigung durch Xanthippos).

218

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Polybios vor allem durch den Einsatz griechischer Söldner abgewehrt worden.49 Auch wenn ein solcher Kontext für die genannten Fragmente der Annales ebenfalls denkbar ist, belegen diese Anmerkungen bei Polybios nicht, dass Ennius sich in seiner vermutlich ja sehr kurzen Darstellung des Krieges in ähnlicher Weise zu den Gründen dieser römischen Misserfolge geäußert hatte wie Polybios dies getan hat. Gerade der Vergleich mit dessen Historien lenkt den Blick zudem auf einen anderen möglichen Zusammenhang. Denn Polybios führt als einen der Gründe für Roms letztliche Überlegenheit gegenüber Karthago dessen Rückgriff auf fremde Söldner an. Die Römer hätten hingegen auf ihre eigenen Bürgersoldaten vertrauen können, die einen größeren Einsatz für ihre Gemeinschaft an den Tag gelegt hätten.50 Dem Zeugnis des Cornelius Nepos nach behandelte M. Porcius Cato im vierten Buch der Origines den Ersten Punischen Krieg.51 Eine Reihe von Fragmenten weist darauf hin, dass Cato dort zunächst allgemeine Informationen über den Gegner der Römer gab und dabei politische und kulturelle Eigenheiten der Karthager erwähnte.52 In den Kontext (möglicher) römischer Niederlagen lassen sich zwei Fragmente einordnen. Das erste von beiden ist in Hinsicht auf das hier vorliegende Thema wenig ergiebig. Der Vergilkommentator Servius weist darauf hin, dass Cato die Form „Drepana“ offenbar als Pluralform auffasste.53 Aufschlüsse über den Umstand hinaus, dass Cato die Schlacht von Drepana in den Origines behandelte, womit ja ohnehin zu rechnen war, lassen sich aus dieser Bemerkung kaum gewinnen. Das andere der beiden Fragmente gehört in den Kontext der Schilderung von Operationen, die A. Atilius Caiatinus im Jahr 258 mit offenbar mäßigem Erfolg auf Sizilien durchführte.54 Als der Konsul seine Truppen in eine ungünstige Lage manövriert hatte, habe sich ein Militärtribun, dessen Name bei Cato an dieser Stelle nicht genannt wird,55 angeboten, eine kleine Abteilung von

49Pol.

1,43,1–8 (gescheiterte Verschwörung eines Teils der Söldner in Lilybaeum); 1,48,1–11 (Abwehr des römischen Angriffs durch Zerstörung der Belagerungswerke). 50Pol. 6,52. Vgl. Gruen 2011, 120. In der Forschung wurde zudem die Vermutung geäußert, dass bereits bei Ennius, wie es in einer Reihe späterer Quellen der Fall ist, die Gesandtschaft des Regulus, in der er als Kriegsgefangener vor dem Senat in Rom auftrat, mit der Diskussion um den Freikauf der Cannae-Gefangenen verbunden war (siehe etwa Kornhardt 1954, 112–117). Dies ist zwar grundsätzlich möglich, allerdings haben sich zu dieser Frage keine einschlägigen Fragmente des Ennius erhalten, sodass diese Überlegungen unsicher bleiben müssen. 51Nep. Cat. 3,3 (in quarto autem bellum Punicum est primum). 52Siehe etwa FRH 3 F 2,36 = FRHist 5 F 38 (=Prisc. 2,171): über Salzgewinnung bei den Karthagern; FRH 3 F 4,2 = FRHist 5 F 84 (=Fest. 132,11–13 L = Serv. Aen. 1,421): über Wohnbauten; FRH 3 F 4,3 = FRHist 5 F 148 (=Serv. Aen. 4,682): zur karthagischen Verfassungsordnung. 53FRH 3 F 4,8 = FRHist 5 F 146 (=Serv. Aen. 3,707): Cato pluraliter haec Drepana dicit. 54Pol. 1,24,9. Siehe die Rekonstruktion seiner Operationen bei Bleckmann 2002, 151–155. 55Der Name des Militärtribuns variiert in der Überlieferung. Nach Claudius Quadrigarius hieß er Q. Caedicius und es ist durchaus denkbar, dass Cato diesen Namen ebenfalls angegeben hatte, die entsprechende Passage der Origines jedoch nicht mehr erhalten ist (vgl. den Kommentar in FRHist III, 122 mit weiteren Hinweisen).

5.1  Ein edler Gefangener und Hühner, die nicht essen wollen

219

400 Mann auf eine exponierte Position zu führen, um auf diese Weise den Gegner abzulenken, damit das übrige Heer geordnet den Rückzug antreten könne. Der Konsul habe den Vorschlag grundsätzlich gutgeheißen, doch Zweifel daran geäußert, einen Befehlshaber zu finden, der die Soldaten bei dieser gefährlichen Unternehmung anführen würde. An dieser Stelle habe sich der Tribun selbst für diese Aufgabe angeboten. Tatsächlich habe jener Offizier, der dem Konsul den Vorschlag unterbreitet hatte, dann die römischen Soldaten auf einen nahen Hügel geführt, wo sie von den Feinden angegriffen und aufgerieben worden seien. Lediglich der Tribun selbst, so Cato, habe den Kampf überlebt und sei schwer verletzt geborgen worden. Durch seine Tat und das Opfer seiner Soldaten habe dieser Tribun das übrige Heer gerettet. Cato hält fest, dass die Aktionen des Tribuns denjenigen des Leonidas gleichgekommen wären. Im Gegensatz zu dem kaum bekannten Römer sei der spartanische König jedoch in Griechenland auf vielerlei Weise hoch gerühmt worden. In Rom sei dem Tribun diese Ehre nicht zuteil geworden, obwohl er Gleichrangiges geleistet habe.56 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Episode keinen großen Bekanntheitsgrad besaß, bevor Cato sie aufgriff und

56FRH 3 F 4,7a  = FRHist *76 (=Gell. 3,7,1–19): Pulcrum, dii boni, facinus Graecarumque facundiarum magniloquentia condignum M. Cato libris Originum de Q. Caedicio tribuno mili­ tum scriptum reliquit. id profecto est ad hanc ferme sententiam: imperator Poenus in terra Sicilia bello Carthaginiensi primo obviam Romano exercitu progreditur, colles locosque idoneos prior occupat. milites Romani, uti res nata est, in locum insinuant fraudi et perniciei obnoxium. tribu­ nus ad consulem venit, ostendit exitium de loci importunitate et hostium circumstantia maturum. ‚censeo‘, inquit, ‚si rem servare vis, faciundum, ut quadringentos aliquos milites ad verrucam illam‘ – sic enim Cato locum editum asperumque appellat – ‚ire iubeas, eamque uti occupent, imperes horterisque; hostes profecto ubi id viderint, fortissimus quisque et promptissimus ad occursandum pugnandumque in eos praevertentur unoque illo negotio sese alligabunt, atque illi omnes quadringenti procul dubio obtruncabuntur. tunc interea occupatis in ea caede hostibus tempus exercitus ex hoc loco educendi habebis. alia nisi haec salutis via nulla est‘. consul tri­ buno respondit consilium quidem istud aeque providens sibi viderier; ‚sed istos‘, inquit, ‚milites quadringentos ad eum locum in hostium cuneos quisnam erit qui ducat?‘ ‚si alium‘, inquit tri­ bunus, ‚neminem reperis, me licet ad hoc periculum utare; ego hanc tibi et rei publicae animam do.‘ consul tribuno gratias laudesque agit. tribunus et quadringenti ad moriendum proficiscuntur. hostes eorum audaciam demirantur; quorsum ire pergant, in expectando sunt. sed ubi apparuit ad eam verrucam occupandam iter intendere, mittit adversum illos imperator Carthaginiensis peditatum equitatumque, quos in exercitu viros habuit strenuissimos. Romani milites circumve­ niuntur, circumventi repugnant; fit proelium diu anceps. tandem superat multitudo. Quadringenti omnes cum uno perfossi gladiis aut missilibus operti cadunt. consul interim, dum ibi pugnatur, se in locos tutos atque editos subducit. sed quod illi tribuno, duci militum quadringentorum, divi­ nitus in eo proelio usu venit, non iam nostris, sed ipsius Catonis verbis subiecimus: ‘dii immor­ tales tribuno militum fortunam ex virtute eius dedere. nam ita evenit: cum saucius multifariam ibi factus esset, tamen volnus capiti nullum evenit, eumque inter mortuos defetigatum volneribus atque quod sanguen eius defluxerat cognovere. eum sustulere, isque convaluit, saepeque postilla operam rei publicae fortem atque strenuam perhibuit; illoque facto, quod illos milites subduxit, exercitum ceterum servavit. sed idem benefactum quo in loco ponas nimium interest. Leonides Laco, qui simile apud Thermopylas fecit, propter eius virtutes omnis Graecia gloriam atque gra­ tiam praecipuam claritudinis inclitissimae decoravere monumentis: signis, statuis, elogiis, histo­ riis aliisque rebus gratissimum id eius factum habuere; at tribuno militum parva laus pro factis relicta, qui idem fecerat atque rem servaverat.

220

5  Die römisch-karthagischen Kriege

zu einem festen Bestandteil der historiographischen Darstellungen des ersten römisch-karthagischen Krieges auf Sizilien machte.57 Ob die Geschichte um den Militärtribun dazu genutzt wurde, die wenig gelungenen Operationen des römischen Konsuls Caiatinus zu kaschieren, lässt sich nicht mehr klären. Allerdings liegt der Fokus der Darstellung soweit erkennbar nicht hierauf, sondern, neben dem Vergleich mit Leonidas, auf dem Beispiel römischer Tugend, das der Tribun geboten hatte.58 Die Aufopferung eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe von Kämpfern für das Gemeinwesen bildet ein Motiv, das in der römischen Überlieferung bei verschiedener Gelegenheit zum Ausdruck gebracht wird.59 Der Natur der Sache nach liegt es nahe, dass gerade militärische Notlagen Gelegenheit dazu bieten, entsprechende Episoden in die Darstellung einzuflechten. Für Cato bot sich hier zudem eine Gelegenheit dazu, hervorzuheben, dass heldenhafte Taten, die der Erinnerung späterer Generationen würdig seien, nicht nur in der griechischen Geschichte sondern eben auch in der Vergangenheit der Römer selbst zu finden

57Vgl. den Kommentar in FRHist III, 122: „If the episode had been a well-established part of the tradition about the First Punic War, commemorated in Naevius and Ennius, or in Fabius Pictor and other early historians, one would expect the hero’s name to have been enshrined for ever“. 58Dass Cato den Kampf des spartanischen Königs Leonidas an den Thermopylen als Vergleich für die Tat des Caedicius wählte, lag in seiner Sicht wohl aus mehreren Gründen nahe. Zum einen scheint die Überlieferung zum Kampf der Spartaner gegen das Heer des persischen Königs ­Xerxes, der bald nach dem Ereignis von Legenden überwölbt wurde, schon vor dem zweiten Jahrhundert und dem in dieser Zeit intensiver werdenden Kontakt Roms zum hellenistischen Osten des Mittelmeerraums in Italien und Rom verbreitet gewesen zu sein (zur Tradierung griechischer mythischer und historischer Inhalte bereits vor dem Beginn der römischen Historiografie vgl. oben Abschn. 2.2). Zum anderen hatte Cato den Ort des historischen Geschehens in Griechenland nicht nur selbst besucht sondern selbst tatkräftig am Sieg der römischen Armee über die Truppen des Seleukiden Antiochos III. am Thermopylenpass im Jahr 191 mitgewirkt (siehe hierzu nur Kienast 1979, 49 f. mit weiteren Verweisen). Dort konnte Cato zum Beispiel das Denkmal, das Leonidas dort offenbar schon bald nach der Schlacht errichtet worden war, betrachten und sich auf diese Weise von der Bekanntheit und Wirkung der Leonidas-Legende überzeugen. (Herodot berichtet davon, dass auf dem Hügel, auf dem die letzten griechischen Kämpfer gefallen sein sollen, ein steinerner Löwe errichtet worden sei, der dem Gedenken an Leonidas – die Wahl des Löwen stellt also in mehrfacher Hinsicht eine Anspielung auf den spartanischen Feldherren und seinen Namen dar – gewidmet war. Siehe Hdt. 7,225 und vgl. Meier 2010a, 108 f.) Vgl. zum möglichen Einfluss der Erfahrungen und Eindrücke, die Cato während des Feldzuges in Griechenland sammelte, u. a. Chassignet 1986, 89 („L’intérêt de Caton pour le site des Thermopyles n’est pas livresque; lui-même y combattit en 191 comme tribun militaire sous le consulat de M’ Acilius Glabrio […].“); Calboli 1996, 11, sowie den Kommentar von Beck/Walter in FRH I, 202 f. Schließlich sollte die Möglichkeit, dass Cato durch den Vergleich zwischen Leonidas und dem jungen römischen Tribunen indirekt auf seine eigenen Leistungen bei der Verteidigung des Thermopylenpasses im Jahre 191 hinweisen wollte, nicht außer Acht gelassen werden. Siehe zu diesem Gedanken ausführlich Calboli 1996, 11 f. 59Siehe nur die, variantenreiche, Überlieferung um den Kampf des Horatius Cocles auf der milvischen Brücke oder die Devotion dreier Decii Mures, die sich im späten vierten und frühen dritten Jahrhundert ereignet haben sollen. Zu letzteren vgl. Walter 2004b und siehe den Kommentar in FRHist III, 121 zu Ähnlichkeiten zwischen den beiden Episoden um die Tat des Militärtribunen P. Decius Mus bzw. des Tribunen des Ersten Punischen Krieges.

5.1  Ein edler Gefangener und Hühner, die nicht essen wollen

221

seien.60 In diesem Fall waren Catos Bemühungen allem Anschein nach von Erfolg gekrönt. Die Geschichte um den Militärtribunen wurde nämlich, wie an späterer Stelle noch zu zeigen sein wird, ein fester Bestandteil der kollektiven Erinnerung an den Ersten Punischen Krieg in Rom.61 Obgleich der erste römisch-karthagische Krieg in einer Reihe von Werken römischer Historiografen, die mit guten Argumenten in die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts datiert werden, behandelt wurde, sind aus diesen Schriften nur sehr wenige Fragmente erhalten, die sich zweifelsfrei auf diesen Krieg beziehen lassen.62 Einen direkten Zusammenhang zu einer der römischen Niederlagen des Krieges offenbart ein Fragment des C. Sempronius Tuditanus, das Gellius überliefert hat. Es geht hier um das Schicksal des M. Atilius Regulus nach seiner Gefangennahme, genauer um seine Gesandtschaftsreise nach Rom und um seinen Tod in der Kriegsgefangenschaft.63 Wie oben gesehen, lässt sich auf der Basis von plausiblen Argumenten vermuten, dass Regulus bereits kurz nach seinem Tod (Bau des Fides-Tempels durch seinen Cousin A. Atilius Caiatinus) bzw. eine Generation später (Bellum Punicum des Naevius) als vorbildliches Beispiel für fides im Dienst für die res publica präsentiert wurde. Hiermit war wohl bereits der Beginn der Regulus-Legende gelegt worden.64 Das Fragment aus dem Werk des Tuditanus stellt gleichwohl den frühesten direkten Beleg für die Geschichte um Regulus’ Tod dar.65 Auch Tuditanus scheint die Bereitschaft des Regulus, sich für die Republik zu opfern, hervorgehoben zu haben. Denn der überlieferten Passage nach habe Regulus dem Senat von einem Gefangenenaustausch u. a. mit dem Hinweis darauf abgeraten, dass die Karthager ihm ein langsam wirkendes, tödliches Gift verabreicht hätten. Dies konnte in der Rückschau die Entscheidung des Senates noch verständlicher machen und die Haltung des Regulus womöglich noch heroischer erscheinen lassen. Gleichzeitig wurden die Karthager so als hinterhältig dargestellt, was bekanntlich Teil der kulturellen Stereotypen war, die ihnen von griechischen

60Zu zeigen, dass Rom und die römische (sowie italische) Geschichte und Kultur gegenüber derjenigen Griechenlands gleichrangig sei, war wohl eines der Hauptanliegen Catos bei der Abfassung der Origines. Vgl. Gruen 1992, 52–83; Beck/Walter ²2005, 154. 61Vgl.

unten den Abschnitt zu Livius (Abschn. 5.1.4.1). 7 F 32 = FRHist 9 F *31 (=Plin. nat. 16,192). 63FRH 8 F 5 = FRHist 10 F 8 (=Gell. 7,4,1–2,4): Quod satis est celebre de Atilio Regulo, id nuperrime legimus scriptum in Tuditani libris: Regulum captum ad ea, quae in senatu Romae dixit suadens, ne captivi cum Carthaginiensibus permutarentur, id quoque addidisse venenum sibi Carthaginienses dedisse, non praesentarium, sed eiusmodi quod mortem in diem profer­ ret, eo consilio, ut viveret quidem tantisper quoad fieret permutatio, post autem grassante sen­ sim veneno contabesceret. eundem Regulum Tubero in historiis redisse Carthaginem novisque exemplorum modis excruciatum a Poenis dicit. […] Tuditanus autem somno diu prohibitum atque ita vita privatum refert, idque ubi Romae cognitum est, nobilissimos Poenorum captivos liberis Reguli a senatu deditos et ab his in armario muricibus praefixo destitutos eademque insomnia cruciatos interisse. 64Siehe oben Abschn. 5.1 und 5.1.1. 65Frank 1926, 311. Vgl. den Kommentar in FRHist III, 224. 62FRH

222

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und römischen Autoren oft zugeschrieben wurden.66 Die Karthager hätten Regulus nach dessen Rückkehr nach Karthago schließlich durch Schlafentzug umgebracht, woraufhin der Senat die vornehmsten karthagischen Gefangenen in Rom an die Kinder des Regulus ausgeliefert habe, welche diese auf die gleiche Art und Weise zu Tode gemartert hätten.67 Wie unten aufgezeigt werden wird, kursierten in der römischen Überlieferung zahlreiche Varianten zu Details zum Schicksal des Regulus, die sich besonders häufig auf die Umstände seines Todes und die Art und Weise der Folterung der karthagischen Gefangenen beziehen.68 Zu welchem Grad diese Varianten bereits zur Zeit des Tuditanus verbreitet waren, lässt sich nicht sicher klären, doch scheint die Vermutung nicht abwegig, dass sich die Regulus-Legende bereits Ende des zweiten Jahrhunderts einer gewissen Popularität erfreute, die die Entstehung von Varianten begünstigte.69

5.1.3  Fortgesetzte Foltern – das erste Jahrhundert bis zum Ende der Republik Die Suche nach Verweisen und Anspielungen auf den Ersten Punischen Krieg im Œuvre Ciceros, insbesondere auf die römischen Niederlagen im Kampf um Sizilien führt zu einem recht schmalen Ergebnis.70 Grundsätzlich konnte Cicero offenbar auf einen gewissen Bekanntheitsgrad einer Reihe von wichtigen römischen Feldherren des Krieges, wie A. Atilius Caiatinus, C. Duilius und L. Caecilius Metellus, vertrauen.71 Der einzige römische Akteur des Ersten Punischen Krieges, auf den

66Kornhardt

1954, 104. 1957, 93 f. vermutet, dass diese Ermordung der karthagischen Gefangenen durch Angehörige des Regulus gewissermaßen die Keimzelle der Regulus-Legende bildete. Demnach sei die Erzählung um die Folterung des Regulus in karthagischer Kriegsgefangenschaft verbreitet worden, um die Tat der Atilii zu rechtfertigen. Bemerkenswert ist in jedem Fall der Umstand, dass die Gefangenen laut Tuditanus durch den Senat den Kindern des Regulus übergeben worden seien, was den Eindruck eines illegitimen Vorgehens abschwächt. Vgl. auch den Kommentar in FRH I, 334–336. 68Siehe hierzu unten Abschn. 5.1.3 und 5.1.5. 69Zwei weitere Fragmente aus den Schriften anderer Historiografen sind so kurz, dass eine ­inhaltliche Analyse wenig weiterführt. Immerhin wird jedoch klar, dass C. Fannius offenbar im achten Buch seines Werkes die Schlacht von Drepana behandelte. FRH 9 F 3 = FRHist 12 F 3 (=Schol. Veron. ad Verg. Aen. 3,707 p. 430): C. Fannius in VIII annali Der modo, modo Drepana appellat. In den weiteren Zusammenhang dieses Gefechtes könnte auch ein durch A. Gellius überlieferter Satz aus der Geschichte des Cn. Gellius gehören, doch ist diese Zuordnung nicht eindeutig gesichert. Siehe FRH 10 F 26 = FRHist 14 F 28 (=Gell. 18,12,6): Cn. Gellius in annalibus: postquam tempestas sedavit, Atherbal taurum immolavit. Vgl. zu den möglichen Kontexten des Fragments den Kommentar in FRHist III, 240, wo eine Zuordnung in das Vorfeld der Niederlage von Drepana als am wahrscheinlichsten angesehen wird. 70Vgl. Bücher 2006, 196–200. 71Siehe etwa Cic. Pis. 14; Planc. 60; Scaur. 48. 67Walbank

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Cicero in seinen Reden ausführlicher anspielt, ist M. Atilius Regulus, der immerhin dreimal auftaucht. In allen Passagen verweist Cicero dabei auf die Gesandtschaftsreise des Regulus nach Rom bzw. auf den Tod des Regulus in der Gefangenschaft.72 Diese Vorgänge werden dabei in jeweils unterschiedlicher Weise in die Argumentation eingebunden.73 In der Verteidigungsrede Pro Sestio (i. J. 56) reagiert Cicero anscheinend auf einen Angriff des Anklägers P. Albinovanus. Dieser hatte Cicero offenbar vorgeworfen, zum Schaden der Gemeinschaft und mithilfe von Gewaltandrohungen seiner Verbündeten aus dem Exil nach Rom zurückgekehrt zu sein, während M. Atilius Regulus nach Karthago zurückgekehrt sei um der Gemeinschaft zu dienen.74 Dieser Vorwurf geht aus der Wiederholung der Invektive gegen ihn durch Cicero hervor, der dann die Gelegenheit ergreift, auf seine eigenen, natürlich herausragenden, Verdienste um die res publica hinzuweisen.75 Da die Invektive gegen Cicero bereits das exemplum Regulus beinhaltet zu haben scheint, bezeugt die Passage wohl auch dessen Verwendung bei anderen Rednern. In seiner Invektive gegen L. Calpurnius Piso (i. J. 55) vergleicht Cicero den Angegriffenen mit dem berühmten Regulus. Der Grundgedanke lässt sich dabei so formulieren, dass der charakterlich und moralisch Redliche ohne Schande sei, wenn ihm durch andere ein Unrecht angetan werde. Dieses sei ihm nämlich nicht aufgrund eigener Schuld, sondern durch einen Schlag des Schicksals widerfahren. Als Beispiel für Schuldlose, denen übel mitgespielt wurde, nennt Cicero Regulus und C. Marius, wobei er, der Kontext der Rede legt dies nahe, indirekt zweifellos auch auf seine eigene zeitweilige Verbannung verweist.76 Cicero beschreibt bei dieser Gelegenheit den Tod des Regulus unter Folter, wobei er hierzu noch weitere Details zur der grausamen Tat hinzuzufügen weiß, die Sempronius Tuditanus vielleicht

72Cic.

Sest. 127; Pis. 43; Phil. 11,9. zum Folgenden Schütz 1913, 72–74; Bücher 2006, 199 f. 74Vgl. Kaster 2006, 360 f. („Albinovanus presumably said e.g. ‚You claim to be a patriot, after violently forcing a return from an exile that expressed the Roman people’s will? How different the great Regulus: though his capture while fighting in Rome’s defence reduced him to servile status, he accepted that condition rather than violate his fides to gain a return!‘.“) 75Cic. Sest. 127–128. Vgl. Mix 1970, 37: „This composite mental portrait of Regulus was useful to Cicero in a personal way. As Regulus freely left Rome to go to his death, so Cicero implies that he himself returned to Rome without concern for his personal safety, without the need of such gangs as those of Milo and Sestius“. 76Cic. Pis. 43: Quae est igitur poena, quod supplicium? id mea sententia quod accidere nemini potest nisi nocenti, suscepta fraus, impedita et oppressa mens, bonorum odium, nota inusta sena­ tus, amissio dignitatis. nec mihi ille M. Regulus quem Carthaginienses resectis palpebris inli­ gatum in machina vigilando necaverunt supplicio videtur adfectus, nec C. Marius quem Italia servata ab illo demersum in Minturnensium paludibus, Africa devicta ab eodem expulsum et naufragum vidit. fortunae enim ista tela sunt non culpae; supplicium autem est poena peccati. Vgl. Mix 1970, 37, der Ciceros Intention hinter dieser Rede vorsichtig deutet: „Here, then, is a subtle, perhaps unconscious desire of Cicero to wear Regulus’ halo for a moment“. 73Vgl.

224

5  Die römisch-karthagischen Kriege

noch unbekannt waren, jedenfalls soweit sich dies aus der Notiz bei Gellius (siehe oben) schließen lässt.77 In der elften Philippischen Rede (i. J. 43) setzt Cicero den Vergleich zu Regulus wieder als Mittel im Kampf gegen einen Gegner ein, in diesem Fall gegen P. Cornelius Dolabella: Wenn „die Punier“ als in hohem Maße grausam gelten müssten, weil sie Regulus folterten, wie müsse man dann erst Dolabella beurteilen, der sogar seinen Mitbürger C. Trebonius, den Prokonsul der Provinz Asia, habe zu Tode foltern lassen?78 Anders als in der Rede gegen Piso gibt Cicero hier keine weiteren Erläuterungen zu dem Schicksal des Regulus. Er konnte bei seinen Rezipienten offenbar zumindest auf eine vage Vertrautheit mit der Regulus-Legende bauen. Neben den drei genannten Stellen aus Reden, in denen Cicero auf das Beispiel des Regulus anspielt, finden sich noch weitere Verweise auf das Schicksal des Atiliers in Ciceros philosophischen Schriften. Auch in diesen Passagen wird die Folterung durch die Karthager erwähnt, im Mittelpunkt steht hier jedoch, dem Kontext der Werke entsprechend, die Haltung, die Regulus selbst gezeigt habe und die als Beispiel für römische Pflichterfüllung und fides gelten könne. In zwei Passagen in De Officiis zieht Cicero das Beispiel des Regulus heran.79 An beiden Stellen steht abermals die Gesandtschaftsreise des Atiliers nach Rom sowie dessen Rückkehr nach Karthago im Mittelpunkt, wo er den Tod durch grausame Folter erlitten habe.80 Im ersten Buch führt Cicero Regulus als exemplum für das Einhalten von Eiden gegenüber Feinden an, wobei er das positive Beispiel, das dieser geboten habe, mit dem verwerflichen Vorgehen der Gesandten der römischen Gefangenen von Cannae vergleicht.81 In einer relativ ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Schicksal des Regulus im dritten Buch hebt Cicero zum einen die Tapferkeit (fortitudo) und die hohe Gesinnung (magnitudo animi) des Atiliers hervor, der dem Senat einen Ratschlag erteilt habe, der zwar dem Gemeinwesen Nutzen gebracht habe, ihm selbst allerdings den Tod, da er nach Karthago zurückgekehrt sei.82 Darüber hinaus sei es jedoch unangebracht zu behaupten, dass die Tat des Regulus ihm selbst keinen Nutzen eingetragen habe, denn durch sein Verhalten sei er einem unwürdigen Leben als meineidiger, alter Mann in Rom entgangen. Zudem habe

77Demnach seien Regulus nicht nur die Augenlider abgeschnitten worden, damit er an Schlaflosigkeit verende, sondern der Konsul sei darüber hinaus noch an ein drehbares Gerüst gefesselt gewesen. 78Cic. Phil. 11,9 (Alia sunt, alia, inquam, o perditissimi homines et amentissimi, multo miseriora. nam quo maior vis est animi quam corporis, hoc sunt graviora ea quae concipiuntur animo quam illa quae corpore. miserior igitur qui suscipit in se scelus quam is qui alterius facinus sub­ ire cogitur. cruciatus est a Dolabella Trebonius: et quidem a Carthaginiensibus Regulus. Qua re cum crudelissimi Poeni iudicati sint in hoste, quid in cive Dolabella iudicandum est?). 79In einem Brief an Atticus vom 5. November 44 berichtet Cicero seinem Freund von der Arbeit an De Officiis und erwähnt in diesem Zusammenhang Regulus, um die Argumentation, die er in seiner Schrift verfolgen will, zu erläutern (Cic. Att. 16,11,4). 80Cic. off. 3,99–101. 81Cic. off. 1,39. 82Cic. off. 3,100.

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seine Tat der res publica genutzt und was der res publica förderlich sei, könne auch für den einzelnen Bürger keinen Schaden bedeuten.83 In der Abhandlung De finibus bonorum et maiorum stellt Cicero in der Gegenrede, die er im zweiten Buch im Rahmen des fiktiven Dialoges mit seinem Widerpart L. Manlius Torquatus über die epikureische Lehre führt, M. Atilius Regulus als Beispiel für wahre Tugend (virtus) an. Was denen, die von seinem Schicksal, das Cicero detailliert ausmalt, hörten, als beklagenswert erscheine, sei für den wahrhaft tugendhaften Regulus eine Form der Erfüllung gewesen. Denn jene „glückseligen Menschen“ zeichneten sich nicht durch die, von den Epikureiern bevorzugte, Heiterkeit aus, sondern durch „Festigkeit und Beharrlichkeit“.84 Cicero greift den Tod des Regulus unter der Folter zudem noch in einer Reihe von weiteren Beispielen auf, in denen er, mit leichter Variation in der konkreten Argumentation, stets das Vorbildliche in Haltung und Handeln des Atilius betont.85 In zwei weiteren seiner philosophischen Schriften, in De divinatione und De natura deorum, offenbart Cicero zudem seine Kenntnis von der Niederlage des P. Claudius Pulcher bei Drepana, welcher der folgenschwere Auspicienfrevel des Konsuls vorausgegangen sei.86 Da nicht anzunehmen ist, dass Cicero diese Episode erfunden hat, kann man wohl davon ausgehen, dass zumindest in Teilen der Überlieferung dieser Frevel als Ursache der Niederlage dargestellt wurde.87 Cicero wusste auch von dem Prozess gegen Claudius sowie von dessen Verurteilung.88 In beiden Passagen wird zudem das Ende der Flotte des Iunius Pullus im Seesturm

83Cic.

off. 3,101 (at stulte, qui non modo non censuerit captivos remittendos, verum etiam dis­ suaserit. quo modo stulte? etiamne, si rei publicae conducebat? potest autem, quod inutile rei publicae sit, id cuiquam civi utile esse?).

84Cic.

fin. 2,65 (dicet pro me ipsa virtus nec dubitabit isti vestro beato M. Regulum anteponere, quem quidem, cum sua voluntate, nulla vi coactus praeter fidem, quam dederat hosti, ex pat­ ria Carthaginem revertisset, tum ipsum, cum vigiliis et fame cruciaretur, clamat virtus beatiorem fuisse quam potantem in rosa Thorium. bella magna gesserat, bis consul fuerat, triumpharat nec tamen sua illa superiora tam magna neque tam praeclara ducebat quam illum ultimum casum, quem propter fidem constantiamque susceperat, qui nobis miserabilis videtur audientibus, illi perpetienti erat voluptarius. non enim hilaritate nec lascivia nec risu aut ioco, comite levitatis, saepe etiam tristes firmitate et constantia sunt beati.). 85Cic. Cato 75 (M. Atilius Regulus wird in einer Reihe mit weiteren berühmten Feldherren der römischen Geschichte als ein offenbar geläufiges Beispiel für innere Gelassenheit und charakterliche Stärke im Angesicht des Todes angeführt. Beides gezieme sich für einen tugendhaften Menschen und beides hätten auch die römischen Legionen schon oftmals im Kampf bewiesen.); nat. deor. 3,80 (Regulus taucht in einer Aufzählung mit anderen bekannten Personen der römischen Vergangenheit, wie dem L. Aemilius Paullus, M. Claudius Marcellus oder den Scipionenbrüdern in Spanien, auf, die, im Kampf oder durch Mord, gewaltsam umkamen. Ausgangspunkt der Aufzählung ist die Frage, warum die Götter, wenn sie sich um das Menschengeschlecht sorgten, zuließen, dass solch „gute“ Menschen auf gewaltsame Weise starben.); Tusc. 5,14 (Regulus wird in einer Reihe von Römern der Vergangenheit angeführt, die unter Folter starben). 86Cic. div. 1,29; 2,71; nat. deor. 2,7. 87Dies legt auch Liv. per. 19,2 nahe. 88Cic. nat. deor. 2,7.

226

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an die Seite der Niederlage bei Drepana gestellt. Auch dieser Katastrophe sei ein Auspicienfrevel vorausgegangen. Iunius Pullus habe sich im Anschluss an den Untergang seiner Flotte selbst umgebracht. Weitere Verweise oder Anspielungen auf Niederlagen des Ersten Punischen Krieges lassen sich nicht anführen.89 Es lässt sich also festhalten, dass Cicero mit Blick auf den ersten römischkarthagischen Krieg am relativ häufigsten auf Ereignisse verweist, die in den ­Kontext des Schicksals des M. Atilius Regulus gehören. Die eigentliche Niederlage auf dem Schlachtfeld bei Tunis wird dabei auffallenderweise gar nicht erwähnt, sondern vielmehr das als vorbildlich empfundene Verhalten des Regulus in der Kriegsgefangenschaft bzw. sein Tod unter der Folter. Dabei kann Cicero das Beispiel situationsabhängig verwenden, um entweder Invektiven gegen politische Gegner rhetorisch zu verstärken oder um sich selbst in ein günstiges Licht zu rücken.90 Aus dem Geschichtswerk des Q. Aelius Tubero, eines Zeitgenossen und Bekannten Ciceros, das mindestens vierzehn Bücher umfasst haben soll, sind zwei Fragmente aus dem Kontext des Ersten Punischen Krieges erhalten geblieben. Beide betreffen die Taten und das Schicksal des M. Atilius Regulus und wurden von Gellius bewahrt. Die erste Episode betrifft keine Niederlage des Regulus, sondern eine Heldentat des römischen Feldherrn, der demnach am Fluss Bagrada eine riesige Schlange bekämpft und getötet habe, wofür die Unterstützung des gesamten Heeres notwendig gewesen sei.91 Im zweiten Fragment wird erkennbar, dass Tubero, den Gellius hier wörtlich zitiert, zu Folterung und Tod des Regulus Details über weitere Grausamkeiten der Karthager beizutragen wusste.92 Die Passage bietet keine grundsätzlich neuen ‚Erkenntnisse‘ zum Ende des berühmten Feldherrn. Sie kann jedoch als weiterer Hinweis auf die Verbreitung der Episode in der römischen Geschichtskultur des ersten Jahrhunderts gewertet werden, in der offenbar besonders die Umstände der Folter und des Todes des Regulus zur Kreation immer neuer Varianten anregten.

89Auch

andere Ereignisse des Krieges werden, wie erwähnt, von Cicero kaum genannt. Dies gilt auch für die großen römischen Siege, etwa bei Mylae, Eknomos oder bei den Aegatischen Inseln. In einer Aneinanderreihung großer Feldherren der römischen Geschichte im zweiten Buch von De natura deorum (Cic. nat. deor. 2,165) nennt Cicero auch vier, offenbar in gewisser Weise kanonische, Namen des Ersten Punischen Krieges – Caiatinus, Duilius, Metellus und Lutatius. In dieser Passage sind die jeweiligen Siege, die unter dem Kommando dieser Feldherren errungen wurden, mitgedacht, werden freilich nicht explizit erwähnt. Eine eigentliche Thematisierung von römischen Siegen des Krieges findet sich lediglich hinsichtlich der Schlacht von Mylae und des Triumphes des C. Duilius. In diesem Zusammenhang erwähnt Cicero die besonderen Ehrenrechte, die dem Duilius zuteil geworden waren, da er als erster Römer die Karthager in einer Seeschlacht besiegt hatte (Cic. orat. 153; Cato 44). 90Vgl. Mix 1970, 38. 91FRH 18 F 9 = FRHist 38 F 11 (=Gell. 7,3). Vgl. bes. den Kommentar in FRHist III, 472 f., in dem der Episode ein authentischer Kern nicht abgesprochen wird. 92FRH 18 F 10 = FRHist 38 F 12 (=Gell. 7,4,2–3): Eundem Regulum Tubero in historiis redisse Carthaginem novisque exemplorum modis excruciatum a Poenis dicit: „in atras“, inquit, „et ­profundas tenebras eum claudebant ac diu post, ubi erat visus sol ardentissimus, repente educe­ bant et adversus ictus solis oppositum continebant atque intendere in caelum oculos cogebant. Palpebras quoque eius, ne conivere posset, sursum ac deorsum diductas insuebant“.

5.1  Ein edler Gefangener und Hühner, die nicht essen wollen

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5.1.4 Literatur der augusteischen Zeit 5.1.4.1 Ein großes Beispiel für beiderlei Geschick – T. Livius In seiner Gesamtgeschichte der römischen Vergangenheit behandelte Livius naturgemäß auch den Ersten Punischen Krieg. Aufgrund des Verlustes der gesamten zweiten Dekade von Ab Urbe Condita können die entsprechenden Bücher jedoch nicht mehr studiert werden, sodass auch eine wichtige Quelle für eine umfangreiche Darstellung und Deutung der römischen Niederlagen des Krieges in der römischen Historiografie fehlt. Immerhin erlauben es die Angaben in den antiken Inhaltsangaben der Bücher, den Periochae, einige begründete Vermutungen zu diesem Thema anzustellen.93 Bei einer Untersuchung der Periochae fällt zunächst auf, dass Livius dem Ersten Punischen Krieg im Vergleich zum Zweiten, den er an Dauer um einige Jahre übertraf, einen deutlich geringeren Raum in seinem Werk gab.94 Zur ersten römischen Niederlage des Krieges, dem Fiasko des Cn. Cornelius Scipio bei Lipara, scheint Livius eine Schilderung geboten zu haben, in der das Scheitern des Unternehmens auf eine heimtückische List der Karthager zurückgeführt wird.95 Im gleichen Buch schilderte Livius offenbar auch die Rettung des Heeres, das A. Atilius Caiatinus in eine ungünstige Position manövriert hatte, durch den römischen Militärtribun, der bereits Cato bekannt war. Allerdings trug dieser bei Livius anscheinend einen anderen Namen als in früheren Werken. Außerdem führte er nicht mehr, wie bei Cato, 400 Legionäre an, sondern 300, was man wohl als Hinweis darauf deuten kann, dass die – vermutlich bereits bei Cato angelegte – Angleichung der Episode an die Überlieferung vom Kampf der Spartaner unter Leonidas inzwischen weiter fortgeschritten war.96 Das achtzehnte Buch scheint der Inhaltsangabe nach vor allem den Operatio­ nen des Regulus in Afrika, seiner Niederlage bei Tunis, seiner Gesandtschaft nach Rom sowie seinem Tod in der Gefangenschaft gewidmet gewesen zu sein. Zumindest nahmen die Kapitel zu Regulus wohl einen großen Raum des Buches ein.97 Die knappen Informationen der Inhaltsangabe vermitteln durchaus einen Eindruck davon, in welchem Ausmaß die Regulus-Legende in den Generationen

93Vgl.

zur zweiten Dekade des Livius in den Periochae Bessone 2015. Hinzu kommen Informa­ tionen, die sich aus späteren Werken schließen lassen, denen Livius mit hoher Wahrscheinlichkeit als Quelle diente. Hier ist besonders die Darstellung des Florus zu nennen. 94Liv. per. 16–19. Für die Darstellung der 24 Jahre des ersten Krieges benötigte Livius vier Bücher (16–19), behandelte also im Durchschnitt sechs Jahre pro Buch, wobei er diese Verteilung nicht derart gleichmäßig vornahm, während er die 17 Jahre des zweiten Krieges auf die gesamte dritte Dekade verteilte (21–30). 95Liv. per. 17,1: Cn. Cornelius consul a classe Punica circumventus et per fraudem, veluti in con­ loquium evocatus, captus est. 96Liv. per. 17,5: Atilius Calatinus consul cum in locum a Poenis circumsessum temere exercitum duxisset, M. Calpurni, tribuni militum, virtute et opera evasit, qui cum trecentis militibus eruptione facta hostes in se converterat. 97Liv. per. 18,1–2, 7.

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vor Livius bearbeitet und erweitert worden war. Vom Kampf des Feldherrn und seiner Armee gegen eine übernatürlich große Schlange am Bagradas war auch bei Livius zu lesen. Regulus wäre nach seinen Siegen auf dem Schlachtfeld angeblich lieber nach Italien zurückgekehrt als in Afrika zu bleiben und wandte sich mit einer Bitte an den Senat, ihn abzulösen, da sein bescheidenes Landgut in seiner Abwesenheit von den Arbeitern verlassen worden sei.98 Bei Livius erschienen die spätere Niederlage und der Tod des Regulus durch den nunmehr erzwungenen weiteren Aufenthalt in Afrika wohl noch tragischer. Zudem erfüllte Regulus auf diese Weise das Ideal eines bescheidenen Römers alten Schlages, dem der Wunsch nach Luxus sowie das – potenziell stets destruktive – Streben nach Macht noch fremd gewesen seien.99 Für die Niederlage bei Tunis scheint auch bei Livius – wie bereits bei Polybios – das Eingreifen des Spartaners Xanthippos als Ursache angesehen worden zu sein. Zudem weist die Formulierung, dass die „fortuna an Regulus ein großes Beispiel für beiderlei Geschick“ habe geben wollen auf die Ausführungen zum Wechsel der Tyche und die Möglichkeiten, hieraus zu lernen hin, die bereits Polybios in den Historien an die Schilderung der Niederlage des Regulus angeschlossen hatte.100

98Hierbei

dürfte es sich um freie Erfindungen handeln, da aus Polybios und Cassius Dio/Zonaras hervorgeht, dass Regulus die Operationen in Afrika offenbar sehr offensiv weiterführte und dabei durchaus seine eigenen politischen Ambitionen im Blick hatte. Siehe zu den Verhandlungen zwischen Regulus und den Karthagern nach römischen Erfolgen zu Beginn des Feldzuges Pol. 1,31,4, der explizit festhält, dass der römische Konsul deswegen nach einem Friedensvertrag strebte, weil er den Krieg unter seinem Kommando zu einem siegreichen Abschluss führen wollte. Die genauen Friedensbedingungen überliefert Polybios nicht, sondern teilt lediglich mit, dass diese für die Karthager inakzeptabel hart gewesen seien. Die römischen Forderungen werden durch ein Fragment des Cassius Dio überliefert. Inwiefern die einzelnen Punkte tatsächlich von Regulus gefordert wurden, lässt sich nicht mehr eindeutig klären. Zon. 8,13,4 ist ebenfalls recht vage. Nach Cass. Dio frg. 43,22 hätte Regulus von den Karthagern gefordert, Sardinien und Sizilien zu räumen, die römischen Kriegsgefangenen freizulassen, die karthagischen Kriegsgefangenen von den Römern freizukaufen und die römischen Kriegskosten zu bezahlen. Zudem hätten sie einen Vertrag akzeptieren sollen, der sie in ein ungleiches Bündnis mit Rom gezwungen hätte, und ihnen im Wesentlichen die Einschränkungen auferlegt hätte, welche die Karthager tatsächlich nach dem Zweiten Punischen Krieg hinnehmen mussten. Diese Übereinstimmung der Vertragsbedingungen hat in der Forschung Misstrauen an ihrer Authentizität geweckt. Im Ganzen werden die Bedingungen, die Regulus den Karthagern stellte, in jedem Fall zu hoch gewesen sein. Zu den gescheiterten Verhandlungen des Jahres 255 siehe etwa Lazenby 1996a, 101 f.; Bleckmann 2002, 166; Beck 2005a, 237, dort: „Von welcher der beiden Seiten eine entsprechende Friedensinitiative ausging, läßt sich nicht entscheiden, wie auch die Forderungen des Regulus im einzelnen nicht mehr zu erkennen sind. […] [I]n allen Quellen herrscht Übereinstimmung darin, daß die Verhandlungen an überzogenen Forderungen des Prokonsuls scheiterten“.

99Liv.

Per. 18,1: Atilius Regulus in Africa serpentem portentosae magnitudinis cum magna clade militum occidit, et cum aliquot proeliis bene adversus Carthaginienses pugnasset successorque ei a senatu prospere bellum gerenti non mitteretur, id ipsum per litteras ad senatum scriptas questus est, in quibus inter causas petendi successoris erat, quod agellus eius a mercennariis desertus esset. 100Liv.

Per. 18,2: quaerente deinde fortuna, ut magnum utriusque casus exemplum in Regulo proderetur, arcessito a Carthaginiensibus Xanthippo, Lacedaemoniorum duce, victus proelio et captus est. Siehe Pol. 1,35.

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Die weiteren Bestandteile der längst etablierten Regulus-Legende scheinen dann auch bei Livius im Wesentlichen den bereits bekannten Elementen entsprochen zu haben. Regulus kam als Gesandter nach Rom, riet dem Senat allerdings davon ab, auf die Angebote der Gegenseite einzugehen, und kehrte dann nach Karthago zurück, wo ihn die Karthager zu Tode gequält hätten.101 Die Niederlage des P. Claudius Pulcher bei Drepana führte Livius offenbar auf dessen Missachtung der von den heiligen Hühnern angezeigten ungünstigen Auspicien zurück und berichtete ebenfalls, dass Claudius diese ins Meer werfen ließ. Der Zusammenfassung des Buches nach berichtete Livius ebenfalls über die missglückte Ernennung des Dictators M. Claudius Glicia durch Claudius. Der Prozess gegen Claudius wird hier allerdings nicht erwähnt. Offenbar unterstrich Livius hier das Bild claudischen Hochmutes (superbia Claudia), das in der römischen Überlieferung weit verbreitet war.102 Die Schwester des inzwischen verstorbenen Konsuls habe nämlich, konfrontiert mit der Menschenmenge in den Straßen Roms, die ihr das Vorankommen in ihrer Sänfte erschwerte, den Wunsch geäußert, ihr Bruder, der inzwischen offenbar verstorben war, möge aus dem Grab zurückkehren und eine weitere Flotte verlieren, wodurch sich auch das Verkehrsproblem in Rom lösen würde.103 Das letzte knappe Jahrzehnt des Krieges, mitsamt dem großen Seesieg bei den Aegatischen Inseln, wurde von Livius anschließend anscheinend in vergleichsweise knapper Weise in einem Buch zusammengefasst.104 Insgesamt lässt sich also trotz des Verlustes der zweiten Dekade von Ab Urbe Condita eine Reihe von Erkenntnissen gewinnen. Die Anordnung des Stoffes und die Gewichtung einzelner Passagen des Ersten Punischen Krieges bei Livius schien grundsätzlich denjenigen früherer Werke zu ähneln. Im Vergleich zum Hannibalkrieg nahm der erste Krieg Roms gegen Karthago auch bei Livius eine untergeordnete Position ein. Unter den Operationen des Krieges scheint die Kampagne des Regulus in Afrika einen hervorstechenden Platz in der Darstellung des gesamten Krieges eingenommen zu haben. Dabei deuten die knappen Bemerkungen der

101Liv.

Per. 18,7: Regulus missus a Carthaginiensibus ad senatum, ut de pace et, si eam non posset impetrare, de commutandis captivis ageret, et iureiurando adstrictus rediturum se Carthaginem, si commutari captivos non placuisset, utrumque negandi auctor senatui fuit, et cum fide custodita reversus esset, supplicio a Carthaginiensibus de eo sumpto periit. Aus der kurzen Notiz in den Periochae geht nicht hervor, wie Livius sich diese Folter des Regulus vorgestellt hat, die bei früheren Autoren die Ausbildung so vieler verschiedener Varianten angeregt hatte. Aufgrund der „Auffälligkeit, daß sich auch zu Silius’ [Italicus] Lebzeiten noch keine wirklich kanonische Fassung des Regulusmartyriums herausgebildet hatte“, schließt Fröhlich, dass Livius zu diesem Sachverhalt „verschiedene Überlieferungen zur Auswahl stellte, statt eine Weichenstellung zu riskieren“ (Fröhlich 2000, 308. Hierauf wiesen auch die „diplomatischen Formulierungen bei Florus und Eutrop“ hin. Vgl. Flor. epit. 2,2,25; Eutr. 2,25,3). 102Zur superbia Claudia siehe u. a. Ungern-Sternberg 2006. 103Liv. Per. 19,8–9: Claudia, soror P. Claudi, qui contemptis auspiciis male pugnaverat, a ludis revertens cum turba premeretur, dixit: „Utinam frater meus viveret, iterum classem duceret.“ Ob eam causam multa ei dicta est. 104Liv. Per. 19,12–13.

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Inhaltsangabe darauf hin, dass die Schilderung seines Schicksals in der Gefangenschaft Darstellungs- und Deutungsmustern folgte, die zuvor bereits etabliert worden waren. Inwiefern Livius hier eigene Akzente gesetzt hat, bleibt unklar. Er scheint sich jedoch um den Eindruck einer besonderen Tragik bemüht zu haben.105 In Hinsicht auf mögliche Erklärungen für die einzelnen Niederlagen finden sich zwei Darstellungsmuster wieder, die bereits aus der Schilderung anderer Misserfolge bei Livius sowie anderen Autoren bekannt sind. Einer der römischen ­Konsuln unterliegt in einem heimtückischen Hinterhalt der Gegner, ein weiterer trägt selbst die Schuld an seinem Scheitern in der Schlacht, da er ungünstigen Vorzeichen keine Beachtung schenkt und sich zudem überheblich verhält.

5.1.4.2 Das Beispiel des Gefangenen – Dichtung der augusteischen Zeit In der Aeneis Vergils wird der Konflikt zwischen Rom und Karthago ­bekanntlich ‚vorausgesagt‘, ohne dass dabei allerdings direkt auf den Ersten Punischen Krieg und eine der römischen Niederlagen erkennbar Bezug genommen würde.106 Im Œuvre des Horaz finden sich zwar einige Verweise und Anspielungen auf den Ersten Punischen Krieg, doch sind diese recht knapp gehalten.107 Die am häufigsten genannte Person in diesem Zusammenhang ist M. Atilius Regulus. Auch Horaz interessiert sich dabei besonders für das Schicksal des Feldherrn nach der Gefangennahme durch die Karthager.108 So wirft der Dichter zu Beginn der zwölften Ode des ersten Buches die Frage auf, welchen Mann oder Heros er preisen solle, und geht anschließend eine Galerie von berühmten Figuren der mythischen wie historischen römischen Vergangenheit durch, zu denen auch Regulus gehört. Nähere Informationen erhält der Rezipient nicht.109 Für das Verständnis der Passage reichte freilich auch ein vergleichsweise vages Wissen darüber aus, dass es sich bei Regulus eben um einen berühmten Helden der römischen Geschichte handelte. Je nach Bildungsstand und historischer Kenntnis konnte die Nennung des Namens dann auch weitere Assoziationen zur Regulus-Legende evozieren. In der fünften Ode des dritten Buches schildert Horaz das Schicksal des Regulus wiederum in relativ ausführlicher Weise und lässt diesen sogar in direkter Rede vor dem Senat auftreten und sich gegen den Austausch, hier offenbar eher gegen einen

105Vgl.

die Schilderung des Feldzuges des M. Atilius Regulus in Afrika (Liv. Per. 18,1–2). Vorausdeutung auf den Rächer Didos wird man wohl auf Hannibal beziehen dürfen. Verg. Aen. 4,622–629. So auch u. a. Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2495 f. Vgl. auch Glei 1991, 158; Modrow 2017, 276 f. 107Hor. carm. 2,12,2 kann als Hinweis auf den ersten römisch-karthagischen Krieg gewertet werden. Dabei wird dieser Krieg unter die Großtaten der römischen Vergangenheit eingeordnet, mit denen sich der Dichter in dem betreffenden Rahmen freilich gerade nicht auseinandersetzen möchte. 108Hor. carm. 1,12; 3,5. 109Hor. carm. 1,12,37–40: Regulum et Scauros animaeque magnae/Prodigum Paulum superante Poeno/Gratus insigni referam camena/Fabriciumque. 106Die

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Freikauf, der römischen Gefangenen aussprechen.110 Ein solcher Akt werde nämlich ein schlechtes Beispiel für die Zukunft darstellen. Die Charakterisierung der Mitgefangenen durch Regulus, die vielleicht überraschend negativ ausfällt, unterstreicht dies. Denn die gefangenen Legionäre hätten sich ohne Gegenwehr ergeben und somit Schande über sich gebracht. Diese werde man kaum dadurch reinwaschen können, wenn man sie durch Gold wieder freikaufe, weshalb es vorzuziehen sei, dass die betreffenden Römer in Gefangenschaft blieben. Die Darstellung der römischen Gefangenen und die Art und Weise der Argumentation gegen ihren Freikauf zeigen Ähnlichkeiten zur Episode rund um diejenigen römischen Soldaten auf, die nach der Gefangenennahme durch Hannibals Truppen bei Cannae vor dem Senat um ihren Freikauf gebeten haben sollen.111 Tatsächlich werden beide Vorgänge in einer Reihe von Quellenpassagen auch direkt nacheinander angeführt, wenn auch nicht an dieser Stelle im dritten Odenbuch. Dafür ähnelt die Rede, die Regulus bei Horaz hält, nicht nur hinsichtlich der grundsätzlich ähnlichen Thematik sondern auch hinsichtlich der verwendeten Topik, derjenigen, mit der Manlius Torquatus bei Livius die Bitte der Cannae-Gefangenen um ihren Freikauf ablehnt.112 Nach Horaz habe Regulus durch seine Rede, wie auch durch seine vorbildlich männliche Haltung, den Senat, der in seiner Entscheidung offenbar schwankte, von einer Übereinkunft mit den Karthagern abgehalten, um dann so rasch wie möglich nach Karthago zurückzukehren, obwohl er wusste, dass ihn dort der sichere Tod erwartete.113 Zwar gibt Horaz in dieser Passage weitaus mehr Informationen zu den Vorgängen, die erst zur Gefangenschaft der Soldaten des Regulus geführt hatten, doch wird grundsätzlich auch hier ein gewisses Vorwissen über die Episode vorausgesetzt.114

110Hor.

carm. 3,5,18–40. In der Regel geht es in Passagen, die sich auf die Gesandtschaft des Regulus nach Rom beziehen, um einen Austausch von Gefangenen. Dass hier von einem Freikauf die Rede ist, könnte eine Anspielung auf die Zahlung eines Lösegeldes bzw. einer größeren Menge von Gold an die gallischen Belagerer des Kapitols darstellen. Vgl. Kornhardt 1954, 109, die den Ausdruck „auro repensus … miles“ (Hor. carm. 3,5,25–26) als „Anspielung auf das Gallierexempel“ versteht. 111Vgl. Syndikus 2001, 76, Anm. 40. Seibert 1993b, 231 schätzt auf Basis der variierenden Angaben, dass bei Cannae insgesamt „mindestens 10000 Mann“ auf römisch-italischer Seite in Gefangenschaft geraten waren. Die Quellen: Pol. 3,117,3; Liv. 22,49,18; Plut. Fab. 16,8. Zum Umgang mit dieser Episode in der römischen Geschichtskultur siehe unten die jeweiligen Abschnitte in Abschn. 5.2. 112Vgl. Kornhardt 1954, 107 f.; Syndikus 2001, 76 f., Anm. 41. 113Hor. carm. 3,5,41–56: Fertur pudicae coniugis osculum/Parvosque natos ut capitis minor/Ab se removisse et virilem/Torvus humi posuisse vultum./Donec labantis consilio patres/Firmaret auctor numquam alias dato/Interque maerentis amicos/Egregius properaret exsul./Atqui sciebat, quae sibi barbarus/Tortor pararet: non aliter tamen/Dimovit obstantis proprinquos/Et populum reditus moran­ tem,/Quam si clientum longa negotia/Diiudicata lite relinqueret/Tendens Venafranos in agros/Aut Lacedaemonium Tarentum. 114Diese Kenntnis musste sich indes nicht auf sämtliche Details erstrecken, da eine wenigstens vage Vorstellung über den Ablauf der Ereignisse bereits ausreichend gewesen sein dürfte, um der Argumentation der Rede des Regulus zu folgen. Vgl. Syndikus 2001, 74 („Horaz konnte so vorgehen, weil jeder Leser die Grundzüge der Regulus-Geschichte kannte“).

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Wichtiger war in diesem Zusammenhang wohl indes das Wissen um ein anderes Ereignis. Die ausführliche Bezugnahme auf die bekannte Regulus-Legende besaß an dieser Stelle nämlich vor allem einen direkten zeitgenössischen Bezug. Dieser lag in der Gefangenschaft römischer und italischer Soldaten bei „den Persern“ aus dem, bei Carrhae untergangenem, Heer des M. Licinius Crassus. Die Ode beginnt nämlich mit einem Aufruf zur Eroberung des Partherreiches.115 Die folgende Schilderung der unwürdigen Lebensbedingungen der ehemaligen Soldaten des Crassus, die nun unter den „Medern“ leben würden und die Erinnerung an Italien verloren hätten, wird als Schande für alle Römer ausgemalt, welche nun, so darf man die Ode wohl deuten, endlich zu beenden sei.116 Die Rede des Regulus selbst spielt, unter anderem durch den Hinweis auf die römischen Feldzeichen, die nun in den Tempeln der Punier hingen, gleich mehrfach auf die Niederlage des Crassus bei Carrhae an, wodurch eine im Grunde überzeitliche Aktualität des exemplum Regulus hervorgehoben wird.117 Von diesen beiden Passagen abgesehen bringt die Suche nach Deutungen, Verweisen und Anspielungen auf den Ersten Punischen Krieg und, im Speziellen, die römischen Niederlagen dieser Zeit in der augusteischen Dichtung nur schmale Ergebnisse zutage. Soweit sich dies aus dem vorhandenen Quellenbestand erkennen lässt, scheint das Thema keine große Rolle gespielt zu haben. Lediglich die Regulus-Legende taucht vereinzelt auf, wobei die entsprechenden Passagen auf eine recht verbreitete Kenntnis wenigstens der groben Umrisse der Geschichte schließen lassen, während die Form der Darstellung und Deutung der Episode in beträchtlichem Maße, abhängig von dem konkreten Kontext variieren.

115Hor.

carm. 3,5,1–12: Caelo tonantem credidimus Iovem/Regnare: praesens divus habebitur/ Augustus adiectis Britannis/Imperio gravibusque Persis./Milesne Crassi coniuge barbara/Turpis maritus vixit et hostium – Pro curia inversique mores! – Consenuit socerorum in arvis?/Sub rege Medo Marsus et Apulus,/Anciliorum et nominis et togae/Oblitus aeternaeque Vestae,/Incolumi Iove et urbe Roma? Diese Zeilen des Horaz stellten zur Zeit der Entstehung der Ode bekanntlich keine Ausnahme dar. Die Forderung nach einem erneuten Kriegszug gegen die Parther findet sich in einer Reihe von Passagen augusteischer Dichter. Vgl. Syndikus 2001, 71, Anm. 17 für weitere Belege. Siehe ebd., 70 f. („Der Dichter will damit dem Kaiser nicht gerade eine Bedingung stellen; das Futur dieser feierlichen Stelle sagt vielmehr im Ton einer Prophezeiung ein sicher zu erwartendes Ereignis voraus.“). 116Siehe das Zitat in der vorherigen Anmerkung. Vgl. zur Schilderung des eines Römers unwürdigen Lebens der ehemaligen Legionäre des Crassus Syndikus 2001, 71 f. Vgl. Kornhardt 1954, 118. 117Siehe hierzu Mix 1970, 41 f.; Syndikus 2001, 75–77. Genauer formuliert erhebt Regulus in ­seiner Rede, die Horaz ihm hier in den Mund legt, sogar einen geradezu ewigen Anspruch auf die Gültigkeit seiner Überzeugung. Denn durch das Ablehnen jeglicher Verhandlungen über einen Freikauf soll römischen Soldaten für alle Zeiten jede Hoffnung auf gnädige Behandlung nach ihrer Kapitulation genommen werden. So zu Recht Syndikus 2001, 75 (mit Verweisen auf ältere Kommentare zur Stelle).

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5.1.5  Die Beispiele der Konsuln – Zeugnisse der frühen Kaiserzeit In der Sammlung des Valerius Maximus beziehen sich rund zehn Passagen mehr oder weniger direkt auf Akteure und Ereignisse des ersten römisch-karthagischen Krieges, der damit weitaus weniger präsent ist als der zweite Krieg.118 Der Akteur des Ersten Punischen Krieges, der deutlich erkennbar am häufigsten genannt wird, ist auch bei Valerius Maximus der berühmte M. Atilius Regulus.119 P. Claudius Pulcher, der Konsul von Drepana, kommt immerhin noch auf drei Nennungen, während andere Feldherren und Ereignisse nur in einer oder zwei Passagen thematisiert werden.120 Die unterschiedlichen Deutungen, mit denen das exemplum Regulus in der Sammlung des Valerius verbunden wird, sind teilweise bereits aus anderen Quellen bekannt, teilweise zeigen sich hier wiederum auch weitere Interpretationen. In der ersten Stelle, in der das Schicksal des Regulus thematisiert wird, nennt Valerius zunächst dessen Niederlage gegen Xanthippos, um dann näher auf das Agieren des Regulus vor dem Senat in Rom einzugehen. Wie es auch in anderen Quellen zu diesem Ereignis der Fall ist, rät Regulus auch hier davon ab, auf die Bedingungen der Karthager einzugehen.121 Der Atilier sei dann nach Karthago zurückgekehrt, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass ihn dort die Rache der Karthager erwarten würde. Zweifellos wäre es nun den Göttern möglich gewesen, den tadellosen Regulus zu schützen, indem sie die „Wildheit“ der Karthager hätten abmildern können, doch hätten sie es stattdessen vorgezogen, den Ruhm des Regulus dadurch noch heller erstrahlen zu lassen, indem sie die Karthager „nach ihren Sitten“ handeln ließen. Zudem hätten sie im dritten Krieg durch die Vernichtung Karthagos für eine gerechte Strafe an den Karthagern gesorgt.122

118Vgl.

unten die Aufführung und Diskussion der verschiedenen Stellen zum zweiten römisch-karthagischen Krieg (Abschn. 5.2.6). Allein die Schlacht von Cannae kommt bei Valerius Maximus auf rund 20 Nennungen. 119Val. Max. 1,1,14; 1,8,ext. 19; 2,9,8; 4,4,6; 9,2,ext. 1; 9,6,ext. 1. 120P. Claudius Pulcher: Val. Max. 1,4,3–4; 8,1,absol. 4 (hier als App. Claudius bezeichnet; der Schwerpunkt liegt auf dem Prozess gegen Claudius); 8,1,damn. 4 (hier geht es eigentlich um die Schwester des Claudius und deren Verurteilung aufgrund einer Beleidigung des Volkes); C. Duilius: Val. Max. 3,6,4; 7,3,ext. 7 (Duilius war der Römer, der einen Seetriumph über die Karthager feiern konnte); Cn. Cornelius Scipio Asina: Val. Max. 6,6,2; 6,9,11 (siehe hierzu unten im weiteren Text); C. Lutatius Catulus: Val. Max. 1,3,2 (Lutatius gelang es, den Krieg mit einem Sieg für die Römer zu beenden); L. Cornelius Scipio: Val. Max. 5,1,2 (Scipio habe einen gegnerischen Feldherren nach dessen Tod in der Schlacht ehrenvoll bestatten lassen). 121Diese hätten darin bestanden, zahlreiche junge Männer der Karthager gegen einen alten Mann, Regulus selbst, auszutauschen. Vgl. oben Abschn. 5.1.4.2 (zu Horaz). 122Val. Max. 1,1,14: Sed quae ad custodiam religionis attinent, nescio an omnes M. Atilius Regu­ lus praecesserit, qui ex victore speciosissimo insidiis Hasdrubalis et Xanthippi Lacedaemonii ducis ad miserabilem captivi fortunam deductus ac missus ad senatum populumque Romanum legatus, ut [ex] se et uno et sene complures Poenorum iuvenes pensarentur, in contrarium dato

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Wie gesehen, wurde die Frage, wie die Götter es zulassen konnten, dass ein so tugendhafter Mensch wie Regulus ein solch grausames Schicksal erlitten hatte, bereits in Ciceros De natura deorum aufgeworfen, wo der Atilier als ein Fall von vielen genannt wird, die durch die Götter nicht beschützt worden waren, obwohl sie große Tugend besaßen.123 Auf die in anderen antiken Quellen oftmals vorzufindende detaillierte Beschreibung der Martern des Regulus, deren Schilderung über die Generationen hinweg hinsichtlich der Details der Foltermaßnahmen der Karthager zunehmend variantenreicher wurde, geht Valerius in dieser Passage nicht ein. Dies tut er dafür in einer Sammlung von Fällen von Grausamkeiten im neunten Buch. Auch hier fällt auf, dass Cicero die gleiche Episode in recht ähnlicher Weise als exemplum in einer Rede (In Pisonem) verwendete. Tatsächlich liegt es nahe anzunehmen, dass diese Schrift dem Valerius als Quelle diente, da Cicero allgemein als eine der Hauptquellen für die Facta et dicta gelten kann.124 An einer anderen Stelle geht es um das Urteil, das über den Quaestor M. Metellus und eine unbestimmte Anzahl römischer equites verhängt wurde, die nach der Schlacht von Cannae geplant hatten, die Republik im Stich zu lassen und aus Italien zu fliehen.125 Nach der Ahndung dieses Vergehens hätten die Zensoren diejenigen römischen Soldaten bestraft, die bei Cannae in Gefangenschaft geraten und dann von Hannibal als Unterhändler nach Rom geschickt worden waren, ihren Eid, zum karthagischen Lager zurückzukehren, jedoch gebrochen hatten. Die Strafe durch die Zensoren war sowohl deshalb erfolgt, weil es „römischem Blut“ zu eigen sei, fides zu wahren, und auch da einer der Zensoren der Sohn des berühmten M. Atilius Regulus gewesen sei, der es im Ersten Punischen Krieg vorgezogen habe, in leidvoller Folter zu sterben als sein Wort zu brechen, das er den Karthagern gegeben hatte. Der Zensor handelte also ganz im Sinne des Beispiels, das sein Vater

consilio Carthaginem petiit, non quid ignarus ad quam crudeles quamque merito sibi infestos [deos] reverteretur, verum quia iis iuraverat, si captivi eorum redditi non forent, ad eos sese rediturum. potuerunt profecto di immortales efferatam mitigare saevitiam. ceterum, quo clarior esset Atilii gloria, Carthaginienses moribus suis uti passi sunt, tertio Punico bello reli­ giosissimi spiritus tam crudeliter vexati urbis eorum interitu iusta exacturi piacula. 123Cic.

nat. deor. 3,80. Vgl. oben Abschn. 5.1.3. Max. 9,2,ext. 1: Transgrediemur nunc ad illa quibus, ut par dolor, ita nullus nostrae civi­ tatis rubor inest. Carthaginienses Atilium Regulum palpebris resectis machinae, in qua undique praeacuti stimuli eminebant, inclusum vigilantia pariter et continuo tractu doloris necaverunt, tormenti genus indignum passo, auctoribus dignissimum. Einige Abschnitte später wird eine weitere Grausamkeit der Karthager mitgeteilt. Diese hätten den Spartaner Xanthippos ertränkt, nachdem dieser den Regulus auf dem Schlachtfeld besiegt hatte. Zuvor hatten sie vorgetäuscht, ihm eine sichere Passage in seine Heimat zu geben: Val. Max. 9,6,ext. 1. Cicero als Quelle des Valerius für diese Episode: Bloomer 1992, 96 f. 125Eine ausführliche Schilderung der Vorgänge nach der Schlacht von Cannae, auf die sich diese Passage bezieht, steht bei Liv. 22,53,1–13. Vgl. hierzu ausführlich unten Abschn. 5.2.5.1. 124Val.

5.1  Ein edler Gefangener und Hühner, die nicht essen wollen

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gegeben hatte.126 Die Bestrafung durch die Zensoren ist auch in anderen Quellen belegt. Bei den Zensoren des Jahres 214 handelte es sich tatsächlich um M. Atilius Regulus und P. Furius Philus, doch werden deren Namen etwa bei Livius in der entsprechenden Passage, in der dieser die Strafmaßnamen gegen die eidbrüchigen Cannae-Veteranen schildert, nicht genannt.127 Folgerichtig wird dort auch kein Bezug zum Verhalten des Regulus im Ersten Punischen Krieg hergestellt. Tatsächlich scheint Valerius, soweit die erhaltenen Quellen dies erkennen lassen, der einzige Autor zu sein, der auf die Idee kam, das Schicksal des Vaters mit dem Zensor Regulus zu verbinden.128 Generell jedoch wurden, wie bereits gesehen, beide Fälle als exempla in der römischen Überlieferung oft zusammengerückt.129 Hier tritt nun noch die Verbindung zur Episode der Runde der Militärtribunen in Canusium nach der Schlacht von Cannae hinzu, die Valerius auch in anderen Passagen aufgreift.130 Deren Thema unterscheidet sich zwar von den Fällen der Cannae-Gefangenen und des Regulus in mancher Hinsicht, wird jedoch wiederum dadurch verbunden, dass auch hier das angemessene Verhalten nach einer Niederlage im Blickpunkt steht. In einer anderen Passage wird erwähnt, dass Regulus nach dem ersten Jahr des Feldzuges in Afrika in die Heimat zurückkehren wollte, um sich um sein Landgut und seine Familie zu kümmern. Dies stand ja offenbar bereits bei Livius.131 In der zusammenhängenden Darstellung des augusteischen Historiografen scheint durch den Wunsch des Regulus, den der Senat ablehnte, der Eindruck einer besonderen Tragik im Schicksal des Regulus verstärkt worden sein. Bei Valerius Maximus geht es hingegen eher um die Maßnahmen, die der Senat ergriffen habe, um die Familie des Feldherrn zu unterstützen, sodass das Beispiel hier nicht in den Gesamtzusammenhang der Regulus-Legende eingebunden ist.132

126Val.

Max. 2,9,8: Turpis etiam metus censores summa cum severitate poenam exegerunt: M. enim Atilius Regulus et L. Furius Philus M. Metellum quaestorem compluresque equites Roma­ nos, qui post infeliciter commissam Cannensem pugnam cum eo abituros se Italia iuraverant, ­dereptis equis publicis inter aerarios referendos curaverunt. eos que gravi nota adfece­ runt qui cum in potestatem Hannibalis venissent, legati ab eo missi ad senatum de permutandis captivis neque impetrassent quod petebant, in urbe manserunt, quia et Romano sanguini fidem praestare conveniens erat et M. Atilius Regulus censor perfidiam notabat, cuius pater per summos cruciatus exspirare quam fallere Carthaginienses satius esse duxerat. iam haec censura ex foro in castra transcendit, quae neque timeri neque decipi voluit hostem.

127Liv.

24,18,1–15. 1998, 57. 129Siehe hierzu Kornhardt 1954. Siehe oben die Diskussion der Beispiele, die sich bei Cicero finden lassen (Abschn. 5.1.3). 130Val. Max. 5,6,7. Hier geht es allerdings vornehmlich darum, die vorbildliche Gesinnung des P. Cornelius Scipio zu preisen, der die Flucht der anderen Militärtribunen verhindern kann. 131Val. Max. 4,4,6. Vgl. oben Abschn. 5.1.4.1. 132Es findet sich dort lediglich zu Beginn des Abschnitts ein eher oberflächlicher Hinweis darauf, dass Regulus im Krieg sowohl den größten Sieg wie auch die größte Niederlage der Römer erlitten habe. Die Kenntnis der Regulusgeschichte wird hier gewiss zu einem gewissen Grad vorausgesetzt (Val. Max. 4,4,6: Atilius Regulus, primi Punici belli qua gloria qua clades maxima, …). In einer anderen Passage steht der Kampf des Regulus und seiner Soldaten gegen eine riesige Schlange am Fluss Bagradas im Mittelpunkt (Val. Max. 1,8,ext. 19). 128Weileder

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Wie erwähnt ist P. Claudius Pulcher der römische Feldherr des ersten Krieges, der in der Sammung des Valerius nach Regulus am häufigsten genannt wird. Alle Nennungen beziehen sich dabei mehr oder weniger direkt auf den Kontext der Niederlage bei Drepana. Im ersten Beispiel wird die kausale Abfolge der Handlung (Missachtung der Auspicien und Frevel an den heiligen Hühnern – Verlust der Flotte in der Schlacht) knapp und direkt geschildert.133 Die zweite Stelle wird in einer Reihe von Beispielen genannt, in der Angeklagte vor Gericht freigesprochen wurden. Hier steht dementsprechend eine Skizze des Prozessverlaufes im Vordergrund. Die Götter hätten durch das Senden eines Sturmes zugunsten des Claudius eingegriffen. Die Episode schließt mit der ebenso pointierten wie sachlich falschen Formulierung, nach der ein Sturm Claudius die Flotte gekostet, ein Sturm ihm aber auch das Leben gerettet hätte. Zuvor wird auch an dieser Stelle kein Zweifel daran gelassen, dass der Konsul durch seinen Auspicienfrevel die Niederlage und den Verlust des Großteils der Flotte verursacht hatte.134 In einer zweiten Auflistung von Beispielen, in denen Angeklagte verurteilt wurden, wird auch die Schwester des P. Claudius Pulcher, Claudia, genannt, die aufgrund ihrer abfälligen Bemerkung über die stadtrömische Bevölkerung und der damit verbundenen Anspielung auf die Niederlage ihres Bruders zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden war.135 Cn. Cornelius Scipio Asina taucht in zwei Beispielen auf, in beiden Fällen wird Bezug auf seine Niederlage bei Lipara genommen. In einer Passage diskutiert eine Gruppe hochrangiger Karthager nach einer Niederlage „einer großen karthagischen Flotte vor Sizilien“, bei der es sich vermutlich um die Schlacht bei den Aegatischen Inseln gehandelt haben wird, die Option von Verhandlungen mit den Römern. Dies lehnt Hamilkar mit Hinweis auf die Gefangennahme des Asina bei Lipara ab – es sei zu erwarten, dass die Römer diese Tat nun auf gleiche Weise vergelten würden, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gäbe. Als es dann doch zu Verhandlungen

133Val. Max. 1,4,3 (Par.): P. Claudius bello Punico primo, cum proelium navale committere vellet, auspiciaque more maiorum petisset, et pullarius non exire cavea pullos nuntiasset, abici eos in mare iussit, dicens ‚quia esse nolunt, bibant‘; (Nepot.): P. Claudius, praeceps animi, primo bello Punico pullarium consuluit. qui cum dixisset non vesci pullos, quod malum omen est, ‚bibant‘ inquit et in mare proici iussit. mox classem apud Egadas insulas cum multo rei pub. damno et suo exitio amisit. 134Val. Max. 8,1,absol. 4: Ap. Claudius, nescio religionis maior an patriae iniuria, si quidem illius vetustissimum morem neglexit, huius pulcherrimam classem amisit, infesto populo obiectus, cum effugere debitam poenam nullo modo posse crederetur, subito coorti imbris beneficio tutus fuit a damnatione: discussa enim quaestione aliam velut dis interpellantibus de integro instaurari non placuit. ita cui maritima tempestas causae dictionem contraxerat, caelestis salutem attulit. (Valerius Maximus nennt hier für Claudius ein falsches Praenomen. Es ist dennoch klar, dass P. Claudius Pulcher gemeint ist.) Wenn man überhaupt einen Irrtum im eigentlichen Sinne vermuten möchte, läge es nahe anzunehmen, dass Valerius an dieser Stelle den Verlust der Flotte des Iunius Pullus und die Niederlage bei Drepana vermengt hatte. Es ist jedoch ebenso möglich, dass Valerius sich um diese Vermengung überhaupt nicht sorgte und diese schlicht aus dem Bemühen entstanden war, die Schilderung des Prozesses auf einer griffigen Pointe enden zu lassen. 135Val. Max. 8,1,damn. 4.

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kommt, handeln die Römer jedoch keineswegs wie von Hamilkar prophezeit, was die moralische Überlegenheit der römischen Konsuln gegenüber den Strategen der Karthager unterstreicht. Die Niederlage des Scipionen wird so letztlich auf einen karthagischen Hinterhalt zurückgeführt. Von Kritik an seinem Vorgehen findet sich hier kein Anzeichen. Im Zentrum der Schilderung steht stattdessen die römische fides, die selbst die karthagischen Gegner schützt.136 Das trifft auch auf die zweite Passage zu, in der die Gefangennahme des Scipio Asina bei Lipara angesprochen wird. Hier dient seine Karriere im Ersten Punischen Krieg allerdings dazu, die Wechselfälle des Schicksals zu illustrieren. Als Konsul sei er in Gefangenschaft geraten, in der er ein hartes Los zu erleiden gehabt habe, um dann freizukommen und, erneut unerwartet, auf den Gipfel eines zweiten Konsulates zu gelangen.137 Angesichts der Art und Weise, in der das Schicksal des M. Atilius Regulus in den philosophischen Schriften Ciceros aufgegriffen worden war, ist es wenig überraschend, dass auch Seneca der Jüngere auf das Beispiel des Atiliers verwies. Denn die bereits vorgezeichnete Deutung dieses exemplum, das sich, wie gesehen, ja auch in der Rhetorik einer gewissen Verbreitung erfreute, fügte sich gut in die von Seneca favorisierte Interpretation der stoischen Lehre ein, die er in einer Reihe von Schriften vertreten hat.138 So lautet die grundsätzliche Frage in De Providentia, warum „so vielfach guten Menschen Böses“ widerfahre, wenn doch eine Vorsehung (providentia) die Welt regiere.139 Ausgehend von der These, dass Gegensätze sich ausschließen und daher guten Menschen in Wirklichkeit niemals Böses zustoßen könne, folgert Seneca, dass das was anderen, weniger gefestigten, schwächeren Individuen als harter Schicksalsschlag erscheine, tatsächlich durch den Willen der Götter geschehe, um jene Menschen zu prüfen und gewissermaßen zu erziehen. Ein tugendhafter Mann stelle sich wie ein kampfbereiter Gladiator jedem noch so harten Schicksal und nehme dieses sogar mit Freude hin, da er gewiss sein könne, daran zu wachsen.140 In einer Reihe von historischen Heldengestalten, die exemplarisch für

136Val. Max. 6,6,2: Speciosa illa quoque Romana fides. ingenti Poenorum classe circa Sici­ liam devicta, duces eius fractis animis consilia petendae pacis agitabant. quorum Hamilcar ire se ad consules negabat audere, ne eodem modo catenae sibi inicerentur quo ab ipsis Cornelio Asinae consuli fuerant iniectae. Hanno autem, certior Romani animi aestimator, nihil tale timen­ dum ratus, maxima cum fiducia ad conloquium eorum tetendit. apud quos cum de fine belli age­ ret et tribunus militum ei dixisset posse illi merito evenire quod Cornelio accidisset, uterque consul, tribuno tacere iusso, ‚isto te‘ inquit ‚metu, Hanno, fides civitatis nostrae liberat.‘ cla­ ros illos fecerat tantum hostium ducem vincire potuisse, sed multo clariores fecit noluisse. Vgl. zur Betonung der römischen fides in dieser Passage sowie in den anderen Beispielen des Buches Weileder 1998, 57 f. 137Val. Max. 6,9,11. 138Zu Senecas philosophischen Schriften und seiner Rezeption und Deutung der stoischen Lehre siehe u. a. von Albrecht 1994, 940–943. 139Die Existenz einer solchen Vorsehung sieht Seneca durch die Beobachtung von Gesetzmäßigkeiten der Natur als ausreichend gesichert an. Sen. dial. 1,1,2–4. Zum Aufbau und zum Thema des Werkes vgl. Smith 2014, 116–118. 140Sen. dial. 1,1,4–2,12.

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eine solche Haltung stünden, führt Seneca dann neben Mucius Scaevola, Sokrates oder dem jüngeren Cato auch M. Atilius Regulus an. Das Ausmaß der Folterqualen, unter denen Regulus gestorben sei, und die Seneca detailliert beschreibt, habe den Ruhm des Atiliers noch emporgehoben. Daher habe dieser seine Entscheidung, die hier nicht mehr explizit ausgeführt wird, auch nicht bereut, sondern hätte vielmehr den gleichen Antrag (eandem sententiam) im Senat auch ein zweites Mal gestellt.141 Regulus – besser gesagt: das Bild, das inzwischen über Generationen hinweg von ihm verbreitet worden war – eignete sich natürlich hervorragend dazu, um in einem Werk, das die stoische Lehre verbreiten sollte, gepriesen zu werden. Die hierdurch geprägte Deutung seines überlieferten Schicksals blieb auch nach Seneca populär, wie sich vor allem in den Punica des Silius Italicus nachweisen lässt.

5.1.6  Das Beispiel des Vaters – Silius Italicus, Punica Die Punica, die der römische Senator Silius Italicus gegen Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus verfasste, behandeln zwar hauptsächlich den Zweiten Punischen Krieg, doch bietet das sechste Buch des historischen Epos eine ausführliche Retrospektive auch auf den ersten Konflikt.142

141Sen. dial. 1,3,4–14, bes, 9: Veniamus ad Regulum: quid illi fortuna nocuit, quod illum docu­ mentum fidei, documentum patientiae fecit? figunt cutem clavi et, quocumque fatigatum corpus reclinavit, vulneri incumbit; in perpetuam vigiliam suspensa sunt lumina: quanto plus tormenti, tanto plus erit gloriae. vis scire, quam non paeniteat hoc pretio aestimasse virtutem? refice illum et mitte in senatum: eandem sententiam dicet. Gemeint ist natürlich das Ablehnen der karthagischen Vorschläge. Der anschließende Vergleich zwischen dem Liebesleiden des Maecenas und der Folter des Regulus erinnert an den von Cicero angestellten Vergleich zwischen Regulus und dem L.Thorius Balbus in Cic. fin. 2,63–65. Nahezu die gleiche Aufzählung von im stoischen Sinne herausragenden Individuen führt Seneca noch an zwei Stellen der Epistulae an (Sen. epist. 67,7; 98,12). Eine Kenntnis der grundsätzlichen Vorgänge, die der Folterung des Regulus vorausgegangen sein sollen, konnte Seneca bei seinen gebildeten Lesern angesichts der Präsenz des exemplum in den Schriften Ciceros, des Livius sowie in der Sammlung des Valerius Maximus voraussetzen. Aus letzterer schöpfte Seneca hier möglicherweise auch selbst. Vgl. Smith 2014, 119: „Perhaps deriving from rhetorical handbooks/schools are the laudatio Catonis […], and the long list of historical exempla of great men facing adversity (3,4–14: Mucius, Fabricius, Rutilius, Regulus, Socrates, Cato)“. 142Daher wird der Umgang mit Roms Niederlagen in Buch sechs der Punica bereits an dieser Stelle der Arbeit behandelt, während der Hauptteil der Bücher im Rahmen der Untersuchung der historischen Erinnerung an die Niederlagen des zweiten Krieges aufgegriffen werden wird. Siehe unten Abschn. 5.2.7. Da bereits eine umfangreiche und detaillierte Interpretation des sechsten Buches aus der Feder Uwe Fröhlichs vorliegt, erscheint es im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht notwendig, erneut jeden Vers des Textes eingehend zu analysieren. Fröhlich 2000. Siehe zudem auch Williams 2004. Daneben bleibt der Stellenkommentar von François Spaltenstein (Spaltenstein 1986) auch für das sechste Buch eine große Hilfe. Fröhlichs gründliche Arbeit erleichtert es, den Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit den römischen Niederlagen des Krieges in diesem Teil der Punica zu legen.

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Bereits eine Übersicht zur Makrostruktur des Buches ist in diesem Zusammnenhang aufschlussreich. Im fünften Buch schildert Silius die Niederlage der Römer am Trasimenischen See. Zu Beginn des sechsten Buches setzt die Handlung mit einem Blick auf das Schlachtfeld am Morgen nach dem Kampf ein.143 Mit der Einführung der beiden Figuren Serranus und Marus (zu diesen siehe unten) wird dann die Überleitung zur Retrospektive geschaffen.144 Diese handelt nahezu ausschließlich vom Schicksal des M. Atilius Regulus und lässt sich wiederum in mehrere Abschnitte unterteilen: den Kampf gegen eine riesige Schlange bzw. einen Drachen am Fluss Bagradas, die Gefangennahme des Regulus nach der Niederlage gegen Xanthippos, die Gesandtschaft nach Rom sowie den Tod des Regulus. Die Reise nach und der Aufenthalt in Rom mitsamt dem Auftritt vor dem Senat bilden dabei den umfangreichsten Teil des Rückblicks, während den militärischen Erfolgen, die Regulus’ Truppen in Afrika erringen konnten, vom Kampf gegen den Drachen abgesehen, kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird.145 Dass hier also der Fokus auf der Gesandtschaft liegt, fügt sich in die bislang gemachten Beobachtungen zur Präsenz des ersten römisch-karthagischen Krieges in den Geschichtskulturen der Republik und der frühen Kaiserzeit ein. In Hinsicht auf die Bearbeitung dieses Stoffes – sowie des übrigen Schicksals des Regulus – in den Punica lohnt sich ein näherer Blick. Nach der Darstellung der Schlacht am Trasimenischen See im fünften Buch und der Beschreibung des Schlachtfeldes am nächsten Morgen schildert Silius die Flucht weniger Überlebender vor Mago und Hannibal, die deren Verfolgung anführen.146 Bei einem der Flüchtenden handelte es sich demnach um einen gewissen Serranus, der direkt als Sohn des berühmten Regulus vorgestellt wird.147

143Sil.

6,1–53. Siehe hierzu unten Abschn. 5.2.7. 6,54–139. 145Sil. 6,140–298 (Kampf gegen Drachen am Bagradas); 6,299–345 (Kampf gegen Xanthippos und Gefangennahme des Regulus); 6,346–298 (Gesandtschaft nach Rom); 520–551 (der Tod des Regulus). 146Sil. 6,54–62. 147Sil. 6,62–71: Serranus, clarum nomen, tua, Regule, proles,/qui longum semper fama gliscente per aeuum/infidis seruasse fidem memorabere Poenis,/flore nitens primo patriis heu Punica bella/auspiciis ingressus erat miseramque parentem/et dulces tristi repetebat sorte penates/sau­ cius. haud illi comitum super ullus et atris/uulneribus qui ferret opem. per deuia fractae/innitens hastae furtoque ereptus opacae/noctis iter tacitum Perusina ferebat in arua. Die Beschreibung des Serranus, der als deutlich von der Schlacht gezeichnet beschrieben wird, beugt dem möglichen Verdacht vor, dass der Sohn des Regulus den Kampf überlebt haben könnte, weil er sich im Hintergrund gehalten hätte. Er selbst ist verletzt (saucius), seine Lanze ist zerborsten (fractae hastae) und kann ihm daher nur noch als Krückstock dienen, auf den er sich stützt und dabei schweigend vom Schlachtfeld schleppt. Vgl. Fröhlich 2000, 127. Die Beschreibung des Serranus als die eines jungen Mannes wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit als „dichterische Stilisierung“ werten können. Da zwischen der Schlacht bei Tunis, vor der ein Sohn des Regulus ja hätte gezeugt werden müssen, und der Niederlage der Römer am Trasimenischen See immerhin fast 40 Jahrzehnte lagen, stellt ein junger Serranus einen „unübersehbaren Anachronismus“ dar. 144Sil.

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Dieser irrt schwer verletzt, nachts und auf abgelegenen Pfaden, durch das Umland, bis er auf eine Kate trifft, in der ein offenbar einsam lebender Veteran namens Marus wohnt, der den Verwundeten aufnimmt. Bei diesem Veteranen handelt es sich um einen ehemaligen Soldaten des Regulus, der sowohl bereits über den Ausgang der Schlacht informiert ist als auch den Sohn seines ehemaligen Feldherrn auf den ersten Blick als solchen erkennt.148 Nachdem Marus die Wunden des Serranus versorgt hat, beweint dieser das schlimme Los, das die Römer durch die Niederlagen gegen Hannibal getroffen habe. Um den jüngeren Mann wieder aufzurichten, erinnert Marus diesen an das Beispiel dessen Vaters, also des Regulus des ersten Krieges, nach dessen Vorbild sie auch nun „alle erdenklichen Härten und Stürze ertragen“ sollten, um, Regulus nachfolgend, dem Unglück die Stirn zu

Siehe Fröhlich 2000, 128 mit Anm. 11 (Zitat) und vgl. bereits Spaltenstein 1986, 395. Ein junger Serranus, der von dem alten Marus belehrt wird, war im Rahmen des Epos wiederum plausibler vorzustellen. Der Sohn des Regulus, der historisch tatsächlich nachweisbar ist, kehrte im Jahr 216, kurz vor der Schlacht von Cannae unter Hinweis auf sein zu hohes Alter nach Rom zurück, weil er für einen Einsatz im Kampf nicht mehr geeignet gewesen sei (Liv. 22,40,6). Vgl. Fröhlich 2000, 150. Bei dem Serranus der Punica handelt es sich demnach um eine gänzlich fiktive Figur. Zur Wahl des Namens siehe die Überlegungen bei Spaltenstein 1986, 395; Fröhlich 2000, 150 f. (jeweils mit weiteren Hinweisen). 148Sil. 6,72–100: hic fessus parui, quaecumque ibi fata darentur,/limina pulsabat tecti, cum mem­ bra cubili/euoluens non tarda Marus (uetus ille parentis/miles et haud surda tractarat proelia fama)/procedit renouata focis et paupere Vesta/lumina praetendens. utque ora agnouit et aegrum/ uulneribus duris ac, lamentabile uisu,/lapsantes fultum truncata cuspide gressus,/funesti rumore mali iam saucius aures:/‚quod scelus, o nimius uitae nimiumque ferendis/aduersis genitus cerno? te, maxime, uidi,/ductorum, cum captiuo Carthaginis arcem/terreres uultu, crimen culpamque Tonantis,/occidere atque hausi, quem non Sidonia tecta/expulerint euersa meo de corde, dolo­ rem./estis ubi en iterum, superi? dat pectora ferro/Regulus, ac stirpem tantae periura recidit/sur­ gentem Carthago domus.‘ inde aegra reponit/membra toro nec ferre rudis medicamina (quippe/ callebat bellis) nunc purgat uulnera lympha,/nunc mulcet sucis. ligat inde ac uellera molli/cir­ cumdat tactu et torpentes mitigat artus./exin cura seni tristem depellere fesso/ore sitim et parca uires accersere mensa./quae postquam properata, sopor sua munera tandem/applicat et mitem fundit per membra quietem./necdum exorta dies, Marus instat uulneris aestus/expertis medicare modis gratumque teporem/exutus senium trepida pietate ministrat. Der Monolog des Marus, der in Vers 81 beginnt (quod scelus, …), lässt sich wie Fröhlich 2000, 131 f. zeigt, als Totenklage auf Regulus deuten. Hierbei verrät Marus auch, dass er beim Tod des Regulus persönlich anwesend war. Der Schmerz, der hieraus resultierte, hat sich Marus offenbar so tief eingebrannt, dass ihn nicht einmal die Zerstörung Karthagos, auf die hier indirekt verwiesen wird, beseitigen könne. Gleichzeitig muss der alte Veteran daher besonders geeignet und kompetent erscheinen, die Geschichte des M. Atilius Regulus zu erzählen. So zutreffend Fröhlich 2000, 133, der bei Marus sogar ein regelrechtes „Trauma“ ‚diagnostiziert‘: Der Monolog charakterisiere Marus als einen „fortwährend in Trauerarbeit“ begriffenen, „im Bann der Vergangenheit stehenden“ Menschen, der mit seiner Rede „das offenherzige Bekenntnis zu einem persönlichen Trauma“ leiste.

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bieten.149 Marus zeigt Serranus seine alten Waffen sowie Auszeichnungen, die er einst aus der Hand des M. Atilius Regulus empfangen hatte, was ihm wiederum Anlass bietet, im Detail von seinen Erlebnissen an der Seite seines alten Feldherrn zu berichten.150 Der eigentliche Kern der Regulus-Legende, die Aufforderung, in dem Verhalten und der Haltung des Atiliers ein exemplum für das eigene Leben zu sehen, wird hier also anhand einer konkreten Situation illustriert. Diese ist zwar fiktiv, ist jedoch mit der Schlacht am Trasimenischen See in ein realhistorisches Ereignis eingebettet. Die Verbindung zwischen dem alten Regulus, dem jungen Serranus sowie dem Veteranen Marus, die über alle logischen und sachlichen Widersprüche hinweg konstruiert wird, fügt zu dieser allgemeinen Gültigkeit des exemplum noch eine weitere Komponente hinzu. Immerhin galt die Weiterführung von Handlungsmustern, die mit bestimmten Werten verbunden waren, innerhalb einer Familie über die Generationsgrenzen hinweg in Rom mindestens seit der mittleren Republik als angemessenes wie auch erwartungsgemäßes Verhalten.151 Dass Serranus hierzu erst von dem Veteranen Marus angehalten werden muss, stellt keinen Widerspruch dar. Schließlich wird der junge Soldat als emotional aufgelöst beschrieben, weshalb er auch der Unterstützung durch den Veteranen bedarf. Zudem ist hier die gattungsspezifische Verwendung eines im Epos etablierten Erzählmusters, nämlich des Aufeinandertreffens eines jungen Helden mit einem älteren und erfahrenen Ratgeber, zu berücksichtigen.152 Ausgehend von der Präsentation der Lanze, mit der Marus einst an der Seite des Regulus gegen den Drachen am Bagradas gekämpft haben will, setzt der Rückblick auf die Ereignisse des Ersten Punischen Krieges ein.153 Bei diesem

149Sil 6,101–116 (Monolog des Serranus); 6,117–139 (Erwiderung des Marus): Cetera acerban­ tem questu lenire laborans/effatur senior: ‚patrio, fortissime, ritu,/quicquid adest duri et rerum inclinata feramus./talis lege deum cliuoso tramite uitae/per uarios praeceps casus rota uoluitur aeui./sat tibi, sat magna et totum uulgata per orbem/stant documenta domus: sacer ille et numine nullo/inferior tuus ille parens decora alta parauit/restando aduersis nec uirtutem exuit ullam,/ ante reluctantes liquit quam spiritus artus./uix puerile mihi tempus confecerat aetas,/cum primo malas signabat Regulus aeuo./accessi comes, atque omnes sociauimus annos, donec dis Italae uisum est exstinguere lumen/gentis, in egregio cuius sibi pectore sedem/ceperat alma Fides men­ temque amplexa tenebat./ille ensem nobis magnorum hunc instar honorum/uirtutisque ergo dedit et, sordentia fumo/quae cernis nunc, frena; sed est argenteus ollis/fulgor, nec cuiquam Marus est post talia dona/non praelatus eques, uerum superauit honores/omnes hasta meos. cui me libare Lyaei/quod cernis latices, dignum cognoscere causam. 150Vgl. oben Abschn. 2.2 zu Überlegungen zu Beutestücken und Auszeichnungen durch Feldherren als Kristallisationspunkte der Erinnerung an vergangene Kriege. 151Siehe hierzu allgemein Walter 2002; 2004b mit einigen Beispielen. 152Siehe u. a. Bassett 1955, 3; Häußler 1978, 170 f., sowie Fröhlich 2000, 128 f., die jeweils auf die Dialogpartner Nestor/Telemachos in der Ilias hinweisen. Häußler 1978, 171 erinnert zudem daran, dass für „die Situation, daß ein alter, bescheiden lebender Mann einem notleidenden Gast über dessen Eltern Auskunft gibt“, mit dem Treffen zwischen Odysseuss und Eumaios im fünfzehnten Gesang der Odyssee „ein erhabenes Vorbild zur Verfügung“ stand. 153Siehe bes. 6,138–139: cui me libare Lyaei/quod cernis latices, dignum cognoscere causam.

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Kampf gegen ein Ungeheuer, der in unterschiedlicher Ausformung, wesentlich früher in die Regulus-Legende Eingang gefunden hatte, handelt es sich zwar eigentlich um einen Sieg des Atiliers, doch ist die Passage auch in Hinsicht auf seine späteren Niederlagen sowie wohl auch auf seinen Tod von Belang.154 Direkt nachdem der Drache zu Boden sinkt, klagt nämlich die Natur selbst in wehklagenden Gesängen auf und „fromme Seher“ (6,288: pii vates) prophezeien das Unheil, das die Römer ob dieser Tat treffen wird.155 Erst jetzt wird klar, dass es sich bei dem Monstrum um einen Diener der Bagradas-Nymphen gehandelt hatte.156 Der Erzähler Marus, der ja reklamiert, bei diesem wie den folgenden Ereignissen zugegen gewesen zu sein, bestätigt die düstere Prophezeiung der Seher, dass diese Tat verhängnisvolle Folgen hatte.157 Fröhlich kann, in Fortführung früherer Arbeiten, darüber hinaus weitere Hinweise „auf die tra­ gische Komponente des Regulusschicksals“ herausarbeiten.158 So hatte der ­ Atilier beabsichtigt, den Tod zweier Soldaten durch den Drachen zu rächen, ohne um dessen besondere Natur zu wissen. Von einem in böser Absicht begangenen F ­revel kann also keine Rede sein, weshalb Marus wohl auch die überharte Bestrafung beklagt, doch lassen sich die spätere Niederlage gegen Xanthippos sowie der Tod

154Sil. 6,140–298. 155Vgl.

hierzu Häußler 1978, 171 f. („Motivierung im Geist des Mythos“). Nachricht, dass das Ungeheuer ein sacer serpens war, findet sich in keiner früheren Quelle vor den Punica, was zu der in der Forschung wiederholt geäußerten Vermutung Vermutung beitrug, dass an dieser Stelle ein Einfluss der Beschreibung des Kampfes des Kadmos bei Ovid vorliege. So deute Silius’ spezifische Schilderung von Regulus’ Kampf am Bagradas darauf hin, dass der Epiker diese teilweise nach dem Vorbild des Kampfes des Kadmos gegen die Schlange des Mars, die Ovid in den Metamorphosen schildert, verfasste (Steele 1922, 324; Häußler 1978, 171–173. Vgl. zustimmend hierzu Fröhlich 2000, 178–182; Williams 2004, 73 f.). Neben einigen Entlehnungen, auf die bereits Steele aufmerksam gemacht hat, weise insbesondere der Inhalt der Verse, die unmittelbar an die Tötung des Ungeheuers am Bagradas anschließen, auf eine gewisse Parallelität der Fälle hin. Siehe Steele 1922, 324 („Silius had his eye on Ovid (Metam. iii. 31 ff.), as is shown by a word here and there“); Bassett 1955, 10; Häußler 1978, 171 f.; Fröhlich 2000, 178 mit Anm. 18. Neben diesem Vorbild hatte Silius jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Sinn, Regulus als Helden zu schildern, der auf den Spuren des Hercules wandelt (siehe hierzu ausführlich Bassett 1955; Fröhlich 2000, 173–177). Ein besonderer Hintersinn ergibt sich in diesem Zusammenhang daraus, dass Q. Fabius Maximus Verrucosus, innerhalb der Gesamtkomposition der Punica im Anschluss an die Regulus-Retrospektive, nach der Schlacht am Trasimenischen See, als rettender Dictator die Bühne betritt. Die Fabier wiederum leiteten ihre Herkunft von Hercules ab. Nach Fröhlich 2000, 177, wird das sechste Buch, insbesondere der Rückblick auf Regulus im ersten Krieg, durch diese „gemeinsame Beziehung zu Hercules, die im Falle des Fabius auf Abstammung, im Falle des Regulus auf Wahlverwandtschaft beruht“ im „Buch- und Werkganzen“ verankert. 156Die

157Sil. 6,283–290: erupit tristi fluuio mugitus et imis/murmura fusa uadis, subitoque et lucus et antrum/et resonae siluis ulularunt flebile ripae./heu quantis luimus mox tristia proelia damnis,/ quantaque supplicia et quales exhausimus iras!/ne tacuere pii uates famulumque sororum/Naia­ dum, tepida quas Bagrada nutrit in unda,/nos uiolasse manu seris monuere periclis. 158Siehe hierzu ausführlich Fröhlich 2000, 179–182 (Zitat: 179).

5.1  Ein edler Gefangener und Hühner, die nicht essen wollen

243

des Regulus in der Kriegsgefangenschaft aus dieser Perspektive heraus durchaus als tragische Peripetie deuten.159 Dennoch lässt sich die Ansicht vertreten, dass Regulus’ Attacke auf den Drachen letztlich doch durch „fragwürdige Emotionen“ motiviert worden war, wenn der Feldherr den Tod der Soldaten rächen wollte und dabei in unüberlegter Verwegenheit vorgegangen war.160 Diese etwas schattenhafte Seite des großen Kriegshelden tritt sowohl im Zuge der Jagd auf das Bagradas-Monstrum als auch in der Schilderung der Schlacht gegen Xanthippos hervor. Über die Siege des Regulus, die er an der Spitze seines Heeres eigentlich im Zeitraum zwischen dem Kampf am Bagradas und der Schlacht gegen die Truppen des Xanthippos bei Tunis errungen haben muss, geht Silius nahezu vollständig hinweg und fährt direkt mit der Niederlage des Atiliers und seiner Gefangennahme durch den spartanischen Feldherrn fort.161 Hinter diesem Vorgehen kann man mehrere Motive vermuten. Zum einen hätte eine Schilderung der Siege des Regulus wohl auch bedingt, auf die gescheiterten Friedensverhandlungen des Prokonsuls einzugehen, die allerdings zu den eher unrühmlichen Kapiteln seines Feldzuges gehörten und vermutlich deswegen auch kaum einen Niederschlag außerhalb der historiografischen Tradition gefunden haben. Zum anderen waren es bereits zur Zeit der Niederschrift der Punica nicht so sehr die, vorläufigen, militärischen Erfolge des Regulus, sondern sein Schicksal als Kriegsgefangener und seine vorbildliche Haltung als Gesandter vor dem Senat, für die er einen Platz im sozialen Gedächtnis der Republik und der frühen Kaiserzeit errungen hatte.162 Eine ausführliche Schilderung letzterer Episode

159Eine weitere naheliegende Deutung des Kampfes gegen den Drachen führt wiederum zu einem ganz anderen Ergebnis. An mehreren Stellen der Punica sowie auch in der übrigen Überlieferung wird nämlich Hannibal selbst als „Schlange“ bezeichnet. Regulus, der das, offenbar ja stark mit dem a­ frikanischen Boden verbundene, Ungeheuer besiegen konnte, habe also, unter tatkräftigem Zutun des gesamten römischen Heeres, diese „libysche Schlange“ (vgl. Fröhlich 2000, 183 mit Nachweisen) besiegt, wie es auch Hannibal ergehen werde. Wie Fröhlich zu Recht anmerkt, muss in diesen unterschiedlichen Interpretationen der Passage kein Widerspruch gesehen werden. Silius mag diese Mehrdeutigkeit durchaus beabsichtigt haben (vgl. Fröhlich 2000, 186). 160So bes. Williams 2004, 72–76. Vgl. zudem Fröhlich 2000, 182. 161Die Leser, die um die zwischenzeitlichen Erfolge des Regulus wussten, konnten aus den Versen 299–303 allerdings entnehmen, dass der Atilier gewissermaßen bereits vorab Rache für ­seinen späteren Tod genommen hatte (Tum senior ‚magnas‘ inquit ‚de sanguine poenas/praecepit Tyrio et praesumpta piacula mortis./nam defecta uiris et opes attrita supinas/Africa tendebat pal­ mas, cum sidere diro/misit Agenoreis ductorem animosa Therapne.) Vgl. Fröhlich 2000, 220 f.: Wenngleich Marus „das militärische Desaster der Gefangensetzung schildert, ohne über Regulus’ afrikanische Siege umfassend berichtet zu haben, so findet er doch gleich zu Eingang tröstliche und beschwichtigende Worte, die das Folgende ein wenig erträglicher machen sollen. So läßt sich der Blutzoll, den die Karthager an den in einem fort obsiegenden Feldherrn zu entrichten hatten, als vorweggenommene Rache für den später durchlittenen Foltertod interpretieren“. 162Vgl. Fröhlich 2000, 220 f., Anm. 3: „Im sechsten Buch der Punica sind diese kriegerischen Erfolge wohlweislich an den Rand gedrängt […], weil der Atilier nicht ihretwegen zur Legende wurde; denn nicht als genialer Stratege, sondern als moralischer Sieger lag Regulus der Nachwelt am Herzen“. Silius dürfte daher an dieser Stelle der Erzählung bereitwillig „der Pflicht zur Stoffreduktion“ (ebd.) nachgekommen sein, nach der die Gattungsprinzipien des antiken Epos verlangten (vgl. hierzu von Albrecht 1994, 68).

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

lag daher auch für Silius nahe, weshalb sie direkt an die Darstellung des Drachenkampfes anschließt –, was die oben diskutierte Möglichkeit, den Sieg am Bagradas als Auslöser für eine spätere tragische Peripetie zu deuten, nicht unwahrscheinlicher macht. In der Schlacht gegen die Armee des Xanthippos, der Silius nicht einmal halb so viele Verse wie derjenigen gegen den Drachen am Bagradas einräumt, beweist sich der Regulus der Punica zunächst als tapferer Kämpfer, der keiner Herausforderung aus dem Weg geht. Doch lässt sich kaum übersehen, dass der soldatische Mut des Regulus hier auch seine Schattenseiten hervortreten lässt.163 Denn eine solch engagierte persönliche Teilnahme des Feldherrn an einer Schlacht bringt auch Gefahren mit sich, insbesondere in der Gestalt, dass der Anführer der Armee im Nahkampf fallen oder in Gefangenschaft geraten könnte, was, jedenfalls in den Punica, oftmals die Niederlage in der Schlacht insgesamt bedeutet.164 In der Schlacht gegen Xanthippos’ Armee führt das zu ungestüme Vordringen des Regulus, wie es ja bereits am Bagradas zu beobachten gewesen war, dazu, dass der römische Feldherr mitsamt seinen Soldaten in einen Hinterhalt des Lakedaimoniers gerät, auf dessen Anlage sich dieser, seiner griechischen Herkunft entsprechend, ausgezeichnet verstanden habe. Daneben wird Xanthippos mit Hannibal verglichen, was die Niederlage des Regulus zu einem gewissen Grad wiederum entschuldigen kann, denn immerhin galt der Barkide auch in der römischen Überlieferung als herausragender Feldherr.165 Gerade aber vor dem, oben diskutierten, Hintergrund, dass Regulus ja bereits am Bagradas recht unbedacht und ungestüm vorgehend in den Kampf gegen den Drachen gezogen war, „setzt sich doch der Eindruck fest, daß Regulus ein Stück weit seines eigenen Unglücks Schmied ist“.166

163Der Kampf gegen die Armee des Xanthippos und die Gefangennahme des Regulus: Sil. 6,316–345. 164Siehe etwa die Schilderung der Schlacht am Trasimenischen See im fünften Buch, in der nach dem Tod des C. Flaminius im Kampf unmittelbar der Untergang der römischen Armee einsetzt (Sil. 5,658–664; vgl. Spaltenstein 1986, 386), was bereits bei Livius geschildert wird (Liv. 22,6,5). Zur Darstellung und Deutung der Niederlagen Roms im Zweiten Punischen Krieg bei Livius siehe unten Abschn. 5.2.5.1, bei Silius Italicus Abschn. 5.2.7. 165Siehe die Einführung des Xanthippos bei Sil. 6,304–310, wo seine überragenden Qualitäten als Feldherr von Silius hervorgehoben werden, und der Spartaner in der Beherrschung der Kriegskunst mit Hannibal verglichen wird. Die Falle, in die sich Regulus mit seinen Soldaten hineinbegibt, schildert der Epiker in: Sil. 6,326–331. 166Fröhlich 2000, 224. Siehe besonders Sil. 6,332–338: abripuit traxitque uirum fax mentis hones­ tae/gloria et incerti fallax fiducia Martis./non socios comitumue manus, non arma sequentum/ respicere; insano pugnae tendebat amore/iam solus, nubes subito cum densa Laconum/saxosis latebris intento ad proelia circum/funditur, et pone insurgit uis saeua uirorum. Zu Regulus’ Auftreten als Feldherr in den Punica vgl. auch Fröhlich 2000, 224, Anm. 11. Siehe hierzu auch bes. Williams 2004, 76–82, der betont, dass die Darstellung des Regulus im Kampf gegen Xanthippos Anklänge an die des C. Flaminius aufweist, der – auch in den Punica – gewissermaßen als Prototyp des leichtsinnigen und zu ungestümen Feldherrn fungiert.

5.1  Ein edler Gefangener und Hühner, die nicht essen wollen

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Die Einkesselung im Hinterhalt des Xanthippos bewirkt die Gefangennahme des Regulus, die übrigens letztlich nicht von karthagischen Soldaten sondern von spartanischen Söldnern vollbracht wird.167 Die Jahre, die der Atilier in Kriegsgefangenschaft bei den Karthagern verbrachte, vermutlich immerhin ein halbes Jahrzehnt, lässt Silius vollständig aus.168 Somit folgt auf den Kampf gegen das Heer des Xanthippos vor Karthago direkt die ausgedehnte Schilderung der Gesandtschaftsreise nach Rom.169 Um die Fiktion des Berichtes des alten Veteranen aufrechterhalten zu können, gibt Marus an, dass er seinen Feldherrn aus treuer Anhänglichkeit heraus auf dessen Reise in die Heimat begleitet habe.170 Marus schildert also, wie das Schiff der Karthager in die Tibermündung einfuhr, an der sich praktisch die gesamte Bevölkerung Roms versammelt gehabt hätte, um den großen Helden Regulus zu begrüßen.171 Die Ankunft des Regulus auf heimischem Boden gibt Silius die erste Gelegenheit, dessen herausragende Sittlichkeit zu illustieren. Die ehrerbietende Begrüßung des Konsuls, des Repräsentanten „der erleichterten Bürgerschaft“, lehnt Regulus nämlich ab, da er nicht als römischer Bürger, schon gar nicht als imperator, sondern als Sklave der Karthager nach Rom zurückgekehrt ist.172 Regulus lässt sich auch nicht vom Flehen seiner Frau Marcia erweichen – dieser Name für die Frau des Regulus taucht lediglich bei Silius auf –, die die beiden Söhne an der Hand führt und öffentlich in Trauerkleidung auftritt, um ihren Ehemann auf diese „extreme Weise zu erschüttern und den scheinbar unzugänglichen […] in seiner selbstgewählten Verstocktheit doch noch zu erreichen“.173 Während er

167Sil. 6,336–338. Die kurze Klage in 6,339 (o diram Latio lucem fastisque notandam!) wird man als indirekten Verweis auf die Niederlage der Römer an der Allia verstehen dürfen, die bekanntlich fest im Kalender markiert worden war. So auch Spaltenstein 1986, 414. Zum Dies Alliensis vgl. oben Abschn. 3.1.1. 168Ihre Darstellung hätte sich wohl auch nur schwer in das Epos integrieren lassen. Vgl. Fröhlich 2000, 246 mit Anm. 3. 169Vor der Darstellung der Reise schaltet Silius eine Beschreibung des Baus des Schiffes ein, das Regulus nach Rom bringen soll. Sil. 6,346–363. 170Sil. 6,371–372. 171Sil. 6,383–391. Vgl. Fröhlich 2000, 251. 172Sil. 6,396–402: aggere consul/tendebat dextram et patria uestigia primus/ponentem terra occursu celebrabat amico./collegit gressum, monitusque recedere consul/nec summum uiolare decus. cingente superba/Poenorum turba captiuo tegmine saeptus/ibat et inuidiam caelo diuis­ que ferebat. Vgl. Fröhlich 2000, 277 f. (Zitat: 278). Wie bereits gesehen, war dies ein eng mit dem Thema der Kriegsgefangenschaft verbundenes Motiv, das auch im Zusammenhang mit der Regulus-Legende schon vor Silius in zahlreichen Bearbeitungen aufgegriffen worden war. Siehe hierzu Kornhardt 1954, 85–100. 173Sil. 6,403–414: Ecce trahens geminum natorum Marcia pignus,/infelix nimia magni uirtute mariti,/squalentem crinem et tristes lacerabat amictus./agnoscisne diem? an teneris non h­ aesit in annis?/atque ea, postquam habitu iuxta et uelamine Poeno/deformem adspexit, fusis ­ululatibus aegra/labitur, et gelidos mortis color occupat artus./si qua deis pietas, tales, Carthago, uidere/dent tibi Sidonias matres. me uoce quieta/affatus iubet et uestros et coniugis una/arcere amplexus pater,

5  Die römisch-karthagischen Kriege

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den Konsul als höchsten Repräsentanten der res publica noch persönlich zurückgewiesen hatte, delegiert Regulus dies im Fall der Bitten seiner Gattin an seinen Begleiter Marus, was im gegebenen Kontext allerdings wohl kaum als Schwäche des Atilius sondern als konsequente Fortführung seines bisherigen Auftretens zu deuten ist.174 Am folgenden Tag sei Regulus dann vor den Senat getreten, um dort seine denkwürdige Rede zu halten.175 Ohne lange Vorrede sei der Atilier direkt zum Kern seiner Argumentation vorangeschritten. Das Angebot der Karthager sei keineswegs fair gewesen – eine Ansicht, die offenbar zahlreiche Senatoren vertraten – sondern von hinterhältiger Berechnung der Feinde durchdrungen. Offenbar hätten diese nämlich vorgeschlagen, zunächst einen Gefangenenaustausch durchzuführen sowie, daran anschließend, einen Frieden auszuhandeln, der beiden Seiten gleichermaßen zugutekommen sollte.176 Schonungslos gegen sich selbst habe Regulus nun offengelegt, warum die Vorschläge der Karthager als trügerische Finte zu bewerten gewesen seien. Er habe nämlich gegen eine ganze Schar Gefangener ausgetauscht werden sollen – ein Punkt, der sich bereits bei

impenetrabilis ille/luctibus et numquam summissus colla dolori. Siehe hierzu Fröhlich 2000, 254 f. (Zitat: 254). Zum Namen der Frau des Regulus, Marcia, sind grundsätzlich wohl zunächst zwei Deutungen möglich, von denen letztlich keine einem sicheren Nachweis zugeführt werden kann. So ist es durchaus denkbar, dass der offenbar sehr belesene Silius an dieser Stelle aus Quellen schöpft, welche sich nicht mehr erhalten haben, und Marcia tatsächlich der Name der Ehefrau des Regulus war. Diese Deutung hat Münzer vorgeschlagen, der vermutet, dass es sich hierbei um eine Tochter des Konsuls des Jahres 281, Q. Marcius Philippus, gehandelt haben könnte (F. Münzer, RE 14,2, 1930, 1601, s. v. Marcia (112)). Es ist jedoch auch möglich, dass der Name nicht his­ torisch überliefert ist. In diesem Fall wäre es möglich, dass er dabei „das Bild der lucanischen uxor Catonis vor Augen“ hatte und auf diese Weise die Tugendhaftigkeit, die eben nicht nur den Regulus sondern auch dessen Ehefrau ausgezeichnet habe, betonen wollte. So Fröhlich 2000, 279 (Zitat). Vgl. Spaltenstein 1986, 279. Die Ehefrau des M. Porcius Cato Uticensis hieß tatsächlich Marcia und wird in Lucan. 2,326–349 als moralisch aufrechte Matrone vorgestellt. 174Siehe Fröhlich 2000, 255 f., bes. 256: „Sowenig er [Regulus] damit einverstanden sein konnte, dem ersten Mann des Gemeinwesens als (vermeintlicher) Standesgenosse die Hand zu schütteln, sowenig kommt es von seiner Warte aus in Betracht, auch nur für eine Nacht in die abgelegte Rolle des Ehemannes und Vaters zurückzukehren und sich seiner Familie zu erklären“. Daran ändert auch Marcias zweites Auftreten nichts mehr (Sil. 6,430–451). 175Sil.

6,452–489.

176Vorschlag

zu einem Abkommen: Sil. 6,484–489: nec uero placeat, nisi quae de more paren­ tum/pax erit. exposcunt Libyes nobisque dedere/haec referenda: pari libeat suspendere bellum/ foedere et ex aequo geminas conscribere leges./sed mihi sit Stygios ante intrauisse penates,/talia quam uideam ferientes pacta Latinos. Insbesondere durch den direkt zu Beginn gegebenen Verweis auf die „Sitte der Väter“ möchte Regulus jeglichen Gedanken daran, auf die Vorschläge der Karthager einzugehen, von vornherein abschmettern. Vgl. Spaltenstein 1986, 425; Fröhlich 2000, 262 f. Das Ablehnen von Friedensverhandlungen aus einer Position der Schwäche heraus, ist ein immer wiederkehrendes Motiv, das in der Überlieferung im Zusammenhang mit römischen Niederlagen auftaucht, und wohl auch einen gewissen historischen Hintergrund besaß (wenn wohl auch, so weit erkennbar, nicht in Hinsicht auf die Regulus-Gesandtschaft, bei der es vermutlich lediglich um einen Gefangenenaustausch ging).

5.1  Ein edler Gefangener und Hühner, die nicht essen wollen

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Horaz fand, von wo ihn Silius vermutlich auch übernommen haben wird, da diese Bedingung sonst kaum zu finden ist.177 Keineswegs würden die Römer aber nun einen vollwertigen imperator zurückerhalten, schon gar nicht den herausragenden Feldherrn, den sie kannten, sondern lediglich einen alten Mann, der von „so vielen Kriegen und so vielen Jahren“ gezeichnet sei und dessen Kräfte durch die lange Kerkerhaft erlahmt seien. Von seinem großen Namen sollten sich die Senatoren daher nicht blenden lassen, wertlos sei er nunmehr für die res publica. Ein Eingehen auf die Bedingungen der Karthager komme daher auch nicht in Betracht.178 Der Senat folgt, beeindruckt von seiner Tugend, der Empfehlung des Regulus, was dieser, so wird durch die Rede vom „tyrischen Zorn“ angedeutet, nach seiner Rückkehr nach Karthago noch zu büßen haben sollte. Bereits zuvor hatte Regulus klargestellt, dass es für ihn nicht infrage komme, gegen seinen den Feinden gegebenen Eid in Rom zu bleiben, sodass er sich in direktem Anschluss an den, in seinem Sinne gefassten, Senatsentschluss auf den Weg zu dem Schiff gemacht habe, das ihn zurück nach Karthago bringen sollte.179 Die Retrospektive schließt mit der relativ knappen Schilderung des Todes des Regulus ab.180 Auch Silius lässt es sich nicht nehmen, die Martern des Atiliers, die er offenbar direkt nach seiner Rückkehr nach Karthago zu erleiden hatte, detailliert zu schildern, auch wenn sich der Erzähler Marus hier offenbar um „Kürze

177Siehe 178Sil.

Sil. 6,479–483, und vgl. bereits Sil. 6,348 f. Zu Horaz vgl. oben Abschn. 5.1.4.2.

6,473–489: sic nobis rerum exitio desistite honorem/tendere. tot bellis totque annis fre­ gimus aeuum./nunc etiam uinclis et longo carcere torpent/captiuo in senio uires. fuit ille nec umquam,/dum fuit, a duro cessauit munere Martis/Regulus. exsangui spectatis corpore nomen./ at non Carthago, fraudum domus, inscia quantum/e nobis restet, iuuenes parat, aspera ferro/ pectora, captiuos nostra pensare senecta./ite dolos contra, gensque astu fallere laeta/discat, me capto quantum tibi, Roma, supersit./nec uero placeat, nisi quae de more parentum/pax erit. exposcunt Libyes nobisque dedere/haec referenda: pari libeat suspendere bellum/foedere et ex aequo geminas conscribere leges./sed mihi sit Stygios ante intrauisse penates,/talia quam uideam ferientes pacta Latinos. Vgl. Fröhlich 2000, 261. 179Sil. 6,490–496: Haec fatus Tyriae sese iam reddidit irae,/nec monitus spernente graues fidos­ que senatu/Poenorum dimissa cohors. quae maesta repulsa/ac minitans capto patrias propera­ bat ad oras./prosequitur uulgus, patres, ac planctibus ingens/personat et luctu campus. reuocare libebat/interdum et iusto captum retinere dolore. Siehe bereits zuvor Sil. 6,467–472. Die Episode schließt mit einem dritten Auftritt der Marcia, die ihren scheidenden Gatten anklagt, sie, die sich stets in vorbildlicher Treue gegenüber ihrem Ehemann verhalten hatte, und die gemeinsamen Kinder verlassen zu haben, um ausgerechnet gegenüber den verschlagenen Puniern sein Wort zu halten (Sil. 6,497–511). 180Sil. 6,529–544: Infelix uidi patriamque remissus in urbem/narrator poenae dura mercede reu­ erti./nec tibi nunc ritus imitantem irasque ferarum/Pygmalioneam temptarem expromere gentem,/ si maius quicquam toto uidisset in orbe/gens hominum, quam quod uestri ueneranda parentis/ edidit exemplum uirtus. pudet addere questus/suppliciis, quae spectaui placido ore ferentem./tu quoque, care puer, dignum te sanguine tanto/fingere ne cessa atque orientes comprime fletus./ praefixo paribus ligno mucronibus omnes/armantur laterum crates, densusque per arcam/texitur erecti stantisque ex ordine ferri/infelix stimulus, somnisque hac fraude negatis/quocumque infle­ xum producto tempore torpor/inclinauit iners, fodiunt ad uiscera corpus.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

und Sachlichkeit“ bemüht.181 Zum Abschluss seines Berichtes weist der alte Marus den offenbar in Tränen aufgelösten Sohn des Regulus zurecht: Das Ende des berühmten Feldherrn sei nicht zu beweinen sondern als glorreiches Beispiel für patientia und fides so lange zu rühmen, bis das „was Tugend heißt, verehrt werden wird“.182 Diese Aufforderung dürfte auch an die Adresse der Rezipienten des Epos gerichtet gewesen sein, und tatsächlich kann man nahezu das gesamte sechste Buch als ein Monument für den Ruhm des Regulus verstehen, durch das seine fides gerühmt wird, die er ein ums andere Mal bewiesen habe.183 Silius Italicus war, wie viele gebildete Römer seiner Zeit, ein Anhänger der stoischen Lehre, und seine ethisch-philosophischen Überzeugungen sind in den Punica deutlich herauszulesen.184 Dies trifft auch auf die Darstellung des Regulus zu, den er nach älteren Vorbildern als Musterbeispiel eines innerlich gefestigten Mannes konstruiert, der – allen materiellen Nöten und körperlichen Schmerzen zum Trotz – auch das härteste Schicksal erduldet und damit für alle, die ihm folgen, ein Beispiel gibt.185 Diese Eingruppierung des Regulus unter die Ikonen der stoischen Lehre scheint in nicht unerheblichem Maße dazu beitragen haben, dass der Atilier – anders als zahlreiche, in ihrer Zeit weit erfolgreichere Feldherren, auch in der Kaiserzeit einer der bekanntesten Feldherrn der Ära der Republik blieb. Die Überlieferung der Regulus-Legende erreicht in den Punica einen Höhepunkt, wenngleich bei weitem nicht ihr Ende. Das exemplum des Atiliers, konzentriert in der Regel auf seine Gesandtschaftsreise nach Rom und bzw. oder auf seinen Tod unter der Folter in Karthago, blieb durch die ganze Antike hindurch populär. Auch von christlichen Autoren, besonders von Augustinus, und darüber hinaus wurde in Form von rühmenden exempla auf das Schicksal des Atiliers

181Fröhlich 2000, 303: „Um Kürze und Sachlichkeit bemüht, beschwört Marus weder jene Gefühlswallungen herauf, mit denen er als Augenzeuge zu ringen hatte, noch läßt er jene Emotionen lebendig werden, die die punischen Schaulustigen doch wohl beseelten“. Die Hinrichtungsmethode, die Silius dem Veteranen in den Mund legt, entspricht derjenigen, die bereits Valerius Maximus geschildert hatte: Regulus wird in eine enge Holzkiste gesperrt, die mit nach innen ausgerichteten Nägeln verkleidet ist, wodurch er, zu Schlaflosigkeit verdammt, langsam und qualvoll gestorben sei. Siehe Val. Max. 9,2,ext 1. 182Sil. 6,544–550: absiste, o iuuenis, lacrimis. patientia cunctos/haec superat currus. longo reui­ rescet in aeuo/gloria; dum caeli sedem terrasque tenebit/casta Fides, dum uirtutis uenerabile nomen,/uiuet; eritque dies, tua quo, dux inclite, fata/audire horrebunt a te calcata minores. Vgl. Fröhlich 2000, 303–305. 183Siehe hierzu Sil. 6,64; 6,378; 6,472; 6,516–518 und vgl. Bassett 1955, 3, mit weiteren Nachweisen. Vgl. ebenso Fröhlich 2000, 302: „So kann der junge Atilier, der zu Beginn und am Ende des Abschnitts jeweils ausdrücklich angesprochen wird […], den Ausführungen des Augenzeugen Marus die gewisse Überzeugung entnehmen, daß sich sein Vater bis zuletzt treu blieb und sich als Sterbender ebensowenig instrumentalisieren ließ, wie er als Gefangener des Feindes dessen Interessen diente“. Siehe auch die zusammenfassenden Ausführungen zur „Gedankenwelt“, die im sechsten Buch der Punica erkennbar ist, bei Fröhlich 2000, 412–417. 184Von Albrecht 1994, 760, 766 („In diesem Epos von der Bewährung römischer Tüchtigkeit (virtus) durch Mühsal (labores) ist das Römische stoisch verklärt und vergeistigt“.). 185Vgl. dazu auch Fuhrmann 1968/1983, 62 f.; Kissel 1979, 122 f.

5.2  Der Feind vor den Toren

249

verwiesen. In der Neuzeit erlangte der Stoff dann eine neue Popularität, die sich vor allem in einer Reihe von Bühnenstücken, aber auch bildlichen Darstellungen, niedergeschlagen hat.186 Regulus blieb damit, vermutlich bis heute, der bekannteste der besiegten Feldherren der Römer im ersten römisch-karthagischen Krieg, auch wenn es dabei selten um die Niederlage auf dem Schlachtfeld bei Tunis, sondern weitaus häufiger um sein Schicksal in der Gefangenschaft der Karthager geht. Die weiteren Niederlagen des Konfliktes treten demgegenüber deutlich zurück und wurden auch nach Silius’ Punica weitaus seltener aufgegriffen. Sie traten zudem – übrigens ebenso wie die Siege bei Mylae oder den Aegatischen Inseln – deutlich hinter die Erinnerung an die Geschehnisse des zweiten Krieges zurück, der wir uns nun zuwenden wollen.

5.2  Der Feind vor den Toren – der zweite Krieg 5.2.1 Zeitgenössische Reflektionen In Hinsicht auf Darstellungen und Deutungsmuster, in denen die Niederlagen des zweiten römisch-karthagischen Krieges bereits von Zeitgenossen wahrgenommen und erinnert wurden, stellt sich die Quellenlage zwar günstiger dar als hinsichtlich des ersten Krieges, doch muss auch hier vieles ungeklärt bleiben. So sind die Werke der ersten römischen Historiker, die am Hannibalkrieg teilgenommen hatten, lediglich fragmentarisch überliefert, was ebenso für das Epos des Q. Ennius gilt, das in Hinsicht auf die Gestaltung und Verbreitung kollektiver Erinnerung an die Niederlagen gegen die karthagischen Armeen offenbar einigen Einfluss hatte. Die Erinnerung an die Schlachten am Trasimenischen See, bei Cannae und an anderen Orten begann jedoch nicht erst mit der Schilderung dieser Ereignisse durch Q. Fabius Pictor, sondern bereits direkt in Anschluss an das Ende der jeweiligen Kämpfe, am Abend nach der Schlacht. Diese unmittelbaren Erinnerungen sind gänzlich verloren, doch lassen sich zumindest einige Überlegungen zu den Eindrücken anstellen, welche die Niederlagen gegen Hannibals Armee in Italien auf die Bevölkerung Roms und der angrenzenden Gebiete gemacht haben könnten.187 So blieben verschiedene Tempel, die offenbar noch während des Krieges in Rom errichtet wurden, um auf diese Weise Gelübde einzulösen, die römische Feldherren eingegangen waren um die Gunst der Götter wieder auf die römische Seite zu ziehen, sicher für längere Zeit im Stadtbild sichtbar und erinnerten an die Zeit der Niederlagen gegen Hannibals Armee in den ersten Kriegsjahren.188 Jedenfalls

186Siehe

hierzu Mix 1970, 21–24; 43–62; Fröhlich 2000, 75–77. oben Abschn. 2.2. 188Nach der Niederlage am Trasimenischen See wurden Tempel für die Gottheiten Venus Erycina und Mens gelobt. Den Tempel für Mens gelobte der Praetor T. Otacilius Crassus, der Schwiegersohn des Q. Fabius Maximus, der nach der Niederlage am Trasimenischen See zum dictator 187Vgl.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

ist dies für die unmittelbar an die Errichtung der Tempel anschließende Zeit und die Nachkriegsjahre anzunehmen. Später mag die Erinnerung um den konkreten Anlass einer Tempelweihe im jeweiligen Fall, mit zunehmendem Abstand zum Geschehen, abgenommen haben. Es ist gut denkbar, dass dann oft nur noch Spezialisten, wie die Antiquare der späten Republik oder traditionsbewusste Nachfahren der Tempelstifter, über den konkreten Anlass Bescheid wussten. Diese Individuen konnten freilich dann wiederum ggf. auch für eine Aktualisierung dieser Form der historischen Erinnerung sorgen.189

ernannt worden war und der wiederum selbst den Bau des Tempels für Venus Erycina versprach (Liv. 22,10,10). Nur zwei Jahre später dedizierten beide Männer auch die Tempel, was in mehrfacher Hinsicht als ungewöhnlicher Vorgang gewertet werden kann (Liv. 23,30,13–14; 23,31,9). Besonders das Gelöbnis an Venus Erycina ist im Zusammenhang mit der konkreten Situation des Jahres 217 in Hinsicht auf weitere Aspekte interessant. Diese Gottheit wurde ursprünglich auf dem Berg Eryx auf Sizilien verehrt. Sizilien war Hauptschauplatz des ersten Krieges gegen Karthago gewesen, und gerade um den Berg Eryx war besonders erbittert gekämpft worden. Insbesondere der gut befestigte Tempelbezirk scheint eine strategisch bedeutende Position dargestellt zu haben. In den Quellen zum ersten römisch-karthagischen Krieg taucht er vor allem im Zusammenhang mit Hamilkar Barkas, Hannibals Vater, auf, der hier ab dem Jahr 244 eine starke Stellung einrichtete und die römischen Truppen von dort aus bekämpfte. Siehe Pol. 1,58,1–6 und vgl. u. a. Liv. 21,10,7; 28,41,5. Es ist also durchaus plausibel, hinter dieser neuen Tempelweihung eine bewusste Bezugnahme auf den Konflikt zu sehen, in dem Fabius als junger Mann auch noch selbst mitgekämpft haben dürfte. Siehe in diesem Sinne bereits Engels 2007, 439 und vgl. Beck 2005a, 274 zu den spärlichen Informationen bzw. hiervon abgeleiteten Erwägungen über Fabius frühe Karriere im Ersten Punischen Krieg. Schließlich wird auch vor dem Tode Hierons von Syrakus abzusehen gewesen sein, dass Sizilien wieder ein wichtiger Kriegsschauplatz, zumindest in diplomatischer und strategischer Hinsicht, sein würde. Vielleicht sollte mit der Ehrung der eigentlich fremden Gottheit auch eine Botschaft an deren Anhänger auf Sizilien gesendet werden, um sie aufzufordern, im Konflikt, der sie nun früher oder später ebenfalls erreichen sollte, die römische Seite zu wählen (Gruen 1990, 9; Orlin 1997, 108 f.; Rasmussen 2003, 252; Engels 2007, 439). Aus einer Notiz des Livius geht außerdem hervor, dass im Jahr 216 ein Tempel für die ­Concordia geweiht wurde, wobei es sich vermutlich um den ersten Tempel für die vergöttlichte Eintracht in Rom generell gehandelt haben dürfte. Der ursprüngliche Anlass für die Errichtung war offenbar die Wiederherstellung der Concordia im Heer des Praetors L. Manlius nach einem Aufstand seiner Soldaten im Jahr 219 gewesen, wobei nicht Manlius, sondern die beiden duum­ viri M. und C. Atilius die Weihung vornahmen (Liv. 23,21,7). Den Beschluss zur Errichtung des Tempels erwähnt Livius bereits früher (Liv. 22,33,7–8). Warum sich L. Manlius nicht selbst um die Errichtung und die Weihe des von ihm gelobten Tempels kümmerte, ist unklar. Orlin 1997, 155, Anm. 155 stellt hierzu eine Reihe von Überlegungen an. Da Manlius wenige Jahre zuvor ein Heer in gallischem Gebiet befehligt hatte, scheint es in der Tat nicht abwegig anzunehmen, dass er auch in den Kämpfen der Jahre 218–217 in Norditalien diente und dabei fiel. Vor dem Hintergrund der Bedrohung der Republik und ihres Bundesgenossensystems durch die Niederlagen gegen ­Hannibals Armee ist es jedoch durchaus denkbar, dass durch die Tempelweihe „in einer bedrohlichen Krisensituation die innere Einigkeit des römischen Volkes bedacht werden sollte“ (so Burckhardt 1988, 74; Orlin 1997, 154 f.). 189Vgl. hierzu oben die Übersicht zu verschiedenen Orten in Rom, die in späterer Zeit mit dem Einfall der Gallier und der Belagerung des Kapitols verbunden wurden (siehe oben Abschn. 3.1.6). Cicero rühmte bekanntlich im ersten Jahrhundert Varro dafür, dass dieser den Römern ihre Stadt, durch die sie wie Fremde gewandert seien, durch seine Forschungen wieder bekannt gemacht habe. Cic. ac. 1,9. Vgl. zu dieser Passage u. a. Walter 2004a, 175 f. (mit weiteren Hinweisen).

5.2  Der Feind vor den Toren

251

Nicht nur in der Umgebung Roms sondern auch besonders in anderen Teilen Italiens hatte es Kampfhandlungen gegeben, und die Erinnerung an die Kriegsjahre, mitsamt ihren Niederlagen, scheint noch für eine lange Zeit nachgewirkt zu haben. Dabei ist zu beobachten, dass diese Erinnerung durchaus auch auf konkrete Orte fixiert war. So ist die Erwähnung einzelner Plätze in der Umgebung Roms, die in einer Reihe von Quellenstellen im Zusammenhang mit der Annäherung Hannibals an die Hauptstadt im Jahr 211 erfolgt, vielleicht ein Hinweis darauf, dass diese noch Generationen später mit der Erinnerung an diesen Teil des karthagischen Feldzuges verbunden waren.190 Ob und inwieweit im Hannibalkrieg in Italien weitreichende Verwüstungen angerichtet wurden, die noch Generationen später spürbar und sichtbar waren, ist in der Forschung umstritten.191 Es ist allerdings anzunehmen, dass nicht alle Städte, Dörfer und Gehöfte direkt nach Kriegsende oder überhaupt wieder errichtet worden waren, sodass die Spuren des Krieges und die Rückschläge, die die Römer und ihre italischen Verbündeten erlitten hatten, zumindest mancherorts sichtbar blieben. So wäre also ein Reisender, der in den Jahren nach dem Krieg durch Italien reiste, vermutlich immer wieder auf dessen Spuren gestoßen. Allerdings dürften nur wenige Menschen in dieser Zeit solche ausgedehnten Reisen unternommen haben.192 Auf den Schlachtfeldern selbst, den Stätten der römischen Niederlagen, hätte, soweit erkennbar, dieser Reisende nichts gesehen, das an die Kämpfe und ihre Toten erinnerte. Anders als in der griechischen Welt (oder in einigen zeitlich späteren Fällen) trieb die Römer offenbar kein Bedürfnis danach, den Soldaten, die in den Niederlagen gegen die Karthager ihr Leben gelassen hatten, durch eine Form von monumentalisierter Erinnerung ein Andenken zu setzen oder diese Ereignisse vor Ort oder in Rom durch die Errichtung von Denkmälern in ein bestimmtes Narrativ einzubinden.193

190Ein

Beispiel hierfür ist der Anio, ein anderes der Pass Algidus. Siehe etwa Hor. carm. 4,4,28. große methodische Schwierigkeit in der Untersuchung der Auswirkungen der Zerstörungen, die durch den Hannibalkrieg in Italien angerichtet wurden, besteht etwa in der unzureichenden Quellenlage hinsichtlich der Jahrzehnte vor Kriegsausbruch, die Cornell 1996, 97 und passim, als „third-century gap“ bezeichnet. Hierdurch wird die Analyse langfristiger Entwicklungen erheblich erschwert. Die Nachrichten zu gezielten Verwüstungen und Plünderungen ganzer Landstriche durch Hannibals Truppen, aber auch durch römische Heere, sind insgesamt glaubwürdig. Dies scheint insbesondere Süditalien getroffen zu haben, wohin sich die Kampfhandlungen und Heeresbewegungen nach der Schlacht am Trasimenischen See zum größten Teil hin verlagerten. Das genaue Ausmaß dieser Verwüstungen ist wiederum kaum abzuschätzen, weshalb diese Frage in der Forschung auch umstritten ist. Siehe hierzu Cornell 1996, der für eine abgewogene Position zwischen den von Toynbee 1965 II, 35 und Brunt 1971, 269–277 vertretenen Ansichten plädiert. Vgl. in diesem Sinne zuletzt auch Garland 2012, 117 f. 191Eine

192Nicht auf eine römische Niederlage, aber doch sehr wahrscheinlich auf die Präsenz der karthagischen Armee in Italien während des Zweiten Punischen Krieges verweist die Ortsbezeichnung Castra Hannibalis für einen Hafen auf der Halbinsel von Terina, der nach Plinius dem Älteren (Plin. nat. 3,95) diesen Namen trug. 193Vgl. Beck 2006, 216; Clark 2014b, 18, 23–29. Vgl. bereits oben Abschn. 2.2.

252

5  Die römisch-karthagischen Kriege

5.2.1.1 Botschaften an die Bundesgenossen? – Römische Münzen aus der Zeit des Krieges Die Zeit des Hannibalkrieges brachte für Rom – neben vielen anderen Umbrüchen und (Weiter-)Entwicklungen auf verschiedenen Feldern – auch Veränderungen im ökonomischen Bereich mit sich.194 Die Römer führten das Denarsystem ein und begannen damit erstmals, im größeren Maßstab und kontinuierlich eigene Münzen zu prägen, die den Vergleich mit hellenistischen Standards nicht mehr zu scheuen brauchten und zudem in der Krise, die auf die Niederlagen der ersten Kriegsjahre folgte, auch „eine Rückkehr zur Stabilität“, hier in der römischen Münzprägung, markierten.195 Neben den wertvollen Hinweisen auf Roms wirtschaftliche und politische Geschichte in dieser Umbruchszeit, die sich aus den numismatischen Quellen gewinnen lassen, eröffnen die Motive auf den Münzen für die Frage nach dem Umgang mit Roms Niederlagen einige Perspektiven. So wurden nach der Datierung Crawfords in den Jahren 217 bis 215 zum ersten Mal römische Goldmünzen geprägt, was wohl als Rückgriff auf Notreserven gedeutet werden darf.196 Zu

194Siehe

hierzu zuletzt Kay 2014, bes. 21–42. 129 (Zitat). Zuvor hatten die Römer Münzen verschiedener anderer Typen geprägt, die während der ersten Jahre des Zweiten Punischen Krieges jedoch stufenweise deutlich an Wert verloren. Im Jahr 212 wog ein römisches As zwei römische Unzen, was einem Gewichtsverlust von 80% in den sechs Jahren seit 218 gleichkommt. Crawford 1974/1983, 35–46 („The Pre-Denarius Coinage“), siehe hier bes. 43 zur Gewichtsreduzierung. Siehe zudem Seibert 1993b, 360 f., 364 (mit einer knappen Übersicht zu Forschungspositionen); Howgego 22011, 129; Szaivert 2008, 166; Burnett 2012, 310; Woytek 2012, 315. Die chronologische Fixierung der einzelnen Reduktionen, die in der Forschung umstritten ist, ist im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten, für die hier interessierende Fragestellung allerdings auch nicht von zentralem Interesse. Siehe aber Crawford 1974/1983, 43, der annimmt, dass die Gewichtsreduzierung nach der Niederlage am Trasimenischen See begann. Die Neuerungen in der römischen Münzprägung sind ein Teil der Reaktionen, mit denen sich Rom der finanziellen Schwierigkeiten, die durch den Krieg in Italien entstanden waren, zu behelfen versuchte. Siehe hierzu Lazenby 1978/1998, 93; Howgego 22011, 128 f. Diese Schwierigkeiten Roms spiegeln sich in den Quellen auch in der Notiz bei Livius wider, nach der Hieron II. Syrakus den Römern im Jahr 216 mit einer erheblichen Spende von insgesamt 300.000 Scheffeln Weizen, 200.000 Scheffeln Gerste, 1000 Bogenschützen und Schleuderern zur Hilfe gekommen sei. Als besonderes Geschenk sandte Hieron eine goldene Statue der Victoria, die ein Gewicht von 220 Pfund gehabt haben soll (Liv. 22,37,1–12). Vermutlich hatten die Römer zuvor bereits eine Spende ihrer Verbündeten aus Neapel entgegengenommen, auch wenn Livius berichtet, dass die Senatoren diese zurückgewiesen hätten (Liv. 22,32,4–9). Vgl. dazu Seibert 1993a, 184 mit Anm. 3. Im Jahr 215 beschloss der Senat offenbar eine Anhebung des jährlich von den Bürgern zu entrichtenden tributum um das Doppelte, um die Bezahlung der Truppen gewährleisten zu können (Liv. 23,31,1–2: Senatus […] decrevit, ut, quod eo anno duplex tribu­ tum imperaretur, simplex confestim exigeretur, ex quo stipendium praesens omnibus militibus daretur, praeterquam qui milites ad Cannas fuissent.). 195Howgego 22011,

196Datierung: Crawford 1974/1983, 43–46, 103–105. Vgl. Crawford 1973, 5. Vgl. in diesem Sinne auch Seibert 1993b, 361 („wohl im Jahr 216“). Deutung: Crawford 1974/1983, 46 („it is presumably an emergency coinage and is, I think, best associated with the semilibral reduction; it will have been produced in an attempt to bolster confidence in the coinage despite the reduction of the bronze standard“). Vgl. Seibert 1993b, 361 f. Siehe zu Goldprägungen in der römischen Republik allgemein Kay 2014, 23 f. („gold was used by the Romans principally as a store of value, […] it was in some way associated with the gods, […] it was not normally used as a way of making payments“).

5.2  Der Feind vor den Toren

253

sehen sind zwei Krieger, zwischen denen ein jüngerer Mann oder ein Jugendlicher kniet, der ein Schwein im Arm hält, das die beiden Krieger wiederum mit ihren Schwertern berühren (Abb. 5.1).197 Der Jugendliche hat seinen Kopf dem Krieger auf der rechten Seite zugewandt, der durch seine Kleidung als Römer zu erkennen ist. Der Mann auf der linken Seite ist bärtig und lehnt sich mit der linken Hand auf einen Speer. Unter dem Bild ist die Aufschrift ROMA zu lesen. Die Wahl dieses Motives dürfte kaum der Zufall bestimmt haben und tatsächlich lässt es sich gut vor dem Hintergrund der für die Römer so fatal verlaufenen ersten Jahre des Krieges gegen Hannibals Truppen in Italien einordnen. Es war ein wichtiger Bestandteil von Hannibals Strategie, die mit Rom verbündeten Gemeinwesen Italiens zum Abfall von der Hegemonialmacht zu bewegen. Aus der Perspektive des Jahres 217, nach den römischen Niederlagen an der Trebia und am Trasimenischen See und noch mehr nach Cannae im folgenden Jahr, muss die Aussicht darauf, dass die Freiheitspropaganda, mit der Hannibal die römischen socii auf seine Seite bringen wollte, auf fruchtbaren Boden fiele, für die Römer durchaus besorgniserregend erschienen sein.198 Die Schwurszene auf den Goldmünzen lässt sich vor diesem spezifischen Hintergrund deuten.199 Sie könnte nämlich als Repräsentation des Bündnisses gedacht gewesen sein, das Rom mit den unterworfenen Gemeinwesen jeweils eingegangen war.200 Falls diese Deutung zutrifft, könnte eine mögliche Intention in der Wahl des Motivs darin bestanden haben, den eigenen Bundesgenossen eine Erinnerung an das Bündnis zukommen zu lassen, von denen offenbar einige in ihrer Loyalität zu Rom wankten.201 Es scheint als reagierte Rom auf die Niederlagen der ersten Kriegsjahre und Hannibals Angebote an die Adresse der Bundesgenossen also mit einer eigenen Botschaft – die im Zweifelsfall und bei sich bietender Gelegenheit durch handfeste Maßnahmen unterstrichen wurde, was besonders die Bewohner Capuas nach der

197Siehe 198Zu

etwa RRC 28/1.

Hannibals Strategie auf dem italischen Kriegsschauplatz und dem Abfall von Bundesgenossen der Römer zu den Karthagern siehe umfassend Fronda 2010 und vgl. Erskine 1993; Miles 2011. 199Siehe zum Folgenden bereits Alföldi 1959, 20 f.; Crawford 1974/1983, 46, 715; Lazenby 1978/1998, 94. Die Deutung im Detail modifiziert bei Instinsky 1964, 85 f. 200Anders allerdings Bleicken 1963, 63–66, der die beiden auf der Münze abgebildeten Männer als römische Soldaten unterschiedlicher Abteilungen deutet, die sich gegenseitig durch einen Eid ihres Beistandes im Kampf versichern. 201Crawford 1974/1983, 46, 715 („The reverse type of the issue of gold associated with quadrigati of the Second Punic War, an oath-taking scene, is presumably a call to loyalty addressed to Rome’s allies, whatever the precise symbolism involved.“); Lazenby 1978/1998, 94 („But it was perhaps during these grim years, partly to restore confidence in the finances, partly as a call on the loyalty of Rome’s allies, that the gold coins depicting on oath-scene were issued.“). Wie in den folgenden Kapiteln gezeigt werden wird, wurde ein Aufruf zur Einigkeit an die italischen Verbündeten wahrscheinlich auch in literarischen Werken formuliert, die (vermutlich) während des Krieges verfasst wurden. Vgl. unten Abschn. 5.2.1.2.

254

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Abb. 5.1  Stater, römisch-kampanisch, (217–215 v. Chr.?), RRC 28/1

Eroberung ihrer Stadt durch die Römer im Jahr 211 erfahren mussten.202 Auch hierauf gaben die Münzen freilich bereits einen Hinweis: Wer den vor den Göttern gegebenen Schwur verletzte und damit das Band der fides zwischen Rom und seinem eigenen Gemeinwesen durchschnitt, hatte aus römischer Sicht ein hartes Schicksal mehr als verdient. Neben diesen Münzen wurden, ergänzend und mit anderen Münzwerten, noch weitere geprägt. Hierzu gehörten die sogenannten ‚Victoriate‘. Die Frage nach der Datierung der ersten Münzen dieses Typs ist aus den Quellen nicht mit letzter Sicherheit zu beantworten, doch scheint der Zeitraum der Jahre 212 bis 211 am wahrscheinlichsten.203 Die Victoriate verdanken ihren Namen der Abbildung auf dem Revers, auf dem die Siegesgöttin, stehend und nach rechts blickend, ein Tropaion bekränzt (Abb. 5.2).204 Sollte die Datierung der ersten Victoriate in das Jahr 211 zutreffend sein, könnte hiermit auf die Eroberung von Syrakus durch M. Claudius Marcellus angespielt worden sein, die wohl in das Frühjahr des Jahres 211 fällt.205 Auffällig ist die Verbreitung der Victoriate, die überwiegend in Süditalien sowie auf Sizilien und in Spanien gefunden wurden.206 Dies lässt sich durch ihren intendierten

202Liv.

26,13,1–16,13. Siehe hierzu Seibert 1993b, 311–314. 1974/1983, 28–32; Woytek 2012, 316. Vgl. Seibert 1993b, 365 mit einem kurzen Überblick auch zu älteren Forschungspositionen. 204Siehe RRC 44/1. 205Siehe zur Diskussion um die Chronologie der Kampfhandlungen auf Sizilien in den Jahren Jahren 214–211 und der Eroberung von Syrakus durch die Römer Seibert 1993b, 286–291, der auch eine detaillierte Auseinandersetzung mit älteren Forschungspositionen vornimmt und dessen Datierung hier gefolgt wird. 206Siehe die Übersicht zu den Fundplätzen der Victoriate bei: Crawford 1974/1983, 25 und zudem 22 f., 28 (Funde in Spanien). Vgl. Seibert 1993a, 257; 1993b, 365. 203Crawford

5.2  Der Feind vor den Toren

255

Abb. 5.2  Victoriat (212/211 v. Chr.), RRC 44/1

Verwendungszweck erklären.207 Durch die Abbildung der Siegesgöttin wurde den Gemeinwesen in Süditalien, auf Sizilien und in Spanien, also den Gebieten, die in diesen Jahren Hauptschauplätze des Krieges waren, zudem der Anspruch auf römische Sieghaftigkeit, die über alle bisherigen Rückschläge triumphieren sollte, buchstäblich vor Augen gehalten.208 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass nach Livius Hieron II. den Römern nach der Schlacht am Trasimenischen See eine goldene Victoriastatue habe zukommen lassen.209 Es lässt sich festhalten, dass die römischen Münzprägungen der Zeit des zweiten Krieges gegen Karthago bereits in diesem recht frühen Abschnitt der römischen Münzgeschichte zur Verbreitung von politischen Botschaften genutzt wurden. Diese sollten vermutlich die römische Sicht auf den Kriegsverlauf besonders bei abgefallenen wie (noch) loyalen Verbündeten vor allem in Süditalien und auf Sizilien propagieren. Die Niederlagen wurden hierbei freilich nicht explizit thematisiert – das hätte der Botschaft Roms ja natürlich auch diametral entgegengestanden. Roms schwierige Lage war ohnehin jedem Zeitgenossen gegenwärtig.

207Die

Denare waren vermutlich zunächst schwer mit den griechischen Münzen zu verrechnen, die in der Magna Graecia verbreitet waren, weshalb die Victoriate als Verkehrsmünze gebraucht wurden. 208Thomsen 1961 II, 366–371 (371: „the Roman state in a propagandistic way proclaimed its own forthcoming victory“); Seibert 1993a, 257; 1993b, 365. Das Motiv fndet sich auch in späteren literarischen Quellen wieder. Seine Verwendung scheint allerdings, zumindest in Form der Abbildung auf den Victoriaten, bereits in die Zeit des Krieges selbst zurückzureichen. Es war dies vermutlich auch eine direkte Reaktion der Römer auf ähnliche Münzprägungen ehemaliger Bundesgenossen in Süditalien, die auf die karthagische Seite gewechselt waren (so jedenfalls Seibert 1993b, 365). 209Liv. 22,37,1–12.

256

5  Die römisch-karthagischen Kriege

5.2.1.2 Veteranen formen die Erinnerung – Zeugnisse von Zeitgenossen Die Zeit des Zweiten Punischen Krieges war für die Entwicklung der römischen Literatur überaus bedeutsam und in diesem Zusammenhang scheinen gerade Roms militärische Misserfolge und die auf sie folgende Krise impulsgebend gewirkt zu haben. Zu den frühen Werken jener Literatur, die nicht nur vom Namen her bekannt sondern auch inhaltlich noch wenigstens in einigen Fragmenten fassbar sind, gehört das bereits erwähne Epos Bellum Punicum des Cn. Naevius. In Hinsicht auf den Umgang mit den Niederlagen des zweiten römisch-karthagischen Krieges ist besonders die Datierungsfrage von Belang. Nach einer Erwähnung Ciceros habe Naevius das Epos im Alter geschrieben.210 Das ist bereits eine wenig präzise Angabe. Da die Lebensdaten des Naevius zudem nicht mehr genau zu ermitteln sind – die Ansetzung seines Geburtsjahres schwankt zwischen 280 und 260 – bleibt ein recht weiter Spielraum.211 Eine Datierung in die Jahre des zweiten römisch-karthagischen Krieges erscheint jedoch plausibel.212 Cn. Naevius war kein Römer, sondern stammte aus Kampanien. In einem Kontingent der Kampaner hatte er offenbar auch am ersten Krieg gegen Karthago teilgenommen.213 Es scheint nicht zu gewagt anzunehmen, dass dieses Erlebnis seine Biografie in bedeutender Weise prägte – eine Erfahrung, die er mit vielen römischen und italischen Zeitgenossen teilte.214 So sollte auch die Wahl des Stoffes in direktem Zusammenhang mit der Entstehungs- und Veröffentlichungszeit des Werkes gesehen werden.215 Angesichts der zahlreichen Niederlagen, die die Römer gegen Hannibals Armee in Italien – und auf anderen Kriegsschauplätzen – erlitten, liegt die Vermutung nahe, dass (nicht nur) Veteranen des ersten Krieges auf den alten Sieg verwiesen, der ebenfalls erst nach vielen Rückschlägen und harten Entbehrungen erfochten wurde. Naevius gab diesem Gedanken nun eine literarisch hoch angesehene Form.216 Nimmt man an, dass zumindest Teile des Epos, das nicht zu lang gewesen sein dürfte,217 in öffentlichen Vorträgen dargebracht wurden, kann man sich eine „erhebliche mobilisierende

210Cic.

Cato 50. vagen Anhaltspunkt zur Bestimmung des Geburtsjahres des Naevius bietet der Hinweis, dass Naevius vermutlich am ersten römisch-karthagischen Krieg teilnahm (siehe F 44 (2)). Siehe hierzu von Albrecht 1994, 98; Suerbaum 2002d, 105 f.; Walter 2004a, 222 f. mit Anm. 53. Siehe zudem die knappe, aber pointierte Übersicht bei P. Schmidt, DNP 8 (2000), 687–689, s. v. Naevius (I 1). 212Siehe hierzu Richter 1962, 294; Suerbaum 2002d, 112; Walter 2004a, 223. 213Siehe: Gell. 1,24,1–2 (Herkunft aus Kampanien). Teilnahme am ersten Krieg: F 44 (2) (=Gell. 17,21,45). Vgl. hierzu u. a. Richter 1962, 290; von Albrecht 1994, 98. 214Vgl. Richter 1962, 290 f. 215Vgl. auch für das Folgende Richter 1962, 294–296; Walter 2004a, 223–225. 216Siehe die Literatur in der vorherigen Anmerkung und vgl. zudem Frier 1979/1999, 280. 217Von Albrecht 1994, 100, nimmt eine „Gesamtlänge von ungefähr 4000–5000 Versen“ an. Rüpke 1998, 78 geht von lediglich 1600–1800 Versen aus, während Suerbaum 2002d, 112 anmerkt, dass das Epos „ursprünglich ohne Bucheinteilung eine einzige Papyrus-Rolle“ gefüllt habe und daher „schwerlich mehr als 2000 Verse umfaßt“ haben konnte. Vgl. hierzu ferner Walter 2004a, 223, Anm. 54. 211Einen

5.2  Der Feind vor den Toren

257

Wirkung“ des Werkes in einer Zeit ernster Bedrohung von außen und dem Auftreten von Krisenfaktoren im Inneren tatsächlich gut vorstellen.218 Das Motiv, Rom überwinde alle Rückschläge und gehe letztlich auch nach zahlreichen Niederlagen als Siegerin hervor, das in späteren Quellen oft auftaucht, ist bei Naevius in seiner zeitlich frühesten Formulierung zu erahnen.219 Die Frage ob der Krieg bei Naevius bereits durch die Einarbeitung einer Episode um Aeneas und Dido – wie später bei Vergil – in einen mythhistorischen Horizont eingeordnet wurde, lässt sich auf Basis der vorliegenden Fragmente nicht sicher entscheiden, wenngleich Jahn bedenkenswerte Argumente gegen eine solche Annahme, die sich in der Forschung für lange Zeit einiger Beliebtheit erfreute, vorgebracht hat.220 Wäre der Krieg gegen die Karthager schon bei Naevius indes nicht das Ergebnis mehr oder weniger kontingenter Ereignisketten, sondern die Einlösung eines vorgezeichneten Weges gewesen, dann hätten sich auch die Niederlagen in diesem Kontext als lediglich vorübergehende Rückschläge interpretieren lassen.221 Doch muss offen bleiben, ob das Bellum Punicum diese Perspektive tatsächlich eröffnete. Naevius schuf jedoch nicht nur das erste historische Epos, sondern auch das erste eigentlich historische Drama der lateinischen Literatur.222 In Clastidium behandelte Naevius sehr wahrscheinlich den römischen Sieg über ein keltisches Heer bei ebendiesem Ort in Norditalien unter dem Konsul M. Claudius Marcellus im Jahr 222, der auch im Hannibalkrieg eine prominente Rolle einnahm.223 Lediglich zwei

218Walter

2004a, 223 (Zitat). Siehe zuvor bereits Richter 1962, 294.

219Richter

1962, 296: „Es ist das erste Mal, daß ein Dichter dem römischen Volk in einem Kampf, der um seine Existenz ausgetragen wurde, geistige Hilfestellung geleistet hat, und zwar einfach dadurch, daß er ihm als Dichter das Bewußtsein zu geben suchte, daß und warum dieses Volk unüberwindlich sei“. 220Ausgangspunkt jener Überlegungen war der Umstand, dass den überlieferten Fragmenten nach in Gestalt des Aeneas nicht nur Bezug auf die troianische Abstammung der Römer genommen wurde, sondern auch bereits Dido in diesem Teil des Werkes auftrat (F 21 (6) (=Serv. Aen. 4,9)). Bereits Niebuhr vermutete daher, dass auch Didos Fluch und die mit diesem beginnende Erbfeindschaft zwischen Karthagern und Römern in Naevius’ Epos vorkamen (Niebuhr 1846, 17). Dies lässt sich nicht eindeutig zeigen, weshalb diese These nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß (vgl. bereits Mommsen 1879, 280 f. und neuerdings Jahn 2007, 59–73). Akzeptiert man indes diesen Gedankengang, dann wäre der Krieg gegen Karthago nicht allein in seinem konkreten historischen Kontext geschildert worden, sondern auch in einen ‚mythhistorischen‘ Zusammenhang eingeordnet gewesen – und natürlich hätte dies dann nicht nur für den vordergründigen Gegenstand des Epos, den ersten Krieg zwischen Rom und Karthago sondern eben auch – und womöglich vor allem – für den zweiten Krieg gegolten, der auf diese Weise in „einen denkbar weiten historischen Kontext“ eingeordnet geworden wesen wäre (Walter 2004a, 223. Siehe bereits zuvor: Häußler 1978, 10; Frier 1979/1999, 280). 221Vgl. wiederum Richter 1960; 1962, 296. 222Vgl. die Einordnung bei Manuwald 2001, 134 f. 223Siehe nur Bernstein 2000, 158; Manuwald 2001, 135; Suerbaum 2002d, 106. Auch wenn die Fragmente die Zuordnung des Werktitels zu dieser Schlacht offen lassen, kann hierüber kaum ein Zweifel bestehen. Siehe jedoch Klussmann 1843, 131, der als Hintergrund die Einnahme des römischen Nachschubdepots bei Clastidium durch Hannibals Truppen im Jahr 218 vermutet (Pol. 3,69,1–4; Liv. 21,48,8–10). Zur Karriere des M. Claudius Marcellus im Zweiten Punischen Kriege siehe (mit weiteren Nachweisen) Beck 2005a, 308–326.

258

5  Die römisch-karthagischen Kriege

kurze Fragmente lassen sich Naevius’ Clastidium zuweisen.224 Auch deswegen ist die Datierung des Werkes unklar, sodass in der Forschung eine Reihe von Alternativen erwogen wurde.225 Ein Ansatz für die Jahre 207 oder 205 erscheint indes am plausibelsten.226 In beiden Fällen (207 und 205) bleibt der grundsätzliche Befund

224Manuwald

2001, 134. Beim ersten Fragment handelt es sich lediglich um ein Wort: vitulantes. Das zweite besteht aus einem Vers, der „sich als iambischer Senar und damit als Sprechvers deuten“ lässt (Ebd., 140): vitia insepulta laetus in patriam redux. Weitreichende Schlüsse auf in den Inhalt des Dramas sind hieraus natürlich nicht möglich. Zu plausiblen Versuchen, die Fragmente einzuordnen siehe wiederum Manuwald 2001, 138–141 (beide Fragmente im Kontext der Rückkehr des siegreichen Heeres). 225Siehe, mit weiteren Nachweisen, jeweils die Übersicht bei Bernstein 2000, 159–161; Manuwald 2001, 136 f. sowie die folgende Anmerkung.

226So wurden zwei Triumphe der Marcelli als Anlass vorgeschlagen: der Triumph des Siegers von Clastidium selbst, also eine Aufführung im Jahr 222, und der Triumph von Marcellus’ Sohn im Jahr 196. Warum letzterer bei dieser Gelegenheit, seinen eigenen Ruhm zu präsentieren, auf seinen Vater verwiesen haben sollte, bleibt freilich unklar (Manuwald 2001, 136 f.). Hinsichtlich des Triumphes des Jahres 222 werden in den Quellen weder ludi triumphales noch eine Aufführung erwähnt (so Bernstein 2000, 160). Eine andere Datierung ist daher wahrscheinlicher. Neben den bereits genannten Hintergründen wurden auch etwaige Leichenspiele für M ­ arcellus im Jahr 208, der in diesem Jahr im Kampf gefallen war, die Aufführung bei ludi scaenici im Jahr 207 oder die Weihung des in der Schlacht bei Clastidium gelobten Tempels durch den Sohn des Marcellus im Jahr 205 als Anlass zur Aufführung vorgeschlagen (siehe mit weiteren Nachweisen Manuwald 2001, 136 f.). Aufgrund der verworrenen Überlieferung um den Tod des Marcellus und vor allem um den Verbleib seiner sterblichen Überreste ist unklar, ob es überhaupt eine „gewöhnliche Bestattungsfeier“ für Marcellus gab (so bereits Flower 1995, 183 f.). Liv. 27,28,1–4 etwa berichtet, dass Hannibal den gefallenen Feind habe bestatten lassen, allerdings auch versucht habe, die Situation durch eine List auszunutzen. So habe er den Ring des Marcellus nutzen wollen, um fingierte Befehle des Konsuls an römische Truppen zu senden, die noch nicht von seinem Tod erfahren hätten. Marcellus’ Kollege Quinctius habe dies jedoch vorausgesehen und Hannibals Pläne so vereitelt. Die Historizität der Episode ist umstritten. Nimmt man sie jedoch ernst, dann scheint eine Überführung der Leiche ausgeschlossen, da Hannibal so seinen eigenen Plan torpediert hätte (Seibert 1993a, 366 f. mit Anm. 30 gegen die Historizität dieser Überlieferung; dafür hingegen Flower 1995, 184; 1996, 146). Es kursierten darüber hinaus noch andere Versionen vom Verbleib der Leiche des Marcellus. Plut. Marc. 30,4 nennt eine angeblich bei Livius und Valerius Maximus überlieferte Version, in der die Urne mit den sterblichen Überresten dem Sohn des Marcellus übergeben worden sei, was sich aber weder bei Livius noch Valerius Maximus wiederfinden lässt (vgl. Seibert 1993a, 366 Anm. 30; Flower 1996, 147 Anm. 78 und Mineo 2011, 124, der vermutet, dass Plutarch hier aus dem Gedächtnis zitierte, was seinen Fehler erkläre). Nach einer weiteren Version seien die Gebeine auf dem Weg zu Marcellus’ Sohn in einem Scharmützel versehentlich zerstreut worden (Plut. Marc. 30,2). Siehe den Kommentar bei FRH 11 F 36 für die weiteren Belege. Alles in allem scheint eine Überführung jedoch unwahrscheinlich, so dass der Sohn des Marcellus die Überreste seines Vaters wohl nicht beisetzen konnte (vgl. auch Bernstein 2000, 160; Manuwald 2001, 136; Flower 2003, 44, 49). Überdies ist die Einbindung von fabulae praetextae in das Ritual der römischen Leichenfeier sonst nicht belegt (so zu Recht Manuwald 2001, 136.) Die Weihung des bei Clastidium gelobten Tempels im Jahr 205 erscheint als wahrscheinlicherer Ansatz, da die Tempelweihung in offensichtlichem direktem Zusammenhang zur Schlacht stand (Manuwald 2001, 137). Insbesondere Frank Bernstein brachte schließlich mit

5.2  Der Feind vor den Toren

259

ähnlich. Dargestellt wurde ein Sieg gegen einen gefährlichen Gegner von außerhalb Italiens, der erst nach einem harten Ringen und unter großem Einsatz besiegt werden konnte.227 Akzeptiert man einen der Datierungsvorschläge, die in die Zeit des Hannibalkrieges fallen, dann ergab sich hier in jedem Fall eine Beziehung zwischen dem auf der Bühne Gebotenem und der gegenwärtigen Situation. Hinzu kam, dass Hannibals Armee, zumindest in den ersten Jahren des Feldzuges, zu einem großen Teil aus Kelten bestand, die ja bei Clastidium besiegt worden waren. Folgt man den Überlegungen Bernsteins, der die Aufführung des Stückes auf das Jahr 207 datiert, dann ergäbe sich in dieser Hinsicht sogar eine noch konkretere Parallele. Denn in diesem Jahr marschierte Hannibals Bruder Hasdrubal von Spanien her kommend über die Alpen in die Po-Ebene ein. Auch in seinem Heer befanden sich zahlreiche Kelten. So soll in der Schlacht am Metaurus der gesamte linke Flügel von Hasdrubals Armee aus keltischen Kämpfern gebildet worden sein.228 Die Aufführung von Clastidium sei, nach dieser Deutung, also unter dem Eindruck sehr konkreter gegenwärtiger Ereignisse erfolgt, an die das auf der Bühne zu sehende Geschehen direkt gemahnte. Das Stück habe somit „auch eine adhortative Funktion“ besessen, indem es die „Sieghaftigkeit Roms, derer es sich im Hannibal-Krieg wie selten zuvor zu vergewissern galt“, demonstrierte.229 Folgt man dieser Interpretation ergeben sich deutliche Ähnlichkeiten zur eben diskutierten Deutung der Stoßrichtung von

den Spielen von 207 einen weiteren Ansatz in die Diskussion ein, der von der Annahme ausgeht, dass das Stück weniger auf Marcellus bezogen war, sondern auf den populus Romanus insgesamt (Bernstein 2000). Dargestellt worden sei demnach, mit der Schlacht gegen die Kelten, dem erfolgreichen Abwehrkampf der römisch-italischen Verbündeten gegen einen auswärtigen Angreifer, der von Norden her nach Italien einfallen wollte, eine Tat des populus Romanus, wenn auch mit Marcellus als zentralem Repräsentanten. Die „kollektive[n] Akzentuierung“ habe allerdings überwogen (Bernstein 2000, 163 (Zitat)). Für diese Deutung spricht, dass als sicher verbürgter Werktitel eben nicht Marcellus, wie man es als Parallele zu anderen fabulae praetextae erwarten könnte, überliefert ist (Bernstein 2000, 162). Zudem stünde eine ‚kollektive Lesart‘ der dürren Informationen, die wir über das Stück haben, im Einklang mit dem, was über das Bellum Punicum des Naevius geschlossen werden kann. Bernsteins Erwägungen erscheinen plausibel, eine definitive Entscheidung über die Akzentuierung des Stückes kann auf Basis der bekannten Quellen jedoch kaum getroffen werden. Das räumt auch Bernstein selbst ein: „Gewiß, die zwei spärlichen Fragmente geben über eine derartige [d. h. kollektive, Anm. des Verf.] inhaltliche Akzentuierung der Praetexta ebensowenig klare Auskunft wie darüber, ob Naevius allein die glo­ ria des Marcellus verkünden und damit festigen wollte und sollte“ (Bernstein 2000, 163). 227Die Keltenkriege der Zwanzigerjahre des 3. Jahrhunderts mögen in der Rückschau leicht in den Schatten der Auseinandersetzung mit Karthago oder der Feldzüge in den östlichen Mittelmeerraum eine Generation später rücken. Für die Zeitgenossen handelte es sich jedoch kaum um einen peripheren Konflikt. Polybios betonte dementsprechend einige Jahrzehnte später auch noch die Härte der Auseinandersetzung: Pol. 2,35,2. Vgl. Bernstein 2000, 169 und siehe auch Gelzer 1933, 148. Der Passage bei Polybios kann ein topischer Beiklang freilich kaum abgesprochen werden. Vgl. Walbank 1957, 211 mit dem Verweis auf u. a. Thuk. 1,1,2. Vgl. auch Liv. 21,1,1–2. 228So jedenfalls Liv. 27,48,5. Siehe auch Pol. 11,1,2. Vgl. Bernstein 2000, 167. Zum Einsatz keltischer Truppen im zweiten römisch-karthagischen Krieg siehe Rawlings 1996. 229Bernstein

2000, 166 (Zitat).

260

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Naevius’ Bellum Punicum: Die inszenierte Erinnerung an erfolgreiche Kämpfe gegen einen auswärtigen Feind der italischen „Wehrgemeinschaft“, in beiden Fällen noch dazu gegen eben jene Gegner, denen man nun ebenfalls gegenüberstand, sind als zumindest mitintendierte Wirkungsabsicht beider Werke gut denkbar.230 Die gedanklichen Motive, die sich hieraus vorsichtig schließen lassen – Einigkeit gegen äußere Bedrohung, ein hart errungener Sieg auch nach empfindlichen Rückschlägen – lassen sich gut mit den auf den oben erwähnten Abbildungen auf Münzen aus der Zeit des Krieges verbinden, wobei dort noch eine demonstrative Siegeszuversicht zu erkennen ist.231 Es ist freilich in diesem Zusammenhang zuzugeben, dass vieles Konjektur bleiben muss. Die ersten römischen Geschichtsschreiber, Q. Fabius Pictor und L. Cincius Alimentus, waren ebenfalls Zeitgenossen des Hannibalkrieges und nahmen aktiv an ihm teil. Daher liegt die Vermutung nahe, dass dieser Konflikt einen wesentlichen Faktor in ihrer Motivation darstellte, zur Feder zu greifen, um die Geschichte Roms aus römischer Sicht darzulegen, auch wenn sich dies im Falle Pictors nicht mit letzter Sicherheit zeigen lässt.232 Q. Fabius Pictor schrieb sein Werk offenbar vor Cincius Alimentus, die genaue Abfassungszeit ist allerdings seit jeher umstritten.233 Das späteste datierbare Fragment aus Pictors Werk gehört in das Jahr 217, auch wenn klar ist, dass die Darstellung noch weiter reichte. Das letzte bekannte Ereignis aus Pictors Leben ist seine Gesandtschaftsreise nach Delphi im Jahr 216.234 Bis

230Bernstein

2000, 166–168, dort (168): „Das exemplum virtutis Clastidium erinnerte an die Tatsache, daß man den gallischen Angstfeind letztlich doch bezwungen hatte. Und wenn es nun galt, den neuen Angstfeind, die Karthager zu besiegen, so sollte das Naevianische Drama wohl zugleich die Furcht in Hoffnung und Zuversicht ummünzen“. 231Diese „vielbeachtete Siegesgewißheit“ Roms war, wie Bernstein anmerkt, „kein Geschenk des Himmels“ und war nicht Ausdruck „einer uneingeschränkten und tiefen Überzeugung aller Zeitgenossen“, sondern es bedurfte erst der Erinnerung an vergangene Siege, die unter widrigen Umständen und nach schweren Rückschlagen errungen wurden – der spätere Sieg im Zweiten Punischen Krieg wird diese Zuversicht im Nachhinein wiederum gewiss bestärkt haben. Bernstein 2000, 168 f. (dort auch das Zitat: 169). 232Siehe für allgemeine Informationen zu beiden Historikern, oben Abschn. 2.2. 233Die Vorschläge zur Datierung reichen von der Zeit vor Beginn des zweiten römisch-karthagischen Krieges bis zur Nachkriegszeit, also über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren. Beginn der Arbeit vor 218: Zimmermann 1933; 262; Kierdorf 2002, 402; 2003, 10; Marincola 2007, 7. Jahre nach 216 (dabei zum Teil die Krise nach Cannae als Auslöser angesehen): Frier 1979/1999, 201, 206 und bes. 236–239; Momigliano 1990, 88; Walter 2004a, 232 f.; Beck 2007, 259; Mineo 2011, 112 f. Nach Kriegsende: Münzer 1909; 1837; Badian 1966, 4–7. 234Das letzte datierbare Fragment gehört zur Schlacht am Trasimenischen See (217). Appian (27,116) bezeugt eine Darstellung bis 216 (Rückkehr des Fabius aus Delphi). Vgl. Liv. 23,11,1–6. Beides schließt natürlich nicht aus, dass er das Ende des Krieges noch miterlebte und auch erst dann mit der Arbeit begann – so könnte er noch vor der Beendigung der Arbeit verstorben oder aus anderen Gründen an ihrer Beendigung gehindert worden sein. Vgl. Bispham/Cornell 2013a, 166 f., die zudem auf die Möglichkeit verweisen, dass auch ein Beginn der Arbeit vor dem Zweiten Punischen Krieg denkbar ist, der Fabius dann freilich dazu gezwungen habe, seinen Text zu erweitern. Letztlich ist die Frage nicht eindeutig zu entscheiden.

5.2  Der Feind vor den Toren

261

in welches Jahr die Darstellung reichte, ist ebenfalls umstritten. So nimmt Walbank an, dass Polybios noch für das Jahr 209 aus Pictor schöpfte, während Frier der Ansicht ist, dass Pictors Darstellung bereits für das Jahr 213 nicht mehr vorlag.235 Die römischen Niederlagen der ersten Kriegsjahre wären dabei in beiden Fällen noch enthalten gewesen. Fabius Pictors Text wird in vielerlei Hinsicht eine wichtige Grundlage für spätere Darstellungen, wie der des Polybios, gewesen sein. Erhalten haben sich allerdings lediglich zwei Fragmente zum zweiten römisch-karthagischen Krieg, die diesem sicher zugeordnet werden können. Bei dem ersten handelt es sich um eine Erwähnung des Polybios, die den Kriegsausbruch betrifft, bei zweiten um Angaben zur Zahl der römischen Verluste am Trasimenischen See beinhaltet, für die sich Livius auf Pictor beruft.236 Pictor wurde in der Forschung auch als Urheber des überaus negativen Bildes des Konsuls des Jahres 217, C. Flaminius, angesehen, das bei Livius in einer späteren Bearbeitung vorliegt.237 Dass dem tatsächlich so war, lässt sich in der Tat „weder im vorliegenden Fragment noch sonst an einer Stelle des überlieferten Textes positiv zeigen“.238 Es ist gleichwohl keinesfalls unwahrscheinlich. Wie an späterer Stelle noch detaillierter gezeigt werden wird, wurden C. Flaminius in der römischen Überlieferung nicht nur demagogische Umtriebe und törichter Leichtsinn sondern auch insbesondere die eklatante Missachtung der politisch-religiösen Vorschriften und warnenden Vorzeichen vorgeworfen.239 Fabius Pictors Reise nach Griechenland zum Orakel von Delphi, durch die der Senat sich nach der Schlacht von Cannae Aufschluss über zu treffende Maßnahmen erhoffte, die die Republik aus der Krise führen sollten, weist auf eine Nähe des Fabiers zu religiösen Fragen hin.240 Die Vermutung liegt zudem nahe, dass der Bericht über die Reise des Fabius und die wörtliche Wiedergabe des Orakelspruchs bei Livius auf Fabius’ eigene Darstellung zurückgehen, ohne dass Livius dies an dieser Stelle vermerkt hätte.241 So

235Frier 1979/1999, 236 f. Bereits Zimmermann 1933, 262 f. hatte vermutet, dass Fabius’ Darstellung lediglich bis kurz nach der Schlacht von Cannae und seiner anschließenden Reise nach Delphi gereicht haben werde. 236Pol. 3,8,1–8 (=FRH 1 F 31 = FRHist 1 F 22). Wenig überraschend wird die Verantwortung für den Krieg hier auf karthagischer Seite und dort insbesondere bei den Barkiden in Spanien verortet. Vgl. den Kommentar in Beck/Walter ²2005, 132–134. Liv. 22,7,1–4 (=FRH 1 F 32 = FRHist 1 F 23). 237Siehe in diesem Sinne bereits Gelzer 1933, 153 f. 238Beck/Walter 22005, 135 (Zitat). 239Siehe hierzu unten u. a. Abschn. 5.2.5.1. 240Es gibt allerdings keinen Beleg dafür, dass Fabius Pictor ein Priesteramt bekleidete, noch für eine andere besondere religiöse Expertise, was allerdings nicht ausschließt, dass er diese besaß. Auch ist es möglich, dass er zu den decemviri sacris faciundis gehörte, deren personelle Zusammensetzung für diese Zeit nicht bekannt ist. Siehe hierzu Frier 1979/1999, 247; Momigliano 1990, 88; Bispham/Cornell 2013a, 161. 241Diese Vermutung äußert auch Engels 2007, 449. Dass Fabius Pictor seine Reise nach Delphi noch selbst niederschrieb, bezeugt App. Hann. 27,116. Vgl. Frier 1979/1999, 235; Walter 2004a, 232, Anm. 99; Bispham/Cornell 2013a, 166 mit Anm. 29.

262

5  Die römisch-karthagischen Kriege

erscheint es nicht abwegig zu vermuten, dass die Niederlage am Trasimenischen­ See auch bei Pictor als Folge religiösen Fehlverhaltens gedeutet wurde.242 Da nach dem Untergang des Flaminius mit Q. Fabius Maximus Verrucosus ein anderer Fabier zeitweise die Führung der Republik im Krieg übernahm, der jedenfalls in der späteren Überlieferung als Retter aus der Not gefeiert wurde, liegt zudem der Gedanke nahe, dass Pictor auch bereits den starken Kontrast zwischen dem in jeder Hinsicht leichtsinnigen Flaminius und dem verantwortungsbewussten Fabius gezeichnet hatte.243 Auch diese Annahme lässt sich durch die erhaltenen Fragmente nicht sicher nicht belegen, wenngleich sie plausibel erscheint.244 Einen Zusammenhang mit dem Hannibalkrieg und der für Rom bedrohlichen Zeit nach den Niederlagen gegen die karthagische Armee in Italien hat man zudem in Hinsicht auf zwei Fragmente Pictors vermutet, die inhaltlich mit den Kriegen der Römer gegen die oberitalischen Kelten in den Jahren 225–222 verbunden sind.245 Hier nennt Fabius genaue Angaben zum römisch-italischen Wehrpotenzial und zu den Truppen, die von den Konsuln im Jahr 225 gegen die Kelten, die damals in Italien einfielen, aufgeboten wurden.246 Man kann diese Fragmente durchaus dahin gehend deuten, dass Fabius daran gelegen war, den defensiven

242Dass sich hiervon bei Polybios, der ja nachweislich aus dem Text Pictors schöpfte, wenig erhalten hat, ist bei der bekannten Geringschätzung, die Polybios Erklärungen dieser Art für historische Ereignisse entgegenbrachte, keine Überraschung. Im Gegenteil fällt es in der Tat umso mehr auf, wenn „der ungläubige Polyb“ anlässlich des Aufbruchs aus Rom zum Heer (Pol. 94,8) und im Vorfeld der Schlacht von Cannae (Pol. 112,8) „von diesen Dingen [Prodigien und deren Sühnung] Kenntnis“ nimmt, woraus Gelzer 1933, 154 (Zitat) wiederum den Schluss zieht, dass hierauf auch bei Fabius Pictor bereits ausführlich eingegangen wurde. 243So auch Gelzer 1933, 154 f., der außerdem annimmt, dass die berühmte, bei Ennius zu findende, Huldigung des Fabius und seiner cunctatio-Strategie bereits „Fabius Pictor und Cincius ausgesprochen hatten“. Siehe zudem Frier 1979/1999, 281 f.; Schmitt 1991, 145. Vgl. bereits Nissen 1867, 565. 244Dies muss allerdings noch nicht bedeuten, dass Fabius Pictor die Gelegenheit auch dazu nutzte, um einseitig den Ruhm der gens Fabia zu verbreiten. Die Untersuchung der Fragmente Pictors insgesamt deutet vielmehr darauf hin, dass er in dieser Frage Zurückhaltung walten ließ. Wenn Flaminius also bereits bei Fabius als in jeder Hinsicht Verantwortlicher für die Katastrophe am Trasimenischen See dargestellt wurde, dann sollte man eher annehmen, dass „Flaminius’ Versagen als Feldherr […] vorgeschützt“ wurde, um die Fehleinschätzungen des Senats insgesamt „zu überspielen“, somit die Nobilität im Allgemeinen zu entlasten und weniger, um einseitig die Fabier zu glorifizieren. Dies zu vermuten, liegt schon deswegen nahe, da eine einseitige Verherrlichung der Fabier auch für andere Teile von Pictors Werk nicht zu belegen ist, eher im Gegenteil: FRH 1 F 24 (=Liv. 8,30,8–10) Vgl. Momigliano 1990, 103; Beck 2003, 88; Kierdorf 2003, 15; Walter 2004a, 242 f., 245; Bispham/Cornell 2013a, 177 f. („Pictor’s account […] is not invariably favourable to the Fabii“, 177). Siehe auch die zurückhaltende Position bei Frier 1979/1999, 282. Vgl. ferner Mommsen 1879, 278 f. Q. Fabius Maximus wird freilich, allein seines tatsächlichen Einflusses auf die römische Kriegsführung wegen, wahrscheinlich auch bei Pictor eine wichtige Rolle gespielt haben. 245FRH 1 F 30a (=Eutr. 3,5) und 30b (=Oros. 4,13,6–7) = FRHist 1 F 21a und b. 246Vgl. außerdem Pol. 2,24, der hier wahrscheinlich auf Fabius Pictor fußt. Siehe Gelzer 1933, 147 f.; Walbank 1957, 196.

5.2  Der Feind vor den Toren

263

Charakter römischer Kriegsführung zu betonen.247 Zudem ist es möglich, dass er beabsichtigte, die Notwendigkeit von „gegenseitige[r] Loyalität“ und bedingungslosem Zusammenhalt unter Römern und Bundesgenossen hervorzuheben, indem die Abwehr der Kelten als erfolgreiches Unternehmen ganz Italiens geschildert wurde, wo es ja auch möglich gewesen wäre, allein die Taten der römischen Feldherren und der Legionen zu betonen.248 Folgt man jenen Forschungsbeiträgen, in denen das Werk Pictors in die Jahre von ca. 215 bis 210 datiert wird, dann ergäbe sich für dieses die gleiche Konstellation, die bereits im Zusammenhang mit den Schriften des Naevius sowie den Münzprägungen des Hannibalkrieges diskutiert wurde: Das erste Werk der römischen Historiografie wäre dann ebenfalls eine Reaktion auf die Krise Roms nach den schweren Niederlagen der Vorjahre, die drohte zu einer Krise des Bundesgenossensystems zu werden, an dessen Erosion Hannibal beharrlich und nicht ohne Erfolg arbeitete.249 Dass Fabius Pictor in dieser Situation an Akte römischer fides gegenüber den Verbündeten, auf die Erfolge vergangener gemeinsamer Kämpfe hinwies, wie auch auf die Notwendigkeit, diese auch nun gemeinsam zu bestehen, ist an sich plausibel und scheint gut denkbar. Dass diese Darstellung zumindest auch auf die Beziehungen zwischen Römern und Bundesgenossen nach den Niederlagen der Jahre 218–216 abzielte, ist möglich, wenngleich eingestanden werden sollte, dass sich auch diese Annahme aus den, letzten Endes für diese Fragen recht spärlichen, Fragmenten heraus nicht sicher belegen lässt, sodass hier – wie auch hinsichtlich der

247Das war im Zusammenhang der Keltenkriege umstrittener als es den Anschein haben mag – immerhin marschieren ja die Kelten in die Po-Ebene ein. Dem keltischen Vorstoß, der kaum der langfristigen Okkupation von Territorium südlich der Po-Ebene, sondern eher dem Beutemachen, dienen sollte, war nämlich die Expansion Roms durch Anlage von Kolonien und Landverteilung auf dem sogenannten ager Gallicus vorangegangen (vgl. hierzu den Kommentar von Beck/Walter zur Stelle (Beck/Walter 22005, 130): „Wenngleich die Flaminius-feindliche Überlieferung dessen individuelle Schuld überzeichnete […], dürfte die Ansiedlung römischer Veteranen nahe des Keltenlandes durchaus als Bedrohung empfunden worden sein“.). Eine apologetische Tendenz der Darstellung römischer ‚Außenpolitik‘ bei Fabius Pictor wird hinsichtlich des jeweiligen Kriegsbeginns von 264 bzw. 219/18 deutlicher, wenn dort den Römern die Rolle der unschuldig in einen Krieg Hineingezogenen zugewiesen wird. Vgl. Pol. 1,14,1–3 (FRH 1 F 27 = FRHist 1 T 6) bzw. Pol. 3,8,1–8 (FRH 1 F 31 = FRHist 1 F 22, jeweils mit Kommentar). Als Hintergrund dieser Darstellung das Ansinnen zu vermuten, römische Politik gegenüber griechischen Gemeinwesen und Königreichen in der Magna Graecia und auch jenseits der Adria, wo diese offenbar zunehmend als aggressiv bewertet wurde, in einem günstigeren Licht erscheinen zu lassen, liegt nahe. Siehe hierzu Beck/Walter ²2005, 58 f. mit weiteren Hinweisen. 248Diese Deutung wird nach Gelzer 1933 auch dadurch nahegelegt, dass bei Polybios besonders in den ersten Büchern, also für die Teile seines Werkes, für die ihm Pictor noch als Vorlage dienen konnte, die Sorge Roms um seine Verbündeten geradezu leitmotivisch hervorgehoben werde. In der Tat bringen die Römer in Polybios’ Text diese Sorge wiederholt als Rechtfertigung für ihr militärisches Eingreifen vor: Pol. 1,10,2; 1,83,7; 3,77,6; 3,85,4; 3,90,4; 3,118,5. Siehe auch: Pol. 2,23,13; 2,24; 3,118,7. Zustimmend: Frier 1979/1999, 243 f. Vgl. auch die knappen Ausführungen von Hans Beck und Uwe Walter in ihrem Kommentar (Beck/Walter ²2005, 131). 249Siehe nur Frier 1979/1999, 206: „[T]hose modern scholars who see in it [Pictors Werk] a nationalistic reaction to challenge raised by the war are undoubtedly right“.

264

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Texte des Naevius – wieder einmal vieles im Unklaren bleiben muss.250 Noch unsicherer sind die Informationen, die sich aus den Resten, eher Trümmern, des Werkes des L. Cincius Alimentus in der Frage des Umgangs mit den römischen Niederlagen gewinnen lassen. Alimentus geriet offenbar im letzten Drittel des Krieges in karthagische Gefangenschaft und will in dieser Zeit auch selbst mit Hannibal gesprochen haben.251 Diese bei Livius überlieferte Angabe ist das einzige, noch dazu indirekt wiedergegebene, Fragment, das eindeutig dem zweiten römisch-karthagischen Krieg zugeordnet werden kann, welches sich von Cincius’ Werk erhalten hat. Offenbar konnte dieses tatsächlich nicht wesentlich „aus dem Schatten“ seines Vorgängers – Cincius wird mit der Abfassung vermutlich erst nach Kriegsende begonnen haben – heraustreten.252 Folglich lässt sich auch keine Aussage darüber formulieren, wie hier mit den Niederlagen Roms, ihren Gründen und Folgen umgegangen wurde.253 Q. Ennius war zum einen ein Zeitgenosse des Krieges, der bereits zu dessen Beginn alt genug war, um den gesamten Kriegsverlauf bewusst mitzuerleben, zum anderen lebte er danach noch lange genug, um Gelegenheit zu haben, seine Sicht der Dinge in einem umfangreichen Werk niederzulegen – in Ennius’ opus magnum, den Annales.254

250Insbesondere

ist ja bereits, wie gesehen, die Datierung des Werkes in die Jahre nach Cannae unsicher, was dann auch für alle Schlüsse gelten muss, die sich mit diesem Ansatz verbinden. Vgl. Bispham/Cornell 2013a, 167, die nachdrücklich auf das Problem der Datierung und damit verbunden der Deutungen, die sich aus dieser ableiten, verweisen: „We do not know how long he worked on the history, or when he stopped; equally we do not know when he started, or what inspired him to write“. Vgl. auch Frier 1979/1999, 246, der zugesteht, dass letzte Sicherheit nicht zu erreichen sei, auch wenn er seinen Datierungsvorschlag – Mitte des Hannibalkrieges – vehement vertritt. 251FRH 2 F 10 = FRHist 2 F 5 (=Liv. 21,38,3–5). 252Vgl. Kierdorf 2003, 15 f. 253Vgl. Vogt 1953, 191, der annimmt, dass Cincius Alimentus durch die Jahre seiner Kriegsgefangenschaft und etwaige Gespräche mit Hannibal in „Berührung mit karthagischem Denken“ geraten sei, was „sich auch in seinem Geschichtswerk“ ausgewirkt habe. Vogt muss allerdings gleichzeitig einräumen, dass diese Überlegung angesichts der dürftigen Überlieferungslage spekulativ bleiben muss. In gewisser Weise lässt sich allerdings die Karriere des Alimentus selbst als Folge der Niederlagen gegen die Heere Karthagos werten. Die Cincii scheinen nämlich weder vor dem Krieg noch danach im Senat eine nennenswerte Rolle gespielt zu haben. Der Aufstieg ihres bedeutendsten Vertreters ist anscheinend unter den, oben diskutierten, besonderen Bedingungen der Mittelphase des Krieges überhaupt erst ermöglicht worden. Vgl. Walter 2004a, 255. Allerdings weisen Bispham/Cornell 2013b, 179 daraufhin, dass seine offenkundige Beherrschung der griechischen Sprache ihn für seine Aufgaben auf Sizilien qualifizierte, wo er von 210 bis 208 ein propraetorisches Imperium innehatte. 254Da er um das Jahr 239 geboren zu sein scheint, erlebte er den zweiten römisch-karthagischen Krieg, während dessen Verlauf (um 204) er offenbar auch nach Rom gelangte, selbst mit. Die Nachweise finden sich wiederum bei F. Skutsch 1905, 2589 f. Nach Rom soll er, nach Nep. Cato 1,4 im Gefolge des M. Porcius Cato gelangt sein, als dieser aus Sardinien zurückkehrte, was die Frage aufwirft, aus welchem Grund Ennius auf der Insel war. Die Glaubwürdigkeit der bei Cornelius Nepos überlieferten Stelle wurde von Badian 1972, 155–158 abgelehnt, der es jedoch für möglich hält (162 f.), dass Ennius als Angehöriger eines Kontingentes römischer Verbündeter in Sardinien gedient haben könnte. Dies würde ihn zu einem Kriegsteilnehmer machen. Vgl. Sil. 12,393–402. Den antiken Zeugnissen nach ist er vermutlich im Jahr 169 in Rom gestorben. Vgl. F. Skutsch 1905, 2592; Skutsch 1985, 2. Das Todesjahr 169 ist jedoch nicht zweifelsfrei gesichert. Vgl. Badian 1972, 154. Zu den den Annales insgesamt siehe oben Abschn. 2.2.

5.2  Der Feind vor den Toren

265

Ennius verteilte den umfangreichen Stoff offenbar auf 18 Bücher, möglicherweise in Triaden aufgeteilt. In den Büchern 7 bis 9 wurden anscheinend die beiden Kriege Roms gegen Karthago sowie die Kriege in Norditalien (gegen die Gallier) und in Illyrien (etwa gegen Demetrios von Pharos) in diesen Jahrzehnten behandelt.255 Vermutlich wurde der erste Krieg, für den bereits das Bellum Punicum des Naevius vorlag, in den Annales knapper dargestellt als der zweite, den Ennius, wie gesehen, selbst miterlebte.256 Eine Reihe von Fragmenten des Werkes lässt sich indes direkt dem Hannibalkrieg zuordnen. Hieraus können wiederum vorsichtige Rückschlüsse auf Aspekte der Darstellung und Deutung von römischen Niederlagen gezogen werden. Skutsch hat in seinem Ennius-Kommentar eine Aussage Ciceros dahin gehend interpretiert, dass bei Ennius die Niederlagen Roms im Allgemeinen lediglich kursorisch behandelt wurden.257 Auch wenn dies generell zutreffen mag, scheint Ennius in Hinsicht auf die Schlacht von Cannae eine Ausnahme gemacht zu haben. Skutsch wollte Cannae eine Reihe von Fragmenten zuordnen, die im Folgenden besprochen werden sollen.258 Bei der ersten Stelle scheint zumindest die Zuordnung zu einer Niederlage Roms in der Tat plausibel: multa dies in bello conficit unus/Et rursus multae fort­ unae forte recumbunt:/Haudquaquam quemquam semper fortuna secuta est.259 Die Feststellung, dass im Krieg an einem Tag vieles geschehen könne, gefolgt von einer Warnung vor der Wechselhaftigkeit des Schicksals erinnert an die Darstellung der Auseinandersetzungen zwischen römischen Feldherren, etwa der Konsuln von 216, C. Terentius Varro und L. Aemilius Paullus, um die richtige Strategie, besonders um die Frage, ob eine Schlacht gegen Hannibal gewagt werden sollte, wie sie in späteren Quellen, besonders bei Polybios und Livius, zu finden ist.260 An eine Darstellung der Schlacht von Cannae zu denken, liegt daher nahe. Möglich wäre wohl auch eine Zuordnung zum Kampf an der Trebia oder zur Auseinandersetzung zwischen Q. Fabius Maximus und M. Minucius Rufus. Der Grundgedanke

255Siehe zur Aufteilung F. Skutsch 1905, 2604–2610; Skutsch 1972, 4.f; 1985, 5 f. und zuletzt die Übersicht bei Elliott 2013, 298–302. In der Forschung wird die folgende Aufteilung in der Regel akzeptiert, auch wenn endgültige Sicherheit auf Basis der bekannten Quellen nicht gewonnen werden kann: Königszeit (Bücher 1–3), frühe Republik bis zum Krieg gegen Pyrrhos (4–6), Punische Kriege und Zwischenzeit (7–9), 2. Makedonischer Krieg und weitere Feldzüge in Griechenland (10–12), Krieg gegen Antiochos III. und Feldzug des M. Fulvius Nobilior gegen die Aitoler (13–15). Der Inhalt der letzten Triade (16–18) ist unklar. Siehe Enn. ann. 229 und 230 (Einordnung in den Kontext der Gallierkriege der zwanziger Jahre mit der Schlacht von Telamon nicht unwahrscheinlich), ann. 231 (vermutlich dem Feldzug des L. Aemilius Paullus gegen Demetrios von Pharos zuzuordnen). 256Skutsch 1985, 8 („very brief summary“). 257Skutsch 1985, 384 und 431 mit dem Verweis auf Cic. Manil. 25 (sinite hoc loco, Quirites, sicut poetae solent qui res Romanas scribunt, praeterire me nostram calamitatem). 258Hierbei handelt es sich um die Fragmente iv–xiv aus Buch 8, also um Enn. ann. 258–288. 259Enn. Ann. 258–260. Die Zuordnung zum achten Buch und damit der Zeitspanne des Zweiten Punischen Krieges ist durch das Zeugnis des Macrobius (Macrob. 6,2,16) gesichert. 260Siehe unten Abschn. 5.2.5.1 (Livius). Eine Untersuchung der Darstellung und Deutung der römischen Niederlagen bei Polybios soll einem gesonderten Beitrag erfolgen.

266

5  Die römisch-karthagischen Kriege

der Aussage bliebe dabei stets der gleiche. Skutsch vermutet, dass das Fragment einer Rede des L. Aemilius Paullus an C. Terentius Varro entstammt, in der Paullus seinen Kollegen vor der Eröffnung der Schlacht warnte.261 Zudem lassen sich zwei weitere Belegstellen recht plausibel einem ähnlichen, vielleicht auch dem gleichen Zusammenhang zuordnen: praecox pugna est bzw. certare abnueo. metuo legioni­ bus labem.262 Skutsch und andere Forscher vermuteten zudem für eine Reihe von Fragmenten, die wohl der Schilderung von Schlachten entstammen, einen Zusammenhang zu Cannae. Diese Zuordnung ist jeweils möglich, wenn auch ein anderer Kontext ebenso denkbar scheint.263 In einem der Fragmente fällt die Erwähnung von Staub, der aufgewirbelt wird, auf (iamque fere puluis ad caeli vasta ­videtur).

261Skutsch

1985, 440. Dieser Einschätzung schließt sich u. a. Walter 2004a, 271 an. Vgl. ­Elliott 2013, 130 f.: „[T]he lines in Ennius are essentially pessimistic, speaking of the likelihood of disaster following on success“. 262Enn. ann. 261 und 262. Vgl. wiederum Skutsch 1985, 441 (zu ann. 261: „clearly the words of Aemilius Paullus trying to restrain his impetuous colleague“) und 442. Siehe ferner Walter 2004a, 271. 263Skutsch sieht diesen Zusammenhang u. a. für Enn. ann. 263, 264, 267, 287. Für möglich, wenngleich unsicherer, sieht Skutsch die Schlacht von Cannae als Kontext für die Verse 265 und 266 an (siehe den jeweiligen Kommentar zur Stelle bei Skutsch 1985). Es ist ebenfalls möglich, dass Cn. Servilius Geminus, der i. J. 217 als Konsul der Kollege des C. Flaminius war, bei Ennius eine größere Rolle spielte als etwa in den erhaltenen Darstellungen des Polybios und Livius. So zitiert Aulus Gellius eine Passage aus Ennius’ Text, in der, inter pugnas, ein gewisser Servilius einen Gefährten anspricht, dem zugesprochen wird, zahlreiche Tugenden und positive Charaktereigenschaften in seiner Person zu vereinigen (Enn. ann. 268–286 = Gell. 12,4,4). Diese Schilderung des idealen Gefährten hat bereits in der Antike Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Siehe hierzu die Überlegungen bei Skutsch 1985, 450 f. mit der älteren Literatur; vgl. bes. Elliott 2013, 229). In der Forschung wurde der Vorschlag vorgebracht, diese Passage mit der Darstellung der Schlacht von Cannae zu verbinden, in der der Tod des Servilius dort möglicherweise in einer Weise geschildert wurde, die der Abschiedsszene des L. Aemilius Paullus in der Darstellung des Livius, mitsamt des dort enthaltenen Gespräches zwischen Paullus und dem Militärtribunen Cn. Lentulus, geähnelt haben könnte (Gespräch zwischen L. Aemilius Paullus und Cn. Lentulus bei Livius: Liv. 22,49,6–11. Vgl. hierzu unten Abschn. 5.2.5.1). Da es allerdings überraschen würde, wenn der Tod des L. Aemilius Paullus in den Annales keine größere Aufmerksamkeit erfahren hätte, und zwei Reden, in denen jeweils die Voraussicht des nahenden eigenen Todes dieses Motiv wohl überstrapaziert hätten, wie Skutsch berechtigterweise anmerkt, ist ein anderer Kontext der Rede des Servilius wahrscheinlicher. Die Schlacht von Cannae könnte hier eine Rolle gespielt haben, doch muss dies letztlich gänzlich offen bleiben. Grundsätzlich ist es schließlich gar nicht sicher, dass überhaupt der Konsul des Jahres 217 gemeint ist, da der Text auch andere Möglichkeiten offenlässt. Vgl. Badian 1972, 175, der eine Zuordnung zu Cannae ausschließt und stattdessen annimmt (180), dass P. Servilius Geminus, der Konsul der Jahre 252 und 248, gemeint sei. Diese Zuordnung kann für sich in Anspruch nehmen, dass hierfür keine Korrektur der Angabe zur Buchnummer bei Gellius notwendig wäre, der eindeutig vom siebten Buch der Annalen spricht, in dem vermutlich der Erste Punische Krieg behandelt wurde (Gell. 12,4,1: Ennio in annali septimo). Skutsch 1985, 448 hält einen Fehler des Gellius für möglich und versetzt das Fragment daher ins achte Buch, was jedoch nicht nur auf Zustimmung gestoßen ist. Vgl. u. a. Elliott 2013, 231, die keinen Anlass sieht, an der Buchangabe des Gellius zu zweifeln.

5.2  Der Feind vor den Toren

267

Da zumindest in späteren Darstellungen der Schlacht von Cannae betont wird, dass die Soldaten der römischen Seite durch Staub, den der Wind ihnen ins Gesicht getrieben hätte, im Kampf erheblich behindert worden seien, mag dieses Fragment in Ennius’ Beschreibung der Schlacht gehört haben.264 Ist die Zuordnung dieser Stelle zu Cannae zutreffend, könnte man hierin einen relativ frühen Versuch sehen, die Niederlage zumindest zum Teil durch die widrigen Umstände auf dem Schlachtfeld zu erklären.265 Dies muss indes ebenso unklar bleiben, wie die Deutung eines bei Macrobius überlieferten EnniusVerses des achten Buches, der mit dem nächtlichen Ausbruch der im Heerlager eingeschlossenen Römer durch die Reihen der siegreichen Karthager, die nach der Schlacht von Cannae nur unaufmerksam Wache gehalten hätten, in Verbindung gebracht wurden (Ennius in octavo ‚nunc hostes vino domiti somnoque sepulti‘).266 In der Version des Livius entrinnen diese Soldaten der drohenden Gefangennahme durch Hannibals Soldaten.267 Daraufhin weist der alte Konsular T. Manlius Torquatus wiederum diejenigen Römer auf diese Aktion hin, die als Gefangene des karthagischen Feldherrn beim Senat um ihren Freikauf ersuchten. Manlius will bei Livius auf diese Weise demonstrieren, dass die Gefangenen sich ihr Los selbst zuzuschreiben hätten. Denn schließlich sei es möglich gewesen, der Gefangennahme durch tatkräftiges Handeln zu entgehen. Die Rede des Torquatus hat zur Folge, dass der Senat den Freikauf der Gefangenen ablehnt. Sie müssen daher zu Hannibal zurückkehren.268 Ob dieses Motiv bereits bei Ennius im hier skizzierten Sinn zu finden war, muss auf Basis der bekannten Zeugnisse unklar bleiben. In jedem Fall wurde die Episode in der späteren Überlieferung breit ausgeschmückt, sodass gut denkbar ist, dass sie in irgendeiner Form auch bereits bei Ennius auftauchte.

264Enn. ann. 264 (iamque fere pulvis ad caeli vasta videtur). Vgl. Skutsch 1985, 443: „The dust of the battlefield was an important factor at Cannae […], and the line may therefore have its place here“. 265Wie noch zu zeigen sein wird, wurde dieser Aspekt in späteren Darstellungen jedenfalls wiederholt aufgegriffen und auch durchaus in breiterem Umfang ausgestaltet, was zugegebenermaßen noch keinen Beweis dafür darstellt, dass dies bereits bei Ennius der Fall war. Siehe nur Liv. 22,46,9 (ventus – Volturnum regionis incolae vocant – adversus Romanis coortus multo pul­ vere in ipsa ora volvendo prospectum ademit) und noch starker betont bei App. Hann. 22,99–100. 266Enn. 267Die

ann. 288 (=Macrob. 6,1,20).

Episode bei Livius: Liv. 22,50,4–12. Skutsch 1985, 464 vermutet, dass der Vers des Ennius aus einer Rede des Militärtribunen P. Sempronius Tuditanus stammt, die derjenigen ähnelte, die dieser bei Livius hält. Die entsprechende Passage ist bei Livius allerdings als Wiedergabe einer Botschaft der Römer im größeren Heerlager an die Soldaten um Sempronius Tuditanus im kleineren erhalten. Skutsch 1985, 464 nimmt daher an, dass Ennius hier eine Änderung vorgenommen hatte („The words which Livy gives to the messenger would in the Annals naturally belong to Sempronius“). 268Liv. 22,60,6–27 (Rede des Manlius Torquatus); 22,61,1–10 (verschiedene Versionen über die Rückkehr der Gefangenen zu Hannibal). Siehe hierzu unten Abschn. 5.2.5.1.

268

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Zumindest indirekt lassen sich zudem drei der meist zitierten Verse des Ennius den römischen Niederlagen des Hannibalkrieges zuordnen – der bekannte Lobpreis auf den „Cunctator“ Q. Fabius Maximus: Unus homo nobis cunctando resti­ tuit rem./Noenum rumores ponebat ante salutem./Ergo postque magisque viri nunc gloria claret.269 Die Strategie des Q. Fabius Maximus, besonders während seiner Diktatur nach der Niederlage am Trasimenischen See (217), scheint in Rom und unter den Verbündeten sehr umstritten gewesen zu sein.270 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine Analyse der „temporale[n] und gedankliche[n] Struktur der drei Verse“.271 So beziehen sich die ersten beiden Verse eindeutig auf die Vergangenheit des Hannibalkrieges: Durch seine Strategie hat Q. Fabius Maximus die res publica gerettet. Hierdurch wird eine Beurteilung seitens Ennius unmissverständlich deutlich gemacht. Fabius stellte während des Krieges die, offenbar entgegengesetzte, öffentliche Meinung nicht über die Rettung des Gemeinwesens, und deswegen strahle nun sein Ruhm umso mehr. Die Verse des Ennius spiegeln also sowohl die Uneinigkeit über die strategische Ausrichtung während des Krieges wider als auch den Wandel in der Beurteilung der Person des Fabius, der seitdem stattgefunden habe.272 Ohne den weiteren Abschnitten vorzugreifen, lässt bereits ein Blick auf die Belege für Zitate und indirekte Anspielungen auf die Unus-homo-Verse, die u. a. in den Ennius-Editionen von Johannes Vahlen und Otto Skutsch gesammelt sind, vermuten, wie sehr Ennius’ Dichtung (nicht nur) in diesem Fall auf das römische Geschichtsbild eingewirkt hat.273 Die Annales wurden offenbar im Schulunterricht gelesen und Passagen aus ihnen wurden in öffentlichen Lesungen zum Vortrag gebracht.274 Man kann sich gut vorstellen, dass die Verse auf Fabius Maximus, die sicher leicht im Gedächtnis zu behalten waren und durch die Prominenz des Gegenstandes vermutlich herausstanden, auf diese Weise Verbreitung fanden. Ob bereits hierdurch „das Geschichtsbild der Römer“ in Hinsicht auf Fabius Maximus und die cunctatio-Strategie „ein für alle Mal“ formuliert und kanonisch entschieden wurde, kann auf Basis der Quellen, die besonders für das zweite und frühe erste Jahrhundert eher spärlich sind, nicht eindeutig entschieden werden. Einen erheblichen Einfluss des Ennius auf das Bild des Fabius und der mit ihm verbundenen Auseinandersetzungen um die richtige Strategie, die

269Enn.

ann. 363–366. So auch u. a. Erdkamp 1992, 141; Seibert 1993a, 168; Christ 2003, 84; Speidel 2004, 50; Beck 2005a, 288. Vgl. ferner Gruen 1978, 65 f. 271Walter 2004a, 271 (Zitat). Das Folgende nach Walter 2004a, 271 f. 272Nach Walter 2004a, 271 f. markierten sie damit den „früheste[n] greifbare[n] Beleg in der römischen Literatur für einen ausdrücklichen Wandel der geschichtlichen Beurteilung einer Person in einer nur wenig späteren Zeit“. 273Vahlen 1928, 66; Skutsch 1985, 529 f. Vgl. Elliott 2013, 41 f.: „These two fragments are already at a peak of popularity in antiquity, as the rate of quotation shows, …“. 274Siehe Suet. gramm. 2,3–4 (öffentliche Lesungen des Werkes gegen Ende des 2. Jahrhunderts). Für die Verwendung von Ennius’ Annales als Schullektüre und im Rhetorikunterricht siehe die Belege bei Skutsch 1985, 8–10. Siehe zudem Walter 2004a, 278 und vgl. oben Abschn. 2.2. 270Vgl.

5.2  Der Feind vor den Toren

269

wiederum eng mit den Niederlagen des Krieges verbunden sind, darf man jedoch wohl annehmen.275 Die militärische und politische Karriere des M. Porcius Cato war dicht mit dem zweiten römisch-karthagischen Krieg verbunden. Der im Jahr 234 Geborene nahm offenbar als junger Mann („starting in 216 BC“) an diesem Krieg teil, diente von 214 bis 210 als Militärtribun auf Sizilien (unter dem Kommando des M. Claudius Marcellus, so dass es wahrscheinlich ist, dass er die Belagerung und Eroberung von Syrakus erlebte) und soll 209 unter dem Kommando des Q. Fabius Maximus an der Eroberung Tarents teilgenommen haben. 204 war Cato unter P. Cornelius Scipio Quaestor in Sizilien und Afrika und kehrte von dort 203 oder 202 nach Rom zurück.276 Angesichts der zur Karriere Catos überlieferten Daten würde es bereits naheliegen, anzunehmen, dass der Hannibalkrieg in den Origines in umfangreicher Weise behandelt wurde, doch liegen hierfür auch explizite, wenn auch wenige Zeugnisse vor.277 An erster Stelle sind in diesem Zusammenhang zwei bei Gellius wörtlich überlieferte Fragmente zu nennen, in denen, offenbar im Anschluss an die Schlacht von Cannae, geschildert wird, wie ein karthagischer Reiterführer Hannibal zu überzeugen versucht, auf Rom zu marschieren, um die feindliche Hauptstadt im Handstreich einzunehmen:278

275Walter 2004a, 272 (Zitat). Zur antiken Rezeption dieser Ennius-Verse siehe Stanton 1971; Elliott 2009 (bes. bei Sallust und Livius). Zur Nachwirkung des Ennius in der Antike insgesamt siehe die kurze Übersicht bei F. Skutsch 1905, 2614–2619; Skutsch 1985, 8–46. 276Siehe zur Karriere Catos u. a. Beck/Walter ²2005, 148 f.; Suerbaum 2002b, 381–383; Cornell 2013, 192 f. (Zitat) jeweils mit Nachweisen zu den einzelnen Stationen und Hinweisen auf umfangreichere Werke zu Cato. Während der Militärdienst auf Sizilien als recht sicher überliefert gilt, ist die Teilnahme Catos an der Einnahme Tarents im Jahre 209 unter dem Kommando des Q. Fabius Maximus,wie sie Cicero (Cic. Cato 10) berichtet, umstritten. So erscheint es auch denkbar, dass Cato und Fabius, die aus der Perspektive der späten Republik beide für die idealisierte Zeit der ‚klassischen‘ Republik standen, und nicht nur in Ciceros Schriften in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle spielen, näher aneinander gerückt werden. Vgl. Kienast 1954, 11 f. Nach Ende des Hannibalkrieges gelang es Cato, seine Karriere rasch weiter fortzusetzen, was sich in der baldigen Bekleidung von Praetur (198, Sardinien), Konsulat (195) und folgendem Prokonsulat (194, jeweils Spanien), dem ein Triumph folgte, niederschlug. 191 nahm er als Militärtribun zudem am Krieg gegen Antiochos III. und dessen Verbündete in Griechenland teil. Im Jahr 184 erreichte Cato die Zensur, also das Amt, mit dem sein Name in der Nachwelt eng verbunden blieb. Cato war der Sohn eines Ritters, der die sich im Hannibalkrieg bietenden Gelegenheiten zu nutzen wusste, um sich bei einflussreichen Senatoren zu empfehlen, die seine Karriere offenbar beförderten. Siehe hierzu Kienast 1954, 36–40. Vgl. Beck/Walter ²2005, 148. 277Vgl. die Übersicht zu Catos Aufteilung des Stoffes bei Nep. Cato 3,3–4, nach der Cato den Zweiten Punischen Krieg im fünften Buch behandelte. 278FRH 3 F 4,13 = FRHist 5 F 78 (=Gell. 10,24,7; Macrob. 1,4,26); FRH 3 F 4,14 = FRHist 5 F 79 (=Gell. 2,19,9).

270

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Igitur dictatorem Carthaginiensium magister equitum monuit: ‚mitte mecum Romam equitatum: diequinti in Capitolio tibi cena cocta erit‘.

und Deinde dictator iubet postridie magistratum equitum arcessi: ‚mittam te, si vis, cum equitibus‘. ‚sero est‘, inquit magister equitum, ‚iam rescivere‘.

Auch aufgrund des jeweiligen Hinweises des Gellius auf das vierte Buch von Catos Werk liegt es nahe, die beiden Fragmente inhaltlich zusammenzuziehen. Der Dialog Hannibals mit seinem Reiterführer ist aus der Darstellung bei Livius gut bekannt und lässt sich zudem in einer Reihe von weiteren Quellen wiederfinden.279 Diese beiden Cato-Fragmente bilden jedoch das früheste Zeugnis hierfür, auch wenn es nicht ausgeschlossen ist, dass bereits frühere Autoren den Dialog in zumindest ähnlicher Form in ihre jeweilige Darstellung hatten einfließen lassen.280 Die knappen Zeilen geben bereits eine Reihe von Hinweisen zur Darstellung und Deutung der Niederlage von Cannae in den Origines, die womöglich auch bereits bald über Catos Werk hinauswirkte. So hat es zumindest den Anschein als sei Hannibal bei Cato die Möglichkeit beigemessen geworden, Rom erobern zu können, was impliziert, dass die Niederlage in keiner Weise marginalisiert wurde. Dass ein Marsch der karthagischen Armee auf Rom in der historischen Realität auch nach dem Sieg bei Cannae kaum Aussichten auf Erfolg gehabt hätte und dass Hannibal einen solchen Zug wohl auch überhaupt nicht geplant hatte, spielte hierbei keine Rolle.281 Das Kapitol hatte, wie gesehen, bereits im Zusammenhang mit der 279Liv.

22,51,1–2. Siehe etwa Val. Max. 9,5 ext. 3; Flor. Epit. 1,22,19–20; Amm. Marc. 18,5,6. Bei Livius heißt Hannibals Gesprächspartner Maharbal, bei anderen Autoren sind andere Namen genannt. Plut. Fab. 17,1 erwähnt einen gewissen Barca als Hannibals Reiterführer. Sil. 10,375–376 nennt Mago in dieser Position. Pol. 3,116,6–8 lässt die Reiterei von Offizieren namens Hasdrubal und Hanno befehligen. 280Vogt 1953, 169 vermutet, dass die Episode zuerst bei Cato zu finden war. Wie auch in anderen Fällen kann hier keine sichere Entscheidung getroffen werden. Vgl. FRHist 5 F 78–9 mit Kommentar. 281Die Frage, ob Hannibal nach Cannae durch seine Entscheidung, nicht auf Rom zu marschieren einen möglichen strategischen Vorteil, wenn nicht die Entscheidung des Krieges, aus der Hand gab, ist eines der meistdiskutierten Einzelprobleme der Forschung zum Zweiten Punischen Krieg. Mehrheitlich wird die Frage verneint und darauf hingewiesen, dass ein direkter Angriff auf Rom vermutlich auch nicht Bestandteil von Hannibals Strategie war. Siehe in diesem Sinne u. a. (mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung in der Argumentation): Hallward 1930, 47; Lazenby 1978/1998, 85 f.; 1996b; Shean 1996, bes. 162–167; 184 f.; Heftner 1997, 242 mit Anm. 45; Zlattner 1997, 26–28; Erdkamp 1998, 177 f.; Lancel 1998, 183; Goldsworthy 2001, 168; Barceló 2004, 147 f.; Linke 2006, 67; Zimmermann 2008; Schulz 2012, 212. Hingegen wird Hannibals Entscheidung in einigen anderen Beiträgen als Fehler beurteilt, der die Karthager womöglich um den Sieg im Krieg gebracht hat. So u. a. Seibert 1993a, 198–201. Hoyos 2000 erwägt, dass der Dialog zwischen Reiterführer und Hannibal in Catos Darstellung nicht im Anschluss an die Schlacht von Cannae, sondern nach derjenigen am Trasimenischen See auftauchte. Diesen Schluss zieht er u. a. daraus, dass von Etrurien aus Rom durchaus innerhalb von fünf Tagen zu erreichen gewesen wäre, und erwägt zudem, dass Cato den Ort der Schlacht überhaupt nicht namentlich genannt hatte (gewissermaßen in Parallele zu der – angeblichen – Auslassung von Namen in den gesamten Origines). Die Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Vgl. hierzu auch den Kommentar T. Cornells zur Stelle in FRHist.

5.2  Der Feind vor den Toren

271

Erinnerung an die ‚Gallische Katastrophe‘ eine wichtige Position eingenommen.282 Das Motiv der Bedrohung des römischen Zentrums durch das für Römer gewiss unheimliche Bild des auf dem Kapitol speisenden Hannibal war also sicher dazu geeignet, Anklänge an die Belagerung des Herzens der Stadt durch die Gallier zu wecken – was das Ausmaß verdeutlicht, in dem die Bedrohung durch Hannibal noch in der Rückschau wahrgenommen wurde.283 Ohne den weiteren Kapiteln vorweggreifen zu wollen, lässt sich bereits sagen, dass auch im Falle Hannibals, wie schon bei den Galliern, die aus römischer Sicht unheilvolle Kombination mit dem Kapitol als Sinnbild der Bedrohung Roms immer wieder aufgegriffen wurde.284 Das Bild, das Cato vielleicht als erster kreierte, war also offenbar einprägsam. Zugleich verraten die Zeilen einen Zugang zur eigenen Geschichte, der von kontrafaktischen Überlegungen geprägt ist: Was wäre geschehen, wenn Hannibal nicht gezögert hätte? Das ist auch insofern interessant, als dass dadurch zumindest potenziell auch das teleologische Geschichtsbild, das Rom als zur Weltherrschaft vorbestimmtes Zentrum der Welt sah und das in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts erstmals in Rom formuliert worden zu sein scheint, infrage gestellt werden konnte.285 In diesem Rahmen weist das Fragment auch auf die besondere Stellung hin, die Hannibal unter Roms Feinden in der römischen Geschichtskultur einnahm. Jenseits der Origines haben sich noch weitere Fragmente erhalten, in denen Cato auf die Rückschläge und die Krise des Hannibalkrieges Bezug nahm, so etwa in überlieferten Redefragmenten.286 Bekanntlich habe Cato seit den späten fünfziger Jahren des zweiten Jahrhunderts in Reden im Senat – angeblich gleichgültig um welchen Inhalt es eigentlich ging – die Zerstörung Karthagos

282Vgl.

oben Abschn. 3.1. Beck 2006, 217 f. Die Verbindung zwischen beiden Niederlagen konnte noch dadurch verstärkt gesehen werden, dass Hannibals Heer, wie bereits mehrfach erwähnt, zu einem großen Teil aus keltischen Einheiten bestand. 283Vgl.

284Siehe

etwa unten die Abschnitte zu Coelius Antipater, Cicero und Livius. Vgl. vorerst Schmitt 1991, 180, Anm. 121, der anmerkt, dass es in der späten Republik zu „den allgemeinen Überzeugungen“ gehört habe, dass Hannibal Rom angreifen und einnehmen wollte. 285Vgl. – in Bezug auf den Dialog zwischen Hannibal und karthagischem Reiterführer bei Cato – Beck 2006, 218 („Daß Hannibal in der römischen Überlieferung die Möglichkeit zugeschrieben wurde, diesen Ort, der wie kein anderer für die Existenz der freien Republik stand [das Kapitol, Anm. Simon Lentzsch], in die Hände zu bekommen, verdeutlicht noch einmal, daß mit Cannae nicht einfach nur ein diffus-irrationaler Gefühlszustand von Angst kommuniziert wurde, sondern daß es um eine tatsächliche Bedrohung für den Fortbestand der res publica ging. Der Erinnerungsort Cannae wurde damit auf alle Zeiten zum Denkmal dafür, daß die römische Erfolgsstory wenigstens einmal, im Jahr 216, auf des Messers Schneide stand.“). 286Cato hielt im Laufe seiner langen politischen Laufbahn zahlreiche Reden, von denen Cicero noch mehr als 150 kannte (Cic. Brut. 65–67).

272

5  Die römisch-karthagischen Kriege

gefordert.287 Seine Agitation hin auf einen dritten Krieg soll er mit dem Hinweis auf die Bedrohung durch die wirtschaftlich nun wieder prosperierende Stadt in Nordafrika, nur wenige Tagesreisen von Rom entfernt, begründet haben, die die Zahlungen, die am Ende des Zweiten Punischen Krieges vertraglich festgelegt worden waren, inzwischen abgeleistet hatte.288 Es liegt schon vor diesem Hintergrund nahe zu vermuten, dass Cato in diesem Zusammenhang in einigen Reden wenigstens hin und wieder auch Rückblicke auf den Hannibalkrieg einstreute, um durch die Erinnerung an dessen Schrecken vor einem aufstrebenden Karthago zu warnen.289 Auf einen anderen Kontext weist wohl ein Fragment hin, in dem Aulus Gellius einen Satz Catos aus dessen Rede De Achaeis zitiert. Auch wenn der genaue Kontext unklar bleiben muss, ist die Anspielung auf den Krieg gegen Hannibals Armee in Italien und die Rückschläge, die Römer und Italiker hierdurch erleiden mussten, deutlich: M. Catonis verba sunt ex oratione, quam de Achaeis scripsit: „cumque Hannibal terram Italiam laceraret atque vexaret“.290 In der Rede, aus der Gellius hier zitiert, ging es wohl um die Frage, ob denjenigen Achaiern, die sich seit über 15 Jahren als Geiseln in Italien aufhielten – unter ihnen Polybios – die Rückkehr in ihre Heimat gestattet werden sollte, wofür sich Cato aussprach.291 Janzer vermutete, dass das Fragment innerhalb der Rede in einen inhaltlichen Zusammenhang gehörte, in dem Cato hervorhob, dass sich die Führer des Achaischen Bundes gegen Philipp V. von Makedonien gestellt hätten, als dieser im Jahr 215, seinem nach Cannae mit Hannibal geschlossenem Bündnis ­folgend, die Römer in Illyrien attackierte.292 Sicherheit lässt sich in dieser Frage freilich nicht gewinnen. Die Stelle beinhaltet das früheste erhaltene Fragment lateinischer Reden, in dem Hannibal explizit erwähnt wird; wie gesagt in einem letztlich unklaren Kontext.293

287Der früheste Beleg hierfür findet sich bei Cic. Cato 18. Von der Wiederholung der Forderung einer Zerstörung Karthagos berichtet Plut. Cato Maior 54,1. Die bekannte Wendung Censeo Carthaginem esse delendam wurde offenbar erst später geformt, das heute sprichwörtliche Cete­ rum censeo Carthaginem esse delendam erst durch neuzeitliche Bearbeitung. Siehe hierzu (mit weiteren Belegen) Little 1934; Thürlemann 1974; Burian 1978, 172. 288Insgesamt hatte Karthago 10.000 Talente Silber, zahlbar in 50  Jahresraten von jeweils 200 Talenten, an Rom zu liefern (Pol. 15,18,7–8; Liv. 30,37,5). Diese Zeitspanne war im Jahr 152 abgelaufen. Vgl. Kay 2014, 39 f. 289So bereits Janzer 1936, 82, der das Fragment aus der Rede De Achaeis (siehe die folgende Anmerkung) als Zeugnis dafür heranziehen möchte, „welche Gefühle Cato mit der Erinnerung an den hannibalischen Krieg“ verbunden habe. 290ORF 187 = 142 Cugusi (=Gell. 2,6,7). Vgl. ferner Kienast 1954, 164. Siehe den Kommentar zur Stelle von M. Cugusi (Cugusi 1982, 364) und bereits zuvor von Janzer 1936, 82. 291Plut. Cato Maior 9,1–3. Womöglich geht der Bericht, den Plutarch in der Vita Catos zu diesem Vorgang gibt, auf Polybios selbst zurück. Vgl. hierzu Kienast 1954, 113 f. 292Janzer 1936, 80. Siehe Pol. 7,13,1–2. 293Reden, die etwa Livius für frühere Redner überliefert, sind von dieser Feststellung ausgenommen, da es jeweils unklar bleiben muss, inwiefern es sich hierbei um spätere Kompositionen handelt.

5.2  Der Feind vor den Toren

273

Ähnlich wie es in zeitlich späteren Quellen wiederholt zu finden ist, steht der Name Hannibals in der Rede Catos stellvertretend für die Schrecken und die Verluste, die der Krieg insgesamt über Italien gebracht hatte. Es ist ferner gewiss kein Zufall, dass Cato von der italischen Erde und nicht allein vom römischen Gebiet spricht. Der Gedanke, dass die Abwehr von Hannibals Armee als gesamtitalische Aufgabe anzusehen sei, wurde, wie oben gesehen, vielleicht bereits bei Q. Fabius Pictor betont und wurde in späteren Darstellungen an verschiedener Stelle hervorgehoben.294 Weitere Zeugnisse, die sich direkt mit Niederlagen Roms in Verbindung bringen lassen, haben sich aus Catos Werk nicht erhalten, auch wenn antike Gewährsmänner über Grundzüge der Darstellung berichten, die auch für die Abschnitte zu römischen Niederlagen gegolten haben werden.295

5.2.2  Der Krieg des Senats – das zweite und das frühe erste Jahrhundert Mit Cato endet die Reihe der römischen Autoren, die den zweiten römischkarthagischen Krieg – und damit direkt bzw. indirekt auch dessen Niederlagen – noch selbst erlebt hatten und von denen wenigstens Textfragmente erhalten sind.

294Zudem

passt die gesamtitalische Perspektive zur Konzeption der Origines, in denen sich Cato ja offenbar bemühte, die italischen Völker in seine Darstellung einzubinden. Siehe hierzu Cornell 2013, 205–217, bes. 208–213 und vgl. Kierdorf 2003, 24. 295Dass Cato in den Origines gänzlich auf die Nennung der Namen von Feldherren verzichtet hat, scheint dabei sehr unwahrscheinlich, auch wenn Angaben bei Nep. Cato 3,4 sowie Plin. nat. 8,11 (=FRH 3 F 4,11 = FRHist 5 F 115) in der Forschung oftmals in diesem Sinne gedeutet wurden und werden (siehe etwa: Kienast 1954, 109 f.; Kierdorf 2003, 23 f.). Wenn es tatsächlich Catos Absicht war, den in seinen Augen schädlichen, da übersteigerten, Ehrgeiz einzelner Adliger demonstrativ ins Abseits zu stellen und stattdessen zu betonen, dass das Wohlergehen der res publica und ihr Erfolg nicht auf die Taten Einzelner zurückzuführen seien, sondern auf die Anstrengungen vieler Menschen, die in einem langen Zeitraum wirkten, dann wäre dies noch kein Anlass gewesen, auf die Nennung von Namen aus der römischen Frühzeit zu verzichten. Tatsächlich legt die Formulierung des Nepos nahe, dass sich seine Anmerkung lediglich auf diejenigen Bücher bezieht, in denen die Kriege Roms seit dem Ersten Punischen Krieg beschrieben worden waren (atque horum bellorum duces non nominavit, sed sine nominibus res notavit). Auch im Kontext von Reden wird vermutlich wenigstens der Name des Redners genannt worden sein. Es scheint zudem auch kaum denkbar, dass Cato in der Darstellung des Hannibalkrieges gänzlich ohne die Nennung von Namen auskam, da die Erzählung hierdurch im Grunde gänzlich unverständlich geworden wäre (siehe in diesem Sinne bereits, mit weiteren Nachweisen, Beck/Walter ²2005, 153 („Dass Hannibal niemals namentlich genannt wurde, erscheint ebenfalls ausgeschlossen.“); Walter 2004a, 290 f.). Es ist wahrscheinlicher, dass Cato die Namen nur selten, vielleicht beim ersten Auftreten nannte, während er in der Schilderung weiterer Ereignisse lediglich den jeweiligen Titel aufführte – wie den dictator Carthaginiensium und den magister equitum im oben zitieren Fragment (FRH 3 F 4,13 = FRHist 5 F 78). So jedenfalls plausibel argumentierend zuletzt Cornell 2013, 215. Die entsprechende Notiz des Cornelius Nepos könnte durchaus auf eine rasche, eher oberflächliche Lektüre zurückzuführen sein, die ihm in der Forschung auch anhand anderer Indizien zugeschrieben wurde (so etwa von Chassignet 1986, XIII; Flach ³1998, 69).

274

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Sämtliche Autoren späterer Quellen, die uns erhalten geblieben sind, hatten den Krieg nicht mehr selbst erlebt, sondern kannten ihn lediglich aus den bis dahin verfassten und veröffentlichten Werken sowie, vermutlich in deutlich größerem Umfang, aus den Erzählungen der Generationen ihrer Eltern und Großeltern. Damit begann nun also gewissermaßen auch ein neuer Abschnitt in der Wahrnehmung, Deutung und weiteren Tradierung der Ereignisse des Hannibalkrieges. Zwar lebten offenbar noch einige Zeitzeugen der Ereignisse, wie etwa C. Laelius, einer der Weggefährten des P. Cornelius Scipio Africanus Maior, von dem noch Polybios Informationen über einzelne Ereignisse des Krieges erfahren haben will, doch ändert dies nichts daran, dass zur Mitte des 2. Jahrhunderts eine zunehmende Anzahl von Menschen auf andere Medien der Vermittlung angewiesen war, wenn diese Informationen über den Zweiten Punischen Krieg erlangen wollten. In der Assmannschen Diktion verläuft in jenen Jahren in Hinsicht auf diesen Krieg also in gewisser Weise die Grenze zwischen den Sphären des kommunikativen und des kulturellen Gedächtnisses.296 Freilich ist die Unterscheidung zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis oftmals nicht trennscharf durchzuführen, was auch für diese Zeit zutrifft. Zeitzeugen wie Laelius oder auch der numidische König Massinissa lebten ja noch, während Q. Ennius oder Polybios hochelaborierte Bearbeitungen des ‚Stoffs‘ schufen, den der Zweite Punische Krieg für sie darstellte. Die Historien des Polybios sind für moderne Historiker eine der wichtigsten Quellen für die Rekonstruktion der Geschichte des römischen Aufstiegs zur Herrschaft über den Mittelmeerraum. Die Gestalt des M. Porcius Cato hat das kulturelle Gedächtnis der späten römischen Republik um eine markante Figur mit hoher Symbolkraft bereichert, und die Schriften Catos nehmen eine wichtige Position in der Geschichte der lateinischen Literatur ein, obwohl der formale Ansatz, den er in den Origines verfolgte, nicht wieder aufgegriffen wurde.297 Die Werke anderer römischer Autoren, die in etwa zur gleichen Zeit in Rom an Geschichtswerken arbeiteten, mögen geringeren Einfluss auf das Geschichtsbewusstsein von Zeitgenossen und späteren Generationen gehabt haben.298 In Hinsicht auf Repräsentation und

296Vgl.

oben Abschn. 2.1. scheinen die Origines allerdings sehr wohl für Werke einiger Nachfolger von nicht geringem Einfluss gewesen zu sein (vgl. zu dieser Ansicht Forsythe 2000, 5). 298Das Werk des A. Postumius Albinus bezeichnet von Albrecht 1994, 303 als ein „lehrreiches Beispiel für den Untergang von Literatur durch einseitige Traditionsbildung“. Gemeint sind Polybios und Cato, die sich beide abfällig sowohl über den Politiker als auch über den Historiker A. Postumius Albinus äußerten (siehe Gell. 11,8; Pol. 33,1,3–5; 39,1). Walter 2004a, 297 resümiert: „Über sein [Postumius Albinus, Anm. Lentzsch] Werk können wir nicht mehr sagen, als daß es wohl nicht den Orientierungsbedürfnissen weiterer oder auch intellektuell tonangebender Kreise entsprach und von ihm offensichtlich keinerlei Impulse ausgingen.“ Beck/Walter ²2005, 233 sind der Ansicht, dass auch das „Werk des Acilius […] nur begrenzt rezipiert“ worden sei. Einen geringen Wirkungskreis muss man wohl auch für L. Cassius Hemina attestieren, für den erst bei Plinius dem Älteren ein Zitat bezeugt ist. Vgl. hierzu C. Cichorius, RE III.2, 1899, s. v. L. Cassius Hemina, 1723–1725, bes. 1725: Hemina sei „für die Entwicklung der Tradition über die ältere römische Geschichte, wie sie sich in der Zeit von den Gracchen bis auf Cicero immer mehr und mehr erweitert hat, ohne jeden Einfluss geblieben“; Scholz 1989, 181; Forsythe 1990, 326; Beck/ Walter ²2005, 245; Walter 2004a, 305. 297Inhaltlich

5.2  Der Feind vor den Toren

275

Deutung der Niederlagen des Hannibalkrieges in der römischen Geschichtskultur ihrer Zeit erlauben die Fragmente, die sich von den betreffenden Werken erhalten haben, gleichwohl interessante Einblicke. Die Chronologie der Autoren ist dabei im Detail oft unklar, da sowohl zu ihren Biografien als auch zu Umständen und Zeit der Publikation ihrer Werke jeweils keine gesicherten Daten bekannt sind.299 Dies gilt auch für das Werk des C. Acilius,300 das indes vermutlich das früheste Zeugnis für die Episode um die Verhandlung über das weitere Schicksal derjenigen römischen Soldaten, die bei Cannae in Gefangenschaft geraten waren, darstellt – eine in späteren Quellen sehr verbreitete Episode. Diese Verhandlung endete damit, dass der römische Senat das Gesuch der Gefangenen ablehnte. Ihnen stand ein Schicksal als Sklaven bevor301 Von der Version des Acilius gibt Cicero in De Officiis Auskunft.302

299Das Jahr der Veröffentlichung des Werkes des L. Postumius Albinus ist unbekannt, doch müssen zumindest Auszüge hieraus noch zu Lebzeiten Catos, der i. J. 149 starb, publiziert worden sein, da dieser den Albinus sonst kaum dafür hätte verspotten können, dass dieser sich für sein vermeintlich schlechtes Griechisch entschuldigte (Gell. 11,8). In Hinsicht auf das Werk des C. Acilius ermöglicht Liv. per. 53 zwar eine Datierung auf die Zeit um das Jahr 141, doch ist diese nicht unumstritten. Vgl. u. a. Forsythe 2000, 3 und siehe die folgende Anmerkung. Für das Werk des L. Cassius Hemina kann nur eine vage Datierung vorgenommen werden (Walter 2004a, 303: „Zeitlich steht Hemina zwischen Cato und Calpurnius Piso.“). Die diskutierten Vorschläge reichen von einer Datierung für die Zeit vor Beginn des Dritten Punischen Krieges bis hin zu einer Spätdatierung um 133/132 (siehe hierzu Forsythe 1990, 327–333). 300Über das Leben des C. Acilius ist nur wenig bekannt. Siehe die Testimonien bei FRHist 7 T 1 a-4c. Die Familie des Acilius scheint erst infolge der enormen, durch die Niederlagen am Trasimenischen See und vor allem bei Cannae verursachten Verluste unter den Senatoren in den Senat aufgestiegen zu sein – vielleicht gehörte ein Vorfahr des Acilius also zu jenen Männern, die M. Fabius Buteo nach Cannae aufgrund besonderer Verdienste in die Reihen des Senates aufnahm (siehe Liv. 23,23,6–7). Ein C. Acilius war offenbar im Jahr 155 Senator und führte die griechische ‚Philosophengesandtschaft‘ in den Senat. Dabei soll er sich den Zorn des M. Porcius Cato zugezogen haben. Die Identifizierung dieses Acilius mit dem Geschichtsschreiber wird weithin akzeptiert, auch wenn es hierfür letztlich keinen sicheren Beleg gibt. Die von Liv. per. 53, also für die Jahre 143–141 überlieferte Nachricht, dass „der Senator Acilius“ ein griechisches Geschichtswerk veröffentlicht habe (Acilius senator Graece res Romanas scribit), muss mit Vorsicht behandelt werden, da es sich lediglich um eine Konjektur durch den Herausgeber Hertz handelt. Im überlieferten Text findet sich der Name C. Iulius. Damit bleibt die Zeit von Abfassung und Veröffentlichung von Acilius’ Werk letzten Endes unsicher. Seine Einordnung in dieser Arbeit unter die römischen Historiker, die zur Mitte des zweiten Jahrhunderts lebten und schrieben, folgt der Mehrheit der Forschung, in der Hertz’ Konjektur akzeptiert wurde. Vgl. zuletzt die Einführung zu Acilius von E. Bispham/S. Northwood, C. Acilius in: FRHist I, 224–226, bes. 224 f. Acilius schrieb sein Werk, wie seine Vorgänger Q. Fabius Pictor, L. Cincius Alimentus und andere, in griechischer Sprache. Dies wird, nachdem Cato die Historiografie auch in lateinischer Sprache etabliert hatte, nicht mehr allein als Folge der Gattungskonvention, sondern als bewusste Entscheidung des Acilius zu verstehen sein, und kann wohl als Hinweis auf die „griechischen Affinitäten des Acilius“ (Kommentar von Beck/Walter zu FRH 5, 232) gewertet werden. 301Siehe

unten Abschn. 5.2.5.1. off. 3,115 (=FRH 5 F 5 = FRHist 7 F 2): Acilius autem, qui Graece scripsit historiam, plures ait fuisse, qui in castra revertissent eadem fraude, ut iure iurando liberarentur eosque a censoribus omnibus ignominiis notatos. 302Cic.

5  Die römisch-karthagischen Kriege

276

Diese unterscheidet sich von anderen, etwa derjenigen, die zur gleichen Zeit bei Polybios zu finden ist, zunächst insofern, als dass nach Acilius offenbar mehrere Gesandte versucht hätten, ihre eidliche Verpflichtung, zu Hannibals Lager zurückzukehren, zu umgehen. Dies war ihnen offenbar auch gelungen, da sie von den Zensoren anschließend mit entehrenden Strafen bedacht worden waren. Nach Polybios soll es sich lediglich um einen von zehn Männer gehandelt haben, der nicht zurückkehren wollte. Er sei direkt nach dem Verlassen des Gefangenenlagers unter einem Vorwand kurzzeitig in dieses zurückgekehrt, woraufhin er sich auf diese Weise von seinem Eid entbunden gesehen habe. Dieser Mann sei in Rom in Ketten gelegt und mit den anderen Gefangenen zurück zu Hannibal geschickt worden.303 Die Rolle, die die Zensoren offenbar in Acilius’ Darstellung im Zusammenhang mit der Bestrafung der eidbrüchigen Soldaten einnahmen, kann im Gegensatz zu der Überlieferung bei Polybios, dem es darum ging, die einheitliche Reaktion ‚der Römer‘ insgesamt zu betonen, als ‚Politisierung‘ dieser Episode betrachtet werden. Denn nach Acilius scheint die Reaktion der Römer ja keinesfalls so homogen gewesen zu sein, wie es Polybios zum Ende seiner Darstellung der römischen Verfassung nahelegt.304 Es lässt sich bereits vorwegnehmen, dass bei Livius in einer in Buch 24 gebotenen Zusammenfassung der Maßnahmen, die die Zensoren des Jahres 214, M. Atilius Regulus und P. Furius Philus, durchgeführt haben sollen, die Bestrafung jener Gesandten der Cannae-Gefangenen enthalten ist.305 Diese Passage könnte bereits auf Acilius’ Darstellung zurückgehen, die Cicero ja lediglich indirekt zusammenfasst. Es hat also den Anschein, dass römische Historiografen gegenüber der Schilderung des Polybios zur gleichen Zeit eine wesentlich komplexere Variante der Episode boten. Die Reaktion erfolgte hier zeitlich verlagert und konnte offenbar erst durch die Autorität der Zensoren durchgesetzt werden. Nach Livius habe das gleiche Zensorenkollegium übrigens auch die Bestrafung derjenigen jungen Aristokraten um M. Caecilius Metellus durchgeführt, die nach Cannae geplant haben sollen, Italien zu verlassen.306 Eben jener Metellus soll die Zensoren im folgenden Jahr

303Vgl. die Version bei Pol. 6,58,2–12. Nach einer weiteren Version, die Livius seinem Bericht über die Episode anschließt, seien die zehn Gesandten für so lange Zeit in Rom geblieben, dass drei weitere Gefangene als Unterhändler nach Rom geschickt worden seien (Liv. 22,61,5–10). Nach dem gescheiterten Antrag eines Volkstribuns auf Freikauf der Gefangenen seien diese drei Gesandten wieder in das karthagische Lager zurückgekehrt. Die zehn Männer, die ursprünglich nach Rom gekommen waren, hätten sich nun von ihrem Eid befreit gesehen und seien in der Hauptstadt geblieben, wo sie von den Zensoren in einem solchen Ausmaß mit Schande bedacht worden seien, dass sich einige der ehemaligen Gefangenen selbst umgebracht hätten. Über einen Suizid der ehemaligen Gefangenen berichtet auch Cicero (Cic. off. 1,40). Vgl. die übersichtliche Darstellung zu den verschiedenen Varianten in der Tabelle bei Walter 2001, 277. 304Walter 2001, 278. Siehe Pol. 6,58,2–13, bes. 7 und 13. 305Liv. 24,18,1–15, dort bes. 5–6: Secundum eos citati nimis callidi exsolvendi iuris iurandi inter­ pretes, qui captivorum ex itinere regressi clam in castra Hannibalis solutum, quod iuraverant, redituros rebantur. His superioribusque illis equi adempti, qui publicum equum habebant, tribuque moti aerarii omnes facti. 306Liv.

24,18,3–4.

5.2  Der Feind vor den Toren

277

zudem als Volkstribun angeklagt haben, womit er offenbar jedoch keinen Erfolg hatte.307 Die ja für lange Zeit von Mitgliedern der senatorischen ­Führungsschicht betriebene römische Historiografie scheint solche und ähnliche Differenzen innerhalb ihrer eigenen Gruppe deutlicher tradiert zu haben als der Grieche Polybios. Der Kerngedanke, der der Episode zugrunde lag, dürfte freilich auch bei Acilius in der Ablehnung des Antrages selbst, und damit der Zurückweisung aller Verhandlungsversuche Hannibals in der für die Römer so prekären Situation zu finden gewesen sein. Die Erwähnung von Dissonanzen, die andere Aspekte betrafen, musste dem nicht widersprechen. In der bei Acilius beschriebenen dramatischen Konstellation ließ sich schließlich auch der moralische Führungsanspruch demonstrieren, den diejenigen Senatoren, aus deren Reihen die beiden Zensoren stammten, nicht zuletzt gegen andere Standesgenossen durchsetzten. Die spezifischen Unterschiede hinsichtlich verschiedener Details und damit verbundener Akzente in der Deutung der Episode wurden durch einen umfangreichen narrativen Kontext ermöglicht, den vor allem das Medium der Historiografie bereitstellen konnte.308 Die Episode wird bei Acilius in die fortlaufende Darstellung der Ereignisse eingebunden gewesen sein. Die vermutlich ungefähr gleichzeitige Verwendung der Überlieferung um die Gefangenen bei Polybios zeigt wiederum, dass sie, rund zwei Generationen nach dem Ereignis, auch in anderen Kontexten als exemplum für die Bewahrung römischer Tugenden eingebracht werden konnte.309 Es fällt leicht, nachzuvollziehen, dass die Episode in der römischen Geschichtsschreibung, die im zweiten Jahrhundert fast ausschließlich von Senatoren betrieben wurde, als Beispiel eines auch in schwerster Bedrängnis (von außen durch Hannibal, im Inneren durch

307Liv. 308So

24,43,2–3.

zu Recht hervorgehoben von Walter 2004a, 298, der betont, dass es sich in diesem Fall um einen „besonderen Typ von exempla“ handele, die nicht „einfach präsent waren und chiffrenartig aufgerufen werden konnten“, sondern des erzählerischen Kontextes und der literarischen Gestaltung bedurften, um die jeweilige „Verweisrichtung“ zu verdeutlichen. Siehe zudem bereits Walter 2001, 276–278. 309Die Verwendung der Episode als rhetorisches exemplum im ersten Jahrhundert, auf die später noch zurückzukommen sein wird, lässt zudem vermuten, dass eine solche auch schon in der Mitte des zweiten Jahrhunderts vorkam. Es lässt sich übrigens nicht eindeutig klären, ob im Werk des Polybios oder C. Acilius die früheste erhaltene Quelle für die Episode um die Gefangenen von Cannae zu sehen ist. Walbank 1972, 20 nimmt an, dass Polybius sein Buch 6, in dem er die entsprechende Passage notiert hat, um das Jahr 150 herum veröffentlicht hat. Akzeptiert man diese Datierung, müsste man die Version des Polybios zeitlich wahrscheinlich vor jener des Acilius ansetzen – jedenfalls wenn man die Notiz in Liv. per. 53 tatsächlich auf den Historiker C. Acilius bezieht, was (siehe oben) freilich nicht mit letzter Sicherheit zu klären ist. Es ist zudem durchaus möglich, dass Polybios die entsprechende Passage (Pol. 6,58) erst später in seine Darstellung der römischen Verfassung eingefügt hat. Dies nehmen jedenfalls Edward Bispham und Simon Northwood in ihrem Kommentar zu dem Fragment an (siehe den Kommentar zu FRHist 7 F 2, 186 f.). Die Frage, welcher Autor die entsprechende Stelle seines Werkes zuerst veröffentlicht hat, ist nicht mit letzter Sicherheit zu klären, und damit ebenso wenig, ob beide Varianten unabhängig voneinander entstanden waren oder ein Autor bewusst auf die Arbeit des anderen reagierte. Wiederum ist beides vorstellbar.

278

5  Die römisch-karthagischen Kriege

die bittenden Soldaten und ihre Angehörigen sowie durch die hohen Verluste und das prekäre Rekrutierungspotenzial) prinzipientreuen und handlungsfähigen Senates nicht nur überliefert, sondern, wie noch im Detail zu zeigen sind wird, weiter ausgestaltet wurde.310 Aus dem Werk des L. Cassius Hemina ist lediglich ein Fragment erhalten, das sich recht zweifelsfrei dem Kontext der römischen Niederlagen des Hannibalkrieges zuordnen lässt. Es handelt sich hierbei zwar nur um den Teil eines Satzes, den der Grammatiker Priscian notiert hat, doch wird dieser wahrscheinlich aus dem Bericht über den Prozess gegen die am ‚Vestalinnenfrevel‘ Beteiligten stammen, der nach der Schlacht von Cannae i. J. 216 bekannt wurde.311 Zur Frage der spezifischen ­Darstellung der Ereignisse bei Cassius Hemina kann die kurze Notiz allerdings keinen klärenden Beitrag leisten.

310Vgl.

Walter 2001. Weitere Fragmente, die für das Werk des C. Acilius überliefert sind, lassen sich nur indirekt mit den Niederlagen des Hannibalkrieges in Verbindung bringen. So weiß Livius, vermittelt durch eine Zwischenquelle, von bei Acilius überlieferten Gefallenenzahlen einer Schlacht in Spanien zu berichten, in welcher der Militärtribun L. Marcius Septimus die römischen Truppen dort nach dem Tod der beiden Scipionenbrüder im Jahr 211 befehligte. Als Denkmal seines Sieges (monumentum victoriae) habe ein Schild mit dem Bild des gegnerischen Feldherrn Hasdrubal fungiert. Dieser Schild sei ‚Marcius‘ genannt worden und habe im Tempel auf dem Kapitol gehangen, bis der Brand des Jahres 84 diesen zerstörte. Siehe FRH 5 F 6 = FRHist 7 F 3 (=Liv. 25,39,12–13; 16–17). Die Anzahl der gefallenen Feinde, die hier mit 37.000 Mann angegeben wird, wird man mit Sicherheit als Übertreibung werten dürfen. Hierdurch sollte vermutlich der Eindruck entstehen, dass auf die Niederlagen und den Tod der beiden Scipionen schon bald ein glanzvoller römischer Sieg folgte. Vgl. zu diesem Schema u. a. Clark 2014b. Der kundige Betrachter mag beim Anblick des Schildes auch an die Niederlage der Scipionenbrüder gedacht haben, die ja erst die Voraussetzung für die ungewöhnliche Heldentat des Marcius gebildet hatte. Hierbei wird das Werk des Acilius auf solche Assoziationen freilich keinen nennenswerten Einfluss gehabt haben. Es ist eher anzunehmen, dass die Existenz und Präsenz dieses ‚Marcius‘ genannten Schildes überhaupt erst zu einer nachhaltigen „Tradierung der Episode“ und vor allem zu der bedeutenden Rolle, die der bis dahin vollkommen unbekannte L. Marcius in ihr gespielt hatte, in entscheidender Weise beitrug. So wohl zu Recht Walter 2001, 274. Ein weiteres Fragment (FRH 5 F 7 = FRHist 7 F 4 (=Liv. 35,14,5–12)) bezieht sich auf eine Begegnung der ehemaligen Kriegsgegner Hannibal und P. Cornelius Scipio Africanus, die sich angeblich i. J. 193 am Hof des Seleukidenkönigs Antiochos’ III. ereignet haben soll. Hannibal befand sich dort im Exil, Scipio sei Mitglied der römischen Gesandtschaft gewesen, die vom Senat nach Kleinasien geschickt worden war. Bemerkenswert ist, dass Hannibal, wie Scipio, in eine Reihe von herausragenden Feldherren der mediterranen Welt gestellt wird. Unabhängig von der Frage nach der historischen Authentizität der Episode zeigt die Überlieferung die bedeutende Rolle, die Hannibal unter den Gegnern Roms einnahm. Vgl. u. a. Gruen 2011, 125 f. 311FRH 6 F 35 = FRHist 6 F 33 (=Prisc. Gramm. 7 p. 294): ‚Eabus‘ etiam pro ‚eis‘ differentiae causa in feminino Emina protulit in IV annalium: „scriba pontificius, qui cum eabus stuprum fecerat.“ […] dicit enim de Vestalibus. Vgl. zur Stelle zuletzt den Kommentar von Briscoe in FRHist (dort, II, 176: „It is clear […] that the fragment comes from Hemina’s account of the condemnation, in 216 BC, of two Vestals, Opimia and Floronia, for having sexual relations.“). Dieser von Livius ausführlich überlieferten Episode (Liv. 22,57,2–6) wird das Fragment auch in den anderen Fragmentsammlungen, die eine Übersicht zu Heminas Werk bieten, zugeordnet. Offenbar zeigte Cassius Hemina ein besonderes Interesse an kulturellen und religiösen Aspekten der römischen Geschichte (siehe nur Kierdorf 2003, 26 und Walter 2004a, 303 f. mit Nachweisen), für die sein Werk später womöglich in erster Linie herangezogen wurde. In der Krise nach Cannae wurden, wie oben dargestellt, in einer offenbar religiös aufgeladenen Atmosphäre jeweils ein griechisches und ein gallisches Paar lebendig am Forum Boarium begraben. Siehe hierzu Linke 2000, 281; Engels 2007, 443–448.

5.2  Der Feind vor den Toren

279

Hinsichtlich der Aufteilung des Stoffes bei Hemina hat Udo Scholz vermutet, dass Heminas drittes Buch, wie das des Polybios, mit der Niederlage der Römer bei Cannae endete.312 Der römische Historiker hätte demnach diese Schlacht als erzählerischen Einschnitt genutzt, was dieser Niederlage der Römer in seinem Werk eine besondere Prominenz eingeräumt hätte. Diese Ansetzung des Endes des dritten Buches lässt sich auf Basis der bekannten Zeugnisse nicht klären, auch wenn diese Annahme durchaus naheliegt.313 Auch wenn man die Annahme akzeptiert, muss

312Scholz 313Nach

1989, 170.

einer weiteren Notiz von Priscian sei der Zweite Punische Krieg der Inhalt des vierten Buches von Cassius Heminas Werk gewesen (FRH 6 F 34 = FRHist 6 F 32 (=Prisc. Gramm. 7 p. 347 H)): Cassius Hemina annalem suum quartum hoc titulo inscripsit: bellum Punicum pos­ terior. Da Scholz 1989, 169 f. allerdings zwei weitere Fragmente, die durch Priscian und Nonius dem dritten Buch zugeschrieben wurden, Ereignissen des Jahres 217 zuordnen möchte, geht er davon aus, dass die ersten Kriegsjahre eben noch in diesem Buch geschildert worden waren, während der größere Teil der Jahre des Hannibalkrieges erst im vierten Buch behandelt wurde. Bei dem ersten Fragment handelt es sich um FRH 6 F 30 = FRHist 6 F 28 (=Non. p. 129 L): Cas­ sius Hemina libro III: mulier cantabat tibiis Phrygiis et altera cymbalissabat. Hierfür wird als Zusammenhang weithin die Einführung des Kultes der Magna Mater i. J. 204 angesehen, wenn auch eine Verortung in die Darstellung des Ersten Punischen Krieges ebenfalls erwogen wurde, da der Kult auch in Sizilien existierte. Für die Zuordnung zum Jahr 204 müsste ein Fehler in der Handschrift vermutet und eine Änderung der Buchnummerierung von III auf IIII vorgenommen werden (vgl. den Kommentar in FRHist, hier 174). Diese Lösung ist möglich, doch hat Scholz 1989, 169 in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, das Fragment in den Kontext der religiösen Maßnahmen nach der Niederlage am Trasimenischen See i. J. 217 einzuordnen und die überlieferte Buchzahl beizubehalten. In diesem Jahr wurden, ausgelöst durch die militärisch-politische Krisensituation, zahlreiche religiöse Neuerungen in Rom angestoßen, die „die antike Geschichtsschreibung wie die moderne Religionsforschung“ dazu bewogen, dieses Jahr als Epochenjahr der römischen Religion zu werten, in dessen Folge die „zwölf Jahre später, ebenfalls durch die libri fatales geforderte Einführung des Kybele-Kultes nur eine konsequente Verlängerung darstellte“. Daher sei es nach Scholz wahrscheinlich, dass das Fragment in die Ereignisse des Jahres 217, die sich nach der Niederlage des Flaminius abspielten, gehöre, wo ein Vorgriff auf das spätere Ereignis eingeflochten gewesen sei (Scholz 1989, 169, (Zitat) mit dem Hinweis auf ähnliche Stellen). Bei dem zweiten Fragment handelt es sich um FRH 6 F 32 = FRHist 6 F 30 (=Prisc. Gramm. 10 p. 537 H): Cassius Hemina in III annalium: in campo Tiburte ubi hordeum demessuerunt. Hier erwägt Scholz, 169 f. eine Zuordnung zur Mobilmachung der Truppen des Dictators Q. Fabius Maximus, die ebenfalls in die Zeit nach der Schlacht am Trasimenischen See fiel. Als Basis für diese Vermutung dient der Umstand, dass der campus Tibur, neben einer früheren Erwähnung bei Cato, sonst lediglich in Liv. 22,11,3 genannt werde (Fabius duas legiones se adiecturum ad Ser­ vilianum exercitum dixit. iis per magistrum equitum scriptis Tibur diem ad conveniendum edixit.). Da die Nennung Tiburs bei Livius „eine völlig überflüssige Mitteilung“ (Scholz 1989, 170) darstelle, sei zu vermuten, dass Livius den Namen Tiburs in der „annalistischen Tradition“ (ebd., 169) vorgefunden habe. Aus der aus diesen Überlegungen geschlossenen Vermutung, dass noch Ereignisse des Jahres 217 im dritten Buch von Heminas Werk dargestellt worden waren, sucht Scholz wiederum nach einer Stelle, an der sich ein Einschnitt in die Darstellung geboten hätte, und findet diese nach der Schlacht von Cannae. Diese Zuordnung beider Fragmente ist allerdings keinesfalls sicher, weshalb Scholz’ These umstritten bleibt (siehe zuletzt nur J. Briscoe, L. Cassius Hemina, in: FRHist I, 219–223, hier 222). Da bei Polybios – wie auch später bei anderen Autoren – ein Einschnitt der Darstellung des Krieges nach Cannae vorzufinden ist, ist die Annahme, dass Hemina ebenso vorgegangen war, gleichwohl plausibel (vorsichtig Zustimmung äußert daher Kierdorf 2003, 25). Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Darstellungen sollten freilich nicht aus den Augen verloren werden (vgl. die nächste Anmerkung).

280

5  Die römisch-karthagischen Kriege

freilich von Unterschieden hinsichtlich der narrativen Komposition im Detail ausgegangen werden.314 Im letzten Drittel des zweiten Jahrhunderts nahm die Produktion von Historiografie in Rom deutlich zu, während sich gleichzeitig andere Formen literarischer Beschäftigung entfalteten. Die Zeugnisse, die sich aus diesen Werken, in Hinsicht auf die Niederlagen des Hannibalkrieges sowie hinsichtlich dieses Krieges im Allgemeinen, erhalten haben, sind recht karg. In den meisten dieser Werke werden der Krieg und seine Niederlagen behandelt worden sein, über Details der Darstellung lassen sich jedoch kaum Aussagen treffen.315 Eine Reihe von Fragmenten der Satiren des C. Lucilius deutet indes auf eine Auseinandersetzung mit dem Hannibalkrieg hin, auch wenn eine genaue Einordnung jeweils schwerfällt, da der Kontext unklar bleibt.316 Die von Nonius zitierte Zeile „deletionem ­nostri

314So ist die Niederlage bei Cannae etwa auch bei Livius das letzte größere Ereignis, das dieser in Buch 22 schildert, doch verlässt der Erzähler Rom dort in einer anderen Situation als zum Beispiel am Ende des dritten Buches des Polybios. Wie dies im Detail bei früheren Autoren, wie hier L. Cassius Hemina, gestaltet worden war, lässt sich nicht mehr klären. Vgl. zu Livius unten Abschn. 5.2.5.1. 315Aus den in dieser Zeit verfassten historiografischen Werken hat sich lediglich ein Fragment erhalten, das zweifelsfrei dem zweiten römisch-karthagischen Krieg zugeordnet werden kann. Livius (24,39,11) erwähnt in der Darstellung der Schlacht, in der der Tribun L. Marcius die nach dem Tod der Scipionenbrüder führungslosen Truppen in Spanien befehligt habe, eine Angabe zur Zahl römischer Gefallener, die in einen karthagischen Hinterhalt geraten seien. Livius hat an dieser Stelle verschiedene Versionen angeführt und schließt die Episode mit einem resümierenden Satz über die Person des L. Marcius und dessen Ruhm. Aus der Stelle wird klar, dass weitere Autoren von diesem Kampf berichtet hatten (25,39,16: apud omnes magnum nomen Marcii duci est). Der Hannibalkrieg mit seinen Niederlagen wird auch bei Autoren wie C. Sempronius Tuditanus und Cn. Gellius gewiss einen recht breiten Raum eingenommen haben. Gerade angesichts des anscheinend vergleichsweise großen Umfangs, den das Werk des Cn. Gellius gehabt haben soll, lässt sich eine relativ ausführliche Behandlung des Krieges durchaus annehmen (vgl. zu den genannten Autoren u. a. Kierdorf 2003, 29 f.). Spätere Werke, insbesondere die Monografie des L. Coelius Antipater, dürften die Vorgänger bald als Referenzquelle verdrängt haben. Hinsichtlich des C. Fannius hat u. a. Badian 1966, 14 vermutet, dass dieser eine reine Zeitgeschichte verfasst habe, was sich allerdings nicht klären lässt. Falls Badian richtig liegt, wäre bei einem vermuteten Geburtsjahr des Historikers um das Jahr 170 herum freilich offen, inwieweit der Hannibalkrieg noch in einen zeitgeschichtlichen Horizont hineingehört hätte. 316Hierzu zählen Lucil. 824 M.  = 901 K. = 903 C./G. (hoc tum ille habebat et fere omnem Apuliam); 825 M. = 902 K. = 904 C./G. (detrussus tota ui deiectusque Italia) und 826–827 M. = 899–900 K. = 901–902 C./G. (sic, inquam, veteratorem illum vetulum lupum/Annibalem acceptum). In Hinsicht auf das erste dieser Fragmente ist ein Zusammenhang mit dem Teil des Feldzuges, den Hannibal in Apulien führte, denkbar, vielleicht auch mit der Schlacht von Cannae, auch wenn der Karthager nicht genannt wird (vgl. Marx 1905, 287, der (unter Verweis auf Liv. 22,54,9) hoc auf Samnium beziehen möchte und ille auf Hannibal. Sollte dies zutreffend sein, könnte das Fragment in den Kontext einer Schilderung der Situation nach Cannae gehören.). Cichorius 1908/1964, 164–166 mit einem anderen Vorschlag: Das hoc in 824 M.  = 901 K. = 903 C./G. beziehe sich auf Bruttium und stehe insofern „in naher Verbindung“ (165) mit 825 M. = 902 K. = 904 C./G., das so gedeutet wird, dass hier die Rede davon gewesen sei, dass Hannibal bereits „aus dem ganzen übrigen Italien durch Waffengewalt damals schon verdrängt“

5.2  Der Feind vor den Toren

281

ad unum e­xercitus“ könnte sich auf die Schlacht am Trasimenischen See oder die bei Cannae beziehen. Ein anderer Zusammenhang ist aber auch hier ebenfalls denkbar.317 In Hinsicht auf die Darstellung und Deutung der Niederlagen Roms in der römischen Geschichtskultur sind zwei Fragmente am interessantesten, die sich nicht ausschließlich auf den Zweiten Punischen Krieg beziehen und daher bereits im Kapitel zur Repräsentation der Niederlagen in Roms Keltenkriegen in der römischen Geschichtskultur vorgestellt worden sind. Da Hannibal in einem der Fragmente namentlich genannt wird, werden sie dennoch auch in diesem Kapitel erwähnt. Es handelt sich dabei um die Fragmente: „ut Romanus populus victus vi et superatus proeliis/saepe est multis, bello vero numquam, in quo sunt omnia“ und „contra flagitium nescire, bello vinci barbaro/Viriato, Annibale“.318 Es findet sich hier also ein früher Beleg für den in späteren Quellen verbreiteten Gedanken, nach dem Rom zwar auf dem Schlachtfeld oftmals besiegt werde, doch den Krieg insgesamt am Ende stets siegreich beenden könne.319 Das zweite Fragment stellt durch die Nennung des Viriathus, der im Jahr 139 ermordet worden war, eine Verbindung zu den Kriegen auf der Iberischen Halbinsel her und baut gleichzeitig eine Brücke zurück zum Zweiten Punischen Krieg – dort waren die Römer ja tatsächlich in vielen Schlachten besiegt worden, während am Ende ein römischer

worden war (Cichorius 1908/1964, 165 vermutet „irgendein das tota beschränkendes Wort im Vers vorher“.). Die Täuschung Hannibals, von der in 826–827 M. = 899–900 K. = 901–902 C./G. die Rede ist (Nonius führt die Stelle als Beleg für diese Bedeutung von accipere an), sei mit einer Situation im späten Kriegsverlauf zu verbinden, da Hannibal (fast) aus Italien vertrieben ist. Hierfür biete sich schließlich das Täuschungsmanöver des C. Claudius Nero vor der Schlacht am Metaurus an. In dieser ‚Metaurus‘-Satire sei dann ein rückblickender Verweis auf Cannae enthalten gewesen (siehe die folgende Anmerkung). Ob diese Deutung der Fragmente zutreffend ist, wird sich freilich kaum sicher entscheiden lassen. Zudem lässt sich in der Tat „nicht ausschließen, dass Lucilius auf andere geographische Orte oder Umstände allgemeineren Charakters anspielte“ (Christes/Garbugino 2015, zur Stelle). 317Lucil. 823 M. = 903 K. = 905 C./G. Marx 1905, 286 vermutet, dass hier auf die Schlacht von Cannae angespielt wurde. So auch zuletzt zur Stelle Christes/Garbugino 2015 („Wahrscheinlich eine Anspielung auf die Niederlage von Cannae.“). Vgl. Cichorius 1908/1964, 166 f. mit dem Vorschlag einer Kontextualisierung des Fragments. Demnach sei Cannae im Zusammenhang einer Satire, die die Schlacht am Metaurus (207) zum Gegenstand hatte, in Form eines kontrastierenden Rückblicks erwähnt worden (siehe die vorherige Anmerkung). Der Gedanke hätte dann in etwa gelautet, dass Rom nach der schweren Niederlage bei Cannae durch den Sieg gegen Hasdrubals Armee, dem die Täuschung Hannibals durch C. Claudius Nero bei Canusium, also in der Nähe des Schlachtfeldes von 216, vorausgegangen war, eine „Auslöschung der alten Schmach“ (Cichorius 1908/1964, 167) errungen habe. Auf der vorhandenen Quellenbasis kann diese Vermutung allerdings nicht weiter verfolgt werden. 318Lucil. 613–614 M. = 683–684 K. = 591–592 C./G. und 615–616 M. = 685–686 K. = 593–594 C./G. Christes 1971, 83 f. übersetzt: „wie das römische Volk besiegt durch Gewalt und überwunden worden ist oftmals in vielen Treffen, im Kriege aber niemals, worauf doch alles ankommt“ bzw. „dagegen die Schande nicht zu kennen, im Kriege von Barbaren wie Viriathus und Hannibal besiegt zu werden“. 319Vgl. nur Liv. 9,19,8–9. Siehe dazu Oakley 2005, 253 f.

282

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Sieg stand. Wie bereits im Redefragment des Cato erscheint Hannibal wiederum stellvertretend für die Karthager insgesamt bzw. für die Bedrohung Roms im Zweiten Punischen Krieg, was noch anhand weiterer Beispiele zu zeigen sein wird. In der Auseinandersetzung mit dem Zweiten Punischen Krieg in der römischen Geschichtskultur der Wende vom 2. zum 1. Jahrhundert nimmt die Monografie des L. Coelius Antipater über den Zweiten Punischen Krieg eine besondere Stellung ein, da sie die erste historische Monografie der römischen Literatur überhaupt darstellt; eine Form, mit der sich Coelius deutlich von den Arbeiten seiner Vorgänger abgrenzte.320 Die Wahl des Themas zeigt gewiss bereits die große Bedeutung, die der Hannibalkrieg in der römischen Geschichtskultur der Zeit besaß.321 Zugleich ist klar, dass Coelius, auch wenn er eine neue Gattung in der lateinischen Historiografie etablierte, kein unbestelltes Feld vorfand, sondern im Gegenteil vor dem Hintergrund bereits bestehender, in verschiedenen Medien ausgeformter Darstellungen und Deutungen des Hannibalkrieges arbeitete.322 Sein Werk galt späteren Autoren als zuverlässige Quelle der Ereignisse und wurde daher bis in die Kaiserzeit hinein rezipiert.323 Die Schrift hat zumindest die historiografische Behandlung des Hannibalkrieges, und damit auch der römischen Niederlagen, in wohl größerem Ausmaß geprägt als es die überlieferten Fragmente allein verraten.324 Dennoch ist große Vorsicht geboten, wenn es darum geht, diese oftmals nur sehr kurzen Texte in einen Kontext einzuordnen, in einer Reihe von Fällen wird dies letztlich kaum möglich sein. Die Serie von römischen Niederlagen der Jahre 218 bis 216 wurde offenbar, ebenso wie die Aktionen Hannibals in Spanien sowie der Feldzug bis nach Italien, im ersten Buch geschildert. In der Darstellung der Ereignisse, die auf Cannae folgten, scheint Coelius einen Einschnitt vorgenommen zu haben. So ist ein Teil der Aktionen von Römern und Karthagern noch im ersten Buch enthalten, die weiteren werden im zweiten Buch geschildert.325 Einige der erhaltenen Fragmente beziehen sich direkt auf römische Niederlagen. Durch die Erwähnung des Livius ist überliefert, dass Coelius von einer anderen Version zur Rettung des Konsul P. Cornelius Scipio

320Siehe

die Hinweise oben in Abschn. 2.2 und vgl. zuletzt nur die Einführung Briscoe 2013a, bes. 257. 321Die Lebenszeit des Coelius Antipater ist ebenso wie die Zeit der Veröffentlichung des Werkes im Detail unklar. Die Testimonien (siehe FRHist T1–T9) weisen allerdings auf das letzte Drittel des 2. Jahrhunderts hin. Siehe hierzu auch Kierdorf 2003, 35; von Albrecht 1994, 307 f. 322Vgl. Beck/Walter 2004, 36: „Hinzukam, dass der Hannibalkrieg als Teil der Gesamtgeschichten und des Epos vielfach behandelt worden war und somit schon vor Coelius zu einem ‚Text‘ mit eigener Sinndimension geronnen war. Der Schlüssel, sich davon abzusetzen, lag in der Monographie, die schon rein quantitativ neue Spielräume für die Interpretation eröffnete“. 323Cicero sah in der Monografie das erste römische Geschichtswerk, das auch in Hinsicht auf die Form der Darstellung als ambitioniert gelten konnte. Für Nachweise siehe von Albrecht 1994, 308; Kierdorf 2003, 36–38. 324Siehe Cic. de orat. 2,54; leg. 1,6. Vgl. von Albrecht 1994, 307 („der erste wirkliche Schriftsteller unter den römischen Historikern“). 325Beck/Walter 2004, 37; Briscoe 2013a, 259.

5.2  Der Feind vor den Toren

283

am Ticinus berichtete als es offenbar die Mehrheit der anderen Autoren, die Livius kannte, tat. Denn nach Coelius habe nicht der Sohn des Konsuls, sondern ein ligurischer Sklave den Feldherrn gerettet.326 Es ist gut denkbar, dass in den Versionen, welche die Rettung dem späteren Africanus zuschrieben, dies in Vorwegnahme seiner späteren Taten geschehen war. Mit seiner Version hat sich Coelius vermutlich schon im 2. Jahrhundert gegen den Mainstream der Überlieferung gestellt, wobei etwaige Motive, die er hierbei hatte, unklar bleiben müssen.327 Zur Schlacht an der Trebia haben sich keine Fragmente aus Coelius’ Werk erhalten, wohl aber zum weiteren Umfeld derjenigen am Trasimenischen See. Nach dem Zeugnis Ciceros habe Coelius nämlich von einer Reihe von negativen Vorzeichen berichtet, die sich vor diesem Gefecht ereignet hätten. Diese seien vom Konsul C. Flaminius jedoch allesamt ignoriert worden. Hierzu gehörten offenbar ein Sturz von seinem Pferd vor der Statue des Iuppiter Stator, Nichtbeachtung eines negativ ausgefallenen Hühner-Auspiciums, Feldzeichen, die sich nicht aus dem Boden ziehen ließen sowie heftige Erdbeben auf der ganzen italischen Halbinsel, die schwere Schäden hinterlassen hätten.328 Explizit für Coelius ist lediglich

326FRH 11 F 18 = FRHist 15 F 12 (=Liv. 21,46,7–10): Is pavor perculit Romanos auxitque pavorem consulis volnus periculumque intercursu tum primum pubescentis filii propulsatum. Hic erit iuve­ nis penes quem perfecti huiusce belli laus est, Africanus ob egregiam victoriam de Hannibale Poe­ nisque appellatus. Fuga tamen effusa iaculatorum maxime fuit, quos primos Numidae invaserunt; alius confertus equitatus consulem in medium acceptum non armis modo sed etiam corporibus suis protegens in castra nusquam trepide neque effuse cedendo reduxit. Servati consulis decus Coelius ad servum natione Ligurem delegat. Malim equidem de filio verum esse, quod et plures tradidere auctores et fama obtinuit. 327Walbank 1967, 198 f. (zu Pol. 10,3,3–7) erwägt eine scipionenfeindliche Tradition, mit deren Hilfe ihre Urheber versucht hätten, den Ruhm des Africanus durch die Geschichte vom Sklaven bewusst zu beschneiden. Auch diese Möglichkeit kann nicht ausgeschlossen werden. Falls Walbanks Vorschlag das Richtige treffen sollte, hieße das allerdings noch nicht, dass Coelius sich einer solchen Tradition in bewusster Absicht anschloss, um den Nachruhm des Africanus zu schmälern. Denn auch im Zuge eines Bemühens um eine möglichst akkurate Erkundung der Quellen, das man bei ihm anhand anderer Stellen erkennen kann (vgl. zur Sorgfalt des Coelius mit weiteren Hinweisen Gärtner 1981, 118; Beck/Walter 2004, 36), könnte Coelius auf die Version um den ligurischen Sklaven gestoßen sein. Vgl. Herrmann 1979, 102. 328FRH 11 F 20 a/b = FRHist 15 F 14 (=Cic. div. 1,77–78 (Quid? bello Punico secundo nonne C. Flaminius consul iterum neglexit signa rerum futurarum magna cum clade rei publicae? qui exercitu lustrato cum Arretium versus castra movisset et contra Hannibalem legiones duceret, et ipse et equus eius ante signum Iovis Statoris sine causa repente concidit nec eam rem habuit religioni obiecto signo, ut peritis videbatur, ne committeret proelium. idem cum tripudio auspica­ retur, pullarius diem proelii committendi differebat. tum Flaminius ex eo quaesivit, si ne postea quidem pulli pascerentur, quid faciendum censeret. cum ille quiescendum respondisset, Flami­ nius: „praeclara vero auspicia, si esurientibus pullis res geri poterit, saturis nihil geretur!“ ita­ que signa convelli et se sequi iussit. quo tempore cum signifer primi hastati signum non posset movere loco nec quicquam proficeretur, plures cum accederent, Flaminius re nuntiata suo more neglexit. itaque tribus iis horis concisus exercitus atque ipse interfectus est. magnum illud etiam, quod addidit Coelius, eo tempore ipso, cum hoc calamitosum proelium fieret, tantos terrae motus in Liguribus, Gallia compluribusque insulis totaque in Italia factos esse, ut multa oppida conrue­ rint, multis locis labes factae sint terraeque desiderint fluminaque in contrarias partes fluxerint atque in amnes mare influxerit.); Cic. nat. deor. 2,8: C. Flaminium Coelius religione neglecta cecidisse apud Trasumenum scribit cum magno rei publicae vulnere).

284

5  Die römisch-karthagischen Kriege

die Nachricht über das Erdbeben-Prodigium überliefert, das Cicero offenbar in erster Linie diesem Text entnommen hat. Jedoch ist der verbreiteten Annahme in der Forschung zuzustimmen, dass Coelius auch bereits die anderen Vorzeichen, die zuvor aufgezählt werden, kannte und in seiner Darstellung aufführte.329 Der Hinweis Ciceros sichert mit Coelius’ Werk somit die früheste erhaltene Nachricht zur Missachtung von Prodigien durch Flaminius. Da klare Belege fehlen, muss unklar bleiben, wie und ob dies in früheren Quellen berichtet worden war. In der Darstellung des Coelius wird das religiöse Fehlverhalten des Flaminius mit einiger Sicherheit als eine Erklärung der folgenden Niederlage am Trasimenischen See gedient haben.330 In welcher Weise die Niederlage bei Cannae von Coelius genau dargestellt und erklärt wurde, lässt sich nicht mehr feststellen. Allerdings haben sich immerhin drei weitere Fragmente erhalten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Kontext der Schlacht eingeordnet werden können. Aus einem von diesen wurde geschlossen, dass Coelius den Ausbruch der Römer schilderte, die nach der Schlacht in dem kleineren der beiden Heerlager eingeschlossen waren und sich unter dem Kommando eines Militärtribunen ins größere Lager durchkämpften, von wo aus einigen Abteilungen die Flucht durch die karthagischen Linien gelang.331 Da beide Passagen in engem narrativen Zusammenhang zueinander stehen, darf man davon ausgehen, dass auch diejenige um den verweigerten Freikauf der Cannae-Gefangenen bei Coelius ausgebreitet wurde. Welche eigenen Akzente Coelius hier gesetzt hat, lässt sich aus dem kurzen Zitat natürlich nicht schließen – falls es denn überhaupt in diesen Zusammenhang gehört.332

329Hierauf

deutet bereits die Überleitung Ciceros in der entsprechenden Passage hin (addidit Coelius). Siehe zuletzt mit diesem Hinweis den Kommentar zum Fragment durch Briscoe (in FRHist III, 248) und vgl. bereits Herrmann 1979, 116. 330Dies ergibt sich wiederum aus dem Kontext in der Belegstelle Ciceros und es darf in diesem Fall mit der gebotenen Vorsicht aus der späteren Überlieferung geschlossen werden (siehe unten bes. Abschn. 5.2.5.1). 331FRH 11 F 22 = FRHist 15 F 16 (=Prisc. Gramm. 3 p. 98 H): Coelius in primo historiarum: dextimos in dextris scuta iubet habere. Vgl. FRHist III, 249 („This fragment must be part of Coelius’ narrative of the events described by Livy 22.504–12. After the defeat at Cannae, the Romans left in the smaller of the two camps attempted to join those in the larger.“). 332Denkbar scheint, dass es bei Coelius – ähnlich wie in der erhaltenen Darstellung bei Livius – zum einen um Mut und Kampfbereitschaft auch einfacher Offiziere und Soldaten ging, die selbst durch die vorangegangene Katastrophe auf dem Schlachtfeld nicht gebrochen worden waren, zum anderen um die Prinzipienfestigkeit des Senates oder wenigstens einer Mehrheit der Senatoren. Vgl. zur Deutung u. a. den Kommentar von Beck/Walter in FRH II, 56 f., dort 57: „Die Episode stellte exemplarisch den Mut und die Durchsetzungskraft eines einzelnen römischen Offiziers heraus, der das Heft nach dem Verlust der Oberbefehlshaber kompetent in die Hand nahm“. Wie gesagt, ist es wahrscheinlich, dass in Coelius’ Darstellung im Zusammenhang mit dem Ausbruch eines Teiles der eingeschlossenen römischen Soldaten auch die Gesandtschaft der bei Cannae in Gefangenschaft geratenen Soldaten an den Senat thematisiert wurde. Die Episode scheint ja offenbar (siehe oben zur Behandlung bei Polybios und C. Acilius) bereits Mitte des 2. Jahrhunderts einen festen, mit spezifischen Botschaften verknüpften Platz im sozialen Gedächtnis der römischen Republik eingenommen zu haben. Hinsichtlich der genauen ­Ausformung und Stoßrichtung können dabei, wie wiederum an Beispielen bei Polybios und C. Acilius zu erkennen ist, allerdings durchaus Unterschiede festgestellt werden.

5.2  Der Feind vor den Toren

285

Nonius überliefert zudem ein kurzes Fragment, das bereits Peter in seiner Sammlung der Fragmente auf den Einzug des C. Terentius Varro und anderer Überlebender nach der Schlacht in Rom bezog.333 Die genaue Deutung der Stelle ist aufgrund der unvollständigen Zitation des Nonius etwas unklar.334 Sollte das Fragment tatsächlich in diesen Kontext gehören, so scheint es, dass zwischen der Version bei Coelius und späteren Beschreibungen der gleichen Szene bei Livius und Plutarch Unterschiede vorliegen, doch hängen die Details von der jeweiligen Lesart der Passage ab. Nach Livius seien dem Konsul Varro Bürger aus allen Ständen der Gesellschaft entgegengezogen (ab omnibus ordinibus).335 Gerade Livius dürfte die Betonung eines gemeinsamen Empfangs einer in dieser Sache einig auftretenden Bürgerschaft wichtig gewesen sein, wie an späterer Stelle noch zu zeigen sein wird. Coelius könnte in diesem Zusammenhang eine etwas anders akzentuierte Deutung vertreten haben, nach der es einzelne Römer – und nicht wie bei Livius das gesamte Volk – gewesen seien, die dem besiegten Konsul entgegenzogen. Dieser Gedanke wäre demnach erst nach Coelius, vielleicht erst durch Livius selbst, in der später überlieferten Form entwickelt worden. Doch muss dies aufgrund der unklaren Überlieferung der Passage letztlich unklar bleiben.336

333FRH

11 F 23 = FRHist 15 F 17 (=Non. p. 259 L): Coelius annali libro i: primum malo publico gratias singulatim †nomina†. Dieser Einschätzung folgt man in der Forschung seitdem wohl zu Recht. Siehe nur zuletzt den Kommentar in FRHist III, 249. 334Siehe

335Liv.

für das Folgende den Kommentar in FRHist III, 249 f.

22,61,14 (quo in tempore ipso adeo magno animo civitas fuit ut consuli ex tanta clade, cuius ipse causa maxima fuisset, redeunti et obviam itum frequenter ab omnibus ordinibus sit et gratiae actae quod de re publica non desperasset). Dies lässt sich mit der entsprechenden Passage in der Fabius-Vita Plutarchs durchaus vereinbaren. Dieser berichtet zunächst, dass der Senat und das Volk (ἥ τε βουλὴ καὶ τὸ πλῆθος) Varro an den Stadttoren begrüßt hätten, um dann im nächsten Satz hinzuzufügen, dass der Senat und die Magistrate, darunter auch Fabius, ihm dafür ihren Dank ausgesprochen hätten, dass er auch nach dem schweren Unglück der Niederlage die Sache der Republik nicht verloren gegeben hatte (Plut. Fab. 18,4–5). 336Herrmann nimmt an, dass in einer Senatssitzung (also nicht am Stadttor wie bei Livius; eine Begründung für diese Annahme liefert Herrmann allerdings nicht) „der Konsul P. Varro [sic] und andere Führer (vielleicht Sempronius Tuditanus)“ mit Dank bedacht worden seien. Siehe Herrmann 1979, 123. Von einer Senatssitzung, in der Varro gedankt worden wäre, ist jedoch in keiner der erhaltenen Quellen, die sich auf diese Situation beziehen, die Rede. Diese Vermutung Herrmanns sollte daher zurückgewiesen werden. Vgl. den Kommentar zur Stelle in FRHist III, 249: „There is no reason to think a meeting of the senate is being described, as Herrmann thinks“. Deswegen wiederum die Zuordnung des Fragmentes zum Empfang Varros in Rom nach der Schlacht von Cannae abzulehnen, wie Gärtner dies tut, geht aber wohl zu weit. Die Rekonstruktion des Kontextes bleibt auch dann plausibel, wenn man Herrmanns Vorschlag die Senatssitzung betreffend streicht. Siehe Gärtner 1981, 119. Vgl. in diesem Sinne auch den Kommentar von Beck/Walter in FRH II, 57. Beck und Walter (Beck/Walter, FRH II, 57) vermuten, dass der Dank in Coelius’ Version „auch den einfachen Soldaten und Offizieren“ galt. Vgl. wiederum den Kommentar von FRHist zur Stelle: „In Coelius’ version individuals offer their thanks to Varro: Livy talks merely of all ranks of society meeting him, while Plutarch refers specifically to the magistrates and senate“. Der auffälligste Unterschied im Vergleich zur Darstellung des Livius hätte demnach darin gelegen, dass in Ab urbe condita der Zusammenhalt der gesamten Gemeinschaft nach der vorangegangenen Uneinigkeit, die dort als in hohem Maße für die Niederlage verantwortlich präsentiert wird, noch deutlicher herausgestrichen worden wäre. Bei Livius zieht das Volk Varro nämlich geschlossen entgegen, bei Coelius wären es noch einzelne Römer gewesen (vgl. hierzu unten Abschn. 5.2.5.1). Aufgrund der unklaren Überlieferung der Textstelle, die beide Lesungen möglich erscheinen lässt, ist keine sichere Entscheidung zu treffen, inwiefern hier tatsächlich unterschiedliche Akzentsetzungen vorlagen.

286

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Anscheinend aus Catos Origines hatte Coelius die Episode um den Dialog zwischen Hannibal und seinem Reiterführer um den möglichen Angriff auf Rom entnommen.337 Ob Coelius die zeitliche Aufteilung der Episode auf zwei Tage von Cato übernommen hatte oder sie bereits, wie später Livius, in einem einzelnen Dialog verdichtete, lässt sich nicht erschließen.338 Aus den weiteren Fragmenten, die sich aus Coelius Werk erhalten haben, lassen sich hinsichtlich der römischen Niederlagen des Krieges kaum weitere Erkenntnisse gewinnen. Livius verweist im Zusammenhang mit dem Tod des Marcellus i. J. 208 darauf, dass bei Coelius Antipater drei verschiedene Versionen zu diesem Geschehen zu finden gewesen seien, doch wird nicht klar, in welchen Punkten sich diese jeweils genau unterschieden.339 Von dem weiteren reichen Schrifttum der Zeit haben sich kaum Reste erhalten, die sich mit den Niederlagen Roms im Hannibalkrieg in Verbindung bringen lassen. Eine umfangreichere Überlieferung ist erst wieder in dem Œuvre Ciceros erhalten.

5.2.3 Das erste Jahrhundert bis zum Ende der Republik 5.2.3.1  Ein alter Feind als exemplum – M. Tullius Cicero Eine Analyse der Beispiele in den Reden Ciceros, die sich dem Kontext der Niederlagen Roms im Zweiten Punischen Krieg zuordnen lassen, zeigt, dass sich dieser auf einige Ereignisse und Protagonisten besonders häufig bezog.340 Zu diesen gehört der Gegner Hannibal selbst, dessen Name dabei in der Regel stellvertretend für die Bedrohung Roms in diesem Krieg im Ganzen steht. In einer Reihe von Belegstellen ist die Nennung Hannibals mit einer Invektive gegen politische Gegner verbunden, so etwa gegen M. Antonius in den Philippischen Reden. Entweder vergleicht Cicero einen politischen Gegner dort ohne weiteren Kommentar mit Hannibal oder er fügt hinzu, dass dieser so gefährlich bzw. sogar noch gefährlicher (da noch grausamer, gottloser, usw.) für die res publica sei als es einst Hannibal

337FRH

11 F 27 = FRHist 15 F 22 (=Gell. 10,24,6–7): suppetit etiam Coelianum illud ex libro historiarum secundo: „si vis mihi equitatum dare et ipse cum cetero exercitu me sequi, diequinti Romae in Capitolium curabo tibi cena sit cocta“. et historiam autem et verbum hoc sumpsit Coelius ex origine M. Catonis. 338Herrmann 1979, 126 weist darauf hin, dass die Angabe des Gellius, nach der Coelius diese Begebenheit im zweiten Buch seines Werkes angeführt habe, womöglich anzeige, dass dieser Episode eine exponierte Stellung in der Gesamtanlage der Darstellung zugekommen sei. Denn da die Schlacht von Cannae und Teile der an diese anschließenden Ereignisse im ersten Buch behandelt wurden, wird das Gespräch zwischen Hannibal und seinem Reiterführer bei Coelius in den ersten Abschnitten des zweiten Buches geschildert worden sein (vgl. Beck/Walter 2004, 37; Briscoe 2013a, 259). Nach Herrmann habe Coelius durch diese Anlage angestrebt, das Grundthema des zweiten Buches, nämlich das karthagische „Ziel der Eroberung Roms“, direkt zu Beginn zu unterstreichen. 339FRH

11 F 36 = FRHist 15 F 27 (=Liv. 27,27,11–14). Vgl. den Kommentar bei FRHist III, 253. folgende Übersicht stützt sich insbesondere auf die Untersuchungen von Schütz 1913 sowie Bücher 2006. Siehe dort bes. 218 f. und die Belege in den dort beigefügten Anhängen.

340Die

5.2  Der Feind vor den Toren

287

war. Dabei spielt Cicero gelegentlich auch auf konkrete Ereignisse und Konstellationen des Hannibalkrieges an.341 Anspielungen dieser Art finden sich auch jenseits von Invektiven gegen politische Gegner, etwa wenn Cicero auf die Einführung neuer Kulte in Rom zu einer Zeit verweist, als Italien durch Hannibal verwüstet gewesen sei, oder auf die Situation des Jahres 211 anspielt, in der Hannibal mit seinen Truppen bis in die Nähe Roms vorgerückt war.342 Der Hinweis auf letztere Konstellation erfolgt hier gewissermaßen in Form einer narrativen Abbreviatur, indem Cicero lediglich auf die griffige Wendung Hannibal ad portas verweist.343 Ob, und falls ja, in welchem Umfang, diese Wendung bereits zuvor verwendet wurde, lässt sich dabei allerdings nicht sicher feststellen, da die hier zitierte Stelle in der ersten Philippischen Rede den frühesten erhaltenen Beleg für die bis heute bekannte Redewendung bietet.344 Zwar wird hier nicht direkt auf eine Niederlage Roms angespielt, sondern im Gegenteil auf ein Ereignis, das letzten Endes wohl als Rückschlag für die karthagische Seite im Kriegsverlauf zu werten ist.345 Dennoch überwiegt der Eindruck der potenziellen Bedrohung der römischen Hauptstadt. Die Verwendung Hannibals als exemplum folgt insofern einem ähnlichen Schema, wie es bereits im Zusammenhang mit ‚den Galliern‘ zu beobachten war, die ebenfalls als Inbegriff der Bedrohung Roms genannt werden konnten. Ein Unterschied besteht darin, dass im Falle Hannibals der Name eines gegnerischen Feldherrn offenbar nachhaltige Prominenz im sozialen Gedächtnis der römischen Republik behielt, während Feldherren anderer Gegner im Vergleich weitaus weniger Profil gewinnen konnten.346 Im Einzelnen ist es ungewiss, welche Assoziationen Ciceros Zuhörer

341Cic. Verr. 2,5,31 (iste autem Hannibal…); prov. 4 (über die angeblichen Untaten des Aulus Gabinius und des L. Calpurnius Piso: omnia domestica atque urbana mitto, quae tanta sunt ut numquam Hannibal huic urbi tantum mali optarit, quantum illi effecerint); Phil. 5,25 (Antonius habe in Italien noch schlimmer gewütet als Hannibal: ergo Hannibal hostis, civis Antonius? Quid ille fecit hostiliter, quod hic non aut fecerit aut faciat aut moliatur et cogitet? Totum iter Antonio­ rum quid habuit nisi depopulationes, vastationes, caedis, rapinas? Quas non faciebat Hannibal, quia multa ad usum suum reservabat, at hi, qui in horam viverent, non modo de fortunis et de bonis civium, sel ne de utilitate quidem sua cogitaverunt); Phil. 6,4; 13,25 (Antonius sei ein ‚neuer Hannibal‘); 14,9 (Antonius herrsche über Parma in schlimmerer Weise, als es Hannibal über irgendeine Stadt in Italien getan habe.). 342Cic. har. resp. 27 (nach Hannibals Zerstörungen in Italien seien neue Kulte eingeführt worden); phil. 1,11 (Hannibal vor den Toren Roms). Siehe auch Cic. leg. agr. 1,20, 2,95 (jeweils eine Anspielung auf den Aufenthalt von Hannibals Heer im Winter 216/215, in dem seine Soldaten durch den Luxus Capuas angeblich verdorben worden seien). 343Cic. phil. 1,11: Hannibal, credo, erat ad portas […]. Vgl. Stocks 2014, 23. 344Siehe Ramsey 2003, 109; Pausch 2011, 195. Vgl. zudem Otto 1890, 158 f. 345Schließlich stellte der Marsch Hannibals auf Rom im Jahr 211 lediglich ein missglücktes Ablenkungsmanöver dar, mit dem die Verbündeten in Capua entlastet werden sollten. Das Manöver Hannibals schlug bekanntlich fehl. Siehe hierzu nur Seibert 1993a, 304–314 mit weiteren Hinweisen. 346Ein weiterer Gegner, an den sich die Römer noch Generationen später offenbar auch namentlich erinnerten, war Pyrrhos von Epirus.

288

5  Die römisch-karthagischen Kriege

bzw. Leser mit dem Namen Hannibal jeweils genau verbanden. Wahrscheinlich sagte der bloße Name zunächst einmal „genug aus: Er beinhaltet höchste Gefährdung und größtes militärisches Potential“.347 Eine weitere Kontextualisierung mag dann nicht zwingend notwendig gewesen sein. Gleichwohl konnten die Kundigen unter Ciceros Adressaten einzelne Beispiele sicher auch mit konkreten Situationen des Hannibalkrieges verbinden. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass Cicero anmerkt, dass Hannibal, obgleich ein Feind der Römer, nun von diesen in schriftlichen Werken gerühmt werde, und die Kenntnis seiner Taten, zu denen ja im Wesentlichen die Siege über römische Armeen gehörten, auf diese Weise offenbar auch durchaus anerkennend Verbreitung fand. Nicht zuletzt wurde so ja auch der Sieg der Römer, den diese gegen einen so herausragenden Feldherrn schließlich erringen konnten, noch mehr hervorgehoben.348 Bei anderen Gelegenheiten verweist Cicero in Reden auch ohne Nennung Hannibals auf konkrete Konstellationen und Ereignisse des Hannibalkrieges, darunter auch römische Niederlagen sowie die Bedrohung der Hauptstadt selbst durch die karthagische Armee.349 Dabei lässt sich nicht erkennen, dass Cannae im Vergleich zu anderen Ereignissen öfter genannt worden wäre. Denn ebenso oft spielt Cicero etwa auf die Schlacht am Trasimenischen See oder den Untergang der Scipionenbrüder in Spanien an.350 Cicero verwendet die Namen der großen Niederlagen dabei mitunter für eine Invektive gegen Gegner, also in ähnlicher Weise wie er an anderer Stelle Hannibal als Vergleich heranzieht. In pro Sextio Roscio, seiner zweiten Gerichtsrede, vergleicht er die Beteiligung des Anklägers seines Klienten, eines gewissen C. Erucius, an den Proskriptionen unter Sulla mit den Schlachten bei Cannae und am Trasimenischem See. Nicht an letzterem, sondern am Servi­ lius lacus, einer Zisterne in der Nähe des Forums, habe man damals unter Sulla

347Bücher

2006, 219. Sest. 142 (Der Satz steht im Zusammenhang einer Passage, in der Cicero Beispiele für Staatsmänner anführt, die von ihren Mitbürgern geringgeschätzt wurden, im Nachhinein jedoch große Anerkennung gefunden hätten.): quis Carthaginiensium pluris fuit Hannibale consilio, vir­ tute, rebus gestis, qui unus cum tot imperatoribus nostris per tot annos de imperio et de gloria decertavit? hunc sui cives e civitate eiecerunt: nos etiam hostem litteris nostris et memoria vide­ mus esse celebratum. Ein Beispiel hierfür findet sich in der Hannibal-Vita des Cornelius Nepos, der Cicero ja auch persönlich bekannt war. Siehe zu diesem Text den nächsten Abschnitt. Vgl. zur Passage Kaster 2006, 386: „Yet the Romans did not stint in recognizing his capacities as a general, perhaps aware that in granting these capacities they magnified their victory; in that regard it could be said that he was ‚celebrated‘ in Roman tradition in something other than the merely neutral sense of ‚named frequently‘ and hence ‚made well-known‘“. Siehe in diesem Sinne auch Beck 2006, 214 f.

348Cic.

349Für Letzteres siehe etwa: Cic. Mur. 84 (Hostis est enim non apud Anienem, quod bello Punico gravissimum visum est, sed in urbe, in foro …). 350Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae: Cic. S. Rosc. 89; Verr. 2,5,28. Untergang der Scipionen: Balb. 34; Scaur. 45a.

5.2  Der Feind vor den Toren

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hingeschlachtete Römer sehen können.351 Dort, wo Verres in seiner Zeit als Statthalter auf Sizilien wüste Orgien veranstaltet habe, habe es nach dessen, zuvor detailliert beschriebenen, Ausschweifungen, so gewirkt, als hätte dort kein Empfang eines ehrbaren römischen Magistraten stattgefunden, sondern die Schlacht von Cannae getobt.352 Diese Passage gehört freilich zu jener „zu übermäßigem Umfang angeschwollene[n], fiktive[n] zweite[n] Rede“, die Cicero, nachdem Verres sich ins Exil begeben hatte, nicht öffentlich hielt, sondern in einer nachträglichen Ausarbeitung schriftlich veröffentlichte.353 Jedoch wäre der ironische Vergleich sicher auch von Zuhörern der Gerichtsverhandlung verstanden worden, hätte Cicero die Rede noch gehalten. Besonders häufig sind Anspielungen auf einzelne Niederlagen des Hannibalkrieges in Ciceros Reden insgesamt nicht. In einer weitaus größeren Anzahl von Fällen zieht es Cicero vor, den Namen Hannibals zu nennen, um die Wirkung von Vergleichen und bzw. oder Invektiven durch einen Verweis auf die für Rom leidvolle Geschichte des Zweiten Punischen Krieges zu verstärken. In anderen Werken, wie seinen philosophischen und rhetorischen Schriften, hat Cicero eine Reihe von Beispielen aus dem Hannibalkrieg verwendet, die sich in konkreterer Weise auf einzelne Niederlagen Roms beziehen. So erwähnt Cicero in seinem Frühwerk De inventione eine rhetorische Übung, die sich mit dem Hannibalkrieg verband.354 Diese spielte auf die Kapitulation der Stadt Casilinum im Jahr 216 nach der Niederlage bei Cannae an, als deren Bewohner ihre Stadt an Hannibal übergaben.355 Nachdem die Römer die Stadt im Jahr 214 wieder zurückerobern konnten, bestraften sie ihre ehemaligen Verbündeten mit exemplarischer Härte.356 Die Übung spielt also auf ein exemplum an, das zum einen mit der Krise des Hannibalkrieges verbunden war, die durch die schweren Niederlagen der ersten Kriegsjahre erst hervorgerufen worden war, zum anderen mit dem Abfall von Bundesgenossen zum Gegner hin wie auch mit der harten Bestrafung dieses Verhaltens durch die Römer. Es ist nicht abwegig anzunehmen, dass für Cicero sowie

351Cic.

S. Rosc 89: Verum ego forsitan propter multitudinem patronorum in grege adnumerer, te pugna Cannensis accusatorem sat bonum fecit. Multos caesos non ad Trasumenum lacum, sed ad Servilium vidimus. Vgl. den Kommentar von Dyck 2010, 154 f. Am Lacus Servilius wurden offenbar Köpfe von Senatoren, die in den Proskriptionen unter Sulla hingerichtet worden waren, zur Schau gestellt. Vgl. u. a. Sen. dial. 1,3,7 weitere Hinweise bei A. La Regina, in: LTUR 3, 1996, 172–173, s. v. Lacus Servilius. 352Cic. Verr. 2,5,28: Itaque erant exitus eius modi ut alius inter manus e convivio tamquam e proelio auferretur, alius tamquam occisus relinqueretur, plerique ut fusi sine mente ac sine ullo sensu iacerent, ut quivis, cum aspexisset, non se praetoris convivium, sed Cannensem pugnam nequitiae videre arbitraretur. 353Vgl. zu den Hintergründen u. a. Bringmann 2010, 71 (Zitat). 354Cic. inv. 2,171 (Nam aliter dicere solemus: „Necesse est Casilinenses se dedere Hannibali“; aliter autem: „Necesse est Casilinum venire in Hannibalis potestatem“.). Vgl. Bücher 2006, 213 f. 355Vgl. Liv. 23,19,13–18. 356Liv. 24,19,1–11.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

für andere angehende Redner das „Stichwort ‚Casilinum‘“ Assoziationen zu diesem historischen Kontext hervorrufen konnte.357 Im Rahmen solcher rhetorischer Übungen wurde offenbar auch auf andere Konstellationen des Zweiten Punischen Krieges zurückgegriffen. Hierzu gehörte auch die Frage, ob Hannibal nach Cannae auf Rom hätte ziehen sollen oder nicht. Diese Konstellation war ja, wie gesehen, anscheinend spätestens durch den älteren Cato in seinen Origines, also innerhalb eines historiografischen Werkes, thematisiert worden und hatte nun offenbar auch Einzug in den Schatz jener historischen exempla gehalten, die ohne Erläuterung eines weiteren narrativen Kontextes aufgegriffen werden konnten.358 Wie bereits erwähnt, bezieht sich Cicero gleich mehrfach auf die Darstellung des Coelius Antipater, wenn er über die Missachtung von religiösen Vorzeichen durch C. Flaminius im Vorfeld der Schlacht am Trasimenischen See berichtet. Diese werden in der von Cicero hier referierten Tradition offenbar als Ursache der Niederlage angesehen. In diesem Zusammenhang wird auch der Tod des Konsuls erwähnt. Varro hingegen habe vor Cannae die Auspizien beachtet, was ihn allerdings ebenfalls nicht vor der Niederlage bewahrt habe.359 Flaminius und Varro tauchen zudem im Brutus an einer Stelle auf, in der Cicero eine Reihe von fähigen Rednern aufführt, die zur Zeit des älteren Cato lebten.360 Eine negative Bewertung der Redekunst des Flaminius oder des Varro lässt sich in dieser Passage nicht feststellen, was vielleicht als Hinweis darauf gewertet werden kann, dass die Erinnerung an die beiden Konsuln sich nicht ausschließlich auf die großen Niederlagen reduzierte, die die Römer unter ihrem Kommando erlitten.361

357So

Bücher 2006, 214 (Zitat). in späterer Zeit Iuv. 7,158–164. 359Am ausführlichsten in: Cic. div. 1,77–78: Quid? bello Punico secundo nonne C. Flaminius consul iterum neglexit signa rerum futurarum magna cum clade rei publicae? qui exercitu lus­ trato cum Arretium versus castra movisset et contra Hannibalem legiones duceret, et ipse et equus eius ante signum Iovis Statoris sine causa repente concidit nec eam rem habuit religioni obiecto signo, ut peritis videbatur, ne committeret proelium. idem cum tripudio auspicaretur, pullarius diem proelii committendi differebat. tum Flaminius ex eo quaesivit, si ne postea qui­ dem pulli pascerentur, quid faciendum censeret. cum ille quiescendum respondisset, Flaminius: „Praeclara vero auspicia, si esurientibus pullis res geri poterit, saturis nihil geretur!“ itaque signa convelli et se sequi iussit. quo tempore cum signifier primi hastati signum non posset movere loco nec quicquam proficeretur, plures cum accederent, Flaminius re nuntiata suo more neglexit. itaque tribus iis horis concisus exercitus atque ipse interfectus est. magnum illud etiam, quod addidit Coelius, eo tempore ipso, cum hoc calamitosum proelium fieret, tantos terrae motus in Liguribus, Gallia compluribusque insulis totaque in Italia factos esse, ut multa oppida conrue­ rint, multis locis labes factae sint terraeque desiderint fluminaque in contrarias partes fluxerint atque in amnes mare influxerint. Siehe zudem: Cic. div. 2,71; nat. deor. 2,8. 360Cic. Brut. 77: Cum hoc Catone grandiores natu fuerunt C. Flaminius, C. Varro, Q. Maxumus, Q. Metellus, P. Lentulus, P. Crassus, qui cum superiore Africano consul fuit. 361Die Deutung, dass diese Würdigung von „Varros Leistungen als Redner […] dem Bild eines Demagogen entspricht, der die Massen mittels seiner rhetorischen Fähigkeiten in seinem Sinne manipuliert“ (so Geist 2009, 83), geht wohl zu weit. Eine so negative Bewertung lässt sich aus der zitierten Cicero-Passage für sich genommen nicht gewinnen. Vgl. Münzer 1934, 282, der festhält, dass das u. a. bei Livius „geschmähte Auftreten des T. als Gerichtsredner und Volksredner […] ihm [Varro] einen Platz in der Geschichte der Beredsamkeit verschafft“ habe. 358Vgl.

5.2  Der Feind vor den Toren

291

In einer anderen Passage, im ersten Buch der Tusculanen, führt Cicero eine Reihe von im Kampf gefallenen römischen Feldherren als Beispiele für Todesverachtung an. Die Genannten, darunter die Scipionen in Spanien, Paullus und Servilius Geminus bei Cannae sowie Albinus im Wald Litana, seien in sicherer Erwartung des Todes in die Schlacht gezogen.362 In einem ganz ähnlichen gedanklichen Kontext fügte Cicero nahezu die gleiche Kette von Beispielen wenig später in seiner Schrift De senectute ein.363 Zuvor hatte er den Tod der Scipionen in Spanien, den des Paullus und des Marcellus im Krieg gegen Hannibal bereits in De natura deorum in die Argumentation einfließen lassen.364 Es scheint, dass Cicero diese Beispiele besonders geläufig waren – jedenfalls zu der Zeit, als er an den entsprechenden Werken arbeitete. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass Cicero diese Schriften in einem recht überschaubaren Zeitraum verfasste, nämlich vom Sommer 45 (De natura deorum) über den Herbst des gleichen Jahres (Tusculanae disputationes) bis zum Mai 44 (Cato Maior de senectute). Vermutlich waren Cicero die erwähnten Beispiele durch eine kurze Zeit zurückliegende Lektüre besonders gut im Gedächtnis. Vielleicht tauchten sie auch bereits in ähnlichen Aneinanderreihungen in seinen Quellen auf. In jedem Fall hat es den Anschein, dass er sie in verschiedenen Kontexten in Form griffiger exempla-Reihen in seine Argumentation einbringen konnte.365 Mit Blick auf seinen wohl eher exklusiven

362Cic.

Tusc. 1,89 (quotiens non modo ductores nostri, sed universi etiam exercitus ad non dubiam mortem concurrerunt! quae quidem si timeretur, non L. Brutus arcens eum reditu tyrannum quem ipse expulerat in proelio concidisset, non cum Latinis decertans pater Decius, cum Etruscis filius, cum Pyrrho nepos se hostium telis obiecissent, non uno bello pro patria cadentis Scipiones Hispa­ nia vidisset, Paulum et Geminum Cannae, Venusia Marcellum, Litana Albinum, Lucani Gracchum.). Die Auswahl scheint Cicero nicht gänzlich geglückt, sind doch die letzten drei von ihm genannten Feldherren – Marcellus, Albinus und Gracchus – in einem Hinterhalt gefallen, sodass sie auch nicht bewusst einem möglichen Tod in der Schlacht entgegengezogen sein konnten. Man kann diese Beispiele wohl mit dem im Dialog zuvor geäußerten Gedanken in Verbindung bringen, nach dem der Tod nicht zu fürchten sei, da der Moment des Sterbens nur für kurze Zeit währe (Cic. Tusc. 1,82). Ohne Nennung von Namen erwähnt Cicero die Aufopferung des eigenen Lebens für das Vaterland, welche eine Reihe „großer Männer“ vollbracht hätten, bereits in Cic. Tusc. 1,32. 363Cic. Cato 75 (De qua non ita longa disputatione opus esse videtur, cum recorder non L. Brutum, […], non duos Decios, […], non M. Atilium, […], non duos Scipiones, qui iter Poenis vel corpo­ ribus suis obstruere voluerunt, non avum tuum [Cato wendet sich an P. Cornelius Scipio Aemilianus, den leiblichen Enkel des Paullus] L. Paulum, qui morte luit collegae in Cannensi ignominia temeritatem, non M. Marcellum, cuius interitum ne crudelissimus quidem hostis honore sepulturae carere passus est, sed legiones nostras, […] in eum locum saepe profectas alacri animo et erecto, unde se redituras numquam arbitrarentur.). Wenige Kapitel später (Cato 82) werden Vater und Onkel des Africanus sowie L. Aemilius Paullus, der bei Cannae gefallene Konsul, ein weiteres Mal mit erwähnt, allerdings nicht in explizitem Bezug zu ihrem Tod auf dem Schlachtfeld. 364Cic. nat. deor. 3,80 (cur igitur duo Scipiones fortissimos et optimos viros in Hispania Poenus oppressit, cur Maximus extulit filium consularem, cur Marcellum Annibal interemit, cur Paulum Cannae sustulerunt, …). Vgl. zudem den Beginn von De re publica (Cic. rep. 1,1). 365Cic. ad. Att. 14,21,3 (Erwähnung des Cato). Vgl. allgemein Bloomer 1992, 6.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Rezipientenkreis konnte Cicero offenbar darauf vertrauen, dass dieser jene historischen exempla auch ohne weitere Kontextualisierung verstand. Inwieweit diese Beispiele auch einem breiteren Publikum, etwa dem Volk vor der Rednertribüne, ohne Weiteres verständlich gewesen waren, lässt sich wiederum kaum noch erschließen. In Hinsicht auf andere Ereignisse des Zweiten Punischen Krieges kann wiederum davon ausgegangen werden, dass sie sehr wahrscheinlich auch einem erweiterten Kreis von Zuhörern und Lesern bekannt waren. Hierzu gehörte vermutlich das Schicksal der Gefangenen von Cannae, das auch von Cicero in einer Reihe von Stellen diskutiert wird. In De officiis (fertiggestellt Ende 44) geht Cicero in zwei Passagen ausführlich auf die Episode um jene römischen Soldaten ein, die bei Cannae in Gefangenschaft geraten waren.366 Cicero kennt verschiedene Versionen des Vorgangs, von denen er seinen Lesern berichtet. Die grundsätzliche Botschaft bleibt von den Abweichungen, die er bei Polybios und C. Acilius fand, unberührt.367 Wer sich der Fortsetzung der Gefangenschaft durch einen Eidbruch entziehen wollte, habe unehrenhaft gehandelt. Der bloße Nutzen solchen Verhaltens rechtfertige es nicht. Die Passagen gehören in De officiis in einen längeren gedanklichen Zusammenhang, in dem Cicero mögliche Konflikte zwischen dem moralisch Wertvollen, dem ‚Moralischen‘, und dem ‚Nützlichen‘ diskutiert. Das Ergebnis lautet für Cicero, dass der Konflikt nur scheinbar existiere – das Moralische und Ehrenvolle sei letzten Endes stets auch das Nützliche. Im konkreten Fall lasse sich dies, nach Cicero, daran ablesen, dass Hannibal, nachdem die Römer trotz ihrer prekären Lage seine Offerte abgelehnt hatten, jede Hoffnung auf einen Sieg verloren habe. Auf diese Weise habe die Ehrenhaftigkeit (honestas) auch in dieser Situation langfristig einen größeren Nutzen gebracht als es er der Freikauf von 8000 Kriegsgefangenen vermocht hätte.368 Bereits von Polybios wurde die Episode um die Cannae-Gefangenen isoliert von der Darstellung des Kriegsverlaufes in dessen Diskussion der römischen Verfassung als Beispiel für unerschütterliche Moral der Römer, insbesondere des Senates, besonders in Krisensituationen präsentiert. Die Geschichte mag als moralisches Lehrstück also, zumindest in gebildeten Kreisen, durchaus präsent gewesen sein. Auf eine gewisse Popularität im gelehrten Diskurs weist wohl auch die Existenz verschiedener Varianten hin, die durch voneinander unabhängige Überarbeitungen entstanden sein werden.369 Ganz ohne Einbettung in einen

366Cic.

off. 1,40; 3,113–115. oben Abschn. 5.2.2. 368Cic. off. 3,114: Eos senatus non censuit redimendos, cum id parva pecunia fieri posset, ut esset insitum militibus nostris aut vincere aut emori. Qua quidem re audita fractum animum Hannibalis scribit idem, quod senatus populusque Romanus rebus afflictis tam excelso animo fuisset. Sic honesta­ tis comparatione ea, quae videntur utilia, vincuntur. 369Dass Cicero an der zitierten Stelle in De officiis in der Lage ist, diese Varianten anzugeben, kann man wohl als Hinweis darauf deuten, dass er die Passagen in seinen Vorlagen tatsächlich nochmals eingesehen hatte, um sie präzise wiedergeben zu können. Über eine private Kopie von Polybios’ Historien verfügte Cicero auf seinem Tusculanum offenbar, wie der Brief an Atticus aus dem Frühjahr des gleichen Jahres zeigt (Cic. Att. 13,30,2). Vgl. die Analyse des Briefwechsels zwischen Cicero und Atticus, die dort Nachforschungen zu einer historischen Frage anstellen. Siehe hierzu Walter 2004a, 361–373. 367Siehe

5.2  Der Feind vor den Toren

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übergreifenden Zusammenhang funktionierte wiederum ein historischer Vergleich, den Cicero in einen Brief an Atticus einfließen ließ. In einem Schreiben aus dem Januar 49 verleiht ersterer seinem Zorn über Caesars Vormarsch nach Italien hinein Ausdruck und spielt dabei auf den karthagischen Feldherren an.370 Eine explizite Parallelisierung war kaum notwendig, da für Atticus der Vergleich von Caesars Einmarsch mit der Invasion Hannibals nach Italien offensichtlich gewesen sein wird. Fasst man die einzelnen Beobachtungen zu Anspielungen und Verweisen in Ciceros Schriften auf den Hannibalkrieg im Allgemeinen und die römischen Niederlagen in diesem Konflikt im Besonderen zusammen, lässt sich zunächst festhalten, dass der Zweite Punische Krieg zumindest für Cicero eine wichtigere Rolle gespielt zu haben scheint als der erste.371 Bei genauerer Betrachtung lässt sich eine Konzentration auf einige wenige konkrete historische Ereignisse und Konstellationen feststellen. Hierzu zählen die Episode um die Cannae-Gefangenen, das Fehlverhalten des Flaminius im Vorfeld der Niederlage am Trasimenischen See sowie eine Aneinanderreihung von Feldherren, die die Niederlage ihres Heeres nicht überlebten, was als Akt heroischer Aufopferung für die Gemeinschaft verstanden werden konnte.372 Dass Cicero diese Beispiele bei Gelegenheit und ohne weitere Erklärung zum Kontext einbringen konnte, weist darauf hin, dass er bei seinen gebildeten Lesern ein ausreichend hohes Maß an historischem Wissen voraussetzte, das diesen ermöglichte, die von ihm gewählten Beispiele zumindest grob einordnen zu können. Ein wirklich detailliertes Kontextwissen war hierfür in vielen Fällen allerdings auch nicht zwingend erforderlich. Wo genau die Scipionenbrüder in Spanien gefallen waren, wie das im Detail geschehen war, wo genau der Wald Litana liegt, oder wie die taktische Aufstellung bei Cannae ausgesehen hatte, musste niemand wissen, um Ciceros Gedankengängen in den entsprechenden Passagen folgen zu können. In den Reden kommt Cicero oft ohne den expliziten Bezug auf eine einzelne Situation aus. Stattdessen verweist er hier eher auf den gegnerischen Feldherrn Hannibal, der als Inbegriff größter Bedrohung für die Sicherheit und das Bestehen der Stadt Rom und der Republik insgesamt gilt. In diesem Zusammenhang kann der Vergleich mit Hannibal als Invektive in politischen Auseinandersetzungen dienen, wobei noch eine Steigerung dahin gehend möglich ist, dass der jeweils aktuelle Staatsfeind sich noch größerer Gräuel als der, bekanntermaßen grausame, Karthager schuldig gemacht habe. Die Verwendung in der Invektive, auch in jener

370Cic.

Att. 7,11,1 (utrum de imperatore populi Romani an de Hannibale loquimur?). Vgl. Oppermann 2000, 41 f. 371Jedenfalls stellt sich dies so dar, wenn man die Häufigkeit der Nennung als Maß für die beigemessene Bedeutung anlegen möchte. Vgl. Abschn. 5.1.3. 372Es hat sich gezeigt, dass Cicero diese Beispiele insbesondere in seinem Spätwerk verwendete. Dort ähneln sich die Auswahl und Verwendung im jeweiligen argumentativen Zusammenhang in Schriften, die Cicero in einem relativ kurzen Zeitraum verfasste. Der Gedanke liegt nahe, dass die Verweise in gewisser Weise Früchte von Ciceros Studien darstellen, zu denen er im erzwungenen politischen Wartestand nun wieder vermehrt Gelegenheit hatte.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

gesteigerten Form, war bereits im Zusammenhang mit dem exemplum der ‚Gallischen Katastrophe‘ zu beobachten. Ein Unterschied kann darin gesehen werden, dass mit Hannibal ein namentlich benannter Feldherr des Gegners bekannt ist und offenbar der Nennung und der Memorierung wert empfunden wurde. Hinzu kommen einzelne Hinweise auf rhetorische Übungen, die sich mit Situationen des Hannibalkrieges verbanden. Es ist durchaus denkbar, dass auch weitere Episoden, die von Cicero nicht explizit in einem solchen Kontext genannt werden, in ähnlicher Funktion als Lehrbeispiele des Rhetorikunterrichtes eine Verankerung in diesem Teilbereich der römischen Geschichtskultur fanden. Dieser bot für eine bestimmte Gruppe in der römischen Gesellschaft also die Gelegenheit, sich auch mit den Niederlagen Roms gegen die Karthager auseinanderzusetzen und auf diese Weise einen vertieften Einblick in die römische Geschichte zu gewinnen.

5.2.3.2  Ein alter Feind, neu betrachtet – die Hannibal-Biografie des Cornelius Nepos Hannibal und sein Vater Hamilkar sind die einzigen Feldherren in der BiografienSammlung des Nepos, die den Römern als Gegner gegenübergestanden hatten. Die Hannibal-Vita nimmt zudem einen zentralen Platz in der Komposition der Sammlung ein, auf die später noch zurückzukommen sein wird.373 In der Biografie wird der karthagische Feldherr gleich zu Beginn in einer Weise hervorgehoben, die ihn unzweifelhaft würdigen sollte. Hannibal sei nämlich allen übrigen Feldherren in dem Maße an prudentia überlegen gewesen, in dem dies die Römer den anderen Völkern an Tapferkeit gewesen seien.374 Den Qualitäten Hannibals als Feldherr, die in der römischen Überlieferung auch sonst kaum angezweifelt wurden, stellt Nepos bemerkenswerterweise keine umfangreiche Aufzählung charakterlicher Mängel an die Seite, wie es etwa einige Jahre später Livius unternehmen sollte und offenbar auch bereits in Darstellungen der Fall war, die vor Nepos’ Zeit verfasst wurden.375

373Anselm

2004, 61 f. Neben den Lebensbeschreibungen des Miltiades, mit der die Sammlung beginnt, und der des Chabrias, ist diejenige Hannibals die einzige, die mit einer Praescriptio beginnt und mit einer Subscriptio abschließt, in der die jeweilige Person gewürdigt wird. Auf die Subscriptio wird am Ende des Abschnittes noch einzugehen sein. In der Forschung wurde lange angenommen, dass die Biografien des Damates, des Hamilkar und des Hannibal erst in einer zweiten Edition des Werkes eingefügt worden sind. Diese Ansicht geht auf Leo 1901, 195– 198 zurück, dem in dieser Frage, in abweichenden Varianten, meist gefolgt wurde. Siehe u. a. Geiger 1985, 85, 97; Dionisotti 1988, 38, Anm. 15; Anselm 2004, 43–46. Diese Frage ist für die vorliegende Arbeit nicht von zentralem Interesse, da Hannibal jedenfalls als bedeutend genug angesehen wurde, um ihn in die Sammlung aufzunehmen. Stem 2012, 24–29 hat zudem überzeugend dargelegt, dass eine zweite Edition nicht zwingend angenommen werden muss. 374Nep. Hann. 1,1: si verum est, quod nemo dubitat, ut populus Romanus omnes gentes virtute superarit, non est infitiandum Hannibalem tanto praestitisse ceteros imperatores prudentia, quanto populus Romanus antecedat fortitudine cunctas nationes. 375Die Charakteristik des Hannibal bei Livius: 21,4,5–10 (vgl. hierzu unten Abschn. 5.2.5.1). Auf Nachrichten über Hannibals angebliche Grausamkeit und andere charakterliche Mängel weist schon Polybios hin, der Hannibal gegen einige Anschuldigungen in Schutz nahm (Pol. 9,24).

5.2  Der Feind vor den Toren

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Nepos wertet die strategischen und taktischen Kniffe Hannibals nicht als perfidia, sondern deutet diese – unter Verzicht auf den Rückgriff auf kulturelle Stereotypen – in ausschließlich positiver Interpretation zu Kennzeichen von prudentia um. H ­ ierbei handelt es sich um eine Tugend, die nach einer Vorstellung, die in der römischen Erinnerung offenbar weitverbreitet war, eher bedeutenden Gegenspielern Hannibals auf römischer Seite zukam, wie etwa Fabius Maximus oder dem älteren Africanus.376 Als einzigen fragwürdigen, gleichwohl sehr dominanten, Charakterzug Hannibals nennt Nepos den Hass auf die Römer, der ihm von seinem Vater Hamilkar vermittelt worden sei. Hannibals Hass arbeitet Nepos als Triebfeder für das Handeln des Karthagers heraus, die dessen Handeln bis zu seinem Lebensende geleitet habe.377 Bemerkenswerterweise erwähnt Nepos in der Praescriptio keine militärischen Niederlagen Hannibals. Dieser sei vielmehr durch den „Neid seiner Mitbürger“ und „die Missgunst vieler“ gescheitert, womit wohl nur eine innerkarthagische Opposition gemeint sein kann. Der Beitrag der römischen Heerführer zum Sieg über Hannibal wird hier also nicht genannt.378 Nepos nutzt auch im weiteren Verlauf seiner Darstellung zahlreiche Gelegenheiten, um Hannibals Taten hervorzuheben und den Karthager dabei im Vergleich zu den Darstellungen anderer Autoren in besonders positiver Weise zu schildern.379 Dies hängt natürlich mit der von Nepos gewählten Gattung zusammen, ist in Hinsicht auf einen der

376Vgl. Anselm 377In

2004, 152.

diesem Zusammenhang versäumt Nepos natürlich nicht, die Schwurszene aus Hannibals Kindheit einzubinden, die er in ihrem erzählerischen Zusammenhang – Hannibals Aufenthalt bei Antiochos III. und sein Bestreben, sich gegen Anschuldigen, er suche die Freundschaft der Römer – darstellt (Nep. Hann. 2,2–6). Vgl. bereits Christ 1974, 369–371 und Anselm 2004, 153. 378Nep. Hann. 1,2: nam quotienscumque cum eo congressus est in Italia, semper discessit supe­ rior. quod nisi domi civium suorum invidia debilitatus esset, Romanos videtur superare potuisse. sed multorum obtrectatio devicit unius virtutem. Vgl. zu diesem Gedanken auch Cic. Sest. 142. Vgl. auch Stocks 2014, 25: „In stating that jealously (obtrectatio) conquered (deuicit) Hannibal and his uirtus, Nepos is following a trend among Rome’s authors of viewing Hannibal’s failure as due to factors other than the success of Rome and her uiri“. 379So etwa in Hinsicht auf den Alpenübergang der Karthager (Nep. Hann. 3,4). Hannibal sei seit Hercules der erste gewesen, der ein Heer über die Alpen nach Italien geführt habe, habe auf seinem Marsch sämtliche Bergbewohner besiegt und sich zudem um zivilisatorische Errungenschaften verdient gemacht, indem er das Gebirge durch feste Wege erschloss, sodass nun voll ausgerüstete Kriegselefanten (elephantus ornatus. Gemeint ist vermutlich ein turmartiger Aufbau, von dem aus Soldaten ihre Gegner mit Wurfgeschossen attackieren konnten. Die Historizität dieser Ausrüstung sowie die der damit verbundenen Taktik ist umstritten. Siehe Scullard 1974, 240–245, bes. 241 f.) dort entlang gehen konnten, wo zuvor kaum ein einzelner unbewaffneter Mann vorankam. Insgesamt ging es Nepos offenbar weniger um historische Korrektheit oder um eine detaillierte Schilderung des Feldzuges, als vielmehr um eine Würdigung von H ­ annibals Eigenschaften als Feldherr, dessen prudentia (vgl. Nep. Hann. 1,1) sich auch unter widrigen Umständen zeigte. Vgl. Anselm 2004, 154 f.; Stem 2012, 40–44. Diese sei im Übrigen auch daran zu erkennen, dass Antiochos III. im Krieg gegen Rom vermutlich bis nach Italien vorgestoßen wäre, hätte er auf den Rat Hannibals gehört (Nep. Hann. 8,3). Siehe auch von Albrecht 1994, 387, 389.

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bedeutendsten und gefährlichsten Gegner Roms gleichwohl durchaus bemerkenswert. Immerhin musste Hannibal, etwa in Reden Ciceros, zeitgleich als Sinnbild von Schrecken und Bedrohung der Existenz der Stadt Roms selbst herhalten.380 Hannibal wird von Nepos also insgesamt als herausragender Feldherr und umsichtiger Stratege dargestellt. Auf die römischen Niederlagen des Zweiten Punischen Krieges geht Nepos wiederum nur in sehr knapper Form ein, was u. a. Karl Christ zu der Vermutung veranlasst hat, dass Nepos diese bei seinen Lesern als in ausreichendem Maße bekannt voraussetzen konnte, sodass er eine detaillierte Schilderung als nicht notwendig erachtete.381 Dies mag durchaus der Fall gewesen sein. Gleichwohl hat Nepos auch in den Biografien anderer Feldherren zum Beispiel wichtige Schlachten der griechischen Geschichte, für die er wohl eher keine umfassende Kenntnis der jeweiligen historischen Zusammenhänge bei seinen Lesern voraussetzen konnte, in teils sehr knapper Weise oder auch nur in Form eines indirekten Hinweises behandelt. Dies deutet darauf hin, dass es Nepos generell eher um das Hervorheben vorbildlicher und daher nachahmenswerter Tugenden als um die umfangreiche Schilderung militärischer Operationen ging – auch dann, wenn es sich dabei um solche Ereignisse handelte, die im Leben der betreffenden Personen einen prominenten Rang einnahmen.382 Für die Präsentation derartiger exempla war ein umfassendes Wissen um den historischen Kontext vermutlich auch gar nicht zwingend erforderlich.383

380Siehe

oben Abschn. 5.2.3.1. Krieg in Italien wird geschildert bei Nep. Hann. 4,1–5,4. Die Schilderung einzelner Schlachten nimmt dabei in der Regel nur einen Satz ein. Siehe für die Kämpfe an Ticinus, Trebia, Trasimenischem See, bei Cannae Nep. Hann. 4,1–4. In 5,3 werden die Siege über M. Minucius Rufus i. J. 217, Ti. Sempronius Gracchus und M. Claudius Marcellus erwähnt. Vgl. Christ 1974, 370. 382So etwa die Schlacht von Leuktra in der Epaminondas-Vita, die lediglich in zwei kurzen indirekten Verweisen vorkommt (Nep. Epam. 8,3; 10,2. Die Schlacht bei Mantineia nutzt Nepos allerdings, um die aufopferungsvolle Haltung des Epaminondas herauszustreichen, der in diesem Kampf fällt). In der Lebensbeschreibung des Miltiades widmet Nepos den Vorbereitungen der Schlacht bei Marathon sowie den anschließenden Ehrungen des Feldherrn eine recht umfangreiche Darstellung. Die Schilderung der Kampfhandlungen selbst fällt wiederum eher knapp aus (Nep. Milt. 5,5). Vgl. hierzu Beneker 2009, 118 f.; Anselm 2004, 157. In Hinsicht auf die Hannibal-Biografie ist zu Recht bemerkt worden, dass Nepos Hannibals Leben nach dem Zweiten Punischen Krieg auffällig viel Platz gewidmet hat (Christ 1974, 370). 383Vgl. Stem 2012, 235 f., der auf diesen Umstand im Zusammenhang mit Nepos’ Schilderung der Ehrungen hinweist, die Miltiades von den Athenern nach der Schlacht bei Marathon zukamen. Miltiades sei eine Statue errichtet worden, und sein Sieg sei in einem Gemälde in por­ ticu, quae Poecile vocatur, verewigt worden. Nepos fügt an, dass diese Ehrungen im Vergleich zu denen, die Demetrios von Phaleron in späterer Zeit zukamen, bescheiden gewesen seien. Zu Miltiades’ Zeiten habe in der Bürgerschaft noch ein Sinn für das rechte Maß geherrscht, doch mit der Ausweitung des athenischen imperiums sei dieser gänzlich verloren gegangen. Nepos überlässt es nicht dem Leser selbst, die Parallelen zur römischen Geschichte zu ziehen, sondern weist ausdrücklich auf diese hin (Nep. Milt. 6,2–4). Das Beispiel Miltiades wird nicht um seiner selbst willen zitiert, sondern um römischen Lesern einen kritischen Blick auf die eigene Zeit zu eröffnen. Genauere Kenntnisse der griechischen Geschichte des frühen 5. Jahrhunderts waren dabei nicht zwingend notwendig, um Nepos’ Argumentation folgen zu können. 381Der

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Ungeachtet der Kürze der Darstellung, hat Nepos in seiner Schilderung der Siege Hannibals über Rom auch eigene Akzente gesetzt. So variiert er die Überlieferung um Hannibals Augenkrankheit, die dieser sich bei Durchquerung der überschwemmten Gebiete am Arno i. J. 217 zugezogen hatte, dahin gehend, dass der karthagische Feldherr durch die Erkrankung gezwungen gewesen sei, seine Truppen von einer Sänfte aus zu befehligen. Derart eingeschränkt, sei es Hannibal dennoch gelungen, die Armee des C. Flaminius am Trasimenischen See zu vernichten. Die Soldaten des C. Centenius habe er anschließend geschlagen, obwohl dieser mit ausgewählten Truppen Gebirgspässe besetzt gehalten habe, sich also in einer schwer anzugreifenden Position befunden habe.384 Hannibal habe die Römer also gleich mehrfach unter widrigen Umständen besiegt. Dies stellt eine Schilderung dar, die einen bemerkenswerten Gegensatz zu anderen Deutungen von Niederlagen in der römischen Geschichtskultur bietet. Denn in der Regel werden dort vielmehr vermeintliche Schwierigkeiten, mit denen sich die Römer konfrontiert gesehen hätten, hervorgehoben. Nepos’ Darstellung von Hannibals Siegen in Italien liegt jedoch auf einer Linie mit anderen Teilen der Biografie. Hannibal wird fast durchgehend als Held geschildert, der auch unter schwierigen Bedingungen triumphiert. Nepos schildert dann die Ereignisse aus der Diktatur des Q. Fabius Maximus (historisch i. J. 217) in chronologisch falscher Reihenfolge, nämlich erst nach der Schilderung von Hannibals Sieg bei Cannae. Vielleicht wollte er auf diese Weise die Darstellung der Kette von Hannibals Siegen nicht durchbrechen, was einen Gegensatz zu den erhaltenen historiografischen Darstellungen bietet, in denen die Diktatur des Fabius als aus römischer Sicht positiver Gegensatz zu den unzulänglich geführten Feldzügen seiner Vorgänger und Nachfolger erscheint.385 Eigentümlich ist auch Nepos’ Behauptung, Hannibal sei direkt nach Cannae mit seinem Heer vor Rom gezogen, um dann nach Capua „zurückzukehren“. Warum Hannibal nach einigen Tagen die Umgebung Roms wieder verlassen haben soll, bleibt unklar. Vielleicht wollte es Nepos vermeiden, die für Hannibal wenig glanzvollen Operationen rund um die römische Belagerung Capuas und seines Marsches in Richtung auf Rom, die sich zudem nicht direkt nach Cannae ereigneten und wesentlich langwieriger ausfielen als es bei Nepos den Anschein hat, breiter auszuführen.386

384Nep. Hann. 4,3: Hoc itinere adeo gravi morbo afficitur oculorum, ut postea numquam dextro aeque bene usus sit. qua valetudine cum etiam tum premeretur lecticaque ferretur, C. Flaminium consulem apud Trasumenum cum exercitu insidiis circumventum occidit, neque multo post C. Centenium praetorem cum delecta manu saltus occupantem. Vgl. Anselm 2004, 155, Anm. 355. 385Siehe hierzu insbesondere die Darstellung in Buch 22 des Livius (vgl. unten Abschn. 5.2.5.1). 386Nep. Hann. 5,1: Hac pugna [Cannae, Anm. S. Lentzsch] pugnata Romam profectus est nullo resistente. in propinquis urbi montibus moratus est. cum aliquot ibi dies castra habuisset et Capuam reverteretur, Q. Fabius Maximus, dictator Romanus, in agro Falerno ei se obiecit. Vgl. Anselm 2004, 155: „Nepos vermeidet es, die Situation Hannibals vor Rom zu beschreiben, offenbar um den blamablen Rückzug seines Helden nicht andeuten zu müssen. Es wirkt daher so, als sei Hannibal gelangweilt nach Capua zurückgekehrt, weil er nicht auf den erwarteten Widerstand stieß“.

298

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Wahrscheinlich versuchte Nepos durch diese Anordnung der Ereignisse Hannibals Erfolg bei Cannae hervorzuheben. Am Ende des betreffenden Kapitels vertritt Nepos nämlich die Ansicht, dass die weiteren Aktionen des Krieges in Italien nicht detailliert erörtert werden müssten und es stattdessen ausreiche, zu erwähnen, dass Hannibal dort jede Schlacht gewonnen habe. Nach Cannae habe es sogar kein Gegner mehr gewagt, in eine offene Feldschlacht gegen ihn zu ziehen. Somit sei Hannibal „unbesiegt“ (invictus) aus Italien heimgekehrt.387 Die Schlacht bei Zama wird dann übrigens in ebenso knapper Weise abgehandelt wie die bei Cannae.388 Die in vielen Bereichen sehr positive Darstellung Hannibals bei Nepos mag zunächst überraschen. Allerdings können hierfür durchaus Erklärungen gefunden werden. So ist es sicher zutreffend, dass sich „mit der Größe des Gegners […] auch die Leistung der Römer, die ihn schließlich besiegen“, gesteigert habe.389 Nepos’ nahezu ungetrübtes Bild der Eigenschaften, Leistungen und militärischen Fähigkeiten Hannibals weist darüber hinaus darauf hin, dass Hannibal im ersten Jahrhundert bereits einen Platz in einem militärtheoretischen Diskurs gefunden hatte, in dem der karthagische Feldherr von Griechen wie von Römern als einer der fähigsten und insgesamt bedeutendsten Feldherren der Geschichte des Mittelmeerraums angesehen wurde.390 Die Biografie Hannibals bildet das letzte Kapitel in Nepos’ Buch über die Feldherren anderer Völker. Im anschließenden, verlorenen Buch wandte sich Nepos wohl römischen Feldherren zu, was in der Forschung Anlass zu Überlegungen bezüglich geschichtsphilosophischer Vorstellungen des Nepos gegeben hat. So beobachtet Sabine Anselm, dass die gesamte zweite Dekade der Feldherrenbücher des Nepos leitmotivisch von dem „Thema des Niedergangs eines Staates“ bestimmt werde. Zusammengenommen ergebe sich auf diese Weise das Bild des „Niedergangs der fremden Welt“, an den sich der Durchbruch der Römer zur Weltherrschaft anschließt.391 Mit Hannibals Niederlage, die den Untergang Karthagos eingeleitet habe, sei dieser

387Nep. Hann. 5,4–6,1. Vgl. Stocks 2014, 26: „The focus is on Hannibal as a victor: no space is given to his defeats after Cannae“. Unter den übrigen erhaltenen römischen Autoren steht Nepos mit dieser Sichtweise alleine da. Allerdings hatte bereits Polybios (Pol. 15,16) angemerkt, dass Hannibal bis zur Schlacht von Zama ohne Niederlage geblieben sei. Vgl. Vogt 1953, 171. 388Nep. Hann. 6,3. Auch behält Nepos die Linie seiner Darstellung bei, indem er im Zusammenhang mit der Schlacht von Zama nicht etwa die Leistung des römischen Siegers Scipio, sondern jene Hannibals betont. Diesem sei es nämlich gelungen, in überaus kurzer Zeit und unter den Gefahren einer Verfolgung nach Hadrumetum zu entkommen, wo er in wiederum knapper Zeit eine beträchtliche Anzahl von Soldaten habe sammeln können. Das bei weitem am umfangreichsten geschilderte Gefecht ist eine Seeschlacht, die Hannibal im Dienste des Prusias von Pontus gegen Eumenes von Pergamon führte und gewann (Nep. Hann. 10,3–11,7). 389Anselm 2004, 153 (Zitat). Vgl. in diesem Sinne zuvor bereits Geiger 1985, 97. Siehe hierzu auch Seibert 1993a, 150; Beck 2006, 214 f. (wenn auch nicht direkt auf Nepos bezogen) und ferner Kaster 2006, 386 (in Bezug auf die bereits oben diskutierte Passage in Cic. Sest. 142). 390Dies mag auch bereits die berühmte Anekdote um Hannibals und Scipios Begegnung am Hofe des Seleukiden Antiochos III. nahelegen. Siehe FRH 5 F 7 = FRHist 7 F 4 (=Liv. 35,14,5–12) (mit Kommentar). 391Anselm 2004, 119 f.

5.2  Der Feind vor den Toren

299

Niedergang der nichtrömischen Mittelmeerwelt an seinem Ende angelangt. In dieser Entwicklung solle der römische Leser in Nepos’ Zeit eine Mahnung und Lehre aus der Geschichte erkennen – schließlich sei auch die res publica an einem Punkt angelangt, an dem ihr nahes Ende zu befürchten gewesen sei.392 Neben den nachahmenswerten Tugenden einzelner Feldherren sei also auch eine umfassendere geschichtsphilosophische Botschaft in dem Buch über die Feldherren enthalten gewesen. In der Tat wird in der Hannibal-Biografie der Untergang Karthagos insofern reflektiert, indem Nepos noch vor Beginn der eigentlichen Darstellung anmerkt, dass es der Neid von Hannibals Mitbürgern war, der den besten Feldherrn der Karthager an einem endgültigen Sieg über die Römer gehindert habe.393 Dass aber in Nepos’ Text Hannibal, geblendet von seinem Hass auf die Römer, der in der Tat alle Teile der Biografie als Grundthema durchzieht, „Karthago ins Verderben“ gestürzt habe, liegt keineswegs so deutlich auf der Hand, wie es etwa Anselm darlegt.394 Der Umstand, dass das Hannibal-Kapitel in Nepos’ Buch über die Feldherren „fremder Völker“ an letzter Stelle auftaucht, lässt sich zudem auch aus einer anderen Perspektive deuten. So hat Claire Stocks aus diesem Umstand abgeleitet, dass Nepos Hannibal als „den größten“ der von ihm porträtierten auswärtigen Feldherren angesehen habe und seine Biografie aus diesem Grund an das Ende der Sammlung gesetzt habe.395 In jedem Fall wird deutlich, dass Nepos’ möglicherweise eigentümlich erscheinende Behandlung des Stoffes, die sich teils deutlich von anderen Darstellungen unterscheidet, nicht auf reiner Unkenntnis beruhte, sondern dass er etwa Änderungen in der Reihenfolge und Gewichtung von einzelnen Ereignissen aus anderen Gründen vornahm, die in der Intention seiner Darstellung begründet liegen. Darauf dass Nepos durchaus über Kenntnisse verfügte, die er in der Hannibal-Biografie nicht unterbrachte, deutet auch eine Notiz des Gellius hin. Dort erwähnt dieser, dass Nepos in einer nicht erhaltenen Sammlung von exempla die Episode um die Gefangenen von Cannae und deren Gesandtschaft zum Senat in Rom untergebracht habe.396 Die relative Popularität dieser Episode lässt sich ja bereits ein gutes Jahrhundert zuvor bei C. Acilius sowie bei Nepos’ Zeitgenossen und Freund Cicero erkennen.397

392Diese

Deutung sei jedoch eher implizit enthalten gewesen. Vgl. Anselm 2004, 159 f. Hann. 1,2. 394Anselm 2004, 118 (Zitat), 159. Zwar wird der Hass Hannibals auf die Römer römischen Lesern gewiss nicht sympathisch gewesen sein. Allerdings wird dieser in der Biografie selbst an keiner Stelle ausdrücklich als Ursache für Hannibals Scheitern und einen damit verbundenen Untergang Karthagos benannt (vgl. nur Nep. Hann. 1,3; 2,3–6; 10,1). Hätte Nepos die Aufmerksamkeit seiner Rezipienten hierauf lenken wollen, wäre aber vermutlich zu erwarten, dass er dies nach der Art der vielen im Text verteilten Kommentare auch ausdrücklich getan hätte. 395Stocks 2014, 25: „The life of Hannibal is thus one among many, though its structural placement as the final life in the book on foreign generals – a position dictated by Nepos himself […] suggests that Nepos considered him the greatest of his foreign generals“. 396Gell. 6,18,11. Vgl. Stem 2012, 83 f. 397Vgl. oben Abschn. 5.2.2 und 5.2.3.1. 393Nep.

300

5  Die römisch-karthagischen Kriege

5.2.3.3 Ein Feind aus alten Zeiten – weitere Zeugnisse der späten Republik Bereits gut zwei Jahrzehnte bevor Livius mit der Arbeit an seinem Monumentalwerk begann, kehrten einige Historiografen wieder zur Form der Gesamtgeschichte zurück, nachdem in den Jahrzehnten zuvor Werke, die sich auf die Zeitgeschichte konzentrierten, bzw. Monographien zu einzelnen Kriegen vorgeherrscht hatten.398 Die Werke von Autoren wie Q. Claudius Quadrigarius, Valerius Antias, Licinius Macer oder Aelius Tubero sind uns leider nur in Fragmenten überliefert. Von den erhaltenen Zeugnissen lässt sich nur ein einziges mit dem Kontext der römischen Niederlagen des Zweiten Punischen Krieges in Verbindung bringen, obwohl von der Anlage der Werke her klar ist, dass dieser in all diesen Darstellungen behandelt wurde.399 Hier, wie auch in anderen Fällen, ersetzte die wenig später erschienene Geschichte des Livius die früheren Werke.400 In Hinsicht auf den Status, den der Kampf Roms gegen Karthago im sozialen Gedächtnis der römischen Republik zur Zeit Ciceros einnahm, ist eine Passage aus der Schrift De rerum natura des Lucretius nicht uninteressant.401 Im dritten Buch geht es Lucretius darum, aufzuzeigen, wie und aus welchen Gründen die Furcht des Menschen vor dem Tod zu überwinden sei. Der Grundgedanke der hier interessierenden Passage besteht darin, dass der Tod für den Menschen im Grunde belanglos sei, da er diesen ohnehin nicht mehr erfahren werde.402 Um seine Argumentation zu untermauern, konstruiert Lucretius einen Vergleich, der sich auf die römische Vergangenheit bezieht. So wenig seine Zeitgenossen nunmehr den Schrecken und die Angst spürten, die die (römische) Welt zur Zeit der Kriege gegen Karthago in Atem gehalten hätte, so wenig würden sie von den Ängsten und anderen Gefühlen berührt werden, wenn sich nach ihrem Tod Seele und Körper

398Siehe

hierzu jeweils mit weiteren Hinweisen u. a. Timpe 1979/2007; Walter 2004a, 340–353. ein Fragment des Q. Claudius Quadrigarius ist ein mögliches Datum der Schlacht von Cannae überliefert. Siehe FRH 14 F 52 = FRHist 24 F 53 (=Non. p. 757 L.). Der Zweite Punische Krieg muss auch Teil von anderen Werken gewesen sein, ohne dass wir Aussagen über die jeweilige Form und Gestaltung der Überlieferung treffen können. 400Es hat freilich nicht an Versuchen gemangelt, die dritte Dekade von Ab Urbe condita im Allgemeinen und die Darstellung der großen Niederlagen gegen die Karthager im Besonderen nach den Spuren der Vorgänger des Livius zu durchsuchen. Diese Ansätze sollen hier allerdings nicht weiter im Detail verfolgt werden. Stattdessen erscheint es sinnvoller, sich im nächsten Unterkapitel direkt Livius’ Werk zuzuwenden, das in der vollständig erhaltenen dritten Dekade eine umfangreiche Schilderung des gesamten Zweiten Punischen Krieges bereithält. Vgl. unten Abschn. 5.2.5.1 und siehe zuletzt die Beiträge von Richardson 2015 und Hoyos 2015 (jeweils mit weiteren Hinweisen auf die Forschung). 401Die genauen biografischen Daten des Lucretius sind nicht überliefert, eine Lebensspanne von „Anfang des 1. Jh. v. Chr. […]“ bis zur „Mitte der fünfziger Jahre“ gilt allerdings als sehr wahrscheinlich (von Albrecht 1994, 229). 402Vgl. hierzu Bailey 1950, 1133–1135; O’Gorman 2004, 101; Kenney 22014, 183. 399Durch

5.2  Der Feind vor den Toren

301

getrennt haben würden.403 In dieser Form des Bezugs auf das ferne Geschehen, in dem vor allem die Distanz betont wird, die die Römer seiner Zeit in jeglicher Hinsicht vom Zeitalter der punischen Kriege trenne, kann man durchaus einen ironischen Seitenhieb des Lucretius auf solche Zeitgenossen erkennen, die auf diese schon ferne Epoche permanent entweder als goldene Zeit oder als Vorratskammer für scheinbar aktualisierbare Beispiele verwiesen.404 Neben dieser Form der Erinnerung an den zweiten römisch-karthagischen Krieg blieb jener freilich, trotz einer zunehmenden zeitlichen Distanz, auch in den folgenden Generationen in verschiedenen Medien der zunehmend verzweigten römischen Geschichtskultur fest verankert, sodass es sich lohnt, dieses Thema auch durch die frühe Kaiserzeit zu verfolgen. Zuvor soll jedoch ein Zwischenfazit zu Darstellungen und Deutungen der römischen Niederlagen des zweiten römisch-karthagischen Krieges eine Übersicht zu den bislang erreichten Ergebnissen bieten.

5.2.4 Zwischenfazit. Die Niederlagen des zweiten römischkarthagischen Krieges in der Geschichtskultur der Republik In den vorangegangenen Abschnitten konnte gezeigt werden, dass die Niederlagen der Römer im Krieg gegen die karthagischen Armeen im Hannibalkrieg vielfältige Spuren in der Geschichtskultur der römischen Republik hinterlassen haben. Dabei können gleichwohl Schwerpunkte und wiederkehrende Muster und Motive ausgemacht werden. Recht früh, offenbar bereits während des Krieges, wurden die Niederlagen in Rom im Rahmen von religiös geprägten Deutungsmustern erklärt. Der früheste durch das Zeugnis Ciceros erhaltene direkte Beleg für die Erklärung einer Niederlage im Zweiten Punischen Krieg durch Missachtung von Vorzeichen in

403Lucr.

3,830–842 (Nil igitur mors est ad nos neque pertinet hilum,/quandoquidem natura animi mortalis habetur;/et, vel ut ante acto nihil tempore sensimus aegri,/ad confligendum venien­ tibus undique Poenis,/omnia cum belli trepido concussa tumultu/horrida contremuere sub altis aetheris auris,/in dubioque fuere utrorum ad regna cadendum/omnibus humanis esset terraque marique,/sic, ubi non erimus, cum corporis atque animai/discidium fuerit, quibus e sumus uni­ ter apti,/scilicet haud nobis quicquam, qui non erimus tum,/accidere omnino poterit sensumque movere,/non si terra mari miscebitur et mare caelo.). 404Siehe hierzu bes. Kenney 22014, 183: „The vocabulary and phrasing of lines 833–7 parody the high epic style, and the irony is pointed: these events were at the time world-shaking and so presented themselves to the first great national poet – but what are they to us now? […] Hannibal continued to haunt the declamatory tradition for centuries to plague Roman schoolboys […], already for L. a subject for sardonic reflection“. Kenney weist in diesem Zusammenhang auch auf eine Reihe von stilistischen Anspielungen hin, die sich Lucretius, in wohl ironischer Absicht, in dieser Passage erlaubt hat (Kenney 22014, 183 f.). So verwiesen die Zeilen 834–837 auf Ennius’ Africa terribili tremit horrida terra tumultu (Enn. ann. 309), was bereits Skutsch 1985, 486 angemerkt hatte.

302

5  Die römisch-karthagischen Kriege

der römischen Historiografie findet sich im Werk des L. Coelius Antipater im Zusammenhang mit der Niederlage des Flaminius am Trasimenischen See. Jedoch ist es plausibel (und durch Appian ja auch indirekt belegt) anzunehmen, dass die Ratschläge des Orakels von Delphi, die Q. Fabius Pictor von seiner Gesandtschaftsreise mitbrachte, die dieser dorthin nach der Schlacht von Cannae im Jahr 216 unternahm, auch bereits im Werk des ersten römischen Geschichtsschreibers beschrieben wurden. Dies dürfte wohl ebenfalls im Kontext von Erklärungsmustern erfolgt sein, die die Niederlagen gegen Hannibals Armee in den Vorjahren im Kontext religiöser Deutungsmuster interpretierten. Vermutlich ebenfalls recht früh scheint eine andere Erklärungs- und zugleich Entlastungsstrategie darin bestanden zu haben, einzelnen Feldherren die Schuld an einer Niederlage zuzuweisen. Dies scheint besonders in Hinsicht auf C. Flaminius der Fall gewesen zu sein, der nachweislich bereits bei Polybios sehr ungünstig beurteilt wird, was eventuell auf die Darstellung Q. Fabius Pictors zurückgeht. Sicher belegen lässt sich eine solche Darstellung Pictors freilich nicht. Einige Fragmente des Ennius weisen allerdings darauf hin, dass in dessen Annales strategische und taktische Entscheidungen, die zu Niederlagen führten, thematisiert wurden. Insbesondere das Problem einer zu voreiligen Entscheidung zur Schlacht, das später in der dritten Dekade des Livius als ein wiederkehrendes Motiv in der Deutung von Niederlagen anzutreffen ist, wurde anscheinend von Ennius thematisiert. Die oft zitierten Verse, in denen die cunctatio-Strategie des Fabius Maximus gerühmt wird, deuten zudem auf eine Reflektion um strategische (Fehl-)Entscheidungen und den Umgang mit Niederlagen in Rom in den Annales hin. In Hinsicht auf Deutungen, die nicht im engeren Sinne auf die Erklärung von Niederlagen abzielen, lassen sich trotz des fragmentarischen Zustands der Überlieferung ebenfalls einige Muster ausmachen. Der Konflikt gegen die Karthager wurde anscheinend noch während des Krieges in weiter ausgreifende mythische und bzw. oder historische Kontexte eingebettet. Zwei Werke des Cn. Naevius, das Epos Bellum Punicum und das Stück Clastidium, scheinen, wenn die jeweilige Datierung sowie die auch daran anschließenden oben diskutierten Interpretationen zutreffend sein sollten, hierzu beigetragen zu haben. In Hinsicht auf die römischen Niederlagen und die hieraus resultierende Bedrohungssituation könnte die Einordnung in weitere Kontexte affirmativen Charakter gehabt haben, da auf den früheren Sieg gegen die gleichen Gegner(gruppen) verwiesen wurde, denen die Römer und ihre Verbündeten auch nun wieder gegenüberstanden. Besonders an die Verbündeten der Römer mögen sich auch einige Motive auf römischen Münzen gerichtet haben, die offenbar in der ersten Hälfte des Hannibalkrieges geprägt wurden. Die Motive auf den sogenannten Victoriaten sowie auf den Goldprägungen, die Schwurszenen zeigen, können als Demonstration von Siegeszuversicht und der Betonung gegenseitiger Bündnisverpflichtungen und der Treue zwischen Bundesgenossen gedeutet werden. Letztere war durch die Strategie Hannibals ja durchaus gefährdet, weshalb es nachvollziehbar ist, dass die Römer sich auf verschiedenen Wegen um deren Aufrechterhaltung bemühten. Gleichzeitig waren sie, wie das Beispiel Capuas zeigt, auch zu exemplarischen Vergeltungsaktionen bereit. Eine Betonung der Einigkeit zwischen Römern und

5.2  Der Feind vor den Toren

303

Bundesgenossen in Italien hat man auch in anderen Bereichen der römischen (Geschichts-)Kultur der Republik erkennen wollen, etwa in einzelnen Fragmenten des Fabius Pictor. Diese Deutungen sind möglich, wenngleich sichere Belege auch hier fehlen. Angesichts der Bedeutung, die das Bestehen des Bundesgenossensystems in Italien für die Bewältigung der Krise des Hannibalkrieges für die römische Seite besaß, würde eine Betonung von hiermit verbundenen Werten wie Einigkeit und Bündnistreue in der frühen römischen Historiografie jedenfalls nicht überraschen. Neben der Betonung der fides zwischen Römern und ihren Verbündeten wurde offenbar auch die Treue und Pflichterfüllung römischer Bürger gegenüber der res publica hervorgehoben. Exemplarischen Charakter scheint in diesem Zusammenhang schon recht früh die Episode um die Gefangenen von Cannae erlangt zu haben, die in unterschiedlichen Versionen kursierte und auf die in unterschiedlichen Medien und in verschiedenen Varianten verwiesen wurde. Die moralischen Qualitäten der Römer, insbesondere der Senatoren, im Angesicht einer Niederlage, die in dieser Episode präsentiert werden, wurden auch in anderen Zusammenhängen thematisiert. In der historiografischen Bearbeitung des Themas scheint eine Reihe von Szenen dabei ein Repertoire gebildet zu haben, das im Rahmen einer Schilderung der römischen Niederlagen offenbar immer wieder zum Einsatz kam. Hierzu gehören, neben der Episode um die Cannae-Gefangenen, der Dialog Hannibals mit seinem ‚Reiterführer‘ und wohl auch der Empfang des geschlagenen C. Terentius Varro nach Cannae. Auf diese Episoden sowie auf einige andere Ereignisse und Konstellationen des Krieges konnte zudem offenbar auch ohne die explizite Nennung des jeweiligen Kontextes und in anderen Erinnerungsmedien verwiesen werden. Denn es konnte davon ausgegangen werden, dass der jeweilige Kontext den Rezipienten in mehr oder weniger umfassendem Ausmaß bekannt war. Auch auf einzelne Schlachten (bes. Trasimenischer See und Cannae) konnte ohne weitere Ausführung der Zusammenhänge verwiesen werden. Die Übersicht der von Cicero in seinen Reden verwendeten exempla zeigt andererseits auch, dass Cicero auf diese Verweise nicht sehr häufig zurückgegriffen hat. Wenn er dies tat, kam er gleichwohl ohne weitere Erklärungen aus. Die Verweise sind dabei teilweise sehr reduziert und enthalten mitunter nicht mehr als den Namen des jeweiligen Schlachtfeldes bzw. der beteiligten Akteure, meist der Feldherren. Zu diesen Namen gehört auch derjenige des karthagischen Feldherrn Hannibal, der in der Geschichtskultur der Republik offenbar früh eine bedeutende Rolle einnahm und diese bis an das Ende der Republik – und, wie das folgende Kapitel zeigen wird, auch darüber hinaus – beibehielt. Der Konflikt gegen die Karthager wurde dabei offenbar weitgehend auf seine Person reduziert.405 In einem Redefragment

405Direkt zu Beginn der Historien überliefert Polybios die in seiner Zeit gängige Bezeichnung des zweiten römisch-karthagischen Krieges, der demnach üblicherweise „Hannibalkrieg“ genannt wurde. Pol. 1,3,2. Nach Walbank 1957, 42 sei diese Bezeichnung vor allem innerhalb der griechischen Welt anzunehmen.

304

5  Die römisch-karthagischen Kriege

weist der ältere Cato auf die Zerstörung Italiens hin, die Hannibal angerichtet habe. Auch Lucilius führt den Namen des Barkiden als Symbol für eine überwundene Gefahr auf. So weit sich dies erkennen lässt, war die Art und Weise der Erinnerung an Hannibal nicht so einseitig, wie man es möglicherweise hätte erwarten können. Denn einerseits diente Hannibal folgenden Generationen zwar als Synonym für eine große militärische Bedrohung der Existenz des eigenen Gemeinwesens, was besonders in der historisch fragwürdigen Fixierung auf die physische Bedrohung der Stadt Rom durch den Karthager einen (bis heute) nachwirkenden Eindruck fand. Um diesen Aspekt des römischen Hannibal-Bildes aufzurufen, genügte es offenbar, den Namen Hannibals zu nennen. Dies konnte mitunter auch in Verbindung mit einem Epitheton (z. B. dirus, crudelis) oder dem Hinweis auf eine spezifische Konstellation des Krieges geschehen, ohne dass diese zwingend erklärt werden musste – auch hier genügte eine Anspielung (z. B. Hannibal ad portas).406 Daneben existierten allerdings auch andere Deutungen, die den karthagischen Feldherren in ein überaus positives Licht rücken. So sei Hannibal nach Cicero unter den Zeitgenossen des ersten Jahrhunderts für seine Feldherrenkunst bewundert worden. In der Biografie des Cornelius Nepos hat sich ein Beispiel für solche Anerkennung der Leistungen des gegnerischen Feldherrn erhalten, der hier sogar als Vorbild für tugendhaftes Verhalten dienen konnte. Der große Gegner Roms fand also Raum in der Geschichtskultur der römischen Republik. Unter welchem Blickwinkel Hannibal dabei auch betrachtet wurde, waren die großen Niederlagen, die das karthagische Heer den Römern unter seinem Befehl zugefügt hatte, doch in jedem Fall mit seinem Namen verbunden und blieben auch auf diese Weise im Geschichtsbewusstsein späterer Generationen präsent. Aus einem wiederum anderen Blickwinkel konnte die Bewunderung, oder zumindest doch Anerkennung, Hannibals dazu beitragen, Leistungen und Eigenschaften der Römer selbst hervorzuheben. Denn gerade wenn dieser Gegner aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten dazu in der Lage gewesen war, Roms Armeen und Feldherren mehrfach zu schlagen und die Herrschaft der Römer über Italien ernsthaft zu bedrohen, war die Tatsache, dass diese ihn schließlich doch besiegt hatten, natürlich umso ruhmreicher.407 Vor diesem Hintergrund konnte die Erinnerung an und der Verweis auf die Niederlagen des zweiten römisch-karthagischen ­Krieges generell, also nicht nur in direktem Zusammenhang mit Hannibal, aus römischer Sicht positive Botschaften bergen, da die Römer trotz der erlittenen Niederlagen und der enormen Verluste, die diese mit sich gebracht hatten, am Ende siegreich aus dem Krieg hervorgegangen waren. In einer Reihe von historiografischen Werken scheint die Schlacht von Cannae dabei schon in der jeweiligen Komposition des Stoffes besonders hervorgehoben worden zu sein, vielleicht um die Leistung der Römer, sich nach dieser großen Niederlage wieder zu erheben, noch zu unterstreichen.408

406Vgl.

hierzu auch Stocks 2014, 16. u. a. Beck 2006, 215. 408Vgl. für diesen Gedanken unten die Abschnitte zu Livius (Abschn. 5.2.5.1) und zu Silius Italicus (Abschn. 5.2.7). 407Vgl.

5.2  Der Feind vor den Toren

305

5.2.5 Die augusteische Zeit Zu den erhaltenen Vertretern der Literatur des augusteischen Zeitalters gehört mit der dritten Dekade der Gesamtgeschichte des Livius die umfangreichste erhaltene Darstellung der antiken Historiografie zum Zweiten Punischen Krieg. Darstellungen und Deutungen römischer Misserfolge in Livius’ dritter Dekade sollen daher im Folgenden eingehend besprochen werden. Anschließend werden Bezugnahmen auf diese Niederlagen Roms in weiteren Werken der augusteischen Zeit untersucht.

5.2.5.1 Im Unglück bewunderswerter als im Glück – T. Livius Livius’ Darstellung des Zweiten Punischen Krieges in der dritten Dekade seines Werkes ist im Gegensatz zu denjenigen aller seiner Vorgänger vollständig erhalten. Gerade zu diesem Abschnitt von Ab Urbe Condita existiert eine lange und kontroverse Diskussion zu der Frage, aus welchen Quellen Livius geschöpft hat und wie man sich das Verhältnis seines Textes zu denjenigen seiner Vorgänger zu denken habe.409 Diese Frage oder vielmehr diese Fragen, denn im Laufe der langen und reichhaltigen Forschungsgeschichte wurde eine sehr große Anzahl von Arbeiten zu einzelnen Aspekten vorgelegt, sind auch für die vorliegende Arbeit von einiger Bedeutung. Noch wichtiger erscheint es gleichwohl, sich der Darstellung des Livius selbst zuzuwenden und diese auf die dort zu findenden Erklärungen und Deutungen der Niederlagen des Krieges zu untersuchen. Wo es möglich ist, werden die Beziehungen zu früheren Darstellungen gleichwohl aufgezeigt werden, um zum einen zu erhellen, wo Livius bereits existierende Deutungen und Narrative aufnahm, und zum anderen nachzuvollziehen, inwieweit er eigene Akzente setzte. Denn auch wenn in Hinsicht auf eine Reihe von Details unklar bleiben wird, inwiefern diese gewissermaßen originär ‚livianisch‘ sind, konnte in einer größeren Anzahl von jüngeren Forschungsbeiträgen überzeugend aufgezeigt werden, wie Livius sich zwar an Vorgänger anlehnte, dabei aber gleichzeitig bemüht war, eigene Akzente in Darstellung und Interpretation zu setzen.410 Diese werden insbesondere dann deutlich, wenn man den Umgang mit Roms Niederlagen über die dritte Dekade insgesamt verfolgt, um aufzudecken, welche Erklärungen Livius seinen Lesern, zum einen für das Zustandekommen dieser Misserfolge, zum anderen

409Siehe

für eine Diskussion dieser Frage und den mit ihr verbundenen Forschungsproblemen Rieck 1996, XIII–XV; Levene 2010, 126–163, der auf zahlreiche ältere Arbeiten verweist. Vgl. zudem zuletzt Hoyos 2015. 410Levene 2010, 82–162 bietet eine umfassende Analyse zu den Quellen des Livius für die dritte Dekade und den Anspielungen und Verweisen auf frühere Werke und historische Ereignisse, die sich in Livius’ Text auffinden lassen. Vgl. für die Beziehung von Livius und seiner Quelle Polybios in der vierten Dekade zuletzt etwa die pointierte Analyse in Eckstein 2015. Wertvolle Analysen zudem u. a. bei Bruckmann 1936; 1977; Levene 2010; Pausch 2011. Zu Livius’ Darstellung des Zweiten Punischen Krieges allgemein siehe außerdem u. a. Lippold 1963, 30–34, 69 f.; Seibert 1993b, 31–36; Goldsworthy 2000, 21 f.; Ridley 2000; Hoyos 2015.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

für die Überwindung von deren Folgen, nahelegen wollte. In diesem Zusammenhang lohnt es sich zunächst, einen Blick darauf zu werfen, wie Livius den Stoff des Hannibalkrieges angeordnet hat, und welche Position die römischen Niederlagen in dieser Disposition einnehmen.411 Dabei zeigt bereits ein flüchtiger Blick, dass die römischen Niederlagen gegen Hannibals Armee in keiner Weise marginalisiert werden, sondern vielmehr zentrale Rollen im Aufbau von Livius Darstellung einnehmen. So sind die ersten beiden Bücher vom Siegeszug Hannibals geprägt, wobei die Ausmaße seiner Erfolge von Schlacht zu Schlacht zunehmen. Am Ende von Buch 22 erreicht die Darstellung die Folgen der Schlacht von Cannae, das Buch schließt mit der Rückkehr des Konsuls C. Terentius Varro nach Rom.412 Wie gesehen, wurde dieser erzählerische Einschnitt auch in den Werken einer Reihe von Livius’ Vorgängern jeweils an das Ende eines Buches gesetzt. Nach der Schlacht von Cannae variierten sowohl die römische als auch die karthagische Seite ihre Strategie. Die nächsten drei Bücher, 23–25, schildern diese Phase des Krieges, in der die Römer sich nach und nach wieder sammeln können und sich von den schweren Verlusten der ersten Kriegsjahre zu erholen scheinen. Nichtsdestotrotz erleiden sie weiterhin auch Niederlagen und Rückschläge, etwa dergestalt, dass wichtige Verbündete, wie vor allem Capua und Tarent, von ihnen abfallen bzw. Hannibal Teile vormals verbündeter Städte besetzen kann.413 Zum Ende von Buch 25, also zum Abschluss der ersten Hälfte der dritten Dekade, scheint dann wiederum eine gewisse Balance zwischen den beiden Kriegsparteien eingetreten zu sein, die sich auch in der Komposition des Stoffes widerspiegelt.

411Anders

als im Falle manch anderer antiker Texte geht die Bucheinteilung, in Ab Urbe con­ dita in modernen Editionen erscheint, tatsächlich auf ihren Autor zurück. Damit ist klar, dass die Aufteilung der Darstellung des Hannibalkrieges, die genau auf die Bücher 21–30, also die dritte Dekade des Werkes, fällt, weder einen Zufall noch einen nachträglichen Eingriff antiker oder neuzeitlicher Editoren darstellt. Anfang und Ende des Krieges sind über die bloße Bucheinteilung hinaus deutlich markiert. Buch 21 beginnt mit einem eigenen Proömium und in Buch 31 wird ausdrücklich festgestellt, dass der punische Krieg im vorherigen Buch beendet worden sei. Liv. 21,1,1–3; 31,1,1–6 (dort: me quoque iuvat, velut ipse in parte laboris ac periculi fuerim, ad finem belli Punici pervenisse […]). Trotz der Einbindung in das Gesamtwerk, die durch Vor- und Rückverweise in der dritten Dekade, die über die Ereignisse des Hannibalkrieges hinausweisen, verstärkt wird, bildet die Darstellung des Zweiten Punischen Krieges bei Livius also ein e­ igenes Narrativ innerhalb des gesamten Werkes. Vgl. Burck 1950, 26; Briscoe 1973, 49; Händl-­Sagawe 1995, 15 f.; Ridley 2000, 17 („The third decade was perhaps the most self-contained, most monograph-like, of all his work.“); Levene 2010, 10 f.; Stocks 2014, 37. Siehe für die folgende Übersicht Burck 1950, 11–56; Ridley 2000, 14 f.; Levene 2010, 15 f. Dort (6–9) findet sich auch eine tabellarische Inhaltsübersicht, in der allerdings zahlreiche Details – bewusst – ausgelassen worden sind. 412Liv. 22,61,13–15. Vgl. Burck 1950, 12. 413Ein Erfolg der karthagischen Armee, der wiederum als Keim ihres Niedergangs gedeutet wird, da ihre Soldaten in Capua durch den Luxus und die lasterhafte Lebensweise der Kampaner verdorben werden. Auf diese Weise büßen sie ihre vorherige Stärke und Kampfkraft ein. Siehe hierfür Liv. 23,18,10–16. Vgl. Ungern-Sternberg 1975, 41, Anm. 45; Levene 1993, 58; 2010, 105, 363–365.

5.2  Der Feind vor den Toren

307

Denn zum Ende von Buch 25 wird zunächst geschildert, wie es M. Claudius Marcellus gelingt, Syrakus zu erobern, danach wie P. und Cn. Cornelius Scipio im Kampf in Spanien fallen.414 Die zweite Pentade von Livius’ Darstellung des Hannibalkrieges ist dann, auch wenn sich noch kleinere Rückschläge ereignen, vor allem von römischen Siegen geprägt. Die Römer können nacheinander das Geschehen auf den Kriegsschauplätzen in Spanien, Italien und Afrika für sich entscheiden und damit schließlich den Krieg gewinnen. Die letzten beiden Bücher der Dekade, in denen der erfolgreiche Afrika-Feldzug unter Führung des P. Cornelius Scipio enthalten ist, können zudem als Gegenstück zu Buch 21 und 22, die Hannibals Siegeszug gewidmet sind, gedeutet werden.415 Sicher war der Ereignisverlauf des Krieges für Livius vorgegeben und es liegt auch nahe, dass er bei der Verteilung des Stoffes auf einzelne Bücher von bereits vorliegenden Werken beeinflusst oder inspiriert worden ist.416 Gleichwohl lassen sich in Hinsicht auf Livius’ Darstellung Besonderheiten und die Akzente herausarbeiten, die er wohl selbst gesetzt hat.417 Buch 21 beginnt mit einem eigenen Prooemium zum Hannibalkrieg, in dem dessen besondere Bedeutung für die römische Geschichte herausgestellt wird.

414Vgl. Burck 1950, 15–17, 36 f.; Levene 2010, 15. Genau genommen wird der Bericht über die Niederlage der Scipionen von der Schilderung der Taten der Römer auf Sizilien, die unter dem Kommando des Marcellus erfolgten, eingerahmt. Beide Schauplätze, derjenige auf dem die Römer Erfolge feiern können und derjenige, auf dem dies den Karthagern gelingt, sind auf diese Weise miteinander verbunden. Liv. 25,23–31 (römische Eroberung von Syrakus); 25,32–39 (Niederlage der Scipionen in Spanien); 25,40–41 (Marcellus schlägt Widerstand auf Sizilien nieder). 415Burck 1950, 12. Vgl. Walsh 1961, 7, 173. Zu den einzelnen Etappen der römischen Erfolge siehe Liv. 28,37,10 (Ende des Krieges in Spanien); 30,16–20 (Mago unterliegt den Römern in Italien, Hannibal wird zur Verteidigung Karthagos nach Afrika zurückgerufen); 30,29,1–38,4 (Schlacht von Zama und Kapitulation der Karthager); 30,40–45 (der Senat bestätigt den von Scipio ausgehandelten Frieden; Scipio kehrt im Triumph nach Rom zurück). Dabei lässt sich beobachten, dass innerhalb dieser zweiten Pentade eine Reihe von Ereignissen in Bezug zu solchen aus der ersten Hälfte des Krieges gesetzt wird. So hat bereits Erich Burck bemerkt, dass die Nachricht vom Sieg des Konsuls C. Claudius Nero nach der Schlacht am Metaurus nach Rom (Liv. 27,51,1–6) als Gegenstück zur Rückkehr des Varro nach der Schlacht von Cannae (Liv. 22,61,13–15) konstruiert wurde. Siehe Burck 1950, 132–135. Vgl. Jaeger 1997, 96: „The closing scenes of Books 22 and 27 make it clear that Rome and Carthage have traded the roles of victor and vanquished“. 416So hatte ja bereits Polybios die Schlacht von Cannae als markanten Einschnitt für seine Darstellung genutzt. In Hinsicht auf das Werk des L. Cassius Hemina hatte, wie oben gesehen, Scholz einen ähnlichen Einschnitt erwogen, im Fall der Monografie des L. Coelius Antipater erscheint er sehr wahrscheinlich (siehe oben Abschn. 5.2.2). 417Siehe Levene 2010, 6–9, und vgl. bereits Burck 1950, 10: „Trotz der Verschiedenheit und des Wechsels der Kriegsschauplätze und trotz des traditionellen Zwanges zum Bericht auch solcher Ereignisse und Fakten, die – wie etwa die Prodigien, Tempelbauten, Abhaltung von Spielen u. a. m. – mit dem Kriege nichts unmittelbar zu tun haben, wird überall der Versuch spürbar, die einzelnen Berichtsteile dem Gesamtzusammenhang unterzuordnen, ihnen in ihrer Bedeutung für das gewaltige Ringen ihre besondere Schattierung zu geben und das annalistische Gerippe einer neuen darstellerischen Gliederung und Sinngebung des Kriegsgeschehens unterzuordnen“.

308

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Nach einer Einführung und Charakterisierung Hannibals, auf die später noch eingegangen werden wird, folgt die Darstellung von dessen ersten Feldzügen in Spanien, der Belagerung Sagunts und des damit verbundenen Beginn des Krieges. Anschließend zieht Hannibals Armee über die Pyrenäen und die Rhône und überquert die Alpen.418 Es folgt die Darstellung der ersten römischen Niederlage am Ticinus.419 Obgleich es sich hierbei um ein vergleichsweise kleines Gefecht handelt, hebt Livius dieses hervor, indem er sowohl Hannibal als auch P. Cornelius Scipio vor dem Kampf eine Rede an ihre Soldaten halten lässt. Der Kampf am Ticinus wird hierdurch auch in der Darstellung des Livius als erste Schlacht des Krieges etabliert. Diese Akzentuierung hat Livius offenbar nicht als Erster vorgenommen, denn Reden der Feldherren an dieser Stelle waren bereits bei Polybios zu finden, sodass man davon ausgehen kann, dass Livius dieses Element hier oder aus einer Quelle, in der die Reden der beiden Feldherren am Ticinus ebenfalls enthalten waren, übernommen hat.420 Im Detail unterscheiden sich die Reden bei Polybios und Livius gleichwohl durchaus, sodass dessen Absicht, das – historisch eher unbedeutende – Gefecht hervorzuheben deutlich zu erkennen ist.421 Diese Intention zeigt sich zudem darin, dass Livius anlässlich der Rettung des verwundeten Konsuls dessen Sohn, den späteren Africanus, mit dem Hinweis einführt, dass es sich bei diesem um den Römer gehandelt habe, der schließlich als Feldherr den Krieg für Rom entschieden habe. Der spätere Africanus wird zu einer der zentralen Figuren der dritten Dekade werden, sodass Livius diese Gelegenheit

418Liv.

21,1,1–3 (Einführung); 21,1,4–4,10 (Einführung Hannibals mit Charakterisierung); 21,5,1–15,6 (erste Feldzüge Hannibals in Spanien mit erfolgreicher Belagerung Sagunts); 21,16–20 (Römer bereiten sich auf den Krieg vor; Kriegserklärung im karthagischen Rat); 21,21–38 (Hannibals Aufbruch aus Spanien; Marsch Richtung Italien und über die Alpen). 419Liv. 21,39–48. 420Vgl. Händl-Sagawe 1995, 255 mit weiteren Hinweisen. 421Liv. 21,40,1–41,17 (Rede Scipios); 21,43,2–44,9 (Rede Hannibals). Doblhofer 1983, 146 weist etwa darauf hin, dass die Passage in der Scipio seine Soldaten mit dem Hinweis antreibt, dass hinter ihnen weder eine zweite Armee noch „andere Alpen“ (Alpes aliae) stünden, die Rom bei einer Niederlage verteidigen könnten (Liv. 21,41,15), keine Entsprechung in der Rede des Konsuls bei Polybios findet. Nach Doblhofer spielt Livius an dieser Stelle auf den Aufruf des Ajax in der Ilias an, mit dem dieser die Griechen zur Verteidigung des Schiffes des Protesilaos antreibt (Hom. Il. 15,735–736). Livius setzt die Alpen hier für die Mauer bei Homer ein. Vgl. zustimmend Levene 2010, 107 f., der zu Recht darauf hinweist, dass der Gedanke, das Gebirge als ‚Mauer Italiens‘ zu bezeichnen, wiederum keine livianische Erfindung war, sondern mindestens auf Cato den Älteren zurückgeht. Siehe FRH 3 F 4,10 = FRHist 5 F 150 (=Serv. Aen. 10,12–13). Vgl. hierzu bereits Doblhofer 1983, 135–138. Vor der letzten Schlacht des Krieges bei Zama halten wiederum ein Scipione, der Sohn des Konsuls von 217, und Hannibal eine Ansprache an ihre Soldaten, die Livius in indirekter Rede wiedergibt (Liv. 30,32,5–11). Auf diese Weise schlägt Livius im 30. Buch einen erzählerischen Bogen zurück zum Beginn des Krieges. Auch für die Reden der beiden Feldherren bei Zama konnte er jedoch bereits bei Polybios Anregungen finden (und vermutlich auch bei anderen Historikern, die vor ihm schrieben). Vgl. (mit weiteren Nachweisen) Burck 1950, 50; Levene 2010, 16 f.

5.2  Der Feind vor den Toren

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nutzt, um hervorzuheben, dass dieser – als einziger der römischen Feldherren – sowohl an der ersten wie auch an der letzten Schlacht des Krieges teilgenommen habe. Zugleich verbindet Livius so Ereignisse aus verschiedenen Büchern in Form eines narrativen Brückenschlags miteinander und weist somit in der Schilderung einer römischen Niederlage auf den Sieg hin, den die Römer schließlich erringen werden.422 Livius fasst dann die eher spärlichen Erfolge, die der andere Konsul des Jahres, Ti. Sempronius Longus, in den Gewässern um Sizilien bis dahin habe erreichen können, zusammen. Vielleicht wollte er hiermit einen für Rom positiven Gegensatz zu den bisherigen Misserfolgen des Krieges bieten.423 Allerdings scheint es Livius in Buch 21 in erster Linie nicht um das Hervorheben von für Rom positiven Nachrichten zu gehen. Denn anschließend an Sempronius’ Eintreffen in Norditalien betont Livius den Zwist zwischen den beiden Konsuln und die strategische und taktische Unbedarftheit des Sempronius und schildert dann die Schlacht an der Trebia. Das Buch endet mit dem Streit zwischen dem neugewählten Konsul C. Flaminius und dem Senat sowie dem vorzeitigen Aufbruch des Flaminius aus Rom, der sich nach Etrurien begeben habe, ohne zuvor die Auszugsauspicien einzuholen.424 Buch 21 endet also mit dem Ende des Amtsjahres der Konsuln P. Cornelius Scipio und Tib. Sempronis Longus und beginnt mit dem, wenngleich vorzeitigen, Amtsantritt des neugewählten C. Flaminius. Dessen Kollege, Cn. Servilius Geminus, tritt sein Amt erst zu Beginn des folgenden Buches an. Dieses Zusammentreffen von Buchende und Ende des Amtsjahres der Konsuln ist keineswegs selbstverständlich.425 Doch Livius geht hier nach kompositorischen Gesichtspunkten vor, die seine

422Liv.

21,46,7–8 (Is pavor perculit Romanos, auxitque pavorem consulis volnus periculumque intercursu tum primum pubescentis filii propulsatum. Hic erit iuvenis, penes quem perfecti huiu­ sce belli laus est, Africanus ob egregiam victoriam de Hannibale Poenisque appellatus). Siehe hierzu Levene 2010, 14: „Livy repeatedly marks the book as the opening of the war by pointedly introducing motifs and people that will be significant later“. Vgl. den wiederholten Verweis auf Scipios kommende Rolle im Krieg in Livius’ Schilderung der Runde der Militärtribunen in Canusium, in der Scipio nach der Schlacht von Cannae eine Reihe von jungen Adligen an der Flucht aus Italien hindert (Liv. 22,53,6: Quod malum, praeterquam atrox, super tot clades etiam novum, cum stupore ac miraculo torpidos defixisset, qui aderant, et consilium advocandum de eo censerent, negat consilii rem esse Scipio iuvenis, fatalis dux huiusce belli […].).Vgl. zu diesen Aspekten der Schlacht am Ticinus und der Rolle, die der spätere Africanus in der Darstellung, insbesondere der des Livius, spielt u. a. Händl-Sagawe 1995, 283; Schwarte 2000, 107; Geist 2009, 59; Levene 2010, 14. 423Für diese Vermutung spricht auch, dass Livius durch die Anlage der Passage einen „Eindruck zeitlich äußerst gedrängten Handelns auf dem sizilischen Schauplatz“ suggeriert. Tatsächlich scheinen sich die Operationen, die unter dem Kommando des Sempronius durchgeführt wurden, auf einen längeren Zeitraum verteilt zu haben. Siehe Händl-Sagawe 1995, 303 f. (Zitat: 303). 424Liv. 21,62–63. 425In der dritten Dekade enden neben Buch 21 lediglich zwei weitere Bücher, 25 und 29, mit dem Ende eines konsularischen Jahres. Vgl. Levene 2010, 15 f., 35.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Deutung der Ereignisse akzentuieren sollen.426 So stellt er die auffällig lange Prodigienliste für das Jahr 218 nicht an den Beginn des Jahres, sondern an dessen Ende, direkt bevor er von der Wahl des Flaminius zum Konsul und dessen Absichten, sein Amt außerhalb Roms anzutreten, berichtet.427 Die Prodigien für das Jahr 217 hat Livius dann wiederum fast unmittelbar an den Anfang des Jahres und damit an den Beginn von Buch 22 gestellt.428 Der Amtsantritt des Flaminius ist damit gleich durch mehrere Vorzeichen überschattet (Streit mit dem Senat, Verlassen der Stadt ohne Einholen der Auspizien, zwei lange Listen von unheilvollen Vorzeichen), was auf die Niederlage am Trasimenischen See verweist, die in Livius’ Darstellung vor allem durch die Missachtung von Prodigien durch den Konsul Flaminius erklärt wird.429 In Buch 22 schildert Livius vor allem die beiden großen Niederlagen am Trasimenischen See und Cannae, die wiederum die Diktatur des Q. Fabius Maximus, mitsamt des Streites zwischen diesem und seinem magister equitum, M. Minucius Rufus, einrahmen. Auf diese Weise wird nicht zuletzt die Figur des Fabius Maximus hervorgehoben, dessen Bedeutung für das Überwinden der Folgen der schweren Niederlagen der Anfangsjahre des Krieges durch Livius in der Darstellung auch auf andere Weise betont wird.430 Livius zieht also einen Zeitraum von etwa 1½ Jahren (März 217 bis August 216) in einem Buch zusammen, wobei es sich bei diesen Monaten zweifellos um die für die römische Seite verlustreichste Phase des Krieges handelte.431 Man könnte vermuten, dass ein Gedanke hierhinter darin bestand, dass für diejenigen römischen Leser, die die Bücher des Hannibalkrieges in kontinuierlicher Folge rezipierten, durch diese Aufteilung mit dem Ende dieses ‚Niederlagenbuches‘ die düsterste Phase des Konfliktes relativ rasch durchschritten sein sollte. Allerdings spricht gegen eine solche Deutung zunächst schon der zerrüttete Eindruck, den die res publica, durch äußeren Druck und inneren Streit gebeutelt, in Buch 22 hinterlässt. Die Schlacht von Cannae, deren Darstellung bei Livius, bedingt durch das Einarbeiten von Einzelszenen, wie derjenigen, in der der Tod des Aemilius Paullus geschildert wird, wesentlich umfangreicher ausfällt, als es etwa bei Polybios der Fall ist, bildet zweifellos den dramatischen Höhepunkt

426Dies gilt nicht nur für den Amtsantritt der Konsuln, sondern auch für eine Reihe anderer wiederkehrender Darstellungsbestandteile, die in der Forschung zum sogenannten annalistischen Schema gezählt werden. Siehe hierzu Rich 2009, 120 f.; Levene 2010, 37 f.; Pausch 2011, 82 f. 427Liv. 21,62,1–11. Vgl. Händl-Sagawe 1995, 381 f.; Levene 1993, 38; 2010, 37 f. 428Liv. 22,1,8–13. Vgl. Levene 2010, 38. 429Vgl. Levene 1993, 38 f.; Pausch 2011, 94 („Sowohl die ungewöhnliche Länge der Listen mit Vorzeichen als auch ihre Verdoppelung durch die Umstellung tragen dazu bei, dass für das kommende Jahr eine in besonderer Weise bedrohliche Atmosphäre erzeugt wird“). 430Liv. 22,3,1–6,12 (Operationen im Frühjahr/Frühsommer 217 und Schlacht am Trasimenischen See); 22,8,6–18,10; 22,23,1–31,11 (Ereignisse während der Diktatur des Q. Fabius Maximus); 22,33,9–50,3 (Wahl der Konsuln des Jahres 216 und Cannae-Feldzug). Vgl. Burck 1950, 84, 89 f.; Rieck 1996, 10. 431Mit der Niederlage des C. Flaminius, dem Verlust der Reiterei des Heeres des Cn. Servilius Geminus (beides 217) und der Schlacht von Cannae, die alle in Buch 22 geschildert werden.

5.2  Der Feind vor den Toren

311

des Buches.432 Livius lässt dann auf die Darstellung des Untergangs der römischen Armee noch sieben Buchkapitel folgen, in denen er sich auf die Schilderung der Notmaßnahmen in Rom konzentriert und u. a. auch die bereits mehrfach erwähnte Diskussion um die Gesandtschaft der Gefangenen von Cannae unterbringt. Buch 22 endet mit dem Empfang des Varro in Rom und bietet damit einen, gemessen an den vorherigen Ereignissen, zumindest verhalten versöhnlichen Abschluss, in dem das Zusammenstehen aller Römer in dieser schweren Stunde betont wird.433 Bereits bei einem oberflächlichen Blick lässt sich erkennen, dass Livius hier eigene Akzente gesetzt hat, die vor allem in den letzten Szenen des Buches 22 ihren Ausdruck finden. Denn sowohl die kompromisslose Haltung des Senates in der Gefangenenfrage wie auch in der Ablehnung von Friedensverhandlungen mit Hannibal sowie schließlich der Empfang Varros signalisieren, dass die Römer auch nach der größten Niederlage ihrer Geschichte an ihren traditionellen Werten festhalten. Der Abschluss von Buch 22 bietet also zu einem gewissen Grad einen, wenngleich verhaltenen, positiven Ausblick auf den weiteren Kriegsverlauf, indem dort bereits die besondere moralische Festigkeit, die den Römern bei der Überwindung der erlittenen Rückschläge geholfen habe, erkennbar wird.434 Indes macht Livius im folgenden Buch deutlich, dass allein mit der demonstrativen Besinnung auf römische Tugenden die Krise noch nicht überwunden ist. Buch 23 beginnt mit dem Abfall Capuas von Rom.435 Kurz darauf berichtet Mago vor der karthagischen Ratsversammlung von den bisherigen Erfolgen des Feldzuges seines Bruders in Italien.436 Diese Szene steht gewissermaßen parallel zu einer Botenszene in Rom. Dort berichtet Q. Fabius Pictor von dem Spruch des delphischen Orakels. Während Mago von Erfolgen der Vergangenheit berichtet,

432Livius scheint bestrebt gewesen zu sein, in der dritten Dekade das Ende eines Buches jeweils mit einem solchen narrativen Höhepunkt zusammenfallen zu lassen. Vgl. Levene 2010, 27. 433Siehe allerdings auch Pausch 2011, 207, der eher den ambivalenten Charakter des Endes von Buch 22 hervorhebt und mit der Absicht der Erzeugung von Spannung vonseiten des Livius in Verbindung bringt: „Indem hier noch im Unklaren gelassen wird, welche der beiden Bewertungen der Situation sich als zutreffend erweist, wird der Leser zu Vermutungen über den weiteren Verlauf der Handlung animiert. Diese dienen erneut der Erzeugung von Spannung und damit der Verkürzung der Lesepause“. Auf Details, die zu diesen Kapiteln anzumerken sind, wird an späterer Stelle noch zurückzukommen sein. 434Vgl. Burck 1950, 29: „Der Ausgang dieses Buches stellt leitmotivartig die Richtungspunkte für die drei folgenden Bücher auf, die sich etwa in folgende Frage zusammenfassen lassen: werden der römische Senat und das römische Volk, die sich jetzt in vorbildlicher Haltung zusammenschließen und dem bei Cannae geschlagenen Consul danken, daß er nicht am Staate verzweifelt habe, in Zukunft die Kraft behalten und so viele Reserven aufbringen können, daß sie Hannibal, dem Italien jetzt offen steht, erfolgreich Widerstand zu leisten in der Lage sind?“ Bereits zuvor (Liv. 22,54,10: nulla profecto alia gens tanta mole cladis non obruta esset) weist Livius auf die Widerstandskraft und das Beharrungsvermögen der Römer hin, welches sich in der Niederlage gezeigt habe. Vgl. u. a. Burck 1950, 28. 435Liv. 23,1–10. 436Liv. 23,11,7–12,5.

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stellt die durch Fabius Pictor vermittelte Botschaft aus Delphi einen, wenngleich noch vagen, Blick auf eine für Rom positivere Zukunft dar.437 Gleichwohl überwiegen in Buch 23 Hinweise, die die Krise betonen, in der Rom sich nach wie vor befindet. Hierzu trägt wiederum die Art und Weise bei, in der Livius das ‚annalistische Material‘ in diesem Buch anordnet.438 Dieses ist ungewöhnlich weit über verschiedene Kapitel verteilt. Bevor die neuen Konsuln für das Jahr 215 gewählt werden und dann ihr Amt antreten können, treten wiederholt Schwierigkeiten auf. Das übliche ‚annalistische Formular‘ wird hierdurch mehrfach durchbrochen. Insgesamt entsteht auf diese Weise, jedenfalls bei Lesern, die die sonst übliche Darstellung des Livius kennen, der Eindruck, dass das römische Amtsjahr selbst durch die Krise, die durch die Niederlagen am Trasimenischen See und bei Cannae ausgelöst wurde, empfindlich gestört sei.439 Nachdem es den Römern dann endlich gelungen ist, neue Konsuln zu wählen, und die üblichen Nachrichten, die zum ‚annalistischen Material‘ gehören, von Livius nach und nach vervollständigt worden sind, fällt der Jahreswechsel 216/215 noch in Buch 23. An dessen Ende stehen Nachrichten von römischen Erfolgen: erfolgreiche Kämpfe auf Sardinien, ein Sieg unter Marcellus gegen das von Hannibal selbst befehligte karthagische Heer bei Nola und Fortschritte der Scipionen in Spanien.440

437Liv. 23,11,1–6. In Hinsicht auf diese Stelle betont Burck 1950, 30 f. den aus römischer Sicht positiven Ausblick auf den weiteren Kriegsverlauf, den er auch durch Magos Siegesbotschaft vor dem karthagischen Senat als wenig geschmälert ansieht, da Livius als Gegengewicht Hanno, den Gegenspieler der Barkiden in Karthago, die Erfolge Hannibals relativieren lässt (Liv. 22,13,2–5). 438Das Folgende bei Levene 2010, 38–43. 439Die erste dieser Nachrichten findet sich bei Liv. 23,21,7 mit Notizen über Tempelweihungen und Priesterwahlen, die in anderen Büchern oft das Ende des Jahres einleiten (Levene 2010, 38: „a regular formula concluding the year“). Darauf folgt jedoch zunächst die Neubesetzung des Senates (23,22–23), nach der erst M. Iunius Pera nach Rom zurückkehrt, um die Wahlen für die neuen Konsuln durchzuführen (23,24,1–5). Durch Boten erfahren die Römer vom Tod des L. Postumius Albinus im Kampf im Wald Litana (23,24,6–13), was in Rom besorgte Reaktionen hervorruft. Im gleichen Kapitel kümmern sich die Römer gleichwohl auch um die Verteilung ihrer Truppen (23,25). Zwischen diese Berichte und den Jahreswechsel (23,30,13) schiebt Livius noch Schilderungen über den spanischen Kriegsschauplatz (23,26–29) und Nachrichten über antirömische Stimmungen auf Sizilien (23,30,1–13) ein. Vgl. Levene 2010, 38–40: „In effect the disaster that came on Rome at Cannae seems to be affecting the year itself. The series of deceptive closures is not simply the result of Livy playing games with the reader’s expectations, but graphically illustrates a central political point: that the emergency that Rome is facing has undermined the normal workings of the Roman year“ (40). 440Liv. 23,40,1–41,7 (Sieg der Römer auf Sardinien); 23,41,13–48,3 (Sieg unter Marcellus bei Nola); 23,48,4–49,14 (Erfolge in Spanien). Siehe hierzu auch Burck 1950, 31 f. Wie bereits erwähnt, stehen die folgenden Bücher unter dem Eindruck einer zunehmenden Balance zwischen beiden Seiten. Hannibal gelingen nach wie vor kleinere Erfolge bei der Einnahme einer Reihe von italischen Städten, während die Römer ihre Kräfte neu sammeln können und vereinzelt Widerstand leisten. Die erste Pentade endet mit dem Gleichgewicht zwischen den Kriegsparteien, das jeweils durch Siege auf beiden Seiten Ausdruck findet, dem des Marcellus bei der Einnahme von Syrakus und dem der Karthager unter Hasdrubal gegen die Scipionen in Spanien. Liv. 25,23– 31 (Römer nehmen unter dem Kommando des Marcellus Syrakus ein); 25,32–39 (Scipionen fallen in Spanien); 25,40–41 (Marcellus bemüht sich, Verhältnisse auf Sizilien im Sinne Roms zu regeln). Vgl. u. a. Burck 1950, 36 f.

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Durch den Tod der beiden Scipionenbrüder ist der Weg dafür bereitet, dass die zweite Hälfte der dritten Dekade von P. Cornelius Scipio, dem späteren Africanus, geprägt werden kann, der nun nach Spanien geht.441 Wer die Bücher 26–30 in kontinuierlicher Folge liest, gewinnt insgesamt den Eindruck, dass die Römer nun vor allem Erfolge verzeichnen können. Diese werden zwar im Detail durchaus als hart errungen geschildert, und es gibt auch noch vereinzelte Rückschläge, doch ist an der positiven Tendenz nicht zu zweifeln – ohnehin ist gerade das harte Erringen von Erfolgen aus römischer Sicht als besonders positiv zu werten.442 Aus der Perspektive der modernen Forschung wird der eigentliche Wendepunkt des Zweiten Punischen Krieges oftmals mit der Niederlage des Hasdrubal am Metaurus i. J. 207 angesetzt.443 Auch Livius betont die Bedeutung dieser Schlacht, indem er sie direkt mit Cannae vergleicht.444 Gleichwohl misst er offenbar bereits römischen Niederlagen, die sich vor dem Jahr 207 ereignet haben, geringere Bedeutung bei als denen der ersten Kriegsjahre. Das lässt sich etwa anhand der beiden Schlachten bei Herdonea beobachten, die von ihren Ausmaßen her nach Livius eigenen Angaben durchaus mit der am Trasimenischen See zu vergleichen waren.445 Den Tod der beiden Konsuln des Jahres 208, M. Claudius Marcellus und T. Quinctius Crispinus, bewertet Livius zwar als potenziell bedrohlich für das Wohlergehen Roms, doch lässt er zugleich keinen Zweifel daran, dass es den Römern gelingen werde, auch diesen Rückschlag zu überstehen.446 In der zweiten Hälfte der dritten Dekade hat die ausführliche Schilderung von römischen Niederlagen also keinen Raum mehr, diese Bücher stehen unter dem Zeichen des römischen Sieges. Darauf deuten auch Beobachtungen zu einzelnen Themen in der dritten Dekade hin, auf die im Folgenden eingegangen werden soll – insbesondere auf die verschiedenen Erklärungen, die für die römischen Niederlagen präsentiert werden. Derjenige Erklärungsansatz für Niederlagen, der bei der

441Liv.

26,19,10–20,11 (Scipio geht nach seiner ungewöhnlichen Wahl nach Spanien). Galinsky 1996, 94, 122–124 für Beispiele in literarischen Werken der augusteischen Zeit und unten das Kapitel zu den Punica des Silius Italicus (Abschn. 5.2.7). 443Seibert 1993a, 393 („die entscheidende Wende im Krieg“). Für Lazenby 1978/1998, 115 war diese Wende bereits mit der römischen Eroberung von Syrakus gekommen. 444Liv. 27,49,5 (Numquam eo bello una acie tantum hostium interfectum est redditaque aequa Cannensi clades vel ducis vel exercitus interitu videbatur). Vgl. Burck 1950, 43. 445Nach Liv. 25,21,9–10 seien bei der ersten Schlacht bei Herdonea mit dem Konsul lediglich 200 Reiter entkommen und 16.000 Mann der Fußtruppen gefallen, nach Liv. 27,1,13–14 habe er in Hinsicht auf die römische Niederlage im Jahr 210 so sehr auseinanderliegende Angaben gefunden, dass Livius keine Entscheidung treffen will (zwischen 7000 und 13.000 Gefallene). 446Das legt jedenfalls Livius’ Kommentar zu den Prodigien des Jahres 208 nahe, in dem er einen Ausblick auf die Ereignisse des folgenden Jahres gibt (Liv. 27,23,4: In capita consulum re publica incolumi exitiabilis prodigiorum eventus vertit). Vgl. Levene 2010, 32. Gleichwohl habe der Tod des Marcellus den Staat beinahe ebenfalls in große Gefahr gebracht (Liv. 27,27,11: Mors Marcelli cum alioqui miserabilis fuit, tum quod nec pro aetate – iam enim maior sexaginta annis erat – neque pro veteris prudentia ducis tam improvide se collegamque et prope totam rem publi­ cam in praeceps dederat). 442Vgl.

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Lektüre der Schlachtenschilderungen wohl am raschesten ins Auge fällt, betrifft das Verhalten einzelner römischer Feldherren, die gleich in mehrfacher Hinsicht versagen und die ihnen anvertrauten Heere so ins Verderben führen. Bei diesen Feldherren handelt es sich etwa um Ti. Sempronius Longus, C. Flaminius, C. Terentius Varro und zu einem gewissen Grad auch M. Minucius Rufus. In der Darstellung der ersten Kriegsjahre bis einschließlich zur Schlacht von Cannae, also in den Büchern 21–22, ist in diesem Zusammenhang ein narratives Muster zu erkennen, und zwar in der Schilderung der Niederlagen an der Trebia, am Trasimenischen See und bei Cannae sowie der Operationen des M. Minucius Rufus, auf das bereits Wolfgang Will hingewiesen hat.447 Neben den von Will erfassten Ähnlichkeiten zwischen den betreffenden Feldherren finden sich allerdings auch einige Unterschiede. Jene narrative Struktur hat offensichtlich den Zweck, Erklärungen für die Niederlagen Roms gegen die Karthager zu bieten, denen wir uns nun zuwenden wollen. Zunächst weist Livius darauf hin, dass jeweils einer der an den Feldzügen beteiligten Feldherren über nachteilige charakterliche Eigenschaften verfügt habe, die ihn für die ihm anvertraute Aufgabe eigentlich ungeeignet erscheinen lassen. Hierbei handelt es sich bei den unterschiedlichen Charakteren jeweils um recht ähnliche Makel.448 Livius nennt vor allem, hier zweifellos negativ auszulegend, ferocia und temeritas, die die betreffenden Personen für riskante Operationen prädestiniert hätten.449 Diese Eigenschaften sind nicht die jeweils einzige Erklärung für jene Niederlagen. Sie bilden jedoch stets eine wichtige Voraussetzung für den weiteren Verlauf der Ereignisse. Denn in diesem handeln die Charaktere durchgehend nach einem stereotypen Handlungsmuster – dem des leichtsinnigen Feldherren, der seine Armee durch fahrlässige und riskante Aktionen in den Untergang führt.450 Der stereotypen Charakterisierung der Protagonisten entsprechend, folgt der Gang der Ereignisse in Livius’ Darstellung, insbesondere in den Jahren 218 bis 216, bei allen Unterschieden, was die Ausgestaltung im Detail betrifft, grundsätzlich weiterhin einem recht einheitlichen Muster.451 Zunächst hätten andere Römer versucht die Feldherren, deren Defizite Livius zuvor betont hatte, noch von fatalen,

447Will

1983a. Will 1983a, 177; Levene 2010, 170–172. 449Siehe für ferocia: Liv. 21,52,2; 21,53,8 und vgl. 21,54,6 (jeweils in Bezug auf Sempronius); 22,3,4–5; 22,3,14 (zu Flaminius); 22,24,3; 22,28,9 (zu Minucius); 22,41,4 (zu Varro); zu teme­ ritas: Liv. 21,53,7 (zu Sempronius); 22,3,4 (Flaminius); 22,28,2 (Minucius); 22,41,1; 22,41,4; 22,44,5 (Varro). Siehe Will 1983a, 177 mit Anm. 23 und 24. Vgl. hierzu u. a. Bruckmann 1936, 60 f., 66 f., 72 f., 80 f.; 1977, 301; Burck 1950, 75, 77, 80, 91–96; Walsh 1961, 72; Händl-Sagawe 1995, 322; Rieck 1996, 16 f., 25 mit Anm. 3; Ridley 2000, 23 f.; Geist 2009, 52, 67, 79. 450Vgl. Levene 2010, 186: „The most important thing about the sequence of rash commanders in Books 21 and 22 is that they are more or less identical: this matters far more than the elements that might differentiate them. It is that similarity which leads to the escalating sequence of defeats despite the efforts of the (hardly any less stereotyped) commanders Publius Scipio, Fabius, and Aemilius to craft a strategy to counteract them“. 451Vgl. zum Folgenden Will 1983a, 177. 448Vgl.

5.2  Der Feind vor den Toren

315

weil zu riskanten Entscheidungen abzuhalten. Dies gelingt ihnen sogar in einigen Fällen. Bei diesen besonnenen Figuren handelt es sich entweder um die jeweiligen Amtskollegen, P. Cornelius Scipio (i. J. 218) und L. Aemilius Paullus (i. J. 216), den Dictator Q. Fabius Maximus Verrucosus (i. J. 217) oder namentlich nicht genannte Berater und Offiziere (so im Fall des C. Flaminius i. J. 217).452 Hannibal erkennt jedoch bei Livius rasch die charakterlichen Defizite der betreffenden römischen Feldherren bzw. erfährt durch Verbündete von diesen und kann diese für sich nutzen.453 So verleitet er jene Gegner, die er als besonders anfällig für Provokationen ausgemacht hat, teils gezielt zu Offensivaktionen, indem er etwa das Land um das römische Heerlager herum verheeren lässt oder die gegnerischen Truppen durch Aktionen seiner leichten Reiterei von ihren Heerlagern weglockt.454 Ti. Sempronius Longus, M. Minucius Rufus und C. Terentius Varro gelingt es, bei diesen Aktionen kleinere Erfolge in relativ unbedeutenden Gefechten für sich zu verbuchen, die diese Feldherren nun erwartungsgemäß noch unvorsichtiger werden lassen. Alle Warnungen verhallen nun ungehört.455 C. Flaminius kann zwar während seines Feldzuges vor der Schlacht am Trasimenischen See keine solchen geringfügigen Siege für sich verbuchen, doch sei bei ihm, aufgrund seiner Erfolge im ersten Konsulat, von vornherein ein derart übersteigertes Selbstvertrauen zu beobachten gewesen, dass ihn niemand habe zur Vernunft bringen können.456 In den folgenden Schlachten kann Hannibal die ferocia der römischen Feldherren oftmals auch in taktischer Hinsicht für sich ausnutzen. In diesem ­Zusammenhang

452Warnungen an die Feldherren vor zu voreiligem Vorgehen und Übermut: Liv. 21,53,7 (Scipio versucht, Sempronius von einer Schlacht abzuhalten); 22,3,8–9 (consilium rät Flaminius dazu, Hannibal nicht zu verfolgen); Liv. 22,18,8–10 (Fabius warnt Minucius); 22,42,4; 22,42,8–9 (Paullus rät zur Vorsicht und kann Varro durch die Nachricht, dass das Hühner-Auspizium ungünstig ausgefallen sei, zum Einhalten bewegen). 453Dies lässt sich bereits in der Darstellung des Polybios beobachten. 454So gelingt es Sempronius, plündernd umherstreifende Abteilungen von Numidern in die Flucht zu schlagen (Liv. 21,52,8–53,1). Hannibal weiß den hierdurch bestärkten Übermut bei seinem Gegner zu nutzen (Liv. 21,53,8). Minucius soll in einem Kampf vor dem feindlichen Heerlager siegreich gewesen sein. Livius weist allerdings in diesem Zusammenhang auf Angaben in seinen Quellen hin, nach denen Minucius dabei fast ebenso viele Soldaten verloren hätte wie Hannibal (Liv. 22,24,1–14). Hannibal plant die mangelnde Umsicht des Minucius, die ihm nun offenbar geworden ist, in seinen Schlachtplan ein (Liv. 22,28,3). Varro gelingt es, seine Soldaten zu einem Sieg über furagierende Einheiten Hannibals zu führen (Liv. 22,41,1–3). Vgl. hierzu u. a. Bruckmann 1936, 61 f., 76 f.; Händl-Sagawe 1995, 330; Johner 1996, 31 f., 56 f.; Rieck 1996, 18; Geist 2009, 52, 101 f.; Pausch 2011, 153 f., 243 f. 455Liv. 22,3,8–9 (C. Flaminius vor dem Trasimenischen See); 22,44,5–7 (C. Terentius Varro vor Cannae). 456Liv. 22,3,4: consul ferox ab consulatu priore et non modo legum aut patrum maiestatis, sed ne deorum quidem satis metuens; hanc insitam ingenio eius temeritatem fortuna prospero civili­ bus bellicisque rebus successu aluerat. Die Erwähnung des früheren Erfolges des Flaminius als Wirken der fortuna – und damit wohl weniger als Leistung des Konsuls selbst – mindert dessen Bedeutung und unterstreicht die Fehleinschätzung vonseiten des Flaminius. Vgl. in diesem Sinne bereits Bruckmann 1936, 65; 1977, 301; Burck 1950, 80.

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spielt die Charakterisierung Hannibals, die Livius in den ersten Kapiteln von Buch 21 bringt, ebenso eine Rolle wie stereotype Vorstellungen über karthagische Hinterlist.457 Die jeweils recht ausführliche Beschreibung der Kriegslisten des karthagischen Feldherrn soll sicher auch dazu beitragen, die römischen Niederlagen im Zweiten Punischen Krieg zu erklären.458 Ob sie darüber hinaus auch dazu dienen konnten, „dem römischen Leser die Bitternis der folgenden Niederlage etwas zu versüßen“, kann man hingegen durchaus infrage stellen.459 Denn schließlich wird ja kein Zweifel daran gelassen, dass Hannibals Listen erst aufgrund der Unvorsichtigkeit seiner jeweiligen Kontrahenten von Erfolg gekrönt gewesen seien. Sobald im Gang der Darstellung das eigentliche Kampfgeschehen der Schlacht erreicht worden ist, treten zumindest in einigen Fällen die für Livius lobenswerten Eigenschaften der betreffenden Feldherren zutage, die sie ungeachtet ihrer sonstigen Mängel offenbar besitzen. Im Fall des Sempronius Longus zeigt sich Livius in dieser Hinsicht noch verhalten. In der Darstellung der Schlacht an der Trebia taucht der Konsul nicht auf. Immerhin gelingt es ihm danach, nach Rom zurückzukehren, um dort die Wahlen für seine Nachfolger abzuhalten, und gegen Hannibals Truppen einige Abwehrerfolge einzufahren.460 C. Flaminius wiederum steht in Livius’ Bericht über die Schlacht am Trasimenischen See im Mittelpunkt. So habe dort niemand tapferer gekämpft als der Konsul selbst, der zudem über das Schlachtfeld geeilt sei, um seine auf verlorenem Posten stehenden ­Truppen zu unterstützen. Es ist sicher zutreffend, dass Livius diese Schilderung als Beispiel für „Disziplin und Selbstaufopferung“ gedeutet sehen wollte.461 Schließlich sei der

457Die Rolle, die Hannibal in der Darstellung der römischen Niederlagen spielt, verdient allerdings eine genauere Betrachtung, sodass dieser Aspekt an späterer Stelle gesondert untersucht werden wird. 458Vgl. zu diesem Aspekt Bruckmann 1936, 61, 81 f.; Burck 1950, 75 f. Siehe jeweils Livius’ Darstellung der Schlacht an der Trebia (Verbergen von Magos Reitern an einem Bachlauf: Liv. 21,54,1–5), am Trasimenischen See (Hinterhalt auf den Hügeln am See: Liv. 22,4,1–2) und im Kampf gegen Minucius (Verbergen von Einheiten in unübersichtlichem Gelände: Liv. 22,28,5–8). Vor Cannae versucht Hannibal, Varros Truppen durch einen vorgetäuschten Rückzug in einen Hinterhalt zu locken, was durch die Umsicht des Paullus noch verhindert werden kann (Liv. 22,41,6–42,12). Während der Schlacht laufen 500 Numider zum Schein von den Karthagern zu den Römern über, um diesen dann in den Rücken zu fallen. Eine explizite Anweisung Hannibals an die Numider, auf diese Weise zu handeln, wird allerdings nicht erwähnt (Liv. 22,48,1–4). Vermutlich weil diese Episode recht unglaubwürdig anmutet, wurde in der Forschung wiederholt versucht, eine plausible Erklärung für ihre Entstehung zu präsentieren. So vermutet Cornelius 1932, 70 f., dass der Angriff gegnerischer Reiter im Rücken der Formation schon bald nach der Niederlage als Folge einer List gedeutet wurde und als „Ausgeburt eines verzerrten Ehrgefühls“ anzusehen sei, „das nicht zugeben will, daß eine Niederlage anders als durch Verrat erlitten sein könne“ (71). Ähnlich: Lazenby 1978/1998, 84. 459So Burck 1950, 75 f. in Hinsicht auf die Schlacht an der Trebia. 460Liv. 21,59,1–9. 461Vgl. Bruckmann 1936, 67 f.; 1977, 304 f.; Burck 1950, 81 f. (Zitat: 81). Die positive Schilderung des letzten Kampfes des Flaminius fällt insbesondere auf, wenn man sie mit der Darstellung der Schlacht bei Polybios vergleicht, der keine herausragenden Aktionen des Flaminius erwähnt.

5.2  Der Feind vor den Toren

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Konsul im Zweikampf mit einem Kelten gefallen. Die Schilderung der Motivation dieses Gegners kann wiederum, trotz des an sich wohl als ehrenvoll bewerteten Todes, auch als ein Nachhall der Kritik an Flaminius gesehen werden. Denn es wird geschildert, dass der Konsul hier letztlich für seine umstrittenen Aktionen im ersten Konsulat büßt.462 C. Terentius Varros Leistung während der Schlacht von Cannae wird zumindest nicht ausdrücklich negativ dargestellt.463 Als er vom Schlachtfeld flieht, kann er immerhin einige Dutzend Reiter in das nahe gelegene Venusia führen. Livius tadelt die Flucht des Varro an dieser Stelle nicht ausdrücklich, wie das noch bei Polybios der Fall war, wenngleich die Gegenüberstellung mit seinem Kollegen Paullus Varro gewiss auch nicht in einem besonders güns­ tigen Licht erscheinen lässt.464 Nach der Niederlage bei Cannae erscheint Varro dann insofern deutlich verändert, als dass er seine Agitation gegen den Senat vollkommen einstellt und sich um Schadensbegrenzung bemüht. Bis dahin hatte Varro eine von Livius als demagogisch gezeichnete und gegen den Senat sowie andere, etablierte Magistrate gerichtete Politik betrieben. Zu diesem früheren Auftreten Varros werden wir später noch genauer kommen. Durch seinen Wandel im Verhalten trägt der Konsul nach der verlorenen Schlacht dazu bei, einen ersten Grundstein zur Regeneration der römischen Kräfte zu legen. So gelingt es ihm, eine beträchtliche Anzahl von Überlebenden zu sammeln. Bei seiner Rückkehr in Rom wird er vom Senat am Stadttor empfangen.465 Andererseits gelingt es ihm nicht, Gesandte der Kampaner von einem Verbleib auf der römischen Seite zu überzeugen. Tatsächlich scheint sein ungeschicktes Auftreten die Kampaner eher noch darin zu bestärken, ein Bündnis mit Hannibal zu suchen.466

462In

seinem ersten Konsulat habe sich Flaminius demnach über Anweisungen des Senates hinweggesetzt und bereits im Volkstribunat eine Landverteilung auf vormals gallischem Gebiet durchgesetzt. In Liv. 22,6,1–4 stellt jedenfalls der keltische Krieger, der Flaminius tötet, diese Verbindung her. Dieser wird sogar namentlich genannt (Ducarius) und begründet seine besondere Motivation den Konsul zu töten. Ducarius erkennt in diesem nämlich denjenigen Feldherren, der einst die Länder der Kelten verheert hatte, und rächt mit dessen Tod die Verluste, die Flaminius Truppen den Kelten und ihren Familien einige Jahre zuvor zugefügt hatten. Siehe dazu u. a. Beck 2005a, 266 f. (mit weiteren Hinweisen). 463Nachdem er den Befehl gegeben habe, die Truppen über den Fluss zu führen, wird er im weiteren Verlauf der Kampfhandlungen kaum erwähnt, und taucht erst am Ende der Schlacht wieder auf. 464Liv. 22,49,14: consul alter [Varro], seu forte seu consilio nulli fugientium insertus agmini, cum quinquaginta fere equitibus Venusiam perfugit. Vgl. hingegen Pol. 3,116,13. Siehe hierzu u. a. Johner 1996, 67 f., die diese Passage als deutliche Abwertung des Varro durch Livius interpretiert. 465Liv. 22,61,13–15. 466Liv. 23,5,1–15. Siehe bes. 23,5,2: auxit rerum suarum suique contemptum consul nimis dete­ gendo cladem nudandoque. Auch die folgende Rede des Konsuls trägt dazu bei, die Römer gegenüber den Kampanern als schwach darzustellen (siehe etwa 23,5,7: itaque non iuvetis nos in bello oportet, Campani, sed paene bellum pro nobis suscipiatis). Siehe zur Stelle Ridley 2000, 26; Levene 2010, 172 („This [die Rede des Varro gegenüber den Kampanern] is a masterly and subtle piece of writing by Livy, a speech whose effect is entirely misjudged by its speaker, and which can stand comparison with the finest pieces of self-undermining rhetoric in ancient literature. But there is little apparent connection with the aggressive and cleverly manipulative demagogue of the previous book“.).

318

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Die Beobachtung, dass diejenigen unter den römischen Feldherren, die zuvor als fahrlässig-leichtsinnige Anführer oder bzw. und Demagogen aufgefallen waren, diese negativen Eigenschaften im Angesicht einer Niederlage ablegen, bestätigt sich auch in Hinsicht auf M. Minucius Rufus. Dieser ehrt den Q. Fabius Maximus, der ihm mit seinen Truppen im letzten Moment zu Hilfe geeilt war, als pater und befiehlt auch seinen Soldaten, die Legionäre des Fabius in dieser Weise zu ehren. Minucius räumt ein, dass sein vorheriges Verhalten unvernünftig war, und stellt sich wieder unter den Oberbefehl des Fabius.467 Die in der Darstellung nahezu aller Niederlagen der ersten Kriegsjahre geschilderten Unstimmigkeiten zwischen den römischen Feldherrenpaaren bzw. zwischen dem Feldherrn und seinen Ratgebern, leiten zu einem weiteren Punkt über, der die Erklärungen der römischen Niederlagen bei Livius betrifft, bislang jedoch nur implizit genannt wurde. Nicht allein Fahrlässigkeit und Leichtsinn einzelner Feldherren sind nämlich für die Niederlagen verantwortlich, sondern darüber hinaus wirken sich auch andere negative Faktoren, darunter vor allem Uneinigkeit (discordia), auf der römischen Seite destruktiv auf die Kriegsführung aus. Diese Uneinigkeit kann für Livius’ Darstellung der römischen Niederlagen und Fehlschläge von Trebia bis Cannae geradezu als Leitthema gelten, das in zunehmendem Maße in den Mittelpunkt tritt. An der Trebia betrifft diese discordia noch ‚lediglich‘ die beiden Konsuln. Scipio und Sempronius vertreten unterschiedliche Auffassungen das weitere Vorgehen gegen Hannibal betreffend.468 Der verwundete, daher vorübergehend kampfunfähige Scipio beabsichtigt zwar grundsätzlich, so wie sein Kollege Sempronius, Hannibal auf dem Schlachtfeld entgegenzutreten, doch sind sich die beiden über den Zeitpunkt uneins. Scipio möchte lieber den Winter über abwarten, um seine – angeblich – unerfahrenen Truppen zu trainieren, und ist zudem der Meinung, dass es Hannibal schwer falle, seine neuen keltischen Verbündeten über einen längeren kampflosen Zeitraum bei der Stange zu halten. Sempronius drängt hingegen möglichst bald auf einen Kampf, da er befürchtet, dass der potenzielle Ruhm eines Sieges über Hannibal den Konsuln des Folgejahres zufallen würde.469 Livius legt in seiner Darstellung der Schlacht an der Trebia nahe, dass diese Uneinigkeit zwischen den beiden römischen Feldherren als wichtige Voraussetzung für

467Diese

frühe Einsicht – Minucius besinnt sich eines Besseren, bevor es zu einer Niederlage kommt – hebt ihn in positivem Sinn von Sempronius, Flaminius und Varro ab. Liv. 22,29,7–30,6. Vgl. Levene 2010, 171: „Minucius’ recantation and acknowledgement of Fabius’ authority ultimately show him in a better light than any of the other three“. Im Zentrum der Aktionen in dieser Passage steht gleichwohl Q. Fabius Maximus, dessen hier beschriebene tugendhafte Einstellung ihn dazu treibt, dem Minucius, trotz dessen zuvor gezeigtem tadelnswertem Betragen zur Hilfe zu kommen. Vgl. Burck 1950, 89. 468Liv. 21,52,1–2; 21,53,6–7. 469Explizit als Motiv des Sempronius genannt in Liv. 21,53,6: stimulabat et tempus propinquum comitiorum, ne in novos consules bellum differretur, et occasio in se unum vertendae gloriae, dum aeger collega erat.

5.2  Der Feind vor den Toren

319

die folgenden Niederlagen anzusehen sei.470 Letztlich betrifft die Kontroverse bei Livius jedoch allein den Zeitpunkt der Schlacht. Dass die Römer eine solche gegen Hannibal in Oberitalien schlagen sollen, ist hingegen grundsätzlich ausgemacht. Abgesehen von einem übermäßigen Verlangen nach Ruhm scheint Sempronius ansonsten in seiner Karriere zuvor nicht negativ aufgefallen zu sein. Es bleibt also festzuhalten, dass Sempronius’ Fehlverhalten und seine Uneinigkeit mit dem angesehenen Scipionen erst relativ kurz vor der Schlacht auftreten.471 Im Fall des C. Flaminius weiß Livius hingegen von Kontroversen zwischen diesem und angeblich dem gesamten restlichen Senat zu berichten, die sich zuerst über die Fragen von Landverteilungen auf ehemals gallischem Gebiet sowie über das Gesetz über den senatorischen Besitz von Schiffen entzündet hätten und dann wieder während seines Konsulates aufgeflammt seien.472 Livius schildert dann den Amtsantritt des Flaminius, den dieser, gegen alles Herkommen, außerhalb Roms und unter Verzicht auf das Einholen der Auszugsauspizien dort vollzogen habe. Hierzu habe sich Flaminius entschieden, da er aufgrund seiner früheren Streitigkeiten mit dem Senat Schwierigkeiten im Zusammenhang mit seinem Amtsantritt gefürchtet habe, die ihm die Senatoren, wie angeblich während seines ersten Konsulates, bereiten würden.473 Die alte Uneinigkeit bringt also neue hervor, denn erwartungsgemäß reagieren die anderen Senatoren empört.474 Der Zwist spiegelt sich ebenfalls in den unterschiedlichen Darstellungen des Flaminius und seines Kollegen Servilius Geminus wider. So hebt Livius hervor, dass Servilius gewissenhaft alle einem Konsul zukommenden politischen und religiösen Handlungen in Rom durchgeführt habe, bevor er seinerseits aufbrach.475 Flaminius wiederum missachtet im Folgenden sämtliche negativen

470Vgl.

Bruckmann 1936, 61; Burck 1950, 74; Geist 2009, 51. Livius über Sempronius Longus keine nachteiligen Informationen, die dessen frühere politische Karriere betrafen, in den verlorenen Büchern der zweiten Dekade schilderte, kann freilich nicht sicher nachgewiesen werden. Es wäre allerdings eher überraschend, wenn dem so gewesen wäre, da er im Falle des C. Flaminius und des C. Terentius Varro auf Situationen hinweist, in denen diese bereits negativ aufgefallen waren (vgl. für Flaminius die Angaben in der folgenden Anmerkung). 472Auch wenn sich Livius in der Darstellung der früheren Karriere des Flaminius eines explizit negativ wertenden Kommentars enthält, ist das von diesem gebotene Bild nicht günstig. Siehe Liv. 21,63,2–4. Vgl. zu Erwägungen zur historischen Rolle des Flaminius im Jahrzehnt vor dem Hannibalkrieg, die sich deutlich von dem Bild, das die Quellen bieten, unterschieden haben dürfte, Bruckmann 1936, 66; Geist 2009, 65 f.; Levene 2010, 290. 473Liv. 21,63,5: ob haec ratus auspiciis ementiendis Latinarumque feriarum mora et consulari­ bus aliis impedimentis retenturos se in urbe, simulato itinere privatus clam in provinciam abiit. Dieser Amtsantritt in provincia dürfte unhistorisch sein. 474Liv. 21,63,6: ea res ubi palam facta est, novam insuper iram infestis iam ante patribus movit: non cum senatu modo, sed iam cum dis immortalibus C. Flaminium bellum gerere. Vgl. u. a. Händl-Sagawe 1995, 308; Geist 2009, 65 f. 475Liv. 21,15,6; 21,63,2; 21,63,5–15; 22,1,4–6. Vgl. zum angeblich überstürzten Aufbruch des Flaminius auch Sil. 4,711–721. Pol. 3,75,5–8; 3,77,1–2, der an anderer Stelle keineswegs mit Kritik an Flaminius spart, erwähnt einen Amtsantritt außerhalb Roms und einen Streit über diesen Vorfall allerdings nicht. 471Dass

320

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Vorzeichen und stellt sich auf diese Weise auch gegen die Götter.476 Im Heerlager weist Flaminius aufgebracht sowohl die Boten des Senates als auch seine eigenen Legaten und Offiziere zurecht, als diese ihn zu einer besonneneren Strategie bewegen wollen.477 Diese Uneinigkeit im römischen Heer wird noch dadurch gesteigert, dass die einfachen Soldaten sich, im Gegensatz zu den Offizieren, von Flaminius’ ferocia begeistert zeigen.478 Gegen jeden vernünftigen Rat lässt Flaminius Hannibals Heer verfolgen, was die Niederlage am Trasimenischen See einleitet.479 Während der Diktatur des Q. Fabius Maximus erreicht die Uneinigkeit auf der römischen Seite eine neue, noch bedrohlichere Dimension. Zwar weiß Livius anlässlich der – oben beschriebenen – ungewöhnlichen Wahl des Gespanns Fabius Maximus und M. Minucius Rufus von keinen früheren Streitigkeiten zwischen den beiden Männern oder zwischen Minucius und dem Senat zu berichten, doch sie geraten im Verlauf des Feldzuges schon bald aneinander.480 Eine Steigerung der destruktiven Uneinigkeit auf römischer Seite kann man nun darin erkennen, dass sich das Volk auf die Seite des Minucius schlägt und den Dictator Fabius für seine Strategie verachtet. Diese Entwicklung leitet Minucius selbst durch eine Rede vor Tribunen und equites im Heer ein, in der er auf die Zerstörungen verweist, die Hannibals Armee angerichtet hatte. Die Worte des Reiterobersts gelangen schließlich auch zu den einfachen Soldaten durch, die sich, wie bereits ihre Vorgänger im Heer des Flaminius, von der Aussicht auf einen raschen Angriff auf das gegnerische Heer begeistert zeigen. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätten sie den Minucius als ihren Befehlshaber dem Fabius vorgezogen.481 Die gefährliche Entwicklung bleibt auch Fabius selbst nicht verborgen, sodass die Uneinigkeit im römischen Heer für alle Beteiligten sichtbar schwelt, wenn sie auch erst später zum Ausbruch kommt.482 Die Folge hieraus ist dann die Gleichstellung des M. Minucius Rufus mit Fabius Maximus,

476Vgl.

Levene 1993, 38–40. 22,3,7–14. 478Liv. 22,3,14: incedere inde agmen coepit primoribus, superquam quod dissenserant ab con­ silio, territis etiam duplici prodigio, milite in volgus laeto ferocia ducis, cum spem magis ipsam quam causam spei intueretur. 479Liv. 22,4,1–6,12. 480Anlässlich der Wahl nennt Livius lediglich die Namen der beiden Männer (Liv. 22,8,5–7). Erster Hinweis auf das Zerwürfnis bei 22,14,3–15 (vgl. die folgende Anm.). Siehe zudem 22,18,8–10 (vergebliche Warnung des Fabius an Minucius). 481Die Rede des Minucius bei Liv. 22,14,4–14. Nach Livius habe Minucius diese Rede so gehalten habe, als ob er sich auf einer contio befunden hätte. Minucius verweist auf Beispiele für tatkräftigen Mut, den Römer in anderen Notsituationen geboten hätten. Hierzu gehören auch die ‚Gallische Katastrophe‘ und die Niederlage bei Caudium. Siehe im Zusammenhang mit dem Thema der sich steigernden discordia auf römischer Seite bes. Liv. 22,14,15: haec velut contio­ nanti Minucio circumfundebatur tribunorum equitumque Romanorum multitudo, et ad aures quo­ que militum dicta ferocia evolvebantur; ac si militaris suffragii res esset, haud dubie ferebant Minucium Fabio duci praelaturos. 482Fabius erkennt die Entwicklung: Liv. 22,15,1: Fabius pariter in suos haud minus quam in hostes intentus, prius ab illis invictum animum praestat. 477Liv.

5.2  Der Feind vor den Toren

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die von C. Terentius Varro tatkräftig unterstützt wird – für den Leser, der bereits um die Ereignisse des folgenden Jahres weiß, ein unheilvoller Vorausblick.483 Wie bereits erwähnt, besinnt sich Minucius erst im Angesicht des eigenen Untergangs und kehrt unter das Kommando des Fabius zurück.484 Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich hinter dieser Darstellung des Livius durchaus ein historisch glaubwürdiger Kern verbirgt. Die Strategie des Dictators wird im Jahr 217 gewiss umstritten gewesen sein, und es besteht im Grunde auch kein Anlass, daran zu zweifeln, dass Minucius Rufus tatsächlich mit Fabius im Kommando gleichgestellt wurde.485 Dass die Darstellung bei Livius freilich in hohem Maße stilisiert ist, wird nun noch deutlicher, wenn die Details der Schilderung des Volksbeschlusses, der die Position des Rufus aufwertete, betrachtet werden. In Livius’ Bericht wettert zunächst der Volkstribun M. Metilius gegen Fabius. Er wirft ihm vor, den Krieg in Italien absichtlich in die Länge zu ziehen, um auf diese Weise für längere Zeit den Oberbefehl über das Heer zu behalten. Metilius beantragt schließlich die Gleichstellung von Fabius und Minucius im Oberbefehl.486 Die Rede des Metilius hat Erfolg, denn Fabius kann sich nun, seiner Unbeliebtheit wegen, nicht mehr in die contiones begeben und selbst im Senat habe man ihm nicht mehr gerne zugehört.487 Um den Streit zwischen Fabius und Minucius zu klären, kommt es zur Abstimmung, durch die Dictator und Reiteroberst einander gleichgestellt werden sollen. Die Entscheidung wird dann wesentlich durch die Agitationen des C. Terentius Varro herbeigeführt.488 Livius führt Varro bei dieser Gelegenheit in einer längeren Charakteristik ein, die diesen in einem sehr ungünstigen Licht erscheinen lässt.489 Varro wirkt geradezu wie der Prototyp eines demagogischen Aufwieglers, der, aus niedrigen und vor allem ehrlosen Verhältnissen stammend, allein durch Prozesse, die er „für schmutzige Menschen und Anlässe“ (pro sordidis hominibus causisque) gegen anständige Menschen geführt habe, zu Ämtern gekommen sei. Das Agieren gegen Fabius sei eine Fortsetzung dieser Methode, da es ihm zum Aufstieg ins Konsulat verhelfen solle.490

483Liv.

22,25,17–26,7. 22,28–30. 485Siehe nur Beck 2005a, 287–290 (mit weiteren Nachweisen). 486Liv. 22,25,1–11. 487Liv. 22,25,12–13. 488Liv. 22,25,17–26,7. 489Liv. 22,25,18–19: Unus inventus est suasor legis C. Terentius Varro, qui priore anno praetor fuerat, loco non humili solum, sed etiam sordido ortus. Patrem lanium fuisse ferunt, ipsum insti­ torem mercis, filioque hoc ipso in servilia eius artis ministeria usum. Vgl. Cic. off. 1,150 für die Geringschätzung, die dem Beruf des lanius, neben anderen als „schmutzig“ angesehenen Professionen, von römischen Aristokraten entgegengebracht wurde (offenbar nach einem bekannten Vers des Terenz zitierend). Vgl. zur Einführung des Varro bei Livius Seibert 1993a, 185, Anm. 7; 1993b, 354 f.; Geist 2009, 103. 490Liv. 22,26,1–4: Is iuvenis, ut primum ex eo genere quaestus pecunia a patre relicta animos ad spem liberalioris fortunae fecit, togaque et forum placuere, proclamando pro sordidis hominibus causisque adversus rem et famam bonorum primum in notitiam populi, deinde ad honores per­ venit, quaesturaque et duabus aedilitatibus, plebeia et curuli, postremo et praetura, perfunctus, iam ad consulatus spem cum attolleret animos, haud parum callide auram favoris popularis ex dictatoria invidia petit scitique plebis unus gratiam tulit. 484Liv.

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Im Vergleich zu Sempronius Longus und selbst zu Flaminius ist in der Gestalt des Varro erneut eine Steigerung im negativen Sinne zu erkennen, da betont wird, dass dieser aus niedrigsten und moralisch verwerflichsten gesellschaftlichen Umständen in die politische Sphäre gedrängt sei, in der er einen Außenseiter darstellt, der noch dazu entscheidend daran mitwirkt, die Römer weiter zu spalten. So unterstützen ihn bei seiner Wahl zum Konsulat einige Kapitel später keine anderen Senatoren, sondern allein das durch ihn aufgepeitschte Volk und aufrührerische Volkstribune.491 Varros Unterstützer attackieren in ihren Reden die gesamte politische Elite Roms. Nach seinen Worten seien wahre Vertreter der Plebejer unter denjenigen Plebejern, die ihren Weg in die Nobilität gefunden hätten, nicht mehr zu finden. Stattdessen verachteten sie, genau wie die Patrizier, das Volk, auf dessen Rücken sie den Krieg um egoistischer Motive willen in die Länge zögen. Abhilfe könnten da allein Männer schaffen, die dieser Elite nicht angehörten.492 Als Reaktion auf die Agitationen des Varro und dessen Wahl verhilft der Senat dem moralisch integren, doch beim Volk unbeliebten L. Aemilius Paullus zum Konsulat, damit dieser ein Gegengewicht zu Varro bilde, der mehr ein Gegner als ein Kollege sei.493 Der populus Romanus ist somit zerrissen, was sich auch darin widerspiegelt, dass Paullus bei seinem Auszug aus Rom von allen anderen Senatoren und sonstigen ehrbaren Bürgern begleitet wird, während Varro zwar von einer großen Menge zu den Toren geleitet wird, unter der sich allerdings keine ehrenhaften Menschen hätten finden lassen.494 Die gesamte Schilderung der Karriere des Terentius Varro, der Wahl zum Konsulat für das Jahr 216 sowie des politischen Klimas in Rom trägt also dazu bei, das Bild der Uneinigkeit auf römischer Seite zu verstärken. Noch deutlicher als in den vorangehenden Kapiteln tritt nun die römische Plebs, hier verstanden als die Masse der breiten Bevölkerung, als Akteurin auf. Ihr Handeln ist verhängnisvoll. Von einzelnen Demagogen aufgehetzt, unterstützt sie Varro, der seinerseits allein das Ziel des eigenen Machtgewinns verfolgt.495 Seine strategische Inkompetenz, die, wie erwähnt, u. a. in seinem leichtsinnigen Wagemut zum Ausdruck kommt, wird in den folgenden Kapiteln eindeutig als eine wesentliche Ursache der Katastrophe von Cannae dargestellt. Doch nicht allein die charakterlichen Defizite einzelner Feldherren,

491Liv.

22,34,1–35,1. Vgl. Geist 2009, 78 f. bes. Liv. 22,34,7–11, bes 8: nam plebeios nobiles iam eisdem initiatos esse sacris et contemnere plebem, ex quo contemni patribus desierint, coepisse. 493Liv. 22,35,3–4: Tum experta nobilitas parum fuisse virium in competitoribus eius, L. ­Aemilium Paulum, qui cum M. Livio consul fuerat et damnatione collegae sui prope ambustus evaserat, infestum plebei, diu ac multum recusantem ad petitionem compellit. Is proximo comitiali die concedentibus omnibus, qui cum Varrone certaverant, par magis in adversandum quam collega datur consuli. 494Liv. 22,40,4: Ab hoc sermone profectum Paulum tradunt prosequentibus primoribus patrum: plebeium consulem sua plebes prosecuta, turba conspectior, cum dignitates deessent. Vgl. u. a. Bruckmann 1936, 75; Johner 1996, 80 f. 495Siehe besonders Liv. 22,26,3–4. Vgl. hierzu Vallet 1964, 707 f.; Bernard 2000, 139–141; Levene 2010, 170. 492Siehe

5.2  Der Feind vor den Toren

323

die sich in ihren strategischen und taktischen Fehlentscheidungen niederschlagen, seien als Grund für die größte Niederlage Roms in diesem Krieg anzusehen. Denn darüber hinaus birgt die Darstellung von Varros Wirken in den Jahren 217 und 216 auch eine deutliche Warnung, welch verhängnisvolle Folgen zu befürchten seien, wenn nicht der Senat, sondern die Plebs durch ihr botmäßige Magistrate, Entscheidungen von weitreichender Bedeutung fällt.496 In der Schilderung des Feldzuges selbst betont Livius dann insbesondere die Uneinigkeit, die im römischen Heer geherrscht habe. Auch in dieser Hinsicht ist eine Steigerung zu den Berichten über die Feldzüge der Vorjahre zu erkennen. So warnt Fabius Maximus den gerade gewählten Aemilius Paullus, noch vor dessen Aufbruch aus Rom, vor Varro.497 Dieser sei ein noch gefährlicherer Gegner als Hannibal selbst, da Paullus ihm nicht, wie dem Gegner von außen, lediglich auf dem Schlachtfeld, sondern zu jeder Zeit und an jeder Stelle gegenübertreten müsse. Die Warnung wird durch die semantischen Implikationen der Formulierung noch verstärkt, da Varro hier als hostis bezeichnet wird.498 Zudem stelle Varros Verhalten noch eine Steigerung zu dem des Flaminius dar. Denn der Konsul des Vorjahres sei erst im Heerlager wahnsinnig geworden, während Varro dies bereits vor seiner Wahl gewesen sei. Sobald er sich beim Heer befände, sei daher noch Schlimmeres zu befürchten, die Niederlage am Trasimenischen See werde also noch übertroffen werden.499 Dass die Warnungen des Fabius als berechtigt anzusehen seien, wird schon durch den Umstand nahegelegt, dass dieser in der Schilderung seiner Dictatur als weitsichtig und besonnen handelnde Autorität präsentiert wurde.500

496Vgl.

auch Beck 2006, 217. 22,39,1–22. 498Liv. 22,39,4–5: Erras enim, L. Paule, si tibi minus certaminis cum C. Terentio quam cum Han­ nibale futurum censes; nescio, an infestior hic adversarius quam ille hostis maneat; cum illo in acie tantum, cum hoc omnibus locis ac temporibus certaturus es; adversus Hannibalem legio­ nesque eius tuis equitibus ac peditibus pugnandum tibi est, Varro dux tuis militibus te est oppug­ naturus. Vgl. Levene 2010, 189, Anm. 57: „The suggestion that it is Varro who is the hostis, while Hannibal is merely the adversarius, is especially striking“. Die Warnung des Fabius an Paullus an dieser Stelle stellt gewissermaßen eine Steigerung zu Livius’ Einschätzung anlässlich der Wahl der beiden Konsuln dar, in der Varro mehr als ein Gegner (hier ein adversarius) denn als ein Kollege für Paullus beschrieben wurde (Liv. 22,35,4). Vgl. zur fatalen Uneinigkeit auf römischer Seite, die Livius vor Cannae deutlich als Ursache für die folgende Niederlage darstellt, auch u. a. Burck 1950, 93 f.; Geist 2009, 79 f. 499Liv. 22,39,6–8: Ominis etiam tibi causa absit C. Flamini memoria. Tamen ille consul demum et in provincia et ad exercitum coepit furere: hic, priusquam peteret consulatum, deinde in petendo consulatu, nunc quoque consul, priusquam castra videat aut hostem, insanit. Et qui tantas iam nunc procellas proelia atque acies iactando inter togatos ciet, quid inter armatam iuventutem censes facturum et ubi extemplo res verba sequitur? Atqui si, quod facturum se denuntiat, extem­ plo pugnaverit, aut ego rem militarem, belli hoc genus, hostem hunc ignoro, aut nobilior alius Trasumenno locus nostris cladibus erit. Vgl. zur vermutlich intendierten Wirkung der Passage auf die Rezipienten Bruckmann 1936, 73. 500Vgl. zur Rede des Fabius Maximus an L. Aemilius Paullus die ausführlichen Analysen bei Bruckmann 1936, 73 f.; Rieck 1996, 25–35. 497Liv.

324

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Im Feldlager angekommen, agitiert Varro dann auch nahezu ohne Unterlass gegen seinen Kollegen, hetzt die einfachen Soldaten auf die gleiche Weise auf, wie er das zuvor mit dem Volk in Rom tat, und lässt sich, wie bereits erwähnt, von Paullus nicht zu einem vorsichtigen strategischen Vorgehen gegen Hannibal überzeugen. Die tief zerstrittenen Konsuln einigen sich zwar darauf, sich im Oberbefehl über das doppelkonsularische Heer täglich abzuwechseln, doch bringt diese Maßnahme keine Besserung.501 Vielmehr agieren die Römer nun erst recht uneinig, was Hannibal nicht verborgen bleibt.502 Anders als etwa noch im Bericht des Polybios sind sich Paullus und Livius nun nicht mehr nur über die Wahl des Schlachtfeldes uneins, sondern haben auch grundsätzlich andere Vorstellungen über die vorzuziehende Strategie. Paullus beabsichtigt, das vorsichtige Vorgehen des Fabius Maximus fortzusetzen, der, wie erwähnt, vor dem Beginn des Feldzuges als sein Ratgeber fungiert, während Varro möglichst rasch eine Schlacht gegen Hannibal eröffnen will. Hierin sieht er nach Livius den Rest des Senats gegen sich, der ihn freilich nicht an seinem Vorgehen hindern kann.503 Schließlich führt Varro das Heer gegen den erklärten Willen seines Kollegen an dem Tag, an dem er den Oberbefehl innehat, in die Schlacht. Paullus folgt ihm aus Loyalität, doch gegen seine Überzeugung. Die Verantwortung für die Niederlage liegt nach Livius also bei Varro.504 Insgesamt stellt Livius’ Varro im Vergleich zu seinen unrühmlichen Vorgängern Sempronius Longus, Minucius Rufus und C. Flaminius in nahezu jeder Hinsicht eine Steigerung im negativen Sinne dar. In ihm findet sich nicht allein das Bild eines unvorsichtigen Feldherrn, sondern zusätzlich noch das eines Demagogen, der das Volk gegen den Senat aufhetzt.505 Zudem lässt Livius keinen Zweifel daran, dass die discordia auf römischer Seite mit Varros Konsulat einen bis dahin ungekannten Gipfel erreicht hatte. Wie bereits erwähnt, wandelt sich der Blick auf Varro jedoch mit Beginn der Schlacht von Cannae. Buch 22 endet mit der Schilderung der Rückkehr des überlebenden Konsuls nach Rom, in der Livius ausdrücklich vermerkt, dass römische Bürger aller Stände (ab omnibus ordinibus) dem Konsul, ungeachtet dessen, dass dieser in höchstem Maße für die Katastrophe

501Liv.

22,41,1–3; 22,42,3–12; 22,44,5–7; 22,44,5. Vgl. hierzu Burck 1950, 95–97. bes. Liv. 22,41,4–5: Hannibal id damnum haud aegerrime pati; quin potius credere velut inescatam temeritatem ferocioris consulis ac novorum maxime militum esse. Et omnia ei hostium haud secus quam sua nota erant: dissimiles discordesque imperitare, duas prope partes tironum militum in exercitu esse. Vgl. Liv. 22,43,1; 22,44,5. 503Von einer Aufforderung des Senates an die Konsuln, Hannibals Armee anzugreifen, wie sie Polybios überliefert, berichtet Livius nichts. Pol. 3,107,7; 3,108,2. Vgl. in diesem Zusammenhang u. a. Johner 1996, 41. 504Liv. 22,45,5: Itaque postero die Varro, cui sors eius diei imperii erat, nihil consulto collega signum proposuit instructasque copias flumen traduxit, sequente Paulo, quia magis non probare quam non adiuvare consilium poterat. Vgl. u. a. Bruckmann 1936, 82; Burck 1950, 97. 505Vgl. Levene 2010, 171. 502Siehe

5.2  Der Feind vor den Toren

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auf dem Schlachtfeld verantwortlich gewesen sei, entgegen gezogen seien.506 Das römische Volk, das wenige Kapitel vorher noch in hohem Maße zerstritten und uneinig wirkte, tritt dem Konsul nun, nach der größten Niederlage der römischen Geschichte, in betonter Eintracht gegenüber, um ihn bei seiner Rückkehr nach Rom zu begrüßen. Auf diesen Aspekt, das Thema von discordia und concordia in ihrer Bedeutung für Sieg oder Niederlage der Römer, wird im Folgenden noch genauer einzugehen sein. Zunächst sollen jedoch weitere Erklärungen betrachtet werden, die in der dritten Dekade für Niederlagen geboten werden, die sich nach der Schlacht von Cannae ereignet haben. Der Kampf im Wald Litana, in dem die Armee des Praetors und designierten Konsuls L. Postumius Albinus von seinen keltischen Gegnern aufgerieben wurde und Postumius fiel, wird bei Livius vor allem durch den Hinterhalt erklärt, den die Kelten vorbereitet hätten.507 Zudem hat es in dem Bericht fast den Anschein, als ob die Niederlage die Römer schicksalhaft ereilt habe.508 Von strategischen oder taktischen Fehlern des Postumius oder nachteiligen charakterlichen Eigenschaften wird nichts erwähnt. In der Darstellung der ersten Schlacht bei Herdonea im Jahr 212 variiert Livius das Muster, nach dem die Erklärung einer Niederlage in der teme­ ritas des Feldherrn zu finden sei. Wie schon vor den Kämpfen an der Trebia oder am Trasimenischen See wird Hannibal von Untergebenen über Defizite des römischen Feldherrn, hier des Praetors Cn. Fulvius Flaccus, informiert. Nachdem dieser zunächst vorsichtig vorgegangen sei, hätten ihn erste, kleinere Erfolge unvorsichtig werden lassen.509 Noch mehr trifft dies im weiteren Verlauf der Schilderung der Ereignisse bei Herdonea allerdings auf die Soldaten des Fulvius Flacchus zu. Diese kennen nach der erfolgreichen Plünderung kleinerer Städte kein Maß mehr und stellen sich ohne Befehl ihres Feldherrn zur Schlacht auf. Die Aufstellung der Truppen ist entsprechend chaotisch, und folgerichtig zerschlägt Hannibals Armee die Römer mit der ersten Attacke. Die Verluste gibt Livius als recht hoch an.510 Schließlich werden sowohl den Soldaten als auch dem Fulvius selbst temeritas, letzterem sogar stultitia, bescheinigt. Im Gegensatz zu seinen unrühmlichen Vorgängern Flaminius oder Varro, wird auch sein Verhalten während der Schlacht als

506Liv.

22,61,13–14. 23,24,6–13. Vgl. Bruckmann 1936, 104 f. 508Liv. 23,24,6: Cum eae res maxime agerentur, nova clades nuntiata aliam super aliam ­cumulante in eum annum fortuna, L. Postumium consulem designatum in Gallia ipsum atque exercitum deletos. 509Liv. 25,20,6–7: Cn. Fulvium praetorem Apuli legati nuntiabant primo, dum urbes quasdam Apulorum, quae ad Hannibalem descivissent, oppugnaret, intentius rem egisse: postea nimio successu et ipsum et milites praeda impletos in tantam licentiam socordiamque effusos, ut nulla disciplina militiae esset. Cum saepe alias, tum paucis diebus ante expertus, qualis sub inscio duce exercitus esset, in Apuliam castra movit. 510Liv. 25,21,1–10. Von 18.000 Fußsoldaten seien nicht mehr als 2000 entkommen, der Praetor sei mit 200 Reitern geflohen – ein Verhalten, das Livius ausdrücklich missbilligt (vgl. die folgende Anm.). 507Liv.

326

5  Die römisch-karthagischen Kriege

unehrenhaft beschrieben. Er habe bei den ersten Anzeichen von Verwirrung in den eigenen Reihen die Flucht ergriffen.511 Die Schilderung der zweiten Schlacht von Herdonea im Jahr 210 bietet im Wesentlichen eine weitere Auflage des bereits bekannten Musters in eher geringfügiger Variation.512 Auch der Prokonsul Cn. Fulvius Centumalus ist zu unvorsichtig, weshalb wohl bereits die Aussicht auf einen leichten Erfolg in Form einer (Rück-)Eroberung Herdoneas ausreicht, um ihn dazu zu verleiten, nicht einmal sein Heerlager zu befestigen.513 Wie in den bereits genannten Fällen zuvor, werden Hannibal auch dieses Mal Informationen über die charakterliche Schwäche des römischen Feldherren und die hieraus resultierende günstige Gelegenheit zum eigenen Angriff zugetragen, sodass der karthagische Feldherr, dem überlegene Fähigkeiten zugeschrieben werden, keine Mühe hat, seine Truppen zum erneuten Sieg bei Herdonea zu führen.514 Fahrlässiger Leichtsinn trägt zwei weitere Jahre später auch den beiden Konsuln M. Claudius Marcellus und T. Quinctius Crispinus den Tod in einem Hinterhalt ein.515 Wie bereits andere Autoren vor ihm – und vermutlich bereits die Zeitgenossen des Marcellus – kritisiert Livius dessen letzte Operationen.516 Insbesondere angesichts seines Alters und seiner Erfahrung sei das Verhalten des Marcellus unverständlich gewesen. Von einem solchen Feldherrn erwarte man kein so unkluges Vorgehen.517 Daneben bringt Livius noch weitere Faktoren ins Spiel,

511Liv.

25,21,9: Dux stultitia et temeritate Centenio par, animo haudquaquam comparandus, ubi rem inclinatam ac trepidantes suos videt, equo arrepto cum ducentis ferme equitibus effu­ git. Vgl. Bruckmann 1936, 107 f. In dieser auffallend negativen Schilderung des Verhaltens des Fulvius im Kampf könnte sich ein wahrer Kern verbergen. Immerhin handelt es sich bei ihm um den einzigen der imperatores victi des Hannibalkrieges, gegen den im Zusammenhang mit seiner Niederlage ein Gerichtsverfahren eröffnet wurde. Siehe hierzu u. a. Feig Vishnia 1996, 76 f.; Rich 2012, 104. 512Liv. 27,1,3–15. 513Liv. 27,1,4–5: Castra ibi Cn. Fulvius proconsul habebat spe recipiendae Herdoneae, quae post Cannensem cladem ab Romanis defecerat, nec loco satis tuto posita nec praesidiis firmata. Neglegentiam insitam ingenio ducis augebat spes ea, quod labare iis adversus Poenum fidem senserat, postquam Salapia amissa excessisse iis locis in Bruttios Hannibalem auditum est. 514Liv. 27,1,6: Ea omnia ab Herdonea per occultos nuntios delata Hannibali simul curam sociae retinendae urbis et spem fecere incautum hostem adgrediendi. Vgl. Bruckmann 1936, 104; Ridley 2000, 27; Levene 2010, 305 f.: „Hannibal appears to be at an advantage in any case – even before the Romans are encircled from behind, ‘many’ of them fall in what appears to be a straightforward infantry battle“ (306). Gegenüber Hannibals Fähigkeiten als Feldherr wird der römische Prokonsul als eindeutig unterlegen beschrieben (Liv. 27,1,7: Par audacia Romanus, consilio et viribus impar, copiis raptim eductis conflixit). 515Siehe bes. Liv. 27,25,14; 27,27,11. 516Siehe hierzu Kierdorf 1980, 108; Flower 2003, 48–51. 517Liv. 27,27,11: Mors Marcelli cum alioqui miserabilis fuit, tum quod nec pro aetate – iam enim maior sexaginta annis erat – neque pro veteris prudentia ducis tam improvide se collegamque et prope totam rem publicam in praeceps dederat.

5.2  Der Feind vor den Toren

327

die die Niederlage und den Tod der beiden Konsuln verursacht hätten. Zunächst ignoriert Marcellus Warnungen eines haruspex vor ungünstigen Vorzeichen, die bereits auf sein Ende vorausgedeutet hätten.518 In dem folgenden Gefecht habe es sich für die Römer ungünstig ausgewirkt, dass eine Einheit der mit den Römern verbündeten Etrusker die Flucht ergriffen habe. Kampfentscheidend sei dies allerdings nicht gewesen, sodass man hierin wohl auch nur in begrenztem Maße eine Entlastung des Konsuls sehen kann.519 Im Hinblick auf den weiteren Zusammenhang von Livius’ Darstellung des Marcellus in der dritten Dekade hat Levene aufgezeigt, wie dessen „arrogantes“, da übertriebenes, Selbstvertrauen sich gerade in Buch 27 schrittweise steigert.520 Vermutlich seit Poseidonius war mit Marcellus Taten im Zweiten Punischen Krieg die Vorstellung eng verbunden, dass er als „Schwert“ – gemeint ist eine Präferenz für eine offensive Strategie – gemeinsam mit dem „Schild“ Fabius, der, wie gesehen, nach den Niederlagen am Trasimenischen See und bei Cannae jeweils eher vorsichtig agierte, Italien vor Hannibals Armee verteidigt habe.521 Dieser Hang zu einem offensiven Vorgehen gewinnt in Livius’ Darstellung nun eine negative Dimension, indem Marcellus fahrlässig sein Leben und, so der Kommentar des Livius, das Wohlergehen der res publica gefährdet habe.522 Denn bei genauerer Betrachtung war Marcellus durch eine Reihe von Aktionen schon in früheren Büchern in einem moralischen Zwielicht präsentiert worden. Dies betrifft insbesondere seine Aktionen auf Sizilien im Zusammenhang mit der Belagerung und Einnahme von Syrakus. Obgleich es sich dabei unbestreitbar um einen wichtigen Erfolg der Römer im Zweiten Punischen Krieg handelte, nahm die Eroberung der Hauptstadt des unabhängigen Siziliens in Livius’ Darstellung des Kriegsverlaufes

518Liv.

27,26,13–14. Vgl. Walsh 1961, 63. 27,27,5–6. Gegen Rieck 1996, 160–169, die in der gesamten Darstellung des letzten Gefechtes des Marcellus eine Entlastung des Konsuls durch Livius ausmacht. Siehe allerdings auch Bruckmann 1936, 105. 520Levene 2010, 197–208, dort: „But we can see Marcellus’ arrogant confidence against Hannibal growing from the very start of the book, even before the defeats that led to decline in his reputation at Rome […]“. 521Das Bild ist natürlich stark vereinfachend. So befahl Fabius seinen Truppen wiederholt Offensivaktionen gegen italische Städte und Gemeinwesen, die von den Römern zu Hannibal übergegangen waren. Lediglich einer direkten Konfrontation mit Hannibals Hauptheer ging er aus dem Weg, da sich offenbar keine günstige taktische Gelegenheit ergab. Siehe hierzu u. a. (mit weiteren Nachweisen) Lazenby 1978/1998, 68–73; Beck 2005a, 287 f., 294–300. 522Liv. 27,27,11. Tatsächlich dürfte sich Hannibals strategische Situation durch diesen Erfolg nicht entscheidend verbessert haben. Diese Deutung war in den vorangegangenen Kapiteln von Buch 27 bereits angedeutet worden, sodass es für den Leser nicht vollkommen überraschend kommt. Vgl. wiederum Levene 2010, 208: „The antithesis is much more marked in Book 27, and increasingly so through the first half of the book, especially because of the increasing focus on Marcellus’ belligerence. Effectively, he is growing into his traditional role – yet whereas for Posidonius that role, when combined with Fabius’ caution, is something that preserved Rome, for Livy it all but brings the country to destruction“. 519Liv.

328

5  Die römisch-karthagischen Kriege

sowie in der Interpretation der Bedeutung dieses Ereignisses für die römische Geschichte insgesamt eine ambivalente Rolle ein. Die weiter reichenden Deutungen, die sich mit der Einnahme von Syrakus verbanden, führen über den Tod des Marcellus und dessen Erklärung in Livius’ Darstellung allerdings weit hinaus, worauf wir später noch zurückkommen werden. Es sei jedoch bereits angemerkt, dass Livius Marcellus’ Ende bereits ein Buch zuvor in einem Zusammenhang ankündigt, der nahelegt, dass letzten Endes dessen von impietas geprägtes Verhalten bei der Belagerung und Einnahme von Syrakus seinen Tod herbeigeführt habe.523 Somit findet sich für den Tod des Marcellus neben dessen Leichtsinn, der als offensichtliche Ursache in dieser Passage im Mittelpunkt steht, ein zweiter Erklärungsansatz, der erst in den Blickpunkt gerät, wenn die Darstellung des Marcellus in der dritten Dekade insgesamt berücksichtigt wird. Als primären Grund für die Niederlage und den Tod der Scipionen in Spanien nennt Livius keine internen Streitigkeiten oder Leichtsinn, sondern den Verrat der keltiberischen Hilfstruppen, die sich von Hasdrubal hätten abwerben lassen. Aus dem Vorfall seien, so Livius in einem eingeschobenen Kommentar, für römische Feldherren insgesamt Lehren zu ziehen. Keinesfalls nämlich dürfe der Anteil von fremden Hilfstruppen so groß sein, dass deren Abfall die eigene Position derart in Gefahr bringen könne.524 Gleichwohl mag man auch in diesem Kommentar eine implizite Kritik an den beiden Scipionen-Brüdern erkennen können, die, getragen von der Hoffnung, Hasdrubal so aus Spanien vertreiben zu können, 20.000 Keltiberer angeworben hatten, was ihnen nun zum Verhängnis geworden sei. Erst durch das Vertrauen auf diese beträchtliche Verstärkung hätten sie sich in Stellungen begeben, aus denen ihnen dann, nachdem die Keltiberer die römischen Lager verlassen hatten, kein gesicherter Rückzug vor Hasdrubals Truppen mehr möglich gewesen sei.525 Schließlich seien die tapfer kämpfenden Römer der Übermacht der Feinde unterlegen.526

523Siehe Liv. 26,29,9–10: In der Diskussion um die Verteilung der Provinzen entscheidet der Senat, dass Marcellus Sizilien verlassen und nach Italien gehen solle. Einwohner Siziliens, die sich zuvor in Rom über das Verhalten des Marcellus bei der Plünderung von Syrakus beklagt hatten, hätten auf diese Entscheidung Einfluss gehabt. So führt Marcellus’ Erfolg auf Sizilien indirekt zu seinem Ende (Inter ipsos consules permutatio provinciarum rapiente fato Marcellum ad Hannibalem facta est, ut ex quo primus post adversissimas haud adversae pugnae gloriam ceperat, in eius laudem postremus Romanorum imperatorum prosperis tum maxime bellicis rebus caderet). Siehe hierzu Carawan 1984, 138 und Levene 1993, 64: „We thus get already here a clear hint that Marcellus’ impiety is leading him, albeit indirectly, to his death“. Vgl. Jaeger 1997, 127; Levene 2010, 203, 314. 524Liv. 25,33,1–9. Siehe bes. 6: Id quidem cavendum semper Romanis ducibus erit exemplaque haec vere pro documentis habenda, ne ita externis credant auxiliis, ut non plus sui roboris sua­ rumque proprie virium in castris habeant. Vgl. Burck 1950, 119. 525Liv. 25,32,2–3. Hasdrubal erweist sich den beiden römischen Feldherren gegenüber in dieser Hinsicht als überlegen, da er um die Treulosigkeit der „Barbaren“ gewusst habe und daher seine Pläne angemessen auf die gegebene Situation hin habe ausrichten können (Liv. 25,33,1–3). 526In Liv. 25,36,4 vermerkt Livius ausdrücklich, dass die gegnerischen Truppen vor dem Angriff auf das römische Lager, in dem Cn. Scipio getötet wird, nochmals verstärkt worden seien. Vgl. Bruckmann 1936, 106; Burck 1950, 120.

5.2  Der Feind vor den Toren

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Wir werden später zu der Frage kommen, inwiefern das Verhältnis der Römer zu den Göttern auch in Livius’ dritter Dekade für das Verständnis von Darstellung und Deutung der römischen Niederlagen und der Reaktionen der Römer auf diese Misserfolge von großer Relevanz ist. So direkt, wie dies im Zusammenhang der Niederlagen an der Allia und bei Caudium der Fall war, tauchen religiöse Erklärungsmuster als direkte Erklärung für Niederlagen im Zweiten Punischen Krieg allerdings eher selten auf. Am deutlichsten bedient sich Livius solcher Erklärungen im Zusammenhang mit der Niederlage am Trasimenischen See.527 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass bereits der Amtsantritt des C. Flaminius aufgrund des Umstandes, dass dieser vor seinem Aufbruch aus Rom die Auszugsauspizien nicht eingeholt hatte, problematisch war. Da es sich hierbei um eine Amtshandlung des Konsuls mit hoher religiöser Bedeutung handelte, erscheint sein Konsulat bereits von vornherein belastet.528 Die Aktionen des Flaminius bis hin zur Schlacht am Trasimenischen See werden im weiteren Bericht von einer ganzen Reihe von unheilvollen Vorzeichen begleitet, die von Flaminius allesamt ignoriert werden.529 Wie die oben erwähnten, von Cicero zitierten Fragmente aus der Monografie des L. Coelius Antipater zeigen, hat Livius diese Prodigien in seinen Q ­ uellen bereits finden können.530 Bei einem Vergleich fällt zunächst auf, dass Livius den Bericht in seiner vermutlichen Vorlage Coelius Antipater offenbar gekürzt hat.531

527Vgl. zur Ignoranz des Flaminius gegenüber den römischen Göttern als eine Erklärung der römischen Niederlage am Trasimenischen See bei Livius u. a. Burck 1950, 78–80; Walsh 1961, 58, 68; Schmitt 1991, 105; Levene 1993, 22. 528Liv. 21,62,1–5; 22,1,8–13. Livius unterstreicht diesen Eindruck, wie bereits erwähnt, dadurch, dass er den Beginn von Flaminius’ Konsulat durch die beiden überdurchschnittlich langen Prodigienlisten zu den Jahren 218 und 217 einrahmt. 529Siehe mit allen Belegen Engels 2007, 431–438. 530Siehe Walsh 1961, 131 und insbesondere Levene 1993, 40–42; 2010, 134 f. 531Vgl. die Wiedergabe von Coelius’ Bericht durch Cicero (1.) mit der Darstellung bei Livius (2.). 1.) FRHist 15 F 14 b = FRH 11 F 20 b (=Cic. div. 1,77–78): Quid? bello Punico secundo nonne C. Flaminius consul iterum neglexit signa rerum futurarum magna cum clade rei publicae? Qui exer­ citu lustrato cum Arretium versus castra movisset et contra Hannibalem legiones duceret, et ipse et equus eius ante signum Iovis Statoris sine causa repente concidit nec eam rem habuit religioni obiecto signo, ut peritis videbatur, ne committeret proelium. Idem cum tripudio auspicaretur, pulla­ rius diem proelii committendi differebat. Tum Flaminius ex eo quaesivit, si ne postea quidem pulli pascerentur, quid faciendum censeret. Cum ille quiescendum respondisset, Flaminius: ‚Praeclara vero auspicia, si esurientibus pullis res geri poterit, saturis nihil geretur!‘ itaque signa convelli et se sequi iussit. Quo tempore cum signifer primi hastati signum non posset movere loco nec quicquam proficeretur, plures cum accederent, Flaminius re nuntiata suo more neglexit. Itaque tribus iis horis concisus exercitus atque ipse interfectus est. magnum illud etiam, quod addidit Coelius, eo tem­ pore ipso, cum hoc calamitosum proelium fieret, tantos terrae motus in Liguribus, Gallia complu­ ribusque insulis totaque in Italia factos esse, ut multa oppida conruerint, multis locis labes factae sint terraeque desiderint fluminaque in contrarias partes fluxerint atque in amnes mare influxerit. 2.) Liv. 22,3,11–13: Haec simul increpans cum ocius signa convelli iuberet et ipse in equum insi­ luisset, equus repente corruit consulemque lapsum super caput effudit. Territis omnibus, qui circa erant, velut foedo omine incipiendae rei, insuper nuntiatur signum omni vi moliente signifero con­ velli nequire. Conversus ad nuntium ‚Num litteras quoque‘, inquit, ‚ab senatu adfers, quae me rem gerere vetant? Abi, nuntia, effodiant signum, si ad convellendum manus prae metu obtorpuerit‘.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Bei Livius findet sich kein Hühner-Auspicium, und während Flaminius bei Coelius offenbar vor einer Statue des Iuppiter Stator von seinem Pferd stürzte, was diesem Prodigium so nicht nur eine tiefere Bedeutung sowie eine ominösere Aura verlieh, stürzt der Konsul in Livius’ Bericht unmittelbar vor seinem Aufbruch aus dem Heerlager von seinem Pferd, nachdem er den Befehl zur Verfolgung von Hannibals Armee gegeben hatte.532 Direkt vor seinem Sturz war Flaminius gemeldet worden, dass sich die Feldzeichen nicht aus dem Boden ziehen ließen. Livius hat die bei Coelius anscheinend weiter auseinanderliegenden Notizen also in eine Szene zusammengezogen. Mit Levene wird man hierin eine dramatische Zuspitzung der Darstellung erkennen können.533 Livius nutzt diese Szene zudem dazu, eine ­Brücke zurück zu dem ersten Konsulat des Flaminius (i. J. 223) zu schlagen. In diesem hatte ihn auf seinem Feldzug gegen die Insubrer offenbar ein Schreiben des Senates erreicht, in dem ihm aufgrund von gemeldeten Prodigien befohlen worden war, seine Kampagne abzubrechen. Flaminius und sein Kollege P. Furius Philus hatten diesen Brief erst nach der siegreichen Schlacht am Fluss Clusius geöffnet – so jedenfalls die anscheinend vorherrschende Überlieferung.534 Auf diesen Brief spielt Flaminius in seiner harschen Antwort auf die Meldung des Feldzeichen-­Prodigiums bei Arretium an. Seine im ersten Konsulat bewiesene impietas wirkt also fort. Eine zweite Verbindung hierzu findet sich in der Todesszene des Flaminius, der bei Livius nicht zufällig von einem keltischen Krieger, dessen Namen (Ducarius) der Historiker sogar nennt, erklärtermaßen aus Rache für die Verheerungen, die Flaminius als Konsul einst auf keltischem Gebiet angerichtet hatte, getötet wird.535

532Vgl.

Levene 1993, 41 („The omen in Livy has less of a miraculous cast“.). Levene 1993, 40–42. Die Beobachtung, dass Livius Passagen aus seinen Vorlagen in dramaturgischer Absicht raffte, lässt sich auch in zahlreichen weiteren Partien von Ab Urbe Condita machen. Vgl. u. a. Eckstein 2015. 534Siehe Plut. Marc. 4,2 f. Vgl. Plut. Fab. 2,4; Liv. 21,63,7; 21,63,12. Siehe hierzu Händl-Sagawe 1995, 398–401; Beck 2005a, 253 f. 535Liv. 22,6,1–4: Tres ferme horas pugnatum est et ubique atrociter; circa consulem tamen acrior infestiorque pugna est. Eum et robora virorum sequebantur et ipse, quacumque in parte premi ac laborare senserat suos, impigre ferebat opem, insignemque armis et hostes summa vi petebant et tuebantur cives, donec Insuber eques – Ducario nomen erat – facie quoque noscitans consu­ lem, ‚En‘ inquit ‚hic est‘ popularibus suis, ‚qui legiones nostras cecidit agrosque et urbem est depopulatus; iam ego hanc victimam manibus peremptorum foede civium dabo‘. Subditisque cal­ caribus equo per confertissimam hostium turbam impetum facit obtruncatoque prius armigero, qui se infesto venienti obviam obiecerat, consulem lancea transfixit; spoliare cupientem triarii obiectis scutis arcuere. Mit dem Tod des Flaminius schließt sich wiederum ein Erzählbogen, der in dessen erstem Konsulat begonnen hatte. Vgl. Beck 2005a, 267: „Die livianische Überlieferung schlägt damit einen grandiosen Erzählbogen zurück in den Gallierkrieg, der seinerseits gedanklich aufs engste mit den strittigen Landverteilungen im Volkstribunat verzahnt war. Zum tumultus der Gallier war es angeblich ja nur wegen der Landzuweisung gekommen, die Flaminius in seinem Tribunat eingeleitet hatte. Das Bild des Außenseiters, der die Hauptschuld an allen vermeintlichen und tatsächlichen Krisen der letzten 15 Jahre trug, erhielt dadurch eine in sich geschlossene Dramaturgie“. Da Flaminius bereits in seinem ersten Konsulat Berichte über 533Siehe

5.2  Der Feind vor den Toren

331

Da dieser Feldzug nach der Deutung des Senates, auf die Livius zuvor angespielt hatte, gegen den erklärten Willen der Götter durchgeführt worden sei, wird Flaminius also schließlich für seine zuvor bewiesene impietas bestraft und führt dabei auch das ihm anvertraute Heer in den Untergang.536 Diese Reihe von Erwähnungen von unheilvollen Vorzeichen, die Flaminius nicht nur ignoriert, sondern explizit als nichtig zurückweist, sowie die Verweise auf die Ereignisse seines ersten Konsulates lassen kaum einen Zweifel daran, dass auch Livius in der mehrfach erwiesenen impietas des Flaminius eine wesentliche Ursache für die Niederlage am Trasimenischen See sieht. In diesem Fall sind also gleich drei Erklärungsmuster miteinander verwoben: das oben diskutierte Deutungsmuster des leichtsinnigen Feldherrn, die Schilderung der sich steigernden Uneinigkeit auf römischer Seite sowie die Missachtung von Prodigien durch einen Feldherren, der sich durch impietas auszeichnet. In solch deutlicher Form, wie in der Darstellung der Schlacht am Trasimenischen See bringt Livius, wie gesagt, keine andere Niederlage des Hannibalkrieges mit religiösen Erklärungsmustern in Verbindung. Unheilvolle Vorzeichen sollen indes auch dem Tod des Ti. Sempronius Gracchus vorausgegangen sein. Der Prokonsul habe diese jedoch ignoriert. Kurz darauf sei er durch den Verrat des Lukaners Flavus in einen Hinterhalt geraten, in dem er und seine Begleiter getötet werden. Die zahlreichen Varianten, die Livius zum Tod des Sempronius gesammelt hat, deuten auf einen gewissen Bekanntheitsgrad des Ereignisses in der späteren Überlieferung hin, der durch die Prominenz der Familie der Sempronii Grachii gefördert worden sein dürfte.537 Vor dem Kampf am Ticinus verzeichnet Livius ebenfalls Prodigien, gibt allerdings keinen Hinweis auf eine Missachtung der Zeichen durch den Konsul P. Cornelius Scipio. Vielmehr habe Scipio diese Vorzeichen gesühnt, bevor er aus dem Heerlager aufgebrochen sei.538

Prodigien missachtet haben soll, erscheint in Livius’ Darstellung hier eine weitere Dimension. Schließlich legt Livius in seiner Darstellung der Ereignisse vor der Schlacht am Trasimenischen See den Schluss nahe, dass die Niederlage besonders aus der Missachtung einer Vielzahl von ungünstigen Vorzeichen durch Flaminius resultierte. Vgl. zur Ducarius-Stelle Levene 1993, 39 f. unter dem Aspekt mangelnder pietas des Flaminius bereits in dessen vorheriger Karriere. Catin 1944, 46 erwägt zudem, dass auch der Umstand, dass es Hannibals Soldaten nicht gelang, den Leichnam des Flaminius aufzufinden und zu bestatten, als eine letzte Bestrafung für Flaminius’ frühere Missachtung der Götter angesehen werden könnte. Vgl. Liv. 22,7,5. 536Vgl. Levene 2010, 290: „Flaminius is trapped and defeated through his failure to heed divine signs, but the specific trigger for his death and hence defeat within the battle has its roots in his wrongdoing years earlier. It makes sense morally that he should die in this way; it also makes sense morally that this should in turn trigger the Roman defeat, since the Roman state as a whole has been implicated in his behavior.“ Siehe auch Johner 1996, 109 f. und vgl. Beck 2005a, 266 f. 537Liv. 25,16,1–4. Siehe hierzu Levene 1993, 53 f. Varianten bei Livius: Liv. 25,17,1–17,7. Vgl. zu den Hintergründen und Erwägungen zur variantenreichen Tradition rund um den Tod des Sempronius Gracchus und um den Verbleib seiner sterblichen Überreste die detaillierte Diskussion bei Kukofka 1990, 60–67. 538Liv. 21,46,1–3.

332

5  Die römisch-karthagischen Kriege

In Hinsicht auf die Schlacht von Cannae finden sich interessanterweise kaum Hinweise auf ein religiös konnotiertes Deutungsmuster. Zwar leitet Livius den Bericht zum Cannae-Feldzug mit der Formulierung ein, dass die Konsuln das Heer zu dem Ort führen, der vom Schicksal für die Niederlage der Römer ausersehen worden sei, doch findet diese Deutung in der weiteren Darstellung keine Unterstützung.539 Vielmehr lässt Terentius Varro von einem ersten Angriffsplan ab, als sein Kollege Paullus ihm von einem negativ ausgefallenen Hühner-Auspizium berichten lässt.540 Dass sich ausgerechnet vor der größten Niederlage des Krieges keine Berichte über ungesühnte oder missachtete Prodigien finden, mag überraschen. Levene hat in einer umfassenden Betrachtung der Darstellung von Religion in Livius’ Werk allerdings festgehalten, dass dieser im Vorfeld von „entscheidenden“ Schlachten diesem Erklärungsmodell generell wenig Beachtung beigemessen habe.541 Allerdings kommt ihm hinsichtlich der Schilderung und Deutung der Niederlagen an der Allia und bei Caudium auch in Livius’ Bericht zentrale Bedeutung zu. Im Fall von Cannae mag das geradezu auffällige Fehlen von religiös konnotierten Deutungen der Niederlage auch damit zusammenhängen, dass hierdurch letztlich auch der Kollege des Varro, L. Aemilius Paullus, dem in der römischen Geschichtskultur offenbar eine fast ungebrochen positive Rolle zugesprochen wurde, belastet worden wäre.542 Neben den bislang diskutierten Erklärungen für Niederlagen im Zweiten Punischen Krieg bei Livius fällt auf, dass in mehreren Schilderungen von Schlachten äußere Faktoren, wie ungünstige Witterungsbedingungen, als Teilerklärungen für den jeweiligen Misserfolg einer römischen Armee angeführt werden. So habe an der Trebia der durch starke Niederschläge angeschwollene Fluss das Vorrücken der römischen Truppen zunächst behindert, und in der anschließenden Schlacht seien die Legionäre durchnässt und starr vor Kälte gewesen.543 Am Trasimenischen See habe ungewöhnlich dichter Nebel die Sicht in einem solchen Maß behindert, dass Hannibals Hinterhalt hierdurch begünstigt worden zu sein scheint.544 Bei Cannae

539Liv.

22,43,9. 22,42,8–10. Vgl. hierzu Levene 1993, 48. 541Levene 1993, 48 f., 75: „[T]his is the first example of a phenomenon which we shall often have occasion to notice: that, although Livy often shows the supernatural at work in his narrative, when it comes to the central battles of his history, he prefers to play it down, and to attribute defeat and victory to human factors alone“. 542Tatsächlich ist es Paullus, der seinen Kollegen Varro von den ungünstig ausgefallenen Auspicien berichten lässt und damit verhindert, dass die Römer noch vor Cannae in einen Hinterhalt Hannibals geraten (Liv. 22,42,8–9). In der Todesszene des Paullus nennt der Militärtribun Cn. Lentulus den Aemilius Paullus den einzig Unschuldigen an der Niederlage (Liv. 22,49,7). 543Liv. 21,54,6–9. Siehe hierzu Östenberg 2018, 249, die Faktoren wie widrige Wetterbedingungen oder auch ein für die römischen Truppen ungünstiges Gelände auch in anderen Berichten von Niederlagen aufführt und vergleicht. 544Liv. 22,4,6–7. Dass am Trasimenischen See dichter Nebel die Sicht behindert habe, wird auch bereits bei Polybios erwähnt, nach dessen Darstellung der Nebel den Erfolg von Hannibals Taktik begünstigt habe (Pol. 3,84,1–2). Zu Recht merkt Bruckmann 1936, 67 jedoch an, dass Livius den „Nachteil der Römer und im Gegensatz dazu den Vorteil der Feinde“ stärker herausstellt. Vgl. Östenberg 2018, 249 f. 540Liv.

5.2  Der Feind vor den Toren

333

habe ein stetiger Wind den römischen Soldaten aufgewirbelten Sand entgegengeblasen, was diese in ihrer Sicht behindert habe.545 In keinem Fall werden allein solche ungünstigen Kampfbedingungen als Ursache der Niederlage präsentiert, doch wird wiederum auch kein Zweifel daran gelassen, dass sie diese jeweils begünstigt hätten.546 Insgesamt lassen sich in Livius’ dritter Dekade also eine Reihe von Erklärungen für die Niederlagen des Zweiten Punischen Krieges finden, die sich im Einzelfall teilweise auch überlagern und ergänzen. Eine wichtige Rolle in Livius’ Darstellung der römischen Niederlagen im Hannibalbrieg spielt zudem die Beziehung zwischen Rom und den Göttern, weshalb es sich lohnt, auf diesen Aspekt detaillierter einzugehen. Im Zusammenhang mit der Frage, inwiefern bereits die Bucheinteilung und die Verteilung des Stoffes auf die Bücher der dritten Dekade für Darstellung und Deutung der römischen Niederlagen des Zweiten Punischen Krieges relevant sind, wurde oben bereits darauf hingewiesen, wie Livius Nachrichten über die Prodigien der Jahre 218 und 217 gezielt platziert hat. Hierdurch sollte wohl der Eindruck verstärkt werden, dass bereits der Amtsantritt des C. Flaminius von unheilvollen Vorzeichen überschattet gewesen sei. Ähnliche Umstellungen nimmt Livius noch bei anderer Gelegenheit vor, etwa in Hinsicht auf die Schlacht von Zama, doch spielt dies in Hinsicht auf die römischen Niederlagen im weiteren Verlauf der

545Liv. 22,46,9. Diesen für die Römer ungünstigen Wind erwähnt Polybios nicht. Vgl. Bruckmann 1936, 83. Schmitt 1991, 234 vermutet, dass die Nachricht über den Volturnus-Wind eine recht späte Hinzufügung darstellt. Östenberg 2018, 250 nimmt an, dass sie auf Livius zurückgeht, der den Schlachtbericht also in diesem Punkt selbst ausgestaltet hätte. Lazenby 1978/1998, 77 hält die Stelle hingegen für historisch im Kern glaubwürdig. 546An der Trebia seien die römischen Soldaten von ihrem Feldherrn Sempronius zudem in ­großer Eile aus dem Heerlager geführt worden, ohne dass sie eine Gelegenheit gehabt hätten, ein Frühstück einzunehmen. Auf diese Weise seien sie zusätzlich geschwächt gewesen (Liv. 21,54,8). Hannibal hingegen habe darauf geachtet, dass seine Truppen erholt und gestärkt in die Schlacht zogen, was ihnen einen zusätzlichen Vorteil verschafft habe (Liv. 21,55,1–2). So erscheinen mehrere ungünstige Faktoren, die schlechten äußeren Bedingungen und das unvorsichtige wie übereilte Vorgehen des Konsuls, miteinander verknüpft. Diese Vorgänge berichtet bereits Polybios (Pol. 3,72,2–4). Allerdings sind die Nachteile, die sich für die Römer aus der Situation ergeben, bei Livius stärker herausgearbeitet und werden deutlicher betont, indem etwa auf die besondere Kälte hingewiesen wird, die durch naheliegende Flüsse und Sümpfe noch verstärkt worden sei (Liv. 21,54,7). Auch die Bemerkung, dass die Römer ihr Lager ohne jeglichen Schutz vor der Kälte verlassen hätten, findet sich nicht bei Polybios (Liv. 21,54,8). Wie in den meisten anderen Fällen ist es auch in diesem Zusammenhang unklar, ob es sich hierbei um Erweiterungen handelt, die von Livius selbst oder aus der Feder eines anderen Autoren stammen. Vgl. Bruckmann 1936, 62, der erwägt, dass Livius in diesem Zusammenhang als „Paduaner eigene Kenntnis des ober­ italienischen Winters mitsprechen lassen“ konnte (ebd., Anm. 54). Das Auflehnen der römischen Truppen gegen die jeweilige Niederlage erscheint unter diesen Umständen noch bemerkenswerter, worauf gelegentlich hingewiesen wird, so besonders im Rahmen der Schilderung der Schlacht am Trasimenischen See, wo Livius hervorhebt, dass C. Flaminius inmitten der um sich greifenden Verwirrung Ruhe und Übersicht behielt, weshalb es ihm gelang, die römischen Soldaten wenigstens teilweise zur Gegenwehr zu formieren (Liv. 21,5,1).

334

5  Die römisch-karthagischen Kriege

dritten Dekade keine so prägnante Rolle mehr wie vor der Schlacht am Trasimenischen See.547 Anhand des Falls des C. Flaminius wurde zudem bereits deutlich, inwiefern in der dritten Dekade impietas als Erklärung für Sieg oder, wie dort, Niederlage in den Mittelpunkt der Darstellung rücken kann.548 So klar wie im Zusammenhang mit der Niederlage am Trasimenischen See wird mangelnder Respekt vor dem Gött­ lichen im weiteren Verlauf von Livius’ Bericht des Hannibalkrieges, wie gesagt, allerdings selten als Grund für eine Niederlage angeführt. Gerade zu Beginn des Krieges scheinen römische Niederlagen nicht nur durch römische Fehler, Uneinigkeit und charakterliche Mängel einzelner Feldherren zustande zu kommen, sondern auch durch die Fähigkeiten Hannibals. Zu Kriegsbeginn scheint es auch Hannibals vorübergehende pietas zu sein, die zu seinen frühen Erfolgen auf dem Feldzug und damit wenigstens zu einer der römischen Niederlagen beiträgt.549 Diese pie­ tas zeigt sich zum ersten Mal deutlich in der Schilderung seines Besuches im alten Herakles-Melquart-Tempel bei Gades, zu dem sich Hannibal nach der Einnahme Sagunts und vor Beginn des Feldzuges nach Italien begibt, um dort offenbar zuvor geleistete Gelübde einzulösen und neue zu leisten.550 Vor dem Kampf am Ticinus habe der karthagische Feldherr zudem Juppiter und „den übrigen Göttern“ geopfert, um ein an seine Soldaten gegebenes Versprechen zu bekräftigen.551 Dieses Opfer hat – das zeigen die positiven Reaktionen des karthagischen Heeres und der folgende Sieg am Ticinus – offenbar Erfolg, weshalb die Deutung möglich ist, dass Hannibal der Auftakt seines Feldzuges auch aufgrund seiner pietas gelingt, die er in diesen Szenen zeigt. Allerdings widerspricht dies deutlich der dezidiert negativen Einführung seines Charakters zu Beginn von Buch 21, in der Livius Hannibal jegliche Ehrfurcht vor allem Göttlichen abspricht.552 Hannibal zeigt seine pietas bei Livius indes nur vorübergehend, sodass sie sich wohl auch nur als (Teil-)Erklärung für seinen Erfolg zu Beginn des Feldzuges eignet. In der Schilderung der Reaktionen, die die Römer unter der maßgeblichen Leitung des nach der Niederlage am Trasimenischen See gewählten Dictators Q. Fabius Maximus zeigen, werden die religiösen Maßnahmen betont.553 So werden diese nicht nur detailliert aufgezählt, sondern auch das Verfahren der Sühnemaßnahmen

547Levene

1993, 75. der in der Forschung oft durchgeführte Vergleich mit dem dritten Buch von Polybios’ Historien lässt dies deutlich werden. Vgl. u. a. Develin 1978, 5. 549Siehe Levene 1993, 44 f. 550Liv. 21,21,9: Hannibal cum recensuisset omnium gentium auxilia, Gades profectus Herculi vota exsolvit novisque se obligat votis, si cetera prospera evenissent. 551Liv. 21,45,8: Eaque ut rata scirent fore, agnum laeva manu, dextra silicem retinens, si falleret, Iovem ceterosque precatur deos, ita se mactarent, quemadmodum ipse agnum mactasset, et secun­ dum precationem caput pecudis saxo elisit. 552Liv. 21,4,9. 553Liv. 22,9,7–22,10,10. Siehe hierzu u. a. Seibert 1993a, 161 f.; Beck 2000, 85 f.; Linke 2000, 277–280; Engels 2007, 438–440. 548Besonders

5.2  Der Feind vor den Toren

335

geschildert.554 Der Eid des ver sacrum wird sogar wörtlich zitiert.555 All dies trägt dazu bei, die religiöse Dimension zu unterstreichen, die die durch Fabius angestoßenen Aktionen auszeichnet.556 Die Amtsführung des Dictators steht so auch in dieser Hinsicht in deutlichem Gegensatz zu dem verheerenden Kommando des Flaminius, dessen Darstellung, die keinen Zweifel an der Opposition des Konsuls zum Senat ließ, die ersten Kapitel des Buches dominiert hatte.557 In der Person des Fabius hebt

554Nachdem auf die Initiative des Fabius hin die Sibyllinischen Bücher eingesehen worden waren, wurde verkündet, dass wiederum ein lectisternium und eine supplicatio abzuhalten seien (Liv. 22,9,8–11). Die Römer gelobten zudem für den Fall, dass die Republik heil aus den kommenden fünf Kriegsjahren hervorginge, ein ver sacrum abzuhalten. In diesem Ritual wurde der gesamte Ertrag eines Frühlings (ver), womit wohl die in diesem Frühling geborenen Tiere und Menschen sowie die herangewachsenen Pflanzen gemeint waren, einer Gottheit geweiht (sacer). Konkret bedeutete dies wohl vor allem, dass die betreffenden Tiere geopfert und die Menschen vertrieben wurden. Es gibt keinen Beleg dafür, dass die Römer je zuvor oder danach diesen Eid geleistet hätten, was das Exzeptionelle der Konstellation nach der Schlacht am Trasimenischen See, wie auch die außergewöhnliche Qualität der Reaktionen in Rom auf die bisherigen Niederlagen unterstreicht. Siehe North 1976, 6 („the first and only time that this extraordinary ceremony was performed at Rome“); Beard/North/Price 1998, 80; Clark 2014a, 406. Vgl. ferner Burck 1950, 86. Wissowa ²1912, 60 f. vermutet freilich, dass diese „alteinheimische Sühnung“, die in Rom lediglich in Vergessenheit geraten sei, in der gegebenen Krisensituation „wieder hervorgesucht“ worden sei. Eine Neuerung habe darin bestanden, dass die sibyllinischen Bücher, also eine nichtrömische Quelle, das ver sacrum angeordnet hatten. Siehe aber auch Wissowa ²1912, 145, Anm. 7, 410, Anm. 6, wo Wissowa jeweils vermerkt, dass es sich bei dem Fall des Jahres 217 um „den einzigen aus historischer Zeit bekannten“ handele. 555Liv. 22,10,2–6: Si res publica populi Romani Quiritium ad quinquennium proximum, sicut velim eam salvam, servata erit hisce duellis, quod duellum populo Romano cum Carthaginiensi est quaeque duella cum Gallis sunt, qui cis Alpes sunt, tum donum duit populus Romanus Quiritium, quod ver attulerit ex suillo, ovillo, caprino, bovillo grege, quaeque profana erunt, Iovi fieri, ex qua die senatus populusque iusserit. Qui faciet, quando volet quaque lege volet, facito; quo modo faxit, probe factum esto. Si id moritur, quod fieri oportebit, profanum esto, neque scelus esto. Si quis rumpet occidetve insciens, ne fraus esto. Si quis clepsit, ne populo scelus esto, neve cui cleptum erit. Si atro die faxit insciens, probe factum esto. Si nocte sive luce, si servus sive liber faxit, probe factum esto. Si antidea senatus populusque iusserit fieri ac faxitur, eo populus solutus liber esto. 556So auch Burck 1950, 84 f., der darauf hinweist, dass auch durch diese „unverkennbaren Anklänge[n] an den zeremoniellen Redestil“ (ebd., 84) Fabius „Gebundenheit […] an die Götter und des Senats an die großen altrömischen Werte der pietas, auctoritas, fides, gravitas und constan­ tia“ in Livius’ Darstellung hergestellt werde. Vgl. auch Rieck 1996, 14 f. 557Vgl. Burck 1950, 84, der die besondere Rolle unterstreicht, die Q. Fabius Maximus in Livius’ Darstellung für die Regeneration der römischen Kräfte spielt: „Fabius [wird] in einen scharfen Gegensatz sowohl zu seinen Vorgängern wie zu seinem Nachfolger gerückt und zum Repräsentanten der staatserhaltenden und siegbringenden Kräfte erhoben. Seine ethischen und militärischen Grundsätze werden als die richtigen erwiesen, und es wird ihnen gegenüber der Leichtfertigkeit, dem persönlichen Geltungstrieb und der Mißachtung der Religion durch Flaminius und Varro eine überzeitliche, vorbildliche Gültigkeit zuerkannt. Fabius erscheint wirklich als die Mitte, als die erhaltende Macht Roms, die allein dem Volke und Staate in der höchsten Not Bestand verleihen kann“. Siehe in diesem Sinne auch Walsh 1961, 106; Johner 1996, 108–110. Modifizierend sollte freilich hinzugefügt werden, dass C. Terentius Varro in Hinsicht auf die Beachtung religiöser Vorzeichen nicht negativ hervortritt. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger C. Flaminius lässt sich Varro schließlich von der Meldung eines negativen Hühnerauspiciums durch seinen Kollegen L. Aemilius Paullus von einer Schlacht am entsprechenden Tag abhalten (Liv. 22,42,8–9).

336

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Livius nun nach dem Untergang des Flaminius, wie auch später nach der Niederlage bei Cannae, einen Repräsentanten des Senates besonders hervor. Doch erstreckt sich der Eindruck eines von pietas geleiteten Handelns auch auf die übrigen Senatoren in Rom, die die Bestellung des Dictators herbeigeführt hatten und diesen in seinen Maßnahmen unterstützen. Der Eindruck, dass einzelne Abweichler, die die Ratschläge der übrigen Mitglieder des Senates ignorieren, der grundsätzlich als Hort auch religiöser Kompetenz gilt, für die Niederlagen letztlich verantwortlich sind, wird hierdurch verstärkt. Darüber hinaus erscheint der Senat als diejenige Institution, die allein in der Lage ist, nach einer Niederlage die passenden Maßnahmen zu ergreifen, um den Verlauf des Krieges wieder in eine für die Römer günstige Richtung zu lenken.558 Bekanntlich gelang es den Römern tatsächlich, ihre Positionen in Italien und auf den anderen Kriegsschauplätzen in den Jahren nach der Schlacht von ­Cannae erst zu stabilisieren, um den Krieg dann schließlich durch die Invasion nach Afrika hin für sich entscheiden zu können. Sowohl die Ereignisse in der mittleren Phase des Krieges, in der die römische wie auch die karthagische Seite Erfolge für sich verbuchen konnten, als auch diejenigen, die sich in dessen letztem Drittel ereigneten, werden in Livius’ Darstellung stets auch in Verbindung mit religiösen Deutungsmustern geschildert. Die neue Zuwendung der Römer zu den Göttern, die zuvor als eine wesentliche Reaktion insbesondere auf die Niederlage am Trasimenischen See aber auch, in geringerem Maße, auf diejenige von Cannae präsentiert wurde, trägt in den darauffolgenden Jahren dann auch erste Früchte, während hingegen andere Kriegsteilnehmer für ihre frevelhaften Taten bestraft werden. So lässt sich die römische Einnahme von Syrakus bei Livius etwa durchaus auch als Strafe für den Mord an der syrakusanischen Königsfamilie nach dem Tod Hierons II. deuten.559 Weitere Beispiele, nun aus der zweiten Hälfte der dritten Dekade, in denen die Götter ihre Gunst nach Livius offenbar wieder den Römern zugewandt haben, finden sich vor allem in der Passage, in der Hannibals Marsch auf Rom im Jahr 211 geschildert wird, und in der Darstellung der Eroberung von NeuKarthago durch P. Cornelius Scipio, den späteren Africanus, im Jahr 210. So sei Hannibal vor Rom nicht allein durch die tapfere Gegenwehr der Römer abgewehrt worden, sondern auch durch plötzlich auftretende Unwetter, die verhindern, dass er die Verteidiger Roms am Anio besiegen kann. Die Karthager werten diese als göttliches Zeichen.560 Scipio wiederum hält vor dem Sturm auf Neu-Karthago eine Rede an seine Soldaten, in der er ausführt, dass die Götter sich von Hannibal, der sich nunmehr allein danach sehne, Italien unversehrt verlassen zu können, abgewandt hätten und dafür nun auf der Seite der Römer ständen.561 Der Erfolg

558Vgl.

Beck 2006, 209 f. Belagerung von Syrakus schildert Livius in großer Detailfülle in Liv. 25,23,1–31,15. Siehe hierzu Levene 1993, 54 f.). 560Liv. 26,11,2–4. Vgl. Levene 1993, 59 f. 561Liv. 26,41,18–19. 559Die

5.2  Der Feind vor den Toren

337

in Neu-Karthago, der im direkten Anschluss an die Rede geschildert wird, erweist die Worte Scipios als zutreffend.562 In dem langen Kampf, den die Römer gegen ihre Gegner ausfechten müssen, ist es ihnen nunmehr, in Buch 26, gelungen, die Waage auch in Hinsicht auf die Unterstützung durch die Götter wieder zu ihren Gunsten ausschlagen zu lassen. In diesen Rahmen passt auch hinein, dass Livius schildert, wie Hannibal nach seinem Rückzug vom Anio den Tempel im Hain der Feronia plündern lässt, was sogar seine eigenen Soldaten beunruhigt haben soll.563 Vereinzelt treten indes auch in der zweiten Hälfte der dritten Dekade noch Römer auf, die sich durch impietas auszeichnen. So wird das Verhalten des M. Claudius Marcellus im Zuge der Eroberung und Plünderung von Syrakus durch Livius ambiva­ lent dargestellt. Zum einen gilt die Einnahme der Stadt als großer militärischer Erfolg, durch den Marcellus seine Reputation als herausragender Feldherr bestätigt. Zum anderen kritisiert Livius das Ausmaß der Plünderung, in deren Rahmen auch Götterbilder als Beute nach Rom verschleppt worden seien.564 Der Stern des Marcellus beginnt nach seinem Sieg über Syrakus in der Tat zu sinken, was durch eine Reihe von Stellen unterstrichen werden kann, an deren Ende die Schilderung seines Todes etwa zur Mitte von Buch 27 steht.565 Demgegenüber verhält sich Q. Fabius Maximus,

562Siehe

Levene 1993, 61: „[T]he speech before New Carthage continually refers to the ultimate Roman victory in prophetic terms. We might take this as nothing more than Scipio’s attempt to encourage his hearers, if it were not that we know that he is right and that Carthage will be defeated“. 563Liv. 26,11,8–9. 564Liv. 25,40,2–3. In der Überlieferung, die seit der Zeit um die Mitte des zweiten Jahrhunderts greifbar ist, wird Marcellus, etwa bei Polybios, für seine Entscheidung zur Plünderung der Götterstatuen aus Syrakus kritisiert (Pol. 9,10). Solche Kritik mag auch bereits der ältere Cato geäußert haben. Siehe jedenfalls Liv. 34,4,1–5. Vgl. Levene 1993, 56 f.; 2010, 209. Siehe zudem Walbank 1967, 134–136 für weitere Quellen und vgl. ferner Rieck 1996, 137 f. 565Siehe hierzu folgende Passagen: Liv. 26,29–32, bes. 26,30,9. Syrakusanische Gesandte beklagen sich in Rom über die Plünderung der Götterbilder aus ihrer Stadt durch die Truppen unter dem Befehl des Marcellus. Als Reaktion auf diese Beschwerden habe Marcellus seine provincia mit seinem Mitkonsul M. Valerius Laevinus getauscht und sei auf diese Weise von Sizilien nach Italien zurückgekehrt. In diesem Zusammenhang weist Livius bereits auf das Ende des Marcellus im Kampf gegen Hannibal hin (Liv. 26,29,9–10: Inter ipsos consules permutatio provinciarum rapiente fato Marcellum ad Hannibalem facta est, ut ex quo primus post adversissimas haud adversae pugnae gloriam ceperat, in eius laudem postremus Roman­ orum imperatorum prosperis tum maxime bellicis rebus caderet.). Zudem wird im Zusammenhang mit der beabsichtigten Weihung bzw. Ausschmückung der Tempel für Honos und Virtus an der Porta Capena durch Marcellus erwähnt, dass er bereits vor Jahren im Krieg gegen die Gallier in Oberitalien vor der Schlacht von Clastidium einen Tempel für diese beiden Gottheiten gelobt hatte. Dass dieser Bau noch nicht errichtet worden war, sei freilich nicht allein dem Marcellus anzulasten gewesen, da offenbar einige pontifices religiöse Bedenken gegen die Widmung eines Tempels an zwei Gottheiten gehabt hatten (Liv. 27,25,7–9). Schließlich schlägt Marcellus die Warnungen der haruspices vor ungünstigen Auspicien aus und macht sich auf, um Hannibals Armee zu attackieren (27,26,13–14). Vgl. zu diesen Passagen Levene 1993, 63–65; Rieck 1996, 142–150. Anders Walsh 1961, 101 f., der Livius Darstellung des Marcellus auch nach der Eroberung und Plünderung von Syrakus als ungebrochen positiv wertet („Livy constantly seeks to mitigate his savagery in Sicily“, ebd., 101).

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

seinem Bild bei Livius entsprechend, in vorbildlicher Weise, indem er den Tarentinern nach der Einnahme von Tarent ihre Götterstatuen lässt.566 Der Tod des Marcellus ist nur ein Beispiel dafür, wie Livius die Ereignisse, die er in der dritten Dekade schildert, auch vor dem Hintergrund religiöser Deutungsmuster darstellt. Wie gesehen, spielen diese Muster zur Erklärung und Deutung der römischen Niederlagen sowie für deren Bewältigung eine wichtige Rolle in Livius’ Text. Dabei werden die Römer auch durch ihre Niederlagen dazu gebracht, sich insgesamt wieder verstärkt den Göttern zuzuwenden. Pietas ist ein Schlüssel zum Überwinden der Krise. Niederlagen und deren Bewältigung werden bei Livius zudem auch vor dem Hintergrund weiterer Deutungsmuster dargestellt, die eng mit römischen Tugenden verbunden sind, auf die nun genauer eingegangen werden soll. Denn in der dritten Dekade spielt das Themenfeld von Einheit und Uneinigkeit, concordia und discordia, eine wichtige Rolle. So konnte bereits gezeigt werden, dass nach Livius Darstellung in den ersten Jahren des Krieges eine sich stetig steigernde Uneinigkeit auf der römischen Seite zu konstatieren gewesen sei. Während die beiden Konsuln an der Trebia noch lediglich über die Frage des besten Zeitpunktes für die Offensive gegen Hannibals Armee uneins waren, beschränkt sich die Zwietracht vor der Schlacht bei Cannae nicht mehr nur auf das Kollegium der Konsuln und allein auf taktische Fragen, sondern hat den gesamten populus Romanus erfasst. Die Uneinigkeit hat sich also schrittweise zum einen auf einen größeren Kreis von Personen ausgeweitet, zum anderen haben die Kontroversen einen höheren Grad an Grundsätzlichkeit erreicht. Sowohl in der Stadt wie auch beim Heer wettern einzelne Volkstribune oder gar einer der Konsuln gegen Amtskollegen, Senat und Nobilität und werfen diesen vor, eine Politik zu betreiben, die sich grundsätzlich nicht an den Interessen und dem Wohlergehen der res publica, sondern allein an ihren persönlichen Zielen ausrichte.567 Das Bild der Uneinigkeit wird besonders pointiert und eindrucksvoll in der Szene des Auszugs der beiden Konsuln von 216, L. Aemilius Paullus und C. Terentius Varro, zum Ausdruck gebracht. Anstatt dass die Bürger ihre Vertreter in der bedrohlichen Situation, in der sich die res publica befindet, gemeinsam zu den Toren geleiten, hat sich jedem Konsul ein Zug von Anhängern angeschlossen.568 So hat es nicht den Anschein, dass zwei römische

566Livius weist dabei explizit auf den Gegensatz zum Verhalten des Marcellus in Syrakus hin (Liv. 27,16,7–8). Tatsächlich ließ auch Q. Fabius Maximus erbeutete Kunstwerke aus Tarent nach Rom bringen, so etwa ein Standbild des Herakles, das Lysippos angefertigt hatte. Nach Plin. nat. 34,40 habe Fabius eine ebenfalls aus der Werkstatt dieses Künstlers stammende Juppiter-Statue in Tarent zurückgelassen, da sie zu groß für einen Transport nach Rom gewesen sei. Vgl. zur Darstellung des Fabius durch Livius an dieser Stelle u. a. Rieck 1996, 59. 567Siehe u. a. Liv. 22,38,6–7; 22,41,3; 22,42,3; 22,44,5–7. 568Siehe die Gegenüberstellung bei Liv. 22,40,4: Ab hoc sermone profectum Paulum tradunt pro­ sequentibus primoribus patrum: plebeium consulem sua plebes prosecuta, turba conspectior, cum dignitates deessent.

5.2  Der Feind vor den Toren

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Feldherren gegen einen gemeinsamen Feind ausziehen, sondern eher zu einem Kampf, den sie beim Heer gegeneinander zu führen haben.569 Die profectio der Konsuln findet am Ende des 22. Buches gewissermaßen ein Gegenbild in jener Passage, in der die Rückkehr Varros nach Rom geschildert wird.570 Es spricht grundsätzlich nichts dagegen, anzunehmen, dass Varro bei seiner Rückkehr nach Rom tatsächlich von seinen Mitbürgern in ­demonstrativer Geschlossenheit begrüßt wurde. Doch auch wenn diese Szene einen realen historischen Hintergrund gehabt haben mag und Livius bereits Vorlagen zur Ausgestaltung in seinen Quellen gefunden haben kann, zeigen sich hier wohl auch eigene Akzente, die Livius bei der Bearbeitung setzte. Nach einer Aufzählung der Verbündeten, die unter dem Eindruck der Niederlage bei Cannae von Rom zu den Karthagern übergegangen seien, schildert Livius den Einzug des Konsuls: Nec tamen eae clades defectionesque sociorum moverunt, ut pacis usquam mentio apud Romanos fieret neque ante consulis Romam adventum nec postquam is rediit renovavitque memoriam acceptae cladis; quo in tempore ipso adeo magno animo civitas fuit, ut consuli ex tanta clade, cuius ipse causa maxima fuisset, redeunti et obviam itum frequenter ab omnibus ordinibus sit et gratiae actae, quod de re publica non desperasset; qui si Cartha­ giniensium ductor fuisset, nihil recusandum supplicii foret.571

Neben anderen Aspekten lässt sich in dieser Passage die Demonstration von Einigkeit erkennen, die, wie gesagt, besonders ins Auge fällt, wenn man die Schilderung der Rückkehr des Konsuls mit der seines Auszuges vor der Schlacht vergleicht. Der populus Romanus tritt seinem Feldherrn nun wieder vereint gegenüber und begrüßt diesen, der zuvor in die Nähe eines Feindes der römischen Seite gerückt worden war, um auch ihn wieder in die Gemeinschaft aufzunehmen.572 Diese Botschaft geht über eine reine „Resozialisierung“ des Konsuls, die häufig mit dieser Szene verbunden wurde, noch hinaus.573 Die Stelle gliedert sich vielmehr in eine Reihe von Passagen ein, in denen nun, nach den schweren Niederlagen der ersten Kriegsjahre, die Einigkeit der Römer hervorgehoben wird, während in Livius’ Darstellung – wie gesehen – fehlende Einigkeit zuvor als wesentlicher Faktor beim Zustandekommen dieser Niederlagen zu erkennen war.574 Die erste dieser Passagen findet sich im unmittelbaren Nachspann der Schlacht von Cannae in der Schilderung einer Runde von Militärtribunen, die, dem Schlachtfeld entkommen, in Abwesenheit von Konsuln und Legaten das Kommando über

569Um diesen Eindruck zu unterstützen, wird Varro, wie bereits angemerkt, wenige Paragrafen zuvor als hostis bezeichnet. Liv. 22,39,4. Vgl. Bruckmann 1936, 73; Levene 2010, 189 mit Anm. 57. 570Liv. 22,61,14–15. Vermutlich war eine ähnliche Szene bereits im Werk des L. Coelius Antipater zu finden gewesen (vgl. oben Abschn. 5.2.2). 571Liv. 22,61,13–15. 572Vgl. Jaeger 1997, 97. 573Siehe nur u. a. Geist 2009, 78 („Die Schuld des Varro und seine Resozialisierung bei Livius“). 574Vgl. Burck 1950, 102.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

die Soldaten übernommen haben, die sich bei dem Ort Canusium sammeln.575 Den Oberbefehl über die Truppe haben die jungen Tribune Ap. Claudius Pulcher und P. Cornelius Scipio übernommen. Letzterer hat hier, nach der Rettung seines Vaters am Ticinus, seinen zweiten Auftritt in der dritten Dekade des Livius.576 Von einem anderen jungen Adligen erhalten sie die Nachricht, dass eine Gruppe junger Männer um M. Caecilius Metellus beabsichtige, Italien zu verlassen, da sie die römische Sache nach der Katastrophe von Cannae für verloren hielten.577 Anstatt einen Kriegsrat abzuhalten, wie von den anderen Tribunen erwogen, ergreift der junge Scipione nun die Initiative und eilt bewaffnet zu den potenziellen Deserteuren. Mit vorgehaltenem Schwert fordert er diese auf – wie er – zu schwören, die res publica weder selbst im Stich zu lassen noch zu gestatten, dass ein anderer römischer Bürger dies tue. Den Anwesenden gegenüber hatte er diese Maßnahme zuvor damit begründet, indem er jene, die über eine Flucht nachdächten, als Feinde der Römer bezeichnete.578 Zu einem weiteren Eingreifen Scipios kommt es nun allerdings nicht, denn der spätere Africanus, auf dessen ‚schicksalhafte‘ Bedeutung für den späteren Sieg Livius in diesem Zusammenhang nicht versäumt, hinzuweisen, kann die Flucht der anderen Tribunen – und damit eine erneute Spaltung unter den Römern – durch seinen Auftritt verhindern.579 Deutlicher wird der Gedanke, dass die Römer nach Cannae durch eine neue Einigkeit im Innern aus ihrer Krise herausfinden, neben der oben zitierten Schilderung der

575Liv.

22,53,1–13. 22,53,3: omnium consensu ad P. Scipionem admodum adulescentem et ad Ap. Claudium summa imperii delata est. 577Liv. 22,53,4–5. 578Liv. 22,53,7–8: irent secum extemplo armati, qui rem publicam vellent; nulla verius, quam ubi ea cogitentur, hostium castra esse. Der Eid Scipios, den die anderen Tribune ihm dann nachschwören, bei Liv. 22,53,10–12: „Ex mei animi sententia“, inquit, „ut ego rem publicam populi Romani non deseram neque alium civem Romanum deserere patiar; si sciens fallo, tum me, Iuppiter optime maxime, domum, familiam remque meam pessimo leto adficias. In haec verba, L. Caecili, iures postulo, ceterique, qui adestis. Qui non iuraverit, in se hunc gladium strictum esse sciat“. Auf welchen Quellen Livius die Schilderung dieser Episode aufbaute, bleibt unklar. Siehe für eine knappe Übersicht Zimmermann 1997, 472–474. 579Vgl. Liv. 22,53,6 (fatalis dux huiusce belli). Die Passage ist offensichtlich ein Bestandteil der legendenhaften Überlieferung um den älteren Africanus, dessen pietas „gegenüber seiner Heimat in scheinbar auswegloser Situation positiv“ hervorgehoben wird (Zimmermann 1997, 480). Siehe bereits u. a. Walsh 1961, 96. Zimmermann 1997, 480 f. erwägt, dass die Episode um den Eid des jungen Scipionen auch dazu dienen sollte, diesen gegen den Vorwurf, er sei bei Cannae vom Schlachtfeld geflohen, in Schutz zu nehmen. Vor diesem Hintergrund hält Zimmermann 1997 eine Entstehung der Episode im Zusammenhang mit politischen Auseinandersetzungen zwischen dem Adoptivenkel des älteren Africanus, dem P. Cornelius Scipio Aemilianus, und dessen innenpolitischen Gegnern für denkbar (ebd., 481). In diesem Fall wäre dies ein aufschlussreicher Hinweis darauf, auf welche Weise die Erinnerung an eine Beteiligung an der Schlacht von Cannae noch zwei Generationen nach Kriegsende als Mittel in innenpolitischen Auseinandersetzungen eingesetzt werden konnte. Aufgrund der unklaren Quellenlage zur Überlieferung im zweiten Jahrhundert muss diese Überlegung freilich spekulativ bleiben. 576Liv.

5.2  Der Feind vor den Toren

341

Rückkehr Varros in einer Passage, die sich auf ein Ereignis des Jahres 215 bezieht.580 Livius berichtet dort zunächst von einem Schreiben der Scipionen aus Spanien an den Senat, in dem diese von der angespannten logistischen Situation dort berichten. Ohne Nachschub aus Rom sei die provincia nicht länger zu halten. Der Senat habe daraufhin den Praetor Q. Fulvius Flaccus beauftragt, die publicani um einen Kredit zu bitten. Um diesen zu erlangen, solle er ihnen zusichern, dass diese, sobald das aerarium wieder gefüllt sei, die ersten Gläubiger sein würden, denen ihr Geld zurückgezahlt werden würde. Zudem sollten sie dann die dringend benötigten Nachschublieferungen nach Spanien durchführen.581 Tatsächlich melden sich kurz darauf 19 publicani, die in drei societates organisiert gewesen seien, um den Auftrag zu übernehmen. Allerdings stellen sie Bedingungen, die über diejenigen hinausgehen, die ihnen der Praetor angeboten hatte. Zum einen fordern sie, vom Kriegsdienst freigestellt zu werden, zum anderen sollten sämtliche Risiken, die sich etwa durch feindliche Angriffe oder durch Unwetter auf dem Meer ergäben, beim Staat liegen.582 Offenbar verbleiben dem Praetor keine anderen Optionen, sodass das Geschäft abgeschlossen wird. Der Umstand, dass die publicani ihre günstige Position ausnutzen, wird von Livius mit keiner Silbe kommentiert. Stattdessen rühmt er sie mit ähnlichen Formulierungen, mit denen er ein Buch zuvor die Bürger charakterisierte, die Varro bei seiner Rückkehr nach Rom entgegengekommen waren. Livius schließt das Kapitel über die Erpressung der res publica durch die publicani mit der Feststellung, dass „solche Sitten und Liebe für das Vaterland“ als einheitliche Haltung in allen Ständen vorhanden gewesen seien.583 Welche historischen Ereignisse im Einzelnen hinter der Überlieferung zu diesem Vorgang stehen, bleibt unklar. Eine Stilisierung der Überlieferung nach dem Vorbild politischer, sozialer und ökonomischer Verhältnisse der späten Republik ist jedoch nicht unwahrscheinlich.584 In jedem Fall – gleich, ob es sich bei der Episode um eine Überlieferung grundsätzlich historisch authentischer Vorgänge oder um eine Erfindung späterer Zeit handelt – präsentiert

580Liv.

23,48,4–49,4. 23,48,4–12. 582Liv. 23,49,1–2. 583Liv. 23,49,3–4: Ii mores eaque caritas patriae per omnes ordines velut tenore uno pertine­ bat. Quemadmodum conducta omnia magno animo sunt, sic summa fide praebita, nec quicquam , si ex opulento aerario, ut quondam, alerentur. 584Für historisch grundsätzlich authentisch halten die Überlieferung. Lippold 1963, 99  f.; Lazenby 1978/1998, 98 f.; Seibert 1993a, 229; Badian 1997, 9–14. Lippold 1963, 99 weist zu Recht darauf hin, dass die Vorstellung eines ordo equester für die Zeit des Zweiten Punischen Krieges anachronistisch sei. Erdkamp 1998, 114–117 hält die ganze Episode für eine Erfindung aus späteren Quellen, aus denen Livius dann geschöpft habe. Vervaet/Ñaco del Hoyo 2007, 42 nehmen zwar ebenfalls an, dass Livius’ Darstellung dahin gehend anachronostisch sei, als dass es sich um organisierte societates von publicani gehandelt habe – für solche fehlt für das späte dritte Jahrhundert jeder Beleg – , doch weisen sie zugleich auf die Möglichkeithin, dass sich einige privati durchaus in der Organisation des römischen Nachschubs für Spanien engagiert haben könnten. 581Liv.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Livius die Passage in einer Weise, die das Verhalten der publicani als von concordia und fides gegenüber der res publica geprägt interpretiert und so idealisiert.585 Neben den genannten Stellen, in denen (vermeintliche) Eintracht und Solidarität unter den Römern thematisiert werden, fällt zudem auf, dass im Zusammenhang von Niederlagen nach Cannae von Zwietracht und Streit nun keine Rede mehr ist. Denn keine dieser Niederlagen wird in Livius’ Darstellung auf Uneinigkeit unter den beteiligten Feldherren und bzw. oder zwischen Senat und dem Rest des populus Romanus zurückgeführt. So handeln etwa auch die beiden Konsuln des Jahres 208, M. Claudius Marcellus und T. Quinctius Crispinus, denen Livius unverantwortlichen Leichtsinn vorwirft (insbesondere dem Marcellus), zwar unangemessen, aber einträchtig.586 Der Themenkomplex von Uneinigkeit und Einigkeit in Livius Darstellung in der dritten Dekade kann, insbesondere im Zusammenhang mit den römischen Niederlagen des Krieges, auf verschiedene Weise gedeutet werden. Die Erkenntnis, dass es für jedes Heer grundsätzlich von Nachteil sein dürfte, wenn seine Heerführer über taktische und strategische Fragen uneins oder gar zerstritten sind, bedarf wohl keiner tieferen Einsichten.587 Insgesamt scheint es jedoch eher unwahrscheinlich, dass aus historischer Perspektive in solcher Uneinigkeit die primäre Ursache für die römischen Niederlagen des Hannibalkrieges zu finden ist.588 Das bedeutet allerdings nicht, dass innere Uneinigkeit als ein Erklärungsmuster für Niederlagen im Hannibalkrieg nicht schon recht früh ins Spiel gebracht worden sein könnte. Wie gesehen, wurden in der Forschung einige Verse des Ennius als Teil einer Kontroverse zwischen römischen Feldherren gedeutet. Aufgrund der sehr fragmentarischen Überlieferung von Ennius’ Annales, die in den genannten Fällen nur vage Hinweise auf den jeweiligen inhaltlichen Kontext bieten, ist gleichwohl Vorsicht bezüglich weitergehender Interpretationen sicher angebracht. Polybios hingegen erwähnt nachweislich den Dissens zwischen den Feldherren Sempronius und Scipio sowie denjenigen zwischen Varro und Paullus über taktische Fragen und scheint in Flaminius einen gefährlichen Demagogen gesehen zu haben. Doch nimmt sich diese Thematik bei ihm wesentlich zurückgenommener aus als bei Livius.589 Dies dürfte nicht allein daran liegen, dass die Schilderung der jeweiligen Feldzüge und Schlachten bei Livius wesentlich umfangreicher ist. Wie oben gesehen, nahm das Motiv eines Mangels an concordia als Ursache für römische Niederlagen bereits in Livius’ Darstellung der ‚Gallischen Katastrophe‘ sowie der Niederlage bei Caudium eine zentrale Rolle ein.590

585Vgl.

u. a. Lippold 1963, 99 f.; Lazenby 1978/1998, 98 f.; Ridley 2000, 38. 27,26,10–11. 587Siehe auch Pol. 3,110,3 und vgl. Walbank 1957, 442 („a typical, didactic triviality“). 588Zu Hannibals Siegeszug in den ersten Kriegsjahren siehe u. a. Lazenby 1978/1998, 49–86; Seibert 1993a, 75–225; Fronda 2010 34–37. 586Liv.

589Siehe hierzu oben Abschn. 5.2.1.2 (Ennius). Wie oben in Abschn. 2.2 erwähnt, wird eine eingehende und detaillierte Untersuchung der Darstellung und Deutung römischer Niederlagen bei Polybios in einem eigenen Beitrag folgen. 590Siehe oben jeweils Abschn. 3.1.5 und 4.3.

5.2  Der Feind vor den Toren

343

Die Bedeutung, die der Themenkomplex von Einigkeit und Uneinigkeit in Livius’ Deutung des Zweiten Punischen Krieges besitzt, wurde in der Forschung mit dem historischen Hintergrund der Entstehungszeit von Ab urbe condita in Verbindung gebracht.591 Auch wenn Livius explizit selbst keine derartigen Verbindungen ­herstellt, liegt der Gedanke in der Tat nahe. Innenpolitische Streitigkeiten, die in Livius’ Generation sowie in den Jahrzehnten zuvor mehr als einmal bis hin zu Proskriptionen und Bürgerkriegen geführt hatten, werden bei ihm sicher dazu geführt haben, den Wert der concordia zu schätzen.592 Hiermit stand Livius natürlich keinesfalls allein. Für Cicero stellte die concordia ordinum, sicher auch unter dem Eindruck der Verhältnisse der eigenen Gegenwart sowie der Geschichte der Republik seit den Gracchen, eine wesentliche Voraussetzung für den weiteren Fortbestand und das Wohlergehen der res publica dar. Bereits im zweiten Jahrhundert scheint im Zusammenhang mit Konflikten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen die besondere Bedeutung der concordia für die Republik von unterschiedlichen Akteuren, möglicherweise etwa P. Cornelius Scipio Aemilianus, betont worden zu sein.593 Auf einen Einfluss der politischen Verhältnisse der späten Republik auf Livius’ Darstellung der Krisen des Hannibalkrieges deuten zudem die zahlreichen Anklänge an innenpolitische Auseinandersetzungen hin, wie aufrührerische Volkstribune und Konsuln, die sich ‚popularer Methoden‘ bedienen, um in Reden vor den contiones ihre egoistischen Ziele durchzusetzen.594 Gleichzeitig war die Vorstellung, dass in der Vergangenheit der Punischen Kriege, die auch in der modernen Forschung oftmals als ‚klassische Republik‘ tituliert worden ist, allgemein höhere moralische Maßstäbe gegolten hätten, in der Gedankenwelt der späten Republik bekanntlich weit verbreitet.595 Diese herausragende Tugendhaftigkeit der maiores wird in Livius’ Text auch in der Schilderung der Niederlagen sowie der römischen Reaktionen auf diese betont. Wie bereits erwähnt, wird etwa der Konsul Flaminius, dem zuvor ein hohes Maß an Verantwortung für die Niederlage zugeschrieben worden war, in der Schilderung der Schlacht am Trasimenischen See geradezu als Vorbild für Führungsstärke und persönlichen Einsatz im Kampf präsentiert.596 Die Betonung

591So

z. B. Ridley 2000, 30, 38. Vgl. Dahlheim 2006, 60 f.; 66–72; Galinsky 1996, 280–287. Ridley 2000, 30: „Rome’s survival had been attributed by Polybius to the nature of the state; for Livy as well as Pictor, it was the refound political unity, Livy’s much loved concordia again […]. In this the influence of the civil wars is to be detected“. 593Zur Geschichte und Bedeutung des Concordia-Gedankens in der römischen (Innen-)Politik insbesondere seit der Mitte des 2. Jahrhunderts siehe Burckhardt 1988, 70–85. Für die Stellung, die die concordia im politischen Denken Ciceros einnahm, siehe u. a. Strasburger 1931. 594Dies wird besonders deutlich in dem Bild, das Livius von Varros Charakter zeichnet, als er diesen in die Darstellung einführt. Siehe Liv. 22,25,18–26,4. 595Vgl. nur u. a. Beck 2005b, 690; Flower 2011, 19–21; Biesinger 2016. 592Vgl.

596Liv. 22,6,1–2: Tres ferme horas pugnatum est et ubique atrociter; circa consulem tamen acrior infestiorque pugna est. Eum et robora virorum sequebantur et ipse, quacumque in parte premi ac laborare senserat suos, impigre ferebat opem, insignemque armis et hostes summa vi petebant et tuebantur cives, donec Insuber eques Ducario nomen erat – facie quoque noscitans consulem. Siehe hierzu u. a. Ridley 2000, 24; Levene 2010, 171, Anm. 18. Dieses Bild ist wiederum nicht ohne Schatten, da die an dieses Zitat direkt anschließende Szene, in der der Kelte Ducarius den Flaminius tötet, wiederum an dessen erstes Konsulat erinnert, mit dem sich offenbar eine für Flaminius wenig vorteilhafte Überlieferung verband.

5  Die römisch-karthagischen Kriege

344

kriegerischer virtus auch oder gerade in der aussichtslosen Situation des Hinterhalts am Trasimenischen See beschränkt sich allerdings nicht auf die Schilderung des Verhaltens des Konsuls, sondern betrifft auch die Art und Weise, in der der Kampf der einfachen Legionäre beschrieben wird.597 Bereits in seinem Bericht über die Schlacht an der Trebia hatte Livius den tatkräftigen und mutigen Einsatz der im Zentrum kämpfenden Legionäre hervorgehoben, die, anders als die mit ihnen verbündeten Gallier, auch vor dem Ansturm der karthagischen Kriegselefanten nicht zurückgewichen seien. Die Flucht der Gallier bringt die Römer dabei erst in große Bedrängnis. Die römischen Soldaten hätten sich wiederum durch großen Einsatz einen Weg durch die gegnerischen Reihen bahnen können. Das Schlachtfeld hätten sie allein deswegen verlassen, weil sie aufgrund der ungünstigen Witterungsbedingungen nicht mehr hätten erkennen können, wo eine sinnvolle Unterstützung ihrer Gefährten möglich gewesen wäre.598 Insofern erhält die Schilderung der Kämpfe an Trasimenischem See und bei Cannae noch eine andere Qualität, da die Römer hier auch dann, als sie auf verlorenem Posten stehen, nicht an eine Kapitulation oder Flucht denken, sondern weiterkämpfen.599 In der Darstellung der Kontroverse um den Umgang mit den Soldaten, die bei Cannae in Gefangenschaft geraten waren, wird dieses Verhalten ausdrücklich gelobt.600 Auch wenn Livius es nicht versäumt, den Einsatz der Legionäre hervorzuheben, steht in der Darstellung der Schlacht von Cannae vor allen anderen Akteuren der Konsul L. Aemilius Paullus im Mittelpunkt, dem Livius eine lange Todesszene

597In Liv. 22,4,7 nehmen die Römer den Kampf auf, was, wie schon Heinz Bruckmann (Bruckmann 1936, 67 f.; 1977, 303) betont hat, einen Gegensatz zur Darstellung des Polybios darstellt, wo die meisten Römer den Kampf gar nicht mehr aufnehmen können und daher beinahe ohne Gegenwehr sterben (Pol. 3,84). In Liv. 22,5,5–8 formieren sich auch diejenigen Römer, die an eine Flucht gedacht hatten, zum Kampf – wenn auch in der Einsicht, dass unter den gegebenen Umständen eine Flucht nicht möglich ist – und kämpfen gegen die Karthager. Der Einsatz des Flaminius dient dabei als Vorbild (Liv. 22,5,1–2). Vgl. Bruckmann 1936, 68; 1977, 303–305; Johner 1996, 170 f.; Levene 2010, 268 f. 598Siehe zunächst Liv. 21,55,10–56,1. Hannibal zieht die Elefanten daraufhin von den Legionären ab und schickt sie gegen die Gallier, die dann in Schrecken (terror) versetzt fliehen und auf diese Weise die Niederlage einleiten, wodurch ihnen eine (Teil-)Schuld an dieser zuzuweisen ist. Vgl. Walsh 1973, 226. Dann kämpfen sich die Römer frei und verlassen das Schlachtfeld (Liv. 21,56,2–3). 599Liv. 22,49,4–5: Equitum pedestre proelium, quale iam haud dubia hostium victoria, fuit, cum victi mori in vestigio mallent quam fugere, victores morantibus victoriam irati trucidarent, quos pellere non poterant. Die Aufopferung der römischen Soldaten unterstreicht Livius auch durch die Beschreibung des Schlachtfeldes, das Hannibal mit seinen Offizieren am Tag nach der Schlacht begeht. Dort finden die Karthager u. a. die Leichen eines Numiders und eines Römers, der seinen Gegner, nach dem Verlust seiner Waffen, mit den Zähnen zerfleischt hatte (Liv. 22,51,9). Vgl. generell Bruckmann 1936, 101: „Bei einem Überblick über die gesamte Erzählung stellen wir noch einmal fest, daß Livius an keiner Stelle einen Vorwurf gegen die Soldaten erhebt oder von einer Schande der Niederlage spricht. Vielmehr führt er zahlreiche Fakten an, als deren unausbleibliche Folge er die Niederlage darstellt, so daß die römischen Soldaten keine Schuld trifft“. 600Liv.

22,60,14.

5.2  Der Feind vor den Toren

345

gewidmet hat.601 Zunächst berichtet er von der Verwundung des Paullus, der trotz dieser – nun zu Fuß – weiter gekämpft habe, auch wenn dies inzwischen keine Aussicht auf Erfolg mehr hatte.602 Als der Konsul blutüberströmt an einen Felsen gelehnt ausharrt, erblickt ihn „im Vorbeireiten“ ein Militärtribun namens Cn. Lentulus, der Paullus drängt, sein Pferd zu nehmen, um das Schlachtfeld zu verlassen. Wenn die Katastrophe für Rom schon nicht abzuwenden sei, solle wenigstens nicht auch noch der Konsul, der allein keine Schuld an dem Desaster trage, im Kampf fallen.603 Paullus lehnt dies erwartungsgemäß ab. Stattdessen gibt er Lentulus den Auftrag, den Senat zu benachrichtigen. Der sterbende Konsul erteilt hierbei noch letzte Ratschläge, die die weitere Kriegsführung betreffen. Zudem begründet er seinen Entschluss, bei seinen Soldaten zu sterben damit, dass er nicht in die Situation geraten wolle, seinen Amtskollegen anklagen zu müssen, um seine eigene Unschuld an der Niederlage zu beweisen.604 Dieser letzte Punkt lässt sich wiederum mit dem bereits erwähnten Gedanken in Verbindung bringen, dass angesichts der Niederlagen gegen den äußeren Feind nun innere Einigkeit ein hohes, vielleicht das höchste, Gut sei. Nach Paullus’ Worten bei Livius verzichtet der Konsul ja auf die Rettung seines eigenen Lebens, um seinen Kollegen zu schonen, an dessen Schuld an der Niederlage Livius keinen Zweifel lässt. Durch den Tod in der Schlacht, den er nun mit seinen Soldaten teilt, gibt er zudem ein Beispiel von persönlicher Tapferkeit im Kampf (virtus) und Pflichterfüllung gegenüber den ihm unterstellten römischen Bürgern sowie den Bundesgenossen. In dem Satz zuvor hatte er offenbart, dass ihm auch im Angesicht des eigenen Todes die Sorge um die res publica das wichtigste Anliegen sei, indem er noch letzte Anweisungen und Ratschläge an seine Standesgenossen übermitteln lässt. Die Schilderung von Paullus tugendhafter und daher vorbildlicher Haltung, die dieser „am tiefsten Punkt der römischen Sache“ demonstriert, wird zum Ausgangspunkt für weitere Episoden, in denen andere Römer angesichts der tiefen Krise Roms ebenfalls Beispiele für von virtus und constantia geprägte Taten geben.605

601Liv.

22,49,1–13. Vgl. zur Rede des Aemilius Paullus und der Darstellung seines Todes bei Livius Bruckmann 1936, 86 f.; Burck 1950, 98; Johner 1996, 196 f. 602Liv. 22,49,1–2: Parte altera pugnae Paulus, quamquam primo statim proelio funda graviter ictus fuerat, tamen et occurrit saepe cum confertis Hannibali et aliquot locis proelium restituit, protegentibus eum equitibus Romanis, omissis postremo equis, quia consulem et ad regendum equum vires deficiebant. 603Liv. 22,49,6–8: Cn. Lentulus tribunus militum cum praetervehens equo sedentem in saxo cruore oppletum consulem vidisset, ‚L. Aemili‘ inquit, ‚quem unum insontem culpae cladis hodiernae dei respicere debent, cape hunc equum, dum et tibi virium aliquid superest et comes ego te tollere possum ac protegere. Ne funestam hanc pugnam morte consulis feceris; etiam sine hoc lacrimarum satis luctusque est‘. 604Liv. 22,49,9–11: Ad ea consul: ‚Tu quidem, Cn. Corneli, macte virtute esto; sed cave, frustra miserando exiguum tempus e manibus hostium evadendi absumas. Abi, nuntia publice patribus, urbem Romanam muniant ac, priusquam victor hostis adveniat, praesidiis firment; privatim Q. Fabio L. Aemilium praeceptorum eius memorem et vixisse adhuc et mori. Me in hac strage mili­ tum meorum patere exspirare, ne aut reus iterum e consulatu sim aut accusator collegae exsis­ tam, ut alieno crimine innocentiam meam protegam‘. 605Vgl. Gärtner 1975, 17 f. (Zitat).

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Hierzu gehören die bereits erwähnten Passagen um den Eid Scipios in der Runde der Militärtribunen bei Canusium sowie der Empfang des Varro durch seine Mitbürger bei seiner Rückkehr nach Rom.606 Letztere leitet Livius mit der Aufzählung von Rom abgefallener socii ein, um zu betonen, dass die Römer gerade in einer solchen Zeit der Not nicht nur nicht an einen Friedensschluss mit den Karthagern gedacht, sondern auch eine besonders aufrechte Haltung eingenommen hätten.607 Bereits zuvor hatte Livius betont, dass kein anderes Volk außer den Römern derart große Verluste, wie die Römer sie bei Cannae erlitten hatten, mit solcher Fassung ertragen hätte. Insbesondere die Karthager hätten nach ihrer Niederlage im Ersten Punischen Krieg keine derartige Haltung bewiesen.608 Livius greift hier einen Gedanken auf, den einige Kapitel zuvor bereits Hieron II. von Syrakus, ein treuer Verbündeter Roms, formuliert hatte und der auch an anderer Stelle wiederbegegnet: die Vorstellung, dass sich die virtus und constantia der Römer in besonderem Maße in der Niederlage zeige. Die Größe des römischen Volkes sei im Unglück noch bewundernswerter als im Glück.609 Tatsächlich verhalten sich die Römer in Livius’ Text nun sowohl nach ­Cannae als auch nach späteren Niederlagen des Krieges der Einstellung entsprechend, die ihnen von diesen auswärtigen Protagonisten zugesprochen wird. Nach den Niederlagen an der Trebia und am Trasimenischen See hatte Livius noch ausführlich beschrieben, wie die Ungewissheit über die Verluste die Bevölkerung Roms gelähmt hatte (die Darstellung von Reaktionen auf die Niederlagen konzentriert sich stets auf Rom selbst) und wie sich Panik verbreitet hatte, als genauere Nachrichten eingetroffen waren. Besonders nach der Schlacht am Trasimenischen See schildert Livius die Reaktionen der Bevölkerung in Rom detailreich in teils

606Siehe jeweils Liv. 22,53,1–13 (Militärtribune in Canusium); 22,61,13–15 (Rückkehr Varros nach Rom). Vgl. Bruckmann 1936, 92. 607Liv. 22,61,13: Nec tamen eae clades defectionesque sociorum moverunt, ut pacis usquam men­ tio apud Romanos fieret neque ante consulis Romam adventum nec postquam is rediit renovavit­ que memoriam acceptae cladis. 608Liv. 22,54,10–11: Nulla profecto alia gens tanta mole cladis non obruta esset. Compares cla­ dem ad Aegates insulas Carthaginiensium proelio navali acceptam, qua fracti Sicilia ac Sardinia cessere, inde vectigales ac stipendiarios fieri se passi sunt, aut pugnam adversam in Africa, cui postea hic ipse Hannibal succubuit; nulla ex parte comparandae sunt, nisi quod minore animo latae sunt. Siehe hierzu bereits Bruckmann 1936, 93 f. 609Liv. 22,37,3: itaque, quamquam probe sciat [Hieron] magnitudinem populi Romani admira­ biliorem prope adversis rebus quam secundis esse […]. Vgl. hierzu u. a. Levene 2010, 326 mit Anm. 22. Nach Pol. 3,75,7 richten die Römer ein Hilfegesuch an Hieron II., in dem sie Truppen zur Unterstützung anfordern. Bei Livius bietet der Herrscher von Syrakus aus eigener Initiative Unterstützung an. Vgl. Walsh 1961, 144. Wie oben gesehen, hatte nach Livius auch der Samnite Herennius Pontius, der dort die Position eines weisen, wenngleich unbeachteten, Ratgebers einnimmt, im Zusammenhang mit der römischen Niederlage bei Caudium einen ganz ähnlichen Gedanken geäußert. Liv. 9,3,5–13. Siehe hierzu oben Abschn. 4.3. Vgl. auch die Warnung von Hannibals karthagischem Widersacher Hanno, der den karthagischen „Senat“ noch während der Belagerung Sagunts, unter Verweis auf den ersten Krieg, vor der unnachgiebigen Haltung der Römer warnt (Liv. 21,9,7).

5.2  Der Feind vor den Toren

347

­dramatischen Einzelszenen.610 Erst als die Senatoren, unter ihnen besonders – ‑nach seiner Wahl zum Dictator – Q. Fabius Maximus, das Heft des Handelns in die Hand nehmen, zeigen sich die Römer in der Lage, adäquate Maßnahmen zu ergreifen, die hier besonders den religiösen Bereich betreffen.611 Die Schilderung der Reaktionen in Rom nach Cannae zeigt einige Ähnlichkeiten hierzu, wird andererseits wiederum in einigen Punkten bedeutsam variiert. Zunächst berichtet Livius davon, dass auch nach Cannae Schrecken und Aufregung in der Stadt geherrscht hätten. Diese Stimmung sei durch die Ungewissheit noch verstärkt worden, etwa durch Gerüchte über den Abfall fast ganz Italiens.612 Dennoch sei die Reaktion des römischen Volkes auf die Schreckensnachrichten, welche es mit Fassung aufgenommen hätte, in eben dieser Gefasstheit herausragend gewesen.613 Mary Jaeger hat in einer genauen Analyse dieser Passage aufgezeigt, wie Livius’ Schilderung der Ereignisse den Eindruck unterstützt, dass die Aktionen der Römer nach Cannae trotz des Ausmaßes der Niederlage viel weniger von Furcht als von dem Streben nach einer Wiederherstellung von Ordnung und der Aufnahme planvoller Reaktionen bestimmt sind.614 Dabei rücken die Senatoren, unter ihnen, wie erwähnt, insbesondere Q. Fabius Maximus, ins Zentrum des Geschehens, indem sie Anweisungen geben, um Informationen einzuholen, die Stadt zu bewachen, Truppen aufzustellen und zu verteilen und die Zeit der Trauer zu begrenzen.615

610Nach der Schlacht an der Trebia: Liv. 21,57,1 (Romam tantus terror ex hac clade perlatus est, ut iam ad urbem Romanam crederent infestis signis hostem venturum, nec quicquam spei aut auxi­ lii esse, quo portis moenibusque vim arcerent). Nach der Schlacht am Trasimenischen See: Liv. 22,7,6–13 (6: Romae ad primum nuntium cladis eius cum ingenti terrore ac tumultu concursus in forum populi est factus.) Dramatische Schilderung von am Stadttor ausharrenden Angehörigen, vor allem Müttern, der Soldaten, die auf die Rückkehr von Überlebenden hoffen, in den Paragrafen 11–13. Walsh 1961, 170 f. für eine knappe Zusammenstellung ähnlicher Szenen. 611Siehe zum einen Bruckmann 1936, 69 („Der Senat ist bei Livius in seiner unermüdlichen Tätigkeit gleichsam als Gegenpol zu der aufgeregten Menge gesetzt und verkörpert die ruhige Haltung des Staates […]“); Walsh 1961, 152. 612Liv. 22,54,7–10. 613Liv. 22,54,10–11. 614Jaeger 1997, 99–103. Vgl. zuvor bereits Bruckmann 1936, 94 („Diese Charakteristik [der Reaktionen in Rom] ist so sachlich wie möglich, und Livius vermeidet es, Einzelheiten oder rührselige Szenen wiederzugeben. Im Gegenteil führt er betont das beinahe brutale Eingreifen des Staates an […] – ein Zeichen für den Leser, daß jetzt der Senat die Zügel in der Hand hat und alles Persönliche vor dem großen Gedanken an den Staat und die Religion zurücktritt.“); Burck 1950, 100 f. („Wandel der Gesinnung und Haltung“, 100). Siehe auch Walsh 1961, 171 („Livy may impress us with the native courage and determination adapting themselves to the critical situation“). 615Liv. 22,55,1–57,1; 22,57,7–12. Dieser Eindruck von Ordnung wird durch eine Reihe von Details unterstrichen. So entsprechen Gehalt und Reihenfolge der Informationen über die Schlacht und seine Maßnahmen zum Sammeln von Truppen, die der Konsul Varro in seinem Schreiben an den Senat in Rom mitteilt, genau der Anfrage, die der Senat auf Antrag des Fabius Maximus durch Boten an Varro überbringen lässt. Zuerst geht es um das Schicksal des Heeres und des Paullus (Liv. 22,55,4 bzw. 22,56,2), dann um den Aufenthaltsort der Truppen, die die Schlacht überlebt haben (Liv. 22,55,5 bzw. 22,56,2), und abschließend um Hannibals

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Die Senatoren geben die Richtung für das weitere Vorgehen gegen die Karthager vor. Der Unterhändler Hannibals, der den Römern Verhandlungen über einen Frieden anbieten soll, wird noch weit bevor er die Stadtgrenze erreichen kann zurückgeschickt.616 Größeren Raum nimmt die Episode um die Diskussion um den möglichen Freikauf der bei Cannae in Gefangenschaft geratenen Römer ein, die bei Livius in der umfangreichsten erhaltenen Version vorliegt.617 Zuerst hält der Vertreter der Gefangenen eine Rede, in der er die Senatoren darum bittet, seine Gefährten und ihn von Hannibal freizukaufen.618 Ähnlich wie der Legat L. Lentulus in seiner Rede an die bei Caudium eingeschlossenen Römer bringt der Gesandte zunächst das Argument vor, dass die Gefangenen deshalb kapituliert hätten, um nach dem Freikauf wieder als Soldaten für die römische Armee zur Verfügung stehen zu können.619 Hätten sie sich von Hannibals Soldaten umbringen lassen – dies, so suggeriert der Sprecher, sei die Alternative zur Gefangenschaft gewesen –, wären sie der res publica von geringerem Nutzen gewesen.620 Dann argumentiert der Redner, ebenfalls wie die Soldaten in Livius’ Darstellung der Ereignisse bei Caudium, mit dem Verweis auf Beispiele aus der römischen Geschichte, in denen jeweils ein Lösegeld gezahlt worden sei, um Römer aus

Bewegungen (Liv. 22,55,5 bzw. 22,56,3). Siehe Jaeger 1997, 102. Um die Trauer in Rom zu begrenzen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen, gehen die Römer nach Anweisungen vor, die vom Zentrum, in dem der Senat und in diesem wiederum Fabius Maximus steht, ausgehen. Vgl. Jaeger 1997, 101 f., dort (102): „A diagram of influence would show a series of concentric circles, with Fabius at the center, the Senate in the first ring, the guards at the gates in the next, and the other citizens further out (with the male citizens one ring closer to the center than their wives and other household members.“). In einem Detail, das später erwähnt wird, scheint in der Darstellung der Reaktionen auf die Niederlage die Erinnerung an frühere Siege auf. Livius hält nämlich ausdrücklich fest, dass die Waffen, mit denen die Sträflinge, welche der Senat nach Cannae rekrutiert, bewaffnet werden, aus der Beute stammen, die einst C. Flaminius in seinem Triumph über die Gallier nach Rom gebracht hatte (Liv. 23,14,2–4). Vgl. Jaeger 1997, 103. Siehe ferner zur zentralen Rolle, die der Senat, mit Q. Fabius Maximus an der Spitze, in der Bewältigung der Krise, die durch die militärischen Niederlagen am Trasimenischen See und bei Cannae ausgelöst worden war, nach Livius innehatte u. a. Beard/North/Price 1998, 80 („[H]is narrative of prodigies repeatedly emphasizes the place of the senate at the centre of events and shows it as organizing the city’s response to the reports that come in from all over Italy – controlling religious and political response to such crises.“); Ridley 2000, 29 f. 616Liv. 22,58,7–9. 617Liv. 22,58,2–61,10. Wie gesehen, besaß diese Episode in der römischen Geschichtskultur bereits mindestens seit der Mitte des 2. Jahrhunderts (siehe oben Abschn. 5.2.2) eine gewisse Prominenz. Vgl. Chaplin 2000, 57: „The story of the embassy was familiar in antiquity, but Livy alone reports extended speeches for both sides“. Siehe zur Passage bei Livius bereits Bruckmann 1936, 95–99; Burck 1950, 101. 618Rede des Vertreters der Gefangenen: Liv. 22,59,1–19. 619Liv. 9,4,7–16. Siehe hierzu oben Abschn. 4.3. 620Liv. 22,59,3–5. Der Sprecher der Gefangenen nennt zudem die Notmaßnahmen zur Rekrutierung, die der Senat beschlossen hatte, um für den Freikauf zu werben – es sei für den Senat nicht aufwendiger, die Gefangenen auszulösen, als Sklaven zu bewaffnen (22,59,12).

5.2  Der Feind vor den Toren

349

einer Gefangenschaft bzw. Belagerung freizukaufen. Er bezieht sich dabei auf die nach der Schlacht an der Allia auf dem Kapitol belagerten Römer sowie auf die Legionäre, die bei Herakleia in die Gefangenschaft des Pyrrhos geraten waren. Da das Leiden bei Cannae noch größer war als bei diesen früheren Niederlagen, sei die Kapitulation der Legionäre nicht unverhältnismäßig gewesen.621 Der Verweis auf die maiores, die sich den Abzug der Gallier aus Rom mit Gold erkauft hätten, ist – wiederum wie in der Rede des Legaten Lentulus bei Caudium – zumindest ungenau, da in der livianischen Version dieses Ereignisses der nach Rom zurückkehrende Camillus die Übergabe des Goldes ja gerade verhindern konnte.622 Vielleicht beabsichtigte Livius dadurch, dass er dem Sprecher der Gefangenen einen sachlich fragwürdigen Vergleich in den Mund legte, auch dessen Intentionen als ähnlich zweifelhaft erscheinen zu lassen.623 In jedem Fall erfährt der Leser hier eine weitere Auflage des Themas des angemessenen Verhaltens von römischen Soldaten im Angesicht einer Niederlage, worauf auch in Livius’ Text selbst durch das Referieren auf frühere exempla durch die beiden Redner sowie bereits durch den Beginn der Rede des Gefangenenvertreters deutlich hingewiesen wird.624 Wie in anderen Fällen verweisen die Betroffenen auf Beispiele aus der Vergangenheit, die ihr Verhalten legitimieren sollen, doch bleibt dies auch im Fall der Cannae-Gefangenen erfolglos. Die Entscheidung über den Freikauf der Gefangenen befindet sich allerdings zunächst in der Schwebe. Während die Menge auf dem Forum bangt – offenbar einig in ihrer Ansicht, dass die Gefangenen freizukaufen seien – sind die Senatoren unterschiedlicher Meinung. Als sich dahin gehend ein Kompromiss abzuzeichnen beginnt, nach dem es zumindest den Angehörigen der Gefangenen erlaubt sein

621Liv. 22,59,7–8: Maiores quoque acceperamus se a Gallis auro redemisse et patres vestros, asperrimos illos ad condiciones pacis, legatos tamen captivorum redimendorum gratia Tarentum misisse. Atqui et ad Alliam cum Gallis et ad Heracleam cum Pyrrho utraque non tam clade infa­ mis quam pavore et fuga pugna fuit: Cannenses campos acervi Romanorum corporum tegunt, nec supersumus pugnae, nisi in quibus trucidandis et ferrum et vires hostem defecerunt. 622Liv. 5,48,8–49,2. Der Vergleich ist zudem auch insofern ungenau, als dass sich die Römer auf dem Kapitol im Gegensatz zu den Abgesandten der Gefangenen, die bei Livius vor dem Senat sprechen, nicht in Gefangenschaft befanden (vgl. Kornhardt 1954, 98). Die Verbindung beider Fälle liegt eher in der vorangegangenen Situation, in der die Legionäre in ihrem Lager in aussichtsloser Lage von Feinden eingeschlossen waren (wie auf dem Kapitol, wie bei Caudium). Jedenfalls möchte der Sprecher der Gefangenen vor dem Senat diesen Eindruck erwecken. 623Vgl. Chaplin 2000, 40, Anm. 26; Levene 2010, 118, Anm. 80. Dass in diesem Fall ein Versehen Livius’ vorliegt, der es versäumt habe, Verweise auf ein Ereignis in verschiedenen Teilen seines Werkes miteinander in Einklang zu bringen (wie es Walsh 1961, 146 offenbar vermutet), ist hingegen eher unwahrscheinlich. Der Gedanke mag freilich zunächst naheliegen, da in Bezug auf die Zahlung eines Lösegeldes an die Gallier sowie um dessen Verbleib – wie gesehen – verschiedene Versionen nebeneinander existierten. 624Liv. 22,59,1: nemo nostrum ignorat nulli unquam civitati viliores fuisse captivos quam nos­ trae. Der Redner ist dann bestrebt, darzulegen, dass der aktuelle Fall eine solch besondere Qualität besitze, dass das Verhalten der Gefangenen zu rechtfertigen (oder doch mindestens zu entschuldigen) gewesen sei. Vgl. Chaplin 2000, 57 f.

350

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soll, diese mit staatlicher Unterstützung freizukaufen, wird der alte Senator T. Manlius Torquatus um seine Meinung gebeten.625 Dieser formuliert, seinem Ruf und dem seiner Familie entsprechend, eine Rede, die eine kompromisslose Linie empfiehlt.626 Gerade angesichts des Umstandes, dass es anderen Römern unter der Führung des Soldaten P. Sempronius Tuditanus gelungen sei, sich auch aus einer ähnlichen Position, wie die Gefangenen sie innehatten, den Weg durch die karthagischen Reihen zu kämpfen, komme ein Freikauf nicht infrage. Vergleicht man die Schilderung der Aktionen des Sempronius und der Legionäre, die diesem folgten, in der Rede des Torquatus mit Livius’ Darstellung einige Kapitel zuvor, fällt auf, dass Torquatus die Ereignisse in dramatisch und stilistisch ausgeschmückter Weise präsentiert.627 Auf diese Weise wird die Tat des Sempronius innerhalb weniger Kapitel selbst zu einem exemplum für ein Verhalten in der Stunde der Niederlage, das als einem römischen Soldaten angemessen angesehen wird, und in einer Rede entsprechend eingesetzt werden kann.628 Die Gefangenen, die nun um ihren Freikauf bitten, seien hingegen nicht in der Lage gewesen, ein solches exemplum zu erkennen, da sie nicht einmal die exempla virtutis von 50.000 gefallenen Bürgern und Bundesgenossen um sie herum erkannt hätten.629 Die so erwiesene Unfähigkeit, exempla zu erkennen und zu verstehen, disqualifiziert im Rahmen der Darstellung auch die Versuche der Gefangenen, das eigene Verhalten durch Verweis auf vermeintlich einschlägige Beispiele zu rechtfertigen. Darüber hinaus verweist auch Manlius Torquatus auf Vorbilder aus der römischen Geschichte, wählt jedoch andere Beispiele als der Sprecher der Gefangenen, und zwar naheliegenderweise solche, in denen die Protagonisten den Kampf einer Kapitulation vorzogen.630 Schließlich seien die Soldaten, die bei Cannae in Gefangenschaft geraten waren,

625Liv.

22,60,1–5. Torquati standen im kulturellen Gedächtnis der römischen Republik für das Vertreten kompromissloser Prinzipientreue und treten als Vertreter einer solchen Haltung auch in der römischen Historiografie an verschiedenen Stellen auf. Siehe etwa Liv. 8,7,15–8,1 (siehe hierzu Oakley 1998, 436–439). Vgl. zum Auftreten des Torquatus in der Diskussion um die Gefangenen von Cannae Chaplin 2000, 59–62, dort (59): „Manlius is particularly qualified to speak on a matter of military discipline because his family instantiates the trait“. 627Siehe hierzu im Detail Chaplin 2000, 60–62. 628Vgl. Chaplin 2000, 61 f.: „[H]e [Sempronius] does not become an exemplum until Livy gives Manlius a speech and has him elaborate the significance of Sempronius’ bravery. By turning Sempronius into an exemplum, Livy can show the side of Roman character that allows the Romans to recuperate after Cannae“. 629Liv. 22,60,13–14: Viam non ad gloriam magis quam ad salutem ferentem demonstrat [Sempronius, der den Ausfall aus dem Lager anführt]; reduces in patriam ad parentes, ad coniuges ac liberos facit. Ut servemini, deest vobis animus: quid, si moriendum pro patria esset, faceretis? Quinquaginta milia civium sociorumque circa vos eo ipso die caesa iacent. Si tot exempla vir­ tutis non movent, nihil unquam movebit; si tanta clades vilem vitam non fecit, nulla faciet. Vgl. Jaeger 1997, 104 f. 630Liv. 22,60,11. Die Beispiele entstammen aus den Samnitenkriegen (P. Decius) und dem Ersten Punischen Krieg (Calpurnius Flamma). 626Die

5.2  Der Feind vor den Toren

351

unzuverlässige Mitstreiter, da sie ihren Mangel an Tapferkeit im Ernstfall ja bereits zur Genüge bewiesen hätten.631 Die Rede des Torquatus gibt den Ausschlag für die Entscheidung des Senates. Die Gefangenen werden ohne Aussicht auf einen Freikauf zu Hannibals Heerlager zurückgeschickt.632 Anschließend liefert Livius eine Übersicht über Varianten zu dieser Episode, die ihm in seinen Quellen offenbar vorlagen. Deren Existenz kann als ein weiterer Hinweis auf die Popularität dieser Episode in der römischen Geschichtskultur dienen, in der häufig auf dieses exemplum verwiesen wurde.633 Im Rahmen des Nachspannes der Schlacht von Cannae stellt die Episode um die Gefangenen gleichwohl nicht allein eine Diskussion um das angemessene Verhalten im Angesicht einer Niederlage dar. Denn sowohl in der Rede des Gefangenenvertreters als auch in der einrahmenden Darstellung, wird auf die besonders prekäre Situation hingewiesen, in der sich die Römer befinden. So fehle es, aufgrund der enormen Verluste, an Soldaten, sodass die Gefangenen im Grunde eine dringend benötigte Verstärkung darstellen würden. Die unnachgiebige Linie, der, wesentlich bestärkt durch die Rede des Torquatus, nun gefolgt wird, ist in Livius’ Darstellung ein weiterer Hinweis auf die Prinzipientreue der Römer, die diese gerade im Anschluss an die größte Niederlage ihrer Geschichte und unter äußerst widrigen Umständen gezeigt hätten. In der oben zitieren Passage, in der die Rückkehr Varros nach Rom geschildert wird, hebt Livius diesen Gedanken an prominenter Stelle hervor, indem er betont, dass weder die jüngste Niederlage selbst noch der Abfall zahlreicher Verbündeter die Römer hätte dazu bewegen können, überhaupt über einen Frieden mit den Karthagern nachzudenken.634 In gewisser Weise hat es sogar den Anschein, als ob die Römer erst durch die erlittenen Niederlagen wieder zu ihrer früheren Tugendhaftigkeit hätten zurückfinden können. Dies legt zumindest die bereits erwähnte Beobachtung nahe, dass die destruktive Uneinigkeit auf der römischen Seite für den Verlauf des Krieges nach Cannae weitgehend gebannt scheint. Es werden zwar auch weiterhin Kontroversen geschildert. Die bekannteste ist hierbei die Diskussion zwischen Q. Fabius Maximus und P. Cornelius Scipio um die Entscheidung zur Invasion nach Afrika, die das Ende des Krieges einleitet. Doch nehmen diese nicht mehr den grundsätzlichen Charakter

631Liv.

22,60,20–27. 22,61,1–4. 633Liv. 22,61,5–10. Vgl. auch unten Kap. 6. 634Siehe besonders Liv. 22,61,13: Nec tamen eae clades defectionesque sociorum moverunt ut pacis usquam mentio apud Romanos fierit neque ante consulis Romam adventum nec post­ quam is rediit renovavitque memoriam acceptae cladis. Vgl. Jaeger 1997, 96–98, die darauf hinweist (98), dass die Formulierung rediit renovavitque memoriam anzeige, dass die Römer die Niederlage nach Livius zu diesem Zeitpunkt bereits hinter sich gelassen hätten, um auf ihrem Weg weiter voranzuschreiten. In der Tat hatte Livius in den vorherigen Kapiteln – wie gesehen – geschildert, wie die Römer, geführt vom Senat, die Nachricht von der Niederlage verarbeitet und Gegenmaßnahmen eingeleitet hatten. Siehe zudem bereits Burck 1950, 101 f. 632Liv.

352

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an, den sie in den ersten Kriegsjahren hatten und werden vor allem nicht mehr als Ursache für militärische Niederlagen gedeutet.635 Bereits im Zusammenhang der Schilderung von Caudium konnte beobachtet werden, dass die Römer in späteren Kapiteln und Büchern in Livius’ Werk auf Lehren, die sie gezogen hatten, zurückgriffen.636 Auf ähnliche Art und Weise scheinen nach Livius auch die Römer des Zweiten Punischen Krieges aus den Niederlagen des Krieges gelernt zu haben. Das Überwinden der Uneinigkeit der ersten Kriegsjahre lässt sich vor diesem Hintergrund verstehen. Die Römer haben demnach insgesamt gelernt, die discordia zum Wohle der Gemeinschaft zu überwinden – eine Einsicht, die Livius sich sicher auch in Hinsicht auf seine Zeitgenossen erhoffte. Livius selbst weist anlässlich des Todes der Scipionen in Spanien auf eine zentrale Lehre hin, die aus dieser Niederlage für römische Feldherren zu ziehen sei, nämlich in weniger großem Ausmaß auf Kontingente fremder Truppen als Verstärkung für die Legionen zu vertrauen, da dies immer ein Risiko darstelle.637 Tatsächlich scheint der Sohn des Prokonsuls, der junge Scipio, bei der letzten großen Schlacht des Krieges in Spanien eben jene Lehren zu beherzigen, auf die Livius hier hinweist. Als er nämlich vor der Schlacht von der großen Truppenstärke des gegnerischen Heeres erfährt, erkennt er zwar die Notwendigkeit, Hilfstruppen anzuwerben. Zugleich zeigt er sich jedoch umsichtig genug, diesen keine so große Bedeutung für seine Taktik zu verleihen, dass sie seine Niederlage herbeiführen könnten, wie es bei der letzten Schlacht seines Vaters und Onkels der Fall gewesen sei.638 Solche direkten Kommentare, wie der des Livius anlässlich des Untergangs der Scipionen in Spanien, sind nicht nur in der dritten Dekade, sondern in Livius’ Werk insgesamt eher selten.639 Häufiger ergreifen Sprecher in Livius’ Text die Gelegenheit, um explizit auf frühere Niederlagen des Krieges zu verweisen und so ihren jeweiligen Adressaten Lehren zu vermitteln, die aus diesen Rückschlägen zu ziehen seien. Dabei nehmen Angehörige des Senats, insbesondere solche, die durch Alter und/oder Abkunft bzw. Amt besonders herausgehoben sind, jeweils eine zentrale Rolle in der Bewältigung des Verlustes ein, indem sie ein der Situ­ ation angemessenes Verhalten vorgeben. Dies lässt sich gut anhand der Reaktion

635Die

Kontroverse um die Invasion nach Afrika findet sich bei Liv. 28,40–44. Dies ist wiederum darauf zurückzuführen, dass dieser Feldzug überaus erfolgreich war. In der Tat „bedarf [es] keiner besonderen Phantasie, um sich vorzustellen, wie das Bild des alten Fabius ausgesehen hätte“ und wie die Diskussion zwischen Fabius und Scipio in der römischen Historiografie geschildert worden wäre, wäre Scipios Invasion gescheitert. Siehe Beck 2000, 90 (Zitat). 636Siehe Abschn. 4.3. 637Liv. 25,33,6: Id quidem cavendum semper Romanis ducibus erit exemplaque haec vere pro documentis habenda, ne ita externis credant auxiliis, ut non plus sui roboris suarumque proprie virium in castris habeant. 638Liv. 28,13,1–2: Scipio, cum ad eum fama tanti comparati exercitus perlata esset, neque Roma­ nis legionibus tantae se fore parem multitudini ratus, ut non in speciem saltem opponerentur barbarorum auxilia, neque in iis tamen tantum virium ponendum, ut mutando fidem, quae cladis causa fuisset patri patruoque, magnum momentum facerent. Vgl. Levene 2010, 246. 639Chaplin 2000, 3; Levene 2010, 245.

5.2  Der Feind vor den Toren

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auf die Nachricht von der nächsten Niederlage beobachten, die die Römer nach Cannae ereilt. Dort beschreibt Livius, wie die Bevölkerung Roms von der Nachricht des Untergangs des Heeres des designierten Konsuls L. Postumius Albinus im Wald Litana für mehrere Tage in solch große Angst versetzt worden sei, dass die Straßen der Stadt menschenleer und die Läden geschlossen gewesen seien. Daraufhin hätte der Senat Aedile mit dem Auftrag in die Stadt geschickt, dafür zu sorgen, dass die Geschäfte wieder geöffnet würden.640 Der zweite designierte Konsul Ti. Sempronius Gracchus habe dann in einer Rede die anderen Senatoren ermutigen können, indem er darauf hingewiesen habe, dass die Römer, die Cannae überstanden hätten, nun nach einer Niederlage geringeren Ausmaßes Mut und Zuversicht nicht verlieren sollten.641 In einer anderen Passage verhindert Q. Fabius Maximus bei den Wahlen zum Konsulat für das Jahr 214 die Wahl zweier angeblich mäßig erfahrener Kandidaten mit dem Hinweis darauf, dass gegen einen so hervorragenden Feldherrn wie Hannibal der Oberbefehl nur an ähnlich beschlagene Kommandeure gehen dürfe.642 Die Erinnerung an die Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae biete zwar traurige Beispiele, zugleich jedoch auch Lehren, um ähnliche Niederlagen in Zukunft zu verhindern.643 Gewählt werden dann Fabius selbst und M. Claudius Marcellus, die vor diesem Hintergrund offenbar als angemessene Wahl zu verstehen sind.644 Wenige Jahre später, nach der ersten Schlacht bei Herdonea, reagieren die Senatoren auch ohne Aufforderung durch einen hochrangigen Konsular bereits in angemessener Weise auf die Nachricht von der Niederlage des Praetors Cn. Fulvius. Zwei Legaten werden mit dem Auftrag zu den Konsuln geschickt, die versprengten Reste des Heeres in der Gegend von Herdonea zu sammeln, damit diese sich nicht – so wie es bei Cannae geschehen war – aus Furcht und Verzweiflung Hannibals Soldaten ergäben.645

640Liv.

23,25,1–2: Hac nuntiata clade cum per dies multos in tanto pavore fuisset civitas, ut tabernis clausis velut nocturna solitudine per urbem acta senatus aedilibus negotium daret, ut urbem circumirent aperirique tabernas et maestitiae publicae speciem urbi demi iuberent, […]. 641Liv. 23,25,3: tum Ti. Sempronius senatum habuit consolatusque patres est et adhortatus, ne, qui Cannensi ruinae non succubuissent, ad minores calamitates animos summitterent. Eine ausführliche Reaktion der Zuhörer des Sempronius ist nicht vermerkt. Doch erweckt die Passage insgesamt den Eindruck, dass seine Rede den gewünschten Erfolg hatte. Vgl. Chaplin 2000, 63. 642Liv. 24,8,1–20. Vgl. zur Rede des Fabius die Analyse bei Rieck 1996, 41–48. 643Liv. 24,8,20: Lacus Trasumennus et Cannae tristia ad recordationem exempla, sed ad praeca­ venda similia utiles documento sunt. 644Dies und der Umstand, dass als negative Reaktion auf die Rede des Fabius lediglich der ­Protest des Otacilius vermerkt ist, der um das bereits sicher geglaubte Konsulat gebracht wurde, sprechen für den Erfolg, den Fabius mit seiner Rede hatte, auch wenn keine Reaktionen weiterer Zuhörer geschildert werden. Vgl. Chaplin 2000, 63 f. 645Liv.

25,22,2–3: Legatos ad consules mittunt C. Laetorium M. Metilium, qui nuntiarent, ut reli­ quias duorum exercituum cum cura colligerent darentque operam, ne per metum ac desperationem hosti se dederent, id quod post Cannensem accidisset cladem, et ut desertores de exercitu volonum conquirerent. Dass der Senat die Legaten aussendet, hat Livius zwar nicht explizit notiert, dennoch kann hiervon ausgegangen werden. Vgl. Chaplin 2000, 64.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Dieser Auftrag sowie ein zweiter, der die Rückführung von Deserteuren eines ­zweiten Heeres beinhaltete, seien mit großer Sorgfalt ausgeführt worden.646 Offenbar wollen die Senatoren in Livius’ Darstellung weitere Verluste von Truppen durch Gefangennahme und die hiermit verbundenen Folgen (Möglichkeit von Einnahmen für Hannibal; Aussicht auf eine weitere Diskussion um einen möglichen Freikauf) vermeiden.647 Nach dem Eingreifen des Fabius Maximus in die Wahlen zum Konsulat für das Jahr 214 findet sich hier also ein weiteres Beispiel dafür, wie die Römer bei Livius aus der Niederlage von Cannae und deren Folgen wichtige Lehren ziehen, die die Fortführung des Krieges betreffen und schließlich den Weg zum Sieg über Karthago bereiten.648 Eine weitere in diesem Zusammenhang wichtige Passage, findet sich in einer Rede des jungen P. Cornelius Scipio, die dieser nach seiner Ankunft in Spanien an die Adresse der Truppen hält.649 Die Rede zeigt, dass die Erinnerung an Niederlagen im Text nicht nur dem Abwenden, sondern auch der Überwindung neuer Krisen dient. So verweist Scipio in seiner Rede auf römische Niederlagen der Vergangenheit – sowohl solche des Hannibalkrieges als auch solche früherer Konflikte. Den Anlass hierzu bilden die jüngst erlittenen Niederlagen, in der Vater und Onkel des jungen Scipionen gefallen waren. Dieser beabsichtigt nun seinen Soldaten, angesichts dieses schweren Rückschlages, Zuversicht für einen Sieg in Spanien einzuflößen.650 Es sei fester Bestandteil der römischen Geschichte, gar geradezu das Schicksal des römischen Volkes, in allen großen Kriegen schwere Niederlagen zu erleiden.651 Nachdem er auf Niederlagen in früheren Kriegen ­(Porsenna, Gallier, Samniten) lediglich en passant verwiesen hat, nennt Scipio die Niederlagen des Zweiten Punischen Krieges detailliert (u. a. Trebia, Trasimenischer See, Cannae), um dann hervorzuheben, dass allein die virtus des römischen­ Volkes dafür gesorgt habe, dass die Römer sich von diesen Rückschlägen wieder hätten erholen können.652 Gerade die Soldaten seines Vaters, zu denen er sich

646Liv.

25,22,4. 2000, 64. 648Siehe Chaplin 2000, 71. 649Liv. 26,41,3–25. 650Liv. 26,41,6–8. 651Scipio verbindet hier die Verluste, die seine Familie erlitten hat, mit den Niederlagen der res publica insgesamt. Er ertrage die Verluste und schreite weiter voran, genau wie es das römische Volk tun werde. Liv. 26,41,9: sed ut familiaris paene orbitas ac solitudo frangit animum, ita publica cum fortuna tum virtus desperare de summa rerum prohibet. Ea fato quodam data nobis sors est, ut magnis omnibus bellis victi vicerimus. 652Liv. 26,41,10–12: Vetera omitto, Porsennam, Gallos, Samnites: a Punicis bellis incipiam. Quot classes, quot duces, quot exercitus priore bello amissi sunt? Iam quid hoc bello memorem? Omni­ bus aut ipse adfui cladibus aut, quibus afui, maxime unus omnium eas sensi. Trebia, Trasumennus, Cannae quid aliud sunt quam monumenta occisorum exercituum consulumque Romanorum? Adde defectionem Italiae, Siciliae maioris partis, Sardiniae; adde ultimum terrorem ac pavorem, castra Punica inter Anienem ac moenia Romana posita et visum prope in portis victorem Hannibalem. In hac ruina rerum stetit una integra atque immobilis virtus populi Romani; haec omnia strata humi erexit ac sustulit. 647Chaplin

5.2  Der Feind vor den Toren

355

­ endet, ­hätten hieran großen Anteil gehabt, da sie, während die römischen Armeen w in Italien noch Niederlage um Niederlage erlitten hätten, in Spanien siegreich gewesen seien. Nun sei die Situation umgekehrt – während die Römer in Italien und auf Sizilien siegreich waren, sind die Truppen in Spanien besiegt worden. Zu diesen sprechend, verweist er also auf Beispiel der jüngsten Vergangenheit, um ein weiteres Mal eine Niederlage zu überwinden, um schließlich den Sieg für die römische Seite zu erringen.653 Der weitere Verlauf des Krieges in Spanien erweist Scipios Worte als zutreffend – wenig später gelingt es ihm, seine Zuhörer zur Einnahme Neu-Karthagos zu führen.654 Auch in einer weiteren Rede an die Truppen in Spanien verweist Scipio auf die bis dort erfolgten Niederlagen des Krieges, genau genommen auf den Tod von römischen Feldherren in diesen Schlachten, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. Den Soldaten, die bei Sucro eine Meuterei gegen seinen Oberbefehl angezettelt haben, führt er die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens vor Augen: Wenn Rom den Verlust all der Feldherren, die bereits in diesem Krieg gefallen waren, verkraften konnte, brächte es ihnen wenig Nutzen, wenn sie ihn töteten. Andere würden seinen Platz einnehmen, das römische Volk selbst werde auch nach dem Verlust von Tausenden weiterkämpfen.655 Eben hierfür hatte wiederum noch vor der Ankunft Scipios in Spanien der Ritter L. Marcius ein Beispiel gegeben, der die römischen Truppen nach dem Tod der ­beiden Feldherren sammelt und sie zu einem – in seinen Ausmaßen wohl übertrieben dargestellten – Sieg über Hasdrubals Armee führt.656 Marcius hält eine Rede an die anderen Soldaten, in der er sie auffordert, die Erinnerung an die jüngst erlittene Niederlage nicht zum Anlass zu nehmen, in Trauer zu verharren, sondern sich vielmehr von dem Zorn, der aus dieser Erinnerung resultiere, antreiben zu lassen, um die gegnerischen Truppen zu schlagen. Das Volk, so Marcius, das durch die Katastrophe von Cannae nicht unterging, werde auch diesen Rückschlag überwinden. Zudem sei der Tod der Scipionen nicht mit dem Untergang der Römer

653Liv.

26,41,13–25. Neu-Karthagos durch die Römer bei Liv. 26,42–46. 655Die Rede Scipios bei Sucro: Liv. 28,27,1–29,8. Siehe bes. 28,28,11–12: Quid? Si ego morerer, mecum exspiratura res publica, mecum casurum imperium populi Romani erat? Ne istuc Iuppiter Optimus Maximus sirit, urbem auspicato dis auctoribus in aeternum conditam huic fragili et mor­ tali corpori aequalem esse! Flaminio, Paulo, Graccho, Postumio Albino, M. Marcello, T. Quinc­ tio Crispino, Cn. Fulvio, Scipionibus meis, tot tam praeclaris imperatoribus uno bello absumptis superstes est populus Romanus eritque mille aliis nunc ferro nunc morbo morientibus. Meo unius funere elata populi Romani esset res publica? Siehe für eine Analyse der Rede Scipios, auch vor dem Hintergrund derjenigen, die Scipio in der Darstellung des Polybios hält, Burck 1977, 430– 440, bes. 437: „Denn Rom überstehe nach dem Willen der Götter trotz aller Verluste, die auch dieser Krieg der römischen Führungsschicht gebracht habe, alle solche Schicksalsschläge, da es für die Ewigkeit gegründet sei, und sogar jetzt gäbe es Führer genug, die römische Herrschaft in Spanien zu behaupten“. 656Liv. 25,37,1–39,17. 654Einnahme

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

i­ nsgesamt gleichzusetzen.657 Diesen Gedanken betont auch der junge Scipio, als er als Nachfolger seines Vaters zu den Soldaten spricht: Das Schicksal der res publica hänge nicht am Wohlergehen oder Untergang einer einzelnen Familie.658 Diese Überzeugung hatte auch schon für frühere Generationen Bedeutung. Vielleicht wurde sie jedoch vor dem Hintergrund des Einflusses, den relativ wenige einzelne Feldherren und Politiker im ersten Jahrhundert einnahmen, von Livius besonders betont.659 Der Angriff auf die Karthager und ihre keltiberischen Verbündeten, den die Römer unter Marcius anschließend durchführen, ist erfolgreich. Dieser Erfolg stellt zum einen ein weiteres Beispiel für das in der römischen Historiografie oft vorzufindende narrative Schema dar, nach dem auf eine Niederlage ein schneller römischer Sieg folgt, an dessen historischer ­Glaubwürdigkeit, zumindest hinsichtlich seiner quantitativen Ausmaße, berechtigte Zweifel bestehen, zum anderen – und vor allem – aber eine Bestätigung für die Worte des Marcius – Rom wird auch diese Niederlage überwinden.660 Die Niederlagen des Zweiten Punischen Krieges bieten in Livius’ dritter Dekade also Gelegenheit zur Reflexion über die Folgen von charakterlichen Mängeln, den Wert der concordia und die Gefahren der discordia sowie über den

657Liv. 25,38,8–10: Vos quoque velim, milites, non lamentis lacrimisque tamquam exstinctos pro­ sequi – vivunt vigentque fama rerum gestarum – sed, quotienscumque occurret memoria illorum, velut si adhortantes signumque dantes videatis eos, ita proelia inire. Nec alia profecto species hesterno die oblata oculis animisque vestris memorabile illud edidit proelium, quo documen­ tum dedistis hostibus non cum Scipionibus exstinctum esse nomen Romanum et, cuius populi vis atque virtus non obruta sit Cannensi clade, ex omni profecto saevitia fortunae emersurum esse. Vgl. zur Rede des Marcius u. a. Clark 2018, 196 f. (mit weiteren Hinweisen). 658Liv. 26,41,9: sed ut familiaris paene orbitas ac solitudo frangit animum, ita publica cum for­ tuna tum virtus desperare de summa rerum prohibet. 659Vgl. auch Burck 1977, 439 f. 660Vgl. zuletzt Clark 2018, 199. Der Angriff auf die offenbar überraschten Karthager wird geschildert bei Liv. 25,38,23–39,18. Die Angaben zur Anzahl der getöteten Gegner gingen in Livius’ Quellen offenbar weit auseinander, sind jedoch durchgehend recht hoch angesetzt (Liv. 25,39,12–15). Vgl. u. a. Ridley 2000, 15. Der Schild Hasdrubals, den Marcius in diesem Kampf habe erbeuten können, soll noch Jahrzehnte später im Tempel auf dem Kapitol zu sehen gewesen sein. Wie erwähnt, war die Geschichte offenbar bereits im 2. Jahrhundert bekannt (siehe oben Abschn. 5.2.2). Sollte der Schild des Marcius tatsächlich auf dem Kapitol zu sehen gewesen sein, stellte dieser wohl ein sichtbares Relikt aus der Zeit des Hannibalkrieges dar, an das sich durchaus auch die Geschichte um den Untergang der Scipionen hatte heften können, da dieser ja überhaupt erst die Voraussetzung für das Auftreten und die Tat des Marcius bot. Siehe Liv. 25,39,17, der den Schild ein monumentum victoriae nennt, das sogar den Namen des Marcius getragen habe (monumentumque victoriae eius de Poenis usque ad incensum Capitolium fuisse in templo clipeum, Marcium appellatum, cum imagine Hasdrubalis). Vgl. Jaeger 1997, 122 f., die den Schild mit dem Bild Hasdrubals auf dem Kapitol als einen Stellvertreter für den karthagischen Feldherrn selbst ansieht, der allein durch seinen Tod am Metaurus dem Schicksal im Triumph zum Kapitol geführt zu werden (und dort im carcer hingerichtet zu werden) entgangen war. Zugleich verweise das monumentum auf Marcius’ gefallenen Feldherrn Scipio und indirekt auf die Notwendigkeit, den Kampf für die römische Sache auch im Angesicht einer schweren Niederlage nicht aufzugeben, sowie auf die Art und Weise, wie dies gelingen kann.

5.2  Der Feind vor den Toren

357

Weg, der die Römer wieder aus der Krise geführt hat, die durch die Niederlagen des Krieges besonders in Italien ausgelöst worden war. Die Lehren, die sich aus den Niederlagen des Zweiten Punischen Krieges für die Römer bei Livius ziehen lassen, können grob in zwei Kategorien unterteilt werden. Zum einen handelt es sich um Lehren, die direkt umsetzbare Maßnahmen betreffen. So empfiehlt Fabius Maximus die vorübergehende Aussetzung von Normen, die bis dahin bei den Wahlen zum Konsulat gültig waren, der Senat ergreift nach Herdonea direkte Maßnahmen, um zu verhindern, dass ein weiteres Mal so viele Römer in Kriegsgefangenschaft geraten, wie es nach Cannae der Fall war, und der spätere Africanus achtet bei der Anwerbung von Hilfstruppen darauf, ein angemessenes Maß einzuhalten, um nicht das gleiche Schicksal wie sein Vater und Onkel zu erleiden. Zum anderen betreffen die Lehren die moralische Haltung, die den Römern dabei geholfen habe, Niederlagen und Krisen zu überstehen. Die Erinnerung an die erst kürzlich zurückliegenden Niederlagen hilft in diesen Fällen auch dabei, erneute Rückschläge zu verkraften. Da den Römern die Erfahrung einer Niederlage nun nicht (mehr) neu ist, können sie auch weitere Krisen überwinden oder sogar gelassen auf die Nachricht einer Niederlage reagieren (wie etwa nach der Schlacht bei Herdonea). Hierhinter steht ein Gedanke, der sich bei Livius auch an anderer Stelle findet und ja auch bereits bei früheren Autoren, etwa Lucilius, nachweisbar ist – der Gedanke, dass Rom letztlich alle Verluste und Niederlagen nicht nur im Kern unversehrt, sondern vielmehr gestärkt überstehen werde.661 An einigen Stellen in der dritten Dekade wird diese Überzeugung explizit zum Ausdruck gebracht, in anderen Passagen steht sie eher im Hintergrund, ist aber auch dann erkennbar.662 Die praktischen Lehren, die die Römer aus den Niederlagen des Krieges bei Livius ziehen können, scheinen dabei auf den ersten Blick möglicherweise banal. Allerdings beziehen sich diese auf eben jene Erklärungen, die Livius zuvor für verlorene Schlachten und deren Folgen geboten hat. Die Beispiele für moralisch aufrechtes Verhalten in der Stunde der Niederlage und die Fälle, in denen die Erinnerung an Niederlagen Ansporn für das weitere Handeln geben soll, erweisen sich im Rahmen des Textes als in ähnlicher Weise adäquate Deutungen der Vergangenheit, da die Römer daraufhin stets erfolgreich agieren. Zudem scheinen die Römer mit fortschreitender Dauer des Krieges Niederlagen immer besser begegnen zu können. Gerade die Schlacht von Cannae wird hierbei recht deutlich als wichtiger Wendepunkt im Kriegsverlauf inszeniert. Nicht nur scheinen zumindest die meisten Römer tatsächlich aus den Niederlagen gelernt zu haben, erst durch ihre früheren Verluste im Krieg werden ihre eigentlichen Tugenden und Stärken gefestigt oder überhaupt erst wiederhergestellt.663

661Vgl.

oben Abschn. 4.3 und Abschn. 5.2.2. Siehe auch unten Kap. 6. formuliert etwa in Liv. 28,28,11–12. Siehe außerdem Liv. 22,54,10–11; 22,61,10–15. 663Vgl. in Hinsicht auf Cannae Chaplin 2000, 70–72, siehe dort 70: „For the Romans within the text, Cannae is an exemplum of resilience, of the need for on-going leadership, of the necessity of reassembling troops after a loss, and of a disaster they have put behind them“. 662Explizit

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Auf einer tieferen Ebene der Untersuchung ergeben sich weitere P ­ erspektiven. Der in der dritten Dekade gut greifbare Gedanke, dass Rom aus allen, noch so schweren Rückschlägen letztlich unversehrt und gestärkt hervorgehen werde, ist, wie gesehen, nicht originär livianisch, sondern eher Teil eines teleologischen Geschichtsbildes, das offenbar mindestens seit dem späten 2. Jahrhundert in Rom verbreitet war. Die Siege, die die Römer in den zahlreichen Kriegen des dritten und zweiten Jahrhunderts errungen hatten, bildeten für diese Sichtweise die faktische Grundlage.664 Zudem weist die Gestalt der Krise, die die res publica bei Livius im Zweiten Punischen Krieg offenbar zeitweise ergriffen habe, deutliche Anklänge an die politischen Konstellationen der späten Republik auf. Die Mittel, mit denen sich weitere Rückschläge verhindern und auch die Folgen der bereits erfolgten Niederlagen überwinden lassen sollen, scheinen wiederum gut zu Vorstellungen zu passen, die in der späten Republik formuliert wurden – nicht zuletzt finden sich die moralischen Wertvorstellungen, die bei der Überwindung von Niederlagen notwendig seien, in zahlreichen Repräsentationen der augusteischen Kultur wieder. Die Verteidigung der Republik und ihr Wiederaufbau sind bei Livius auch in der Zeit des Zweiten Punischen Krieges Aufgaben, in denen sich die Römer in moralischer Hinsicht beweisen müssen.665 Allerdings gefährden auch die mühsam errungenen Siege über die Karthager die moralische Festigkeit der Römer bereits wieder. Diesen Gedanken äußert Livius anlässlich der Schilderung der Eroberung von Syrakus unter Marcellus.666 Der Gedanke, dass in militärischem Erfolg eine solche Gefahr liege, taucht in der römischen Überlieferung bekanntlich nicht nur bei Livius auf, sondern wurde bereits zuvor von Sallust im Zusammenhang mit dem endgültigen Sieg über Karthago verbunden. Vor dem Hintergrund derartiger Vorstellungen ist der Gedanke, dass militärische Niederlagen und Rückschläge geradezu einen heilsamen Effekt bei der Überwindung moralischer Defizite haben könnten, fast schon naheliegend. Ein weiterer Aspekt in Livius’ dritter Dekade, der in Hinsicht auf die römischen Niederlagen von Bedeutung ist, wurde bislang noch nicht ausführlich besprochen und soll daher den Abschluss der hier vorgetragenen Überlegungen zu Darstellung und Deutungen der römischen Niederlagen des Zweiten Punischen Krieges bei Livius bilden. Hierbei handelt es sich um die Repräsentation der Karthager und insbesondere ihres wichtigsten Feldherrn Hannibal durch Livius. Direkt zu Beginn von Buch 21 bietet Livius eine ausführliche Charakterisierung Hannibals.667 Zumindest in den erhaltenen Teilen von Ab urbe condita wird kein

664Vgl.

im Zusammenhang mit Cannae Beck 2006, 215. Siehe zudem unten Kap. 6. umfassend die Diskussion in Levene 2010, 339–354 (mit weiteren Nachweisen). 666Liv. 25,40,2–3. Vgl. Liv. 34,4,1–5. Von den Reichtümern, die die Römer bei der Plünderung der Stadt erbeuten und nach Rom bringen konnten, sei eine schädliche Wirkung ausgegangen, da hier der Beginn einer Zersetzung von römischer Moral und Tugenden zu sehen sei. 667Liv. 21,4,3–9. Zur Charakteristik Hannibals in dieser Passage siehe allgemein u. a. Vogt 1953, 4–15; Händl-Sagawe 1995, 41–46; Levene 2010, 99–104. 665Vgl.

5.2  Der Feind vor den Toren

359

anderer Gegner der Römer derart umfangreich porträtiert.668 Hannibal erscheint so von Beginn der dritten Dekade an als zentraler Antagonist der römischen Seite. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Livius für diese Passage auf eine Reihe von Vorbildern zurückgreifen konnte, vielleicht bot auch bereits Coelius Antipater eine­ ähnliche Einführung des Gegenspielers der Römer.669 In der Forschung wurde zudem bereits vor geraumer Zeit die Vermutung vorgebracht, dass sich Livius in dieser Passage auch von ähnlichen Stellen bei Sallust (in der Catilinarischen Ver­ schwörung sowie im Jugurthinischen Krieg) habe inspirieren lassen. Livius’ Einführung Hannibals lässt sich in zwei Hälften gliedern. In der ersten notiert Livius, dass Hannibal sowohl die Fähigkeiten eines Soldaten als auch eines Feldherren in nahezu idealer Weise besessen habe – im Kampf sei er zugleich sehr mutig und besonnen gewesen. Zudem habe er im Feld ein anspruchsloses Leben geführt und sei mit einer herausragenden Konstitution ausgestattet gewesen, was ihm erlaubte, alle Strapazen eines Feldzuges in vorbildlicher Weise zu ertragen.670 Dann weist Livius indes darauf hin, dass Hannibal keineswegs ein idealer Feldherr gewesen sei. Seine charakterlichen Mängel hätten seine positiven Eigenschaften nämlich in negativer Weise ausgeglichen. Hannibal sei demnach von unmenschlicher Grausamkeit und einer Falschheit gewesen, die selbst das bei Karthagern übliche Maß überstiegen hätte. Daher seien ihm Eide und alle anderen religiösen Bindungen gleichgültig gewesen. Diese negativen Seiten Hannibals führt Livius in dicht gedrängter Aneinanderreihung an, was die Schatten, die auf den Charakter des ­Karthagers fallen, wohl betonen soll.671

668Im Fall des Pyrrhos scheint es nicht undenkbar, dass Livius diesen ebenfalls mit einer relativ ausführlichen Charakterisierung einführte. Aufgrund des Verlustes der Bücher 12–14 lässt sich dies jedoch nicht mehr nicht klären. Immerhin verweisen Protagonisten in Livius’ Darstellung an späterer Stelle auf den König von Epirus, dessen Name stellvertretend für den Krieg steht, den die Römer in den Jahren 280 bis 275/4 in Italien führen mussten. 669Mit dieser Vermutung etwa Vogt 1953, 11, der außerdem annimmt, dass Antipater wiederum aus dem Werk des Silenos geschöpft habe. In Ermangelung von Quellen, die diese Annahme bestätigen könnten, muss dies allerdings Spekulation bleiben. 670Liv. 21,4,3–8: Nunquam ingenium idem ad res diversissimas, parendum atque imperandum, habilius fuit. Itaque haud facile discerneres, utrum imperatori an exercitui carior esset; neque Hasdrubal alium quemquam praeficere malle, ubi quid fortiter ac strenue agendum esset, neque milites alio duce plus confidere aut audere. Plurimum audaciae ad pericula capessenda, pluri­ mum consilii inter ipsa pericula erat. Nullo labore aut corpus fatigari aut animus vinci pote­ rat. Caloris ac frigoris patientia par; cibi potionisque desiderio naturali, non voluptate modus finitus; vigiliarum somnique nec die nec nocte discriminata tempora; id, quod gerendis rebus superesset, quieti datum; ea neque molli strato neque silentio accersita; multi saepe militari sag­ ulo opertum humi iacentem inter custodias stationesque militum conspexerunt. Vestitus nihil inter aequales excellens: arma atque equi conspiciebantur. Equitum peditumque idem longe primus erat; princeps in proelium ibat, ultimus conserto proelio excedebat. 671Liv.

21,4,9–10: Has tantas viri virtutes ingentia vitia aequabant, inhumana crudelitas, perfidia plus quam Punica, nihil veri, nihil sancti, nullus deum metus, nullum ius iurandum, nulla religio. Cum hac indole virtutum atque vitiorum triennio sub Hasdrubale imperatore meruit, nulla re, quae agenda videndaque magno futuro duci esset, praetermissa. Vgl. Christ 1974, 374; Stocks 2014, 39.

360

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Der Vergleich mit den einführenden Charakterisierungen Catilinas und Iugurthas bei Sallust offenbart eine Reihe von Ähnlichkeiten zu derjenigen Hannibals bei Livius.672 Insgesamt vereint Hannibal Eigenschaften beider ‚Vorbilder‘.673 Die These, dass Livius sich bei der Ausgestaltung der Charakterisierung Hannibals von den Vorbildern bei Sallust in gewissem Maße habe inspirieren lassen, wird in der Forschung kaum bestritten. Diese Anleihe des augusteischen Historiografen bei seinem Vorgänger wurde indes unterschiedlich interpretiert.674 Levene erwägt, ­ ob vor dem Hintergrund, dass beide Historiker die Krise der späten Republik vor allem als eine moralische Krise begriffen, noch eine weitere Perspektive zu erkennen sei.675 In gewisser Weise habe Hannibal demnach bei Livius die Anta­ gonisten bei Sallust, Catilina und Jugurtha, präfiguriert. So habe Livius die Vorstellung eines moralischen Verfalls im Laufe der römischen Geschichte, die er bei Sallust finden konnte, modifizieren wollen. Diese Entwicklung habe nicht erst mit der Zerstörung Karthagos begonnen, wie es Sallust darlegte, sondern bereits in der Zeit des Hannibalkrieges. Dass Livius die Zeit des Hannibalkrieges nicht ohne Ausnahme positiv bewertete, wurde bereits aufgezeigt.676 Levene räumt jedoch ein, dass diese Interpretation Unschärfen aufweist.677 Allerdings ist es durchaus

672Vgl. – auch zum Folgenden – Levene 2010, 100–104. So habe Catilina ebenfalls über eine herausragende Konstitution verfügt, die es ihm, wie Hannibal, gestattet habe, in ungewöhnlich hohem Maß Hunger und Kälte zu ertragen sowie mit sehr wenig Schlaf auszukommen. Auch in seinen geistigen Eigenschaften ähnelt er dem karthagischen Feldherrn, den Livius beschreibt. Nach Sallust sei Catilina nämlich einerseits gebildet und intelligent, andererseits auch listig und habgierig gewesen (Sall. Catil. 5,1–4). Wiederum in ähnlicher Weise wird Iugurtha beschrieben, der nach Sallust als Soldat wie als Feldherr über hervorragende Fähigkeiten verfügt habe, zu denen auch hier physische Stärke und Mut gehören. Genau wie Hannibal genießt er die Bewunderung von Soldaten wie Feldherren. Hingegen fehlen Hinweise auf die charakterlichen Mängel, die bei Hannibal (und bei Catilina) die Qualitäten wieder aufheben (Sall. Iug. 6,1). 673Levene 2010, 101. Neben diesen inhaltlichen Parallelen hat etwa Patrick Walsh darauf hingewiesen, dass sich Livius in dieser Passage eines sprachlichen Stils bedient, der demjenigen ähnele, der auch bei Sallust zu finden sei. Siehe Walsh 1973, 127: „For the character-sketch, Livy adopts the pithy Latinity of Sallust. Catiline’s portrait (Cat. 14–16) is the model. The structure is paratactic; notable are the use of historic infinitives […], the omission of verbs […], alliterative effects […], and anaphora“. Zustimmend: Clauss 1997, 172; Levene 2010, 101. 674So deutet James Clauss die Anspielung unter anderem in dem Sinne, dass Livius Hannibal als Gefahr für Karthago selbst darstellen wollte – so wie Catilina eine Gefahr für Rom war (Clauss 1997, 179 f.). Zudem sei es denkbar, dass durch die Anspielung auf den ‚Feind‘ Catilina, der Livius’ Lesern aufgrund der größeren zeitlichen Nähe (und der Rolle Ciceros in der Catilinarischen Verschwörung) vermutlich noch recht präsent war, die Bedrohung durch Hannibal greifbarer erscheinen sollte. (Clauss 1997, 180: „Such attempts to create the mood and the feelings of a past event are one of the typically Hellenistic features of the Ab Urbe Condita.“). 675Levene 2010, 103. 676Ein

Beispiel hierfür findet sich in seinem Kommentar zur Eroberung von Syrakus. Siehe Liv. 25,40,2. 677Levene 2010, 103. So stehe das von Sallust so intensiv diskutierte Thema des moralischen Niedergangs der res publica in der Passage zur Charakterisierung Hannibals bei Livius überhaupt nicht im Mittelpunkt der Schilderung.

5.2  Der Feind vor den Toren

361

d­ enkbar, dass Livius durch eine bewusste Anspielung auf die Monografien S ­ allusts bei einem ausreichend gebildeten Publikum durch einen subtilen Hinweis eine Sensibilität dafür wecken wollte, dass das Problem des moralischen Niedergangs Roms bereits früher einsetzte – immerhin verweist auch Livius in seiner eigenen Darstellung darauf, dass Sieg und Niederlage im Zweiten Punischen Krieg in einem Zusammenhang mit moralisch angemessenen Verhalten vor, während und nach einer Schlacht verbunden ist. Betrachtet man die Darstellung Hannibals über die Bücher 21–30 hinweg, stellt sich heraus, dass dieser insgesamt nicht durchgängig derart negativ dargestellt wird, wie es nach der einführenden Charakterisierung, die in prägnant pointierender Weise auf den vitia Hannibal endet, wohl zu erwarten gewesen wäre.678 Dass das Hannibalbild bei Livius relativ ambivalent ist, zeigt sich gerade im Zusammenhang mit der Schilderung der römischen Niederlagen des Krieges. So bilden unterschiedliche Strategeme oder ‚Kriegslisten‘ Hannibals zunächst gewiss seine auffälligsten Aktionen in der Darstellung der betreffenden Schlachten. Im Zusammenhang mit jedem der größeren Kämpfe wird mindestens eine List beschrieben, die der karthagische Feldherr erfolgreich umsetzen lassen kann.679 Als in besonderem Maße moralisch verwerflich wird der Einsatz solcher insidiae indes dabei nicht hervorgehoben.680 Die jeweils recht ausführliche Schilderung der Hinterhalte dient gleichwohl ohne Zweifel als Teilerklärung für die Niederlagen der Römer. Wie oben gesehen, werden diese bei Livius indes vor allem durch das unbeherrschte und unbedachte Vorgehen einiger Feldherren sowie durch die zunehmende Uneinigkeit auf römischer Seite erklärt. Dabei betont Livius, dass die temeritas von Feldherren wie Sempronius und Flaminius Hannibal, als herausragendem Anführer, nicht entgangen sei. Dies fügt sich wiederum recht gut zu Teilen der Charakterisierung des karthagischen Feldherrn, die ihm große strategische Qualitäten zusprechen. Verschiedene Erklärungen für die Niederlagen Roms erscheinen hier also miteinander verknüpft.681 In der Schilderung der Schlacht von

678Vgl. bereits Walsh 1961, 104: „The traditional portrait of Hannibal, which Livy has retailed in Book XXI in a manner strongly reminiscent of Sallust’s pen-portrait of Catiline, is not wholly reconcilable with Livy’s indirect characterisation“. 679Siehe jeweils: Schlacht an der Trebia (Verbergen von Magos Reitern an einem Bachlauf: Liv. 21,53,11–54,5), am Trasimenischen See (Hinterhalt auf den Hügeln am See: Liv. 22,4,1–2) und im Kampf gegen Minucius (Verbergen von Einheiten in unübersichtlichem Gelände: Liv. 22,28,5–8). Vor Cannae versucht Hannibal, Varros Truppen durch einen vorgetäuschten Rückzug in einen Hinterhalt zu locken, was durch die Umsicht des Paullus noch verhindert werden kann (Liv. 22,41,6–42,12). 680So weist Vogt 1953, 73 daraufhin, dass die livianische Bezeichnung insidiae für die Hinterhalte, die Hannibals Truppen ihren Gegnern an der Trebia und am Trasimenischen See legen, wohl nicht unbedingt negativ konnotiert war. Ähnliches gilt für den Hinterhalt, in dem M. Claudius Marcellus im Jahr 208 in Süditalien fällt (Liv. 27,26,2–27,10. Vgl. Christ 1974, 372 f.). Demnach bewegten sich diese Aktionen Hannibals für Livius noch im Rahmen des moralisch Vertretbaren (so Vogt 1953, 73). 681Vgl. Levene 2010, 263.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Cannae wiederum wertet Livius das vorgetäuschte Überlaufen von 500 numidischen Reitern zu den Römern, hinter dem sich das Ziel verbirgt, diese von hinten angreifen zu können, als fraus Punica. Diesem Ausdruck kann eine explizit negative Konnotation kaum abgesprochen werden.682 In jedem Fall dienen die jeweils recht ausführlichen Beschreibungen von Hannibals Kriegslisten dazu, die Niederlagen der Römer zu erklären und gerade die einfachen Soldaten zu entlasten, was auf ihre Feldherren nur zum Teil zutrifft.683 Eine Episode, in der Livius die sprichwörtliche punica fides betont, die Hannibal, jedenfalls nach der oben erwähnten Einleitung in Buch 21, ja in einem besonders hohen Maß zu eigen gewesen sein soll, findet sich in direktem Anschluss an die Schilderung der Schlacht am Trasimenischen See. Eine Abteilung aus Flaminius’ Heer, die dem Hinterhalt am Trasimenischen See hatte entkommen können, wird dort von Hannibals Offizier Maharbal unter einem falschen Versprechen zur Aufgabe bewogen und dann durch Hannibal in die Kriegsgefangenschaft geführt.684 In dieser Passage stimmt Hannibals Verhalten also mit demjenigen aus der einleitenden Charakterisierung überein. Insgesamt gesehen sind Stellen dieser Art, in denen Aktionen oder Manöver Hannibals eindeutig und direkt als Punica fides oder fraus bewertet werden, eher selten.685 Ein weiterer Mangel, den Livius Hannibal in dessen Einführung zugeschrieben hatte, betraf dessen vermeintlich übermäßige Grausamkeit. Diese tritt im Zusammenhang mit den römischen Niederlagen jedoch kaum zum Vorschein. Zwar berichtet der Konsul C. Terentius Varro nach der Schlacht von Cannae gegenüber den Gesandten aus Capua von Hannibals angeblichen Untaten. So habe Hannibal eine Brücke aus Leichen der getöteten Römer über den Fluss (wohl den Aufidus) errichten lassen und

682Liv. 22,48,1–4 (dort, 1: Iam et sinistro cornu Romanis, ubi sociorum equites adversus Numidas steterant, consertum proelium erat, segne primo et a Punica coeptum fraude). 683Der angeblich hinterhältige Charakter der gegnerischen Taktik wird wiederum nicht bei allen genannten Gelegenheiten hervorgehoben. Vgl. Burck 1950, 75 f.; Händl-Sagawe 1995, 45. 684Liv. 22,6,8–12 (siehe dort bes. 11–12: Postero die cum super cetera extrema fames etiam instaret, fidem dante Maharbale, qui cum omnibus equestribus copiis nocte consecutus erat, si arma tradidissent, abire cum singulis vestimentis passurum, sese dediderunt; quae Punica reli­ gione servata fides ab Hannibale est atque in vincula omnes coniecti). Vgl. Burck 1950, 82; Levene 2010, 216, der darauf hinweist, wie Livius das Motiv der Punica fides dem karthagischen Feldherrn in der Unterredung zwischen Hannibal und Scipio vor der Schlacht von Zama in den Mund legt (Liv 30,30,27: haud negaverim […] suspectam esse vobis Punicam fidem). 685Vgl. Vogt 1953, 71 f., 91 f. Zu beachten ist ferner, dass Hannibal nach Liv. 23,19,16 die Verteidiger von Casilinum gemäß dem Abkommen abziehen lässt, das er mit ihnen geschlossen hatte, und sich so summa cum fide an die Vereinbarung hält. Offenbar lag Livius eine weitere Überlieferungsvariante vor, nach der Hannibal sein Wort gebrochen habe und die Garnison auf ihrem Weg zurück nach Praeneste habe einholen können und umbringen lassen. Diese Variante weist Livius allerdings ausdrücklich zurück (Liv. 23,19,17–18). Vgl. Vogt 1953, 126–129; Walsh 1961, 104. In der einführenden Aufzählung der vitia Hannibals ist die Punica fides eng mit Hannibals vermeintlich fehlendem Respekt vor allem Göttlichen verbunden. Seine impietas spielt, wie im vorherigen Abschnitt gesehen, eine wichtige Rolle in der livianischen Darstellung und der Deutung des Kriegsverlaufs insgesamt und im Besonderen in Hinsicht auf die römischen Niederlagen.

5.2  Der Feind vor den Toren

363

seine Soldaten zum Kannibalismus angehalten.686 Allerdings fällt doch auf, dass sich bei Livius von derartigen Greueltaten in der Darstellung der Schlacht von Cannae und ihres Nachspanns kein Hinweis finden lässt.687 Dass Livius diese beiden Punkte nun aber ausgerechnet C. Terentius Varro in den Mund legt, ist durchaus auffällig. Denn Varro war in seinen bisherigen Reden als wenig vertrauenswürdig geschildert worden. Als Demagoge tritt Varro nach Cannae nicht mehr auf, seine Rede an die Kampaner ist insgesamt dennoch missglückt. Vor allem verfehlt sie nämlich trotz oder womöglich gerade wegen Varros Schilderungen von Hannibals angeblichen Greueltaten ihre Wirkung, denn die Kampagner entscheiden sich in der Folge dazu, zu Hannibal überzulaufen. Es ist daher durchaus möglich, dies als einen Hinweis dafür werten, dass Livius diese Berichte selbst für wenig glaubwürdig erachtete und sie gerade deswegen Varro aussprechen ließ.688 Auch ansonsten finden sich keinesfalls auffallend viele Berichte von Grausamkeiten, die Hannibal im Krieg in Italien begangen bzw. befohlen haben soll, und die das übliche Maß der antiken Kriegsführung überstiegen hätten (und einem römischen Leser deswegen als exeptionell grausam aufgefallen wären). Bei mehreren Gelegenheiten berichtet Livius hingegen von Aktionen des karthagischen Feldherrn, die ihm offenbar als ungewöhnlich human erschienen. So befiehlt Hannibal nach denjenigen Schlachten, in denen ein römischer Feldherr gefallen war, seinen Soldaten, die Leiche des Gegners zu bergen und ehrenvoll zu bestatten. Auch wenn dies nicht immer gelingt, weil zum Beispiel der Körper auf dem Schlachtfeld nicht mehr zu identifizieren ist, wird hierdurch zweifellos eine ehrenwerte Absicht Hannibals beschrieben.689 In seiner Behandlung

686Liv. 23,5,12: Hunc natura et moribus immitem ferumque insuper dux ipse efferavit, pontibus ac molibus ex humanorum corporum strue faciendis et, quod proloqui etiam piget, vesci corpo­ ribus humanis docendo. Von dieser Aktion kann man auch aus anderen Zeugnissen erfahren. Die Episode scheint ein verbreiteter Bestandteil der Hannibal-Tradition gewesen zu sein. Siehe etwa Val. Max. 9,2 ext. 2; Sil. 8,668–669; Flor. epit. 1,22,18; App. Hann. 28. Vgl. Vogt 1953, 19 f., der davon ausgeht, dass die Überlieferung um die Brücke aus Leichen römischer Gefallener „ein fester Bestandteil der Darstellungen des zweiten punischen Krieges geworden“ war. Siehe zudem Levene 2010, 161. Der Vorwurf des Kannibalismus gegen Hannibal hat wohl bereits weit vor der Zeit des Livius existiert, da Polybios sich andernfalls kaum veranlasst gesehen hätte, den karthagischen Feldherrn gegen diese Anschuldigungen in Schutz zu nehmen. Vielleicht stammen diese bereits aus der Zeit des Krieges. Siehe Pol. 9,24. Vgl. Vogt 1953, 16–18; Seibert 1993a, 68 mit Anm. 34; Levene 2010, 161. 687Siehe hierzu Vogt 1953, 2. Vgl. Levene 2010, 160: „Livy nowhere shows the Carthaginian army either building bridges from corpses or engaging in cannibalism, and this accordingly looks like lurid exaggeration on Varro’s part“. 688Vgl. Levene 2010, 161: „Livy, however, implicitly rejects those who relayed such atrocity stories, not only by not relaying them himself, but by damningly associating them with Varro’s speech, a speech which for other reasons appears dreadfully misplaced“. Für weitere Hinweise zu Varros missglückter Rede an die Kampaner siehe Levene 2010, 172, 359. 689Hannibal befiehlt seinen Soldaten nach der Schlacht am Trasimenischen See, den Leichnam des C. Flaminius zu suchen und ehrenvoll zu bestatten. Den Karthagern gelingt es allerdings nicht, diesen zu finden (Liv. 22,7,5). Die sterblichen Überreste des Paullus habe Hannibal nach dem Ausweis einiger namentlich nicht genannter, Quellen des Livius nach Cannae gefunden und

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

der römischen Kriegsgefangenen hatte sich Hannibal nach Livius’ Wissen ebenfalls offenbar keine erwähnenswerten Schandtaten zuschulden kommen lassen. Im Gegenteil erscheint er wiederum humaner als in Teilen der übrigen Überlieferung.690 In den Schlachtenschilderungen selbst tritt Hannibal in eher geringem Umfang auf.691 Hier stehen, so weit es die Feldherren der beteiligten Armeen betrifft, vor allem die römischen Konsuln oder Praetoren im Mittelpunkt, die – wie oben gesehen – dabei in der Regel als tapfer kämpfend und/oder ruhmreich sterbend dargestellt werden. Hannibals Qualitäten als Kämpfer, die er nach Livius als Reiteroffizier unter Hasdrubal unter Beweis gestellt hatte, werden also kaum thematisiert.692 Seine Fähigkeiten beweist er bei Livius hingegen vor allem als Taktiker, der vor den Kämpfen seine Listen auslegt, die er dann von Untergebenen ausführen lässt, und selbst nur hin und wieder beschrieben wird, wie er direkt in die Schlacht eingreift, indem er Einheiten auf andere Positionen kommandiert.693 Dies mag durchaus damit zusammenhängen, dass es Livius im Rahmen der römischen Niederlagen und angesichts der Not, die die Römer hier durchleiden müssen, widerstrebte, „noch eigens die geniale Taktik des Feindes zu betonen und zu bewundern“.694 Allerdings versteht es Hannibal ja gerade zu Beginn des Krieges in hohem Maße die charakterlichen Mängel seiner Feinde zu erkennen und adäquate Maßnahmen gegen die römischen Heere einzuleiten sowie Vor- und Nachteile der jeweiligen Schlachtfeldtopografie in seinem Sinne einzusetzen.695 Schon auf diese

bestattet (Liv. 22,52,6: Consulem quoque Romanum conquisitum sepultumque quidam aucto­ res sunt). Auch den Leichnam des Marcellus habe er begraben lassen (Liv. 27,28,1). Vgl. hierzu jeweils Vogt 1953, 129–137. Der Verbleib der sterblichen Überreste des Marcellus war in der antiken Überlieferung offenbar umstritten. Die Absicht Hannibals, seinen toten Gegner durch die Bestattung bzw. Übergabe einer Urne an die Römer zu ehren, wird dabei allerdings nicht infrage gestellt. Vgl. Seibert 1993a, 366 mit Anm. 30. 690Nach der Schlacht von Cannae habe er sich nachsichtig an die gefangenen Römer gewandt, um diesen darzulegen, dass er keine Zerstörung Roms im Sinne habe (Liv. 22,58,2–3). Im Anschluss hieran bietet er ihnen die Möglichkeit an, in Rom um ihren Freikauf zu ersuchen, was den oben diskutierten Abschnitt mit der Kontroverse um den Umgang mit den Cannae-Gefangenen mitsamt der Rede des Manlius Torquatus einleitet. 691Vgl. Vogt 1953, 148–152, 160 f., 172 f. 692Vgl. Liv. 21,4,8 (Equitum peditumque idem longe primus erat). 693An der Trebia befehligt Hannibal die Einheiten der Elefanten auf eine andere Position, was als überaus erfolgreicher Zug geschildert wird (Liv. 21,56,1–2). Es ist freilich auch unklar, inwieweit sich Hannibal als Feldherr tatsächlich an Kampfhandlungen beteiligt hatte. Möglicherweise hielt er sich so weit wie möglich von direkten Auseinandersetzungen mit Gegnern fern, sodass Livius auch keine Quellen zu diesem Thema finden konnte. 694Vogt 1953, 173. Zudem hatte Livius ja bereits eine ganz anders gelagerte Erklärung für die Niederlagen entwickelt. 695Siehe zum Beispiel die Schilderung von Hannibals Überlegungen und Plänen vor der Schlacht an der Trebia (Liv. 21,53,8–11), vor der Schlacht am Trasimenischen See (Liv. 22,3,1–4,3) und vor Cannae (Liv. 22,41,4–9). Vgl. Burck 1950, 75 und zuletzt Stocks 2014, 40 f.

5.2  Der Feind vor den Toren

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Weise wird ihm zumindest ein Anteil am Zustandekommen der römischen Niederlagen beigemessen.696 Mit Blick auf gegnerische Feldherren ist dies im erhaltenen Teil von Ab urbe condita in diesem Maße tatsächlich nur bei Hannibal der Fall. Die Feldherren von Galliern und Samniten, aber auch andere Karthager stehen, wenn sie überhaupt namentlich genannt werden, weniger im Mittelpunkt als der karthagische Feldherr. Als herausragendste Tat Hannibals nennt Livius allerdings nicht dessen Siege über römische Heere, sondern die Integration einer Vielzahl von fremden Truppen in sein Heer, die er noch dazu über Jahre hinweg und unter widrigen Umständen zusammengehalten habe, ohne dass es zu einer Meuterei gekommen sei.697 Hannibal sei daher womöglich im „Unglück noch bewundernswerter als im Glück“ gewesen. Diese Einschätzung des Livius eröffnet eine vielleicht überraschende Parallele zu jener Qualität der besonderen Resistenz, die Hieron II. von Syrakus in Buch 22 den Römern zuschreibt – was somit kein geringes Lob für den gegnerischen Feldherrn darstellt.698 Dass dieser spätestens Ende des ersten Jahrhunderts auch von Römern als ‚großer Feldherr‘ anerkannt werden konnte, hatte ja bereits die Betrachtung der Hannibal-Biografie des Cornelius Nepos gezeigt. Doch trotz dieser Anerkennung überwiegen diejenigen Passagen, in denen Livius betont, dass die Römer im Vergleich zu den Karthagern Niederlagen mit größerer Charakterstärke und Standhaftigkeit begegnet seien, was ihnen letzten Endes auch den Sieg in diesem Krieg eingetragen hätte. In der Schilderung der Folgen der Schlacht am Metaurus betrifft dies auch Hannibal. Am Ende von Buch 27, das die Nachwirkungen der karthagischen Niederlage beschreibt, die zuvor von

696Siehe

außerdem Pausch 2011, 154 f., der anmerkt, dass durch Fokalisierung der Darstellung auf Hannibals Gedanken, Motive und Aktionen (z. B. in den Anweisungen, die Hannibal seinem Bruder Mago vor der Schlacht an der Trebia erteilt; Liv. 21,54,2–54,3) dem Leser nicht nur die römischen Niederlagen „verständlich gemacht werden“ sollten, sondern darüber hinaus „mit dem Perspektivwechsel und dem Spiel mit dem Wissen und Nichtwissen in Bezug auf das weitere Geschehen andererseits auch eine Steigerung der Unterhaltung des Rezipienten“ (Pausch 2011, 155) beabsichtigt gewesen sei. 697Siehe bes. Liv. 28,12,3–5. Es ist durchaus bemerkenswert, dass Hannibal nach Livius seine Meisterschaft als Feldherr also gerade unter solchen Bedingungen beweist, die den Scipionen in Spanien zum Verhängnis werden. Im Zusammenhang mit dem Tod der beiden Scipionenbrüder merkt Livius, wie bereits oben gesehen, an, dass eine große Anzahl von fremden Truppen im Heer ein Risiko für den Feldherrn darstelle (Liv. 25,33,1–9). 698Liv. 28,12,1–9. Dort (2): Ac nescio, an mirabilior adversis quam secundis rebus fuerit, […]. Vgl. die frühere Einschätzung Hierons bei Liv. 22,37,3: itaque, quamquam probe sciat [Hieron] magnitudinem populi Romani admirabiliorem prope adversis rebus quam secundis esse […]. Auf diese Parallele verweist auch Ridley 2000, 32, Anm. 64. Siehe zu dieser Anerkennung des Livius für Hannibals Führung seiner Armee Will 1983b; Levene 2010, 79 und bes. 237–239. Chaplin 2000, 68 merkt an, dass gerade Hannibals Fähigkeit, seine kulturell sehr heterogene Armee zusammenzuhalten, ohne dass die Soldaten jemals gemeutert hätten, für Livius bemerkenswert gewesen sein wird. Schließlich sei für Livius die Unzuverlässigkeit von Verbündeten stets als wahrscheinlich vorauszusetzen gewesen. Die Niederlage der Scipionen in Spanien hatte er ja zum Beispiel hierauf zurückgeführt (vgl. Liv. 25,33,1–9).

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Livius in ihren Ausmaßen mit der Schlacht von Cannae verglichen worden war, werden die Reaktionen Hannibals auf die Nachricht vom Tode seines Bruders und des Verlusts dessen Heeres beschrieben. Die Szene ist, wie bereits Erich Burck gesehen hat, in deutlich erkennbarem Anklang zur Schilderung der Reaktion der Bevölkerung Roms und ihres Empfangs des Konsuls Varro, der am Ende von Buch 22 geschildert wird, konstruiert.699 Hannibal, durch den Verlust für seinen Staat und seine Familie gleichermaßen getroffen, habe das Schicksal Karthagos erkannt und den Rückzug in „den hintersten Winkel Italiens“ befohlen.700 Der Gegensatz zur kämpferisch-unbeugsamen Haltung, die Livius die Römer nach Cannae einnehmen lässt, könnte kaum größer sein. Schon dort hatte er ja angemerkt, dass die Römer die Verluste des Krieges mit größerer Stärke ertrugen, als die Karthager dies im ersten Krieg getan hatten.701 Der Unterschied zwischen beiden Kriegsparteien zeigt sich auch und gerade im Umgang mit den eigenen Niederlagen.

5.2.5.2 Verrätselte Verweise – Zeugnisse der augusteischen Dichtung Bei der Frage nach Repräsentationen der römischen Niederlagen des Zweiten Punischen Krieges in der Dichtung der augusteischen Zeit mag es zunächst naheliegen, an die bekannte Passage aus Vergils Aeneis zu denken, in der Dido den Aeneas wegen seines Aufbruchs auf Karthago verflucht, womit der Beginn des Konfliktes zwischen Rom und Karthago bereits vor die Gründung der Stadt selbst gesetzt wird. In dem berühmten Fluch, den Dido dem Aeneas am Ende von Buch 4 hinterhersendet, sagt die karthagische Königin Feindschaft und Krieg zwischen Karthagern und Römern zudem explizit voraus. In dem „Rächer“ (ultor), der nach Didos Worten wieder auferstehen und die Troianer/Römer bekämpfen soll, wird gemeinhin Hannibal gesehen.702 Noch deutlicher ist die Anspielung auf Hannibal

699Burck

1950, 132–135. Vgl. Wille 1973, 52; Jaeger 1997, 94–98; Levene 2010, 18. 27,51,11–13: C. Claudius consul cum in castra redisset, caput Hasdrubalis, quod serva­ tum cum cura attulerat, proici ante hostium stationes captivosque Afros vinctos, ut erant, ostendi, duos etiam ex iis solutos ire ad Hannibalem et expromere, quae acta essent, iussit. Hannibal tanto simul publico familiarique ictus luctu agnoscere se fortunam Carthaginis fertur dixisse; castrisque inde motis, ut omnia auxilia, quae diffusa latius tueri non poterat, in extremum Ita­ liae angulum Bruttios contraheret, et Metapontinos, civitatem universam, excitos sedibus suis, et Lucanorum, qui suae dicionis erant, in Bruttium agrum traduxit. 701Zudem unterstreicht er diese Einschätzung, wie gesehen, im letzten Satz von Buch 22, in dem er unterstellt, dass Varro als karthagischer Feldherr mit schlimmsten Strafen zu rechnen gehabt hätte, während die Römer ihn aufgrund ihrer hehren Gesinnung in der Gemeinschaft willkommen heißen. Siehe Liv. 22,54,10–11: Nulla profecto alia gens tanta mole cladis non obruta esset. Compares cladem ad Aegates insulas Carthaginiensium proelio navali acceptam, qua fracti Sicilia ac Sar­ dinia cessere, inde vectigales ac stipendiarios fieri se passi sunt, aut pugnam adversam in Africa, cui postea hic ipse Hannibal succubuit; nulla ex parte comparandae sunt, nisi quod minore animo latae sunt. Liv. 22,61,15: qui si Carthaginiensium ductor fuisset, nihil recusandum supplicii foret. 700Liv.

702Verg.

Aen. 4,621–629 (625–626: exoriare, aliquis nostris ex ossibus ultor, qui face Dardanios ferroque sequare colonos, nunc, olim, quocumque dabunt se tempore vires.).

5.2  Der Feind vor den Toren

367

und den von ihm befohlenen Angriff auf Italien in der Rede, die Iuppiter zu Beginn des zehnten Buches in einer Ratsversammlung auf dem Olymp hält. Iuppiter verweist dort auf die kommende „gerechte Zeit“ (iustum tempus), in der die Römer gegen die Karthager kämpfen würden, und die Karthager, über die Alpen kommend, Rom bedrohen würden.703 Der Angriff über die Alpen, den Vergil hier schildert, wird zumindest für alle diejenigen Römer, die über ein gewisses Maß an Kenntnis über die römische Geschichte verfügten, fest mit Hannibals Invasion verbunden gewesen sein. Auch wenn der Name Hannibals in beiden Passagen überhaupt nicht genannt wird, beziehen sich beide Stellen auf seine Operationen im Zweiten Punischen Krieg, der als Fortführung des in der Vorzeit Roms angelegten Kampfes zwischen Karthago und Rom gedeutet wird. In diesem epischen Ringen nimmt Hannibals Invasion nach Italien also eine zentrale Rolle ein. Ovid weiß in den Fasti davon zu berichten, dass der Tempel für die G ­ öttin Mens von den Römern nach dem Tod des Konsuls gegen den hinterlistigen Punier gelobt worden sei, da in Rom große Furcht vor der maurischen Armee des Puniers geherrscht habe. Gemeint sind in diesem Kontext der Tod des C. Flaminius und die Niederlage am Trasimenischen See. Das Gelöbnis wurde nach Ovid an einem 8. Juni eingelöst.704 Den Tag jener Schlacht, die demnach am 21. Juni 217 stattgefunden hatte, bewahrt Ovid an späterer Stelle im gleichen Buch der Fasti. Dort wird der Untergang des Flaminius mit dessen Missachtung der göttlichen Vorzeichen begründet.705 Im Werk des Horaz findet sich wiederum ein weiterer Hinweis darauf, wie Hannibals Name als stellvertretend für den gesamten Konflikt zwischen Rom und Karthago verwendet werden konnte. In Epode 16 zeigt sich der Dichter pessimistisch was die nähere Zukunft Roms betrifft. Der unmittelbare Anlass hierzu war wohl der sich im Jahr 39 abzeichnende Krieg gegen Sextus Pompeius. Erneut ziehe ein Bürgerkrieg herauf, und Rom werde sich auf diese Weise selbst zugrunde richten.706 Es folgt eine Aufzählung auswärtiger Feinde aus der Geschichte Roms, die nicht rein chronologisch angelegt ist, sondern anscheinend als „Steigerung des Schreckenerregenden“ zu verstehen ist. Den Höhepunkt dieser Kette von Feinden bildet der „von den Ahnen verfluchte Hannibal“.707 Der Karthager, dessen Name

703Verg. Aen. 10,11–14: adveniet iustum pugnae (ne arcessite) tempus,/cum fera Karthago Roma­ nis arcibus olim/exitium magnum atque Alpes immittet apertas. 704Ovid. fast. 6,241–248. Vgl. hierzu u. a. Littlewood 2006, 77–79. 705Ovid. fast. 6,765–767. Vgl. Littlewood 2006, 221 („As vates of Roman religion, Ovid points out that Roman generals ignore or abuse the gods and their ministers at their peril.“). 706Hor. epod. 16,1–2: Altera iam teritur bellis civilibus aetas,/Suis et ipsa Roma viribus ruit. Diese Datierung von Epode 16 nach Maurach 2001, 18. 707Hor. epod. 16,3–10: Quam neque finitimi valuerunt perdere Marsi/Minacis aut Etrusca Por­ senae manus,/Aemula nec virtus Capuae nec Spartacus acer/Novisque rebus infidelis Allobrox,/ Nec fera caerulea domuit Germania pube/Parentibusque abominatus Hannibal,/Inpia perdemus devoti sanguinis aetas,/Ferisque rursus occupabitur solum. Vgl. Maurach 2001, 23 („Steigerung des Schreckenerregenden“).

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hier offenbar wieder einmal ausreicht, um Assoziationen von größter militärischer Bedrohung und wohl auch mit damit verbundenen Niederlagen aufzurufen, wird hier als gefährlichster Feind der römischen Geschichte angesehen. Diesen hätten die Römer allerdings besiegen können – freilich nur um in Horaz’ Zeit ihre Stadt und ihr Gemeinwesen selbst zu zerstören, wenn sie sich tatsächlich wieder auf den Pfad des Bürgerkrieges begäben.708 In einer anderen Passage wird der Name Hannibals nicht explizit genannt. Für die meisten Rezipienten des Horaz wird der Verweis dennoch verständlich gewesen sein. Im Rahmen der Überlegung, welchen Mann oder Heros er preise solle, geht Horaz in der zwölften Ode des ersten Odenbuches eine Reihe von Möglichkeiten durch, zu denen auch L. Aemilius Paullus gehört, „der sein edles Leben hingab, als der Punier siegte“.709 Die Nennung des Namens des Paullus wird – wie die der anderen im Text genannten römischen Feldherren (etwa Camillus, Regulus und der jüngere Cato) – für den Großteil der Adressaten ausreichend gewesen sein, um eine Verbindung zu dessen Tod in der Schlacht von Cannae herstellen zu können. Inwieweit dies dann beim Einzelnen detailliertere Assoziationen auslöste, bleibt wiederum ungewiss. Für das Verständnis der Verse waren genauere Kenntnisse der Geschichte des Zweiten Punischen Krieges aber auch gar nicht zwingend erforderlich und brachten dem Leser in diesem Fall zudem wohl auch wenig an zusätzlichen Einsichten ein. Zu wissen, dass L. Aemilius Paullus einst bei Cannae in der Schlacht gegen die Armee Karthagos gefallen war, reicht zum Verständnis der Passage bereits aus – eine grundlegende Kenntnis, von der Horaz annahm, dass er sie bei seinen Lesern voraussetzen konnte. Im Zusammenhang mit anderen Verweisen auf die Geschichte des Hannibalkrieges war es wiederum durchaus möglich, weitergehende Anspielungen zu entwickeln, für deren Entschlüsselung eine vertiefte Kenntnis der Geschichte des Hannibalkrieges sehr wohl notwendig war. In der vierten Ode des vierten Odenbuches preist Horaz den Stiefsohn des Augustus, Nero Claudius Drusus, für dessen Sieg über die Vindeliker.710 Nach einem zweifachen panegyrischen Vergleich des Drusus, zuerst mit einem Adler und dann mit einem Löwen, einem gelehrten Kommentar über die Bewaffnung der geschlagenen Feinde und der Betonung des Wertes einer hervorragenden Erziehung, wendet sich Horaz den Vorfahren

708Vgl.

zur Deutung von Epode 16 u. a. Maurach 2001, 18–24; ferner von Albrecht 1994, 577. carm. 1,12,37–40: Regulum et Scauros animaeque magnae/Prodigum Paulum superante Poeno/Gratus insigni referam camena/Fabriciumque. 710Diese waren nördlich der Alpen im Gebiet des heutigen Oberbayern bzw. Oberschwaben ansässig. Siehe hierzu G. Waldherr, DNP 12/2 (2002), 228, s. v. Vindelici. Horaz folgte damit offenbar einer Aufforderung durch Augustus selbst, der ihn gebeten hatte, den bereits zehn Jahre zuvor erschienenen drei Odenbüchern ein viertes Buch hinzuzufügen, in dem der Dichter die Siege des Princeps selbst sowie diejenigen seiner Stiefsöhne Tiberius und Drusus behandeln sollte. Das Buch scheint i. J. 13 veröffentlicht worden zu sein. Siehe Suet. Hor. 17–18. Vgl. Quinn 1980, XII; Galinsky 1996, 260; Syndikus 2001, 303; Lowrie 2010, 211; Thomas 2011, 5–7. 709Hor.

5.2  Der Feind vor den Toren

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des Geehrten zu.711 Dabei kommt der Dichter direkt auf den Konsul des Jahres 207, C. Claudius Nero, zu sprechen, dem es, gemeinsam mit seinem Kollegen, M. Livius Salinator, gelungen war, die römischen Legionen am Metaurus zum Sieg über die Armee Hasdrubals zu führen.712 Drusus war über die Familie seines leiblichen Vaters Ti. Claudius Nero mit dem Konsul des Zweiten Punischen Krieges verwandt. Dessen Sieg bildete ohne Zweifel einen wichtigen Teil der Geschichte der Claudii Nerones, der durch Vertreter der Familie besonders prominent hervorgehoben worden sein dürfte.713 Die Suche nach ruhmreichen Vorfahren des zu Ehrenden führte daher wohl relativ rasch zu C. Claudius Nero und damit auch indirekt zu den Karthagern, als deren Repräsentanten Horaz die gegnerischen Feldherren Hasdrubal und – vor allem – Hannibal auswählt. Die Roma selbst, die in der Ode nun direkt angeredet wird, verdanke den Nerones den wichtigen Sieg über Hasdrubal am Metaurus, durch den die „Finsternis“ aus Latium vertrieben worden sei. Jener Nero, der am Metaurus siegreich war, sei gar der erste gewesen, der Kriegsruhm erworben habe, seit Hannibal (der dirus Afer) wie das Feuer durch einen Pinienwald oder wie Eurus, der von Osten her stürmende Wind, durch das sizilische Meer gestürmt sei. Die Tempel, die im tumultus Poenorum verwüstet worden seien, habe man erst nach Neros’ Sieg wieder errichten können.714 Nachdem Horaz durch den Verweis auf den Sieg am Metaurus indirekt auf die Niederlagen und Zerstörungen der vorherigen Kriegsjahre verwiesen hat, lässt er den „treulosen Hannibal “ (perfidus Hannibal) anschließend selbst über die

711Hor. carm. 4,4,1–36. Siehe für Deutungen und Erläuterungen zu diesem Text Thomas 2011, 131–151, dessen Kommentar auch den folgenden Ausführungen als Stütze dient. Vgl. außerdem Syndikus 2001, 304 f. mit Anm. 7; Lowrie 2010, 226. 712Für Quellennachweise und einen Überblick zur Forschung zur Schlacht am Metaurus siehe Broughton 1951, 294; Seibert 1993a, 388–393. 713Das lag sicher auch daran, dass die Claudii Nerones seit dem Sieger der Metaurus-Schlacht keine weiteren Triumphatoren hervorgebracht hatten. Der Vater des Drusus war anscheinend der erste Vertreter der Familie, dem es, seit dem Praetor des Jahres 195, Ap. Claudius Nero, überhaupt gelungen war, zu einem höheren Amt vorzudringen. Ti. Claudius Nero stieg, vielleicht bezeichnenderweise, erst im Gefolge Caesars auf. 48 war er Quaestor, 47 Proquaestor und führte in den folgenden beiden Jahren Caesars Anweisungen zur Veteranenansiedlung in Gallien aus. Im Jahr 42, also bereits nach Caesars Tod, gelangte er zur Praetur. Im Folgenden kämpfte er gegen Octavian, wurde von diesem allerdings im Jahr 39 begnadigt. Siehe Broughton 1952 zu den jeweiligen Jahren. 714Hor. carm. 4,4,37–48: Quid debeas, o Roma, Neronibus,/Testis Metaurum flumen et Hasdru­ bal/Devictus et pulcher fugatis/Ille dies Latio tenebris,/Qui primus alma risit adorea,/Dirus per urbis Afer ut Italas/Ceu flamma per taedas vel Eurus/Per Siculas equitavit undas./Post hoc secundis usque laboribus/Romana pubes crevit et inpio/Vastata Poenorum tumultu/Fana deos habuere rectos. Mit dirus Afer muss nicht zwangsläufig Hannibal im Speziellen gemeint sein, da es sich auch um einen Kollektivsingular („der grausame/schreckliche Afrikaner“) handeln könnte. Vgl. Thomas 2011, 142, der zudem darauf hinweist, dass die Wendung Hannibalemque dirum in Hor. carm. 3,6,36 anzeige, dass mit dem dirus Afer vermutlich Hannibal selbst gemeint sei. Die grundsätzliche Aussage der Passage dürfte von dieser Frage freilich wenig berührt werden. Siehe Thomas 2011, 142 auch für die Übersetzung von taeda als Pinienbaum.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

römische Geschichte reflektieren. In den ersten Versen seiner Rede fasst der karthagische Feldherr die Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen in ein einprägsames Bild – die Karthager hätten agiert wie Hirsche, die Wölfe verfolgten, zu deren Beute sie nun wiederum geworden seien. Rückblickend wäre daher bereits viel damit gewonnen gewesen, wenn man den Römern verborgen geblieben wäre.715 Die folgenden Strophen verweisen auf eine Vorstellung, die bereits an anderer Stelle begegnete und zur Zeit des Horaz zum Standardrepertoire der Schilderung römischer Niederlagen gezählt haben dürfte: Ganz gleich, wie hart die Römer geschlagen werden oder wie schwer die Niederlage ist, am Ende werden sie noch stärker aus diesen Rückschlägen hervorgehen und ihre Feinde niederwerfen. Bereits bei Livius konnte beobachtet werden, dass Angehörige anderer Völker, in manchen Fällen auch Feinde Roms, diesen Gedanken formulieren, der hierdurch wohl noch eindrucksvoller erscheinen sollte.716 Die spezifische Ausformung bei Horaz verdient einen näheren Blick. Zunächst verweist Hannibal auf die troianischen Ursprünge der Römer, die gens, die tapfer vom niedergebrannten Ilion aufgebrochen sei, um ihre sacra, ihre Söhne und hochbetagten Väter nach Italien (genauer ad Ausonias urbis) zu bringen. Wie eine von einer Axt behauene Eiche schöpfe das römische Volk in bzw. durch „Niederlagen und Gemetzel“ (per damna, per caedis) „aus dem Eisen selbst“ (ab ipso ferro) Kraft und Mut.717 Es folgen drei Vergleiche zur griechischen Mythologie: Weder habe die Hydra ihren Leib im Kampf gegen Hercules wieder stärker emporgehoben – nachdem dieser einen Kopf, der direkt wieder nachwuchs, abgeschlagen hatte –, noch hätten die Kolcher oder das Theben Echions ein größeres Monster hervorgebracht.718 Dann wendet sich Hannibal in direkter Rede an einen Zuhörer.719 Auch wenn dieser das römische Volk in der Tiefe versenkt

715Hor.

carm. 4,4,49–52: Dixitque tandem perfidus Hannibal:/‚Cervi, luporum praeda rapacium,/ Sectamur ultro, quos opimus/Fallere et effugere est triumphus. 716Vgl. Syndikus 2001, 309: „[I]n der Hannibalrede ist das tragende Motiv die römische Fähigkeit, aus Niederlagen mit ungebrochener Kraft wieder aufzustehen.“ Siehe auch ebd., 311 f. Den eher knappen Verweis darauf, dass Hannibal nach der Nachricht von der Niederlage seines Bruders am Metaurus resigniert habe und geäußert habe, er kenne das Schicksal Karthagos (Liv. 27,51,12), mag man als Hinweis darauf deuten, dass es eine umfangreichere Schilderung dieser Gedanken Hannibals in Form einer direkten Rede „in der annalistischen Historiographie […] in der üblichen anekdotenhaften Weise“ gegeben habe, auf die Horaz womöglich zurückgriff (Zitat: Syndikus 2001, 311). 717Syndikus 2001, 305 erkennt in diesem Vergleich eine „wenn auch veränderte Pindarreminiszenz“, in der Horaz auf Pind. P. 4,263 f. angespielt habe. Vgl. Reckford 1960, 23. 718Hor. carm. 4,4,53–64: Gens, quae cremato fortis ab Ilio/Iactata Tuscis aequoribus sacra/Natos­ que maturosque patres/Pertulit Ausonias ad urbis,/Duris ut ilex tonsa bipennibus/Nigrae feraci frondis in Algido,/Per damna, per caedis ab ipso/Ducit opes animumque ferro./Non hydra secto corpore firmior/Vinci dolentem crevit in Herculem,/Monstrumve submisere Colchi/Maius Echioni­ aeve Thebae. 719Hor. carm. 4,4,65–68: Merses profundo, pulcrior evenit;/Luctere, multa proruet integrum/Cum laude victorem geretque/Proelia coniugibus loquenda.

5.2  Der Feind vor den Toren

371

habe, tauche es schöner (pulchrior) wieder auf, habe er es niedergerungen, werde es sich unter großem Lob wieder erheben und den (bis dahin) unversehrten Sieger zu Boden stürzen.720 Durch die Niederlage und den Tod seines Bruders Hasdrubal sei jegliche Hoffnung für Karthago verloren.721 Diesen Grundgedanken dürften die Rezipienten des Horaz vermutlich auch ohne tiefere Vorbildung bei der ersten Lektüre erfasst haben. Diejenigen, die über einen umfangreicheren Bildungsschatz verfügten, konnten sich darüber hinaus noch weitere Facetten erschließen. In der Anspielung auf das zerstörte Troia verweist Hannibal nicht nur gewissermaßen auf die erste Niederlage, die die Römer in ihrer langen Geschichte überwunden hatten, sondern auch auf die gemeinsame Vorgeschichte von Rom und Karthago mit der Begegnung von Dido und Aeneas, die in die Erbfeindschaft zwischen beiden Völkern mündete.722 Auf Aeneas wird natürlich auch in der Erwähnung der Rettung von sacra, Söhnen und hochbetagten Vätern angespielt. Denn die bildliche Darstellung des troianischen Helden Aeneas, der, seinen Vater Anchises tragend, seinen Sohn Ascanius/Iulus an der Hand führend, Troia verlässt, war ein zentrales Motiv der Ikonografie der augusteischen Zeit und eng mit der Familie des Princeps verbunden.723 Das Motiv stand dabei für die pietas, die Aeneas hier gegenüber seinem Vater und seinem Sohn zeigte – und die auch, wie oben gesehen, in der Darstellung anderer Niederlagen Roms eine zentrale Rolle dabei spielte, wenn es darum ging, beispielhaftes Verhalten in der Not zu demonstrieren.724 In der folgenden Strophe wollte der Dichter wohl durch das Bild der heftig behauenen Eiche einen Übergang vom Ende Troias zum Hannibalkrieg schaffen. Denn in der Aeneis wird der Fall Troias mit dem Fall eines­

720Hor. carm. 4,4,69–72: Carthagini iam non ego nuntios/Mittam superbos: occidit, occidit/Spes omnis et fortuna nostri/Nominis Hasdrubale interempto’. Zu diesem Gedanken vgl. Reckford 1960, 26. 721Die Interpretation der letzten Strophe der Ode ist kontrovers, da es umstritten ist, ob diese Zeilen noch zur Rede Hannibals zuzurechnen seien oder als Lobpreis des Dichters selbst zu verstehen seien (Hor. carm. 4,73–76: Nil Claudiae non perficient manus,/Quas et benigno numine Iuppiter/Defendit et curae sagaces/Expediunt per acuta belli.). Insgesamt erscheint es naheliegender, keinen Sprecherwechsel anzunehmen, da dieser hier nicht klar markiert ist. Vgl. ausführlicher Quinn 1980, 307; Syndikus 2001, 312 f. Im hier interessierenden Zusammenhang ist diese Frage von eher nachrangigem Interesse, da das Lob auf die Römer, welches Horaz Hannibal in den Mund legt, auch durch die vorangegangenen Strophen ausführlichen Ausdruck findet. 722Siehe Quinn 1980, 306: „A neat summary of the theme of Aen. 2–3 (published about five years before Odes 4, and consecrating the myth of the Trojan origin of the Romans“). Vgl. ­Thomas 2011, 145. 723Vgl. hierzu Reckford 1960, 25 f.; Zanker 1987, 204–213; Galinsky 1996, 204–206; Syndikus 2001, 312 f.; Thomas 2011, 145. 724Vgl. zu diesem Gedanken Syndikus 2001, 313. Siehe zur Bedeutung der pietas unter den vier virtutes, die auf dem clupeus virtutis genannt waren, den Augustus im Januar 27 verliehen bekommen hatte, Galinsky 1996, 86–88.

372

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Baumes verglichen.725 Die Eiche, mit der Hannibal das römische Volk vergleicht, steht jedoch nun nicht mehr in Kleinasien, sondern auf dem Algidus, einem Berg in den Albanerbergen, also in direkter Nähe zu Rom.726 Der Algidus besaß offenbar schon früh eine beträchtliche strategische Bedeutung, denn über einen nahen Pass führte die Via Latina von Rom nach Südosten. Über diesen Pass rückte Hannibals Armee im Jahr 211 an, als der karthagische Feldherr mit einem Marsch auf Rom selbst versuchte, die römischen Truppen, die Capua belagerten, von dort wegzulocken. Jedenfalls vermerkt Livius in diesem Zusammenhang, dass Hannibal vom Algidus aus gegen Tusculum vorgerückt sei.727 Die Lokalisierung der Eiche ist in diesem Zusammenhang als Hinweis auf diese größte Annäherung der karthagischen Armee an Rom zu verstehen, die ja, wie gesehen, auch bei anderer Gelegenheit als Sinnbild der ultimativen Bedrohung aufgerufen werden konnte. Der verkürzte Verweis durch ein Toponym, das mit dem Feldzug Hannibals verbunden war (in anderen Fällen etwa der Fluss Anio), konnte dabei, wie an dieser Stelle, als narrative Abbreviatur für die Situation des Jahres 211 dienen, in der Rom durch Hannibals Armee ad portas in großer Bedrohung schien. Im Gegensatz zu Troia, fällt Rom aber nun eben nicht. Hannibals Vergleich der Römer mit der Hydra wiederum stellt sicher eine Anspielung auf einen Ausspruch hin, der dem epirotischen König Pyrrhos zugeschrieben wurde, der hiermit seiner Sorge vor Roms Fähigkeit zur wiederholten Aufstellung neuer Truppen Ausdruck verliehen haben soll.728 Durch die

725Verg. Aen. 2,626–627: ac veluti summis antiquam in montibus ornum/cum ferro accisam cre­ bisque bipennibus instant. Vgl. Syndikus 2001, 309: Das tragende Motiv der Hannibalrede, nämlich „die römische Fähigkeit, aus Niederlagen mit ungebrochener Kraft wieder aufzustehen“, werde zuerst „durch die Erinnerung an das unerschütterliche Wiederbeginnen nach Trojas Fall angeschlagen, dann wird es durch das Bild einer Steineiche fortgeführt, die, ihrer Zweige beraubt, um so kräftiger neues Laub hervorsprießen läßt, wobei die Verse 59 f. die gemeinte geschichtliche Wirklichkeit klar“ durchscheinen ließen. Siehe auch Thomas 2011, 145. 726Thomas 2011, 146. Siehe zudem S. Quilici Gigli, DNP 1 (1996), 490, s. v. Algidus. 727Liv. 26,9,12 (inde Algido Tusculum petiit, …). 728Auf diesen Zusammenhang verweisen bereits Adolf Kiessling bzw. Richard Heinze in ihrem Kommentar zur Stelle, die hierin eine Anspielung auf ein „berühmtes Apophthegma des Kineas“ sehen, womit eine bei Plutarch überlieferte Episode gemeint ist, in der der Gesandte des Pyrrhos seinem König von seinen Erkundungen bei den Römern berichtet. Dabei äußert er die Befürchtung, dass diese sich im Krieg als „Lernäische Hydra“ erweisen würden, da sie in der Lage seien, stets neue Truppen aufzustellen (Kiessling/Heinze 41901, 367. Vgl. Thomas 2011, 147. Siehe Plut. Pyrrhos 19,5). Wenn Horaz hier auf einen solchen Vergleich des Kineas anspielen sollte, musste er Gelegenheit gehabt haben, diesen in einer dem Plutarch vorausgehenden Quelle zu finden. Kiessling/Heinze vermuten, dass Plutarch aus Livius schöpft, was durchaus plausibel erscheint. Kiessling/Heinze 41901, 367. Die Episode taucht später bei Flor. 1,13,19 und Cass. Dio. frg. 40,28 auf (wo allerdings jeweils Pyrrhos selbst den Vergleich zwischen den Römern und einer Hydra zieht), was es in der Tat wahrscheinlich erscheinen lässt, dass Livius sie bereits festgehalten hatte. Horaz könnte die Anregung für seinen Vergleich also dort gefunden haben, eine andere Quelle wäre natürlich ebenso denkbar. Syndikus 2001, 312 merkt an, dass es sich hierbei um einen „Gemeinplatz der Selbstdarstellung Roms in seiner Geschichtsschreibung“ gehandelt habe und

5.2  Der Feind vor den Toren

373

Verbindungen, die von karthagischer Seite aus offenbar zwischen Herakles und Hannibal gezogen wurden, ergibt sich zudem eine weitere Facette des Vergleiches.729 Die nächsten beiden Zeilen warnen vor der Widerstandskraft der römischen Legionen, die – wie die Spartoi aus den Zähnen des Drachen des Ares – aus dem Boden wachsen werden.730 Nach diesen Verweisen auf die Mythologie kehrt Hannibal zur jüngeren Geschichte zurück bzw. formuliert Feststellungen, die über eine spezifische Konstellation oder einen Krieg hinausgehen. So beschreibt er nochmals die römische Fähigkeit, sich auch nach schweren Rückschlägen wieder zu erheben und auch über solche Gegner zu triumphieren, die bis dahin noch keine Niederlage erlitten hatten (wie es nach der in der Ode zuvor geäußerten Ansicht auf die Karthager bis zur Schlacht am Metaurus zugetroffen hatte).731 Sicher werden nicht alle Adressaten des Horaz sämtliche Anspielungen und Verweise bei der ersten Lektüre erfasst und adäquat gedeutet haben. Der Grundgedanke der Passage aber, wonach Rom, unverwüstlich und durch Niederlagen und deren Überwindung eher noch gestärkt, weiter emporwachse, wird freilich auch ohne tiefere Einsichten und Kenntnisse in Mythologie und Geschichte verständlich gewesen sein. Durch ein tieferes (vielleicht aus der Diskussion mit anderen Interessierten gewonnenes) Verständnis, ließen sich diesem Gedanken gleichwohl durchaus noch Nuancen hinzufügen. Im Rahmen eines panegyrischen Textes waren anspielungsreiche Verweise auf den Hannibalkrieg passend, bei anderer Gelegenheit konnte das Gegenteil zutreffen – oder zumindest kaum weniger wort- und anspielungsreich zurückgewiesen werden. So schildert Properz im dritten Elegienbuch eine Begegnung, die er im Traum gehabt haben will.732 Der Dichter habe, „auf dem Helikon […]

weist in diesem Zusammenhang ebenfalls auf den angeblichen Auspruch des Pyrrhos hin. Die von ihm angeführten Belege stammen freilich ausschließlich von Autoren der Kaiserzeit. Inwiefern es sich, wie es Richard Thomas erwägt, bei dem Römer/Hydra-Vergleich tatsächlich um einen griechischen und karthagischen Topos handelte, der womöglich bereits in der Zeit der jeweiligen historischen Auseinandersetzung aufkam, lässt sich nur schwer ergründen. Vgl. Thomas 2011, 147: „This looks to have been a Greek and Carthaginian topos“. 729Siehe

hierzu u. a. Seibert 1993b, 184–191 (mit weiteren Hinweisen). carm. 4,4,63–64. 731Die Aussage, dass das römische Volk „schöner“ (pulchrior) wieder auftauche, mag zunächst eigenartig anmuten, weshalb manche Herausgeber Emendationen, etwa eine Änderung in fortior oder firmior, vorgeschlagen haben. Thomas 2011, 148 verweist allerdings auf ein Wortspiel, das Horaz durch die Verwendung von pulchrior möglicherweise beabsichtigt haben könnte: Der Sieger der Schlacht am Metaurus, C. Claudius Nero, der durch diesen Erfolg pulchrior als die Claudii Pulchri geworden sei. Das erscheint allerdings etwas weit hergeholt. Daher ist der Vorschlag von Kiessling/Heinze 41901, 368 bedenkenswert. Diese erwägen, dass Horaz pulcher hier in einer altertümlichen Verwendung mit einer Bedeutung im Sinne von fortis verwendet habe. 732Prop. 3,3,1–52. Mit dieser Einführung stellt sich Properz in eine bis Hesiod zurückreichende Tradition. Vgl. hierzu Heyworth/Morwood 2011, 113: „From Hesiod on, poets encounter gods and muses in the wild, and they receive inspiration in dreams: this poem sets itself in a long and glorious tradition“. In die römische Dichtung scheint Ennius den „programmatic dream“ eingeführt zu haben (siehe ebd., 113). Dessen Epos nennt Properz anschließend auch als Vorbild für die Schilderung der ‚großen Themen‘ der glorreichen römischen Vergangenheit (siehe das Zitat in der folgenden Anmerkung). 730Hor.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

im weichen Schatten“ liegend, beabsichtigt, ein Epos über die großen Helden und prägnanten Ereignisse der römischen Geschichte zu schmieden. Nach Beispielen aus der Königszeit und der frühen Republik nennt er die siegbringende, zögernde Taktik des Fabius, die schreckliche Schlacht von Cannae, wie Hannibal von den römischen Tempeln zurückgeschlagen werden konnte und die Rettung des Tempels des Iuppiter auf dem Kapitol durch das Schnattern der Gänse.733 Der Aufgabe solche Taten zu preisen sei der Dichter allerdings, seiner begrenzten Fähigkeiten wegen, keineswegs in der Lage, was ihm Phoibos Appollon und Kalliope, die ihm im Traum erscheinen, eindringlich verdeutlichen. Zudem sei von dem Verfassen eines heroischen Epos auch kein Erfolg bei Frauen zu erwarten.734 Er solle sich auch weiterhin nicht damit befassen, von Schlachten und Kriegen zu dichten, sondern von Verliebten und deren Bestreben, verheiratete Frauen über die Schwellen von deren Häusern zu locken, ohne dass die Ehemänner dessen gewahr werden – eine Kunst, auf die sich der Dichter ohnehin besser verstehe.735 Properz möchte, anders als Ennius, nicht über berühmte Schlachten und Kriege der römischen Vergangenheit dichten. Die zu Beginn des Textes gegebene dichte Aufzählung vermittelt gleichwohl einen Eindruck von denjenigen Inhalten und Themen, die einem Epos angemessen wären. Properz konnte diese bei seinen Lesern als offenbar so hinreichend bekannt voraussetzen, dass er in knappen Anspielungen auf diese verweisen konnte und dabei damit rechnete, verstanden zu werden. Das Desaster von Cannae sowie die anschließende Rettung durch eine Versöhnung der Römer mit den Göttern gehörten hierzu (pugnamque sinistram Cannensem et ver­ sos ad pia vota deos).736 Der Verweis auf Ennius bezeugt dabei ein weiteres Mal den Einfluss der Annales auf das Geschichtsbild gebildeter Römer des ersten Jahrhunderts.737 Properz war also mit all jenen Themen vertraut, doch lässt sich aus seinen Zeilen auch ein gewisser Überdruss in der Auseinandersetzung mit ihnen erkennen.738 Eine Übersicht zu den Zeugnissen für Verweise und Anspielungen auf den Hannibalkrieg in den Werken lateinischer Dichter der augusteischen Zeit ergibt zunächst, dass der Krieg gegen die Karthager für diese Dichter kein zentrales

733Prop.

3,3,1–12: Visus eram molli recubans Heliconis in umbra,/Bellerophontei qua fluit umor equi,/reges, Alba, tuos et regum facta tuorum,/tantum operis, nervis dicere posse meis,/parvaque iam magnis admoram fontibus ora,/unde pater sitiens Ennius ante bibit./et cecini Curios fratres et Horatia pila/regiaque Aemilia vecta tropaea rate,/victricesque moras Fabii pugnamque sinis­ tram/Cannensem et versos ad pia vota deos,/Hannibalemque Lares Romana ex aede fugantis,/ anseris et tutum voce fuisse Iovem. 734Prop. 3,3,13–26. 735Prop. 3,3,41–52. 736Prop. 3,3,9–10. Vgl. Heyworth/Morwood 2011, 117. 737Vgl. oben u. a. Abschn. 5.2.1.2. 738Auch dies ließ sich bereits in der Auseinandersetzung mit Zeugnissen früherer Autoren konstatieren. Siehe etwa wiederum die ironischen Verweise des Lucretius auf das Epos des Ennius (siehe oben Abschn. 5.2.3.3).

5.2  Der Feind vor den Toren

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Thema darstellte. Das Corpus erhaltener Texte ist relativ groß, Hannibal und/ oder Ereignisse aus dem Zweiten Punischen Krieg finden demgegenüber jedoch in gerade einmal einem runden halben Dutzend Passagen Erwähnung. Die Aeneis des Vergil bildet in diesem Zusammenhang zwar in gewisser Weise eine Ausnahme, weil durch die Bücher 2 und 3 insgesamt eine Beziehung zum Konflikt mit Karthago hergestellt wird, doch geschieht dies in einer Weise, die es nur in begrenztem Maße erlaubt, sie als direkte Anspielungen auf Hannibal und dessen Sieg über die Römer zu werten. Die Form des Bezugs hängt dabei vom jeweiligen Kontext ab. So konnte die Abwehr der Gallier und der Krieg gegen die Karthager, zwischen denen historisch immerhin rund fünf Generationen lagen, für Horaz und Properz in gewisser Weise auf einer Zeitebene liegen, wenn die große Distanz zur eigenen Gegenwart zum Ausdruck gebracht werden sollte. Wollte Horaz hingegen den Ruhm des Vorfahren eines Zeitgenossen ehren, konnte der Sieg am Metaurus wiederum in direktem Sinne naheliegen. Zudem ist es interessant, auf welche Ereignisse des Krieges verwiesen wird. Neben dem Sieg der Römer am Metaurus, der wohl vor allem durch die Verwandtschaft des C. Claudius Nero mit dem Stiefsohn des Augustus in den Blickpunkt geriet, ist es nicht etwa der Sieg von Zama, sondern eher die Niederlage von Cannae, die als stellvertretend für den Krieg genannt wird. Wird eine Abbreviatur für den alten Kriegsgegner benötigt, fällt die Wahl auch hier auf Hannibal. Der karthagische Feldherr blieb auf diese Weise auch in der Geschichtskultur der frühen Kaiserzeit fest verankert.

5.2.6  Denkwürdige Niederlagen – Zeugnisse der frühen Kaiserzeit Das überaus einflussreiche Werk des Livius deckte den Bedarf an umfangreichen Gesamtdarstellungen der römischen Geschichte Ab urbe condita anscheinend vorerst, sodass für die folgenden Jahrzehnte keine Nachfolger bekannt sind, die die Zeit des dritten Jahrhunderts mitsamt des Hannibalkrieges in derart ausführlicher Weise geschildert hätten, wie es Livius getan hatte.739 Die Tendenz ging offenbar eher dahin, die ältere Zeit, wenn überhaupt, kursorisch bzw. stark zusammengefasst zu behandeln, um dann in größerer zeitlicher Nähe zur eigenen Gegenwart eine ausführlichere Darstellung zu bieten. Dies trifft auch auf das einzige römische Geschichtswerk der Zeit zu, das sich in größerem Umfang erhalten hat, der sogenannten Historia Romana des Velleius Paterculus, die dieser in zwei Büchern

739Ähnlich

wie es für viele andere Epochen der antiken Geschichte der Fall ist, ist auch die Literatur der Jahrzehnte, die auf den Tod des Augustus folgten, gemessen an ihrem einstigen Umfang nur vergleichsweise spärlich überliefert. Siehe etwa die Fragmente und Testimonien, die in FRHist II, 932–1083, gesammelt sind (vgl. die dazugehörigen Einführungen in FRHist I, 486– 589). Vgl. auch die Übersicht bei Wiegand 2013, 14–26, die sich auf die Autoren beschränkt, die ihre Werke unter der Herrschaft des Tiberius verfassten. Siehe zudem Flach 31998, 166–256. Zu den Rahmenbedingungen und weiteren Tendenzen siehe von Albrecht 1994, 707–721.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

bis spätestens 30 n. Chr. verfasste.740 Die Darstellung des Zweiten Punischen Krieges fiel in die verlorenen Kapitel des ersten Buches, sodass eine detaillierte Analyse nicht mehr möglich ist.741 Angesichts der enormen Zeitspanne, die in diesem Buch abgedeckt wurde, wird man allerdings auch nicht mit einer ausführlichen Schilderung rechnen können.742 Immerhin ist klar, dass Velleius die Zerstörung Karthagos durch die Römer im Jahr 146 im Anschluss an Vorgänger, vor allem Sallust, als wichtigen Einschnitt in der römischen Geschichte ansah, von dem weitreichende Folgen ausgegangen seien, insbesondere „der Beginn der Dekadenz der römischen Republik“.743 Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend anzunehmen, dass Velleius die Zeit des Zweiten Punischen Krieges als Epoche darstellte, in der römische Tugenden und Werte zumindest weiter verbreitet waren als in den danach folgenden Generationen, was dann wohl auch in seiner Darstellung als wesentlicher Faktor präsentiert sein wird, der dabei half, die Niederlagen gegen Hannibals Armee schließlich zu überwinden. Womöglich griff er hierfür auf Livius und besonders Sallust als Quelle zurück.744 740Der

Titel Historia Romana stammt nicht aus der Antike, sondern geht auf die Editio Princeps des Beatus Rhenanus aus dem Jahr 1520/1521 zurück. Er scheint auch insofern unpassend gewählt, da es Velleius eher um einen – inhaltlich stark komprimierten – universalgeschichtlichen Ansatz ging. Siehe u. a. G. Krapinger, DNP 12/1 (2002), 1169–1172, s. v. V. Paterculus, und zu Velleius’ Werk insgesamt nun Biesinger 2016, 277–311. 741Velleius erwähnt den Krieg lediglich am Rande in seiner Übersicht über die römischen Koloniegründungen. Die Information erschöpft sich dementsprechend auch darin, dass die Römer während des Krieges nicht in der Lage gewesen seien, weitere Kolonien zu gründen (Vell. 1,14,8– 1,15,1). 742Velleius schilderte im ersten Buch seines Werkes die Zeitspanne vom Ende des troianischen Krieges bis zur Zerstörung von Karthago im Jahr 146 in 18 Kapiteln. Vgl. für eine Analyse des ersten Buches Schmitzer 2000, 37–71. 743Schmitzer 2000, 82. Siehe Vell. 2,1,1 (Potentiae Romanorum prior Scipio viam aperuerat, luxu­ riae posterior aperuit: quippe remoto Carthaginis metu sublataque imperii aemula non gradu, sed praecipiti cursu a virtute descitum, ad vitia transcursum; vetus disciplina deserta, nova inducta; in somnum a vigiliis, ab armis ad voluptates, a negotiis in otium conversa civitas.) und vgl. Sall. Catil. 10,1–2. Vgl. hierzu von Albrecht 1994, 847, der anmerkt, dass sich die „Gedankenwelt eines Autors wie Velleius […] zwar nicht durch Originalität“ auszeichne, allerdings die Möglichkeit eines Einblicks „in die Denkweise von Leuten seines Standes“ biete. Danach gliedere sich die Geschichte für Velleius in „zwei Teile: Scheitelpunkt ist (wie bei Sallust) die Zerstörung Karthagos“. Siehe hierzu ausführlicher Schmitzer 2000, 105–110. 744Siehe zu den Quellen des Velleius Paterculus von Albrecht 1994, 843 f. und siehe Schmitzer 2000, 106 („Das Geschichtsbild, das einen Sallust oder Livius geprägt hat, ist noch für Velleius bestimmend.“). Immerhin verweist Velleius auf die Tatkraft, die einer seiner Vorfahren im Zweiten Punischen Krieg auf dem kampanischen Kriegsschauplatz bewiesen habe, wofür er mit dem römischen Bürgerrecht belohnt worden sein soll (Vell. 2,16,2–3). Wiegand 2013, 128 f. verweist in diesem Zusammenhang auf den Kontext, in dem Velleius seinen Vorfahren nennt. Die Betonung der „Fortexistenz hervorragender Familien über den Systemwechsel [zwischen Republik und Prinzipat, Anm. Simon Lentzsch]“ hinaus (ebd., 128), die bereits in alter Zeit im Dienste der res publica standen, habe implizieren sollen, dass sich diese nach wie vor in „guten Händen“ befunden habe. Damit wollte Velleius sicher nicht andeuten, dass seine Familie mit derjenigen des Tiberius auf einer Stufe stände, sondern in der Tat wohl eher, dass „nicht nur die Anführer“, sondern „auch die tüchtigen und loyalen Gefolgsleute […] dieselben geblieben“ (ebd., 129) seien.

5.2  Der Feind vor den Toren

377

In der Sammlung des Valerius Maximus nehmen Personen, Taten und Ereignisse, die mit dem Zweiten Punischen Krieg in Verbindung stehen, wiederum breiten Raum ein.745 Das Ereignis, das hierbei mit deutlichem Abstand am häufigsten genannt wird, ist die Schlacht von Cannae, die in dieser Rangfolge also auch vor den großen siegreichen Schlachten der Römer im Zweiten Punischen Krieg rangiert. Auf den römischen Sieg im Krieg wird allerdings in eher allgemeiner Form verwiesen, wenn es um die Taten des älteren Africanus geht, der wiederum die am häufigsten namentlich genannte Person in der Sammlung des Valerius ist.746 Denn auch wenn in einer Reihe dieser Passagen Stationen seiner Laufbahn auf dem italischen oder spanischen Kriegsschauplatz im Mittelpunkt stehen, wird man wohl davon ausgehen dürfen, dass Scipios Triumph bei Zama über die Karthager als seine bekannteste Tat galt, sodass die Erinnerung an diesen Sieg mit Sicherheit bei jeder Erwähnung des älteren Africanus stets mitschwang.747 Valerius sah es offenbar nicht als notwendig an, den Namen der letzten Schlacht des Zweiten Punischen Krieges in diesem Zusammenhang explizit zu erwähnen, denn das Toponym Zama taucht in Valerius’ Text an keiner Stelle auf. In Hinsicht auf die Schlacht von Cannae wird man ebenfalls davon ausgehen dürfen, dass auch in solchen Passagen, in denen der Name des Ortes nicht explizit fällt, sondern eher allgemein die Not der Römer oder die Zerstörungen, die Hannibals Feldzug in Italien angerichtet hatte, erwähnt ­werden, der Gedanke an die Niederlagen stets mitschwang.748 Neben solchen Passagen lassen sich insgesamt über 20 Erwähnungen im Text finden, in denen Cannae explizit erwähnt wird.749 Schon eine erste Durchsicht der Stellen zeigt, dass Valerius ganz unterschiedliche Aspekte der Überlieferung der Schlacht aufgegriffen hat, sodass die exempla, die mit Cannae verbunden werden, verschiedene Stoßrichtungen aufweisen. In vier Passagen dienen Konstellationen, die eng mit Cannae verbunden sind, dazu, die constantia der Römer auch und gerade unter widrigsten Umständen aufzuzeigen. Wie bei Livius ist es vor allem der Senat, der, durch sein aufrechtes und der schwierigen Situation angemessenes Handeln, dem übrigen Volk – und Valerius’

745Vgl.

u. a. die Übersicht bei Carney 1962, 289, Anm. 2.

746Siehe

Carney 1962, 289, Anm. 2: Scipio Africanus kommt auf 46 Nennungen. Vgl. Bloomer 1992, 150 („Valerius’ all-time favorite Scipio Africanus the Elder“). 747In diesem Zusammenhang ist zudem zu beachten, dass Valerius den Fall Karthagos bereits für das Jahr 201 ansetzt. Eine grundlegende Unterscheidung zwischen Zweitem und Drittem Punischen Krieg scheint für ihn keine Rolle gespielt zu haben (siehe Weileder 1998, 193). Vor dem Hintergrund eines solchen Geschichtsverständnisses ist es nachvollziehbar, dass die Schlacht von Zama an relativer Bedeutung verlor und der Fokus stattdessen auf den endgültigen Sieg über Karthago und die Eroberung „Afrikas“ gerichtet wurde (vgl. Weileder 1998, 192: „Vom Fortbestand der, wenn auch eingeschränkten, Herrschaft Karthagos und der Existenz eines, wenn auch mit Rom verbündeten Königreiches Numidien unter Massinissa erwähnt Valerius an diesen Stellen nichts, […].“). 748Siehe etwa Val. Max. 5,6,8. 749Val. Max. 1,1,15; 1,1,16; 2,7,15c; 2,7,15e; 2,9,8; 3,2,11; 3,4,4; 3,7,ext. 6; 3,7,10b; 3,8,2; 4,8,2; 4,5,2; 5,1,ext. 6; 5,6,4; 5,6,7; 6,4,1a; 6,6,ext. 2; 7,2,ext. 16; 7,4,ext. 2; 7,6,1b; 9,5,ext. 3; 9,11,ext. 4.

378

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Publikum – ein Beispiel bietet. Die Episoden sind dabei bereits aus dem livianischen Werk und der übrigen Überlieferung bekannt. So habe der Senat nach Cannae die Trauerzeit der römischen Frauen begrenzt, um zu ermöglichen, dass diese die Riten für die Göttin Ceres durchführen konnten. Diese vorbildliche Beständigkeit im Festhalten an ihren religiösen Verpflichtungen, die die Römer dabei gezeigt hätten, habe dann schließlich auch die Götter dazu gebracht, sie nicht weiter zu plagen.750 Bei anderer Gelegenheit wird der Senat dafür gelobt, dass er direkt nach Cannae, als die Macht der Römer in Italien so schwer getroffen worden war, dennoch Truppen nach Spanien gesandt hatte, um die Feldherren dort zu unterstützen.751 Die Römer hätten also auch in dieser schwierigen Situation weiterhin fest an den Sieg geglaubt und hätten ihre Pläne unbeirrt weiter verfolgt. Auf diese Weise, so suggeriert Valerius hätten sie die ihnen gegenüber „feindliche Macht Fortuna überwunden“, sich also aus eigener Kraft aus der Not befreit. Die virtus erweist sich in Beispielen wie diesen der fortuna überlegen. Anders gesagt: Die Römer nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand.752 In der zitierten Passage verweist Valerius nicht nur auf die Entsendung von Truppen nach Spanien, sondern auch auf den Umstand, dass der Senat dafür gesorgt hätte, dass die Grundstücke nahe der Porta Capena, auf denen Hannibal bei seiner Annäherung an die Stadt sein Heerlager aufgeschlagen hatte, zum üblichen Preis gehandelt worden seien. Da Hannibal bekanntlich nach Cannae nicht auf Rom marschiert ist, kann diese Episode nur in den Kontext der Annäherung des karthagischen Heeres an die Hauptstadt im Jahr 211 gehören.753 In zwei anderen Stellen stehen herausragende Vertreter des Senats im Mittelpunkt. Dies ist zum einen Q. Fabius Maximus, der nach Cannae durch seine Beharrlichkeit, die sich in seiner cunctatio-Strategie niedergeschlagen habe, maßgeblich zum Sieg über die Karthager beigetragen habe. Diese war ja, wie gesehen, spätestens seit Ennius in einem weiten Spektrum von Medien der römischen Geschichtskultur als

750Val.

Max. 1,1,15: qua quidem constantia obtinendae religionis magnus caelestibus iniectus est rubor ulterius adversus eam saeviendi gentem quae ne iniuriarum quidem acerbitate ab eorum cultu absterreri potuerit.Vgl. Weileder 1998, 162. 751Val. Max. 3,7,10b: Idem post aliquot annos, Cannensi clade exhaustis Romani imperii viri­ bus, supplementum in Hispaniam exercitu mittere ausus, fecit ne locus hostilium castrorum, tum maxime Capenam portam armis Hannibale pulsante, minoris veniret quam si illum Poeni non obtinerent. ita se gerere in adversis rebus quid aliud est quam saevientem Fortunam in adiutorium sui pudore victam convertere? 752Vgl. Weileder 1998, 161 (Zitat), der die Stelle vor dem Hintergrund einer weiter ausgreifenden Kontroverse deutet, die bereits in der Antike immer wieder diskutiert wurde, nämlich der Frage nach den Ursachen des militärischen und politischen Erfolges der Römer. Nach der Sichtweise des Valerius, der diese mit zahlreichen weiteren römischen Autoren teilt, waren es vor allem die als typisch römisch angesehenen virtutes, die diesen Erfolg herbeigeführt hatten. Griechen, die „Rom gegenüber kritisch“ (Weileder 1998, 161) eingestellt waren, hätten demgegenüber die Gunst der Fortuna als Ursache des römischen Aufstieges betont (siehe ausführlich Weileder 1998, 161 f.). 753Tatsächlich sind beide Beschlüsse des Senates, also sowohl die Entsendung von Verstärkungen nach Spanien als auch die Entscheidung zu den Grundstückspreisen, bei Livius im Bericht der Ereignisse des Jahres 211 zu finden (Liv. 26,11,6–7).

5.2  Der Feind vor den Toren

379

die Strategie gefeiert worden, die die Römer nach der Schlacht am Trasimenischen See vor der Vernichtung bewahrt habe.754 Zum anderen führt Valerius eine Rede des T. Manlius Torquatus als exemplum an, in der dieser den Senat davon abgehalten habe, den Kampanern jährlich eine der beiden Konsulatsstellen zu gewähren, was diese nach der Schlacht von Cannae als Bedingung für ihr Verbleiben an der Seite Roms gefordert haben sollen.755 Der Abfall Capuas, das bei Valerius insgesamt sehr negativ dargestellt wird, ist auch in anderen Passagen ein wichtiges Thema. Dabei führt Valerius die kampanische Stadt als ‚Musterbeispiel‘ für treuloses Verhalten und Verrat an den eigenen Verbündeten an. In diesem Zusammenhang werden mitunter sowohl die prekäre Situation nach Cannae betont, in der die verräterischen Kampaner abgefallen waren, wie auch das treue Ausharren anderer Verbündeter, wie etwa der Garnison von Petelia, die den Tod einer Kapitulation vorgezogen habe.756 Als weitere Beispiele für das Festhalten an Prinzipien in der Zeit größter Bed­ rohung finden sich bei Valerius zudem, miteinander eng verbunden, Hinweise auf das Abweisen der Gesandten der Cannae-Gefangenen durch den Senat sowie die Ablehnung des Gnadengesuchs, das Angehörige der legiones Cannenses über M. Claudius Marcellus an den Senat herangetragen haben sollen.757 An zwei Stellen greift Valerius außerdem die Episode um die fluchtwilligen Militärtribunen, die sich nach Cannae in Canusium um M. Metellus geschart hatten, heraus. Anhand dieser Passage hebt Valerius die harte Degradierung der Fast-Fahnenflüchtigen durch die Zensoren bzw. das entschlossene Auftreten des Scipio hervor, der die Flucht verhindern konnte, um so ein weiteres Mal ein Beispiel für verlässliche Pflichterfüllung zu bieten. Das Verhalten der zur Flucht Entschlossenen dient dabei gleichzeitig als negatives Beispiel, vor dessen Hintergrund sich das vorbildliche Agieren der Zensoren und des Scipio, das sich demnach besonders in deren Treue (fides) zur res publica manifestiert, noch deutlicher zeigen lässt. Wie bereits oben erwähnt, nutzt Valerius dies auch für einen Verweis auf das Verhalten des M. Atilius Regulus im Ersten Punischen Krieg. Auch hier wird das unwürdige Agieren von verschiedenen Gruppen von Römern nach Cannae mit dem moralisch vorbildlichen Betragen des M. Atilius Regulus ­kontrastiert.758

754Val.

Max. 3,8,2. Vgl. etwa oben Abschn. 5.2.1.2. Max. 6,4,1a (Civitate nostra Cannensi clade perculsa, …). Vgl. Weileder 1998, 180 f. 756Val. Max. 6,6,ext. 2. 757Val. Max. 2,7,15c (Gnadengesuch von Mitgliedern der legiones Cannenses wird abgelehnt); 2,7,15e (Senat weist Abgesandte der Soldaten, die bei Cannae in Gefangenschaft geraten waren, zurück). 758Val. Max. 2,9,8 (zur Bestrafung der Deserteure und Fluchtwilligen durch die Zensoren: Tur­ pis etiam metus censores summa cum severitate poenam exegerunt: M. enim Atilius Regulus et L. Furius Philus M. Metellum quaestorem compluresque equites Romanos, qui post infeliciter commissam Cannensem pugnam cum eo abituros se Italia iuraverant, dereptis equis publicis inter aerarios referendos curaverunt. eos que gravi nota adfecerunt qui cum in potesta­ tem Hannibalis venissent, legati ab eo missi ad senatum de permutandis captivis neque impe­ trato quod petebant, in urbe manserunt, quia et Romano sanguini fidem praestare conveniens erat M. Atilius Regulus censor perfidiam notabat, cuius pater per summos cruciatus exspirare 755Val.

380

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Mit einer anderen gedanklichen Stoßrichtung weiß Valerius von den außergewöhnlichen Maßnahmen zu berichten, die der Senat bzw. der Dictator M. Iunius Pera nach Cannae eingeleitet hatten, um rasch neue Truppen gegen die Karthager ins Feld führen zu können. So erwähnt er die Rekrutierung von 24.000 Sklaven und von 6000 verurteilten Straftätern sowie deren Ausrüstung mit Beutewaffen aus Tempeln als Beleg dafür, dass in Notzeiten solche Maßnahmen zu rechtfertigen seien, die unter normalen Umständen beschämend wären.759 Ohne explizite Nennung des Namens Cannaes, jedoch in deutlichem Zusammenhang, nennt Valerius die Bereitschaft vermögender römischer Bürger, ihre Reichtümer für die Rettung der res publica zur Verfügung zu stellen.760 An anderer Stelle hebt er die Freigiebigkeit des Q. Fabius Maximus hervor, der aus seinem Privatvermögen das Lösegeld für gefangene römische Soldaten an Hannibal gezahlt habe.761 Der wichtige römische Sieg am Metaurus sei erst durch die Versöhnung der beiden verfeindeten Konsuln, C. Claudius Nero und M. Livius Salinator, ermöglicht worden, die ihre persönliche Fehde beigelegt hätten, um dann die Karthager in der entscheidenden Schlacht zu besiegen.762 In diesem exemplum scheint das Motiv der Eintracht durch, die für den Sieg der Römer unabdingbar sei – ein Gedanke, der ja bereits in früheren Darstellungen und Deutungen des Krieges (besonders Livius) eine wichtige Rolle gespielt hatte.763 Indirekt wird damit auch eine Erklärung für die vorherigen Niederlagen des Krieges angedeutet. Als explizite Erklärungen für die größte Niederlage des Krieges in der Schlacht von Cannae werden entweder die punische Hinterlist, die Hannibal ins Werk gesetzt habe, das Wirken des Schicksals oder das fatale Handeln des C. Terentius

quam fallere Carthaginienses satius esse duxerat. iam haec censura ex foro in castra trans­ cendit, quae neque timeri neque decipi voluit hostem.). Im Gegensatz zu Livius, der in der entsprechenden Passage (Liv. 24,18,1–15) die Namen der Zensoren nicht nennt, stellt Valerius hier eine Verbindung des einen Zensors des Jahres 214, M. Atilius Regulus, zu dessen Vater, dem gleichnamigen Konsul des Jahres 256, und dessen in der römischen Tradition als vorbildlich gerühmten Verhalten als Gefangener der Karthager her. Vgl. Weileder 1998, 57. Siehe zudem Val. Max. 5,6,7 (Auftreten Scipios nach der Schlacht von Cannae). Vgl. Stellen, in denen Valerius Maximus auf das Beispiel des M. Atilus Regulus im Ersten Punischen Krieg Bezug nimmt, oben Abschn. 5.1.5. 759Val. Max. 7,6,1. Derartige besondere Umstände, die in anderen Konstellationen abzulehnendes Verhalten entschuldigen, sind Valerius Maximus’ Thema in dem gesamten betreffenden Kapitel seiner Sammlung und stellen ein Beispiel für die besondere Bedeutung des jeweiligen Kontextes dar, die für die jeweilige moralische Bewertung eines exemplum zu berücksichtigen ist. Siehe hierzu Langlands 2011, bes. 119. Auch das Verhalten der Bewohner der Verbündeten in Casilinum, die sich unter der Not der karthagischen Belagerung dazu entschließen, von ihren Schilden abgetrennte Lederstreifen zu kochen und zu verspeisen, das direkt anschließend (in Val. Max. 7,6,2) geschildert wird, lässt sich in dieser Weise deuten. 760Val. Max. 5,6,8. 761Val. Max. 4,8,2. 762Val. Max. 4,2,2. Vgl. zur Stelle Weileder 1998, 179, Anm. 357. 763Vgl. oben Abschn. 5.2.5.1.

5.2  Der Feind vor den Toren

381

Varro genannt, wobei verschiedene Faktoren auch innerhalb eines exemplums in Kombination erscheinen können.764 Im letzteren Zusammenhang notiert Valerius eine Episode, die hier zuerst überliefert ist, nach der Varro als Aedil im Rahmen der ludi circensis einen Schauspieler in der Rolle des Iuppiter Optimus Maximus habe auftreten lassen. Dies habe die Götter derart erzürnt, dass sie die Katastrophe von Cannae über den Konsul und das römische Volk brachten.765 Die niedrigen Verhältnisse, aus denen Varro angeblich kam, überliefert auch Valerius, der darüber hinaus davon zu berichten weiß, dass der Senat Varro nach Cannae die Dictatur angetragen habe, die dieser allerdings in lobenswerter Bescheidenheit abgelehnt habe.766 Im engeren Sinne militärische Tugend, nämlich Tapferkeit, hätte wiederum der römische Soldat bewiesen, der sich im Kampf bei Cannae mit den Zähnen in seinen numidischen Gegner verbissen hatte und auf diese Weise selbst seinen Tod gerächt habe, als sein Gegner die Rüstung des vermeintlich toten Römers an sich nehmen wollte.767 An drei Stellen wird Cannae eher aus der Perspektive der Karthager heraus erwähnt. So sei es ein Fehler der karthagischen Seite gewesen, nach Cannae keinen Frieden mit den Römern geschlossen zu haben.768 Generell stelle die Schlacht den

764Schuld des Konsuls Varro: Val. Max. 1,1,16; 3,4,4; 4,5,2. Hinterlist der Karthager: Val. Max. 7,4,ext. 2 (siehe hier bes.: haec fuit Punica fortitudo, dolis et insidiis et fallacia instructa. quae nunc certissima circumventae virtutis nostrae excusatio est, quoniam decepti magis quam victi sumus). Vgl. dazu Weileder 1998, 55–57. Wirken der Fortuna, die es erst ermöglichte, dass Varro zu seinem fatalen Konsulat gelangte: Val. Max. 3,4,4. 765Val. Max. 1,1,16: creditum est Varronem consulem apud Cannas cum Carthaginiensibus tam infeliciter dimicasse ob iram Iunonis, quod cum ludos circenses aedilis faceret, in Iovis Optimi Maximi tensa eximia facie puerum histrionem ad exuvias tenendas posuisset. quod factum, post aliquot annos memoria repetitum, sacrificiis expiatum est. 766Die Schuld Varros an der Niederlage wird auch in dieser Passage deutlich hervorgehoben. Val. Max. 4,5,2: Confregit rem publicam Terentius Varro Cannensis pugnae temerario ingressu. idem delatam ab universo senatu et populo dictaturam recipere non sustinendo pudore culpam maxi­ mae cladis redemit, effecitque ut acies deorum irae, modestia ipsius moribus imputaretur. itaque titulo imaginis eius speciosius non recepta dictatura quam aliorum gesta adscribi potest. 767Val. Max. 3,2,11 (Eiusdem temporis et notae miles qui Cannensi proelio, quo Hannibal magis vires Romanorum contudit quam animos fregit, cum ad retinenda arma inutiles vulneribus manus haberet, spoliare se conantis Numidae cervicem complexus os naribus et auribus corro­ sis deforme reddidit, inque plenis ultionis morsibus exspiravit. sepone iniquum pugnae eventum, quantum interfectore fortior interfectus! Poenus enim in victoria obnoxius morientis solacio fuit, Romanus in ipso fine vitae vindex sui exstitit.). Die Szene findet sich auch bereits bei Livius (Liv. 22,51,9). Ein Unterschied zwischen beiden Schilderungen liegt darin, dass es bei Livius den Anschein hat, dass der Römer sich im Verlauf der eigentlichen Schlacht in seinen Gegner verbissen hatte, während Valerius ausdrücklich festhält, dass der vermeintlich Gefallene auf diese Weise einen Gegner attackierte, der nach der Schlacht seine Ausrüstung an sich nehmen wollte. Vgl. Weileder 1998, 235, der hierin eine besondere „Diskreditierung des Gegners“ vermutet. Ein Fehler des Valerius bei der Übertragung seiner Quelle wäre ebenfalls denkbar, doch scheint eine bewusste Änderung seitens des Valerius mindestens ebenso plausibel. In jedem Fall dient die Episode als Beispiel für die Tapferkeit des römischen Soldaten, der sich, ohne Waffen und kurz vor seinem Ableben, noch aufrafft, um den vermeintlichen Sieger mit in den Tod zu reißen. 768Val. Max. 7,2,ext. 16.

382

5  Die römisch-karthagischen Kriege

berühmtesten Sieg der Karthager überhaupt dar und diene gemeinsam mit den anderen Siegen Hannibals in Italien als Beweis für die überragende Feldherrenkunst des karthagischen Heerführers.769 Zudem hat Valerius auch die Episode um den karthagischen Reiterführer Maharbal und dessen Angebot an Hannibal, nach Rom vorauszureiten und die Hauptstadt des Gegners im Sturm einzunehmen, die offenbar ja bereits in den Origines des Cato Maior zu finden war, in seine Sammlung aufgenommen. In der Version des Valerius erhält die Episode insofern einen neuen Akzent, als dass hier die vermeintliche Arroganz des Hannibal im Vordergrund steht. Der karthagische Feldherr sei, durch seinen Sieg bei Cannae in große Freude versetzt, für jegliche Meinungsäußerung seiner Untergebenen buchstäblich unerreichbar gewesen. Glück (in der Schlacht) und Mäßigung (moderatio) seien – so die Botschaft – schwer zu vereinen.770 Die in anderen Versionen dieser Episode betonte Dramatik, die dort durch den Hinweis auf die äußerste Bedrohung Roms erzeugt wird, tritt hier zugunsten dieses Aspektes zurück. In einem eher losen Zusammenhang zu Cannae steht schließlich die Notiz, dass ein Erfolg des Praetorianerpräfekten Seianus für das römische Reich derart negative Auswirkungen wie die schlimmsten Niederlagen der eigenen Geschichte gehabt hätte – genannt werden die Schlacht an der Allia, die am Trasimenischen See, bei Cannae, der Untergang der Scipionen in Spanien sowie die Bürgerkriege –, womit diese Bemerkung letztlich ein weiteres Beispiel für das bereits aus früheren Zusammenhängen bekannte Vorgehen (Cicero gegen Antonius) bietet, die Gefährlichkeit und moralische Verderbnis innerrömischer Gegner mit deren Gleichsetzung mit äußeren Feinden zu unterstreichen.771 Die weiteren römischen Niederlagen des Zweiten Punischen Krieges, von denen in der zuletzt erwähnten Stelle einige genannt werden, treten allgemein gegenüber Cannae in der Sammlung des Valerius weit in den Hintergrund. Die Schlacht am Trasimenischen See wird, neben der Passage aus dem Seianus-exemplum, noch in vier weiteren Zusammenhängen explizit erwähnt. In einer davon wird die auch aus anderen Quellen bekannte Erklärung für die Niederlage angeführt, die in der Missachtung der Prodigien durch C. Flaminius zu finden sei. Sowohl als Beispiel für Treue eines alten Verbündeten als auch für die römische Prinzipienfestigkeit in Niederlagen dient der Verweis auf die Geschenke, die Hieron II. von Syrakus den Römern nach dem Trasimenischen See zukommen ließ. Hieron sei bewusst gewesen, dass die Römer aufgrund ihrer verecundia die Sendung von Gold abgelehnt hätten, wenn er dieses nicht in Form eines Weihgeschenkes gesandt hätte.772 Erwähnung finden

769Val.

Max. 3,7,ext. 6 (Punicae victoriae clarissimum monumentum). Max. 9,5,ext. 3 (Hannibal autem Cannensis pugnae successu elatus nec admisit quemquam civium suorum [in] castris nec responsum ulli nisi per interpretem dedit. Maharbalem etiam, ante tabernaculum suum clara voce adfirmantem prospexisse quonam modo paucis diebus Romae in Capitolio cenaret, aspernatus est. adeo felicitatis et moderationis dividuum contubernium est.). 771Val. Max. 9,11,ext. 4. 772Val. Max. 4,8,ext. 1. Das Weihgeschenk hatte die Gestalt einer Victoria-Statue, was sicher eine Botschaft der Zuversicht und Unterstützung an die Verbündeten in Rom geben sollte. Vgl. hierzu oben Abschn. 5.2.1.1. Im weiteren Zusammenhang zur Schlacht am Trasimenischen See findet sich auch eine Anekdote über die Mutter eines Soldaten, die angenommen habe, dass ihr Sohn in der Schlacht gefallen wäre. Als er wider Erwarten nach Rom zurückgekehrt sei, sei sie vor Glück auf der Stelle gestorben (Val. Max. 9,12,2). 770Val.

5.2  Der Feind vor den Toren

383

an jeweils einer Stelle die Niederlage am Ticinus sowie der Tod des Ti. Sempronius Gracchus im Hinterhalt, und an zwei Stellen derjenige des Marcellus. Dieser habe, so wird bei einer Gelegenheit angemerkt, dem eigenen Land insgesamt Nutzen und Schaden in gleichem Maße eingebracht.773 An zwei Stellen erwähnt Valerius den Tod der beiden Scipionenbrüder in Spanien, um bei einer dieser beiden Gelegenheiten die Tatkraft des L. Marcius hervorzuheben.774 Der anderen der beiden Passagen ist zu entnehmen, dass nach dem Tod der Scipionen die spanische Stadt Sagunt gefallen sei. Diese grobe Verzerrung der tatsächlichen Chronologie lenkt den Blick auf eine generelle Eigenart der Sammlung, die für deren Verständnis zu berücksichtigen ist.775 Denn Valerius geht es selten um chronologische Präzsion, und auch in anderer Hinsicht können sich verschiedene Beispiele, die sich auf ein Ereignis beziehen, in Hinsicht auf Inhalt und Aussage teilweise widersprechen.776 So wird in beiden

773Val.

Max. 1,6,9 (ita monitus M. Marcellus ne quid temere conaretur, insequenti nocte specu­ landi gratia cum paucis egredi ausus, a multitudine hostium in Brutiis circumventus aeque mag­ num dolorem ac detrimentum patriae interitu suo attulit); 5,4,2 (Niederlage am Ticinus). Den Tod des Marcellus, wie auch den des Ti. Sempronius Gracchus, erwähnt Valerius in einer Übersicht über die im Krieg gefallenen Feldherren, deren sterbliche Überreste Hannibal habe suchen lassen, was ein Zeichen seiner Milde gewesen sei (Val. Max. 5,1,ext. 6). 774Val. Max. 6,6,ext. 1; 8,15,11 (Sed nescio an praecipuum L. Marci inusitati decoris exem­ plum, quem equitem Romanum duo exercitus, P. et. Cn. Scipionum interitu victoriaque Hanni­ balis lacerati, ducem legerunt, quo tempore salus eorum in ultimas angustias deducta nullum ambitioni locum relinquebat). 775Val. Max. 6,6,ext. 1 (Post duorum in Hispania Scipionum totidemque Romani sanguinis exercituum miserabilem stragem, Saguntini victricibus Hannibalis armis intra moenia urbis suae conpulsi, […]). Auch in der Aufzählung schwerer Niederlagen der römischen Vergangenheit (Val. Max. 9,11,ext. 4) steht die Niederlage der Scipionen vor den Schlachten am Trasimenischen See und der bei Cannae, jedoch nach dem Untergang der Fabier an der Cremera und der ‚Gallischen Katastrophe‘, auf die gleich zweimal verwiesen wird, was den Eindruck einer chronologischen Auflistung erweckt (urbem a Gallis captam, e trecentorum inclitae gentis viro­ rum strage foedatum Alliensem diem, et oppressos in Hispania Scipio­ nes et Trasumennum lacum et Cannas, […]). Mit diesem Hinweis zu Recht Weileder 1998, 190, Anm. 431. Weileder (ebd., 190 f.) deutet diese Umkehrung der tatsächlichen Chronologie dahin gehend, dass nach dem Geschichtsbild des Valerius Spanien schon vor dem Zweiten Punischen Krieg fest zum römischen Reich gehört habe, weshalb erst die Scipionen unterliegen mussten, damit Hannibal dann Sagunt attackieren konnte. 776Neben

der bereits erwähnten falschen Chronologie der Ereignisse in Spanien (Tod der Scipionen vor dem Fall Sagunts) wird T. Manlius Torquatus, dessen Rede nach Cannae ausschlaggebend für die Abweisung des Gesuches der Cannae-Gefangenen gewesen sein soll, und der verhindert habe, dass die Forderungen der Kampaner auf einen Konsulatsposten im Senat Gehör fanden, als Sohn des T. Manlius Imperiosus Torquatus bezeichnet (Val. Max. 6,4,1), was nicht zutreffend ist. In der Tat wird von Livius eine ganz ähnliche Episode für den Kontext des Latinerkrieges für das Jahr 340 berichtet (Liv. 8,5,1–6,7), in der ebenjener Imperiosus Torquatus eine Forderung der Kampaner nach einer der beiden Konsulstellen ablehnte. Die Zurückweisung des Ansinnens der Kampaner nach Cannae berichtet Livius auch für das Jahr 216 (Liv. 23,6,6– 8), allerdings ohne Auftritt des Torquatus. Die Ähnlichkeit beider Episoden war bereits Livius aufgefallen, der daher auch Zweifel an der Authentizität der zweiten äußert. Für die Intention des Valerius waren diese quellenkritischen Überlegungen freilich ohne Belang.

384

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Stellen zum Untergang der Scipionen Hannibal als Gegner der Römer in Spanien genannt, obwohl zu dieser Zeit sein Bruder Hasdrubal den Oberbefehl über die karthagischen Truppen dort innehatte. Hasdrubal wiederum wird zwar an vier Stellen in den Facta et dicta erwähnt, allerdings ausschließlich in Zusammenhang mit dem römischen Sieg am Metaurus.777 Valerius Sammlung muss allerdings den Eindruck erwecken, dass allein Hannibal den Römern auf sämtlichen Kriegsschauplätzen entgegengetreten sei. Den exempla des Valerius nach war der Krieg gegen Karthago also vor allem ein Krieg gegen Hannibal. Der besondere Status, den dieser unter den Gegnern Roms einnahm, wird noch dadurch untermauert, dass generell kein anderer feindlicher Feldherr der römischen Geschichte auch nur annähernd so häufig namentlich erwähnt wird.778 Auf chronologisch oder historisch exakte Angaben kam es Valerius Maximus und seinen Rezipienten allerdings in der Regel wohl auch nicht an.779 Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den in den Facta et Dicta gesammelten Beispielen wahrscheinlich zumindest auch um solche handelte, die in römischen Rhetorikschulen unterrichtet wurden, ergeben sich dennoch interessante Einblicke. Zunächst war der Krieg gegen die Karthager vor allem offenbar ein Krieg gegen Hannibal, der in den von Valerius gesammelten exempla auch in solchen Situationen die karthagischen Heere anführt, in deren historischem Kontext er überhaupt nicht zugegen war, wie, besonders deutlich, auf dem spanischen Kriegsschauplatz. In den zahlreichen Stellen, in denen sein Name genannt wird, wird die ganze Bandbreite der Eigenschaften, die ihm auch in anderen Quellen zugeschrieben wurde, aufgerufen. In quantitativer Gewichtung aufsteigend sind dies: seine überragenden Fähigkeiten als Feldherr, seine Grausamkeit sowie seine für einen Punier typische Hinterlist, dank derer die Karthager auch überhaupt erst bei Cannae über die Römer triumphieren konnten. An zahlreichen Stellen dient der Name Hannibals wiederum in erster Linie zur Bezeichnung des Gegners, ohne dass damit eine tiefere Bedeutung verbunden zu sein scheint. Die aus Ciceros Reden und Briefen bekannte Gleichsetzung innerrömischer Feinde mit Hannibal lässt sich nicht nur an der bereits erwähnten Seianus-Stelle beobachten, sondern auch andernorts, wo Sulla an Grausamkeit mit Hannibal auf eine Stufe gestellt wird. Dies ist vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die „Zeit Sullas“ in Valerius’ Werk „zur schlimmsten der römischen Geschichte stilisiert wird“.780

777Val.

Max. 3,7,4; 4,1,9; 7,4,4; 9,3,1. Carney 1962, 289, Anm. 2. In der Rangliste der namentlichen Erwähnung von einzelnen Personen teilt sich Hannibal mit Caesar und Pompeius den zweiten Rang hinter dem älteren Africanus. Unter den Gegners Roms, die namentlich genannt werden, folgt – mit deutlichem Abstand – Pyrrhos von Epirus auf dem zweiten Rang. 779Vgl. oben zu Charakter und Ausrichtung des Werkes (Abschn. 2.2). 780Vgl. Wiegand 2013, 174 (Zitat). Erwähnungen Hannibals in den Facta et dicta: Hannibal als ein umsichtiger und fähiger Feldherr (Val. Max. 9,5,ext. 3). Hannibals Grausamkeit (Val. 9,2,1 [Vergleich mit Sulla]; 9,2,ext. 2; 9,8,ext. 1). Hannibals Kriegslisten (Val. Max. 1,6,9; 7,3,ext. 8; 7,4,ext. 2; 9,6,ext. 2). Siehe außerdem: Val. Max. 1,7,ext. 1 (Hannibals Traum, den er vor seinem Marsch nach Italien geträumt haben soll); 2,7,ext. 15e (Senat lehnt Freikauf von Gefangenen nach Cannae ab); 3,2,20 (römische Tapferkeit habe Hannibals Truppen aus Capua vertrieben); 778Vgl.

5.2  Der Feind vor den Toren

385

Die Erklärungen für die Niederlagen bewegen sich ebenfalls in dem bereits aus der früheren Überlieferung bekannten Rahmen. In eher geringer Häufigkeit wird die Missachtung von Prodigien genannt, was wohl vor allem damit zusammenhängen dürfte, dass die Schlacht am Trasimenischen See, deren unglücklicher Ausgang bereits in der früheren Überlieferung in besonderem Maße auf solche Missachtung zurückgeführt wurde, nur selten im Mittelpunkt der von Valerius gesammelten Beispiele steht.781 Denn auf das gesamte Werk bezogen spielt das Verhältnis der Römer zu den Göttern eine prominente Rolle.782 Werden Gründe für die Niederlage bei Cannae genannt, liegen diese entweder im Verhalten des Varro, wobei dessen angebliche Fehler im Detail wiederum nur selten erläutert werden.783 Offenbar war sein Name in ausreichendem Maße mit der Schuld an der Niederlage verbunden, sodass sich eine genauere Erklärung erübrigte. An anderer

3,7,1d (Scipio gestattet es den Boten Hannibals, das römische Lager in Augenschein zu nehmen); 3,8,1 (Fulvius Flaccus lässt Gefangene, die er in Capua gemacht hatte, hinrichten, da sie zu Hannibal übergelaufen waren); 5,1, ext. 5 (ebenfalls Bezug auf den Abfall Capuas); 4,1,6b (Scipio verteidigt Hannibal nach dem Krieg gegen Anklagen anderer Karthager); 4,1,7 (Marcellus als erster Römer, der Hannibal besiegen konnte); 4,8,1 (Q. Fabius Maximus kauft Hannibal römische Gefangene auf eigene Kosten ab); 5,1,ext. 5; 5,1,ext. 6 (Hannibal lässt nach den Leichnamen der im Kampf gefallenen römischen Feldherren suchen); 5,2,4 (Fabius rettet Minucius im Kampf gegen Hannibal, den Minucius leichtfertig begonnen hatte); 5,3,ext. 1 (Hannibal verlässt Karthago); 5,4,2 (Scipio rettet seinen Vater im Kampf gegen Hannibal am Ticinus); 7,2,3 (Bedrohung durch Hannibal hatte positiven Effekt auf die Römer); 7,2,6a und 7,4,4 (Erwähnung Hannibals im Kontext der Schlacht am Metaurus); 7,6,2 (Einwohner von Casilinum widersetzen sich den Angriffen Hannibals im Gegensatz zu den Kampanern, die zu Hannibal übergelaufen seien; vgl. die Erwähnung der Episode als rhetorisches exemplum bei Cic. inv. 2,171, der allerdings eine andere Fragestellung hiermit verknüpft, wenn bei ihm diskutiert wird, ob die Bewohner der Stadt zu Hannibal übergehen sollten oder nicht [vgl. oben Abschn. 5.2.3.1]); 9,1,4 (im Luxus späterer Zeiten vergesse man die harte Zeit der Kriege gegen Pyrrhos und Hannibal); 9,1,ext. 1 (der Luxus Capuas habe Hannibals Armee verdorben); 9,3,ext. 3 (Hannibal war ein eingeschworener Feind der Römer). 781Siehe

aber Val. Max. 1,6,6, wo die u. a. bereits bei Liv. 22,3,11–14 zu findende Reihung von schlechten Vorzeichen gesammelt ist (C. autem Flaminius inauspicato consul creatus cum apud lacum Trasumennum cum Hannibale conflicturus convelli signa iussisset, lapso equo super caput eius humi prostratus est, nihilque eo prodigio inhibitus, signiferis negantibus signa moveri sua sede posse, malum, ni ea continuo effodissent, minatus est. verum huius temeritatis utinam sua tantum, non etiam populi Romani, maxima clade poenas pependisset! in ea namque acie quinde­ cim milia Romanorum caesa, sex milia capta, decem milia fugata sunt. consulis obtruncati cor­ pus ad funerandum ab Hannibale quaesitum, qui, quantum in ipso fuerat, Romanum sepelierat imperium.). 782Siehe dazu Weileder 1998, 160–167; Mueller 2002; Rüpke 2016. 783Val. Max. 1,1,16; 3,4,4; 4,5,2. Dort, wo dies geschieht, eröffnet Valerius allerdings den Blick auf eine ansonsten unbekannte Überlieferung, die auch Verstöße gegen Normen religiöser Rituale unter Varros Fehler reiht (1,1,16: creditum est Varronem consulem apud Cannas cum Carthagi­ niensibus tam infeliciter dimicasse ob iram Iunonis, quod cum ludos circenses aedilis faceret, in Iovis Optimi Maximi tensa eximia facie puerum histrionem ad exuvias tenendas posuisset. quod factum, post aliquot annos memoria repetitum, sacrificiis expiatum est.).

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Stelle ist es vor allem die bereits erwähnte Hinterlist Hannibals gewesen, die die römische Niederlage herbeigeführt habe.784 Wichtiger als die Sachinformationen über die Schlachten der punischen Kriege war für Rezipienten des Valerius allerdings wohl der gedanklich-moralische Zusammenhang, in den diese eingeordnet werden konnten. Aus dieser ­Perspektive decken sich die Beobachtungen zu den römischen Niederlagen mit denjenigen, die Wiegand für das Bild der Zeit der Republik im Allgemeinen, das bei Valerius anzutreffen ist, herausgearbeitet hat.785 Eine Differenzierung hinsichtlich der Chronologie der Ereignisse steht nicht im Vordergrund des Interesses und ist für Valerius und seine Leser auch nicht notwendig. Aus der Sicht des Valerius sei es gerade deswegen möglich, die exempla seiner Sammlung auch auf die Gegenwart der frühen Kaiserzeit zu applizieren. Denn auch ein Römer des frühen ersten Jahrhunderts könne sich an der moralisch-integren Führungsstärke eines Q. Fabius Maximus oder an der Prinzipienfestigkeit der Senatoren insgesamt ein Beispiel nehmen. Diese Zeit, in der sich die Römer nach schweren Rückschlägen bewährt hätten, markiert in Valerius’ Sichtweise den Beginn der „Weltherrschaft der Römer“ und wird damit, wie auch schon bei Autoren der ausgehenden Republik, als äußerst positiv gewertet.786 Anders als bei früheren Autoren schwingt hier jedoch keine explizite Gegenwartskritik oder Kritik an der Herrschaft des Augustus bzw. des Tiberius mit. Zwar findet sich auch in Valerius’ Werk der, bereits bei Sallust, Livius und anderen Autoren greifbare Gedanke, dass militärische Erfolge gegen auswärtige Mächte zu einer Gefährdung der inneren Moral und Sitten beitragen könnten, da der Friede luxuria mit sich bringe, durch die wiederum ein Zerfall der althergebrachten Moral und Ordnung drohe. Die eigene Gegenwart sieht Valerius aber offenbar nicht als hiervon betroffen an.787 Immerhin aber hätte der Luxus der eigenen Gegenwart die harte Zeit der Kriege gegen Pyrrhos und Hannibal vergessen lassen.788 Inwiefern die von Valerius gesammelten Beispiele in Reden der frühen Kaiserzeit tatsächlich oft zum Einsatz kamen, ist unklar. Immerhin sah Valerius sie

784Siehe

bes. Val. Max. 7,4,ext. 2. 2013, 163, 167 f. 786Weileder 1998, 194 f. (Zitat: 194). 787Siehe hierzu Weileder 1998, 195–199 und bes. 237–254, der die Unterschiede in den zeithistorischen Entstehungsbedingungen der verschiedenen Werke betont. Während für Sallust und Livius die Bürgerkriege am Ende der Republik noch zur eigenen Lebenserfahrung gehörten, und der Ausgang der Krise auch noch unter der beginnenden Herrschaft des Augustus sehr ungewiss erschien, konnte Valerius einige Jahrzehnte später feststellen, dass der „Prinzipat bereits gefestigt“ war „und auch die Nachfolge zu Augustus unbeschadet überstanden“ (ebd., 197) hatte. Vgl. Weileder 1998, 188–190. Die einzige wirklich negativ bewertete Epoche der römischen Geschichte ist, wie gesagt, die Herrschaftszeit des Cornelius Sulla, der mit Hannibal auf eine Stufe gestellt wird, was seine Grausamkeit betrifft (Val. Max. 9,2,1). Siehe hierzu Wiegand 2013, 162–178. 785Wiegand

788Val.

Max. 9,1,4 (Vergleich der eigenen Gegenwart mit der Zeit der Kriege gegen Pyrrhos und Hannibal).

5.2  Der Feind vor den Toren

387

selbst offenbar als so bedeutend an, dass er sie in großer Anzahl in seine Sammlung aufnahm. Wie auch in anderen Fällen ist sicher Vorsicht geboten, wenn es darum geht, die für einen Autor gültigen Ergebnisse zu generalisieren. Eine gewisse Möglichkeit, die für Valerius gefundenen Ergebnisse zu überprüfen, bieten Werke anderer Autoren seiner Generation. Hierfür bietet sich zum einen das Werk Senecas des Älteren an, der, obwohl um das Jahr 55 geboren, erst unter Tiberius Sammlungen von sententiae berühmter Redner verfasste, in der zehn Bücher controversiae und ein Buch mit suasoriae enthalten waren.789 Eine Durchsicht von Senecas Kompendium zeigt, dass er die Begeisterung des Valerius für die Zeit der Kriege Roms gegen Karthago offenbar nicht teilte. Unter den Beispielen auf die Seneca sich bezieht, spielen diese­ Epoche und wichtige Ereignisse dieser Zeit nämlich keine große Rolle. Generell findet die Zeit der Republik eher wenig Beachtung.790 Gegenüber früheren römischen Siegen sei das Vorgehen Ciceros gegen Catilina von seiner Bedeutung her höher zu gewichten als der Triumph Scipios über Karthago.791 Die einzige Stelle, an der sich Seneca explizit auf eine der Niederlagen des Zweiten Punischen Krieges bezieht, betrifft eine der Situationen nach der Schlacht von Cannae, die auch von Valerius Maximus aufgeführt wird. Nach Cannae sei die Not Roms so groß gewesen, dass es gerechtfertigt gewesen sei, selbst Sklaven zu rekrutieren. In übertragenem Sinn sei es daher allgemein in Notlagen gestattet, ebenfalls derart außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen.792 Die Rekrutierung von ungewöhnlich vielen Sklaven nach Cannae könnte angesichts der Erwähnungen bei Valerius und Seneca eines der Beispiele gewesen sein, die in Deklamationsschulen der frühen Kaiserzeit gelehrt wurden. Zu beachten ist dabei jedoch, dass die Werke des Valerius und des Seneca unterschiedlich angelegt sind.793 Dass sich tatsächlich nur eine der zahlreichen Episoden, die Valerius in seine Sammlung aufgenommen hat, auch bei Seneca finden lässt, überrascht möglicherweise dennoch, warnt aller789Das

Werk ist nicht vollständig erhalten. Siehe die Übersicht bei von Albrecht 1994, 987; Wiegand 2013, 239–244. 790Siehe hierzu Wiegand 2013, 279–291. 791Sen. contr. 7,2,7: Metellus Vestae extinxit incendium, Cicero Romae. glorietur devicto Hanni­ bale Scipio, Pyrrho Fabricius, Antiocho alter Scipio, Perse Paulus, Spartaco Crassus, Sertorio et Mithridate Pompeius: nemo hostis Catilina propius accessit. Vgl. zur Hochschätzung, die Seneca Leben und Werk des Ciceros entgegenbrachte, u. a. Wiegand 2013, 282. 792Sen. contr. 9,4,5: Necessitas magnum humanae inbecillitatis patrocinium est: haec excusat Saguntinos, quamvis non ceciderint patres sed occiderint; haec excusat Romanos, quos ad servi­ lem dilectum Cannensis ruina compulit; quae quidquid coegit defendit. 793Der Erste sammelt exempla, der Zweite sententiae, und sie unterscheiden sich wohl auch ansonsten hinsichtlich ihrer Intention. Vgl. hierzu Wiegand 2013, 281: „Seneca sammelt v.a. sententiae; diese beziehen sich vornehmlich auf das zu deklamierende Thema, das im Fall der controversiae nur selten in einer historisch genau datierbaren Zeit (z. B. der mittleren Republik) angesiedelt ist. Daher fehlen Bezugnahmen auf historische Ereignisse. Solche finden sich dagegen in exempla (welche z. B. bei Valerius Maximus aufgenommen sind); die Erwähnungen historischer Figuren aus älterer Zeit bilden auch bei Seneca daher meist den – pointierten – Abschluß eines exemplum“.

388

5  Die römisch-karthagischen Kriege

dings ­wiederum davor, aus den bei einem Autor zu findenden historischen Bezügen zu weitreichende Schlüsse zu ziehen. Sichtbar wird stets nur ein Teilbereich des sozialen Gedächtnisses der jeweiligen Zeit. Einen Einblick in einen ganz anderen Bereich der römischen Geschichtskultur bieten wiederum die Satyrica des T. Petronius, die das früheste erhaltene Beispiel eines lateinischen „humoristisch-realistischen Gesellschafts- und Sittenromans“ darstellen.794 Das Werk ist bekanntlich nur in Teilen überliefert, aus denen sich allerdings immerhin ein vager Handlungsverlauf erkennen lässt.795 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist es freilich von größerem Interesse danach zu fragen, ob sich in dem Text, dessen Autor sich bemüht, ein, gewiss übertriebenes, aber letztlich doch plausibles Bild verschiedener Milieus der römisch-italischen Gesellschaft zu zeichnen, Anspielungen auf den Zweiten Punischen Krieg im Allgemeinen und auf die römischen Niederlagen dieses Krieges im Speziellen finden lassen. Die erste Stelle dieser Art taucht in der Episode um das Gastmahl des Trimalchio auf. Dieser brüstet sich vor seinen Gästen mit seinem erlesenen Tafelgeschirr, indem er u. a. verkündet, dass er der einzige sei, der „echte Korintherbronze“ (vera Corinthea) besäße.796 Trimalchio erläutert seinen Gästen daraufhin die Herkunft dieser Legierung, die demnach entstanden sei, als Hannibal Troia erobert hatte. Dabei habe Hannibal, ein homo vafer et magnus stelio, sämtliche Beutestücke aus Edelmetall, die er in der Stadt habe finden können, eingeschmolzen. Aus dieser Masse seien dann alle bekannten Stücke aus korinthischer Bronze gefertigt worden.797 Die zweite Passage gehört in den Kontext einer Schiffsreise, die die Protago­ nisten Eumolpius, Encolpius und Giton unternehmen. An Bord erfährt Encolpius, dass sie sich auf dem Schiff des Lichas befinden, der ein alter persönlicher Feind

794Siehe

zu den Diskussionen um Datierung, den biografischen Daten des Petronius und allgemeinen Informationen zu seinem Werk von Albrecht 1994, 960–981 (Zitat: 968); Habermehl 2006, XI–XXXVI; Schmeling/Setaioli 2011, XIII–XVII. Der Titel ist nachantik (vgl. Schmeling/ Setaioli 2011, XVII). In dieser Arbeit wird der communis opinio gefolgt, nach der es sich bei dem Autor Petronius um den von Tacitus erwähnten Petronius (Tac. ann. 16–20) handelt, der demnach also unter Neros Herrschaft wirkte und den Suizid wählte, als der Kaiser ihm seine Gunst entzog. Eine genauere Datierung ist auf Basis der bekannten Informationen wiederum kaum möglich (Habermehl 2006, XII). 795Vgl. u. a. von Albrecht 1994, 963–965. 796Petron. 50,2 (quam cum Agamemnon propius consideraret, ait Trimalchio, „solus sum qui vera Corinthea habeam“). 797Petron. 50,5–6 (et ne me putetis nesapium esse, valde bene scio, unde primum Corinthea nata sint. cum Ilium captum est, Hannibal, homo vafer et magnus stelio, omnes statuas aeneas et aureas et argenteas in unum rogum congessit et eas incendit; factae sunt in unum aera miscel­ lanea. ita ex hac massa fabri sustulerunt et fecerunt catilla et paropsides statuncula. sic Corinthea nata sunt, ex omnibus in unum, nec hoc nec illud.). Die Entstehung korinthischer Bronzen wird von Plinius dem Älteren mit dem Brand von Korinth bei der Einnahme der Stadt durch L. Mummius im Jahr 146 in Verbindung gebracht (Plin. nat. 34,8). Dieser Herleitung scheinen zahlreiche spätere Autoren gefolgt zu sein. Siehe hierzu García Morcillo 2010, 445 f., die weitere antike Spekulationen über die Herkunft der Bronzen anführt.

5.2  Der Feind vor den Toren

389

von ihm ist.798 Hierauf reagiert Eumolpius, offenbar in ironischer Weise, indem er seinen Begleiter fragt, in welchen Hinterhalt sie geraten seien bzw. „welcher Hannibal“ (quis Hannibal) mit ihnen fahre.799 Die ironische Frage des Eumolpius an Encolpius, mit der er seinen Reisebegleiter während der Schifffahrt verspottet, kann als weiterer Hinweis auf den Platz Hannibals in der römischen Geschichtskultur gewertet werden, dessen Rang als gefährlichster Feind der römischen Vergangenheit hier einmal mehr sprichwörtlichen Charakter aufweist.800 Die Koppelung mit der Frage nach einem Hinterhalt stellte die Verbindung zum Bild der angeblichen Falschheit und Hinterlist des Karthagers her, das ebenfalls in zahlreichen Quellen betont wird und das vermutlich als allgemein bekannt vorausgesetzt werden konnte.801 Die Ausführungen des Trimalchio wiederum werfen ein doppelt gebrochenes Licht auf die Gewohnheit, die eigenen Reden mit gelehrten historischen Verweisen anzureichern. Der reiche Freigelassene, der seine Gäste sowohl mit seinem Reichtum als auch mit seiner Weltgewandtheit beeindrucken möchte, imitiert die Praxis von Angehörigen etablierter Kreise, die freilich ebenfalls nicht zwangsläufig über eine wesentlich solidere Bildung als die Freigelassenen verfügt haben müssen.802 Die Passage, die nur ein Beispiel für die dilettantischen Versuche des Trimalchio bietet, gegenüber seinen Gästen seine Weltläufigkeit zu demonstrieren, ist wohl als Parodie auf solches Verhalten, vielleicht auch auf die Demonstration kulturellen Kapitals in Form von historischem Wissen insgesamt zu verstehen. So wird nicht nur der Aufsteiger Trimalchio verspottet, sondern die Praktiken der sozialen Distinktion insgesamt, denen der Freigelassene hier schließlich nacheifert.803 Dass

798Petron.

101,1–2. 101,4 („quae autem hic insidiae sunt“ inquit „aut quis nobiscum Hannibal navigat?“). 800Siehe bereits Cic. Phil. 1,11 und vgl. Walsh 1970, 101; Habermehl 2006, 342 f.; Schmeling/ Setaioli 2011, 402 („in the Roman mind the name of Hannibal is for ever synonymous with implacable enmity“). 801Vgl. Schmeling/Setaioli 2011, 402. 802In diesem Zusammenhang ist eine Bemerkung Plinius’ des Älteren interessant, nach der sich zahlreiche Dilettanten in abwegigen Herleitungen über die Herkunft der Korinthischen Bronzen verbreiteten, um durch ihr vermeintliches Expertenwissen Distinktion zu erlangen (Plin. nat. 34,6). Vgl. hierzu Grüll 1995, 103; García Morcillo 2010, 443 und 446 f. Zum Sozialtyp, den Petronius im Gastmahl des Trimalchio parodiert, siehe auch Walsh 1970, 133–140. 803Baldwin 1987, 6 vermutet in dieser Stelle eine Parodie über römische „schoolboy texts […] and schoolboy confusion, beyond neither of which Trimalchio had progressed.“ Siehe zudem Grüll 1995, 104 („Or rather, if we examine it from another point of view, Petronius is mocking the general ignorance in this question.“). Vgl. von Albrecht 1994, 967 (zu „Trimalchios Ignoranz“, die sich in dessen unpassenden Äußerungen zu Themen der Astrologie, Mythologie, der Literatur oder eben, wie hier, der Geschichte offenbart). Petronius’ Technik seinen Text in Hinsicht auf Sprache und Stil differenziert zu gestalten, um die Angehörigen der unterschiedlichen Milieus, die in den Satyrica auftreten, auch durch eine „Vielfalt der Sprachebenen“ zu charakterisieren, ist wohlbekannt. Siehe hierzu von Albrecht 1994, 973 (Zitat) und vgl. ebd., 969 („Statt Personen umständlich vorzustellen, charakterisiert er [Petronius] sie wie ein Komödiendichter durch ihre Handlungsweise oder wie ein Historiker durch Reden.“). 799Petron.

390

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Trimalchio hierbei Hannibal, mitsamt stereotyper Attribute, anführt, kann als Hinweis darauf gewertet werden, wie Bezüge auf den Karthager in derartige Schriften und Gespräche der Zeitgenossen eingeflochten werden konnten. Eine in jeder Hinsicht hochelaborierte Auseinandersetzung wurde den Ereignissen und Protagonisten des Zweiten Punischen Krieges wiederum in den Punica des Silius Italicus zuteil, die einen (relativ späten) Höhepunkt in der antiken Beschäftigung mit diesem Thema darstellen.

5.2.7  Würdig meines Himmels – Silius Italicus, Punica Ohne Zweifel gehören die Punica des Silius Italicus zu den herausragenden literarischen Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit des Zweiten Punischen Krieges in der lateinischen Literatur. Umstritten ist indes, ob Silius sein Epos tatsächlich auf die erhaltenen 17 Bücher angelegt hatte, doch sprechen die vorgelegten Argumente insgesamt für die Annahme, dass dem tatsächlich so war.804 In der Frage nach der Binnengliederung des Werkes konnte wiederum bislang keine Einigung erzielt werden.805 Eine Klärung dieser Frage soll an dieser Stelle nicht vorgeschlagen werden, sondern lediglich auf zwei Punkte aufmerksam gemacht werden, die im Zusammenhang mit dem Thema der römischen Niederlagen in den Punica besonders relevant sind. Zum einen nimmt die Schlacht von Cannae deutlich erkennbar eine Sonderstellung in den Punica ein.806 Ihre

804Siehe hierzu von Albrecht 1964, 133, Anm. 34, 171, Anm. 13, sowie, oft im Anschluss an diesen, etwa Niemann 1975, 3 f.; Pomeroy 1990, 127; Fröhlich 2000, 50; Augoustakis 2010, 8–10. Vgl. zudem Marks 2005, 287 f.; Tipping 2010a, 12. 805Vgl. hierzu die unterschiedlichen Vorschläge von Niemann 1975, 14–36; Fröhlich 2000, 20–58 (jeweils mit Verweisen auf die ältere Literatur). 806In der vorliegenden Form verteilt sich der Stoff in folgender Weise auf das Werk (vgl. hierzu Niemann 1975, 3–36; von Albrecht 1994, 760 f.; Fröhlich 2000, 28–49). Im ersten Buch werden zunächst die Ursachen des Krieges dargelegt. Diese liegen demnach zu einem gewissen Grad in Hannibals Charakter selbst begründet, der durch die Erziehung zum Hass auf die Römer, den ihn sein Vater Hamilkar lehrt, besonders düster geschildert wird (siehe bes. Sil. 1,70–119). Die Handlung setzt in Spanien ein und schreitet im ersten Buch bis zur Gesandtschaft der Römer voran, die diese nach Hannibals Angriff auf Sagunt geschickt haben. Das zweite Buch enthält die Weiterfahrt der römischen Gesandten nach Karthago, wo Q. Fabius Maximus den Karthagern den Krieg erklärt. Sagunt fällt und Hannibal kann, auch dank der Hilfe der Iuno, in die Stadt einziehen. Im dritten Buch wird ein Katalog der Verbündeten Karthagos aufgeführt, bevor der Zug von Hannibals Armee über Pyrenäen und Alpen geschildert wird. In einem Ausblick legt Iuppiter seiner Tochter Venus die Gründe dafür dar, dass er die Karthager auf ihrem Zug nach Italien gewähren lässt. Iuppiter beabsichtigt demnach, sein Volk einer Prüfung durch einen harten Krieg zu unterziehen. Zudem gewährt der oberste römische Gott in diesem Zusammenhang auch einen Ausblick auf die römische Zukunft. Auf diese wichtige Passage wird an späterer Stelle noch zurückzukommen sein. Die nächsten beiden Bücher umfassen die ersten drei Niederlagen der Römer in Italien, also den Kampf am Ticinus sowie die Schlachten an der Trebia und am Trasimenischen See. Das sechste Buch enthält dann einen historischen Rückblick auf den Ersten Punischen Krieg, in dem im Wesentlichen die Taten und die Person des M. Atilius Regulus

5.2  Der Feind vor den Toren

391

Schilderung umfasst nahezu drei Bücher und ist damit das am umfangreichsten beschriebene einzelne Ereignis des gesamten Krieges. Diese drei Bücher bilden wiederum das Mittelstück der Punica, sodass der Gedanke nahe liegt, dass Cannae nicht nur in kompositioneller Hinsicht, sondern auch inhaltlich und thematisch von zentraler Bedeutung für das Epos ist.807 Zum anderen ist zu beachten, dass die Darstellung von Hannibals Siegeszug bis hin zur Schlacht von Cannae einen deutlich größeren Raum einnimmt als die anderen Abschnitte des Krieges. Die Jahre 218 bis 216 werden nämlich in fast sieben Büchern geschildert (Buch 6 enthält zu großen Teilen ja den oben behandelten Regulus-Exkurs), während die sieben folgenden Bücher den weitaus längeren Zeitraum des Konfliktes, nämlich von Cannae bis zum Kriegsende, also die Jahre 216 bis 201, abdecken.808 Cannae und den weiteren Niederlagen der Römer in den Jahren 218 bis 216 wird also eine größere Aufmerksamkeit zuteil als anderen Ereignissen des Krieges. Inwiefern dieser Befund hinsichtlich der Komposition auch für die inhaltliche Gewichtung der Punica konstatiert werden kann, und welche Deutung die römischen Niederlagen des Krieges vor diesem Hintergrund erfahren, soll nun näher betrachtet werden.

verherrlicht werden (siehe hierzu ausführlich oben Abschn. 5.1.6). Buch 7 führt wiederum in die Diktatur und in die Strategie des Fabius Maximus ein, die dieser nach der Niederlage am Trasimenischen See umgesetzt hatte. Die Darstellung der daran anschließenden Schlacht von Cannae mit der größten Niederlage der Römer spannt sich mit den Büchern 8 bis 10 über drei Bücher, die ebenfalls später detailliert besprochen werden. In Buch 11 zieht Hannibal in Capua ein, und seine Truppen sehen sich einem Angriff durch Liebesgötter ausgesetzt, die von Venus gesandt worden waren. Der Aufenthalt in der kampanischen Stadt schwächt Hannibals Soldaten in ihrer Kampfkraft und korrumpiert ihre Moral, was als erster Hinweis auf eine Wende des Krieges angesehen werden kann. Gleichwohl wird erst in Buch 12 mit einem Sieg der Römer unter M. Claudius Marcellus bei Nola der erste, offen erkennbare römische Erfolg geschildert. Hannibal wendet sich daraufhin gegen Rom selbst. Dessen erfolgloser Marsch auf die Hauptstadt wird in Buch 13 beschrieben. Zudem enthält dieses Buch die römische Eroberung von Capua, den Untergang der Scipionen in Spanien, der recht knapp geschildert wird, sowie eine Nekyia Scipios. In den letzten vier Büchern schildert der Autor dann die Erfolge der Römer, die schließlich den Sieg im Krieg bringen. In Buch 14 erobert Marcellus Syrakus und beendet so die Kämpfe auf Sizilien, während in Buch 15 die Siege des jungen Scipio in Spanien sowie die Schlacht am Metaurus geschildert werden. Nach einem Einschub in Buch 16 mit den Leichenspielen, die für die in Spanien gefallenen Scipionen ausgerichtet werden, werden schließlich in Buch 17 der Sieg der Römer bei Zama und der anschließende Triumph des Scipio beschrieben. 807Niemann 1975, 23–25. Vgl. Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2505–2507, die auf Stellen hinweisen, in denen Silius auf die Schlacht von Cannae vorausdeutet, was deren Schlüsselcharakter betont (siehe Sil. 1,12–14; 1,50–51; 1,125–126; 7,481–484). Siehe zudem auch Augoustakis 2010, 8 f. („books 8–10 […], the core of the poem“). 808Ein genauer Vergleich der je Buch behandelten Jahre lässt diese Diskrepanz noch deutlicher werden. Vgl. Niemann 1975, 23 f. (ebd., 24: „Der umfangreichste Bücherkomplex behandelt also in 8 Büchern nur etwa 3 der insgesamt 18–19 Jahre, d. h. nur ein Sechstel des gesamten Zeitraums, obwohl er nahezu die Hälfte des Epos einnimmt, während der dritte noch um ein Buch kürzere Handlungskomplex etwa sieben Neuntel der Gesamtzeit umgreift.“). Siehe auch Pomeroy 2010, 31.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Für das Verständnis von Silius’ Darstellung ist es wichtig zu berücksichtigen, dass sich der Dichter der Punica grundsätzlich in einem „Spannungsfeld“ zwischen der historischen Überlieferung einerseits, die er vor allem aus den Werken der römischen Historiografie, wohl besonders Livius, schöpfte, und den gattungsbedingten Anforderungen des Epos andererseits bewegte. Dieses Spannungsfeld lässt sich auch hinsichtlich der Darstellung der römischen Niederlagen des Krieges erkennen.809 Am auffälligsten ist dies gewiss in Hinsicht auf die Darstellung der Schlachten selbst, die sich u. a. durch die Einarbeitung zahlreicher und teils ausgedehnter Aristien oft erheblich von den Schilderungen der historiografischen Quellen unterscheidet. Zudem hat Silius den Stoff an mehreren Stellen umgestellt, sodass sich denjenigen Lesern, die mit der Darstellung der Ereignisse etwa bei Polybios, Coelius Antipater oder Livius vertraut waren, eine teilweise ganz andere Anordnung bekannter Episoden bot. Doch handelt es sich dabei indes nicht allein um die Folgen einer Anpassung des Stoffes an die epische Form. Vielmehr zeigt sich hier eine eigenständige Deutung der Vergangenheit, für die die Gegenwart des Silius eine wichtige Rolle spielte. Im Folgenden soll zunächst eine Übersicht über die Darstellung der römischen Nieder­ lagen in den Punica erfolgen, um daran anschließend genauer auf einige der übergreifenden Themen einzugehen, die bei Silius hiermit verbunden sind. Die ersten beiden Niederlagen der Römer am Ticinus und an der Trebia beschreibt Silius in den Büchern 4 und 5. Das Gefecht am Ticinus nutzt der Dichter unter anderem dazu, den Sohn des römischen Konsuls P. Cornelius Scipio, also den späteren Africanus, bedeutungsvoll in die Handlung einzuführen.810 Bereits Livius wollte die Rettung des verwundeten Konsuls vor allem dessen Sohn zuschreiben und hob bei dieser Gelegenheit zudem hervor, dass dem jungen Scipio später der Ruhm zuteil werden sollte, den Krieg gegen die Karthager zu beenden.811 Wie bereits an anderer Stelle diskutiert wurde, war die Zuschreibung dieser Rettungstat an den jungen Scipionen in der Antike nicht unumstritten, denn zumindest Coelius Antipater berichtet, dass ein ligurischer Sklave den Konsul gerettet habe.812 Bei Silius steht es nun außer Frage, dass es der junge Scipione gewesen sei, der seinen Vater aus der Schlacht gerettet habe. Diese Tat wird noch dadurch hervorgehoben, dass der Sohn mit der Unterstützung des Kriegsgottes Mars, der auf Geheiß Iuppiters handelt, in das Geschehen eingreift.813 Am Ende dieser Passage sagt Mars selbst dem jungen

809Vgl.

Niemann 1975, 41. 1975, 71 f., 76 f.; Marks 2005, 163–169. Zu den epischen Vorbildern, die Silius hier anklingen lassen konnte, siehe Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2544 f., die insbesondere auf die Rettung des Anchises durch Aeneas verweisen. Dies ist natürlich eine Verbindung, die die Tat des jungen Scipionen moralisch aufwertet („The image of the son carrying his father upon his shoulder is pietas in its classic.“). 811Liv. 21,46,7–8. 812Hierauf weist Livius am Ende der Passage hin: Liv. 21,46,10. Vgl. hierzu oben Abschn. 5.2.2 und 5.2.5.1. 813Sil. 4,417–477. 810Niemann

5.2  Der Feind vor den Toren

393

Scipionen voraus, dass er, der „wahre Nachkomme Iuppiters“, den Krieg mit dem Sieg über Karthago beenden werde.814 Allerdings musste Mars zunächst den jungen Mann von seinem Vorhaben abhalten, angesichts der Verwundung seines Vaters noch auf dem Schlachtfeld Suizid zu begehen und ihn dann erst zum tatkräftigen Einsatz anspornen. Auf diese Weise schickt Mars den späteren Africanus auf den Weg, der ihn schließlich zum herausragenden Anführer der Römer in diesem Krieg machen sollte. Auf diese Ausbildung von Scipios Charakter wird im nächsten Unterkapitel zurückzukommen sein.815 Bereits vor Beginn des Kampfes hatte sich vor den Augen beider Armeen ein Kampf zwischen einem Falken und einem Adler ereignet, der allgemein als Prodigium angesehen wurde, und den der römische Seher Liger dahin gehend gedeutet hatte, dass Scipio, der vom Adler Iuppiters am Helm berührt worden war, Karthago einst besiegen würde.816 Da der Falke zuvor jedoch fünfzehn Tauben, Vögel, die als eng mit der römischen Schutzgöttin Venus verbunden angesehen wurden, getötet und eine weitere verfolgt hatte, sei auch bereits vorausgesagt, dass die Römer die Karthager erst im sechzehnten Jahr aus Italien werden vertreiben können – eine lange Zeit, die für die Römer zudem sehr verlustreich werden würde.817 Der Gedanke, dass der römische Sieg im Krieg gegen Karthago erst nach einer langen und verlustreichen Zeit erreicht werden sollte, begegnet, als prominentes Thema an verschiedenen Stellen der Punica. In der Schilderung der Niederlage am Ticinus dient diese Betonung vor allem dazu, den Helden der zweiten Hälfte der Punica, Scipio Africanus, in das Geschehen einzuführen sowie dazu die folgenden schweren Niederlagen der Römer in ein übergreifendes Narrativ einzuordnen. Dieses Narrativ lässt sich anhand der epischen Schilderung der Niederlage an der Trebia weiterverfolgen. Zunächst fällt indes auf, dass Silius darauf verzichtet, die Kontroverse um den richtigen Zeitpunkt der Schlacht zwischen den beiden Konsuln P. Cornelius Scipio und Ti. Sempronius Longus, der zuvor etwa Livius breiten Raum gegeben hatte, in den Punica wiederzugeben. Stattdessen hat es den Anschein, als ob sich die Schlacht an der Trebia nur wenige Tage nach dem Kampf am Ticinus ereignet hätte.818 Auch nimmt der Scipione hier an der Schlacht teil, obwohl die

814Sil.

4,472–477 (tum celso e curru Mauors ‚Carthaginis arces/exscindes‘ inquit ‚Tyriosque ad foedera coges./nulla tamen longo tanta exorietur in aeuo/lux tibi, care puer. macte, o macte indole sacra,/uera Iouis proles. et adhuc maiora supersunt,/sed nequeunt meliora dari.‘).

815Sil.

4,454–459 (hic puer ut patrio defixum corpore telum/conspexit, maduere genae, subitoque trementem/corripuit pallor, gemitumque ad sidera rupit./bic conatus erat praecurrere fata paren­ tis/conuersa in semet dextra, bis transtulit iras/in Poenos Mauors.). Vgl. hierzu Marks 2005, 116 f.; Tipping 2010a, 148. 816Sil. 4,103–130. 817Vgl. Niemann 1975, 47–50; Tipping 2010a, 146. Zur Verbindung der Taube zu Venus siehe Steier, RE IV A,2 (1932), 2479–2500, s. v. Taube, bes. 2496–2498. Als direktes Vorbild für dieses Vogelaugurium wird gemeinhin das Zeichen angesehen, das sich im zwölften Buch der Aeneis vor dem Kampf zwischen Aeneas und Turnus ereignet (Verg. Aen. 12,244–256). Vgl. Niemann 1975, 47; Spaltenstein 1986, 271. 818Sil. 4,485 (iamque dies rapti …). Vgl. oben Abschn. 5.2.5.1.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

historiografischen Quellen übereinstimmend berichten, dass er noch an der Wunde laboriert habe, die er sich am Ticinus zugezogen hatte, und daher zu keinem Kampfeinsatz in der Lage war.819 Mit der Uneinigkeit der beiden römischen Feldherren sowie mit der alleinigen Führung der Schlacht durch den angeblich leichtsinnigen Sempronius Longus entfallen somit zwei Erklärungen für die Niederlage an der Trebia, die in der römischen Tradition ansonsten oft vorzufinden sind. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Silius im Rahmen seiner Schilderung des Kampfes an der Trebia darauf verzichtet hat, auf die taktische Entwicklung der Schlacht von der Aufstellung der Truppen, die bekanntlich eines der Standardelemente historiografischer Schlachtberichte darstellt, bis hin zum Ablauf der Operationen genauer einzugehen, womit auch eine Reihe von etwa bei Livius vorzufindenden Erklärungen für die Niederlage entfallen.820 Dafür führt Silius andere Faktoren in die Darstellung ein, die in der Tradition zur Schlacht an der Trebia bis dahin keine Rolle gespielt hatten. Ein wichtiges Merkmal der Punica besteht darin, dass die Götter selbst direkt in das Geschehen eingreifen. Dies ist auch an der Trebia der Fall, wo Iuno aufseiten der Karthager interveniert und auf diese Weise entscheidend dazu beiträgt, dass die Römer dort unterliegen. Hierbei wird auch der Umstand relevant, dass der Kampf direkt am Fluss stattfindet. Die Topografie des Schlachtfeldes war, wie gesehen, auch in früheren Darstellungen als wichtiger Faktor einbezogen worden, was nun auch in den Punica der Fall ist. Allerdings greift hier die Trebia – auf Bitten Iunos hin – selbst in den Kampf gegen die Römer ein, was Silius die Möglichkeit bietet, eine Anspielung auf die Ilias unterzubringen sowie die Tapferkeit der römischen Soldaten zu betonen.821

819Pol. 3,70; Liv. 21,52,2; 21,53,1–6. Von der Verwundung berichtet auch Silius, doch scheint sie den Konsul hier nicht an einer Teilnahme an der folgenden Schlacht hindern zu können (Sil. 4,454–455). 820Dabei übergeht Silius auch Faktoren, die – nach Angaben in den historiografischen Quellen – mitentscheidend für die Niederlage gewesen seien. Hierzu zählt insbesondere der, für den weiteren Verlauf der Schlacht in der Tat wohl nicht unbedeutende Umstand, dass die Soldaten des römischen Heeres genötigt waren, durch das eiskalte Wasser der Trebia zu waten und direkt danach die karthagischen Truppen zu bekämpfen. Auch auf den Hinterhalt, den Mago auf Geheiß seines Bruders gelegt hatte, geht Silius nicht ein. Vgl. Niemann 1975, 79: „Die silianische Schilderung bewegt sich also von der allgemeinen Aufzeichnung der strategischen Entwicklung des Kampfverlaufs weg und konzentriert sich auf die Darstellung einiger weniger Personen und effektvoller Kampfszenen, die allerdings auf historischen Anregungen basieren“. 821Die Bedeutung der Trebia für den Schlachtverlauf wurde auch in früheren Darstellungen der Schlacht erwähnt, so soll die Trebia – den historiografischen Darstellungen der Schlacht nach – durch anhaltenden Schneefall stark angeschwollen gewesen sein. Angesichts des Datums der Schlacht, die nach Polybios um die Zeit der Wintersonnenwende stattfand, erscheint diese Information nicht unglaubwürdig (Pol. 3,72,3). In den Punica wird die Trebia zum reißenden Strom, weil Iuno den Gott des Flusses darum bittet, die bereits zurückweichenden römischen Soldaten mit seinen Wassern fortzuschwemmen (Sil. 4,573 f. (Tum Trebia infausto noua proelia gurgite fessis/incolat ac precibus Iunonis suscitat undas)). Die Situation wird für die Römer sogar noch prekärer, weil am Fluss auch die Kriegselefanten der Karthager in den Kampf eingreifen und die römischen Soldaten bei ihrem Versuch, den Strom zu überqueren, attackieren. Siehe Sil. 4,598–604. Vgl. Niemann 1975, 93 („Zur Steigerung der unglücklichen Situation der römischen

5.2  Der Feind vor den Toren

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Eine wichtige Änderung nimmt Silius auch dahin gehend vor, dass er den Konsul P. Cornelius Scipio aktiv am Kampfgeschehen teilnehmen lässt, obwohl der Feldherr durch die Wunden, die er sich im Kampf am Ticinus zugezogen hatte, geschwächt gewesen sei. Auf diese Weise erscheint der Grad der Opferbereitschaft des Konsuls erhöht.822 Die Integration Scipios in das Schlachtgeschehen mag sich auch aus der Notwendigkeit heraus ergeben haben, dass Silius für die epische Beschreibung der Schlacht einen römischen Helden benötigte, der sich als Protagonist einer großen Aristie eignete.823 Sempronius Longus, der in der römischen Geschichtskultur keinen nennenswerten Platz einnahm, eignete sich hierfür kaum in gleicher Weise wie Scipio, der damit in einer der wichtigsten Passagen der Schlachtbeschreibung im Zentrum der Handlung steht. Durch diese „exponierte Stellung des Konsuls Scipio“ werden zudem die beiden Schlachten am Ticinus und an der Trebia, die Silius offenbar dichter aneinanderrücken wollte, als es in seinen historiografischen Vorlagen der Fall war, auf eine weitere Weise eng miteinander verbunden.824 Im Verlauf der Schlacht kommt es zur Konfrontation zwischen Scipio und dem Flussgott, dem der römische Feldherr Verrat vorwirft, da er als italische Gottheit den Verteidigern des Landes in den Rücken gefallen sei und damit den fremdländischen Angreifern um Hannibal helfe.825 Als die Trebia sich anschickt, S ­ cipio mit einer Flutwelle fortzureißen, weist Vulcanus auf Bitten der Venus hin den Fluss in die Schranken, indem er die Bäume an seinen Ufern in Flammen setzt,

Soldaten (598 f.: Accumulat clades … vis elephantorum) bezieht Silius die Elefantenstreitmacht, von der in den historischen Berichten […] nur im Zusammenhang mit dem Kampf zu Lande die Rede war, in den Flußkampf ein.“). Dass Hannibal in der Schlacht an der Trebia auch Elefanten einsetzte, ist grundsätzlich historisch korrekt. Silius setzt dieses Element des Kampfes zeitlich wie räumlich jedoch an eine andere Position als dies in anderen Quellen der Fall ist. Diese Verschiebung nahm Silius wohl vor, um einerseits die Dramatik der Situation noch zu erhöhen und andererseits durch die Schilderung, wie sich die römischen Soldaten den Elefanten unerschrocken entgegenstellen, ein Beispiel für die römische Tapferkeit zu bieten, die sich besonders in schwierigen Lagen immer wieder bewiesen habe. Siehe besonders Sil. 4,603 f.: Explorant aduersa uiros, perque aspera duro/nititur ad laudem uirtus interrita cliuo. Vgl. Niemann 1975, 93 f. (94: „die ganze Szene“ solle „römische Tapferkeit in schwierigen Lagen verherrlichen“); Tipping 2010a, 31. 822Sil. 4,622–624 (Ecce per aduersum, quamquam tardata morantur/uulnere membra uirum, subit implacabilis amnem/Scipio et innumeris infestat caedibus hostem). 823Scipios Teilnahme an der Schlacht an der Trebia wird ansonsten lediglich von Appian überliefert (App. Hann. 7). Angesichts der übereinstimmenden Berichte der historiografischen Quellen erscheint es jedoch wahrscheinlich, dass Scipio tatsächlich nicht aktiv am Kampfgeschehen teilnahm. Vgl. Niemann 1975, 94, Anm. 1. 824Vgl. Niemann 1975, 104 („So konnte schon zu Eingang festgestellt werden, daß sie [die beiden Niederlagen der Römer am Ticinus und an der Trebia] absichtlich ganz nahe aneinandergerückt wurden, ferner durch die exponierte Stellung des Konsuls Scipio miteinander verbunden sind.“). 825Sil. 4,642–648.

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woraufhin die Hitze der Feuer die Trebia selbst bedroht.826 Mit dieser Szene endet die Schilderung der Schlacht recht abrupt, denn sobald Scipio durch das Eingreifen des Vulcanus aus der Gefahr gerettet wurde, befiehlt er seinen Truppen den Rückzug auf einen Hügel.827 Niemann merkt sicher zu Recht an, dass Silius dadurch, dass er die Rettung Scipios aus großer Gefahr durch das Eingreifen eines Gottes als kompositorischen wie inhaltlichen Höhepunkt des vierten Buches wählt, die eigentliche römische Niederlage auf dem Schlachtfeld in gewisser Weise „überspielt“.828 Zugleich dient der Umstand, dass der italische Fluss Trebia den Römern und ihren Verbündeten in den Rücken fällt, auch als eine Erklärung für die Niederlage, denn bis dahin verlief der Kampf für die Römer unter ihrem Konsul Scipio erfolgreich.829 Der andere Konsul, Sempronius Longus, den Silius versehentlich wiederholt Gracchus nennt, wird in der Schilderung der Schlacht hingegen kaum erwähnt. Daher werden auch seine vermeintlich voreiligen und unüberlegten Aktionen und Entscheidungen, die nach den Darstellung bei Polybios und Livius zur Niederlage beigetragen hätten, wenig beleuchtet.830 Während sich die Römer unter Führung Scipios zurückziehen, errichtet Hannibal der Flussgottheit ehrende Altäre. In diesem Zusammenhang weist Silius bereits auf die folgende Schlacht am Trasimenischen See voraus, die explizit als Steigerung der Niederlage an der Trebia angekündigt wird.831 Unter Auslassung der Ereignisse, die sich in dem guten halben Jahr zwischen den beiden Schlachten abgespielt haben, leitet Silius anschließend direkt zum Vorspiel der römischen Niederlage am Trasimenischen See über. Wieder zeigt sich hier also Silius’ Bestreben, die Kette der römischen Misserfolge möglichst dicht aneinander zu rücken.832 Den neuen Abschnitt eröffnet Silius mit einer negativen Charakteristik des Konsuls C. Flaminius, der ja auch in früheren Quellen nahezu einmütig als Hauptverantwortlicher für die Niederlage der Römer am Trasimenischen See ausgemacht worden war.833 In den Punica wird die bereits in früheren Quellen negative Überlieferung

826Sil. 4,675–697. Der Flussgott rechtfertigt sein Eingreifen in den Kampf damit, dass der Lauf seines Wassers durch die Körper der Gefallenen der Schlacht im Allgemeinen und im Besonderen durch die Toten, die die Aristie des Konsuls gefordert hatte, behindert werde (Sil. 4,660–666). Die gesamte Passage ist natürlich eine offensichtliche Anspielung auf den in der Ilias geschilderten Kampf des Achilleus gegen den Skamandros, der dort schließlich durch Hephaistion besiegt wird: Hom. Il. 21,212–384. Siehe hierzu Schönberger 1965, 141; Spaltenstein 1986, 319–322; Niemann 1975, 96–103; Horn 2014, 211 f. Vgl. ferner Tipping 2010a, 169. 827Sil.

4,698–699. lässt sich auch in Hinsicht auf den Kampf am Ticinus feststellen, sodass hier eine Wiederholung dieses Motives vorliegt. Vgl. Niemann 1975, 104. 829Dabei vergisst der Dichter nicht, den aufopferungsvollen Kampf der römischen Soldaten und im Besonderen des Konsuls herauszustellen, was in Form einer Reihe von Einzelszenen geschieht, die in der Aristie Scipios gipfeln. 830Pol. 3,70,3–6; Liv. 21,52,2–8. Vgl. hierzu oben Abschn. 5.2.5.1. 831Sil. 4,700–703. 832Vgl. Niemann 1975, 107. 833Vgl. oben u. a. die Abschnitte zu Coelius Antipater (Abschn. 5.2.2), Cicero (Abschn. 5.2.3.1) und Livius (Abschn. 5.2.5.1). 828Dies

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um den Konsul des Jahres 217 noch um einen weiteren Aspekt erweitert, denn die Wahl des Flaminius ist hier das Resultat des Wirkens der Iuno, die beabsichtigt, den Römern auf diese Weise weiteren Schaden zuzufügen.834 So wird Flaminius, anders als zuvor Sempronius, von Beginn an in einem denkbar negativen Licht dargestellt. Dies wird im Folgenden noch deutlicher sichtbar.835 Zudem weist Iuno Hannibal durch einen Traum auch den Weg zum Trasimenischen See, an dessen Ufern sie ihm einen weiteren großen Sieg über die Römer verheißt.836 Wiederum bietet Silius dann eine konzentrierte Version des Geschehens, sodass die Schilderung der Schlacht recht dicht an das Traumgesicht Hannibals anschließt.837 Das fünfte Buch beginnt dann direkt mit der Schilderung des karthagischen Hinterhaltes.838 In ungeordneter Formation marschiert das römische Heer in den Engpass, und auch Silius versäumt es nicht, auf den Nebel hinzuweisen, der das karthagische Unterfangen begünstigt habe.839 Letztlich entscheidend für die römische Niederlage

834Sil.

4,708–710 (hunc laeuis urbi genitum ad fatalia damna/ominibus parat imperio Saturnia fesso/ductorem dignumque uirum ueniente ruina.). Vgl. Niemann 1975, 107.

835Vgl.

Niemann 1975, 106 f. 4,722–738. Siehe Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2521 („That fact that he [Flaminius] is an instrument of Juno’s design takes him out of the ranks of the Romans being tested by Jupiter, and sets him beside Hannibal as an opponent of Rome.“). 837Dazwischen fügt Silius die aus der früheren Überlieferung bekannten Episoden über den Marsch des karthagischen Heeres über den Apennin und durch die Anio-Marschen ein, in denen Hannibal ein Auge eingebüßt habe. Hinzu kommt noch eine Episode, die sich so nur in den Punica findet (Sil. 4,763–822). Am Trasimenischen See trifft Hannibal auf Gesandte, die sich aus Karthago dorthin begeben hatten, um dem karthagischen Feldherrn eine dunkle Botschaft zu überbringen. Silius führt aus, dass die Punier jedes Jahr unter den Kindern der Stadt Individuen ausgelost hätten, die auf flammenden Altären geopfert werden sollten, um die Götter der Karthager gnädig zu stimmen. Auf Betreiben Hannos, des berühmten Rivalen Hannibals, sei in dessen Abwesenheit sein Sohn zum Opfer bestimmt worden. Da die karthagischen Ratsmitglieder jedoch den Zorn Hannibals in gleichem Maße wie den der Götter fürchteten, zogen sie es vor, diesem die Entscheidung darüber zu überlassen, ob er dem Los folgen wolle. In einer selbstbewussten Rede nimmt Hannibal den gottgleichen Status, den ihm die Ratsherren implizit zugemessen hatten, an und entscheidet sich gegen das Opfer seines Sohnes. An die Adresse der karthagischen Götter gewandt, kündigt er stattdessen an, die römischen Soldaten als menschliche Opfer darzubringen. In der kurzen Episode gelingt es Silius, erstens, eine übertriebene Schilderung der karthagischen Kinderopfer (jährliches Los anstelle des tatsächlich wohl nur in Krisenzeiten durchgeführten Rituals) zu bieten, das durch eine emotionale Rede aus dem Munde von Hannibals Gattin Imilke (Sil. 4,779–802) in düstersten Farbtönen gezeichnet wird, und, zweitens, Hannibals hochmütiges (er sieht sich auf einer Stufe mit einem Gott) wie frevelhaftes (römische Soldaten als Menschenopfer ausersehen) Wesen zu illustrieren. 838Sil. 5,1–3 (Ceperat Etruscos occulto milite colles/Sidonius ductor perque alta silentia noctis/ siluarum anfractus caecis insederat armis). 839Sil. 5,24–44. Während der Schlacht hat der Nebel bei ihm allerdings offenbar keine nennenswerten Auswirkungen auf das Kampfgeschehen, denn er wird im weiteren Verlauf der Darstellung nicht mehr erwähnt. Dies liegt wohl darin begründet, dass die „mannigfaltigen epischen Kampfszenen, auf die es dem Dichter im Gegensatz zu den Historikern vor allem“ ankam, „in dichtem Nebel nicht denkbar“ gewesen wären. So die Vermutung bei Niemann 1975, 112. Dementsprechend löst sich der Nebel schon vor Beginn des Kampfes wieder auf (siehe folgende Anmerkung). 836Sil.

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sei indes das unbedachte Vorgehen des C. Flaminius gewesen, des von Iuno ‚eingesetzten‘ Feldherrn also, der seinen Truppen leichtsinnigerweise befohlen habe, in noch schnellerem Tempo in die Falle hinein zu marschieren.840 Zudem berichtet der Dichter der Punica von insgesamt vier Prodigien, die sich vor der Schlacht ereignet hätten, und die von Flaminius allesamt ignoriert worden seien.841 Auch von seinen Ratgebern, die hier durch einen gewissen Corvinus vertreten werden und Bedenken aufgrund der unheilverkündenden Prodigien sowie der nachteiligen Topografie des Schlachtfeldes vorbringen, habe sich Flaminius nicht zu einem bedachteren Agieren bewegen lassen. Insbesondere habe er es abgelehnt, die Ankunft seines Kollegen Servilius abzuwarten, wobei er die offenherzige Begründung vorgebracht habe, dass er den Ruhm des Sieges nicht mit einem anderen Feldherrn teilen wolle. Auf den Einwand, der die Topografie des Schlachtfeldes betrifft, geht Flaminius bezeichnenderweise nicht ein, was seine Inkompetenz als Feldherr unterstreicht.842 Als Flaminius sich zur Schlacht rüstet, nutzt Silius die Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass der Schild des Konsuls einst „mit keltischem Blut“ bespritzt worden sei, was, zum einen, nicht die erste Anspielung auf Flaminius’ in der römischen Überlieferung vielgescholtenen Keltenkrieg darstellt und, zum anderen, auf seinen Tod in der Schlacht von der Hand des Boiers Ducarius vorausdeutet.843 In diesen Abschnitten versammelt Silius also die vier Faktoren, die mit der Niederlage am Trasimenischen See bereits in der früheren Überlieferung hauptsächlich in Verbindung gebracht worden waren. Flaminius spielt dabei stets eine tragende Rolle: sein unüberlegter Vorstoß zum Trasimenischen See, die Liste der Prodigien, die Uneinigkeit mit seinen Beratern und schließlich seine Vergangenheit im Keltenkrieg, die nun auf ihn zurückfällt. Die Vorgänge vor der

840Sil. 5,53–58 (Ocius interea propelli signa iubebat/excussus consul fatorum turbine mentem,/ donec flammiferum tollentes aequore currum/solis equi sparsere diem. iamque orbe renato/ diluearat nebulas Titan, sensimque fluebat/caligo in terras nitido resoluta sereno). 841Sil.

5,59–76. Der Hinweis darauf, dass C. Flaminius warnende Prodigien missachtet haben soll, bevor er gegen Hannibal auszog, gehörte mindestens seit der Darstellung des Coelius Antipater fest zur Überlieferung der römischen Niederlage am Trasimenischen See (siehe oben Abschn. 5.2.2). Die Vorzeichen, die sich nach der Darstellung in den Punica ereignet haben sollen, unterscheiden sich allerdings von den aus früheren Quellen bekannten. Vgl. Niemann 1975, 113. Zunächst hätten die heiligen Hühner die Nahrung verweigert, was ebenso traditionell als schlechtes Vorzeichen galt wie der Umstand, dass sich ein Opferstier losgerissen hätte, nachdem ihn der Schlag des Opferbeils nicht richtig getroffen habe. Ob Silius jeweils ein bestimmtes Vorbild vor Augen hatte, als er diese Omina in den Vorspann der Schlacht am Trasimenischen See einbaute, ist unklar (vgl. die kurze Diskussion bei Niemann 1975, 113, Anm. 2). Im Fall des entflohenen Opfertieres wäre es allerdings denkbar, dass Silius diesen Vorfall, der sich nach Liv. 21,63,13 beim Amtsantritt des Flaminius ereignet haben soll, von dort in den direkten Vorspann der Schlacht verschoben hat (Niemann 1975, 113, Anm. 2 zeigt sich in dieser Hinsicht allerdings skeptisch). Spaltenstein 1986, 340 nimmt an, dass Silius die Passage über die Missachtung der heiligen Hühner von Cicero (Cic. div. 1,77) übernahm, dessen Werk er offenbar schätzte (vgl. Pomeroy 2010, 31: „a favorite author“). 842Sil. 5,77–129. Vgl. Niemann 1975, 115. 843Sil. 5,130–150. Weitere Anspielungen auf den Keltenfeldzug des Flaminius bei Sil. 5,107–113; 5,137–139; 5,649–655. Vgl. Spaltenstein 1986, 344 f.

5.2  Der Feind vor den Toren

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Schlacht, also die Vorbereitung des Hinterhalts durch die Karthager sowie die Kontroversen auf römischer Seite, schildert Silius so, dass der Eindruck entsteht, diese hätten sich in zeitlich konzentrierter Weise am Morgen der Schlacht abgespielt. Die Schilderung der Schlacht selbst folgt dann, wie schon die des Kampfes an der Trebia, mehr den Vorbildern „traditioneller epischer Kampfdarbietungen“ als der „bekannten historischen Überlieferung“, sodass „ein weitgehend eigenständiges Gebilde entsteht“.844 Eine detaillierte Analyse der gesamten Schilderung der Schlacht am Trasimenischen See bei Silius Italicus hat bereits Niemann vorgelegt, sodass im Folgenden der Blick vor allem auf die für das Thema besonders relevanten Aspekte gelegt wird.845 Die Schlacht zerfällt in eine Reihe von Aristien, die hier in der Regel dazu dienen, Tapferkeit und Aufopferungsbereitschaft zu demonstrieren, die die Römer in der Niederlage zeigen. So erscheint der Militärtribun Lentulus, der bei Cannae dem L. Aemilius Paullus sein Pferd angeboten haben soll, damit der verwundete Konsul vom Schlachtfeld fliehen könne, bereits am Trasimenischen See als hilfsbereiter Kampfgefährte.846 Der Römer Appius, dessen Aristie mit seinem eigenen Tod endet, zeigt wiederum nicht nur seine Bereitschaft, sein eigenes Leben für die römische Sache zu geben, sondern auch eine besondere Kampfeslust, die die Römer hier gerade in der Niederlage beweisen, und die sie für ihre Gegner besonders gefährlich macht.847 Als Kontrast dazu kann eine Szene gedeutet werden, in der eine Gruppe von bundesgenössischen Kämpfern vor den Karthagern auf einige Bäume geflohen ist, um dem Tod durch die Waffen der Gegner zu entgehen.848 Diese Flucht bringt ihnen jedoch ein noch schlimmeres Schicksal ein, da die Bäume von den Karthagern gefällt bzw. in Brand gesetzt werden. Durch die Demonstration der Folgen der „Feigheit“ dieser Kämpfer steht diese Passage also letztlich ebenso im Dienst von „konventionellen Tapferkeitsvorstellungen“.849 An anderen Stellen hat Silius Details aus früheren Berichten zur Schlacht aufgegriffen, diese dann jedoch in einer Weise in seine Schilderung eingesetzt, die sich deutlich von denen seiner Vorlagen unterscheidet. So findet sich auch bei Silius die Erwähnung eines Erdbebens, das sich während des Kampfes ereignet

844Niemann

1975, 120 f. (Zitat). 1975, 120–158. 846Sil. 5,251–257. Vgl. Niemann 1975, 127: „Daß Silius gerade den Lentulus als einen jederzeit zum hilfreichen Einspringen bereiten Kameraden charakterisiert, ist keineswegs Zufall. Durch diese Szene soll offenbar Lentulus’ Verhalten dem verwundeten Feldherrn Paulus in der Schlacht bei Cannae gegenüber bereits vorbereitet werden; denn Lentulus stellt hier dieselbe Charaktereigenschaft unter Beweis, durch die er sich in der späteren Szene in noch stärkerem Maße auszeichnen wird“. 847Niemann 1975, 127–133, bes. 129: Die „ganze Appius-Passage […]“ hat „die Funktion, Leistung, Tapferkeit und Gefährlichkeit der Römer in der Niederlage hervorzuheben“. 848Sil. 5,475–516. Schon bevor die karthagischen Soldaten ihre auf die Bäume geflüchteten Gegner angreifen, streiten sich diese um möglichst sicheren Platz (Sil. 5,494–497). 849So zutreffend Fuhrmann 1968/1983, 61: „[D]ie Partie soll zugleich dartun, daß Feigheit vor dem Feinde nur ein desto schlimmeres Ende bewirkt; sie dient also konventionellen Tapferkeitsvorstellungen“. Vgl. hierzu Niemann 1975, 143. 845Niemann

400

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haben soll.850 In den Punica verhindert das Erdbeben das Aufeinandertreffen der beiden Feldherren Hannibal und Flaminius, die sich bereits kampfbereit gegenüberstehen, als der Boden zu wanken beginnt.851 Durch die Trennung der Feldherren gelingt es Silius, einerseits den Höhepunkt beider Aristien, derjenigen Hannibals und der des Flaminius, in Form eines direkten Aufeinandertreffens der Heerführer zu erreichen, andererseits, durch die Trennung aufgrund des Erdbebens, den Tod des Flaminius, wie überliefert, durch die Hand eines keltischen Kriegers erfolgen zu lassen.852 Die übrigen Kämpfenden hätten noch für eine kurze Zeit auf schwankendem Grund weiter gefochten, bis die Römer recht unvermittelt die Flucht angetreten hätten. Das fünfte Buch endet jedoch nicht mit der Flucht der römischen Soldaten, sondern mit dem Tod des Flaminius auf dem Schlachtfeld. Wie erwähnt, war es bereits ein etablierter Bestandteil der Überlieferung zur Schlacht, dass Flaminius durch die Hand eines keltischen Kriegers gestorben sei, dessen Name, Ducarius, mindestens seit Livius ‚bekannt‘ war.853 In den Punica versucht Flaminius zunächst die Flucht der Römer aufzuhalten, bis Ducarius ihn erreicht und zum Kampf stellt, wobei er nochmals auf den Feldzug des Flaminius gegen die Kelten hinweist, der großen Schrecken über die Boier gebracht habe.854 Der Tod des Flaminius ist also (auch) ein Racheakt der Kelten, wobei Silius diese Passage im Vergleich zur livianischen Schilderung insofern abändert, als dass es hier nicht die Tat eines einzelnen Kelten, sondern die vieler ist, die den Konsul mit Geschossen verwunden und von allen Seiten attackieren bis dieser zu Boden geht. Diese modifizierte Darstellung lässt sich in zwei Richtungen deuten: Einerseits bezahlt Flaminius den Preis für sein unbedachtes Vorgehen, das ihn Vorzeichen und Warnungen übergehen ließ, andererseits ist es einem einzelnen Gegner nicht möglich, den römischen Konsul zu überwinden, sodass dies viele Kelten, noch dazu mit Fernwaffen, also nicht im Nahkampf, bewerkstelligen müssen. In diesem Zusammenhang lässt sich dies wohl als wenig ehrenhaftes

850Sil.

5,609–631. Hiervon hatte bereits Livius berichtet (Liv. 22,5,8). hatte hingegen zu berichten gewusst, dass die Kämpfenden so verbissen gerungen hätten, dass sie des Bebens nicht gewahr geworden seien (siehe vorherige Anmerkung). 852Siehe bes. Sil. 5,611–613. S. zur Stelle Niemann 1975, 151 („Silius hat einen Kompromiß zu schließen versucht“). Vgl. Spaltenstein 1986, 382 f. 853Die Tat des Ducarius wurde in diesem Zusammenhang als Rache für die Verheerungen des Feldzuges bezeichnet, den Flaminius Jahre zuvor im Gebiet der Kelten geführt hatte. Siehe vor allem Liv. 22,6,1–4. Vgl. hierzu oben Abschn. 5.2.5.1. Wie bereits erwähnt, hatte auch Silius an anderer Stelle auf den früheren Keltenkrieg des Flaminius hingewiesen. Siehe u. a. Sil. 4,704– 706; 5,142–143. 854Sil. 5,644–655: Dumque ea commemorat densosque obit obuius hostes,/aduolat ora ferus mentemque Ducarius. acri/nomen erat gentile uiro, fusisque cateruis/Boiorum quondam patriis antiqua gerebat/uulnera barbaricae mentis noscensque superbi/uictoris uultus ‚tune‘ inquit ‚maximus ille Boiorum terror? libet hoc cognoscere telo,/corporis an tanti manet de uulnere san­ guis./nec uos paeniteat, populares, fortibus umbris/hoc mactare caput. nostros hic curribus egit/ insistens uictos alta ad Capitolia patres./ultrix hora uocat.‘ 851Livius

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Vorgehen deuten.855 Mit dem Tod des Flaminius sei die Schlacht entschieden gewesen, doch entschließt sich eine Gruppe von jungen, römischen Kämpfern ihrem Feldherrn in den Tod zu folgen. Sie hätten sich auf den Leichnam ihres Feldherrn geworfen und diesem auf diese Weise ein Grabmal aus ihren eigenen Körpern errichtet.856 Der letzte Kampf des Flaminius war bereits in früheren Darstellungen der Schlacht als heroisches Gefecht dargestellt worden, in dem der Konsul, der eine große Verantwortung für die Niederlage trug, sich zumindest als Krieger bewähren konnte, wenn er schon als Feldherr versagt hatte.857 Diese Vorlage nimmt Silius in den Punica auf und erweitert sie um den Aspekt, dass nicht nur der Konsul, sondern eben auch eine Gruppe junger römischer Kämpfer Anteil am Geschehen hat. Dadurch, dass Silius sie ihren toten Feldherrn mit ihren eigenen Körpern bedecken lässt, greift er die bekannte Überlieferung auf, nach der der Leichnam des Flaminius von Hannibals Soldaten am nächsten Morgen auf dem Schlachtfeld nicht mehr identifiziert werden konnte, und nutzt dieses Detail zur Zeichnung eines Denkmals für Tapferkeit und Kampfgeist der Römer.858 Auf diese römischen Eigenschaften weist Hannibal selbst seine Untergebenen bei der Besichtigung des Schlachtfeldes nach dem Kampf hin. Der karthagische Feldherr sagt Rom zudem die Herrschaft über die Welt voraus, da es diese selbst in Niederlagen noch bezwänge (ipsis devincat cladibus orbem).859 Hannibals Rede an dieser Stelle hebt ein Grundthema der Punica insgesamt hervor, nämlich die besondere Stärke, die die Römer gerade in Niederlagen offenbart hätten – ein Gedanke, der auch hier, wie schon andernorts, von einem Gegner Roms formuliert wird.860

855Sil.

5,655–658. Vgl. Niemann 1975, 155 („Im Gegensatz zu Livius läßt Silius Flaminius nicht von der Hand des Ducarius umkommen, sondern durch einen Hagel von Bojergeschossen, um – wie er hier selbst sagt – keinem konkreten Gegner den Ruhm zu überlassen, den römischen Konsul getötet zu haben […]“.). Siehe in diesem Zusammenhang auch Sil. 10,301–308 (Tod des Paullus bei Cannae).

856Sil.

5,658–666. ist insbesondere in der Darstellung des Livius der Fall. Vgl. Spaltenstein 1986, 386. Siehe hierzu oben Abschn. 5.2.5.1. 858Sil. 5,665–666 (sic densi caedis aceruo/ceu tumulo texero uirum.). Vgl. Niemann 1975, 156, der anmerkt, dass das „Verhalten von Flaminius’ Mitstreitern gegenüber Livius’ Erzählung, in der diese Ducarius daran hindern, den Toten seiner Rüstung zu berauben […], erheblich gesteigert“ sei. 859Sil. 5,669–676 (Rede Hannibals): ‚Quae uulnera cernis,/quas mortes!‘ inquit ‚premit omnis dextera ferrum,/armatusque iacet seruans certamina miles./hos, en, hos obitus nostrae spectate cohortes!/fronte minae durant, et stant in uultibus irae./et uereor, ne, quae tanta creat indole tel­ lus/magnanimos fecunda uiros, huic fata dicarint/imperium, atque ipsis deuincat cladibus orbem‘. Vgl. Kissel 1979, 91; Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2522; Tipping 2010a, 78. 860Bereits zuvor (siehe etwa die vorangegangenen Abschnitte zu Livius) konnte angemerkt werden, dass in unterschiedlichen Werken es oftmals gerade Feinde Roms sind, die diese Qualität der Römer rühmend oder warnend betonen. Die Passage am Ende des fünften Buches bietet also ein weiteres Beispiel für diese bereits zuvor etablierte Darstellungsweise. Vgl. Niemann 1975, 156 f., der hierin den „Grundgedanke[n], den Silius seiner Darstellung der römischen Niederlagen unterlegt hat“ (157), sieht. 857Das

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Die Schlacht am Trasimenischen See markiert zweifellos einen der Höhepunkte der ersten Bücher der Punica, nach denen Silius die Regulus-Episode eingeschoben hat.861 Wie bereits gesehen erinnern die Römer in den Punica nach der bislang größten Niederlage des Krieges an das Beispiel des Regulus, dessen charakterliche Standhaftigkeit und Aufopferung im Dienste der Römer ja in der Tat schon lange vor der Zeit des Silius zu einem urrepublikanischen exemplum geworden waren. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Regulus der Punica im sechsten Buch den großen Helden der mittleren Phase des Hannibalkrieges, Q. Fabius Maximus, in gewisser Weise präfiguriert.862 Jener Fabius ist dann auch die zentrale Figur, die im siebten Buch auf römischer Seite das Geschehen dominiert. Seine Ablösung durch den neuen Konsul C. Terentius Varro leitet zur Katastrophe bei Cannae über, wie gleich mehrfach betont wird. Denn solange Fabius die römischen Heere umsichtig zurückgehalten hatte, habe sich für Hannibal keine Gelegenheit zu einem weiteren Sieg auf dem Schlachtfeld eröffnet.863 Mit dieser Deutung bewegt sich Silius also auf den mindestens seit Ennius etablierten Bahnen. Auch die Darstellung der Schlacht von Cannae sowie derjenigen Ereignisse, die dieser vorangingen, vereint Elemente der historiografischen Überlieferung, die Silius Italicus vorlag, und der epischen, aus der seine Vorbilder stammten. So findet sich auch in den Punica, zu Beginn des achten Buches, der Hinweis darauf, dass das karthagische Heer kurz davor gestanden habe, sein Unternehmen aufgeben zu müssen, da es unter großer Nahrungsknappheit gelitten hätte.864 Sogar Hannibal selbst sei entmutigt gewesen, bis ihn Iuno durch die Nymphe Anna Perennia unter ausdrücklichem Hinweis auf Varros Amtsantritt auf die neue, günstigere Lage hingewiesen habe. Wie schon bei den vorherigen Gelegenheiten, in denen Iuno Hannibal durch Träume entscheidende Hinweise zur weiteren Planung des Feldzuges zukommen ließ, gibt auch die Nymphe Hannibal eine direkte Empfehlung hinsichtlich der Wahl des Schlachtfeldes.865 Der karthagische Feldherr agiert also zum wiederholten Male unter Anleitung der ihm gewogenen Gottheit. Allerdings bildet

861Diese

muss hier nicht erneut im Detail besprochen werden. Siehe dazu oben Abschn. 5.1.6. oben Abschn. 5.1.6. und siehe Niemann 1975, 159 f.; Fröhlich 2000, 176 f. 863Sil. 8,35 f. (cum Varrone manus et cum Varrone serenda/proelia. ne desit fatis ad signa mou­ enda). Siehe auch Sil. 8,216–218 (Mutati fasces; iam bellum atque arma senatus/ex inconsulto posuit Tirynthius heros,/cumque alio tibi Flaminio sunt bella gerenda.); 8,235–237. Zuvor berichtet auch Silius von der Gleichsetzung des M. Minucius Rufus mit Q. Fabius Maximus im Rang und den Folgen, die dies für die Römer gehabt habe. Letztlich kann Fabius eine Katastrophe noch verhindern (siehe Sil. 7,494–750). 864Sil. 8,11–15. 865Sil. 8,25–241. Siehe bes. 8,35–36 (cum Varrone manus et cum Varrone serenda/proelia. ne desit fatis ad signa mouenda). Vgl. zur Stelle Spaltenstein 1986, 500 f., der u. a. darauf hinweist, wie Silius den Umschwung, der durch Varros Amtsantritt für die karthagische Sache eingetreten sei, auch sprachlich betont. Allerdings ist die Authentizität der Verse 8,144–226 unsicher, da die erhaltenen Handschriften an dieser Stelle eine Lücke aufweisen. Es kann jedoch wiederum kaum ein Zweifel daran bestehen, dass die Nymphe Hannibal in dieser Passage eine erfolgreiche Fortsetzung seines Feldzuges in Aussicht gestellt haben wird. Vgl. Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2497: „Even on the basis of what remains if we exclude from consideration, a number of observations are justified. First, Anna must have offered some strong reassurance to Hannibal […]“. 862Vgl.

5.2  Der Feind vor den Toren

403

der Umstand, dass Varro nun das Konsulat bekleidet, eindeutig den entscheidenden Faktor beim Zustandekommen der Niederlage. Gemäß der historiografischen, insbesondere der livianischen Vorlage breitet der Dichter der Punica Varros niedrige Herkunft aus und lässt keinen Zweifel daran, dass dieser erst durch demagogische und gegen den Senat gerichtete Umtriebe in das Konsulat gelangt sei. Varro bestätigt diese Einschätzung durch eine gegen den Fabius Maximus gerichtete Rede, in der er einen raschen Sieg über Hannibal ankündigt, der dem römischen Volk außerdem auch helfen werde, die Herrschaft der Senatoren (patrum reg­ num) zu brechen.866 Auf eine Schilderung der Wahl Varros ins Konsulat verzichtet Silius, übernimmt allerdings sowohl die Warnung, die Fabius an den Kollegen des Varro, L. Aemilius Paullus, richtet, als auch dessen resignierte Antwort, in der der Aemilier für den Fall einer Niederlage seinen eigenen Tod auf dem Schlachtfeld ankündigt.867 Der Vergleich mit Livius’ Text zeigt zudem, dass Silius den Gegensatz zwischen den beiden Konsuln und insbesondere die Uneinigkeit, die zum einen zwischen dem Senat sowie Paullus und Varro, zum anderen zwischen den Senatoren und dem einfachen Volk geherrscht habe, zwar durchaus erwähnt. Doch Silius hebt diesen Konflikt nicht in dem gleichen Maße hervor, wie es Livius getan hatte.868 Der Gegensatz zwischen Varro und Paullus bei deren Aufbruch wird von Silius lediglich in eher dezenter Umschreibung wiedergegeben.869 Mit dem Aufbruch der beiden Konsuln in ihr Heerlager beginnt ein neuer Abschnitt in der Darstellung der Ereignisse um Cannae. Silius hat in den Punica mehrere Hinweise darauf gegeben, dass dieser Schlacht ein besonderer Status zukomme. Dies beginnt damit, dass er betont, dass niemals zuvor ein größeres Heer als das der Konsuln auf italischer Erde marschiert sei, und findet eine Fortführung darin, dass Silius die Armee von Römern und Verbündeten zudem in Form eines Truppenkataloges vorstellt, mit dem er gleichzeitig ein typisches Element des historischen Epos einfügt.870 Zudem stellt Silius eine Verbindung zu einer anderen großen Niederlage Roms her, die im Epos an mehreren Stellen Erwähnung fin-

866Sil. 8,242–277. Vgl. zur Charakterisierung Varros Niemann 1975, 161 f.; Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2531 f. 867Sil. 8,297–348. Siehe hier bes. die abschließenden Worte des Paullus in 8,345–348 (sed si curda mihi pugnabunt castra monenti,/haud ego uos ultra, nati, dulcemque morabor/Assaraci de gente domum similemue uidebit/Varroni Paulum redeuntem saucia Roma). Vgl. Niemann 1975, 162; Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2533 f.; Spaltenstein 1986, 520 f. 868Siehe zu dieser Beobachtung Pomeroy 2010, 40. Vgl. oben Abschn. 5.2.5.1. 869Sil. 8,349–350: Sic tum diuersa turbati mente petebant/castra duces. Somit findet sich in den Punica keine Entsprechung der Passage bei Livius, in der jener den getrennten Auszug der beiden Konsuln, von denen einer von den Senatoren und den angesehensten Bürgern, der andere allein von Angehörigen der niedrigsten Schichten, aus der Stadt begleitet wird, mit einer hohen Bedeutung auflädt (Liv. 22,40,4). 870Sil. 8,352–616. Vgl. Niemann 1975, 162 f., bes. 163 (Der Truppenkatalog an dieser Stelle trage dazu bei, „die Bedeutung der bevorstehenden Niederlage vor den anderen hervorzuheben, was Silius’ Intention, wie sich noch an vielen anderen Einzelheiten zeigen wird, sehr entgegenkommt.“).

404

5  Die römisch-karthagischen Kriege

det, nämlich zur Schlacht an der Allia und der anschließenden Einnahme Roms.871 Denn die Geister der Gallier, die ihren Gräbern entstiegen seien, suchen die schlafenden Römer vor der Schlacht heim.872 Silius berichtet von dieser Erscheinung im Rahmen einer Aufzählung von verschiedenen unheilvollen Vorzeichen, die sich nicht nur im Lager der Römer, sondern in ganz Italien ereignet hätten und natürlich ebenfalls dazu beitragen, die Bedeutung des folgenden Ereignisses herauszustellen. Dass man diese Intention bei Silius vermuten darf, wird noch deutlicher, wenn man seinen Vorzeichenbericht mit früheren Darstellungen vergleicht. In den Punica reiht der Dichter 20 verschiedene Vorzeichen aneinander, was eine deutliche Steigerung etwa gegenüber der Schilderung bei Livius darstellt, der ja gerade vor Cannae relativ wenige Prodigien verzeichnet hatte.873 Vor den eigentlichen Beginn der Schlacht fügt Silius noch zwei weitere Passagen ein, die jeweils zusätzliche Schatten auf den bevorstehenden Kampf werfen. Aus der historiografischen Vorlage übernimmt er den Streit der Konsuln vor Schlachtbeginn, den Wechsel des Kommandos sowie den Angriff, den Varro abbricht, als Paullus ihn warnt, dass die Eingeweideschau an diesem Tag ungünstige Vorzeichen ergeben habe. An dieser Stelle hat der Dichter der Punica offenbar zwei verschiedene Ereignisse zusammengezogen, worauf bereits Niemann hingewiesen hat.874 Denn Silius schildert zunächst, dass Paullus seinen Kollegen vor schlechten Vorzeichen gewarnt habe, Varro sich hiervon allerdings in seinem Drängen zum Angriff nicht habe abhalten lassen, sondern erst dadurch gestoppt worden sei, dass Paullus an dem betreffenden Tag das Oberkommando innegehabt habe.875 Bei Livius werden diese zwei Vorfälle in unterschiedlichen Passagen, die sich auf zwei verschiedene Tage beziehen, berichtet.876

871Weitere

Beispiele für Anspielungen auf die ‚Gallische Katastrophe‘ finden sich etwa in Sil. 4,150–153; 6,555–556; 13,79–81 (vgl. hierzu Spaltenstein 1990, 211). In Sil. 13,1–2 ist es der tarpeische Hügel (Tarpeia […] culmina), der auf dem Rückzug der Karthager aus Hannibals Blickfeld entschwindet, was sein Scheitern verdeutlicht. 872Sil. 8,641–642 (ludificante etiam terroris imagine somnos/Gallorum uisi bustis erumpere manes, […]). Die Erwähnung der busta Gallica ist eindeutig dazu geeignet, eine Assoziation zur Belagerung des Kapitols durch die Gallier herzustellen, auch wenn diese hier nicht explizit erwähnt wird. Vgl. Spaltenstein 1986, 556. 873Sil. 8,624–655. Siehe hierzu Niemann 1975, 165: „[D]er wesentliche Unterschied zu Silius besteht jedoch darin, daß Polybios nur allgemein vom Auftreten solcher Prodigien spricht und Livius lediglich vier verschiedene Zeichen nennt, die zudem noch zu einem früheren Zeitpunkt stattfinden, während der Dichter eine ganze Fülle von Vorzeichen (20!) aneinanderreiht“. Bei diesem Vergleich ist freilich in Rechnung zu stellen, dass Vorzeichen und religiöse Reaktionen in den Augen des Polybios Ausdruck eines Aberglaubens waren, den er missbilligte und wohl auch daher generell in seiner Darstellung der punischen Kriege wenig Raum gegeben hat. 874Niemann 1975, 171. 875Sil. 9,15–18 (nec pecudum fibras Varro et contraria Paulo/auspicia incusante deum compesceret arma,/ni sors alterni iuris, quo castra reguntur,/arbitrium pugnae properanti in fata negasset.). Vgl. hierzu Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2533 f. 876Liv. 22,42,7–9 (Stopp des Angriffs wegen ungünstiger Ergebnisse der Eingeweideschau); 22,41,2–3; 22,45,4 (Varro durch den Oberbefehl des Paullus gestoppt).

5.2  Der Feind vor den Toren

405

Vermutlich beabsichtigte Silius durch diese zeitliche Raffung eine Zuspitzung der Darstellung auf Cannae zu erreichen, auch wenn dadurch der erste Versuch des Paullus, Varro durch den Hinweis auf das ungünstige Auspicium zu stoppen, streng genommen wenig Sinn ergibt, da er ja direkt auf seinen turnusmäßigen Oberbefehl hätte verweisen können.877 Zudem berichtet Silius davon, dass zwei Soldaten aus den verfeindeten Lagern sich nachts bei einem Erkundungsgang getroffen h­ ätten. Hierbei habe es sich um Vater und Sohn gehandelt, die einander nicht erkannt hätten, weshalb der Sohn den Vater erschlagen habe.878 Silius fügte dieses ‚Nachtstück‘ unmittelbar vor der Schlacht von Cannae ein, um einen weiteren Hinweis auf die bevorstehende Niederlage zu geben.879 Diese Vorausdeutung wird durch die explizite Warnung unterstrichen, die der Sohn Solimon im Auftrag seines Vaters Satricus auf dessen Schild anbringt (Fuge proelia Varro).880 In der Schilderung der Schlachtaufstellungen beider Seiten orientiert sich Silius, wie schon im Falle der vorangegangenen Niederlagen, kaum an den historiografisch überlieferten Formationen, und nimmt sich auch in anderer Hinsicht manche Freiheiten, unter denen die Positionierung des jungen Scipio als Kommandeur über einen Truppenteil am auffälligsten ist. Dies trägt dazu bei, den Scipionen noch stärker als einen der zentralen Akteure des Epos zu etablieren.881 Der besondere Status der Schlacht von Cannae soll wohl auch in dem direkten Eingreifen einer Reihe von Göttern in das Kampfgeschehen betont werden.882 Die Darstellung der Schlacht formt Silius auch im Fall von Cannae aus verschiedenen Einzelepisoden und Aristien, wobei er fast gänzlich darauf verzichtet, die spezifischen taktischen Manöver des Gefechtes zu erwähnen oder gar zu erläutern. Vielmehr zielen praktisch alle Passagen vor allem darauf ab, einerseits die besondere Bedeutung der

877Eine

zeitliche Komprimierung seiner Vorlage hatte Silius, wie oben gesehen, auch hinsichtlich der Schlachten an der Trebia sowie derjenigen am Trasimenischen See vorgenommen. 878Sil. 9,66–177. 879Vgl. Niemann 1975, 176 f. Silius habe für diese Episode „die für die Römer böseste Nacht ausgesucht: Hannibals Heer sitzt ihnen kampfbereit gegenüber; durch das kriegerische Vorgeplänkel einerseits und den Rededisput zwischen Varro und Paulus andererseits ist deutlich geworden, daß es beim Kommandowechsel am folgenden Morgen zur Schlacht kommen wird, die nach den zahlreichen vorausgegangenen Omina für die Römer unglücklich verlaufen muß […]“. 880Sil.

9,175. Siehe hierzu u. a. Tipping 2010a, 37 f. in der Schlachtaufstellung bei Cannae: Sil. 9,275–277. Dieser Intention entsprechend hatte Silius ja bereits die Darstellung des Kampfes am Ticinus gestaltet. 882Sil. 9,287–303. Mars, Apollo, Neptun, Venus, Vesta, Herkules, Kybele, Faunus, Quirinus sowie Kastor und Pollux treten dabei auf römischer Seite an, während Iuno, Pallas, Ammon und eine unbestimmte Menge „niederer Götter“ (turba divorum minorum) für die Karthager kämpfen wollen. Vgl. Niemann 1975, 187: „Das Herannahen der Götter zum Kampf hat in den Punica die Funktion – und darauf kommt es Silius im wesentlichen an –, die Schlacht bei Cannae gegenüber den voraufgegangenen Niederlagen hervorzuheben, in denen zwar auch bisweilen ein göttlicher Eingriff stattgefunden, aber nirgendwo eine so große Zahl Überirdischer durch ihre Anwesenheit am Orte der Begegnung ihr Interesse bekundet hatte […]“. Siehe auch Spaltenstein 1990, 27. 881Scipio

406

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Schlacht sichtbar werden zu lassen, andererseits Beispiele für die herausragende moralische Haltung zu geben, mit der sich die Römer der Niederlage stellen.883 Der zentrale Akteur auf römischer Seite ist dabei Paullus, der gleich in mehreren wichtigen Passagen auftritt. So begegnen sich die beiden römischen Konsuln auf dem Schlachtfeld – ein weiterer Beleg dafür, wie sehr sich Silius in seiner Ausgestaltung der überlieferten historischen Ereignisse von seinen Vorlagen entfernte. Dabei hält Paullus dem Varro wütend dessen Verantwortung für die sich abzeichnende Katastrophe vor. Ausdrücklich bezieht der Aemilier das einfache Volk, das Varro erst in das Konsulat gebracht habe, in seine Vorwürfe mit ein. Varro hingegen scheint, angesichts der sich abzeichnenden Katastrophe, das Vertrauen in die Richtigkeit der eigenen Position gänzlich verloren zu haben. Er gesteht sein Scheitern ein, wirft zugleich jedoch dem „Vaterland“ (patria) vor, ihn überhaupt zum Feldherrn bestellt zu haben, was den negativen Eindruck, der auf ihm lastet, weiter verstärken muss, da er offenbart, der Situation in keiner Weise gewachsen zu sein.884 Mit seinem Schicksal hadernd verlässt Varro das Schlachtfeld, wodurch seine Flucht, mit der das neunte Buch schließt, recht unspektakulär geschildert wird. Im zehnten Buch sieht man mit Paullus nur noch einen Konsul bei Cannae agieren.885 Dort schlägt

883So

führt Hannibal hier eine ansehnliche Elefantenstreitmacht ins Feld, die der Schlacht noch monumentalere Dimensionen verleiht. Silius gewährt dem Kampf der Römer gegen die Kriegselefanten beträchtlichen Raum (Sil. 9,570–631) und zeichnet ein möglichst bedrohliches Bild der Tiere. Siehe u. a. Sil. 9,570 f. (appellitur atra/mole fera, et monstris componitur Itala pubes). Vgl. zu den Implikationen der hier verwendeten Semantik Spaltenstein 1990, 49. Siehe auch Niemann 1975, 212.

884Vgl.

Sil. 7,555–556, wo Q. Fabius Maximus seinen Sohn ermahnt, dass der Zorn auf das Vaterland einen Frevel (nefas) darstelle. Auch im Eingeständnis der eigenen Fehler verhält sich Varro also entgegen der Normen, die von einem römischen Konsul zu erwarten wären. Siehe zur Fabius-Rede im siebten Buch Marks 2005, 25. Vgl. auch Spaltenstein 1986, 483. 885Sil. 9,632–657: Has inter clades uiso Varrone sub armis/increpitans Paulus ‚quin imus com­ minus‘ inquit/‚ductori Tyrio, quem uinctum colla catenis/staturum ante tuos currus promisimus urbi?/heu patria, heu plebes scelerata et praua fauoris!/haud umquam expedies tam dura sorte malorum,/quem tibi non nasci fuerit per uota petendum,/Varronem Hannibalemne, magis.‘ dum talia Paulus,/urget praecipites Libys atque in terga ruentum/ante oculos cunctas ductoris con­ citat hastas./pulsatur galea et quatiuntur consulis arma./acrius hoc Paulus medios ruit asper in hostes./Tum uero excussus mentem, in certamina Paulo/auia diducto, conuertit Varro manu­ que/cornipedem inflectens ‚das,‘ inquit ‚patria, poenas,/quae Fabio incolumi Varronem ad bella uocasti./quaenam autem mentis uel quae discordia fati?/Parcarumque latens fraus est? abrum­ pere cuncta/iamdudum cum luce libet. sed comprimit ensem/nescio qui deus et meme ad grauiora reseruat./uiuamne et fractos sparsosque cruore meorum/hos referam populo fasces atque ora per urbes/iratas spectanda dabo et, quo saeuius ipse/Hannibal haud poscat, fugiam et te, Roma, uidebo?‘/plura indignantem telis propioribus hostes/egere et sonipes rapuit laxatus habe­ nas. Vgl. zu dieser Passage Niemann 1975, 212–215 (214): „Sehr dezent hat Silius mit dieser Szene die Flucht des Konsuls gestaltet, welche darzustellen ihm als Proklamator alter römischer Tugend, die er gerade am Beispiel des Zweiten Punischen Krieges aufzeigen wollte, peinlich sein mußte; ganz verschweigen konnte er aber dies wichtige Faktum nicht, von dem die Historiker vornehmlich in tadelndem Tone berichten; so mußte er es abzumildern suchen“. Gleichzeitig lasse der Blick in die Gedankenwelt Varros, der durch das Selbstgespräch des Konsuls ermöglicht wird, diesen nicht zu positiv erscheinen, wenn er mit dem „Eingeständnis seines Scheiterns“ einen Vorwurf „gegen das Vaterland“ verbinde, „mit ihm den Falschen zum Oberbefehlshaber gewählt zu haben“. Paullus hingegen stellt sich seinem Schicksal, an dem er der Darstellung in den Punica nach keine Schuld trägt, ohne zu hadern.

5.2  Der Feind vor den Toren

407

Paullus in einer langen, in zwei geteilten Passagen geschilderten Aristie zahlreiche Gegner, doch sein eigentliches Ziel besteht darin, Hannibal selbst auf dem Schlachtfeld zu töten, um die Feinde durch den Einsatz seines eigenen Lebens aufzuhalten.886 Der Konsul wird erst durch einen geschleuderten Felsbrocken aufgehalten, der ihn schwer verwundet, was zu der Szene führt, die bereits Livius als Todesszene des Paullus geschildert hatte.887 Der flüchtende Militärtribun Lentulus trifft auf den Paullus, der blutend und „grimmigen Blickes in den Tartaros hinabsinkend“ an einem Felsen lehnt. Wie im livianischen Text versucht Lentulus Paullus davon zu überzeugen, vom Schlachtfeld zu fliehen.888 Neben dieser generellen Übereinstimmung beider Darstellungen gibt es aber auch Unterschiede. So hatte den Lentulus bei Livius vor allem der Gedanke angeleitet, dass der am Geschehen Unschuldige Paullus nicht sterben solle sowie dass die Niederlage nicht noch durch den Tod eines Konsuls verschlimmert werden solle.889 In den Punica äußert der

886Die

Aristie des Paullus: Sil. 10,1–82 und 10,170–308. Zwischen beide Teile hat Silius eine Aristie Hannibals eingefügt, die insofern mit der ersten Paullus-Aristie verbunden ist, als dass der Konsul beabsichtigt, den karthagischen Feldherrn im Kampf zu stellen, was jedoch von Iuno, die um das Leben Hannibals besorgt ist, vereitelt wird (Sil. 10,83–91). Vgl. zum Aufbau Niemann 1975, 215. Die Absicht des Konsuls, sich dem gegnerischen Heerführer im Kampf zu stellen, zeigt seine Bereitschaft, sein Leben für die römische Sache zu geben. Zugleich hält er es für nicht erträglich, dass Hannibal überlebte, sollte er selbst den Tod finden. Siehe Sil. 10,42–44 (per medios agitur proiecto lucis amore/Hannibalem lustrans Paulus. sors una uidetur/aspera, si occumbat ductore superstite Poeno). Vgl. hierzu Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2535.

887Sil.

10,235–237. Vgl. Niemann 1975, 238 f. Fuhrmann 1968/1983, 63 arbeitet heraus, dass römische Heerführer, die in den Punica fallen, oftmals besonders grausame Verwundungen erleiden, bevor sie sterben. Die physische Entstellung, die allerdings die Psyche der Feldherren nicht bezwingen kann, hebe deren heroisches Verhalten noch deutlicher hervor (siehe ebd.: „Bei Silius vermag gerade die physische Entstellung Heldentum zu dokumentieren […].“). Zustimmend Niemann 1975, 239. 888Sil. 10,260–291: Ecce Cydonea uiolatus harundine plantam/Lentulus effusis campum linque­ bat habenis,/cum uidet in scopulo rorantem saxa cruore/toruoque obtutu labentem in Tartara Paulum./mens abiit, puduitque fugae. tum uisa cremari/Roma uiro, tunc ad portas iam stare cruentus/Hannibal; Aetoli tum primum ante ora fuere/sorbentes Latium campi. ‚quid deinde relictum est,/crastina cur Tyrios lux non deducat ad urbem,/deseris in tantis puppim si, Paule, procellis?/testor caelicolas,‘ inquit ‚ni damna gubernas/crudelis belli uiuisque in turbine tanto,/ inuitus plus, Paule, (dolor uerba aspera dictat)/plus Varrone noces. cape, quaeso, hunc, unica rerum/fessarum spes, cornipedem. languentia membra/ipse leuabo umeris et dorso tuta locabo.‘/ Haec inter lacero manantem ex ore cruorem/eiectans consul: ‚macte o uirtute paterna!/nec uero spes angustae, cum talia restent/pectora Romuleo regno. calcaribus aufer,/qua uulnus permittit, equum atque hinc ocius; urbis/claudantur portae (ruet haec ad moenia pestis)/dic, oro. rerum Fabio tradantur habenae./nostris pugnauit monitis furor. amplius acta/quid superest uita, nisi caecae ostendere plebi/Paulum scire mori? feror an consumptus in urbem/uulneribus? quantine emptum uelit Hannibal, ut nos/uertentes terga adspiciat? nec talia Paulo/pectora, nec manes tam parua intramus imago./ille ego – sed uano quid enim te demoror aeger, Lentule, conquestu? perge atque hinc cuspide fessum/erige quadrupedem propere.‘ tum Lentulus urbem/magna ferens mandata petit. 889Liv. 22,49,6–8.

408

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Militärtribun explizit den Gedanken, dass Paullus Rom weniger durch seinen Tod als vielmehr durch sein Überleben dienen könne. Emotional aufgewühlt wirft er dem Konsul gar vor, dass er der Republik noch größeren Schaden zufügen werde als Varro, der bereits vom Schlachtfeld geflohen sei.890 Der sterbende Paullus gibt Lentulus hingegen, bis zu seinem Tod der res publica verpflichtet, Anweisungen an den Senat in Rom auf den Weg, nach denen die Hoffnung auf einen Sieg nun wieder auf Fabius Maximus ruhen solle.891 Vor allem aber betont er, dass er seinen eigenen Tod als exemplum verstanden wissen wolle, an dem das römische Volk, insbesondere der Mob, der sich vor der Schlacht gegen ihn gestellt hatte, eine Lektion in römischer virtus ableiten solle. Auch im Moment seines eigenen Endes denkt der Konsul also an die Gemeinschaft und nutzt seinen Tod für einen letzten Dienst an der Republik.892 Nicht zuletzt beabsichtige Paullus, Hannibal nicht die Befriedigung des Anblickes eines fliehenden Konsuls zu gönnen.893 Buchstäblich im Sterben liegend tötet der Aemilier dann noch einige Feinde und wird erst – wie bereits Flaminius – durch den Beschuss mit Fernkampfwaffen, die von einer Gruppe bunt zusammengewürfelter Angehöriger ‚barbarischer‘ Völker geführt werden, endgültig getötet.894 Sein Tod habe den Ruhm der Stadt weiter gemehrt, fügt Silius an, was wiederum über die Tat des Paullus hinaus auf die gesamtrömische Dimension der Schlacht von Cannae in den Punica verweist. Wie gesehen, hatte Silius im Rahmen der Darstellung der Niederlagen vor Cannae Figuren, die eigentlich in anderen Zusammenhängen Spuren in der römischen Überlieferung hinterlassen hatten, in das Geschehen integriert, insbesondere den jungen P. Cornelius Scipio. In der Beschreibung der Schlacht von Cannae erfährt dieses Vorgehen eine Steigerung. Der spätere Africanus, der wohl tatsächlich als Militärtribun bei Cannae kämpfte, erhält wiederum einen eigenen Auftritt, der ihn nahezu auf eine Stufe mit den Kommandeuren des römischen Heeres rückt. Neben Scipio kämpft bei Cannae nun auch der junge M. Porcius Cato, der in der Tat ein Veteran des Hannibalkrieges war, doch vermutlich nicht im Heer des Varro und Paullus stand. Mit Scipio Africanus und Cato Censorius hat Silius auf diese Weise zwei der im sozialen Gedächtnis der römischen Republik herausragenden Figuren der ‚klassischen‘ Zeit der res publica in die Darstellung Cannaes integriert. Beide wurden in der späten Republik und der frühen Kaiserzeit als emblematisch für jene Epoche angesehen, die von vielen Autoren nicht nur als glorreich, sondern

890Sil.

10,270–275. Abänderung der entsprechenden Passage bei Livius (Liv. 22,49,10; siehe auch Plut. Fab. 16,7), in der Paullus dem Lentulus allgemeine Anweisungen zur Verteidigung Roms und eine eher private Nachricht an Q. Fabius Maximus mitgibt, hat Silius diese beiden Elemente miteinander verbunden, wenn Paullus hier die Übertragung der politisch-militärischen Führung durch Fabius empfiehlt. Siehe Kissel 1979, 124. 892Vgl. Kissel 1979, 125; Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2536 („His [Paulus’s] glory comes from his refusal to act for his own sake; his uniqueness from realizing he is not unique.“). 893Sil. 10,276–291. 894Sil. 10,292–308. 891In

5.2  Der Feind vor den Toren

409

auch als vorbildlich in moralischer Hinsicht empfunden wurde.895 Die virtutes, für die Scipio und Cato stehen, verkörpern in den Punica nicht allein prominente Kämpfer, sondern auch einfache Römer, deren Tapferkeit exemplarisch geschildert wird. Hierzu gehört der alte Krieger Christa, der gemeinsam mit seinen sechs Söhnen in den Kampf gezogen war, wo er einen riesigen Kriegselefanten niedergerrungen habe und im Anschluss daran gegen Hannibal kämpft, der jedoch sämtliche Gegner niederstreckt und dabei die pietas verspottet, die Christa und dessen Söhne gezeigt hatten.896 Zu dieser Aufzählung ließen sich noch weitere Beispiele hinzufügen. Insgesamt wird erkennbar, dass das Schlachtfeld von Cannae in den Punica zu einem Paradefeld römischer virtutes wird, die die Römer (wieder einmal) gerade in der Niederlage zeigen. So betont Silius explizit, dass jene charakterliche Stärke in seiner Zeit verschwunden sei und man daher aus dem Verhalten lernen könne, das die Römer offenbart hätten, die bei Cannae unterlagen.897 Silius schließt das zehnte Buch mit einer Abfolge von Episoden, die bereits im letzten Teil von Livius’ Buch 22 zu finden sind, wo sie ebenfalls den Nachspann zur Schlacht von Cannae bilden.898 Unter anderem hält auch hier Scipio den Militärtribun Metellus davon ab, Italien zu verlassen, und schwört, dass er Rom und Italien niemals im Stich lassen werde, wenn es gelte, beide gegen Feinde von außen zu verteidigen.899 Das gegensätzliche Schicksal beider Konsuln wird in zwei Szenen geschildert. So finden Hannibals Soldaten zunächst den Leichnam des L. Aemilius Paullus, den Hannibal auf einem hierfür errichteten Scheiterhaufen

895Sil.

9,275–277 (Scipio in der Schlachtaufstellung mit verantwortungsvoller Position betraut); 10,14–15 (Erwähnung Catos). Umgekehrt hierzu lässt Silius auch auf der karthagischen Seite Kämpfer auftreten, deren Teilnahme am Zweiten Punischen Krieg nicht bezeugt bzw. anachronistisch ist. So findet sich im Truppenkatalog von Hannibals Armee als Anführer der Lusitaner Viriathus, der sich durch römische Niederlagen „bald“ einen „berühmten Namen“ machen werde (Sil. 3,354–356: hos Viriatus agit Lusitanumque remotis/extractum lustris, primo Viriatus in aeuo,/nomen Romanis †pactum† mox nobile damnis.). Es ist nicht anzunehmen, dass Silius hier ein einfacher chronologischer Schnitzer unterlaufen ist. Vgl. Spaltenstein 1986, 221 f. Siehe dort (222) auch Erwägungen zur schwierigen Lesung des letzten Verses (3,356: factum für pac­ tum?). Zur Einbindung von Namen, für die kein Individuum für die Zeit der römisch-karthagischen Kriege bezeugt ist, siehe McGuire 1995. 896Sil.

10,92–169 (Kampf Hannibals gegen Christa und dessen Söhne). bes. Sil. 9,346–353: uerum utinam posthac animo, Romane, secunda,/quanto tunc adu­ ersa, feras! sitque hactenus, oro,/nec libeat temptare deis, an Troia proles/par bellum tolerare queat. tuque anxia fati/pone, precor, lacrimas et adora uulnera laudes/perpetuas paritura tibi. nam tempore, Roma,/nullo maior eris. mox sic labere secundis,/ut sola cladum tuearis nomina fama. Siehe zu dieser Passage Niemann 1975, 193 f., der ihr „zentrale[n] Bedeutung […] für die silianische Deutung der römischen Niederlagen und ihre Stellung im Ganzen des Epos“ zumisst. Siehe auch Sil. 10,657–658, wo dieser Gedanke zum Abschluss des letzten ‚Cannae-Buches‘, nochmals aufgegriffen wird: haec tum Roma fuit. post te cui uertere mores/si stabat fatis, potius, Carthago, maneres. Vgl. hierzu Spaltenstein 1990, 102 und siehe unten „Themen II. Ursachen der römischen Niederlagen und der Weg zur Überwindung der Krise in den Punica“. 898Vgl. oben Abschn. 5.2.5.1. 899Sil. 10,415–448. Siehe hierzu Marks 2005, 131–133. 897Siehe

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

verbrennen lässt, wobei er dem getöteten Feind zum wiederholten Mal seine Anerkennung zollt. Dann schildert Silius die Rückkehr Varros nach Rom. Hier ­wartet eigentlich eine wütende Menschenmenge auf den Konsul, die allerdings durch den besonnenen Q. Fabius Maximus besänftigt werden kann, der für einen respektvollen Empfang Varros in Rom sorgt.900 Wie oben gesehen, war diese Szene vermutlich spätestens seit L. Coelius Antipater in der römischen Geschichtsschreibung bekannt. In den Punica kehrt der geschlagene Konsul voll Scham in die Stadt zurück, da er seine Schuld an der Niederlage inzwischen erkannt hatte.901 Die Führungsrolle nach dem Untergang des Heeres übernimmt der Senat, besonders Fabius Maximus, der zuerst die teils panische Bevölkerung beruhigen kann, dann bei der Rückkehr Varros Geschlossenheit und Respekt für den Konsul einfordert und schließlich mit der Aufstellung eines neuen Heeres beginnt, wobei auch Silius von den Notmaßnahmen berichtet, die hierfür ergriffen wurden. Nimmt man die genannten Einzelbeobachtungen zur Darstellung der römischen Niederlagen bis zur Schlacht von Cannae in den Punica zusammen, lässt sich der Eindruck, dass Silius diese als zumindest einen Höhepunkt seines Werkes ansah, nur schwer abweisen. Wie oben dargelegt, spricht zudem einiges dafür, ­diejenigen Bücher, die die Darstellung der Schlacht von Cannae beinhalten, als kompositorisches Zentrum der Punica zu werten. Dieser Eindruck verfestigt sich bei einer Untersuchung der späteren Bücher, was sich auch an der Schilderung der römischen Niederlagen nach der Schlacht von Cannae bis Kriegsende zeigen lässt. Diese Ereignisse hat Silius nämlich in bemerkenswerter Knappheit in die Punica eingearbeitet. Im zwölften Buch reiht er die Siege Hannibals gegen den Offizier C. Centenius, dessen historische Hintergründe schwer fassbar sind, die erste Schlacht bei Herdonea im Jahr 212 sowie den Hinterhalt der Lucaner, in dem Ti. Sempronius Gracchus stirbt, in relativ wenigen Versen aneinander. Diese Ereignisse bilden hier auch lediglich Randepisoden im Rahmen der Erzählung des Schicksals von Capua. Hannibal eilt der verbündeten Stadt nämlich von Tarent aus zur Hilfe und räumt auf diesem Weg unerbittlich jede feindliche Streitmacht beiseite, die sich ihm in den Weg stellt.902 Die drei Niederlagen werden von Silius also in einen anderen Kontext transferiert, als in demjenigen, in dem sie historiografisch überliefert sind, und gleichzeitig marginalisiert dargestellt.903 Der anschließende dramatische Höhepunkt des Buches besteht gleichwohl nicht im Versuch Hannibals, Capua zu befreien, sondern in seinem gescheiterten Marsch auf Rom im Jahr 211, also um eine derjenigen Episoden des Krieges, die, wie bereits gesehen, in der römischen Geschichtskultur – nach Cannae – zu den bekanntesten gehört zu haben scheint.904

900Sil.

10,605–629. 10,630–639. 902Sil. 12,463–478. 903Vgl. Pomeroy 1990, 126. 904Siehe hierzu etwa Abschn. 5.2.3.1 und 5.2.6. 901Sil.

5.2  Der Feind vor den Toren

411

Der zweiten Schlacht bei Herdonea im Jahr 210, in der immerhin der Prokonsul Cn. Fulvius Centumalus fiel, widmet Silius lediglich einen Vers in der Rede Hannibals, die dieser vor der Schlacht von Zama hält und in der er seinen Soldaten die gemeinsam errungenen Erfolge des Krieges in Italien in Erinnerung ruft.905 Auch den Tod der Scipionen in Spanien im Kampf mit Hasdrubals Armee, in Livius Darstellung in fünf Kapiteln wiedergegeben, schildert der Dichter der Punica lediglich in indirekter Form in Buch 13, wo der junge Scipio durch Boten vom Tode seines Vaters und Onkels erfährt.906 Von den römischen Niederlagen der zweiten Kriegshälfte wird allein der Tod des Marcellus im Kampf auf einem Erkundungsritt in einer relativ umfangreichen Weise geschildert.907 Dass der Tod des Marcellus, der bis dahin auch in den Punica als einer der bedeutendsten Feldherren auf römischer Seite porträtiert worden war und, trotz der unrühmlichen Umstände seines Todes, als einer der herausragenden römischen Feldherren d­ ieses Krieges galt, hier recht ausführlich geschildert wird, überrascht wenig. Im Vergleich mit den erhaltenen historiografischen Berichten des Geschehens fällt auf, dass der Dichter der Punica sich jeglicher Kritik an dem gefallenen Konsul enthält. Stattdessen nutzt Silius den historisch verbürgten Umstand, dass der Sohn des Konsuls seinen Vater in dessen letztem Kampf begleitet hatte, dazu, eine weitere Variation eines in den Punica wiederholt auftauchenden Motives zu bieten, nämlich des gemeinsamen Kampfes von Vater und Sohn bzw. Söhnen gegen die Invasoren.908 Tatsächlich lässt Marcellus hier seine Deckung fallen, als er bemerkt,

905Falls man den Vers 17,304 (Fuluius excepit non unum pectore uulnus) überhaupt auf die zweite Schlacht bei Herdonea beziehen möchte, wie Broughton 1951, 280 dies tut. 906Sil. 13,381–384 (Dum Capua infaustam luit haud sine sanguine culpam,/interea geminos terra crudelis Hibera/fortuna abstulerat permiscens tristia laetis/Scipiadas, magnumque decus mag­ numque dolorem.). In Buch 16 veranstaltet Scipio Leichenspiele zu Ehren seines Vaters und Onkels in Spanien (Sil. 16,287–574). 907Sil. 15,334–380. Hieran schließt Silius direkt eine Passage an, in der Hannibals ehrenvoller Umgang mit dem Leichnam des Marcellus geschildert wird, der bereits aus früheren Quellen bekannt war (Sil. 15,381–396). 908An erster Stelle sind hier das Gefecht am Ticinus, in dem der Konsul Scipio von seinem Sohn gerettet wird (Sil. 4,454–470), sowie der Kampf des Christa und seiner Söhne gegen Hannibal auf dem Schlachtfeld von Cannae zu nennen (Sil. 10,92–169). Siehe zudem Sil. 9,66–177. Eine Variation des Themas bietet das sechste Buch mit seinem Regulus-Exkurs, wenn sich dort der Sohn des berühmten Atilius am Trasimenischen See am Kampf gegen die Karthager beteiligt, den sein Vater eine Generation zuvor in Afrika geführt hatte. Vgl. oben Abschn. 5.1.6. Siehe Burck 1984, 64–66, der die Bezugnahme des Silius auf Vergils Aeneis herausarbeitet, die in der Ausgestaltung des letzten Kampfes des Marcellus in den Punica zu erkennen sei. So sei die Rede, die Marcellus vor dem Aufbruch zum fatalen Erkundungsritt an seinen Sohn richtet (Sil. 15,355–360), als Anlehnung an die „Hinwendung des Aeneas an Ascanius vor seinem letzten Kampfe mit Turnus“ zu verstehen. Dabei sei es Silius weniger auf eine „äußere Gleichheit bzw. Ähnlichkeit der beiden Szenen“ angekommen, die ja in der Tat einige Unterschiede aufweisen, sondern darauf, „daß er mit ihnen vor Augen führen will, wie der vorbildliche Geist der Frühzeit […] in der römischen Geschichte weitergelebt und weitergewirkt hat“ (Burck 1984, 64). Zu den intertextuellen Verweisen in der Passage über den Tod des Marcellus in den Punica siehe auch Fucecchi 2010, 235.

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

dass sein Sohn schwer verwundet worden war, den er vor dem Erkundungsritt mit väterlich-wohlwollenden Worten für dessen Engagement für den Krieg lobt, das der Sohn bereits zur Zeit des Krieges auf Sizilien offenbart habe.909 Anstatt Marcellus als leichtsinnigen oder gar törichten Feldherrn zu charakterisieren, der nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das Wohlergehen der römischen Sache insgesamt riskiert habe, betont Silius hier zum einen die Tragik des Geschehens.910 Zudem lässt sich das vorangegangene Lob des Vaters an den jungen Marcellus dahin gehend interpretieren, dass sein kriegerischer Geist durch seine Nachkommen fortleben und Rom weiterhin zu Diensten sein sollte.911 Trotz der recht ausführlichen Passage, in der Silius den Tod des Marcellus sowie dessen Bestattung durch die Karthager auf Veranlassung Hannibals schildert, wird deutlich, dass die Schlacht von Cannae das eigentliche Zentrum der Punica darstellt. Zugleich offenbaren sich auf dem Schlachtfeld – und auch in Rom – römische Tugenden, die zuvor teilweise verschüttet waren und nun wesentlich zur Wende im Krieg und zum Sieg insgesamt beitragen, sodass die Stätte der größten Niederlage zugleich zum Ort des moralischen Triumphes wird.912 Wie gesehen, begegneten ähnliche Konzeptionen bereits in früheren Darstellungen des Zweiten Punischen Krieges, besonders im Werk des Livius, wo Cannae insofern einen Umschwung herbeiführte, als dass direkt nach der Schlacht die zuvor verlorengegangene Eintracht der Römer wiederhergestellt wurde und bis Kriegsende nicht

909Sil. 15,353–360; 15,370–380 (circumdata postquam/nil restare uidet uirtus, quod debeat ultra/ iam superis, magnum secum portare sub umbras/nomen mortis auet. tortae nunc eminus hastae/ altius insurgit, nunc saeuit comminus ense./forsan et enasset rapidi freta saeua pericli,/ni telum aduersos nati uenisset in artus./tum patriae tremuere manus, laxataque luctu/fluxerunt rigidis arma infelicia palmis./obuia nudatum tramittit lancea pectus,/labensque impresso signauit gra­ mina mento.). Vgl. Fucecchi 2010, 234 f. 910So auch Fucecchi 2010, 235 f. („The poet rather softens some negative judgments on this controversial figure, expressed by a significant portion of our historiographical sources, by dramatizing the tragedy of Marcellus’ heroism, the pathos of the untimely and unfortunate fate of a triumphator-to-be, who paradoxically dies like a father destroyed by his son’s death.“). Die hier von Fucecchi vertretene Deutung, nach der Marcellus’ Sohn in diesem Gefecht ebenfalls gefallen sei, lässt sich nicht verifizieren. Der historische Sohn des Konsuls überlebte den Kampf (vgl. auch die folgende Anmerkung). 911Vgl. Burck 1984, 64 f. Der generationenübergreifende Erfolg im Dienst an der res publica wurde von historischen Angehörigen der Claudii Marcelli ostentativ und öffentlich sichtbar betont, worauf u. a eine auf einem Triumphbogen angebrachte Inschrift hinweist, in der von verschiedenen Familienvertretern bekleideten Ämter in akkumulierter Weise aufgeführt worden waren. Siehe Ascon. in Pis. 44p. 18 Stangl für ein Zitat der Inschrift (III MARCELLI NOVIES COS). Vgl. hierzu u. a. Hölkeskamp 1996/2004, 192. 912Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2504: „Silius suggests that the moral watershed of Roman virtue was not so much the second Punic War itself as some point within that war. If Silius, like Lucan, finds defeat more ennobling than victory, no battle could ever have ennobled the Romans more than Cannae“. Vgl. ferner Kissel 1979, 107: Cannae „bildet den größten Erfolg Hannibals, leitet aber in Wirklichkeit bereits die Wende zu seinem Niedergang ein“.

5.2  Der Feind vor den Toren

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mehr wesentlich erschüttert werden konnte. In den Punica wird diese Deutung des Krieges um einen zusätzlichen Aspekt erweitert, nämlich um das direkte Eingreifen der Götter in das historische Geschehen, was sich, wie im Folgenden sichtbar werden wird, gut in die Interpretation der schweren Niederlagen des Krieges als ­moralisch letztlich wertvolle Ereignisse einfügen lässt. In diesem Zusammenhang ist die Frage, welchen Standpunkt Silius Italicus gegenüber der Vergangenheit der Epoche der mittleren Republik sowie gegenüber seiner eigenen Gegenwart einnahm, von einiger Relevanz. Nicht zuletzt ausgehend von dem Nekrolog auf Silius Italicus aus der Feder Plinius des Jüngeren wurde der flavische Dichter in der Forschung oft als ein Gelehrter charakterisiert, der sich in eskapistischer Weise von der Welt abgewandt hatte, um sich ausschließlich seinen Studien, der Dichtung und dem gelehrten Gespräch mit anderen Gebildeten auf einem seiner Landgüter zu widmen, die er mit Bibliotheken und Kunstwerken ausgestattet hatte. In der Tat beschäftigte sich Silius offenbar ausgiebig mit der Geschichte Roms und scheint seinen Vorgänger Vergil geradezu verehrt zu haben, erwarb er doch sogar das Grundstück, auf dem sich dessen Grab befand, das er wie ein Heiligtum angesehen haben soll.913 Dennoch wird man die Sichtweise, nach der sich Silius gewissermaßen in eine Form von ‚innerer Emigration‘ begeben habe, in mehrfacher Hinsicht wohl wenigstens als zu einseitig

913Plin. ep. 3,7,1–10, bes. 8–9 (plures isdem in locis villas possidebat adamatisque novis priores neglegebat. multum ubique librorum, multum statuarum, multum imaginum, quas non habebat modo, verum etiam venerabatur, Vergili ante omnes, cuius natalem religiosius quam suum cele­ brabat, Neapoli maxime, ubi monimentum eius adire ut templum solebat. In hac tranquillitate annum quintum et septuagensimum excessit delicato magis corpore quam infirmo, utque novis­ simus a Nerone factus est consul, ita postremus ex omnibus, quos Nero consules fecerat, deces­ sit.). Hier scheint Plinius jedoch vor allem den Lebensabend des Silius zu beschreiben. Zuvor hatte dieser eine lange und aktive Karriere in Politik und öffentlichem Leben absolviert, was sich in einer frühen Tätigkeit als Anwalt, einem Konsulat im Jahr 68 n. Chr., einer freundschaftlichen Beziehung zu Vitellius und einem Prokonsulat in der Provinz Asia, bereits unter Vespasian im Jahr 77/78 n. Chr., niederschlug (vgl. die in der folgenden Anmerkung wiedergegebenen Forschungsmeinungen). Dennoch wurde Silius immer wieder als weltabgewandter Gelehrter charakterisiert, was sich freilich nicht allein auf die zitierte Passage aus Plinius’ Brief, sondern auch auf Interpretationen des Epos selbst stützte. Siehe für diese Deutung etwa Mendell 1924, der einerseits Silius’ öffentliche Betätigung registriert, diesem andererseits unterstellt, er habe sich in eine Form von ‚innerer Emmigration‘ begeben. Siehe in diesem Zusammenhang bes. Mendell 1924, 101: „It seems safe to assume that he [Silius] belonged to that quieter Stoic group of cultivated men and women that must have formed the choicest society of the last half of the first century. […] They were supporters of the old order, dreamers of a new republic, no doubt still celebrating the birthdays of Brutus and Cassius with secret toasts, but they were for the most part men of the world and men of peace. They served the state when they could and when that was impossible they maintained a dignified retirement. But always for them the old days were the golden days“. Siehe zudem Schönberger 1965, 123, 137 (ebd.: „Silius beschreibt nur einen Traum vergangener Größe, dem es am lebendigen Bezug zur Gegenwart fehlt. Die Wendung zur Geschichte könnte eine Flucht sein.“).

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

bezeichnen dürfen.914 Zudem ist es, wie in einer Reihe von Arbeiten besonders der letzten beiden Jahrzehnte gezeigt werden konnte, wahrscheinlich, dass sowohl die Bezugnahme auf die römische und italische Vergangenheit als auch Bezüge und Verweise auf die Gegenwart des späten ersten Jahrhunderts, die sich in den Punica finden lassen, als durchaus ernstgemeinte und ernstzunehmende Artikulationen eines eigenständigen Geschichtsbewusstseins und Geschichtsbildes gelten können.915 Eine Passage, die in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung ist und auch in Hinsicht auf die Deutung der römischen Niederlagen bei Silius wichtig ist, findet sich in der Iuppiter-Rede im dritten Buch des Epos.916 Diese Rede lässt sich in drei Abschnitte unterteilen, die inhaltlich und gedanklich eng miteinander verbunden sind.917 Zunächst erklärt Iuppiter seiner Tochter Venus, die sich nach Hannibals Eroberung von Sagunt um das Wohlergehen ihres Volkes sorgt, die Gründe für den aufziehenden Krieg, indem der Gott darlegt, warum er den karthagischen Feldherrn mitsamt einer großen Armee über die Pyrenäen nach Italien ziehen lässt. Demnach hätten die Römer ihre althergebrachte virtus sowie ihren Durst nach kriegerischer Bewährung und Ruhm verloren. Der Weg zur Herrschaft über viele andere Völker verlange jedoch nach großen Anstrengungen, denen er die Römer auszusetzen gedenke, um sie auf diese Weise zu prüfen.918 Dann eröffnet Iuppiter einen Blick in die Zukunft des Krieges und betont, dass Rom aus den kommenden Niederlagen stärker hervorgehen werde, wobei gerade das Leiden Männer hervorbringen werde, die seines Himmels nicht unwürdig sein würden. Diejenigen unter diesen Helden, die besonders herausragen, nennt

914Silius bekleidete öffentliche Ämter, betätigte sich auch in anderer Form auf der politischen Bühne der Hauptstadt und konnte noch erleben, wie einer seiner Söhne ebenfalls ins Konsulat vordrang. Vgl. hierzu Pomeroy 1990, 119–122; Marks 2005, 8: „He [Silius] spent much of [his life] in the public eye, was actively involved in politics, and was close to some of the most powerful men in Rome. […] It is true that he retired from public life to Naples, perhaps soon after his proconsulship, and that in his retirement he composed the Punica, but we should be careful not to let Pliny’s portrait of him in these later years influence too much our reading of his epic“. 915Siehe etwa Pomeroy 1990; Marks 2005, 210 für detaillierte Nachweise. Vgl. Kissel 1979, 102: Silius „wählte für sein Epos nicht irgendein Sujet, dem er erst durch eine essentielle Umdeutung seine historische Anschauung aufpfropfen mußte, sondern er machte sich an die Bearbeitung eines Themas, das bereits aufgrund der historischen Faktizität des Behandelten als Exempel für seine Ansichten dienen konnte“. 916Sil. 3,573–629. Vgl. Pomeroy 1990, 126 („key to the epic“); Marks 2005, 210–217 (dort, 211 u. a.: „The prophecy about the Flavian emperors in Jupiter’s speech in book 3 represents Silius’ most sustained and direct engagement with the contemporary world in the Punica and offers a natural starting-point for a discussion of the epic’s relation to the context in which it was composed.“). 917Vgl. zu dieser Einteilung Marks 2005, 213 mit Anm. 16. 918Sil. 3,573–583 (hac ego Martis/mole uiros spectare paro atque expendere bello./gens ferri patiens ac laeta domare labores/paulatim antiquo patrum desuescit honori,/atque ille haud umquam parcus pro laude cruoris/et semper famae sitiens obscura sedendo/tempora agit mutum uoluens inglorius aeuum/sanguine de nostro populus, blandoque ueneno/desidiae uirtus paulatim euicta senescit. magnae molis opus multoque labore parandum/tot populos inter soli sibi poscere regna.). Vgl. Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2504.

5.2  Der Feind vor den Toren

415

Iuppiter dann namentlich. Es handelt sich, in dieser Reihenfolge, um Q. Fabius Maximus, L. Aemilius Paullus und M. Claudius Marcellus sowie um P. ­Cornelius Scipio Africanus, der zwar nicht mit Namen genannt wird, den Iuppiter aber dennoch in besonderem Maße hervorhebt. Der Gott widmet dem Africanus nämlich nicht nur einen deutlich längeren Teil seiner Rede als den anderen drei Feldherren, sondern sagt zudem Scipios Sieg in Afrika voraus, den er als unmittelbare Voraussetzung zur Weltherrschaft der Römer deklariert.919 Im dritten Abschnitt seiner Rede schlägt Iuppiter einen Bogen vom Zeitalter des punischen Krieges bis zur Herrschaftszeit der Flavier und gibt, wobei er die Expansion in bis dahin unbekannte Gebiete betont, die den Römern in dieser Zeitspanne gelungen sei, einen Ausblick auf die Herrschaft des Vespasian, des Titus und schließlich auf die des Domitian, dessen Regentschaft am Ende der Rede als Höhepunkt des langen kriegerischen Weges der Römer zur Herrschaft über die Welt erscheint.920 Der letzte Abschnitt, in dem die eigene Gegenwart des Silius zur Sprache kommt, wurde in Teilen der Forschung als lediglich obligatorische „panegyrische Einlage“ bzw. als „ein rein formales Zugeständnis an die Gegenwart“ interpretiert.921 Es lassen sich freilich durchaus Gründe dafür geltend machen, auch diesen dritten Teil der Rede als eng mit den ersten beiden Abschnitten verbunden

919Sil. 3,584–592 (iamque tibi ueniet tempus, quo maxima rerum/nobilior sit Roma malis. hinc nomina nostro/non indigna polo referet labor, hinc tibi Paulus,/hinc Fabius gratusque mihi Mar­ cellus opimis./hi tantum parient Latio per uulnera regnum,/quod luxu et multum mutata mente nepotes/non tamen euertisse queant. iamque ipse creatus,/qui Poenum reuocet patriae Latioque repulsum/ante suae muros Carthaginis exuat armis.). 920Sil. 3,593–629 (hinc, Cytherea, tuis longo regnabitur aeuo./exin se Curibus uirtus caelestis ad astra/efferet, et sacris augebit nomen Iulis/bellatrix gens bacifero nutrita Sabino./hinc pater ignotam denabit uincere Thylen/inque Caledonios primus trahet agmina lucos,/compescet ripis Rhenum, reget impiger Afros/palmiferamque senex bello domitabit Idymen./nec Stygis ille lacus uiduataque lumine regna,/sed superum sedem nostrosque tenebit honores./tum iuuenis magno praecellens robore mentis/excipiet patriam molem celsusque feretur/aequatum imperio tollens caput. hic fera gentis/bella Palaestinae primo delebit in aeuo./at tu transcendes, Germanice, facta tuorum,/iam puer auricomo praeformidate Batauo./nec te terruerint Tarpei culminis ignes;/ sacrilegas inter flammas seruabere terris./nam te longa manent nostri consortia mundi./huic laxos arcus olim Gangetica pubes/summittet uacuasque ostendent Bactra pharetras./hic et ab Arctoo currus aget axe per urbem,/ducet et Eoos Baccho cedente triumphos./idem indignantem tramittere Dardana signa/Sarmaticis uictor compescet sedibus Histrum./quin et Romuleos super­ abit uoce nepotes,/quis erit eloquio partum decus. huic sua Musae/sacra ferent, meliorque lyra, cui substitit Hebrus/et uenit Rhodope, Phoebo miranda loquetur./ille etiam, qua prisca, uides, stat regia nobis,/aurea Tarpeia ponet Capitolia rupe/et iunget nostro templorum culmina caelo./ tunc, o nate deum diuosque dature, beatas/imperio terras patrio rege. tarda senectam/hospitia excipient caeli, solioque Quirinus/concedet, mediumque parens fraterque locabunt;/siderei iuxta radiabunt tempora nati.). 921Siehe etwa Schönberger 1965, 138; Kissel 1979, 66, 159 (ebd., 159: „Der Preis der flavischen Kaiser aus dem Munde Juppiters (3,594–629) ist nichts weiter als die gebotene Panegyrik, […]“.); Fröhlich 2000, 8 („Ein rein formales Zugeständnis an die Gegenwart (und darum nicht mit einem von Herzen kommenden Credo zu verwechseln) ist die panegyrische Einlage in Pun. 3,594–629 […]“.).

5  Die römisch-karthagischen Kriege

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anzusehen, worauf vor allem Raymond Marks in einer detaillierten Auseinandersetzung mit dieser Passage aufmerksam gemacht hat.922 Eine solche Interpretation hat auch Auswirkungen auf die Deutung der römischen Niederlagen in den Punica. Als ein verbindendes Motiv taucht das regnum der Römer in allen drei Teilen der Rede auf.923 Wie gesehen beklagt Iuppiter im ersten Abschnitt den Verfall der römischen virtus und präsentiert den Krieg gegen die Karthager als Mittel, durch das die Römer zur Herrschaft finden würden. Dieser Weg führe über Niederlagen im Zweiten Punischen Krieg, denn durch das Leiden werden die Römer ihre Herrschaft errichten. Schließlich geht der Blick Iuppiters weiter voraus zur Regierungszeit der flavischen Kaiser, unter denen die Herrschaft der Römer bis an die entferntesten Grenzen der Welt ausgedehnt werde.924 Die Verbindung, die zwischen den verschiedenen Zeitebenen der römischen Geschichte gezogen wird, ist durchaus eigentümlich, was wohl auch ein Grund dafür gewesen sein wird, dass der Ausblick auf die flavische Zeit oftmals gar nicht als inhaltlich mit den beiden vorherigen Abschnitten der Rede verbunden angesehen wurde. Denn aus der Perspektive der Rede heraus scheinen die Ereignisse des Hannibalkrieges direkt in die Regierungszeit der Flavier, also die Gegenwart des Silius Italicus, zu münden. Das Vierteljahrtausend zwischen den beiden zeitlichen Bezugspunkten überbrückt Silius lediglich mit einem Vers.925 Diesen Eindruck einer engen Verknüpfung hat der Dichter der Punica wohl noch in anderer Form verstärkt. So konnte Marks wahrscheinlich machen, dass Silius zwischen der Figur des Scipio Africanus und dem letzten Flavier, Domitian unter dessen Herrschaft die Arbeit an den Punica offenbar begann, eine enge Verbindung ziehen wollte.926 Nimmt man diese Deutung an, ergeben sich interessante Aufschlüsse zur Interpretation der römischen Niederlagen in den Punica und zu der Frage, wie die Römer im Epos diese Rückschläge überwinden konnten. Dabei kommt den von Iuppiter in seiner Rede angesprochenen großen Einzelnen, den Helden der römischen Seite, eine wichtige Rolle zu. Das wird besonders bei einem Vergleich mit anderen Darstellungen des Zweiten Punischen Krieges deutlich. Denn während die Bewältigung der Niederlagen und der durch sie herbeigeführten Krisen etwa bei Livius insbesondere durch die neu gewonnene Einigkeit des römischen Volkes nach Cannae erklärt wird, sind es in den Punica vor allem

922Marks

2005, 211–217. zu dieser Beobachtung Marks 2005, 214. 924Siehe bes. Sil. 3,582–583 (magnae molis opus multoque labore parandum/tot populos inter soli sibi poscere regna); 3,588 (hi tantum parient Latio per uulnera regnum); 3,593 (hinc, Cytherea, tuis longo regnabitur aeuo). 925Nämlich in Sil. 3,593 (hinc, Cytherea, tuis longo regnabitur aeuo.). Vgl. Marks 2005, 214: „How better to show us that the past of the Second Punic War and the present of the Domitianic Rome are intimately linked than to compress the hundreds of years of history between them into a single hexameter?“. Siehe auch Tipping 2010a, 35. 923Siehe

926Siehe

Marks 2005, bes. 218–288.

5.2  Der Feind vor den Toren

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große Einzelne durch deren Taten, so ja auch die Worte Iuppiters, Rom auch die schwersten Niederlagen und Rückschläge überwinden werde.927 Den Einfluss, den die Taten dieser Figuren auf das Geschick Roms in dem Krieg gegen die Karthager in dieser Perspektive gehabt haben sollen, hat Silius dann auch recht konsequent in die Schilderung der Schlachten in den Punica einfließen lassen. Denn wie gesehen, spielt in den epischen Darstellungen der Kämpfe die Beschreibung taktischer Formationen, Manöver und des generellen Ablaufs von Gefechten kaum eine Rolle. Stattdessen dominiert die Schilderung von Aristien, in denen vor allem die Tatkraft der großen Helden der römischen Seite bzw. die destruktive Energie, die der unglücksselige C. Flaminius und vor allem der große Gegenspieler der Römer, Hannibal, freisetzen, zum Ausdruck gebracht wird.928 Es finden sich zwar auch Heldentaten, die von einfachen Kämpfern auf römischer Seite vollbracht werden. Passagen, die generell auf die Widerstandskraft und den Durchhaltewillen einzelner Truppenkörper Bezug nehmen, wie es gerade bei Livius oftmals der Fall ist, der bei verschiedenen Gelegenheiten die Tapferkeit der römischen Legionen mit ihren Schlachtreihen gerade im Angesicht einer unabwendbaren Niederlage hervorhebt, finden sich in den Punica hingegen in weitaus geringerem Umfang. Nun lässt sich für die römische (Geschichts-)Kultur insgesamt eine Tendenz feststellen, Marksteine der eigenen Vergangenheit, Siege wie Niederlagen, in narrativer Verkürzung eng mit einzelnen Namen zu verbinden.929 Gerade im Epos ist diese Fokussierung in besonderer Weise generell angelegt, wie sich ja nicht zuletzt darin zeigt, dass der oft zitierte Lobpreis auf den Cunctator, Q. Fabius Maximus, durch den Vorgänger des Silius, Q. Ennius, in so einprägsame Verse gegossen wurde. Ebenfalls aus den Annales des Ennius stammt bekanntlich auch die, kaum weniger bekannte Wendung, nach der nicht nur auf „den alten Sitten“, sondern auch den „Männern“ alten Schlages das Wohl der res publica ruhe.930 Die zentrale Rolle, die einzelne Helden der römischen Seite für Sieg und Niederlage in den

927Siehe zudem auch den Beginn der Punica, wo Silius ebenfalls die Bedeutung Einzelner für den Sieg im Krieg betont (Sil. 1,4–5: quantosque ad bella crearit/et quot Roma viros). Vgl. Ahl/ Davis/Pomeroy 1986, 2520; Pomeroy 1990, 125: „It is not Rome’s power, but the numerous great heroes […] who are stressed in Silius’ preface […].“; Tipping 2010a, 3 f. Vgl. Sil. 3,585–592 (hinc nomina nostro/non indigna polo referet labor, hinc tibi Paulus,/hinc Fabius gratusque mihi Marcellus opimis./hi tantum parient Latio per uulnera regnum,/quod luxu et multum mutata mente nepotes/non tamen euertisse queant. iamque ipse creatus,/qui Poenum reuocet patriae Latioque repulsum/ante suae muros Carthaginis exuat armis.). Zu den epischen Helden in Silius’ Punica generell siehe u. a. Kissel 1979, 87–152; Spentzou 2008; Marks 2010; Tipping 2010b. 928Siehe

zum Hannibalbild in den Punica nun ausführlich Stocks 2014. Hölkeskamp 1996/2004, 178 („Im Mittelpunkt stehen letztlich immer die maßgebenden Akteure.“). 930Enn. ann. 156. Siehe hierzu u. a. Hölkeskamp 2001/2004, 141; Blösel 2000, 27. Vgl. oben Abschn. 5.2.1.2. 929Vgl.

418

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Punica spielen, lässt sich allerdings nicht nur als Niederschlag epischer Gattungskonventionen, sondern auch als Ausdruck eines silianischen Geschichtsbildes deuten. Demnach habe Rom seine Rettung und den Aufstieg zur Weltherrschaft der Tatkraft dieser Heroen und hierbei eben vor allem derjenigen des Scipio Africanus verdankt, der den eigentlichen Helden des Epos darstellt.931 Der Africanus erfährt nämlich nicht nur in der Rede im dritten Buch eine besondere Beachtung. Wie gesehen, lässt Silius den Scipionen an frühen Gefechten des Krieges in weitaus stärkerem Maße teilnehmen, als dies historisch der Fall war bzw. als dies bei früheren Autoren überliefert wurde. So lässt sich etwa das Omen, das die Truppen beider Kriegsparteien vor dem ersten Kampf am Ticinus erblicken, mit der Figur des späteren Africanus in Verbindung bringen.932 Bei Cannae taucht Scipio sogar bereits als Truppenführer auf, der sich Hannibal selbst in den Weg stellt.933 Trotz dieser frühen Einbindung des jungen Scipio in das Geschehen sind es in der ersten Hälfte der Punica mehrheitlich noch andere Helden, die auf römischer Seite im Zentrum stehen. In diesem Zusammenhang fällt bei genauerer Betrachtung auf, dass viele der römischen Heroen in Silius’ Epos durchaus ambivalent gezeichnet sind.934 Der perfekte Anführer, der die Römer zum Sieg über die Karthager führt,

931Vgl.

Tipping 2010b, 194: „Both mythos and ethos, moreover, promote Scipio Africanus Maior’s claim to be the true hero of the Punica“. 932Wie oben erwähnt, schlägt ein Falke dort zwölf Tauben, bevor er von einem Adler vertrieben werden kann, der anschließend die Spitze des Helms des jungen Scipionen berührt, bevor er sich wieder in den Himmel erhebt. Das Prodigium bei Sil. 4,101–119. Siehe hierzu Marks 2005, 163–169. Am Ticinus greift Scipio zudem zum ersten Mal in das epische Geschehen ein, was als erster Schritt auf seinem Weg zum Anführer aller Römer gesehen werden kann (Sil. 4,425–477). Denn dort steht Mars, auf Iuppiters Geheiß hin, dem Scipionen zur Seite und nutzt diese Gelegenheit nicht nur dazu, dem zukünftigen Africanus den Sieg über die Karthager zu verheißen, sondern auch um diesen in das Kriegshandwerk einzuführen und damit auf dem Weg zum Triumph anzuleiten (siehe bes. Sil. 4,425–429, wo Iuppiter dem Mars den entsprechenden Auftrag erteilt. Vgl. hierzu Marks 2005, 115–122). 933Siehe Sil. 9,275–277 und bes. Sil. 9,412–485 (Zweikampf zwischen Scipio und Hannibal). Vgl. Marks 2005, 126–130. Bereits vor Beginn der Schlacht sticht Scipio durch seine große physische Kraft hervor, die er gegenüber den Soldaten bei Leibesübungen im Heerlager unter Beweis stellt (Sil. 8,551–561). Siehe zu dieser Passage Kissel 1979, 131; Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2545 f.; Marks 2005, 123–125; Tipping 2010a, 150 f. Neben dieser Passage, die Silius nach epischen Vorbildern konstruiert und in die Schilderung der Schlacht eingefügt hat, taucht in den Punica auch die bereits in der früheren Überlieferung etablierte Episode um die Militärtribunen in Canusium auf, in der Scipio die Gruppe um den jungen Metellus mit dem Schwert in der Hand an ihrer Flucht hindert. Dies wird bei Silius, wie schon in früheren Versionen der Geschichte, als tatkräftiges Einschreiten im Sinne der Republik präsentiert. Sil. 10,415–448. Vgl. Kissel 1979, 131; Marks 2005, 131–133, der in Auseinandersetzung mit anderen Forschungspositionen (etwa Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2547) zu Recht hervorhebt, dass Scipios Auftreten in dieser Passage nicht als Anmaßung einer Machtfülle, die dem jungen Militärtribunen nicht zugestanden habe, zu interpretieren ist, sondern als engagiertes Einschreiten für die res publica. 934Siehe hierzu generell Marks 2010; Tipping 2010b. Vgl. Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2519.

5.2  Der Feind vor den Toren

419

ist weder der Vater des Africanus noch M. Claudius Marcellus.935 Nahe an dieses Ideal kommt auch in den Punica Q. Fabius Maximus, der die Römer besonders nach den Niederlagen in der Schlacht am Trasimenischen See und bei Cannae anleitet.936 Der letztlich entscheidende Schlag gegen die Karthager, der Kampf auf afrikanischem Boden, ist von dem Cunctator, dem es hierfür, gemäß der Darstellung in den Punica, etwa an offensiver Grundeinstellung mangelt, allerdings nicht zu erwarten. Der Sieg kann daher von Fabius lediglich vorbereitet werden. Herbeiführen muss ihn ein anderer Anführer – hierbei handelt es sich um den späteren Africanus.937

935Nun sind bereits die homerischen Helden in moralisch-ethischer Hinsicht bekanntlich durchaus komplex angelegte Figuren. Dies offenbart sich in Ilias und Odyssee insbesondere im Kampf, und gerade in den Schlachten ist diese Ambivalenz auch in den Punica vorzufinden (zum homerischen „Heldenkonzept“ siehe Horn 2014, dort bes. 95 f. und 201–212 zur Aristie des Achilleus). So wütet der Vater des späteren Africanus gegen den Flussgott der Trebia wie Achilleus in der Ilias am Skamandros in ungebremstem Zorn (Sil. 4,622–697). An späterer Stelle, im dreizehnten Buch, warnt der Geist des alten Scipionen, der inzwischen in Spanien gefallen war, seinen Sohn, eben den späteren Africanus, in der Unterwelt davor, sich Achilleus als Vorbild zu nehmen (Sil. 13,666–671. Vgl. Marks 2005, 139 f. („The dead father, in other words, cautions his living son against indulging that martial rage that makes them both Achillean so that by receiving this advice Scipio has the chance to learn from his father’s mistakes and to transcend those limitati­ ons that he shares with his heroic model“.). M. Atilius Regulus, der im sechsten Buch generell als exemplum für constantia und fides der Gemeinschaft gegenüber gelobt wird, wütet sowohl im Kampf gegen das Ungeheuer am Bagradas als auch in der Schlacht bei Tunis in rachsüchtigem Zorn, der ihn für mögliche Konsequenzen blind macht. An seiner Gefangennahme und seinem weiteren Schicksal trägt er durchaus eine Mitschuld (siehe hierzu oben Abschn. 5.1.6). M. Claudius Marcellus, einer der militärisch erfolgreichsten Feldherren des Krieges, war ja bereits in früheren Quellen als moralisch ambivalente Figur porträtiert worden. So hatte Livius den Schluss nahegelegt, dass der Tod des Marcellus mit dessen charakterlicher Haltung, die nach seinem größten Sieg, der Eroberung von Syrakus, zunehmend fragwürdig geworden sei, in Verbindung gestanden habe (vgl. oben die Ausführungen in Abschn. 5.2.5.1). Bei Silius zeigt Marcellus wiederum Ehrfurcht vor den Göttern, indem er seine Truppen anweist, die Häuser und insbesondere die Tempel von Syrakus zu schonen. Eine blutige Plünderung sei auf diese Weise vermieden worden. Vielmehr habe Marcellus die von ihm geradezu befreite Stadt gewissermaßen neu gegründet (Sil. 14,665–688. Vgl. zur Rolle des Marcellus in Hinsicht auf die Eroberung von Syrakus bei Silius auch Kissel 1979, 129; Burck 1984, 50–60). Die Rolle des Marcellus bei der Einnahme von Syrakus erhält in den Punica also ein vorteilhafteres Bild als in anderen Teilen der antiken Überlieferung, was sich mit der Beobachtung deckt, dass Silius auch den letzten Kampf des Claudiers in einem relativ günstigen Licht erscheinen lässt. 936Vgl. hierzu Kissel 1979, 116–127; Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2523–2531; Fucecchi 2010, 221–230. 937Siehe u. a. Sil. 16,595–599. Vgl. dazu u. a. Kissel 1979, 145 f.; Spaltenstein 1990, 438 f.; Marks 2005, 280 f.; Stocks 2014, 196 f. Vgl. ferner Lorenz 1968, 34 („Die drei Männer werden nicht nur durch Namensnennung, sondern auch durch einen Zwischensatz von Scipio getrennt. Darin kommt zum Ausdruck, daß ihre Taten keine unmittelbaren Siege sein werden. Aber durch ihre Teilerfolge bzw. ihren Tod wird der Sieg und damit auch das zukünftige Weltreich vorbereitet.“).

420

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Anhand einer Analyse der Passagen, in denen P. Cornelius Scipio in den Punica vor seinem Aufbruch nach Afrika auftritt, hat Marks in diesem Zusammenhang die These aufgestellt, dass sich hier eine charakterliche Ausbildung des Scipionen erkennen ließe, der über mehrere Stationen hinweg zu dem perfekten Anführer heranwachse, der alle positiven Eigenschaften in seiner Person vereint, die notwendig seien, um den Sieg über Karthago zu erringen.938 Wie gesehen beweist Scipio in der Tat bereits am Ticinus und sowohl vor, während, als auch nach der Schlacht von Cannae tatkräftigen Einsatz auf dem Schlachtfeld, bei dem er stets das Wohlergehen Roms im Blick hat. Allerdings muss er in seinem ersten Kampf erst von Mars von dem Schrecken, den der Anblick der Verwundung seines Vaters ausgelöst hatte, erlöst werden. Bei Cannae wiederum agiert er zwar mit großem physischem Einsatz, jedoch auch noch recht ungestüm.939 Zunehmend in den Blickpunkt rückt Scipio dann im letzten Drittel des Epos, wo er, wie von Iuppiter angekündigt, die entscheidenden Siege gegen die Karthager herbeiführen kann. Eine auf die Figur des späteren Africanus konzentrierte Lektüre der Bücher 13 bis 17 der Punica legt in der Tat, wie bereits von Marks ausgeführt, den Schluss nahe, dass Scipio auf dem Weg zum Sieg eine charakterliche Entwicklung absolviert. An deren Ende ist er derjenige römische Feldherr, der nicht nur den Triumph über die Karthager, sondern auch eine höhere Belohnung, nämlich den Aufstieg in den Himmel erlangen werde. Der Scipio, der am Ende der Punica Rom zum Sieg über Karthago führt, ist ein perfekter Anführer. Als solcher besitzt er alle positiven Eigenschaften, die für die Bekleidung dieser Position notwendig sind. Er hat Zaghaftigkeit und Ungestüm der Jugend überwunden und schreckt schließlich nicht davor zurück, sein Leben in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, auch wenn ihm als Folge dessen persönliches Unglück prophezeit wird.940 Als besonders wichtige Stationen auf diesem Weg begegnet Scipio, gewissermaßen auf den Spuren des Odysseus, des Aeneas und weiterer epischer Vorbilder, einer Reihe von Geistern ehemaliger Kampfgefährten und Familienmitglieder; steht, wie einst Herakles, am Scheideweg und

938Siehe insgesamt Marks 2005, 113–161 (u. a. 114 f.: „[T]hey [die Passagen, in denen Scipio auftritt] document Scipio’s ‚education‘, a process of development or maturation in which he learns to temper his impetuousness with moderation and focus and comes to understand the central importance of dutiful service to his country.“). 939Siehe hierzu die jeweils oben angegebenen Belege und vgl. die Verweise bei Marks 2005 (vorangehende Anmerkung). 940Vgl. Kissel 1979, 151: Silius hat „seinen Scipio als das stoische Ideal des Menschen gezeichnet, der in seinem Wollen die faktische Notwendigkeit des Müssens anerkennt und nach ihr handelt. Scipio ist die ideale Verkörperung der römischen virtus, die Sallust in seinem Geschichtswerk als gebrochen angesehen hatte.“ Vgl. die Stellen im Epos, die in der folgenden Anmerkung diskutiert werden.

5.2  Der Feind vor den Toren

421

erreicht schließlich im Triumphzug, mit dessen Schilderung Silius sein Epos enden lässt, das Zentrum Roms, wo er zum Kapitol hinaufsteigt.941

941Zu diesen Passagen gehört also die Nekyia des Scipio, die Silius in Buch 13 eingefügt hat (Sil. 13,381–895), sowie eine Passage im 15. Buch, die Scipio nach der Ankunft in Spanien am Scheideweg zeigt, wo er zwischen den Wegen von Virtus und Voluptas zu wählen hat (Sil. 15,18–137). Auf seiner Reise durch die Unterwelt begegnet Scipio mehreren Figuren, die ihm als wichtige Ratgeber auf seinem weiteren Weg dienen und dabei helfen, seine charakterliche Entwicklung voranzutreiben. Zunächst trifft Scipio auf die Sibylle von Cumae, die ihm, wie bereits Aeneas (Verg. Aen. 6,226–263), den Weg in die Unterwelt weist und Einblick in seine und Roms Zukunft gewährt (Sil. 13,400–448; 4,494–614). Die Sibylle prophezeit Scipio zum einen seinen Sieg über die Karthager, zum anderen jedoch auch den Undank seiner Mitbürger, der ihn aus seiner Heimat vertreiben werde (Sil. 13,514–515). Der junge Scipione nimmt die Aussicht auf dieses Schicksal in stoischer Haltung entgegen – wichtig sei allein, dass er seine moralische Aufrichtigkeit bewahre (Sil. 13,517–518: Tum iuuenis ‚quaecumque datur sors durior aeui,/obnite­ mur,‘ ait ‚culpa modo pectora cessent.‘). Marks 2005, 136 hebt zu Recht hervor, dass sich in dieser Entgegnung Scipios bereits eine charakterliche Entwicklung niederschlägt. Sei doch zu bedenken, dass der junge Scipione am Ticinus angesichts der Verwundung seines Vaters noch so verzweifelt war, dass Mars ihn von einem Suizid abhalten musste. Der Einfluss der stoischen Lehre auf Scipio, der in seiner Entgegnung auf die Prophezeiung der Sibylle zu erkennen ist, wird bereits betont bei Kissel 1979, 167 f.; Reitz 1982, 47 f.; Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2550 („Though Scipio is no Stoic sage, this reply would earn Cato’s approval.“). Die zweite Figur, die hier von besonderer Bedeutung ist, ist seine Mutter Pomponia, deren Schatten sich als erstes nähert. Offenbar war sie bei der Geburt des P. Scipio verstorben (Sil. 13,613–614. Vgl. Plin. nat. 7,47, wonach dies als günstiges Omen gelte und siehe hierzu insgesamt Spaltenstein 1990, 259 f. Zur historischen Pomponia siehe aber immerhin auch Pol. 10,4,4–5,7 – eine Episode, die das Überleben der Pomponia bis in die Mitte des Zweiten Punischen Krieges voraussetzt. Die Glaubwürdigkeit der von Polybios berichteten Gespräche zwischen Scipio und seiner Mutter dürfte jedoch wohl gering sein. Vgl. Walbank 1967, 199 f. Anders Scullard 1970, 28, der die Episode in ihren Grundzügen für historisch authentisch hält.). Pomponia offenbart ihrem Sohn, der nach der Nachricht vom Tod der Scipionen in Spanien von tiefer Trauer erfüllt war, dass es sich bei seinem wahren Vater um Iuppiter selbst handele, der sich ihr in Gestalt einer Schlange genähert und sie vergewaltigt habe (Sil. 13,634–647). Dieser Umstand war bereits an früherer Stelle im Epos angedeutet worden (Sil. 4,476; 7,487–488), und einer kundigen Leserschaft aus älterer Tradition bekannt, denn seine göttliche Abkunft hatte offenbar bereits der historische P. Cornelius Scipio angedeutet. Die Überlieferung, nach der sich Iuppiter der Pomponia in Gestalt einer Schlange genähert habe, rückte den Scipionen in die Nähe Alexanders des Großen, über dessen Zeugung eine ähnliche Erzählung verbreitet worden war. Sie war offenbar bereits früh ein Bestandteil der legendenhaften Überlieferung um Scipio. Siehe hierzu Scullard 1970, 18–23; Reitz 1982, 91 f.; Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2542 f.; Spaltenstein 1990, 261; Marks 2005, 138 f. Vgl. zudem Beard/North/Price 1998, 84–86 zur religiös konnotierten Fama, die Scipio offenbar selbst um seine Person aufbaute. Es ist deutlich zu erkennen, dass Pomponias Offenbarung ihrem Sohn gegenüber einen didaktischen Zweck erfüllt. Sie führt nämlich aus, dass sie ihm deswegen die Wahrheit mitgeteilt habe, damit er fortan den Krieg weder fürchte, noch Zweifel daran hegen solle, dass er als Folge seiner Taten in den Himmel aufsteigen, also Unsterblichkeit erlangen werde (Sil. 13,634–636: uerum age, nate, tuos ortus, ne bella pauescas/ulla nec in caelum dubites te attollere factis,/quando aperire datur nobis, nunc denique disce). Vgl. u. a. Reitz 1982, 91; Marks 2005, 138 (dort auch Hinweise zu den Verbindungen zu Herakles und Alexander dem Großen, die sich innerhalb der Nekyia und dem weiteren Verlauf des Epos aus der Offenbarung der Pomponia ergeben). Als nächstes trifft Scipio auf die Schatten seines ­(vermeintlichen) Vaters und seines Onkels, die in Spanien gefallen waren, ohne dass der spätere

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Ebenjener Ort, der als religiös-symbolisch aufgeladener Mittelpunkt der römischen Welt gelten kann, hatte auch in der Iuppiter-Rede im dritten Buch einen wichtigen Platz eingenommen. Denn der zukünftige Kaiser Domitian wird, so die Prophezeiung des obersten Gottes, mit dem Kapitol in einer besonderen Beziehung stehen, da er inmitten von sacrilegas flammas, die der Brand des Tarpeischen Gipfels hervorbringen

Africanus ihnen beistehen konnte, weswegen er sich offenbar sehr grämt. Nachdem der gefallene P. Cornelius Scipio seinem Sohn versichert hat, dass für diejenigen, deren Ruhm ihnen auch noch nach ihrem Ableben nachhallt und somit kein Vergessen drohe, der Tod keinen Schrecken darstelle, ermahnt er seinen Sohn zu größerer Vorsicht im Kampf. Siehe bes. Sil. 13,666–671 (uerum age, fare, decus nostrum, te quanta fatiget/militia. heu, quotiens intrat mea pectora terror,/cum repeto, quam saeuus eas, ubi magna pericla/contingunt tibi! per nostri, fortissime, leti/obtestor causas, Martis moderare furori./sat tibi sint documenta domus!). Er selbst hatte in dieser Hinsicht in seinem Kampfrausch an der Trebia, wo er gleich dem Achilleus gegen den Fluss selbst wütete, ein anderes Beispiel gegeben, von dessen Nachahmung er nun also implizit abrät. In dieser Hinsicht sind wohl auch die Berichte motiviert, die P. und Cn. Cornelius Scipio ihrem Sohn bzw. Neffen anschließend von ihrem eigenen Tod in Spanien geben. Vgl. Reitz 1982, 93–97, und bes. Marks 2005, 139–142, der herausarbeitet, dass die Mäßigung im Kampf der „Ausbildung“ („Scipio’s education“, ebd., 139) des jungen Scipio ein wichtiges neues Element hinzufügt, nachdem er bereits zum tapferen Krieger, der vollen Einsatz für die Familie wie auch für das Vaterland zeigt, herangewachsen war und von der Sibylle sowie von seiner Mutter einen Ausblick auf seine Herkunft und Zukunft erhalten hatte. Siehe hierzu auch Tipping 2010a, 168. Anschließend trifft Scipio auf die Schatten der Feldherren, die im Krieg gefallen waren, nachdem er bereits zu Beginn der Nekyia auf den vor Capua tödlich verwundeten Ap. Claudius Pulcher getroffen war (Sil. 13,450–487 bzw. 13,705–718; vgl. Reitz 1982, 97–99). Neben einer Reihe von bekannten Gestalten, Männern und Frauen, aus der römischen Geschichte (zur Zusammensetzung und Vorbildern aus der epischen Tradition, die in dieser Hinsicht zu erkennen sind, siehe Reitz 1982, 103–111) trifft Scipio auf den Schatten Alexanders des Großen, der ihm als – bis dahin – größter Feldherr der Geschichte bereitwillig Ratschläge zur Kriegsführung gibt. Deren Essenz besteht darin, den Krieg energisch und nicht zögerlich anzugehen, worin sicher eine Anspielung auf die Strategie des Cunctators gesehen werden kann, die (dies wird später in Sil. 16,595–599 klar benannt) den Sieg über Karthago nicht herbeiführen kann. Das spätere Vorgehen Scipios erscheint somit legitimiert (vgl. Marks 2005, 142–148). Das Vorbild der Scheideweg-Episode ist offensichtlich die bekannte Geschichte von Herkules am Scheideweg, die dem Philosophen Prodikos ihre erste literarische Gestalt verdankt zu haben scheint (überliefert bei Xen. mem. 2,1,21–34). Die umfangreichste Version dieser Geschichte in der lateinischen Literatur vor Silius findet sich allerdings bei Cicero (Cic. off. 1,118; leg. 1,30), und, wie Marks 2005, 149–160 zeigen kann, hat sich der Epiker in seiner Ausgestaltung auch stark an dieser Passage sowie an dem Somnium Scipionis (in Cic. rep. 6,8–29) orientiert. Die Essenz dieser von Cicero beeinflussten silianischen Version der Scheideweg-Episode bestehe nach Marks zunächst darin, dass der junge Scipio durch die Rede der Virtus darin bestärkt wird, virtus durch das Streben nach militärischem Ruhm zu zeigen, was gegenüber dem bei Prodikos/Xenophon zu findenden Verständnis insofern eine Verengung des virtus-Begriffes darstellt, als dass dieser hier allein auf die virtus militaris bezogen wird (siehe Sil. 15,98–100, wo Virtus dem jungen Scipionen aufzeigt, welche ihrer Begleiter ihn erwarten, sollte er sich für ihren Weg entscheiden: mecum Honor ac Laudes et laeto Gloria uultu/et Decus ac niueis Victoria concolor alis./me cinc­ tus lauro producit ad astra Triumphus. Vgl. hierzu Marks 2005, 157 f.). Der Nachweis der virtus und die Begleiter, die dieser folgen, seien jedoch nicht als Selbstzweck zu verstehen, sondern als Dienst für das Vaterland, dem Scipio, wenn er dem Weg der Virtus folgt, in der Gefahr rettend beistehen werde, um den Sieg über die Karthager zu erringen und im Triumph heimzukehren (Sil. 15,113–120; vgl. Marks 2005, 156). Als Belohnung erwarte Scipio zudem Unsterblichkeit, da

5.2  Der Feind vor den Toren

423

werde, furchtlos bleiben werde.942 Diese Zeilen stellen eine Anspielung auf Domitians Rolle während des sogenannten Vierkaiserjahres (69 n. Chr.) dar, in dessen Verlauf Domitian an den Kämpfen innerhalb der Stadt Rom gegen die Anhänger des Vitellius teilnahm. Wie oben bereits an anderer Stelle erwähnt, geriet im Zuge dieser Kämpfe auch der Tempel des Iuppiter auf dem Kapitol in Flammen, was Tacitus zu der bitteren Bemerkung veranlasste, dass die Tat, die den gallischen Angreifern einst misslungen sei, nämlich den Tempel selbst zu zerstören, nun die Römer selbst bewerkstelligt hätten.943 Domitian verwies später mehrfach auf dieses Ereignis, etwa in Form eines von ihm initiierten Bauprogramms.944 Dabei betonte der Kaiser einerseits, wie Iuppiter ihn im Kampf auf dem Kapitol geschützt habe, andererseits unterstrich er selbst seine Rolle als Wächter des kapitolinischen Tempels.945

jenen, die auf dem Weg der Virtus wandeln „das Tor zum Himmel“ offenstehe (Sil. 15,77–78). Auch dieser Gedanke findet sich bereits bei Cicero, wo er in Cic. rep. 6,26 von niemand anderem als Scipio selbst formuliert wird (siehe hierzu Marks 2005, 155). Dies war Scipio ja bereits in seiner Nekyia in Buch 13 offenbart worden. Beide Stellen weisen auf das Ende des Epos voraus. Zur Scheideweg-Episode siehe auch Kissel 1979, 136–142, bes. 141 (dort: „Scipios Wahl selbst bedeutet keinen wirklichen Kampf mehr, sondern nichts anderes als eine Bewußtwerdung der eigenen Art und eine daraus resultierende ebenso bewußte Einordnung der eigenen Person in den Dienst am Vaterland ohne Aufgabe der eigenen Freiheit, sondern gerade im Gegenteil als höchste Verwirklichung des eigenen stoischen Selbst.“). Insgesamt ist Marks These, nach der Scipio in den verschiedenen Passagen, in denen er in den Punica vor seinem Aufbruch nach Afrika auftritt, einen Weg hin zu einer höheren charakterlichen Reife durchläuft, überzeugend. Der Weg hinauf zum Kapitol am Ende des Epos lässt sich vor dem Hintergrund der zuvor an verschiedenen Stellen gegebenen Andeutungen als Aufstieg in den Himmel Iuppiters, als Heimkehr Scipios zu seinem wahren Vater deuten (siehe etwa Sil. 17,653–654: nec uero, cum te memorat de stirpe ­deorum,/prolem Tarpei, mentitur Roma, Tonantis). Vgl. in diesem Sinne Marks 2005, 200. 942Sil. 3,609–610. 943Tac. Hist. 3,72. 944Siehe hierzu u. a. Jones 1992, 79–92; Marks 2005, 231–235. 945So habe Domitian an dem Ort, an dem das Haus stand, in dem er sich vor den Anhängern des Vitellius verbergen konnte, ein sacellum errichten lassen. Nach Tacitus (Tac. Hist. 3,74) habe man dort auf dem Altar eine Darstellung betrachten können, auf dem die Rettung des jungen Domitian festgehalten worden war. Nach seinem Herrschaftsantritt habe der Kaiser dann das sacellum durch einen Tempel ersetzt, der Iuppiter Custos geweiht gewesen sei. Vgl. hierzu Jones 1992, 88. Den großen Tempel für Iuppiter Optimus Maximus auf dem Kapitol hatte bereits Vespasian wieder errichten lassen (Suet. Vesp. 8,5). Nach einem Brand im Jahr 80 n. Chr. ließ Domitian einen neuen Tempel erbauen, den er prachtvoll ausstatten ließ. Vgl. Jones 1992, 92. Münzen aus domitianischer Zeit sowie literarische Zeugnisse deuten zudem darauf hin, dass der Kaiser offenbar danach strebte, eine enge Verbindung zwischen sich selbst und dem obersten Gott zu propagieren, sich möglicherweise auch selbst als Gott verehrt sehen wollte. Etwa RIC II² Dom. 218–220, 302. Siehe hierzu zuletzt Clauss 1999, 125 f.; Gering 2012, 149 f. Domitian war freilich nicht der erste römische Kaiser, der eine solche Verbindung zu Iuppiter propagierte, doch stelle die Darstellung des Domitian mit einem Blitzbündel in der Hand durchaus „ein Novum der Münzprägung in der Kaiserzeit dar“ (ebd., 150). Siehe u. a. RIC II² Dom. 474, 639, 703, 752, 795. Auch wenn die Interpretation im Detail umstritten ist, dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass Domitian eine enge Verbindung zwischen Iuppiter und seiner Person hervorheben wollte. Zur „Gleichstellung“ Domitians mit Iuppiter bes. bei Martial siehe Clauss 1999, 125 (Zitat).

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5  Die römisch-karthagischen Kriege

Das Kapitol und besonders der Tempel Iuppiters tauchen in den Punica immer wieder auch dann auf, wenn sich das epische Geschehen eigentlich an einem anderen Ort abspielt. So vergisst Silius selten zu erwähnen, dass sich die Pläne Hannibals stets auf die Einnahme Roms und insbesondere des Kapitols und des Tempels als Herz der Stadt und der römischen Herrschaft bezogen hätten.946 In diesem Zusammenhang ist es auch interessant zu beobachten, dass Silius zahlreiche Bezüge zur gallischen Belagerung des Kapitols über den Text verteilt hat.947 Die gedankliche Verbindung der Bedrohung des römischen Zentrums durch die Gallier und derjenigen durch Hannibals Karthager ist zwar kein originärer Einfall des Silius, doch hat er diese Vorstellung konsequent in die Punica eingearbeitet. Durch den Feldzug Hannibals, der zu vollenden beabsichtigt, was den Galliern einst nicht gänzlich gelungen war, werden die beiden großen Gegner Roms miteinander vereint, die in der Lage zu sein scheinen, tatsächlich die Hauptstadt zu bedrohen. Dass die Leistung der Römer vor diesem Hintergrund – ihnen gelingt es schließlich, den vereinten Angriff ihrer Feinde abzuwehren – umso höher eingeschätzt werden konnte, war gewiss im Sinne des Dichters. Diese Bedrohung wird zunächst, unter maßgeblicher Führung des Fabius Maximus, von Rom ferngehalten, bis Scipio sie schließlich endgültig bannen kann, wofür er, wie erwähnt, schließlich mit seinem Zug zum Zentrum der römischen Welt belohnt wird.948 Fasst man das bisher Dargelegte zusammen, lassen sich folgende Schlüsse ziehen. Iuppiter lässt die Niederlagen der Römer im Krieg gegen Hannibals Karthager zu, um das römische Volk, das seine althergebrachte virtus verloren habe, zu prüfen und durch die Überwindung jener Niederlagen zu neuen Höhen zu führen, die schließlich in der Herrschaft über die Welt gipfeln sollen. Die Schlüsselrolle fällt dabei einer Reihe von herausragenden römischen Helden zu, die durch das

946Siehe etwa Sil. 1,64; 1,117; 1,270; 1,384; 3,509–510 (Hannibal während der Überquerung der Alpen in einer Rede an seine Soldaten: nunc, o nunc, socii, dominantis moenia Romae/credite uos summumque Iouis conscendere culmen. Vgl. Spaltenstein 1986, 242: „‚Iovis…culmen‘ designe le Capitole et son attaque est symbolique de celle de Rome elle-même, […].“); 9,215–216; 13,1–2. Vgl. zudem die letzten Worte des Hasdrubal in der Schlacht am Metaurus, in denen er verkündet, dass seine letzte Nachricht an seinen Bruder Hannibal wäre, dass er diesem die Zerstörung des Kapitols durch Feuer empfehlen würde: Sil. 15,800–805. Vgl. Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2540. Siehe zudem allgemein Tipping 2010a, 61 („In the Punica, Hannibal is both Rome’s implacable opponent and a demonic exemplar of the un-Roman; his opposition to Rome is central to the main themes of Silius’ first twelve books: […] Hannibal at the walls of Rome and, connectedly, crossing the Alps and attempting to storm the Capitol […].“). 947Siehe nur Sil. 4,150–153; 6,555–556; 13,79–81. 948Vgl. Marks 2005, 31 („[I]t is Scipio’s deeds in the final books of the epic that have by far the greatest impact on the city’s transformation. He embodies, more than any other figure, the virtues of the new Rome in the post-Cannae era and does the most to infill them in her leadership.“). Siehe in diesem Zusammenhang auch die abschließenden Bemerkungen des Silius zur Einnahme von Syrakus durch Marcellus am Ende des vierzehnten Buches: Sil. 14,684–688 (felices populi, si, quondam ut bella solebant,/nunc quoque inexhaustas pax nostra relinqueret urbes!/at, ni cura uiri, qui nunc dedit otia mundo,/effrenum arceret populandi cuncta furorem,/nudassent auidae terrasque fretumque rapinae.).

5.2  Der Feind vor den Toren

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Leid erst geformt und hervorgebracht werden, und sich auf diese Weise als dem Göttervater würdig erweisen. Den Sieg über die Karthager, der Rom und Italien die Freiheit von der Bedrohung nehmen wird und den eigentlichen Grundstein für die römische Weltherrschaft bilden soll, werde aber letztlich ein einzelner Anführer für die Römer herbeiführen, nämlich Scipio, von dem eine Verbindungslinie zu den Flaviern und insbesondere zu Domitian gezogen wird. In die beiden größten Niederlagen der Römer, am Trasimenischen See und bei Cannae, hingegen seien die römischen Heere von Feldherren geführt worden, deren Einfluss auf der Macht der breiten Bevölkerung fußte. Schließlich überwunden werden Niederlagen und Leid durch die Führung eines in jeder Hinsicht herausragenden Anführers, der auf dem Weg zum Gipfel, den er wörtlich wie sinnbildlich erklimmt, einen charakterlichen Reifeprozess absolviert, der ihn erst zu jener vollkommenen Führungsfigur werden lässt.949 Durch die beiden gemeinsame enge Beziehung zum Kapitol, zum kapitolinischen Tempel und zu Iuppiter selbst sowie durch die Verknüpfung in der Rede des höchsten Gottes im dritten Buch erscheinen Scipio und Domitian schließlich als eng miteinander verbunden. Aus dieser Perspektive heraus erscheinen die Punica (noch) weniger als eine eskapistische Zuwendung hin zu einer vermeintlich besseren und glorreicheren Vergangenheit, die in der Epoche des Hannibalkrieges zu suchen sei, und Silius stellt seinen Rezipienten auch nicht so sehr die Römer einer fernen Zeit im Allgemeinen als positive Beispiele vor Augen. Im Zentrum steht im Grunde eher die Frage, was einen wahren römischen Helden sowie einen vorbildlichen Anführer ausmache. Dass die Antwort auf diese Frage letztlich auf Scipio hinausläuft, ist natürlich keine Überraschung. Der historische Scipio führte die römische Expeditionsarmee zum Sieg bei Zama und nahm in der römischen Geschichtskultur bereits vor Silius’ Epos eine herausragende Position ein. So wurde er etwa von Livius als der vom Schicksal auserwählte „Führer in diesem Krieg“ bezeichnet, und Valerius Maximus verband mit ihm mehr positive exempla als mit jedem anderen Protagonisten der römischen Geschichte.950 In der oben beschriebenen Weise wird diese römische Heldengestalt in den Punica nun mit dem letzten Flavier, Domitian verbunden. Die Punica handeln allerdings nicht nur von dem Sieg der Römer unter Führung eines großen Feldherrn, sondern beinhalten auch warnende Ausblicke auf den Verlauf der römischen Geschichte für die Zeit nach dem Sieg über Karthago. Auch dies war nicht ohne Vorbild. Die Auseinandersetzung mit Karthago wurde in der römischen Geschichtskultur nämlich nicht nur als Zeit der Bewährung in einer großen Krise, die schließlich in den Triumph mündete, erinnert. Aus einer anderen Deutung

949Vgl. auch Kissel 1979, 132, der darauf hinweist, dass die bei Livius zu findenden Passagen über Scipios „grausame Strafexpedition gegen Iliturgi (Liv. 28,19 f.) und sein harsches Durchgreifen anläßlich der Meuterei bei Sucro (Liv. 28,24–29)“ der silianischen Scipio-Konzeption „zum Opfer fallen“ mussten. 950Liv.

22,53,6 (fatalis dux huiusce belli). Siehe oben Abschn. 5.2.5.1 und 5.2.6.

426

5  Die römisch-karthagischen Kriege

heraus habe der Erfolg auch den Beginn eines moralischen Niederganges in sich getragen, der schließlich zur Krise der späten Republik geführt habe, wobei im Kontext des Zweiten Punischen Krieges von verschiedenen Autoren die Eroberung und Plünderung von Syrakus als ‚Sündenfall‘ der römischen Kollektivmoral ausgemacht worden war.951 In den Punica stellt die Einnahme von Syrakus kein moralisches Problem dar.952 Es finden sich allerdings auch bei Silius skeptische Ausblicke auf den weiteren Verlauf der römischen Geschichte nach dem Hannibalkrieg. So merkt der Dichter des Epos an, dass es den Römern späterer Generationen an der charakterlichen Stärke, insbesondere an militärischer virtus, mangele, die die Soldaten, die bei Cannae gekämpft hatten, in hohem Maße besessen hätten.953 Hierzu fügt sich auch, dass Voluptas dem Scipio am Ende der Scheideweg-Episode verkündet, dass die Römer späterer Generationen sich nicht mehr für den Weg der Virtus entscheiden würden, wie er es getan hatte.954 Wie sind diese Kommentare und Hinweise durch den Dichter der Punica nun in dessen Geschichtskonzeption einzufügen?

951Bereits Polybios sah in der Plünderung, die der Einnahme von Syrakus folgte, den Keim einer Erosion öffentlicher Moral angelegt, der insbesondere durch den Reichtum, der durch die Eroberung der sizilischen Königsstadt nach Rom geflossen war, gewachsen sei (Pol. 9,10). Besonders der Raub der syrakusanischen Götterbilder wird bei Livius als schädigend für die moralische Integrität des römischen Feldherrn Marcellus angesehen. Bereits Cato der Ältere soll seine Bedenken über die Auswirkungen des Imports dieser griechischen Kunstschätze nach Rom geäußert haben (Liv. 25,40,2–3; 34,4,1–5). Das wohl bekannteste römische Beispiel für eine Geschichtskonzeption, die den Sieg über Karthago als Bedrohung für die römische Kollektivmoral deutet, findet sich wiederum bei Sallust (siehe hierzu u. a. Walter 2004a, 319–325). Dass der Erfolg die Gefahr mit sich bringe, die Basis, auf der er überhaupt erst gedeihen konnte, zum Einsturz bringen könne, ist also ein in der römischen Geschichtskultur verbreiteter Gedanke. Vgl. hierzu insgesamt Biesinger 2016. 952Vgl. Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2538 f. 953Siehe bes. Sil. 9,346–353 (uerum utinam posthac animo, Romane, secunda,/quanto tunc adu­ ersa, feras! sitque hactenus, oro,/nec libeat temptare deis, an Troia proles/par bellum tolerare queat. tuque anxia fati/pone, precor, lacrimas et adora uulnera laudes/perpetuas paritura tibi. nam tempore, Roma,/nullo maior eris. mox sic labere secundis,/ut sola cladum tuearis nomina fama.). Vgl. Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2505; Spaltenstein 1990, 32; Marks 2010, 191. Es ist möglich, auch im Katalog der römischen Truppen vor der Schlacht von Cannae einen kritischen, vielleicht ironischen Kommentar zur römischen Geschichte nach dem Zweiten Punischen Krieg zu erkennen. Die dort aufgeführten römischen Kommandeure sind zum größten Teil für die Zeit der Auseinandersetzung mit Karthago nicht bezeugt, tragen jedoch Namen, die an Personen des ersten Jahrhunderts vor bzw. nach Christus erinnern, wodurch, so die Vermutung von McGuire 1995, auch die Erinnerung an deren Taten sowie – hiermit verbunden – an Roms Entwicklung nach dem Hannibalkrieg evoziert werden sollte. Hierunter finden sich mit Galba und Piso die Namen zweier Protagonisten des Vierkaiserjahres von 69 n. Chr. (vgl. McGuire 1995, 113–116). Die Kritik, dass die Zeitgenossen des Silius sich weit von der großen charakterlichen Stärke der Vorfahren entfernt hätten, begegnet auch im Regulus-Exkurs des sechsten Buches (Sil. 6,549–550). 954Sil. 15,124–127. Vgl. Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2553; Tipping 2010a, 34 („Voluptas, whom Scipio has rejected in favour of Virtus, asserts without any subtlety that she will have her day at Rome […].“). Zudem wurde in der Forschung eine Reihe von indirekten Verweisen herausgearbeitet, in denen teils durch Anspielungen auf Namen der Geschichte der späten Republik, teils durch intertextuelle Bezüge auf andere Werke, insbesondere auf das frühere Epos des Lucan, auf den Niedergang der res publica und die Bürgerkriege hingewiesen wird. Siehe hierzu, mit zahlreichen Nachweisen, Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2518 f.; Tipping 2010b.

5.2  Der Feind vor den Toren

427

Da der Verlauf der römischen Geschichte nach dem Sieg im Hannibalkrieg in der oben erwähnten Iuppiter-Rede im dritten Buch nur sehr vage umrissen wird, bleibt weitgehend unklar, wie genau, d. h. in welchen Etappen, Silius den moralischen Niedergang der Römer nach dem Sieg über Hannibals Karthager konzipierte. Der historische P. Cornelius Scipio wurde etwa offenbar in Konflikte innerhalb der Nobilität verwickelt, hinter denen womöglich der Versuch von Standesgenossen stand, den Sieger von Zama, dessen Ruhm den der meisten anderen Senatoren weit überstrahlt haben dürfte, in die Schranken zu weisen.955 Vor dem Hintergrund der oben diskutierten Vorausdeutungen und der charakterlichen Entwicklung, die der Scipione im Verlauf des Epos nimmt, erscheint es allerdings wenig überzeugend, mit seinem Triumph den Beginn moralischer Degeneration oder der Desintegration in der römischen Gemeinschaft ansetzen zu wollen und seinen Aufstieg zum Kapitol als Symbol einer quasi monarchischen Machtaneignung anzusehen, die der alte Republikaner Silius als Keimzelle des Niedergangs betrachtet haben könnte.956 Scipio Africanus als Gestalt der römischen Geschichtskultur hatte sich in dieser Hinsicht längst von der historischen Figur P. Cornelius Scipio gelöst. Silius Italicus wollte seinen Sieg bei Zama wohl kaum als Ausgangspunkt moralischen Verfalls deuten. Da diese Option ausscheidet, kommt als eine weitere Möglichkeit die Zerstörung Karthagos im Dritten Punischen Krieg in Betracht, die zuletzt besonders von Marks vertreten wurde. Vor dem Hintergrund der von Sallust geprägten Deutung der römischen Geschichte liegt diese Möglichkeit in gewisser Weise nahe, kann aber auch durch Belege aus den Punica selbst gestützt werden.957 Ausgehend hiervon lässt sich nun eine weitere Verbindung zwischen Scipio und Domitian ziehen. Beide Männer stehen demnach in einer engen Beziehung zu Iuppiter und verteidigen zudem seinen zentralen Tempel auf dem Kapitolshügel. Die Niederlagen gegen Hannibals Armee hatte Iuppiter in den Punica als Prüfung für die Römer herbeigeführt, denen ihre traditionelle virtus abhanden gekommen war. Eben dies geschieht ihnen nach dem Ende Karthagos zum wiederholten Male, was in die Erosion öffentlicher Moral

955Vielleicht hatte der selbstbewusste Scipione zahlreiche andere Senatoren mit seinem Auftreten provoziert. Siehe hierzu u. a. Beck 2005a, 363–365. In der modernen Forschung wurde Scipio vor diesem Hintergrund auch gelegentlich als früher Vertreter eines Protagonisten der Desintegration innerhalb der Nobilität gesehen, also als eine Art Vorläufer von Figuren wie C. Marius, L. Cornelius Sulla, Cn. Pompeius und C. Iulius Caesar gedeutet. Vgl. u. a. Löffl 2011, 40. 956So

aber u. a. Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2510 f., 2518 f.

957Am

Ende des zehnten Buches wird der Beginn des Niedergangs nämlich recht genau genannt und zwar in den beiden Versen, mit denen die Darstellung der Vorgänge nach der Schlacht von Cannae und damit der Kette der römischen Niederlagen zu Beginn des Krieges endet. Demnach sei der endgültige Sieg über Karthago, womit vermutlich das Ende des dritten Krieges gemeint sein wird, als Ausgangspunkt anzusehen. Sil. 10,657–658 (haec tum Roma fuit. post te cui uer­ tere mores/si stabat fatis, potius, Carthago, maneres.). Vgl. hierzu Spaltenstein 1990, 102. Siehe bes. Marks 2005, 253–256, dem es – in Abgrenzung zu einigen anderen Beiträgen – gelingt, dazulegen, dass Silius Italicus in dieser Passage tatsächlich das Ende des dritten römisch-karthagischen Krieges im Blick hatte.

428

5  Die römisch-karthagischen Kriege

und die Krise der res publica insgesamt mündet, worauf in den Punica mehrfach angespielt wird. Aus der Krise des Hannibalkrieges hatte die Römer schließlich Africanus geführt. Aus dem späteren Zustand der Degeneration konnten sie – nach der Rede Iuppiters im dritten Buch – nun die Flavier, unter ihnen besonders Domitian, herausführen.958 In nur einem Vers hatte Iuppiter an dieser Stelle den Sieg des Scipionen mit dem Aufstieg der Flavier kulminierend in der Herrschaft Domitians verknüpft.959 Dass dessen Regierung nun nicht in die Wiederherstellung der klassischen Republik mündete, sah Silius offenbar nicht als Makel an.960 Vielmehr scheint Silius der Ansicht gewesen zu sein, dass die flavischen Kaiser die Römer ebenfalls aus einer bedrohlichen Situation befreiten, die, gemäß den Ausblicken auf die römische Geschichte in den Punica, durch eine Krise römischer Moral- und Wertvorstellungen gekennzeichnet gewesen sei. Durch diese Tat hätten die flavischen Herrscher den Weg zu einer besseren Zukunft bereiteten, in der Rom die Weltherrschaft vollendet habe.961 Möglicherweise beabsichtigte Silius auch ferner, so eine Überlegung von Marks, dem jungen Kaiser Domitian mit der Figur des Scipio Africanus, der zu diesem Zeitpunkt ja, wie gesehen, bereits als herausragende Gestalt der römischen Geschichte bekannt war, ein positives exem­ plum vorzustellen.962 Lag die römische „Ikone der Virtus“ Scipio als positives Beispiel nahe, dann gilt dies ebenso für den Zweiten Punischen Krieg, der sich aus der Sicht des Silius gerade aufgrund der vielen römischen Niederlagen in besonderer Weise eignen konnte, um zu demonstrieren, welch positiven Effekt eine Form von moralischer Erneuerung für die Römer haben könnte. Domitian wiederum scheint seine Herrschaft auch mit einer Proklamation der Rückkehr zu altrömischen Wertvorstellungen und einer moralischen Erneuerung verbunden zu haben.963 Die enge

958Marks

2005, 283–285. 3,593. 960Zum einen nämlich wird sich Silius als erfahrener Politiker (siehe oben) darüber im Klaren gewesen sein, dass eine Rückkehr zur res publica der Vergangenheit nicht möglich war. Zum anderen präsentiert er diese Republik in den Punica durchaus nicht stets im günstigsten Licht, etwa wenn Senat und Volk unfähige Feldherren wie Varro oder Flaminius berufen oder Q. Fabius Maximus und andere Senatoren den Retter Roms, Scipio, von seiner Mission abzuhalten versuchen (vgl. Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2504). Zudem fehlt bei näherer Betrachtung auch jeder Hinweis darauf, dass der Epiker eine solche Wendung überhaupt als erstrebenswert angesehen hätte. Denn es spricht wenig dafür, dass Silius dem Prinzipat generell kritisch gegenübergestanden hätte. Zwar liebte er offenbar Literatur und Kultur der alten Republik und scheint herausragende Vertreter ihrer Nobilität geradezu verehrt zu haben, doch bedeutet dies eben noch nicht, dass Silius heimlich die Republik herbeigesehnt habe. Es fehlt auch jeder Beleg dafür, dass er die Herrschaft der Flavier und im Speziellen diejenige des Domitian abgelehnt hätte. Dies hat, wie oben erwähnt, Marks 2005, 245–283 überzeugend herausarbeiten können. 959Sil.

961Siehe

für diese Deutung wiederum Marks 2005, 283–287. 2005, 287 f. 963Gering 2012, 214–221, bes. 218 („Domitian dürfte tatsächlich viel daran gelegen haben, für die alten Werte der römischen Gesellschaft einzutreten und seine Untertanen zu sittsamem Verhalten zu erziehen.“). 962Marks

5.2  Der Feind vor den Toren

429

Verbindung, die Silius zwischen dem Kaiser und Scipio zog, dürfte also zum einen geeignet gewesen sein, Domitian zu schmeicheln, ihn in der Zuwendung zu altrömischen Tugenden, die bereits die res publica des Africanus gerettet hatten, zu bestärken. Zum anderen mag der Dichter tatsächlich danach gestrebt haben, seinem Herrscher in dem begrenzten Rahmen, der ihm unter den gegebenen Umständen zur Verfügung stand, in Gestalt des P. Cornelius Scipio Africanus ein positives Vorbild für einen tugendhaften und moralisch integren Anführer vor Augen zu stellen. Ob Silius sein Epos tatsächlich in diesem Sinn gelesen und gedeutet wissen wollte, bleibt freilich unklar, wie auch die Rezeptionsgeschichte der Punica in der Kaiserzeit weitgehend im Dunkeln liegt.964 Daran, dass die römischen Niederlagen des Zweiten Punischen Krieges für Konzeption und Verständnis der Punica eine zentrale Rolle spielen, kann wiederum kaum ein Zweifel bestehen.965

5.2.8  Alte und neue Kriege – Ausblick auf die folgenden Jahrhunderte Die Punica des Silius Italicus sollen im Rahmen dieser Arbeit insofern eine Zäsur darstellen, als dass spätere Zeugnisse für die Präsenz der römischen Niederlagen der ersten beiden punischen Kriege nicht mehr systematisch aufgenommen und analysiert werden. Nach Silius Italicus scheint sich kein Autor mehr derart intensiv mit dem Hannibalkrieg mitsamt seinen Rückschlägen und Krisen auseinandergesetzt zu haben. Bei Vertretern der Historiografie nahm der Krieg keine solch zentrale Stellung mehr ein, wie es bei Vertretern der republikanischen Geschichtsschreibung bis hin zu Livius der Fall gewesen war. Das bedeutet gewiss nicht, dass ein Autor wie Tacitus hierüber nichts wusste. Für seine Geschichtskonzeption spielten die punischen Kriege und ihre Niederlagen jedoch keine bedeutende Rolle, da sich sein Blick auf andere Abschnitte der römischen Vergangenheit verlagert hatte.966 In anderen Bereichen der Geschichtskultur konnte wiederum weiterhin auf Cannae und Hannibal verwiesen werden; durchaus auch in dem Bemühen, aus diesen Verweisen Deutungsangebote und Handlungsmuster für die eigene Gegenwart abzuleiten. So kennt Frontinus in den Stratege­ mata eine Vielzahl von exempla aus den Feldzügen der punischen Kriege, unter denen sich zahlreiche auch mit den Niederlagen Roms verbinden lassen und die in den meisten Fällen ebenfalls aus der Historiografie bekannt sind.967 Durch den

964Über die Aufnahme und Verbreitung von Silius’ Epos in der Antike ist nur wenig bekannt. Siehe von Albrecht 1994, 767. Die Rezeptionsgeschichte der Punica lässt sich erst wieder für die Zeit seit dem 15. Jahrhundert nachzeichnen. Siehe hierzu u. a. Muecke 2010. 965Vgl. Ahl/Davis/Pomeroy 1986, 2504. 966Vgl. Tac. Germ. 37, wo die Karthager, neben anderen Gegnern, als überwundene Gefahr der Vergangenheit aufgeführt werden. 967Siehe etwa Frontin. strat. 2,2,7; 2,3,7; 2,5,27; 3,10,4, 3,18,1–3; 4,5,20.

430

5  Die römisch-karthagischen Kriege

Zugriff des Werkes bedingt konzentrieren sich diese Beispiele auf einzelne Episoden und Konstellationen, die keine Rekonstruktion eines ausgreifenden Narrativs erlauben, in dem Frontinus Niederlagen und Siege der punischen Kriege eingeordnet haben könnte. Eine Durchsicht der Beispiele zeigt allerdings, dass manche von diesen durchaus in anderer Weise gedeutet werden, als dies in den historiografischen Quellen des Frontinus der Fall gewesen war. Dies trifft etwa auf den Tod des L. Aemilius Paullus bei Cannae zu. Frontinus erwägt in diesem Zusammenhang nämlich, ob es nicht günstiger für das Wohlergehen der Republik gewesen wäre, wenn Paullus bei Cannae ebenfalls das Schlachtfeld verlassen hätte, also wie C. Terentius Varro geflohen wäre, als dort zu sterben. Dies sei zwar gewiss ehrenhaft gewesen, im Sinne einer effizienten Fortführung des Feldzuges sei der rechtzeitige Rückzug jedoch die bessere Alternative.968 In den Beispielen des Frontinus zeigt sich gegenüber dem Großteil der früheren Tradition auch an anderer Stelle gewissermaßen eine Verschiebung von Prinzipien, welche Auswirkungen auf den Blick auf die Vergangenheit und die Lektionen hat, die aus der Geschichte zu ziehen seien. Man wird dies vor allem mit der Ausrichtung der Strategemata in Verbindung bringen können. In einer militärtheoretischen Auseinandersetzung mit den Ereignissen und Protagonisten der punischen Kriege konnten sich andere Perspektiven auf diese Vergangenheit ergeben, als es in der Geschichtsschreibung der Republik der Fall war.969 Von den Texten der Rhetoren der mittleren Kaiserzeit ist heute leider nicht genug erhalten, um ein einigermaßen aussagekräftiges Bild darüber zu gewinnen, in welchem Ausmaß die Redner auf Beispiele aus den punischen Kriegen und im Besonderen auf die römischen Niederlagen zurückgriffen. In den Rhetorikschulen scheinen diese Themen immerhin noch mindestens bis zur Wende vom ersten zum zweiten nachchristlichen Jahrhundert behandelt worden zu sein. D. Iunius Iuvenalis etwa, dessen Lebensspanne sich noch mit der des Silius Italicus überschnitt, scheinen die Geschichten zu Hannibals Siegeszug und den schweren Niederlagen, die er den Römern dabei beibrachte, recht vertraut gewesen zu sein.970 Gänzlich aus der Ausbildung

968Frontin.

strat. 4,5,6. 2009, 86 f. vermutet hier die Spuren einer Familientradition der Terentii Varrones, die gewissermaßen parellel zur Darstellung der Konsuln von Cannae bei Autoren wie Polybios und Livius existiert hatte und bei Frontinus sichtbar wird. Das ist sicher möglich, doch ist Frontinus zuzutrauen, dass er hinsichtlich der Bewertung des Verhaltens der beiden Konsuln auch eine eigene Position vertrat und die Aktionen von Paullus und Varro aus der Perspektive des militärischen Fachmanns bewertete. 970Hierauf deuten seine Bezugnahmen auf Personen und Ereignisse an verschiedenen Stelle der Satiren hin. Zu Cannae: Iuv. 2,155 (Was sollen die Soldaten von Cannae über ihre moralisch degenerierten Nachkommen denken?); 7,163; 10,165; 11,200. Zu Hannibal: Iuv. 6,170; 6,291 (Bedrohung der Stadt durch den nahenden Hannibal trug, neben anderen Faktoren, zur Einhaltung altrömischer Moral, hier bezogen auf Treue der römischen Ehefrauen, bei); 7,161–164; 12,108; 10,166–167. Q. Fabius Maximus: 7,65. Neben anderen Autoren war es offenbar vor allem Cicero, der für Iuvenal eine Instanz darstellte, die die Geschichte der alten Republik vermittelte. Zu den Quellen Iuvenals siehe u. a. von Albrecht 1994, 808 f. 969Geist

5.2  Der Feind vor den Toren

431

der Redner und dem Bildungshorizont des gelehrten Teiles ihres Publikums scheinen diese Themen auch in den folgenden Generationen nicht verschwunden zu sein. Denn auch, wenn sich im vierten und fünften Jahrhundert offenbar niemand „bemüßigt gefühlt“ zu haben scheint, „die Geschichte der römischen Republik für seine Zeit neu zu schreiben“, bedeutet dies nicht, dass Ereignisse und Personen aus der Republik in der Spätantike unbekannt gewesen wären.971 In verschiedenen Gattungen der lateinischen Literatur, insbesondere der des weströmischen Teils des Reiches, griffen, so Andreas Felmy, „Redner, Dichter und andere Schriftsteller […] mehrheitlich […] auf die Epoche der römischen Republik“, zurück wenn es darum ging, historische exempla zu finden. Verweise auf Begebenheiten aus der Kaiserzeit seien wiederum wesentlich seltener.972 In diesem Zusammenhang tauchen auch die römischen Niederlagen der Kriege gegen Karthago auf, wenn auch hier sicher nicht davon gesprochen werden kann, dass sie eine zentrale Position für in der Spätantike kursierende Geschichtsbilder eingenommen hätten. Verweise auf einzelne Ereignisse und Protagonisten waren jedoch offenbar auch weiterhin möglich. So ist Cannae für Sidonius Apollinaris berühmt aufgrund der Flucht des Varro.973 Im dritten Buch De Consulatu Stilichonis kennt Claudian Cannae als Beispiel für einen Schlag des Schicksals, von dem Rom sich nicht nur erholt sondern aus dem es gestärkt hervorgegangen sei.974 Die Kenntnis dieser Ereignisse können Autoren und Publikum nicht nur aus dem Rhetorikunterricht, sondern auch aus der Breviarienliteratur zur römischen Geschichte, wie etwa dem Werk des Eutropius, gewonnen haben.975 Angehörige der gebildeten Kreise ihrer Zeit waren ohne Zweifel der Aristokrat Rutilius Claudius Namatianus, der Verfasser des literarisch hoch ambitionierten Gedichtes De reditu suo, sowie Ammianus Marcelli­ nus, dem das umfangreichste erhaltene Geschichtswerk der römischen Literatur seit den Historien des Tacitus zu verdanken ist.976 Ammian und Rutilius waren mit der Literatur der (späten) Republik und der frühen Kaiserzeit offenbar gut vertraut, was ihnen auch Kenntnisse über die punischen Kriege und die Niederlagen Roms in diesen Konflikten einbrachte. Verweise auf diese brachten sie in deutlich erkennbaren Bezug zu den Krisen Roms, vor allem den schweren militärischen Niederlagen bei Adrianopel (378 n. Chr.) und der Eroberung der Hauptstadt selbst durch die Goten Alarichs (410 n. Chr.), in ihre eigenen Werke ein. So nennt Rutilius im Kontext eines regelrechten Hymnus auf Rom im ersten Buch seines Gedichtes Hannibal als ein Beispiel für eine durch das ewige Rom überwundene Gefahr.977 Ohne die Einnahme und Plünderung Roms durch Alarichs Armee

971Felmy

2001, 18 (Zitat). 2001, 22 f. (Zitat). 973Sidon. carm. 7,554. 974Claud. de. cons. Stil. 3,149–158. 975Siehe dort zur Schlacht bei Cannae: Eutrop. 3,10. f 976Zu Ammian siehe von Albrecht 1994, 1127–1129. 977Rut. Nam. 1,115–132. 972Felmy

432

5  Die römisch-karthagischen Kriege

direkt zu benennen, verweist Rutilius auf Niederlagen der römischen Geschichte, nach denen sich Rom stets aufs Neue wieder erhoben habe – eines der Motive, das, wie gesehen, schon seit langer Zeit Bestandteil der historischen Erinnerung an Roms schwerste Niederlagen war und immer wieder in verschiedenen Quellen auftaucht.978 Und so wird sich auch Ammianus Marcellinus nicht zufällig gerade der Schlacht von Cannae entsonnen haben, um die große militärische Niederlage seiner eigenen Lebenszeit, nämlich die Schlacht von Adrianopel (378 n. Chr.) zu beschreiben. In ihrem Ausmaß sei dieses Desaster, in dem sogar der römische Kaiser Valens I. selbst gefallen war, allein mit der Schlacht von Cannae zu vergleichen gewesen.979 Falls Ammians Rückgriff auf Cannae nun eine irgendwie beschwörende Absicht hatte, oder er hoffte, dass sich die Geschichte von der Überwindung der Niederlage wiederholte, wurde er enttäuscht.980 Im Unterschied zur res publica der punischen Kriege sollte sich das Imperium Romanum des vierten nachchristlichen Jahrhunderts von der Katastrophe bei Adrianopel nicht mehr erholen. Ein Jahrhundert später war das römische Reich im Westen des Mittelmeerraumes verschwunden.

978Vgl.

Christ 1974, 390; Meier/Patzold 2010, 77 f. 31,13,14. Vgl. bereits Amm. 15,10,10–11, wo Ammian einen informierten Überblick über den Beginn der Operationen des zweiten römisch-karthagischen Krieges in den Alpen bietet. 980Vgl. Meier/Patzold 2010, 78: Ammian beschwöre das „Motiv der Erneuerung nach Niederlagen und Katastrophen […] am Ende seines Geschichtswerks angesichts der katastrophalen römischen Niederlage bei Adrianopel“. Auf eine weitere mögliche Dimension des Vergleiches weist Brodka 2009, 121 f. hin. Demnach habe Ammian hiermit eine Parallele zwischen den beiden Feldherrn C. Terentius Varro und Valens I. ziehen wollen, die beide aufgrund ihres Leichtsinns und ihrer militärischen Inkompetenz für die Niederlage Roms verantwortlich gewesen seien. 979Amm.

6

Zusammenfassung

Da bereits innerhalb der Kapitel eine Reihe von Zwischenzusammenfassungen geboten wurde, erscheint es an dieser Stelle nicht notwendig, sämtliche Punkte, die dort bereits aufgegriffen worden waren, erneut zu thematisieren. Stattdessen sollen im Folgenden einige Aspekte herausgegriffen werden, die besonders bedeutsam erscheinen. „Das kulturelle Gedächtnis“, so formuliert es Jan Assmann, „richtet sich auf Fixpunkte in der Vergangenheit.“1 Diese Feststellung lässt sich auch auf die Repräsentationen der Niederlagen Roms in der römischen Geschichtskultur übertragen. Denn es lässt sich zunächst festhalten, dass sich die verschiedenen Formen historischer Erinnerung soweit erkennbar auf eine Auswahl einiger Niederlagen konzentrierten, die unter den vielen Dutzend verlorenen Schlachten offenbar als in irgendeiner Form erinnerungswürdig oder herausragend empfunden wurden. Dabei waren nicht unbedingt die zeitliche Nähe zu dem Ereignis, die Anzahl der Gefallenen oder die direkten Auswirkungen einer Niederlage entscheidend.2 So hat zwar mit der Schlacht von Cannae eine Niederlage von enormen Ausmaßen, deren Folgen die Römer noch für eine lange Zeit beschäftigen sollten, insgesamt die tiefsten Spuren in der römischen Geschichtskultur hinterlassen, doch hierauf folgt bereits die Schlacht an der Allia mit der anschließenden Einnahme Roms zu Beginn des vierten Jahrhunderts. Dies war wiederum ein Ereignis, das zu einer Zeit, in der Rom noch sehr weit von seiner späteren Machtposition entfernt war, im Kontext des archaischen Italiens, in dem derartige Vorgänge regelmäßig auftraten, alles andere als außergewöhnlich empfunden worden sein dürfte und von dem sich die Römer auch sehr rasch wieder erholen konnten. Zudem

1J. Assmann 62007,

52. Beck 2006, 216 („Kulturelle Erinnerung lebt nicht von statistisch quantifizierbaren Größen, schon gar nicht wenn es um die Zahl von Toten geht. Wichtiger sind die sozialen Rahmenbedingungen der Erinnerung, das Potenzial ihrer Sinnstiftung sowie die Medien der memorialen Verbreitung.“). 2Vgl.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Lentzsch, Roma victa, Schriften zur Alten Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-476-04831-8_6

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6 Zusammenfassung

lag das Ereignis für Römer der späten Republik und frühen Kaiserzeit sehr viel weiter zurück als andere Niederlagen, die weniger Spuren im sozialen Gedächtnis hinterlassen haben. Die anhaltenden Misserfolge auf der Iberischen Halbinsel etwa, in denen zehntausende Soldaten ihr Leben verloren und die dazu beitrugen, soziale und ökonomische Konflikte in Italien zu befeuern, scheinen späteren Generationen als wenig bedeutend erschienen zu sein. Als deutlich umfangreicher haben sich wiederum die Belege für die Schlacht von Caudium erwiesen, auch wenn diese zeitlich viel weiter zurücklag. Gemeinsam ist den meisten der Niederlagen, die auch noch nach Generationen einen prominenten Platz in der römischen Geschichtskultur einnahmen, dass mit ihnen die Erinnerung an eine Bedrohung der Stadt Rom selbst – oft symbolisiert in Gestalt des Kapitols – verbunden war. Das musste durchaus nicht den historischen Umständen entsprechen. So war es wohl zu keinem Zeitpunkt des Feldzuges ein Teil von Hannibals Strategie, Rom selbst einzunehmen und die Republik zu vernichten, doch wird ihm dieser Plan in römischen Quellen bis in die Kaiserzeit in stereotyper Wiederholung zugeschrieben. Dies gilt in ähnlicher Weise für verschiedene gallische bzw. keltische Gruppen, denen das Ziel der Einnahme Roms ebenso hartnäckig zugeschrieben bzw. unterstellt wurde, wie im es konkreten Einzelfall abwegig war. Die rhetorische Gleichsetzung mit Hannibal oder den Galliern eignete sich bis in die Kaiserzeit offenbar auch als Invektive gegen politische Gegner, von der man anscheinend erwarten konnte, dass die jeweiligen Rezipienten sie verstanden. Die Samniten scheinen in dieser Hinsicht zunehmend als weniger ‚gefährlich‘ erschienen zu sein, in Livius Darstellung der Samnitenkriege wird dieser Konflikt allerdings zum Kampf um die Herrschaft über Italien erhoben, die Niederlage von Caudium mit der (angeblich) drohenden Vernichtung des Heeres als kritische Stunde der römischen Geschichte gedeutet. Diese Fokussierung auf die Hauptstadt in der Erinnerung an Niederlagen und militärische Krisen zeigt sich auf einer anderen Ebene auch daran, dass die Schlachtfelder am Trasimenischen See, bei Cannae oder Caudium in der histori­ schen Erinnerung der Römer keine bedeutende Rolle gespielt zu haben scheinen.3 Die Topografie der samnitischen Berge bei Caudium wurde indes immerhin in der historiografischen Bearbeitung zu einem eindrucksvollen Monument. Ein Teil der stadtrömischen „Gedächtnislandschaft“ verwies jedoch auch auf die Niederlage gegen die Gallier aus der Frühzeit, die in der Rückschau immer größere Ausmaße angenommen hatte – und daher wohl als Erklärung für Rituale und eigentümliche Ortsbezeichnungen herhalten musste, deren eigentliche Hintergründe in Vergessenheit geraten waren.4

3Hier

unterschied sich die römische Geschichtskultur deutlich von solchen in Griechenland – etwa in Athen –, wo besonders die Schlachtfelder der Perserkriege zu mehrdimensionalen Erinnerungsorten wurden. Siehe hierzu bes. Jung 2006. Vgl. Zahrnt 2010. 4Vgl. Hölkeskamp 2001/2004 156, der sich hier freilich auf die Erweiterungen der stadtrömischen „Gedächtnislandschaft“ durch Triumphatoren bezieht.

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Insgesamt zeigt sich zudem, dass besonders in anderen Medien als der Historiografie oder dem historischen Epos weniger an das eigentliche Geschehen auf dem Schlachtfeld erinnert wurde, sondern vielmehr an einzelne Episoden, die mit Niederlagen verbunden waren und die dazu geeignet waren, exemplarisch vorbildliches Verhalten, das einzelne Individuen oder Gruppen gezeigt hatten, vorzuführen und zu tradieren. Allgemein geht es dabei erwartungsgemäß oft um persönliche Tapferkeit und bzw. oder den vorbildlichen Einsatz für die res publica. Eine Konstellation, die dabei besonders oft den Hintergrund für derartige Beispiele bietet, besteht darin, dass römische Truppen, die sich in einer taktisch aus­ sichtlosen Situation befinden, da sie vom Gegner eingeschlossen sind, und daher über das weitere Vorgehen beraten müssen bzw. bereits in Gefangenschaft geraten sind. Diese Konstellation tritt in verschiedenen Varianten auf. Als gewissermaßen paradigmatische Situation lässt sich das Bild der von den gallischen Belagerern auf dem Kapitol eingeschlossenen Römer bezeichnen, die dort die letzte Bastion der römischen Gemeinschaft gegen die Feinde halten. Erst nach großen Opfern hätten sich die Eingeschlossenen dazu durchringen können, sich durch die Zahlung eines Lösegeldes freizukaufen. Die zahlreichen Einzelepisoden um Taten von herausragender Tapferkeit und Ehrfurcht gegenüber den Göttern, die bei Livius in eine geschlossene Erzählung eingebunden sind, zeigen wie sehr dieser Abwehrkampf in der römischen Geschichtskultur über Jahrhunderte hinweg heroisiert wurde. Auf den Entschluss der Römer auf dem Kapitol berufen sich in historiografischen Darstellungen anderer Niederlagen die bei Caudium eingeschlossenen Soldaten oder auch die Cannae-Gefangenen. Unter extremen Umständen, so heißt es dort, sei es auch Römern gestattet zu kapitulieren, vor allem wenn auf diese Weise dem Gemeinwohl gedient sei, etwa indem einer intakten Heeresgruppe so der Abzug ermöglicht würde – die persönliche Schande der Kapitulation sei in diesem Fall hinzunehmen. Diese Orientierung am Gemeinwohl, die das Wohlergehen des Individuums im Zweifel weniger stark gewichtet, bildet auch den didaktischen Kern von zwei weiteren Konstellationen, die nach dem belagerten Kapitol zu den bekanntesten gehören. Zum einen handelt es sich dabei um das Schicksal des M. Atilius Regulus, der den Vorteil für den Staat über das eigene Wohlergehen gesetzt habe. Das Schicksal des Regulus habe man, zum anderen, auch den Soldaten vorgehalten, die bei Cannae in Kriegsgefangenschaft geraten waren. In der historischen Erinnerung taugte die Begebenheit fortan zum einen als Negativbeispiel für charakterloses Verhalten verzweifelter Soldaten, zum anderen als Sternstunde eines standfesten Senats, der selbst in größter Bedrängnis nicht von seinen Prinzipien abgewichen sei. Zur Reihe ‚Belagerung des Kapitols‘ – Caudium – Regulus – die Gefangenen von Cannae ließen sich noch weitere Beispiele anfügen – etwa die Kapitulation des C. Hostilius Mancinus vor Numantia. Die Verbindung zwischen jenen Fällen konnte in der Historiografie besonders gut gezogen werden, da dieses Medium die Möglichkeit zur Anlage weitausgreifender Narrative und Vergleiche geradezu anbietet, doch tauchen solche Verbindungen auch in anderen Medien der römischen Geschichtskultur auf. Der Grund für die Beliebtheit dieses Themas dürfte wohl unter anderem darin zu suchen sein, dass sich diese Konstellation hervorragend zur Demonstration vorbildlichen Verhaltens

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im Sinne altrömischer Moral- und Tugendvorstellungen eignete. In anderen Zusammenhängen konnten auch juristische oder philosophische Fragestellungen mit diesen offenbar bekannten Konstellationen verbunden werden. Zwar wurde der eigentliche militärische Misserfolg im engeren Sinne dabei, wie gesagt, in der Regel überhaupt nicht mehr thematisiert – gerade in den Behandlungen der Regulus-Legende taucht die Schlacht von Tunis kaum auf, weitaus interessanter fanden die Nachgeborenen offenbar die Erfindung immer weiterer Folterqualen, die der edle Regulus erleiden musste –, doch kann wenigstens eine vage Kenntnis der Zusammenhänge beim Großteil der Rezipienten vorausgesetzt werden. Der anhaltende Verweis auf die genannten Konstellationen in unterschiedlichen Medien und Zusammenhängen wird wiederum dazu beigetragen haben, solche Kenntnisse weiter zu verbreiten und zu tradieren. In ganz ähnlicher Weise kann man sich Verbreitung, Tradierung und Funktion von Hinweisen auf den als heroisch empfundenen Tod römischer Feldherren auf dem Schlachtfeld vorstellen. Auch in diesem Zusammenhang lässt sich in Verweisen in Historiografie, Rhetorik und anderen Medien eine Reihe von Beispielen vorfinden, die in dieser Zusammensetzung und Reihenfolge besonders häufig auftauchen – etwa L. Aemilius Paullus bei Cannae, P. und Cn. Cornelius Scipio in Spanien oder – jedoch mit Abstrichen – M. Claudius Marcellus. Wiederum scheint es für die Auswahl primär keine Rolle gespielt zu haben, wie lange das Ereignis zurücklag oder wie folgenreich es war. In den genannten Fällen bildete wohl eher der in späterer Zeit insgesamt als heroischer Abwehrkampf gedeutete Zweite Punische Krieg den entscheidenden Referenzrahmen. Den zahlreichen römischen Befehlshabern, die etwa in den Kriegen auf der Iberischen Halbinsel im zweiten Jahrhundert getötet wurden, wurde nicht annähernd eine ähnliche Aufmerksamkeit von Seiten der Nachgeborenen zuteil. Ganz allgemein konnten zudem Taten während des Kampfes oder im Anschluss daran, die einzelne Römer oder Gruppen im Angesicht bzw. im sicheren Bewusstsein der Niederlage vollbracht hatten, verherrlicht und tradiert werden. Wiederum war das Wissen um die Niederlage die Voraussetzung zum Verständnis dieser Episoden, in denen der Kampf selbst jedoch nicht weiter thematisiert werden musste. In den genannten Fällen spielte zudem oftmals der Gedanke eine wichtige Rolle, dass es gerade die Niederlagen gewesen seien, die den Römern dabei geholfen hätten, zu jenen Tugenden zurückzufinden, die zuvor verschüttet gewesen seien. Auch diese Botschaft konnte grundsätzlich in einem weiten Spektrum von Medien vermittelt werden, doch in besonderem Maße eigneten sich hierfür solche, die die Entwicklung und Präsentation von längeren Narrativen ermöglichten, in die die Niederlagen und die damit verbundenen rühmenswerten Beispiele eingebunden werden konnten. Dies konnte zum Beispiel in der dritten Dekade des Livius beobachtet werden, in der der Hannibalkrieg nahezu in Form einer in sich geschlossenen Monografie dargestellt wird. Bei einer durchgehenden Lektüre der Bücher 21 bis 30 ergibt sich hinsichtlich der Darstellung und Deutung der römischen Niederlagen eine Reihe von Einsichten. Denn jene Niederlagen bieten Livius vor allem Gelegenheit zur Reflexion und Diskussion über die Ursachen und Folgen von charakterlichen Mängeln, den Wert der concordia und die Gefahren

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der discordia sowie über den Weg, der die Römer wieder aus der Krise geführt hat. Die Niederlagen entfalten dabei einen didaktischen Wert. Die Lehren, die sich aus den Niederlagen des Zweiten Punischen Krieges für die Römer bei Livius ziehen lassen, können dabei grob in zwei Kategorien geteilt werden. Zum einen handelt es sich um solche Lehren, die direkt umsetzbare Maßnahmen betreffen. So empfiehlt der bewährte Feldherr Q. Fabius Maximus die vorübergehende Aussetzung von Normen, die bis dahin bei den Wahlen zum Konsulat gültig waren. Der Senat ergreift nach der Niederlage von Herdonea direkte Maßnahmen um zu verhindern, dass ein weiteres Mal so viele Römer in Kriegsgefangenschaft geraten wie es nach der Schlacht von Cannae der Fall gewesen war. Der Prokonsul P. Cornelius Scipio, der spätere Africanus, achtet wiederum bei der Anwerbung von Hilfstruppen in Spanien darauf, ein angemessenes Maß einzuhalten um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden, das zuvor seinen Vater und Onkel getroffen hatte, denen es angeblich zum Verhängnis geworden war, dass sie zu sehr auf fremde Truppen vertraut hätten. Die andere Kategorie von Lehren betrifft die moralische Haltung, die den Römern dabei geholfen habe, Niederlagen und Krisen zu überstehen. Die Erinnerung an die erst kurze Zeit zurückliegenden Niederlagen hilft in diesen Fällen auch dabei, erneute Rückschläge zu verkraften. Da den Römern die Erfahrung einer Niederlage nun nicht mehr neu ist, können sie auch weitere Krisen überwinden oder sogar gelassen auf die Nachricht von einer Niederlage reagieren (wie etwa nach der Schlacht von Herdonea), während Livius nach den ersten Niederlagen jeweils mit großer Detailfreude davon berichtet hatte, wie die Nachrichten der verlorenen Schlachten in der Hauptstadt Panik ausgelöst hätten. Als Wendepunkt in der Erzählung dient dabei ausgerechnet die Schlacht von Cannae – eine narrative Konstruktion, die Livius nicht selbst kreiert hatte, sondern die, mit jeweils anderer Schwerpunktsetzung, bereits bei Polybios und wohl auch bei römischen Geschichtsschreibern des zweiten Jahrhunderts zu finden war und zur Prominenz Cannaes beigetragen haben wird. Hierhinter steht ein Gedanke, der sich bei Livius auch in Hinsicht auf andere Niederlagen findet und der bereits für frühere Autoren, etwa den Dichter Lucilius gegen Ende des zweiten Jahrhunderts nachweisbar ist – nämlich der Gedanke, dass Rom letztlich alle Verluste und Niederlagen nicht nur im Kern u­ nversehrt, son­ dern vielmehr gestärkt überstehen werde. Dass sich diese Vorstellung ursprünglich aus den realen Erfahrungen einer Kette von Niederlagen im Pyrrhos-Krieg und im Zweiten Punischen Krieg speiste, die von Rom letztlich jedoch beide nach schweren Verlusten und Rückschlägen gewonnen werden konnten, wie es in der Forschung gelegentlich vermutet wurde, ist durchaus denkbar.5 In Livius’ Erzählung des Hannibalkrieges und in einer Reihe von weiteren Darstellungen ist es jedenfalls gerade das Desaster auf dem Schlachtfeld, dass die Römer zu jener morali-

5So etwa Oakley 2005, 254 („This way of viewing Roman character was formed perhaps in the third century, under the influence of Roman successes in the Pyrrhic and Hannibalic Wars.“); Clark 2014b, bes. 92 f.

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schen Festigkeit zurückfinden lässt, die ihnen zuvor abhandengekommen war. Als eigentlich entscheidend erweist sich dabei wiederum nicht nur die Tapferkeit oder Bereitschaft zur Pflichterfüllung, sondern der Umstand, dass die Römer unter dem Eindruck niederschmetternder Katastrophen zu einer inneren Einigkeit zurückgefunden hätten. Zuvor hatte Livius eine sich zunehmend steigernde Zwietracht nämlich als eigentliche Ursache der Niederlagen gegen Hannibal ausgemacht, die sich zunächst in Uneinigkeit zwischen zwei römischen Feldherren, dann im Streit zwischen verschiedenen Gruppen im Heerlager und schließlich in einer Spaltung der gesamten Bürgerschaft manifestiert habe. Erst die Katastrophe von Cannae habe zu einem Umdenken geführt und im Anschluss an die Darstellung der Schlacht schildert Livius Szenen, die demonstrieren, wie sich die Bürgerschaft in neuer concordia zusammenschließt, um nun gemeinsam die Feinde zu bekämpfen. Diese moralische und politisch-philosophische Dimension in der Konstruktion von Kausalität lässt sich nicht nur in Livius’ Deutung der Niederlagen gegen die Karthager im Zweiten Punischen Krieg finden sondern auch in seinen Darstellungen der ‚Gallischen Katastrophe‘ und der Niederlage gegen die Samniten bei Caudium. Die zugegebenermaßen dürre Quellenlage lässt es zudem wenigstens erahnen, dass in den römischen Quellen die Niederlagen auf der Iberischen Halbinsel gegen Viriathus und die Numantiner durch moralisch fragwürdiges Verhalten von römischen Feldherren dort herbeigeführt worden waren. Auf diesem Kriegsschauplatz wurde jedoch auch der Weg zum Sieg teilweise als problematisch angesehen, was vielleicht dazu beitragen hat, dass die Feldzüge dort in der römischen Geschichtskultur insgesamt nie den gleichen Rang einnahmen, der sich für andere Kriege gegen Kelten, Samniten oder Karthager konstatieren lässt. Für die Niederlagen der Römer lassen sich in der römischen Geschichtskultur zudem weitere Erklärungen finden. Jeweils schon früh – vermutlich bereits während oder kurz nach den entsprechenden Kriegen – wurden Niederlagen im Rahmen von durch religiöse Vorstellungen geprägten Deutungsmustern erklärt. Dies lässt sich zum Beispiel an der – vermutlich alten – Einrichtung des Dies Allien­ sis, den Berichten über besondere Opfer und Sühnemaßnahmen, die außerhalb der vom Senat akzeptierten sozialen Ordnung standen, den Berichten über Vorzeichen und den weiteren vielfältigen Erklärungen dieser Art in der römischen Geschichtskultur erkennen. In deren Medien scheint es ebenfalls schon recht früh dazu gekommen zu sein, dass einzelnen Feldherren die Schuld an der Niederlage zugeschrieben wurde. Vielen imperatores victi wird in diesem Zusammenhang ein zu voreiliges, oft gar leichtsinniges taktisches und bzw. oder strategisches Vorgehen vorgeworfen, an dem sie teilweise auch gegen den ausdrücklichen Rat erfahrener Mitbürger festgehalten hätten. Wenn diese Feldherren noch dazu eindeutige Vorzeichen missachten, können in den betreffenden Berichten auch mehrere Erklärungsansätze miteinander verbunden werden. Diese Zuschreibung der Verantwortung für Niederlagen an einzelne Feldherren in der Geschichtskultur war wohl auch deswegen so verbreitet, weil sie einer Tendenz entgegenkam, die sich innerhalb des sozialen Gedächtnisses anhand einer Vielzahl von Beispielen beobachten lässt, nämlich die Neigung dazu, Ereignisse der Vergangenheit in hohem Maße als Resultat des

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Wirkens einzelner Protagonisten zu interpretieren. Dies trifft auf große militärische Erfolge der römischen Geschichte zu, wie eben auch auf ihre Niederlagen.6 Durch diesen Modus der Erklärung blieben auch militärische Misserfolge weitgehend das Ergebnis von Aktionen römischer Akteure, was umgekehrt den Schluss beinhaltete, dass auch die Bewältigung einer Niederlage in römischen Händen lag. Viele der Gegner Roms erscheinen dementsprechend eher als Instrument der Bestrafung moralischer Fehler oder ähnlicher Vergehen. Ihr Schicksal halten die Römer stets in eigenen Händen.7 Unter den gegnerischen Feldherren ragt indes Hannibal weit heraus, dem im sozialen Gedächtnis Roms in Republik und Kaiserzeit stets überragende militärische Fähigkeiten und noch am ehesten eine eigene Agenda komplexeren Inhalts zugeschrieben werden.8 Sein Name wurde zudem zu einer Chiffre für größte Bedrohung, auf die auch ohne weiteren narrativen Kontext angespielt werden konnte. In dieser Funktion stellte Hannibal alle anderen Gegner Roms in den Schatten – von den vielen gegnerischen Feldherren, die den Armeen Roms in einem Zeitraum von mehreren Jahrhunderten Niederlagen beigebracht hatten, führt die überwiegende Mehrheit ein Schattendasein im Geflecht der römischen Geschichtskultur, viele bleiben dabei sogar namenlos. Die Hannibal und den Karthagern insgesamt in römischen Quellen oft stereotyp zugeschriebene Hinterlist (die Punica fides) spielt für die Erklärungen der Niederlagen wiederum insgesamt eine eher geringere Rolle. Zwar bilden etwa Hannibals Listenreichtum oder die moralische Verderbtheit der Karthager in der Regulus-Episode wiederkehrende Motive in der historischen Erinnerung an diese Ereignisse, doch dienen sie selten als primäre Erklärung von Niederlagen. Insgesamt lässt sich bei der Betrachtung solcher Medien, die die Möglichkeit zur Bildung weiter ausgreifender Narrative boten, der Eindruck gewinnen, dass Erklärungen wie die Missachtung von Vorzeichen, leichtsinnige Feldherren oder Listen des Gegners – mitunter auch Unbilden des Wetters – lediglich auf einer oberflächlichen Ebene als kausal für den militärischen Misserfolg anzusehen seien. Dies lässt sich nur (noch) anhand solcher Quellen nachvollziehen, die in ausreichend umfangreicher Weise überliefert worden sind. Im Fall der Darstellungen des Livius zur ‚Gallischen Katastrophe‘, zur Niederlage bei Caudium und zu den Niederlagen des Zweiten Punischen Krieges insgesamt lässt sich eine Unterscheidung zwischen eher oberflächlichen Gründen für einzelne Misserfolge und den eigentlichen Ursachen feststellen, die auf einer tieferen Ebene zu finden

6Vgl.

Flaig 1999, der diese Form der historischen Erinnerung in Bezug auf den römischen Triumphzug – vielleicht etwas überpointiert – als „soziales Vergessen“ interpretiert, das in diesem Fall die Beteiligung anderer Angehöriger des populus Romanus am Sieg betroffen habe, deren Leistungen hinter der des Triumphators vollständig verschwunden wären. 7Vgl. hierzu zuletzt Stoll 2016, 92. 8Auch Hannibal kann jedoch in manchen Bearbeitungen – siehe unten zu den Punica des Silius Italicus – zu einem reinen Exekutor göttlichen Willens werden.

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sind.9 Diese Ursachen betreffen eher moralische Kategorien, deren Missachtung weitreichende Folgen hat – was der didaktischen Grundströmung des livianischen Werkes entspricht.10 Die Römer in Livius’ Text lernen mit zunehmender Dauer des Krieges nicht nur immer besser mit Niederlagen und Rückschlägen umzugehen, sie erleiden auch tatsächlich weniger Misserfolge als zuvor. Wenn für Rom doch noch eine Schlacht verloren geht, begegnen das Volk und vor allem der Senat den Folgen mit größerer moralischer Standfestigkeit als es zuvor der Fall gewesen war. Gerade mit Blick auf den Senat ergeben sich auf einer tieferen Ebene noch weitere Perspektiven, die die Zeitgebundenheit verschiedener Deutungen offenbaren. So weist die Gestalt der Krise, die die res publica nach Livius im Zweiten Punischen Krieg zeitweise ergriffen hat und sich besonders in der Uneinigkeit zwischen den Bürgern Roms manifestiert, deutliche Anklänge an die politischen Konstellationen der späten Republik auf. Dass die Römer des Zweiten Punischen Krieges ihre Niederlagen gegen die Karthager tatsächlich aufgrund innerer Uneinigkeit oder moralischer Wankelmütigkeit erlitten, erscheint dem modernen Betrachter als unzureichende Erklärung. Dass Livius’ Römer in einer neu gewonnenen Eintracht, die als Folge der Niederlage anzusehen sei, das Mittel sehen, mit dem sich weitere Rückschläge verhindern und die Folgen der bereits erlittenen Niederlagen überwinden ließen, passt jedoch gut zu Konzepten der Krisenbewältigung, die in der späten Republik und der frühen Kaiserzeit unter dem Eindruck fortgesetzter innerer Konflikte, die bis zum Bürgerkrieg führten, formuliert wurden. Es zeigt Livius’ Ausrichtung auf die – vermeintlichen – Werte der alten Republik, dass in seiner Schilderung des Hannibalkrieges das Zentrum besonnenen Handelns im Senat liegt, und die Exilrömer in Veii den Camillus erst zum Dictator bestimmen wollen, nachdem sie hierfür die offizielle Ernennung durch den eingeschlossenen Rumpf-Senat auf dem Kapitol eingeholt haben. Zwietracht und der damit verbundene Misserfolg werden wiederum auf die aufrührerischen Umtriebe vonseiten einzelner demagogischer Volkstribune oder sonstiger Quertreiber zurückgeführt.

9Vgl. in Bezug auf die dritte Dekade Levene 2010, 316 („Despite focusing on generals, Livy shows that generals matter rather less than one might expect. The things that generals fail to predict are sometimes things that are fundamentally unpredictable, tiny things which make a vast difference in the battle: and many of Livy’s battles turn on such apparently minor considerations. But Livy’s battle narratives challenge expectations more radically, because sometimes it is not clear that battles are turned by any defined cause at all – indeed, as I showed, he presents a battle in a way that suggests that all of the causes that one might think led to victory or defeat failed to be decisive. Yet he does not attribute it to blind chance either, which one might think would be the obvious alternative. Victory and defeat happen: and they appear to happen in ways that make sense, in that they fit the wider moral significance of Livy’s narrative, yet they ostentatiously do not appear to be capable of being analysed in any causal terms that we would think normal.“). 10Die Unterscheidung zwischen Anlässen und Ursachen erinnert natürlich an die historiografische Konzeption des Thukydides (Thuk. 1,23). Dies muss kein Zufall sein, da sich möglicherweise weitere Anklänge an das Werk des athenischen Geschichtsschreibers in Ab Urbe Condita – gerade in der dritten Dekade – finden lassen. Siehe hierzu Levene 2010, 111–114, der einige Beispiele diskutiert, sich dabei indes durchaus skeptisch in Bezug auf einzelne – vermeintliche – Verweise zeigt.

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Eine andere, ebenfalls zeitgebundene, Deutung der Niederlagen des Hannibalkrieges und des Weges, den die Römer zur Überwindung der Krise fanden, bietet Silius Italicus. Bereits die Wahl des Mediums zur Bearbeitung des Sujets stellte schon eine wichtige Aussage dar. Auch für Silius war die Zeit des Hannibalkrieges generell offenbar eine Zeit heroischer Bewährung und moralischer Vorbildlichkeit. Auch in den Punica muss diese freilich durch die desaströsen Niederlagen gegen Hannibals Armee wieder erneuert werden. Diese Misserfolge stehen in jeder Hinsicht im Zentrum des Epos und werden als Prüfstein für die Römer gedeutet. Dem Krieg insgesamt wird eine geradezu teleologische Bedeutung zugewiesen, in der die Niederlagen wiederum eine Scharnierstelle auf dem Weg der Römer zur Weltherrschaft einnehmen. Während es bei Livius jedoch noch vor allem die innere Einigkeit und die zentrale Souveränität des Senats waren, die den Weg aus der Krise herbeiführten, rückt bei Silius die Frage nach dem geeigneten Anführer der Römer stärker in den Mittelpunkt. Iuppiters Prüfung erweisen sich in den ersten Büchern des Epos zahlreiche römische Feldherren als nicht oder nicht in vollem Umfang als gewachsen. Der perfekte Anführer erwächst den Römern – unter göttlicher Anleitung – in der Gestalt des P. Cornelius Scipio Africanus, der jedoch zunächst eine Reihe von Stationen durchlaufen muss, die teilweise eng mit Roms Niederlagen verknüpft sind, bis er Hannibal endlich gewachsen ist und die Römer zum Sieg und damit auf den Weg zur Weltherrschaft führen kann. Die Konzentration auf einen Heroen ist im Epos sicher auch gattungsbedingt. Dass ein Dichter der Kaiserzeit die Überwindung der Niederlage wesentlich dem Auftreten eines rettenden Anführers zuschreibt, kann jedoch auch als Ausdruck der Zustimmung des Silius zum Herrschaftssystem des Prinzipats gedeutet werden. Vielleicht kein Zufall ist es in diesem Zusammenhang auch, dass Silius die Stilisierung des Africanus zum Sohn Iuppiters, die schon zu Lebzeiten des Scipio selbst begonnen hatte, aufnahm und zu einem Grundthema der Punica ausgestaltet hat. Denn immerhin proklamierte auch der Kaiser Domitian, unter dessen Herrschaft das Epos entstand, eine besondere Nähe zu Iuppiter. Wie einst Scipio – so konnte man die Punica auch lesen – die Römer, die durch schwere Niederlagen geprüft wurden, auf den Weg zum Sieg und zur Herrschaft geführt habe, habe auch Domitian bzw. hätten die Flavier Rom aus der Krise des Bürgerkrieges in eine neue glorreiche Zukunft geführt. Gerade ein Blick auf Rekonstruktionen zu den historischen Reaktionen auf Niederlagen etwa in der Zeit des Zweiten Punischen Krieges zeigt, dass diese in den späteren Darstellungen und Deutungen des Krieges in der römischen Geschichtskultur kaum eine Rolle spielten. So wird die Praxis der jahrelangen Berufung bewährter Feldherren über etablierte Normen zur Vergabe von Magistraturen hinweg von Autoren wie Livius und Silius Italicus kaum thematisiert.11 Und eigentümlicherweise schien in der Erinnerung späterer Zeiten jener Faktor, der in der modernen Forschung als so wesentliche Voraussetzung für die römische

11Siehe

zu dieser Praxis Beck 2005a, 97–100, 109.

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Überwindung der Krise nach Cannae gewertet wird, keine Rolle gespielt zu haben – die Überlegenheit des römischen Rekrutrierungsreservoirs und des größeren Zugriffs aufs materielle Ressourcen.12 Die Beispiele des Livius oder des Silius Italicus sind dazu geeignet, zwei der möglichen Formen der Darstellung und Deutung der Niederlagen Roms im Zusammenhang eines größeren Narratives zu illustrieren. Dabei sollte wiederum jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass diese Deutungen niemals die einzige Form des Umgangs mit Niederlagen in der römischen Geschichtskultur darstellten. So stellte Cornelius Nepos Mitte des ersten Jahrhunderts Hannibal ohne Bedenken als militärisches Genie dar, das auf dem Schlachtfeld unbesiegt geblieben sei, da er seinen römischen Widersachern weit überlegen war, und das sich auch für die Römer in Nepos’ Zeit als exemplum eignete. Petronius spielt in ironischer Weise auf die Bezugnahme von halbgebildeten Dilettanten auf die vermeintlichen Taten Hannibals an – von denen diese vielleicht in der Sammlung des Valerius Maximus gelesen hatten – während dies für Iuvenal vor allem ein Inhalt des Rhetorikunterrichtes war. Im römischen Stadtgebiet erinnerten den Kundigen zahlreiche Orte an die Belagerung durch die Gallier, während viele Römer der Ansicht waren, dass ein jährlich durchgeführtes Hundeopfer und eine eigentümliche Prozession als rituelle Erinnerung an die Katastrophe der Frühzeit anzusehen waren. Wenigstens den Angehörigen gebildeter Kreise blieb die Erinnerung an die großen Niederlagen Roms gegen Kelten, Samniten und Karthager noch bis in die Spätantike hinein präsent. Ein Trauma im eigentlichen Sinne war auf den Schlachtfeldern an der Allia, bei Caudium, am Trasimenischen See oder bei Cannae jedoch gerade nicht geboren worden – jedenfalls keines, das die Römer nicht überwunden hätten.13 In der modernen Trauma-Therapie wird gerade die Narrativierung des Erlebten als wichtige Voraussetzung zur Bewältigung betrachtet, damit sich die erlittenen Wunden wieder schließen können.14 Auch wenn in Hinsicht auf die Übertragung individualpsychologischer Termini auf Gruppen Vorsicht geboten sein sollte, lässt sich vielleicht formulieren, dass auch die Römer eine solche Narrativierung geleistet haben. Die großen Niederlagen der Republik blieben eben nicht als unerklärbare Verletzung bestehen und wurden an den Rand des kulturellen Gedächtnisses gedrängt, sondern wurden als unumgänglicher Bestandteil der eigenen Geschichte akzeptiert und sogar als genuin nützliche Erfahrung interpretiert.

12Vgl.

zuletzt Walter 2017a, 1 f. (in Hinsicht auf Überlegungen zu den Gründen des Erfolgs der römischen Expansion): „Die Überzeugung der Römer, moralisch überlegen und mit den Göttern im Bunde zu sein, vermag Historiker unserer Zeit nicht zu überzeugen. Umgekehrt findet sich nirgendwo in der antiken Literatur ein Hinweis auf die überlegene manpower, die es Rom schon früh ermöglichte, auch nach verlustreichen Niederlagen gegen militärtaktisch überlegene Feinde einen Krieg so lange weiterzuführen, bis der Sieg errungen war.“ 13Siehe in diesem Sinne zuletzt auch Modrow 2017, 101. 14Weilnböck 2007. Vgl. M. Eggers, in: Ruchatz/Pethes 2001, 602 f., s. v. Trauma.

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Wie wenig selbstverständlich ein solcher Umgang mit Niederlagen ist, wird besonders durch einen Blick auf Berichte und Deutungen von militärischen Misserfolgen in anderen Kulturen und Epochen deutlich. Dieser lässt nämlich ein weites Spektrum an Möglichkeiten erkennen, das zwischen einem bewussten Ignorieren, über verschiedene Optionen der Umdeutung, bis hin zur detaillierten Ausmalung reicht, an die wiederum ganz verschiedene Interpretationen angebunden werden können.15 Die Sichtweise, die in dieser Arbeit als typisch für weite Teile der römischen Geschichtskultur ausgemacht worden ist – Erklärung und Deutung der Niederlagen als sogar nützliche Erfahrungen – liegt wohl besonders nahe, wenn man um den positiven Ausgang der Geschehnisse weiß.16 Der dauerhaft Besiegte legt sich, sofern dies überhaupt geschieht bzw. geschehen kann, in der Regel ein anderes Narrativ zurecht, das zum Beispiel martyrologisch oder revanchistisch dominiert sein kann. Demgegenüber war die römische Kultur keine ‚Kultur der Niederlage‘, doch entwickelte und bewahrte sie eine ganz eigene ‚Kultur des Umgangs mit Niederlagen‘, mithin eine spezifisch römische ‚Niederlagenkultur‘, die zu einem Teil der kulturellen Auseinandersetzung mit Rom zahlreichen Kriegen wurde.17 Denn dass all dies ‚lediglich in den Köpfen der Römer‘ existierte, sollte nicht vorschnell geschlossen werden. Die oft beschriebene Resilienz der Römer gegenüber Niederlagen, der Willen und die Fähigkeit auch nach schweren Rückschlägen mit neu formierten Kräften immer wieder neu anzugreifen, mögen auf die Erfahrungen der Vergangenheit und besonders auf die Art und Weise, in der diese gedeutet wurden, zurückgehen. Denn das Bewusstsein auf dem Schlachtfeld geschlagen werden zu können, war und blieb in der römischen (Geschichts-)Kultur ja präsent. Die Römer hielten sich zu keinem Zeitpunkt ihrer

15Siehe

etwa die instruktiven Studien von Martin Clauss zu Deutungen von Kriegsniederlagen im europäischen Mittelalter (Clauss 2010; 2016). So zeichneten sich die fränkischen Reichsannalen dadurch aus, dass „Niederlagen dadurch historiographisch bewältigt werden, dass sie gar nicht in die Geschichtserzählung aufgenommen werden“ (Clauss 2016, 142). In sumerischen Klageliedern wird die Zerstörung einer Stadt einem von göttlichen Mächten gesandten Unwetter zugeschrieben anstatt menschlichen Feinden (Wilcke 2000, 70 f.). In Athen lässt sich nach der Niederlage im Peloponnesischen Krieg ein komplexer Prozess der Umdeutung der Vergangenheit erkennen, der sich erkennbar vom römischen Umgang mit Niederlagen unterscheidet (Wolpert 2002). Einen Eindruck von der Bandbreite möglicher Optionen des Umgangs mit Niederlagen vermitteln außerdem Afflerbach 2013 sowie die Beiträge in Carl/Kortüm/Langewiesche/Lenger (Hgg.) 2004; Stoll/Meier (Hgg.) 2016; Clark/Turner (Hgg.) 2018. Vgl. insgesamt die Hinweise oben in Abschn. 1.2, hier die Angaben in Anm. 29 und 30. 16Vgl. Beck 2006, 215 – in Rückgriff auf Koselleck: „Für die Verlierer gehen mit der memorialen Bewältigung eines Krieges stets eine höhere Analysefähigkeit und tiefere Neueinschreibung ihrer Erinnerung einher als für die Sieger, die dafür anfällig sind, ihren Erfolg ‚im Sinne einer ex post-Teleologie‘ auszulegen (Koselleck)“. Siehe hierzu umfassend Koselleck 1991. 17Vgl. zur „Kultur der Niederlage“ Schivelbusch 2001.

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Geschichte auf dem Schlachtfeld für unbesiegbar, weil sie Kelten und Samniten zurückgedrängt und unterworfen oder weil sie Hannibal vertrieben und Karthago letztlich zerstört hatten. Jedoch suchten und fanden sie immer wieder neue Wege, um aus der Erinnerung an die eigenen Niederlagen Zuversicht für die jeweilige Gegenwart Zukunft zu schöpfen.18

18Siehe

zu Beispielen für diesen Blick auf eigene Niederlagen in Quellen der Kaiserzeit, die nicht mehr systematisch in diese Arbeit aufgenommen werden konnten, nun Stoll 2016, 106 f.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Artikel aus Lexika wie dem Neuen Pauly oder der RE werden nur dann im Literaturverzeichnis aufgeführt, wenn sie an mehreren Stellen zitiert werden, was zum Beispiel für einige der Feldherren des Hannibalkrieges notwendig sein wird.

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Lentzsch, Roma victa, Schriften zur Alten Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-476-04831-8

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Ortsregister

A Actium, 131 Adrianopel, 431, 432 Allia, 8, 12, 13, 71, 73, 75–77, 79–81, 86, 87, 96, 97, 100, 102, 103, 105, 106, 109–111, 114, 116, 118, 122, 125, 130, 132, 141, 142, 147, 165, 189, 198, 199, 208, 245, 329, 332, 349, 382, 404, 433, 442 Alpen, 73, 99, 145, 259, 295, 308, 367, 368, 390, 424, 432 Ancona, 76 Anio, 251, 336, 372, 397 Ardea, 116, 125, 143 Ariminum, 76, 149 Arretium, 149, 150, 330 Athen, 121–125, 127–131 Akropolis, 122, 123, 126 Aufidus, 362 B Bagradas, 228, 239, 241–244 C Caere, 83, 112, 117, 127, 135, 140, 141, 143 Cannae, 7, 11–14, 18, 38, 49, 50, 54, 58, 71, 142, 151, 160, 168, 197, 198, 218, 224, 231, 233, 234, 240, 249, 253, 260–262, 264–267, 269–272, 275–282, 284–286, 288–293, 296–300, 302–304, 306, 307, 309–318, 322–324, 327, 332, 336, 338–340, 342, 344, 346, 348–351, 353–355, 357, 358, 361–364, 366, 368, 374, 375, 377–385, 387, 390, 391, 399, 401–403, 405, 408–412, 416, 418, 420, 424–427, 429–431, 433–438, 442

Capua, 185, 287, 297, 306, 362, 372, 384, 391, 410, 411, 422 Carrhae, 13, 232 Casilinum, 289, 362, 380, 385 Castra Hannibalis, 251 Caudium, 12, 15, 71, 163, 164, 169, 173–190, 192, 194–203, 205, 207, 208, 320, 329, 332, 342, 346, 348, 349, 352, 434, 435, 438, 439, 442 Clupea, 213 Cremera, 8, 51, 79, 80, 93, 142, 199, 383 D Delphi, 98, 99, 124, 126–128, 130, 131, 260, 261, 302, 312 Drepana, 13, 211, 215, 218, 222, 225, 229, 233, 236 F Forum Gallorum, 57 H Herdonea, 313, 325, 326, 353, 357, 410, 411, 437 I Iberische Halbinsel, 1, 4, 11, 16, 18, 73, 74, 98, 142, 151, 154, 155, 158–161, 164, 168, 172, 200, 225, 254, 255, 259, 261, 269, 278, 280–282, 288, 291, 293, 307, 308, 312, 313, 328, 341, 352, 354, 355, 365, 378, 382–384, 390, 391, 411, 419, 421, 422, 434, 436–438

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Lentzsch, Roma victa, Schriften zur Alten Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-476-04831-8

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480 K Karthago, 9, 209, 217, 233, 240, 264, 271, 272, 298, 299, 307, 355, 360, 366, 368, 370, 376, 377, 390, 427 L Lautulae, 180, 202, 208 Limyra, 141 Luceria, 179–181, 183, 188, 194, 197, 203 Lugdunum, 147 N Neu-Karthago, 336 Numantia, 44, 159, 161, 163–165, 168, 174, 176, 178, 200–202, 206, 435 P Petelia, 379 Pisa, 141 R Rom Augustusforum, 140 Busta Gallica, 135, 166, 404 Doliola, 134, 135 Forum Boarium, 278 Forum Romanum, 52, 54, 193, 288, 349 Kapitol, 58, 83, 85, 90, 91, 93, 94, 96, 98–103, 110–119, 122, 125–127, 131, 132, 135–137, 139, 142–146, 165, 167, 189, 208, 210, 211, 270, 271, 278, 349, 356, 374, 421–425, 427, 435, 440 Marsfeld, 138 Palatin, 123 Quirinal, 93, 113 Tarpeischer Felsen, 114, 115 Tempel der Iuventas, 137, 139 Tempel der Mens, 57 Tempel des Iuppiter Optimus Maximus, 98, 117, 118, 125, 131, 145, 210, 374, 423–425, 427 Vestatempel, 93 S Saltus Marcius, 153 Sardinien, 228, 264, 269, 312 Sentinum, 150, 173, 203, 208

Ortsregister Sizilien, 216, 218, 222, 228, 236, 250, 254, 255, 264, 269, 279, 289, 307, 309, 312, 327, 328, 337, 355, 391, 412 Syrakus, 54, 191, 250, 252, 254, 269, 307, 312, 313, 327, 328, 336–338, 346, 358, 360, 365, 382, 391, 419, 424, 426 T Tarent, 58, 202, 306, 338, 410 Telamon, 85, 265 Ticinus, 283, 296, 308, 309, 331, 334, 340, 383, 385, 390, 392, 393, 395, 396, 405, 411, 418, 420, 421 Trasimenischer See, 13, 57, 142, 161, 168, 239, 241, 242, 244, 249, 251–253, 255, 260–262, 268, 270, 275, 279, 281, 283, 284, 288, 290, 293, 297, 302, 310, 312– 316, 320, 323, 325, 327, 329, 331–336, 343, 344, 346–348, 353, 361–364, 367, 379, 382, 383, 385, 390, 391, 396–399, 402, 405, 411, 419, 425, 434, 442 Trebia, 13, 253, 265, 283, 296, 309, 314, 316, 318, 325, 332, 333, 338, 344, 346, 347, 354, 361, 364, 365, 390, 392–395, 399, 405, 419, 422 Troia, 88, 104, 371, 372, 388 Tunis, 210, 217, 226, 227, 239, 243, 249, 419, 436 V Veii, 3, 88, 90, 96, 102–110, 112, 114–118, 125, 131, 143, 144, 146, 440 Vetera, 206 W Wald Litana, 149, 151, 291, 293, 312, 325, 353 Z Zama, 298, 307, 308, 333, 362, 375, 377, 391, 411, 425, 427

Personenregister Die Auflistung der Namen römischer Magistrate folgt in der Regel nach ihrem Gentilnomen. Um die Orientierung zu erleichtern, wurde ggf. das höchste Amt in Klammern hinzugefügt. Römische Kaiser und Herrscher anderer Gemeinwesen werden nach ihrem gängigen Namen aufgeführt. Dies gilt auch für Gottheiten und andere mythische Personen.

A Achilles, 106, 396, 419, 422 Aemilius Paullus, L. (cos. 182), 107, 154 Aemilius Paullus, L. (cos. 219), 151, 168, 225, 265, 266, 291, 310, 315, 317, 322–324, 332, 335, 338, 342, 344, 345, 368, 399, 403–409, 415, 430, 436 Aeneas, 88, 94, 120, 131, 257, 366, 371, 420, 421 Agamemnon, 106 Aius Locutius, 117, 134, 135 Alarich, 148, 431 Alexander der Große, 197, 198, 421 Antiochos III., 107, 220, 265, 269, 295, 298 Antonius, M. (cos. 44), 57, 100, 147, 286, 382 Apuani, 152 Apuleius, L. (tr. pl. 391), 105 Aristoteles, 75, 82–84, 127, 128 Arruns von Clusium, 91, 92 Atilii, 215 Atilius Caiatinus, A. (cos. 258), 210, 218, 220–222, 226, 227 Atilius Regulus, M. (cos. 227), 235, 276, 380 Atilius Regulus, M. (cos. 267), 7, 44, 178, 207, 210–215, 217, 218, 221–235, 237–249, 368, 379, 380, 390, 402, 411, 419, 435, 436 Augustus, 3, 103, 119–121, 131, 141, 232, 368, 371, 375, 386 B Baebius Tamphilus, Cn. (cos. 182), 151 Brennus, 124

C C. Centenius (propr. 217), 297, 410 Caecilius Metellus, L. (cos. 251), 222, 226 Caecilius Metellus, M. (quaestor 214), 234, 276, 340, 379, 409, 418 Caedicius, M., 107, 109, 134 Caesar, 45, 60, 64, 73, 74, 101, 102, 136, 146, 147, 153, 154, 178, 293, 369, 384, 427 Calavius, A., 190, 191 Calpurnius Flamma (mil. tr. 258), 350 Calpurnius Piso, C. (cos. 180), 155 Calpurnius Piso Caesoninus, L. (cos. 58), 223 Calpurnius Piso Caesoninus, L. (cos. 112), 153 Cassius Longinus, L. (cos. 107), 153, 154 Claudius Clineas, M., 202 Claudius Glicia, M., 229 Claudius Marcellus, M. (cos. 196), 54, 152 Claudius Marcellus, M. (cos. 222), 54, 225, 254, 257–259, 269, 286, 291, 296, 307, 312, 313, 326–328, 337, 338, 342, 353, 358, 361, 364, 379, 383, 385, 391, 411, 412, 415, 417, 419, 424, 426, 436 Claudius Nero, Ap. (pr. 195), 369 Claudius Nero, C. (cos. 207), 281, 307, 369, 373, 375, 380 Claudius Nero, Ti. (pr. 42), 369 Claudius Pulcher, Ap. (cos. 143), 153 Claudius Pulcher, Ap. (cos. 212), 340, 422 Claudius Pulcher, P. (cos. 249), 211, 215, 216, 229, 233, 236 Cornelius Cinna, L. (cos. 87), 112 Cornelius Dolabella, P. (cos. 283), 76 Cornelius Dolabella, P. (cos. suff. 44), 224 Cornelius Scipio Aemilianus ‘Africanus Minor’, P. (cos. 147), 159, 291, 340, 343

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482 Cornelius Scipio ‘Africanus Maior’, P. (cos. 205), 49, 50, 107, 235, 269, 274, 278, 283, 295, 307, 308, 313, 336, 340, 351, 354, 357, 377, 384, 392, 393, 408, 415, 418–421, 427–429, 437, 441 Cornelius Scipio Asiaticus, L. (cos. 190), 107 Cornelius Scipio Asina, Cn. (cos. 260), 212, 227, 233, 236 Cornelius Scipio Barbatus, L. (cos. 298), 150, 203 Cornelius Scipio, Cn. (cos. 222), 307, 436 Cornelius Scipio, L. (cos. 259), 233 Cornelius Scipio, P. (cos. 218), 50, 282, 307–309, 315, 331, 392, 393, 395, 436 Cornelius Sulla Felix, L. (cos. 88), 63, 112, 205, 206, 288, 289, 384, 386, 427 Curius Dentatus, M.’ (cos. 290), 158 D Decii Mures, 220 Decius Mus, P. (cos. 312), 150, 174, 194 Domitian (Kaiser, 81–96 n. Chr.), 70, 415, 416, 422, 423, 425, 427, 428, 441 Duilius, C. (cos. 260), 222, 226, 233 F Fabius Buteo, M. (cos. 245), 275 Fabius Dorsuo, C., 93, 112, 113, 143 Fabius Maximus Gurges, Q. (cos. 292), 180, 204 Fabius Maximus Rullianus, Q. (cos. 322), 149, 150, 174, 195, 196, 203, 204 Fabius Maximus Verrucosus ‚Cunctator‘, Q. (cos. 233), 58, 242, 262, 265, 268, 269, 279, 295, 297, 302, 310, 315, 318, 320, 323, 324, 334, 335, 337, 347, 348, 351, 353, 354, 357, 378, 380, 386, 390, 402, 403, 406, 408, 410, 415, 417, 419, 424, 428, 437 Flaminius, C. (cos. 223), 13, 86, 161, 244, 261–263, 266, 279, 283, 284, 290, 293, 297, 302, 309, 310, 314–320, 322–325, 329–331, 333–335, 342–344, 348, 361–363, 367, 382, 385, 396–398, 400, 401, 408, 417, 428 Fortuna, 109, 110, 378, 381 Fulvius Centumalus, Cn. (cos. 211), 326, 411 Fulvius Flaccus, Cn. (pr. 212), 325 Fulvius Flaccus, Q. (cos. 237), 341, 385 Fulvius Nobilior, Q. (cos. 153), 156 Furius Camillus, L. (cos. 349), 83

Personenregister Furius Camillus, M. (dict. 390), 52, 82–89, 96, 101, 104–109, 112–122, 125, 130, 134, 135, 140, 143–146, 148, 167, 189, 349, 368, 440 Furius Medullinus, L. (mil. tr. c. p. 381), 84 Furius Philus, P. (cos. 223), 86, 235, 276, 330 H Hamilkar Barkas, 214, 236, 250, 294, 295, 390 Hannibal, 59, 63, 64, 148, 151, 159, 183, 205, 230, 234, 239, 240, 243, 244, 253, 258, 259, 263–265, 267, 269–273, 276–278, 280–282, 286–299, 301, 303, 304, 306–308, 311, 312, 315–318, 323–327, 333, 334, 336, 337, 344, 346, 348, 353, 354, 358–367, 369–375, 378, 380–386, 388–391, 395–398, 400–403, 406–411, 417, 418, 424, 429–431, 434, 438, 439, 441, 442, 444 Hanno ‘der Große’, 191, 312 Hasdrubal Barkas, 259, 278, 281, 312, 313, 328, 355, 356, 364, 369, 371, 384, 411, 424 Herennius Pontius, 190, 191, 202, 205, 346 Horatius Cocles, 51, 207, 220 Hostilius Mancinus, C. (cos. 137), 58, 159, 161, 162, 174, 176, 178, 200, 208, 435 I Insubres, 86, 151, 152, 330 Iugurtha (Herrscher von Numidien), 183, 360 Iulius Caesar, C. (cos. 1 n. Chr., Enkel des Augustus), 141 Iunius Bubulcus Brutus, C. (cos. 317), 180, 194, 195, 202, 203 Iunius Caesennius Paetus, L., 206 Iunius Pera, M. (cos. 230), 312, 380 Iunius Pullus, L. (cos. 249), 225, 236 Iuno, 109, 113, 123, 137, 139, 390, 394, 397, 398, 402, 405, 407 Iuno Moneta, 137 Iuppiter, 3, 117, 367, 381, 390, 392, 393, 414–416, 418, 420, 421, 423–425, 427, 441 Pistor, 136 Stator, 283, 330 L Laelius, C. (cos. 190), 50, 274 Licinius Crassus, M. (cos. 70), 232 Ligures, 151–154, 196 Livius Salinator, M. (cos. 219), 369, 380

Personenregister M Manlius Capitolinus, M. (cos. 392), 90, 91, 96, 114, 123, 137, 144, 167 Manlius Imperiosus Torquatus, T. (cos. 340), 383 Manlius Torquatus, T. (cos. 235), 267, 350, 364, 379, 383 Marcius, L. (mil. tr. 211), 278, 280, 355, 356, 383 Marcius Philippus, Q. (cos. 186), 152, 153 Marcius Rutilus, C. (cos. 310), 203 Marius, C. (cos. 107), 45, 46, 63, 112, 205, 223, 427 Mars, 136, 175, 242, 392, 418, 420, 421 Metilius, M. (tr. pl. 217), 321 Minucius Rufus, M. (cos. 221), 265, 296, 310, 314–316, 318, 320, 324, 361, 402 Minucius Thermus, Q. (cos. 193), 196 Mummius, L. (cos. 146), 156, 388 N Nero (Kaiser, 54–68 n. Chr.), 145, 388 Nero Claudius Drusus (Drusus Maior), 368 Numa Pompilius, 134 O Octavius, Cn. (cos. 87), 112 P Papirius Cursor, L. (cos. 326), 192, 193, 197 Petilius Spurinus, Q. (cos. 176), 153 Pompeius Magnus, Cn. (cos. 70), 98, 102, 146, 384, 427 Pompeius Magnus, Sextus, 367 Pompeius, Q. (cos. 141), 162, 178, 200 Pomponius Atticus, T., 64, 101, 102, 224, 292, 293 Pontius, Gavius, 180–184, 187, 188, 194 Pontius Cominius, 113, 114, 165 Popilius Laenas, M. (cos. 139), 159 Porcius Cato, M. (cos. 195), 63, 91, 154, 218, 246, 264, 269, 274, 275, 408 Postumius Albinus ‘Caudinus’, Sp. (cos. 334), 178, 181, 183–185, 188, 192–194, 200, 202, 204, 207

483 Postumius Albinus, L. (pr. 216), 149, 151, 312, 325, 353 Publilius Philo, Q. (cos. 339), 192, 193 Pyrrhos (König von Epiros), 9, 148, 197, 265, 287, 349, 359, 372, 384–386, 437 Q Quinctius Crispinus, L. (pr. 186), 155 Quinctius Crispinus, T. (cos. 208), 54, 313, 326, 342 R Romulus, 88, 101, 118–120, 123, 139 S Salassi, 153 Sempronius Gracchus, Ti. (cos. 177), 96 Sempronius Gracchus, Ti. (cos. 215), 291, 296, 331, 353, 383, 410 Sempronius Gracchus, Ti. (tr. pl. 133), 164, 176 Sempronius Longus, Ti. (cos. 218), 309, 314–316, 319, 322, 324, 393–396 Sempronius Tuditanus, P. (cos. 204), 267, 285, 350 Senones, 76, 117, 144, 150 Servilius Caepio, Q. (cos. 140), 157, 158 Servilius Geminus, Cn. (cos. 217), 266, 291, 309, 310, 319 Servilius Geminus, P. (cos. 252), 266 Sulpicius Galba, Ser. (cos. 144), 156 Sulpicius Longus, Q. (mil. tr. c. p. 390), 80, 93, 115 T Terentius Varro, C. (cos. 216), 54, 266, 285, 290, 303, 306, 307, 311, 314–317, 319, 321–325, 332, 338–342, 346, 347, 351, 362, 363, 366, 380, 381, 385, 402–406, 408, 410, 428, 430–432 Thukydides, 440 Tiberius (Kaiser, 14–37 n. Chr.), 368, 375, 376, 386, 387 Trebonius, C. (cos. suff. 45), 224

484 V Valerianus (Kaiser, 253–260 n. Chr.), 191 Valerius Laevinus, M. (cos. 210), 337 Venus, 249, 393, 395, 414 Vesta, 83, 93, 97, 111, 133, 134, 136, 141, 143, 405 Veturius Calvinus, T. (cos. 334), 176, 183, 193 Viriathus, 157–161, 164, 165, 168, 197, 281, 409, 438 Vitellius (Kaiser, 69 n. Chr.), 145, 413, 423

Personenregister X Xanthippos, 217, 228, 233, 234, 239, 242–245 Xerxes I. (Großkönig des Achaemenidenreiches), 122, 123, 220