Römische Feste: Eine Analyse der römischen Festkultur im Spiegel der lateinischen Inschriften 3831677506, 9783831677504

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Römische Feste: Eine Analyse der römischen Festkultur im Spiegel der lateinischen Inschriften
 3831677506, 9783831677504

Table of contents :
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Title
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
TEIL 1: DAS RÖMISCHE FEST – THEORIE UND METHODE
Kapitel 2: Fest und Gesellschaft: Versuch eines Neuansatzes
TEIL 2: FESTSTIFTUNGEN IN DEN LATEINISCHEN INSCHRIFTEN
Kapitel 2: Die Stifter von Festen
Kapitel 3: Der Anlass von Festen
Kapitel 4: Festliche Handlungen
Kapitel 5: Die Anwesenden
TEIL 3: ZUSAMMENFASSUNG UND AUSWERTUNG:
Kapitel 1: Formen der Vergemeinschaftung im Fest
Kapitel 2: Feststiftungen als Mittel der sozialen Distinktion
Schlussgedanken: Fest und Prestige in der römischen Welt
Anhang
Register

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Anne Bäumler

Römische Feste Eine Analyse der römischen Festkultur im Spiegel der lateinischen Inschriften

utzverlag · München 2023

Münchner Studien zur Alten Welt Band 21

Ebook (PDF)-Ausgabe: ISBN 978-3-8316-7750-4  Version: 1 vom 21.07.2023 Copyright© utzverlag 2023

Alternative Ausgabe: Hardcover ISBN 978-3-8316-5013-2 Copyright© utzverlag 2023

Anne Bäumler Römische Feste Eine Analyse der römischen Festkultur im Spiegel der lateinischen Inschriften

Münchner Studien zur Alten Welt herausgegeben von Prof. Dr. Martin Zimmermann Prof. Dr. Jens-Uwe Krause Prof. Dr. Karen Radner Prof. Dr. John Weisweiler Ludwig-Maximilians-Universität München Band 21

Umschlagabbildung: „The Roman triumph, a civil ceremony and religious rite of ancient Rome“ © history_docu_photo / Alamy Stock Photo

Zugl.: Diss., München, Ludwig-Maximilians-Universität, 2022 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten. Copyright © utzverlag GmbH · 2023 ISBN 978-3-8316-5013-2 (gebundenes Buch) ISBN 978-3-8316-7750-4 (E-Book) Printed in EU utzverlag GmbH, München 089-277791-00 · www.utzverlag.de

Danksagung Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Version meiner Dissertation, die im Herbst 2021 an der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht wurde. Besonders geprägt wurde diese Arbeit durch meine Zeit im Graduiertenkolleg „Formen von Prestige in Kulturen des Altertums“ an der LMU München. Diesem Graduiertenkolleg verdanke ich nicht nur eine äußerst großzügige finanzielle Förderung, sondern durch Vorlesungen, Kolloquien, Exkursionen und Workshops unschätzbare inhaltliche Impulse, die diese Arbeit immer wieder bereichert haben und mir einen großzügigen Blick über den Tellerrand in andere Altertumswissenschaften ermöglicht haben. Auch der inoffizielle Teil mit meinen Mit-Kollegiat*innen beim „Prestige-Burger“ nach den Vorlesungen bleibt unvergessen. Danke an den ganzen Jahrgang, aber vor allem an Ralph Birk, Helen Gries und Robert Schumann, die sich immer wieder für das Thema Prestige begeistern konnten. Auch jenseits des Graduiertenkollegs haben mich zahlreiche Kolleg*innen und Freund*innen auf meinem Weg begleitet und unterstützt – sei es moralisch, sei es durch wertvolle Korrekturen und inhaltliche Anregungen. Besonders danke ich Denise Reitzenstein, die sich zudem bereit erklärt hat, als Zweitgutachterin dieser Arbeit zu fungieren, Christian Reitzenstein-Ronning, Jens-Uwe Krause, Alexander Free, Werner Tietz, Ralf Behrwald und Kai Sommerey, die allesamt meinen Werdegang in der Alten Geschichte begleitet haben. Daniela Gasteiger verdanke ich neben vergnüglichen Mittagspausen samt moralischer Unterstützung äußerst wertvolle Korrekturen und anregende Ideen für die Arbeit. Ganz besonderer Dank gilt Eva Matt, die sich nicht nur als unermüdliche und scharfsinnige Korrekturleserin bis zum Schluss bewährt hat, sondern auch als unschätzbare Freundin immer für mich da war. Mein größter Dank gebührt jedoch meinem Doktorvater Martin Zimmermann, der mich überhaupt erst auf dieses Thema gebracht hat, diese Arbeit über lange Jahre hinweg geduldig begleitet hat und nie ganz die Hoffnung aufgegeben hat, dass sie irgendwann fertig wird.

für Katharina und Kilian

Inhaltsverzeichnis

Einleitung .................................................................................................................................. 9 1. Römische Feste in den antiken Quellen ........................................................................... 11 1.1. Der Festbegriff in der Antike ..................................................................................... 11 1.2. Die Quellenlage zu römischen Festen – ein Überblick .............................................. 14 2. Kult, Ritus und Erinnerung: Bisherige Forschungsansätze zu antiken Festen ................. 20 3. Ansätze und Vorgehen dieser Arbeit ................................................................................ 30 TEIL 1: DAS RÖMISCHE FEST – THEORIE UND METHODE Kapitel 1: Die Analyse von römischen Festen – Möglichkeiten und Grenzen verschiedener Forschungsansätze ........................................ 32 1. Fest und Religion .............................................................................................................. 33 2. Fest und Zeit – Fest und Kalender .................................................................................... 37 3. Feste zwischen Gedenken, Gedächtnis und Erinnerung ................................................... 40 4. Fest und Alltag.................................................................................................................. 49 5. Das Fest als Übergangsritus (rite de passage).................................................................. 57 6. Das Fest als Exzess ........................................................................................................... 62 7. Die Transgression der Ordnung – Karnevaleske Feste .................................................... 69 8. Fest und Gesellschaft ........................................................................................................ 85 Kapitel 2: Fest und Gesellschaft: Versuch eines Neuansatzes ........................................... 91 1. Das Fest als Konsens der Feiernden ................................................................................. 91 2. Die Sinnhaftigkeit von Festen .......................................................................................... 93 3. Versuch eines Neuansatzes ............................................................................................. 100 TEIL 2: FESTSTIFTUNGEN IN DEN LATEINISCHEN INSCHRIFTEN Kapitel 1: Vorstellung des Quellenkorpus ......................................................................... 104 1. Stiftungsrecht .................................................................................................................. 104 2. Feststiftung und Euergetismus........................................................................................ 114 3. Auswahl der Quellen ...................................................................................................... 117 Kapitel 2: Die Stifter von Festen ......................................................................................... 123 1. Herkunft und Identität der Stifter ................................................................................... 123

1.1. Der Kaiser und das Kaiserhaus .......................................................................... 123 1.2. Reichsaristokratie: Mitglieder des ordo senatorius und ordo equester ............. 128

1.3. Munizipale Oberschicht: Mitglieder des ordo decurionum ............................... 134 1.4. Augustalen ......................................................................................................... 140 1.5. Weitere Freigelassene ........................................................................................ 154 1.6. Frauen................................................................................................................. 161 1.7. Vereine ............................................................................................................... 174 1.8. Andere Gruppen ................................................................................................. 186 2. Soziale Kontexte der Stifter ............................................................................................ 193 2.1. Freigelassene und ihre patroni ........................................................................... 193 2.2. amicitia............................................................................................................... 198 2.3. Ehepartner .......................................................................................................... 201 2.4. Eltern und Kinder ............................................................................................... 203 2.5. Geschwister ........................................................................................................ 217 2.6. Stiftungen von mehreren Familienmitgliedern .................................................. 220 3. Die Motivation der Stifter............................................................................................... 224 3.1. Explizit genannte Motive ................................................................................... 224 3.2. Implizite Motive ................................................................................................. 229 Kapitel 3: Der Anlass von Festen ........................................................................................ 234 1. Feste für Gottheiten / jährliche Feste .............................................................................. 234 2. Feste für den Kaiser bzw. das Kaiserhaus ...................................................................... 240 3. Bestattungen ................................................................................................................... 258 4. Totengedenkfeste ............................................................................................................ 269 5. Geburtstag ....................................................................................................................... 296 6. Dedikation / Einweihung ................................................................................................ 309 7. Verleihung / Ausübung eines Amtes .............................................................................. 321 8. Andere Anlässe ............................................................................................................... 337 Kapitel 4: Festliche Handlungen ......................................................................................... 342 1. Spiele und Spektakel ...................................................................................................... 342 2. Opfer ..................................................................................................... ............. .........360 3. Festmähler ...................................................................................................................... 368 4. Geld- und Speisenverteilungen ....................................................................................... 383 5. Keine festlichen Handlungen.......................................................................................... 392 6. Sonstiges ......................................................................................................................... 394 Kapitel 5: Die Anwesenden .................................................................................................. 399 1. Die Adressaten der Feststiftung ...................................................................................... 399 2. Konsumentscheidungen und gesellschaftliche Ordnung ................................................ 402

TEIL 3: ZUSAMMENFASSUNG UND AUSWERTUNG: RÖMISCHE FESTE ZWISCHEN VERGEMEINSCHAFTUNG UND DISTINKTION ........................ 412 Kapitel 1: Formen der Vergemeinschaftung im Fest ........................................................ 414 1. Vergemeinschaftung durch gemeinsame ideelle Bezugspunkte .................................... 414 2. Vergemeinschaftung durch In- und Exklusion ............................................................... 419 3. Vergemeinschaftende Elemente im Fest ........................................................................ 424 Kapitel 2: Feststiftungen als Mittel der sozialen Distinktion ........................................... 429 1. Strategien der Selbstinszenierung und Einforderung von Prestige ................................ 429

1.1. liberalitas – Die Selbstinszenierung als freigebiger Stifter ............................... 430 1.2. pietas – Der Stifter als treuer Sohn und Bürger ................................................. 434 1.3. honor – Die Selbstdarstellung als vorbildlicher Amtsträger .............................. 437 1.4. recusatio – Die ostentative Demonstration von Bescheidenheit ....................... 441 1.5. memoria – Prestige über den Tod hinaus ........................................................... 446 2. Zuschreibung von Prestige ............................................................................................. 450 2.1. Abläufe und Spielarten von Ehrungen ............................................................... 450 2.2. Ehrungen als soziale Strukturierungsprozesse ................................................... 458 3. Formen und Medien der Prestigezuschreibung .............................................................. 463 Schlussgedanken: Fest und Prestige in der römischen Welt ............................................ 479

Anhang .................................................................................................................................. 482 Quellen- und Literaturverzeichnis ..................................................................................... 482 1. Inschriften ....................................................................................................................... 482

1.1. Abkürzungen ...................................................................................................... 482 1.2. Korpus der Inschriften der vorliegenden Studie ................................................ 484 1.3. Weitere Inschriften ............................................................................................. 529 2. Literarische Quellen – Stellenverzeichnis ...................................................................... 531 3. Literatur .......................................................................................................................... 532 4. Internet ........................................................................................................................... 553 Register .................................................................................................................................. 554

Als Mahl beganns. Und ist ein Fest geworden, kaum weiß man wie. Die hohen Flammen flackten, die Stimmen schwirrten, wirre Lieder klirrten aus Glas und Glanz, und endlich aus den reifgewordnen Takten: entsprang der Tanz. Und alle riß er hin. Das war ein Wellenschlagen in den Sälen, ein Sich-Begegnen und ein Sich-Erwählen, ein Abschiednehmen und ein Wiederfinden, ein Glanzgenießen und ein Lichterblinden und ein SichWiegen in den Sommerwinden, die in den Kleidern warmer Frauen sind. Aus dunklem Wein und tausend Rosen rinnt die Stunde rauschend in den Traum der Nacht.

(Rainer Maria Rilke, Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke)

Einleitung Es ist erstaunlich, dass man offenbar dazu neigt, Dinge erst so richtig zu schätzen, wenn man sie nicht mehr hat. Dies zeigt eine Momentaufnahme aus dem Jahr 2021: Die Corona-Pandemie zwang die Menschen wieder und wieder dazu, soziale Kontakte auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren. Dies war im Alltag unangenehm und für viele Menschen schwer erträglich, doch besonders beklagt wurden diese Einschränkungen, wenn Feste davon betroffen wurden. Der abgesagte runde Geburtstag, der entfallene Abi-Ball, die Hochzeit, die nicht stattfinden konnte – der Verzicht auf all diese Feierlichkeiten wurde äußerst schmerzlich empfunden. Und neben dem Verlust des Tagesgeschäfts dürften in der Gastronomie die fehlenden jährlichen Feiern von Taufe, Erstkommunion bzw. Konfirmation, Hochzeiten, aber auch Weihnachten und Ostern besonders negativ zu Buche geschlagen haben. Finden diese Feste im Laufe eines Jahres nicht mehr statt, fällt einem erst auf, wie viel tatsächlich gefeiert wird und wie wichtig Feste offenbar für das eigene Leben und für die Gesellschaft sind. Nicht zuletzt der Umstand, dass die Politik trotz hoher Fallzahlen Lockerungen für die Weihnachtszeit 2020 beschlossen hatte, war ein Zugeständnis der großen Bedeutung dieses Festes für die Menschen. Betrachtet man also die Zeit des erzwungenen Nicht-Feierns in den Corona-Jahren, so kristallisieren sich einige Erkenntnisse über Feste heraus: 1. Feste zu feiern ist offenbar ein menschliches Grundbedürfnis. Gefeiert wurde schon immer, in allen Gesellschaften, zu allen Zeiten. Selbst in Extremsituationen wird versucht, Feste und Traditionen weiter zu pflegen – man denke etwa an die Berichte über jüdische Gottesdienste oder Hochzeiten in Konzentrationslagern. 2. Feste sind ein fester Bestandteil einer Gesellschaft und können nicht ohne weiteres abgeschafft oder ausgesetzt werden. 3. Feste betreffen verschiedene Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, wie z.B. Wirtschaft, Religion und Politik. 4. Feste bedürfen einer persönlichen Anwesenheit der Festgemeinschaft. Die Möglichkeiten der modernen Medien, virtuelle Treffen zu veranstalten, geraten beim Feiern von Festen an ihre Grenzen. Diese Gedanken lassen bereits erahnen, dass die Erforschung von Festen äußerst viel Potenzial in sich birgt für das Verständnis einer Gesellschaft – sei es der eigenen, der Gesellschaft einer fremden Kultur oder eben der Gesellschaft in einer anderen Zeit. Befasst man sich mit den Festen der römischen Antike, stellt man rasch fest, dass sich auch hier ein ungeheuer großes Forschungsfeld eröffnet, das vielfältige Einblicke in Kultur und Leben der römischen Welt ermöglicht. Neben den traditionellen religiösen Festen wie den Saturnalien umfasst das römische Festwesen etwa auch Feste, die Momente im Lebenslauf markieren, wie Hochzeiten oder Totenfeste, Feste zu Ehren des Kaisers, aber auch die Einweihung von Gebäuden, Statuen und Tempeln oder individuelle Geburtstage wurden mit festlichen Handlungen begangen. Ein antikes Fest konnte sehr verschiedene Elemente beinhalten. So werden zwar Wagenrennen und Gladiatorenkämpfe gemeinhin eher im Zu9

sammenhang der römischen Sport- oder Freizeitgestaltung betrachtet, doch handelt es sich hierbei vielmehr um Veranstaltungen, die in einem größeren Kontext gesehen werden müssen. Sie wurden in der Regel zu Ehren von Gottheiten oder des Kaiserhauses durchgeführt und wurden von weiteren umfangreichen Festelementen, wie Opferhandlungen, Geldverteilungen, Prozessionen oder öffentlichen Festmählern umrahmt. Es zeigt sich also, dass man Festen kaum gerecht wird, wenn man sie auf einzelne gesellschaftliche Bereiche wie Religion, Sport und Freizeit, Wirtschaft oder Politik reduziert – Feste betreffen all diese Bereiche und sind als umfassendes gesellschaftliches Phänomen zu verstehen. Das heißt jedoch auch, dass Feste ein großes Forschungsfeld sind und unter sehr vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und analysiert werden können, wobei jeder Ansatz andere Möglichkeiten aber auch Grenzen für die Analyse antiker Feste aufweist. Befasst man sich mit antiken römischen Festen, stellt man recht schnell fest, dass sich der tatsächliche Ablauf und die mit dem Fest verknüpften Vorstellungen und Traditionen häufig nur schwer greifen lassen – was das Fest tatsächlich ausmachte, bleibt in der Tat äußerst vage. Zwar wurde in der Vergangenheit immer wieder versucht, anhand sehr disparaten Quellenmaterials den Ablauf eines bestimmten Festes möglichst exakt zu rekonstruieren, um eine genaue Vorstellung zu erhalten, wie etwa eine römische Hochzeit oder die Saturnalien abliefen. Doch täuscht dieser Eindruck, wenn man sich vor Augen führt, dass es sich bei den einzelnen Aspekten um zahlreiche Versatzstücke aus den unterschiedlichsten Quellengattungen aus verschiedenen Zeiten handelt, die jeweils aus ihrem Kontext herausgelöst zu einem nur scheinbar stimmigen Gesamtbild zusammengefügt wurden. Neben den ganz grundlegenden quellenkritischen Bedenken an einer solchen Herangehensweise gilt es zudem zu beachten, dass Feste und Traditionen wandelbar sind und immer wieder neu inszeniert und ausgehandelt werden. So wird man dem Phänomen ‚Fest‘ vielleicht eher gerecht, wenn man ein Fest als einen Kommunikationsraum versteht, in dem unter den Anwesenden eben diese Aushandlung und Tradierung von Bräuchen und Handlungsmustern stattfinden kann. Folgt man diesem Ansatz, so lässt sich die große Bedeutung erahnen, die Feste gerade in einer Präsenzkultur besaßen, in einer Kultur also, die in hohem Maße von der Kommunikation unter Anwesenden1 geprägt war. In der vorliegenden Studie soll daher untersucht werden, welche Rolle Feste für die Entstehung, Bestätigung, Aushandlung und Perpetuierung sozialer Strukturen in der Gesellschaft spielten. Inwiefern konnte der Einzelne oder eine Gruppe durch das Festgeschehen Prestige beanspruchen oder zuschreiben?2 Welche Möglichkeiten zum gesellschaftlichen Aufstieg boten sich im Fest? Aber auch: Welche 1

Zu diesem Konzept vgl. Kieserling 1999, Schlögl 2008 und 2014 und Zimmermann 2011, 197-205. Wenn man Prestige mit Christiansen und Thaler als „interpersonelles Zuschreibungsphänomen“ erfasst, kann man diesen Begriff als zentrale Kategorie in den Aushandlungsprozessen sozialer Strukturen gewinnbringend einsetzen. Christiansen/Thaler 2012, 9. Zu einer Diskussion des Prestigebegriffs vgl. Schumann 2015, 27-29.

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Zwänge und Erwartungen waren mit dem eigenen sozialen Status verknüpft, denen man gerecht werden musste? Die Beschäftigung mit Festen der römischen Antike kann auf diese Weise zu einer grundlegenden Analyse der gesellschaftlichen Strukturen werden. So eröffnet sich letztlich ein Blick auf die Mechanismen, mit denen Status und Prestige ausgedrückt und verhandelt wurden, und auf die Mittel und Wege, mit denen sich verschiedene gesellschaftliche Schichten inszenierten und ihre Machtansprüche und Wertvorstellungen formulierten.

1. Römische Feste in den antiken Quellen 1.1. Der Festbegriff in der Antike In antiken Texten gibt es kein unmittelbares begriffliches Äquivalent zum deutschen Wort ‚Fest‘. Eine althistorische Studie zu römischen Festen steht damit vor dem Problem, dass von einem Phänomen ausgegangen wird, das zwar im Deutschen über eine mehr oder weniger eindeutige Terminologie verfügt3 und zumindest auf den ersten Blick als relativ klar abgegrenzter Gegenstand erscheint, für die Antike jedoch weitaus schwieriger zu greifen ist.4 Immerhin leitet sich das deutsche ‚Fest‘ vom lateinischen festum bzw. dies festus ab, doch wird dieser Begriff in den literarischen Quellen äußerst selten verwendet und steht ebenso wie das ursprünglich synonym gebrauchte feriae5 meist im Zusammenhang von Kalendern und der Organisation von Zeit.6 Unter einem dies festus wurde in der Antike ein Zeitraum verstanden, der zu Ehren der Götter bzw. des Prinzeps ‚reserviert‘ wurde, 7 bzw. der ähnlich wie ein Tempel oder eine Weihgabe als „Eigentum“ einer Gottheit angesehen wurde.8 Dies kam nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck, dass diese Tage als dies

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Die Abgrenzung der Begriffe ‚Fest‘ und ‚Feier‘ ist jedoch nicht so eindeutig, wie dies in der idealtypischen Unterscheidung von Gebhardt angedeutet wird, vgl. Gebhardt 1987. Pieper etwa charakterisiert diese Begriffe völlig anders, vgl. Pieper 1963, 135, Anm. 7. Vgl. hierzu Teil 1, Kapitel 1.4. Im Französischen scheint ‚fête‘ ähnlich konzeptualisiert zu sein wie das deutsche ‚Fest‘, doch schon im Englischen existiert kein Begriff, der dem genau entspricht und etwa auch den gleichen soziologischen Gehalt (vgl. die Gegenüberstellung von Fest vs. Alltag) aufweist. Dies führte nicht zuletzt zu Irritationen bei Chamberlands Rezension des Bandes „La fête à Rome“ von Benoist, in der verwundert festgestellt wird, dass Benoist neben den ludi auch Geldverteilungen zu Festen zählt. Chamberland 2002, 407. 4 Benoist 1999, 62-72. 5 Nicolai vermutet, dass mit der Zeit eine Differenzierung eintrat: „dies festus bezog sich mehr auf die mit dem Feiertag verbundenen Handlungen wie Opfer, Schmausereien und Spiele, während man unter feriae besonders die Ruhe von den Alltagsarbeiten verstand, die der Feiertag mit sich brachte.“ Nicolai 1963, 195. 6 Benoist 1999, 63f. 7 Macr. Sat. 1,16,2: festi dis dicati sunt, profesti hominibus ob administrandam rem privatam publicamque concessi, intercisi deorum hominumque communes sunt. Vgl. Benoist 1999, 66. 8 Rüpke 1995, 492-512.

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nefasti klassifiziert wurden, an denen zu Ehren der Gottheit auf Geschäfte und Arbeit verzichtet werden sollte.9 Bei Macrobius finden sich die ausführlichsten Informationen zur lateinischen Begrifflichkeit: Er charakterisiert dies festi als Tage, an denen Opfer, Festmähler und Spiele stattfanden und die als Feiertag (feriae) galten. Tage, die profesti waren, dienten hingegen den Geschäften der Menschen.10 Ferner differenziert Macrobius die öffentlichen Feiertage in feriae stativae, die jährlich am gleichen Datum stattfanden und dementsprechend auch in den Kalendern verzeichnet werden konnten (z.B. Agonalia, Lupercalia und Carmentalia), feriae conceptivae, deren Termin jedes Jahr neu festgelegt wurde (z.B. Paganalia, Compitalia), und feriae imperativae, die zu besonderen Anlässen angeordnet wurden, wie z.B. Siegesfeiern.11 Davon abgesehen konnte der Begriff feriae aber auch „Feste häuslichen Charakters“ bezeichnen, die in den Familien gefeiert wurden.12 Bei Festus findet sich in diesem Sinne die Unterscheidung zwischen sacra publica und privata.13 Es gilt in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die Begriffe privatus und publicus nicht mit den modernen Bezeichnungen ‚privat‘ und ‚öffentlich‘ gleichzusetzen sind und sich insbesondere der Öffentlichkeitsbegriff in der Antike wesentlich von unserem heutigen unterscheidet.14 Der Begriff publicus bezog sich in erster Linie auf die Vertretung durch staatliche Institutionen, oder auch auf die ‚Öffentlichkeit‘ im Sinne von Adressaten

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Zur Arbeitsruhe an den Feiertagen mit einer ausführlichen Darstellung der betreffenden Quellenpassagen vgl. Nicolai 1963, 202-219. Zu einer kritischen Diskussion vgl. Rüpke 1995, 501512; zur Problematik des Arbeitsbegriffs für die Antike vgl. ebd. 504, Anm. 64. Rüpke charakterisiert die überlieferten Einschränkungen und Verbote als „Dependenzunterbrechungen“, also als kurzzeitige Unterbrechung der jeweiligen Abhängigkeitsverhältnisse in den als feriae klassifizierten Zeitspannen. Ebd. 501-506. Dies entspricht auch Cic. leg. 2,12,29: Feriarum festorumque dierum ratio in liberis requietem habet litium et iurgiorum, in servis operum et laborum; quas conpositio anni conferre debet ad perfectionem operum rusticorum. 10 Macr. Sat. 1,16,3: festis insunt sacrificia epulae ludi feriae, profestis fasti comitiales comperendini stati proeliares. Außerdem nennt Macrobius die dies intercisi, die zwischen den Göttern und Menschen aufgeteilt sind: intercisi in se non in alia dividuntur: illorum enim dierum quibusdam horis fas est, quibusdam fas non est ius dicere. 11 Als vierte Gruppe nennt Macrobius darüber hinaus die feriae nundinae, die Markttage, die alle neun Tage stattfanden. Macr. Sat. 1,16,5-6: feriarum autem publicarum genera sunt quattuor. aut enim stativae sunt aut conceptivae aut imperativae aut nundinae. et sunt stativae universi populi communes certis et constitutis diebus ac mensibus et in fastis statis observationibus adnotatae, in quibus praecipue servantur Agonalia Carmentalia Lupercalia. conceptivae sunt quae quotannis a magistratibus vel a sacerdotibus concipiuntur in dies vel certos vel etiam incertos ut sunt Latinae Sementivae Paganalia Compitalia. imperativae sunt quas consules vel praetores pro arbitrio potestatis indicunt. nundinae sunt paganorum itemque rusticorum, quibus convenient negotiis propriis vel mercibus provisuri. Vgl. auch Rüpke 1995, 488f. 12 Rüpke 1995, 503. 13 Fest. 284: Publica sacra, quae publico sumptu pro populo fiunt, quaeque pro montibus, pagis, cursi, sacellis: at privata, quae pro singulis hominibus, familiis, gentibus fiunt. 14 Winterling 2005; Zanker/Neudecker 2005, 10. Zentral ist die Problematisierung des Begriffspaars ‚privat‘ vs. ‚öffentlich‘ insbesondere in der Forschung zu antiken Wohnräumen. Wallace-Hadrill 1994, 3-64.

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städtischer oder staatlicher Dekrete.15 Dementsprechend sind unter feriae publicae diejenigen Feiern zu verstehen, die auf öffentlichen Beschluss16 eingerichtet wurden, und die von der ganzen Bevölkerung oder zumindest von den offiziellen Vertretern im Namen der Stadtgemeinschaft begangen wurden. Die feriae privatae umfassten hingegen Feiern zu familiären und persönlichen Anlässen, wie Geburtstage oder Totengedenkfeste.17 Dass derartige Feste bei entsprechend illustren Familien durchaus auch im heutigen Sinne ‚öffentlichen‘ Charakter haben konnten18 und dass nicht zuletzt der Kaisergeburtstag als offizieller Feiertag begangen wurde,19 zeigt, wie schwierig es ist, auch bei Festen die Grenze zwischen privatus und publicus zu ziehen. Die Begriffe dies festus und feriae umfassen sowohl mit den staatlich vorgegebenen als auch mit den im privaten Kreis zelebrierten Festtagen viele zentrale Aspekte des römischen Festwesens. Dennoch kommt ihnen nicht der gleiche Gehalt wie dem deutschen Festbegriff zu: Zum einen ist der deutsche Begriff eng mit unterschiedlichen soziologischen, philosophischen, theologischen und anthropologischen Konzepten und Interpretationen assoziiert, die nicht einfach auf den antiken Begriff übertragen werden können. Zum anderen umfassen die lateinischen Begriffe einige Phänomene nicht, die dennoch den römischen Festen zuzurechnen sind, wie z.B. die Feiern der Vereine oder Festakte anlässlich der Einweihung eines Gebäudes oder einer Statue. Von feriae oder dies festus abgesehen kann auch das Verb celebrare im Sinne von „feiern“ oder „festlich begehen“ auf ein Fest verweisen, doch umfasst das Verb eine sehr viel größere Bedeutungsspanne – es kann beispielsweise ebenfalls „zahlreich besuchen“, „beleben“ oder „bekanntmachen“ heißen – und wird eher selten im Zusammenhang mit Festen verwendet.20 Auf den Bereich der religiösen Riten verweist hingegen der Begriff sacra, der ebenso wie feriae in sacra privata und publica unterteilt werden kann.21 Sacra publica waren Rituale, an denen analog zu den feriae publicae entweder große Teile der Gesellschaft teilnahmen oder die im Namen des populus von den entsprechenden offiziellen Vertretern (Priester oder Magistrate) auf Kosten des Staates durchgeführt wur-

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Rüpke 1995, 609-611. In den Kalendern findet sich diesbezüglich gelegentlich die Formulierung feriae ex senatus consulto. Z.B. in den fasti Praenestini, InscrIt 13,2, 17. 17 Fest. 282: Privatae feriae vocantur sacrorum propriorum, velut dies natales, operationis, denecales. 18 Macrobius erwähnt, dass bestimmte Familien sogar über eigene Festtage verfügten. Macr. Sat. 1,16,7: sunt praeterea feriae propriae familiarum, ut familiae Claudiae vel Aemiliae seu Iuliae sive Corneliae et si quas ferias proprias quaeque familia ex usu domesticae celebritatis observat. 19 Zu den Feierlichkeiten am Geburtstag des Augustus vgl. Cass. Dio 51,19,2; 54,34,2; 55,6,6. Zum Kaisergeburtstag allgemein vgl. Herz 1975, 41-44. 20 Georges 2013, 820f. 21 Festus 284. 16

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den.22 Die sacra privata hingegen bezeichnen „außer den sakralen Beziehungen der einzelnen Individuen auch die der Familien, Geschlechter und Korporationen“.23 Ein sehr weites Bedeutungsfeld kommt außerdem dem Begriff spectaculum zu, der diverse Formen von Schauspielen, Wagenrennen oder Wettkämpfen umfasst und durch Adjektive wie gladiatorium weiter präzisiert werden konnte.24 Bei Sueton wird spectaculum als Oberbegriff für Theateraufführungen, Circusspiele und Gladiatorenkämpfe verwendet, und er widmet deren Veranstaltung jeweils ein eigenes Unterkapitel im Kontext des öffentlichen Wirkens eines Kaisers.25 Der Begriff spectaculum weist hier ähnlich dem deutschen ‚Fest‘ eine sehr große kategoriale Qualität auf, bleibt allerdings inhaltlich auf Spiele, Rennen und Schaukämpfe beschränkt. In den meisten Fällen finden sich in den Quellen keine der soeben vorgestellten möglichen Vokabeln für ein festliches Ereignis, sondern es kann lediglich anhand der genannten Handlungen oder Anlässe indirekt erschlossen werden, dass ein Fest gefeiert wurde. Um sich dem annähern zu können, was in der Antike als festliches Ereignis wahrgenommen worden sein könnte, wurde daher folgender Ansatz entwickelt: „Ein Fest ist eine durch symbolische Handlungen besonders gerahmte Zeitspanne, die als sinnhaft und bedeutungsvoll erlebt wird und sich jeweils in einem Konsens der Festgemeinschaft über einen konkreten Anlass und über bestimmte Ausdrucksformen manifestiert.“26 Dieser Ansatz ermöglicht es, antike Feste über ihre Manifestationen, also über den kommunizierten Anlass und die durchgeführten Ausdrucksformen zu erfassen, so unterschiedlich diese auch ausgeprägt sein mochten. Somit lassen sich Feste durch die konkrete Erwähnung von festlichen Handlungen wie ludi, munera, venationes, Festessen (z.B. epulum, cena), oder Geldverteilungen (z.B. sportulae, divisio), oder durch die Nennung von Anlässen (Geburtstag, Hochzeit, Totengedenken, konkrete Feste wie Saturnalien o.ä.) greifen. Auch die Einweihung von Ehrenstatuen oder gestifteten Monumenten oder Wohltaten, die anlässlich eines Amtsantritts finanziert wurden, können hiermit als Feste betrachtet werden.

1.2. Die Quellenlage zu römischen Festen – ein Überblick Die literarischen Quellen können auf verschiedene Weise herangezogen werden, um etwas über römische Feste zu erfahren. Eine umfassende kritische Auswertung hinsichtlich ihres Informationsgehalts für römische Feste ist bislang noch nicht erfolgt und wäre auf-

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Rives 2001, 1197. Vgl. auch Salzman 1990, 118f. Wissowa 1971, 398. 24 Benoist 1999, 67-69. 25 Z.B. Suet. Aug. 43; Claud. 21. 26 Teil 1, Kapitel 2.3. 23

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grund der ungeheuren Diversität der Texte sehr schwierig. Daher soll an dieser Stelle ein knapper Überblick genügen, um die Bandbreite der Quellen zu illustrieren und gegebenenfalls ihre Möglichkeiten und Grenzen für die Arbeit mit römischen Festen aufzuzeigen. Als erste Gruppe der Quellen, die für das Arbeiten mit römischen Festen relevant sind, können Texte subsumiert werden, die sich mit juristischen Aspekten beschäftigen, darunter Ausführungen zu sakralrechtlichen Bestimmungen,27 etwa zu Opfervorschriften oder zu den Aufgaben der Priesterschaften. Es finden sich aber auch sakrale Vorschriften für den landwirtschaftlichen Bereich, beispielsweise welche Arbeiten an Feiertagen erlaubt waren oder welche Riten für die Reinigung des Ackerlandes durchgeführt werden sollten.28 Ferner existieren Quellen zum Stiftungsrecht29 und zu den leges sumptuariae, den gesetzlichen Maßnahmen zur Einschränkung von Luxus, etwa bei den Ausgaben für Spiele oder Festmähler.30 In einer zweiten Gruppe können Quellen versammelt werden, die einen antiquarischen Zugriff zu den römischen Festen versuchen, indem sie Aitiologien wiedergeben oder etymologische Überlegungen zu den Festnamen anstellen.31 So zählt Varro etwa in De Lingua Latina zahlreiche Götterfeste auf und erläutert jeweils, wie sie zu ihren Namen kamen. Zu einigen Festen liefert er außerdem weitere Informationen hinsichtlich deren Aitia und Riten.32 Die Libri fastorum des Ovid sind weniger als Kalender, denn als kunstvolles Lehrgedicht zu verstehen, in welchem spielerisch auf verschiedene religiöse und mythische Elemente zurückgegriffen wird, weshalb sie als Quelle für römische Kultpraktiken und religiöse Vorstellungen durchaus kritisch reflektiert werden müssen.33 Eine dritte Gruppe kann mit den Historiographen und ihren Berichten über festliche Handlungen in konkreten historischen Kontexten ausgemacht werden. Hier wären z.B. die spectacula zu nennen, die laut Sueton von den verschiedenen Kaisern veranstaltet wurden, oder die diversen Ausschweifungen etwa eines Nero, von denen Tacitus, Sueton und Cassius Dio berichten.34 In diesem Zusammenhang sind zudem einige Texte griechischer Au-

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Wissowa 1971, 5, mit Verweisen auf Passagen bei Festus, und 380-409, mit umfassenden Belegen zu verschiedenen sakralrechtlichen Aspekten, u.a. bei Livius, Cicero und Plinius d.Ä. 28 Cato agr. 138 und 141. 29 Teil 2, Kapitel 1.1. 30 Baltrusch 1989, 40-131 und 153-162; Benoist 1999, 77-80. 31 So etwa umfassend in Plut. qu.R., und Macr. Sat. 1,7,18-36 zu den Saturnalien. 32 Varro, l.l., 6,12-26. 33 Newlands 1995, 2. Newlands liest die fasti als „exciting, experimental game with genre that offers a profound meditation on the changes and tensions in Roman society in the latter years of Augustus‘ reign and the early years of Tiberius‘.“ Ebd., 18. Zu einer umfassenden Analyse der Passagen, die sich auf das tatsächliche Festgeschehen beziehen, vgl. Hirt 2022. 34 Vgl. z.B. das völlig aus dem Ruder laufende Gelage bei Cass. Dio 62,15,2-6. Dass diese Berichte einem spezifischen historischen Kontext zugeordnet sind, heißt jedoch nicht unbedingt, dass sie als

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toren von Interesse, die römische Bräuche aus der Außenperspektive schildern, wie etwa die Darstellung einer pompa circensis durch Dionysius von Halicarnassus. Diese Passage gilt als eine der zentralen Quellen für den Ablauf von römischen Prozessionen, ist aber gerade durch die Außensicht und die Intention des Autors, die griechischen Wurzeln von Rom aufzuzeigen, nicht unproblematisch.35 Von diesen Hauptgruppen abgesehen finden sich Hinweise auf Feste oder festliche Handlungen in diversen anderen literarischen Gattungen. So lassen sich etwa den Briefen von Plinius36 und Cicero37 oder den panegyrischen Texten auf den Kaiser38 wertvolle Informationen zu einzelnen Festen entnehmen. Auch die Gedichte und Satiren beispielsweise von Martial und Juvenal thematisieren gelegentlich festliche Handlungen wie Gastmähler und Bankette. Nicht zuletzt die berühmte cena Trimalchionis des Petron liefert trotz des spöttischen Charakters durchaus nicht zu unterschätzende Einblicke in die römische Festkultur.39 Insbesondere den Satiren ist ein ganz eigener Wert zuzuschreiben, da die Autoren im Gegensatz zu historiographischen Texten oder Briefen gar nicht erst vorzugeben versuchen, eine wie auch immer geartete ‚Realität‘ neutral abzubilden, sondern vielmehr die Lebenswelt einer gesellschaftlichen Schicht kritisch reflektieren.40 Als letzte Gruppe können zudem christliche Autoren herangezogen werden, die sich beispielsweise negativ über das römische Spielwesen äußern – zu nennen wäre hier natürlich insbesondere die Abhandlung De spectaculis von Tertullian, die den Diskurs der christlichen Autoren auf lange Zeit wesentlich prägte.41

Tatsachenberichte zu lesen sind. Zu einer Interpretation der Passage bei Cassius Dio und einer Einordnung in die Tyrannentopik vgl. Bäumler 2014b, 321-323. 35 Dion. Hal., ant. 7, 72. Dionysius kommt am Schluss dieser Passage explizit zum Schluss, dass die Gründer von Rom Griechen waren: καὶ μιᾷ πίστει τῇδε ἀρκούμενος οὐ βαρβάρους ἐπείσθην εἶναι τοὺς οἰκιστὰς τῆς Ῥώμης, ἀλλ’ ἐκ πολλῶν τόπων συνεληλυθότας Ἕλληνας. Dion. Hal., ant. 7,72,18. Auch das bei Herodian als Hintergrund für eine Verschwörung gegen Commodus geschilderte karnevaleske Fest muss wohl als literarische Fiktion entlarvt werden. Zimmermann 1999, 89-100. 36 Z.B. zu den Saturnalien Plin. ep. 2,17,24; zu öffentlichen Geldverteilungen zu verschiedenen Anlässen z.B. Plin. ep. 10,116 und 117. 37 Z.B. die Korrespondenz mit Caelius, der Cicero bittet, sich um die Beschaffung von Panthern für eine Tierhetze anlässlich seiner Wahl zum Ädil zu kümmern: Cic. fam. 8,2,2; 8,5,5; 8,6,3; 8,7,10. Zur Quellenkritik zu den Cicero- und Pliniusbriefen vgl. Stein-Hölkeskamp 2005, 16-18, die zu Recht dazu mahnt, diese Texte nicht als reine Abbildungen einer „gelebten Realität“ zu sehen. Ebd. 18. 38 Z.B. Stat. silvae 1,6. 39 Stein-Hölkeskamp 2005, 61-67, 108f., 181f.; Schnurbusch 2011, 11f., 105, 117. 40 Stein-Hölkeskamp 2005, 18f. 41 Puk 2014, 15. Zur Relativierung der Kritik aus klerikalen Kreisen und der tatsächlichen Beliebtheit der Spiele bei Christen (und deren Förderung durch christliche Kaiser) vgl. ebd., 379-382. Puk entlarvt hier den „angeblich heikle[n] Charakter der Spiele“ als „literarisches Konstrukt der Kirchenväter und einiger intellektueller paganer Autoren“. Ebd., 380.

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Allein diese knappe Zusammenstellung zeigt, wie schwierig es ist, aus diesen sehr unterschiedlichen Quellen kohärente Informationen zum römischen Festwesen zu gewinnen, geschweige denn einen genauen Festablauf zu rekonstruieren. Der Versuch, in den verschiedenen Andeutungen ein ‚typisch römisches Fest‘ auszumachen, das so über Jahrhunderte hinweg durchgeführt wurde, kann allein schon deshalb nicht gelingen, da die zeitliche Spanne zwischen den einzelnen Autoren viel zu groß ist und die Texte völlig unterschiedlichen Quellengattungen zuzuordnen sind, was mit jeweils eigenen Herausforderungen der Quellenkritik einhergeht.42 Übergreifenden Beschreibungen, die den Anspruch erheben, ein bestimmtes Fest allgemeingültig wiederzugeben, sollte daher mit großer Vorsicht begegnet werden.43 Neben den vielseitigen Hinweisen in den antiken literarischen Texten gilt es zudem die archäologischen Quellen zu berücksichtigen. Auf die teils eindrucksvollen Überreste von Theatern und Circusrennbahnen muss hier nicht näher eingegangen werden, ganz zu schweigen von zahlreichen Tempeln, Altären und Statuen, die von diversen praktizierten Götterkulten zeugen. In gewisser Weise kann sogar die Topographie von Rom mit festlichen Handlungen in Verbindung gebracht werden, denn ein gefeierter Triumph hinterließ deutlich sichtbare Spuren in der Stadt in Form von gestifteten Tempeln oder Triumphbögen.44 Auch in anderen Städten lassen sich durch topographische Analysen Rückschlüsse über das antike Festgeschehen ziehen.45 Zudem sind Küchen, Speisesäle und Gerätschaften, die zur Abhaltung von Banketten verwendet wurden, in verschiedenen Kontexten archäologisch nachweisbar.46 Schließlich lassen sich Feste und festliche Handlungen in Form von bildlichen Darstellungen auf Reliefs, Wandgemälden oder Mosaiken greifen, wie ein Trinkgelage in einer pompejianischen Wandmalerei, die berühmten Prozessionsund Opferszenen auf den Reliefs der Ara Pacis oder die imposanten Szenen einer Tierhetze im Magerius-Mosaik aus dem afrikanischen Smirat, um nur einige der bekannteren Beispiele zu nennen. Abgesehen von den literarischen und archäologischen Quellen kann noch eine weitere Quellengattung für das römische Festwesen herangezogen werden: die lateinischen und griechischen Inschriften. Auch hier finden sich Texte, die rechtliche Bestimmungen zu Festen wiedergeben, wie Senatsbeschlüsse (z.B. das senatus consultum de Bacchanali-

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Stein-Hölkeskamp 2005, 14 und Morris 1992, 11, der zu Recht feststellt: „At best, we can describe ‘the’ ritual, but lose all chance of analysing how it changed through time or how different groups used it; at worst, we create a ‘composite’ ritual bearing little relationship to the actual experiences of actors at any stage in its history.” 43 So z.B. bei Harmon 1978 bei seinem Überblick zu den „Family Festivals of Rome“. Vgl. Teil 1, Kapitel 1.5 zu diesbezüglichen Anmerkungen zum römischen Hochzeitsfest. 44 Hölkeskamp 2006, 264f. Vgl. Teil 1, Kapitel 1.3. 45 Siehe ganz aktuell die Studie zum Fest der Artemis Leukophryene in Magnesia am Mäander: Hammerschmied 2019. 46 Egelhaaf-Gaiser 2000, 286-300 und 312-321.

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bus47) oder die überlieferten Stadtgesetze, in denen u.a. die jährlich verpflichtend abzuhaltenden Götterfeste und die Aufgaben der zuständigen Magistrate festgelegt waren.48 Einige der leges sumptuariae, die etwa Beschlüsse über die Einschränkung des Luxus bei Spielen wiedergeben, sind ebenfalls inschriftlich überliefert.49 Nicht zuletzt geben die erhaltenen Satzungen einzelner collegia einen aufschlussreichen Einblick in das Festwesen der römischen Vereine.50 Die epigraphische Gruppe, die sich wohl am unmittelbarsten mit römischen Festen beschäftigt, sind die überlieferten Kalender. In den sogenannten fasti waren die großen jährlichen Feste – meist in abgekürzter Form, wie LVP für Lupercalia – aufgeführt, samt der Festlegung des betreffenden Tagescharakters: F (= fas) stand hierbei für Tage, an denen gerichtliche Prozesse erlaubt waren, C (= dies comitiales) hingegen für Tage, an denen Versammlungen der comitia stattfinden durften. Festtage waren meist mit dem Kürzel N (= nefas) versehen, da weder gerichtliche Handlungen noch Volksversammlungen abgehalten werden durften.51 Der Informationsgehalt zu den verzeichneten Festen ist jedoch gering, da außer dem Namen des Festes und dem Tagescharakter keine weiteren Details genannt werden. Außerdem muss einschränkend angemerkt werden, dass in diesen Kalendern auch Feste verzeichnet werden konnten, die schon längst nicht mehr gefeiert wurden und an denen trotz des nefas-Charakters Gerichtsverhandlungen stattfanden.52 Die Verbindlichkeit der Kalender und der Aussagegehalt ist daher in dieser Hinsicht nicht allzu hoch anzusetzen, wie Nicolai treffend bemerkt: „Um es überspitzt auszudrücken: jene in den Staatskalendern konservierten alten Feste sind nicht die Feiertage, die tatsächlich gefeiert wurden; es sind die Feiertage, die man von Rechts wegen hätte feiern sollen.“53

Darüber hinaus wurde häufig nur ein Fest pro Tag in den Kalender aufgenommen, weshalb weitere Einträge für dieses Datum wegfielen,54 ganz abgesehen von Festen, deren Termin jährlich neu festgelegt wurde – diese konnten natürlich überhaupt nicht im Kalender verzeichnet werden. Zudem ist auffallend, dass in fasti, die fernab von Rom gefunden wurden, kaum lokale, dafür aber stadtrömische Feste stehen und sich ferner grobe Ungenauigkeiten und teils sogar Fehler finden.55 All diese Überlegungen deuten an, dass die

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CIL 10, 104. Z.B. die lex Ursonensis, CIL 2,5, 1022. 49 Z.B. das senatus consultum de sumptibus ludorum gladiatorum minuendis, CIL 2, 6278. 50 Vgl. Teil 2, Kapitel 2.1.7. 51 Daneben finden sich noch die Kürzel NP (= nefas piaculum: ‚Sühneopfer‘) und EN (= Endoitio / Exitio Nefas: Nefas-Charakter gilt nur am Morgen und Abend des Tages). Rüpke 1995, 47-51. Rüpke weist allerdings auch darauf hin, dass es keine Belege dafür gibt, dass die dies fasti und nefasti auch außerhalb Roms Gültigkeit besaßen. Ebd., 51 52 Nicolai 1963, 196. 53 Ebd. 54 Wissowa 1971, 437. 55 Rüpke 1995, 169f. 48

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fasti weder ein vollständiges Verzeichnis der römischen ‚Staatsfeste‘ darstellten, noch dazu dienen sollten, einen verbindlichen Kanon der zu feiernden Feste vorzugeben. Den Kalendern ist wohl eher ein repräsentativer Charakter zuzuschreiben, indem etwa einige Städte versuchten, durch die Aufstellung von fasti ihren Bezug zu stadtrömischen Traditionen zu demonstrieren und somit ihrer Loyalität zu Rom und zum Kaiser Ausdruck zu geben.56 Neben den fasti existiert mit den ferialia57 noch eine weitere Inschriftengruppe, die Feste im Jahreslauf verzeichnet. Diese enthielten im Gegensatz zu den fasti genauere Anweisungen zu kultischen Handlungen für eine bestimmte Gemeinschaft oder einen bestimmten Ort und besaßen dadurch normativen Charakter.58 Zu diesen Texten sind beispielsweise die leges templi zu zählen, die Festtage für einen bestimmten Tempel aufführten.59 Bemerkenswert sind in diesem Kontext insbesondere das sogenannte feriale Cumanum, das mehrere Feste für Augustus und dessen Familienmitglieder nennt und möglicherweise einer mit dem Kaiserkult assoziierten Gruppe wie den seviri Augustales zuzuordnen ist,60 und das feriale Duranum, ein Festverzeichnis für eine in Dura Europos stationierte Militäreinheit.61 Eine weitere inschriftliche Gruppe stellen die Akten der fratres Arvales dar. Die Arvalbrüder waren ursprünglich ein aus zwölf Mitgliedern bestehendes römisches Priesterkollegium, das sich dem Kult um die Göttin Dea Dia widmete, jedoch bereits in republikanischer Zeit seine Bedeutung weitgehend verloren hatte. Augustus erneuerte dieses Kollegium und verknüpfte sowohl die kultischen Aufgaben als auch die Mitglieder eng mit dem Kaiserhaus – meist waren die Kaiser und weitere Angehörige des Kaiserhauses selbst Teil der fratres Arvales. Die acta bzw. commentarii dieser Priesterschaft, in denen deren rituelle Handlungen und Beschlüsse genauestens aufgeführt sind, sind teilweise erhalten und geben einen außergewöhnlich gut dokumentierten Einblick in die Tätigkeiten und Organisation dieser Gruppe.62 Außerdem ist mit den acta der ludi saeculares ein äußerst faszinierendes Quellenkorpus erhalten, das einen detaillierten Einblick in die Organisation und rituellen Handlungen der unter Augustus und Septimius Severus durchgeführten Feierlichkeiten gewährt.63

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Beard/North/Price 1998, 1, 323. Rüpke 2006b, 96-100. Es ist wohl kein Zufall, dass die meisten der inschriftlich überlieferten Kalender aus der Kaiserzeit stammen. Ebd., 129. 57 Rüpke definiert diese als „ein Dokument, das aus einer Liste, einer Auswahl von Daten besteht, an denen Kulthandlungen angeordnet sind.“ Rüpke 1995, 524. 58 Ebd., 524-527. 59 Ebd., 527f. 60 InscrIt 13,2, 279. Vgl. hierzu Rüpke 1995, 527f. 61 Rüpke 1995, 526. 62 Scheid 1990 und 1998; Edelmann 2003, 190-193. 63 Gesammelt publiziert in Pighi 1965.

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Die Mehrheit der epigraphischen Zeugnisse besteht hingegen aus Grab- oder Ehreninschriften, die von Initiativen einzelner Personen zeugen. In der Regel handelt es sich hierbei um die Organisation festlicher Handlungen in Zusammenhang mit einem ausgeübten Amt oder der Einweihung eines ebenfalls gestifteten Gebäudes bzw. einer Statue, oder um die Einrichtung einer Stiftung, die in der jährlichen Feier des Geburtstags oder eines Totengedenktags die Erinnerung an den Stifter aufrecht erhalten sollte. Diese Inschriften stellen die Basis für diese Studie dar, und deren detaillierte Analyse findet sich im zweiten Teil des vorliegenden Bandes.

2. Kult, Ritus und Erinnerung: Bisherige Forschungsansätze zu antiken Festen Auch wenn Feste erst in den 1970er Jahren im Zuge einer Aufwertung kultur- und alltagsgeschichtlicher Fragestellungen vermehrt auf das Forschungsinteresse in verschiedensten Disziplinen gestoßen sind,64 liegen die Grundlagen der Erforschung antiker Feste sehr viel weiter zurück. Tatsächlich stellen nach wie vor die Arbeiten von Georg Wissowa (18591931) zur römischen Religionsgeschichte, insbesondere das 1902 erstmals erschienene Werk „Religion und Kultus der Römer“, die Studie „Das Privatleben der Römer“ von Joachim Marquardt (1812-1882) und Ludwig Friedländers (1824-1909) „Sittengeschichte Roms“ die wohl umfassendsten Werke zum römischen Festwesen dar, und auch moderne Arbeiten zu einzelnen Festen kommen kaum umhin, auf die einschlägigen Artikel in „Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft“ (RE) zu verweisen. All diese Werke zeichnen sich durch eine umfassende Kenntnis der literarischen Quellen aus und dienen auch heute noch als überaus hilfreiche Fundgruben von Quellenmaterial zu einzelnen Aspekten römischer Feste. Allerdings sind diese Arbeiten auch nicht ganz unproblematisch. Zum einen wurde versucht, anhand äußerst unterschiedlicher Quellenbelege aus verschiedensten Jahrhunderten einen jeweiligen ‚realhistorischen‘ Ablauf eines Festes zusammenzustellen. Zum anderen wurde das Hauptaugenmerk zumeist auf die etymologischen und kultischen Ursprünge gelegt, aus denen eine Rekonstruktion eines tieferen ‚Sinns‘ der Feste angestrebt wurde. Diesem Vorgehen lag die Annahme eines Dekadenzmodells zugrunde, also die Vorstellung, dass das Wissen um die eigentliche ‚Bedeutung‘ und die tatsächlichen kultischen Grundlagen der antiken Religion bereits in der Antike, und zwar lange vor der Entstehungszeit der schriftlichen Quellen, verloren gegangen sei und sich die Religion in klassischer Zeit bereits seit vielen Jahren in einem Prozess des Niedergangs befand.65

64 65

Beck/Wiemer 2009, 18. Ebd., 23f.

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Diese Konzentration auf die Frage nach den Ursprüngen der Feste in den ersten althistorischen Arbeiten zu diesem Thema mag daran gelegen haben, dass sich zahlreiche antike Quellen ebenfalls ausführlich mit zum Teil sehr widersprüchlichen Aitiologien und Etymologien beschäftigen und eine Fokussierung auf diese Aspekte somit rein von der Quellenlage naheliegt. Zudem könnte das Interesse an den Ursprüngen von Bräuchen und Riten aber auch dem Zeitgeist des späten 19. Jahrhunderts geschuldet sein: Auch andere, z.T. neu entstandene Disziplinen wie die Ethnologie, Anthropologie und die Soziologie setzten sich in dieser Zeit mit ähnlichen Fragen auseinander. So wurden beispielsweise ‚primitive Kulturen‘ als Vorläufer der eigenen, als überlegen empfundenen Kultur gesehen und durch die Erforschung von ‚primitiven‘ Riten und Bräuchen Erkenntnisse über die Ursprünge und Entwicklung der eigenen Kultur erhofft.66 Dennoch ist es bemerkenswert, dass eine dem Dekadenzmodell verpflichtete Denkweise die Forschung insbesondere zu römischen Festen im Wesentlichen noch bis in die 1990er Jahre prägte. 67 Sowohl Ansätze, anhand des äußerst disparaten Quellenmaterials den Ablauf eines bestimmten Festes zu rekonstruieren, als auch Versuche, aus den jeweiligen Festnamen auf rituelle Handlungen zu schließen, halten sich zum Teil hartnäckig bis in die heutige Zeit.68 Parallel zu diesen Versuchen finden sich spätestens ab den 1970/80er Jahren jedoch auch völlig neue Ansätze. Wegweisend bezüglich griechischer Kulte und Rituale sind hierbei die Arbeiten von Walter Burkert, der mit Hilfe soziologischer und psychoanalytischer Theorien versucht, die Bedeutung von Ritualen und Mythen grundlegend zu erfassen, wobei insbesondere seine Thesen zum griechischen Opferritus auf internationale Beachtung gestoßen sind.69 Ebenfalls mit griechischen Ritualen und Kulten befassen sich die zahlreichen Studien von Angelos Chaniotis, der immer wieder aktuelle Forschungsansätze etwa zur Erinnerungsfunktion oder zur Bedeutung von Emotionen in seinen Arbeiten aufgreift und innovativ umsetzt.70 Die neuere Forschung zu römischen Festen nimmt sich dagegen überraschend mager aus; umfassende Studien zum Festwesen gibt es kaum. Das Standardwerk für die Feste in der Republik stellt immer noch H.H. Scullards 1981 erschienener Band „Festivals and Ceremonies of the Roman Republic“ dar, der aus einer rein deskriptiven Zusammenstellung der überlieferten Feste besteht.71 Zum Festwesen der römischen Kaiserzeit liegt bislang

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Myerhoff 1982, 116. Vgl. Teil 1, Kapitel 1.6. Beck/Wiemer 2009, 24. 68 So z.B. die Arbeit von Scullard 1981. Salzman etwa versteht die römischen Kalender als vollständige Kompendien der öffentlichen Festkultur und schließt von den Festnamen auf die Inhalte und Hintergründe der Feste. Salzman 1990, 129. Zur Kritik an Versuchen, anhand der Etymologie eines Festnamens Rückschlüsse auf Inhalte zu ziehen, vgl. Ulf 1982, 1. 69 Vgl. z.B. sein 1972 erschienenes Werk Homo necans. Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen. Vgl. auch Beck/Wiemer 2009, 23. 70 Z.B. Chaniotis 1991, ders. 2010, ders. 2011, ders. 2012. 71 Beck/Wiemer 2009, 24. 67

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nur eine Monographie vor, die von Stéphane Benoist verfasste Studie „La fête à Rome au premier siècle de l’Empire“. Benoist konzentriert sich hierin auf die Feste in julisch-claudischer Zeit, wobei er insbesondere auf deren Rolle als Instrumente der Inszenierung und Aushandlung von Macht durch die Kaiser eingeht.72 Dass die Feste der römischen Kaiserzeit immer noch als nur unzureichend erforschter Bereich der althistorischen Forschung gelten müssen,73 mag zum einen daran liegen, dass es in der Tat schwer ist, das Phänomen ‚Fest‘ zu definieren und einen Überblick über die verschiedenen theoretischen Ansätze zu gewinnen. Zum anderen umfassen die antiken Feste zumindest aus heutiger Sicht sehr heterogene Aspekte, die meist unter getrennten Kategorien verbucht werden, wie z.B. ‚Sport‘ oder ‚Freizeitkultur‘ (Gladiatorenkämpfe, ludi) oder ‚Religion‘ (Prozessionen, Opfer), und daher selten unter dem Stichwort ‚Fest‘ gemeinsam in den Blick genommen werden. Dass etwa die Circusspiele mit den allseits beliebten Wagenrennen nicht nur in den Bereich des Freizeitvergnügens der Römer gehören, sondern beispielsweise durch die pompa circensis auch deutlich kultisch-religiöse Elemente aufweisen, scheint immer wieder zu überraschen.74 Arbeitet man zum römischen Festwesen, bewegt man sich daher in der Regel an der Schnittstelle sehr unterschiedlicher Forschungsbereiche mit jeweils eigenen Fragestellungen und Schwerpunkten. Innovative Ansätze fanden sich in den letzten Jahren in erster Linie in religionswissenschaftlichen Arbeiten. Wegweisend ist hierbei insbesondere das von Mary Beard, John North und Simon Price verfasste zweibändige Werk „Religions of Rome“, bestehend aus einer historischer Darstellung und einem Quellenband. Bereits im Titel wird andeutet, dass die römische Religion nicht als monolithischer Gegenstand sondern als „Religionen“, im Plural, verstanden wird. Das Hauptaugenmerk liegt dementsprechend weniger auf der Erfassung und Beschreibung eines als unveränderlich verstandenen religiösen Systems, sondern auf der Diversität der verschiedenen Aspekte römischer Religion und auf den vielfältigen diachronen Prozessen des Wandels, die sich über die Jahrhunderte nachzeichnen lassen.75 Auch zahlreiche Arbeiten von Jörg Rüpke beleuchten Aspekte des Wandels in der römischen Religion, wie u.a. der 2012 erschienene Band „Religion in Republican Rome. Rationalization and Ritual Change“ oder der mit „Die römische Welt verändert sich: Religiöser Wandel in globalem Maßstab“ überschriebene 3. Teil der 2011 erschiene-

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Vgl. hierzu die Rezension von Chamberland, die das Werk sowohl in sprachlicher als auch inhaltlicher Hinsicht sehr kritisch bewertet und nicht zu Unrecht zu folgendem Schluss kommt: „Before his study, he [i.e. Benoist] claims, the first century of the Principate ‚n’avait pas donné lieu … à des synthèses prenant la Fête comme objet d’étude propre‘ (17). Unfortunately, there is very little in this book that contributes to fill this gap […]. Because of the poor style in which it is written, Benoist’s study cannot even be considered profitable as a synthesis, though some may find that the copious notes and references are useful.” Chamberland 2002, 410. 73 Dies stellen auch Brandt/Iddeng 2012, 1 fest: „[F]estivals are a somewhat understudied subject in Classical scholarship, at least outside the field of ancient religion.“ 74 Beck/Wiemer 2009, 37. 75 Beard/North/Price 1998, IX-XIII; Beck/Wiemer 2009, 24.

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nen Studie „Von Jupiter zu Christus. Religionsgeschichte in römischer Zeit“. Ebenfalls führend von Jörg Rüpke wurden die Fragen untersucht, inwiefern es sich bei der römischen Religion um eine „Reichsreligion“ handelte, ob diese also zentralistisch angelegt war, und welche Feste exportiert und auch außerhalb Roms gefeiert wurden.76 Besonders spannende Impulse setzten in den letzten Jahren neue Forschungsansätze zu Ritualen – hier können nur einige Werke genannt werden: So beleuchtet der 2006 erschienene, von Eftychia Stavrianopoulou herausgegebene Sammelband „Ritual and Communication in the Graeco-Roman World“ das Potenzial, das sich aus den vielfältigen Verbindungen von Ritual und Kommunikation ergibt – zum einen wird die kommunikative Funktion von Ritualen in den Blick genommen, zum anderen werden aber auch ritualhafte Elemente von Kommunikation erfasst. Auch wenn sich in diesem Band wie so oft ein deutliches Übergewicht an Beiträgen zur griechischen Kultur feststellen lässt, so finden sich dennoch äußerst wertvolle Anstöße für die Arbeit mit römischen Ritualen und Festen. In ganz ähnlicher Weise greift auch Jörg Rüpke den Ansatz auf, religiöses Handeln als „kommunikatives Geschehen, als symbolische Kommunikation“ zu erfassen.77 Interdisziplinär angelegt ist dagegen der 2010 von Christiane Brosius und Ute Hüsken herausgegebene Sammelband „Ritual Matters. Dynamic Dimensions in Practice“, der neben einem althistorischen Beitrag von Angelos Chaniotis zur Rolle von Emotionen in Ritualen u.a. Beiträge aus der Indologie, Anthropologie, Soziologie und Psychologie umfasst. Einen hervorragenden Überblick über aktuelle Forschungen zu Ritualen bietet der 2013 erschienene, als übergreifende historische Einführung konzipierte Band „Rituale“ von Barbara Stollberg-Rilinger. Neben diesen eher im religionswissenschaftlichen Bereich verorteten Studien, die Religionen und Rituale als Ganzes in den Blick nehmen, finden sich immer wieder Beiträge, die sich auf ein einzelnes römisches Fest konzentrieren und versuchen, am konkreten Einzelfall neue Zugangsmöglichkeiten auszuloten. Bereits 1982 kritisierte Ulf Versuche, anhand der Etymologie des Festnamens Rückschlüsse auf den Inhalt des Festes zu ziehen, und zog – offensichtlich angeregt von der Saussure’schen Unterscheidung von signifié und signifiant – die Möglichkeit in Betracht, „daß der uns überlieferte Name ursprünglich nicht zu diesem Kult oder Gott gehörte; d.h., Name und Gegenstand, Bezeichnung (Name des Kultes oder Gottes) und Bezeichnetes (Vorstellungen, die sich mit dem Kult oder dem Gott verbinden) können sich auseinander entwickelt haben.“78

Er zeigt anhand der Lupercalia auf, dass bereits die Römer selbst die Bedeutung des Festnamens nicht mehr verstanden haben, und dass moderne Versuche, aus dem Namen Informationen über den Kult abzuleiten, nicht nur zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen 76

Rüpke 2011 und 2006b, 73f. Rüpke 2011. 78 Ulf 1982, 1-4, Zitat 4. 77

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führen, sondern sich zudem häufig in Zirkelschlüssen verlieren. 79 Als alternative Herangehensweise an das Fest der Luperkalien schlägt Ulf daher vor, mit ethnologischen Vergleichen zu arbeiten, und kommt zu dem Schluss, dass es sich bei diesem Fest um einen Initiationsritus gehandelt haben könnte.80 Auch Mary Beard kritisiert in ihrem Aufsatz über das römische Fest der Parilia Versuche, eine ursprüngliche Bedeutung von Festen, die angeblich auf eine primitivere, agrarisch geprägte römische Gesellschaft zurückzuführen sei, aus den für eine komplexe, urbane Gesellschaft tatsächlich überlieferten Riten und Bräuchen abzuleiten,81 und schlägt einen anderen Weg ein: Sie betrachtet antike Texte über Feste stattdessen als Teil des zeitgenössischen religiösen Diskurses und vermutet, dass die Beliebtheit von manchen Festen genau darin begründet gewesen sein könnte, dass diese in ihrer Bedeutung wandelbar waren und immer wieder je nach aktuellen Bedürfnissen neu interpretiert und ausgedeutet werden konnten.82 In ganz ähnlicher Weise untersucht Rene Pfeilschifter in seinem Beitrag im von Hans Beck und Hans-Ulrich Wiemer herausgegebenen Band „Feiern und Erinnern. Geschichtsbilder im Spiegel antiker Feste“ die unterschiedlichen Aitiologien zu den Poplifugia und den Nonae Caprotinae, zweier republikanischer Feste, deren Sinn und Bedeutung weitestgehend im Dunkeln liegen. Pfeilschifter versteht die aitiologischen Erzählungen als Versuche, den „verlorenen Sinn“ der Feste „neu zu stiften“ und somit das Fest den Zeitgenossen wieder näherzubringen.83 Abgesehen von diesen vereinzelten – meist in Aufsatzform vorliegenden – Studien zu bestimmten römischen Festen liegt, wie bereits erwähnt, bis heute keine übergreifende aktuelle Studie zum römischen Festwesen vor. Die hier erwähnten Einzelfallstudien deuten jedoch bereits an, dass ein derartiges Unterfangen aufgrund der teils äußerst spärlichen, teils sehr komplexen und widersprüchlichen Quellenlage und der je nach Fest somit sehr unterschiedlichen Ansätze und Fragestellungen wohl auch nicht einfach zu realisieren wäre. Einen relativ gut erforschten Bereich der römischen Festkultur stellen dagegen die Kaiserfeste dar. Die Literatur hierzu ist überaus vielfältig und berührt unterschiedliche Aspekte, wie die in den Kalendern verzeichneten Feste für den Kaiser,84 Fragen nach der Göttlich-

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Ebd., 11-22. Ebd., 95f. 81 Beard 2003, 273-275. 82 Ebd., 281. 83 Pfeilschifter 2009, 115. Pfeilschifter geht allerdings davon aus, dass Feste, deren Bedeutung nicht mehr erkannt wird, Gefahr laufen, nicht mehr gefeiert zu werden, woraus er die Notwendigkeit einer neuen Sinnstiftung durch aitiologische Erzählungen ableitet. Tatsächlich gab und gibt es zahlreiche Bräuche und Feste, deren Sinn nicht (mehr?) verstanden wird, und die sich dennoch großer Beliebtheit erfreuen, wie z.B. den Karneval. Diese Grundannahme muss daher durchaus kritisch hinterfragt werden. 84 Rüpke 1995; Herz 1975. 80

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keit des Kaisers,85 nach der Rolle des Kaisers bei der Wiederbelebung alter Feste und Bräuche oder der Einführung neuer Feste,86 die Kaiserfeste in den Provinzen,87 oder die einzelnen Elemente von Kaiserfesten und Kaiserkult, wie das Bankett des Kaisers88 oder die Kaiserpriester.89 Einen Einblick in die Vielfalt der aktuellen Forschung zum Kaiserkult bietet der 2003 von Cancik und Hitzl herausgegebene Band „Die Praxis der Herrscherverehrung in Rom und seinen Provinzen“. Ebenfalls viel Aufmerksamkeit wurde in den letzten Jahrzehnten dem römischen Kalender geschenkt, wobei insbesondere die Habilitationsschrift „Kalender und Öffentlichkeit: Die Geschichte der Repräsentation und religiösen Qualifikation von Zeit in Rom“ von Jörg Rüpke aus dem Jahr 1995 hervorzuheben ist. Neben diesen Ansätzen stoßen auch diverse Aspekte der ‚Freizeitkultur‘ Roms immer wieder auf großes Interesse in der Forschung. Für die Arbeit mit römischen Festen sind dabei sehr unterschiedliche Bereiche relevant: Sämtliche ludische Rituale, also Gladiatorenkämpfe, Wagenrennen und Theater, kommen hier unmittelbar in den Sinn, doch auch das Gastmahl und die römische Esskultur, Geldverteilungen und Prozessionen können Elemente von Festen darstellen. Darüber hinaus berühren etwa Werke zum Totenkult oder zum Euergetismus zentrale Punkte der römischen Festkultur. Im Folgenden sollen lediglich die wichtigsten Entwicklungen in einigen der erwähnten Themenfelder nachgezeichnet werden; eine ausführliche Diskussion der Forschungsliteratur zu sämtlichen Aspekten, die das römische Fest betreffen, ist aufgrund der Fülle an Schnittpunkten kaum möglich. Das römische Gastmahl zählt zu den Bereichen, die in den letzten Jahren äußerst intensiv erforscht wurden, wovon zahlreiche Studien mit teils sehr unterschiedlichen Ansätzen zeugen. Der 2005 veröffentlichte und mittlerweile in der zweiten Auflage erschienene Band „Das römische Gastmahl“ von Elke Stein-Hölkeskamp kann wohl als Grundlagenwerk zu diesem Thema gelten. Äußerst nah an den Quellen analysiert Stein-Hölkeskamp diskursanalytisch verschiedene Elemente des Gastmahls, wie die Teilnehmer, den Ort und die Zeit, die aufgetischten Speisen, die Tischgespräche und das Unterhaltungsprogramm, um den zeitgenössischen Vorstellungen und Normen, wie ein Gastmahl auszusehen habe, nachzuspüren. Einen etwas innovativeren Ansatz, der unter anderem methodisch auf Luhmann und Elias beruht, wählt Schnurbusch in seiner 2011 erschienenen Studie „Convivium. Form und Bedeutung aristokratischer Geselligkeit in der römischen Antike“. Schnurbusch nimmt hierbei verstärkt die gesellschaftlichen und politischen Aspekte des Gastmahls in den Blick und wird dessen nicht zu unterschätzender Rolle bei der Aus-

85

Clauss 1999; Fishwick 1987/1991; Gradel 2002. Benoist 1999. 87 Herz 1975; Wörrle 1988. 88 Vössing 2004. 89 Ladage 1971. 86

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handlung sozialer Rangordnungen, insbesondere im Milieu der Oberschicht, gerecht. Konrad Vössing konzentriert sich in seiner eindrucksvollen Studie „Mensa Regia. Das Bankett beim hellenistischen König und beim römischen Kaiser“ ausschließlich auf die Oberschicht – entgegen des Titels geht er über die royalen Bankette hinaus und nimmt auch Gastmähler und Symposien des griechischen und römischen Adels in den Blick – und schlägt zudem einen Bogen von der Archaik bis in die Kaiserzeit. Die Arbeit von Vössing zeichnet sich nicht nur durch die damit ermöglichten historischen Vergleiche aus, sondern auch durch eine differenzierte und sensible Analyse der gesellschaftlichen und machtpolitischen Funktionen des Gastmahls in den verschiedenen historischen Kontexten, wobei er nicht zuletzt die in den Quellen angelegte Topik des Gastmahls als gemeinschaftsstiftendes Moment dekonstruiert. Werner Tietz schlägt dagegen in seiner 2013 erschienenen Habilitationsschrift „Dilectus ciborum. Essen im Diskurs der römischen Antike“ einen neuen Weg ein, indem er, angeregt von der Zeichentheorie von Saussure, Barthes und Peirce und den soziologischen Studien von Mauss und Lévi-Strauss, die Semiotik von Nahrungsmitteln auf der Diskursebene untersucht. Für die vorliegende Dissertation relevant sind vor allem die Arbeiten von John F. Donahue, der die öffentlichen Gastmähler in der römischen Antike anhand des epigraphischen Materials untersucht und dabei insbesondere die soziale Differenzierung der Stifter und Empfänger herausarbeitet.90 Außerdem liegt seit 2015 ein Quellenband von Donahue vor, in welchem verschiedene Aspekte von „Food and Drink in Antiquity“ anhand einer Auswahl an überwiegend literarischen Quellen illustriert werden.91 Der zweite Bereich der ‚Freizeitkultur‘ der Antike, der sich sowohl in der Forschung als auch in der Trivialliteratur anhaltenden Interesses erfreut, sind die ludi, also Gladiatorenkämpfe, Wagenrennen und Theateraufführungen. In der älteren Forschung wurde sich gerne des Dekadenzmodells bedient und den römischen Spielen ein Sinnverlust attestiert, welche in der ausgehenden Republik und in der Kaiserzeit nur noch „Volksbelustigung“ gewesen seien und „als Mittel zur Manipulation des Stimmvolkes dienten, aber keine für die Teilnehmer bedeutsamen Botschaften und Erfahrungen mehr vermittelten“,92 so die treffende Charakterisierung dieser Entwicklung von Beck und Wiemer. Einen Wendepunkt in der Bewertung der römischen ludi markiert die 1976 erschienene Studie des französischen Althistorikers Paul Veyne, „Le pain et le cirque. Sociologie historique d’un pluralisme politique“, in der eindrucksvoll das politische Potenzial des Euergetismus in der griechischen und römischen Gesellschaft demonstriert wird, womit auch eine völlige Neubewertung der Funktion der Spiele in Rom einherging. Mittlerweile wird die Rolle, die die römischen Spiele für politische Aushandlungsprozesse und die Inszenierung kaiserlicher Macht spielen, nicht mehr bezweifelt und zahlreiche Arbeiten widmen sich ver90

Donahue 2004; vgl. auch Donahue 2003. Donahue 2015. 92 Beck/Wiemer 2009, 37. 91

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schiedenen Aspekten der politischen und gesellschaftlichen Funktion des Spielewesens, wie z.B. das bereits 1984 erschienene Werk „L'empire en jeux. Espace symbolique et pratique sociale dans le monde Romain” von Monique Clavel-Lévêque. Im Zuge des performative turn in den Geschichtswissenschaften93 gerieten in den letzten Jahren zunehmend auch weitere Bereiche in den Blick, in denen soziale Hierarchien und Machtpositionen in der Öffentlichkeit jenseits des politischen Tagesgeschäftes ausgehandelt werden konnten. So untersucht etwa Egon Flaig – eng angelehnt an Paul Veyne – in seinem Band „Ritualisierte Politik. Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom“ umfassend performative Elemente der öffentlichen Kommunikation und deren Zusammenhang mit der Aushandlung politischer Machtstrukturen. In eine ähnliche Richtung zielt ebenfalls die Arbeit von Geoffrey Sumi, „Ceremony and Power. Performing Politics in Rome between Republic and Empire“, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen. Es verwundert kaum, dass im Zuge dieser Hinwendung zu performativen Elementen auch das römische Theater wieder vermehrt in den Blick genommen und sowohl dessen politische als auch soziale Funktion neu bewertet wird. Bereits im 1985 erschienenen Band von Florence Dupont, „L’Acteur-Roi ou le théâtre dans la Rome antique“ findet sich ein Kapitel über den Zusammenhang von Spielen und Politik, wobei die Rolle der Kaiser mit besonderer Berücksichtigung von Augustus und Nero analysiert wird. Im von William Slater 1996 herausgegebenen Sammelband „Roman Theater and Society“ werden verschiedene Aspekte des römischen Theaters beleuchtet: Im Beitrag von J.C. Edmondson wird etwa die Funktion von Gladiatorenkämpfen für die soziale Strukturierung der Zuschauer im Theater untersucht, E.R. Gebhard zeigt Elemente der kaiserlichen Propaganda in Architektur und Ritualen im Theater auf und D. Potter diskutiert im Beitrag „Performance, Power, and Justice in the High Empire“, inwieweit das Volk im Theater politischen Einfluss ausüben konnte. Auch die Frage, inwiefern sich die Kaiser sowohl im Theater als auch außerhalb performativer Elemente bedienten, um ihr Herrschaftsverständnis zu kommunizieren, wurde und wird in zahlreichen Untersuchungen aufgegriffen; exemplarisch sollen hier nur der Beitrag „Does Caesar Mime?“ von Nicholas Purcell im von Bergmann und Kondoleon herausgegebenen Band „The Art of Ancient Spectacle“ und die 1994 erschienene Studie von Shadi Bartsch, „Actors in the Audience. Theatricality and Doublespeak from Nero to Hadrian“ genannt werden. Ganz in Tradition des performative turn steht der Aufsatz von Helmut Krasser, „Spektakuläre Monumente: Martial und das Kolosseum” im 2011 von Egelhaaf-Gaiser, Pausch und Rühl herausgegebenen, transdisziplinär angelegten Sammelband „Kultur der Antike“, der das Amphitheater mit Bezug auf die Sprechakttheorie Austins als Ort politischer und symbolischer Kommunikation analysiert.

93

Bachmann-Medick 2010, 104-143.

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Eine Neubewertung erfuhren in den letzten Jahren auch die Prozessionen, was wohl daran liegt, dass sie sich an der Schnittstelle mehrerer aktueller Forschungsrichtungen befinden, da sowohl performative Elemente als auch die Inszenierung im Raum eine Rolle spielt – wodurch Prozessionen im Zuge des spatial turn vermehrte Aufmerksamkeit auf sich zogen – , und nicht zuletzt bei den Triumphzügen wurde zudem die Erinnerungsfunktion von Umzügen untersucht. Noch 1988 charakterisierte Ernst Künzl den römischen Triumph der späten Republik ganz im Sinne des Dekadenzmodells als nur noch von Kunstraub und Beutegier gezeichnete Veranstaltung, die nicht mehr viel mit dem Fest der frühen Republik zu tun habe, das er sich als „an Iuppiter gerichtete religiöse Feier“ und als „glückverheißendes Fest für die gesamte römische Republik“ vorstellt.94 Neue Zugänge zum römischen Triumph konnte dagegen Tanja Itgenshorst in ihrer 2005 erschienenen Dissertation aufzeigen, der es im ersten Teil der Arbeit durch eine intensive, quellenkritische „Spurensuche“95 gelingt, antike Idealtypen und literarische Motive in den sonst stets für Rekonstruktionen des republikanischen Triumphs herangezogenen literarischen Quellen herauszukristallisieren und deren Brauchbarkeit für eine Bewertung des Triumphs zu hinterfragen. Im zweiten Teil der Arbeit nimmt sie neben einer ausführlichen Diskussion der Livius-Passagen zum römischen Triumph weitere Quellen, wie Münzen, Ehrenstatuen oder Siegesmäler in den Blick, durch welche die siegreichen Feldherren sich in die Erinnerungslandschaft Roms einzuschreiben suchten. Itgenshorst gelingt es somit in ihrer Studie, verschiedene Funktionen und Aspekte des Triumphs voneinander zu trennen und differenziert zu analysieren, womit sie neue Zugänge und Perspektiven zur Erforschung des republikanischen Triumphs aufzeigt. Nicht nur mit dem Triumph sondern mit den verschiedenen Formen der pompa in der Republik befasst sich Karl-Joachim Hölkeskamp in seinem Aufsatz „Hierarchie und Konsens. Pompae in der politischen Kultur der römischen Republik“, der 2008 im Sammelband „Machtfragen. Zur kulturellen Repräsentation und Konstruktion von Macht in Antike, Mittelalter und Neuzeit“ erschien. Besonders beeindruckend arbeitet Hölkeskamp hierbei die „Syntax“96 der unterschiedlichen Prozessionen heraus, wodurch es ihm gelingt, sowohl deren machtpolitische als auch soziale Implikationen und Bedeutungsebenen zu analysieren. Dabei wird das Erkenntnispotenzial deutlich, das einer Untersuchung von Ritualen und Festen als symbolische Kommunikation innewohnt, und das weit über den Ansatz hinausgeht, Prozessionen schlicht als Abbilder der Gesellschaft zu sehen.97 Wie bereits erwähnt wurde in den letzten Jahren im Zuge des allgemeinen Interesses an Fragestellungen, die mit den Schlagworten Erinnerung und Gedächtnis verbunden sind,

94

Künzl 1988, 7. Itgenshorst 2005, 42. 96 Hölkeskamp 2008, 92. 97 Beck/Wiemer 2009, 37f. 95

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auch verstärkt die Erinnerungsfunktion von Festen in den Blick genommen. Lange Zeit wurden Diskrepanzen, die notgedrungen auftraten, wenn die im Fest kommemorierte Vergangenheit nicht mit der historischen Überlieferung übereinstimmte, als ‚falsche Erinnerung‘ in den Festen klassifiziert.98 Erst in den letzten Jahren konnten neue Forschungen zur Erinnerungsfunktion von Festen alternative Deutungen aufzeigen; insbesondere das Konzept der „intentionalen Geschichte“ von Gehrke konnte den Widerspruch einer ‚falschen‘ und einer ‚richtigen‘ und somit historiographischen Erinnerung auflösen bzw. das Potenzial, das in der unterschiedlichen Tradierung von Erinnerungen liegt, erkennen. Populäre Konzepte und Ansätze, wie Assmanns „Kulturelles Gedächtnis“ und die ursprünglich von Pierre Nora geprägten „Erinnerungsorte“ hinterließen ebenfalls ihre Spuren in althistorischen Arbeiten.99 Auf dem 46. Deutschen Historikertag 2006, der unter dem Motto „GeschichtsBilder“ stand, widmete sich eine eigene Sektion dem Thema „Feiern und Erinnern. Geschichtsbilder im Spiegel antiker Feste“, aus der der 2009 von Hans Beck und Hans-Ulrich Wiemer herausgegebene, gleichnamige Sammelband hervorgegangen ist. In der von Beck und Wiemer verfassten Einleitung wird ein grundlegender Überblick über die bisherige Forschung zu Erinnerung und Gedächtnis sowie zu Festen gegeben, und die Forschungslage zu Festen und Erinnerung in der griechischen und römischen Welt vorgestellt. Als besonders vielversprechend bei der Verknüpfung von Erinnerung und Fest sehen Beck und Wiemer, dass ein „gemeinsamer Vollzug regelhafter Handlungsfolgen“ im Fest zu einer besonderen Art der Aneignung von Vergangenheit führen kann, wobei diese Aneignung durch „emotionale Intensität und Konformitätsdruck“ geprägt ist und sich so einer kritischen Überprüfung der Beteiligten entzieht.100 In den Beiträgen des Sammelbandes werden verschiedene Aspekte von Erinnerung und Fest vom klassischen Griechenland bis in die Spätantike aufgegriffen, wobei die römische Geschichte, die sonst in Sammelbänden zu antiken Festen eine eher untergeordnete Rolle spielt, überraschend stark vertreten ist. Allerdings fällt auf, dass die beiden Aufsätze zur Erinnerungsfunktion von griechischen Festen eher allgemein angelegt sind und das Thema übergreifend behandeln (Hans Beck geht auf das Thema „Polisfest und historische Erinnerung im klassischen Griechenland“ ein, Hans-Ulrich Wiemer auf die „Erinnerungsfunktion städtischer Feste im Hellenismus“), während in den vier Texten zur römischen Geschichte sehr spezielle Aspekte thematisiert werden: Rene Pfeilschifter greift, wie bereits erwähnt, die aitiologischen Überlieferungen zu den Poplifugia und Nonae Caprotinae auf, Ralf Behrwald den „Festkalender der frühen Kaiserzeit“, Matthäus Heil die „Jubilarfeiern der römischen Kaiser“ und Mischa Meier die „Abschaffung der venationes“ und die „‚kosmische‘ Bedeutung des

98

Ebd., 23 mit Verweis auf die 1992 erschienene Studie mit dem Titel „Festivals and Legends: The Formation of Greek Cities in the Light of Public Ritual“. 99 Vgl. Teil 1, Kapitel 1.3. 100 Beck/Wiemer 2009, 9f.

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Hippodroms“ in der Spätantike. Einmal mehr zeigt sich, wie schwierig es im Gegensatz zur griechischen Geschichte ist, römische Feste übergreifend in den Blick zu nehmen, ohne auf Detailaspekte auszuweichen. Auch über den Zugang der Erinnerungskultur scheint sich das römische Fest als Gesamtphänomen unserem Zugriff zu entziehen. Die Beliebtheit der Forschungsbereiche Erinnerung und Gedächtnis dauert bis heute an; allein 2012 sind zwei Bände erschienen, die sich nochmals eingehend diesen Themen widmen: der von Low, Oliver und Rhodes herausgegebene Sammelband zum Kriegsgedenken in der Antike und Moderne, sowie der von Dignas und Smith veröffentlichte Band „Historical and Religious Memory in the Ancient World“, der in sehr differenzierten Einzelbeiträgen diverse Aspekte, wie die Rolle von religiöser Identität, aufgreift. Der wohl aktuellste umfassende Band zu antiken Festen ist der 2012 erschienene, von Brandt und Iddeng herausgegebene Sammelband „Greek and Roman Festivals. Content, Meaning, and Practice“, der sich unter anderem durch eine sehr lesenswerte Einleitung auszeichnet, in der die beiden Herausgeber nicht nur versuchen, einige bisherige Ansätze und Konzepte der Erforschung antiker Feste systematisch darzulegen, sondern auch die Forschungsdesiderate benennen und zu Recht darauf verweisen, dass Feste in der Tat ein eher unzureichend bearbeitetes Gebiet der althistorischen Forschung sind.101 Die Beiträge des Sammelbandes befassen sich allerdings wieder in gewohnter Manier mit einzelnen, teils sehr speziellen Phänomenen der griechischen und römischen Festkultur, wobei sich, ebenfalls nicht überraschend, ein deutliches Übergewicht der Beiträge zu griechischen Festen ausmachen lässt. So steht trotz zahlreicher und teils sicherlich sehr innovativer Einzelstudien in verschiedenen Sammelbänden eine umfassende Arbeit zum römischen Festwesen, die sowohl bisherige Ansätze umfassend systematisiert als auch eine arbeitstaugliche Definition des Festbegriffs liefert und methodisch fundiert umsetzt, bisher aus.

3. Ansätze und Vorgehen dieser Arbeit Im ersten Teil dieser Arbeit sollen verschiedene Forschungsansätze vorgestellt werden und eingehend überprüft werden, welchen Erkenntnisgewinn diese für die Arbeit mit antiken Festen versprechen könnten. Dabei soll zum einen ganz grundlegend der Untersuchungsgegenstand ‚Fest‘ abgesteckt werden, unter anderem in Abgrenzung von anderen Konzepten wie Religion oder Alltag. Zum anderen werden gängige Interpretationsansätze von Festen vorgestellt und kritisch beleuchtet, um das Erkenntnispotenzial dieser Ansätze für eine Beschäftigung mit dem antiken Festwesen auszuloten. Hierbei werden etwa prägende kulturwissenschaftliche Ansätze der letzten Jahrzehnte wie Erinnerungsorte und

101

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Brandt/Iddeng 2012, 1.

kulturelles Gedächtnis aufgegriffen, aber auch auf (pseudo-)psychologisch inspirierte Erklärungsmuster eingegangen, wie die auf Freud basierende Annahme einer Ventilfunktion von Festen. Anschließend soll versucht werden, aus den hieraus gewonnenen Erkenntnissen einen eigenen Ansatz zur Konzeptualisierung von Festen zu entwickeln, der eine tragfähige Basis für die Analyse von Festen in der römischen Antike – und vielleicht darüber hinaus – zu bieten vermag. Grundlegend hierfür ist der Gedanke, dass Feste speziell gerahmte Situationen sind, die sich in erster Linie über die Manifestationen eines Anlasses und bestimmter festlicher Handlungen greifen lassen. Der Konsens über Anlass und festliche Handlungen wird dabei von den Beteiligten im Vorfeld und im Festgeschehen selbst immer wieder neu ausgehandelt und bestätigt. Zugleich dienen Feste als Rahmen für eine Kommunikationssituation unter den Anwesenden,102 durch welche ganz grundlegend sozialer Sinn erzeugt wird. Feste stellen somit ein zentrales Moment der Herausbildung und Bestätigung gesellschaftlicher Strukturierung dar, wobei zudem durch die besondere emotionale Komponente von Festen von einer gesteigerten Sinnhaftigkeit ausgegangen werden kann. Im zweiten Teil der Arbeit wird eine praktische Umsetzung dieses Ansatzes versucht, indem die Formen der sozialen Strukturierung bei römischen Festen anhand von epigraphischen Quellen herausgearbeitet werden. Dafür wurde ein Quellenkorpus von über 700 lateinischen Inschriften erstellt und ausgewertet. Zunächst werden die sozialen Hintergründe und Kontexte der Stifter von Festen beleuchtet und danach gefragt, welche Motive hinter einer Feststiftung gestanden haben mochten. Anschließend werden die Anlässe und die festlichen Handlungen vorgestellt, die sich im inschriftlichen Material greifen lassen. Zuletzt werden die Adressaten der Feststiftungen näher untersucht, wobei insbesondere die Frage diskutiert wird, welche Vorstellungen von gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien die Stifter bei der Ausgestaltung ihrer Stiftung beeinflusst haben könnten. Im dritten Teil wird schließlich eine Zusammenführung der beiden ersten Teile versucht, indem die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse herausgearbeitet werden, die sich im Quellenmaterial greifen lassen. So werden zum einen die Formen der Vergemeinschaftung im Fest in den Blick genommen, zum anderen aber auch die Formen der Distinktion, die es einzelnen Akteuren oder bestimmten Gruppen ermöglichten, ihren gesellschaftlichen Status zu verhandeln.

102

Hierzu grundlegend Schlögl 2014.

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TEIL 1: DAS RÖMISCHE FEST – THEORIE UND METHODE Kapitel 1: Die Analyse von römischen Festen – Möglichkeiten und Grenzen verschiedener Forschungsansätze „Was haben ein Geburtstag und der Karneval gemeinsam, was die Nürnberger Reichsparteitage der NSDAP und ein privates Besäufnis, was verbindet Woodstock und einen Gottesdienst, was die mittelalterlichen Narrenfeste und eine Trauerfeier?“103

So eindeutig der Gegenstand dieser Untersuchung auf den ersten Blick erscheinen mag – schließlich hat jeder Mensch eine Vorstellung davon, was unter einem ‚Fest‘ zu verstehen ist und man weiß ziemlich genau, was einen bei einem solchen erwartet –, so trifft doch Deile mit seiner Frage nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner der von ihm genannten, nicht zufälliger Weise extrem unterschiedlichen Beispiele, die dennoch alle unter der Kategorie ‚Fest‘ eingeordnet werden können, einen Nerv. Schon beim zweiten Blick auf das Thema ‚Feste‘ drängen sich zahlreiche Fragen auf: Was genau macht eigentlich ein Fest zum Fest? Kann auch ohne einen Anlass gefeiert werden? Wie viele Personen braucht man für ein Fest – kann man ein Fest alleine feiern? Versucht man gar eine einschlägige Definition für ‚Fest‘ zu finden, wird schnell deutlich, wie ungeheuer schwierig es ist, den Begriff zu fassen. Diese Unschärfe ist möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass unter ‚Fest‘ sehr unterschiedliche, manchmal sogar sich gegenseitig ausschließende Aspekte subsumiert werden: So weisen etwa Haug und Warning darauf hin, dass die beiden „theoretischen Perspektiven“ auf das Fest, „das Fest als affirmative Überhöhung der bestehenden Ordnung und das Fest als normensprengender Exzeß“, „einander so unversöhnlich gegenüber[stehen], daß eine Vermittlung in einer übergreifenden Formel kaum denkbar scheint.“104 Zudem werden in unterschiedlichen Disziplinen, wie etwa der Philosophie, Psychologie, Soziologie, Anthropologie, Ethnologie oder in den Religionswissenschaften je nach Interesse und Fragestellung sehr unterschiedliche Aspekte des Phänomens ‚Fest‘ hervorgehoben, was eine einheitliche Definition erschwert.105 Außerdem fällt auf, dass der

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Deile 2004, 4. Haug/Warning 1989, XV. Diese beiden Positionen entsprechen dem von Nietzsche ausgearbeiteten dionysischen und apollonischen Charakterzug, die dieser in seinem Werk „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ als Grundprinzipien der griechischen Kultur, insbesondere der Musik, erfasste. Nietzsche 1999. 105 Vgl. die umfangreichen Literaturverweise zu Festtheorien in den Bereichen Theologie, Religionswissenschaft, Ethnologie, Soziologie, Volkskunde, Psychoanalyse, Philosophie, Kunstgeschichte, Literaturgeschichte und Geschichte bei Maurer 2004a, 19. Im Sammelband „La fête, pratique et discours“ wird interessanterweise ganz auf eine Definition von Fest verzichtet, da dies als zu große Einschränkung empfunden wurde: „L’empirisme de cette démarche – qui consiste à confronter des expériences plutôt qu’à élaborer des synthèses – impliquait que nous ne proposions, au départ, aucune définition de la fête. Toute définition est exclusive, et nous nous serions inévitablement 104

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eigene persönliche und gesellschaftliche Hintergrund des jeweiligen Forschers die Vorstellungen, die mit Festen verbunden sind, häufig stark prägt. In den 1960er und 70er Jahren wurde etwa nicht überraschend gerne das „revolutionäre Potential“ von Festen gesehen.106 Bollnow dagegen bescheinigt in den späten 70er Jahren seiner eigenen Zeit, sie habe „es verlernt zu feiern“, was er mit dem aus „der innerweltlichen Askese des Calvinismus“ erwachsenden „kapitalistischen Denken“ und „dem immer nur am Fortschritt orientierten Geist der modernen Technik“ begründet – womit auch er sich als Kind seiner Zeit entpuppt.107 Im Folgenden werden daher einige Definitions- und Interpretationsansätze vorgestellt, kritisch beleuchtet und auf ihre Brauchbarkeit für die Beschäftigung mit Festen der römischen Antike abgeklopft.

1. Fest und Religion „Das Wort ‚Fest‘ [...] ruft […] die Vorstellung des Göttlichen wach: Ein Festtag ist ein herausgehobener, ausgesonderter, jeweils einer bestimmten übernatürlichen Wesenheit geheiligter Tag. ‚Fest‘ kann daher als gleichbedeutend mit rel. Begehung verstanden werden.“108

Dieser Definitionsansatz im Artikel „Feste/Feiern, I. Religionswissenschaftlich“ in „Religion in Geschichte und Gegenwart“ beleuchtet Feste primär in ihrem Bezug zur Religion – ein Gedanke, der sich in vielen Definitionen und Beschreibungen des Phänomens ‚Fest‘ findet. Religionsgeschichtlich wird meist vermutet, dass der Ursprung von Festen in der Verehrung von Gottheiten zu sehen ist. Es ist daher wohl auch kein Zufall, dass die Religionswissenschaft zu den Disziplinen zählt, die sich am intensivsten mit Festen beschäftigt haben und dass sich die ausführlichsten Einträge zu Festen in religionswissenschaftlichen Nachschlagewerken finden, wie dem „Lexikon für Theologie und Kirche“ und dem eben zitierten „Religion in Geschichte und Gegenwart“. Es fällt allerdings auf, dass in diesen Einträgen eher deskriptiv vorgegangen wird, wobei naturgemäß die Entwicklung christlicher Feste und die Beschreibung des christlichen Kirchenjahrs viel Raum einnehmen. Religionswissenschaftliche und theologische Interpretationsansätze in christlicher Tradition zielen häufig auf die Bedeutung des Festes für den Menschen in ethischer oder spiritueller Hinsicht ab, wobei betont wird, dass Feste eine Besinnung auf Werte und eine Re-

trouvés en présence de phénomènes ou de processus échappant aux cadres préalablement établis.” Dunand 1981, 7. 106 Gebhardt 1987, 12. 107 Bollnow 1978, 83. 108 Borgeaud 2000, 86.

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flexion der menschlichen Existenz ermöglichen.109 Bollnow geht nicht nur davon aus, dass „keine Religion ohne Fest denkbar ist“, sondern will im Akt des Feierns immer eine grundlegend religiöse Erfahrung sehen.110 Pieper versteht das Fest zunächst allgemein als „Zustimmung zur Welt“ – Feiern heißt für ihn „die immer schon und alle Tage vollzogene Gutheißung der Welt aus besonderem Anlaß auf unalltägliche Weise begehen“111 –, doch ist bei ihm diese „Zustimmung zur Welt“ eng verknüpft mit einem christlichen Gottesverständnis und christlichen Wertvorstellungen, was in den Hochfesten der Kirche seine Vollendung findet.112 Maurer meint zwar, dass das Fest „vor aller Religion“ bestand und die „jeweilige Religion“ dem Fest lediglich „eine spezifische Gestalt [verleiht]“, doch räumt er auch ein, dass „das Fest in all seinen Funktionen oft geradezu als Verwirklichung des Religiösen [erscheint]: sei es als Preisung Gottes (‚Zustimmung zur Welt‘ [mit Verweis auf Pieper, Anm. d. Verf.]), als In-ErscheinungTreten des Heiligen, als die religiöse Gemeinschaft verbindendes Sakrament, als gemeinsames Bekenntnis einer spezifischen Glaubensgemeinschaft, als Ausdruck einer religiösen Haltung nach außen.“113

Über die Frage hinaus, inwiefern ein historisch belegbarer Zusammenhang zwischen Festen und der Verehrung von Gottheiten besteht, wird in diesen Ansätzen eine tiefere, transzendente Ebene in Festen vermutet, die das Fest zu einem grundsätzlich religiösen Erlebnis macht. Kerényi sieht in seiner ethnologisch angelegten Studie sogar in dem, was ein Fest „festlich macht“, also im eigentlichen Wesen des Festes, ein „religiöses Phänomen von so hervorragender Bedeutung, daß wir ihm mit der größten und aufmerksamsten Empfänglichkeit entgegentreten müssen.“114 Die Frage nach einem Zusammenhang von Religion und Fest berührt also zwei verschiedene Ebenen: Zum einen findet sich ein phänomenologischer Ansatz, wobei vermutet wird, dass Feste historisch ursprünglich immer an Götterkulte und rituelle Handlungen geknüpft waren.115 Diese Annahme wird sich jedoch insbesondere für die vor- und frühgeschichtliche Zeit rein archäologisch nur schwerlich nachweisen lassen. Zum anderen wird ein spirituelles Element im Erleben des Festes gesehen, das auf eine transzendente Ebene verweist. Auch dieses ‚religiöse Erleben‘ des Festes und die subjektiven spirituellen Erfahrungen werden sich historisch kaum umfassend belegen lassen. Ob Religion tat-

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Vgl. den Überblick bei Beck/Wiemer 2009, 21. Bollnow 1978, 6. Ähnlich auch Pieper 1963, 56: „Es gibt weltliche, aber keine rein profanen Feste.“ und Schultz 1988, 8: „[E]rst im religiösen Fest [wird] der Mensch ein feierndes Wesen“. 111 Pieper 1963, 52. 112 Ebd., 78: „Und also wird auch in der österlichen Feier der Christenheit, gerade in ihr, eine Bejahung des Daseins im ganzen dargelebt und begangen, wie sie begründeter, umfassender und tiefgreifender gar nicht gedacht werden kann.“ 113 Maurer 2004a, 47f. 114 Kerényi 1938/40, 62. 115 Ähnlich auch Freud 1922, 180: „Opfer und Festlichkeit fallen bei allen Völkern zusammen, jedes Opfer bringt ein Fest mit sich und kein Fest kann ohne Opfer gefeiert werden.” 110

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sächlich als unabdingbares Element einer allgemeinen Festdefinition gesehen werden kann, oder ob man bei den religionswissenschaftlichen Ansätzen nicht vielmehr von einer christlich geprägten Tradition und einer Standortgebundenheit der jeweiligen Forscher ausgehen muss, muss daher durchaus kritisch beleuchtet werden. Davon abgesehen stellt sich für diese Arbeit die Frage, welchen Erkenntnisgewinn ein religionsgeschichtlicher Ansatz für die Erforschung von Festen der klassischen Antike bietet. Dass Religion bei antiken Festen eine wichtige Rolle spielte, lässt sich nicht bestreiten: Man kann sich nicht mit diesen befassen, ohne etwa die Götter, überlieferte Aitiologien und kultische Handlungen miteinzubeziehen. Es dürfte wohl kaum ein antikes Fest geben, bei welchem nicht auch ein Opfer für eine Gottheit abgehalten wurde. Daher überrascht es nicht, dass auch das antike Selbstverständnis den engen Bezug zwischen Kult und Fest widerspiegelt: Die römischen feriae waren Tage, die bestimmten Göttern gehörten,116 und Platon schreibt, dass im Fest ein Austausch zwischen Menschen und Göttern stattfand.117 Nicht zuletzt sollte man bedenken, dass zu den ludi circenses, die häufig als Prototyp der römischen Freizeitgestaltung herangezogen werden, u.a. eine pompa gehörte, bei der Götterfiguren mitgeführt wurden – die antiken Wagenrennen lediglich in den Bereich der ‚Freizeit‘ oder des ‚Sports‘ zu verweisen, greift daher sicherlich zu kurz.118 Welcher Erkenntnisgewinn ergibt sich nun aus der Feststellung, dass Religion und Götterkult wesentliche Bestandteile antiker Feste waren? Dass man für die Antike davon ausgehen muss, dass immer eine religiöse Komponente bei Festen gegeben war, ist letztlich ein Allgemeinplatz, weil Religion ohnehin nicht als eigenes Subsystem neben Politik, Wirtschaft etc. gedacht werden darf, sondern sämtliche Lebensbereiche des antiken Menschen und der antiken Gesellschaft durchdrang.119 Es dürfte wie gesagt kaum ein antikes Fest ohne die Abhaltung eines Opfers gegeben haben, aber Opfer gehörten gleichermaßen auch zur Eröffnung der Senatssitzungen, zum Auszug in den Krieg und zu vielen weiteren, durchaus auch alltäglichen Handlungen.

116

Rüpke 1995, 492-512. Plat. leg., 653d. 118 Den religiösen Charakter der Spiele stellt besonders Tertullian heraus, dem es freilich um eine christlich motivierte Polemik gegen die heidnischen Spiele geht. Tert. De spect., 7-10. Vgl. hierzu Rüpke 2006b, 66f. 119 Rüpke 2006a, 11-18 und ders. 2009, 656, der hier von „Formen diffuser Religiosität“ ausgeht, „[w]o sich Festgemeinde und lokale Gesellschaft weitgehend decken“ und feststellt, dass eine „politische“ und eine „religiöse Semantik […] funktional nicht zu unterscheiden“ ist. Rüpke fragt zwar explizit nach der „religiösen Dimension des römischen Kalenders“, weist aber auch darauf hin, dass er keine Unterscheidung treffen kann, „was jeweils religiöses, was nichtreligiöses Fest sei.“ Ders., 2006b, 57. Gegen eine Trennung „einer profanen und einer sakralen Sphäre“ spricht sich Gramsch auch für die Archäologie aus. Gramsch 2010, 125. 117

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Doch was ist mit den zahlreichen Festen, die laut der überlieferten Kalender explizit für bestimmte Gottheiten ausgerichtet wurden, wie der feriae Iovi für Jupiter?120 Zwar sind die entsprechenden Einträge in den Kalendern überliefert, doch lässt sich hieraus häufig nicht schließen, wie, von wem und ob diese Festtage überhaupt gefeiert wurden.121 Auch in anderen Quellen sind die Informationen zu einzelnen Götterfesten überaus spärlich. Außerdem mag der Bezug zu Gottheiten nicht bei allen Festen in gleichem Maße gegeben gewesen sein oder sich, wie Klauser mit Verweis auf die Saturnalien und Luperkalien vermutet, für manche Feste mit der Zeit „stark verflüchtigt“ haben.122 Letzten Endes lässt sich für die einzelnen Feste kaum nachweisen, welche Rolle die Verehrung von Göttern bei den Festen tatsächlich gespielt hat – dass in vielen Quellen nicht oder kaum von kultischen Handlungen für die Götter berichtet wird, kann schließlich auch auf die Selbstverständlichkeit dieser Handlungen verweisen. Eine grundlegende Differenzierung von Festen in die Kategorien religiös vs. säkular entstammt dem modernen Denken und lässt sich für die Antike nicht halten; wenn überhaupt, dann sollte man mit Brandt und Iddeng höchstens von „degrees of sacredness and secularity“ sprechen.123 Bei der Frage nach einer universalen religiösen Bedeutung der antiken Feste ist die Gefahr daher groß, dass man eigene, zeitgenössische Vorstellungen von Religiosität oder christlich geprägte Ideen von religiösem Erleben und Spiritualität – oder deren Fehlen in einer modernen, säkularisierten Gesellschaft – voraussetzt und auf die Antike projiziert.124 Wichtig wird ein Fokus auf Religion und Religiosität, wenn es um spezifische kultische Gruppen geht, die sich verstärkt über ihre religiösen Inhalte identifizierten, wie dies etwa beim Mithraskult der Fall war. Wie Rüpke zu Recht betont, handelte es sich bei derartigen Kulten um „hochorganisierte […] Gruppenreligionen […], deren Rituale eine spezifisch religiöse Kommunikation und entsprechend leistungsfähige Tradition religiöser Inhalte erlauben können.“125 Bei vielen städtischen Festen in der Antike lässt sich eine Vermitt-

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Vgl. z.B. der Eintrag in den Fasti Fratrum Arvalium, CIL 6, 2295: (…) [G Eid(us) n(efas) p(iaculum)] feriae Iovi (…). 121 Zu einem Versuch, die römischen Feiertage zu charakterisieren, vgl. Nicolai 1963. Nicolai weist aber auch darauf hin, dass es sich bei den in den Kalendern verzeichneten Festen weniger um „die Feiertage, die tatsächlich gefeiert wurden“ handelte, sondern vielmehr um „die Feiertage, die man von Rechts wegen hätte feiern sollen.“ Ebd., 196. 122 Klauser 1969, 748. 123 Brandt/Iddeng 2012, 6. Ähnlich auch Stollberg-Rilinger, die feststellt: „Die Unterscheidung zwischen sakralen Ritualen und säkularen Zeremonien lässt sich angesichts der historischen Phänomene nicht halten, bei denen religiöse, politische und soziale Aspekte meist überhaupt nicht voneinander zu trennen sind.“ Stollberg-Rilinger 2013, 14. 124 In diesem Zusammenhang dürften etwa die entsprechenden Äußerungen von Klaus Bringmann zum römischen Triumph zu lesen sein, der dem „ursprünglich religiös motivierte[n] Fest des Triumphes“ eine Entartung „zu einem Medium massiver Massenbeeinflussung und zum billigen Anlaß, gegenüber Volk und Armee mit dem Anspruch des großen Wohltäters aufzutreten“ attestiert – eine Einschätzung, die möglicherweise stark vom Zeitgeist der 1980er Jahre geprägt ist. Bringmann 1988, 54. 125 Rüpke 2009, 657.

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lung religiöser Inhalte als primäre Funktion aber gerade nicht feststellen, was, wie Rüpke meint, nicht etwa einem historischen Säkularisierungsprozess zu schulden ist, sondern als „eine Funktion der Fähigkeit der öffentlichen Formen diffuser Religiosität“ gefasst werden kann, „die politische oder soziale Identität der Festgemeinde abzubilden“.126 Ein „Monopol“ auf eine „religiöse Semantik“ ist in antiken Festen nicht in dem Maße gegeben, wie wir dies etwa aus dem Christentum kennen,127 und die Frage nach der religiösen Bedeutung antiker Feste ist daher nicht per se erkenntnisfördernd.

2. Fest und Zeit – Fest und Kalender Dass sich auch die Theaterwissenschaft in den letzten Jahren vermehrt mit Festen beschäftigt hat, liegt nicht nur daran, dass die Geburtsstunde des Theaters im Dionysoskult und insbesondere in Theateraufführungen und szenischen Wettkämpfen gesehen wird, die zu Ehren dieser Gottheit aufgeführt wurden.128 Die Parallelen zwischen Theater und Fest reichen weiter: Feste sind ähnlich wie Theateraufführungen ephemer, indem sie auf eine bestimmte Zeitspanne beschränkt sind, die nicht wiederholbar ist, sie zeichnen sich durch besondere Handlungen in dieser fest umgrenzten Zeitspanne und eine besonders gestaltete Räumlichkeit aus und besitzen häufig ein gewisses Maß an Inszeniertheit.129 Feste gestalten also einen genau festgelegten zeitlichen Rahmen auf eine besondere Weise, wodurch dieser Zeitspanne ein außergewöhnlicher Charakter zugeschrieben wird. Anders als das Theater können Feste jedoch nicht nur eine gewisse Zeitspanne hervorheben, sondern ganze Tage können als ‚Festtage‘ charakterisiert werden, und mehr noch: Feste können als „rituelle Abläufe“ verstanden werden, „die die gemeinsam erfahrene Zeit rhythmisierend gestalten“130 und auf diese Weise den gesamten Jahres- und Lebenslauf strukturieren. Somit stehen Feste in einem engen Zusammenhang mit gesellschaftlichen Konzeptionen von Zeit.131 Zum einen kann Zeit als lineares Phänomen konstruiert werden, wie etwa in der Wahrnehmung des eigenen Lebens mit einer Entwicklung von der Geburt bis zum Lebensende. Im Leben eines jeden Menschen gibt es dabei Momente des Umbruchs, einschneidende Erlebnisse, die als wichtige Punkte auf dem Lebensweg erfahren werden und häufig von Festen begleitet werden. Es dürfte wohl keine Kultur geben, bei

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Ebd., 658. Ebd. 128 Fischer-Lichte 2010, 13-19; Fischer-Lichte/Warstat 2009, 13. 129 Fischer-Lichte/Warstat 2009, 9 und 15f., Fischer-Lichte 2005, 25. Zum ephemeren Charakter von Festen vgl. Abrahams 1982, 161. 130 Borgeaud 2000, 86. 131 Zu verschiedenen Auffassungen von Zeit vgl. grundlegend Maurer 2004a, 26-31. 127

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der nicht Geburt und Tod als existentielle Erfahrungen durch festliche Handlungen – oder, mit van Gennep gesprochen, mit Passageriten – begangen werden.132 Zum anderen kann Festen durch bestimmte, in regelmäßigen Abständen wiederkehrende Phänomene eine zyklische Zeitkonzeption zugrunde gelegt werden, die durch Naturphänomene geprägt ist, welche das Leben der Menschen in wiederkehrenden Zyklen, z.B. in Form des Wechsels der Jahreszeiten, beeinflussen. Einschneidende alljährliche Ereignisse, wie Aussaat- und Erntezeiten,133 können dabei Anlässe für jährlich wiederkehrende Feste darstellen, die das Jahr strukturieren und in den Festkalender Eingang finden.134 Es ist wohl auch kein Zufall, dass Feste in vielen Kulturen genau zu den Zeiten im Jahr stattfanden, die durch keine anderen zentralen Tätigkeiten wie Jagd, Ernte oder Kriegsführung beansprucht wurden.135 Michael Maurer setzt bei der Entwicklung seiner „Systematik des Festes“ genau an diesen unterschiedlichen Zeitstrukturen an: Er unterscheidet „Feste des Lebenslaufes“ (u.a. Geburtstag, Hochzeit, Tod) und „Feste des Jahreslaufes“ (u.a. Weihnachten/Wintersonnwende, Ostern/Frühlingsfest, Erntedank, Allerheiligen/Totensonntag), und fasst dann die Feste, die nicht in diese beiden Kategorien passen, in einer dritten Kategorie als „öffentliche Feste“.136 Diese dritte Kategorie überzeugt allerdings nicht ganz, da sie an einem völlig anderen Punkt als die ersten beiden Kategorien ansetzt, nämlich an der Unterscheidung privat vs. öffentlich, und somit auch keine sinnvolle Ergänzung zu den ersten beiden Kategorien ermöglicht – schließlich kann es sich bei Festen des Jahreslaufs auch um öffentliche Feste handeln.137 Eng mit der Strukturierung von Zeit durch den Zyklus des Jahreslaufs ist die Entstehung des Kalenders verknüpft, in welchem diese Jahresstruktur fixiert wird. Doch die Ent-

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van Gennep 1986. Vgl. hierzu auch Teil 1, Kapitel 1.5. Dieses individuelle Erfahren einer linear verlaufenden Lebenszeit kann durch die kollektive Vorstellung einer linearen Zeit im Geschichtsbild ergänzt werden: So weist Maurer etwa darauf hin, dass insbesondere im Judentum die Geschichtlichkeit der Gemeinschaft eine zentrale Rolle spielt und in einer linearen Zeitkonzeption zum Ausdruck kommt. Maurer 2004a, 28. 133 Zur Rolle von Fruchtbarkeit in agrarischen Kulturen vgl. Abrahams 1982, 163f. 134 Maurer 2004a, 27. Maurer nennt noch eine dritte Zeitvorstellung: „Kairós, den günstigen Augenblick“. Ebd., 28. Vgl. auch die Unterscheidung in biologische und kosmische Zeit bei Kerényi 1938/40, 63. Benoist nimmt die Unterscheidung in lineare vs. zyklische Zeit als Ausgangspunkt für seine Untersuchung zu den Festen der frühen Kaiserzeit, wobei er zum einen der Frage nachgeht, inwiefern die Feste der zyklischen Zeit von der Politik vereinnahmt wurden, um Machtansprüche in Verbindung mit alten Festtraditionen geltend zu machen, und zum anderen untersucht, wie Feste der linearen Zeit durch die Kaiser dynastisch überformt wurden. Benoist 1999, 22f. und Kapitel IV („Temps cyclique et investissement politique“) und V („Temps linéaire et encadrement dynastique“). 135 Abrahams 1982, 167. 136 Maurer 2004b, 56-80. 137 Darüber hinaus ist diese dritte Kategorie in sich nicht konsistent: Mauer umfasst hier unterschiedlichste Aspekte, die jedoch weniger eine deskriptive, einheitliche Systematik bieten, sondern sich teils auf die Ebene der Interpretation begeben (z.B. „Fest und geschichtliche Identität“), teils historisch-soziale Entwicklungen referieren (z.B. „Die Festivalisierung des modernen Lebens“). So ganz vermag seine Systematik daher nicht zu überzeugen. Ebd.

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wicklung eines Kalendersystems ist nicht ganz so einfach, wie dies auf den ersten Blick scheinen mag:138 Rüpke weist zu Recht darauf hin, dass die Ausarbeitung eines präzisen Kalenders, der sowohl dem Sonnen- als auch dem Mondjahr gerecht wird, eine hochkomplexe Angelegenheit ist, die genaue Beobachtungen und Berechnungen voraussetzt. Dies kann kaum von Laien geleistet werden, sondern hierfür werden Spezialisten und eine institutionalisierte Tradierung benötigt.139 Auch wenn bestimmte landwirtschaftliche Tätigkeiten zu einer Gliederung des Jahres führten und sicherlich von festlichen Handlungen begleitet wurden, so entlarvt Rüpke die Vorstellung eines sogenannten „Bauernkalenders“ für die römische Antike als Konstrukt, da diese „Zusammenstellungen von Festen, landwirtschaftlichen Aktivitäten und Tierkreiszeichen“ letztlich nichts als „Derivate einer bereits schriftlichen Kalendertradition“ seien.140 Für die römischen Feiertage und den Festkalender muss darüber hinaus konstatiert werden, dass es sich bei diesen um „in erster Linie städtische Phänomene“ handelte – und dies gilt laut Rüpke auch für typisch agrarische Feste wie z.B. die feriae sementivae, das Aussaatfest.141 Die natürlichen Gegebenheiten des Mond- und des Sonnenjahrs bedingten zwar die Ausformung eines Festjahres und eines Kalenders, doch umgekehrt beeinflusste der Kalender selbst wiederum die Strukturierung von Zeit in einer Gesellschaft – „Zeit wird sozial konstruiert“.142 So stellten beispielsweise die Kalenden und Iden, die kalendarischen Strukturtage des römischen Kalenders, wichtige religiöse Fixpunkte in der römischen Gesellschaft dar, die Jupiter geweiht waren und an denen häufig Feste stattfanden.143 Noch deutlicher wird die soziale Konstruktion von Zeit, wenn man die Herausbildung des 8-tägigen Wochenrhythmus (nundinum) in der römischen Welt betrachtet, der nicht mehr auf natürlichen Gegebenheiten beruhte.144 Nicht zuletzt prägt bis heute die 7-Tage-Woche inklusive des christlichen Gebots zur Sonntagsruhe145 das Alltagsleben der Menschen in vielen europäischen Ländern sehr viel stärker als etwa der Wechsel der Mondphasen. Kalendarische Konventionen und die Vorgaben von Spezialisten, die über den Kalender verfügen und das Datum von bestimmten Festen festlegen, strukturieren die Zeit mindestens ebenso nachhaltig wie natürliche Phänomene und haben gleichermaßen Einfluss auf den Festkalender. Dass die Kontrolle des Kalenders auch eine Frage der Macht sein kann, lässt nicht nur die zunehmende Dominanz der Kaiserfeste im antiken Festkalender vermuten, sondern wird 138 Rüpke betont, dass der Begriff „Kalender“ bereits vielschichtig ist und unterschiedliche Bereiche berührt, wie „Recht und Religion, Geschichte und Politik“. Rüpke 2006b, 17. 139 Ebd., 19-44. 140 Ebd. 37. 141 Ebd., 85. 142 Walter 2006, 41. 143 Rüpke 2006b, 19-21 und 70f. 144 Walter 2006, 41. 145 Zur Entwicklung der Sonntagsruhe vgl. Rüpke 2006b, 60-63.

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besonders eindrücklich durch ein Beispiel aus dem 18. Jahrhundert bezeugt: dem Versuch der Einführung eines französischen Revolutionskalenders.146 Für die Beschäftigung mit römischen Festen ist es demnach nicht damit getan, diverse Feste im Jahreslauf allein auf natürliche Gegebenheiten einer agrarisch geprägten Kultur zurückzuführen und mithin als kosmisch bedingte Konstanten zu sehen, sondern es stellt sich darüber hinaus die Frage, wie sich der Festkalender im Laufe der Zeit entwickelte, welche Spezialisten beteiligt waren und wem die Kontrolle von ebendiesem zukam – und wie bestimmte Feste möglicherweise auch instrumentalisiert werden konnten, um Macht und Herrschaft auszuhandeln.147 Diese Fragen wurden allerdings bereits eingehend in den diversen Arbeiten von Jörg Rüpke behandelt, weshalb sie in dieser Arbeit nicht im Vordergrund stehen sollen.

3. Feste zwischen Gedenken, Gedächtnis und Erinnerung In den letzten Jahrzehnten hatten die Schlagworte ‚Gedächtnis‘ und ‚Erinnerung‘ in den Geschichtswissenschaften Konjunktur. Den ersten Anstoß lieferten die bereits in den 1920er Jahren entstandenen Arbeiten des Soziologen Maurice Halbwachs, der mit seinem Konzept des kollektiven Gedächtnisses erstmals den Gedanken formulierte, dass Gedächtnis kein rein individuelles Phänomen ist, sondern gruppenbezogen und mithin sozial bedingt ist.148 In den 1980er Jahren wurden diese Ideen im Kontext eines wachsenden Interesses an der Frage nach der Entstehung einer kollektiven Erinnerung und von gesellschaftlichen Vorstellungen von Vergangenheit – und somit der Konstruiertheit von Geschichte – wieder aufgegriffen.149 Dass in Festen an vergangene Ereignisse gedacht wird und sie somit ein „Verfahren kultureller Erinnerung, eine primäre Organisationsform kulturellen Wissens“150 darstellen, ist mittlerweile ein fixer Bestandteil zahlreicher Arbeiten zu Festen. In den Geschichtswissenschaften lassen sich zwei grundlegende Forschungsrichtungen festmachen, die aus dem Halbwachs’schen Gedankengut hervorgegangen sind: die Erinnerungsorte und das kulturelle Gedächtnis. Das Konzept der Erinnerungsorte geht auf Pierre Nora zurück, der unter dem Begriff lieux de mémoire sehr weitgefasst „[e]ine bedeutungstragende Einheit, ideeller oder materieller

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Vogtherr 2012, 103-114. Vogtherr betont, dass „Zeitrechnung und Kalender [...] zu allen Zeiten Gegenstand der Politik gewesen“ seien und „zu politischen Zwecken ebenso nutzbar wie veränderbar“ waren, und führt fort: „Kaum eine Zeit der europäischen Geschichte verdeutlicht das besser als die Jahre der Französischen Revolution seit 1789.“ Ebd., 103. Vgl. auch Rüpke 2006b, 207-209. Zur politischen Instrumentalisierung des Kalenders in der Antike und zur Bedeutung von Jahrestagen bis in die Moderne vgl. ebd., 143-164. 147 Rüpke 1995 und 2006b. 148 Vgl. den Überblick zum Halbwachs’schen Werk bei Beck/Wiemer 2009, 10-13. 149 Ebd., 12; Robbe 2009, 22f. 150 Maurer 2004c, 119.

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Art, die durch menschlichen Willen oder durch das Werk der Zeiten zu einem symbolischen Element des Gedächtniserbes einer Gemeinschaft gemacht worden ist“,151 verstand. Für Pierre Nora waren lieux de mémoire ausschließlich ein Phänomen der Gegenwart, da er annahm, dass sich die zeitgenössische (französische) Gesellschaft durch einen Verlust von Traditionen und eines gemeinsamen Gedächtnisses auszeichnete und somit externe Gedächtnisorte als Manifestationen des Gedächtnisses geschaffen werden müssten.152 In der Folgezeit entwickelte sich dieses Konzept mit großer Eigendynamik weiter und verbreitete sich weit über Frankreich hinaus.153 In Deutschland prägte sich nach der ursprünglichen Übersetzung ‚Gedächtnisort‘ mehr und mehr der Begriff ‚Erinnerungsort‘ ein, unter dem allgemein – und somit nicht mehr nur auf die gegenwärtige Gesellschaft bezogen – „symbolische Kristallisationspunkte gesellschaftlicher Erinnerung“154 verstanden werden. Unter diesem Namen erfreut sich dieses Konzept bis heute einer äußerst großen Prominenz in den Geschichtswissenschaften.155 Stein-Hölkeskamp und Hölkeskamp versuchten in ihrem Sammelband „Erinnerungsorte der Antike. Die römische Welt“156 erstmals, das Konzept der Erinnerungsorte umfassend auf die Antike anzuwenden, wobei sie den Begriff auf verschiedenen Ebenen verorten: Zum einen subsumieren sie hierunter konkrete und metaphorische Orte, „die schon in der Antike selbst als ‚Orte‘ der Erinnerung fungierten, also als Medien, Träger respektive Kristallisationspunkte von Identität und Kontinuität, Geschichtsbewußtsein und gepflegtem Gedächtnis wahrgenommen wurden“.157

In der Erforschung dieser Erinnerungsorte sehen Hölkeskamp und Stein-Hölkeskamp zugleich die Chance „für einen modernen kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Zugang zur Antike“158. Zum anderen lässt sich den Vorstellungen und Bildern von der Antike, die im modernen „kulturellen Gedächtnis“ vorherrschen, nachspüren, und damit letztlich auch der Nachfrage des „interessierten Publikum[s]“ entgegenkommen.159 Dementsprechend ist der Band „Erinnerungsorte der Antike“ überwiegend ein Kompendium unterschiedlichster

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Zit. nach Robbe 2009, 16. Vgl. grundlegend Nora 1990. Nora 1990, 11-18. 153 Robbe 2009, 19-22. 154 Ebd., 15. 155 Vgl. den hervorragenden Überblick bei Robbe 2009, der insbesondere auch auf die vorherrschende Begriffsverwirrung hinweist und die unterschiedlichen Begriffe ‚Erinnerung‘, ‚Gedächtnis‘, ‚Gedächtnisort‘, ‚Erinnerungsort‘ und ‚Erinnerungskultur‘ voneinander abgrenzt. Ebd., insbes. 31-35. Auf die Werke von Nora und François zu den französischen Erinnerungsorten und von François und Schulze zu den deutschen Erinnerungsorten folgten zahlreiche weitere Arbeiten, u.a. die beiden von Hölkeskamp und Stein-Hölkeskamp herausgegebenen Bände zu den Erinnerungsorten der griechischen und römischen Antike. 156 2010 folgte der zweite Band: „Erinnerungsorte der Antike. Die griechische Welt.“ 157 Hölkeskamp/Stein-Hölkeskamp 2006, 13. 158 Ebd. 159 Ebd., 13f. 152

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Themen, die sich mehr oder weniger intensiv mit dem äußerst weit gefassten Konzept der Erinnerungsorte befassen. Robbe sieht das Potenzial der Erinnerungsorte jedoch weniger in der Frage nach dem ‚was‘, also als Mittel, um verschiedene Themen aufgrund ihrer „Merk-Würdigkeit“ unter dem Oberbegriff ‚Erinnerungsorte‘ eher willkürlich auszuwählen und zu sammeln.160 Weitaus vielversprechender erscheint ihm die Frage nach dem ‚wie‘: Wie entwickelt sich das kollektive Gedächtnis einer Gruppe, wie wird dadurch Identität gestiftet und welche Überlieferungsmechanismen sind hierbei greifbar?161 Erinnerungsorte zeichnen sich laut Robbe dadurch aus, dass sie ständig neue Deutungen schaffen; sie sind „ein Ort unaufhörlicher Aktualisierung“, und genau diese Eigenschaft macht „das Aufsuchen“ und damit auch die „Dekonstruktion“ dieser Deutungen zu einem hochinteressanten Forschungsgegenstand.162 Das Potenzial, das in diesem Ansatz liegt, diskutiert Robbe eindrücklich an verschiedenen Beispielen, wie etwa der Entstehung von schweizerischen und österreichischen Geschichtsmythen.163 Ohne mit dem Begriff ‚Erinnerungsorte‘ zu operieren, setzt auch Gehrke an einem ähnlichen Punkt an, indem er die antike Rezeption von Mythen untersucht und feststellt, dass Mythen häufig politisch instrumentalisiert wurden und eine zentrale Rolle für die Identitätskonstruktion antiker Gemeinschaften spielten.164 Aus diesem Ansatz entwickelt Gehrke das Konzept der „intentionalen Geschichte“, die er als „diejenigen Vorstellungen von Vergangenheit“ fasst, „die gerade für die Identität einer Gruppe wesentlich, ja konstitutiv sind“165, und die genau deshalb ein spannendes Untersuchungsfeld für Historiker abgeben – ein Gedanke, der in der Fokussierung auf die identitätsstiftende Funktion für Gruppen in eine ähnliche Richtung zielt wie die von Robbe vorgestellten Erinnerungsorte. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit das Konzept der Erinnerungsorte, das häufig – wie im Falle des Bandes zu den Erinnerungsorten der Antike – äußerst vage und weit gefasst bleibt,166 für die Untersuchung der Entstehung kollektiver Vorstellungen von Geschichte einen Erkenntnisgewinn leisten kann, oder ob alternative Begrifflichkeiten wie Gehrkes „intentionale Geschichte“ oder die Rezeptionsästhetik167 das Phänomen nicht

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Robbe 2009, 168. Ebd., 169f. 162 Ebd., 33. 163 Ebd., 183-228. 164 Gehrke 1994, insbes. 240f. und 247. 165 Gehrke 2004, 22. 166 Der Beitrag von Harriet Flower im Band „Erinnerungsorte der Antike“ befasst sich zwar mit den Ahnenmasken, die das Atrium des römischen Hauses zu einem „besonderen Ort der Erinnerung“ machten, und mit dem Leichenzug der römischen Oberschicht, der ebenfalls zur Aufrechterhaltung der Erinnerung an die berühmten Vorfahren diente, doch macht dies weder die Masken noch den Leichenzug selbst zu einem Erinnerungsort im engeren Sinne. Flower 2006, Zitat 323. 167 Vgl. z.B. Warning 1994. 161

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präziser oder zumindest ebenso gut zu fassen vermögen. Robbe betont, dass die Erinnerungsorte erst dann einen Mehrwert versprechen, wenn die Untersuchung in einen größeren Kontext eingebettet wird: „Die disparaten Objekte werden erst dadurch zu Erinnerungsorten, dass sie als Teil eines Ensembles gedacht werden. Erinnerungsorte, so könnte man zugespitzt behaupten, existieren nur im Plural. Richtet sich der Blick dagegen auf ein einzelnes Objekt, so beschreibt ihn der jeweilige Gattungsbegriff viel genauer.“168

Wie wurden die Erinnerungsorte in diesem Sinne bisher bei der Erforschung antiker Feste nutzbar gemacht? Einige Perspektiven für eine gelungene Anwendung des Konzeptes bietet Hölkeskamp in seiner Analyse des römischen Triumphs im von ihm mit herausgegebenen Band zu den Erinnerungsorten der römischen Antike.169 Zunächst erfasst Hölkeskamp die „Syntax“ des Triumphzugs, indem er untersucht, wie sich der Triumph „in die sakrale Topographie der Stadt einbettet – und damit zugleich in die damit ja identische politische Topographie und die zentrale ‚Erinnerungslandschaft‘ zwischen Marsfeld, den verschiedenen Fora und dem Capitol, die durch die sicht- und erlebbare räumliche Vergesellschaftung und die unsichtbare, symbolische Vernetzung von Tempeln und Altären, Basiliken und anderen öffentlichen Bauwerken, Statuen berühmter Männer und Beutedenkmälern mit ihren zahllosen Bau-, Weih- und Ehreninschriften entstanden war.“170

Jeder Triumphzug nahm dementsprechend Bezug zur Erinnerungslandschaft Roms, schrieb sich zugleich aber auch selbst in diese Landschaft ein, indem etwa aus dem Beutegut neue Tempel – nicht zufällig meist entlang der Route des Triumphzugs – errichtet wurden.171 Dies allein macht streng genommen den Triumphzug selbst noch nicht zu einem Erinnerungsort, sondern vielmehr zu einem Medium, mit dessen Hilfe die Bedeutung verschiedener Orte (Marsfeld, Capitol, Tempel etc.) in der Erinnerungslandschaft Roms aktualisiert wurde und neue Bedeutungsebenen hinzugefügt werden konnten. In einem weiteren Schritt interpretiert Hölkeskamp aber die jeweilige Inszenierung der Triumphzüge des Pompeius und des Caesar, und deckt auf, welche Deutungen und Bezüge hierbei zu Tage treten. Hölkeskamp nutzt hier tatsächlich das Potenzial der Erinnerungsorte, indem er die vielschichtigen Deutungen, die sich in der jeweiligen historischen Aktualisierung des Triumphes ergeben, dekonstruiert. Schließlich weitet Hölkeskamp den Blick auf die nachantike Rezeption des Triumph-Gedankens und einzelner Elemente des Triumphs, wie etwa die Nachstellung antiker Triumphe in der Renaissance und die architektonischen Bezüge auf neuzeitlichen Triumphbögen.172 Dieser Teil der Darstellung bleibt gezwungenermaßen relativ knapp, doch wird hier durchaus aufgezeigt, wie bereichernd das Konzept der Erinnerungsorte sein kann, wenn diese, wie von Robbe gefordert,

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Robbe 2009, 231. Hölkeskamp 2006. 170 Ebd., 264. 171 Ebd., 264f. 172 Ebd., 270-275. 169

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„im Plural“ verstanden werden. So könnte etwa der von Hölkeskamp angeführte Arc de Triomphe du Carrousel, mit Napoleon als Triumphator auf der Quadriga, wiederum als eigenständiger Erinnerungsort gesehen werden, der jedoch ein Ensemble mit den Erinnerungsorten bildet, die sich aus dem antiken Triumph ergeben. Eine Dekonstruktion unserer zeitgenössischen Vorstellungen des antiken Triumphs, die in erster Linie durch Synthesen von sehr unterschiedlichen Quellen zu einem ‚Idealbild‘ eines antiken Triumphs gebildet werden, steht dagegen noch aus. Es ist sicherlich lohnenswert, bestimmte antike Feste wie den Triumph als Erinnerungsorte zu untersuchen und die Deutungsschichten, die sich mit diesen Festen zu verschiedenen Zeiten verbinden, zu dekonstruieren und somit die jeweils unterschiedlichen Erwartungen, Vorstellungen und Urteile einer Gesellschaft freizulegen.173 Dies gelingt dann, wenn die Quellenlage differenzierte Aussagen zu einem bestimmten Fest in verschiedenen Kontexten und Zeiten und somit einen Blick auf die Rezeption des Festes zulässt – wie etwa der Triumph des Caesar und des Pompeius und unsere heutigen Vorstellungen und Rekonstruktionen des antiken Triumphs. Für viele römischen Feste dürfte die Quellenlage jedoch viel zu spärlich sein, als dass diese sinnvoll als Erinnerungsorte gefasst werden könnten. Welche Erkenntnismöglichkeiten bietet nun die zweite Theorie, die aus dem Halbwachs’schen Gedankengut hervorgegangen ist: das ‚kulturelle Gedächtnis‘? Assmann unterscheidet grundlegend zwischen zwei verschiedenen Typen des kollektiven Gedächtnisses, die in zwei unterschiedlichen Modi der Erinnerung funktionieren: das kommunikative und das kulturelle Gedächtnis. Das kommunikative Gedächtnis sind die gemeinsamen Erinnerungen einer Gruppe, die sich in der alltäglichen Kommunikation herausbilden. Diese Form des Gedächtnisses ist an die Träger gebunden und bezieht sich nur auf die unmittelbare Vergangenheit; es funktioniert im Modus der biographischen Erinnerung.174 Das kulturelle Gedächtnis hingegen umfasst die Vorstellungen von einer erinnerten und als absolut verstandenen Vergangenheit, einschließlich einer mythischen Urzeit, die in Erinnerungsfiguren überliefert wird. Der Modus dieses Gedächtnisses ist die „fundierende Erinnerung“, die durch Zeichensysteme getragen wird, die aufgrund ihrer mnemotechnischen Funktion ein langfristiges, überindividuelles Erinnern ermöglichen.175 Insbesondere in schriftlosen Kulturen wird das kulturelle Gedächtnis durch „zeremonielle 173 Ein ähnliches Potenzial wie die Untersuchung des Triumphs könnte auch die Interpretation der Saecularfeier als Erinnerungsort bieten. Hierbei ließen sich die antiken Vorstellungen, die sich mit dem Begriff des saeculum verbinden, dekonstruieren und die jeweiligen Aktualisierungen der Saecularfeier durch die verschiedenen Kaiser untersuchen – ein vielversprechendes Unterfangen, das meines Wissens unter diesem Aspekt bislang noch aussteht. 174 Assmann 1999, 50-52. Assmann geht davon aus, dass das kommunikative Gedächtnis nicht weiter als 80 bis 100 Jahre zurück reicht. Assmann 1991, 21. 175 Assmann 1999, 52. Zwischen diesen beiden Formen des Gedächtnisses besteht eine Lücke, die „floating gap“, die sich mit den Generationen weiter verschiebt. Assmann 1991, 20f.

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Kommunikation“ tradiert – Inszenierungen und rituelle Elemente sowie eine damit verknüpfte „lebendige Trägerschicht“ spielen also eine zentrale Rolle.176 Während das kommunikative Gedächtnis laut Assmann „der Orientierung im Alltag“ dient, liegt die Funktion des kulturellen Gedächtnisses in der „Konstitution und Reproduktion von Gruppenidentität“.177 Es überrascht daher nicht, dass Feste nach Assmann die „Urform des kulturellen Gedächtnisses“ darstellen.178 Feste zeichnen sich durch rituelle Elemente und ein hohes Maß an Inszeniertheit aus, weshalb sie als „Inbegriff zeremonieller Kommunikation“179 verstanden werden können und sich besonders für die Tradierung einer fundierenden Erinnerung eignen. Zugleich ist die persönliche Anwesenheit der Gruppe erforderlich, die somit gemeinsam an der Tradierung des Wissens teilhat, wodurch den Festen zugleich eine identitätsstiftende Funktion zukommt: „Feste und Riten sorgen im Regelmaß ihrer Wiederkehr für die Vermittlung und Weitergabe des identitätssichernden Wissens und damit für die Reproduktion der kulturellen Identität.“180 In den Festen wird die ‚andere Zeit‘, die sinnund identitätsstiftende gemeinschaftliche Erinnerung, vergegenwärtigt und tradiert – Feste gelten damit nach Assmann als zentrale Träger des kulturellen Gedächtnisses. Welche Rolle spielt nun das Konzept des kollektiven Gedächtnisses für die klassische Antike, und wie kann es für die Erforschung römischer Feste nutzbar gemacht werden? Zwar sieht Assmann gerade das Fest als Prototyp des Trägers des kulturellen Gedächtnisses, doch ist es zumindest für die römische Antike häufig schwierig, mögliche kollektive und identitätsstiftende Erinnerungen, die durch Feste tradiert werden könnten, anhand der Quellen zu fassen. Bisherige Untersuchungen zu den jährlich wiederkehrenden Festen haben sich daher entweder in dem Versuch erschöpft, ein konkretes Fest anhand fragmentarischer Hinweise in Quellen aus verschiedensten Zeiten – oder auch nur anhand der Etymologie des Festnamens181 – zu rekonstruieren und daraus auf den vermeintlichen „ursprünglichen Sinn“ dieser Feste zu schließen,182 oder anhand der antiken Aitiologien zu erörtern, warum ein Fest gefeiert wurde, wobei die Aitiologien häufig davon zeugen, dass

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Assmann 1991, 25. Ebd., 22. 178 Ebd., 25. 179 Ebd. 180 Ebd., 57. Vgl. hierzu auch Maurer 2004c, 119-121. 181 Vgl. die Kritik hierzu bei Ulf 1982, 1-24. 182 Vgl. die Kritik hierzu bei Pfeilschifter 2009, 110. Vgl. hier auch die umfassenden Literaturhinweise zu verschiedenen Ausdeutungen der Feste. Scullard 1981 nimmt im Wesentlichen eine Beschreibung der Feste anhand von Quellenfragmenten und etymologischer Hinweise vor. 177

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die antiken Zeitgenossen selbst nicht mehr wussten, weshalb ein Fest gefeiert wurde.183 Dies gilt, wie Pfeilschifter betont, in besonderer Weise für die ludi, die, „falls überhaupt etwas bekannt war, in Reaktion auf einen Sieg, auf ungünstige Prophezeiungen, Dürren oder Seuchen eingerichtet [wurden]. Und, noch wichtiger, selbst diese Anlässe spiegelten sich im Ablauf der Feste nicht wider. Eine rituelle Performanz des Aition fand nicht statt.“184

Ein Gedenken an vergangene Ereignisse spielte also offenbar weder für die Festteilnehmer eine besondere Rolle, noch fand die Erinnerung Ausdruck in spezifischen festlichen Handlungen.185 Für eine umfassende Untersuchung zu den römischen Festen ist die Frage nach den kollektiven Vorstellungen und Erinnerungen, die sich im Fest darstellen, daher nicht immer sinnvoll. Interessanterweise scheint die Situation für das antike Griechenland anders gelagert gewesen zu sein: Die Feste der griechischen Poleis hatten offenbar häufig einen deutlichen Bezug zu kollektiven Gedächtnisinhalten, wie die Erinnerung an eine gewonnene Schlacht oder die Tradierung von Gründungsmythen – es ist daher wohl kein Zufall, dass die meisten Arbeiten zum kulturellen Gedächtnis in der Antike im griechischen Bereich angesiedelt sind.186 Auch wenn das Konzept des kulturellen Gedächtnisses für viele römische Feste schwierig bleibt, so finden sich doch einzelne Beispiele von Festen, die dennoch von der großen Bedeutung von Gedenken und Erinnerung in der römischen Welt zeugen und für welche eine Untersuchung unter dem Aspekt einer Erinnerungskultur lohnenswert ist. So könnten die Feiern der als ‚Geburtstag‘ (dies natalis) bezeichneten Gründungstage von Tempeln auf eine langfristige Erinnerung an die Gründer bzw. die Umstände der Gründung verweisen, da Tempel häufig aus dem Beutegut nach erfolgreichen Kriegszügen gestiftet wurden und somit auch auf den jeweiligen Sieg verweisen, wobei der Stifter zudem in entsprechenden Bauinschriften kommemoriert wurde.187 Diese Tempel fügten sich in die Erinnerungslandschaft der jeweiligen Stadt ein und zumindest in Rom konnte das Gedenken an die früheren siegreichen Feldherren bei Triumphzügen immer wieder neu aktualisiert werden.188 Besonders augenfällig ist die erinnerungsstiftende und -bewahrende Funktion von Festen bei den Leichenzügen der römischen Oberschicht: Hierbei wurde das Andenken an die

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Walter 2006, 46, der als Beispiel das Fest Regifugium anführt. Vgl. auch Pfeilschifter 2009 zu einer ausführlichen Diskussion der Aitiologien zum Fest der Poplifugia. 184 Pfeilschifter 2009, 114. 185 So auch Rüpke 2006b, 100f.: „Für die meisten römischen Feste ist nicht bekannt, daß ein Text oder eine dramatische Aufführung, die die Gründungsumstände zum Gegenstand gehabt hätte, regelmäßig Bestandteil des Rituals gewesen wären. […] Nicht vergessen werden darf [...], daß die explizite Kommemoration weder zentraler Bestandteil des Rituals noch primäres Motiv zur Teilnahme gewesen sein“ muss. 186 Z.B. Beck 2009; Chaniotis 1991; ders. 2012; Wiemer 2009. 187 Rüpke 2006b, 94f.; ders. 2006c, 556f. 188 Hölkeskamp 2006, 264f.

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verstorbenen Vorfahren durch Schauspieler, die die Totenmasken der Ahnen trugen, inszeniert, und deren Bedeutung für die Gemeinschaft betont. Das Gedenken an bedeutende Politiker war damit nicht nur eine Angelegenheit für die Angehörigen des Verstorbenen, sondern gewissermaßen „politisch motiviert“189: Zum einen waren die Leistungen als hervorragende Politiker eng mit der römischen Geschichte verknüpft, zum anderen wurden in den Lobreden die erstrebenswerten Eigenschaften der großen Persönlichkeiten genannt und somit wurde die Gemeinschaft immer wieder neu auf die gemeinsamen Werte eingeschworen.190 „Im Ritual der Leichenfeier begegneten sich also die Erinnerung der aristokratischen Familien, die ‚offizielle‘ Geschichte von Politik und Krieg und das kollektive Gedächtnis des römischen Volkes“191 – die Leichenfeier der späten römischen Republik kann daher als Paradebeispiel für die römische Erinnerungskultur gelten. Bei genauerer Betrachtung muss man allerdings feststellen, dass auch die Leichenfeier mit dem Assmann’schen Konzept des kulturellen Gedächtnisses nicht vollständig kompatibel ist. Zwar kann sie durchaus als ‚zeremonielle Kommunikation‘ erfasst werden und die identitätsstiftende Funktion lässt sich kaum bestreiten, wie dies auch u.a. von Flower deutlich herausgearbeitet wurde. Doch das Gedenken an die verstorbenen Ahnen lässt sich nicht ohne weiteres einer der beiden Assmann’schen Gedächtnisformen zuordnen, sondern weist vielmehr sowohl Elemente des kommunikativen als auch des kulturellen Gedächtnisses auf. Die Erinnerung an das eben erst verstorbene Familienmitglied fand in Form des kommunikativen Gedächtnisses statt, also durch die gemeinsamen Erinnerungen der Familienmitglieder, Freunde, Kollegen und Bekannten. Zugleich zeugen rituelle Handlungen, eine starke Formung der Kommunikation (z.B. die topische Gestaltung der laudatio funebris) und eine wohl eher mythisch verklärte Erinnerung an berühmte Vorfahren von einer ‚fundierenden Erinnerung‘, die Züge des kulturellen Gedächtnisses aufwies. Durch die ununterbrochene Fortführung der Ahnenreihe entfällt interessanterweise die „floating gap“ zwischen den beiden Gedächtnisformen. Das Assmann’sche Modell kann also die Leichenfeier der römischen Oberschicht nicht vollständig erfassen, die in ihrer Form eines als Kontinuum192 – gegebenenfalls bis in eine mythische Urzeit zurückreichenden – konstruierten Gedenkens eine ganz eigene Qualität des Gedenkens und Erinnerns entwickelt hatte.193

189

Flower 2006, 328. Ebd., 327-330. 191 Ebd., 332. 192 Zur Linearität des Gedenkens in der römischen pompa funebris vgl. Flaig 2015, 113, der jedoch auch darauf hinweist, dass die Ahnenreihe selektiv war, und nur die erfolgreichen männlichen Vorfahren repräsentiert wurden. Ebd., 103f. 193 Nicht zuletzt in Bezug auf den Kaiser und seine Familie spielte die Möglichkeit, durch Feste im kollektiven Gedächtnis kommemoriert zu werden, eine zentrale Rolle. Diverse Gedenktage, die im Zusammenhang mit dem Kaiser standen, fanden Eingang in den Festkalender – man kann sagen, die Kaiser schrieben sich regelrecht in den Kalender ein. Rüpke 2006b, 145-153. So wurden etwa die 190

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Dass das eigene Erinnert-werden, das Gedenken an berühmte Vorfahren und die Fortführung von Traditionen in der römischen Welt von großer Bedeutung war, lässt sich kaum bestreiten. Dennoch wäre es verfehlt, die Hauptfunktion römischer Feste in ihrer Erinnerungsfunktion, in der Aktualisierung und Tradierung des kollektiven Gedächtnisses zu sehen. Auch Rüpke meldet Zweifel dabei an, die Funktion von Festen „primär als kognitive, als tradierende zu bestimmen“194, und ordnet die römischen Feste weitaus pragmatischer ein: Die römische Festkultur zeichnete sich nicht zuletzt dadurch aus, dass immer wieder fremde Kulte und Traditionen aufgenommen wurden (z.B. der Magna Mater-Kult) und bestehende Traditionen umgeformt und neugestaltet wurden (z.B. die augusteischen Reformen).195 So wurde beispielsweise das griechische Theaterwesen problemlos in römische Feste integriert, ohne dass hierbei bestimmte Inhalte und Traditionszusammenhänge von besonderem Interesse gewesen wären.196 Das Fest wurde „hier zu einem Medium der Thematisierung und Demonstration sozialer Hierarchien, machtpolitischer Positionierungen und externer Kontakte“,197 und eben nicht primär zu einem Medium der Erinnerungskultur oder des kollektiven Gedächtnisses. Die enge Verknüpfung von Erinnerung und Fest, die sich für das alte Ägypten oder die Geschichte des Judentums durchaus sinnvoll untersuchen lässt, funktioniert bei römischen Festen nur sehr bedingt, was möglicherweise daran liegen mag, dass das „Verhältnis von Text und Ritual […] ganz anders zu formulieren [ist], als es das Assmannsche Modell nahelegt“,198 da sich die römische Identität nicht in dem Maße aus einem abgeschlossenen, textbasierten religiösen System speiste wie dies etwa für das Judentum der Fall ist. Die Erinnerungskultur in römischen Festen bleibt letztlich überraschend vage, auch wenn ein diffuses Gefühl der Bedeutsamkeit und eine Vorstellung von der Macht der Traditionen199 existiert haben mag. In dieser Arbeit soll daher das Hauptaugenmerk weniger auf die im Fest erinnerte Vergangenheit gelegt werden, sondern nach der sozialen Funktion von memoria gefragt werden: Warum war etwa das Totengedenken für die Römer von so großer Bedeutung, und welche Rolle spielte es für die gesellschaftlichen Strukturierungsprozesse?

Geburtstage vieler Kaiser weit über ihren Tod hinaus gefeiert, und der Geburtstag des Augustus findet sich sogar noch im Chronographen von 354 n.Chr. verzeichnet: InscrIt 13,2, 42. 194 Rüpke 2009, 647. 195 Ebd., 661f. Vgl. auch Beard 2003, 277 und grundlegend North 1976 zum Spannungsfeld von Tradition und Neuerungen in der römischen Religion. 196 Rüpke 2009, 656. 197 Ebd. 198 Ebd., 656f. 199 Zur Bedeutung von Traditionen vgl. Hobsbawm/Ranger 2012.

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4. Fest und Alltag „Das Fest ist der Ort des Anderen. Das ‚Andere‘ ist dabei verstanden als das Andere des Alltags, der Inbegriff all dessen, was eine Kultur im Interesse ihres alltäglichen Funktionierens ausblenden muß.“ 200

Viele Festdefinitionen nähern sich dem Festbegriff wie Assmann hier ex negativo, indem sie das Fest als Nicht-Alltag erfassen, womit zunächst einmal ganz banal die Freiheit von Arbeit gemeint ist.201 Assmann versucht, Fest und Alltag grundlegend phänomenologisch zu erfassen, indem er die „metahistorische[n] und metakulturelle[n] Merkmale des Alltäglichen“202 sowie von Festen herausarbeitet. Alltag zeichnet sich laut Assmann durch die drei Charakteristika „Kontingenz“, „Knappheit“ und „Routine“ aus: Die Kontingenz des Alltags zeige sich darin, dass dem Alltag keine tieferen sinnstiftenden Muster innewohnen – der Alltag sei vielmehr zufällig, ungeformt und nicht-inszeniert. Die Knappheit des Alltags äußert sich nach Assmann in einem Mangel sowohl an Sinn als auch an ökonomischen Mitteln, was zu einem „Zwang zu Arbeit und Arbeitsteilung, d.h. zum Handeln in engumschriebenen Handlungshorizonten“ führe. Dieses „Handeln in engumschriebenen Handlungshorizonten“ gehe Hand in Hand mit einer „Automatisierung, Habitualisierung und Banalität“ des Alltags, die Assmann unter dem dritten Begriff, „Routine“, fasst.203 Feste dagegen zeichnen sich laut Assmann erstens durch Inszenierung und Ordnung, zweitens durch Fülle und drittens durch Besinnung sowie Efferveszenz204 aus. In ihrer Inszeniertheit und Geordnetheit heben sie sich ästhetisch von der Kontingenz des Alltags ab, die Fülle steht der Knappheit des Alltags gegenüber und Besinnung und Efferveszenz durchbrechen die Routinehaftigkeit und Banalität des Alltags.205 Feste sind damit nicht nur als Gegenpol zum Alltag zu verstehen, sondern beziehen sich unmittelbar auf ihn. Indem sie das routinierte, kontingente und, so doch nicht absolut sinnlose, aber doch von einem Mangel an Sinnhaftigkeit ausgezeichnete Alltagsleben durchbrechen und sinnhaft aufladen, schaffen Feste eine „Transzendierung des Alltags“.206 Dieser Gedanke, dass Feste den Alltag transzendieren und ihnen somit eine sinnstiftende Funktion zukommt, ist an sich nicht neu, sondern findet sich in verschiedenen Festtheorien, die jedoch zu äußerst unterschiedlichen Schlüssen kommen. Gebhardt teilt die Vertreter je nach ihrem gedanklichen Ansatz, wie sie sich mit Fest und Alltag beschäftigen, in vier Gruppen ein. Die erste Gruppe, als deren wichtigste Vertreter Sigmund Freud, Émile Durkheim und Roger Caillois zu nennen sind, sieht das Fest als Exzess, durch welchen für

200

Assmann 1991, 13. Maurer 2004a, 23. 202 Assmann 1991, 14. 203 Ebd., 14f. 204 Er versteht unter Efferveszenz wohl den von Durkheim geprägten Gedanken einer im Fest stattfindenden rauschhaften Erregung. 205 Ebd., 15f. 206 Ebd., 17. 201

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eine bestimmte Zeit der Alltag aufgehoben wird. Das Fest dient hiermit gewissermaßen als Ventil für den Druck, den der Mensch in der Knappheit und mangelnden Sinnhaftigkeit des Alltags aufgebaut hat.207 Der zweite, religionswissenschaftlich geprägte Ansatz betont dagegen, dass Feste gerade nicht zum Vergessen des Alltags sondern zu einer intensiven Vergegenwärtigung desselben führen, indem das Fest der Besinnung auf das Wesentliche diene.208 Sowohl Josef Pieper als auch Karl Kerényi, die Gebhardt beide dieser zweiten Gruppe zuordnet, sehen den eigentlichen Sinn von Festen in der Kontemplation. Pieper betont, dass durch ein „Bedenken des Daseinsgrundes“ im Fest das Leben als sinnhaft erfahren werden kann und somit eine grundsätzliche Zustimmung zum Leben ermöglicht wird.209 Im Gegensatz zum exzesshaften Charakter von Festen, wie er von Freud, Durkheim und Caillois betont wird, stellt Kerényi gerade die Ruhe als Merkmal des Festes „im Gegensatz zur Unruhe des geschäftigen Alltags“ in den Vordergrund, „eine Ruhe, welche Lebensintensität und Kontemplation in sich vereinigt“.210 In der dritten Gruppe, als deren Vertreter Gebhardt die protestantischen Theologen Gerhard Martin und Harvey Cox anführt, mischt sich ein deutlicher sozialkritischer Ton in die Interpretation von Festen. Indem Feste der „Aufhebung und Umkehrung der sozialen Ungerechtigkeiten alltäglicher Ordnungen“ dienen, könne das Leben „in Richtung auf eine gerechte und glückliche Welt“ aufgewertet werden. Der negativ besetzte Alltag solle ultimativ zugunsten eines „festlichen Alltags“ aufgehoben und eine Trennung von Alltag und Fest somit hinfällig werden.211 Die Vertreter der vierten Gruppe, zu denen Horkheimer und Adorno zählen, entwickelten die Festtheorie in einer politisch-kulturkritischen Ausrichtung weiter und bewerten, anders als die Vertreter der dritten Gruppe, nicht den Alltag sondern das Fest negativ: Denn die Feste der modernen, kapitalistischen Gesellschaften würden als „Herrschaftsinstrument der politisch und ökonomisch Mächtigen“ missbraucht. Daran schließt sich die Forderung entweder nach einer Abschaffung oder einer Umgestaltung von Festen zum „Ort freier Selbstbestimmung und Bedürfnisverwirklichung“ an.212 Vergleicht man diese vier Ansätze miteinander, ist es auf den ersten Blick verblüffend, wie unterschiedlich die Interpretationen der Funktion von Festen jeweils ausfallen, ohne dass eine der Theorien grundsätzlich unplausibel erscheint. Tatsächlich finden sich für 207

Gebhardt 1987, 37-39. Vgl. auch Teil 1, Kapitel 1.6. Homann 2004, 108. Assmann 1991, 17 betont, dass sich diese beiden Ansätze nicht ausschließen, sondern er sieht Besinnung und Exzess als zwei Seiten des Festes, als „zwei Gesichter des ‚Anderen‘“. 209 Pieper 1963, 35 und 50f. 210 Kerényi 1938/40, 73. 211 Gebhardt 1987, 42f. 212 Ebd., 43f. 208

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jeden der vier Ansätze Feste, die die jeweilige Theorie belegen, doch stellt Gebhardt zu Recht fest, dass sich jede Gruppe eben genau derjenigen spezifischen Beispiele bedient, „um an ihnen das ‚wahre‘ Wesen des Festes zu demonstrieren“.213 Das Problem liegt daher weniger in den unterschiedlichen Ausdeutungen von Festen, als in den grundverschiedenen Erscheinungsformen von Festen, was Gebhardt zur Frage veranlasst, ob sich „die Mannigfaltigkeit festlicher Erscheinungsformen […] überhaupt unter einen allgemeinen Begriff – den des Festes – subsumieren läßt“214 – womit wir wieder am Ausgangspunkt der Überlegungen zu Festen am Beginn dieses Kapitels angekommen wären. Gebhardt löst dieses Problem, indem er die verschiedenen Komponenten, die im Fest enthalten sind, trennt, und idealtypisch zwischen Fest und Feier unterscheidet: „Feste und Feiern sollen uns jene Vergemeinschaftungs- und Vergesellschaftungsformen heißen, die, durch ihre Beziehung auf etwas als außeralltäglich Gedachtes, der individuellen wie kollektiven Bewältigung des Alltags dienen und zwar auf qualitativ unterschiedliche Art und Weise. Das Fest hilft, den Alltag zu bewältigen, indem es ihn aufhebt. Die Feier hilft, den Alltag zu bewältigen, indem sie ihn bewußt macht, d.h. ihn als ein sinnvolles Geschehen ins Bewußtsein hebt.“ 215

Gebhardt unterscheidet nicht nur zwischen der Funktion von Fest und Feier, sondern schreibt beiden Idealtypen auch unterschiedliche Charakteristika zu. Feste seien demnach spontan und ungeplant und sie zeichnen sich durch Ekstase aus, was sich etwa durch den Konsum von berauschenden Mitteln und in wilden Tänzen äußern kann. Doch auch weniger ausufernde Verhaltensweisen wie „Ausgelassenheit“, „ein Moment des Überdrehtseins“ oder „ansonsten unerlaubte körperliche Nähe und Berührung“ enthalten laut Gebhardt „den Charakter des Ekstatischen“.216 Des Weiteren seien Feste geprägt durch Helligkeit – durch Licht und helle Farben – sowie durch „eine Atmosphäre des Leichten, Lockeren und Gelösten“.217 Zu diesem gelösten Charakter des Festes gehört laut Gebhardt auch, dass Verstöße gegen die soziale Ordnung erlaubt sind und es sogar zeitweise zu ihrer Aufhebung kommen kann.218 Karnevaleske Phänomene rechnet Gebhardt damit eindeutig dem Typus Fest zu. Die Feier dagegen ist laut Gebhardt genau organisiert und zeichnet sich durch „Ruhe, Kontemplation, Besinnung und Nachdenklichkeit“ aus.219 Gebhardt charakterisiert die Feier durch eine bedeutsame, andachtsvolle Atmosphäre, die durch ernste, gediegene Musik, langsame Bewegungen (Schreiten) und „dunkle satte Farben“ untermalt wird.220 Wichtig sind im Gegensatz zum rauschhaften, ungeplanten Fest „das gesprochene Wort,

213

Ebd., 44. Ebd., 45. 215 Ebd., 53. 216 Ebd., 54f. 217 Ebd., 56. 218 Ebd., 56-58. 219 Ebd., 63. 220 Ebd., 63-69. 214

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Symbole und symbolische Akte, musikalische Umrahmung, feierliche Kleidung und stilisierte Bewegungen und Bewegungsabläufe“.221 Indem die Feier die Werte und Traditionen einer Gesellschaft betont und bewusst macht, wird die soziale Ordnung in ihr nicht aufgehoben wie im Fest, sondern bestätigt, wenn nicht sogar feierlich überhöht.222 Inwiefern trägt diese Konstruktion der beiden Idealtypen ‚Fest‘ und ‚Feier‘ für eine Erfassung des Festwesens? Zunächst fällt auf, dass die von Gebhardt vorgenommene Dichotomie und die den Begriffen zugeschriebene Charakterisierung rein begrifflich nicht von vornherein naheliegt. Pieper verstand das Fest noch umgekehrt als „etwas in höherem Grade Institutionelles als die Feier“, dem ein „Charakter des Öffentlichen“ eher zukomme, „während man auch im ‚kleinen Kreise‘ feiern“ könne223 – was davon zeugt, dass diese beiden Begriffe im deutschen Sprachgebrauch nicht implizit in der von Gebhardt vorgeschlagenen Weise verwendet werden. Darüber hinaus würde man auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, die drei Konzepte Fest, Feier und Alltag in andere Sprachen zu übertragen. Die englischen Begriffe für Fest und Feier, etwa feast, festival, party, celebration, sind jeweils unterschiedlich konnotiert und lassen sich kaum auf die strenge Dichotomie Fest vs. Feier übertragen.224 Auch die englischen Begriffe daily routine oder everyday life scheinen weitaus weniger stark konzeptualisiert zu sein als der deutsche Begriff ‚Alltag‘. Der unbestrittene Vorteil des Gebhardt’schen Ansatzes liegt sicherlich darin, dass er das Problem löst, wie man sehr unterschiedliche Ausprägungen unter den Begriffen Fest/Feier fassen kann, indem er von zwei verschiedenen Idealtypen ausgeht und diese überzeugend systematisch aufschlüsselt. Wie Gebhardt in seiner Studie zeigt, können die Feste und Feiern der Moderne anhand seines Modells sehr plausibel erfasst und analysiert werden. So hat die idealtypische Trennung in Fest und Feier mittlerweile weitgehend Eingang in die deutschsprachige Literatur zu Festen gefunden und wird nicht zuletzt in diversen Nachschlagewerken rezipiert.225 Kann eine idealtypische Unterscheidung von Fest und Feier aber auch einen Erkenntnisgewinn für die Untersuchung antiker Feste bringen, bzw. kann die Unterscheidung von

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Ebd., 65. Ebd., 69. 223 Pieper 1963, 135, Anm. 7. 224 Daher fügt Chamberland in seiner Rezension von Benoist 1999 erklärend hinzu, der französische Begriff fête „comprises at once the notions of ‚celebration‘ and ‚festival‘/‚feast‘/‚holiday‘“. Chamberland 2002, 407. 225 So nicht nur im Wörterbuch der Soziologie, Hillmann 2007, 224, sondern auch im Reallexikon für Antike und Christentum, Klauser 1969, 747. Auch Stollberg-Rilinger sieht in ihrem Einführungswerk zu Ritualen das Fest als „Gegenbegriff zu Alltag“ und die Feier als „strenger strukturierte Form des Festes“, ohne jedoch auf die Problematik des Alltagsbegriffs für verschiedene historische Epochen einzugehen. Stollberg-Rilinger 2013, 15. 222

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Fest und Feier mit den von Gebhardt herausgearbeiteten Charakteristika überhaupt auf die Antike übertragen werden? Auf den ersten Blick mögen der Bacchus-Kult oder die Saturnalien tatsächlich als fast perfekte Realisierung des Gebhardt’schen Idealtypus ‚Fest‘ erscheinen.226 Bei einer näheren Betrachtung fällt jedoch auf, dass zumindest die von Gebhardt zitierte Livius-Passage227 über die Bacchanalien weit entfernt ist von der durch Helligkeit, Licht und Leichtigkeit geprägten Atmosphäre des Gebhardt’schen Festes. Hier werden nächtliche Ausschweifungen eines Mysterienkultes beschrieben, die äußerst negativ bewertet werden: Jeglicher Sinn für Scham sei dabei aufgehoben worden (discrimen omne pudoris exstinxissent), es sei nicht nur zu Entehrungen jeder Art (corruptelae primum omnis generis fieri coeptae) und Unzucht (promiscua), sondern sogar zu Verbrechen, wie falschen Zeugnissen (falsi testes, falsa signa testamentaque) und heimlichen Mordtaten (clandestinaeque caedes) gekommen, wobei die Leichen offenbar verschwanden (ita ut ne corpora quidem interdum ad sepulturam exstarent).228 Die Dunkelheit der Nacht habe dabei diese Zügellosigkeit (noctis licentia accesserit) und sexuellen Ausschweifungen ermöglicht, die einen dezidiert grausamen Charakter erhalten. Wer sich weigerte, sich entehren zu lassen, wurde anstelle eines Opfertiers geschlachtet (Si qui minus patientes dedecoris sint et pigriores ad facinus, pro victimis immolari).229 Zwar sei es zu ekstatischen Handlungen gekommen: Männer traten als Wahrsager auf, wobei sie wie von Sinnen ihren Körper hin- und herwarfen (Viros velut mente capta cum iactatione fanatica corporis vaticinari) und Matronen liefen als Bacchantinnen gekleidet mit gelöstem Haar zum Tiber, tauchten brennende Fackeln in das Wasser, und zogen sie brennend wieder heraus (matronas Baccharum habitu crinibus sparsis cum ardentibus facibus decurrere ad Tiberim demissasque in aquam faces, quia vivum sulpur cum calce insit, integra flamma efferre).230 Von einer lebensbejahenden, gelösten, freudigen Festatmosphäre in hellem Licht findet sich hier jedoch keine Spur.231 Der moralische Unterton bei Livius ist nicht zu verkennen, und die exzessiven, orgiastischen Handlungen des Mysterienkultes werden in dieser Passage sicherlich nicht zufällig als krasses Gegenstück zur römischen mos maiorum gezeichnet. Das Livius’sche Bild der Bacchanalien muss also äußerst kritisch betrachtet werden und es scheint eher einem speziellen Diskurs in der römischen Geschichtsschreibung zu entspringen, als tatsächlichen

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Sie werden auch von Gebhardt als Beispiele angeführt. Gebhardt 1987, 57f. Liv. 39, 8-19. 228 Ebd., 6-8. 229 Ebd., 13, 10f. 230 Ebd., 12. 231 Eine Untersuchung zu den Emotionen und Assoziationen, die mit Beschreibungen und Bildern der antiken Mysterienkulte verbunden sind, wäre sicherlich interessant. Die Livius-Passage sowie die Bilder in der Villa dei Misteri legen dunkle Farben und eine geheimnisvolle, nächtliche Atmosphäre nahe, die so gar nicht dem Charakter des Gebhardt’schen Festes entsprechen will. 227

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historischen Sachverhalten.232 Die Bacchanalien können daher kaum als historischer Beleg für den Idealtypus ‚Fest‘ herangezogen werden. Weitaus lohnender wäre dagegen die Frage, in welcher Form moderne Vorstellungen von exzesshaften, orgiastischen Festen in unseren zeitgenössischen Beschreibungen antiker Feste transportiert werden und warum sich die Antike als Folie für derartige Projektionen immer wieder eignet – ein Ansatz, der das Potenzial der Erinnerungsorte aufgreift.233 Noch schwieriger ist es, den Typus ‚Feier‘ anhand von antiken Beispielen in der römischen Festkultur zu verorten. Die von Gebhardt angeführten Beispiele stammen fast ausschließlich aus der Neuzeit und seine Vorstellung eines Idealtypus ‚Feier‘ scheint stark von den Nationalfeiern des 19. Jahrhunderts geprägt zu sein. Für die Antike lassen sich Elemente der Feier allenfalls bei Veranstaltungen fassen, die eines historischen Ereignisses gedachten, wie bei Jahrestagen eines Sieges, bei einem Triumph oder beim Geburtstag des Herrschers. Doch entweder wissen wir zu wenig über die tatsächliche Ausgestaltung der Feiern, um in ihnen die von Gebhardt gezeichnete feierliche, getragene Atmosphäre festmachen zu können – so, wenn zum Beispiel in den Kalendern der Jahrestag eines Sieges verzeichnet ist, ohne dass weitere festliche Handlungen genannt werden234 –, oder festliche und feierliche Elemente sind so stark vermischt, dass es schon wieder schwierig ist, das Ereignis einem der beiden Idealtypen zuzuschreiben, wie beim römischen Triumph. Es bleibt daher fraglich, ob eine Trennung in die Idealtypen ‚Fest‘ und ‚Feier‘ für die Antike großen Erkenntniswert verspricht. Ganz abgesehen davon, ob man die antiken Feste oder deren Elemente phänomenologisch einem der beiden Typen Fest und Feier zuordnen kann, ist auch eine Übertragung der von Gebhardt herausgearbeiteten Funktionen von Festen und Feiern nicht ganz unproblematisch. Gebhardt selbst betont, dass er, wenn er Festen und Feiern eine sinnstiftende Funktion zuschreibt, von einem Typus des „innengeleiteten Menschen“ ausgeht, „eines Typus Mensch also, der sein Leben mit Bewußtsein begleitet und in eigener Verantwortlichkeit führt“, und er fügt einschränkend hinzu, dass dieser Typus „in der Reformation geboren“

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Zwar ist mit dem Senatus Consultum de Bacchanalibus (CIL 1, 581) ein Zeugnis dafür überliefert, dass Einschränkungen des Bacchus-Kultes durch den römischen Senat beschlossen wurden, doch ist der Hintergrund dieser Beschlüsse nach wie vor umstritten. Die Beschlüsse selbst sind bezüglich des Bacchus-Kultes sehr vage und Gründe für die beschlossenen Einschränkungen werden keine genannt. Zu einer Neubewertung der Bacchanalien bei Livius als historiographischer Diskurs vgl. CancikLindemaier 1996. Vgl. auch die Diskussion dieser Passage in North 2003. 233 Sehr gelungen demonstrierte diesen Ansatz die Ausstellung „Decadence, Apocalypse, Resurrection. The Last Days of Pompeii“, die 2012/13 in der Getty Villa in Los Angeles stattfand. Unter den drei Schlagwörtern „Decadence“, „Apocalypse“ und „Resurrection“ wurde weniger die antike Naturkatastrophe als vielmehr ihre Rezeption bis in die moderne Kunst und zeitgenössischen Medien beleuchtet. Vgl. hierzu den Katalog Gardner Coates/Lapatin/Seydl 2012. Zu den Möglichkeiten und Grenzen des Konzepts der Erinnerungsorte vgl. Teil 1, Kapitel 1.3. 234 Vgl. z.B. den Eintrag: n(efas) p(iaculum) ex s(enatus) c(onsulto) Imp(eratoris) Caesaris h(onoris) c(ausa) / quod eo die vicit Actium in den Fasti der Arvalbruderschaft, CIL 6, 2295.

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wurde – die Untersuchung der Funktionen von Festen und Feiern für den Menschen ist bei Gebhardt demnach nicht metahistorisch angelegt, und die Wertgebundenheit der Gebhardt’schen Studie verortet diese auch dezidiert in der modernen Gesellschaft.235 Wenn also die idealtypische Unterscheidung von Fest und Feier für die Antike nur bedingt praktikabel ist, so bleibt doch die Frage, inwieweit die Dichotomie Fest-Alltag, von der auch Assmann ausgeht, als wesentliches Charakteristikum von Festen zu sehen ist. Können Feste schlicht und ergreifend als ‚Nicht-Alltag‘ definiert werden? Eine solche Definition mag zwar auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen, ist aber durchaus nicht unproblematisch. Zum einen umfasst eine Definition, die sich ausschließlich auf diesen Aspekt beschränkt, viel zu viele Phänomene, die nur schwerlich als ‚Fest‘ gelten können: Marquard etwa folgt diesem Ansatz und stellt auf den ersten Blick überraschende Parallelen zwischen Krieg und Fest her, die er beide jeweils als „Moratorium des Alltags“ bezeichnet. Krieg ist für ihn ein „totales Fest“, eine Folgeerscheinung einer Gesellschaft, die keine ‚echten‘ Feste mehr feiern kann und die durch kriegerisches Handeln ihrem Grundbedürfnis nach Distanz zum Alltag nachkommt.236 Die Parallelen von Fest und Krieg mögen zwar ein durchaus reizvolles Gedankenspiel sein, doch eignet sich ein solch weiter Festbegriff kaum für eine historische Untersuchung. Zum anderen geht die Definition von Fest als Nicht-Alltag von einem sehr modernen Verständnis von Alltag und Arbeit aus, was Hand in Hand mit einer allgemeinen Kulturkritik an der modernen Gesellschaft geht, der gerne eine ‚Verfestlichung des Alltags‘ oder eine ‚Veralltäglichung des Festes‘ attestiert wird. Dies wurde wahlweise negativ bewertet, da dadurch „sowohl Fest als auch Alltag in der Moderne latent gestört“ seien,237 in den 1960er und 70er Jahren teils aber auch positiv als revolutionärer Akt hin zu einer Gesellschaft gesehen, die eine kapitalistische Ordnung und damit eine Aufspaltung in Alltag und Fest überwinden könne.238 Für die Antike sind derartige Ansätze selbstverständlich nicht brauchbar. Gebhardt und Assmann gehen freilich über dieses sehr schlichte Verständnis von Fest als Nicht-Alltag hinaus, indem sie Fest und Alltag weitaus umfassender verstehen und dem Fest eine sinnstiftende Funktion für den Alltag zusprechen. Kann eine weit gefasste Di-

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Vgl. das Kapitel „Über die Wertgebundenheit des Themas“. Gebhardt 1987, 18-20. Marquard 1989, 686-689. Zur Kritik an Marquard vgl. Maurer 1991, 105. Auch Caillois zieht Parallelen zwischen Krieg und Fest: „Beide leiten eine Periode starker Vergesellschaftung, völliger Zusammenlegung von Hilfsmitteln und Kräften ein; sie unterbrechen die Zeit, in der die Menschen einzeln in vielen unterschiedlichen Bereichen tätig waren.“ Auch Elemente wie Exzess, Verstoß und Vergeudung treffen laut Caillois für beide Phänomene zu. Caillois 1988, 220-226, Zitat 221. 237 Deile 2004, 7. Auch Gebhardt bescheinigt der modernen Welt eine „Entleerung“ der Festkultur und sieht den „Bedeutungsverlust der Feste und Feiern“ als „Ausdruck und Symptom der vielen sozialen und kulturellen Mißstände und Schwierigkeiten, in die wir uns heute hineingestellt finden“. Daher will er mit seiner explizit als „wertgebunden“ bezeichneten Studie für eine Aufwertung der Feste und Feiern in der Gesellschaft plädieren. Gebhardt 1987, 11 und 16. 238 Gebhardt 1987, 12f. mit zahlreichen weiteren Verweisen. 236

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chotomie Fest-Alltag tatsächlich als anthropologische Grundkonstante verstanden und sinnvoll auf die Antike übertragen werden? Zwar findet sich auch in der Antike der Gedanke, dass an einem Festtag auf Geschäfte (insbesondere auf Rechtsgeschäfte) verzichtet werden muss,239 doch wird dieser Ansatz spätestens dann problematisch, wenn man festzumachen versucht, was genau in der Antike unter ‚Alltag‘ zu verstehen ist. Abgesehen davon, dass eine Definition von Fest als Nicht-Arbeit für eine Sklavenhaltergesellschaft problematisch ist,240 weist Rüpke für die römische Antike zu Recht darauf hin, dass die Klassifikation eines Tages als feriae nicht unbedingt eine Unterbrechung des Alltags bedeuten musste, und somit eine Reduzierung auf die Dichotomie von Fest versus Alltag nicht sinnvoll ist.241 Nicht zuletzt aus der Tatsache, dass die einen Großteil mancher Monate einnehmenden Spiele durchaus ‚Alltagsqualität‘ haben konnten, wird deutlich, dass dieser Ansatz viel zu kurz greift. Noch grundsätzlicher gilt es zu bedenken, dass ‚Alltag‘ selbst ein soziologisches Konstrukt ist,242 das per se nur bedingt auf die Antike – oder auf andere Epochen243 – übertragen werden kann. Letztlich muss auch Assmanns oben dargestellter Versuch, Fest und Alltag „metahistorische und metakulturelle Merkmale“ zu attestieren,244 kritisch beleuchtet werden. Um eine solche Aussage zu belegen, müssten sich diese Merkmale als anthropologische Konstanten in unterschiedlichen Gesellschaften belegen lassen. Es dürfte jedoch nicht immer einfach sein, auf einer subjektiven Wahrnehmung basierende Charakteristika wie „Kontingenz“ und „Efferveszenz“ historisch nachzuweisen: Inwiefern wurde der ‚Alltag‘ in Rom als ‚kontingent‘, ein Fest dagegen als ‚sinnhaft‘ oder ‚rauschhaft‘ erlebt? Auch die Zuweisung von „Routine“ zum Alltag und „Inszeniertheit“ zum Fest ist zumindest für die römische Antike problematisch: So hatten einige römische Feste einen überaus routinehaften Charakter – wenn man etwa die standardmäßig durchgeführten rituellen Handlungen, die in den Akten der Arvalbruderschaft zu verschiedenen Anlässen festgehalten sind,245 betrachtet –, während sich alltägliche Handlungen, wie die morgendliche salutatio, durch ein hohes Maß an Inszeniertheit auszeichnen konnten. Es bleibt also fest-

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Rüpke 2006b, 51-54, 59f. Maurer 2004a, 24. 241 Rüpke 1995, 513-515. Zudem betont Rüpke den Pragmatismus, der hinter vielen religiösen Einschränkungen stand: Eine Charakterisierung eines Tages als feriae bedeutete primär ein Verbot von Gerichtsstreitigkeiten, doch musste dies nicht bedeuten, dass auch bäuerliche Arbeiten ruhen mussten. Rüpke 2009, 648f. 242 Homann 2004, 105f. mit Bezug auf Max Weber. 243 Auch Beck und Wiemer melden diesbezüglich begründete Zweifel an, vgl. Beck/Wiemer 2009, 22. Rüpke verortet den Gegensatz Fest-Alltag zwar im philosophisch-anthropologischen und nicht im soziologischen Bereich, betont aber ebenfalls, dass dieser Ansatz für „eine europäische Religionsgeschichte […] nicht hilfreich“ ist. Rüpke 2009, 648. 244 Assmann 1991, 14. 245 Scheid 1990 und 1998. 240

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zuhalten, dass eine Unterscheidung in Fest und Alltag als Schlüssel für eine Definition von ‚Fest‘ für die Antike letztlich nicht geeignet ist.

5. Das Fest als Übergangsritus (rite de passage) „In jeder Gesellschaft besteht das Leben eines Individuums darin, nacheinander von einer Altersstufe zur nächsten und von einer Tätigkeit zur anderen überzuwechseln. […] Jede Veränderung im Leben eines Individuums erfordert teils profane, teils sakrale Aktionen und Reaktionen, die reglementiert und überwacht werden müssen, damit die Gesellschaft als Ganzes weder in Konflikt gerät, noch Schaden nimmt.“246

Nimmt man Feste in den Blick, die Momente im Leben des einzelnen Menschen begleiten, so stößt man unweigerlich auf den französischen Ethnologen Arnold van Gennep und sein 1909 erstmals erschienenes Hauptwerk zu den rites de passage, den Übergangsriten. Wie in der eingangs zitierten Passage anklingt, geht van Gennep davon aus, dass der Mensch im Laufe seines Lebens verschiedenen Gruppen angehört und dass der Wechsel von einer Gruppe in eine andere jeweils von Ritualen begleitet werden muss. Zwischen welchen Gruppen gewechselt wird, kann je nach Gesellschaft und Situation äußerst unterschiedlich sein: Van Gennep nennt etwa Beispiele für den Wechsel in eine neue Altersgruppe (z.B. den Eintritt in die Gruppe der Erwachsenen) und in eine neue soziale Gruppe (z.B. die Aufnahme in eine neue Familie durch Heirat). Er geht jedoch auch davon aus, dass die universalen Trennlinien zwischen Männern und Frauen, zwischen der profanen und der sakralen Sphäre und zwischen der Welt der Lebenden und der „vorgeburtliche[n] und nachtodliche[n] Welt“ für alle Gesellschaften bestehen.247 Der Wechsel in eine neue Gruppe ist dabei sowohl für den Einzelnen als auch für die Gemeinschaft potenziell belastend und konfliktträchtig, weshalb der Übergang durch rituelle Handlungen begleitet wird, deren Ziel es ist, „[d]as Individuum aus einer genau definierten Situation in eine andere, ebenso genau definierte hinüberzuführen.“248 Im Übrigen können auch „besondere und vorübergehende Ereignisse wie Schwangerschaft, Krankheiten, Gefahren, Reisen usw.“ Momente der Krise darstellen, die dann ebenfalls von Übergangsriten begleitet werden.249 In seiner Analyse der rites de passage deckt van Gennep strukturelle Ähnlichkeiten in den Ritualen in unterschiedlichen Kulturen auf und gliedert die Übergangsriten in drei Phasen: die „Ablösungsphase“, die durch „Trennungsriten“ begleitet wird, die „Zwischenphase“, die sich durch „Schwellen- bzw. Umwandlungsriten“ auszeichnet, und die „Integrations-

246

van Gennep 1986, 15. Ebd., 181. 248 Ebd., 15. 249 Ebd., 181f. 247

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phase“, bei der das Individuum durch „Angliederungsriten“ wieder in die Gemeinschaft aufgenommen wird.250 Van Genneps Arbeit zeichnet sich im Gegensatz zu Untersuchungen seiner Zeitgenossen durch einen strukturalistisch anmutenden Ansatz aus, mit welchem er seiner Zeit weit voraus war.251 Er stellt zwar Ähnlichkeiten in der Funktion der Riten fest, konstatiert aber dennoch, dass es große Unterschiede in der jeweiligen Form der festlichen Handlungen gibt und räumt ein, dass die Riten auf sehr verschiedene Weise interpretiert werden können.252 Zudem formuliert er keinen Ausschließlichkeitsanspruch der Deutungsmacht der Übergangsrituale, sondern betont, dass teils nur wenige Elemente der Riten tatsächlich realisiert werden und allen Zeremonien darüber hinaus noch weitere Bedeutungsebenen zukommen, und schließt beispielsweise eine gleichzeitige Interpretation als Fruchtbarkeits-, Schutz- oder Abwehrriten nicht aus.253 Es mag auch dieser differenzierten Betrachtungsweise zu verdanken sein, dass van Genneps Theorie bis heute rezipiert und anerkannt wird. So findet sich nicht zufällig im Artikel zu den antiken Hochzeitsriten in „Der Neue Pauly“ ein idealisiertes Schema, das die Hochzeit im Athen des 5. Jhs. v. Chr. als Übergangsritual deutet. Die Einteilung der Phasen wird hierbei auf verschiedenen Ebenen vorgenommen: Zum einen können die Lebensabschnitte der Frau auf einer Makroebene als Übergangsritual gesehen werden – die Trennung von der Zeit der Kindheit und Jugend erfolgt mit Beginn der Verlobungszeit, zwischen Verlobung und Brautzeit erfolgt die Übergangsphase, und mit Ende der Brautzeit wird die Frau in den neuen Lebensabschnitt als Ehefrau eingegliedert. Die einzelnen Phasen Verlobung, Hochzeit, und schließlich die Geburt des ersten Kindes können wiederum in sich als Übergangsriten gedeutet werden. Dies wird am Beispiel der Hochzeitszeremonie exemplarisch in einem ausführlichen Schema aufgezeigt, wobei die drei Phasen Trennung, Übergang und Angliederung jeweils auf zeitlicher und räumlicher Ebene dargestellt werden.254 Auch bei den überlieferten Bräuchen zur römischen Hochzeitsfeier finden sich Elemente, die sich durchaus plausibel als Übergangsrituale fassen lassen. Dass die Braut am Tag vor der Hochzeit ihre Mädchenkleidung ablegte und sie zusammen mit ihren Spielsachen den

250

Ebd., 21. Myerhoff betont, dass er sich deutlich von der ethnozentrischen Sichtweise der viktorianischen Anthropologie absetzte, und stellt ferner fest: „Though van Gennep was concerned with classification of social categories, he was strikingly modern in his respect for context and his interest in process and change. Like modern structuralists, he recognized that a distinction is most easily made by citing its opposite, that is, by binary opposition.” Myerhoff 1982, 116. Indem er die Übergänge auch räumlich verstand und Parallelen zwischen den sozialen und räumlichen Vorgängen (z.B. Übertreten einer Schwelle) sah, nahm van Gennep auch Elemente des performative und spatial turn vorweg. Vgl. van Gennep 1986, 184 und Bachmann-Medick 2010, insbes. 115-117. 252 van Gennep 1986, 19f. und 181. 253 Ebd., 22 und 184. 254 Haase 1998. 251

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Göttern weihte,255 lässt sich plausibel als Trennungsritus interpretieren, die Überführung der Braut in das Haus des Bräutigams in Form einer pompa stellt sicherlich einen Schwellenritus dar,256 und der Empfang von Verwandten am Tag nach der Hochzeit, bei dem die Braut erstmals als Matrone auftrat, kann als Angliederungsritus gedeutet werden.257 Allerdings muss berücksichtigt werden, dass ein ‚typisches‘ römisches Hochzeitsfest nicht ganz so eindeutig rekonstruiert werden kann, wie dies bei der Lektüre allgemeiner Beschreibungen der römischen Hochzeit wie etwa bei Marquardt zunächst erscheinen mag. Die Quellenpassagen, aus denen sich Informationen zum römischen Hochzeitsfest gewinnen lassen, entstammen verschiedenen Textgattungen aus unterschiedlichsten Jahrhunderten, und es ist problematisch, sie losgelöst von ihrem jeweiligen Kontext als einen quasi zeitlosen Beleg für einen ‚Prototyp‘ der römischen Hochzeit heranzuziehen. So weist Hersch zu Recht darauf hin, dass eine Zusammenstellung „der“ römischen Hochzeitsfeier als „Amalgam“ der unterschiedlichen Quellenpassagen letztlich nur „unsere eigene Schöpfung“ darstellen würde, die mit einer tatsächlichen Feier nicht viel zu tun hätte.258 Doch zurück zu van Gennep: An diesen Beispielen wird bereits deutlich, dass die Passageriten zwar primär die Übergänge eines Individuums betreffen, aber dennoch nicht losgelöst von der jeweiligen Gesellschaft betrachtet werden können – ganz im Gegenteil: Es geht wie eingangs zitiert immer auch darum, dass beim Übergang eines Einzelnen in eine neue Gruppe die „Gesellschaft als Ganzes weder in Konflikt gerät, noch Schaden nimmt.“259 Myerhoff geht sogar noch einen Schritt weiter und sieht in den Übergangsriten in erster Linie Momente der Enkulturation, „when society seeks to make the individual most fully its own.“260 Dieser Gedanke ist in den drei Phasen der Übergänge bei van Gennep ebenfalls angelegt: Insbesondere in der dritten Phase geht es schließlich darum, eine Person wieder in die Gemeinschaft einzugliedern. Der Einzelne steht dabei nicht unbedingt als Individuum im Mittelpunkt des Geschehens, sondern ihm kommt eher eine symbolische Funktion für die Gemeinschaft zu – Myerhoff verweist auf Beispiele, wo die Individualität des Einzelnen sogar durch Masken oder Kostüme gezielt verschleiert wird.261 Nicht zuletzt durch die Integrationsleistung der Angliederungsriten wird in den Über-

255

Marquardt 1879, 42. Ebd., 51-53. 257 Ebd., 54f. 258 „Even if we sifted through all the known evidence for Roman weddings, collected the elements common to each, and said with relative certainty that these were the rites and rituals of the Roman wedding known to Romans of that historical period, this ceremony – this amalgam wedding – would be our own creation, and not the experience of any one Roman.“ Hersch 2010, 1f. 259 van Gennep 1986, 15. 260 Myerhoff 1982, 112. 261 Ebd. 256

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gangsriten der Fortbestand der Gesellschaft gesichert. Mit jedem Übergangsritual wird schließlich, unabhängig von der Persönlichkeit des Einzelnen, zugleich die soziale Ordnung bestätigt.262 Eine neue Qualität erhalten die Übergangsriten, wenn diese einen Herrscher und somit auch auf symbolischer Ebene das Wohl des gesamten Reiches betreffen: „Rites of transition performed for divine royalty – birth, marriage, procreation, and death – are rites performed for the perpetuity of the kingdom as a whole.”263 Die Übergangsrituale bieten somit auch einen Schlüssel zum Verständnis von eigentlich ‚privaten‘ Festen von Herrschern: Die Geburt, Hochzeit oder der Tod eines Mitglieds der Herrscherfamilie ist eben keine private Angelegenheit mehr, sondern mit diesen Momenten des Übergangs ist unmittelbar das Wohl des gesamten Reiches verknüpft. Für die römische Antike liegt es nahe, die Feste für den Kaiser in diesem Sinne zu analysieren. Die Bestattungen der römischen Kaiser können etwa überzeugend als Übergangsriten interpretiert werden. Die Krisensituation, die der Tod des Herrschers für das ganze Volk darstellte, wurde durch verschiedenste Riten aufgefangen, die unterschiedliche Phasen des Übergangs markierten – der Tod des ersten Prinzeps stellte hierfür gewissermaßen den Prototyp dar. Sowohl der Transport des Leichnams des Augustus von Nola nach Rom, der zunächst von den Dekurionen der anliegenden Städte, dann von den Rittern begleitet wurde, als auch die Senatssitzungen, in denen die Ehrungen für den Verstorbenen beschlossen wurden und das Testament des Kaisers verlesen wurde, können als Ablösungsphase verstanden werden. Die Leichenreden auf dem Forum und die pompa funebris, die den Leichnam auf das Marsfeld geleitete, verweisen auf eine durch Schwellenriten markierte Zwischenphase, was räumlich durch den Auszug aus der Stadt zusätzlich verdeutlicht wird. Auch die Geste der Soldaten, die ihre von Augustus erhaltenen Auszeichnungen auf den Scheiterhaufen warfen, versinnbildlicht einen symbolischen Ablösungs- bzw. Umwandlungsvorgang. Mit dem aufsteigenden Adler, der die Divinisierung des Augustus zeigen sollte, wurde schließlich die Aufnahme des Verstorbenen unter die Götter und damit eine ultimative Angliederung in eine neue Gemeinschaft vollzogen.264 Über die Zeremonien anlässlich der Geburt oder Hochzeit eines Mitglieds des Kaiserhauses ist die Quellenlage hingegen erstaunlich spärlich. Meist wird lediglich erwähnt, dass ein Kind geboren oder eine Hochzeit gefeiert wurde; nähere Informationen zum Ablauf und zur Ausgestaltung etwaiger Feierlichkeiten finden sich aber nur selten. Interessanterweise wird nur in Ausnahmefällen detailliert über kaiserliche Hochzeiten berichtet, und zwar dann, wenn es sich um skandalträchtige Hochzeiten handelte, wie beispielsweise die Eheschließung von Messalina, der Gattin des Claudius, mit Silius, und die Hochzeits-

262

Ebd. Ebd. 264 Zu diesen Feierlichkeiten vgl. Cass. Dio, 56,31-42 und Suet. Aug. 100,2-4. 263

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zeremonie, die Nero angeblich mit einem seiner Lustknaben vollzog. In beiden Fällen erfahren wir Details über die durchgeführten Rituale eines sollemnium coniugiorum, einer feierlichen Eheschließung, zu der offenbar Auspicien265, ein Brautschleier (flammeus) und Opfer an die Götter, sowie Hochzeitsfackeln (faces nuptiales) und eine Mitgift (dos) gehörten.266 Dass gerade diese beiden Eheschließungen von Messalina und Nero mit diversen Details der feierlichen Riten ausgeschmückt werden, lässt vermuten, dass der rituelle Teil der Hochzeit hier in erster Linie als literarische Chiffre für den durchgeführten Frevel eingesetzt wird, ein Frevel, der durch die unerlaubte (Messalina, die bereits verheiratet war) bzw. als widernatürlich empfundene (Nero als Braut) Zeremonie begangen wurde. Über die ‚normalen‘ Hochzeiten im römischen Kaiserhaus schweigen sich die Quellen weitgehend aus – abgesehen von einem Hinweis bei Tacitus, dass die Hochzeit der Agrippina in der Stadt gefeiert werden sollte, und von einem congiarium, das Antoninus Pius anlässlich der Hochzeit von Marcus Aurelius verteilen ließ,267 erfahren wir nichts über außergewöhnliche Feiern zu Ehren einer kaiserlichen Hochzeit. Dies mag zum einen daran liegen, dass die durchgeführten Rituale ohnehin bekannt waren und daher nicht extra erwähnt zu werden brauchten. Damit wären sie zwar bedeutende Riten, als solche aber nicht nachzuweisen. Zum anderen waren Eheschließungen des Kaiserhauses möglicherweise eher rein machtpolitische Handlungen und ihnen kann vielleicht sogar eine weitaus geringere symbolische Bedeutung zugesprochen werden, als sich dies aus dem in den folgenden Jahrhunderten herausgebildeten christlich geprägten Verständnis von Ehe ergibt. Auch Ehescheidungen waren weniger negativ konnotiert als dies heute in vielen Gesellschaften der Fall ist. Die Hochzeit des Kaisers als Übergangsritus, der für den Fortbestand des Reiches stand und daher durch besondere rituelle Handlungen begangen wurde, lässt sich so für die römische Antike kaum fassen, und man sollte daher äußerst vorsichtig sein, moderne Inszenierungen von dynastischen Eheschließungen auf die Antike zu übertragen. Je nach Quellenlage und Charakter eines Festes können die Übergangsriten als Erklärungsmodell durchaus gewinnbringend herangezogen werden, um die Bedeutung von Festen für eine Gesellschaft und das Individuum zu erfassen. Dabei gilt es zu beachten, dass Übergangsriten bei weitem nicht auf die Sphäre der Feste beschränkt bleiben. So können die von Goffman für Patienten oder Gefängnisinsassen untersuchten „status and role-stripping rituals and degradation ceremonies“, die durchgeführt werden, um einem 265

Die auspicum verba bei Tac. ann. 11,17 (Hochzeit der Messalina mit Silius) werden zwar meist als „Worte der Trauzeugen“ verstanden, doch legt ein Vergleich mit Neros Hochzeit bei Tac. ann. 15,37,4 (missi auspices) nahe, dass es sich wohl um die Einholung von Auspicien gehandelt haben dürfte. 266 Tac. ann. 11,26f. (Messalina und Silius) und 15,37,4 (Nero und der Lustknabe Pythagoras). 267 Tac. ann. 4,75: Ceterum Tiberius neptem Agrippinam, Germanico ortam, cum coram Cn. Domitio tradidisset, in urbe celebrari nuptias iussit. Vgl. auch die Fasti Ostienses (CIL 14, 244) für das Jahr 145 n.Chr.: Annia Faustina M(arco) Aurelio Caesari nupsit […] / [Imp(erator) A]ntoninus Aug(ustus) congiar(ium) dedit (denarios) C. Ebenfalls in diesen Fasti sind kurz darauf die Geburt einer Tochter und eines Sohnes von Annia Faustina verzeichnet, festliche Handlungen aus diesem Anlass werden jedoch keine erwähnt.

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Menschen einen gewissen Status abzuerkennen, ebenfalls als Übergangsrituale interpretiert werden.268 Weitet man den Blick über den Rahmen des antiken Festwesens, wird deutlich, dass zahlreiche Rituale in der antiken Welt Übergänge markierten: Man denke etwa an den Amtsantritt von Magistraten oder an die Aufnahme von Soldaten in das römische Heer. Van Genneps Studie lässt sich also auf vielfältige Weise auf die Antike übertragen – ohne dabei freilich eine umfassende Festtheorie zu liefern.

6. Das Fest als Exzess „Das Fest ist ein gestatteter, vielmehr ein gebotener Exzeß, ein feierlicher Durchbruch eines Verbots. Nicht weil die Menschen infolge irgend einer Vorschrift froh gestimmt sind, begehen sie die Ausschreitungen, sondern der Exzeß liegt im Wesen des Festes; die festliche Stimmung wird durch die Freigebung des sonst Verbotenen erzeugt.“269

Diese vielzitierte Passage aus dem Freud’schen Werk „Totem und Tabu“ von 1913 hat die nachfolgenden Festtheorien nachhaltig beeinflusst. Bis heute findet sich in fast jeder Definition von ‚Fest‘ der Gedanke, dass ein Fest durch den kurzzeitig erlaubten Exzess quasi ein Ventil für sonst unterdrückte Triebe bietet und ihm damit eine wichtige Funktion für die Verarbeitung des Alltags und die Eingliederung des Einzelnen in die Gesellschaft zukommt.270 Bei Freud selbst entstammt das Zitat einer Studie, in welcher er Parallelen zwischen ethnologischen Untersuchungen zu indigenen Völkern – „Wilden“ im zeitgenössischen Sprachgebrauch – und Neurotikern ziehen will. Das oben angeführte Zitat ist in Ausführungen über das Opfer eines Totemtiers eingebunden und steht damit in einem speziellen Zusammenhang, der oft außen vor gelassen wird. Das Opfertier gilt laut Freud als Mitglied des Stammes, weshalb das Töten des Tieres einen eigentlich verbotenen Akt darstellt, der nur durchgeführt werden kann, „wenn der ganze Stamm die Verantwortlichkeit“ mitträgt.271 Auf das Töten des Tiers folgt laut Freud zunächst die Totenklage, die dann schließlich in „die lauteste Festfreude, die Entfesselung aller Triebe und Gestattung aller Befriedigungen“ umschlägt.272 Doch es kommt noch eine weitere Ebene hinzu: Freud sieht das Totemtier zugleich als Vaterersatz und identifiziert das Töten des Opfertiers somit mit dem Mord des „Urvaters“.273 Letztlich geht es Freud in seiner Studie darum, Parallelen zwischen dieser Ursituation, die auf einer Hypothese von Darwin über den „Ur-

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Myerhoff 1982, 131. Freud 1922, 188. 270 Hillmann 2007, 224; Beck/Wiemer 2009, 19. 271 Freud 1922, 182. 272 Ebd., 188. 273 Ebd. 269

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zustand der menschlichen Gesellschaft“274 beruht, und dem Vaterkomplex von Neurotikern aufzuzeigen275 – eine Übertragung seiner Aussagen auf eine allgemeine Festtheorie ist daher äußerst problematisch, wenn die Freud’sche Aussage aus dem Zusammenhang gelöst für alle Feste pauschal geltend gemacht werden will. Doch Freud ist nicht der Einzige, auf den man sich gerne beruft, wenn es um den exzesshaften Charakter von Festen geht. Der französische Soziologe Émile Durkheim suchte in seiner 1912 veröffentlichten Studie „Les formes élémentaires de la vie religieuse“ (dt. „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“) allgemeingültige Aussagen über das Wesen von Religion zu treffen, und ähnlich wie das Werk von Freud basieren auch seine Arbeiten auf der Untersuchung von „primitiven Kulturen“, da er davon ausging, dass die „primitiven“, totemistischen Clankulte die „ursprüngliche“ Form von Religion darstellten.276 Er macht ebenfalls den Exzess – bzw. in der Durkheim’schen Terminologie „Efferveszenz“, das rauschhafte Erleben – als wesentliches Element von Festen aus: „Darum erweckt schon der Gedanke an eine religiöse Zeremonie von einiger Bedeutung ganz natürlich die Idee eines Festes. Umgekehrt hat jedes Fest, auch ein solches, dessen Ursprung rein profan ist, bestimmte Züge der religiösen Zeremonie, denn es hat auf jeden Fall die Wirkung, die Individuen einander näher, Massen in Bewegung zu bringen und auf diese Weise eine Erregung [= effervescence] zu entfachen (manchmal sogar eine Raserei), die mit dem religiösen Zustand verwandt ist. Der Mensch gerät außer sich und vergißt seine gewöhnlichen Beschäftigungen und Sorgen. In beiden Fällen kann man dieselben Bekundungen beobachten: Schreie, Gesänge, Musik, heftige Bewegungen, Tanz, Drang nach Erregern, die das Lebensniveau steigern, usw. Man hat oft festgestellt, daß die Volksfeste zu Exzessen führen und die Grenzen zwischen dem Erlaubten und dem Unerlaubten aus den Augen geraten lassen.“277

Durkheim sieht in der Efferveszenz ein gemeinsames Element von Religion und Fest, indem er die emotionale Erfahrung mit gegebenenfalls rauschhaften Zügen als Charakteristikum von religiösem Erleben herauskristallisiert. Auch bei ihm klingt wie bei Freud an, dass im Fest Grenzen übertreten werden können und Verbotenes erlaubt sein kann. Durkheim leitet aus dem so erfassten Charakter des Festes eine wichtige soziale Funktion von Festen ab: Durch das gemeinsame Erleben der Erregung im Fest entsteht ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl, das sowohl für die Gruppe als auch für den Einzelnen von großer Bedeutung ist. Auch wenn man im Einzelfall hinterfragen muss, wie stark das Element einer selbstvergessenen, rauschhaften Efferveszenz zu bewerten ist, und ob dieses überhaupt historisch greifbar ist, so erfasst Durkheim dennoch treffend das Phänomen, dass dem Erleben eines Festes eine wie auch immer geartete besondere Qualität zukommt und mit der kollektiven Erfahrung eines Festes eine vergemeinschaftende Funktion verbunden ist.

274

Ebd., 189. Ebd., 191f. 276 Durkheim 2007, 20-22. 277 Ebd., 561f. 275

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Ein weiterer Vertreter, der sich mit Fest und Exzess beschäftigt hat, ist der französische Soziologe Roger Caillois. In seiner 1939 erschienenen Studie „L’homme et le sacré“ (dt. „Der Mensch und das Heilige“) charakterisiert auch er Feste als rauschhafte Exzesse: „Man will den Rausch bis zur Erschöpfung, bis zum Umfallen. Das ist das eigentliche Wesen des Festes.“278 Zentral für Caillois ist, ähnlich wie für Durkheim, die Erkenntnis, dass der Exzess eine reinigende Funktion habe und zu einer „Erneuerung der Natur oder der Gesellschaft“ führe.279 Mehr noch: Im Fest muss sich die „Schöpfung der Welt […] aufs neue vollziehen“;280 das mythische Zeitalter, die „Urzeit“ der Gesellschaft wird gewissermaßen im Fest wieder heraufbeschworen.281 Ähnlich wie Freud geht auch Caillois davon aus, dass der „Verzehr des geheiligten Tiers“ eigentlich ein „Sakrileg“ darstellt und nur erlaubt ist, „wenn es darum geht, die Ordnung der Welt zu erneuern.“282 Durch den Verzehr des Opfertiers seien „die Mitglieder des Clans nämlich eins mit den Wesen der mythischen Zeit“ und sie könnten „dadurch die Kommunion mit dem Prinzip, das ihnen Kraft und Leben spendet“, verwirklichen.283 Caillois sieht also im Fest einen rituellen Nachvollzug einer Schöpfungssituation, der zu einer Erneuerung der Lebenskraft führt.284 Positiv gewendet kann in dieser Rückkehr zu einer mythischen Ursituation ein Neubeginn und die Möglichkeit einer „Selbstreinigung der Gesellschaft“285 und Lebensbewältigung286 gesehen werden. Zugleich wohnt dem Exzesscharakter von Festen jedoch auch ein chaotisches, verstörendes und potenziell gemeinschaftsgefährdendes Moment inne. Das vielleicht eindrücklichste Beispiel einer wilden Raserei, die nicht mehr kontrolliert werden kann, stammt aus der griechischen Tragödie: In den Bakchen des Euripides wird Pentheus von den Bacchantinnen, angeführt von seiner eigenen Mutter Agaue, im Rausch zerfleischt.287 Schon in der Antike gab es also den Gedanken, dass Feste gewissermaßen ‚gezähmt‘ werden müssen, um die Gesellschaft und die menschliche Ordnung nicht zu gefährden.288 Daher ist es kaum verwunderlich, dass nicht nur der Exzess zum Fest gehört, sondern auch dessen Kehrseite, die Einhaltung von Regeln: Mitunter zeichnen sich Feste durch überaus strenge Verhaltensregeln aus, etwa durch „Waschungen, Kleider- und Spei-

278

Caillois 1988, 128. Ebd., 132f. 280 Ebd., 133. 281 Ebd., 135. Hier finden sich einige Parallelen zu den Ausführungen von Jan Assmann, vgl. Teil 1, Kapitel 1.3. 282 Ebd., 144. 283 Ebd. 284 Ebd., 150. 285 Borgeaud 2000, 86. 286 Maurer 2004a, 42f. 287 Eur. Bacch. 1115-1329 (21). 288 Klauser 1969, 750f. mit Verweis auf Platon. Bollnow sieht generell in der intensiven Erfahrung des Göttlichen ein gefährdendes Moment: „Aber bei allem: verharmlosen Sie das Fest nicht. Es bricht in ihm eine Tiefe des Lebens auf. Und jede Tiefe, die erfahrene Tiefe des Göttlichen, ist gefährlich.“ Bollnow 1978, 9. 279

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segebote, Arbeitsruhe, Sprachregulierungen, strenges Friedensgebot“.289 Einschränkungen und Regelungen können den Charakter von Festen paradoxer Weise ebenso prägen, wie ein ausgelassenes und exzessives Verhalten, mit dem die Grenzen der sozialen Ordnung überschritten werden. Das Fest als Möglichkeit, im kurzzeitigen, kontrollierten und erlaubten Exzess die eigenen Triebe auszuleben (Freud), sich durch die kollektiv erfahrene Efferveszenz als Gemeinschaft zu erfahren (Durkheim) und im Nachvollzug des schöpferischen Chaos die Ordnung der Welt neu zu bestätigen (Caillois) – inwiefern besitzen diese drei ‚Klassiker‘ der Festtheorie noch heute Gültigkeit und welche Rolle spielen sie für einen modernen Ansatz der historischen Erforschung von Festen? Wie bei Freuds und Durkheims Überlegungen basieren auch diejenigen von Caillois auf Beschreibungen von Festen in „primitiven Gesellschaften“.290 Allerdings beschreibt Caillois keine bestimmten Feste einer konkreten Gruppe, sondern ein allgemeines, topisch anmutendes Fest eines nicht näher spezifizierten indigenen Volkes, für das er keinerlei Belege anführt. Das zur Beschreibung der Feste der „Eingeborenen“ verwendete Vokabular – etwa „gutturale, stark skandierte Gesänge“, „einfache [...] Instrumente“ und die „Ekstatik und Promiskuität des Tanzes“291 – ist äußerst wertend und lässt eher ein zeitgenössisches Stereotyp eines ‚Festes unter Primitiven‘ vermuten, denn eine ethnologisch fundierte Beschreibung. Inwiefern den Aussagen von Caillois über die Funktion der Exzesse im Fest, die „die Wirksamkeit der Riten [garantieren]“ und „somit fruchtbare Frauen, reiche Ernten, tapfere Krieger, Wild- und Fischreichtum in Aussicht [stellen]“292, Glauben geschenkt werden darf und inwieweit diese Thesen zudem auf andere Gesellschaften übertragbar sind, muss daher äußerst kritisch reflektiert werden. Alle drei Vertreter sind insofern Kinder ihrer Zeit, als sie der damaligen in der Anthropologie vorherrschenden ethnozentrischen Annahme folgen, dass ‚primitive‘ Kulturen einen früheren evolutionären Entwicklungsstand der Menschheit abbilden, aus welchem sich die Urformen von Festen und Riten ablesen lassen.293 Daher erstaunt es, dass die zitierten Passagen in vielen modernen Werken zu Festen immer noch uneingeschränkt als Belege für die kathartische Funktion von Exzessen bei Festen angeführt werden. Es stellt sich also die Frage, ob sich das rauschhaft-befreiende Fest, das gerne mit Bezug auf Freud, Durkheim und Caillois angenommen wird, tatsächlich nachweisen lässt, oder ob es sich vielmehr um ein konstruiertes Idealbild handelt – eine Frage, die Dunand zu Recht auf-

289

Klauser 1969, 749. Caillois 1988, 129. 291 Ebd. 292 Ebd., 132. 293 Myerhoff 1982, 116 verweist auf die ethnozentrische Position der viktorianischen Anthropologie und betont, dass sich van Gennep in seinem Ansatz der Passageriten von seinen Zeitgenossen deutlich abhebt. 290

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wirft: „Mais cette fête idéale, où l’homme se retrouverait face à face avec son désir, a-telle jamais existé?”294 Meist werden diese Gedanken mit allgemeinen und wenig reflektierten Vorstellungen über Feste als lustvolle Exzesse verbunden, die etwa in den antiken Bacchanalien eine scheinbar direkte historische Entsprechung finden.295 Die rasenden Bacchantinnen in einer antiken Tragödie als Beleg für ein historisches Phänomen anzuführen, ist jedoch zumindest problematisch, und dass auch der Bericht von Livius über den römischen Bacchanalien-Skandal weniger einen historischen Sachverhalt schildert als vielmehr von der Topik über fremde Kulte geprägt ist, wurde bereits diskutiert.296 Auch Berichte über Trinkgelage und Ausschweifungen der Oberschicht im antiken Athen müssen vor dem Hintergrund von Diskursen gesehen werden, die von gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen geprägt sind.297 Besonders deutlich lässt sich die Topik der geschilderten Exzesse in den Darstellungen der mali principes in Rom aufzeigen. Die vielleicht drastischste Schilderung kulinarischer Exzesse findet sich in Berichten über Vitellius: Sueton beschreibt, dass der Kaiser sich neben seiner Grausamkeit durch luxuria auszeichnete298 und mehrmals täglich unmäßig speiste – gerne auf Einladung von mehreren verschiedenen Leuten, die der Konsum des Kaisers teuer zu stehen kam.299 Ein berühmt-berüchtigtes Gastmahl seines Bruders, bei welchem 2.000 Fische und 7.000 Vögel serviert worden sein sollen, übertraf Vitellius durch ein Gericht, das in einer Schüssel mit dem Namen „clipeum Minervae πολιούχου“ serviert wurde, und in dem „die Lebern von Papageifischen, die Gehirne von Fasanen und Pfauen, Flamingozungen und die Milch von Muränen […] untereinander gemischt“

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Dunand 1981, 6. So bei Gebhardt 1987, 56f., der die Bacchanalien als Beispiel für seine idealtypische Beschreibung von Festen heranzieht. 296 Siehe Teil 1, Kapitel 1.4. Gebhardt beruft sich dennoch auf Livius mit dem Hinweis, dass dieser „den Bericht eines Augenzeugen“ wiedergebe, weshalb er der Passage offenbar eine besondere Relevanz zuspricht. Ebd., 57. 297 Davidson spürt in diesem Sinne den Diskursen, die mit kulinarischen und sexuellen Genüssen verbunden sind, nach. Davidson 2002, 247-284. Die problematische Quellenlage zum athenischen Fest der Anthesterien, für das u.a. ein Wetttrinken überliefert ist, legt Hamilton überzeugend dar. Für dieses dreitägige Fest ist nur der zweite Tag ausführlicher überliefert, doch auch für diesen Festtag gibt es nur einen Beleg aus klassischer Zeit – bei diesem handelt es sich jedoch um ein Theaterstück des Aristophanes. Weitere Belege für transgressive Elemente bei diesem Fest sind sogar erst ab dem 5. Jh. n.Chr. belegt. Hamilton 1992, 1-62, insbes. 2f. und 26f. 298 Es überrascht nicht, dass Genusssucht und Grausamkeit zu den Charaktereigenschaften gehören, die typischerweise den mali principes zugeschrieben wurden: Vgl. Suet. Cal. 27-35 (zur Grausamkeit des Caligula) und 37 (zu den Exzessen, zu denen die berüchtigten in Essig aufgelösten Perlen gehören), Suet. Nero 26 (zur Grausamkeit Neros) und 27,2-31 (zu den kulinarischen, sexuellen und finanziellen Exzessen). 299 Suet. Vit. 13,1: Indicebat autem aliud alii eadem die, nec cuiquam minus singuli apparatus quadringenis milibus nummum constiterunt. 295

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wurden.300 Nicht zuletzt die schlichtweg nicht existierende „Milch von Muränen“ entlarvt die angeblichen Ausschweifungen des Vitellius als Tyrannentopik.301 Ihre Krönung findet die Schilderung der kulinarischen Exzesse des Vitellius in der Bemerkung Suetons, dass der Kaiser sogar die den Göttern vorbehaltenen Opferkuchen und die Eingeweide der Opfertiere von den Altären holte und aufaß302 – dieser Frevel gegen die Götter sollte die ultimative Verkommenheit eines der luxuria verfallenen Kaisers untermalen. Eine andere Ebene lässt sich dagegen bei Cassius Dios Bericht über ein exzesshaftes Fest des Nero vermuten: Nach einer Tierhetze und Gladiatorenkämpfen wurde die Arena geflutet und auf Flößen wurden Lokale und Buden errichtet, in denen sich die Menschen vergnügen konnten. Die Vergnügungen verlieren in der Schilderung jedoch rasch ihren harmlosen Charakter, denn es war laut Cassius Dio erlaubt, mit allen Frauen, „Sklavinnen sowohl wie Freie, Dirnen, Jungfrauen und Verheiratete“, Verkehr zu haben. Cassius Dio fährt fort: „Jedermann konnte sich mit jeder beliebigen, die er nur haben wollte, vergnügen, da sich keine einem Manne verweigern durfte. Und so betranken sich, pöbelhaft wie nun mal die Masse ist, die Menschen maßlos und tobten sich zugleich als Wüstlinge aus; ein Sklave konnte da im Beisein seines Herrn mit seiner Gebieterin und ein Gladiator mit einem vornehmen Mädchen vor den Augen ihres Vaters Unzucht treiben. Gräßlich waren das Gedränge, die Schlägereien und der allgemeine Aufruhr, teils auf Seiten derer, die sich Einlaß verschaffen konnten, teils bei jenen, die draußen herumstehen mußten, und so fanden viele Männer wie Frauen den Tod; letztere erstickten oder wurden in Stücke gerissen.“ 303

Während das Fest ins Chaos abglitt, die gesellschaftliche Ordnung empfindlich gestört wurde und zuletzt sogar Menschen zu Tode kamen, ließen es sich Nero und sein Prätoria-

300

Ebd. 13,2: Famosissima super ceteras fuit cena data ei adventicia a fratre, in qua duo milia lectissimorum piscium, septem avium apposita traduntur. Hanc quoque exsuperavit ipse dedicatione patinae, quam ob immensam magnitudinem ‘clipeum Minervae πολιούχου‘ dictitabat. In hac scarorum iocinera, phasianarum et pavorum cerebella, linguas phoenicopterum, murenarum lactes a Parthia usque fretoque Hispanico per nauarchos ac triremes petitarum commiscuit. (Übersetzung: Hans Martinet). 301 Zur Tyrannentopik bei den Beschreibungen des Vitellius vgl. Richter 1992, insbes. 243-256. 302 Suet. Vit. 13,3: ne in sacrificio quidem umquam aut itinere ullo temperavit, quin inter altaria ibidem statim viscus et farris frusta rapta e foco manderet. 303 Cass. Dio, 62,15,4-6: ἔς τε τὰ πορνεῖα ἐσῄεσαν, καὶ συνεγίγνοντο πάσαις ἀνέδην ἁπλῶς ταῖς ἐνταῦθα καθημέναις· ἦσαν δὲ αἵ τε περικαλλέσταται καὶ ἐκφανέσταται, δοῦλαί τε καὶ ἐλεύθεραι, ἑταῖραι, παρθένοι, γαμεταί τινων, οὐχ ὅπως δημότιδες ἀλλὰ καὶ αὐταὶ αἱ εὐγενέσταται καὶ κόραι καὶ γυναῖκες. καὶ ἦν ἐξουσία παντὶ τῷ βουλομένῳ σχεῖν ἣν ἤθελεν· οὐ γὰρ ἐξῆν αὐταῖς οὐδένα ἀπαρνήσασθαι. ὥστε, οἷα συρφετώδης ὅμιλος, ἀπλήστως τε ἅμα ἔπινον καὶ ἀσελγῶς ὕβριζον, καί τις καὶ δοῦλος τῇ δεσποίνῃ παρόντος τοῦ δεσπότου καὶ μονομάχος εὐγενεῖ κόρῃ ὁρῶντος τοῦ πατρὸς συνεγίνοντο. ὠθισμοί τε καὶ πληγαὶ καὶ θόρυβοι, τοῦτο μὲν ἀπ´ αὐτῶν τῶν ἐσιόντων, τοῦτο δὲ καὶ ἐκ τῶν ἔξωθεν περιεστηκότων, αἰσχροὶ συνέβαινον, καὶ ἄνδρες τε ἐκ τούτων συχνοὶ ἐφθάρησαν καὶ γυναῖκες, αἱ μὲν ἀποπνιγεῖσαι αἱ δὲ διαρπαγεῖσαι. (Übersetzung hier und im Folgenden: Otto Veh).

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nerpräfekt Tigellinus laut Cassius Dio bezeichnender Weise in sicherer Entfernung „auf Purpurdecken und weichen Polstern“ gutgehen.304 Die Passage kann nicht nur als einer von vielen Berichten gelesen werden, in denen Nero konsequent als Anti-Kaiser dargestellt wird, als Gegenbild dessen, was einen guten Kaiser ausmacht,305 sondern darüber hinaus lassen sich auch Parallelen zu den Bakchen des Euripides aufzeigen: In beiden Fällen kommt es zu exzesshaften Handlungen, die zu einer völligen Entgleisung der öffentlichen Ordnung, ja überhaupt des menschlichen Miteinanders führen, beide Male findet dieser Exzess zudem räumlich in einem außerhalb der Zivilisation liegenden Bereich statt: bei den Bakchen in der Wildnis des Kithairon-Gebirges, bei Neros Fest zwar in Rom, aber auf einem anderen Element, dem Wasser. Wie Penteus in den Bakchen werden auch bei Neros Fest Menschen in Stücke gerissen.306 In den Bakchen zeichnet Dionysos selbst für den im Wahn ausgeübten Mord an Penteus verantwortlich. Nero duldet die Orgien und Gewalttaten nicht nur stillschweigend, sondern ergötzt sich offenbar an den ablaufenden Exzessen. Gerade dadurch, dass sich Cassius Dio ähnlicher Bilder wie in den Bakchen bedient, klingt zwischen den Zeilen die Vermutung an, dass Nero selbst einem Dionysos ähnlich als der eigentliche Initiator der Ausschweifungen gelesen werden kann – und nun einem fürchterlichen, unberechenbaren Gott gleich sein zerstörerisches Werk aus der Ferne betrachtet. Entschlüsselt man diese Elemente der Cassius Dio-Passage, so wird schnell deutlich, dass es sich bei den geschilderten Exzessen um Motive handelt, die der antiken Literatur und Mythologie entstammen.307 Mit tatsächlich stattgefundenen Exzessen bei griechischen oder römischen Festen haben diese Berichte wohl wenig zu tun. Es fällt also auf, dass Exzesse und ausufernde Feste in den antiken Quellen überwiegend negativ konnotiert sind und meist in einem sehr spezifischen moralischen Diskurs verankert sind. Es gibt jedoch auch Beispiele, die in eine andere Richtung zielen. Es ist durchaus davon auszugehen, dass bei vielen Festen wie den Saturnalien oder beim Fest der Anna Perenna am 15. März, das bei Ovid überliefert ist,308 ordentlich gefeiert wurde und eine ausgelassene Stimmung herrschte. Der Brauch beim Fest der Anna Perenna, dass die Anzahl der Becher Wein, die eine Person zu leeren vermochte, die Anzahl der Jahre wie-

304 Ebd., 62,15,2-4: ἐν μὲν τῷ μέσῳ καὶ ἐπὶ τῷ ὕδατι τά τε σκεύη τὰ οἰνηρὰ τὰ ξύλινα τὰ μεγάλα προκαθεῖτο, καὶ ἐπ´ αὐτῶν σανίδες ἐπεπήγεσαν, πέριξ δὲ περὶ αὐτὸ καπηλεῖα καὶ οἰκήματα ἐπεποίητο, ὥστε τὸν Νέρωνα καὶ τὸν Τιγελλῖνον τούς τε συσσίτους αὐτῶν τὸ μέσον ἔχοντας ἐπί τε ταπήτων πορφυρῶν καὶ ἐπὶ στρωμάτων ἁπαλῶν ἐπευωχεῖσθαι, τοὺς δὲ δὴ ἄλλους πάντας ἐν τοῖς καπηλείοις εὐθυμεῖσθαι. 305 Zur Schilderung dieses Festes als Umkehrung der gesellschaftlichen Ordnung und der damit verknüpften Darstellung Neros als Anti-Kaiser vgl. Bäumler 2014b, insbes. 321-324. 306 Eur. Bacch. 1114-1147. 307 Auch das Motiv, dass hochstehende Frauen durch Sklaven entehrt werden, findet sich bereits in Berichten über den Tyrannen Klearchos von Herakleia. Iust. 16,5. 308 Ov., fast., 3,523-544.

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dergab, die diese Person noch zu leben hatte,309 lässt darauf schließen, dass bei diesem Fest eine durchaus ausgelassene Grundstimmung herrschte. Mit dem Singen von obszönen Liedern und dem Tanzen mit gelöstem Haar schildert Ovid hier typische (und topische) Elemente eines rauschhaften Festes, wobei dieses Verhalten im Gegensatz zu den Exzessen bei den Bacchanalien positiv bewertet wird: Die Betrunkenen werden auf ihrem Nachhauseweg von den Menschen, die ihnen begegnen, als fortunati, gesegnet oder beglückt, bezeichnet.310 Allerdings gilt es zu bedenken, dass Ovid abgesehen von einem kurzen Hinweis bei Macrobius311 die einzige Quelle ist, die uns von diesem Fest berichtet und es bleibt daher schwierig zu beurteilen, welche Rolle das Fest der Anna Perenna tatsächlich im antiken Rom gespielt hat, und wieviel Topik sich in dieser Ovid-Passage verbirgt. Es bleibt festzuhalten, dass die Quellenlage für viele Feste äußerst problematisch ist und zudem die meisten Schilderungen, die sich mit exzesshaften Festen befassen, in den Bereich eines Luxus- oder Dekadenzdiskurses fallen und daher mit Vorsicht genossen werden müssen. Abgesehen davon sollte eine auf die ebenfalls nicht unproblematische FreudPassage basierende psychologisierende Aussage über eine mögliche befreiende Wirkung durch das Ausleben unterdrückter Triebe im Fest schon allein aus methodischen Gründen grundsätzlich nicht auf die Antike übertragen werden.312 Dennoch scheint es bei manchen Festen geradezu eine Pflicht zum Exzess gegeben zu haben: Als nüchterner Festteilnehmer fiel man beispielsweise bei den Saturnalien offenbar unangenehm auf.313 Gerade im Zusammenhang mit den Saturnalien stellt sich die Frage, inwieweit es hierbei um eine gezielte Transgression gesellschaftlicher Normen ging und ob Feste wie dieses daher als karnevaleske Phänomene einzuordnen sind.

7. Die Transgression der Ordnung – Karnevaleske Feste „Im Gegensatz zum offiziellen Feiertag zelebrierte der Karneval die zeitweise Befreiung von der herrschenden Wahrheit und der bestehenden Gesellschaftsordnung, die zeitweise Aufhebung der hierarchischen Verhältnisse, aller Privilegien, Normen und Tabus. Er war ein echtes Fest zu Ehren der Zeit, ein Fest des Werdens, des Umbruchs und der Erneuerung.“314

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Ebd., 3,531-534: sole tamen vinoque calent annosque precantur / quot sumant cyathos, ad numerumque bibunt. / invenies illic qui Nestoris ebibat annos, / quae sit per calices facta Sibylla suos. 310 Ebd., 3,535-540: illic et cantant quicquid didicere theatris, / et iactant faciles ad sua verba manus, / et ducunt posito duras cratere choreas, / cultaque diffusis saltat amica comis. / cum redeunt, titubant et sunt spectacula volgi, / et fortunatos obvia turba vocat. 311 Macr. Sat. 1,12,6: eodem quoque mense et publice et privatim ad Annam Perennam sacrificatum itur, ut annare perennareque commode liceat. 312 Die Soziologin Niekrenz bezieht in ihrer Studie zum rheinischen Karneval das von ihr entwickelte Konzept der „rauschhaften Vergemeinschaftung“ explizit nur auf die Gegenwart. Niekrenz 2011, 14. 313 Sen. epist. 18,1-4. 314 Bachtin 1987, 58.

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Das Phänomen, dass im Fest die gesellschaftliche Ordnung auf den Kopf gestellt werden kann und Dinge erlaubt sind, die im ‚normalen‘ Leben verboten sind, beschäftig seit geraumer Zeit Vertreter aus den unterschiedlichsten Disziplinen, wie Sozialwissenschaftler, Anthropologen, Ethnologen, Literaturwissenschaftler und Historiker.315 Als ‚Klassiker‘ der Karnevalsforschung gilt die 1940 verfasste, aber erst 1965 erschienene Studie des russischen Literaturwissenschaftlers Michail Bachtin, die auf Deutsch den Titel trägt: „Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur“. Diese Studie zum Werk des in der ersten Hälfte des 16. Jhs. wirkenden französischen Prosa-Autors François Rabelais beschränkt sich allerdings nicht auf eine literaturwissenschaftliche Analyse der Texte, sondern stellt eine sehr viel tiefer gehende Auseinandersetzung mit ‚volkstümlichen‘ Elementen im Werk Rabelais‘ dar.316 Bachtin konzentriert sich dabei insbesondere auf die Erfassung einer „volkstümlichen Lachkultur“,317 die er als Gegenkultur zur offiziellen Hochkultur in Mittelalter und Renaissance ausmacht.318 Zentral bei dieser Gegenkultur des Volkes sei, wie bereits im einleitenden Zitat anklingt, die zeitweilige Aufhebung der sozialen Hierarchien im Karneval gewesen, wodurch laut Bachtin „eine besondere Art der Kommunikation“ ermöglicht wurde, „die im gewöhnlichen Leben nicht möglich gewesen wäre.“319 Genau hierin liegt die subversive Kraft des Karnevals: Es dürfen Dinge getan und gedacht werden, die sonst verboten sind, die offizielle Hierarchie wird in Frage gestellt, die hypothetische Möglichkeit einer alternativen Ordnung erahnt.320 Damit lässt sich bei diesem Interpretationsansatz eine ganz ähnliche Stoßrichtung ausmachen wie in den auf Freud basierenden Theorien zum Fest als Exzess. Die beim Karneval durchgeführten Inversionsrituale werden insbesondere in der Anthropologie häufig als „Ventilsitten“ charakterisiert, denn dadurch, dass die öffentliche Ord-

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Für dieses Phänomen werden verschiedene Begrifflichkeiten gebraucht, wie Karneval oder karnevaleske Elemente, Inversions- oder Umkehrriten. Da all diese Begriffe in eine ähnliche Richtung zielen, werden sie hier synonym verwendet, auch wenn sich in verschiedenen Disziplinen jeweils spezifische Definitionen und Unterscheidungen herausgebildet haben. 316 Bachtin 1987, 50. 317 Ebd., 51. 318 Ebd., 123: „Wie schon gesagt, war das Lachen im Mittelalter in allen Bereichen der offiziellen Ideologie und in den strengen Umgangsformen des offiziellen Lebens verpönt. Es war ausgeschlossen vom religiösen Kult, dem feudalstaatlichen Zeremoniell, der gesellschaftlichen Etikette und allen wichtigen Bereichen der Ideologie. Den Umgangston des offiziellen Mittelalters bestimmte eine eisige, versteinerte Seriosität.“ 319 Ebd., 59. 320 Lachmann 1987, 9: „Im Lachen, wie es die Volkskultur der Renaissance auf spektakuläre Weise im Karneval als Fest der Umstülpung und Parodie der Hochkultur hervorbringt, sieht Bachtin das Wissen um die Möglichkeit einer vollständigen Abkehr von der gegenwärtigen Ordnung […], d.h. im Spiel der karnevalesken Verkehrung der offiziellen Welt die Ahnung einer anderen, in welcher Antihierarchie, Relativität der Werte, Infragestellen der Autoritäten, Offenheit, fröhliche Anarchie, Verspottung aller Dogmen Geltung haben, wo der Synkretismus, die Vielzahl der Perspektiven zugelassen sind.“ Vgl. allgemeiner auch Turner 1982, 27f.

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nung kurzzeitig außer Kraft gesetzt bzw. auf den Kopf gestellt werde, könne sozialer Druck abgebaut und die gesellschaftliche Hierarchie letztlich stabilisiert werden.321 Zugleich wohnt dem Bachtin‘schen Ansatz aber auch ein dezidiert politischer Zug inne, denn in der – wenn auch nur spielerischen – Umkehr der hierarchischen Verhältnisse und der Formulierung einer alternativen Ordnung liegt ein großes revolutionäres Potenzial. Marx sah Inversionsrituale daher als Möglichkeit, ein revolutionäres Bewusstsein zu erlangen, während andere marxistische Theoretiker diese Rituale genau dafür kritisierten, dass sie das Volk letztlich davon abhielten, revolutionäre Kräfte zu entwickeln, indem ein Ventil für den aufgestauten sozialen Druck geschaffen werde.322 Auch wenn Bachtin die revolutionären Elemente des Karnevals nicht explizit in den Vordergrund stellt, so muss doch berücksichtigt werden, vor welchem zeitgenössischen Hintergrund er seine RabelaisStudie verfasst hatte. Nicht nur die Erfahrung der Revolution sondern auch des postrevolutionären Russlands und der Etablierung einer neuen, äußerst rigiden Herrschaftsordnung unter Stalin lassen das Bachtin’sche Karnevalslachen des Volkes in ganz anderem, durchaus subversivem Licht erscheinen.323 Diese Standortgebundenheit Bachtins sollte bei der Rezeption seiner Karnevalstheorie unbedingt mitreflektiert werden. Obwohl sich der Gedanke der Ventilfunktion von karnevalesken Festen für die Gesellschaft bis heute großer Beliebtheit erfreut,324 wurde bereits in den 1960er- und 70er-Jahren Kritik an diesem Ansatz laut. Zum einen wurde zu Recht betont, dass die Erklärung, Inversionsrituale dienen einer Art erlaubten, kurzzeitigen ‚Rebellion‘ des Volks, die letztlich zu einer Stabilisierung der sozialen Ordnung führe, viel zu monokausal ist und weder der Spannbreite der Rituale noch den unterschiedlichen Gegebenheiten in verschiedenen Gesellschaften gerecht werden kann.325 So müsste man etwa annehmen, dass Inversionsrituale nur in Gesellschaften vorkommen, die über eine etablierte, stabile Ordnung verfügen, die dann im Ritual kurzzeitig konterkariert werden könne, doch konnte überzeugend

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Babcock 1978, 22, mit Bezug auf Max Gluckman, dem führenden Vertreter des VentilsittenAnsatzes. 322 Ebd., 22f.; Stollberg-Rilinger 2013, 167. 323 Lachmann 1987, 8f. 324 Vgl. z.B. den Sozialwissenschaftler Heiko Kosow, der sich 2012 in einem Interview mit SpiegelOnline folgendermaßen über die Funktion von Karneval äußerte: „Die Ventilfunktion ist für manche Leute in der Tat wichtig. Besonders früher war der Karneval eine Gelegenheit für die Bürger, sich kritisch mit der Obrigkeit zu beschäftigen. Und natürlich darf man sich endlich ungeniert in der Öffentlichkeit betrinken.“ http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/sozialwissenschaftler-ueberkarneval-sich-endlich-ungeniert-oeffentlich-betrinken-a-815968.html, zuletzt aufgerufen am 18.03.2014. Auch der französische Soziologe Michel Maffesoli sieht in der „dionysische[n] Unruhe und [dem] Auf-den-Kopf-Stellen der Verhältnisse“ eine Möglichkeit, gesellschaftliche Konflikte „homöopathisch“ zu kurieren; geschieht dies nicht, komme es zu „brutalen und blutigen Explosionen“. Maffesoli 1986, 110. 325 Zur Kritik insbesondere an Max Gluckman vgl. die ausführliche Zusammenstellung bei Babcock 1978, 23f.

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aufgezeigt werden, dass dies nicht der Fall ist.326 Auch ist eine simplifizierende Gegenüberstellung einer ‚Volkskultur‘ und einer ‚Kultur der Elite‘, wie sie von Bachtin postuliert wird, nicht haltbar.327 Zum anderen finden Inversionsrituale beispielsweise auch im Zusammenhang mit rites de passage statt, wo sie die liminalen Situationen der Übergangsriten markieren können,328 weshalb sie nicht auf eine soziale Ventilfunktion reduziert werden sollten und man gleichzeitig, wie Stollberg-Rilinger feststellt, „nicht jedem populären Festbrauch einen aufrührerischen und politisch gefährlichen Subtext unterstellen“ sollte.329 Trotz der vielfältigen Literatur und Deutungsansätze räumen Abrahams und Bauman ein, dass Feste, die Elemente der symbolischen Inversion beinhalten, noch immer zu den kulturellen Handlungen gehören, die kaum zufriedenstellend erklärt werden können,330 und sie versuchen daher, sich dem Problem nochmals von einer anderen Seite zu nähern. Dabei stellen sie schnell fest, dass Inversionsrituale zwar meist – und auf den ersten Blick plausibel – als Verhaltensweisen definiert werden, die das Gegenteil vom normalerweise im Alltag erwarteten Verhalten darstellen,331 doch dass sich bei genauerem Hinsehen die zugleich für das ‚normale Leben‘ postulierte ‚Ordnung‘ realiter nicht immer finden lässt. Es ist daher unerlässlich, die Riten und Bräuche im ganz konkreten Kontext der jeweiligen Gemeinschaft zu sehen: „What we are suggesting, then, is that the inversion and license of festival must be approached in terms of the general interrelationship between order and disorder in the moral and social universe of the communities in which ‘rites of reversal‘ are conducted. If license and disorder are found to occur throughout the year, we cannot suggest that festival represents the antithesis of behavior at other times, only, perhaps, that it is the antithesis of behavior called for by the ideal normative system, which is a very different thing.”332

Bestenfalls kann das im Fest auszumachende „abweichende“ Verhalten also als Verstoß gegen ideale gesellschaftliche Normen gesehen werden, aber es steht nicht unbedingt im

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Ebd., 24, mit Verweis auf verschiedene Beiträge, die diesen Aspekt beleuchten. Vgl. auch Stollberg-Rilinger 2013, 162 mit weiteren Verweisen. 327 Stollberg-Rilinger 2013, 161f. Stollberg-Rilinger weist zu Recht darauf hin, dass es „[a]uf allen Ebenen der Gesellschaft […] ritualisierte und kanalisierte Formen von Gewalt und Sexualität [gab]; das ‚einfache Volk‘ lebte seine Affekte ebenso wenig einfach unkontrolliert aus, wie die Mitglieder der höfischen Gesellschaft ihre Affekte grundsätzlich kontrollierten.“ Ebd., 169. 328 Babcock 1978, 24. 329 Stollberg-Rilinger 2013, 168. Zu den unterschiedlichen Ausdeutungen und Kontexten von Inversionsritualen vgl. ebd., 162-166. 330 Abrahams/Bauman 1978, 193: „Celebrations involving symbolic inversion are among the least understood of cultural performances. Why should behavior that seems to fly in the face of order and propriety be tolerated, and even encouraged, in such celebrations?” 331 Vgl. z.B. die Definition von Norbeck: „[R]eversals are institutionalized acts opposing everyday conventions of many kinds, acts which certain individuals or whole social groups are encouraged, expected, or required to perform on specified occasions“. Norbeck 1970, zit. n. Abrahams/Bauman 1978, 194. 332 Abrahams/Bauman 1978, 195.

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Widerspruch zu tatsächlich auch außerhalb des Festes auftretenden Verhaltensformen. Die bisherigen Erklärungsversuche scheiterten laut Abrahams und Bauman stets daran, dass implizit von einem stabilen, dauerhaft vorhandenen moralischen und normativen gesellschaftlichen Wertesystem ausgegangen wurde, das in dieser Form jedoch nicht existiert.333 Indem sie nun ein wesentlich differenzierteres Bild von Verhaltensformen je nach gesellschaftlichem Umfeld und je nach Situation der beteiligten Personen zeichnen, kommen die Autoren zu völlig anderen Ergebnissen: Das ausschweifende Verhalten, das junge Männer bei den beiden von Abrahams und Bauman untersuchten karnevalesken Festen in St. Vincent, einer Insel in der Karibik, und auf den Le Have Islands in Nova Scotia an den Tag legen,334 entspricht zwar nicht den Normen, die etwa im familiären Kontext in den Haushalten gelten, doch unterscheidet es sich nicht grundlegend von den Verhaltensweisen, die junge Männer untereinander auf der Straße im sozialen Alltag zeigen.335 Im Fest werden Elemente dieses Verhaltens lediglich verstärkt und verfremdet (etwa durch Maskierung) und, insbesondere beim Fest auf den Le Have Islands, in eine andere Sphäre verlegt: Die jungen Männer ziehen hier von Haus zu Haus und betreten die Haushalte, in denen sonst ein derartiges Verhalten nicht geduldet wird, wobei interessanterweise die Ordnung der Haushalte nicht durch diese Transgression angegriffen, sondern respektiert und betont wird, indem die jungen Männer etwa fragen, ob sie das Haus betreten dürfen.336 Abrahams und Bauman deuten die hier durchgeführten Inversionsrituale weniger als Ausdruck von unterdrückten gesellschaftlichen Konflikten, die durch abweichendes, gegen die gesellschaftlichen Normen gerichtetes Verhalten ausgelebt werden, sondern als eine Annäherung unterschiedlicher Sphären, die tatsächlich äußerst harmonisch verläuft.337 Ausgehend von diesen Überlegungen lässt sich festhalten, dass Inversionsrituale nicht unbedingt einer kurzzeitigen Außerkraftsetzung sozialer Verhältnisse dienen, um gesellschaftlichen Druck abzubauen, oder gar eine revolutionär anmutende Umkehrung der Gesellschaft anstreben, sondern ganz im Gegenteil in erster Linie existierende soziale Grenzen markieren und Zugehörigkeiten positiv festschreiben.338 Zu diesem Erklärungsansatz passt auch, dass die in karnevalesken Festen inszenierten Akte der Inversion häufig grundsätzliche Kategorien betreffen, wie männlich-weiblich, menschlich-tierisch, lebend-

333

Ebd., 196. Dieses Verhalten umfasst u.a. derbe Späße, Nachahmen von Trunkenheit oder von einem bestimmten Rollenverhalten, lautes Singen und Krachmachen, übertriebene Tänze, und auch Formen von „mild sexual licence by sitting on the knee of the woman of the house or grabbing the girls for hugs and kisses“. Ebd., 198-200, Zitat 198. 335 Ebd., 201-204. 336 Ebd., 205f. 337 Ebd., 206f. 338 So auch Babcock 1978, 27f. 334

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tot, einheimisch-fremd, die somit im Fest ausgedrückt und reflektiert werden.339 Männer, die sich als Frauen verkleiden oder Menschen, die Tiermasken tragen, sind weniger Ausdruck einer Umkehrung der sozialen Hierarchie, sondern vielmehr als lustvolles Spiel mit Grenzziehungen zwischen verschiedenen Sphären zu sehen.340 Verkleidungen und Maskierungen im Karneval können in ähnlicher Weise als spielerische Auseinandersetzung mit verschiedenen sozialen Rollenmustern und den zugehörigen Verhaltensweisen verstanden werden,341 ohne dass dabei die gesamte gesellschaftliche Ordnung umgekehrt oder außer Kraft gesetzt wird. Es lässt sich zumindest vermuten, dass dem Karneval in diesem Sinne eine ganz ähnliche Funktion zukommt wie dem Humor: Komik entsteht häufig dadurch, dass erwartetes Verhalten nicht eintritt oder gebrochen wird, dass verschiedene Sphären miteinander vertauscht werden oder dass Grenzen bewusst überschritten werden342 – viele dieser Elemente werden wohl nicht zufällig bei karnevalesken Festen umgesetzt, wenn etwa traditionelles Rollenverhalten vertauscht wird, also z.B. Männer weibliche Verhaltensmuster nachahmen oder das Kind die Eltern belehrt.343 Die Elemente der Umkehrung, die in karnevalesken Festen auftreten, lassen sich möglicherweise besser greifen, wenn man mit Babcock von einem sehr weiten Verständnis von symbolischer Inversion ausgeht: „‚Symbolic inversion‘ may be broadly defined as any act of expressive behavior which inverts, contradicts, abrogates, or in some fashion presents an alternative to commonly held cultural codes, values, and norms be they linguistic, literary or artistic, religious, or social and political.“344

Die Mechanismen, die Inversionsriten ausmachen, werden z.B. ebenso als Stilmittel in der Literatur (z.B. Ironie, Paradoxon) verwendet und stellen nicht zuletzt ein zentrales Prinzip der Komödie dar.345 Dieser erweiterte Blick lässt für die Antike eine sehr große Spannbreite an Bereichen erkennen, die Elemente symbolischer Inversion aufweisen. So findet sich, abgesehen von unzähligen Beispielen für den Einsatz der genannten Stilmittel in der Literatur, häufig die Motivik einer verkehrten Welt, eines mundus inversus, in Darstel-

339

Abrahams/Bauman 1978, 193 und 200. Auf den spielerischen Charakter von Umkehrriten weist auch Babcock 1978, 25 hin. 341 Zum Rollenwechsel vgl. Bausinger 1980, 21. 342 Jünger 1948, 13: „Alles Komische geht aus einem Konflikt hervor. Ohne ihn ist nichts Komisches denkbar, und nur insofern er uns bewußt wird, sind wir fähig, das Komische wahrzunehmen.“ 343 Babcock 1978, 17. So lässt sich der häufig sehr körperbetonte Humor, den Kinder in einem gewissen Alter lustig finden (Clowns, die über übergroße Füße stolpern; Witze oder Sprüche, die Körperausscheidungen betreffen), so erklären, dass die Kinder gerade gelernt haben, ihren Körper und ihre Körperfunktionen selbst zu beherrschen, und sich nun im Lachen des Erlernten vergewissern können. Czech 2000, 866; Jurzik 1985, 31. In ähnlicher Weise wird im Karneval mit sozialen Rollenund Verhaltensmustern gespielt. Vgl. auch Bachtin 1996, 15-23 zu seinen Überlegungen zur „groteske[n] Gestalt des Leibes“. 344 Babcock 1978, 14. 345 Ebd., 16f. 340

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lungen346, Literatur und Drama – man denke etwa an die Ekklesiazusai des Aristophanes oder an das von Lukian gezeichnete satirische Bild des Totenreichs, in welchem die sozialen Verhältnisse auf den Kopf gestellt sind.347 Beschäftigt man sich mit karnevalesken Festen in der Antike, sollte man daher ganz grundsätzlich reflektieren, wie stark die literarischen Quellen von Stilmitteln und Motiven der symbolischen Inversion durchzogen sind. Beginnt man, die Quellen in diesem Sinne kritisch zu reflektieren, stellt sich die Frage, ob es die antiken Feste, die bislang häufig als Vorformen des Karnevals mit potenziellen revolutionär-subversiven Elementen interpretiert wurden, in dieser Form überhaupt gab.348 Das wohl bekannteste Beispiel aus der Antike, auf das auch Bachtin immer wieder rekurriert, ist das römische Fest der Saturnalien.349 Der in den überlieferten Kalendern350 verzeichnete Festtag der Saturnalien fiel auf den 17. Dezember, den Tag, an dem der Saturntempel geweiht wurde.351 Dieser Festtag wurde in Rom mit einem von Senatoren durchgeführten Opfer, einem lectisternium sowie einem öffentlichen Festmahl (convivium publicum) vor dem Tempel des Saturn begangen.352 Der Tag galt offiziell als Feiertag, weshalb keine Gerichtsverhandlungen stattfinden durften und die Schulen geschlossen blieben. Die inoffizielle Festzeit erstreckte sich jedoch über sieben Tage.353 Zahlreiche Quellen zeugen davon, dass sich das Fest einer ungeheuren Beliebtheit erfreute, wohl nicht zuletzt, weil üppige Festmähler und Trinkgelage zum Festbrauch ge-

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Kenner 1970. Vgl. auch Kunzle 1978 mit einer Zusammenstellung der verschiedenen Motive einer „World Upside Down“ von der Antike bis zur Gegenwart. 347 Lukian., nek. 16-17. Zu einer Diskussion des Motivs der verkehrten Welt in der antiken Literatur vgl. Kenner 1970, 60-82, zu verschiedenen Interpretationen ebd., 95. 348 So auch Zimmermann 1999, 94. 349 Vgl. hierzu Versnel 1993 und Nilsson 1921, auf deren umfangreiche Zusammenstellungen sich bis heute alle Arbeiten berufen, die sich mit den Saturnalien beschäftigen. Zu anderen Beispielen karnevalesker Elemente in der Antike, u.a. dem Fest der Sakaia in Babylon und zu Festen in Griechenland, vgl. Kenner 1970, 82-87. 350 Z.B. in den fasti Amiterni (InscrIt 13,2, 25): Sat(urnalia) n(efas) p(iaculum) fer(iae) Saturno / Saturn(o) ad for(um); in den fasti aus Ostia (InscrIt 13,2, 16): [Satu]rn(alia) [n(efas) p(iaculum)], und sogar in den spätantiken fasti des Filocalus (InscrIt 13,2, 42) sind noch ludi Saturnalia verzeichnet. 351 Versnel 1993, 146. 352 Liv. 22,1,19: Postremo Decembri iam mense ad aedem Saturni Romae immolatum est, lectisterniumque imperatum – et eum lectum senatores strauerunt – et conuiuium publicum, ac per urbem Saturnalia diem ac noctem clamata, populusque eum diem festum habere ac seruare in perpetuum iussus. Vgl. auch Macrob. Sat. 1,10,18: Ex his ergo omnibus colligi potest et uno die Saturnalia fuisse et non nisi quarto decimo Kalendarum Ianuariarum celebrata: quo solo die apud aedem Saturni convivio dissoluto Saturnalia clamitabantur […]. 353 Versnel 1993, 147f.; Plin. epist. 8,7,1 (zu den geschlossenen Schulen). Unter Augustus wurde die offizielle Festzeit auf drei Tage, unter Domitian offenbar auf fünf Tage ausgeweitet. Macr. Sat. 1,10,24 (zu den septem Saturnalia und zur Ausweitung der Gerichtsferien auf drei Tage unter Augustus) und Nilsson 1921, 201 (zur Diskussion der Ausweitung unter Domitian).

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hörten354 und das ansonsten verbotene Würfelspiel erlaubt war.355 Auch verschiedene Andeutungen in den Quellen, wie die offenbar geflügelten Worte semper Saturnalia agunt356 bzw. non semper Saturnalia erunt,357 die sinngemäß auf einen Ausnahmezustand, in dem alles erlaubt ist, verweisen, zeigen ebenso wie die legere Kleidung – man trug nicht die Toga, sondern bequeme Kleidung und den pileus oder pilleum, die Kappe der Freigelassenen358 –, dass diesem Fest ein dezidiert ausgelassener Charakter zukam. Zudem war es üblich, an Freunde und Bekannte kleine Geschenke zu schicken; traditionell handelte es sich dabei laut Macrobius um Tonpüppchen oder Wachslichter,359 doch bereits über Augustus berichtet Sueton, dass dieser verschiedenste, durchaus wertvollere Geschenke verteilte: Münzen, Kleidung, Haushaltsgegenstände wie Decken, Schwämme und Schürhaken, und Gegenstände mit rätselhaften und mehrdeutigen Aufschriften.360 Zweideutige Sprüche oder Rätsel waren anscheinend beliebte Gaben an diesem Fest, und die mit Apophoreta und Xenia betitelten Martial-Bücher werden generell als Sammlung von derartigen tituli obscuri et ambigui gedeutet, die diversen kleinen Geschenken beigefügt werden konnten – beide Martial-Bücher geben zugleich einen Eindruck von der Vielfalt der möglichen Geschenke.361

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Vgl. z.B. Mart. 11,6; Hor. sat. 2,3,5; Plin. epist. 2,17,24; Sen. epist. 18,1. Vgl. z.B. Suet. Aug. 71; Mart. 4,14,7-9; 5,84; 11,6. Schön illustriert dies auch das Kalenderbild zum Monat Dezember in den fasti des Filocalus (InscrIt 13,2, 42), das einen Mann mit Würfel und Würfelbecher zeigt. In der Beischrift findet sich der Satz: nunc tibi cum domino ludere, verna, licet. Nilsson 1921, 204; Versnel 1993, 148. Eine Darstellung der Kalenderbilder findet sich z.B. bei http://www.tertullian.org/fathers/chronography_of_354_06_calendar.htm, zuletzt aufgerufen am 26.03.2014. 356 Petron. 44. 357 Sen. apocol. 12. 358 Mart. 14,1; Sen. ep. 18,3. 359 Macr. Sat. 1,11,49. 360 Suet. Aug. 75: Saturnalibus, et si quando alias libuisset, modo munera dividebat, vestem et aurum et argentum, modo nummos omnis notae, etiam veteres regios ac peregrinos, interdum nihil praeter cilicia et spongias et rutabula et forpices atque alia id genus titulis obscuris et ambiguis. Auch Vespasian verteilte an den Saturnalien Geschenke, vgl. Suet. Vesp. 19,1. 361 Der Bezug zu den Saturnalien in der Einleitung der Apophoreta ist in der Tat eindeutig, vgl. Mart. 14,1: Hier werden die legere Kleidung (synthesis, das leichte Hausgewand), die Kappen der Freigelassenen (pillea), das erlaubte Würfelspiel (Nec timet aedilem moto spectare fritillo, / Cum videat gelidos tam prope verna lacus), die teilweise zweifelhaften Geschenke, die offenbar auch per Los zugeteilt werden konnten (Divitis alternas et pauperis accipe sortes: / Praemia convivae dent sua quisque suo. / 'Sunt apinae tricaeque et si quid vilius istis.'), und explizit die „feuchten Tage des Saturn“ genannt (Sed quid agam potius madidis, Saturne, diebus, / Quos tibi pro caelo filius ipse dedit?). In den Xenia wird allerdings im Epigramm zu den vergoldeten Datteln erwähnt, dass diese als typisches Geschenk an den Kalenden des Januar, also am Neujahrstag überreicht werden: Mart. 13,27: Aurea porrigitur Iani caryota Kalendis; / sed tamen hoc munus pauperis esse solet. Da es am Neujahrstag ebenfalls üblich war, Geschenke zu überreichen, ist nicht ganz klar, ob sich nicht einige der Belege, die bisher im Zusammenhang mit den Saturnalien gesehen worden sind, statt dessen auf das Neujahrsfest beziehen – möglicherweise kam es mit der Ausdehnung des Saturnalienfestes auch zu einer Überschneidung und Vermischung der Bräuche der beiden Feste. Zu Geschenken bei Saturnalien (und deren Ausufern) Baltrusch 1989, 62f. 355

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Als markantestes Charakteristikum der Saturnalien wird jedoch meist ein anderes Phänomen ausgemacht: die kurzzeitige Aufhebung bzw. Inversion der sozialen Hierarchie, insbesondere zwischen Sklaven und Herren.362 Es ist in erster Linie diese Vorstellung einer Umkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Saturnalien gerne als antiken Vorläufer des Karnevals erscheinen lassen – doch ist diese Charakterisierung zutreffend? Um dies zu beurteilen, müssen zunächst die betreffenden Passagen in den antiken Quellen betrachtet werden. Die zentrale Quelle ist Macrobius, ein spätantiker Philosoph, der um 400 n.Chr. in seinem Werk Saturnalia, das in der Tradition der Symposien-Literatur steht, auch über das namensgebende Saturnalienfest reflektiert, wobei er zahlreiche antike Werke zitiert.363 So lässt Macrobius den Symposionsteilnehmer Praetextatus mit Verweis auf Lucius Accius (einen Tragödiendichter des 2. und frühen 1. Jhs. v.Chr.) und Philochorus (einen griechischen Autor des 3. Jhs. v. Chr.) anführen, dass der Brauch, dass nach der Beendigung der Ernte die beteiligten Sklaven mit den Herren (patres familiarum) gemeinsam an einem Tisch speisen, auf eine griechische Sitte zurückgehe.364 Alternativ, wie etwa bei Junianus Justinus, wurde die Gleichheit von Herren und Sklaven als Anklang an das mythische goldene Zeitalter des Saturn erklärt, als alle Menschen gleich waren, kein Privatbesitz existierte und alle in Frieden und Wohlstand lebten.365 Tatsächlich scheint das gemeinsame Speisen von Herren und Sklaven auch beim römischen Fest üblich gewesen zu sein. So wird etwa über Verus berichtet, dass er an den Saturnalien und an anderen Festtagen die Haussklaven im Speiseraum zuließ.366 Allerdings stellt sich bei dieser Passage die Frage, ob es sich hier tatsächlich um einen allgemein üblichen Brauch an den Saturnalien handelte, oder nicht vielmehr um eine einmalige Laune dieses Kaisers. Die Tatsache, dass extra betont wird, dass er die Sklaven regelmäßig am Tisch mitspeisen ließ – und zwar nicht nur an den Saturnalien, sondern auch an verschiedensten anderen Festtagen –, lässt zumindest vermuten, dass dies

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Versnel 1993, 149: „The most remarkable and characteristic trait of the Saturnalia was the temporary suspension of the social distinctions between master and servant.“ 363 Döpp 1993, 149. 364 Macr. Sat. 1,7,37: Maxima pars Graium Saturno et maxime Athenae / Conficiunt sacra, quae Cronia esse iterantur ab illis, / Eumque diem celebrant: per agros urbesque fere omnes / Exercent epulis laeti: famulosque procurant / Quisque suos, nostrique itidem: et mos traditus illinc / Iste, ut cum dominis famuli epulentur ibidem; und 1,10,22: Philochorus Saturno et Opi primum in Attica statuisse aram Cecropem dicit, eosque deos pro Iove terraque coluisse, instituisseque ut patres familiarum et frugibus et fructibus iam coactis passim cum servis vescerentur cum quibus patientiam laboris in colendo rure toleraverant: delectari enim deum honore servorum contemplatu laboris. Hinc est quod ex instituto peregrino huic deo sacrum aperto capite facimus. 365 Iust. 43,1,3-4: Italiae cultores primi Aborigines fuere, quorum rex Saturnus tantae iustitiae fuisse dicitur, ut neque servierit quisquam sub illo neque quicquam privatae rei habuerit, sed omnia communia et indivisa omnibus fuerint, veluti unum cunctis patrimonium esset. Ob cuius exempli memoriam cautum est, ut Saturnalibus exaequato omnium iure passim in conviviis servi cum dominis recumbant. 366 HA, Ver. 7,5: Vernas in triclinium Saturnalibus et diebus festis semper admisit.

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ansonsten in diesen Kreisen nicht üblich war. In eine ähnliche Richtung zielt eine Passage bei Seneca, der in seinem Plädoyer für eine gute Behandlung der Sklaven darauf verweist, dass die Vorfahren (maiores) einen Festtag367 eingerichtet hätten, an welchem Sklaven und Herren gemeinsam speisen sollten, wenn sie dies nicht ohnehin taten.368 In anderen Quellen wird noch ein Schritt weitergegangen und konstatiert, dass die Sklaven nicht gemeinsam mit den Herren speisten, sondern vor ihnen, und es finden sich sogar Belege, dass sie dabei von den Herren bedient wurden. Macrobius etwa beschreibt, dass die Sklaven an den Saturnalien mit einem eigenen Mahl von der Familie „geehrt“ wurden, und erst anschließend nahmen die Hausherren ihr Mahl ein.369 Auch Athenaeus, ein griechischer Autor des 2./3. Jhs. n.Chr., berichtet, dass die Römer an den Saturnalien ein Mahl für die Sklaven in ihrem Haushalt ausrichteten und sogar selbst für diese Zeit die „Pflichten“ der Sklaven übernahmen. Ähnlich wie Macrobius in Bezug auf das gemeinsame Speisen nach vollbrachter Ernte weist Athenaeus hierbei darauf hin, dass es sich ursprünglich um einen griechischen Brauch gehandelt habe.370 Beschränken sich diese Schilderungen auf ein getrenntes Mahl von Herren und Sklaven, das von den Herren ausgerichtet wurde, so weist eine Randbemerkung bei Cassius Dio durchaus radikalere Züge auf: Laut Cassius Dio tauschten die Sklaven für die Feier der Saturnalien ihre Kleidung bzw. ihre Stellung – der Begriff σχῆμα ist nicht eindeutig – mit ihren Herren.371 Auch Ausonius, ein spätantiker Dichter des 4. Jhs., erwähnt einen Rollentausch von Herren und Sklaven, ohne diesen jedoch näher zu spezifizieren.372 Ebenso vage bleibt ein kurzer Verweis bei Macrobius, dass an den Saturnalien den Sklaven sämtliche Freiheiten erlaubt seien.373 Horaz dagegen führt aus, dass ein Sklave die „Freiheit des Dezembers“ (libertas Decembris), was sich wohl auf die Saturnalien bezieht, 367 Auch wenn Seneca diesen Festtag nicht näher spezifiziert, ist anzunehmen, dass es sich hierbei um die Saturnalien handelt. 368 Sen. epist. 47,14: Instituerunt diem festum, non quo solo cum servis domini vescerentur, sed quo utique […]. Zur Diskussion dieser Passage Versnel 1993, 150, Anm. 81. 369 Macr. Sat. 1,24,23: Hoc enim festo religiosae domus prius famulos instructis tamquam ad usum domini dapibus honorant: et ita demum patribus familias mensae apparatus novatur. 370 Athen. deipn. 14, 639B: Τοσαῦτα τοῦ Μασουρίου διεξελθόντος περιηνέχθησαν ἡμῖν καὶ αἱ δεύτεραι καλούμεναι τράπεζαι, πολλάκις ἡμῖν διδόμεναι οὐ μόνον ταῖς τῶν Κρονίων ἡμέραις, ἐν αἷς Ῥωμαίων παισὶν ἔθος ἐστὶν ἑστιᾶν τοὺς οἰκέτας, αὐτοὺς τὰς τῶν οἰκετῶν ἀναδεχομένους λειτουργίας. Ἑλληνικὸν δὲ τοῦτο τὸ ἔθος. Mit „Kronia“ sind die Saturnalien gemeint; hier wird, wie auch in anderen griechischen Quellen, der Name für das griechische Äquivalent des Festes verwendet. Auch Lukian erwähnt, dass die Herren gemeinsam mit ihren Freunden ihre Sklaven bedienen sollen, vgl. Lukian. Sat. 18: Ἐπὰν δὲ τοὺς οἰκέτας ὁ πλούσιος εὐωχῇ, διακονούντων καὶ οἱ φίλοι σὺν αὐτῷ. Die Quellenlage zu den griechischen Kronia ist allerdings sehr spärlich; auch hier finden sich bei Macrobius die wichtigsten Belege. Burkert 1993, 14-16. 371 Cass. Dio, 60,19,3: […] ἐν τοῖς Κρονίοις οἱ δοῦλοι τὸ τῶν δεσποτῶν σχῆμα μεταλαμβάνοντες ἑορτάζουσι […]. 372 Auson. ecl. 23,15f.: visne Opis ante sacrum vel Saturnalia dicam / festaque servorum, cum famulantur eri? 373 Macr. Sat. 1,7,26: Saturnalibus tota servis licentia permittitur.

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genutzt habe, um seinem Herrn Dinge zu sagen, die er normalerweise wohl nicht so offen äußern würde.374 Seneca erwähnt im Anschluss an die bereits zitierte Passage zu einem Festtag, an dem die Sklaven mit den Herren speisen sollten, dass den Sklaven an diesem Tag besondere Rechte zukommen würden; so dürften sie etwa Recht sprechen und dem Haushalt vorstehen.375 Allerdings wird diese Passage sehr kontrovers diskutiert und es ist nicht klar, ob es sich hierbei um ein scherzhaftes Imitieren der Hausherren handelte oder ob Seneca damit zum Ausdruck bringen wollte, dass die Sklaven als Gleichgestellte behandelt werden sollten.376 In eine etwas andere Richtung zielt ein Brauch, von dem wir bei Epiktet und Lukian erfahren: die Wahl des Saturnalienkönigs, der zur Erheiterung der Gäste unsinnige Befehle geben durfte. Epiktet, ein griechischer Philosoph des späten 1. und frühen 2. Jhs. n.Chr., schreibt, dass dieser König (βασιλεύς) an den Saturnalien per Los bestimmt werde, und dann den anderen Gästen etwa befehle, zu trinken oder zu singen. 377 Lukian erwähnt noch ausgefallenere Kommandos des Königs, wie etwa nackt zu tanzen oder eine Flötenspielerin dreimal um das Haus zu tragen.378 Abgesehen von einer kurzen Erwähnung bei Seneca, der in der Apocolocyntosis Claudius als Saturnalicius princeps bezeichnet – was sich jedoch nicht unbedingt auf diesen Brauch beziehen muss379 –, findet sich in der lateinischen Literatur nur ein Hinweis auf die Wahl eines Saturnalienkönigs: Tacitus berichtet, wie Nero beim Saturnalienfest per Los zum König bestimmt wurde, und Britannicus beauftragte, ein Lied zu singen, in der Hoffnung, dass dieser sich vor den Anwesenden blamierte.380 Es stellt sich daher die Frage, wie verbreitet dieser Brauch tatsächlich in Rom war.

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Hor. Sat. 2,7. Zu dieser Passage und deren Einordnung als Saturnalienliteratur Döpp 1993, 154156. 375 Sen. epist. 47,14: instituerunt diem festum, non quo solo cum servis domini vescerentur, sed quo utique; honores illis in domo gerere, ius dicere permiserunt et domum pusillam rem publicam esse iudicaverunt. 376 Versnel 1993, 149f., insbes. 150, Anm. 81. 377 Epikt. diatr. 1,25,8: ἐν Σατορναλίοις λέλογχεν βασιλεύς: ἔδοξε γὰρ παῖξαι ταύτην τὴν παιδιάν. προστάσσει ‘σὺ πίε, σὺ κέρασον, σὺ ᾆσον, σὺ ἄπελθε, σὺ ἐλθέ.’ ὑπακούω, ἵνα μὴ παρ᾽ ἐμὲ λύηται ἡ παιδιά. 378 Lukian. Sat. 4. ἔτι καὶ βασιλέα μόνον ἐφ’ ἁπάντων γενέσθαι τῷ ἀστραγάλῳ κρατήσαντα, ὡς μήτε ἐπιταχθείης γελοῖα ἐπιτάγματα καὶ αὐτὸς ἐπιτάττειν ἒχοις, τῷ μὲν αἰσχρόν τι περὶ αὑτοῦ ἀναβοῆσαι, τῷ δὲ γυμνὸν ὀρχήσασθαι καὶ ἀράμενον τὴν αὐλητρίδα τρὶς τὴν οἰκίαν περιελθεῖν – πῶς οὐχὶ καὶ ταῦτα δείγματα μεγαλοδωρίας τῆς ἐμῆς; Beide Belege beziehen sich auf die römische Kultur; ein „KronosKönig“ ist für Griechenland nicht belegt. Burkert 1993, 15. 379 Die Wortwahl princeps statt rex lässt vermuten, dass es sich hier nicht um diesen Brauch handelt; vielleicht spielt Seneca allgemein auf die Zügellosigkeit und ungewohnten Freiheiten bei den Saturnalien an und kommentiert somit die Herrschaft des Claudius ironisch. Zu dieser Passage Versnel 1993, 205-208 und Döpp 1993, 160. 380 Tac. ann. 13,15,2: festis Saturno diebus inter alia aequalium ludicra regnum lusu sortientium evenerat ea sors Neroni. igitur ceteris diversa nec ruborem adlatura: ubi Britannico iussit exsurgeret progressusque in medium cantum aliquem inciperet, inrisum ex eo sperans pueri sobrios quoque

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Insgesamt lassen sich also verschiedene Stoßrichtungen der Quellen zum Saturnalienfest ausmachen: In einigen Belegen wird ein gemeinsames Mahl von Herren und Sklaven erwähnt, was auf eine kurzzeitige Aufhebung der sozialen Ordnung hinweist, in anderen wird eine Umkehrung bestimmter Verhaltensweisen von Herren und Sklaven bzw. eine Bevorzugung der Sklaven angenommen, was ein Inversionsritual impliziert. Unabhängig davon scheint es den Brauch des Saturnalienkönigs gegeben zu haben. Wie sind diese verschiedenen Elemente einzuordnen und zu bewerten? Die Quellen stimmen mehr oder weniger darin überein, dass das gemeinsame Speisen von Sklaven und Herren auf einen griechischen Brauch zurückgeht, wobei es sich wohl ursprünglich um ein Festessen zur Feier der vollbrachten Feldarbeit handelte. Dass zu dieser Gelegenheit alle Beteiligten, die zuvor Seite an Seite auf dem Feld gearbeitet hatten, nun gemeinsam den erfolgreichen Abschluss ihrer Arbeit genießen durften, ist gut nachvollziehbar. Hierbei dürfte es sich also eher um ein gemeinsames Feiern gehandelt haben als um eine subversiv intendierte Annäherung der Sklaven an die soziale Position der Herren. Überhaupt sollte nicht vergessen werden, dass Sklaven, die im Haushalt einer Familie lebten und arbeiteten, häufig als Teil der familia wahrgenommen wurden und ein gemeinsames Speisen vielleicht eher die Regel als die Ausnahme war – die Aussagen von Seneca zielen auf jeden Fall in diese Richtung.381 Interessanterweise folgt bei Macrobius auf die langen Ausführungen des Praetextatus über den Ursprung der Saturnalienfeier, wo unter anderem erwähnt wird, dass Sklaven mit ihren Herren speisen, eine lange Diskussion mit einem weiteren Symposionsteilnehmer, Euangelus. Dieser hält nämlich eine derartige Gemeinschaft von Sklaven und Herren für völlig unangebracht, woraufhin Praetextatus ein glühendes Plädoyer dafür hält, Sklaven mit Respekt und Menschlichkeit zu behandeln.382 Offenbar gingen auch noch zu Macrobius‘ Zeiten die Meinungen über Sklaverei deutlich auseinander, und dies lässt vermuten, dass das gemeinsame Speisen von Sklaven und Herren am Saturnalienfest oder auch im Alltag je nach Familie unterschiedlich wahrgenommen und dementsprechend auch unterschiedlich gehandhabt wurde.383

convictus, nedum temulentos ignorantis, ille constanter exorsus est carmen, quo evolutum eum sede patria rebusque summis significabatur. 381 Sen. epist. 47,14. 382 Macr. Sat. 1,11. 383 Zudem muss man die Sklaven innerhalb eines Haushaltes differenzieren: Einige Haushalte dürften über eine große Anzahl von Sklaven verfügt haben, die sehr unterschiedliche und zum Teil äußerst spezialisierte Aufgaben wahrnahmen. Dolansky 2011, 490. Dass in diesen Fällen tatsächlich alle Sklaven gemeinsam mit der Familie gespeist haben, muss wohl bezweifelt werden – wahrscheinlich nahmen nur diejenigen teil, die anspruchsvolle und prestigeträchtige Aufgaben ausführten und/oder

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Die Belege, dass es darüber hinaus zu einer Umkehrung der sozialen Hierarchie gekommen sei, indem die Herren die Sklaven bedienten oder mit ihnen die Kleidung tauschten, sind weitaus problematischer.384 Die entsprechende Passage bei Macrobius ließe sich noch so erklären, dass es in vornehmen Häusern undenkbar war, mit den Sklaven gemeinsam zu speisen, weshalb man an den Saturnalien die Sklaven zuerst speisen ließ, um zumindest anzudeuten, dass man den Brauch respektierte.385 Ähnlich ist wohl auch der Hinweis bei Athenaeus zu deuten, wobei hierbei zusätzlich bedacht werden muss, dass es sich um einen griechischen Autor handelte, der den Brauch zudem auf eine griechische Tradition zurückführte, und dabei möglicherweise aus dem griechischen Bereich bekannte Elemente auf die römische Gesellschaft übertrug. Die Bemerkung, dass die Herren die Pflichten der Sklaven übernahmen, bleibt zudem äußerst vage – es lässt sich zumindest bezweifeln, dass die Herren unangenehme und anstrengende Arbeiten durchführten. Cassius Dio liefert wie bereits angedeutet den einzigen Beleg für einen expliziten Rollentausch zwischen Sklaven und Herren, und damit das einzige Beispiel, das sich konkret als Inversionsritual fassen lässt. Allerdings muss bei dieser Passage der Kontext mit berücksichtigt werden: Als 43 n.Chr. unter Aulus Plautius ein Militärschlag gegen Britannien durchgeführt werden sollte, kam es zu einer Meuterei der Soldaten. Daraufhin versuchte Narcissus, Freigelassener und einflussreicher Berater des Claudius, zu den Soldaten zu sprechen und sie umzustimmen, doch diese gerieten laut Cassius Dio in nur noch größere Aufregung und stießen schließlich den für die Saturnalien überlieferten Ruf Io Saturnalia aus. Cassius Dio fügt dann erklärend die bereits zitierte Passage hinzu, dass an diesem Fest die Sklaven die Kleidung/Stellung mit ihren Herren tauschten und feierten.386 Dieser Zusatz ist insofern von Bedeutung, als Cassius Dio den Saturnalienruf nicht nur als Aus-

einen persönlichen Bezug zu Familienmitgliedern hatten. Zur Hierarchie innerhalb der Sklaven in einem Haushalt ebd., 490f. Dolansky geht allerdings davon aus, dass tatsächlich alle Mitglieder des Haushaltes an den Feiern beteiligt waren, zudem noch Klienten, Freigelassene und Bekannte. Ebd., 491. 384 Versnel 1993, 149, Anm. 78. 385 Dies erinnert stark an die Tradition des „Servant’s Ball“ in der englischen Oberschicht des 19. Jhs., Bälle, die von den Hausherren für die Bediensteten ausgerichtet wurden. Auch hier kam es zu keiner tatsächlichen Umkehrung der sozialen Hierarchie: Anstatt selbst zu bedienen, heuerte die Herrschaft natürlich auswärtige Bedienstete für den Ball an. Maloney 2011 (keine Seitenangabe). 386 Cass. Dio, 60,19,1-3: ἐν μὲν δὴ τῇ πόλει ταῦτ'ἐγίγνετο, κατὰ δὲ τὸν αὐτὸν τοῦτον χρόνον Αὖλος Πλαύτιος βουλευτὴς λογιμώτατος ἐς τὴν Βρεττανίαν ἐστράτευσε· Βέρικος γάρ τις ἐκπεσὼν ἐκ τῆς νήσου κατὰ στάσιν ἔπεισε τὸν Κλαύδιον δύναμιν ἐς αὐτὴν πέμψαι. καὶ οὕτως ὁ Πλαύτιος στρατηγήσας τὸ μὲν στράτευμα χαλεπῶς ἐκ τῆς Γαλατίας ἐξήγαγεν· ὡς γὰρ ἔξω τῆς οἰκουμένης στρατεύσοντες ἠγανάκτουν, καὶ οὐ πρότερόν γε αὐτῷ ἐπείσθησαν πρὶν τὸν Νάρκισσον ὑπὸ τοῦ Κλαυδίου πεμφθέντα ἀναβῆναί τε ἐπὶ τὸ τοῦ Πλαυτίου βῆμα καὶ δημηγορῆσαί τι ἐθελῆσαι· τότε γὰρ πολλῷ που μᾶλλον ἐπ'αὐτῷ ἀχθεσθέντες οὔτε τι ἐκείνῳ εἰπεῖν ἐπέτρεψαν, συμβοήσαντες ἐξαίφνης τοῦτο δὴ τὸ θρυλούμενον « ἰὼ σατουρνάλια, » ἐπειδήπερ ἐν τοῖς Κρονίοις οἱ δοῦλοι τὸ τῶν δεσποτῶν σχῆμα μεταλαμβάνοντες ἑορτάζουσι, καὶ τῷ Πλαυτίῳ εὐθὺς ἑκούσιοι συνέσποντο.

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druck des Widerstands deutet, sondern als spöttische, implizite Kritik am Freigelassenen interpretiert, der sich – wie ein Sklave an den Saturnalien – nicht standesgemäß verhält und als Anführer für die Soldaten nicht in Frage kommt. Letztlich geht es bei diesem Zitat des Saturnalienrufs also um die Illustrierung eines unangemessenen Verhaltens, was zugleich eine indirekte Bestätigung der sozialen Ordnung beinhaltet. Diese Quelle als Beleg für einen in Rom üblichen Brauch zu sehen, ist daher nicht unproblematisch – nicht zuletzt, da Cassius Dio wie bereits gesagt die einzige Quelle ist, die von einem Rollentausch zwischen Herren und Sklaven berichtet. Auch für Cassius Dio wäre ähnlich wie bei Athenaeus denkbar, dass er in dieser Darstellung einen griechischen Brauch auf die römische Welt übertrug, da dieser sich als interpretatives Element gut in die Erzählstruktur einfügte. Insgesamt fällt auf, dass sich kein Beleg aus der frühen Kaiserzeit für eine Inversion der sozialen Hierarchie an den Saturnalien findet – alle Passagen, die auf einen derartigen Brauch Bezug nehmen, stammen aus einer späteren Zeit –, und man sollte meinen, dass ein derart ‚revolutionärer‘ und subversiver Brauch von den Zeitgenossen zumindest kommentiert worden wäre. Statt dessen wird hier vor allem die allgemein ausgelassene Stimmung, das exzessive Trinken und das ausnahmsweise erlaubte Würfelspiel betont, was jedoch für alle, Sklaven und Freie gleichermaßen, galt.387 Diese exzessive Seite des Festes fehlt wiederum bei Macrobius überraschender Weise völlig: Hier steht das gelehrte Gespräch der Tischgenossen im Vordergrund, die sich etwa über Ursprung, Zeitpunkt und Dauer der Saturnalien und über die rechte Behandlung von Sklaven unterhalten. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich also, dass das Bild, das von den Quellen gezeichnet wird, in seinen Einzelheiten nicht recht zusammenpassen will. Die Passagen, die eine Angleichung oder Umkehrung der Stellung von Sklaven und Herren andeuten, stammen überwiegend aus dem griechischen Bereich oder aus der Spätantike. Quellen aus der frühen Kaiserzeit schweigen zu diesem Phänomen, betonen dagegen allgemein den ausgelassenen Charakter des Festes. Abgesehen von der Frage, ob eine rituelle Umkehrung der Stellung von Sklaven und Herren im Festgeschehen nicht häufiger kommentiert worden wäre, sollte grundsätzlich reflektiert werden, wie wahrscheinlich es ist, dass ein derartiges Inversionsritual in der römischen Gesellschaft durchgeführt wurde. Ist es denn realistisch, dass sich ein römischer Sklave tatsächlich der aus Horaz388 abgeleiteten Freiheit bediente, seinem Herren einmal im Jahr die ehrliche Meinung zu sagen? Selbst wenn man diese Passage als Beleg für die Meinungsfreiheit der Sklaven an den Saturnalien sehen möchte, und nicht mit Döpp als eines von vielen typischen Beispielen der Saturnalienliteratur,389

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Vgl. z.B. die bereits erwähnten einschlägigen Passagen bei Plinius, Martial und Horaz. Hor. Sat. 2,7. 389 Döpp 1993, 154-156. 388

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lässt sich durchaus bezweifeln, ob tatsächlich jeder Hausherr die dafür nötige Größe besaß, mit solch freimütiger Kritik durch einen Sklaven umzugehen.390 Außerdem gilt es zu bedenken, dass eine revolutionär intendierte Umkehrung der Stellung von Sklaven und Herren ein Bewusstsein über die grundsätzliche ‚Ungerechtigkeit‘ von Sklaverei voraussetzt. Auch wenn es Belege dafür gibt, dass über die Stellung der Sklaven bereits in der Antike diskutiert wurde,391 trägt die Annahme, dass in der römischen Gesellschaft eine derartige generelle Reflexion über die ungerechte soziale Stellung von Sklaven stattfand, dass diese sogar in einem jährlichen Fest institutionalisiert wurde, möglicherweise stärkere anachronistische Züge, als dem modernen Betrachter bewusst ist, zumal es sich bei der Diskussion über Sklaverei um einen Elitendiskurs handelte, an dem weder die breite Bevölkerung noch die Sklaven selbst beteiligt waren. Insbesondere die Studien von Abrahams und Bauman konnten zeigen, dass eine vorschnelle, unreflektierte Übertragung moderner Karnevalstheorien im Bachtin’schen Sinne häufig zu kurz greift und am eigentlichen Charakter des Festes vorbeigeht. Tatsächlich spricht aus den meisten Quellen eher der Gedanke, dass den Sklaven in einem gemeinsamen (oder auch gesonderten) Mahl Wertschätzung für die geleisteten Dienste entgegengebracht werden sollte,392 und weniger die Vorstellung einer auf den Kopf gestellten gesellschaftlichen Hierarchie. Ein Versuch, die Saturnalien in Anlehnung an Abrahams und Bauman als spielerische Auseinandersetzung mit sozialen Grenzen zu begreifen, führt möglicherweise weiter, als einen revolutionär-subversiven Zug zu unterstellen, der kaum von den Quellen getragen wird. Eine Analyse der Quellen unter diesem Gesichtspunkt wäre sicherlich lohnenswert. Unabhängig vom tatsächlichen Festgeschehen ist dagegen die literarische Motivik zu betrachten. Dass sich häufig saturnalische Elemente wie das Motiv einer verkehrten Welt und der Statusinversion in Literatur und Theater finden, überrascht nicht, da sie wie bereits dargelegt grundlegende Prinzipien des Komischen sind.393 Wie vielschichtig saturnalische Motive in der Literatur eingesetzt werden können, zeigt Döpp eindrucksvoll am Beispiel der bereits erwähnten Horaz-Satire: Die verkehrte Welt der Saturnalien ist dabei nur der Ausgangspunkt zu einer satirischen Reflexion der Freiheit des Herren, der „im geistigen Sinn als Sklave charakterisiert wird“.394 Die Elemente der Inversion lassen sich

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Auch bei Horaz fehlt das Verständnis des Herren: Er droht dem Sklaven, ihn zur Strafe auf das Landgut zu versetzen. Hor. Sat. 2,7, 116-118. Bradley dagegen betont, dass es erstaunt, dass Sklaven derartige Freiheiten im Fest eingeräumt werden sollten, deutet dies aber letztlich als Möglichkeit der Sklavenbesitzer, einmal im Jahr Großzügigkeit zu beweisen und die Sklaven somit mit ihrem Los zu versöhnen. Bradley 1984, 42. 391 Z.B. die bereits erwähnten Passagen bei Macr. Sat. 1,11 und Senec. ep. 47. 392 So auch Bradley 1984, 44. 393 Zum „Saturnalienhaften“ in verschiedenen antiken Werken, wie z.B. den Komödien des Plautus, bei Petron und bei Apuleius, vgl. Döpp 1993, insbes. 159-165. 394 Ebd., 156 mit Bezug auf Hor. sat. 2,7.

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in diesem Fall einleuchtend auf literarischer Ebene greifen, während eine buchstäbliche Übertragung auf tatsächlich stattfindende festliche Handlungen problematisch bleibt. Ein weiteres Motiv, das im Zusammenhang der Saturnalien auftaucht, nämlich der Gedanke der aurea saecula, des goldenen Zeitalters unter der Herrschaft des Saturn, spielt darüber hinaus in der augusteischen Dichtung eine große Rolle – hier wird beschrieben, dass unter dem ersten Prinzeps der Idealzustand des goldenen Zeitalters wiederkehre. Dies ist in diesem Zusammenhang wohl als topisches Element der Herrscherpanegyrik zu sehen.395 Versnel weist allerdings zu Recht drauf hin, dass das Motiv der Gleichheit aller Menschen im saturnalischen Zeitalter äußerst ambivalent ist: Einerseits wird die Saturnia regna als erstrebenswerter Idealzustand gezeichnet – worauf in der Herrscherpanegyrik rekurriert wird –, andererseits wohnt dieser Utopie zugleich etwas sehr Beunruhigendes inne.396 Es überrascht daher nicht, dass in Philos Schrift Legatio ad Gaium der revolutionär anmutende, idealisierte Gleichheitsgedanke, der als Charakteristikum des saturnalischen Zeitalters ausgemacht wird, kurz darauf konterkariert wird durch eine Betonung von Ordnung, Hierarchie und guter Herrschaft. Letztlich wird, wie Versnel betont, die Stellung von Sklaven und Herren nie ernsthaft bezweifelt.397 Der subversive Charakter der Saturnalien findet im Motiv der Umkehrung der sozialen Hierarchie seine Steigerung. Dies zeigt besonders eindrucksvoll das Beispiel des bei Cassius Dio geschilderten Festes unter Nero, bei dem die gesellschaftliche Ordnung völlig aus den Fugen gerät, indem sich Sklaven an den Frauen ihrer Herren vergreifen durften. Hier wird deutlich, dass eine Inversion der gesellschaftlichen Hierarchie einen grundlegend ver- und zerstörenden Zug hat und in dieser Form extrem negativ bewertet wurde.398 Will man Nero mit Champlin als Saturnalienkönig interpretieren,399 so kann man die unterschiedlichen Quellen vielleicht als literarisches Spiel mit den verschiedenen, äußerst ambivalenten Assoziationen zur Herrschaft des Saturn sehen – ein Gedanke, der deutlich in der Passage bei Tacitus zu Tage tritt, in der Nero zum Saturnalienkönig ernannt wird.400 In zahlreichen Motiven klingt bei der Darstellung Neros an, dass er nicht nur als malus princeps gezeichnet wurde, sondern das genaue Gegenteil dessen verkörperte, was einen guten Kaiser ausmachen sollte: Statt einem soldatischen Männlichkeits-Ideal zu entsprechen, tritt er als Schauspieler und Sänger auf und vollzieht eine Hochzeitszeremonie mit einem kastrierten Knaben, wobei er selbst die Rolle der Braut einnimmt,401 statt für öffent-

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Versnel 1993, 150f. und 192-205. Ebd., 191 und 209. 397 Ebd., 200-205. 398 Cass. Dio 62,15,2-6; zu einer Diskussion dieser Passage siehe Teil 1, Kapitel 1.6. 399 Champlin 2003, 145-177. 400 Tac. ann. 13,15,2. 401 Suet. Nero 21,3; 23-24; 28-29. 396

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liche Ordnung zu sorgen, zieht er randalierend durch die Straßen402 – in schillernden Farben wird hier und in zahlreichen weiteren Beispielen das Bild eines Anti-Kaisers, eines princeps inversus gezeichnet.403 Die Anklänge an die Saturnalien sind somit wohl kein Zufall, sondern sind als Teil der Tyrannentopik zu lesen. Eine literaturwissenschaftliche Analyse von karnevalesken Elementen kann also durchaus vielversprechende Ergebnisse liefern. Die Rekonstruktion einer ‚typischen‘ Saturnalienfeier anhand der äußerst diversen und widersprüchlichen Quellenpassagen bleibt dagegen problematisch und eine hierauf beruhende sozialkritische Interpretation von Festen, die den Saturnalien etwa eine Ventilfunktion oder gar ein revolutionäres Potenzial für die Gesellschaft zuspricht, sollte unbedingt mit Vorsicht genossen werden. Vielleicht wäre eine Interpretation der Saturnalien jedoch auch bei einer besseren Quellenlage schwierig: Denn wie Bausinger zu Recht betont, sind selbst moderne Karnevalsbesucher überfragt, wenn sie beschreiben sollen, warum Karneval gefeiert wird und welcher tiefere Sinn möglicherweise diesem Fest zugrunde liegt.404 Wenn schon unsere Zeitgenossen keine Antwort auf diese Fragen liefern können, wie soll es dann möglich sein, die Selbsterfahrung eines Menschen in der Antike anhand der Quellen zu erfassen? Wie die Saturnalien tatsächlich erlebt wurden und ob diese Feiern von den Menschen jemals als Ventil für aufgestauten sozialen Druck erfahren wurden, entzieht sich letztlich unserem Zugriff.

8. Fest und Gesellschaft Dass es in jeder Gesellschaft zu jeder Zeit Feste gab und gibt, darüber ist man sich gemeinhin einig. Doch die Frage, warum der Mensch feiert und ob es einen praktischen, gesellschaftlichen Nutzen von Festen gibt, hat zu sehr unterschiedlichen Theorien geführt. In der Anthropologie wurde ganz grundsätzlich überlegt, inwiefern Festen eine evolutionäre Bedeutung zukommt, indem sie sich etwa positiv auf das menschliche Reproduktionsverhalten und somit auf die Überlebenschancen der menschlichen Spezies auswirken könnten. Geht man mit dem Ethnoarchäologen Hayden davon aus, dass allen Verhaltensweisen, die erstens räumlich weit verbreitet sind, zweitens zeitlich überdauern und drittens einen gewissen Aufwand an Zeit, Ressourcen und Energie benötigen, eine evolutionäre

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Tac. ann. 13,25. Bäumler 2014b, 323. 404 Bausinger 1980, 17. Bausinger kritisiert auch die diversen Ausdeutungen von Karneval als Fruchtbarkeitsritual: „Wer die Fasnacht über die halbwissenschaftlichen Deutungen ihrer Anhänger kennenlernt, gerät in Gefahr, daß er ein orgiastisches, phallisch-dämonisches Chaos erwartet, zu dem die tatsächliche Organisation und die oft geradezu rührende Bemühung um eine ‚saubere Fasnacht‘ in merkwürdigem Widerspruch stehen.“ Ebd., 16. 403

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Bedeutung zukommt,405 dann müsste dies auch für Feste gelten. Festen ist damit nach Hayden eher ein praktischer Nutzen zuzusprechen als „the psychological self-gratifications, ego-grooming, pride, prestige, or status benefits that are usually assumed to explain feasting behavior“.406 Indem Menschen Überschüsse produzieren und diese bei Festen zum eigenen Vorteil einsetzen, stellen sie laut Hayden den eigenen Erfolg und die Überlegenheit über Artgenossen zur Schau, nicht unähnlich wie dies beispielsweise Vögel durch einen besonders bunten Federschmuck tun.407 Hayden sieht noch in modernen Rockkonzerten eine Parallele zu urzeitlichen Ritualen, bei denen durch ekstatische Musik und eingängige Rhythmen emotionale Bindungen zwischen den Gruppenmitgliedern entstanden seien, die wichtig für das Überleben in Stresssituationen waren.408 Diese These stößt jedoch auch auf Kritik: Exzessive und potenziell schädliche Festformen lassen sich beispielsweise nur schwer mit einem gesellschaftlichen Nutzen erklären.409 Auch Perodie geht davon aus, dass sich der Mensch prinzipiell ökonomisch sinnvoll verhält und stellt verschiedene Festtypen vor, denen auch ein wirtschaftlicher Nutzen zugesprochen werden kann. Dies wird deutlich, wenn man den Wettbewerbscharakter von Festen in den Blick nimmt: Indem Reichtum und Erfolg zur Schau gestellt werden, wird die eigene Attraktivität für potenzielle Kontakte gesteigert. Das bekannteste Beispiel für ein derartiges Fest ist der Potlatch, ein Fest der indigenen Völker im Nordwesten Amerikas, bei welchem sich die Häuptlinge durch gegenseitige Geschenke zu übertrumpfen suchen.410 Doch auch in Festen, bei welchen der Zusammenhalt der Gruppe oder Allianzen zwischen verschiedenen Gruppen im Vordergrund stehen, lassen sich positive wirtschaftliche Auswirkungen erkennen: Ein guter Zusammenhalt innerhalb der Gruppe schafft Sicherheit und damit die Voraussetzung für wirtschaftliche Stabilität und Produktivität; freundschaftliche Kontakte oder Ehebündnisse zwischen verschiedenen Gruppen bringen wirtschaftliche Vorteile etwa durch neue Loyalitäten oder durch einen privilegierten Zugang zu Ressourcen.411 Sogar im Fest, das dem heranwachsenden Kind gilt, sieht Perodie

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Hayden 2001, 24. Ebd. 407 Ebd., 27. 408 „From Hayden’s perspective […] the adaptiveness of rock concerts is not to be found so much in the present cultural context, but in the early genetic evolutionary roots of the human species where ecstatic rituals included rhythms and music that enhanced emotional bonds between individuals and groups critical for surviving severe periods of stress”. Dietler/Hayden 2001, 14. 409 Ebd., 13f. 410 Perodie fasst diese Festtypen als „Promotional“ und „Competitive Feasts“. Perodie 2001, 109f.; zum „Rivalry Feast“ und Potlatch vgl. ebd., 209. Zu den verschiedenen Erklärungen der gesellschaftlichen Funktion des Potlatch vgl. Riches 1984, 245, zum Potlatch als Anspruch auf Prestige vgl. ebd. 247f. 411 Perodie 2001, 190 zum „Solidarity“ und „Reciprocal feast“. In ähnlicher Weise unterscheidet auch Hayden zwischen „Alliance & Corporation Feasts“, „Economic Feasts (for gain)“ und „Diacritical Feasts (Sumptuary status / display)“. Hayden 2001, 38. 406

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eine Form der Investition, da durch das Fest der ‚Wert‘ des Nachwuchses gesteigert werde und das Kind somit u.a. bessere Chancen auf dem Heiratsmarkt habe.412 Der Zusammenhang zwischen Festen und Wirtschaft lässt sich jedoch noch unmittelbarer fassen: Bei jedem Fest werden Güter konsumiert oder umverteilt, Arbeitskräfte mobilisiert und Überschüsse erzeugt und verbraucht,413 was sich wiederum unmittelbar auf die Wirtschaft auswirkt. Schon im Vorfeld des Festes macht sich die wirtschaftliche Dynamik bemerkbar, indem es zu einer erhöhten Produktion von Konsumgütern414 wie Nahrungsmittel, Festkleidung, Prestigegüter, Geschenke etc. kommt, wie schließlich auch in unserer Gesellschaft der jährliche Bericht über den Umsatz im Einzelhandel in der Vorweihnachtszeit eindrucksvoll belegt. Die unmittelbare Vorbereitung eines größeren Festes verlangt eine gute Organisation und einen verstärkten Einsatz an Arbeitskräften, die nicht zuletzt der Zubereitung großer Mengen an Speisen dienen – was gerade in Gesellschaften, in denen es begrenzte Möglichkeiten der Haltbarkeitsmachung etwa durch Kühlung gab bzw. gibt, eine Herausforderung darstellen dürfte.415 Neben dem Konsum von Gütern können Feste aber auch der Umverteilung von Reichtum und Gütern dienen, und sie spielen nicht zuletzt eine Rolle bei der Aushandlung des Wertes, der bestimmten Konsumgütern zugeschrieben wird.416 Diesen materiell-ökonomischen Überlegungen stehen Ansätze gegenüber, die davon ausgehen, dass die Vorstellung eines praktischen Nutzens von Festen selbst ein kulturelles Konstrukt ist,417 und die die gesellschaftliche Bedeutung von Festen eher im kulturellsoziopolitischen Bereich verankern. Der Archäologe Michael Dietler etwa bezweifelt, dass kulturelle Praktiken wie Feste in einem direkten Zusammenhang mit evolutionären Mustern wie dem Überleben einer Spezies stehen, und stellt dagegen die Bedeutung von Festen für die Ausbildung von sozialen Strukturen, von Politik und Macht heraus. 418 Ge-

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Perodie 2001, 191 und 198-201 zum „Child-Growth feast“. Als weitere Motive für Feste nennt Perodie „Solicitation“, wenn ein Fest für eine mächtige Person ausgerichtet wird, um deren Unterstützung zu erlangen, „Political Support“, wenn ein Fest der Einwerbung von politischer Unterstützung dient, „Acquisition of Political Positions“, wenn ein Fest die Voraussetzung zur Erlangung einer politischen Position darstellt, und „Work-Party Feasts“, wenn Arbeitskraft im Gegenzug zur Festteilnahme zur Verfügung gestellt wird. Ebd., 190f. 413 Hayden 2001, 29. 414 Dietler weist darauf hin, dass der besondere Charakter von Nahrungsmitteln für Feste häufig unterschätzt wird: Er führt einige Beispiele von afrikanischen Gesellschaften an, in denen ein erheblicher Teil des Getreides für die Herstellung von alkoholischen Getränken verwendet wird, die bei Festen eine wichtige Rolle spielen. Dies wird bei Überlegungen zur Subsistenzwirtschaft gerne übersehen. Dietler 2001, 81. 415 Ebd., 80f. 416 Wiessner 2001, 117. 417 Dietler/Hayden 2001, 13: Vertreter dieses Ansatzes argumentieren, „that ‚practicality‘ is not a universal principle of bottom-line materialism, but is a culturally constructed concept.” 418 Ebd., 14.

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rade die von Hayden geschmähten Begriffe Status und Prestige419 stellen für ihn wesentliche soziopolitische Mechanismen dar: „They are the preconditions for developing the moral authority to influence group decisions, exert leadership, and wield power – or to resist the power of others. They are the essential elements of the possibility of political action.”420

Anhand des von ihm untersuchten ethnographischen Materials stellt Dietler drei Kategorien von Festen auf, die unterschiedliche soziale Aushandlungsmechanismen widerspiegeln. Die „Empowering Feasts“ dienen in erster Linie dazu, Prestige zu erlangen und die eigene Vormachtstellung zu stärken. Der kompetitive Charakter dieser Feste muss dabei durchaus nicht offen zur Schau getragen werden, wie etwa bei den „agonistic attempts by New Guinea big-men to crush their rivals with hospitality“421 – vielmehr betont Dietler, dass das Eigeninteresse meist beschönigt wird, indem nach außen hin die Gleichheit der Festteilnehmer betont wird.422 Doch allein dadurch, dass eine Person ein Fest ausrichtet und die Konsumgüter stellt, ergibt sich für diese Person bereits eine besondere Stellung im Festgefüge – eine absolute Gleichheit der Festteilnehmer muss immer eine Fiktion bleiben. Diese Momente der Gleichheit und der Ungleichheit können nebeneinander existieren, ohne dass diese Widersprüchlichkeit problematisch wäre, da Festen eine komplexe Polysemie innewohnt: „They both unite and divide at the same time.“423 Bei der zweiten Kategorie von Festen, den „Patron-Role-Feasts“, treten die asymmetrischen sozialen Verhältnisse offen zu Tage. Hierbei wird eine Gleichwertigkeit der Teilnehmer nicht mehr erwartet, da der übergeordnete Status des Gastgebers ohnehin offensichtlich ist und im Fest zusätzlich inszeniert und symbolisch bestätigt wird, wie dies etwa bei Festen von Häuptlingen oder Königen der Fall ist.424 Die dritte Kategorie, „Diacritical Feasts“, dient ebenfalls der symbolischen Aushandlung von Status, doch im Gegensatz zu den „Patron-Role-Feasts“ grenzt sich hier ein bestimmter exklusiver Kreis durch Aspekte des Stils und des Geschmacks von der Umwelt ab.425 Das Konsumverhalten, das die Eliten bei diesen Festen zur Schau stellen, gilt insbesondere bei denjenigen, die selbst einen höheren Status anstreben, für nachahmenswert, was dazu führt, dass sich die kulturellen Praktiken weiter ausbreiten. Die Eliten reagieren darauf, indem sie immer neue Arten des

419 Hayden schlägt vor, statt „Status“ und „Prestige“ von „credit rating“ oder „success recognition“ zu sprechen, meint damit letztlich aber nichts grundlegend anderes – seine Argumente gegen die Begriffe Status und Prestige vermögen nicht ganz zu überzeugen. Hayden 2001, 32f. 420 Dietler/Hayden 2001, 15. Ähnlich auch Dietler 2001, 66: „Indeed, I would contend both that feasts are inherently political and that they constitute a fundamental instrument and theater of political relations.“ 421 Dietler 2001, 77. 422 Ebd., 76. 423 Ebd., 77. 424 Ebd., 82f. 425 Ebd., 85. Die Nähe zu den Arbeiten von Pierre Bourdieu ist hierbei unverkennbar.

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Konsums entwickeln, oder versuchen, den Konsum von Luxusgütern einzuschränken. Dies konnte etwa durch Gesetze – man denke an die römischen leges sumptuariae – oder durch den Verbrauch von Gütern, die ohnehin nur begrenzt verfügbar sind, durchgeführt werden.426 Ungeachtet dessen, ob man mit Hayden von einer evolutionären Bedeutung von Festen ausgeht oder mit Dietler deren Funktion eher im kulturell-sozialen Bereich sieht – aus all diesen Ansätzen geht letztlich hervor, dass einzelne Personen oder Gruppen Feste nutzen können, um die eigene Überlegenheit zur Schau zu stellen, Ansprüche auf Prestige zu äußern und somit bestehende Machtstrukturen festzuschreiben oder anzugreifen. Für die Antike ergeben sich hieraus Möglichkeiten, römische Feste unter einem ganz anderen Gesichtspunkt zu beleuchten, als dies bisher in der Forschung geschehen ist, und daher sollen diese Ansätze in dieser Arbeit weiterverfolgt und für altertumswissenschaftliche Fragestellungen ausgearbeitet werden. Jenseits dieser grundsätzlichen Bedeutung von Festen für die Entstehung, Aushandlung und Bestätigung von sozialen Strukturen lassen sich vielfältige weitere Bezüge zwischen Fest und Gesellschaft beschreiben. Vor allem in der Neueren und Neuesten Geschichte wurde wiederholt die Möglichkeit von Herrschenden in den Blick genommen, Feste politisch zu nutzen, um die eigene Macht zu demonstrieren und zu sichern – was man je nach Kontext mit Dietler als „Empowering Feasts“ oder „Patron-Role-Feasts“ erfassen könnte. Nicht zuletzt die sorgsam choreographierten und monumental inszenierten Festakte der Nationalsozialisten legen ein beredtes Zeugnis davon ab, wie Feste zum Zweck der Machtdemonstration politisch instrumentalisiert werden konnten.427 Doch schon die überaus aufwändigen Feierlichkeiten eines barocken Fürsten zeugen vom Potenzial, das Feste für die Inszenierung politischer Macht besitzen.428 Eine Untersuchung der festlichen Kultur einer Gesellschaft kann somit möglicherweise auch Hinweise auf das politische Selbstverständnis der Herrschenden, das im Fest inszeniert wird, sowie auf das Verhältnis von Machthabern und Volk geben.429 Ein weiteres Feld, das im gesellschaftlichen Kontext von Festen diskutiert wird, ist die Frage, inwieweit Genderkategorien eine Rolle spielen. Tatsächlich werden wohl in den meisten Kulturen die jeweiligen Rollen von Männern und Frauen auch in Festen markiert: So werden etwa Unterschiede gemacht hinsichtlich der Bewirtung (wer bekommt etwas zu essen/trinken, um welche Speisen/Getränke handelt es sich hierbei), hinsichtlich des erwarteten Verhaltens (wer darf sprechen, wer darf sich betrinken, wer darf sich wann zurückziehen), und es kann sogar zu einer räumlichen Trennung von Männern und Frauen 426

Ebd., 86f. Vgl. auch Bourdieu 1982, 104-115 und Kluth 1957, 34-42. Thamer 1988 zu den Reichsparteitagen. 428 Braunfels 1988. 429 Benoist 1999, 21. 427

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beim Fest kommen.430 Mit Bezug auf ethnologische Untersuchungen weisen Dietler und Hayden zudem darauf hin, dass die Arbeit, die zur Vorbereitung und Durchführung eines Festes notwendig ist, häufig in den Händen von Frauen liegt, während die Männer tendenziell eher die Möglichkeit dazu haben, sich in der politischen Arena des Festes darzustellen und so Prestige zu gewinnen.431 Feste bilden also – nicht nur bezüglich Genderkategorien – die Gesellschaft in einer Miniaturversion, oder treffender mit Dietler in einer „symbolic ‚metaproduction‘“432 ab. Dieses Abbild muss dabei nicht unbedingt der Realität entsprechen, denn die Machtstrukturen können im Fest auch verborgen, überspielt, neutralisiert oder angefochten werden.433 Es handelt sich also vielmehr um eine idealisierte, symbolische Repräsentation von sozialen Gefügen, „the way people believe relations exist, or should exist, rather than how they are necessarily manifested in daily activity.“434 Damit klingt zugleich an, dass Feste selbst eine gestalterische Kraft auf die Gesellschaft entwickeln können; sie haben selbst Einfluss auf soziale Strukturen, indem diese im Fest definiert, verändert, oder sogar neu geschaffen werden können.435

Es zeigt sich also, dass sich je nach Disziplin und je nach persönlichem und politisch-zeithistorischem Hintergrund des jeweiligen Forschers eine nahezu unüberschaubare Vielfalt an Zugängen zum Phänomen ‚Fest‘ findet, deren Brauchbarkeit für eine Arbeit zu antiken Festen unterschiedlich bewertet werden muss. Bieten einige Ansätze, wie die rites de passage oder moderne ethnologische Kategorisierungen zur gesellschaftlichen Funktion von Festen wertvolle Anregungen, bleiben andere problematisch, wie die vielen Definitionen zugrundeliegende Abgrenzung von Fest und Alltag.

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Dietler/Hayden 2001, 10. Ebd., 11. Dietler und Hayden erwähnen jedoch darüber hinaus, dass Feste für Frauen auch die Möglichkeit zu einer gewissen ökonomischen Unabhängigkeit bieten können, z.B. durch die Herstellung und den Verkauf von Bier. Ebd. 432 Dietler 2001, 73. 433 Ebd., 71. 434 Ebd. 435 Ebd., 70. 431

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Kapitel 2: Fest und Gesellschaft: Versuch eines Neuansatzes „Are we all talking about the same thing when we use the word feast?“,436 fragen Dietler und Hayden zu Recht. Die im vorangegangenen Kapitel vorgestellten, nahezu unüberschaubaren Erklärungsversuche und Definitionsvorschläge zum Phänomen Fest ergeben kein einheitliches Bild, keine Konzeption, mit der sich sinnvoll arbeiten ließe, und auch die bisherige althistorische Forschungsliteratur lässt den Leser eher ratlos zurück: Denn wie sollen Aitiologien und theologische Diskurse, traditionelle Riten und Bräuche, die nur noch selten von den Zeitgenossen verstanden wurden, ausschweifende Gastmähler – sowohl im eher privaten Rahmen als auch die großen öffentlichen Speisungen – , Prozessionen, Opfer, Wagenrennen, Gladiatorenkämpfe, spektakuläre Triumphzüge und wohl eher routinehaft ablaufende Geldverteilungen sinnvoll gemeinsam erfasst werden? Mit anderen Worten, was ist unter einem Fest in der römischen Antike zu verstehen, oder noch grundsätzlicher: Lässt sich das Phänomen ‚Fest‘ überhaupt übergreifend fassen?

1. Das Fest als Konsens der Feiernden „Jeder Begriff des Festes läßt sich nur gewinnen durch Bezug auf eine Festgemeinschaft“437, konstatiert Maurer, und wenn man diesen Gedanken ernst nimmt, ergeben sich hieraus ganz wesentliche Konsequenzen. Denn die Festgemeinschaft entscheidet, ob, wann und wie gefeiert wird. Im Prinzip besteht ein Fest zunächst aus dem Konsens einer Gruppe darüber, dass sie ein Fest feiert – ein Fest ist somit nicht mehr als ein soziales Konstrukt, etwas kollektiv Gedachtes. Der Konsens der Feiernden besteht sowohl darüber, warum gefeiert wird, also über den konkreten Anlass, als auch über die Art und Weise, wie gefeiert wird, also über die jeweils angemessenen Ausdrucksformen. Dieser Konsens ist wesentlich bedingt durch die kulturelle Prägung der Festteilnehmer, die durch ihre Sozialisation und Enkulturation um die in der eigenen Gesellschaft gebräuchlichen Feste sowie deren Durchführung, also die nötigen Vorbereitungen und die dort durchgeführten Bräuche, Riten und festlichen Handlungen wissen.438 Natürlich mag es kulturell übergreifende Muster geben, wie die Feier von Passageriten, die in sehr unterschiedlichen Gesellschaften ähnliche Strukturen aufweisen. Das Wissen

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Dietler/Hayden 2001, 3. Maurer 2004a, 44. 438 So auch Rüpke 2009, 652, der konstatiert, dass das „Wissen um Tag und Festveranstaltung“ wichtig ist, das „ebenso von der Sozialisation in religiöse Tradition wie von der aktuellen medialen Präsenz abhängig“ ist. 437

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über das jeweilige Fest ist jedoch durch die Enkulturation439 der Festteilnehmer gegeben, denn jeder Mensch „wird immer schon in ein kollektives soziales Symbolsystem hineingeboren“:440 Auf diese Weise werden die Koordinaten festgelegt, die die Festkultur der Menschen bestimmen, wie der Festkalender oder Bräuche und Riten, die für eine bestimmte Gesellschaft typisch sind. Ist man auf einer Hochzeit eingeladen, weiß man ziemlich genau, was einen bei dieser Feier erwartet. Selbst wenn etwa ein Münchner zu einer Hochzeit in Hamburg eingeladen ist, wird er recht gut abschätzen können, wie diese Feier abläuft, wie er sich zu kleiden hat und welches Verhalten angemessen ist. Ist er dagegen zu einer Hochzeit in England eingeladen, werden ihm manche Aspekte bereits fremd vorkommen: Weder die dort üblichen Reden des Bräutigams, Brautvaters und der Trauzeugen sind in Deutschland in dieser Form üblich, noch der Brauch, dass das Brautpaar selbst die Feier relativ bald verlässt, und möglicherweise wird er sich angesichts des Aufgebots an Smokings, Kostümen und Hüten ‚slightly underdressed‘ fühlen. Vor dem Besuch einer Hochzeit in Indien wird er sich allerdings wohl grundlegend informieren müssen, was ihn dort überhaupt erwartet. In diesem Sinne können Feste mit Turner als „culturally shared events“ erfasst werden.441 Zugleich hängt die konkrete Ausgestaltung des Festes von der betreffenden Gruppe ab, von deren Vorstellungen, Geschmack442 und individuellen Prägungen. So gleicht auch innerhalb Deutschlands keine Hochzeit der anderen; je nach Status und beruflichem oder privatem Umfeld werden verschiedene Erwartungen zu erfüllen sein und äußerst unterschiedliche individuelle Akzente können gesetzt werden. Die Ausgestaltung eines Festes ist demnach auch abhängig von der individuellen Sozialisation der beteiligten Menschen.443 Das Wissen über die jeweiligen Bräuche und Gepflogenheiten, die bei einem Fest zu erwarten sind, wird den Mitgliedern der Gruppe bei der Vorbereitung und beim gemeinsamen Feiern in der unmittelbaren Teilnahme vermittelt. Diese Vermittlung läuft meist indirekt ab: Es ist nicht nötig, dass der Anlass und die festlichen Handlungen explizit von den Feiernden thematisiert werden; häufig werden diese Aspekte nicht einmal bewusst reflektiert. Dennoch existiert ein Konsens über den Anlass und die angemessenen Festformen

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Enkulturation soll hier verstanden werden als „der Prozeß […], bei dem ein Individuum sich an die es umgebene Kultur anpaßt. Das bedeutet im wesentlichen Übernahme der sozialen Regeln, Einstellungen und Verhaltensmustern, die in dieser Kultur vorzufinden sind.“ Brunner/Zeltner 1980, 57. Eine ausführliche Diskussion des Begriffs ‚Kultur‘ würde den Rahmen der Arbeit sprengen; als Orientierung soll folgende Definition nach Geertz gelten: “[Culture] denotes an historically transmitted pattern of meanings embodied in symbols, a system of inherited conceptions expressed in symbolic forms by means of which men communicate, perpetuate, and develop their knowledge about and attitudes toward life.“ Geertz 1968, 3. Zu einer ausführlichen Diskussion des Kulturbegriffs vgl. z.B. Daniel 2006, 443-466. 440 Stollberg-Rilinger 2013, 37. 441 Turner 1982, 12. 442 Bourdieu 1982, insbes. 277-354. 443 Zur Bedeutung von Ritualen für die Sozialisation vgl. Gestrich 1999, 146-148.

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und Handlungen, und dieser Konsens wird implizit in jedem Fest unter den Anwesenden neu ausgehandelt, bestätigt und fortgeführt. Feste können also als Form der Anwesenheitskultur erfasst werden, die durch die stattfindende Interaktion unter den Teilnehmern erschaffen und perpetuiert wird.444

2. Die Sinnhaftigkeit von Festen Feste sind jedoch mehr als nur ein Konsens einer Gruppe über einen Anlass und die angemessenen Ausdrucksformen. Brandt und Iddeng unterscheiden grundlegend zwischen Inhalt („content“) und Form („form“) von Festen. Feste seien laut Brandt und Iddeng meist mit Aitia oder Mythen verbunden, wodurch sie auch Elemente des kulturellen Gedächtnisses beinhalten, die wiederum in den performativen Handlungen des Festes, also in der konkret wahrnehmbaren Form, ausgedrückt werden.445 Natürlich lassen sich für einige Feste derartige „Inhalte“ belegen, die – mal mehr, mal weniger deutlich – auch im Festgeschehen inszeniert werden, doch wird häufig nicht bedacht, dass dies bei weitem nicht immer der Fall ist. Gerade in der römischen Antike scheint kaum ein Zusammenhang zwischen den festlichen Handlungen und möglichen Aitia bestanden zu haben,446 und auch heute finden sich Beispiele für Feste, deren Inhalt überhaupt nicht (mehr?) bekannt ist, wie etwa der Karneval.447 Es gilt also zu bedenken, dass Feste auch ohne auszumachenden Inhalt gefeiert werden, und dies paradoxer Weise, ohne dass sie deshalb als sinnlose Veranstaltungen empfunden werden. Die Unterscheidung von Inhalt und Form scheint also nicht den Kern der Sache zu treffen. Es lässt sich kaum bestreiten, dass Feste unabhängig vom Inhalt als etwas Außergewöhnliches und Bedeutsames wahrgenommen werden. Die unzähligen Interpretationsansätze, in denen versucht wurde, das Wesen dieses in allen Zeiten und Kulturen vorhandenen Phänomens zu erfassen, zeugen hiervon. So werden Feste im Sinne der philosophisch-religionswissenschaftlichen Erklärungen etwa als „Erhöhung des Lebens auf kurze Zeit“448 oder als Erfahrung einer „Zustimmung zur Welt“449 gedeutet, oder ganz einfach als Nicht-

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Stollberg-Rilinger 2013, 37. Zur Kommunikation unter Anwesenden vgl. grundlegend Kieserling 1999 sowie Schlögl 2008 und 2014. 445 Brandt/Iddeng 2012, 3f.: „Every festival has a content expressed through one or more myths and/or aitia. The content conserves the cultural memory or meaning of the festival and manifests itself in various forms or practices made visible in different modes and ways through the ritual acts and performances.” 446 Pfeilschifter 2009, 114. 447 Bausinger 1980. 448 Schultz 1988, 10. 449 Pieper 1963.

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Alltag beschrieben,450 und auch das „Festivitätsgefühl“ von Kerényi451 und die Durkheim’sche „Efferveszenz“452 sind letztlich Versuche, den außergewöhnlichen Charakter von Festen zu erfassen. Turner deutet das Erleben dieser Sinnhaftigkeit im Fest als „SichSelbst-Feiern“ einer Gemeinschaft: „In other words, it [= the social group] attempts to manifest, in symbolic form, what it conceives to be its essential life, at once the distillation and typification of its corporate experience.”453 Neben Form und Inhalt kann Festen also auch eine Bedeutungsebene zugeschrieben werden, denn Feste werden als zutiefst sinnstiftend und bedeutungsvoll für die Gemeinschaft erlebt.454 Viele Menschen dürften heutzutage beispielsweise Weihnachten feiern, ohne dass der Inhalt, die Geburt Jesu, in besonderer Weise im Vordergrund steht, falls ein christlicher Hintergrund für das Fest überhaupt noch wahrgenommen wird. Dennoch wird Weihnachten aufwändiger denn je gefeiert und selbst in Familien, bei denen der christliche Hintergrund marginalisiert ist, nicht als sinnentleert empfunden. Es scheint in der Tat ein ganz grundlegendes menschliches Verlangen danach zu geben, bestimmte Momente im Lebens- und im Jahreslauf durch diverse Feste und Feiern zu begleiten oder auch nur bestimmte Bräuche oder Traditionen fortzuführen.455 In den letzten Jahrhunderten hatten in vielen europäischen Gesellschaften vor allem die christlichen Kirchen das Monopol auf Riten und Feste, die nicht nur den Jahreslauf sondern auch einschneidende Momente im Leben des Menschen, wie Geburt, Hochzeit oder Tod, begleiten. Interessanterweise bildet sich ganz aktuell eine neue Sparte durch nichtreligiöse Anbieter von Ritualen zu diesen Anlässen heraus, wie etwa freie Trauerredner, die anstelle eines Pfarrers eine Trauerfeier durchführen. Dass es zunehmend Leute gibt, die ‚Geburtsfeiern‘ oder ‚Namensgebungsfeste‘ statt einer Taufe abhalten möchten, oder Hochzeiten und Bestattungen rein säkular ohne einen Pfarrer durchführen, zeugt davon, dass jenseits der christlichen Tradition und der individuellen Religiosität offenbar ein grundlegendes Bedürfnis des Menschen existiert, bestimmte Erfahrungen durch symbolische Handlungen zu begleiten und somit sinnhaft aufzuladen. Erlebnisse wie Geburt und Tod, oder gerade in agrarisch geprägten Gesellschaften einschneidende

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Assmann 1991, 17: „Der Mensch ist auf Zweidimensionalität – auf ein ‚Leben in zwei Zeiten‘ – angelegt. Die ursprünglichsten Namen für diese beiden Dimensionen sind ‚Fest‘ und ‚Alltag‘.“ Zur Problematik des Alltagsbegriffs vgl. Teil 1, Kapitel 1.4. 451 Kerényi 1938/40, 63f. 452 Durkheim 2007, 561f. 453 Turner 1982, 16. 454 Maurer meint bezüglich der Frage des religiösen Charakters von Festen, es scheint so, „als seien speziell im Fest ältere Bewußtseinsstrukturen vorrationaler, magischer Art petrifiziert.“ Maurer 2004a, 51. Er erfasst hier genau diese tiefere Bedeutungsebene. 455 Häufig gewinnen Bräuche und Traditionen wieder an Bedeutung, wenn eine Familie Nachwuchs bekommt; offenbar entsteht dann das Bedürfnis, eigene, in der Kindheit erlebte Bräuche an die eigenen Kinder weiterzugeben.

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Ereignisse im Jahreslauf, wie eine gute Ernte, stellen derart zentrale existentielle Erfahrungen dar, dass die Menschen offenbar danach verlangen, diese potenziell verstörenden und gefährdenden Erfahrungen durch besondere Handlungen aufzufangen. 456 In diesem Sinne gehen psychoanalytisch ausgerichtete Interpretationen davon aus, dass Riten, die zu solchen Anlässen durchgeführt werden, dabei helfen, angstbesetzte Schwellensituationen im Leben zu bewältigen.457 Ob diese Erklärung tatsächlich für alle Kulturen und für verschiedene Feste umfassend geltend gemacht werden kann, ob es darüber hinaus biologische, kulturelle oder soziologische Erklärungsansätze gibt, oder ob es überhaupt einen tieferen Sinn und Zweck von Festen gibt,458 ist allerdings schwer zu entscheiden. Wie schwierig es ist, die Bedeutung von Festen zu erfassen, wird besonders deutlich bei Festen, deren Sinnzuschreibung so undurchschaubar ist, dass die Interpretationen äußerst vage bleiben oder sich auf Allgemeinplätze beschränken. So führt Bausinger am Beispiel der Fastnacht anschaulich vor Augen, wie eine Berufung auf angeblich uralte, historische Bräuche zu einer Überhöhung des festlichen Geschehens führt, das somit als sinnhaft erlebt werden kann. Zugleich bleibt „die Deutung verhältnismäßig vage“459 und muss nicht ständig reflektiert und hinterfragt werden – das Fest kann zur Routine werden, wobei eine relativ diffuse Vorstellung der Sinnhaftigkeit ausreicht, um dem Fest seine gefühlte Berechtigung zu geben. Wenn daher auf die Frage, warum Fastnacht gefeiert werde, lediglich Antworten wie „Das ist halt so, das macht man halt, usw.“ gegeben werden, so ist dies laut Bausinger „kein Ausweichen, sondern die Benennung einer Tautologie, die in der Realität selber steckt und die für den Alltag charakteristisch ist.“460 Bausinger spricht hier einen zentralen Punkt an: Tatsächlich dürften viele Feste als „Routine“ zu charakterisieren sein, als Handlungen, die man eben durchführt, ‚weil man das schon immer so gemacht hat‘,461 denen jedoch durch „Interpretamente“, durch „verfestigte Deutungen“,462 eine Sphäre der Bedeutsamkeit verliehen werden kann. Bausinger kommt daher zu dem Schluss, dass „[w]eder der Rekurs auf die Interpretamente noch die Einsicht in die routi-

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Leppin weist in seinen Ausführungen zu theologischen Ansätzen einer Festtheorie darauf hin, dass es sich bei vielen christlichen Feiern letztlich „nicht allein um genuine Produkte aus dem Geist der christlichen Botschaft handelt, sondern um die christliche Erfüllung anthropologischer Grundbedürfnisse“. Leppin 2004, 84. 457 Maurer 2004c, 129. 458 Dies deutet Dunand an, der provokativ die Frage stellt: „Alors, où est la fête, la vraie? Et qu’est-ce qu’une fête? Et si elle sert à quelque chose – ce qui n’est pas évident –, à quoi sert-elle?” Dunand 1981, 6. 459 Bausinger 1980, 17. 460 Ebd. 461 Bausinger nennt hierfür auch den Fachbegriff „Ritualisierung“, der „auf einen unbefragten, nicht reflektierten und nicht problematisierten Ablauf“ zielt; man tut etwas, „ohne daß man weiß, warum und wozu, zumindest ohne daß man in der Regel Rechenschaft davon ablegt.“ Ebd., 18. 462 Ebd., 17.

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nemäßige Selbstverständlichkeit [...] die eigentlichen Motive, die wirklichen Beweggründe der Fastnacht aufzudecken“ vermögen.463 Ist es aber schon für moderne Feste schwierig, den ‚Sinn‘ eines Festes wie der Fastnacht zu erfassen, so dürfte es für längst vergangene Kulturen fast unmöglich sein, auszumachen, warum bestimmte Feste gefeiert wurden, inwiefern diese Feste als ‚sinnstiftend‘ oder ‚bedeutsam‘ erlebt wurden und welche Bedürfnisse durch sie befriedigt wurden. Ein möglicherweise unterschätzter Grund, warum gefeiert wird, könnte auch schlicht darin liegen, dass ein Fest kalendarisch und/oder gesellschaftlich vorgegeben bzw. erwartet wird; man feiert also genau deshalb, ‚weil man das halt so macht‘. Dies könnte im Übrigen in noch stärkerem Maße für die Antike geltend gemacht werden, da hier zahlreiche Feste staatlich vorgegeben waren und zwar nicht explizit mit einem ‚Feierzwang‘ belegt waren, aber dennoch sicherlich mit einer gewissen Erwartungshaltung zur Partizipation verbunden waren.464 Es bleibt also festzuhalten, dass neben Form und Inhalt zwar davon ausgegangen werden muss, dass eine Ebene der Bedeutung und Sinnhaftigkeit von Festen existiert, dass diese per se jedoch nicht unbedingt greifbar ist. Für die historische Analyse von Festen ist es dennoch zentral, dass man eine strenge methodische Trennung durchführt zwischen der äußeren Form (den festlichen Handlungen, dem räumlichen und zeitlichen Rahmen etc.), dem Anlass (z.B. Weihnachten, Geburtstag) und den damit zusammenhängenden Inhalten, und einer historisch meist nicht fassbaren Bedeutungsebene. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass Festen eine sinnstiftende Funktion zukommen kann, dass also durch die Abhaltung festlicher Handlungen ein bestimmter Moment sinnhaft aufgeladen werden kann. Auch wenn der ‚tiefere Sinn‘ eines Festes nicht klar definiert werden kann, so lässt sich der außerordentliche Charakter von Festen zumindest phänomenologisch greifen: Feste sind zeitlich und räumlich speziell gerahmte Situationen,465 die sich durch besondere Formen der Kommunikation auszeichnen. Diese besonderen Kommunikationsformen, wie rituelle Handlungen, Festkleidung oder der Einsatz spezieller Medien, sind letztlich dafür verantwortlich, dass Feste als bedeutsam und sinnhaft erlebt werden können. Betrachtet man beispielsweise die monumental inszenierten Aufmärsche an NSDAP-Parteitagen, so wird deutlich, dass man sich hier nicht auf alte Bräuche berufen konnte, um einen ‚tieferen Sinn‘ zu vermitteln, sondern dass das Gefühl der Bedeutsamkeit und Sinnhaftigkeit in erster Linie eben genau durch die eindrückliche Inszenierung der Aufmärsche selbst geschaffen wurde. Sinnhaftigkeit entsteht also erst im speziellen kommunikativen Rahmen

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Ebd., 18. Auch Rüpke betont, dass „[i]n der Semantik vieler Feste selbst, in Selbstbeschreibungen [...] der Pflichtcharakter [dominiert].“ Rüpke 2009, 648. 465 Auch Turner konstatiert, „[c]elebratory behavior is ‚framed‘ behavior”, und stellt fest, dass mit diesen „frames“ jeweils ganz konkrete Erwartungen an Verhaltensmuster und Kommunikationen verbunden sind. Turner 1982, 28. 464

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des Festes, wobei Ritualen als extrem geformte Kommunikation hierbei eine besondere Funktion zukommt. Stollberg-Rilinger schlägt folgende Definition für Rituale vor: „Als Ritual im engeren Sinne wird hier eine menschliche Handlungsabfolge bezeichnet, die durch Standardisierung der äußeren Form, Wiederholung, Aufführungscharakter, Performativität und Symbolizität gekennzeichnet ist und eine elementare soziale strukturbildende Wirkung besitzt.“ 466

Rituale zeichnen sich einerseits dadurch aus, dass sie eine „soziale strukturbildende Wirkung“ besitzen, also als Kommunikationen im Luhmann’schen Sinne verstanden werden können und somit ganz grundlegend sozialen Sinn erzeugen. Zugleich sind sie besonders geformte Kommunikationen, die sich durch spezielle Rahmung und Ausdrucksformen, durch ihre Inszeniertheit und ihren Symbolcharakter von anderen Kommunikationen unterscheiden und somit besondere Bedeutung erzeugen können.467 Auch Myerhoff geht davon aus, dass durch Rituale „symbolische Erfahrungen“ auf einer tieferen, non-verbalen Ebene gemacht werden können, doch stellt sie auch fest, dass der Zugang zur Rezeption, zum individuellen Erleben der Teilnehmer an Ritualen, den Forschern größtenteils verwehrt bleibt und daher ein genaues Verständnis von Ritualen schwierig ist.468 Allerdings stellt sich grundlegend die Frage, ob man überhaupt von der ‚einen Bedeutung‘ eines Rituals ausgehen darf. Es lässt sich vielmehr vermuten, dass Rituale zwar einen „kollektiv geteilten symbolischen Code“ aufweisen, aber kein tatsächlicher Konsens über die konkrete Bedeutung von Ritualen besteht, sondern diese an sich vieldeutig angelegt sind – auch wenn die Beteiligten selbst im Glauben sein mögen, dass ein Konsens über die Bedeutung der Rituale existiert.469 Ganz in diesem Sinne kommt Bausinger in seiner Untersuchung zur Fastnacht zu dem Schluss, dass es ‚die‘ Fastnacht nicht gibt; es existieren vielmehr eine Vielzahl an Zeichen, Interaktions- und Kommunikationsformen, die alle mehrdeutig und vielschichtig angelegt sind, weshalb verschiedene beteiligte Personen das Fest jeweils unterschiedlich erleben.470 Daran anknüpfend können somit auch Feste mit John Scheid als „ritual system capable of conveying complex meanings“ erfasst werden.471 Feste sind immer vielfältig ausdeutbar und lassen Raum für äußerst unterschiedliche Ansätze und Erklärungsmuster. Dies liegt unter anderem daran, dass Rituale als besonders geformte Kommunikationen bei einem Fest einen Überschuss an Signifikanten

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Stollberg-Rilinger 2013, 9. Man spricht daher von einer „condensed meaning“ von Ritualen; Dietler/Hayden 2001, 4. 468 „The failure of anthropology to deal with the experiences of ritual participants […] is an enormous barrier to our understanding of the subject.“ Myerhoff 1982, 118. 469 Stollberg-Rilinger 2013, 11. 470 Bausinger 1980, 18. 471 Brandt/Iddeng 2012, 2. 467

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erzeugen können, wodurch eine eindeutige Bedeutungszuschreibung unmöglich gemacht wird.472 Zudem sind Rituale diachron wandelbar – ein Aspekt, der bisher in den Altertumswissenschaften kaum berücksichtigt wurde wurde. Chaniotis weist zu Recht darauf hin, dass „[e]ven when the norms that determine ritual actions remain unchanged, the ritual as an interpersonal, emotional, shared experience and communication changes simply because of the fact that the experiences and emotions of its performers and their viewers differ. Paraphrasing the statement of a famous philosopher one might say that ‚one cannot celebrate the same ritual twice.‘“ 473

Vielleicht wird gerade durch die Vielschichtigkeit und Wandelbarkeit der Bedeutung von Ritualen das Erleben eines Festes als transzendentes, sinnhaftes Geschehen erst ermöglicht, da so der nötige Spielraum für sehr unterschiedliche individuelle und jeweils aktuelle Wahrnehmungen und Sinnzuschreibungen geschaffen wird. Ein weiterer Faktor, der dazu führen dürfte, dass Feste als besonders bedeutungsvoll erlebt werden, ist die emotionale Wirkung von Ritualen. Nicht zuletzt durch performative Elemente heben sich Rituale von alltäglichen Verhaltensmustern ab, ziehen vermehrt die Aufmerksamkeit auf sich und werden dadurch als besonders bedeutsam wahrgenommen: „The emotional power of rituals also stems from certain theatrical media and sensory mechanisms commonly employed (in various combinations) in performance that tend to frame ritual as symbolically pregnant action marked off from other kinds of daily practice, thus focusing people’s attention and rendering them receptive to episodes of heightened emotional experience. These devices include such things as music, dancing, rhythmic verse, role acting, evocative staging and costumes, and intoxication.“474

Emotionen stellen ein bislang zwar noch wenig erforschtes Gebiet der Geschichtswissenschaft dar, doch in den letzten Jahren konnte Angelos Chaniotis wertvolle Beiträge zur Bedeutung von Emotionen bei Ritualen beisteuern.475 Er geht grundsätzlich davon aus, dass Rituale emotional aufgeladene Handlungen sind,476 die zudem bereits existierende Emotionen verstärken können. Er konnte nachweisen, dass sich auch die Griechen der emotionalen Kraft von Ritualen durchaus bewusst waren.477 Nicht zuletzt die intensive Erfahrung eines Gemeinschaftsgefühls („togetherness“) war bei griechischen Festen und Riten essentiell,478 was sich nicht unwesentlich auf den sozialen Zusammenhalt der

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Turner 1982, 24. Chaniotis 2006, 234. 474 Dietler 2001, 71. 475 Chaniotis 2006; ders. 2010; ders. 2011. Vgl. auch die von Chaniotis herausgegebenen drei Bände „Unveiling Emotions” von 2012, 2013 und 2021. 476 „Rituals are emotionally loaded activities.“ Chaniotis 2006, 211. 477 Ebd., insbes. 230. 478 Ebd., 226-230. Stollberg-Rilinger weist dagegen darauf hin, dass „Gefühle der Zusammengehörigkeit“ zwar oft angenommen werden, aber an sich nicht belegbar sind. StollbergRilinger 2013, 12. 473

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Gruppe ausgewirkt haben dürfte. Die Tatsache, dass Rituale als Handlungen zu verstehen sind, die besonders emotional aufgeladen sind, lässt vermuten, dass dies ein zentraler Grund dafür sein könnte, dass auch Feste als bedeutungsvoll und sinnhaft erfahren wurden und werden – und zwar sowohl vom Einzelnen als auch von der Gruppe. Damit wird bereits angedeutet, dass Feste und Rituale nicht nur für das Erleben des Einzelnen eine Rolle spielen, sondern auch Auswirkungen auf das Selbstverständnis der Gruppe haben. Stollberg-Rilinger weist darauf hin, dass Rituale einerseits die Beständigkeit der sozialen Ordnung bestätigen und sichern,479 andererseits aber auch die sozialen Wirklichkeiten verändern können,480 weshalb ihnen eine zentrale Bedeutung für soziale Strukturbildungsprozesse zukommt. Stollberg-Rilinger bringt dies folgendermaßen auf den Punkt: „Ohne Rituale gibt es keine gesellschaftliche Ordnung, keine Institutionen, keine dauerhafte soziale Struktur.“481 Voraussetzung für eine Herausbildung von sozialen Strukturen durch Rituale ist allerdings deren sichtbarer, äußerer Vollzug in Anwesenheit der Beteiligten, die somit zu Augenzeugen werden. Erst hierdurch können die Rituale letztlich Verbindlichkeit für die Gruppe erlangen.482 Erfasst man Feste wie oben bereits angedeutet als Form der Anwesenheitskultur, die sich durch besonders geformte Kommunikationen auszeichnet, so zeigt sich, dass in diesen Kommunikationen unter Anwesenden auf sehr verschiedenen Ebenen Sinn erzeugt wird. Zum einen kommt es zu Formen der Vergesellschaftung, also zur Herausbildung sozialer Strukturen in der direkten Interaktion der Beteiligten.483 Die bei einem Fest ablaufenden Kommunikationsprozesse können also mit Schlögl als „Stabilisierung von sozialem Sinn unter der Bedingung doppelter Kontingenz“ verstanden werden.484 Zugleich ist die Kommunikation bei Festen auf besondere Weise geformt und zeichnet sich durch den Einsatz von Ritualen aus. Diese besondere Formung der Kommunikation schafft Interpretationsund Rezeptionsspielräume, die für eine Erfahrung des Festes als ‚sinnhaft‘ und ‚außergewöhnlich‘ verantwortlich zeichnen. Dass Rituale zudem emotional aufgeladene Handlungsmuster sind, führt darüber hinaus zu einer Sinnstiftung auf emotionaler Ebene. Darüber hinaus finden Feste nicht nur an einem bestimmten, meist genau definierten Ort statt, sondern sie vermögen es darüber hinaus, Räume zu markieren und sinnhaft aufzuladen.485

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Stollberg-Rilinger 2013, 13. Ebd., 11f. 481 Ebd., 13. 482 Ebd., 12f. 483 Schlögl 2014, 39. 484 Schlögl 2008, 159. 485 Vgl. hierzu Schlögl 2014, 109-123. 480

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3. Versuch eines Neuansatzes Bestimmte Erfahrungen (Geburt, Tod, Ernte), die Festen zugrunde liegen, sowie das Bedürfnis, diese Erfahrungen durch festliche Handlungen zu begleiten, sind zwar möglicherweise universell vorhanden, die Feste an sich werden jedoch je nach Gruppe, Situation und kulturellem Hintergrund sehr unterschiedlich ausgestaltet.486 Streng genommen sind Feste an sich daher keine anthropologische Grundkonstante, sondern eigentlich nur die ihnen zugrundeliegenden Grunderfahrungen und Bedürfnisse. Allenfalls können in den Ausdrucksformen Parallelen zwischen verschiedenen Festen ausgemacht werden: der Konsum von Speisen und Getränken, Tanz, Musik etc., doch ist die Breite an festlichen Handlungen so groß und je nach Fest finden so unterschiedliche Formen Eingang, dass eine Suche nach einem gemeinsamen Nenner nicht sehr aufschlussreich erscheint.487 Wie sich das Fest jeweils konkret manifestiert, kann von Fall zu Fall extrem unterschiedlich sein: Vom Denkmalfest des 19. Jahrhunderts bis zur Love Parade sind diverse Ausprägungen denkbar, die zwar, wenn man so will, mit Gebhardt in Feste vs. Feiern unterteilt werden können, letztlich aber zeit- und situationsbedingt, wenn nicht sogar gruppen- und personenbedingt sind.488 Ein Versuch, das ‚Fest an sich‘ anhand der Merkmale zu definieren, muss notgedrungen scheitern, da die jeweilige Ausprägung des Festes äußerst verschiedene Formen annehmen kann. Zentral ist eine genaue methodische Trennung zwischen der Ebene der Manifestation des Festes, die sich aus dem Konsens der Feiernden ergibt – also wie ein Fest konkret ausgestaltet wird, wo und warum es gefeiert wird, wozu sowohl der Anlass als auch mögliche damit verbundene Inhalte (Aitia) zu zählen sind –, und der Ebene der Sinnhaftigkeit, die an sich nicht greifbar ist, deren Existenz bzw. Entstehung jedoch durch die besonderen äußeren Formen des Festes erklärt werden kann. Die in Kapitel 1 vorgestellte Begriffsverwirrung ergibt sich letztlich aus einer Vermischung dieser verschiedenen Ebenen: Versuche, Feste anhand der Anlässe zu kategorisieren489 oder Idealtypen anhand der verschiedenen Manifestationen herauszuarbeiten,490 stehen neben Ansätzen, die die Erfahrung von

486 Homann stellt zwar die „universalhistorische Existenz von Fest und Feier“ fest und vermutet eine „nicht ersetzbare soziale Funktion“, die ihnen innewohnt, bestätigt aber ebenfalls, dass sich die jeweiligen „Ausprägungen auch historisch gesehen ändern mögen.“ Homann 2004, 100. 487 Dietler und Hayden stellen fest, dass Konsum immer zu einem Fest gehört und definieren Fest daher als „any unusual occasion accompanied by an unusual shared meal“, doch erscheint die Klassifizierung „unusual“ als äußerst vage für eine greifbare Definition. Dietler/Hayden 2001, 4. 488 „Es kommt also offenbar auf die sozialen und historischen Bedingungen an, ob und inwieweit Fest und Feier ausgestaltet werden und ob sich ihre Mittel weitgehend verselbständigen“. Homann 2004, 110. 489 So bei Maurer 2004b. 490 So bei Gebhardt 1987.

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Festen als sinnhaft und bedeutungsvoll zu erklären versuchen.491 Am ehesten wird diesem Sachverhalt die Definition von Deile gerecht, der Feste folgendermaßen erfasst: „Im Fest vergegenwärtigt sich eine Gemeinschaft lebensbejahend Bedeutung in besonderen äußeren Formen.“492 Er berücksichtigt sowohl die feiernde Gemeinschaft als auch die außergewöhnliche Rahmung des Festes durch „besondere äußere Formen“ und schreibt Festen eine positive Bedeutsamkeit zu. Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern diese „Bedeutung“ im Fest tatsächlich vergegenwärtigt wird. Wie bereits angedeutet existieren zahlreiche Feste, deren „Bedeutung“ oder „Sinn“ nicht erfasst werden kann und selbst von den Feiernden nicht bewusst reflektiert wird. Es ist vielmehr anzunehmen, dass das Gefühl der Sinnhaftigkeit, das dennoch existiert, erst durch die „besonderen äußeren Formen“, durch Rituale und besondere Rahmung des Festes erschaffen bzw. suggeriert wird. Ein neuer Ansatz muss dies berücksichtigen und einer Differenzierung dieser verschiedenen Ebenen Rechnung tragen: Ein Fest ist eine durch symbolische Handlungen besonders gerahmte Zeitspanne, die als sinnhaft und bedeutungsvoll erlebt wird und sich jeweils in einem Konsens der Festgemeinschaft über einen konkreten Anlass und über bestimmte Ausdrucksformen manifestiert. Was bedeuten diese Erkenntnisse für die Arbeit des Historikers, der sich mit Festen beschäftigt? Ganz grundsätzlich gilt es festzuhalten, dass die Ebene der Rezeption, das Erleben des Festes als etwas Bedeutsames, Lebensbejahendes, vielleicht sogar Rauschhaftes, kaum erfasst werden kann. Fragestellungen, die nach einem ‚tieferen Sinn‘ von Festen suchen, sind damit von vornherein äußerst problematisch. Weitaus vielversprechender ist dagegen eine Konzentration auf die Ebene der Manifestation des Festes: Welche Anlässe und Ausdrucksformen lassen sich greifen, durch welche Medien und symbolischen Handlungen wird ein Fest als „besonders gerahmte Zeitspanne“ markiert? Auf einer anderen Ebene kann untersucht werden, wie im Fest Gruppenzugehörigkeiten geschaffen, inszeniert und perpetuiert werden, z.B. durch symbolhafte Kleidung, Sitzordnungen, Speisenzuteilungen oder ganz grundlegend durch die Erlaubnis zur Teilnahme am Fest. Zum einen kommen hierbei vergemeinschaftende Elemente zum Tragen: Die Teilnehmer können sich im Fest durch gemeinsam durchgeführte Riten, geteilte Speisen und Getränke etc. und durch die damit indirekt erzeugte Sinnhaftigkeit intensiv als Gemeinschaft erfahren. Auch durch den Prozess der Aushandlung bzw. Bekräftigung eines Kon-

491 So z.B. die Erklärung von Festen als Ventilsitten im Sinne Freuds oder das Konzept der Bollnow’schen Lebensbejahung. Assmann erkennt zwar in seiner Unterscheidung von Fest und Alltag prinzipiell das Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit bei Festen, berücksichtigt jedoch nicht, dass die Erfahrung von Sinnhaftigkeit nicht zuletzt wesentlich durch die besonderen Formen bedingt ist, und die von ihm gleichgestellten Aspekte Besinnung und Efferveszenz keine metahistorischen Konstanten sondern vielmehr Folgen des besonderen festlichen Erlebens sind. Assmann 1991. 492 Deile 2004, 7.

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senses über den jeweiligen Anlass und die Ausdrucksformen wird die Identität der Gruppe immer wieder neu bestätigt. Neben dieser integrativen Funktion grenzt sich die feiernde Gruppe zugleich nach außen hin ab von Personen und Gruppen, die nicht am Fest teilnehmen können, wollen oder dürfen,493 was zugleich den Zusammenhalt der Gruppe nach innen stärkt. Zum anderen finden sich innerhalb der Festgemeinschaft Elemente der Distinktion. Einzelne Personen können sich durch eine gesonderte Stellung im Fest auszeichnen oder durch die Finanzierung oder Ausgestaltung des festlichen Rahmens Prestige beanspruchen. Dabei können bestimmte Rollen und Verhaltensmuster relevant sein, die bei einem Fest ausgefüllt werden. Es kann sich etwa um Funktionen handeln, die Amtsträgern in einem Fest zugesprochen werden, wie die Durchführung von Opfern durch eine bestimmte Priesterschaft oder eine privilegierte Stellung im Festmahl für Mitglieder der Dekurionen, oder um festspezifische Rollen und Aufgaben: Diese können mehr oder weniger institutionalisiert sein, wie etwa die Agonotheten in griechischen Poleis494 oder ein Büttenredner bei einem Karnevalsverein,495 oder sich einfach aus der jeweiligen Organisation des Festes ergeben. So dürfte sich etwa derjenige, der das Fest ausrichtet und Speisen und Getränke stiftet, immer in einem gewissen Grad von den anderen Festteilnehmern abheben. Zudem lässt sich in vielen Festen feststellen, dass die Teilnehmer nicht gleich behandelt werden: Im Fest können soziale Gruppenzugehörigkeiten und der Status von Individuen festgeschrieben und durch Sitzordnungen oder Privilegien öffentlich inszeniert werden.496 Die Verteilung von Konsumgütern wie Speisen, Getränke oder Geschenke dürfen daher nicht nur als Momente der Integration und Vergemeinschaftung gesehen werden, sondern auch als kommunikative Handlungen, die dazu genutzt werden können, Abhängigkeiten zu schaffen und Prestige einzufordern oder zuzuschreiben.497 Benz und Gramsch verstehen Feste dementsprechend als „Bühne für die Präsentation von und die Auseinandersetzung über soziale Werte, soziale Allianzen und soziale Identitäten.“498 Indem Feste als Form der Kommunikation unter Anwesenden erfasst werden, kann ihnen zudem eine sinnstiftende Funktion zugeschrieben werden, und zwar auf zweifache Weise. Erstens entsteht wie in allen Formen von Anwesenheitskommunikation ganz grundsätz-

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Benz/Gramsch 2006, insbes. 427. Wörrle 1988, 183-209. Zum weiteren „Festpersonal“ griechischer Polis-Feste vgl. ebd., 183-226. 495 Bausinger 1980, 18f. 496 Benz/Gramsch 2006, 421 zur Möglichkeit, Essen und Trinken zur sozialen Distinktion einzusetzen. Vgl. hierzu auch Donahue 2003 und 2004. 497 Benz/Gramsch 2006, 421. 498 Ebd. 494

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lich sozialer Sinn, d.h. soziale Strukturen werden verhandelt und bestätigt.499 Zweitens können Feste durch ihre besondere rituelle Rahmung Emotionen erzeugen und einen weiten Rahmen für Bedeutungszuschreibungen eröffnen, weshalb bestimmte Elemente als besonders sinnhaft erlebt werden können. Es gilt also festzuhalten, dass Feste allgemein und im antiken Rom im Besonderen zugleich Elemente der Vergemeinschaftung und der Distinktion aufweisen und somit ein hochinteressantes Feld darstellen, soziale Identitäten und Beziehungen, Gruppenzugehörigkeiten sowie Verfahren der Aushandlung von sozialem Sinn zu erforschen.500 Der hier entwickelte Festbegriff kann zum einen die Dichotomien und Widersprüchlichkeiten bisheriger Festtheorien überbrücken: Aspekte wie Fest vs. Alltag, Ordnung vs. Exzess oder religiöse vs. säkulare Elemente gehen in diesem Festbegriff auf, da dieser Spielräume für unterschiedliche Deutungen eröffnet, indem allgemein vom Konsens der Feiernden ausgegangen wird. Zum anderen gelingt es, durch ein Verständnis des Festes als Anwesenheitskommunikation den Blick auf gesellschaftliche Strukturen zu öffnen und Vergemeinschaftungs- und Vergesellschaftungsprozesse sichtbar zu machen. Der Ansatz ist bewusst sehr weit gefasst und umgreift verschiedene Phänomene des antiken Festes, die bisher in der Forschung in völlig unterschiedlichen Bereichen wie religiöse Riten und Kulte (Opfer, Prozessionen), Esskultur (Festessen und Speisungen), Euergetismus (Stiftung von Gebäuden, Statuen, Geldspenden), Sport- und Freizeitkultur (ludi und spectacula) angesiedelt sind. Der hier entwickelte Festbegriff mag durch seine Weite zwar eine gewisse Unschärfe aufweisen, doch kann er diese Trennlinien, die in der modernen Forschung gezogen wurden, auflösen und eine Zusammenschau dieser Phänomenen ermöglichen. Denn in der Tat stehen religiöse Handlungen, Spiele und Gladiatorenkämpfe, gestiftete Statuen, Gebäude oder Geldverteilungen sehr häufig in einem unmittelbaren Kontext: Ein gestiftetes Gebäude wie ein Tempel oder ein Theater konnte beispielsweise durch die Veranstaltung von ludi eingeweiht werden, wobei nicht selten zugleich eine Geldverteilung und/oder ein Festmahl für die anwesenden Personen ausgerichtet wurde.501 Zudem darf davon ausgegangen werden, dass Opferhandlungen und womöglich auch Prozessionen mit Götterbildern einen festen Teil der veranstalteten Spiele ausmachten. Mit der Untersuchung der römischen Feste in diesem Sinne kann also ein Phänomen umschrieben werden, das bisher zwar in seinen Einzelteilen, aber nicht in seiner Gesamtheit untersucht wurde, und das somit ‚quer‘ zu sehr verschiedenen Forschungsansätzen liegt. Die große Chance des hier entwickelten Festbegriffs liegt darin, dass all diese Aspekte unter dem gemeinsamen Gesichtspunkt ‚Fest‘ erfasst werden können, wodurch Zusammenhänge und Brüche sichtbar gemacht werden können.

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Grundlegend hierzu Schlögl 2008 und 2014, sowie Luhmann 2012. Donahue 2003, 425, der dies jedoch auf Festmähler beschränkt. 501 Z.B. EAOR 3, 47; CIL 8, 1500; CIL 8, 1577. 500

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TEIL 2: FESTSTIFTUNGEN IN DEN LATEINISCHEN INSCHRIFTEN Kapitel 1: Vorstellung des Quellenkorpus 1. Stiftungsrecht Bevor die in dieser Arbeit herangezogenen Quellen genauer vorgestellt werden, muss geklärt werden, was hier unter ‚Stiftung‘ verstanden wird. Nach Laum zeichnet sich eine Stiftung in der Antike durch zwei Merkmale aus: „1. Ein von einem menschlichen Willen bestimmter dauernder Zweck; 2. Ein bestimmter Vermögenskomplex, den der Stifter hergibt und der die Verwirklichung dieses dauernden Zweckes sichert.“502 Neben diesen Stiftungen im engeren Sinne, die beispielsweise testamentarisch oder durch einen offiziellen Beschluss (z.B. durch ein Dekret der Dekurionen) verfügt wurden und somit auch juristische Implikationen hatten,503 werden hier jedoch auch einmalige Zuwendungen, wie eine Geldverteilung oder ein Festmahl, als Stiftung bezeichnet. Diese Zuwendungen konnten auch relativ spontan vom Euergeten gestellt werden und zogen in der Regel keine weiteren Verpflichtungen nach sich. Derartige Initiativen unter den Begriff ‚Stiftung‘ zu fassen, ist sicherlich nicht unproblematisch, hat aber durchaus seine Berechtigung. Zum einen fällt bei genauerer Betrachtung auf, dass die Trennlinie zwischen Stiftungen im engeren Sinne und den eher unverbindlichen euergetischen Akten nicht so scharf gezogen werden kann, wie es auf den ersten Blick scheint. Oft geht aus dem Inschriftentext nicht eindeutig hervor, ob eine Initiative auf einer testamentarischen Verfügung oder einem offiziellen Beschluss beruhte, und nicht immer lässt sich entscheiden, ob ein dauerhafter Zweck gegeben war. Wurde beispielsweise ein Gebäude errichtet, für dessen Nutzung sich ein dauernder Zweck recht plausibel feststellen lässt, und zu dessen Einweihung eine Geldverteilung oder ein Festmahl ausgerichtet, würden diese festlichen Handlungen, denen kein dauernder Zweck zuzuschreiben ist, streng genommen aus dem Stiftungsakt herausfallen. Ebenso weist beispielsweise das vor einer Wahl abgegebene Versprechen von Spielen eine juristische Verbindlichkeit auf, würde aber ebenfalls nicht als Stiftung erfasst werden, da auch hier kein dauernder Zweck gegeben ist. Die von Laum konstatierte Dauerhaftigkeit des Zwecks ist also nicht zwingend gegeben, weshalb besser mit Wesch-Klein unterschieden werden sollte in „Zuwendungen zu einem mit einem Mal zu erledigenden Zweck“ und „Zuwendungen zu einem dauernden Zweck“.504 Stiftungen sollen hier verstanden werden als Be-

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Laum 1964, 2. Goffin weist allerdings zu Recht darauf hin, dass aus den Inschriften nicht immer eindeutig ersichtlich ist, ob es sich etwa um eine testamentarische Verfügung handelte. Goffin 2002, 37f. 504 Wesch-Klein 1989, 177. 503

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reitstellung einer zweckgebundenen Geldsumme; Feststiftungen sind dementsprechend Stiftungen, bei denen diese Summe der Organisation von festlichen Handlungen diente. Auch wenn dieser Stiftungsbegriff sehr weit gefasst ist und viele der hier zusammengetragenen Stiftungen sicherlich juristisch unverbindlich waren, sollen einige Aspekte des römischen Stiftungsrechts vorgestellt werden, um die rechtlichen Hintergründe besser einordnen zu können. Außerdem können die in den Digesten überlieferten Bestimmungen interessante Schlaglichter auf Konfliktfelder im Zusammenhang mit getätigten Stiftungen werfen, die sonst unsichtbar bleiben würden. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen Stiftungen, die testamentarisch festgelegt wurden und erst nach dem Tode des Stifters realisiert wurden, und Zuwendungen, die bereits zu Lebzeiten ausgeführt werden sollten.505 Wollte ein Wohltäter, dass nach seinem Tod eine Stiftung in Kraft trat, konnte er dies formgültig als Testament verfügen, wobei er entweder einzelne Gegenstände als Legat oder Vermächtnis zueignen konnte, oder eine Erbeinsetzung als „letztwillige Zuwendung des gesamten Vermögens oder von Bruchteilen desselben“ durchführen konnte.506 Sollte eine Erbschaft einem Gemeinwesen zukommen, so entschied der Rat der betreffenden Gemeinde, ob dieses Vermächtnis angenommen werden sollte.507 Alternativ konnte die Stiftung formlos als Fideikomiss erfolgen, als „letztwillige Aufträge, deren Ausführung dem guten Willen der Erben anheimgestellt wurde“.508 Versprach ein Euerget die Stiftung eines Gebäudes oder festlicher Handlungen zu Lebzeiten, handelte es sich hingegen um eine pollicitatio – ein derartiges Versprechen war prinzipiell freiwillig, doch sobald es formell gegeben war, konnte die Einhaltung eingefordert, ab der Zeit Trajans sogar juristisch erzwungen werden.509 Für die rechtliche Verbindlichkeit einer pollicitatio war allerdings entscheidend, ob es sich um ein Versprechen aus einem rechtsgültigen Grund (causa iusta) handelte, worunter Stiftungen fielen, die im Zusammenhang mit der Übernahme eines Ehrenamtes oder nach Eintreten einer Naturkatastrophe versprochen worden waren. Eine solche pollicitatio war zwar nicht in dem Maße obligatorisch wie die pflichtmäßige Zahlung der summa honoraria/legitima beim Antritt eines Amtes,510 hatte jedoch einen verbindlicheren Charakter als ein rein freiwilliger euergetischer Akt.511 Handelte es sich dagegen um ein Versprechen, das ohne diesen

505

Ebd. Ebd., insbes. Anm. 1. 507 Ebd., 190. 508 Ebd., 177, Anm. 1. 509 Goffin 2002, 45. Aus nordafrikanischen Inschriften geht hervor, dass die pollicitationes häufig auch in den Gemeindeakten schriftlich festgehalten wurden. Ebd., 45f. 510 Ebd., 50. 511 Johnston 1985, 105f. 506

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Hintergrund abgegeben worden war (sine causa iusta), so galten weniger strenge rechtliche Bestimmungen.512 Insgesamt ist es schwierig, anhand der Inschriftentexte jeweils zu erschließen, ob es sich bei einer Stiftung formell um eine pollicitatio handelte oder nicht, da nur in wenigen Fällen ein expliziter Verweis auf diese Rechtsform zu finden ist.513 Johnston schließt aus diesem Befund, dass pollicitationes nicht sehr häufig durchgeführt wurden;514 Goffin geht dagegen von einer „hohen Dunkelziffer“ bei den inschriftlichen Stiftungen aus und interpretiert auch die Formulierung ob honorem als Hinweise auf pollicitationes, die im Zusammenhang mit der Übernahme eines Ehrenamtes durchgeführt wurden.515 Die literarischen Quellen legen in der Tat nahe, dass Stiftungsversprechen in Form der pollicitatio weitaus häufiger waren, als die spärliche epigraphische Überlieferung vermuten lässt.516 Zudem kann davon ausgegangen werden, dass das Versprechen von wohltätigen Akten ein durchaus wichtiges ‚Wahlkampfmittel‘ bei der Konkurrenz um begehrte Ämter darstellte, wie Goffin zu Recht betont: „Trotz der geringen Zahl der Zeugnisse für pollicitationes spricht der aus den Quellen deutlich erkennbare Zusammenhang zwischen Munifizenz und der Übernahme von Ämtern dafür, daß im Konkurrenzdruck geäußerte Stiftungszusagen existiert haben könnten.“517

Wie genau hat man sich die Einrichtung einer Stiftung vorzustellen? Eine Inschrift aus Gabiae gibt Einblick in die Abläufe, die hiermit verbunden waren: Polycarpus und Europe, zwei kaiserliche Freigelassene, wandten sich im Jahr 140 n.Chr. in der Curia Aelia Augusta an den versammelten ordo decurionum mit dem Antrag, aus den Zinsen der von ihnen angebotenen Geldsumme in Höhe von 10.000 Sesterzen jährlich u.a. den Geburtstag der Domitia zu feiern. Der ordo beschloss daraufhin, das Geld unter den von Polycarpus gestellten Bedingungen anzunehmen und, falls die Bedingungen nicht eingehalten werden sollten, die ganze Summe dem municipium Tusculum zu übertragen. Das Dekret wurde nach drei Lesungen beschlossen und, wie ebenfalls verfügt worden war, auf einer Bronzetafel an einem öffentlichen und gut sichtbaren Ort aufgestellt.518

512

Dig. 50,12,1; Goffin 2002, 47f.; Wesch-Klein 1989, 178. Z.B. AE 1901, 191: (…) ob hono/rem duumviratus praeter / legitimam pollicitationem/ve HS IIII n(ummum) rei p(ublicae) inl[at]am pr[o]/misit (…); AE 1993, 468: (…) Tullio Eutycho curatore perpetuo de confirman(da) / voluntate pollicitationis suae HS triginta mil(ia) / nummorum cuius summae incrementum omnibus / annis Augustalib(us) corporatis dividatur (…). Die meisten Inschriften, die direkt auf eine pollicitatio verweisen, stammen aus den nordafrikanischen Provinzen. Goffin 2002, 46. 514 Johnston 1985, 106. 515 Goffin 2002, 46. 516 Ebd. 517 Ebd., 46f. 518 CIL 14, 2795: In honorem memoriae domus Domitiae Augustae Cn(aei) Domiti Corbulonis / fil(iae) Domitii Polycarpus et Europe loc(o) dat(o) decreto ordinis decur(ionum) aedem / fecerunt et exornaverunt statuis et reliquis rebus pecunia sua eiusdem/que tutelam in perpetuum rei publicae 513

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Inschriften wie die eben vorgestellte geben jedoch gewissermaßen nur die ‚Schauseite‘ der Stiftungen wieder: Wir erfahren in der Regel lediglich etwas über diejenigen Fälle, die erfolgreich realisiert wurden, während Probleme und Unstimmigkeiten, die bei der Durchführung aufgetreten sein könnten, naturgemäß keine Erwähnung fanden. Daher ist es unerlässlich, zusätzlich die Rechtstexte in den Blick zu nehmen,519 denn entsprechende Gesetzestexte sowie Bestimmungen und Entscheidungen der Kaiser in konkreten Einzelfällen lassen erahnen, dass Stiftungen nicht immer reibungslos abliefen, sondern auch in Streitfällen zwischen Stiftern und Empfängern520 vermittelt werden musste.521 Im Wesentlichen lassen sich zwei Konfliktfelder ausmachen: Erstens konnte der Fall eintreten, dass ein potenzieller Euerget sein Versprechen nicht einhielt oder die versprochenen Leistungen nicht vollständig ausführte und das Gemeinwesen somit um die Stiftung gebracht wurde oder sogar unter noch anfallenden Kosten oder einem nicht fertiggestellten Bauwerk zu leiden hatte.522 Zweitens lag es im Interesse des Stifters, dass sein

dederunt sub inscriptione infra scripta / Imp(eratore) Caes(are) T(ito) Aelio Hadriano Antonino Aug(usto) Pio III M(arco) Aelio Aurelio Caes(are) co(n)s(ulibus) VIIII K(alendas) Maias Gabi(i)s in municipio in curia Aelia Augusta scribendo atfuit(!) universus ordo / decurionum referentibus L(ucio) Vipstano L(uci) f(ilio) Cl(audia) Publicola Messalla L(ucio) Setrio L(uci) f(ilio) Pal(atina) Prisco IIIIvir(is) q(uin)q(uennalibus) Cn(aeum) Domitium Polycarpum nomine suo et Domitiae Europes coniugis suae / offerre ordini decurionum et sevirum Augustalium HS X m(ilia) n(ummum) qu(i) iam pridem extruxisset templum in honorem ac memoriam Domitiae Corbulonis fil(iae) et hoc pietatis suae adfectu / exornet et meliorem faciat ordinem n(ostrum) singulis etiam universisque prodesse festinet at quos ex reditu eius pecuniae fructum semper desideret pervenire confugiendo at / aeternam rem publ(icam) n(ostram) petendo ut secundum exemplum codicillorum Cl(audi) Vitalis stipulatione interposita desiderio suo talis condicio decerneretur ut ex reditu eius pecuniae / III Idus Febr(u)ar(ias) natale Domitiae praesentibus decurionib(us) et sevir(is) discumbentibus in publico aequis portionibus fieret divisio item hoc amplius in tutela et ornationibus / templi HS V m(ilia) n(ummum) sub eadem condicione inferret q(uid) d(e) e(a) r(e) f(ieri) p(laceret) d(e) e(a) r(e) it(a) c(ensuerunt) / placere universis secundum relationem s(upra) s(criptam) pecuniam accipi praestarique in per(pe)tuum ut celebraretur natalis dies ac memoria Domitiae Corbulonis fil(iae) et ex reditu HS X m(ilia) n(ummum) / divisionibus factis discumberetur in publ(ico) et si ullo tempore intermissum esset quominus praestaretur it quot ordo decrevisset aut si ordo rescidisset decretum / suum mutassetve condicionem tum omnis summa quae in hanc rem accepta esset eadem condicione municipibus Tusculanis confestim renumeraretur / hoc decretum post tres relationes placuit in tabula aerea scribi et proponi in publico unde de plano recte legi possit. Vgl. Johnston 1985, 112 zu dieser Inschrift sowie 112-117 zu weiteren rechtlichen Aspekten bei der Antragstellung und Beschlussfassung einer Stiftung. 519 Johnston 1985, 110. 520 Neben Privatpersonen konnten municipia, coloniae und ab Nerva auch civitates, die unter römischer Herrschaft standen, Vermächtnisse annehmen; im Einzelfall auch pagi und vici. Ebenso konnten Vereine – allerdings nur collegia licita – Erbschaften annehmen. Außerdem waren einzelne Gottheiten erbberechtigt und konnten Legate empfangen. Wesch-Klein 1989, 189 und 194 (zu den Gottheiten). 521 Goffin 2002, 34. Goffin weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass es unter Umständen problematisch ist, von diesen Einzelfallentscheidungen auf allgemeine Probleme zu schließen. 522 Ebd., 52.

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Wille von der Gemeinde berücksichtigt wurde und die Stiftung in seinem Sinne umgesetzt wurde, auch wenn die Gemeinde möglicherweise andere Interessen verfolgte und vielleicht sogar versuchte, das gestiftete Vermögen anderweitig einzusetzen. Eine rechtliche Garantie für eine angemessene Umsetzung des Stifterwillens war nicht zuletzt von Bedeutung, um mögliche weitere Euergeten in ihrem Vorhaben zu bestärken, dem Gemeinwesen Aufwendungen zukommen zu lassen.523 Zunächst zum ersten Bereich: Welche rechtlichen Möglichkeiten boten sich einem Gemeinwesen, wenn ein Euerget seine versprochene Stiftung nicht umsetzte? Der wohl häufigste Grund für eine Stiftung causa iusta dürfte wie bereits angedeutet ein Stiftungsversprechen im Zusammenhang mit der Bewerbung um ein Amt gewesen sein. Sobald ein Kandidat ein Amt erlangt hatte, stand es jedoch mit der Einlösung dieses Versprechens offenbar nicht immer zum Besten: Die Kaiser mussten wiederholt Streitfälle zwischen Gemeinwesen und unwilligen Stiftern klären524 und nicht zuletzt einige in den Digesten überlieferte Regelungen zeugen davon, dass so manche pollicitatio nicht freiwillig eingelöst wurde. Eine Passage von Ulpian legt bezeichnenderweise fest, dass eine pollicitatio, die ob honorem durchgeführt wurde, juristisch wie eine Schuld eingefordert werden konnte, quasi debitum exigatur.525 Die gleiche Rechtslage galt im Übrigen auch für Versprechen, die für die Übernahme von Ehrenämtern durch andere Personen, meist Familienangehörige, geleistet wurden.526 Kam ein Stifter seinem Versprechen nicht nach, konnte er von sämtlichen Ehrenämtern ausgeschlossen werden.527 Außerdem fielen Zinsen an, wenn der Stifter mit der Einlösung des Versprechens in Verzug geriet.528 War die Rechtslage bei nicht eingehaltenen Versprechen somit relativ eindeutig, so war die Frage, wie verfahren werden sollte, wenn ein Stifter starb, bevor er das Versprechen umsetzen konnte, nicht mehr ganz so einfach zu entscheiden. Mehrere kaiserliche Reskripte zeugen davon, dass die Erben in der Regel verpflichtet waren, bereits begonnene Gebäude, die vom Verstorbenen versprochen worden waren, zu vollenden.529 Der

523 Ebd. Wohl auch aus diesem Grund gab es die Regelung, dass selbst nach der Renovierung eines Bauwerks die ursprünglichen Bauinschriften erhalten bleiben mussten. Wesch-Klein 1989, 187f. 524 Z.B. Plin. ep. 10,40; Dion Chrys. 47,19. 525 Dig. 50,12,3. Vgl. hierzu Goffin 2002, 50f. Wesch-Klein geht davon aus, dass die Regelungen älter sind, und dass spätestens seit der Zeit Caracallas Rechtssätze bestanden, die besagten, dass wegen eines Ehrenamtes abgegebene Versprechen einzuhalten waren. Wesch-Klein 1989, 179. 526 Dig. 50,12,14: Si quis sui alieniue honoris causa opus facturum se in aliqua ciuitate promiserit, ad perficiendum tam ipse quam heres eius ex constitutione diui Traiani obligatus est. Wesch-Klein 1989, 179. 527 Dig. 50,4,6,1: [...] sed et si ex pollicitatione debeant, quae tamen pollicitatio recusari non potest, in ea sunt condicione, ut honoribus arceantur. Goffin 2002, 51; Wesch-Klein 1989, 179. 528 Wesch-Klein 1989, 185: „Unter Verzug (mora) war schuldhafte Verzögerung einer fälligen und klagbaren Schuldverpflichtung zu einer noch möglichen Leistung zu verstehen.“ Zu den genauen Regelungen bezüglich Verzug bei Versprechen und Vermächtnissen vgl. ebd., 185f. 529 Dig. 50,12,9 und 14; Wesch-Klein 1989, 180.

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Hintergrund dieser Regelungen war sicherlich, dass die Gemeinden vor Bauruinen und zusätzlich anfallenden Kosten für die Vollendung der begonnenen Bauwerke bewahrt werden sollten.530 In diesem Sinne waren die Erben nicht verpflichtet, die pollicitatio einzuhalten, wenn der Bau noch nicht begonnen worden war und der Verstorbene zwar ein Stiftungsversprechen abgegeben hatte, aber das Ehrenamt noch gar nicht angetreten hatte.531 Für den Fall, dass der Stifter selbst oder seine Erben verarmten und somit für die Kosten nicht mehr aufgekommen werden konnte, wurde eine Form der „beschränkten Haftung“532 eingeführt: Die Betroffenen hafteten nur mit einem Teil ihres Vermögens für die versprochene Stiftung.533 Dass die Stiftung von Bauwerken rechtlicher Regelungen bedurfte, ist unmittelbar einleuchtend: Schließlich zog sich deren Errichtung normalerweise über einen längeren Zeitraum hin, währenddessen sich die Situation grundlegend ändern konnte, und somit immer die Gefahr bestand, dass das Gemeinwesen auf einer Bauruine sitzenblieb, den Bau selbst weiter finanzieren musste oder, selbst wenn das Gebäude fertiggestellt worden war, für die Instandhaltung aufkommen musste.534 Weniger problematisch dürfte dagegen die Stiftung von Festen oder festlichen Handlungen gewesen sein, insbesondere wenn es sich um einmalige Ereignisse handelte.535 Hinzu kommt, dass gerade bei den beliebten Spielen und Gladiatorenkämpfen ein gewisser sozialer Druck geherrscht haben dürfte, diesbezügliche Versprechen auch einzulösen.536 So wurde wohl nicht zufällig eine Unterscheidung getrof-

530 Wesch-Klein 1989, 181. Ähnliches galt daher auch für pollicitationes sine causa iusta: Falls das versprochene Bauwerk bereits begonnen oder ein Teil der versprochenen Geldsumme bereits gezahlt worden war, war der Stifter zur gänzlichen Erfüllung seines Versprechens verpflichtet. Dig. 50,12,1; Wesch-Klein 1989, 184f. 531 Dig. 50,12,11: Si quis ob honorem uel sacerdotium pecuniam promiserit et antequam honorem uel magistratum ineat, decedet, non oportere heredes eius conueniri in pecuniam, quam is ob honorem uel magistratum promiserat, principalibus constitutionibus cauetur, nisi forte ab eo uel ab ipsa re publica eo uiuo opus fuerit inchoatum. Wesch-Klein 1989, 180f. 532 Wesch-Klein 1989, 181. 533 Dig. 50,12,9: Ex pollicitatione, quam quis ob honorem apud rem publicam fecit, ipsum quidem omnimodo in solidum teneri: heredem uero eius ob honorem quidem facta promissione in solidum, ob id uero, quod opus promissum coeptum est, si bona liberalitati soluendo non fuerint, extraneum heredem in quintam partem patrimonii defuncti, liberos in decimam teneri diui Seuerus et Antoninus rescripserunt. sed et ipsum donatorem pauperem factum ex promissione operis coepti quintam partem patrimonii sui debere diuus Pius constituit. Wesch-Klein 1989, 181. 534 Auch Goffin 2002, 52 sieht in den zahlreichen Regelungen bezüglich der Stiftung von Bauten „vermutlich [einen] Reflex der zahlreichen Unwägbarkeiten, die im Verlauf der oft jahrelangen Bauaktivitäten auftreten konnten“. 535 Anders in Griechenland: Die aufwändigen jährlichen Feste einzelner Poleis boten sehr viel mehr Konfliktpotenzial. So war deren Organisation etwa mit Ehrenämtern verbunden, für die es nicht immer leicht war, Nachfolger zu finden. Wörrle 1988, 83-85. Es ist anzunehmen, dass die Stiftung eines Festes im griechischen Raum eine andere Tragweite hatte, als die Stiftungen von Festen und festlichen Handlungen, die sich im lateinischen Westen greifen lassen, und die meist überschaubare Ausmaße hatten. 536 Z.B. Plin. epist. 6,34. Vgl. Goffin 2002, 52. Auch bestimmte Anlässe scheinen mit einer ganz konkreten Erwartungshaltung verknüpft gewesen zu sein: Aus Apul. apol. 88 geht hervor, dass ein

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fen zwischen Legaten ad ornatum, die die Stiftung von Bauwerken für die Gemeinde umfassten, und ad honorem, zu denen etwa ludi, munera, Geldverteilungen, Festmähler und Alimentationsstiftungen zählten537 – was zu jeweils unterschiedlichen Konsequenzen bei der Nichteinhaltung der Stiftung führte. Daher überrascht es nicht, dass es kaum rechtliche Bestimmungen gibt, die auf Probleme oder Streitfälle bei Feststiftungen schließen lassen. Doch auch für die Passagen in den Digesten, die davon zeugen, dass es bei Baustiftungen immer wieder zu Streitigkeiten zwischen säumigen Euergeten und dem Gemeinwesen kam, stellt sich die Frage, wie häufig derartige Konflikte tatsächlich auftraten. So weist Goffin darauf hin, dass es auch Fälle gab, in denen Erben die Stiftung des Verstorbenen fortführten, selbst wenn dieser kein formelles Stiftungsversprechen abgegeben hatte und daher kein juristischer Zwang zur Einhaltung bestand.538 Wie Goffin zu Recht anmerkt, dürfte es schließlich ein äußerst negatives Licht auf die Familie des Stifters geworfen haben, wenn begonnene Bauwerke nicht fertiggestellt wurden539 – nicht nur das Ansehen der gesamten Familie stand hiermit auf dem Spiel, auch die Chancen der Nachkommen auf öffentliche Ämter dürften deutlich gesunken sein, wenn eine wohlhabende Familie der von ihr erwarteten Großzügigkeit nicht nachkam.540 Ähnliches lässt sich auch für den Fall des Verzugs feststellen: Aus den Digesten erfahren wir wie bereits erwähnt von einem Verzugszins, der bei säumigen Stiftern anfiel.541 Doch häufig ließen es sich die Stifter nicht nehmen, im Falle von Verzögerungen eine größere Summe als ursprünglich angekündigt zur Verfügung zu stellen, teils um zusätzliche Kosten zu decken, teils aber auch, um die Stiftung um weitere Wohltaten zu ergänzen und die eigene Großzügigkeit nochmals unter Beweis zu stellen.542

Ehepaar beschlossen hatte, sich auf einem Landsitz anstatt in der Stadt zu trauen, um kostspielige Geldverteilungen und Essenseinladungen im Zuge der Hochzeit zu vermeiden. Bei einer Beerdigung in Pollentia hingegen hatte das Volk offenbar die Erben des Verstorbenen unter Druck gesetzt, Gladiatorenkämpfe auszurichten. Suet. Tib. 37,3. 537 Dig. 30,122 pr.: [...] ad ornatum puta quod ad instruendum forum theatrum stadium legatum fuerit: ad honorem puta quod ad munus edendum venationemve ludos scenicos ludos Circenses relictum fuerit aut quod ad divisionem singulorum civium vel epulum relictum fuerit. Wesch-Klein 1989, 189f. 538 Goffin 2002, 48. 539 Ebd. 540 Veyne 1990, u.a. 333-335. 541 Dig. 50,10,5: Si legatum uel fideicommissum fuerit ad opus relictum, usurae quae et quando incipiant deberi, rescripto diui Pii ita continetur. ‘Si quidem dies non sit ab his, qui statuas uel imagines ponendas legauerunt, praefinitus, a praeside prouinciae tempus statuendum est: et nisi posuerint heredes, usuras leuiores intra sex menses, si minus, semisses usuras rei publicae pendant. si uero dies datus est, pecuniam deponant intra diem, si aut non inuenire se statuas dixerint aut loco controuersiam fecerint: semisses protinus pendant’. Wesch-Klein 1989, 185f. 542 Wesch-Klein 1989, 186.

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Außerdem konnte Johnston feststellen, dass für die Gemeinwesen ökonomische Überlegungen offenbar nicht immer so sehr im Vordergrund standen, wie es den Anschein hat, wenn man lediglich die in den kaiserlichen Reskripten festgehaltenen Streitfälle in den Blick nimmt. Ausschlaggebend bei der Entscheidung, ob eine Stiftung angenommen werden sollte oder nicht, war in erster Linie der Gedanke, ob eine Stiftung einen Nutzen für die Allgemeinheit hatte (utilitas publica), und ob sie für die Gemeinde und das Stadtbild angemessen war.543 Weniger Gewicht hatte dagegen die Überlegung, ob sich die Gemeinde die Instandhaltung und weitere Folgekosten leisten konnte.544 Johnston konstatiert in diesem Zusammenhang, dass in der Antike nicht von einem „ökonomischen Rationalismus“ ausgegangen werden darf.545 Vor diesem Hintergrund müssen die in den Digesten überlieferten Streitfälle sicherlich relativiert werden: Natürlich kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen säumigen Euergeten und Gemeinwesen, aber diese Fälle dürften nicht die Regel dargestellt haben und insbesondere bei den weniger konfliktträchtigen Feststiftungen eher die Ausnahme gewesen sein. Dass sich aber auch potenzielle Euergeten Gedanken machten, ob ihre Verfügungen im von ihnen gewünschten Sinne umgesetzt wurden, geht nicht zuletzt aus einem PliniusBrief hervor, in welchem dieser Caninius bezüglich der Stiftung eines offenbar jährlich abzuhaltenden Festmahls (epulum) für die Bürger seiner Heimatstadt (municipibus nostris), womit wohl Comum gemeint sein dürfte, berät.546 Dabei diskutiert Plinius die Frage, wie das Geld für diese Stiftung angelegt werden sollte, damit diese auch nach dem Tode des Caninius weitergeführt werde. Plinius rät davon ab, der Gemeinde direkt eine gewisse Geldsumme zu überschreiben, weil dann die Gefahr bestünde, dass das Geld verschwendet werde; auch eine Übertragung von Ländereien, aus deren Einkünften die Stiftung finanziert werden könnte, lehnt er ab, weil diese als öffentliches Eigentum vernachlässigt werden würden.547 Schließlich empfiehlt Plinius, Ländereien an die Stadt zu übertragen, diese aber dann selbst für eine relativ niedrige Rente zurückzunehmen. Da der Ertrag der Ländereien weitaus höher als die Rente sei, könne er geeignete Pächter finden, wodurch eine ordentliche Nutzung und gute Erträge für die Finanzierung der Stiftung sichergestellt werden.548

543

Johnston 1985, 115. Ebd., 117. 545 Ebd.: „‚Economic rationalism‘ is not to be expected in antiquity.“ 546 Plin. ep. 7,18,1: Deliberas mecum, quem ad modum pecunia, quam municipibus nostris in epulum obtulisti, post te quoque salva sit. 547 Ebd.: numeres rei publicae summam: verendum est, ne dilabatur; des agros: ut publici neglegentur. 548 Ebd., 2-3: nam pro quingentis milibus nummum, quae in alimenta ingenuorum ingenuarumque promiseram, agrum ex meis longe pluris actori publico mancipavi; eundem vectigali imposito recepi, tricena milia annua daturus. per hoc enim et rei publicae sors in tuto nec reditus incertus, et ager ipse propter id, quod vectigal large supercurrit, semper dominum, a quo exerceatur, inveniet. 544

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Die Vorkehrungen, die Plinius für eine Stiftung befürwortete, zeugen davon, dass potenzielle Euergeten offenbar Grund hatten, sich um eine angemessene Durchführung ihrer Stiftung zu sorgen, was auf Interessenskonflikte zwischen den Stiftern und den Gemeinwesen verweist. Die Stifter wollten, dass das von ihnen zur Verfügung gestellte Vermögen auch nach ihrem Tode in ihrem Sinne eingesetzt wurde, und knüpften die Stiftung an diesbezügliche Bedingungen. Bei manchen Stiftungen finden sich sogar explizite Regelungen, dass die gestiftete Geldsumme an eine andere Gemeinde oder an die öffentliche Kasse gehen sollte, wenn dem Stifterwillen nicht entsprochen wurde.549 Den Gemeinden dagegen dürfte eher daran gelegen gewesen sein, Kapital oder Vermögenswerte zugeschrieben zu bekommen, die mit wenigen Auflagen verbunden waren, um diese möglichst frei einsetzen zu können.550 Vielleicht empfanden sie die auf viele Jahre angelegte Durchführung der Stiftungsbestimmungen auch als Belastung, gerade wenn nur kleinere Beträge im Spiel waren oder die Stiftung keinen unmittelbaren Gewinn für die Gemeinde brachte. Einige Passagen in den Digesten belegen, dass die Kaiser immer wieder zwischen diesen entgegenlaufenden Interessen von Stiftern und Empfängern vermitteln mussten. Zum Teil widersprüchliche Entscheidungen gehen dabei wohl auf je unterschiedliche Fälle zurück und zeugen von der Schwierigkeit, im Spannungsfeld zwischen Euergeten und Gemeinwesen eindeutige Entscheidungen zu fällen.551 Grundsätzlich war eine Gemeinde natürlich verpflichtet, mit der Annahme eines Vermächtnisses auch den testamentarischen Verfügungen des Stifters nachzukommen.552 Doch obwohl der Wille des Stifters prinzipiell respektiert werden musste, konnten gestiftete Vermögenswerte mit Zustimmung des Kaisers umgewidmet werden, wenn die Auflagen der Stiftung nicht erfüllbar waren553 oder nicht der utilitas publica entsprachen.554 Antoninus Pius verfügte immerhin, dass Geldsummen, die testamentarisch für Neubauten bereitgestellt wurden, auch für die Instandhaltung schon bestehender Gebäude verwendet werden durften, wenn bereits genügend öffentliche Bauwerke vorhanden waren.555 Dennoch war es heikel, eine Stiftung nicht im Sinne des Euergeten auszuführen, weil damit die Gefahr verbunden war, dass die Bereitschaft von anderen potenziellen Wohltätern,

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Wesch-Klein 1989, 191, mit Beispielen. Johnston 1985, 124. 551 Ebd., 125. 552 Wesch-Klein 1989, 191. 553 Dies war z.B. der Fall, wenn den Erben nicht mehr genug Geld verblieb, da die für die Stiftung vorgesehene Summe zu groß war – in der lex Falcidia wurde festgelegt, dass mindestens ein Viertel der vererbten Summe den Erben zukommen musste. Ebd., 196. 554 Ebd., 191-193; vgl. auch Johnston 1985, 122. 555 Dig. 50,10,7: Pecuniam, quae in opera noua legata est, potius in tutelam eorum operum quae sunt conuertendam, quam ad inchoandum opus erogandam diuus Pius rescripsit: scilicet si satis operum ciuitas habeat et non facile ad reficienda ea pecunia inueniatur. (…). Wesch-Klein 1989, 192 und Goffin 2002, 41. 550

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dem Gemeinwesen etwas zukommen zu lassen, nachlassen könnte.556 Nicht zuletzt aus diesem Grund stellt sich die Frage, wie häufig es tatsächlich zu Konflikten bezüglich der Einhaltung des Stifterwillens kam. Derartig umständliche Vorkehrungen für die Organisation der Stiftungen, wie sie Plinius beschreibt, lassen sich zumindest in den Inschriften kaum nachweisen. Gelegentlich wurde einer Stadt das Nutzungsrecht an Ländereien übertragen, doch über eine Anmietung der Ländereien durch den Stifter erfahren wir nichts – Plinius scheint hier außergewöhnlich umsichtige Maßnahmen getroffen zu haben. In der Regel wurde eine Stiftung einfach aus den Zinsen (ex reditu, ex usuris) einer bestimmten Geldsumme finanziert, die dem Gemeinwesen übertragen worden war.557 Dennoch ist auch in den Inschriften die Sorge der Euergeten, dass ihre Stiftung in ihrem Sinne durchgeführt wird, daran abzulesen, dass häufig alternative Empfänger genannt werden für den Fall, dass die eigentlichen Empfänger dem Willen des Stifters nicht entsprachen. Es scheint sich hierbei also durchaus um ein relativ weit verbreitetes Problem gehandelt zu haben. Der Grundsatz, dass eine Stiftung der utilitas publica dienen musste, warf insbesondere für die Stiftung von venationes und Gladiatorenkämpfen gelegentlich Probleme auf. So entschied eine civitas, dass die Durchführung eines testamentarisch verfügten jährlichen spectaculum, das der memoria des Stifters dienen sollte, nicht rechtmäßig war – genauere Gründe wurden allerdings nicht angeführt. Das gestiftete Vermögen musste daher so eingesetzt werden, dass das Andenken des Stifters auf eine andere Art und Weise gefeiert werden konnte.558 Der Wunsch des Stifters, dass ihm jährlich durch einen festlichen Akt gedacht werden sollte, wurde also respektiert, nur die Art und Weise der festlichen Handlungen in Form eines spectaculum wurde offenbar als nicht angemessen empfunden. Noch grundsätzlicher urteilte ein Senatsbeschluss, von dem wir bei Valens erfahren: Wurde Geld für Tierhetzen oder Gladiatorenkämpfe (venatio aut spectacula) gestiftet, so verbot der Senat, dass das Geld für diese Zwecke ausgegeben wurde und verfügte, dass es statt dessen für etwas verwendet werden sollte, das einen größeren Nutzen für die Bürger hatte.559

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Johnston 1985, 121. Ebd., 117f. 558 Dig. 33,2,16 (Modestinus 9 resp.): Legatum civitati relictum est, ut ex reditibus quotannis in ea civitate memoriae conservandae defuncti gratia spectaculum celebretur, quod illic celebrari non licet: quaero, quid de legato existimes. respondit, cum testator spectaculum edi voluerit in civitate, sed tale, quod ibi celebrari non licet, iniquum esse hanc quantitatem, quam in spectaculum defunctus destinaverit, lucro heredum cedere: igitur adhibitis heredibus et primoribus civitatis dispiciendum est, in quam rem converti debeat fideicommissum, ut memoria testatoris alio et licito genere celebretur. Johnston 1985, 115. 559 Dig. 50,8,6 (Valens 2 fideic.): (…) sed municipio pecuniam legatam, ut ex reditu eius venatio aut spectacula edantur, senatus in eas causas erogare vetuit: et pecuniam eo legatam in id, quod maxime necessarium municipibus videatur, conferre permittitur, ut in eo munificentia eius qui legavit inscriptione notetur. Wesch-Klein 1989, 192; Johnston 1985, 124. 557

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Johnston weist allerdings darauf hin, dass diese Passage sehr kontrovers diskutiert wird und andere Bestimmungen in den Digesten dieser Sachlage durchaus widersprechen, wie die bereits erwähnte Passage, die munera, venationes und ludi zu den Stiftungen ad honorem zählt.560 Sicher ist, dass die Durchführung von gestifteten Spielen nicht prinzipiell verboten wurde, doch möglicherweise war es einfacher, das für spectacula gestiftete Geld einem anderen, als nützlicher empfundenen Zweck zuzuführen, als dies etwa bei der Stiftung von Bauwerken der Fall war.561 Dass in Italien nur sehr wenige Stiftungen für Spiele überliefert sind, mag nicht zuletzt an dieser gewissen „Ambivalenz“ bezüglich spectacula und venationes gelegen haben.562

2. Feststiftung und Euergetismus Zahlreiche Inschriften zeugen von der großen Bedeutung, die Stiftungen in der römischen Antike zukamen.563 Ein reicher Gönner vermachte beispielsweise der Stadt Comum 300.000 Sesterzen für die Ausschmückung der Thermen sowie weitere 200.000 für deren Unterhalt, bedachte seine Freigelassenen mit einer größeren Geldsumme, stiftete der öffentlichen Kasse der Stadt eine Summe, aus deren Zinsen ein Festmahl (epulum) durchgeführt werden sollte, rief darüber hinaus eine Alimentationsstiftung für Jungen und Mädchen aus der plebs urbana ins Leben und sorgte mit einer weiteren finanziellen Einlage für den Unterhalt der Bibliothek.564 Der spendable Gönner, dem Comum all diese Wohltaten zu verdanken hatte, ist kein Unbekannter: Es handelt sich um Plinius den Jüngeren, über dessen umfangreiche und wiederholte Betätigung als Euerget nicht nur diese Inschrift sondern auch seine Briefe ein beredtes Zeugnis ablegen.565 Insgesamt gab Plinius

560

Dig. 30,122 pr.; Johnston 1985, 124 mit weiteren Belegen. So auch Johnston: „It is not possible therefore to accept that games were banned. Most likely is that the senate allowed, rather than compelled, variation of endowment.” Johnston 1985, 124. 562 „There seems, all the same, to have been some sort of ambivalence towards games.“ Ebd., 124. 563 Zu einer kritischen Beleuchtung der Bedeutung des Euergetismus im Funktionszusammenhang der Städte vgl. Eck 1997, v.a. 305f. Eck führt zu Recht an, dass das Phänomen des Euergetismus inschriftlich überrepräsentiert ist und daraus eine sehr einseitige Sichtweise resultiert. Ebd. 317-320. 564 CIL 5, 5262: C(aius) Plinius L(uci) f(ilius) Ouf(entina) Caecilius [Secundus co(n)s(ul)] / augur legat(us) pro pr(aetore) provinciae Pon[ti et Bithyniae] / consulari potesta[t(e)] in eam provinciam e[x s(enatus) c(onsulto) missus ab] / Imp(eratore) Caesar(e) Nerva Traiano Aug(usto) German[ico Dacico p(atre) p(atriae)] / curator alvei Ti[b]eris et riparum e[t cloacar(um) urb(is)] / praef(ectus) aerari Satu[r]ni praef(ectus) aerari mil[it(aris) pr(aetor) trib(unus) pl(ebis)] / quaestor Imp(eratoris) sevir equitum [Romanorum] / trib(unus) milit(um) leg(ionis) [III] Gallica[e Xvir stli]/tib(us) iudicand(is) therm[as ex HS …] adiectis in / ornatum HS CCC(milibus) [… et eo amp]lius in tutela[m] / HS CC(milibus) t(estamento) f(ieri) i(ussit) [item in alimenta] libertor(um) suorum homin(um) C / HS XVIII(centena) LXVI(milia) DCLXVI rei [p(ublicae) legavit quorum inc]rement(a) postea ad epulum / [p]leb(is) urban(ae) voluit pertin[ere …]s dedit in aliment(a) pueror(um) / et puellar(um) pleb(is) urban(ae) HS [D(milia) … et] in tutelam bybliothe/cae HS C(milia). 565 Z.B. Plin. ep. 4,1; 7,18. Zu einer ausführlichen Diskussion der Inschrift vgl. Eck 2010, 299-310. 561

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im Laufe seines Lebens wohl mehr als fünf Millionen Sesterzen für wohltätige Stiftungen aus,566 und er dürfte das bekannteste Beispiel für den antiken Euergetismus sein. Der Terminus ‚Euergetismus‘ ist für die Antike nicht belegt; es handelt sich hierbei vielmehr um eine moderne Wortneuschöpfung, die an die primär aus Ehrendekreten überlieferten altgriechischen Begriffe εὐεργέτης (Wohltäter) und εὐεργετεῖν τὴν πόλιν (der Polis einen guten Dienst erweisen) angelehnt ist.567 Als „private Freigebigkeit zugunsten der Öffentlichkeit“568 ist der Begriff Euergetismus spätestens seit der wegweisenden Studie von Paul Veyne auch für das antike Rom in der Forschung etabliert.569 Wie das Beispiel des Plinius zeigt, konnten die Aufwendungen von wohlhabenden Gönnern unterschiedliche Formen annehmen. So erfasst Goffin unter ‚Euergetismus‘ etwa „die Errichtung, Restaurierung oder Ausschmückung öffentlicher Bauten, die Veranstaltung von Spielen im Theater oder Amphitheater, die Organisation von Geld- und Lebensmittelverteilungen, die Ermöglichung kostenloser Badegelegenheit, die Übernahme von Gesandtschaften, die Finanzierung der Lebensmittelversorgung und andere Aufwendungen.“570

Auch die Stiftung von Festen bzw. von Initiativen wie öffentlichen Festmählern, Spielen, Geld- oder Nahrungsmittelverteilungen, die im Rahmen von Festen durchgeführt wurden, können damit in den Bereich des Euergetismus fallen. Allerdings handelt es sich nicht bei jeder Feststiftung automatisch um einen Euergetismus.571 Wenn etwa eine Geldsumme an die eigenen Freigelassenen übertragen wurde, damit diese aus den Zinsen die Totengedenkfeiern für den Stifter begehen konnten, lässt sich dies kaum mehr mit Veyne als „private Freigebigkeit zugunsten der Öffentlichkeit“ und somit als Euergetismus im engeren Sinne erfassen. Hier dürfte für den Stifter vielmehr die Sicherung des eigenen Andenkens im Vordergrund gestanden haben und die eigenen Freigelassenen können nicht als öffentlich auftretende Begünstigte dieser Freigebigkeit gesehen werden.572 Die Frage, welche gesellschaftlichen Gruppen eine solche „Öffentlichkeit“ ausmachen konnten, ist tatsächlich nicht immer leicht zu entscheiden – Mitglieder der städtischen Verwaltung wie die Dekurionen dürften eindeutig als ‚öffent-

566

Goffin 2002, 188. Ebd., 13. 568 Veyne 1990, 22. 569 Zur wissenschaftsgeschichtlichen Einordnung des Euergetismus vgl. Domingo Gygax 2016, 1f. und 9-12. 570 Goffin 2002, 13. 571 Eck plädiert zu Recht dafür, den Euergetismus nicht als isoliertes Phänomen zu betrachten, sondern „den gesellschaftlichen, administrativen und politischen Gesamtzusammenhang“ miteinzubeziehen. Eck 1997, 306. 572 Z.B. CIL 6, 10239. Vgl. auch Goffin 2002, 35f. 567

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lich‘ einzuordnen sein, doch was ist etwa mit den Augustalen oder Mitgliedern von collegia?573 Zudem stellt sich die Frage, wie Feststiftungen zu bewerten sind, die ob honorem, also im Zusammenhang mit der Übernahme eines Amtes, in Form von summae honorariae erfolgten – nicht freiwilligen, verpflichtend mit der Übernahme eines Amtes zusammenhängenden Zahlungen.574 Paul Veyne unterscheidet diesbezüglich zwischen dem „freiwillige[n] Euergetismus“, der ohne feste Verpflichtung durchgeführt wurde, und dem „Euergetismus ob honorem, der moralisch und rechtlich eine Verpflichtung darstellte“.575 Goffin dagegen plädiert dafür, dass die summae honorariae, bei denen es sich eben „nicht um freiwillige Zuwendungen“ handelte, „nicht mit euergetischen Leistungen verwechselt werden“ dürften.576 Die Grenzen zwischen freiwilligem und nicht-freiwilligem Euergetismus sind jedoch letztlich fließend, da auch ohne explizit formulierte Verpflichtung insbesondere von reichen Bürgern Zuwendungen für das Gemeinwesen erwartet wurden und ein nicht zu unterschätzender sozialer Druck geherrscht haben dürfte, diesen Erwartungen nachzukommen577 – ‚Freiwilligkeit‘ ist in diesen Fällen relativ. Sowohl die oben diskutierte Frage nach der Einordnung einer Stiftung als Euergetismus als auch die Frage nach der Freiwilligkeit sind jedoch relevant, wenn man das Interesse der Stifter und mithin die sozialen Aushandlungsprozesse, die mit der Feststiftung verbunden waren, in den Blick nimmt. Denn Domingo Gygax weist zurecht darauf hin, dass der Euergetismus nicht als einseitiger Vorgang erfasst werden darf, bei dem ein Wohltäter einer Gemeinschaft gewisse Gaben zukommen ließ, sondern dass diese Akte der Freigebigkeit in der Regel Hand in Hand gingen mit einer Ehrung des Wohltäters. In einem reziproken Vorgang kam es sozusagen zu einem Austausch von Gaben gegen Prestige, und die Reaktion auf eine Stiftung in Form einer Ehrung des Euergeten wurde durchaus auch erwartet.578 So kann mit der Einordnung einer Feststiftung als Euergetismus, also als Wohltat, von der das Gemeinwesen profitierte, davon ausgegangen werden, dass diese Stiftung auf relativ große gesellschaftliche Resonanz stieß, was für den Stifter mit der Gewinnung von Ansehen in der Öffentlichkeit verbunden war. Dabei dürfte der Anspruch auf Prestige größer gewesen sein, wenn der Euergetismus (mehr oder weniger) freiwillig

573

Ganz abgesehen davon, dass die Begriffe ‚öffentlich‘ und ‚privat‘ für die Antike grundsätzlich äußerst problematisch sind. Winterling 2005. Winterling betont, dass es sich hierbei nicht um „metahistorische Kategorien“ handelt, sondern um „simplifizierende Muster gesellschaftlicher Selbstbeschreibung“, und dass zunächst danach gefragt werden muss, was in der Antike jeweils in unterschiedlichen Kontexten mit diesen Begriffen gemeint war. Ebd., 242f. 574 Goffin 2002, 50. 575 Veyne 1990, 22f. 576 Goffin 2002, 50. Zu den summae honorariae vgl. auch ebd., 24 mit weiteren Literaturhinweisen. Zur Bedeutung der summae honorariae für die städtischen Finanzen vgl. Eck 1997, 307f. 577 Veyne 1990, 29; Garnsey 1971, 128f. 578 Domingo Gygax 2016, 2-4.

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erfolgte oder über das erwartete Maß hinausging. Veyne zeichnet in diesem Sinne das Bild der antiken Honoratioren, die „miteinander in einen Wettbewerb der Freigebigkeit treten und immer raffiniertere, unvorstellbare Formen von Großzügigkeit ersinnen“579 – ein Bild, das es für die inschriftlichen Feststiftungen zu überprüfen gilt.

3. Auswahl der Quellen Die römische Inschriftenkultur, also der Umstand, dass große Teile der römischen Bevölkerung offenbar das Bedürfnis hatten, ihre Verdienste – sei es als Bauherren, sei es als Euergeten – inschriftlich festzuhalten und somit einer Öffentlichkeit und zugleich der Nachwelt dauerhaft vor Augen zu führen, kann als Charakteristikum der römischen Kultur verstanden werden.580 Die Errichtung von Inschriften ist eng mit dem Habitus und dem kulturellen Selbstverständnis als ‚Römer‘ verknüpft und wurde entsprechend nach römischem Vorbild in den Provinzen übernommen.581 Beschäftigt man sich mit der römischen Festkultur, zeigt sich rasch, dass diese Quellengruppe in vielfältiger Weise mit römischen Festen verknüpft ist: Es finden sich Inschriften zur Einweihung von gestifteten Bauwerken, Ehreninschriften für Bürger, die nicht nur über deren Aktivitäten als Stifter von Festen berichten, sondern auch über festliche Handlungen anlässlich der Errichtung der entsprechenden Ehrenstatue, und nicht zuletzt Grabinschriften, die die Leistungen des Verstorbenen – natürlich in idealisierter Weise – wiedergeben und Feierlichkeiten zu dessen Andenken verfügen. Keine andere Quellengruppe bietet trotz aller quellenkritischer Einschränkungen ein so umfassendes Bild und berücksichtigt so viele gesellschaftliche Gruppen wie die überlieferten epigraphischen Belege. Für die vorliegende Studie wurde ein Quellenkorpus aus 744 lateinischen Inschriften erstellt. Dazu wurde die online verfügbare Epigraphik-Datenbank Clauss/Slaby582 verwendet, in der nach eigener Auskunft „726.473 Datensätze zu 483.847 Inschriften“ und somit „weitgehend alle lateinischen Inschriften“583 erfasst sind, inklusive sämtlicher Bände des Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL) und der Bände der Année Epigraphique (AE) bis 2011. Diese Datenbank wurde anhand verschiedener Schlüsselbegriffe durchsucht, welche jeweils eine Trefferquote von Inschriften versprachen, die in einem Zusammenhang mit römischen Festen stehen.

579

Veyne 1990, 23. MacMullen 1982, 238. 581 Ebd., 238-239. MacMullen spitzt dies folgendermaßen zu: „The more directly a person stood in line of cultural descent from old Cato the Censor, let us say, the more likely was he to set up some sort of epigraphic record.“ Ebd., 239. 582 http://db.edcs.eu/epigr/epi_de.php (Stand: April 2015). 583 http://www.manfredclauss.de/, zuletzt aufgerufen am 29.04.2015. 580

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Zunächst wurde konkret nach den Namen einzelner Feste gesucht: Neben den römischen Totengedenkfesten, den Parentalien (28 Inschriften), dem Rosentag (Rosalia/dies Rosae, 25 Inschriften) und dem Veilchentag (dies Violae/Violari, drei Inschriften), stellte der Geburtstag (dies natalis, 165 Inschriften) ein relativ ergiebiges Suchkriterium dar. Überraschenderweise finden sich zu den gängigen römischen Festen, die uns in den Festkalendern überliefert sind, kaum Inschriften – von den Festkalendern selbst natürlich abgesehen. Dies liegt wohl daran, dass die traditionellen, jährlichen Feste für verschiedene Gottheiten in der Regel offizielle Feiertage der Stadtgemeinschaft waren und die Zuständigkeiten für Finanzierung und Organisation der festlichen Handlungen dementsprechend genau geregelt waren.584 Zahlreiche Inschriften zeugen davon, dass die betreffenden Amtsträger ihren Aufgaben nicht nur nachkamen, sondern über ihren Pflichtteil hinaus weitere Geldsummen für eine Vergrößerung und üppigere Ausgestaltung des Festgeschehens zur Verfügung stellten.585 In diesen Inschriften wird das konkrete Fest jedoch häufig nicht namentlich genannt, was wohl auch nicht nötig war, da allgemein bekannt gewesen sein dürfte, welche Feste von bestimmten Amtsträgern ausgerichtet wurden. Raum für zusätzliche Stiftungen außer der Reihe von Personen, die nicht eines der für das Fest zuständigen Ämter ausfüllten, gab es bei diesen offiziellen städtischen Festen offenbar nicht – zumindest finden sich in den epigraphischen Quellen keinerlei Hinweise darauf. So wurde als nächstes versucht, weitere Inschriften anhand verschiedener festlicher Handlungen zu suchen: Die Verteilung von sportulae, Festmähler, die als epulum oder cena bezeichnet wurden, die Verteilung von crustulum, mulsum und die Stiftung von gymnasium, Fleischverteilungen (viscerationes), Prozessionen (pompae) und natürlich die Wagenrennen, Schauspiele, Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen, die anhand der Suchbegriffe ludi, munus/munera, spectaculum, gladiator und venatio erfasst wurden, und eine (nicht allzu ergiebige) Suche nach dem Begriff celebrare ergaben schließlich – gemeinsam mit den bereits erfassten Inschriften zu den Festnamen – ein umfangreiches und vielseitiges Quellenkorpus, das die Basis für die vorliegende Arbeit darstellt. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass durch dieses Vorgehen notgedrungen eine durch den Suchvorgang von vornherein verzerrte Auswahl entstand. Zum einen sind die als Suchbegriffe eingesetzten festlichen Handlungen womöglich im Vergleich zu weiteren Handlungen (z.B. alternative Bezeichnungen für Speisen- oder Geldverteilungen, verschiedene Begriffe für Opfer) überrepräsentiert. Immerhin wurden einige weitere mögliche Suchbegriffe stichpunktartig auf ihre Eignung überprüft mit dem Ergebnis, dass diese

584 585

Rüpke 1995, 533-546. Vgl. auch Teil 2, Kapitel 3.1. Vgl. Teil 2, Kapitel 3.7.

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keinen weiteren Gewinn für eine Ausweitung der bereits existierenden Datenbank darstellen.586 Zum anderen muss bedacht werden, dass selbst ein konkreter Suchbegriff nicht alle Inschriften zu einem bestimmten Phänomen liefert. Trotz der Aufnahme des Begriffs sportulae in die Suche sind beispielsweise Geldverteilungen bei Festen sehr viel häufiger verzeichnet als dies durch diesen Suchvorgang ermittelt werden kann, da häufig keine Bezeichnung für die Geldverteilung (wie sportulae oder divisio) verwendet wurde, sondern nur die jeweiligen Geldsummen für die Empfängergruppen festgehalten wurden. Dies macht natürlich eine Schlagwortsuche in einer Online-Datenbank unmöglich. Eine Bearbeitung (und schlicht eine Erfassung) sämtlicher Inschriften, die Handlungen bezeugen, die in einem Zusammenhang mit einem Fest stehen könnten, muss letztlich als Herkulesaufgabe gesehen werden, die in dieser Form nicht geleistet werden kann und in dieser Arbeit auch nicht angestrebt wurde. Da die Auswahl der Suchbegriffe immerhin die wohl am häufigsten vorkommenden festlichen Handlungen berücksichtigt und zudem eine relativ große Vielfalt an Handlungen ausgewählt wurde, sollte das Korpus aus 744 Inschriften dennoch aussagekräftig sein. Der Einschränkungen bei der Auswahl der Suchkriterien muss man sich jedoch stets bewusst sein, und insbesondere statistische Aussagen zu den festlichen Handlungen sind aus den genannten Gründen äußerst problematisch. Ein weiteres Problem, das sich ergibt, wenn eine Suche nach ‚festlichen Handlungen‘, wie Festmahl, Geldverteilung oder Spiele erfolgt, ist die Frage, ob es sich überhaupt um ein Fest handelte – der festliche Zusammenhang wird ja bereits vor der Suche durch die Charakterisierung als ‚festliche Handlung‘ impliziert. Wird in einer Inschrift eine festliche Handlung mit einem bestimmten Anlass verknüpft, lässt sich relativ problemlos von einem Fest ausgehen. Das oben angeführte Beispiel des Plinius zeigt jedoch, dass es nicht immer einfach ist, diesen festlichen Kontext eindeutig festzustellen. So verfügte Plinius, dass ein „Festessen“, ein epulum, für die plebs urbana durchgeführt werden sollte, doch werden in der Inschrift weder ein Termin noch ein Anlass genannt und wir erfahren nichts über die räumliche, zeitliche, geschweige denn kulinarische Ausgestaltung dieses Festessens. Es ist sogar denkbar, dass es sich lediglich um die Verteilung einer Geldsumme handelte,587 von der Nahrungsmittel gekauft werden konnten – ein festlicher Zusammenhang bleibt in diesem Fall äußerst vage.

586

Die Suche nach sacrificium ergab neben den Inschriften, die im Zusammenhang mit den Totengedenkfesten ohnehin bereits aufgenommen wurden, in erster Linie die acta der Fratres Arvales und die Kalender (beide Inschriftengruppen werden in dieser Arbeit nicht berücksichtigt), sowie Grabinschriften in Gedichtform, in denen Opfer als literarisch-poetische Topik gelesen werden müssen und die daher keinen Hinweis auf konkrete festliche Handlungen liefern. 587 Zur Begrifflichkeit von epulum vgl. Teil 2, Kapitel 4.3.

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Fehlt der Anlass aufgrund einer nicht erhaltenen Passage im Inschriftentext, kann immerhin vermutet werden, dass ein Anlass ursprünglich genannt wurde; häufig lässt sich der fehlende Text im Vergleich mit ähnlichen Inschriften sogar relativ gesichert rekonstruieren. Wird in einer Inschrift dagegen, wie bei Plinius, kein Anlass genannt, aber dennoch ein Phänomen erwähnt, das uns aus anderen Inschriften als festliche Handlung bekannt ist, kann ein Fest letztlich nur unter Vorbehalt angenommen werden. Allerdings wird dieses Problem dadurch entschärft, dass Fälle wie das gestiftete epulum von Plinius relativ selten sind. Am häufigsten werden Spiele (ludi und munera gladiatorium) genannt, ohne dass ein bestimmter Anlass angegeben wird, und gerade bei diesen Veranstaltungen erscheint es nicht allzu abwegig, dass sie von den Anwesenden als festliches Ereignis wahrgenommen wurden. Durch den beschriebenen Suchvorgang wurden überwiegend Inschriften gefunden, die Feststiftungen von Wohltätern festhalten, die in der Regel als Grab- oder Ehreninschriften (etwa auf Statuenbasen oder an gestifteten Gebäuden) überliefert sind. Gelegentlich werden darin Auszüge aus dem Testament des Stifters oder aus offiziellen Beschlüssen (z.B. der Dekurionen oder eines Vereins) zitiert; in einigen wenigen Fällen wurde sogar der Briefwechsel zwischen den verschiedenen beteiligten Parteien im Vorfeld einer Ehrung wiedergegeben – ein Glücksfall, der wertvolle Informationen über verschiedene Aspekte einer geplanten Ehrung liefert, wie Motivation, Organisation oder auch den sprachlichen Duktus einer solchen Korrespondenz. Die größte Gruppe der epigraphischen Belege kommt aus dem heutigen Italien; einschließlich der stadtrömischen Inschriften wurden 367 Texte aus diesem Raum in die Datenbank aufgenommen. Aus den afrikanischen Provinzen (Africa proconsularis, Numidia, Mauretania Caesariensis und Mauretania Tingitana) fanden sich 243 Inschriften, wobei diese mehrheitlich aus Africa proconsularis stammen. 71 Inschriften können der iberischen Halbinsel zugeordnet werden und 37 dem heutigen Frankreich (mehrheitlich aus Gallia Narbonensis). Neben diesen geographischen Schwerpunkten wurden noch 26 Inschriften aus unterschiedlichen weiteren Provinzen erfasst, die vom heutigen Belgien bis nach Rumänien reichen. Nicht in den Quellenkorpus aufgenommen wurden lateinische Inschriften aus dem griechischen Raum, da sich Festkultur und Inschriftenpraxis in den griechischen Poleis grundlegend von den römischen Traditionen unterscheiden.588 Da dies nur vier Inschriften betrifft, fallen diese in der Gesamtauswertung ohnehin nicht ins Gewicht. Auch die aus Pompeji überlieferten, auf Wänden aufgemalten Ankündigungen von Gladiatorenkämpfen und venationes wurden nicht berücksichtigt, da sie eine sehr umfangreiche Inschriftengruppe ausmachen, die einem anderen Entstehungskontext entstammen als die hier unter-

588

Zu einem beeindruckenden Beispiel einer griechischen Feststiftung vgl. Wörrle 1988.

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suchten, meist als Ehren- oder Grabinschriften überlieferten Feststiftungen. Zwar werden diese pompejianischen Wandinschriften somit nicht in die quantitative Auswertung mit einbezogen, doch werden die Informationen und Erkenntnismöglichkeiten, die aus ihnen gewonnen werden können, an passender Stelle dennoch diskutiert und mitreflektiert. Insbesondere die Suche nach Begriffen im Zusammenhang der Spiele und Gladiatorenkämpfe ergab zahlreiche Treffer, die nur indirekte Hinweise auf festliche Handlungen liefern. So sind etwa Grabsteine für Gladiatoren589, Schauspieler590, Musiker591 o.ä. überliefert und in einigen Inschriften werden Personen erwähnt, die Aufgaben im Zusammenhang der Spiele übernahmen, wie ein procurator ludi592 oder curator muneris gladiatorii593. Diese Fälle lassen zwar darauf schließen, dass ludi oder Gladiatorenkämpfe stattgefunden haben müssen, doch erfahren wir nichts über ein konkretes festliches Ereignis, daher wurden diese Inschriften nicht in den Quellenkorpus dieser Studie aufgenommen.594 Ebenfalls nicht berücksichtigt wurden die Inschriften, die die Erfolge einzelner Wagenlenker belegen, wie z.B. die aus Rom überlieferten Texte zu Crescens und Appuleius Diocles.595 Diese Belege liefern zwar reichhaltige Informationen zu den Wagenrennen – sie führen etwa Anzahl der gefahrenen Rennen, die Siege und die Parteien auf, für die der Wagenlenker gefahren war –, sind aber insgesamt wohl eher als Ausnahmefälle zu bewerten, die sich kaum mit den hier untersuchten Feststiftungen und den damit verknüpften Fragestellungen vereinbaren lassen. Des Weiteren wurden Texte ausgesondert, die sich auf den Magna-Mater-Kult beziehen, da diese in einem sehr spezifischen Kontext dieses Mysterienkultes zu sehen sind. Ebenfalls nicht aufgenommen wurden die Akten der fratres Arvales. Da es sich bei den Mitgliedern der Arvalbrüder um eine kleine, äußerst exklusive Gruppe von Männern handelte, die entweder Teil des Kaiserhauses war oder diesem sehr nahe stand, und deren kultische Aufgaben, wie die fast schon routinemäßig abgehaltenen Opfer, ebenfalls im engen Zusammenhang mit dem Kaiserhaus zu sehen sind, erscheint eine Kontextualisierung mit dem römischen Festwesen und insbesondere mit den sprachlich und inhaltlich völlig anders gelagerten Feststiftungen der hier untersuchten Inschriften kaum sinnvoll.

589 Z.B. CIL 6, 7659: Hierbei handelt es sich um einen Grabstein für einen provocator spatharius bei den ludi Magni. 590 Z.B. CIL 6, 10157: Hierbei handelt es sich um einen Grabstein für einen Seiltänzer bei den ludi Romani, der laut dieser Inschrift das Seil 226-mal entlanggelaufen ist. 591 Z.B. CIL 6, 2193: Hier wird das collegium symphoniacorum genannt, offenbar ein Verein von Musikern, die an öffentlichen Opfern mitwirkten. In CIL 6, 3696 werden die magistri und quinquennales des collegium der Flötenspieler aus Rom genannt, die bei öffentlichen Opfern anwesend waren und u.a. beim Epulum Iovis spielten. 592 Z.B. CIL 6, 41143 und 41180, die einen procurator ludi magni nennen. 593 Z.B. CIL 14, 3014; AE 1964, 181. 594 Für eine Zusammenstellung der Inschriften, die Hinweise auf die Existenz von Spielen und Theatern geben, vgl. die acht Bände der Epigrafia anfiteatrale dell'Occidente Romano (EAOR). 595 CIL 6, 10048 und 10050. Vgl. auch CIL 6, 37836 zum Wagenlenker Menander.

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Vielmehr müssen die fratres Arvales und ihre epigraphischen Hinterlassenschaften als eigenes Phänomen untersucht werden – wie bereits umfassend von John Scheid geschehen.596 Gleichermaßen schwer lassen sich die acta der ludi saeculares mit dem für die vorliegende Studie ausgewählten Quellenkorpus vereinbaren. Diese außergewöhnliche Quellengruppe verdient eine eigenständige, ausführliche Untersuchung, die bislang allerdings noch aussteht. Die chronologische Verteilung der hier zusammengestellten Inschriften umfasst die gesamte römische Kaiserzeit bis ins 4. Jh. n.Chr., wobei sich auch einige Fälle aus republikanischer Zeit fanden. Der Höhepunkt der epigraphischen Publikationen lässt sich im 2. Jh. n.Chr. ausmachen, was sich mit dem allgemeinen Befund zum epigraphic habit der Römer deckt.597 Besonders deutlich lässt sich diese zeitliche Verteilung für die Belege aus dem italischen Raum belegen, während die Inschriften aus den afrikanischen Provinzen tendenziell später zu datieren sind und zahlenmäßig den Höhepunkt erst im 3. Jh. n.Chr. erreichen. 200 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0

596 597

Scheid 1990 und 1998. MacMullen 1982, 245.

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Italien Afrika andere

Kapitel 2: Die Stifter von Festen 1. Herkunft und Identität der Stifter Von den 744 untersuchten Inschriften geben 104 keinerlei Aufschluss über Name, Herkunft und Identität der Stifter, da die betreffenden Passagen nicht oder zu schlecht erhalten sind. In 158 Inschriften ist zwar der Name des Stifters erhalten, doch finden sich keine Anhaltspunkte, um auf dessen sozialen Status zu schließen. Insgesamt lässt sich bei über 400 Inschriften teils gesichert, teils unter Vorbehalt der soziale Stand der Stifter ermitteln. Im Folgenden sollen die verschiedenen Gruppen von Stiftern vorgestellt werden, die anhand des epigraphischen Materials ausgemacht werden konnten. Anschließend sollen die sozialen Kontexte der Stifter, die sich in den Quellen greifen lassen, näher beleuchtet werden sowie der Frage nachgegangen werden, welche Motive diese Personen veranlassten, als Stifter von festlichen Handlungen aktiv zu werden.

1.1. Der Kaiser und das Kaiserhaus In seiner wegweisenden Studie über den Euergetismus, Le pain et le cirque, befasst sich Paul Veyne für die römische Kaiserzeit ausschließlich mit der Person des Kaisers als Euergeten.598 Einerseits konnte der Kaiser gerade in der Zeit des Umbruchs von der Republik zum frühen Prinzipat die Möglichkeit nutzen, sich durch außergewöhnliche Stiftungen auszuzeichnen, und damit die eigene überlegene Stellung demonstrieren – man denke nur an die monumentalen Bauten eines Caesar und Augustus, die das Angesicht Roms völlig veränderten.599 Andererseits wurde der Kaiser somit mehr und mehr zum ‚obersten Euergeten‘, was auch hieß, dass die kaiserlichen Wohltaten mit einer diesbezüglichen Erwartungshaltung verknüpft waren. Nicht nur die Abhaltung eines Triumphs, sondern auch die Stiftung von Wagenrennen, Gladiatorenkämpfen, Theateraufführungen und Tierhetzen waren in Rom mehr und mehr dem Kaiser vorbehalten und wurden dementsprechend zugleich durch die Bevölkerung eingefordert.600 Bereits Caesar setzte abgesehen von seiner Baupolitik601 durch die bis zu dieser Zeit in Rom unbekannten Dimensionen der öffentlichen Festessen602 völlig neue Akzente. Augustus führte dies konsequent weiter und trat nun vollends als „Mäzen des Staates“603 auf. Der Prinzeps kontrollierte mit dem Zugang zu den Priesterschaften zugleich die Organisation und den Ablauf der öffentlichen Feste.

598

Veyne 1990, Kapitel 4: „Der Kaiser und seine Hauptstadt“. Ebd., 428-436. 600 Benoist 1999, 75f.; Veyne 1990, 604-608. 601 Kolb 2009, 39f. 602 D’Arms 2000a, 196. 603 Veyne 1990, 431. 599

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Außerdem wurde dem Festkalender durch neue Feiertage zu Ehren des Kaisers und des Kaiserhauses sowie durch die Umbenennung der Monate Quintilis und Sextilis in Iulius und Augustus unmissverständlich der kaiserliche Stempel aufgedrückt.604 Inschriftlich finden sich zwar viele Stiftungen, die den Kaiser bzw. das Kaiserhaus als Adressaten festlicher Handlungen nennen, doch ist der Kaiser selbst als Stifter von Festen in den hier untersuchten epigraphischen Quellen so gut wie nicht greifbar. Dies heißt jedoch nicht, dass sich die kaiserliche Tätigkeit als Euerget prinzipiell nicht im Inschriftenwesen widerspiegelt: In der Tat ist die Stiftung von Gebäuden durch kaiserliche Initiativen in Form zahlreicher Bauinschriften bestens belegt.605 Man kann sicherlich davon ausgehen, dass es im Zusammenhang der Einweihung derartiger Gebäude auch zu Festakten kam,606 insbesondere wenn es sich um die Stiftung eines Theaters oder eines Tempels handelte. In den hier untersuchten lateinischen Inschriften konnte jedoch nur ein einziger, allerdings nicht unproblematischer Beleg gefunden werden, bei dem festliche Handlungen im Kontext einer kaiserlichen Baustiftung erwähnt werden: Aus einer Inschrift aus dem antiken Emerita (heute das spanische Merida) in der Provinz Lusitania geht hervor, dass Hadrian den cuneus und das proscaenium des Theaters wieder aufbauen ließ – beides war durch einen Brand zerstört worden –, und in diesem Zusammenhang wurden ludi scaenici und circenses gegeben.607 Im Gegensatz zur Beschreibung der Bautätigkeit, für welche mit der Aktivform restituit eine direkte Beteiligung Hadrians zumindest sprachlich impliziert wird,608 lässt die Verwendung von editus für die Veranstaltung der Spiele, also des Partizip Perfekt in der Passivform, nicht direkt darauf schließen, ob es ebenfalls der Kaiser war, der diese Spiele veranstalten ließ, oder ob diese auf eine anderweitige Initiative zurückgingen. Eine derartige Kombination einer aktiven Verbform (restituit, fecit o.ä.) für eine Bautätigkeit mit dem Partizip Perfekt Passiv für festliche Handlungen anlässlich der Einweihung des Ge-

604

Benoist 1999, 74-79. Vgl. auch Rüpke 1995, 396-408, der im Kapitel „Augustus und die Macht der Daten“ ein differenziertes Bild zeichnet und die unterschiedlichen Gewichtungen der Feiertage herausarbeitet. Trotz „der Vielzahl der memorierten Ereignisse“ wurde offenbar mit viel Fingerspitzengefühl eine Konzentration „auf die Schaffung denkwürdiger Höhepunkte“ angestrebt und die „rituelle Inszenierung des Prinzipats“ verlor sich somit „nicht in zahllosen Ritualen“. Ebd. 408. 605 Horster 2001. Es ist allerdings umstritten, wie wörtlich diese Inschriften gelesen werden dürfen und der tatsächliche Anteil, den der Kaiser an diesen Baustiftungen hatte, ist nicht immer geklärt. Vgl. hierzu auch Thomas/Witschel 1992. 606 Z.B. Plin. ep. 4,1. 607 CIL 2, 478: Imp(erator) [Caesar divi Traiani Parth(ici) f(ilius) divi Nervae n(epos)] / Traia[nus Hadrianus Aug]ust[us] / pont[if(ex) max(imus) trib(unicia) pot(estate)] XVIIII [imp(erator) i]teru[m] / [co(n)s(ul) I]II p(ater) p(atriae) o[ptimus] princ[eps] / cuneu[m et p]ros[caenium theatri in]cendio / [consumpta restituit editisque ludis sca]en[icis et] circen[sibus d(ecreto d(ecurionum)]. Auch wenn ludis scaenicis beinahe vollständig ergänzt wurde, ist diese Ergänzung durch das fast ganz erhaltene circensibus äußerst plausibel. Die Abhaltung von Spielen kann allein durch die erhaltenen Teile als gesichert gelten. 608 Zu den Verben, die in Bauinschriften der Kaiser verwendet werden, vgl. Horster 2001, 49-56.

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bäudes ist aus zahlreichen Inschriften in ähnlicher Weise belegt und es scheint sich hierbei um eine feste Formel zu handeln.609 In der Regel darf man wohl davon ausgehen, dass in diesen Fällen der Stifter des Gebäudes, der Statue o.ä. identisch mit dem Stifter der festlichen Handlungen zur Einweihung war, doch da es sich um den einzigen Beleg für die mögliche Stiftung festlicher Handlungen durch einen Kaiser handelt, sollte man bei dieser Passage dennoch Vorsicht walten lassen. Zudem gilt es den Hinweis von Horster zu beachten, dass diese Inschrift aus zehn Fragmenten besteht, welche aus sechs verschiedenen Fundorten stammen und aus drei verschiedenen Materialien gefertigt sind. Daher ist es unwahrscheinlich, dass die Fragmente tatsächlich Teil einer einzigen Inschrift sind. Gerade für das Fragment mit dem Hinweis auf die Spiele regt Horster an, dass „auch die Möglichkeit des Zusammenhangs mit dem von Augustus errichteten Amphitheater der Stadt in Betracht gezogen werden“ sollte und diese Passage somit auf Veranstaltungen in einem ganz anderen Gebäude verweisen könnte.610 Da diese Inschrift wie bereits erwähnt der einzige Beleg für eine kaiserliche Feststiftung wäre, ließe sich jedoch auch vermuten, dass dieser Teil der Inschrift einem völlig anderen Kontext zuzuschreiben ist und womöglich weder mit der Renovierung des Theaters noch mit der Errichtung des Amphitheaters durch Augustus in Verbindung stehen könnte. Falls Hadrian tatsächlich die Renovierung des Gebäudes und die Einweihungsfeierlichkeiten gestiftet haben sollte und dort auch persönlich anwesend war, wäre dies wohl in der Formulierung der Inschrift berücksichtigt worden, wie zwei weitere Fälle aus Ostia und Capua zeigen. Diese zwei Beispiele nennen jeweils einen Kaiser als Initiator von Renovierungsarbeiten und zugleich dessen Nachfolger als Dedikanten der wiederhergestellten Gebäude, ohne jedoch genauer auf festliche Handlungen einzugehen:611 Die Inschrift aus Capua belegt, dass Hadrian das Amphitheater restaurieren ließ, welches nach Abschluss der Arbeiten von Antoninus Pius eingeweiht wurde.612 Horster geht aufgrund der Aktivform von dedicare davon aus, dass die Einweihung vom Kaiser persönlich durchgeführt wurde, und nimmt an, dass die „Dedikation der anwesenden Kaiser mit Spielen oder Aufführungen gefeiert worden sein“ dürfte.613 Ganz ähnlich gilt dies auch für die zweite Inschrift, die an die Dedikation des restaurierten Theaters von Ostia durch Septimius Severus und Cara-

609 Z.B. CIL 2, 1074: (…) porticus lapideas marmoratas solo / suo ludis sca(e)nicis impensa sua factis epulo / dato d(edit); CIL 2, 1108: Libero Patri sacr(um) (…) editis ludis scaenicis / d(onum) d(edit?); CIL 2, 1956: (…) porticus ad balineum / solo suo cum piscina et signo Cupidinis epulo dato / et spectaculis editis d(e) p(ecunia) s(ua) d(edit) d(edicavit) (…). 610 Horster 2001, 350. 611 Aus diesem Grund sind beide Inschriften nicht in das Inschriftenkorpus dieser Arbeit aufgenommen worden. 612 CIL 10, 3832: [Colonia Iul]ia Felix Aug[usta Capua] / fecit / [Divus Hadr]ianus Aug(ustus) [restituit] / […e]t columnas ad[iecit.] / [Imp(erator) Caes(ar) T(itus) Ael]ius Hadrianu[s Antoninus] / [Aug(ustus)] Pius dedicavi[t]. Ergänzungen nach Horster 2001, 279. 613 Horster 2001, 56 und 280.

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calla erinnert.614 Nicht nur die aktive Verbform (dedicavit in Capua, dedicaverunt in Ostia), sondern auch die Tatsache, dass in beiden Fällen die Dedikanten nicht identisch mit den (mittlerweile verstorbenen) Initiatoren der Restaurierungsarbeiten waren, aber dennoch explizit genannt wurden, lässt tatsächlich ein persönliches Engagement der Kaiser bei den Einweihungsfeiern vermuten.615 Aus einer weiteren Inschrift aus Hispania citerior hingegen geht eindeutig hervor, dass der Kaiser hier nicht an den Feierlichkeiten zur Dedikation beteiligt war: Das Theater von Castulo wurde laut dieser Inschrift durch Kaiser Claudius gestiftet, gemeinsam mit Publius Cornelius Taurus und dessen Ehefrau Valeria Verecunda. Die ludi zur Einweihung wurden schließlich allein vom gleichnamigen Sohn des Cornelius Taurus ohne kaiserliche Beteiligung finanziert.616 Es bleibt also festzuhalten, dass die römischen Kaiser zwar an der Errichtung und Renovierung von Gebäuden in Provinzstädten beteiligt waren, aber inschriftlich zumindest im lateinischen Westen fast nie als Stifter von Festen in Erscheinung traten. Dies mag daran gelegen haben, dass sich Gebäude sehr viel besser eigneten, dauerhaft an den kaiserlichen Wohltäter zu erinnern, während ein Fest einen grundsätzlich ephemeren Charakter aufweist. Zudem können Bauten auch aus großer Entfernung initiiert und genehmigt werden, ohne dass die persönliche Anwesenheit des Stifters vonnöten gewesen wäre. Die fehlende Anwesenheit des Kaisers bei einem Fest, das von ihm selbst angeregt wurde, mag dagegen eher negativ aufgefallen oder als unpassend empfunden worden sein. Aus anderen epigraphischen Feststiftungen zeigt sich, dass in der Regel ein persönlicher Bezug zwischen dem Euergeten und dem Gemeinwesen gegeben war, was dafür spricht, dass Feste in viel größerem Maße als andere Euergesien von persönlichen Kontakten und der tatsächlichen Anwesenheit der Protagonisten geprägt waren. Da Hadrian aus einem römischen Geschlecht stammte, das in Italica in der Nähe des heutigen Sevilla beheimatet war, ließe sich hier zumindest ein gewisser Bezug zur erwähnten Stiftung in Emerita herstellen, das immerhin nur knapp 200 Kilometer von Italica entfernt ist. Die ungesicherte Überlieferungslage lässt jedoch wie gesagt eher vermuten, dass die Feierlichkeiten einem völlig anderen Kontext entstammen.

614

CIL 14, 114: Imp(erator) C[aes(ar) divi M(arci) Antonini fil(ius) divi] / [Commodi frater divi Anto]nin[i Pii] / [n]ep[os divi Hadr]ian[i pro]nepos divi / Traiani a[bnepos d]ivi Ner[vae adnepos] / L(ucius) Septimius Sev[erus Pius Pe]rtinax Au[g(ustus)] / [Arab(icus) Adiab(enicus) Parthic(us) max(imus) pontifex max(imus)] / [tri]bun[i]c(ia) potest(ate) II[II i]mp(erator) [VI]II co(n)s(ul) II et / [Marc]us Aurelius Antoninus Caesar / dedicaverunt. Vgl. Horster 2001, 274f. 615 Horster 2001, 56. 616 CIL 2, 3269a: [Ti(berius) Cla]udius Caesar Aug(ustus) Germanicus p(ater) p(atriae) [et] / [P(ublius) Cor]nelius P(ubli) f(ilius) Gal(eria) Taurus et Valeria P(ubli) f(ilia) Verecunda [uxor d(e) s(ua) p(ecunia) f(ecerunt)] / [P(ublius) Cor]nelius P(ubli) f(ilius) Gal(eria) Taurus f(ilius) ludis inpensa(!) sua factis d[edicavit]. Der gleiche Text ist in zwei weiteren Inschriften überliefert, so dass die Ergänzungen gesichert sind: CIL 2, 3269b und c. Vgl. hierzu Horster 2001, 205 und 209.

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Dass der Kaiser kaum als Stifter von Festen außerhalb Roms greifbar ist, könnte auch auf einen weiteren Punkt verweisen: Möglicherweise war die Stellung des Kaisers so herausragend, dass er nicht mehr für eine lokale Gruppe außerhalb Roms als Euerget agieren konnte, da er ohnehin mit großer Symbolkraft für das gesamte römische Reich stand. Seine Anwesenheit bei bzw. Initiative zu einem Fest hätte den lokalen Rahmen eines städtischen Festes notgedrungen gesprengt, da er nicht nur außerhalb des betreffenden sozialen Gefüges sondern vielmehr weit über diesem stand. Der Kaiser war zwar ‚oberster‘ Euerget und insbesondere für große Teile des öffentlichen Festlebens in der Hauptstadt zuständig, doch blieben Feststiftungen außerhalb Roms offenbar auch außerhalb seines Wirkungsbereichs. Dieser Umstand eröffnete nicht zuletzt den Mitgliedern der aristokratischen und munizipalen Oberschichten ein Handlungsfeld zum Erwerb von Ansehen, das jenseits des Zugriffs des Kaiserhauses lag. Dass der Kaiser dieses Handlungsfeld außerhalb Roms den Oberschichten vielleicht sogar bewusst überließ, um deren mit der Entstehung des Prinzipats einhergegangenen Machtverlust zu kompensieren, könnte ein weiterer Grund gewesen sein, weshalb sich keine inschriftlichen Belege für kaiserliche Feststiftungen finden. Ein anderer Grund, weshalb die Kaiser außerhalb der Hauptstadt kaum als Stifter von festlichen Handlungen in Erscheinung traten, könnte auch darin zu sehen sein, dass ohnehin bereits Feste für den Kaiser und das Kaiserhaus nicht zuletzt in Form einer kultischen Verehrung bestanden.617 Das Kaiserhaus war also bereits auf vielfache Weise im Festwesen in Rom618 und in den Gemeinwesen außerhalb Roms präsent, und zwar nicht nur in einem verbindlichen, „vom Zentrum her vorgegebenen Festkanon“,619 sondern auch in zahlreichen individuellen Initiativen einzelner Städte oder Personen zu Ehren des Kaisers, wie etwa der Stiftung eines Altars in Volubilis, Mauretanien, anlässlich der Decennalien bzw. Vicennalien der Kaiser Septimius Severus, Marcus Aurelius und Geta.620 Eine Stiftung weiterer Feste auf Veranlassung einzelner Kaiser, was sicherlich mit überschwänglichen Ehrbezeigungen an das Kaiserhaus einhergegangen wäre, mag zum einen gerade im frühen Prinzipat der Selbstdarstellung der Kaiser als primus inter pares widersprochen haben,621 zum anderen wäre dies vielleicht auch als Eingriff in die inneren Angelegenheiten der Stadtgemeinschaft wahrgenommen worden, denn die Städte konnten abgesehen von den offiziellen Kaiserfesten über ihre Festkultur weitgehend selbständig entschei617

Gradel 2002; Fishwick 1987/1991. Zu den Festtagen für den Kaiser im Kalender vgl. Rüpke 1995, 396-416, 544f. und Herz 1978, 1147-1189. 618 Einen guten Einblick in die ludi und Geldverteilungen, die durch die Kaiser in Rom zu verschiedenen Anlässen durchgeführt wurden, geben die fasti Ostienses: CIL 14, 244. 619 Rüpke 1995, 545. 620 AE 1960, 102: I(ovi) O(ptimo) M(aximo) ob vota decen/nalia celebrata et vice/nalia suscepta Impp(eratorum) L(uci) Sep(timi) / Severi Pii Fel(icis) et Marci Aure/li Antonini Augg(ustorum) / [[[et P(ubli) Sep(timi) Severi Getae Cae]]] / [[[saris]]] totiusque domus / divinae Gn(aeus) Haius Dia/dumenianus proc(urator) / Augg(ustorum) v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito). 621 Witschel 2006.

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den.622 So oder so war die Stiftung eines Festes durch den Kaiser schlicht nicht nötig; der Kaiser und seine Familie waren sowohl durch staatlich vorgegebene Feste als auch durch Initiativen einzelner Gemeinwesen bereits im Festwesen des gesamten Reichs omnipräsent623 – allerdings ausschließlich als Adressaten, nicht als Teilnehmer der Feste. Trotz einer symbolischen Anwesenheit des Kaisers in Form von Statuen und Ehrenbezeigungen dürfte die reale Abwesenheit des Kaisers meist ein zentrales Charakteristikum der Feste außerhalb Roms dargestellt haben. Dies ist ein interessanter Aspekt, der beleuchtet, wie unterschiedlich die symbolische Repräsentation von Macht im Zentrum und in der Peripherie mittels des Festwesens erfolgte.

1.2. Reichsaristokratie: Mitglieder des ordo senatorius und ordo equester Auch wenn für die Senatoren der Kaiserzeit, wie Eck betont, Rom als „die eigentliche patria“ galt, bestand für viele, die nicht in Rom geboren und aufgewachsen waren, dennoch eine starke Bindung an ihre ursprüngliche Heimat.624 Dies fand nicht zuletzt Ausdruck darin, dass diese Personen in ihrer Heimatstadt Ämter übernahmen oder als Stifter aktiv wurden.625 Abgesehen davon dürfte die Möglichkeit, in Städten außerhalb Roms als Euerget auftreten zu können, für viele Senatoren nicht unbedeutend gewesen sein, da ihnen dies im kaiserzeitlichen Rom mehr und mehr verwehrt wurde. Wie Eck feststellt, ist spätestens seit Balbus „kein Senator mehr bekannt, der ein öffentliches Gebäude in Rom aus eigenen Mitteln finanziert und dediziert hätte. Das bedeutete, ohne dass dem ein offizieller Beschluss korrespondierte, den faktischen Ausschluss der Senatoren aus vielen Bereichen des öffentlichen Raumes in Rom selbst, soweit damit das persönliche Prestige befördert werden konnte.“626

Es ist daher nicht erstaunlich, dass sich die Senatoren den municipia und coloniae zuwandten, um dort durch Baustiftungen und weitere Wohltaten Prestige zu erlangen. Goffin macht in ihrer Untersuchung zum Euergetismus in Oberitalien mit 22% einen recht hohen Anteil an Stiftern aus der Reichsaristokratie aus, worunter sie Mitglieder sowohl des ordo senatorius als auch des ordo equester zählt.627 Inwiefern lässt sich dieses Bild für die Stiftung von Festen im Westen des römischen Reichs in der vorliegenden Studie bestätigen? Insgesamt konnten in 87 Inschriften Stifter als Mitglieder der Reichsaristokratie identifiziert werden. Von diesen 87 Inschriften können 15 dem Senatorenstand sowie 59 dem 622

Rüpke 1995, 533-546. Zu den Kaiserfesten vgl. Herz 1978, insbes. 1189-1193. 624 Eck 1980, 283f., Zitat 283. 625 Eck 2010, 175-206. 626 Ebd., 209. 627 Goffin 2002, 185. 623

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ordo equester zugeordnet werden. 13 Inschriften geben aufgrund eines genannten Amtes den Hinweis, dass der Stifter der Reichsaristokratie entstammte, doch kann nicht entschieden werden, ob es sich um den Senatoren- oder Ritterstand handelte. Eine eindeutige Zuschreibung konnte erfolgen, wenn der Status benannt ist, wenn also der Stifter explizit als eques Romanus oder equo publico honoratus/exornatus628 bezeichnet wird, wenn auf diese beiden ordines beschränkte Ämter genannt werden, wie Konsul oder Militärtribun,629 wenn Ehrentitel auf die Zugehörigkeit zu den obersten Rängen schließen lassen, wie vir clarissimus, vir egregius o.ä,630 oder wenn der Stifter aus anderen Quellen namentlich bekannt ist. In Relation zu den insgesamt 419 Inschriften, die eine mehr oder weniger gesicherte soziale Einordnung der Stifter erlauben, macht der Anteil der Stiftungen von Mitgliedern der Reichsaristokratie etwa 20% aus. Allerdings muss zum einen eingeräumt werden, dass dieser ermittelte Prozentsatz nicht sehr aussagekräftig ist, da sehr große regionale Unterschiede bestehen, die es zu berücksichtigen gilt. So hat Werner Eck in seiner Studie zu den senatorischen Familien in den Städten des römischen Reichs festgestellt, dass in Nordafrika kaum Senatoren greifbar sind, die auch auf munizipaler Ebene aktiv waren, während in Italien eine relativ große Präsenz der senatorischen und ritterlichen Elite in den Städten bestand, was sich möglicherweise durch die räumliche Nähe zu Rom erklären lässt.631 Von den 87 in der vorliegenden Studie untersuchten Feststiftungen von Mitgliedern der Reichsaristokratie stammt mit 53 Stück ebenfalls die überwiegende Mehrzahl aus Italien; 26 Belege finden sich aus den nordafrikanischen Provinzen, drei aus dem heutigen Spanien, zwei aus Frankreich, zwei aus Dalmatien und eine aus Macedonia. Nordafrika ist also überraschend gut vertreten, was zwar in Teilen der guten Überlieferungssituation geschuldet sein mag, aber im Vergleich zu den auffallend geringen Zahlen etwa aus Spanien und Frankreich durchaus auf ein relativ hohes Engagement von Angehörigen der beiden

628 So in 38 der hier untersuchten Inschriften. Die Bezeichnung ‚Senator‘ war in Inschriften für Mitglieder des stadtrömischen ordo senatorius offenbar nicht üblich; das einzige Beispiel für einen senator bezieht sich wahrscheinlich auf ein Mitglied des munizipalen Stadtrats von Tusculum: CIL 14, 2636. 629 Die Anzahl der Inhaber dieser Ämter ist jedoch überschaubar: Es finden sich sieben tribuni militum, acht consules, drei procuratores coloniae/Augusti, drei proconsules und neun praefecti fabri. Auch das Amt des curator rei publicae war auf Angehörige des Ritterstandes beschränkt, was für sechs Inschriften in diesem Korpus zutrifft. Außerdem stand das Amt des sacerdos von Lavinium offenbar ebenfalls nur Mitgliedern des ordo equester offen. Wissowa 1915, 5f. 630 Im hier untersuchten Korpus wird viermal die Bezeichnung vir clarissimus gebraucht, dreimal vir perfectissimus und zweimal vir optimus, und lediglich einmal vir egregrius. Zur Zuschreibung der Titel zu den ordines vgl. Alföldy 2011, 144. Außerdem lässt in zwei Fällen die Ehrung mit bigae darauf schließen, dass es sich um einen Angehörigen des ordo equester gehandelt haben musste: CIL 9, 4208 und CIL 10, 7295. 631 Eck 1980, 317; vgl. auch Goffin 2002, 184f.

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höchsten ordines in diesem Raum schließen lässt. Bei genauerer Betrachtung des Status der Stifter fällt allerdings auf, dass sich unter den Euergeten aus den nordafrikanischen Provinzen lediglich vier Senatoren finden, während 18 Stiftungen von Rittern getätigt wurden.632 Dies bestätigt zwar die bereits erwähnten Ergebnisse von Eck, der sich in seiner Untersuchung ausschließlich auf die senatorischen Familien bezieht, wirft aber dennoch ein etwas differenzierteres Licht auf die Präsenz hochrangiger – wenn auch nicht unbedingt senatorischer – Familien im nordafrikanischen Raum. Die meisten der italischen Inschriften entstammen dem Raum Latium und Campania (21 Stück, davon fünf aus Ostia); 13 können Umbria, zwei Picenum und zwei Etruria zugeordnet werden, während acht aus den süditalischen Provinzen stammen. Aus dem oberitalischen Raum (Liguria, Transpadana, Venetia et Histria) finden sich vier Inschriften. Auf die Stadt Rom entfallen lediglich drei Inschriften; darunter die Stiftung von Votivspielen durch den späteren Kaiser Tiberius.633 Diese Zahlen bestätigen einerseits die eingangs erwähnte Feststellung, dass sich die senatorische und ritterliche Elite ab der frühen Kaiserzeit neue Betätigungsfelder außerhalb Roms suchen musste, um durch die Stiftung von Bauwerken oder von Festen Prestige erlangen zu können. Insbesondere die vergleichsweise hohe Anzahl der Feststiftungen in Latium und Campania – Gegenden, in denen die senatorische Oberschicht traditionell sehr präsent war, wovon etwa die prachtvollen Landsitze der politischen Elite von Rom zeugen634 – zeigt, dass versucht wurde, sich in Gemeinwesen, zu denen ein persönlicher Bezug bestand, durch Euergesien zu profilieren. Andererseits fällt auf, dass Oberitalien kaum vertreten ist: Hier finden sich lediglich eine äußerst bescheidene Initiative eines Ritters zum Totengedenken,635 die Stiftung einer Bibliothek samt epulum anlässlich der Einweihung (der Euerget ist in diesem Fall nicht erhalten)636 sowie die bekannten Euergesien des Plinius und seines Vaters.637 Dass Goffin eine sehr starke Präsenz von Angehörigen der Reichsaristokratie bei Euergesien in diesem Raum ausmachen konnte, liegt daran, dass sie sich auf den Euergetismus insgesamt bezieht und zahlreiche Stiftungen von Gebäuden für diesen Raum auszumachen sind, die auf Initiativen der senatorischen und ritterlichen Elite zurückgehen, während Festessen

632 Bei den verbleibenden vier Inschriften handelt es sich um curatores rei publicae, die sowohl aus dem Ritter- als auch aus dem Senatorenstand rekrutiert werden konnten. Burton 1979, 466. 633 CIL 6, 385 und CIL 6, 386. 634 Potter 1987, 94. Eck konnte auch feststellen, dass es in Tibur auffallend viele Senatoren mit magistratischen oder priesterlichen Ämtern gab, was wohl daran lag, dass viele Senatoren dort über Landbesitz verfügten und somit einen persönlichen Bezug zu diesem Ort hatten. Eck 1980, 312. Auch der in AE 1998, 282 genannte Ritter Diodorus hatte eine enge Beziehung zu Lavinium; nicht zuletzt besaß er dort wohl ein Landgut. Alföldy 2000, 7-9. 635 CIL 5, 2046. 636 CIL 5, 7376. 637 CIL 5, 5262 und 5279.

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oder die Veranstaltung von Spielen aus diesen Kreisen hier kaum belegt sind.638 Allerdings sind Aussagen über Feststiftungen aus Oberitalien nicht unproblematisch: In den Quellenkorpus konnten insgesamt nur 46 Inschriften aus diesem Raum aufgenommen werden, wobei diese mehrheitlich als eher bescheidene Stiftungen einfacher Bürger oder Freigelassener – der oben genannte Ritter stellt hierbei eine Ausnahme dar – anlässlich der Totengedenkfeste (Parentalien, Rosen- und Veilchentag) zu charakterisieren sind, was als lokales Phänomen gewertet werden muss.639 Sowohl die Referenz auf eine so geringe Gesamtzahl von Inschriften als auch ein für diese Region einzigartiges Profil der Feststiftungen lässt die prozentuale Angabe nicht sehr aussagekräftig erscheinen. In der Tat lässt sich die niedrige Anzahl von Feststiftungen aus den Kreisen der Reichsaristokratie so erklären, dass Senatoren und Ritter tendenziell eher Gebäude stifteten als festliche Handlungen wie Festessen, ludi oder Geldverteilungen.640 Dies mag daran gelegen haben, dass sie persönlich in der Regel weniger stark an ein Gemeinwesen gebunden waren als ein aktives Mitglied der munizipalen Oberschicht und daher weniger Interesse oder Gelegenheit hatten, in städtischen Festen Präsenz zu zeigen. Es ist wohl auch kein Zufall, dass diejenigen Mitglieder der beiden höchsten ordines, die dennoch als Stifter festlicher Handlungen auftraten, in den meisten Fällen zugleich munizipale Ämter in den von ihnen bedachten Gemeinwesen innehatten bzw. patronus waren, oder Landbesitz am betreffenden Ort hatten bzw. von dort stammten, und damit offensichtlich eine engere persönliche Bindung zur jeweiligen Stadt hatten. So erfahren wir aus einem Brief des Plinius d.J., dass dieser zum Patron von Tifernum Tiberinum ernannt wurde und dort einen Tempel samt Einweihungsfeier stiftete, zu welcher er persönlich anwesend sein wollte.641 Von den 87 hier untersuchten Stiftern aus der Reichsaristokratie waren 30 in das Gemeinwesen einer Stadt durch die Ausübung eines priesterlichen oder munizipalen Amtes (duumvir, flamen o.ä.) eingebunden,642 sechs waren zum Patron eines Ortes ernannt worden, und weitere 16 hatten sowohl ein Amt als auch das Patronat inne.643 Damit lässt sich bereits für knapp 60% der hier erfassten senatorischen und ritterlichen Stifter ein mehr

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Goffin 2002, 189f. Vgl. Teil 2, Kapitel 3.4. 640 Goffin 2002, 189f. Auch in den von Eck zusammengestellten Inschriften zu den „außermagistratischen Tätigkeiten“ senatorischer Familien in den Städten des Imperium Romanum überwiegen die Baustiftungen, wobei Eck dies auch der „Art des Quellenmaterials“ zuschreibt. Eck 1980, 295-309 und 315. 641 Plin. ep. 4,1,4-6. Zur Bedeutung des Stadtpatronats für das Prestige von Senatoren und zu den mit dem Patronat verbundenen Verpflichtungen und Möglichkeiten zur Gewinnung von Ansehen vgl. Page 2015, 190f., zur detaillierten Diskussion anhand des Beispiels Plinius d.J. ebd., 191-205. 642 Außerdem ist noch ein vir clarissimus in Ostia belegt, der, eher ungewöhnlich, Dendrophore war. AE 1948, 24. 643 Zum Stadtpatronat Page 2015, 172-205. 639

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oder weniger644 aktives Engagement in verschiedenen Städten erkennen. Außergewöhnlichen Einsatz zeigte beispielsweise der Ritter Titus Caedius Atilius Crescens, der nicht nur Patron der colonia Pisaurum war, sondern auch die Ämter des quaestor, duumvir und duumvir quinquennalis ausgeübt hatte, und darüber hinaus Patron der seviri Augustales, sowie der collegia fabrum centonariorum, naviculariorum, dendrophorum, der vicimagistri, der iuvenes forensium und der studii Apollinaris et Guntharis war. Es überrascht daher nicht, dass er von den Bürgern sowie den amici und amatores eius, deren Namen in der Inschrift sogar einzeln erwähnt sind, mit einer Statue geehrt wurde, ob eximiam benignamq(ue) erga omnes cives suos adfectionem sinceramq(ue) et incomparabilem innocentiam eius.645 Auch bei einigen der Euergeten, von denen keine Ämter oder Patronate überliefert sind, finden sich Hinweise auf ein besonderes Verhältnis zum jeweiligen Gemeinwesen. In den meisten Fällen dürfte es sich bei der jeweiligen Stadt wohl um die Heimat, also den Geburts- oder Wohnort des betreffenden Senators oder Ritters gehandelt haben. So wird in den auf einer Inschrift veröffentlichten Auszügen aus dem Testament des Lucius Minicius Natalis Quadronius Verus erwähnt, dass er in der colonia Barcinonensis in Hispania citerior geboren wurde. Dies erklärt wohl seine großzügige Stiftung von 100.000 Sesterzen an dieses Gemeinwesen, aus deren Zinsen jährlich an seinem Geburtstag eine Geldverteilung an die Dekurionen und Augustalen stattfinden sollte.646 Obwohl der Stifter eine imposante Laufbahn hinter sich hatte und es sogar bis zum römischen Konsul gebracht hatte, war ihm offenbar daran gelegen, dass in seiner Heimatstadt in einem jährlichen Festakt seiner gedacht werden sollte. Dies bestätigt die eingangs zitierte Feststellung, dass die römische Eilte ihrer Heimatgemeinde häufig noch sehr verbunden war und, wie in diesem Falle, auf sie baute, um das Andenken nach dem Tode zu sichern. Außerdem unterstreicht dieser Befund die bereits im Zusammenhang mit dem Kaiserhaus aufgestellte Vermutung, dass

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Eck weist darauf hin, dass das Patronat nicht unbedingt ein „Hinweis auf einen aktiven Einsatz für eine Stadt“ gewesen sein muss. Eck 1980, 310. 645 CIL 11, 6362: Zminthi / T(ito) Caedio T(iti) f(ilio) Cam(ilia) / Atilio Crescenti / eq(uo) p(ublico) patr(ono) col(oniae) et / primario viro q(uaestori) IIvir(o) et / IIvir(o) q(uin)q(uennali) patr(ono) VIvir(um) August(alium) / itemq(ue) coll(egiorum) fabr(um) cent(onariorum) navic(ulariorum) / dendr(ophororum) vicim(agistrorum) iuvenum foren/sium item studior(um) Apolli/nar(is) et Gunthar(is) cives amici / et amatores eius quorum / nomina inscripta sunt ob / eximiam benignamq(ue) erga / omnes cives suos adfectio/nem sinceramq(ue) et incompa/rabilem innocentiam eius / patrono dignissimo / cuius dedicatione sing(ulis) HS n(ummum) XXXX / adiecto pane et vino cum epul(o) dedit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum) // Uttedius Amand(us) / Vinnius Paulinian(us) / Poppaedius Valens / Apuleius Valens / Latron(ius) Festian(us) / Salluvius Felicissim(us) / Latron(ius) Faustinus / Sertorius Secundin(us) / Sertor(ius) Secundin(us) Iun(ior). 646 CIL 2, 4511: (…) colon(is) Barcinonens(ibus) ex Hispania [cit]er(iore) / [apud q]uos natus sum HS C(milia) ita si cav[e]ant / [se pro ea] summa ex quincuncib(us) omnib(us) annis / [d(ie) … Iduu]m Februar(iarium) die natali meo sportulas / [decuri]onib[us] qui praesentes erunt singul(is) / [|(denarios) quatern]os Augustalib(us) qui praesentes erunt / [singul(is) |(denarios)] ternos daturos si quo pauciores con{t}/ven[eri]nt amplius inter praesentes pro rata / divi[dat]ur ut HS V(milia) usurar(um) quae annuae competunt / in ha[n]c rem omnib(us) ann(is) die natali meo erogentur.

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Feste in erster Linie lokal funktionierten und der persönliche Bezug des Euergeten zur Stadtgemeinschaft eine zentrale Rolle bei den gestifteten Festen spielte – weit mehr noch als bei anderen Stiftungen. Welche Art von Feststiftungen lassen sich für die Mitglieder des ordo senatorius und equester insgesamt greifen, und warum wurden sie als Stifter aktiv? Lässt sich mit anderen Worten eine Art ‚Stifterprofil‘ ausmachen? In den meisten Fällen handelt es sich um einen ‚klassischen Euergetismus‘, also um eine Initiative aus freien Stücken zugunsten des Gemeinwesens, die von Personen von gewissem Wohlstand und Status auch erwartet wurde.647 In 47 der hier besprochenen Inschriften wurden Spiele organisiert, ein jährliches Fest eingerichtet oder Bauwerke wie Thermen oder Theater errichtet und die damit verbundenen Einweihungsfeiern finanziert. Mit Ausnahme der zwei von den jeweils amtierenden Konsuln ausgerichteten ludi votivi für Augustus648 und den ludi für Neptun, die Catius Sabinus in Ostia veranstalten ließ,649 sind sämtliche Stiftungen, die von Senatoren getätigt wurden, als ‚reine‘ Euergetismen zu charakterisieren und stehen weder in Zusammenhang mit der Ausübung eines bestimmten Amtes noch mit einer vorangegangenen Ehrung durch die Stadtgemeinschaft. Zudem lässt sich feststellen, dass Mitglieder der Reichsaristokratie in den afrikanischen Provinzen sehr häufig ludi stifteten, teils als eigenständiger Euergetismus,650 teils anlässlich der Einweihung einer Statue oder eines Gebäudes. Allein sechs Inschriften belegen die von einem Ritter gestiftete Einweihungsfeier einer Statue mit der Abhaltung von ludi cum missiles, also von Spielen, bei denen zudem Verteilungen von Nahrungsmitteln im Publikum stattfanden.651 Es scheint sich hierbei offenbar um eine lokal übliche Form des Euergetismus gehandelt zu haben.652 Außerdem lässt sich eine starke Präferenz zur Stiftung von Gladiatorenkämpfen für den italischen Raum ausmachen: 13 der 15 Inschriften, in welchen Mitglieder der beiden höchsten ordines Gladiatorenkämpfe initiierten, stammen aus Italien; ebenso die fünf Fälle, in denen eine venatio gestiftet wurde. Senatoren und Ritter scheinen sich mit der Veranstaltung von Spielen und Gladiatorenkämpfen tendenziell für recht kostenintensive – und somit wohl besonders prestigeträchtige – Formen des Euergetismus entschieden zu haben.

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Page 2015, 177. CIL 6, 386 und 36789. 649 CIL 14, 1. 650 AE 1929, 2; AE 1942/43, 1; AE 2004, 1798, BCTH 1930/31, 250. 651 CIL 8, 6948; 7000; 7122; 7123; 7963; 19489. 652 Alle der insgesamt 14 Belege von missiles stammen aus den afrikanischen Provinzen, 12 sind in Verbindung mit ludi, zwei mit einem epulum aufgeführt. Die acht Stiftungen, die nicht von Mitgliedern der Reichsaristokratie getätigt wurden, wurden von Mitgliedern der munizipalen Oberschicht initiiert. 648

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In 22 der in diesem Korpus zusammengestellten Inschriften lässt sich ein Zusammenhang mit der getätigten Stiftung und dem Antritt bzw. der Ausübung eines priesterlichen oder munizipalen Amtes erkennen, wobei auch hier mit 12 Fällen der Anteil der afrikanischen Stiftungen außergewöhnlich hoch ist. Die Mitglieder der Reichsaristokratie, die im afrikanischen Raum als Initiatoren von Feststiftungen in Erscheinung traten, standen in ihrem Stifterverhalten und im epigraphischen Habitus möglicherweise der lokalen munizipalen Oberschicht recht nah: Typischerweise zeigten sich Mitglieder der städtischen Elite erkenntlich für ihnen angetragene Ämter, indem sie der Stadtgemeinschaft Statuen, Gebäude oder Feste stifteten, wovon die entsprechenden Inschriften zeugen. Im italischen Raum hingegen scheinen sich die Ritter und Senatoren stärker vom Stifterverhalten der städtischen Elite abgegrenzt zu haben und Wert darauf gelegt zu haben, als ‚reine‘ Euergeten angesehen zu werden, die sich nicht aus einer mit einem Amt zusammenhängenden Verpflichtung, sondern aus freien Stücken für das Allgemeinwohl einsetzten. Eine ganz andere Motivation aus den Kreisen der Reichsaristokratie lässt sich für 17 der hier erfassten Inschriften ausmachen: Die Stiftung einer Geldverteilung oder eines Festmahls erfolgte in diesen Fällen als Dank für die Errichtung einer öffentlichen Ehrenstatue anlässlich der Einweihungsfeierlichkeiten. Zwölf dieser Inschriften können Mitgliedern des ordo equester zugeschrieben werden; lediglich zwei Inschriften stehen im Zusammenhang mit einer Ehrung eines Senators653 – die restlichen drei Fälle lassen sich nicht eindeutig zuordnen. Dass sich nur für zwei Fälle festliche Handlungen nachweisen lassen, die im Zusammenhang von Ehrungen von Senatoren gestiftet wurden, belegt weitgehend die These von Erkelenz. Dieser vermutet, dass die Geehrten in diesen Fällen so angesehen waren, dass sich ohnehin große Teile der Bevölkerung zur Einweihung des Ehrenmonumentes einfanden, ohne dass zusätzliche Anreize in Form der Stiftung einer Geldverteilung o.ä. geschaffen werden mussten. Außerdem führt er zu Recht die Möglichkeit an, dass sich Senatoren für die Errichtung von Ehrenmonumenten durch entsprechende Stiftungen erkenntlich gezeigt haben mochten, doch dass sie es nicht nötig hatten, dies auch explizit im Inschriftentext festzuhalten.654

1.3. Munizipale Oberschicht:655 Mitglieder des ordo decurionum 250 Inschriften des hier zusammengestellten Korpus lassen sich der munizipalen Oberschicht zuordnen. Somit stammt mit knapp 60% der größte Teil der Stifter, deren soziale 653

AE 2004, 467; CIL 8, 26279. Erkelenz 2005, 93f. 655 Unter ‚Oberschicht‘ wird in dieser Arbeit entweder die aristokratische Oberschicht (ordo senatorius und equester) oder die munizipale Oberschicht (ordo decurionum) verstanden. Zur Diskussion verschiedener Gesellschaftsmodelle und zur Problematik, die Gesellschaft der Kaiserzeit in Schichten zu erfassen, vgl. Winterling 2001. 654

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Herkunft sich feststellen lässt, aus den lokalen städtischen Eliten. Dies mag nicht zuletzt dem Umstand geschuldet sein, dass diese soziale Gruppe allgemein außerordentlich gut in den Inschriften repräsentiert ist. In den meisten Fällen konnte aufgrund der genannten munizipalen oder priesterlichen Ämter (duumvir, aedil, quattuorvir, flamen, sacerdos o.ä.) darauf geschlossen werden, dass es sich beim jeweiligen Stifter um ein Mitglied der lokalen Elite handelte.656 Freilich ist die Zuordnung aufgrund der genannten Ämter nicht immer so eindeutig, wie dies auf den ersten Blick scheinen mag. Zum einen sind einige Ämterbezeichnungen identisch mit stadtrömischen Ämtern, deren Besetzung jedoch auf die Reichsaristokratie beschränkt war. Meist lässt sich aus dem Kontext der Inschrift erschließen, ob es sich um ein stadtrömisches oder ein lokales städtisches Amt handelte.657 Zum anderen wurden häufig in collegia Bezeichnungen verwendet, die ebenfalls identisch mit städtischen Ämtern sein konnten:658 So lässt etwa die Tatsache, dass ein Stifter als quinquennalis bezeichnet wird, per se nicht auf ein Mitglied der städtischen Oberschicht schließen, da das Amt des Quinquennalen in zahlreichen Vereinen belegt ist und dort nicht auf die städtische Elite beschränkt war. Ähnlich der Quinquennalität lässt sich auch bei den patroni meist aus dem Kontext klären, ob es sich um das Patronat einer Stadt oder eines Vereins handelte. Allerdings lässt sich aus der Tatsache, dass eine Person zum Patron eines municipium oder einer colonia ernannt wurde, nicht immer zweifelsfrei auf dessen Status schließen. Zwar geht Lintott davon aus, dass sich „Städte der Provinzen zunehmend an enge Vertraute des Prinzeps oder an Senatoren“659 wandten und diese zum Patron erhoben, doch dürfte das sicherlich nicht überall zutreffen; gerade für einige der Stiftungen, die sich im Vergleich zu den Euergesien eines Plinius eher bescheiden ausnehmen, liegt wohl nahe, dass sich hinter dem Patron kein römischer Senator verbarg.660 Für viele der hier aufgenommenen Fälle muss

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Die curatores kalendarii können laut Eck zur munizipalen Oberschicht gezählt werden, stammten aber in der Regel „nicht aus der Gemeinde, in der sie ihre cura ausüben, sondern aus benachbarten Städten.“ Eck 1979, 229. 657 So muss beispielsweise davon ausgegangen werden, dass der in einer Inschrift aus Tusculum als senator bezeichnete Marcus Pontius Felix Teil des lokalen Stadtrats war und nicht des stadtrömischen ordo senatorius, was auch seine weiteren Ämter und die vergleichsweise bescheidene Stiftung nahelegen. CIL 14, 2636: M(arco) Pontio M(arci) f(ilio) / Quir(ina) Felici / senatori aedil(i) / munic(ipii) sodal(i) / itemq(ue) aedil(i) / et curat(ori) sodal(i) / municipes et / incol(ae) ex a(ere) c(ollato) / ob innoc(entiam) et ad/siduit(atem) ceterasq(ue) / administr(ationes) eius / posit(a) VIIII K(alendas) Iunias / M(arco) Antonio Rufino / S(ervio) Octavio Lenat[e] / cons(ulibus) // Sta(tuae) dedicat(ione) / po[pu]l[o epu]lu(m) / et mul[sum] / de[dit]. 658 Zur „Übernahme staatlicher Amtsbezeichnungen in den griechisch-römischen Vereinen“ vgl. Ebel 2004, 69. 659 Lintott/Schiemann 2000, 423. 660 Z.B. CIL 10, 5657: […] Septimio L(uci) f(ilio) Tro(mentina) Herm[eti(?)] / [I]IIIvir(o) q(uin)q(uennali) pat(rono) mun(icipii) Fabra[t(eriae)] / vet(eris) curat(ori) k(alendarii) arc(a)e decur(ionum?) om/nibus honor[i]bus et muneribu[s] / [p]erfuncto iuvenes Herculan[i] / [d]ignissimo

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letztlich offen bleiben, ob es sich bei den patroni coloniae/municipii um Mitglieder der Reichsaristokratie, der munizipalen Oberschicht oder um andere hochstehende Personen handelte. Ließ sich die Zugehörigkeit zur Reichsaristokratie nicht nachweisen, doch sind neben dem Patronat andere munizipale Ämter angegeben, wurde die Person in der vorliegenden Studie zur munizipalen Oberschicht gezählt. Sind außer dem Patronat keine weiteren Ämter überliefert, wurden die betreffenden patroni unter Vorbehalt zur munizipalen Oberschicht gerechnet, da sie mit Sicherheit Einfluss in der Stadtgemeinschaft besaßen.661 Ebenfalls nicht immer eindeutig einzuordnen ist der soziale Status einer Person, die als decurio bezeichnet wird, denn damit kann entweder ein militärisches Amt oder ein Mitglied des ordo decurionum in römischen Städten gemeint sein, oder sogar gelegentlich der Vorstand in einem Kollegium.662 Die Mitglieder des Stadtrats gehörten natürlich per definitionem der lokalen Oberschicht an; eine Einordnung der decuriones des römischen Militärs und der collegia muss hingegen offen bleiben, falls keine weiteren Informationen gegeben sind. Äußerst kurios ist in diesem Zusammenhang eine Ehreninschrift aus dem Jahr 169 n.Chr. für Lucius Acilius Eutyches, ein Schauspieler (archimimus und parasitus Apollinis), der zugleich als decurio von Bovillae bezeichnet wird und damit offensichtlich Mitglied des lokalen Stadtrats war.663 Dies ist bemerkenswert, da Schauspieler ähnlich wie Gladiatoren als infames galten; gemäß des SC de Larino von 19 n.Chr. war es nicht zuletzt für Mitglieder der senatorischen und ritterlichen Oberschicht verboten, den Schauspielberuf zu ergreifen.664 Die Aufnahme des Eutyches unter die decuriones des municipium muss also eine äußerst große Ehrbezeigung für den Schauspieler gewesen sein, der zudem noch mit dem Ehrentitel pater ausgezeichnet worden war. Des Weiteren verweist die Formulierung omnibus honoribus functo in zahlreichen Inschriften darauf, dass die betreffende Person diverse Ämter erfolgreich ausgeübt hatte und wohl zur städtischen Oberschicht gerechnet werden darf.665 Ebenso darf aus der Formulierung ob honorem auf Ämter geschlossen werden, selbst wenn diese nicht inschriftlich erhalten oder explizit genannt sind. Die Nennung der condecuriones lässt indirekt den

p[at(rono)] ob merita eius / [e] collato pos[ue]runt ob cuiu[s] / [d]edicatione(m) si[n]g(ulis) discunben[t(ibus)] / [ded(it)] HS II et d[o]navit eis HS II [m(ilia)] / [n(ummum)] ut e[x] usuris eo[ru]m die natali / [e]ius V Non(as) Mai(as) [o]mnibus annis / [s]portulae divid[ant]ur iuvenibus / l(ocus) d(atus) d(ecreto) [d(ecurionum)]. 661 Dies betrifft AE 1982, 312; CIL 8, 1548; 26280; CIL 9, 2237; 3838; CIL 10, 6465; CIL 11, 7872. 662 Gizewski/Campbell 1997, 356-359. 663 CIL 14, 2408: L(ucio) Acilio L(uci) f(ilio) Pompt(ina) Eutyche(ti) / nobili archimimo commun(i) mimor(um) / adlecto diurno parasito Apoll(inis) / tragico comico et omnibus corporib(us) / ad scaenam honor(ato) decurioni Bovillis / quem primum omnium adlect(i) patre(m) / appellarunt / (…). 664 Baltrusch 1989, 145-153 und 195-206. 665 Z.B. CIL 8, 22709; CIL 11, 5062 und CIL 2,5, 794. Auch die Formulierung honestae memoriae vir könnte auf den Dekurionenstand hinweisen, CIL 8, 1321.

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Rückschluss zu, dass es sich beim Stifter selbst auch um einen decurio und damit um ein Mitglied der lokalen Elite handelte.666 In einigen Inschriften lässt sich der soziale Stand indirekt über Familienmitglieder rekonstruieren. So stiftete Maternus, der Sohn des duumvir iure dicundo und quinquennalis Marcus Minatius Gallius zu Ehren seines Vaters eine Weihgabe an die Virtus von Visentium und fügte anlässlich der Dedikation ein epulum für die vicani und crustulum et mulsum für den populus hinzu.667 Ob der Sohn ebenfalls Mitglied im lokalen ordo decurionum war, ist nicht bekannt, doch kann davon ausgegangen werden, dass die gesamte Familie eines duumvir und quinquennalis äußerst angesehen in der Stadtgemeinschaft war. Handelte es sich hingegen bei den Inhabern der munizipalen oder priesterlichen Ämter um den Nachwuchs der Stifter, kann für die Eltern allein aus diesem Sachverhalt keine Zugehörigkeit zur lokalen Elite angenommen werden, da es möglich ist, dass die Kinder als erste der Familie zur Elite aufgestiegen waren, was den Eltern hingegen noch verwehrt geblieben sein könnte. Titus Flavius Scopellianus aus Privernum, Latium et Campania, bewegte sich hingegen bereits an der Grenze zur Reichsaristokratie: Er selbst war praetor, wiederholt duumvir, duumvir quinquennalis, patronus coloniae und hinzugewählt in die Dekurien, und er brüstet sich, Vater von zwei equites Romanes zu sein – die Söhne hatten also den Aufstieg in die Ritterschaft geschafft, doch der Stifter selbst muss hier zur munizipalen Oberschicht gezählt werden.668 Schwieriger ist es auf den Status der Stifter zu schließen, wenn es sich nicht um Familienmitglieder, sondern um Freunde oder Erben einer Person, deren Status bekannt ist, handelte. So führten drei Männer die testamentarischen Bestimmungen des Marcus Baebius Secundus, aedilis, praefectus iure dicundo, duumvir, quinquennalis und viocurus, aus und ließen anlässlich der Einweihung der dort verfügten Ehrenstatue crustulum et mulsum an das Volk verteilen. Handelte es sich beim ersten dieser Männer, Marcus Baebius Sabinus, wohl um den Sohn des Verstorbenen, was eine Zugehörigkeit zur munizipalen Oberschicht nahelegt, erfahren wir nichts über den sozialen Status der beiden anderen Erben, Marcus Valerius Septimius und Marcus Valerius Secundinus, und können nur vermuten, dass Baebius Secundus wohl keine Personen als Erben einsetzte, die aus einer anderen

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Z.B. in CIL 8, 1284. CIL 11, 2911: Virtuti Visent(ium) / sacr(um) / M(arci) Minati M(arci) f(ilii) Sab(atina) Galli / IIvir(i) i(ure) d(icundo) quinq(uennalis) / Maternus f(ilius) patris / sui h(onoris) c(ausa) et ob dedica/tionem honorarim / vicanis epulum popu/lo crustulum et / mulsum dedit. 668 RAL 1974, 245: T(ito) Flavio Acindyni fil(io) / Quir(ina) Scopelliano duo[r]/um equit(um) Romanor(um) patr[i a]dlec/to in decuri(i)s pr(aetori) IIviro [i]terum / pr(aetori) IIvir(o) quinq(uennali) patrono colon(iae) / huic Privernates cenam Idib(us) / Mar(tiis) d[and(am) et st[a]tuam ponendam / [fec]er[unt(?) […]miri quin/quenn(alis) ob merita eius quod ob / honor(em) quinquennalitatis ludos / scaenicos diebus quinque ediderit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum) // XIII K(alendas) Sept(embres) / L(ucio) Aelio Caesare II / P(ublio) Coelio Balbino co(n)s(ulibus) / ob dedicationem crustu[m] / et mulsum / populo dedit. Vgl. auch CIL 9, 23 und CIL 14, 353. 667

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sozialen Schicht stammten.669 Auch über Quintus Aelius Vernaclus Muniguensis erfahren wir nichts weiter, als dass er amicus und heres der Quintia Flaccina war, einer flaminica divarum Augustarum ebenfalls aus Munigua.670 Der Zusammenhang zwischen Coclius Saturninus Golicus, der eine Statue für den Kaiser Lucius Verus aufstellen ließ, eine Geldsumme in die städtische Kasse einbezahlte und anlässlich der Einweihung der Statue ein epulum, gymnasia und ludi scaenici stiftete, und Nerus Mocius Septimus, anlässlich dessen dauerhaften Flaminats diese Stiftung durchgeführt wurde, bleibt gänzlich ungeklärt.671 Bei all diesen Fällen kann jedoch vermutet werden, dass eklatante Statusdifferenzen zwischen den Personen unwahrscheinlich sind bzw. im Inschriftentext kommentiert worden wären, weshalb unter Vorbehalt von Mitgliedern der munizipalen Oberschicht ausgegangen wurde. Von den hier aufgenommenen 250 Inschriften, die teils gesichert, teils mit Vorbehalt Stiftern der munizipalen Oberschicht zugeschrieben werden können, stammt mit 129 Belegen die Mehrzahl aus dem afrikanischen Raum; 92 Inschriften lassen sich Italien zuordnen, 14 den spanischen Provinzen und 10 dem heutigen Frankreich. Zwei entstammen dem heutigen Rumänien und jeweils eine dem heutigen Bulgarien, Dalmatien und Kroatien. Dass sich die überwiegende Mehrheit der Belege Afrika und Italien zuordnen lassen, mag teilweise der sehr guten epigraphischen Überlieferungssituation in diesen Gebieten geschuldet sein, doch überrascht die Tatsache, dass sich mehr Inschriften aus den afrikanischen Provinzen als aus dem italischen Raum finden und vergleichsweise wenige aus dem ansonsten inschriftlich recht gut vertretenen spanischen Raum.672 Man kann also durchaus vermuten, dass es in Afrika einen Trend der munizipalen Oberschicht gab, sich durch Feststiftungen zu profilieren und dies inschriftlich zu dokumentieren, während dies auf der iberischen Halbinsel offenbar eher unüblich war. Für die überwiegende Mehrzahl der von Mitgliedern der munizipalen Oberschicht getätigten Stiftungen lässt sich ein Zusammenhang mit einem Amt feststellen. Chamberland

669 CIL 10, 5714: M(arco) Baebio M(arci) f(ilio) / Rom(ilia) Secundo / aed(ili) praef(ecto) i(ure) d(icundo) IIvir(o) / q[q](uinquennali) viocuro ex s(enatus) c(onsultu) II d(ecreto) d(ecurionum) / M(arcus) Baebius M(arci) f(ilius) Rom(ilia) Sabinus / M(arcus) Valerius M(arci) f(ilius) Rom(ilia) Septiminus / M(arcus) Valerius M(arci) f(ilius) Rom(ilia) Secundinus / hered(es) eius ex testament(o) i[psiu]s / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum) cuius dedic(atione) crustum / et mulsum populo divisum / est. 670 CILA 2,4, 1055: Cereri Aug(ustae) / in honorem et memoriam Quintiae M(arci) f(iliae) Flaccinae / Munig(uensis) flaminic(ae) divar(um) Aug(ustarum) splend(issimae) provinc(iae) Baetic(ae) / Q(uintus) Ael(ius) Vernaclus Muniguensis amicus et heres ac/cepto loco ab ordine splend(idissimo) m(unicipii) F(lavi) M(uniguensis) epulo divisio utriq(ue) sexui d(onum) d(edit). 671 ILAfr 303: (…) Coclius Saturninus Go/licus ob [hon]orem / flamoni(i) p(er)[p(etui)] Neri Moci / Septimi ex HS III mil(lia) n(ummum) po/suit item rei publ(icae) HS I(mille) n(ummum) in/tulit ob dedicationem / epulum et gimnasia(!) et / ludos scaenicos dedit / d(ecreto) d(ecurionum). 672 Zur guten epigraphischen Überlieferungslage der iberischen Halbinsel vgl. Beltrán Lloris 2015, 137f.

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legt großen Wert auf eine Unterscheidung zwischen „spectacles réglementaires“, also regelmäßig stattfindenden, rechtlich vorgeschriebenen Spielen, und „spectacles libres“, Spielen, die von einem Wohltäter aus freien Stücken organisiert wurden.673 Für ihn sind streng genommen nur Letztere als „echter Euergetismus“ zu kategorisieren.674 Selbstverständlich können die Zahlungen, die zum Antritt eines Amtes entrichtet werden mussten (summa honoraria/legitima), oder die in Gesetzen wie der lex Ursonensis vorgeschriebenen Spiele, die von Duumvirn oder Ädilen organisiert und in Teilen auch finanziert werden mussten,675 nicht als Euergesien erfasst werden. Die hier erfassten Inschriften zeigen aber, dass es durchaus üblich war, sich über diese Mindestanforderungen hinaus für das jeweilige Gemeinwesen zu engagieren. Häufig wird explizit erwähnt, dass der Stifter neben der summa honoraria weitere Geldsummen zur Verfügung stellte oder weitere Euergesien tätigte.676 Ein Zusammenhang mit der Ausübung eines Amtes lässt sich auch aus einigen Formulierungen erschließen: Wenn etwa jemand eine Summe einzahlte, die er zuvor versprochen hatte, war der Anlass für dieses Versprechen möglicherweise die Aussicht auf ein bestimmtes Amt.677 In einigen Inschriften wird zudem betont, dass bestimmte Leistungen auf eigene Kosten erfolgten, womit angedeutet wird, dass dafür öffentliche Mittel für den Amtsträger zur Verfügung standen.678 Dass die meisten Stiftungen aus diesem Personenkreis mit der politischen Karriere der Initiatoren verknüpft waren, zeigt, in welchem Maße die munizipale Oberschicht darauf bedacht war, sich und die eigene Familie in der Stadtgemeinschaft zu positionieren. Für Mitglieder der städtischen Elite waren Feststiftungen ein zentrales Mittel im fortwährenden Kampf um Ämter und Ansehen.

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Chamberland 2012, 263. „Selon les termes de la distinction entre spectacles réglementaires et libres, seuls les spectacles libres seraient de véritables évergésies.” Ebd., 264. 675 In der lex Ursonensis wurde beispielsweise genau festgelegt, wieviel Geld die Duumvirn und Ädile jeweils zur Veranstaltung von ludi bereitstellen mussten und welche Summe aus der öffentlichen Kasse zur Verfügung stand. CIL 2,5, 1022. 676 Z.B. AE 1941, 46: Genio coloniae / Thamugadis / M(arcus) Pompeius Pudentianus / vet(eranus) fl(amen) p(erpetuus) p(osuit) ob honorem fla/moni(i) inlata rei p(ublicae) legitima / amplius statu(a)m Martis ad ar/cum pantheum et hic in thea/tro statuas dd(ominorum) nn(ostrorum) et / Iuliae Aug(ustae) ex HS XL mil(ibus) n(ummum) / promiserat ampliata pecu/nia HS X mil(ibus) n(ummum) ex HS L mil(ibus) n(ummum) po/suit et ob dedicationem / curiis epulum et gymnasi/um populo et ludos scae/nicos dedit. 677 Z.B. CIL 8, 1353: Genio municipii […] / [pro salute Imp(eratoris) Caes(aris) M(arci)] Aureli [[Probi]] Pii Fel(icis) Aug(usti) tot[iusque …] / [… divinae] domus eius C(aius) Lurius Felix II[vi]r q(uin)[q(uennalis) …] / […] mil(ia) numm(um) q[u]am pomiserat NVM[…] / […]O[…]V[…] m[ili]bus statuam AI[…] / […]s suis de den(ariis) VII ob A[…] / [… gymn]asium et ludos […]. 678 Z.B. CIL 12, 1121: […f]lam(en) Romae et divi Aug(usti) suff[ragiis …] / [… porti]cus et arcum cum ostiis et clu[suris …] / [… im]pensa s(ua) ludos publi[cos…]. Da es sich in diesem Fall sogar explizit um ludi publici handelte, wird deutlich, dass der Stifter eindeutig als Euerget auftrat, indem er die Kosten selbst übernahm. 674

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1.4. Augustalen In 40 der hier gesammelten Inschriften können die Stifter gesichert dem ordo679 der Augustalen zugeschrieben werden, in weiteren sieben lässt sich eine Zugehörigkeit zu diesen Gruppen zumindest vermuten. In sieben Inschriften werden Personen als Augustales bezeichnet, während in 30 Inschriften seviri Augustales als Stifter ausgemacht werden können.680 Außerdem finden sich fünf curatores Augustalis, wobei zwei von diesen zugleich mit den ornamenta decurionalis ausgezeichnet und somit in ihrem Status den Mitgliedern der städtischen Elite angeglichen worden waren. Der Großteil der Belege der von Augustalen getätigten Stiftungen stammt mit 35 Stück aus Italien; sieben können der iberischen Halbinsel, vier dem heutigen Frankreich und eine dem antiken Dalmatien zugeordnet werden. Aus den afrikanischen Provinzen findet sich kein einziger Beleg.681 Die Stellung der Augustalen in der römischen Gesellschaft ist bislang nicht eindeutig geklärt. Meist wird davon ausgegangen, dass es sich um eine Institution für wohlhabende Freigelassene handelte, denen aufgrund ihrer Herkunft der Zugang zum cursus honorum verwehrt war und die nun eine Alternative suchten, ihren gehobenen Status auszudrücken.682 Abramenko stellt jedoch zu Recht fest, dass sich auch ingenui unter den Augustalen finden, und dass es große geographische und chronologische Unterschiede zu berücksichtigen gilt. Anstatt pauschal eine libertine Herkunft anzunehmen, fasst er die Augustalen als Organisation eines „Mittelstandes“.683 Alföldy hingegen nimmt an, dass es sich analog zum ordo decurionum um einen „Teil der Eliten“ handelte.684 Im Folgenden soll untersucht werden, in welchem Maße die Augustalen sich durch Feststiftungen innerhalb und außerhalb des ordo positionieren konnten und wie sich ihre gesellschaftliche Stellung anhand dieser Stiftungen charakterisieren lässt. Sieben der epigraphischen Belege beinhalten eine Stiftung, die auf eine interne Feier der Augustalen beschränkt war. Der Versammlungsraum der Augustalen war ein Ort, an wel-

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Die Augustales und seviri Augustales können weniger als Kollegium denn als eigener ordo neben den decuriones gesehen werden. D’Arms 2000b, 129 und Kneißl 1980, 326. Zum Begriff ordo vgl. Alföldy 2011, 198, der die ordines als „geschlossene[…], korporativ verfasste[…] Personenverbände[…] mit spezifischen Vermögenssätzen, Funktionen und Rangmerkmalen“ erfasst. 680 Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen der Augustalen und zu deren Charakterisierung vgl. von Premerstein 1895, 824, sowie 829 und 834, und Abramenko 1993a. Zur sozialen Zusammensetzung der Augustalen und zu einer geographischen und chronologischen Differenzierung vgl. Abramenko 1993b. 681 Auch Abramenko stellt fest, dass dort „Sevirat und Augustalität im Vergleich zu Italien nur bemerkenswert schwach vertreten” waren. Abramenko 1993b, 311. 682 Duthoy 1974, 153: „Bref, l’augustalité était pour les affranchis un ersatz de magistrature ou de décurionat. En même temps la désignation comme *augustalis faisait d’eux les leaders de leur groupe social.” 683 Abramenko 1993b, insbes. 76-82 zur Erläuterung seines Konzeptes von „Mittelstand“. 684 Alföldy 2011, 176. Zur Ablehnung des Begriffs „Mittelstand“ vgl. ebd., 204f.

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chem sich die Mitglieder etwa durch die Einrichtung von jährlichen Festen 685 oder die Stiftung von Statuen für Kaiser,686 Patrone oder Mitglieder und der damit zusammenhängenden festlichen Handlungen im Rahmen des ordo auszeichnen konnten. Ihre Bemühungen konnten wiederum durch die Vergabe von Vorrechten (z.B. Immunität), die ehrenvolle inschriftliche Veröffentlichung ihrer Euergesien und der betreffenden Beschlüsse, die Aufstellung des Familienwappens687 oder sogar durch die Errichtung einer Ehrenstatue honoriert werden.688 Auf diese Weise wurde das Andenken an die Stifter garantiert, und eine dauerhafte Erinnerung an deren großzügige Gaben in Form von Geldverteilungen oder die Ausrichtung von Festmählern sichergestellt. Auch die Etablierung einer jährlichen Feier689 diente einem auf Dauer angelegten Gedenken an die Stifter im Rahmen des ordo Augustalium – hier wurde die Erinnerung nicht nur durch die in Stein gemeißelten Bestimmungen aufrecht erhalten, sondern jährlich in der Feier selbst aufs Neue vollzogen. Viele Inschriften belegen jedoch auch, dass sich Augustalen über den ordo hinaus in der Stadtgemeinschaft durch die Stiftung von Statuen und die damit verbundenen Festakte engagierten. So war es beispielsweise trotz libertiner Herkunft möglich, eine öffentliche Statue zu Ehren eines Patrons, einer Gottheit oder eines Mitglieds des Kaiserhauses zu errichten und sich selbst als Initiator in der Inschrift zu verewigen. Ein Augustale in Nepet, Etruria, ließ etwa eine Statue seines Patrons und dessen clupeus aufstellen, veranstaltete darüber hinaus ludi und gab den Bürgern von Nepet anlässlich der Einweihung der Statue ein epulum.690 Eck weist zwar darauf hin, dass es für Freigelassene in der Regel

685

So etwa die jährlichen Festmähler anlässlich des Geburtstags der Stifter in CIL 10, 1880 und CIL 10, 5809. Auch in einer Inschrift aus Gallia Narbonensis wurde ein jährliches Festmahl gestiftet, doch ist hier nicht erhalten, ob sich das Datum ebenfalls auf den Geburtstag des Stifters bezieht: CIL 12, 530: […sevi]r Aug(ustalis) corp(oratus) […] / […]um HS XXX(milia) n(ummum) dedit […] / [… ex quorum] usuris XV K(alendas) De[c]emb[res …] / [… quotannis] sportulae vescenti[bus …] / [… divi]derentur qui signo […] / [… bas]ilicam exorn[avit]. Denkbar wäre auch die Feier des Geburtstags von Kaiser Vespasian, die ebenfalls auf den 17. November fällt. 686 AE 1993, 474 belegt die Errichtung einer Statue für Nerva; hierbei handelt es sich nicht um das bronzene Reiterstandbild für Nerva (ursprünglich für Domitian, dessen Gesichtszüge dann umgearbeitet worden waren), sondern um eine weitere Statue für Nerva. Zevi 2000, 51. AE 1993, 473 belegt die Stiftung des Lucius Kaninius Hermes, der eine Statue für Trajan errichten ließ sowie ein Festmahl und einer Geldverteilung anlässlich der Einweihung finanzierte. Als Anerkennung seiner Wohltaten wurden der Stifter und einer seiner Söhne unter die immunes aufgenommen. Außerdem wurde beschlossen, dass das Dekret mit den Beschlüssen auf der Basis der gestifteten Statue veröffentlicht und der clipeus der Kaninii im Tempel aufgestellt werden sollte. Darüber hinaus zahlte er 6.000 Sesterzen in die Kasse der Augustalen anlässlich der immunitas seines Sohnes. 687 Vgl. AE 1993, 473. 688 AE 1993, 479. 689 CIL 10, 1880; 5809; CIL 12, 530. 690 CIL 11, 3214: […] / Nestori / Aug(ustali) Nepete / hic ludos fecit / et dedicatione / statuae patroni / quam ipse posuit / et clupei sui iterum / municipibus Nepesinis / epulum dedit. Die Formulierung iterum municipibus Nepesinis epulum dedit weist zudem darauf hin, dass er schon zuvor ein epulum gestiftet hatte, was möglicherweise im nicht erhaltenen Teil der Inschrift genannt war.

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nicht möglich war, ihren Patron „im öffentlichen Raum“ zu ehren – „der ihnen angemessene Platz war normalerweise das Haus ihres ehemaligen Herrn“691 –, doch führt er einige Ausnahmen an, zu denen wohl auch dieses Beispiel gezählt werden muss, da die municipes Nepesinis als Empfänger des epulum eindeutig auf einen öffentlichen Kontext verweisen. Der sevir und Augustalis honoratus Caius Oppius Leonas entschied sich für die Stiftung von Götterstatuen: Er schenkte seinen Mitbürgern (communicipes) in Auximum Statuen des Aesculap und der Hygia und stiftete anlässlich der Dedikation eine Geldverteilung an die Dekurionen und Augustalen sowie eine cena für die coloni.692 Sowohl die Statuen als auch die Feierlichkeiten zur Einweihung zielten auch hier hauptsächlich auf Adressaten außerhalb des ordo Augustalium, nämlich auf die municipes, die Dekurionen und die coloni.693 Leonas ging es offensichtlich darum, sich und seine Leistungen dauerhaft in der städtischen Öffentlichkeit zu präsentieren – ein Anspruch, auf den im Festakt zur Einweihung der Statue, bei dem die zentralen Gruppen der städtischen Öffentlichkeit berücksichtigt wurden, nochmals pointiert hingewiesen werden konnte. Auch Lucius Iunius Puteolanus, sevir Augustalis in Suel, Baetica, tätigte eine Stiftung für eine Gottheit: Er ließ einen Altar für Neptun Augustus errichten und diesen mit einem epulum einweihen.694 Zwar geht aus der zugehörigen Inschrift nicht eindeutig hervor, ob der Altar im öffentlichen Raum errichtet wurde – dass es sich bei der Gottheit um Neptun Augustus, und damit um einen mit dem Kaiserhaus verknüpften Gott handelte, lässt sogar zunächst einen augustaleninternen Kontext vermuten – , doch macht der erklärende Zusatz, dass er VIvir Augustalis in municipio Suelitano war, nur Sinn, wenn die Veröffentlichung des Textes nicht auf den Rahmen der Augustalen beschränkt war. Außerdem wird erwähnt, dass Iunius Puteolanus daraufhin mit allen Ehren ausgezeichnet wurde, die Freigelassene erhalten durften, was ebenfalls nicht auf den ordo Augustalium beschränkt gewesen sein dürfte, sondern auf einen größeren öffentlichen Zusammenhang verweist. Dieses Beispiel zeigt, dass die Bemühungen von Freigelassenen nicht vergebens waren, sich

691

Eck 2010, 114. CIL 9, 5823: Aesculapio et Hygiae / sacrum / C(aius) Oppius C(ai) l(ibertus) Leonas / VIvir et Aug(ustalis) / honoratus in tribu / Cl(audia) patrum et liberum / clientium et adcensus / patroni sanctissimis / communicipibus suis d(onum) d(edit) / quorum dedicatione / singulis decurionibus / |(denarios) III Augustalibus |(denarios) II et / colonis cenam dedit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum) // Dedicati(o) Idib(us) Ianuar(iis) Plautio Quintilio et / Statio Prisco co(n)s(ulibus). 693 Die Formulierung communicipes irritiert allerdings etwas, da es sich bei Auximum um eine colonia und kein municipium handelte, weshalb die Empfänger der cena auch ganz korrekt als coloni bezeichnet wurden. Möglicherweise wurde die Bezeichnung communicipes hier für die Mitbürger, die die Statuen erhalten sollten, in einem weiten Sinne verwendet, während die Adressatengruppen der Geldspenden und der cena genau definiert sein mussten. 694 CIL 2, 1944: Neptuno Aug(usto) / sacrum / L(ucius) Iunius Puteolanus / VIvir Augustalis / in municipio Suelitano / d(edit) d(edicavit) primus et perpetuus / omnibus honoribus quos / libertini gerere potuerunt / honoratus epulo dato d(e) s(ua) p(ecunia) d(onum) d(edit). Der Stifter war offenbar Fischsoßenhändler, der möglicherweise Handelskontakte nach Puteoli unterhielt bzw. von dort abstammte. Vgl. Haley 1990. 692

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durch die Stiftung von Weihgaben für Gottheiten und Festakten für die Einwohner auszuzeichnen und im Gemeinwesen erhöhtes Ansehen zu erlangen. Verfügte ein Augustale oder sevir Augustalis über größere finanzielle Mittel, konnte die Stiftung über eine Statue oder einen Altar weit hinausgehen. Aus einer bruchstückhaft überlieferten Inschrift aus Puteoli geht hervor, dass ein Augustale – offenbar gemeinsam mit Kollegen – den Tempel der Victoria Augusta errichten und einweihen ließ.695 Lucius Aemilius Daphnus, sevir aus Murgi, Baetica, ließ sogar Thermen auf eigene Kosten errichten und anlässlich der Einweihung an alle Bürger und Einwohner Geld verteilen und ein Festessen ausrichten. Außerdem versprach er, für den Rest seines Lebens zur Instandhaltung der Thermen jährlich 150 Denare zu zahlen und ebenfalls jährlich am Tag der Einweihung Geld in Höhe von einem Denar verteilen zu lassen.696 Sollten die Bewohner von Murgi beim Besuch der Thermen den Spender also nicht immer vor Augen haben, so stellte er mit letzterer Maßnahme sicher, dass sie sich zumindest einmal im Jahr an ihn erinnerten und seine anhaltende Großzügigkeit in Form der wiederholt durchgeführten Geldverteilung öffentlich wahrnehmen und anerkennen konnten. Auch ein sevir Augustalis aus Narbo stiftete Bäder, und zwar gemeinsam mit seiner Frau. Außerdem stellte das Ehepaar die Ausstattung der Bäder, welche offenbar aus Marmor gefertigt wurden, sowie eine Wasserleitung, und sie ließen anlässlich der Einweihung sportulae verteilen.697 Hier wurde zwar kein jährliches Andenken an die beiden Euergeten gesichert wie im eben diskutierten Beispiel aus Murgi, doch dürften ihre Leistungen bei der feierlichen Eröffnung der Bäder, bei der ja nicht zuletzt die Geldverteilung stattfand, sicherlich honoriert worden sein – und darüber hinaus bezeugte die Inschrift auch für zukünftige Generationen, wem die Bäder zu verdanken waren. Eher ungewöhnlich war dagegen die Stiftung des Marcus Allius Agenor, der als ottovir Augustalis bezeichnet wird698 und Freigelassener des procurator Augusti Allius Attus war. Er ließ das ponderarium, also den Ort, an dem Mustergewichte und -maße aufbewahrt wurden, samt ebendiesen Gewichten und Maßen errichten und mit Statuen (wahrschein-

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CIL 10, 1887: […]s M(arci) l(ibertus) Phileros / [… Aug]ustalis / [… a]edem Victoriae Augustae cum collegas(!) / […]I dedicavit populo et protecta / […] idem sua pequnia(!) aedificavit et / […] idem crustum et mulsum populo / [… dedit] / (…). 696 CIL 2, 5489: L(ucius) Aemilius Daphnus sevir thermas / sua omni impensa municipibus Murg(itanis) / dedit et quo die eas dedicavit |(denarios) sin/[g]ulos civibus et incolis epulum dedit / [et q]uam diu vixisset eodem die daturum / [esse] |(denarios) singulos eisdem promis{s}it et in / [tute]lam earundem thermarum quam / diu ipse vixisset annuos |(denarios) CL / pollicitus est. 697 CIL 12, 4388: […] Chrysanthus / [VIvir Aug(ustalis) c(oloniae) I(uliae) P(aternae) C(laudiae) N(arbonis)] M(artii) et Clodia Agathe uxor / [… loco si]bi dato ex decreto IIIIIIvirorum Aug(ustalium) / [balineum …] et marmoribus exstructum et ductu / [aquae … feceru]nt et sportulis datis dedicaverunt. 698 Kneißl weist darauf hin, dass es neben den seviri Augustales auch tresviri, quattuorviri, octoviri und magistri Augustales gab, die er als „Vorstufen bzw. als Sonderformen jener beiden vorherrschenden Institutionen“ charakterisiert. Kneißl 1980, 291.

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lich verschiedener Gottheiten oder divinisierter Kaiser) ausschmücken, und anlässlich der Dedikation gab er offenbar sportulae und ludi.699 Dass es sich hierbei um keine alltägliche Stiftung handelte, wird im Inschriftentext durch die Bemerkung quos nemo antea eiusdem ordinis hom[inum dederat] verdeutlicht. Der Euerget konnte aus verschiedenen Aspekten Prestige beziehen: Zum einen war er Freigelassener eines bedeutenden Mannes senatorischen Ranges und hatte selbst den Status eines ottovir Augustalis. Zum anderen zeichnete er sich durch eine außergewöhnliche und sicherlich äußerst kostenintensive Stiftung einer für Handel und Wirtschaft zentralen Einrichtung aus, die er zudem mit Götter- oder Kaiserstatuen ausschmückte – womit er seine pietas unter Beweis stellen konnte – und schließlich wirkungsvoll mit einer Geldverteilung und Spielen einweihen ließ.700 Nicht zuletzt die Betonung der Einzigartigkeit seiner Wohltaten in der zitierten Bemerkung lässt deutlich werden, in welchem Maße Allius Agenor Ansehen für seine Bemühungen beanspruchte. Neben der Errichtung einer Statue, eines Altars oder eines Gebäudes dürfte sich die Stiftung von Spielen besonders gut dazu geeignet haben, die Aufmerksamkeit großer Kreise der Öffentlichkeit auf die eigene Person zu lenken und aus dem getätigten Euergetismus Ansehen in der Stadtgemeinschaft zu gewinnen. Daher überrascht es nicht, dass sich zahlreiche Inschriften finden, in welchen Augustalen als Stifter von ludi oder Gladiatorenkämpfen in Erscheinung treten. Teils wurden die Spiele zur Einweihung eines gestifteten Gebäudes oder einer Statue durchgeführt,701 teils wurden die Spiele aber auch als eigenständige Euergesien initiiert, nicht selten in Kombination mit anderen Gaben. Erstere Fälle finden sich meist in Form der entsprechenden Bau- oder Weihinschriften, letztere treten dagegen in Ehreninschriften, die den Euergeten für ihre Wohltätigkeit danken, oder in Grabinschriften auf, in welchen diese selbst auf ihre Leistungen zu Lebzeiten hinweisen. So ließ etwa Caius Herennius Philon, der sevir der Regio Lepidi, wiederholt Augustale und sevir Augustalis in Reate gewesen war und beachtliche 92 Jahre gelebt hatte, auf seinem Grabstein festhalten, dass er den cives an vier Tagen Kämpfe mit fünf Paar Gladiatoren sowie crustulum et mulsum geboten hatte.702 Der sevir Augustalis Marcus Helvius Anthus hatte viertägige Spiele veranstaltet sowie an diesen vier Tagen

699

AE 1922, 89: M(arcus) Allius Alli Atti proc(uratoris) Au[g(usti) lib(ertus)] / Agenor VIIIvir Aug(ustalis) pon[derarium] / cum ponderibus et men[suris pecunia] / sua loco suo fec(it) et statuis omnium [deorum(?)] / exornavit et dedicatione eius [sportulas et ludos] / quos nemo antea eiusdem ordinis hom[inum dederat] / dedit. 700 Allerdings muss beachtet werden, dass sportulas et ludos ergänzt wurde und die Abhaltung von Spielen und einer Geldverteilung daher nicht gesichert ist. Von einer feierlichen Einweihung kann aber in jedem Fall ausgegangen werden. 701 Z.B. SupIt 18-A, 19. 702 CIL 9, 4168: C(aius) H[e]rennius Philon [VIvir] / Re[gi]o Lepidi iterum Au[gustalis] / e[t] V[I]vir Augustalis Rea[te gladiat(orum)] / par(ia) V q(uadriduo) c(ivibus) dedit et crust(ulum) mu[lsumq(ue) sibi et] / v(ixit) h(oneste) a(nnos) XCII / Fulviae ux{s}ori Treb[…]. Vgl. auch CIL 10, 04913 (Durchführung eines munus), CIL 11, 683 (ludi) und CIL 11, 3905 (ludi).

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gymnasium und für die mulieres freien Eintritt in die Bäder gestiftet. Für diese Euergesien wurden ihm vom ordo decurionum der Stadt auf Bitten des Volkes die ornamenta decurionatus verliehen, woraufhin er sich veranlasst fühlte, zum Dank eine Statue des Ianus Pater anfertigen zu lassen, auf deren Basis diese Details inschriftlich festgehalten wurden.703 Dieses Beispiel zeigt, dass die Veranstaltung von Spielen als Euergetismus geschätzt und honoriert wurde und daher ein wirkmächtiges Instrument sein konnte, Ansehen zu gewinnen – in diesem Fall konnte der Stifter sogar durch die Verleihung der ornamenta decurionalia einen höherrangigen Status in der Stadtgemeinschaft erlangen.704 Viele Stiftungen von Statuen und Spielen müssen freilich dahingehend relativiert werden, dass es sich um Leistungen handeln konnte, die anlässlich der Verleihung eines Amtes – in diesem Fall des Sevirats – durchgeführt wurden und in diesen Fällen eher als erwartete und einforderbare Leiturgie denn als freiwilliger Euergetismus zu verstehen sind. 705 Bei den hier zusammengestellten Texten lässt sich für neun eine Stiftung im Zusammenhang mit einem Amt belegen, während für 36 Inschriften kein direkter diesbezüglicher Kontext feststellbar ist. Sieben Inschriften geben Stiftungen wieder, die als Dank für eine erfolgte Ehrung durchgeführt worden waren. Im Vergleich zu Stiftern der munizipalen Oberschicht ist der Anteil der Augustalen, die anlässlich eines Amtsantritts Stiftungen tätigten, erstaunlich gering. Allerdings muss zum einen eingeräumt werden, dass von seviri Augustales durchgeführte Stiftungen kaum losgelöst von ihrem Status und dem Amt des Sevirn gesehen werden können – in ähnlicher Weise wird auch die Stiftung eines Duumvirn immer im Kontext des ausgeübten Amtes wahrgenommen worden sein. Zum anderen gilt wie für Mitglieder der munizipalen Oberschicht, dass ein gewisser Spielraum bestand, welche Leistungen man anlässlich eines Amtsantritts erbringen konnte, und nach oben waren selbstverständlich keine Grenzen gesetzt. So stiftete Lucius Caelius Saturninus aus Italica in Baetica anlässlich des Sevirats eine Statue des Liber Pater und ludi scaenici,706 Caius Iulius Martialis aus Narona, Dalmatia, fügte der anlässlich der Ämter des sevir und magister Mercurialis gestifteten Statue des Augustus und der dreitätigen ludi scaenici noch einen Krug aus einem Pfund und sieben

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AE 1953, 21: M(arcus) Helvius Anthus Lucurg(entinus) / IIIIIIvir Aug(ustalis) edito spec/taculo per quadridu/um ludorum scae/nicorum et dato gym/nasio per eosdem / dies item mulie/ribus balineum gra/tis huic o[rd]o splen/didissimus Lucurgentin/orum petente populo orna/menta decur[i]onatus decrevit / Helvius Anthus ob honorem / statuam Iani Patris cum / basi s(ua) p(ecunia) d(onum) d(edit) / p(oni)q(ue) f(ecit). 704 Zu den ornamenta decurionalia vgl. Mommsen 1952, 456-461. Vandevoorde 2014, 38 unterstreicht die Bedeutung der ornamenta für Freigelassene: „Ornamentis decurionatus honoratus was the crowning phrase of a successful freedman’s epitaph.“ 705 Vgl. Teil 2, Kapitel 1.2. 706 CIL 2, 1108: Libero Patri sacr(um) / L(ucius) Caelius Saturninus / L(uci) Caeli Parthenopaei / lib(ertus) ob honorem IIIIII(viratus) / editis ludis scaenicis / d(onum) d(edit?).

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Unzen Silber hinzu.707 Sextus Quintius Fortunatus ließ anlässlich des Sevirats zusätzlich zur Ausrichtung der üblichen summa honoraria auf Bitten des Volkes einen Altar für Pollux errichten und gab darüber hinaus ein epulum für die cives und incolae sowie ludi circenses.708 Ihm schien es also explizit darum gegangen zu sein, über den Pflichtteil hinaus als freigebiger Euerget wahrgenommen zu werden, und zwar von einem größtmöglichen Teil der Bevölkerung – schließlich bezog er sowohl die Bürger als auch die weiteren Einwohner mit ein, und er konnte zudem durch die Stiftung von Spielen auf die Aufmerksamkeit verschiedenster Bevölkerungsschichten hoffen. Annius Primitivus setzte dagegen anlässlich des Sevirats nicht auf die Veranstaltung der ‚klassischen‘ ludi, sondern organisierte für die Einweihung eines Monuments für Fortuna Augusta nebst einer sportulae-Verteilung weitaus ungewöhnlichere und äußerst öffentlichkeitswirksame Spektakel, nämlich einen Schiffs- und einen Faustkampf.709 Einzelne Augustalen versuchten also, sich durch die Errichtung von Statuen im öffentlichen Raum der Stadt oder durch die Stiftung von Spektakeln und Spielen in der städtischen Öffentlichkeit zu positionieren und auch außerhalb des eigenen ordo Ansehen zu gewinnen. Allerdings kann festgestellt werden, dass die Augustalen bzw. die seviri Augustales ohnehin äußerst präsent im öffentlichen Leben waren. In zahlreichen Stiftungen werden die seviri Augustales neben den Dekurionen als Empfänger von Geldverteilungen oder Festessen genannt und erscheinen somit als zweitwichtigste Gruppe des städtischen Lebens.710 Davon abgesehen dürften sie bei Festen zu Ehren des Kaiserhauses eine zentrale Rolle gespielt haben,711 und Tempel für Mitglieder des Kaiserhauses wurden nicht nur häufig von Augustalen gestiftet, sondern dienten in vielen Fällen als Versammlungsort des ordo.712 Wie stark die Augustalen mit dem öffentlichen Leben der Stadt verknüpft sein konnten, illustriert eine Inschrift aus Misenum: Tullius Eutychus, curator perpetuus der Augustalen, ließ den Augustalen 30.000 Sesterzen zukommen, damit jedes Jahr aus den Zinsen eine Geldverteilung an die Mitglieder stattfinden konnte, und zwar am Jahrestag, an dem Misenum zur Stadt ernannt worden war (natale municipi(i)). Sollten die Augustalen die von ihm verfügten Bestimmungen nicht einhalten, mussten sie die gesamte

707

CIL 3, 1769a: Aug(usto) sacr(um) / C(aius) Iulius Macrini lib(ertus) / Martialis IIIIIIvir m(agister) M(ercurialis) ob / honor(em) idem ludos scaenic(os) / per trid(uum) d(edit) et canthar(um) arc(enteum)(!) p(ondo) |(unciarum septem). 708 CIL 2,7, 28: Sacrum / Polluci / Sex(tus) Quintius / Sex(ti) Q(uinti) Succes/sini lib(ertus) Fortu/natus ob hono/rem VIvir(atus) ex d(ecreto) / ordinis soluta pe/cunia petente po/pulo donum de / sua pecunia / dato epulo ci/vibus et incolis et / circensibus factis / d(edit) d(edicavit). 709 CIL 2, 13: Fortunae Aug(ustae) / sacr(um) / Annius Primitivus / ob honorem / IIIIIIvir(atus) sui / edito barcarum / certamine et / pugilum sportulis / etiam civibus / datis / d(e) s(ua) p(ecunia) d(edit) d(edicavit). 710 Donahue 2004, 125. 711 Herz 1978, 1191. 712 Z.B. AE 1993, 468; AE 1993, 473.

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Summe an die res publica von Misenum übergeben.713 Diese Inschrift zeigt, dass sich die Augustalen nicht nur durch Feste für das Kaiserhaus in das städtische Leben einbrachten, sondern auch dezidiert städtische Feiertage in ihren eigenen Festkanon übernahmen und somit dem municipium eng verbunden waren, selbst wenn die Geldverteilung auf die Mitglieder der Augustalen beschränkt war. Nicht zuletzt die Regelung, dass die städtische Kasse als Empfänger der gestifteten Geldsumme genannt wird für den Fall, dass die Bestimmungen im ordo nicht eingehalten wurden, unterstreicht die Stellung der Augustalen an der Schnittstelle zur bzw. als Teil der städtischen Öffentlichkeit. Goffin stellt für den Euergetismus in Oberitalien fest, dass „[d]ie Qualität der Stiftungen der sexviri augustales […] – von Ausnahmen abgesehen – unter der der führenden ordines [lag]“.714 Für die hier untersuchten Inschriften lässt sich eine sehr große Bandbreite ausmachen was den finanziellen Aufwand der Stiftungen betrifft. Einige eher schlichte Initiativen bestanden lediglich aus der Finanzierung einer Statue und crustulum et mulsum anlässlich deren Einweihung.715 In ein paar Fällen hatten sich sogar mehrere Freigelassene zusammengeschlossen, um die Stiftung zu ermöglichen: Im samnischen Cures Sabini ließen die seviri Augustales Quintus Veranius Asclepiades und Quintus Veranius Sabinus (offenbar Freigelassene desselben Mannes) anlässlich der Dedikation einer Statue für Marcus Aurelius crustulum et mulsum an das Volk verteilen.716 Zwei Freigelassene ließen in Fidenae anlässlich des Sevirats gemeinsam mit einer Frau, die zur Vorsteherin der Bona Dea ernannt worden war, ein Monument für das Numen der domus Augusta errichten und stellten zur Einweihung ein epulum.717

713

AE 1993, 468: (…) cum Tullius Eutychus largissima voluntate sua rem / communem n(ostram) locupletaverit offerendo arcae n(ostrae) / HS XXX m(ilia) n(ummum) cuius summae reditum quod annis pr(idie) Idus / Iunias natale municipi(i) corpori nostro viritim divisio / fiat sitque nobis sollemne hanc benefici(i) eius / largitionem perpetuo conservare / placere itaq(ue) Augustalibus omnib(us) annis pr(idie) Idus Iunias / ex incremento HS XXX m(ilia) nummor(um) Augustalib(us) corporatis / divisionem fieri idque curatores sui cuiusque anni / opservare(!) neve quid aliter curator quisve alius fecisse / referreve neve adversus hoc decretum aliud inter/posuisse sancisseq(ue) velit qui adversus ea curator / Augustalisve quid fecerit fierive passus erit is rei / communi Augustalium HS quinquagenta(!) millia n(ummum) / damnas esto dare sive per Augustales Misenenses / steterit quominus ea quae supra scripta sunt fiant / tum ea HS XXX millia nummorum ad rem publicam / municip(i)um Misenensium pervenire deque ea / re opservanda(!) tabulam aeream inscriptam / incisamve huius decreti in templo nostro / poni ut hanc largitionem eius etiam posteri / perpetuo adgnoscere et frui possint. 714 Goffin 2002, 198. 715 AE 1920, 97: Genio / coloniae / Hebae / Q(uintus) Peternius / Amphio / VIvir August(alis) / d(e) s(ua) p(ecunia) d(edicavit) / idem po(pulo) cru(stulum) / et mul(sum) d(edit); CIL 11, 5222: T(itus) (?) Galerius P(ubli) lib(ertus) / Epaphroditus / VIvir Aug(ustalis) / cuius dedic(atione) crustu[m] / et muls(um) populo ded(it) / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 716 CIL 9, 4957: (…) seviri Augustales / Q(uintus) Veranius Asclepiades / Q(uintus) Veranius Sabinus / qui ob dedicationem eius / decurionibus et populo clustru[m](!) / et mulsum dederun[t] (…). 717 CIL 14, 4057: Numini domus A[ug(ustae)] / Blastus Eutact[ianus et] / Secundus Iuli Quadr[ati] / co(n)s(ulis) II lib(erti) ob honorem V[Iviratus] / et Italia lib(erta) eiusd[em] / ob magis[t]erium

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Neben diesen eher einfachen Stiftungen, die wohl abgesehen von der Errichtung der Statuen718 keine größeren finanziellen Aufwendungen beinhalteten, finden sich jedoch auch Initiativen von Augustalen, die den üppigen Stiftungen der Euergeten der Oberschicht in nichts nachstanden. Marcus Acutius Noetus vermachte der colonia Concordia eine Summe von 300.000 Sesterzen für ludi, möglicherweise eine cena und ein epulum und fügte eine weitere (nicht erhaltene) Geldsumme für die Getreideversorgung hinzu. Darüber hinaus ließ der Sohn des Stifters Teile seiner Erbschaft der Erhaltung der öffentlichen Gebäude zukommen.719 Goffin vermutet, dass die „Aufwendungen der Acutii insgesamt die Millionengrenze überschritten haben dürften.“720 Äußerst beeindruckend sind die in einer dreiteiligen, ungewöhnlich detailreichen Inschrift festgehaltenen Stiftungen des Quintus Cominius Abascantus, curator perpetuus der Augustalen von Misenum, der mit den ornamenta decurionalia ausgezeichnet worden war.721 Aus dem ersten Teil der Inschrift, einer Ehreninschrift für Abascantus, erfahren wir, dass er auf dem Forum Statuen des Genius municipii und der Tutela classis aufstellen ließ, anlässlich deren Einweihung er eine Geldverteilung an die Dekurionen, die Augustalen und die municipes durchführte. Außerdem stiftete er eine Summe von 110.000 Sesterzen an die Dekurionen, damit jedes Jahr an seinem Geburtstag Wein an die Dekurionen und das Volk ausgeschenkt werden konnte, und weitere 20.000 Sesterzen an die Augustalen für eine Geldverteilung, die ebenfalls zu seinem Geburtstag stattfinden sollte. Aus weiteren 10.000 Sesterzen sollte nochmals Wein für die Augustalen gekauft werden. Anlässlich der Dedikation der Statuen ließ Nymphidia Monime, die Frau des Abascantus, eine weitere Geldverteilung an die Augustalen sowie ein Festmahl durchführen.722

B(onae) [D(eae)] / dedicaverunt XIIII K(alendas) Oct[o]b(res) / M(arco) Clodio Lunense […] / et P(ublio) Licinio Crasso co(n)s(ulibus) / quo die et epulum dederunt / incendio consum(p)tum senatus / Fidenatium restituit. 718 Die Kosten für eine Statue konnten sehr stark variieren. Für die afrikanischen Provinzen konnte Duncan-Jones eine Bandbreite von wenigen hundert bis zu mehr als 16.000 Sesterzen ausmachen. Duncan-Jones 1962, 84-90. Die Statuenpreise in Italien dürften laut Duncan-Jones davon nicht wesentlich abgewichen sein. Duncan-Jones 1982, 126. 719 CIL 5, 1897: M(arco) [Ac]utio M(arci) l(iberto) / N[oe]t[o] Aug[u]st(ali) / hi[c test]a[m]ento [c]ol(oniae) / C[oncord(iae) in] ludos [et] in / c[enam(?)] et [i]n epulum / [HS] C[C]C(milia) item / in [levament]u[m] anno[n]ae / H[S …] dari iu[ss]it / pr[aeter]ea quant[u]m / [ex to]ta [he]redit[a]te / s[uperf]ui[t] f(ilius) oper[ib(us)] / [pub]lic[is] inpend[it](!) // [M(arco)] Acu[ti]o / M(arci) lib(erto) No[et]o / [Aug]ust(ali) / hi[c test]am(ento) c[ol(oniae) Co]n/c[ord(iae) et or]dini [in lud(os)] et / in [cenam?] et in [epul]um / H[S] [CCC(milibus) item] / in [levamentu]m a[nnon]ae / H[S …] dar[i iussi]t / pra[eterea f(ilius) q]uant[um e]x / to[ta here]dit(ate) s[uperf]uit / operi[b(us)] publ[icis] / inp[endit](!). 720 Goffin 2002, 200. 721 Zu einer ausführlichen Diskussion der Inschrift vgl. D’Arms 2000b. 722 AE 2000, 344: Q(uinto) Cominio Abascanto / ornament(is) decurionalib(us) / honorato curatori / Augustalium perpetuo / hic statuas duas Geni(i) municipi(i) et / classis Tutelae in foro posuit quarum /

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Der zweite Teil der Inschrift enthält einen Auszug aus dem Testament des Abascantus. Er hinterließ den Augustalen von Misenum 10.000 Sesterzen, aus deren Zinsen die von ihm gestifteten Statuen des Genius municipii und der Tutela classis jährlich gereinigt, gesalbt und mit Blumen geschmückt werden sollten. Außerdem sollte jährlich am Totengedenkfest der Parentalien am Grab des Abascantus ein Kampf mit zehn Paar Ringkämpfern stattfinden, sowie Blumenschmuck niedergelegt und Nardenöl ausgegossen werden. Im triclinium am Grab sollte ebenfalls an den Parentalien ein Festmahl für den Magistrat und die curatores Augustalium ausgerichtet werden, wobei auch ein Opfer für den Verstorbenen durchgeführt werden sollte. Darüber hinaus finden sich Verfügungen zur Instandhaltung des Grabes.723 Der dritte Teil der Inschrift gibt einen Beschluss der Augustalen wieder, in welchem die Frau des Abascantus in das Kollegium aufgenommen wurde724 – ein bisher einmaliger Beleg für eine adlectio einer Frau zu den Augustalen.725 Allein die explizit genannten Geldsummen, die Abascantus den Augustalen hinterließ, belaufen sich auf 150.000 Sesterzen, doch war die tatsächlich investierte Summe weitaus höher: Für die Geldverteilung, die anlässlich der Einweihung der beiden Statuen stattfinden sollte, darf man eine Summe von 1.200 Sesterzen annehmen;726 hinzu kommen die

dedicatione decurionib(us) sing(ulis) HS XX n(ummum) / Augustalib(us) corporatis HS XII iis qui / in corpore non sunt HS VIII ingenuis / corporatis HS VI municipib(us) HS IIII dedit / praeterea HS CX m(ilia) n(ummum) decurionib(us) / in mulsatione ipsorum et populi / XVI K(alendas) Ianuar(ias) die natalis sui itemque / Augustalib(us) corporatis HS XX m(ilia) n(ummum) dedit / uti ex incremento earum summar(um) / quod annis die supra scripto / divisio fieret ex forma ipsius / et hoc amplius HS X(milia) n(ummum) in conparatione / vini eisdem Augustalib(us) largitus dedit / Nymphidia Monime coniugi optimo / cuius dedicatione Augustalib(us) corporatis / viritim HS VIII n(ummum) et epulum dedit // (…). 723 Ebd.: (…) Quod constabat Cominium Abascantum testamento institu/isse heredem Nymphidiam Monimen legasseque Augustalib(us) / corporatis Misenensium sestertia decem milia nummorum / (…) et ex reditu{s} pequniae(!) erogaturos quod annis ut infra scriptum est / simulacris Geni(i) municipi(i) et classis Tutelae tergendis ungendisq(ue) […] | quoq(ue) ex HS IIII n(ummum) item viola exornandis HS XVI n(ummum) itemq(ue) rosa or/nandis HS XVI n(ummum) et ad cepotafium meum quod annis die Parenta/liorum luctatorib(us) paribus decem in eo loco victoribus sing(ulis) HS VIII / superatis sing(ulis) HS IIII n(ummum) oleum HS XVI n(ummum) vernis HS LX n(ummum) conducto/ri harenae HS VIII n(ummum) sepulcro exornando viola HS XVI item ro/sa HS XVI n(ummum) et super reliquias meas nardum p(ondo) libra HS XXIIII [ef]/fundi et epulari volo magistratus qui tunc erunt ea die in triclin(i)o quod est super sepulcrum et curatores Augustali/um qui tunc erunt inpendique HS C n(ummum) et ea die sacrificio / mihi faciundo HS LX n(ummum) (…). 724 Ebd.: (…) placere Augustalibus Nymphidiam Monimen in / corpore nostro adlegi eique sportulas dierum / sollemnium ac divisiones quas viritim ac/cipimus dari. 725 D’Arms 2000b, 129 und 143. 726 Da explizit darauf hingewiesen wird, dass die Verteilung am Geburtstag auf die gleiche Weise stattfinden sollte, wie diejenige zur Einweihung der Statuen, müssen die Gesamtsummen identisch sein. Die für die jährliche Verteilung am Geburtstag investierte Geldsumme von 200.000 Sesterzen wurde wohl zu 6% verzinst, womit sich der zu verteilende Betrag auf 1.200 Sesterzen beläuft. Zur Verzinsung vgl. ebd., 133.

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Finanzierung der Statuen, für die D’Arms eine Summe in der Größenordnung von 10.000 Sesterzen veranschlagt,727 sowie die Geldverteilung und das Festmahl, die von seiner Frau anlässlich der Dedikation initiiert wurden, deren Kosten sich allerdings nicht mehr genau ermitteln lassen. Die Ausgaben lagen damit zwar unter denen der Acutii in Concordia, doch insbesondere die ausführlichen Bestimmungen zur Begehung des Totengedenkfestes sind in dieser Form äußerst ungewöhnlich – D’Arms merkt an, dass sie an die „flamboyant funerary provisions of Trimalchio“ erinnern.728 Die Stiftungen des Abascantus zeichnen ein anschauliches Bild, mit welchen verschiedenen Mitteln ein wohlhabender Freigelassener versuchte, seinen Status in der Stadtgemeinschaft zu demonstrieren, sein Ansehen als spendabler Gönner zu erhöhen und sein Andenken weit über seinen Tod hinweg zu sichern. Dass derartige Versuche, die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen, sich durchaus auszahlten, zeigen zahlreiche Ehrenstatuen, die für Augustalen in Anerkennung ihrer Leistungen für das Allgemeinwesen errichtet worden waren. Einige Ehrungen wurden von den Augustalen selbst für verdiente Mitglieder durchgeführt: So zeigten sich die Augustalen von Puteoli ihrem curator perpetuus Lucius Licinius Primitivus erkenntlich für seine nicht näher spezifizierte munificentia sowie die redliche Ausführung der geschäftlichen Angelegenheiten. Der Geehrte nutzte daraufhin die Gelegenheit, anlässlich der Einweihung der Statue seine Freigebigkeit erneut unter Beweis zu stellen, und organisierte eine Geldverteilung und ein Festmahl, wobei er beides an der Feier für Dis Pater nochmals wiederholte.729 Die Augustalen von Reate errichteten eine Statue für ihren Patron und quinquennalis perpetuus Titus Fundilius Geminus, der 20.000 Sesterzen für ein jährliches Festmahl an seinem Geburtstag gestiftet hatte.730 Der Stifter wurde also nicht nur auf Initiative der Augustalen mit einer Statue geehrt, sondern er stellte durch das Festmahl sicher, dass er in einer jährlichen Feier im ordo Augustalium präsent blieb. Zudem handelte es sich bei Geminus um eine Person, die über die Augustalen hinaus von Bedeutung im öffentlichen Leben war. Hiervon zeugt auch, dass er bei seinen Stiftungen anlässlich der Statuendedikation verschiedene Gruppen berücksichtigte:

727

Ebd., 134. Ebd., 128. 729 CIL 10, 1881: Dedicat(a) III K(alendas) Aug(ustas) / Pudente et Orfito / co(n)s(ulibus) // L(ucio) Licinio / Primitivo / ornamentis decurion(alibus) / honorato / curatori Augustal(i) perp(etuo) / Augustales corpor(ati) / ob perpetuam et plurifariam / munificentiam eius et quod / res negotiaque eorum / integre administret / cuius dedic(atione) decurionibus / sing(ularibus) HS XII Augustalib(us) HS VIII ingenuis / et veteran(orum) corp(oratis) HS VI municipib(us) HS IIII n(ummum) / et epulum decurionib(us) et Augustalib(us) ded(it) / item pr(idie) Idus Febr(uarias) die pervigilii dei patrii / alterum tantum dedit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 730 CIL 9, 4691: T(ito) Fundilio Gemino / VIvir(o) Aug(ustali) mag(istro) iuv(enum) / Augustales / patrono et quinq(uennali) perpetuo / optime merito / hic arcae Augustalium se vivo / HS XX(milia) dedit ut ex reditu eius summae / die natali suo IIII K(alendas) Febr(uarias) / praesentes vescerentur / et ob dedicationem statuae / decurionib(us) et seviris et iuvenib(us) sportulas / et populo epulum et oleum / eadem die dedit. 728

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Er ließ sportulae an die Dekurionen, seviri und iuvenes, deren Magister er war, verteilen und gab dem Volk ein epulum und Öl. Auch zwei Inschriften aus Ostia belegen die Errichtung von Ehrenstatuen auf Beschluss der Augustalen.731 Als Dank für die Statue zahlte der Geehrte, wie aus der ersten Inschrift hervorgeht, 50.000 Sesterzen in die Kasse der Augustalen ein, aus deren Zinsen der Schmuck der Statue und eine Geldverteilung an seinem Geburtstag finanziert werden sollten. Außerdem stiftete er sportulae zur Einweihung der Ehrenstatue.732 Die zweite Inschrift belegt die Aufstellung einer Ehrenstatue als Dank für die Stiftung von 50.000 Sesterzen – 10.000 Sesterzen waren dabei offenbar als summa honoraria für die cura des Sextus Horatius Chryserotianus gedacht, bei dem es sich möglicherweise um den Sohn des Stifters handelte, während die Zinsen der restlichen 40.000 Sesterzen ebenfalls für den Statuenschmuck und eine Geldverteilung am Geburtstag des Euergeten verwendet werden sollten. Dieser Stifter zeigte sich ebenfalls für die Ehrenstatue mit einer weiteren Geldverteilung erkenntlich.733 Die in beiden Inschriften etablierten Stiftungen zur jährlichen Geburtstagsfeier wurden als wohltätige Euergesien wahrgenommen und nicht als Versuche, durch die Feier eines persönlichen Festtags die eigene Person in den Mittelpunkt zu stellen. Im ersten Fall lässt sich die Stiftung als Reaktion auf die Ehrung charakterisieren, im zweiten Fall dagegen als ausschlaggebender Euergetismus, mit dem die Errichtung der Ehrenstatue begründet wurde. Beide Stifter beschränkten die jährliche sportulae-Verteilung am Geburtstag auf die jeweils anwesenden Augustalen (inter praesentes (…) dividatur), während die Geldverteilung anlässlich der Statuendedikation sowohl an die Dekurionen als auch an die Augustalen gerichtet war und damit eine größere Öffentlichkeit miteinbezog. Dabei fällt auf,

731 Genannt werden der [ordo Augusta]/[lium] (CIL 14, 431; allerdings ergänzt) bzw. die seviri Augustales (CIL 14, 367). 732 CIL 14, 431: […]NIEI[…] / [… honorato i]mmuni at[que curatori] / [corp(oris) traiectus] Rusticeli huic [ordo Augusta]/[lium statu]am decrevit et int[er bisel]/[lari]os(?) adlegit isque hono[re conte]/[ntus] HS L m(ilia) n(ummum) arcae eorum [intulit] / excepta stipulatione ut ex usuris […]M II s(ummae) s(upra) [s(criptae)] / quodannis Idibus Iuni(i)s natali suo in [c]onventu / inter praesentes hora II usque ad asse(m) dividatur / deducta ornatione statuae HS C n(ummum) (…) ob cuius dedicationem dedit / sportulas decurionib(us) |(denarios) III et Augustalibus |(denarios) V / curante Q(uinto) Veturio Felicissimo lib(erto) / sevir(o) Aug(ustali) q(uin)q(uennali) et curatore ordinis eiusdem. 733 CIL 14, 367: P(ublio) Horatio / Chryseroti / seviro Augustal(i) idem / quinq(uennali) et immuni Larum Aug(usti) / ex s(enatus) c(onsulto) seviri Augustales statuam / ei ponendam decreverunt quod / is arcae eorum HS L m(ilia) n(ummum) dederit / ex qua summa HS X m(ilia) n(ummum) ob honorem curae / Sex(ti) Horati Chryserotiani et reliquorum(!) / HS XL m(ilia) n(ummum) excepta stipulatione(!) ex usuris / semissibus et m(ilia?) II s(ummae) s(upra) s(criptae) quodannis Idib(us) Marti(i)s / natali suo inter praesentes hora II usque / ad asse(m) dividiatur deducta ornatione statu(a)e / et familiae Augustal(ium) HS C n(ummum) (…) ob cuius dedicatione(m) dedit / decurionibus |(denarios) V et Augustalibus |(denarios) V / isque honore sibi habito sumptum sta/tuae ordini Augustalium remisit // Dedic(atum) / XV Kal(endas) [Ia]nu[ar(ias)] / Mamertino et Rufo / co(n)s(ulibus).

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dass der Stifter in der ersten Inschrift aus Ostia den Augustalen eine größere Summe zukommen ließ als den Dekurionen, der Stifter in der zweiten Inschrift bedachte hingegen beide Gruppen mit einer identischen Summe. Beide Vorgehensweisen sind eher ungewöhnlich – in der Regel bekamen die Dekurionen größere Anteile als die Augustalen.734 Offenbar wollte der Stifter im ersten Fall seiner Wertschätzung für die Augustalen besonderen Ausdruck verleihen, indem er sie bei der Geldverteilung bevorzugt behandelte, während der zweite Euerget nicht ganz so weit ging: Er stellte zwar die Dekurionen nicht wie üblich über die Augustalen, glich aber dafür die Summe der Augustalen an die der Dekurionen an und deutete damit an, dass er beide Gruppen als gleich bedeutend empfand.735 Da sich die Euergesien einiger Augustalen wie dargelegt nicht auf den ordo beschränkten, verwundert es nicht, dass Ehrungen für die Wohltäter ebenfalls nicht nur auf augustaleninterne Initiativen zurückgingen. So errichtete das collegium aeneatorum (Verein der Tuba-/Hornbläser) eine Herme für den sevir Augustalis Publius Antonius Callistio als Dank für seine Verdienste. Dies geschah wohl auf Betreiben eines gewissen Thallusa, der als Kamerad (contubernalis) des Geehrten bezeichnet wird und zur Einweihung sportulae stiftete sowie 1.000 Sesterzen, aus deren Zinsen ein jährliches Opfer und die Erhaltung der Herme finanziert werden sollten.736 Sowohl die vage Formulierung ob merita, die andeutet, dass Antonius Callistio sich im Verein verdient gemacht hatte, als auch die Bezeichnung des Thallusa als seinen Kameraden lassen vermuten, dass der Geehrte selbst in diesem collegium aktiv war. Engagierten sich die Augustalen hingegen in der städtischen Öffentlichkeit, war es auch keine Seltenheit, dass sie vom ordo decurionum, von den Bürgern oder der plebs geehrt wurden. Der sevir Augustalis und Spielegeber Marcus Gellius Servandus wurde etwa für seine Verdienste mit einer Statue geehrt, die aus einer Geldsammlung unter den Dekurionen, Augustalen und Dorfbewohnern finanziert wurde. Er zeigte sich für diese Ehre erkenntlich, indem er der öffentlichen Kasse 5.000 Sesterzen zukommen ließ, aus deren Zinsen jährlich an seinem Geburtstag eine Geldverteilung unter diesen drei Gruppen durchgeführt werden sollte und außerdem Kränze für die Statue gekauft werden sollten.737

734

Donahue 2004, 125. Zu den Implikationen, die mit den Entscheidungen für bestimmte Verteilungsmodi verknüpft waren, vgl. Teil 2, Kapitel 5.2. 736 AE 1991, 823: Coll(egium) aen(eatorum) / P(ublio) Antonio / Callistioni / VIvir(o) Aug(ustali) / ob merita / Thallusa c(on)t(ubernalis) / eius sportul(is) / dedicav(it) / et in tutell(am!) / ded(it) HS |(mille) ex quor(um) usur(is) / III Id(us) Febr(uarias) / quoadannis / sacrificet / q(uaestor?) q(uis)q(uis?). 737 AE 1954, 168: M(arco) Gellio Servando / seniori seviro August(ali) / municipio Capen{e}(atium) foederato(rum) / ludos edenti ob merita / eius collatione facta decurionum / et Augustalium item vicanorum / hoc(!) honorem sibi oblatum HS V m(ilia) n(ummum) / in aerarium r(ei) p(ublicae) C(apenatium) f(oederatorum) contulit ut ex eo die na/tali sui V K(alendas) Apr(iles) de |(denariis) LXXV usure decurio/nibus et August(alibus) et vicanis dividatur prae/sentibus et ex ea divisione iubeo 735

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Die municipes von Tuficum ehrten den Augustalen Lucius Tifanius Felix, der mit den ornamenta decurionalia in Tuficum und Septempedanus ausgezeichnet worden war und zudem das Patronat des collegium fabrum ausübte, als Dank für die Veranstaltung eines munus gladiatorium und eines Festmahls für alle (universos). Für die Errichtung der Ehrenstatue zeigte der Geehrte sich wiederum erkenntlich mit einer Geldverteilung an die Dekurionen und die übrigen Bewohner beiderlei Geschlechts.738 Auch Caius Titius Chresimus ließ Gladiatorenkämpfe auf eigene Kosten veranstalten und wurde dafür vom ordo decurionum mit einem bisellium geehrt;739 ebenso der Augustale Lucius Cocceius Castor aus Telesia.740 Der mit den ornamenta decurionalia ausgezeichnete sevir Augustalis Caius Messius Zosimus wurde von den Dekurionen und der plebs urbana für seine Verdienste mit einer Statue bedacht und bedankte sich mit einer Geldverteilung, Festmählern und einer Fleischverteilung.741 Es fällt auf, dass die öffentlichen Ehrungen, die entweder vom ordo decurionum, den municipes oder der plebs durchgeführt worden waren, fast ausschließlich an Augustalen gerichtet waren, die offenbar einen außerordentlichen Status innehatten: Entweder waren sie bereits mit den ornamenta decurionalia ausgezeichnet worden, oder sie wurden mit besonderen Ehrungen bedacht, die auf ihr großes Prestige schließen lassen, wie einem bisellium. Bei den Augustalen, die für ihr Engagement in der Stadtgemeinschaft geehrt worden waren, scheint es sich also um angesehene Mitglieder der lokalen Elite gehandelt zu haben. Doch auch bei den oben diskutierten Stiftungen, die von den Augustalen selbst initiiert wurden, zeigt sich, dass die Augustalen auf vielfältige Weise in das städtische Leben ein-

statuae / meae coronas emi |(denariis) III (…). Der Wechsel zur 1. Person Singular bei iubeo könnte darauf hinweisen, dass es sich hier um einen Auszug aus dem Testament des Gellius Sevandus handelte. 738 CIL 11, 5716: L(ucio) Tif[anio L(uci) l(iberto)] / Felici A[ug(ustali) honor(ato)] / orname[ntis decur(ionalibus) in] / municip(iis) T[uficano] / et Septempe[d(ano) patrono] / collegi(i) fabr(um) m[unicipes] / Tuficani mer[enti ob] / editionem mune[ris gla]/diatorii quod pro [salute] / [[[I]mp(eratoris) Comm[odi] An[tonin]i]] / Aug(usti) ex pecunia sua edidi[t] / et mox honesta epulatione / universos sit prosecutus / cuius dedicat(ione) decurion(ibus) / sing(ulis) HS VIII n(ummum) et ceteris / utriusque sexus HS IIII n(ummum) dedit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 739 CIL 10, 4760: C(aio) Titio / Chresimo Aug(ustali) II / huic ordo decurionum / quod pro salute et indulgen/tia Imp(eratoris) Antonini Pii Felicis Aug(usti) / et ex voluntate populi munus / familiae gladiatoriae ex pecunia / sua diem privatum secundum digni/tatem coloniae ediderit honorem / biselli quo quis optimo exemplo in / colonia Suessa habuit (…). 740 CIL 9, 2249: [D(is)] M(anibus) s(acrum) / [L(ucio) Cocc]eio Castori August(ali) / [et bis]ell(iario) Telesiae edent(i) / [diem p]riv(atum) muner(e) famil(iae) glad(iatoriae) Teles(inae) / [orn(ato?) ho]nor(e) biselli(i) (…). 741 CIL 11, 5965: [C(aio) M]essio C(ai) lib(erto) / Zosimo / [sevir]o Augustali hic / [et Foro] Semproni orna/[mentis] decurionalibus ab / [ordine] Pit(inatium) Merg(entinorum) honorato / [decuri]ones et plebs urban(a) / ob merita / [cuius d]edicatione decurionibus / [sing]ulis HS XII plebeis / [HS … et] epulas dedit et / [vis]cerationem.

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gebunden sein konnten. Sie konnten nicht nur in diversen Kollegien aktiv sein und somit über weitreichende soziale Netzwerke verfügen, sondern es lässt sich zudem eine starke Präsenz in der Öffentlichkeit (z.B. bei Festen wie der Stadtwerdung Misenums) sowie ein enger Bezug zum ordo decurionum belegen – etwa durch die Auszeichnung von Mitgliedern mit den ornamenta decurionalia oder der häufigen Berücksichtigung sowohl der Dekurionen als auch der Augustalen als Empfänger von Geldverteilungen. Auch wenn einige eher bescheidene Initiativen von Augustalen überliefert sind, lässt die Mehrzahl der Belege zumindest auf den ersten Blick vermuten, dass der ordo Augustalium mit Alföldy eher als Teil der städtischen Elite zu sehen ist denn als munizipale Mittelschicht. Freilich darf nicht vergessen werden, dass die Gesamtzahl der überlieferten Belege für Stiftungen der Augustalen mit 47 Stück im Vergleich zu den 251 Stiftungen aus Kreisen der munizipalen Oberschicht äußerst gering ausfällt; selbst wenn die 130 Inschriften aus dem afrikanischen Raum, in dem Augustalen nicht belegt sind, herausgenommen werden, bleiben mehr als doppelt so viele Belege für Mitglieder der munizipalen Oberschicht. Außerdem fällt auf, dass ein Großteil der Stiftungen, die von Augustalen getätigt wurden, äußerst hochstehende und wohlhabende Stifter vermuten lassen: Vier Stifter waren mit den ornamenta decurionalia ausgezeichnet, drei mit einem bisellum geehrt worden. In 21 der 47 Inschriften wurden ludi oder Gladiatorenkämpfe finanziert, weitere drei zeugen außerdem von großen Bauprojekten (zwei Thermen und ein Tempel). Es scheint sich hier also um die absolute finanzielle und soziale Elite unter den Augustalen gehandelt zu haben, von denen aufgrund ihres außergewöhnlichen Wohlstandes und ihres hohen Ansehens sicherlich in ähnlicher Weise wie von der munizipalen Oberschicht erwartet wurde, dass sie sich als Wohltäter für die Stadtgemeinschaft engagierten. Ein Rückschluss auf die Gesamtheit der Augustalen und deren Stellung erscheint anhand dieser Quellen problematisch.

1.5. Weitere Freigelassene Abgesehen von den Augustalen, die wohl überwiegend libertiner Herkunft waren, wurden hier noch Stiftungen von weiteren 13 Freigelassenen aufgenommen, von denen sieben als kaiserliche liberti identifizierbar sind. Zudem lässt sich bei sechs Personen ein Status als Freigelassener zumindest annehmen. Über vier dieser sechs Personen wissen wir, dass sie mit den ornamenta decurionalia ausgezeichnet wurden, was die Vermutung nahelegt, dass es sich um Freigelassene handelte, die nicht regulär dem ordo der Dekurionen beitreten konnten.742 Die übrigen zwei stehen in einem Zusammenhang mit einem collegium, des-

742

CIL 10, 4643; CIL 11, 126 und 6378; EAOR 4, 31.

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sen Mitgliederzusammensetzung einen libertinen Hintergrund vermuten lässt.743 Die Inschriften stammen allesamt aus Italien. Obwohl es Freigelassenen verwehrt blieb, im Rahmen des cursus honorum Teil der städtischen Elite zu werden, versuchten sie auf verschiedene Weise, sich gesellschaftlich zu distinguieren. Zum einen bot die Mitgliedschaft bei den Augustalen oder in einem Verein die Möglichkeit, sich in der Stadtgemeinschaft zu profilieren. Zum anderen versuchten viele Freigelassene, ihr Ansehen durch die Errichtung einer Statue für Gottheiten oder einen Patron zu steigern, indem sie so erreichten, dass sie selbst in der beigefügten Inschrift genannt wurden. Annius Protus verfügte etwa in seinem Testament, dass eine Statue der Fortuna Augusta im Wert von 22.000 Sesterzen aufgestellt werden sollte, was schließlich von den Töchtern seines Mitfreigelassenen Hilarus umgesetzt wurde. Diese beiden Frauen fügten aus eigener Tasche noch 4.400 Sesterzen für die Errichtung eines Tempels hinzu und ließen anlässlich der Einweihung der Statue ein Festmahl ausrichten.744 Der Freigelassene Eutyches versuchte, sich durch eine Ehrung für seinen Patron, den centurio Caius Ligustinius Disertus, für welchen er eine Statue errichten ließ, hervorzutun. Anlässlich der Einweihung ließ er crustulum et mulsum an die Dekurionen und das Volk verteilen.745 Eutyches bezweckte offenbar, durch die Ehrung seines Patrons zugleich auf die eigene Ergebenheit und Treue hinzuweisen und dafür auch für sich etwas Ansehen zu beanspruchen. Zudem ließ er sich selbst durch seine Nennung in der Inschrift verewigen. Nicht zuletzt stand er sicherlich bei der Einweihung der Ehrenstatue durch die von ihm finanzierte Verteilung von Kuchen und Wein im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, auch wenn sich die Statue wahrscheinlich nicht so prominent und wirkungsvoll in das Stadtbild einfügte746 wie die von Protus gestiftete Fortuna-Augusta-Statue. Auch die Verteilung von crustulum et mulsum kommt wohl nicht der Außenwirkung eines Festmahls gleich, wie das von den Töchtern des Hilarus gestiftete epulum. Die Stiftung des Eutyches erscheint zwar in einem etwas kleineren Maßstab als die des Protus; die Mittel und Wege, um Pres-

743

CIL 10, 444 (collegium Silvani); CIL 14, 246 (ungenanntes collegium, unter deren Mitgliedern sich zahlreiche Freigelassene befinden). 744 CIL 8, 17831: Fortunae Aug(ustae) / Anniae M(arci) fil(iae) Cara flaminica et Tranquilla statuam quam / testamento suo Annius Protus ex HS XXII(milibus) legave/rat pecunia Proti et Anni Hilari patris sui / comparatam posuerunt et adiecta de suo ae/de ex HS IIII(milibus) CCCC dedicaver(unt) epulo curiar(um) d(ecreto) d(ecurionum). 745 CIL 11, 5960: C(aio) Ligustinio / C(ai) f(ilio) Clu(stumina) Diserto / |(centurioni) leg(ionis) XX V(aleriae) V(ictricis) / |(centurioni) leg(ionis) IIII Scythicae / item |(centurioni) leg(ionis) XX V(aleriae) V(ictricis) / evocato Aug(usti) / benef(iciario) praef(ecti) praet(oriae) / Eutyches lib(ertus) / patrono optimo / ob merita / cuius dedicatione / decurionib(us) et plebei / crus[tu]lum et mulsum / dedit. 746 Wahrscheinlich wurde diese Statue nicht auf öffentlichem Grund errichtet, da ein diesbezüglicher Beschluss der Dekurionen in der Inschrift nicht erwähnt wird. Der Einbezug der Dekurionen und des Volks zur Einweihung lässt jedoch zumindest zu diesem Anlass einen öffentlichen Kontext erkennen.

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tige zu gewinnen und das eigene Andenken zu sichern, sind aber letztlich durchaus vergleichbar. Dem decurio ornatus Lucius Publicius Italicus standen offenbar größere finanzielle Mittel zur Verfügung, um langfristig in Erinnerung zu bleiben. Er stiftete dem collegium fabrum von Ravenna 30.000 Sesterzen zur Finanzierung einer jährlichen sportulae-Verteilung anlässlich der Feier der Neptunalien, die im ebenfalls von ihm gestifteten Neptuntempel stattfinden sollte. Außerdem sollten die Dekurionen „seiner 28. Dekurie“ – offenbar waren die fabri in Ravenna in Dekurien organisiert747 – jedes Jahr die Grabmäler seiner Familienmitglieder mit Rosen schmücken, Opfer darbringen und am Grab speisen.748 Einerseits stellte er auf diese Weise sicher, dass die Totengedenkfeiern für ihn und seine Familie gebührend mit den zu einem derartigen Anlass üblichen festlichen Handlungen (Opfer, Blumenschmuck, Festmahl) am Grab begangen wurden. Andererseits nutzte er geschickt die – hier wohl mit dem Totengedenken in Verbindung stehende749 – Feier der Neptunalien, um mit einer Geldverteilung im Tempel an sich selbst als Stifter jedes Jahr erneut zu erinnern. Er dürfte damit sichergestellt haben, dass er noch lange im Gedächtnis der Vereinsmitglieder und insbesondere „seiner“ Dekurie lebendig blieb – ganz abgesehen von all den Menschen, die ebenfalls den Neptuntempel besuchten, an dem er sicherlich zusätzlich durch eine Bauinschrift verewigt worden war.750 Die Stiftungen der kaiserlichen Freigelassenen, die im Folgenden vorgestellt werden, zeichnen sich durch auffallend ausführliche Inschriften und aufwändige Initiativen aus, was wohl dem vergleichsweise hohen Status vieler dieser Personen zuzuschreiben ist. Die in einer Grabinschrift festgehaltene, äußerst schlichte Stiftung von 2.000 Sesterzen an die seviri Augustales zur Geburtstagsfeier des Stifters Marcus Ulpius Granianus und dessen Frau Casperia Rufina stellt dabei eher die Ausnahme dar.751 Weitaus üppiger fallen die

747

Liu 2009, 132. CIL 11, 126: Flaviae Q(uinti) f(iliae) Salutari coniugi / rarissimae L(ucius) Publicius Italicus dec(urio) orn(atus) / et sibi v(ivus) p(osuit) hic coll(egio) fabr(um) m(unicipii) R(avennatis) HS XXX(milia) n(ummum) vivus dedit ex quor(um) / reditu quod annis decurionib(us) coll(egii) fabr(um) m(unicipii) R(avennatis) in aede Nept(uni) / quam ipse extru{c}xit die Neptunaliorum praesentibus sport(ulae) |(denarii) bini dividerentur / et dec(urionibus) XXVIII suae |(denarii) centeni quinquageni quodannis darentur ut ex ea summa sicut / soliti sunt arcam Publiciorum Flaviani et Italici filiorum et arcam in qua posita est Flavia / Salutaris uxor eius rosis exornent de |(denariis) XXV sacrificentque ex |(denariis) XII s(emis) et de reliq(uis) ibi epulentur / ob quam liberalitatem coll(egii) fabr(um) m(unicipii) R(avennatis) inter bene meritos quodannis rosas Publiciis supra s(criptis) / et Flaviae Salutari uxori eius mittendas ex |(denariis) XXV sacrificiumque faciundum de |(denariis) XII s(emis) / per magistros decrevit. 749 Vgl. Teil 2, Kapitel 3.4. 750 Diese ist jedoch offenbar nicht erhalten. 751 CIL 6, 29736: D(is) M(anibus) s(acrum) / M(arcus) Ulpius Augg(ustorum) lib(ertus) Grania/nus et Casperia Rufina fece/runt sibi libertis libertabus/que qui vixer(unt) inter se ann(os) / XX sine ulla vile hoc amplius nu/meraverunt arkae(!) sevir(um) Augustaliu(m) / HS ||(milia) m(ilia) n(ummum) ut 748

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Aufwendungen des Caius Iulius Narcissus aus, der der öffentlichen Kasse 10.000 Sesterzen für Wettkämpfe zukommen ließ und den sacerdotes, honorati und decuriones wiederholt ein cenaticum (Geld für eine Mahlzeit) gab, nicht zuletzt anlässlich der Einweihung von anscheinend ebenfalls von ihm finanzierten, aber nicht näher spezifizierten imagines. Iulia Egloge, seine eigene Freigelassene und zugleich seine Gefährtin, tat es ihm gleich, indem sie ebenfalls 10.000 Sesterzen stiftete und mehrfach ein cenaticum spendierte.752 Cnaeus Domitius Polycarpus und seine Frau Domitia Europes, beide wahrscheinlich Freigelassene der Domitia Longina,753 ließen in Gabii zu Ehren der domus der Domitia Augusta einen Tempel samt Statuen und Kultausstattung errichten, wie aus einer langen Inschrift hervorgeht, die Teile des offiziellen Dekurionenbeschlusses wiedergibt. Darüber hinaus übergaben sie den decuriones und den seviri Augustales 10.000 Sesterzen, damit aus den Zinsen dieser Summe jährlich der Geburtstag der Domitia mit einer öffentlichen Geldverteilung an die Mitglieder dieser beiden ordines begangen werden konnte, die zu diesem Anlass ein Festmahl abhielten. Außerdem fügte Polycarpus weitere 5.000 Sesterzen zur Erhaltung des Tempels hinzu.754 Das Stifterpaar hatte offenbar ein großes In-

diebus natalis Idib(us) / Iuni(i)s Rufines viri V et mulieres eorum / et Graniani Kal(endis) Iul(iis) eadem natali ad / exemplum semni. 752 CIL 6, 9044: C(aius) Iulius Aug(usti) l(ibertus) / Narci[ssus] a specularis decu[r(io) in] / sac[erdotio in a]rcam publicam o[b] / cert[amina(?) c]ontulit HS X(milia) et cena/ticum dedit sacerdotibus et hono/[ra]tis et decurionib[us] duplum item / [ob de]dication(m) imaginis suae cenati/[cu]m duplum dedit huic sacer/dotales decuriones decreverunt / uti Iu[lia Egl]oge contubernalis / eius [in numer]o decurionum / recit[aretur] // Iu[lia] / Narcis[si l(iberta) Egloge] / huic sacer[dotales decuriones] / in honore[m Narcissi decurio] / natum grat[uitum decreverunt] / honore ac[cepto sacerdotibus] / et honorat[is et decurionibus] / cenaticum [duplum dedit et HS X(milia)] / in sacerdo[tio ob certamina(?)] / in arcam [publicam contulit et] / sacerdotib[us et honoratis] / [e]t decurion[ibus cenaticum duplum] / [de]dit et plebi [ob dedicationem imaginis] / [i]tem sacerd[otibus et honoratis et] / de[curio]nib(us) cenat [duplum dedit]. 753 Davies 2000, 104. 754 CIL 14, 2795: In honorem memoriae domus Domitiae Augustae Cn(aei) Domiti Corbulonis / fil(iae) Domitii Polycarpus et Europe loc(o) dat(o) decreto ordinis decur(ionum) aedem / fecerunt et exornaverunt statuis et reliquis rebus pecunia sua eiusdem/que tutelam in perpetuum rei publicae dederunt sub inscriptione infra scripta / Imp(eratore) Caes(are) T(ito) Aelio Hadriano Antonino Aug(usto) Pio III M(arco) Aelio Aurelio Caes(are) co(n)s(ulibus) VIIII K(alendas) Maias Gabi(i)s in municipio in curia Aelia Augusta scribendo atfuit(!) universus ordo / decurionum referentibus L(ucio) Vipstano L(uci) f(ilio) Cl(audia) Publicola Messalla L(ucio) Setrio L(uci) f(ilio) Pal(atina) Prisco IIIIvir(is) q(uin)q(uennalibus) Cn(aeum) Domitium Polycarpum nomine suo et Domitiae Europes coniugis suae / offerre ordini decurionum et sevirum Augustalium HS X m(ilia) n(ummum) qu(i) iam pridem extruxisset templum in honorem ac memoriam Domitiae Corbulonis fil(iae) et hoc pietatis suae adfectu / exornet et meliorem faciat ordinem n(ostrum) singulis etiam universisque prodesse festinet at quos ex reditu eius pecuniae fructum semper desideret pervenire confugiendo at / aeternam rem publ(icam) n(ostram) petendo ut secundum exemplum codicillorum Cl(audi) Vitalis stipulatione interposita desiderio suo talis condicio decerneretur ut ex reditu eius pecuniae / III Idus Febr(u)ar(ias) natale Domitiae praesentibus decurionib(us) et sevir(is) discumbentibus in publico aequis portionibus fieret divisio item hoc amplius in tutela et ornationibus / templi HS V m(ilia)

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teresse daran, die Gattin des Domitian, der sie die Freiheit zu verdanken hatten, auf alle ihnen offenstehenden Weisen zu ehren, und waren bereit, dafür eine beträchtliche Summe zu investieren. Ob hinter dieser Stiftung tatsächlich eine echte Verehrung der Domitia stand, ob die beiden Freigelassenen stolz auf ihren neuen Status waren oder ob sie durch diese Stiftung versuchten, sich als kaiserliche liberti in der Stadtgemeinschaft zu positionieren, oder ob all diese Punkte zusammenspielten, lässt sich nicht abschließend entscheiden. Fest steht, dass die ausführliche Inschrift ein beredtes Zeugnis über ihr Engagement für das Kaiserhaus ablegte und dem Ehepaar zugleich selbst zu Ehren gereichte. Werner Eck geht zwar davon aus, dass Freigelassene meist nicht selbst mit einer Statue geehrt werden konnten,755 doch bezeugen einige Ehreninschriften auf Statuenbasen das Gegenteil. Ging das Monument für den Freigelassenen Aulus Sosidius Philinus in Spoletium wohl auf die private Initiative eines Mannes namens Lichas (?) zurück,756 so wurde Marcus Aurelius Sabinianus, ein kaiserlicher Freigelassener und unter anderem Patron der civitas Anagnia, hochoffiziell auf Beschluss des Senats und des Volks von Anagnia mit einer Statue bedacht. Diese Ehrung war offenbar eine Reaktion auf den von Sabinianus finanzierten Wiederaufbau der Thermen. Der Geehrte konnte seine Freigebigkeit bei der Dedikation der Ehrenstatue mit einer Geldverteilung und einem Festmahl erneut unter Beweis stellen.757 Ebenfalls offiziell, und zwar auf Betreiben der plebs von Pisaurum und auf öffentliche Kosten, wurde Caius Valius Polycarpus mit einer Statue geehrt. Dieser Mann war sowohl in Pisaurum als auch im benachbarten Ariminum kein Unbekannter: In beiden Orten war er vom ordo mit den ornamenta decurionalia ausgezeichnet worden und er fungierte ebenfalls in beiden Orten als Patron von verschiedenen Organisationen.

n(ummum) sub eadem condicione inferret q(uid) d(e) e(a) r(e) f(ieri) p(laceret) d(e) e(a) r(e) it(a) c(ensuerunt) / placere universis secundum relationem s(upra) s(criptam) pecuniam accipi praestarique in per(pe)tuum ut celebraretur natalis dies ac memoria Domitiae Corbulonis fil(iae) et ex reditu HS X m(ilia) n(ummum) / divisionibus factis discumberetur in publ(ico) et si ullo tempore intermissum esset quominus praestaretur it quot ordo decrevisset aut si ordo rescidisset decretum / suum mutassetve condicionem tum omnis summa quae in hanc rem accepta esset eadem condicione municipibus Tusculanis confestim renumeraretur / hoc decretum post tres relationes placuit in tabula aerea scribi et proponi in publico unde de plano recte legi possit. 755 Eck 2010, 129f. 756 CIL 11, 4814: A(ulo) Sosidio A(uli) l(iberto) / Philino patrono / [suo] Lic[ha]s fecit / [et] ludos Victoriae / [ex] testamento / [arbi]tratu Mest[riani] / [… edidit]. 757 CIL 10, 5917: Euhodi / M(arco) Aurel(io) Sabiniano / Augg(ustorum) lib(erto) patrono / civitatis Anagninor(um) / item q(uaestori) collegi(i) caplato/rum decuriali decuriae / lictoriae popularis denuntiatorum / itemq(ue) gerulor(um) sed et decemviralis / s(enatus) p(opulus)q(ue) A(nagninus) erga amorem patriae / et civium quod thermas longa incuria / neglectas sua pecunia restituerit / statuam ex leg(atis) suis ponend(am) censuer(unt) / ob cuius dedic(ationem) dedit decur(ionibus) |(denarios) V sexv(iris) / |(denarios) II pop(ulo) |(denarium) I et epul(um) suffic(iens).

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Selbstverständlich ließ auch er es sich nicht nehmen, anlässlich der Dedikation der Statue sportulae an verschiedene gesellschaftliche Gruppen verteilen zu lassen.758 Für Lucius Vitrasius Silvester ist sogar der Wortlaut des offiziellen Beschlusses überliefert, in welchem verfügt worden war, dass ihm die ornamenta decurionalia verliehen werden sollten, eine Ehrenstatue errichtet werden sollte und dieser Beschluss und der zugehörige Briefkontakt auf einer Statuenbasis veröffentlicht und an einem belebten Ort aufgestellt werden sollten. Als Begründung werden sämtliche Initiativen des Vitrasius Silvester aufgeführt: Er hatte auf Bitten der Bürger Gladiatorenkämpfe auf eigene Kosten veranstaltet, wofür er mit den ornamenta decurionalia und einer Statue geehrt worden war, sowie eine jährliche Geldverteilung an seinem Geburtstag eingerichtet. Die Erinnerung an den Euergeten wurde also sowohl durch die Veröffentlichung seiner Wohltaten als auch durch eine jährliche Feier seines Geburtstags aufrechterhalten.759 Außerdem ist anzunehmen, dass anlässlich der Einweihung des Monuments eine Feier stattfand, bei der die Leistungen des Geehrten nochmals explizit in einer laudatio betont wurden, welche vielleicht ähnliche Züge getragen haben könnte, wie dies bereits im veröffentlichten Beschluss anklingt. Für den mit einem bisellium und den ornamenta decurionalia ausgezeichneten Caius Clodius Hilarus ließ der ordo Augustalium eine Ehrenstatue errichten, da er der öffentlichen Kasse 25.000 Sesterzen für Gladiatoren gegeben hatte. Anlässlich der Dedikation stellte der Geehrte Brot und Wein auf dem Kapitol und ließ sportulae an die Dekurionen

758

CIL 11, 6378: C(aio) Valio / Polycarpo / ornamenta decurio/natus inlustratus a / splendidissimo or/dine Arimin(ensium) patron(o) / VII vicorum item col/legior(um) fabr(um) cent(onariorum) / dendr(ofororum) colon(iae) Arim(ini) / item ornamenta decuri/onatus inlustratus a / splendidissimo ordine Pi/saurens(ium) patrono collegi/orum fabr(um) cent(onarum) dendr(ofororum) navic(ulariorum) / et vicimag(istrorum) colon(iae) Pisaur(i) / plebs Pisaur(ensium) ob merita cuius / dedicat(ione) sportulas decur(ionibus) |(denarios) V / itemq(ue) collegiis |(denarios) II plebi |(denarium) I / dedit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum) p(ublice). 759 CIL 10, 4643: Calibus in curia Torq(uata?) [V]itr(asia) scrib(endo) [adf(uerunt)] / Ti(berius) Cl(audius) Felix Ti(berius) Cl(audius) Cal[…]nus Q(uintus) Ser[gius?] / Priscus / quod recit(ata) epistula L(uci) Vitr(asi) Silvest[ris] / L(ucius) Marcius Vitalio IIIIvir ad ordin[em v(erba) f(ecit)] / q(uid) d(e) e(a) r(e) f(ieri) p(laceret) d(e) e(a) r(e) i(ta) c(ensuerunt) ordinem iam pr[idem] / intellexisse L(uci) Vitrasi Silvestris [erga] / communem patriam et studium et [vo]/luntatem cum is primo petition[e] m[unici]/pum suorum in suscipienda gladiat[ori mu]/neris cura tam sumptuose iniunc[tum] / sibi munus explicuerit ut et nos [eum] / orn(amentis) dec(urionalibus) et municipes statuae ho[nore] / ornandum merito arbitrati sim[us] / et iam cum is ultra modum facul[tati]/um suar(um) ultro et libenter obfera[t da]/turum se in perpetuum praesenti[bus] / Id(ibus) Mais sui cuiusq(ue) anni die natal[i suo] / nobis liberisq(ue) n(ostris) vic(toriatos) n(ummos) III scrib(is) liber[isq(ue) eo]/rum vic(toriatos) n(ummos) II Aug(ustalibus) vic(toriatos) n(ummos) II munic[ipibus] / vic(toriatos) n(ummos) I placer(e) univer(sis) conscr[iptis] / L(ucio) Vitrasio Silvestri pro eius erg[a nos] / amore public(e) gratias agi cum is me[rced(em?)] / suam cum r(e) p(ublica) n(ostra) sit paene partitus pe[rmit]/tiq(ue) e(i) inscription(em) basis suae sic u[t desi]/der(at) ampliare quoq(ue) manifestio[r sit] / cunct(is) munic(ipibus) n(ostris) liberalit(as) eius ex[emplar] / epist(ulae) IIIIvir(i) sub edict(o) suo celeber(rimo) loc[o pro]/ponend(um) curent u(nde) d(e) p(lano) r(ecte) l(egi) p(ossit) c(ensuerunt) c(uncti) // (…).

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und Augustalen verteilen. Zu der von ihm gestifteten Summe steuerte die universa plebs interessanterweise weitere 25.000 Sesterzen bei, „um das Prestige seiner Gabe zu mehren“ (ad ampliandam muneris eius famam).760 Hilarus war also von den beiden ordines, den Dekurionen und den Augustalen, durch Auszeichnungen (ornamenta decurionalia und ein bisellum) bzw. eine Statue geehrt worden und hatte damit alles erreicht, was ihm als Freigelassener möglich war. Darüber hinaus hatte sich das Volk für ihn eingesetzt, um durch öffentliche Mittel seine private Stiftung noch zu vergrößern und ihm dadurch erhöhtes Ansehen zu verschaffen.761 Wäre eine derartige Initiative für ein Mitglied der munizipalen Oberschicht oder gar der Reichsaristokratie wahrscheinlich undenkbar – Euergeten diesen Standes hätten es sicherlich als Affront empfunden, wenn ihre Leistungen durch eine Geldspende des Volkes vergrößert worden wären –, war dies hier ausdrücklich als besondere Ehrbezeigung gedacht. Dies zeigt, dass Hilarus zwar durch die ornamenta decurionalia in seinem Status an die städtische Elite angenähert worden war, dass aber dennoch Unterschiede in der Art und Weise der Ehrung bestanden. Umso bedeutender war es für ihn, dass sein hoher Status und die Anerkennung, die er gerade auch durch die Maßnahme der plebs erhalten hatte, nicht nur bei der Einweihungsfeier der Statue zelebriert wurden, an welcher er sich durch erneute Akte der Freigebigkeit auszeichnete, sondern durch die Statue samt Inschrift auch für nachfolgende Generationen nachvollziehbar blieben. Der kaiserliche Freigelassene Lucius Aurelius Pylades hatte sich offenbar ebenfalls großzügig an der Veranstaltung von Gladiatorenkämpfen und darüber hinaus einer venatio beteiligt und wurde dafür in Puteoli mit den ornamenta decurionalia und duumviralibus geehrt, wovon zwei Ehreninschriften zeugen – eine wurde von der centuria Cornelia gestiftet, die andere von der centuria Antia.762 Bemerkenswert an diesem Beispiel ist die Tatsache, dass es sich bei Pylades um einen Schauspieler handelte, genauer um den ersten Pantomimos seiner Zeit, der mehrfach für seine Leistungen ausgezeichnet worden war. Dabei gilt es zu bedenken, dass Schauspieler in der römischen Antike ebenso wie Gladiatoren zu den infames gehörten, d.h. sie waren von der Ausübung von Ämtern ausgeschlos-

760

EAOR 4, 31: C(aio) Clodio Hilaro / biselliario / cui ordo conscript(orum) / ornamenta / decur(ionalia) dedit / quod is ob honor(em) biselli / HS XXV(milia) rei p(ublicae) obtulerit ex quib(us) / familia glad(iatoria) ex postulatu / universor(um) per ipsum edita est / ad cuius impensas insuper / universa plebs ad ampliandam / muneris eius famam / optulit(!) insuper HS XXV(milia) n(ummum) / ordo Augustal(ium) pec(unia) sua / ob cuius dedic(ationem) pavit in Capitol(io) / pane et vino promiscue posito / et dedit sportulas / dec(urionibus) August(alibus) regal(ibus) sing(ulis) |(denarios) quinos / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 761 Chamberland 2012, 284. 762 EE, 8, 1, 369: L(ucio) Aurelio Aug(usti) lib(erto) / Pyladi / pantomimo temporis sui primo / hieronicae coronato IIII patrono / parasitorum Apollinis sacerdoti / synhodi honorato Puteolis d(ecreto) d(ecurionum) / ornamentis decurionalibus et / duumviralib(us) auguri ob amorem / erga patriam et eximiam libera/litatem in edendo muner(e) gladi/atorum venatione passiva ex indul/gentia sacratissimi princip(is) / / centuria Cornelia. Vgl. Epigraphica 2005, 64 zur identischen Inschrift der centuria Antia.

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sen und hatten einen niedrigen sozialen Status.763 Umso mehr erstaunt es, dass Pylades mit der höchsten Auszeichnung für Freigelassene bedacht worden war, mit den ornamenta decurionalia und duumviralibus, und somit quasi unter die politische Elite der Stadt aufgenommen wurde. Erst nach seinem Tod wurde hingegen Lucius Urvineius Philomusus mit einem öffentlichen Begräbnis und einer Statue auf dem Forum geehrt. Diese Ehrung war ein öffentlicher Ausdruck des Dankes für seine testamentarischen Verfügungen: Philomusus hatte Kämpfe mit zehn Paar Gladiatoren gestiftet sowie dem Volk (populus) drei Jahre lang den Eintritt in die Bäder finanziert, und außerdem eine goldene Krone für Fortuna Primigenia und 40.000 Sesterzen für fünftägige Spiele gestellt.764 Dieses Beispiel zeigt, dass es wohl nicht unbedingt von Bedeutung war, dass die eigenen Wohltaten und Leistungen bereits zu Lebzeiten honoriert wurden. In diesem Falle wurde dem Stifter bei den Feierlichkeiten zu seiner Bestattung offiziell in der Stadtgemeinschaft gedacht und durch die Errichtung der Statue auf dem Forum wurde dieses Andenken im öffentlichen Raum weitergetragen.

1.6. Frauen In 78 Inschriften können Frauen als Euergetinnen ausgemacht werden, wobei in zwei von diesen die Stifterperson aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes nicht eindeutig identifizierbar ist und sich nur vermuten lässt, dass es sich um eine Frau handelte.765 In einigen Inschriften finden sich Hinweise, welchen gesellschaftlichen Status die Stifterinnen hatten. So werden gelegentlich Frauen in Zusammenhang mit einem Familienmitglied genannt, das der Reichsaristokratie (in sechs Fällen) oder der munizipalen Oberschicht (in elf Fällen) zugeordnet werden kann. Für vier der Inschriften lässt sich ein libertiner Hintergrund für die fragliche Stifterin ausmachen. In 20 Inschriften kann die Frau als Priesterin (flaminica, sacerdos) identifiziert und somit der munizipalen Oberschicht zugeordnet werden, in zwei weiteren wird die Stifterin als magistra bezeichnet (magistra der Fortuna Melior bzw. magistra der Bona Dea). Die Mehrzahl der Inschriften stammt mit 33 Belegen aus Italien; eine auffallend hohe Anzahl lässt sich überdies mit 27 Stück der spanischen Halbinsel zuordnen. Aus den afrikanischen Provinzen finden sich 12 Inschriften, jeweils zwei aus dem heutigen Frankreich bzw. aus Dalmatien (dem heutigen Kroatien) und jeweils eine aus dem heutigen Österreich bzw. den Niederlanden.

763

Blänsdorf 2004, 106. CIL 14, 3015: L(ucio) Urvineio L(uci) l(iberto) Philomuso / mag(istro) conl(egii) libert(orum) / publice sepulturae et statuae in foro locus / datus est quod is testamento suo lavationem populo gratis / per triennium gladiatorumque paria X et Fortunae Primig(eniae) / coronam auream p(ondo) I dari idemque ludos ex HS XL(milia) per dies V fieri iussit / Philippus l(ibertus) monumentum de suo fecit. 765 CIL 3, 1971 und AE 1955, 152. 764

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Eine mögliche Erklärung für die ungewöhnlich große Anzahl an Stifterinnen aus dem spanischen Raum – insbesondere im Vergleich mit der zugleich auffallend geringen Zahl an männlichen Stiftern aus dieser Gegend766 – könnte darin zu sehen sein, dass in Baetica die kultische Verehrung von Frauen aus dem Kaiserhaus üblich war,767 was wohl mit den entsprechenden Priesterämtern für Frauen verknüpft war. Im Zusammenhang mit diesen Ämtern könnten sich die Kandidatinnen verpflichtet gefühlt haben, als Euergetinnen aktiv zu werden. Doch inwiefern deckt sich diese Vermutung mit dem hier zusammengestellten Material? Insgesamt stammen immerhin acht der 20 erfassten Inhaberinnen von Priesterämtern aus Spanien, doch handelt es sich nur bei dreien gesichert um Priesterinnen des Kaiserkultes.768 Eine weitere Priesterin (sacerdos) aus Salpensa, Baetica, stiftete eine Statue, und zwar ein der Fortuna Augusta geweihtes Monument aus 100 Pfund Silber. Zur Einweihung ließ die Priesterin ein Festmahl ausrichten, wobei erwähnt wird, dass sie zuvor bereits zweimal eine öffentliche Speisung abgehalten hatte.769 Ob auch sie Priesterin für ein Mitglied des Kaiserhauses war, wissen wir nicht, aber die Weihung für Fortuna Augusta lässt dies zumindest vermuten. Außerdem finden sich zwei Stiftungen von Frauen für mit dem Kaiserhaus assoziierte Gottheiten, doch wissen wir in beiden Fällen nicht, ob die Stifterinnen ein Priesteramt innehatten: Fabia Fabiana aus Carteia, Baetica, ließ eine Statue für Diana Augusta errichten samt diverser Schmuckgegenstände, die detailliert in der Inschrift aufgeführt sind. Zur Einweihung gab sie ein Festmahl.770 Aus der Tatsache, dass ihr Name samt Filiation angegeben ist, und aus den von ihr gestifteten wertvollen Gegenständen lässt sich immerhin schließen, dass es sich um eine recht wohlhabende römische Bürgerin gehandelt haben muss. Vibia Rusticana aus Cartima verfügte testamentarisch die Aufstellung einer Statue für Venus Augusta; auch hier wissen wir nicht, ob die Stifterin selbst eine Funktion im Rahmen des Kaiserkultes ausübte.771 Da allerdings eine weitere Stiftung für Venus Augusta aus Cartima überliefert ist, die von einem Mann

766

Offenbar bestand hier mehr Spielraum für Frauen, als Wohltäterinnen aufzutreten und Prestige auszuhandeln. Forbis 1990, 506f. 767 Castillo Garcia 1975, 625. 768 CIL 2, 1341: Die Stifterin ist sacerdos perpetua divorum divarum; CIL 2, 1979: Die Stifterin ist sacerdos divae Augustae; CIL 2,5, 69: Die Stifterin ist flaminica perpetua domus Augustae. 769 CIL 2, 1278: Fortunae Aug(ustae) / […]IA L(uci) f(ilia) Celerina bis ante ea / [pub]lice epulata ob honorem sacerdoti(i) / [ex ar]genti p(ondo) C epulo dato d(onum) d(edit). 770 IRPCadiz 534: Dianae Aug(ustae) / Fabia C(ai) f(ilia) Fabiana cum ornamen/tis i(nfra) s(criptis) epulo dato d(at) d(edicat) // Catella(m) cum cylindris / n(umero) VII armillas cum cy/lindris n(umero) XX antemanus / cum cylindris n(umero) XIII peris/cilia(m) cum cylindris n(umero) XVIII / anulos gemmatos n(umero) II. 771 CIL 2, 1952: Veneri Aug(ustae) / [Vib]ia L(uci) f(ilia) Rusticana / Cartimitana test/amento poni iussit / huic dono her(edes) XX(vicesima) / non deduxerun(t) / [e(pulo)] d(ato) d(ederunt) d(edicaverunt).

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gemeinsam mit seiner Ehefrau getätigt worden war,772 lässt sich eher vermuten, dass Vibia Rusticana in ähnlicher Weise eine in Cartima offenbar beliebte Gottheit verehrte und ihre Stiftung nicht unbedingt aufgrund eines Priesteramtes getätigt hatte. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich also, dass die Erklärung für den hohen Anteil an weiblichen Stiftern in den spanischen Provinzen nicht zufriedenstellend mit der dort beliebten Verehrung von Kaiserfrauen begründet werden kann, und der Grund für dieses Phänomen muss wohl weiterhin im Dunkeln bleiben. Initiativen von Priesterinnen für vergöttlichte Frauen des Kaiserhauses waren natürlich nicht auf die spanische Halbinsel beschränkt. Antonia Picentina, die Tochter eines Praetors aus Falerio, der überdies Patron der colonia war, ließ mehrere Statuen zur Ausschmückung des Theaters aufstellen – eine davon war für Kaiser Antoninus Pius, was vermuten lässt, dass auch die anderen Statuen für Mitglieder des Kaiserhauses waren – und anlässlich der Dedikation eine Geldverteilung an die Dekurionen und die plebs urbana durchführen. Die Entscheidung, den Kaiser und möglicherweise dessen Familie mit Statuen zu ehren, überrascht nicht, da Antonia selbst sacerdos der Diva Faustina war, der verstorbenen und konsekrierten Ehefrau des Antoninus Pius. Es ist daher durchaus wahrscheinlich, dass eine der Statuen neben Antoninus Pius dessen Frau Faustina repräsentierte.773 In fünf der hier aufgenommenen Inschriften wurden Frauen als Erbinnen eingesetzt, die mit dem Vollzug der Bestimmungen des betreffenden Testaments betraut waren. 774 So ließen Cara Annia und Tranquilla Annia, die Töchter des Hilarus, in der oben bereits diskutierten Inschrift die von ihrem Vater und seinem Mitfreigelassenen Annius Protus gestifteten Statuen aufstellen und weihen.775 Lucius Fabius Caesianus, duumvir und flamen perpetuus von Barbesula im heutigen Spanien, setzte Fabia Fabiana und Fulvia Honorata als Erbinnen ein, die gemäß seiner testamentarischen Verfügungen eine Statue für ihn aufstellen ließen und außerdem zu diesem Anlass ein Festmahl gaben.776 Ob ein verwandtschaftliches Verhältnis zwischen ihm und den beiden Frauen bestand, bleibt

772

CIL 2, 1951: Veneri Aug(ustae) / L(ucius) Porcius Quir(ina) / Victor Cartimit(anus) / suo et Scriboniae / Marcianae uxoris suae / nomine statuam tes/tamento poni iussit / huic dono her(es) XX (vicesima) non de/dux(it) epulo d(ato) d(edit). Der gleiche Mann stiftete überdies eine Statue für Mars Augustus: CIL 2, 1949: Marti Aug(usto) / L(ucius) Porcius / Quir(ina) Victor / Cartimitan(us) / testamento / poni iussit / huic dono / heres XX(vicesima) non / deduxit epulo / d(ato) d(edit). 773 CIL 9, 5428: Imp(eratori) Antonino Aug(usto) P[io] / Antonia Cn(aei) fil(ia) Picentina C(ai) C[…] / Secundi praetori(i) patron[i colo]/niae sacerdos divae Fau[sti]/nae statuas quas ad exo[rnan]/dum theatrum promi[serat Fa]/leriensibus posuit et [in ded(icatione)] / decurionibus plebi urbanae div[isionem] / dedit. 774 CIL 2, 1047; 1941; CIL 2,5, 69; 294; CIL 8, 17831. 775 CIL 8, 17831. 776 CIL 2, 1941: L(ucio) Fabio Gal(eria) Cae/siano IIvir(o) fla/mini perpetuo / m(unicipum) m(unicipii) Barbesula/ni Fabia C(ai) fil(ia) / Fabiana et Ful/via Sex(ti) fil(ia) Ho/norata heredes / ex testamento / eius epul(o) dat(o) / posuerunt.

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unklar – die Filiation der beiden zeigt, dass es sich nicht um seine Töchter handelte, doch der Name Fabia, der sich mit seinem nomen gentile deckt, lässt vermuten, dass es sich zumindest bei Fabia Fabiana um ein Familienmitglied handelte. Interessanterweise nutzten die Erbinnen in beiden Fällen die Gelegenheit, der Ausführung der testamentarischen Stiftung auf eigene Initiative etwas hinzuzufügen: Bei Fabia Fabiana und Fulvia Honorata ist zwar nicht ganz eindeutig zu entscheiden, ob das epulum noch Teil der testamentarischen Bestimmungen des Fabius Caesianus war oder auf Betreiben der beiden Frauen organisiert wurde, doch in der Regel zeichneten diejenigen, die eine Statue weihen ließen, auch für die festlichen Handlungen anlässlich der Dedikation verantwortlich, und es liegt daher nahe, dass das Festmahl von den beiden Erbinnen initiiert wurde. Cara und Tranquilla hingegen zeigten sich ganz eindeutig äußerst großzügig: Sie fügten der Stiftung des Hilarus und Protus auf eigene Kosten einen Tempel hinzu und ließen für 4.400 Sesterzen ein Festmahl für die Kurien ausrichten – womit sie sicherstellten, dass auch sie der Stadtgemeinschaft in Erinnerung blieben, und zwar jenseits ihrer Funktion als bloße Ausführende einer testamentarischen Stiftung. Die Möglichkeit, einer Stiftung etwas hinzuzufügen, wurde natürlich nicht nur von Erben genutzt, sondern auch auf vielfältige Weise von Personen, die dem Stifter nahestanden, und dies häufig schon zu Lebzeiten. So ließ Suconia Rustica die von ihrem Mann gestiftete Statue der Iuno Regina einweihen und anlässlich der Einweihung ein Festmahl geben.777 Warum der Stifter das Monument nicht selbst einweihte, lässt sich aus dem Text nicht erschließen: Möglicherweise war er vor der Fertigstellung verstorben und seine Frau ließ daraufhin sein Werk vollenden. Vielleicht war er aber lediglich nicht dauerhaft vor Ort, was seine zahlreichen Ämter und Pflichten nahelegen – er war unter anderem procurator provinciae Lusitaniae et Vettoniae –, weshalb er seiner Gattin die Aufgabe der Dedikation übertragen haben könnte. Dass die Frau die Einweihungsfeierlichkeiten ausrichtete, könnte außerdem auf eine bewusste Entscheidung zurückgehen, nicht nur den herausragenden Status des Mannes zu betonen, sondern auch der Ehefrau die Gelegenheit zu geben, sich im Gemeinwesen öffentlich als Wohltäterin darzustellen. Die äußerst hohe Anzahl an weiblichen Euergetinnen aus dem spanischen Raum zeigt, dass Frauen dort häufiger versuchten, sich durch Stiftungen in der Stadtgemeinschaft zu positionieren und Ansehen zu erwerben. Auch Suconia Rustica könnte die Statuenstiftung ihres Mannes auf diese Weise genutzt haben, um Prestige zu gewinnen. Relativ häufig, nämlich in 13 der hier aufgenommenen Inschriften, lassen sich Initiativen von Frauen greifen, mit denen diese ein Familienmitglied ehrten oder eines verstorbenen

777

CIL 2, 1267: Iunoni Reginae / M(arcus) Calpurnius M(arci) f(ilius) / Gal(eria) Seneca Fabius Turpio / Sentinatianus primus pilus / legionis primae Adiutricis / procurator provinciae Lusi/taniae et Vettoniae praefectus / classis praetoriae Ravenna/tis ex argenti libris centum / d(onum) d(edit) / Suconia C(ai) filia Rustica uxor epu/lo dato utriusq(ue) sexus / dedica(vit).

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Familienmitglieds gedachten. Für das öffentliche Andenken des Publius Aelius Osilianus setzten sich im dalmatischen Epidaurum beispielsweise sowohl dessen Mutter Novia Bassilla als auch dessen Großmutter Novia Iustilla mit der Errichtung einer Ehrenstatue ein, wobei die Aufstellung und der Ort der Statue durch einen offiziellen Beschluss des ordo decurionatus verfügt worden war. Anlässlich der Dedikation boten die beiden Frauen überdies sportulae für die Dekurionen, Augustalen und sexviri sowie einen Faustkampf.778 Insbesondere durch letztere Maßnahme konnten sie sichergehen, dass der Aufstellung der Ehrenstatue die gebührende Aufmerksamkeit weiter Teile der Bevölkerung zukam. Eher ungewöhnlich nimmt sich die Stiftung der Geminia Sabina in Aeclanum in der Provinz Apulia et Calabria aus, die zu Ehren ihres Sohnes eine Straße pflastern ließ. Dieser war Mitglied der munizipalen Oberschicht und hatte bereits im Alter von 20 Jahren Gladiatorenkämpfe mit kaiserlicher Erlaubnis veranstaltet.779 Offenbar war der junge Mann relativ früh, wohl noch während der Regierungszeit des Antoninus Pius, verstorben. Der nicht alltägliche Beschluss seiner Mutter, ihm zu Ehren einen Teil der Straße pflastern zu lassen, könnte sich folgendermaßen erklären lassen: Vielleicht hatte der Sohn im Rahmen seiner Ämter versprochen, sich selbst um die Straße zu kümmern, aber aufgrund seines plötzlichen Todes dieses Versprechen nicht mehr einlösen können, sodass seine Mutter dies nun auf eigene Kosten in Gedenken des Sohnes übernahm. In jedem Fall konnte Geminia Sabina sicher sein, dass ihr Sohn und dessen Leistungen nicht in Vergessenheit gerieten – und man sich auch an ihre großzügige Initiative erinnerte.780 Eine andere Mutter, Capria Quinta, ließ offenbar im samnischen Corfinium mehrere Statuen für ihre Kinder aufstellen und gab anlässlich der Einweihung ein Festmahl für die mulieres.781 Ihr schien es hierbei zum einen darum gegangen zu sein, ihren Kindern zu einer prominenten Stellung in der städtischen Öffentlichkeit zu verhelfen, und zum anderen, ihren eigenen Status als fürsorgliche Mutter bei einem gemeinsamen Festmahl mit den anderen Frauen zu inszenieren. In Auximum, Picenum, stiftete Vibia Marcella, eine Kaiserpriesterin (flamina Augustae), eine Statue für ihren Ehemann, der dem ordo eques-

778

CIL 3, 1745: P(ublio) Aelio P(ubli) f(ilio) / Tro(mentina) / Osilliano / Novia Bassilla / mater et Novia Ius/tilla avia posuerunt / et sportulis decurio(nibus) / Augustalibus et sexvi/ris datis item pugilum / spectaculo dedicave/runt huic universus / ordo decurionatus / honorem et locum / statuae decrevit. 779 CIL 9, 1156: Ti(berio) Claudio / Ti(beri) fil(io) Ti(beri) nepoti / Cor(nelia) Maximo q(uaestori) / IIvir(o) quinq(uennali) / hic cum ageret ae/tat(is) ann(os) XX in colon(ia) / Aeclan(ensi) munus edidit / impetrata editione ab Imp(eratore) / Antonino Aug(usto) Pio in quo / honore sepultus est / cuius mater Geminia M(ani) fil(ia) / Sabina ob honorem eius in / via ducente Herdonias / tria milia passuum ex d(ecreto) d(ecurionum) in/tra lustrum honoris eius re/praesentata pecunia stravit. 780 Für die Kosten der Pflasterung einer Straße vgl. Duncan-Jones 1982, 124-126. 781 CIL 9, 3171: Aveliae / Q(uinti) f(iliae) Priscae / Severiae Severae / Capria Q(uinti) f(ilia) / Quinta mater / posuit / quae ob dedicatio/nem statuar(um) filio/rum suorum epul(um) / dedit mulierib(us) sing(ulis) / |(denarium) s(emis) l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum).

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ter angehörte und unter anderem Patron der colonia war. Anlässlich der Dedikation richtete die Stifterin eine cena für die coloni und ein epulum für das Volk aus.782 Im Inschriftentext werden besonders die Leistungen ihres Mannes betont, der „durch seine guten Verdienste allen ein Beispiel war“ (marito omnibus exemplis de se bene merito). Der Stifterin war wohl daran gelegen, den herausragenden Status des Gatten nicht nur durch die Ehrenstatue zu demonstrieren, sondern auch bei den Feierlichkeiten zur Einweihung der gesamten Stadtbevölkerung (den coloni und dem populus) öffentlich vor Augen zu führen. Bei Egnatia Salviana aus Lavinium handelte es sich um eine weitere Ehefrau, die ihrem Mann eine Statue widmete. Ihr Mann, ein gewisser Caius Sevilius Diodorus, ließ dieser Ehrung eine eigene Initiative folgen, von der eine ausführliche Inschrift zeugt: Er gab dem Kollegium der Dendrophoren 20.000 Sesterzen, aus deren Zinsen jährlich an seinem Geburtstag eine Geldverteilung und ein öffentliches Mahl für die Mitglieder des Kollegiums finanziert werden sollten. Als Dank für diese Stiftung wurde Diodorus zum patronus ernannt und seine Ehefrau zur mater.783 Die von Egnatia Salviana initiierte Ehrenstatue

782

CIL 9, 5841: L(ucio) Praesentio L(uci) fil(io) / Lem(onia) Paeto / L(ucio) Attio Severo / praefecto coh(ortis) I Afr(orum) / c(ivium) R(omanorum) eq(uitatae) iudici selecto ex / V dec(uriis) pr(aetori) Auximi pat(rono) col(oniae) / aedili IIvir(o) Anconae / Vibia L(uci) f(ilia) Marcella / flamina August(ae) / marito omnibus exem/plis de se bene merito / et in dedic(atione) statuae / cenam colon(is) et epul(um) pop(ulo) ded(it) / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 783 AE 1998, 282: C(aio) Servilio Quir(ina) Diodoro v(iro) e(gregio) / proc(uratori) CC provinciarum Hispaniar(um) / citerioris et superioris item / proc(uratori) C Moes(iae) inf(erioris) et regni Norici / item proc(uratori) LX rat(ionis) privat(ae) praef(ecto) / alae I Tungrorum Frontonianae / trib(uno) leg(ionis) XIIII Gem(inae) praef(ecto) coh(ortis) II Aurel(iae) / novae |(milliariae) equit(atae) [[…]] / L(aurenti) L(avinati) domo Girba ex Africa / coniugi incomparabili / Egnatia Salviana / eius // [C(aius) Se]rvilius Diodorus Pontio Fusco Ponti[ano] / suo salutem / Egnatia Salviana mater familias mea pro sua pietate erga me s[tatuam(?)] / mihi in civitate Laurentium Lavinatium ubi sacerdotalis su[m(?) po]/suit(?) eius obsequia amplianda crededi domine ut collegi[o(?) den]/drophororum quod est in eadem civitate dem HS XX(milia) n(ummum) ut ea qu[an]/titas conlocetur et eius summae usurae quicunces id est HS [|(mille)] / eidem collegio quodannis(!) praestentur ut die pr(idie) Iduum Nov[em]/brium natalis mei sportulas accipere et epulari publice eodem lo[co] / cum libertis meis possint quam rem credo et ad splendorem ipsiu[s] / loci pertinere peto igitur domine pro tua insigni aequitate suscipi / eam a Magio Iusto et Vibusio Severino praetoribus eiusdem civitatis / iubeas eaque observari quae his litteris meis comprehendi ut benefi/cio humanitatis tuae quodannis(!) celebrari dies natalis / mei simul cum libertis meis possit / dat(um) VI Non(as) Octobr(es) Nummio Albino et Laelio Maximo co[(n)s(ulibus)] // Pontius Fuscus Pontianus Magio Iusto et Vibusio Severino / suis salutem / legite in subiectis exemplum litterarum quas ad me fecit Se(r)vilius Diodo/rus v(ir) e(gregius) sacerdotalis splendidissimae civitatis vestrae ut secundum / haec quae litteris suis complexus est voluntatis eius satis fiat // Magius Iustus et Vibusius Severinus Pontio Fusco Pontiano / suo salutem / secundum praeceptum litterarum tuarum domine et voluntatem Servili / Diodori v(iri) e(gregii) suscepta esse IIII Non(as) Octobr(es) Albino et Maximo co(n)s(ulibus) ab eodem / Diodoro v(iro) e(gregio) HS XX(milia) n(ummum) quam summam / suscepit Asclepiades rei p(ublicae) L(aurentium) L(avinatium) servus / arkarius(!) ut scires notum amplitudini tuae facimus // Dedic(atum) VII Id(us) Sept(embres) / Nummio Albino et Laelio Maximo co(n)s(ulibus) // Q(uinto) Aiacio Modesto II et M(arco) Maecio Probo co(n)s(ulibus) / XV Kal(endas) Sept(embres) / in Caesareum quod est in foro cum ordo collegi(i) dendropho/rorum L(aurentium) L(avinatium) convenisset ibi Cornelius Trophimus

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wurde öffentlich aufgestellt (in civitate Laurentium Lavinatium (…) posuit), während von der Geburtstagsstiftung ihres Mannes nur die Mitglieder des Kollegiums profitierten. Egnatia hatte sich demnach dafür eingesetzt, dass das öffentliche Andenken ihres Mannes, der ein angesehener römischer Ritter mit einer engen Bindung zu Lavinium war,784 durch die von ihr gestiftete Statue gepflegt wurde. Auf der Statuenbasis wurde jedoch nicht nur die inschriftliche Widmung ihrer Statue an ihren Mann festgehalten, sondern der gesamte Briefkontakt, der zu den Beschlüssen der jährlichen Geburtstagsfeier sowie den weiteren Ehrungen des Ehepaars geführt hatte. Diese Beschlüsse sollten, wie aus dem Text hervorgeht, auf einer ehernen Tafel in der Schola des Kollegiums aufgestellt werden; außerdem erhielt Diodorus ein weiteres Exemplar dieser Tafel durch eine Delegation. Durch die zusätzliche Veröffentlichung auf der Statuenbasis785 ging Egnatia Salviana sicher, dass die Wohltaten ihres Mannes und die Ehrungen, die dieser dafür empfing, in der gesamten Stadt publik gemacht wurden – auf einem Monument, das sie selbst für ihren Mann gestiftet hatte.786 Es zeigt sich also, dass Frauen nicht nur lediglich als Erbinnen die testamentarischen Bestimmungen ausführten oder von ihrem Mann getätigte Stiftungen erweiterten, sondern durchaus als eigenständige Euergetinnen auftreten konnten, und zwar in teilweise äußerst beachtlichem Maßstab. Voconia Avita etwa stiftete in Hispania Citerior auf eigene Kosten und auf einem eigenen Grundstück Thermen für „ihre res publica Tagilitanae“, die mit Circusspielen und einem Festmahl eingeweiht wurden. Außerdem gab sie der öffentlichen

et Varenius / Legitimus quinquennales verba fecerunt / ante omnia gratias agendas Servilio Diodoro v(iro) e(gregio) quod dignatus / sit aput(!) rem p(ublicam) L(aurentium) L(avinatium) splendidissimae civitatis n(ostrae) collegio n(ostro) HS XX(milia) n(ummum) / nomine n(ostro) collocare cuius summae usuram quod idest |(mille) HS n(ummos) / a re p(ublica) L(aurentium) L(avinatium) quodannis(!) praestari ut die pr(idie) Id(us) Nov(embres) natalis eius / quodannis(!) sportulas habeamus secundum ea quae in tabula aenea / quam schola in quam convenimus perscribtum(!) posuit idque ordi/ni n(ostro) maxime placere tam bono viro bene merenti gratias age/re cum sciamus quantam laetitiam in perpetuum ab eo percepe/rimus placet itaq(ue) universis patron(um) eum Egnatiam Salvianam / eius matrem cooptemus et petamus ab eo ut tabulam aeneam patrona/ti suscipere et libens rescribere dignetur et ut commendatos / habeat singulos universos qui nos et in clientela sua recipere dignatur et quo notius sit ista voluptas hoc decretum nos/trum in tabula aenea perscribtum(!) ei offeratur per Iul(ium) Sabinum Sextium Fidelem Sen(iorem) Ulp(ium) Crescentem // Servilius Diodorus colleg(io) dendrophororum / oblatam mihi tabulam aeream nomine vestro per Iul(ium) Sabinum / Sextium Fidelem Sen(iorem) Ulpium Crescentem collegis(!) vestris(!) libens / accepi et gratos vos muneris quod vobis obtuli et observaturos / ea quae desideravi intellexi maxime cum ea res exemplo sit ceteris / consacerdotalib(us) meis optantib(us) a vobis honorem patronatus. 784 Alföldy stellt fest, dass Diodorus wohl einen Landsitz in Lavinium besaß. Alföldy 2000, 7-9. 785 In AE 1990, 282 wird die Inschrift als „[b]ase en marbre inscrite sur trois côtés“ beschrieben. Der gesamte Text wurde also auf der Basis der Statue wiedergegeben. 786 Zu einer weiteren Diskussion dieser Inschrift vgl. auch Teil 3, Kapitel 2.2.

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Kasse 2.000 Denare zur Instandhaltung und dauerhaften Nutzung der Thermen.787 Asicia Victoria, eine flaminica perpetua im afrikanischen Thugga, ließ ihrer Heimatstadt anlässlich des Priesteramtes ihrer Tochter die nicht unbedeutende Summe von 100.000 Sesterzen zukommen, aus deren Zinsen sportulae an die Dekurionen verteilt, ein epulum für die curiae abgehalten und gymnasium für das Volk bereitgestellt werden sollte. Außerdem sollten ludi scaenici veranstaltet werden.788 Beide Stiftungen zeugen von der Absicht der jeweiligen Frau, selbst als Wohltäterin für die gesamte Stadtgemeinschaft in Erscheinung zu treten. Die von Voconia Avita gestifteten Thermen waren für res publica sua intendiert und die Circusspiele und das Festmahl waren offenbar ebenfalls für die gesamte Bevölkerung gedacht. In der Stiftung der Asicia Victoria wurde zwar zwischen verschiedenen Empfängergruppen differenziert, doch bezog auch sie mit der Berücksichtigung der Dekurionen, der curiae und des populus die zentralen Gruppen der Stadt mit ein. Eine weitere Stifterin erhob diesen Gemeinschaftsgedanken sogar explizit zum Programm: Clodia Donata ließ aus 8.000 Sesterzen ein Abbild des Genius von Castellum Elefantum aufstellen und zu dessen Einweihung sportulae und Wein für ein Festmahl geben.789 Die Stifterin demonstrierte durch die Wahl der Gottheit große Verbundenheit mit ihrer Heimatstadt. Sie verfügte, dass die Statue zum „Schmuck des Kastellum“ (ad ornandum kastel(lum)) und somit wohl an einem prominenten Ort errichtet werden sollte, womit sie einen geistigen Bezugspunkt für die gesamte Stadtgemeinschaft schuf und zugleich ein Monument der Erinnerung an sich selbst in die Stadttopographie einschreiben konnte. Dass sie bei den zur Einweihung gestifteten festlichen Handlungen keine Unterscheidung hinsichtlich der Empfänger traf, sondern offenbar die gesamte Bevölkerung adressierte, unterstreicht ebenfalls den gemeinschaftlichen Gedanken ihrer außergewöhnlichen Initiative.

787

IRAlmeria 48: Voconia Q(uinti) f(ilia) Avita / thermas rei publicae / suae Tagilitanae s(olo) s(uo) s(ua) p(ecunia) f(ecit) / easdemque circensibus / editis et epulo dato dedicavit / at(!) quot(!) opus tuendum usumq(ue) / perpetu(u)m (t)hermarum praebendum / r(ei) p(ublicae) Tagilitanae d(enariorum) II(milia)D dedit. 788 CIL 8, 26591: Vibia[e Asicia]neti / fl(aminicae) perp[etuae] et / disciplina[e singul]aris / statuam qua[m u]terq(ue) / ordo decre[ve]rat / res publ(ica) mun(icipii) [T]hugg(ensis) / posui[t] // Asiciae V[i]ctoriae coniugi […]V[…]A[…] / ob munifi[c]entiam lib[er]a[le]m et singulare[m in cives suos] / et patriam [su]am quae probo a[ni]mo et exim[io exemplo prae]/ter summa[m] flamonii perp(etui) sui honorar[iam ampliatam] / etiam filiae [su]ae Asicianes singulari s[plendore ob flam(onium)] / HS C mil(ibus) n(ummum) patriae suae donaverit ex [quorum reditu dec(urionibus)] / utriusq(ue) [o]rdi[ni]s sportulae curiis e[pulum et universo] / populo g[y]mnasia praestentur lu[dique scaenici dentur] / statuam q[u]am uterq(ue) ordo decr[everat] / res p(ublica) mun(icipii) [Se]pt(imi) Aur(eli) lib(eri) Thugg(ensis) pos[uit…]. Vgl. auch CIL 8, 1495. 789 D 6865: Genio kast(elli) Elefant(um) / sacrum / Clodia Donata Properti / Crescentis uxor sta/tuam Geni(i) patriae ka[s(telli)] / Elef(antum) cum base quam / de sua liberalitate / ad ornandum kastel(lum) / pollicita ex HS VIII(milibus) n(ummum) / sua pecunia constituit / ad cuius dedicationem / sportulas |(denarios) singulos / et vinum per collegia / ad {a}epulandum dedit / d(onavit) d(e)d(icavit).

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Eine andere Ausrichtung lässt die Stiftung der Cassia Victoria erkennen, einer sacerdos Augustalium, die in ihrem eigenen Namen und im Namen ihres Mannes einen pronaos mit Säulen und Epistyl für die Augustalen von Misenum errichtete. Anlässlich der Einweihungsfeierlichkeiten ließ sie ein Festmahl und eine Geldverteilung von 12 Sesterzen pro Person ausrichten.790 Diese Stiftung ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Auf den ersten Blick erstaunt die Tatsache, dass eine Frau innerhalb der Augustalen eine so herausgehobene Stellung erhalten konnte; eine dergestaltige durch eine Frau getätigte Stiftung im Rahmen der Augustalen dürfte in der Tat ein Einzelfall sein. Mindestens ebenso ungewöhnlich ist jedoch, dass Cassia Victoria im Giebel des Pronaos Porträts von sich selbst und ihrem Mann aufstellen ließ, die große Ähnlichkeiten zu Kaiserporträts von Antoninus Pius und Faustina Minor aufweisen.791 Diese außergewöhnliche Selbstdarstellung, kombiniert mit dem Aufgreifen weiterer kaiserlicher Motive, wie des Eichenlaubkranzes und der beiden Victorien – die im Übrigen wohl nicht zufällig auf den Namen der Stifterin verweisen – , zeugen vom Anspruch des Ehepaars, durch diese offenbar bewusst eingesetzten Assoziationen mit dem Kaiserhaus die eigene herausragende Stellung und zugleich die Loyalität zur Herrscherfamilie zu demonstrieren. Da die Stiftung für die Augustalen erfolgte, als Dank für das dem Ehepaar erwiesene Wohlwollen (ob eximiam eorum erga se benivolentiam(!)), dienten die Bauten zwar vordergründig der Repräsentation der Augustalen, doch sollten sie ebenso den Prestigeansprüchen der beiden Stifter genügen. Die aufwändige Gestaltung des Baukomplexes mit dem prächtigen tetrastylen Pronaos aus Marmor zielte sicherlich nicht zuletzt auf eine Außenwirkung in der städtischen Öffentlichkeit ab. Der Schwerpunkt des Gebäudes scheint sich also von einer Stätte des Kaiserkultes zu einer grandiosen Inszenierung prominenter Mitglieder verschoben zu haben, „promoting the public image of the couple, almost as though the monument constituted public recognition of their prestige and considerable wealth.”792 Berücksichtigt man diese Aspekte des baulichen Umfelds der Inschrift, die sich in diesem Falle ausnahmsweise sehr gut greifen lassen, erscheinen auch die zur Einweihung gestifteten festlichen Handlungen in einem neuen Licht. Ein Festmahl und eine Geldverteilung stellen zwar an sich keine außergewöhnlichen Euergesien dar, doch fanden diese sicherlich in den von Cassia Victoria gestifteten Bauten statt, was somit höchstwahrscheinlich dazu beitrug, das Prestige des Ehepaars im Akt des Feierns erneut zu inszenieren – und möglicherweise sogar die im Gebäudekomplex angelegte Außenwirkung zu nutzen, um die Aufmerksamkeit der gesamten städtischen Öffentlichkeit für die gestifteten Feierlichkeiten zu sichern.

790

AE 1993, 477: Cassia C(ai) fil(ia) Victoria sacerdos Augustalium pronaum cum columnis et epistyliis nomine suo et / L(uci) Laecanii Primitivi mariti sui ob eximiam eorum erga se benivolentiam(!) cuius dedic(atione) epulum et sing(ulis) HS XII n(ummum) dedit. 791 Adamo Muscettola 2000, 39f. 792 Pensabene Perez 2000, 20.

169

Angesichts der vielfältigen Stiftungstätigkeiten von Frauen, die in einigen Fällen denen von Männern in nichts nachstanden, überrascht es nicht, dass sich auch zahlreiche Ehrungen für Frauen als Dank für ihren Einsatz als Wohltäterinnen finden. 793 In Veii errichteten die sorores piissimae eine Statue für Caesia Sabina, die für alle angesehen Frauen – für die Mütter, Schwestern und Töchter der centumviri, die Ehefrauen der Mitglieder des gesamten ordo und alle mulieres des municipium – freien Eintritt in die Bäder und kostenloses Öl gestiftet hatte.794 Auch Agusia Priscilla, eine sacerdos der Spes und der Salus Augusta, wurde mit einer Statue geehrt, und zwar auf offiziellen Beschluss der Dekurionen von Gabii. Diese Ehrung erfolgte als Dank für ihren Einsatz für das Gemeinwesen: Abgesehen von der geleisteten summa honoraria anlässlich ihrer Priesterschaft hatte sie zudem die porticus der Spes auf eigene Kosten erneuern lassen, Spiele veranstaltet und Kultkleidung gestiftet. Diese Stiftungen standen allesamt in einem engen Zusammenhang mit dem von ihr ausgeübten Priesteramt: Die porticus war der Spes geweiht und die Spiele erfolgten für das Wohl (pro salute) des Kaisers Antoninus Pius und seiner Kinder, und somit für Salus Augusta. Außerdem ließ sie es sich nach dem Beschluss zur Errichtung der Ehrenstatue nicht nehmen, die Kosten für diese dem Volk zu erstatten.795 Agusia Priscilla konnte also nicht nur ihre pietas als Priesterin und ihre Verbundenheit zum Kaiserhaus angemessen zur Schau stellen, sondern zudem wiederholt ihre Bereitschaft demonstrieren, das Gemeinwesen an ihrem Wohlstand teilhaben zu lassen. Im Gegenzug erhielt sie mit der dekretierten Ehrenstatue ihren Platz im öffentlichen Raum der Stadt, welche als dauerhafte Erinnerung an ihren Status und ihr hohes Sozialprestige diente. Ähnliche Züge weist auch die Ehrung der Pomponia Rosciana auf, einer Kaiserpriesterin aus Baetica. Der ordo des municipium Victrix Saepo hatte die Errichtung einer Ehrenstatue verfügt, und auch

793

Zu den Ehrungen von Frauen in Inschriften und dem damit zusammenhängenden „public image“ vgl. Forbis 1990. Im Gegensatz zu griechischen Ehreninschriften werden in Inschriften aus dem italischen Raum nicht die häuslichen Qualitäten der Frauen gelobt, sondern deren Großzügigkeit als Euergetinnen, wodurch sie sich nicht sehr von den Ehreninschriften für Männer unterscheiden. Ebd., 496f. 794 CIL 11, 3811: Caesiae Sabinae / Cn(aei) Caesi Athicti / haec sola omnium / feminarum / matribus Cvir(orum) et / sororibus et filiab(us) / et omnis ordinis / mulieribus municipib(us) / epulum dedit diebusq(ue) / ludorum et epuli / viri sui balneum / cum oleo gratuito / dedit / sorores piissimae. 795 CIL 14, 2804: Agusiae T(iti) f(iliae) Priscillae / sacerdoti Spei et Salutis Aug(ustae) / ex d(ecreto) d(ecurionum) Gabini statuam publice po/nendam curaverunt quod post / inpensas(!) exemplo inlustrium feminar(um) / factas ob sacerdotium etiam opus portic(us) / Spei vetustate vexatum pecunia sua refectu/ram se promiserit populo cum pro / salute principis Antonini Aug(usti) Pii / patris patriae liberorumque eius / eximio ludorum spectaculo edito / religioni veste donata / universis satis fecerit / cuius statuae honore contenta / inpensam(!) populo remiserit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum).

170

hier übernahm die Geehrte die Kosten hierfür selbst, und richtete außerdem ein Festmahl aus.796 Ebenfalls öffentlich mit einer Statue geehrt wurde Iulia Paulina, sacerdos der Ceres und Venus in Capena, und zwar anlässlich der von ihr ausgerichteten Feiern zu ihrem CeresPriesteramt. Als Venus-Priesterin ließ sie daraufhin – möglicherweise nicht nur anlässlich des neuen Priesteramtes, sondern auch als Geste des Dankes für die errichtete Ehrenstatue – zweimal ein Festmahl und eine Geldverteilung für die decuriones und municipes geben. Der Beschluss für die Errichtung der Statue ging auf die decuriones und municipes zurück, weshalb diese beiden Gruppen wohl auch von ihr mit epulum und sportulae bedacht wurden; als curator für die Statuenerrichtung wurde allerdings der Mann der Geehrten eingesetzt.797 Obwohl es sich also um eine öffentliche Ehrung handelte, war ihr Ehemann beteiligt, wobei sich die Frage aufdrängt, ob sich sein Engagement tatsächlich auf die genannte cura für die Statue beschränkte, oder ob er nicht vielleicht schon von vornherein einen größeren Einfluss auf die Ehrenbeschlüsse gehabt hatte. Iulia Felicitas, eine magistra der Fortuna Melior und Ehefrau eines quattuorvir im umbrischen Ameria, wurde hingegen nicht öffentlich von der Stadt geehrt, sondern durch das collegium centonariorum. Sie erstattete ebenfalls die Kosten für das Ehrenmonument und ließ eine Geldverteilung anlässlich der Einweihung durchführen. Außerdem zahlte sie 5.000 Sesterzen in die Vereinskasse ein, damit aus den Zinsen an ihrem Geburtstag eine jährliche Geldverteilung stattfinden konnte.798 Der enge Kontakt der Iulia Felicitas zu einem collegium überrascht etwas, da es nicht sehr viele Beispiele für Frauen gibt, die von einem Verein geehrt wurden und diesen mit der jährlichen Feier des Geburtstages betrauten. Die Ehrung durch dieses collegium und die verfügten Stiftungen unterscheiden sich in der Tat in keinerlei Hinsicht von ähnlichen Stiftungen, die von Männern getätigt wurden. Ob ihr Mann Mitglied in diesem Verein war – oder vielleicht sogar dessen Patron – lässt sich nur vermuten, doch könnte dies möglicherweise den engen Bezug der Stifterin zum collegium centonariorum erklären, für welches sie sich offenbar persönlich eingesetzt

796

CIL 2, 1341: Pomponia M(arci) f(ilia) / Rosciana sace/rdos perpetua / divorum diva/rum […] / [… huic] / ordo splendidis/simus muni/cipi(i) Victric(is) Saepone/nsium decrevit / accepto loco / statuam in foro / sua pecunia po/suit epulo dato / d(ecreto) [d(ecurionum)]. 797 NSA 1953, 21: Iuliae Ti(beri) fil(iae) Paulinae / sacerdoti Cereris municip(ii) / Capenatium foederatorum / ob honorem sacerdotalem / honestissimis caerimoniis / praebitum decuriones / item municipes / et postea sacerdoti Veneris / bis epulum et sportulas decur(ionibus) / et municipibus praebuit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum) // Dedicata VI Kal(endas) Mar(tias) / Glabrione et Maximo co(n)ss(ulibus) / curat(ore) L(ucio) Mucio Muciano / marito eius. 798 CIL 11, 4391: Iuliae M(arci) f(iliae) Felicitati / uxori / C(ai) Curiati Eutychetis / IIIIvir(i) magistrae Fortu/nae Mel(ioris) coll(egium) centonarior(um) / ob merita eius quo honore / contenta sumptum omnem / remisit et ob dedic(ationem) ded(it) sin/gulis HS XX n(ummum) et hoc amplius / arkae(!) eorum intul(it) HS V m(ilia) n(ummum) / ut die natalis sui V Id(us) Mai(as) / ex usuris eius summae epu/lantes im(!) perpetuum divider(ent) / quod si divisio die s(upra) s(cripto) celebrata non / fuerit tunc pertineb(it) omn(is) summa / ad familiam publicam.

171

hatte. Der Kontakt zu diesem Kollegium bot der Euergetin die Möglichkeit, im Rahmen des Vereins für ihre Wohltaten Prestige zuerkannt zu bekommen und dauerhaft in Form der Ehrenstatue sowie der jährlichen von ihr gestifteten Geldverteilung in Erinnerung zu bleiben. Einen etwas komplexeren Fall stellt eine Inschrift aus Castulo im heutigen Spanien dar, in der Lucius Cornelius Marullus geehrt wird. Die eigentliche Hauptperson der Ehrung ist jedoch nicht Marullus, sondern seine Mutter Cornelia Marullina, die der civitas von Castulo silberne Statuen, ein epulum sowie Circusspiele gestiftet hatte. Der ordo von Castulo hatte daraufhin beschlossen, sie und ihren Sohn mit Statuen zu ehren, wobei sie, wie andere Wohltäterinnen auch, die Kosten selbst übernahm. Für die Errichtung setzte sich Caius Cornelius Bellicus, ihr Erbe, ein, der außerdem zur Einweihung Circusspiele veranstaltete.799 Aus einer anderen Inschrift geht zudem hervor, dass Cornelia Marullina dem ordo von Castulo versprochen hatte, in Gedenken an ihren Sohn Lucius Cornelius Marullus einen Altar für Pietas Augusta aufstellen zu lassen. Auch hier wurde die Umsetzung der Stiftung von Caius Cornelius Bellicus übernommen, der wiederum Circusspiele anlässlich der Einweihung durchführen ließ.800 Cornelia Marullina tritt also als Euergetin in Erscheinung, die sich durch umfangreiche Stiftungen auszeichnete, die zum einen der Stadtgemeinschaft von Castulo zugute kamen, zum anderen dem Andenken an sie selbst und an ihren wohl vor ihr verstorbenen Sohn Cornelius Marullus dienten. Sie und ihr Sohn waren nicht nur durch die vom ordo verfügten Ehrenstatuen sondern auch durch den von ihr gestifteten Altar für Pietas Augusta im städtischen Raum präsent. Davon abgesehen bot die Beauftragung ihres Erben Cornelius Bellicus mit der Ausführung ihrer Stiftungen diesem die Gelegenheit, sich selbst als Wohltäter ins Spiel zu bringen, indem er anlässlich der Einweihung der Statuen und des Altars Circusspiele veranstalten ließ. Er konnte somit öffentlichkeitswirksam die Aufmerksamkeit breiter Teile der Stadt erneut auf die Stifterin und auf sich selbst als deren Erben und Ausführenden ihrer testamentarischen Bestimmungen lenken. Insgesamt zeigt sich, dass sich bei Stiftungen von Frauen sowohl die Formulierungen als auch die gestifteten festlichen Handlungen oder zuerkannten Ehrungen nicht von denjenigen der männlichen Euergeten unterscheiden. Außerdem fällt auf, dass zwar einige Stiftungsinitiativen und Ehrungen von Frauen in einem engen Zusammenhang zu männlichen

799

CILA, 3,1, 101: L(ucio) Corn(elio) Marullo / quod ordo Castulon(ensium) / pro liberalitate Cor(neliae) / Marullinae matris / eius quod civitatem / Castulonensium sta/tuis argenteis et epu/lo et circensib(us) decora(s)/set statuam ei et filio su/o positeram se decre/verat Cor(nelia) Marulli/[n]a honore accepto / d[e] pec(unia) sua poni iussit / [h]oc donum illius / C(aius) Co[r(nelius)] Bellicus heres eius / d(edit) d(edicavit) edi[tis] circensib(us). 800 CIL 2, 3265: Pietati Aug(ustae) / quod Cor(nelia) C(ai) f(ilia) Mar[ullina] / [ara]m posituram se o[rdini] / Castulonensiu[m] / [pr]omiserat in me[mori]/[a]m L(uci) Cor(neli) Maru[lli filii] / [su]i hoc donum [illius] / C(aius) Cor(nelius) [Bellicus heres eius] / [e]x arg(enti) libris […] / editis circensibus.

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Familienmitgliedern standen, Frauen aber durchaus in vielen Fällen auch als eigenständige Euergetinnen auftraten. Die überwiegende Mehrzahl der von Frauen getätigten Stiftungen lassen sich sogar als ‚reiner‘ Euergetismus charakterisieren; von diesen insgesamt 50 Stück wurden 13 als Ehrung für oder in Gedenken an ein Familienmitglied durchgeführt. Fünf Initiativen gingen auf die Ausführung von testamentarischen Bestimmungen einer anderen Person zurück. Lediglich elf Fälle lassen einen Zusammenhang mit der Ausübung eines Amtes erkennen, in zehn Inschriften wurden Stiftungen zum Totengedenken ins Leben gerufen und neun erfolgten als Dank für eine Ehrung. Es ist jedoch problematisch, auf diese Weise ein übergreifendes ‚Profil‘ für Stifterinnen zu erstellen, da die erfassten Frauen aus sehr verschiedenen sozialen Verhältnissen stammten und sich daher zwangsläufig eine große Spannbreite an unterschiedlichen Stiftungsinitiativen und -interessen ergibt. Von den sechs Frauen, die sich der Reichsaristokratie zuordnen lassen, tätigten fünf einen ‚reinen‘ Euergetismus, während eine ihre Initiative als Dank für eine Ehrung erfolgen ließ. Dieser Befund entspricht im Wesentlichen der Stiftungstätigkeit von männlichen Mitgliedern der Reichsaristokratie. Für insgesamt 34 Frauen lassen sich Bezüge zur munizipalen Oberschicht feststellen. Mit 17 Stück kann die überwiegende Mehrzahl der von diesen Frauen getätigten Stiftungen als ‚reiner‘ Euergetismus gelten; vier von diesen waren zudem als Ehrung für ein Familienmitglied gedacht, ebenfalls vier entstanden durch die Ausführung testamentarischer Bestimmungen einer anderen Person. Für zehn Stiftungen kann ein Zusammenhang mit der Ausübung eines Amtes festgestellt werden, was einen sehr viel geringeren Anteil ausmacht als bei männlichen Stiftern der munizipalen Oberschicht. Dies überrascht kaum: Abgesehen von einigen wenigen Priesterämtern standen Frauen keine politischen oder sakralen Ämter offen. Die Frauen der munizipalen Elite engagierten sich offenbar primär als Wohltäterinnen, da dies von Personen ihres Standes erwartet wurde und da es ihnen die Möglichkeit bot, für sich und ihre Familie Prestige zu erlangen und sich in der städtischen Öffentlichkeit zu positionieren. Da sich insgesamt nur vier Freigelassene unter den weiblichen Euergeten finden, lässt sich für diese keine Aussagen über ein mögliches ‚Stifterprofil‘ treffen. Eine neue Perspektive eröffnen hingegen die Stiftungen, die zum Totengedenken erfolgten: Die insgesamt zehn Fälle lassen sich bis auf einen Fall keiner sozialen Schicht zuordnen. Die eher bescheidenen Initiativen, die primär dem Andenken der Verstorbenen dienten und kaum einer prestigeorientierten Selbstdarstellung, lassen einen einfachen Hintergrund der Stifterinnen vermuten.

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1.7. Vereine Wie bereits in einigen der bisher diskutierten Inschriften angedeutet wurden häufig Vereine801 als Empfänger von Stiftungen eingesetzt, die mit der Durchführung der gestifteten Festlichkeiten betraut wurden. Wesentlich seltener gingen Stiftungen hingegen von den Vereinen selbst als Körperschaft aus. In der Regel traten collegia vor allem dann als Akteure in Erscheinung, wenn es darum ging, ein verdientes Mitglied oder einen Patron zu ehren, wie z.B. das corpus der negotiatores vinarii aus Lugudunum, das den Beschluss fasste, seinem Patron eine Statue zu errichten, wofür dieser sich im Gegenzug mit einer sportulae-Verteilung anlässlich der Einweihung erkenntlich zeigte.802 Außerdem finden sich einige wenige Inschriften, die die Stiftung von ludi durch magistri von verschiedenen Kultvereinen belegen, wie im Fall der magistri Herculis, die im 1. Jh. v.Chr. in Rom Spiele veranstalteten,803 oder der magistri des Iupiter Optimus Maximus, die ein Theater erbauen ließen und ebenfalls Spiele abhielten.804 Diese Inschriften datieren fast ausschließlich in die republikanische Zeit und stellen aufgrund ihrer kleinen Anzahl ein sehr beschränktes Phänomen dar, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen werden soll.805

801

Die antike Begrifflichkeit umfasst zahlreiche unterschiedliche Bezeichnungen für einen Verein, wie collegium, corpus, sodalitas oder societas, wobei diese Begriffe in der Regel austauschbar waren. Hier wird der Einfachheit halber von collegia oder Vereinen gesprochen. Zur Begrifflichkeit vgl. Tran 2006, 3f. und Diosono 2007, 5. Unter ‚Verein‘ werden hier sowohl die Zusammenschlüsse diverser Berufsgruppen (z.B. der häufig vertretenen fabri tignuarii) als auch primär religiös ausgerichtete Vereine (z.B. die dendrophori) verstanden. Zum römischen Vereinswesen allgemein vgl. z.B. Ausbüttel 1982, Waltzing 1895-1900 [1970]. Ein knapper Überblick zum römischen Vereinswesen samt Einordnung in die Forschung findet sich bei Bäumler 2014a, 60-64. 802 CIL 13, 1911: C(aio) Apronio / Aproni / Blandi fil(io) / Raptori / Trevero / dec(urioni) eiusd(em) civitatis n(autae) Ararico patrono / eiusdem corporis / negotiatores vinari(i) / Lugud(uni) / consistentes / bene de se m[ere]nti / patro[n]o / cuius statuae dedica/tione sportulas ded(it) negot(iatoribus) sing(ulis) corp(oratis) |(denarios) V. Weitere Ehrungen, die von collegia initiiert wurden, finden sich z.B. bei CIL 9, 3842; CIL 10, 451; 5968; 6465; CIL 11, 4391; AE 1991, 823. 803 CIL 6, 30888: […] / mag(istri) He[rc(ulis)] / suffragio pag(i) prim[i creati] / ludos feceru[nt]. Zu dieser Inschrift samt Datierung vgl. Stek 2009, 178, insbes. Anm. 31. 804 CIL 1, 2944: L(ucius) Quincti(us) L(uci) f(ilius) Gela(sinus?) L(ucius) Iu(v)enti(us) L(uci) f(ilius) Ruf(us) / C(aius) Tittius C(ai) f(ilius) C(aius) Helvius N(umeri) f(ilius) / L(ucius) Helvius L(uci) f(ilius) C(aius) Helvius N(umeri) f(ilius) Gero / P(ublius) Plinius M(arci) f(ilius) Q(uintus) Matuius Q(uinti) f(ilius) / C(aius) Paccius Cn(aei) f(ilius) M(arcus) Mamius M(ani) f(ilius) / C(aius) Sattius C(ai) f(ilius) P(ublius) Statius P(ubli) f(ilius) Stag(on) / heisce magistrei Iovei Optumo(!) / Max{s}umo(!) murum coniungendum / et peilam faciendam et t(h)eatrum / terra exaggerandum locavere / eidemque lu{u}dos fecere / Ser(vio) Sulpicio Ser(vi) f(ilio) Galba co(n)s(ule). Zu dieser Inschrift vgl. Chamberland 2012, 272f. 805 Außer den beiden genannten Inschriften finden sich noch magistri Mentis, die ludi scaenici abhielten (CIL 10, 6512), magistri, quaestores und ministri einer nicht näher bekannten Gruppe, die unter anderem ludi abhielten (CIL 10, 6679) und magistri des Castor und Pollux, die ebenfalls ludi veranstalteten (CIL 1, 2947).

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Einen guten Einblick in die Aktivitäten und insbesondere in das Festwesen von collegia bieten die inschriftlich überlieferten Vereinssatzungen. Auch wenn diese per se nicht als Feststiftungen im engeren Sinne gesehen werden können, stellte häufig die Stiftung eines Mitglieds oder Gönners den Ausgangspunkt für die inschriftliche Veröffentlichung der Satzung dar. Außerdem lohnt sich ein Blick auf die in diesen leges aufgeführten Feste, um die Stiftungen, die darüber hinaus im Zusammenhang mit Vereinen getätigt wurden (z.B. von einzelnen oder mehreren Mitgliedern oder von außenstehenden Personen), vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Festtraditionen der Vereine einordnen zu können. Die nur zum Teil erhaltenen acta der curia Iovis aus Africa proconsularis beschränken sich auf wenige Aspekte, und zwar auf die Stiftung von Wein, Speisen oder Geld durch Funktionsträger (flamen, magister, quaestor) oder als Strafe bei Fehlverhalten von Mitgliedern.806 Ebenfalls nur in Teilen überliefert sind die Beschlüsse der cultores Herculis aus Picenum, aus denen wir lediglich erfahren, dass die Mitglieder jährlich am Geburtstag eines gewissen Tiberius Claudius Himerus gemeinsam ein Mahl im Tempel des Hercules abhalten wollten.807 In den Bestimmungen der familia Silvani aus Samnium finden sich Hinweise zur Finanzierung der Opfer teils durch die Vereinskasse und teils durch einen eigenen Beitrag der magistri; außerdem werden Verhaltensregeln an Festtagen aufgeführt (Verbot von Prozessen und Streitigkeiten) und Regelungen genannt für die Bestattungen von Mitgliedern und für den Fall, dass ein Mitglied aus dem Verein ausschied. 808 Über die konkreten Festtage, die genaue Durchführung der Opfer und über mögliche weitere festliche Handlungen schweigt diese Inschrift jedoch und die Informationen zu den Festen der familia bleiben äußerst vage. Aus einer anderen Inschrift, die ebenfalls den Silvanus-Kult betrifft, erfahren wir dagegen deutlich mehr über die Festkultur: In Caposele stiftete ein Gönner Ländereien samt Landsitzen an das collegium Silvani, aus deren Erträgen der Neujahrstag, die Geburtstage des Kaiserehepaars, der Dedikationstag und der Rosentag mit Opfern begangen werden sollten.809 Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Festkanon in gleicher Weise für die familia Silvani aus Samnium oder für weitere Silvanuscollegia galt, da von keiner überregionalen Organisation von Vereinen auszugehen ist und zudem die eben erwähnte Inschrift auf eine einmalige Stiftung eines Gönners zurückging und keine eigentliche Vereinssatzung darstellte. Äußerst detailliert nehmen sich hingegen die leges zweier stadtrömischer collegia aus, die Satzungen des collegium Aesculapi et Hygiae810 und des collegium eborariorum et citri-

806

CIL 8, 14683. EE 8,1, 210. 808 AE 1929, 161. 809 CIL 10, 444. 810 CIL 6, 10234. Zu einer Übersetzung und Diskussion dieser Inschrift vgl. Schmeller 1995, insbes. 106-109. 807

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ariorum811. In beiden Texten werden konkrete Festtage aufgelistet, wie im Fall der Anhänger des Aesculap und der Hygia diverse Kaisergeburtstage, der Neujahrstag, der Gründungstag (dies natalis) des Vereins und Totengedenkfeste (dies karae cognationis, dies violari und dies rosae) und bei den negotiatores citriariorum et eborariorum ebenfalls der Kaisergeburtstag und Neujahrstag, sowie der dies imperii des Hadrian und die Geburtstage von Mitgliedern oder Gönnern des Vereins. Außerdem erhalten wir zahlreiche Informationen zu den durchgeführten festlichen Handlungen, da die Verteilungsmodi für die Ausgaben von Geld, Speisen und Wein genau festgelegt waren.812 Die wohl ausführlichste erhaltene Vereinssatzung ist für die cultores Dianae et Antinoi aus Lanuvium überliefert. Zunächst wird der Anlass für die Errichtung der Inschrift genannt: Lucius Caesennius Rufus, der Patron von Lanuvium,813 hatte offenbar dem Verein größere Geldsummen zur Feier der Geburtstage der Diana und des Antinoos gestiftet und überdies verfügt, dass die Vereinssatzung unter dem Tetrastyl des Antinoos veröffentlicht werden sollte.814 Nach dem Senatsbeschluss, durch welchen das collegium rechtmäßig gegründet wurde, folgt die eigentliche Satzung.815 Der Hauptzweck des Vereins scheint in der Organisation, Finanzierung und Durchführung der Bestattungen verstorbener Mitglieder bestanden zu haben, und die diesbezüglichen Bestimmungen nehmen einen recht großen Teil der Inschrift ein.816 Davon abgesehen findet sich auch eine Liste der regelmäßig durchgeführten Festmähler, die jeweils am dies natalis der beiden verehrten Gottheiten Diana und Antinoos sowie an den Geburtstagen des Patrons Lucius Caesennius Rufus und von dessen Familienmitgliedern stattfanden. Erstaunlicherweise fehlen in der Liste der Festtage sowohl allgemein beliebte Feste, wie der im collegium eborariorum et citriariorum und im collegium Aes-

811

CIL 6, 33885. Zu einer Übersetzung und Diskussion dieser Inschrift mit weiteren Literaturhinweisen vgl. Bäumler 2014a. Zu einer neuen Rekonstruktionszeichnung der Inschrift vgl. Ernő, Szabó, Lex collegii negotiantium citriariorum et eborariorum, in: Európé égisze alatt. Ünnepi tanulmányok Fekete Mária hatvanötödik születésnapjára barátaitól, kollégáitól és tanítványaitól, Pécs, Budapest 2015, 297-320. Leider ist dieser Beitrag auf Ungarisch verfasst und konnte daher von mir – abgesehen von den Zeichnungen – nicht rezipiert werden. 812 Vgl. Teil 2, Kapitel 5.2. 813 Ebel vermutet, dass es sich zugleich „unverkennbar“ um den „Patron des Vereins“ handelte. Ebel 2004, 53. 814 Ebd., 15 und 36-38. 815 CIL 14, 2112. Vgl. zu dieser Inschrift Ebel 2004, 12-75, die eine Übersetzung samt Gliederung der Inschriftenteile und eine ausführliche Diskussion dieser Inschrift vornimmt. 816 Allerdings warnt Ebel davor, von einer umfassenden Wiedergabe aller Aktivitäten und Schwerpunkte des Vereins auszugehen, da die in dieser Inschrift erfassten Bestimmungen „nur einen Ausschnitt der Vereinsaktivitäten“ zeigen und ebenso eine „Reaktion auf einen oder mehrere Mißstände und Konfliktherde“ gewesen sein könnten. „Auch wenn die Bestimmungen über die Bestattungsgelder mehr als ein Drittel der Inschrift umfassen, können durchaus andere Aspekte für die größere Attraktivität gerade dieses collegium gegenüber konkurrierenden Gemeinschaften verantwortlich sein und einzelne Menschen in Lanuvium zum Beitritt veranlassen.“ Ebel 2004, 33.

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culapi et Hygiae gefeierte Neujahrstag oder Kaisergeburtstag, als auch die in vielen Vereinen berücksichtigten Totengedenkfeste, deren Feier ja eigentlich in einem Verein naheliegen würde, der sich der angemessenen Durchführung der Bestattung der Mitglieder verschrieben hatte. Der Verein finanzierte sich aus einem einmaligen Aufnahmebeitrag in Form von 100 Sesterzen und einer Amphore Wein und einem regelmäßigen monatlichen Beitrag in Höhe von 5 Assen. Hinzu kamen Strafzahlungen für Fehlverhalten bei den Festessen, wie unruhiges Umhergehen (vier Sesterzen)817, Geschrei (12 Sesterzen) oder das Beschimpfen der Quinquennalen (20 Sesterzen). Für die Ausrichtung der Festmähler waren vier magistri cenarum zuständig, die jeweils für ein Jahr bestimmt wurden und für die Mahlzeiten jeweils eine Amphore Wein, pro Mitglied Brot für zwei Asse und vier Sardinen818 sowie die Herrichtung des Speisezimmers, warmes Wasser und die Bedienung zu stellen hatten.819 Kamen die magistri dieser Verpflichtung nicht nach, wurden sie mit einem Bußgeld in Höhe von 30 Sesterzen bedacht. Außerdem oblag es den Quinquennalen, an den Festtagen Weihrauch und Wein zu opfern und an den Geburtstagen der Diana und des Antinoos – dies waren sicherlich die zentralen Festtage des Vereins, zumal der dies natalis der Diana zugleich als Gründungstag des Vereins galt820 – für die Mitglieder Öl im öffentlichen Bad zu stellen, bevor diese am Festmahl teilnahmen. Die hier vorgestellten Vereinssatzungen zeigen, dass sich das Festwesen der römischen Vereine auf keine einfache Formel zusammenstreichen lässt. Einige collegia scheinen sich mit der Feier des Neujahrstags, der Totengedenkfeste und der Kaisergeburtstage für einen eher traditionell anmutenden Festkalender entschieden zu haben, womit zugleich an Feste angeknüpft wurde, die nicht speziell auf den Verein bezogen waren. Den Mitgliedern war hiermit die Möglichkeit gegeben, sich sowohl im Akt des gemeinsamen Feierns innerhalb des Vereins als auch in der Orientierung an außerhalb des Vereins liegenden, gesamtgesellschaftlichen mentalen Bezugspunkten als Gemeinschaft zu erfahren. Andere collegia wählten Feste, die einzelne Personen besonders hervorhoben, die in einem direkten Zusammenhang mit dem Verein standen. Hier kam ein alternativer Gedanke mit ins Spiel: Durch diese Feste wurde weniger versucht, integrative, gemeinschaftsstiftende Bezugs-

817 Ebel sieht in diesem Passus die Reaktion auf Versuche, durch die Einnahme eines anderen Sitzplatzes die vereinsinterne Hierarchie zu stören. Ebd., 66. Dies geht jedoch m.E. so nicht aus dem Text hervor; es scheint hier vielmehr um die Einhaltung einer ruhigen Atmosphäre beim gemeinsamen Festmahl zu gehen, das möglicherweise häufiger durch unterschwellige Konflikte gestört worden war. 818 Zur Diskussion der Art und Zubereitung der Fische vgl. ebd., 42f. 819 Ebd., 41f. Nicht klar ist, ob unter „Bedienung“ (ministerium) tatsächlich Personen zu verstehen sind, die die Speisen und Getränke reichen, oder ob damit, wie Mommsen vermutet, Geschirr zum Servieren gemeint ist. Ebd. 42 mit Anm. 125. 820 Ebel weist darauf hin, dass der Verein zwar an den Kalenden des Januar gegründet worden war, dieser Tag aber nicht als dies natalis galt. Offenbar wurde der Schutzgottheit Diana und deren Einzug in das Heiligtum hier ein größeres Gewicht zugeschrieben. Ebd., 66f., insbes. Anm. 205.

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punkte zu setzen, sondern es ging vielmehr darum, durch die gezielte Ehrung im Verein diesen Personen Prestige zuzuschreiben und sich möglicherweise der künftigen Unterstützung und Loyalität einflussreicher Gönner zu versichern. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass aus der Tatsache, dass Feste in der Vereinssatzung standen, nicht unbedingt geschlossen werden kann, dass damit der vollständige Kanon der tatsächlich im collegium begangenen Feste wiedergegeben wurde. So ist es gut denkbar, wenn nicht sogar recht wahrscheinlich, dass bei den cultores Dianae et Antinoi wie in anderen collegia auch der Neujahrstag, die Totengedenkfeste und diverse Feste für den Kaiser gefeiert wurden. Dies war vielleicht so selbstverständlich, dass es nicht nötig war, diese Feste in die Vereinssatzung aufzunehmen. In jedem Falle gilt es den öffentlichen Charakter zu berücksichtigen, der mit der Publikation der Vereinssatzung als Inschrift einhergeht. Im Falle der cultores Dianae et Antinoi diente die Vereinssatzung in erster Linie der Ehrung des Patrons samt seiner Familie, der, wie eingangs in der Inschrift erwähnt wird, wohl auch für die Aufstellung der Inschrift verantwortlich zeichnete. Trotz der expliziten Deklaration des Textes als lex collegii lässt er sich von seiner Intention wohl eher als Ehreninschrift denn als Vereinssatzung begreifen. Auch die im Verein durchgeführten festlichen Handlungen konnten unterschiedlich ausgestaltet sein. In einigen collegia, wie etwa beim collegium Aesculapi et Hygiae oder den cultores Dianae et Antinoi, scheint es eine große Rolle gespielt zu haben, die vereinsinterne Hierarchie bei der Verteilung von Geld, Speisen und Getränken penibel zu berücksichtigen. In anderen Vereinen, wie z.B. beim collegium eborariorum et citriariorum, wurden hingegen alle Mitglieder mit gleichen Anteilen bedacht, wodurch offenbar mehr Wert auf ein vergemeinschaftendes Element der vereinsinternen Feste gelegt wurde.821 Je nach Sozialstruktur der Mitglieder, Organisation, Ausrichtung und finanziellen Möglichkeiten gestalteten die Vereine ihre Festkalender also nach eigenen Vorstellungen, und die begangenen Anlässe und festlichen Handlungen konnten dementsprechend erheblich variieren – was angesichts der Vielfalt des römischen Vereinswesens nicht überrascht. Der jeweilige Festkalender, der häufig in den Vereinssatzungen verankert war, konnte schließlich durch zusätzliche Stiftungen ergänzt werden, die von einem oder mehreren Mitgliedern oder von außenstehenden Personen initiiert wurden. Dabei können zwei grundsätzliche Zielrichtungen ausgemacht werden: Zum einen lassen sich Initiativen greifen, die dem Verein unmittelbar zugute kamen, indem Kultgegenstände, Vereinsgebäude, Ländereien, Feste o.ä. gestiftet wurden. Zum anderen finden sich Stiftungen, die auf einem individuellen Interesse beruhten und die Person des Euergeten in den Mittelpunkt

821

Bäumler 2014a, 79.

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stellten, indem etwa eine jährliche Feier des eigenen Geburtstags verfügt wurde oder das Andenken durch die Abhaltung von Totengedenkfeiern gesichert werden sollte. Zu ersterer Gruppe zu zählen ist beispielsweise eine Inschrift aus Cemenelum, aus der wir erfahren, dass Lucius Blaesius Iunius Cornutus, magister im collegium der Dendrophoren, den Altar und den Fußboden der schola und der Vorhalle auf eigene Kosten errichten ließ und zudem – möglicherweise anlässlich der Einweihung – eine Verteilung von Geld und Wein durchführte.822 Dass die Vereine ähnlich der römischen Städte und Gemeinden ganz wesentlich auf den Euergetismus angewiesen waren, also darauf, dass sich Einzelpersonen dazu berufen fühlten, aus freien Stücken den Verein finanziell zu unterstützen, zeigt auch eine Inschrift aus Ostia. Hier gewinnt man einen recht umfangreichen Einblick in das Inventar eines Vereinsgebäudes, das größtenteils auf die Stiftungen von Mitgliedern zurückging. Die Stifter werden jeweils namentlich genannt, samt der von ihnen finanzierten und exakt aufgeführten Gaben, die Statuen und Bildnisse, aber auch Einrichtungsgegenstände wie Bänke, Tische, Schemel, Leuchter, Kissen und wohl auch einen Kessel samt Geräten zum Erhitzen von Wasser umfassten.823 Doch nicht nur die Ausstattung der Versammlungsräume wurde durch die Freigebigkeit der Mitglieder und Gönner gesichert, sondern auch das Vereinsleben selbst, insbesondere die internen Feste. Dabei konnte es sich um einmalige Initiativen handeln, wie die Stif822

CIL 5, 7904: L(ucius) Bla(esius) Iunius Cornutus / magister coll(egii) dendro/[p]hororum aram et pavi/mentum scholae et pro/navi de suo fecit / et sportulas dedit sing(ulis) / dendrophoris |(denarios) singulos / et vinum passim divisit. 823 AE 1940, 62: C(aio) Bellicio Flacco Torquato Ti(berio) Claudio [Attico Herode co(n)s(ulibus)] / statio dedicata V K(alendas) […] / curante Antonio Ingenuo et Herenuleio [Fausto …] / qui munera in statione posuerunt // M(arcus) Antonius Ingenu(u)s / statuam Verissimi Caesaris / cum Victoria{m} acrolitha{m} / imaginem argentiam(!) / Antonini Aug(usti) p(ondo) I / et ob dedic(ationem) univers(is) HS IIII n(ummum) / A(ulus) Herenuleius Faustus / imaginem Antonini Aug(usti) p(ondo) II / C(aius) Voltidius Martianus / imaginem Aeli Caesaris p(ondo) I / C(aius) Antistius Hermes / imaginem Concordiae arg(enteam) p(ondo) I s(emis) / C(aius) Antistius Onesimus / imaginem Verissimi Caesar(is) / argentiam(!) p(ondo) I s(emis) / C(aius) Nasennius Felix / imag(inem) arg(enteam) Antonini Augusti p(ondo) I / C(aius) Nasennius Felix iun(ior) / imag(inem) arg(enteam) Verissimi Caes(aris) p(ondo) I / P(ublius) Aelius Eutychus / scamna n(umero) VI / M(arcus) Cornelius Maximus / me(n)sas n(umero) IIII et scabilla II / M(arcus) Aeficius Hermes / et Cn(aeus) Sergius Felix / statuam acrolitham L(uci) Aeli / Commodi s(ua) p(ecunia) p(osuerunt) // Ti(berius) Claudius Threptus / miliarium cum caldario / d(onum) d(edit) / Q(uintus) Cornelius Hermes / et L(ucius) Aurelius Fortunatu[s] / statua(m) aerea(m) Antonini / Aug(usti) cum basi marmorea / s(ua) p(ecunia) p(osuerunt) et ob dedicationem eius viritim HS IIII n(ummum) / dederunt / L(ucius) Cornelius Euhodu[s] / imag(inem) arg(enteam) Antonini [Aug(usti)] / L(ucius) Aurelius cui / par candelabra d(onum) [d(edit)] / L(ucius) Cornelius Euhodus / (h)emitylia VI (h)illas IIII / L(ucio) Aelio Aurelio Comm[odo] / T(ito) Sextio Lateran[o co(n)s(ulibus)] XIIII K(alendas) April(es) / P(ublius) Sextilius Agripp[a] / obtulit in conventu […] / ea condicione uti ex us[uris] / summae s(upra) s(criptae) omnibus an[nis] / VIIII K(alendas) Sept(embres) die natali{s} su[i] / i(i) qui in collegio es[sent] / epularentur / quod si VIIII K(alendas) Sept(embres) qua[ndo(?)] / omnibus annis ii qu[i in] / collegio sunt eru[ntque…]. Vgl. zu dieser Inschrift Egelhaaf-Gaiser 2000, 311, die unter miliarium cum caldario einen Kessel mit Wassererhitzer versteht. Zur Ausstattung von Kulträumen mit Küchen und Speiseräumen vgl. ebd., 272-329.

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tung von Brot, Wein und sportulae durch den Patron der Dendrophoren von Cumae anlässlich der Dedikation der Inschrift, die die Namen der Mitglieder des Vereins verzeichnete,824 oder um die dauerhafte Einrichtung eines Festes, wie die testamentarische Hinterlassenschaft von 4.000 Sesterzen an einen Verein aus Ostia, aus deren Zinsen jährlich am 27.11. gespeist werden sollte.825 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine Inschrift aus Rom, in welcher die Stiftungen von sportulae durch mehrere quinquennales aufgelistet sind, wobei jeweils genau aufgeführt wird, welche Gruppen im Verein wie viel Geld erhalten sollten.826 Es konnte zwar offenbar von einem Quinquennalen erwartet werden, dass dieser sportulae „zu Ehren seines Vereins“ (in hon(orem) coll(egii) sui) stiftete, doch lässt die Tatsache, dass die Quinquennalen jeweils namentlich in der Inschrift aufgeführt wurden und dass sie zudem unterschiedlich hohe Summen zur Verfügung stellten, vermuten, dass es dennoch Spielräume gab, die Stiftung nach eigenen Vorstellungen auszugestalten. Die Initiativen von Mitgliedern und Gönnern blieben nicht nur auf das Leben und Feiern im collegium selbst beschränkt. In der Tat sollte nicht vergessen werden, dass viele Vereine große Präsenz im städtischen Leben zeigten und sich aktiv an Festen und Spielen der Stadtgemeinschaft beteiligen konnten.827 Auch die bauliche Ausgestaltung der Vereins-

824

CIL 10, 3699: Ex s(enatus) c(onsulto) dendrophori creati qui sunt / sub cura XVvir(orum) s(acris) [f(aciundis)] cc(larissimi) vv(iri) patron(i) L(ucius) Ampius Stephanus sac(erdos) M(atri) [d(eum)] q(uin)q(uennalis) / dend(rophorus) dedicationi huius panem vinum / et sportulas dedit (…) [es folgen 87 Namen der Mitglieder]. Da nicht genannt wird, worauf sich die Dedikation bezieht, wird hier davon ausgegangen, dass die Einweihung der Inschrift selbst gemeint ist. Es könnte sich jedoch auch beispielsweise um die Dedikation des Gebäudes handeln, an welchem die Inschrift aufgestellt wurde. Zum komplizierten Fundkontext der Inschrift vgl. van Haeperen 2010, 259. 825 CIL 14, 246: (…) A(ulus) Egrilius Faustus / testamento reli/qu(i)t HS IIII m(ilia) n(ummum) sub / ea condicione uti / ex usuris s(ummae) s(uprae) s(criptae) V Kal(endas) / Dec(embras) omnibus annis / epulentur (…). Warum dieses Datum gewählt wurde, lässt sich nicht erschließen – es könnte sich natürlich auch um den Geburtstag des Stifters handeln, womit diese Inschrift eher der zweiten Gruppe zuzurechnen wäre. 826 CIL 6, 29701: Sempron(ius) Amandus q(uin)q(uennalis) p(er)p(etuus) patronis et q(uin)q(uennalibus) p(er)p(etuis) in / hon(orem) coll(e)g(ii) sui sport(ulas) divis(it) |(denarios) XXVI item mag(istris) / qui eg(erunt) |(denarios)XXVI cur(atoribus) q(ui) adm(inistraverunt) |(denarios) XII plebi |(denarios) VIII / Cl(audius) Maximinus q(uin)q(uennalis) p(er)p(etuus) pat(ronis) et q(uin)q(uennalibus) p(er)p(etuis) in hon(orem) coll(egii) sui / sport(ulas) divis(it) |(denarios) XXVI item mag(istris) q(ui) [eg(it)] |(denarios) XVI cur(atoribus) q(ui)(!) |(denarios) XII / plebi |(denarios) VIII / Caelius Aprilis q(uin)q(uennalis) III in hon(orem) coll(egii) sui / sportulas divis(it) |(denarios) |(mille) / Maec(ius) Flqrinus(!) q(uin)q(uennalibus) II pat(ronis) [et] q(uin)q(uennalibus) p(er)p(etuis) sport(ulas) d(ivisit) |(denarios) XVI / m(agistris) q(ui)(!) |(denarios) XVI cur(atoribus) q(ui)(!) |(denarios) XII plevi(!) |(denarios) VIII in hon(orem) coll(egii) / Licin(us) Septiminus q(uin)q(uennalis) II in hon(orem) coll(egii) sui pat(ronis) et q(uin)q(uennalibus) / p(er)p(etuis) [sport(ulas) d(ivisit)] |(denarios) L mag(istris) q(ui)(!) |(denarios) XXVI cur(atoribus) q(ui)(!) |(denarios) XVI pl(ebi) |(denarios) XII / Soss(ius) Filocteta in hon(orem) coll(egii) sui / q(uin)q(uennalis) II sport(ulas) divisit |(denarios) |(mille). 827 Steuernagel 1999, 185f. Zanker und Neudecker stellen sogar fest, dass „Collegia bei Apotheosefeiern und Prozessionen die ganze Plebs Romana vertreten.“ Zanker/Neudecker 2005, 13.

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lokale zeugt in vielen Fällen von einer beabsichtigten repräsentativen Außenwirkung.828 So überrascht es nicht, dass sich viele Stiftungen nicht auf den vereinsinternen Rahmen beschränkten, wie etwa aus einer Inschrift aus Rom hervorgeht, die belegt, dass die Würdenträger eines Vereins auf dem Forum viertägige Spiele abhalten ließen.829 Es muss davon ausgegangen werden, dass die Veranstaltung von Spielen in besonderem Maße Aufmerksamkeit erregte und hiermit der Wunsch nach öffentlicher Wahrnehmung der Stifter zum Ausdruck gebracht wurde. Zudem dürfen die Stifter nicht nur auf ihre Vereinsmitgliedschaft reduziert betrachtet werden. Gerade bei Euergeten, die einem collegium etwas zugute kommen ließen, handelte es sich in vielen Fällen um die patroni des Vereins, und mithin um Personen, die zugleich in weitere soziale Netzwerke eingebunden waren und in der Regel einen hohen gesellschaftlichen Status innehatten. In Pisaurum wurde beispielsweise Caius Valius Polycarpus von der gesamten plebs für seine Verdienste geehrt, ein Mann, der von den ordines von Ariminum und von Piasurum jeweils mit den ornamenta decurionalia ausgezeichnet worden war. Zudem war er u.a. Patron der collegia fabrum centonariorum von Ariminum und Pisaurum, der navicularii und der vicimagistri von Pisaurum und der Dendrophoren von Ariminum. Anlässlich der Einweihung des Ehrenmonuments finanzierte der Geehrte sportulae an die Dekurionen, die Vereinsmitglieder (collegii) und an die plebs.830 Es greift also viel zu kurz, die Stiftungen zugunsten eines collegium nur im Kontext des Vereinslebens zu sehen. Zahlreiche Euergeten waren sowohl in Vereinen als auch im öffentlichen Leben präsent und dementsprechend muss in diesen Fällen der kommunikative Raum für den geäußerten Anspruch auf Prestige auf eine größere Öffentlichkeit ausgeweitet werden. In vielen Stiftungen für collegia zeigt sich, dass es den Stiftern nicht nur darum ging, selbstlos das Vereinsleben zu fördern, sondern sich zugleich selbst prestigeträchtig als Euerget zu präsentieren. So ließ etwa Caius Iulius Cocilius Hermes, Patron und quinquen828

So war z.B. das Augustalenkollegium in Misenum mit einer prächtigen Fassade mit tetrastylem Pronaos aus Marmor ausgestattet. Pensabene Perez 2000, 10-17. Die Versammlungsräume der collegia in Puteoli waren in einer Art „VIP-Lounge“ im Amphitheater angesiedelt. Steuernagel 1999, 154-156. 829 CIL 6, 29681: (...) C(aius) Iulius divi Augusti l(ibertus) Sosthenes / M(arcus) Iunius Felix / M(arcus) Etrilius Eros / L(ucius) Fadius Hetario / K(alendis) Aug(ustis) honor(em?) p(ublice) d(ederunt) ludos in foro / per quadriduum fecerunt. (…). Lesung der Inschrift nach http://www.edredr.it/edr_programmi/res_complex_comune.php?do=book&id_nr=EDR020628&partId=1, zuletzt aufgerufen am 26.10.2015. 830 CIL 11, 6378: C(aio) Valio / Polycarpo / ornamenta decurio/natus inlustratus a / splendidissimo or/dine Arimin(ensium) patron(o) / VII vicorum item col/legior(um) fabr(um) cent(onariorum) / dendr(ofororum) colon(iae) Arim(ini) / item ornamenta decuri/onatus inlustratus a / splendidissimo ordine Pi/saurens(ium) patrono collegi/orum fabr(um) cent(onarum) dendr(ofororum) navic(ulariorum) / et vicimag(istrorum) colon(iae) Pisaur(i) / plebs Pisaur(ensium) ob merita cuius / dedicat(ione) sportulas decur(ionibus) |(denarios) V / itemq(ue) collegiis |(denarios) II plebi |(denarium) I / dedit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum) p(ublice).

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nalis perpetuus der Dendrophoren von Ostia, dem Verein ein Götterbild der Magna Mater aus drei Pfund Silber zukommen sowie die Summe von 6.000 Sesterzen, aus der durch eine Verzinsung von 12% jährlich der Geburtstag des Stifters mit einem Festmahl und einer Geldverteilung begangen werden sollte.831 Zum einen bewies Cocilius Hermes pietas, indem er die Göttin, für deren Kult die Vereinsmitglieder zuständig waren, mit einem kostbaren Bild ehrte. Zum anderen schrieb er sich mit der Einrichtung einer jährlichen Feier seines Geburtstags auch selbst dauerhaft in den vereinsinternen Festkalender ein. Wie wichtig ihm diese jährliche Feier war, zeigt sich daran, dass er das collegium der fabri tignuarii von Ostia als alternative Empfänger der Stiftung einsetzte für den Fall, dass die Dendrophoren seine Bestimmungen nicht ausführten.832 Stellte dieser Euerget die Einrichtung der jährlichen Geburtstagsfeier in einen größeren Kontext mit weiteren Initiativen zugunsten des Vereins, so finden sich auch Beispiele, in denen es den Stiftern ausschließlich um die dauerhafte Feier ihres Geburtstags ging. Sextus Fadius Secundus Musa, ein offenbar sehr angesehener faber833 aus Narbo, der Patron des collegium fabrum war, hatte diesem collegium an seinem Geburtstag 16.000 Sesterzen gestiftet, damit jährlich die Zinsen in Höhe von acht Denaren unter die „Anwesenden und Speisenden“ (inter praesentes et epulantes)834 verteilt werden. Für den Fall, dass diese Bestimmungen nicht eingehalten wurden, sollte die Summe an den Fiskus des maximus princeps übergehen.835 Bemerkenswert an dieser Inschrift ist, dass diese Verfügung nicht

831

AE 1987, 198: C(aius) Iul(ius) C(ai) f(ilius) Cocil(ius) Hermes / patr(onus) et q(uin)q(uennalis) / p(er)p(etuus) col(legii) / den(drophorum) Ost(iensium) / signum M(atris) M(agnae) ex argent(o) p(ondo) III et |(sectans) et HS / VI m(ilia) n(ummum) d(onum) d(edit) ut VI / Kal(endas) Iun(ias) die natalis sui de / |(denariis) CLXXX usuras eorum epu/lentur et discumbentes / sportulas partiantur / quot(!) is observatum non / erit tunc s(ummas) s(upra) s(criptas) honoratis / coll(egii) fabr(um) tig(nuariorum) Ost(iensium) dari / volo sub condicione s(upra) s(cripta) / stipulatus est Cocilius / Hermes ispepond(it!) plebs / dedicat(um) Idib(us) Ianuari(i)s / Maximo et Glabrione / co(n)s(ulibus) ob cuius d(edicationem) d(ecurionibus) dedit ispor(tulas!) |(denarios) II. 832 Weitere Stiftungen für einen Verein kombiniert mit der Einrichtung der eigenen Geburtstagsfeier finden sich bei CIL 6, 1872 und 29700 sowie CIL 11, 4404. 833 Zur Diskussion der Bezeichnung fabri subaediani vgl. Fishwick 1987/1991, I,2, 250. 834 Slater geht davon aus, dass es sich hierbei um zwei verschiedene Gruppen handelte: Diejenigen, die am Mahl teilnahmen, und diejenigen, die lediglich anwesend waren und den Speisenden zusahen. Slater 2000, 115. Vgl. hierzu Teil 2, Kapitel 4.3 und 4.4. 835 CIL 12, 4393: Sex(to) Fadio P[ap(iria)] / Secundo Mu[sae] / omnibus ho[norib(us)] / in colonia N[arbo]/nens[i fu]ncto [curat(ori)] / primo [Aug(usti) templi] / novi Narbo[ne] / fabri subaedia[ni] / Narbonenses / patrono ob merita / eius l(ocus) d(atus) d(ecurionum) d(ecreto) // Exemplum epistulae / Sex(ti) Fadi Pap(iria) Secundi Musae / in verba infra scribta / [Fadi]us Secundus collegio fabrum Narbone(n)sium salutem / [et(?)] plurimis et adsiduis erga me meritis vestris referre gratiam / [quam]quam difficile est quo tamen amori vestro gratissimum sciam / [fore] modo largitionis inter liberos et clarissimum nepotem Iucundum / [seste]rtia sedecem(!) millia nummum V K(alendas) Maias primas die natali meo / [ar]cae vestrae inferam eaque die usuras totius anni computatas / [ass]e octono pernumerabo quo vel gratius sit munusculum meum / [porro] a pietate vestra peto ut usuras eius summae ea die / [hones]tissimo habitu inter praesentes et epulantes in perpetuum / [divi]datis neque ea summa in ullum alium usum convertatur / [cum et] ha[c] epistula caveam et de[i]nceps tabulis meis cauturus / [sim ut] si condicio [supra scripta(?)] mutata vel omissa fuerit / [ea pecunia

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in der üblichen knappen Weise verzeichnet wurde, sondern dass hier Auszüge aus dem Brief des Sextus Fadius Secundus wiedergegeben werden. Einerseits sind somit Details über die Hintergründe für das Zustandekommen einer derartigen Stiftung erhalten – etwa dass der Stifter sich zunächst mit einem Brief an das collegium wandte, er die Bestimmungen zusätzlich noch testamentarisch festlegte und anschließend ein offizieller Beschluss des Vereins erfolgte. Andererseits ist uns mit dem Wortlaut des Briefs ein Dokument erhalten, das sich sprachlich stark von den ansonsten eher knappen und formelhaften inschriftlichen Stiftungsverfügungen unterscheidet und den Stifter selbst zu Wort kommen lässt. Allerdings fällt bei näherer Betrachtung auf, dass der wiedergegebene Text ebenfalls sehr formelhaft wirkt und kaum Schlüsse über individuelle Entscheidungen des Verfassers zulässt. So formuliert Fadius als Motiv für seine Stiftung, dass er sich für die plurimis et adsiduis erga me meritis vestris bedanken möchte, doch es wird nicht näher ausgeführt, worin diese merita bestanden – hierbei scheint es sich wohl eher um eine Floskel zu handeln, die in derartigen Texten (und sicherlich auch in den zu diesen Anlässen gehaltenen Reden) eingesetzt wurde, als um eine Erläuterung der persönlichen Motivation der Stiftung.836 Aufschlussreich ist die Art und Weise, in der Fadius seine eigene Initiative beschreibt: Er bezeichnet die Stiftung der Geldsumme in einem Gestus der Bescheidenheit als munusculum, als „kleine Gabe“, womit impliziert wird, dass es sich um ein – trotz Bescheidenheit wohl nicht ganz so kleines – munus handelte, um eine freiwillige Gabe zugunsten der Empfänger. Trägt für den heutigen Betrachter die Einrichtung einer jährlichen Feier des eigenen Geburtstags eher egoistische Züge, da sich der Stifter im Fest selbst immer wieder den Feiernden in Erinnerung ruft, scheint dies in derartigen Verfügungen nicht unbedingt so empfunden worden zu sein. Die Beschreibung der Stiftung könnte mit den gleichen Worten für die Errichtung einer Götterstatue, eines Gebäudes oder einer Geldspende an einem vereinsinternen Festtag verwendet worden sein.

ad … per]tineat vel si in petenda pequnia(!) / [ii diff]erant ad fiscum maximi principis / [hanc vo]luntatem meam si modo probaveritis et vestram / [adsen]sionem uti aereae tabulae inscalptam ante aedem / [publice?] proponatis et in basi statuae quam mihi posuistis / [latere de]xtro scribatis impensissime peto / [quo cer]tior futurae observationis in desiderio meo probatio sit / [deinde?] manu Fadi Secundi subnotatum erat / [acta? it]a e mandato scribsi Kalendis Octobribus Orfito et / [Prisco c]o(n)s(ulibus) epistulam pro perfecto instrumento retinebitis / [val]ere vos cupio domini optimi et karissimi mihi / [huius liber]alitatis in perpetuum conservandae et / [celebr]andae gratia fabri subaediani Narbone(n)ses / [exemplum cu]m tabula aerea conlatum ante aedem loco / [celeberr]imo ponendum censuerunt. Zu einer Diskussion dieser Inschrift und insbesondere zu einer Identifikation des genannten Tempels als Capitolium anstatt des bisher ergänzten Augustustempels vgl. Fishwick 1987/1991, I,2, 250-254. 836 Zu den komplexen Abläufen im Vorfeld einer Ehrung und den in diesem Zusammenhang verfassten Dankes- und Ehrenreden vgl. Erkelenz 2005.

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Die Möglichkeit, den eigenen Geburtstag regelmäßig im Verein zu feiern, wurde offenbar häufig genutzt. Eine einzigartige Inschrift aus Ostia zeigt, dass hier mehrere Mitglieder eines Vereins837 diese Möglichkeit geradezu institutionalisiert hatten: Der Text ist überschrieben mit nomina eorum qui pecuniam […] et quibus die(bus) natalis e[orum] und ist als Kalender angelegt, in welchem diverse Namen, die jeweiligen Geburtstage und die einbezahlten Geldsummen samt den aus dieser Summe jährlich zur Verfügung stehenden Zinserträgen verzeichnet sind.838 Am Ende eines jeden Monats und bei Monaten, in denen keine Namen verzeichnet sind, wurde Platz gelassen, um nachträglich weitere Personen aufnehmen zu können.839 Die investierten Summen variieren hinsichtlich ihrer Höhe; am häufigsten werden 2.000 Sesterzen genannt, doch es finden sich auch höhere Beträge bis hin zu 6.000 Sesterzen. Aus der Reihe der Stifter sticht eine Person besonders hervor: Publius Claudius Abascantus, der die Marmortafel erstellen ließ, auf der die Inschrift verzeichnet wurde, und der uns aus einer anderen Inschrift bekannt ist, die wahrscheinlich ebenfalls eine Stiftung anlässlich seines Geburtstags betrifft.840 Stuiber vermutet daher, dass

837 Stuiber vermutet, dass es sich um die Dendrophoren handelte, da sowohl der Stifter der Inschrift, Publius Claudius Abascantus, als auch zwei weitere der genannten Personen Mitglieder der Dendrophoren von Ostia waren. Da ansonsten kein Empfänger der Geldsummen genannt ist, liegt laut Stuiber nahe, dass diese Stiftungen im Zusammenhang mit diesem Verein getätigt wurden. Stuiber 1960, 26. 838 CIL 14, 326: Nomina eorum qui pecuni[am …] / et quibus dieb(us) natalis e[orum …] / mens(is) Ian(uarius) / VIII Idus Ianuar(ias) / P(ubli) Cl(audi) Verati Abascantiani HS VI(milia) |(denarios) CLXXX / VIII Kal(endas) Febr(uarias) Gargili Felicis HS II(milia) |(denarios) LX / III Kal(endas) Febr(uarias) Vivi Successi HS II(milia) |(denarios) LX / VI Kal(endas) Febr(uarias) Bellici Philocyri HS II(milia) |(denarios) LX / XIII Kal(endas) Feb(ruarias) C(ai) Iuli Istori Octaviani HS II(milia) |(denarios) LX / VI Id(us) Febr(uarias) Venni Fausti / IIII Id (us) Feb(ruarias) Atini Doryphoriani |(denarios) L / Kal(endas) Febr(uarias) Iul(i) Theomnesti HS III(milia) |(denarios) LXXXX / Mart(ius) / Apr(ilis) / […] P(ubli) Claudi Arri Verati HS VI(milia) |(denarios) CLXXX […] / [… P]omponi Quirini HS II(milia) |(denarios) LX] / Mai(us) / [… M]ai(as) Proculei Chresimiani HS II(milia) |(denarios) LX F[…] / III Id(us) Mai(as) Papini Carici HS II(milia) |(denarios) LX […] / XVI K(alendas) Iun(ias) Aemili Primi HS II(milia) |(denarios) LV[…] / IIII K(alendas) Iun(ias) Claudiae Arriae matr(is) HS V[I(milia) …] / VI Kal(endas) Iun(ias) Iul(i) Cocili Hermetis HS |(denarios) […] // P(ublius) Claudius III provinc[i]ar[um libertus Abascantus] / tabulam marmore[am] // ]I[…] / P[…] / VI I[d(us) Iun(ias) …] / III Id(us) [Iun(ias) …] / VIIII K(alendas) [Iul(ias) …] / X […] / VII Id(us) [Iul(ias) …] / XI K(alendas) A[ug(ustas) …] / X K(alendas) Au[g(ustas) …] / X K(alendas) […]. Vgl. Stuiber 1960 und Herz 1989. 839 Dass einige der Namen erst später hinzugefügt wurden, zeigt sich daran, dass die Reihenfolge der Daten nicht immer geordnet ist, z.B. folgt auf den 30. der 27. Januar. Stuiber 1960, 24f. 840 CIL 14, 325: X[…]III Kal(endas) […] / [L(ucio) Se]ptimio Severo Pertinace Aug(usto) II / [D(ecimo) Clodio Septimio Albino Caes(are)] co(n)s(ulibus) // [… die]s III Kale[ndas …] / [P(ubli)] Clau[d(i)] Vera[ti Abascantiani] / [s]umm(as) dies VIII [I]du[s I]anuar(ias) / [dies supra s]criptos non observaverit / summas s(upra) s(criptas) rei public(ae) / [Ost(iensis?)] refundi sic paetus est // (…).

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„Abascantus die treibende Kraft für diese Natales-Stiftung [war], indem er für sich und die Seinen die Stiftung begründete und zwar mit besonders großen Stiftungskapitalien; dann schlossen sich weitere Dendrophoren und wohl auch Außenstehende an.“841

Interessant ist, dass die Stifter bereit waren, das zur Verfügung gestellte Geld zu veröffentlichen, womit ein direkter Vergleich zwischen den unterschiedlichen Summen angestellt werden konnte. Das Ziel war wohl, angesichts der zahlreichen Initiativen einen übersichtlichen Geburtstagskalender samt den jeweils zur Verfügung stehenden Summen zu schaffen, wobei es offenbar prestigeträchtig war, in diese Liste aufgenommen zu werden, auch wenn man sich nicht mit den wohlhabendsten Teilnehmern messen konnte. An dieser Inschrift lässt sich also gut erkennen, welche Eigendynamik eine derartige Stiftungsinitiative entwickeln konnte.842 Die Stiftung einer regelmäßigen Feier des eigenen Geburtstags war also ein recht übliches Mittel, sich als freigebiger Euerget zu zeigen und zugleich die eigene Person wiederholt in den Mittelpunkt der Feier zu stellen. Darüber hinaus konnte die Einrichtung einer jährlichen Geburtstagsfeier gerade im Rahmen eines Vereins das dauerhafte Andenken über den Tod hinaus sichern und somit eine ähnliche Funktion erfüllen wie die Totengedenkfeiern. Auch für diese Feste boten collegia eine beliebte Anlaufstelle, um sicherzugehen, dass man nach seinem Tod in Erinnerung blieb. So stiftete etwa Lucius Publicius Italicus, ein decurio ornatus, eine Geldsumme an das collegium fabrum von Ravenna, aus der unter anderem die Gräber für sich und seine Familie mit Rosen geschmückt werden sollten und ein Opfer sowie ein Festmahl abgehalten werden sollte.843 Es finden sich in der Tat zahlreiche Inschriften, die Stiftungen des Totengedenkens an einen Verein belegen, doch verdienen es diese, im Detail in einem eigenen Kapitel besprochen zu werden.844

841

Stuiber 1960, 26. Dass diese Inschrift in ihrer Art einzigartig ist, heißt jedoch nicht, dass es keine weiteren derartigen Geburtstagskalender in Vereinen gab. Stuiber vermutet, dass es in vielen Vereinen solche Verzeichnisse mit den gestifteten Feiern gegeben haben könnte, die nicht zuletzt auch dem Andenken nach dem Tode dienen sollten, doch wurden diese wohl sonst nicht auf Marmortafeln veröffentlicht. Ebd., 27. 843 CIL 11, 126: Flaviae Q(uinti) f(iliae) Salutari coniugi / rarissimae L(ucius) Publicius Italicus dec(urio) orn(atus) / et sibi v(ivus) p(osuit) hic coll(egio) fabr(um) m(unicipii) R(avennatis) HS XXX(milia) n(ummum) vivus dedit ex quor(um) / reditu quod annis decurionib(us) coll(egii) fabr(um) m(unicipii) R(avennatis) in aede Nept(uni) / quam ipse extru{c}xit die Neptunaliorum praesentibus sport(ulae) |(denarii) bini dividerentur / et dec(urionibus) XXVIII suae |(denarii) centeni quinquageni quodannis darentur ut ex ea summa sicut / soliti sunt arcam Publiciorum Flaviani et Italici filiorum et arcam in qua posita est Flavia / Salutaris uxor eius rosis exornent de |(denariis) XXV sacrificentque ex |(denariis) XII s(emis) et de reliq(uis) ibi epulentur / ob quam liberalitatem coll(egii) fabr(um) m(unicipii) R(avennatis) inter bene meritos quodannis rosas Publiciis supra s(criptis) / et Flaviae Salutari uxori eius mittendas ex |(denariis) XXV sacrificiumque faciundum de |(denariis) XII s(emis) / per magistros decrevit. 844 Vgl. Teil 2, Kapitel 3.4. 842

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Im Vergleich zu den oben vorgestellten Vereinssatzungen zeigt sich, dass sich die Stiftungsinitiativen einzelner Personen im Kontext von collegia nicht wesentlich von den in den Satzungen festgelegten Anlässen und festlichen Handlungen unterscheiden. Geldoder Speisenverteilungen zählten offenbar zu den gängigen Ausdrucksformen für ein Fest, und die Anlässe der gestifteten Feiern fallen mit Geburtstags- und Totengedenkfeiern ebenfalls nicht aus dem bereits in den Satzungen gesteckten Rahmen. Die Stiftungen, die im Zusammenhang mit Vereinen getätigt wurden, bewegten sich also auf bekanntem Terrain und nutzten bereits vorhandene Kommunikationsmuster und Medien, um durch die eigene Initiative Prestige einzufordern oder das eigene Andenken im Verein zu sichern. Zugleich scheinen die Stiftungen eine nicht zu unterschätzende Rolle für die collegia gespielt zu haben, denn ohne die Finanzierung von Gebäuden und Festen durch spendable Mitglieder und Gönner wäre wohl kein nennenswertes Vereinsleben möglich gewesen. Ähnlich wie die städtischen Gemeinwesen845 profitierten die Vereine also wesentlich vom persönlichen Einsatz der Euergeten.

1.8. Andere Gruppen Abgesehen von den Vereinen existierten noch weitere Gruppen, die als Feststifter auftraten. Erstens lassen sich die offiziellen Vertreter des Gemeinwesens als Initiatoren von Festen greifen. Dies geschah beispielsweise, wenn sich jemand im betreffenden Ort besonders verdient gemacht hatte, worauf ein Beschluss erfolgte, diese Person öffentlich etwa durch die Aufstellung einer Statue mitsamt begleitender festlicher Handlungen zu ehren. Das Organ, das diesen Beschluss fasste, war in der Regel der ordo. So ließ der ordo von Iporca in Baetica im heutigen Spanien eine Statue für Cornelia Tusca errichten und beschloss zudem, der Geehrten die Kosten für die in diesem Zusammenhang ausgerichteten cenae publicae zurückzugeben.846 Nicht unähnlich dieser Inschrift beschloss der ordo municipii Flavi Sosontigitanorum, ebenfalls in Baetica, cenae publicae zu Ehren des Augustalen Quintus Valerius Optatus und setzte sich für die Errichtung der Statuen ein, die Valerius Optatus für sich und seine Familie aufstellen lassen wollte.847 Die vielleicht bekanntesten derartigen Beschlüsse betreffen die Ehrungen, die im frühen Prinzipat anlässlich des Todes von verschiedenen Mitgliedern des Kaiserhauses durchge-

845

Veyne 1990, 18f. Daraufhin schlossen sich die seviri dem an und erstatteten ebenfalls ihren Teil der cenae. CIL 2, 1046: Corneliae Clementis f(iliae) / Tuscae sacerdotiae per/petuae ordo Iporcensi/um ob munificentiam / statuam rem[i]ssis cenis / publicis posuit / item seviri cenas remise/runt. Stylow/Gimeno Pascual 2001. Vgl. Teil 3, Kapitel 2.3. 847 CIL 2,5, 232: Q(uintus) Valerius Optatus / Augustalis perp(etuus) / huic ordo municipii Flavi / Soson[t]igitanorum / cenas publicas decrevit / et locum / in quo sta/tuas sibi uxori liberisq(ue) poneret loco adsignato / ponendas curavit. 846

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führt wurden. Als im Jahr 2 n.Chr. Lucius Caesar, der zweite Sohn von Iulia und Agrippa, den Augustus neben seinem älteren Bruder Gaius zur Sicherung seiner Nachfolge adoptiert hatte, überraschend verstarb, herrschte nicht nur in Rom selbst Trauer. Auch die colonia Pisa, deren Patron der Verstorbene gewesen war, nahm sich ein Beispiel an den plurimos ac maxsimos(!) honores, die zu diesem Anlass vom Senat und Volk von Rom beschlossen worden waren, und ließ einen Altar errichten, Opfer durchführen und verfügte eine jährliche parentatio an die Totengeister (manes) des Lucius.848 Zwei Jahre später starb der ältere Bruder des Lucius, Gaius Caesar, und abermals wurden in Pisa Beschlüsse zu Ehren der Bestattung des Gaius sowie zum jährlichen Totengedenken verabschiedet.849 Aus dem Jahr 19 n.Chr. sind sowohl aus Rom als auch aus dem etrurischen Heba die Senatsbeschlüsse zu Ehren des verstorbenen Germanicus überliefert.850 Außerdem sind die Verfügungen vom ordo equester, dem Senat und dem Volk von Rom anlässlich des Todes des Drusus, Sohn des Tiberius, im Jahr 23 n.Chr. erhalten. 851 All diese Beschlüsse zu Ehren verstorbener Mitglieder des Kaiserhauses bieten einen einzigartigen Einblick, wie einerseits an Traditionen des römischen Totenkultes angeknüpft wurde und andererseits neue Möglichkeiten ausgelotet wurden, um dem hohen Status der Verstorbenen gerecht zu werden. Diese Inschriften sollen daher an anderer Stelle ausführlich diskutiert werden.852 Ebenfalls auf das Kaiserhaus zielte eine Initiative der plebs von Narbo ab: Sie ließ einen Altar für das numen Augusti weihen,853 an dem jedes Jahr Opfer durchgeführt werden sollten, und zwar am Geburtstag des Augustus und am Tag danach, außerdem am Neujahrstag, am 7. Januar, da dies der Tag war, an dem Augustus erstmals das imperium übernahm, und am 31. Mai, da Augustus an diesem Datum offenbar einen Streit zwischen plebs und Dekurionen von Narbo geschlichtet hatte. Geopfert wurden Weihrauch und Wein, doch am Geburtstag des Augustus, am 7. Januar und am 31. Mai wurde zudem ein tierisches Opfer dargebracht. Die plebs Narbonensium wird als Stifter des Altars genannt, doch für die Opferhandlungen war eine genau spezifizierte Gruppe zuständig: Drei equites Romani und drei Freigelassene wurden damit beauftragt, das blutige Opfer abzuhalten, und sie sollten darüber hinaus Wein und Weihrauch für die Durchführung der unblutigen Opferhandlungen zur Verfügung stellen. Indem sie explizit genug Weihrauch und Wein sowohl für die coloni als auch die incolae zu gewähren hatten, wurde sichergestellt, dass

848

CIL 11, 1420. CIL 11, 1421. 850 AE 1949, 215. 851 CIL 6, 912. 852 Vgl. Teil 2, Kapitel 3.4. 853 Zur Verehrung des numen Augusti vgl. Fishwick 2007 und Teil 2, Kapitel 3.2. 849

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die gesamte Stadtgemeinschaft in die Feierlichkeiten zu Ehren des numen Augusti aktiv eingebunden wurde.854 Grundlegend gilt es anzumerken, dass eine öffentliche Ehrung einer Person immer auf einem offiziellen Ratsbeschluss beruhte und damit im Namen des Gemeinwesens erfolgte. Selbst wenn im Inschriftentext keine festlichen Handlungen im Kontext der Ehrung genannt sind, kann davon ausgegangen werden, dass die Errichtung einer Ehrenstatue stets mit Festlichkeiten verbunden gewesen sein dürfte, insbesondere wenn es sich bei dem Geehrten um eine hochstehende Person handelte. Erkelenz versucht, dem ganzen Prozedere, das mit einer derartigen Ehrung verknüpft war, zwischen den Zeilen nachzuspüren und vermutet, dass bereits die Verhandlungen im Vorfeld, also beispielsweise der Beschluss im Stadtrat oder der Empfang von Gesandtschaften des Ortes durch den Geehrten, von festlichen Handlungen begleitet wurden. Dies wird nicht zuletzt durch den Aufbau und die Struktur einiger epigraphischer Belege nahegelegt, die stark an eine laudatio erinnern und möglicherweise zu diesem Anlass gehaltene Ehrenansprachen widerspiegeln.855 Wird also beispielsweise in einer Inschrift aus Tuficum, Umbrien, als Urheber der festlichen Handlungen anlässlich der Dedikation der Ehrenstatue lediglich der Geehrte Lucius Gresius Proculus selbst genannt, der sich durch diese Geste für die Ehrung erkenntlich zeigte, heißt dies nicht, dass die municipes und incolae, die diese Statue initiiert hatten, 854

CIL 12, 4333: T(ito) Statilio Taur[o] / L(ucio) Cassio Longino / co(n)s(ulibus) X K(alendas) Octobr(es) / numini Augusti votum / susceptum a plebe Narbo/nensium in perpetuom / quod bonum faustum felixque sit Imp(eratori) Caesari / divi f(ilio) Augusto p(atri) p(atriae) pontifici maximo trib(unicia) potest(ate) / XXXIIII coniugi liberis gentique eius senatui / populoque Romano et colonis incolisque / c(oloniae) I(uliae) P(aternae) N(arbonensis) M(artii) qui se numini eius in perpetuum / colendo obligaverunt plebs Narbonen/sium aram Narbone in foro posuit ad / quam quot annis VIIII K(alendas) Octobr(es) qua die / eum saeculi felicitas orbi terrarum / rectorem edidit tres equites Romani / a plebe et tres libertini hostias singu/las inmolent et colonis et incolis ad supplicandum numini eius thus et vinum / de suo ea die praestent et VIII K(alendas) Octobr(es) / thus et vinum prae/stent K(alendis) quoque Ianuar(iis) thus et vinum / colonis et incolis praestent VII quoq(ue) / Idus Ianuar(ias) qua die primum imperium / orbis terrarum auspicatus est thure / vino supplicent et hostias singul(as) in/molent et colonis incolisque thus vi/num ea die praestent et pridie K(alendas) Iunias quod ea die T(ito) Statilio / Tauro M(anio) Aemilio Lepido co(n)s(ulibus) iudicia / plebis decurionibus coniunxit hostias / singul(as) inmolent et thus et vinum ad / supplicandum numini eius colonis et / incolis praestent exque iis tribus equitibus Roman[is tribusve] / libertinis unu[s // [Pleb]s Narbone(n)sis a[ram] / numinis Augusti de[di]cavit […] / […] / […] legibus iis q(uae) i(nfra) s(criptae) s(unt) numen Caesaris Aug(usti) p(atris) p(triae) quando tibi / hodie hanc aram dabo dedicabo/que his legibus hisque regioni/bus dabo dedicabo quas hic / hodie palam dixero uti infimum / solum huiusque arae titulorum/que est si quis tergere ornare / reficere volet quod beneficii / causa fiat ius fasque esto sive / quis hostia sacrum faxit qui / magmentum nec protollat id/circo tamen probe factum esto si / quis huic arae donum dare au/gereque volet liceto eademq(ue) / lex ei dono esto quae arae est / ceterae leges huic arae titulisq(ue) / eadem sunto quae sunt arae / Dianae in Aventino hisce legi/bus hisque regionibus sicuti / dixi hanc tibi aram pro Imp(eratore) / Caesare Aug(usto) p(atre) p(atriae) pontifice maxi/mo tribunicia potestate XXXV coniuge liberis genteque eius / senatu populoque R(omano) colonis / incolisque col(oniae) Iul(iae) Patern(ae) Narb(onensis) Mart(ii) qui se numini eius in per/petuum colendo obligaverunt / doque dedicoque uti sies volens / propitium. 855 Erkelenz 2005, 76-78. Vgl. Teil 3, Kapitel 2.2.

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nicht auch für festliche Handlungen im Rahmen der Ehrung verantwortlich gezeichnet haben konnten.856 Wurde der Patron einer Stadt oder ein Ritter oder Senator geehrt, kann mit großer Wahrscheinlichkeit von festlichen Handlungen im Zusammenhang der Ehrung ausgegangen werden. Die in der vorliegenden Arbeit erfassten Inschriften stellen also nur einen Bruchteil der Belege dar, da hier nur diejenigen Texte aufgenommen wurden, in welchen explizit festliche Handlungen und/oder ein Anlass genannt wurden. Ein anderer Bereich, in welchem die Stadtgemeinschaft als Kollektiv eine Person ehren konnte, war die Zuerkennung eines öffentlichen Begräbnisses, eines funus publicum, worunter in der Regel die Stellung eines Grabplatzes sowie die Organisation und Finanzierung der Totenfeierlichkeiten samt der damit verbundenen Ehrungen des Verstorbenen fiel, welche jeweils sehr unterschiedlich ausfallen konnten. Auch hier erfolgte der Beschluss durch die Dekurionen bzw. in Rom durch den Senat.857 Abgesehen vom ordo bzw. den decuriones finden sich noch weitere Gruppen, die die Stadtgemeinschaft oder zumindest Teile davon repräsentieren konnten. In Dalmatien wurde der angesehener Bürger Sextus Aurelius Lupianus von mehreren Gruppen mit einer Statue und einem Festmahl zur Einweihung geehrt: Genannt werden sowohl seine Kollegen im Dekurionenamt (decuriones collegae) als auch die populares und die peregrini incolae, womit wohl die Einwohner mit und ohne Bürgerrecht gemeint sein dürften.858 Eine Inschrift aus Althiburos, Africa proconsularis, verzeichnet hingegen sehr spezifisch das „Volk der 10. Kurie“ (populus curiar(um) X) als Initiator einer Ehrenstatue, wobei der Aufstellungsort vom ordo bereitgestellt wurde und die actores859 anlässlich der Einweihung sportulae für die Dekurionen und ein Festmahl für die Kurien gaben.860 Ganz ähnlich werden in einer weiteren Inschrift aus Althiburos die „curiales der 10. Kurie“

856

CIL 11, 5717: L(ucio) Gresio L(uci) f(ilio) / Ouf(entina) Proculo / IIIIvir(o) / municip(es) et incolae / merenti quod inter / cetera tempore m(a)gist(ratus) / sui in karitate olei civib(us) / suis quattus libr(a) p(ropria) / p(ecunia) et epul(um) dedit / idem dedicatione / [s]tatu[a]e municip(ibus) suis / decur(ionibus) HS VI et plebeis / utriusque xesus(!) [s]in[g(ularis)] / HS IIII n(ummum) dedit / [l(ocus) d(atus)] d(ecreto) d(ecurionum). 857 Wesch-Klein 1993, insbes. 83-90. Zu einer ausführlichen Diskussion von Inschriften zu funera publica vgl. Teil 2, Kapitel 3.3. 858 ZPE 154, 261: Sexto / Aur(elio) Lupi/ano Lupi / filio princip(i) / decuriones / collegae et po/pulares et pere/grini incolae / civi optimo ob / merita pos(uerunt) / epulo dedicata / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 859 Unter den actores sind hier wohl die Fiskale des procurator zu verstehen. Georges 2013, 2, 3860. Möglicherweise handelte es sich bei dem Geehrten um den procurator selbst, da die Stiftung der sportulae und des Festmahls explizit von actores eius erfolgte. 860 CIL 8, 1828: […] / et singu[lar …] / integritatis […] / qui temporibus cura[e suae] / inter cetera [beneficia etiam] / ornamentum moenibus / et salutem civibus / perpetu(u)m perductis / fontibus contulerit / populus curiar(um) X / loco ab ordine dato / alteram statuam posuit / et ob dedicationem / decurionib(us) sportulas / curi(i)s epul(um) act[o]res eius / deder(unt).

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(curiales curiarum X) als Errichter der Ehrenstatue genannt, und wiederum setzten sich die actores für das Festmahl zur Dedikation ein.861 Bei vielen dieser Gruppen, die zwar als „Einwohner“ oder „Volk“ für die Gemeinschaft bzw. Teile von dieser standen, aber nicht per se mit dem Stadtrat gleichzusetzen sind, stellt sich die Frage, wie man sich einen solchen Beschluss realiter vorzustellen hat: Wie fasste eine Gruppe, die weder als eigene Institution greifbar ist, noch über einen eigenen Fiskus verfügte, einen Beschluss, der dennoch verbindlich war? Wie wurden die Bestimmungen schließlich durchgeführt und nicht zuletzt finanziert? Aus einigen epigraphischen Belegen erfahren wir, dass Ehrungen für verdiente Bürger gelegentlich spontan vom Volk bei den Spielen eingefordert wurden und die Finanzierung sogar durch Geldsammlungen im Theater gewährleistet werden konnte.862 Dies könnte beispielsweise für die oben besprochene Inschrift aus Dalmatien zutreffen, in der sich neben den Dekurionen die populares und peregrini incolae für die Ehrung eingesetzt hatten. Doch auch hierbei ist nicht klar, wie eine derartige Geldsammlung konkret organisiert wurde, denn es müsste immer noch ein Vertreter bestimmt werden, der das Geld einsammelt und verwaltet, und sich für die beschlossenen Ehrungen einsetzt. Ob dafür extra eine Person bestimmt wurde oder ob vielleicht schlicht der ordo damit beauftragt wurde, bleibt im Dunkeln. Zudem ist es denkbar, dass im Inschriftentext bewusst allgemeine Bezeichnungen für die Stadtgemeinschaft gewählt wurden, obwohl die Ehrung letztlich auf einem regulären Beschluss des Stadtrats beruhte: So wurde die Ehrenstatue für den römischen Ritter Publius Marius Lupercianus in Bergomum von „seinen Bürgern“ (civibus suis) beschlossen, doch legt die Formulierung censuerunt nahe, dass es sich rechtlich um einen offiziellen Beschluss des ordo und um eine Finanzierung aus dem städtischen Fiskus handelte.863 Allerdings darf nicht vergessen werden, dass sich Gruppen wie populus, cives oder incolae auch als Adressaten festlicher Handlungen finden, und dass in diesen Fällen tatsächlich

861

CIL 8, 1827: Cominiae [P]a[te]r[c]/lae T(iti) fil(iae) uxori M(arci) Helvi / Melior(is) Pl[a]c[e]n[t]i Sabini/ani Samuniani equo / publ(ico) in V dec(urias) adlecti / fl(aminis) p(er)p(etui) sacerdotal(is) prov(inciae) / Afric(ae) [p]roc(uratoris) Aug(usti) bis / matri Q(uinti) Helvi Melior(is) / Placenti Cominiani / curiales curiarum X / ob merita posueru[nt] / ob quam dedication[em] / [ep]ulaticium actores / [d]ederunt […]. Auch hier liegt es nahe, unter den actores die Fiskale des procurator zu verstehen, da es sich bei der Geehrten um die Ehefrau des procurator Augusti handelte. 862 Z.B. CIL 9, 4208: (…) plebs urba[na ex aere] / conlato bigam quam in amphitehatr[o postulaverat] / […]; CIL 8, 25808b: (…) universus populus / ex aere conlato statuam / posuit (…). 863 CIL 5, 5128: P(ublio) Mario / Vot(uria) / Luperciano / eq(uiti) R(omano) eq(uo) pub(lico) omn(es) / honor(es) municipal(es) / adept(o) iudici de select(is) / sacerd(oti) Caeninen(si) coll(egiorum) / fabr(um) cent(onariorum) dend(rophorum) m(unicipii) B(ergomatis) patron(o) / cuius eximia liberalitas post / multas largitiones hucusque / enituit ut lucar Libitinae / redemptum a re p(ublica) sua universis / civibus suis in perpetuum / remitteret huius tot et tam / ingentia merita ita / remuneranda censuerunt / ut effigiem illius perpetua / veneratione celebrarent / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum).

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von konkreten, exakt voneinander zu differenzierenden Gruppen ausgegangen werden muss, die etwa bei Geldverteilungen unterschiedlich berücksichtigt wurden.864 Abgesehen von Beschlüssen, die vom Volk oder von designierten Vertretern gefasst wurden, lassen sich noch weitere Gruppen erfassen, die festliche Handlungen initiierten. In einer Inschrift aus Rom werden zahlreiche Personen namentlich genannt, die zum Teil Mitglieder einer cohors vigilum waren, zum Teil als Schauspieler tätig waren, und die ein Monument für das Wohl des Kaisers Caracalla und der Iulia Augusta dediziert hatten, wobei ein Mann namens Claudius Cnorimus ludi acroamatis und ludi scaenici durchführen ließ.865 Ein Text aus Auximum belegt die Ehrung eines gewissen Caius Oppius Bassus durch die centuriones der legio II Traianae Fortis. Anlässlich der Dedikation stiftete der Geehrte eine cena für die coloni. Bassus hatte offenbar sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich angesehene Ämter bekleidet – er hatte es u.a. zum centurio verschiedener legiones und zum evocatus Augusti sowie zum praetor iure dicundo und Patron der colonia Auximum gebracht. Für die Errichtung der Ehrenstatue zeigte er sich interessanterweise nicht den centuriones gegenüber erkenntlich, die diese initiiert hatten, sondern den Bewohnern der colonia, die natürlich dem zur Einweihung anwesenden Publikum entsprachen.866

864

Vgl. Teil 2, Kapitel 5.1. CIL 6, 1063: Pro salute et incolumit[a]/te domini nostri Marci / Aureli Severi Antonini Pii A[ug(usti)] / et Iuliae Aug(ustae) matri(s) Aug(ustorum) n(ostrorum) [et] / castrorum / Cerellio Apollinare pr(aefecto) vig(ilum) et Firmio Amuntia[no] / subpr(aefecto) Ulpio Firmo |(centurione) fr(umentario) Rufio Verino |(centurione) fr(umentario) / Fulvio Socrate{n} tesserario Claudius Cnorim[us] / aedilis factus a vexillatione et ludos edidit de / suis acroamatis item scenici Cluvius Glaber arch(imimus) / Caetenius Eucarpus arc(himimus) Volusius Inventus stup(idus) Suelli[us] / Secundinus stup(idus) Lucilius Marcianus arc(himimus) Vindicius Fel[ix …] / Flavius Saturninus scur(ra) Datibus(!) Baianus opera feliciss[ima] // coh(ors) I vig(ilum) / |(centuria) Serotini / Atili Heliodor / Gemelli Felicissim(e) / Acci Montani / |(centuria) Quadrati / Fulvi Socrates tes(serari) / |(centuria) Iuventini / Caecina Valerian(e) / Arrunti Valerian(e) / |(centuria) Cordulonis / Cluvi Glaber arc(himime) / [C]aeteni Eucarpe arc(himime) / |(centuria) Zenonis / Helvi Ianuari / coh(ors) II vig(ilum) / |(centuria) Metretis / Anni Ianuari / Vibi Celer / Flavi Marce / |(centuria) Candidiani / Lucili Marciane / Iuli Maxime / coh(ors) III vig(ilum) / |(centuria) Victoris / [A]ureli Ex{x}orate // coh(ors) IIII vig(ilum) / |(centuria) Caesi / Vindici Felix / |(centuria) Provincialis / Iuli Donate / Messi Messiane / |(centuria) Decembriana / Ameti Felix / Suelli Secundin(e) / |(centuria) Asclepi / Iuli Felix / Datibe Baiane / Flavi Saturnin(e) / |(centuria) Peregrini / Corneli Solutor / coh(ors) V vig(ilum) / |(centuria) Ve[r]ini / Statili Severe / |(centuria) Rufi / Mari Claudian(e) / coh(ors) VI vig(ilum) / |(centuria) Severiani / Claudi Gnorime // Aoni Cratere / |(centuria) Marcellini / Minuci Secundian(e) / |(centuria) Iuliani / Turi Ianuari / Statili Satyr(e) / |(centuria) Venatoris / Aemili Felix / coh(ors) VII vig(ilum) / |(centuria) Victoris / Licini Maxim[e] / |(centuria) Restuti / Volussi Invente / item classis pr(aetoria) M(isenatis) / |(centuria) quadrieri Fide / Naevi Eutuchian[e] / |(centuria) trieris Spei / Flavi Antioce / Iuli Domnion / |(centuria) liburna Fidei / Ael(i) Alexandr[…] // dedicata III Id(us) Apr(iles) As[pro] / et Aspro co(n)s(ulibus). 866 CIL 9, 5840: C(aio) Oppio C(ai) f(ilio) Vel(ina) / Basso p(rimo) p(ilo) p(atrono) c(oloniae) / pr(aetori) i(ure) d(icundo) Aux(imi) |(centurioni) leg(ionis) IIII / Fl(aviae) Fel(icis) et leg(ionis) II Tr(aianae) For(tis) / evoc(ato) Aug(usti) ab act(is) fori / b(ene)f(iciario) pr(aefectorum) pr(aetorio) mil(iti) coh(ortis) II pr(aetoriae) / et coh(ortium) XIII et XIIII urb(anarum) / omnibus officiis / in 865

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Zu guter Letzt findet sich eine Reihe von Inschriften, die jeweils eine Liste von Freigelassenen bzw. in einem Fall Sklaven867 aufführen, die Spiele veranstalteten,868 Teile eines Theaters errichten ließen869 oder für andere Euergesien verantwortlich zeichneten.870 Ob diese Personen einem bestimmten Kollegium angehörten oder sich lediglich zum Zweck des genannten Euergetismus zusammengeschlossen hatten, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Das Anliegen, das hinter diesen konzertierten Stiftungen stand, lässt sich jedoch deutlich erkennen: War es einem Freigelassenen finanziell oder aus anderen Gründen nicht möglich, eine wirkungsvolle Stiftung zu tätigen und sein eigenes Ansehen im Gemeinwesen zu steigern, so bestand immerhin die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten abzusprechen und auf diese Weise als einer von mehreren Stiftern öffentlich in Erscheinung zu treten. Dass in diesen Fällen relativ häufig Spiele gestiftet wurden, zeigt, dass es den betreffenden Personen um eine größtmögliche Außenwirkung ging.

Betrachtet man die Initiativen der unterschiedlichen Stifter, lassen sich einige Punkte festhalten: Zum einen fällt auf, dass bei der Stiftung von Festen ein persönlicher Bezug zur Stadtgemeinschaft bzw. zu den jeweiligen Adressaten von Bedeutung war. Je mehr eine Person durch Ämter oder Mitgliedschaft in Vereinen in ein Gemeinwesen eingebunden war, desto wahrscheinlicher war es, dass diese Person festliche Handlungen zugunsten des Gemeinwesens ins Leben rief. Anders als Bau- oder Alimentationsstiftungen beruhten Feste auf der Existenz persönlicher Nahbeziehungen und einer konkreten Kommunikationssituation zwischen den Stiftern und den Empfängern. Dementsprechend lassen sich je nach sozialer Herkunft unterschiedliche ‚Stifterprofile‘ greifen: Der Kaiser selbst hatte zwar in Rom das Monopol auf das Fest- und Spielewesen, trat aber außerhalb Roms nicht als Stifter von Festen in Erscheinung. Die Mitglieder der Reichsaristokratie waren unterschiedlich stark in den Städten Italiens und der westlichen Provinzen präsent. Bestand ein persönlicher Bezug zu einem Gemeinwesen, konnten sich Senatoren und Ritter durch aufwändige Initiativen engagieren, wie das Beispiel des Plinius d.J. zeigt. Für Mitglieder der munizipalen Oberschicht lässt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Ausübung von Ämtern und getätigten Stiftungen feststellen. Sie waren in hohem Maße in die Stadtgemeinschaft eingebunden und für sie bestand daher die Verpflichtung, sich durch eigene Initiativen in das Gemeinwesen einzubringen.

caliga functo / centuriones leg(ionis) II / Traianae Fortis / optimo et dignissimo / in cuius ded(icatione) cenam col(onis) ded(it) / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 867 CIL 1, 2687. 868 CIL 1, 2506; 2687; CIL 11, 3613; CIL 14, 2118. 869 CIL 1, 2506. 870 CIL 11, 3613: Stiftung von crustulum et mulsum.

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Für Freigelassene lässt sich hingegen verstärkt das Bedürfnis vermuten, durch Stiftungen Präsenz im öffentlichen Raum zu zeigen und sich in der Stadtgemeinschaft zu positionieren. Für sie sowie für Bürger und auch Sklaven boten collegia die Gelegenheit, durch Feststiftungen innerhalb des Vereins und in der munizipalen Öffentlichkeit Prestige zu erlangen. Insgesamt muss darauf hingewiesen werden, dass möglicherweise bei den hier durchgeführten Versuchen, verschiedene ‚Stifterprofile‘ zu erstellen, auch unterschiedlichen epigraphischen Gepflogenheiten Rechnung getragen werden muss. Dass beispielsweise kaum Feststiftungen von Senatoren im Kontext mit der Errichtung von Ehrenstatuen greifbar sind, heißt nicht, dass diese nicht existierten. Wahrscheinlich hielten es Senatoren schlicht für nicht angebracht, diese inschriftlich zu dokumentieren, wie Erkelenz überzeugend argumentiert.871 Auch die auffallend geringe Zahl von männlichen Euergeten aus dem spanischen Raum im Vergleich zur hohen Zahl weiblicher Stifterinnen könnte vielleicht auf lokale inschriftliche Traditionen zurückzuführen sein.

2. Soziale Kontexte der Stifter Je nach Hintergrund des Stifters existierten unterschiedliche soziale Rahmen (Familie, Bekanntenkreis, Kollegen, Stadtgemeinschaft, collegia etc.), die wiederum mit unterschiedlichen Ansprüchen und Erwartungen an den Stifter, aber auch Möglichkeiten zur Gewinnung von Prestige einher gingen. Welche Chancen mit der Mitgliedschaft in einem Verein verbunden waren, wurde bereits aufgezeigt; die Rolle verschiedener Gruppierungen in der Stadtgemeinschaft als Empfänger soll an anderer Stelle betrachtet werden.872 Im Folgenden soll untersucht werden, welche persönlichen Nahbeziehungen der Stifter sich greifen lassen, sowohl zu den Adressaten der von ihnen initiierten Ehrung als auch zu anderen an der Stiftung beteiligten Personen. So bot die Errichtung einer Statue etwa auch denjenigen Personen die Chance, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, denen es verwehrt war, selbst durch Statuen ausgezeichnet zu werden.873

2.1. Freigelassene und ihre patroni Insbesondere für Freigelassene konnte beispielsweise die Ehrung des Patrons eine willkommene Gelegenheit darstellen, sowohl die Ergebenheit und Treue zum Patron als auch die eigene Freigebigkeit durch zusätzliche festliche Handlungen im Kontext der Stiftung 871

Erkelenz 2005, 94. Vgl. Teil 2, Kapitel 5.1. 873 Eck 2010, 129. 872

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öffentlich zu demonstrieren und somit die Einschränkungen, die durch die niedrige soziale Stellung gegeben waren, teilweise zu kompensieren.874 Aus einer Inschrift aus Africa proconsularis geht hervor, dass mehrere Freigelassene das Ehrenmonument für ihren Patron stifteten, während dieser sportulae und das Festmahl anlässlich der Einweihung wohl selbst finanziert hatte.875 In einer Inschrift aus Umbrien stellte der Freigelassene Eutyches hingegen sowohl die Statue für seinen Patron als auch crustulum et mulsum für die Dekurionen und das Volk anlässlich der Statuendedikation.876 Im Mittelpunkt der Ehrung und der Einweihungsfeierlichkeiten stand hierbei sicherlich zunächst einmal der Geehrte, ein centurio namens Caius Ligustinius Disertus. Doch dürfte dem Eutyches als treuem Klienten und Freigelassenen des Disertus, der sich für die Errichtung der Statue eingesetzt und zudem die Nahrungsmittel, die zur Einweihung verteilt wurden, finanziert hatte, durchaus auch die gebührende Aufmerksamkeit zugekommen sein. In Narbo ließ der sevir Augustalis Lucius Aemilius Moschus eine Statue für seinen Patron Lucius Aemilius Arcanus errichten, wobei er zur Instandhaltung der Statue 4.000 Sesterzen einzahlte und außerdem anlässlich der Einweihung eine sportulae-Verteilung ausrichtete.877 Interessanterweise wird explizit erwähnt, dass Aemilius Moschus die Statue für seinen Patron erst nach dessen Tod herstellen ließ. Die Aufstellung der Statue scheint also primär dem Bedürfnis entsprungen zu sein, den geschätzten Patron posthum zu ehren, da sich Moschus für diese Geste keine Gegenleistung seines Patrons mehr erhoffen konnte. Dem Gedanken der Ehrung entspricht zudem, dass der Name des Patrons in der Inschrift durch eine größere Schrift deutlich hervorgehoben wurde. Allerdings verzichtete der Stifter nicht darauf, sowohl seinen eigenen Namen und Status als sevir Augustalis als auch die genaue von ihm gestiftete Summe zu nennen. Könnte Letzteres noch darauf hindeuten, dass er durch die inschriftliche Veröffentlichung sichergehen wollte, dass die Statue aus der von ihm festgelegten Summe tatsächlich weiterhin gepflegt wurde, so gilt dies jedoch nicht für die explizite Erwähnung der Geldverteilung zur Einweihung: Dieser

874

Goffin 2002, 200. ILAfr 315: […]aliciorum / [et ob de]dicatione[m] / [decurio]nibus spor/[tulas] curialibus / [epulatio]nes dedit / […]us Dativus et / [Ru]fus liberti / [patr]ono optimo / [d(ecreto)] d(ecurionum). 876 CIL 11, 5960: C(aio) Ligustinio / C(ai) f(ilio) Clu(stumina) Diserto / |(centurioni) leg(ionis) XX V(aleriae) V(ictricis) / |(centurioni) leg(ionis) IIII Scythicae / item |(centurioni) leg(ionis) XX V(aleriae) V(ictricis) / evocato Aug(usti) / benef(iciario) praef(ecti) praet(oriae) / Eutyches lib(ertus) / patrono optimo / ob merita / cuius dedicatione / decurionib(us) et plebei / crus[tu]lum et mulsum / dedit. 877 CIL 12, 4354: L(ucio) Aemilio L(uci) f(ilio) Pap(iria) Arcano / trib(uno) mil(itum) leg(ionis) XI Gem(inae) et trib(uno) / mil(itum) leg(ionis) I Minerv(iae) item trib(uno) / mil(itum) leg(ionis) II Aug(ustae) omnib(us) hono/ribus in colonia sua funct(o) / adlecto in amplissimum / ordinem ab Imp(eratore) Caes(are) / Hadriano Aug(usto) IIIIIIvir(o) / equitum Romanor(um) curioni / quaestori urbano trib(uno) / plebis praetori designat(o) / L(ucius) Aemilius Moschus IIIIIIvir / Aug(ustalis) patrono optumo(!) post / obitum eius inlatis arcae / seviror(um) ob locum et tuitio/nem statuae HS n(ummum) IIII(milia) / l(ocus) d(atus) d(ecreto) IIIIIIviror(um) / et sportulis dedicavit |(denarios) III |(unciam). 875

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Passus, der offenbar erst nachträglich hinzugefügt wurde – zumindest befindet sich der Zusatz et sportulis dedicavit |(denarios) III deutlich außerhalb des durch einen Rahmen abgesetzten Inschriftenfeldes –, zielt allein darauf ab, die Leistungen des Stifters zu demonstrieren. So lässt sich hier der Wunsch von diesem ablesen, letztlich nicht nur als treuer Klient, der seinen Patron über dessen Tod hinaus ehrt, sondern auch als freigebiger Wohltäter in Erinnerung bleiben. Einem Augustalen aus dem etrurischen Nepet gelang es, selbst als zentrale Person in einer Inschrift in Erscheinung zu treten: Unabhängig von der Statue, die er für seinen Patron errichten ließ, und vom Festmahl anlässlich der Einweihung hatte er ludi veranstaltet und wohl schon zuvor ein weiteres epulum gegeben.878 Beim hier überlieferten Text handelt es sich offenbar nicht um die der Ehrenstatue des Patrons zugehörige Inschrift, sondern wahrscheinlich sogar um eine Ehreninschrift für den Augustalen selbst. Die Errichtung der Statue für den Patron, der nicht einmal namentlich genannt ist, wird hier unter weiteren Verdiensten genannt, wobei der Augustale als eigentliche Hauptperson auszumachen ist. Die Inschrift zur Ehrenstatue des Patrons ist leider nicht erhalten, daher kann nicht festgestellt werden, welches Gewicht dem Geehrten und dem Stifter in diesem Text eingeräumt wurde. Auch für den sevir Caius Oppius Leonas lassen sich verschiedene Initiativen greifen: Wie bereits erwähnt ließ er Statuen des Aesculap und der Hygia errichten, die er mit einer Geldverteilung und einer cena einweihte.879 Zugleich erwähnte der Stifter seinen Patron, als dessen adcensus er fungiert hatte, doch wird dieser hier, wie im Text aus Nepet, nicht namentlich genannt. Für ebendiesen Patron ist allerdings eine weitere Statuenstiftung des Leonas überliefert, die wohl öffentlich aufgestellt wurde; der Stifter ließ anlässlich der Dedikation ebenfalls eine cena für die coloni ausrichten.880 Die beiden Stiftungen müssen in einem intertextuellen und möglicherweise auch räumlichen Zusammenhang gesehen werden: Leonas zeichnete sich in der Öffentlichkeit von Auximum durch seine Wohltaten gegenüber der Stadtgemeinschaft und durch die pietas aus, die er gegenüber den Göttern

878

CIL 11, 3214: […] / Nestori / Aug(ustali) Nepete / hic ludos fecit / et dedicatione / statuae patroni / quam ipse posuit / et clupei sui iterum / municipibus Nepesinis / epulum dedit. 879 CIL 9, 5823: Aesculapio et Hygiae / sacrum / C(aius) Oppius C(ai) l(ibertus) Leonas / VIvir et Aug(ustalis) / honoratus in tribu / Cl(audia) patrum et liberum / clientium et adcensus / patroni sanctissimis / communicipibus suis d(onum) d(edit) / quorum dedicatione / singulis decurionibus / |(denarios) III Augustalibus |(denarios) II et / colonis cenam dedit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum) // Dedicati(o) Idib(us) Ianuar(iis) Plautio Quintilio et / Statio Prisco co(n)s(ulibus). 880 CIL 9, 5833: C(aio) Oppio C(ai) f(ilio) Vel(ina) / Sabino Iulio Nepoti / M(anio) Vibio Sollemni Severo / co(n)s(uli) / adlecto a Sacratissimo Imp(eratore) / Hadriano Aug(usto) / inter tribunicios pr(aetori) peregr(ino) / candidato Aug(usti) / leg(ato) prov(inciae) Baeticae cur(atori) viar(um) / Clodiae Anniae Cassiae / Ciminae trium Traianaru(m) / et Amerinae leg(ato) legion(is) XI / Cl(audiae) P(iae) F(idelis) leg(ato) Aug(usti) pr(o) pr(aetore) / provinc(iae) Lusitaniae / procons(uli) prov(inciae) Baeticae / patrono col(oniae) / Leonas lib(ertus) / adcensus patroni / et in dedic(atione) statuae / colonis cenam dedit. Eck 2010, 114 und 131f.

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und seinem Patron bewies. Trotz seines Status als Freigelassener versuchte er, sein Ansehen in der städtischen Öffentlichkeit zu mehren, und zwar durch zwei verschiedene Statuenstiftungen sowie durch die Feierlichkeiten zu deren Einweihung: Denn „[o]hne Zweifel stand der Freigelassene bei dieser Festivität auch im Zentrum der Aufmerksamkeit; sein Name war auf der Basis unter der Statue seines Patrons zu lesen.“881 Ähnlich interessante Bezüge lassen sich auch für die oben bereits kurz vorgestellte Stiftung des Annius Protus feststellen, der testamentarisch eine Statue für Fortuna Augusta verfügt hatte, um deren Errichtung und Einweihung sich dann die Töchter seines Mitfreigelassenen Hilarus kümmerten.882 Diese Stiftung ist, wie Eck bemerkt, in einem Zusammenhang mit zwei weiteren, der Victoria Parthica Augusta geweihten Statuen zu sehen, die von Marcus Annius Martialis, dem Patron und Freilasser des Protus, gestiftet worden waren und in deren unmittelbarer Nähe nun die Fortuna-Augusta-Statue errichtet wurde.883 Der Freigelassene imitierte also offenbar das Stifterverhalten seines Patrons, der ihm, wie Eck beschreibt, sozusagen das „Modell vorgestellt“ hatte, wie man durch eine derartige Initiative im Andenken der Bürger präsent bleiben konnte,884 und es gelang ihm in der Tat, sich in mehrfacher Weise zu verewigen: Zum einen war er natürlich in der Inschrift seiner eigenen Stiftung als Wohltäter genannt, zum anderen aber auch in den Inschriften der Statuen seines Patrons, da er gemeinsam mit seinen Mitfreigelassenen Hilarus und Eros mit der Errichtung der Statuen betraut war, wobei sie die von ihrem Patron vorgesehene Summe um zusätzliche 3.000 Sesterzen aus eigener Tasche aufgestockt hatten885 – eine Geste der Freigebigkeit, die sicherlich in der Öffentlichkeit nicht unbemerkt blieb. Die persönliche Verbindung zum Patron wurde von ihm also geschickt genutzt, um eigene Initiativen umzusetzen, die in einem räumlichen und inhaltlichen Kontext zu den Euergesien des Patrons standen. Auf diese Weise imitierte Protus nicht nur die Stiftungstätigkeit des Marcus Annius Martialis, sondern er konnte auch darauf hoffen, dass etwas vom Prestige des Patrons auf seine eigenen Stiftungen abfärbte. Die Töchter des Hilarus, die mit der Umsetzung der Statuenstiftung des Protus beauftragt worden waren, nutzten wiederum die Gelegenheit, auf eigene Kosten 4.400 Sesterzen für die Errichtung eines Tempels hinzuzufügen und ein Festmahl für die curiae auszurichten. Außerdem ließen sie in der Inschrift erwähnen, dass sie die von Annius Protus verfügte Statuenstiftung nicht nur aus dem von ihm dafür vorgesehenen Vermögen finanzierten, sondern dass ihr Vater Hilarus, der Mitfreigelassene des Protus, desgleichen eine Summe 881

Eck 2010, 131. CIL 8, 17831: Fortunae Aug(ustae) / Anniae M(arci) fil(iae) Cara flaminica et Tranquilla statuam quam / testamento suo Annius Protus ex HS XXII(milibus) legave/rat pecunia Proti et Anni Hilari patris sui / comparatam posuerunt et adiecta de suo ae/de ex HS IIII(milibus) CCCC dedicaver(unt) epulo curiar(um) d(ecreto) d(ecurionum). 883 CIL 8, 2354; Eck 2010, 130f. 884 Eck 2010, 130. 885 CIL 8, 2354. 882

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beisteuerte, wodurch dem Hilarus ebenfalls ein Anteil am Prestige der Stiftung eingeräumt wurde. Dieses Beispiel zeigt anschaulich, dass die testamentarische Stiftung einer Statue sowohl dem eigentlichen Stifter als auch den mit der Ausführung betrauten Personen und deren persönlichem Umfeld diverse Möglichkeiten bot, als Wohltäter in Erscheinung zu treten, indem die Stiftung durch eigene Aufwendungen erweitert wurde und man sich dadurch ebenfalls in der Inschrift verewigen konnte. Nicht nur dem Patron des Protus und des Hilarus, sondern auch diesen beiden Freigelassenen selbst sowie den Töchtern des Hilarus gelang es auf diese Weise, sich an prominenter Stelle in das öffentliche Gedächtnis einzuschreiben. Keine sehr große Rolle spielte hingegen der Bezug zum Patron bei einer Stiftung von drei Freigelassenen aus Fidenae: Anlässlich des Sevirats bzw. des Magisteramtes der Bona Dea ließen zwei Männer, Blastus Eutactianus und Secundus, und eine Frau, Italia, ein Monument zu Ehren des numen domus Augustae errichten, das sie mit einem epulum einweihten. Der Freilasser, ein Konsul namens Iulius Quadratus886, wird zwar in dieser Inschrift namentlich genannt, tritt aber ansonsten im Kontext der Stiftung nicht in Erscheinung.887 Im Vordergrund standen für die drei liberti sicherlich der Bezug zur Stadtgemeinschaft und die Herausstellung ihres eigenen gehobenen Status, der ihnen durch ihre neu erlangten Ämter zukam. Dass sie diesen gesellschaftlichen Aufstieg letztlich ihrem Freilasser und Patron zu verdanken hatten, wird zumindest durch dessen Nennung angedeutet. Die Tatsache, dass es sich bei dieser Person um einen Konsul und damit einen Angehörigen der römischen Elite handelte, dürfte sich sicherlich nicht negativ auf das Ansehen der drei Stifter ausgewirkt haben – dennoch erstaunt, dass dies in der Inschrift nicht stärker in den Vordergrund gestellt wurde. Das Verhältnis zwischen Freigelassenen und dem jeweiligen Patron konnte in inschriftlichen Feststiftungen also sehr unterschiedlich zum Ausdruck gebracht werden. Einerseits konnte der persönliche Bezug zum Patron deutlich herausgestellt werden, indem für diesen eine Ehrenstatue errichtet wurde, wodurch man selbst als treuer Freigelassener eines angesehenen Mannes wahrgenommen werden konnte. Erfolgten neben der Ehrung des Patrons noch weitere Euergesien, wie die Errichtung von Götterstatuen, lässt sich eine recht vielschichtige Stifterpersönlichkeit greifen, die nicht mehr ausschließlich auf die persönliche Beziehung zum Patron angewiesen war, deren Stiftungen aber dennoch in einem Kontext zu dieser Person zu sehen sind. Andererseits konnten die Kontakte zum

886 Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um den Konsul des Jahres 105, Caius Antius Aulus Iulius Quadratus. 887 CIL 14, 4057: Numini domus A[ug(ustae)] / Blastus Eutact[ianus et] / Secundus Iuli Quadr[ati] / co(n)s(ulis) II lib(erti) ob honorem V[Iviratus] / et Italia lib(erta) eiusd[em] / ob magis[t]erium B(onae) [D(eae)] / dedicaverunt XIIII K(alendas) Oct[o]b(res) / M(arco) Clodio Lunense […] / et P(ublio) Licinio Crasso co(n)s(ulibus) / quo die et epulum dederunt / incendio consum(p)tum senatus / Fidenatium restituit.

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Patron indirekt genutzt werden, indem bewusst an dessen Euergesien angeknüpft wurde, an deren Ausführung man vielleicht auch beteiligt war, wie im Falle des Annius Protus. Der Patron selbst bleibt im Inschriftentext der Initiative des Protus allerdings eher im Hintergrund. Die vielfältigen Bezüge zwischen Patron, Freigelassenen und deren Nachkommen und die unterschiedlichen Möglichkeiten, aus diesen persönlichen Nahbeziehungen Prestige zu erlangen, werden heute erst sichtbar, wenn die verschiedenen Stiftungen in einem gemeinsamen Kontext betrachtet werden – die Zeitgenossen dürften diese Bezüge durch die räumliche und zeitliche Nähe der gestifteten Monumente sowie die persönliche Nähe zwischen den Beteiligten wahrscheinlich deutlicher vor Augen gehabt haben. Schließlich konnte der Zusammenhang zwischen Freigelassenen und Freilassern auch schlicht durch die Nennung des Letzteren angedeutet werden, ohne dass ein direkter Einfluss des Patrons auf die Stiftungstätigkeit erkennbar ist. Die Stifter hatten in diesem Fall offenbar selbst bereits einen sehr hohen Status erreicht und sahen sich nicht mehr genötigt, Prestige aus Stellung des Patrons abzuleiten, indem auf den persönlichen Bezug zu diesem angesehenen Mann rekurriert wurde.

2.2. amicitia In seltenen Fällen lässt sich in den Inschriften eine der Patronage nicht unähnliche Form der persönlichen Nahbeziehung greifen: die amicitia. Hierunter versteht man meist den Kontakt zwischen gleichrangigen Personen (die in der Regel der Oberschicht entstammten), doch gelegentlich bezeichneten auch Klienten ihren Patron als amicus.888 So setzten sich beispielsweise die amici des Ädils Caius Egnatius Felix in Vallis, Africa proconsularis, für die Errichtung einer Ehrenstatue ein.889 Da sie es nicht für nötig erachteten, in der Inschrift namentlich genannt zu werden, lässt sich vermuten, dass es sich hier um mehr oder weniger gleichgestellte Mitglieder der munizipalen Oberschicht handelte, die prominent genug waren, dass jedem zeitgenössischen Betrachter der Inschrift dennoch klar war, um welche Personen es sich gehandelt haben musste. In einer Inschrift aus Pisaurum wurde der Ritter Titus Caedius Atilius Crescens, der nicht zuletzt als Patron der colonia zu den angesehensten Männern des Gemeinwesens zählte,

888

Page 2015, 175; Badian 1996, 590. CIL 8, 14783: C(aio) Egnatio C(ai) fil(io) / Papiria [Fe]lici aedi/li in[no]centissimo / amici ob m[er]itum ob cu/ius dedicationem idem / Egnatius praeter gymna/sium et missilia quae aedi/les edere solent diem sacri / Liberaliorum auxit et omni in/pensa(!) sua eum civib(us) universis / exibuit amplius etiam ludos sc(a)eni/cos edidit et ep[u]lum populo dedit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum).

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von den cives, amici et amatores eius mit einer Statue geehrt.890 Sowohl die herausragende Stellung des Geehrten als auch die Tatsache, dass die amici im Kontext der Bürger (cives) und Bewunderer (amatores) genannt werden, legen nahe, dass ein Statusgefälle zwischen diesen Personen und Atilius Crescens bestand. Dafür spricht auch, dass die amici et amatores Wert darauf legten, selbst in der Inschrift namentlich aufgeführt zu werden, und somit offenbar versuchten, aus ihrer persönlichen Nahbeziehung zu einem derart hochrangigen Mann Prestige zu beziehen. Im sogenannten marbre de Thorigny, einer außergewöhnlich detaillierten Ehreninschrift aus der antiken civitas Viducassium für den von dort stammenden Titus Sennius Sollemnis, werden seine Beziehungen zu verschiedenen Personen der Reichsaristokratie genannt. Unter anderem wird dieser als amicus und cliens des Tiberius Claudius Paulinus, vormaliger legatus Augusti pro praetore provinciae Lugdunensis, und als cliens des Aedinius Iulianus, dessen Nachfolger, bezeichnet. Diese beiden Männer hatten sich offenbar sehr für ihn eingesetzt, wie aus dem Wortlaut zweier Briefe hervorgeht, die auf den beiden Seiten der Statuenbasis wiedergegeben werden. Auf der rechten Seite findet sich ein Empfehlungsschreiben des Aedinius Iulianus, der inzwischen Prätorianerpräfekt in Rom geworden war. Der Brief auf der linken Seite der Basis stammte von Claudius Paulinus, mittlerweile legatus Augusti pro praetore der Provinz Britannia, und war an Sennius Sollemnis selbst gerichtet. Paulinus stellte darin Sennius Sollemnis einen Posten in seiner Legion in Aussicht und übersandte ihm neben einigen erlesenen Geschenken den Sold in Höhe von 25.000 Sesterzen.891

890

CIL 11, 6362: Zminthi / T(ito) Caedio T(iti) f(ilio) Cam(ilia) / Atilio Crescenti / eq(uo) p(ublico) patr(ono) col(oniae) et / primario viro q(uaestori) IIvir(o) et / IIvir(o) q(uin)q(uennali) patr(ono) VIvir(um) August(alium) / itemq(ue) coll(egiorum) fabr(um) cent(onariorum) navic(ulariorum) / dendr(ophororum) vicim(agistrorum) iuvenum foren/sium item studior(um) Apolli/nar(is) et Gunthar(is) cives amici / et amatores eius quorum / nomina inscripta sunt ob / eximiam benignamq(ue) erga / omnes cives suos adfectio/nem sinceramq(ue) et incompa/rabilem innocentiam eius / patrono dignissimo / cuius dedicatione sing(ulis) HS n(ummum) XXXX / adiecto pane et vino cum epul(o) dedit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum) // Uttedius Amand(us) / Vinnius Paulinian(us) / Poppaedius Valens / Apuleius Valens / Latron(ius) Festian(us) / Salluvius Felicissim(us) / Latron(ius) Faustinus / Sertorius Secundin(us) / Sertor(ius) Secundin(us) Iun(ior). 891 CIL 13, 3162: T(ito) Sennio Sollemni Sollem/nini fil(io) IIvir(o) sine sorte quater aug(uri) / [o]mnib(us) honorib(us) mun[eribus]que i[n] / [… functo … flamen] m[unera]r[i]us(?) in / [s]ua c[i]vitate eodemq(ue) tem[po]re sacerdo[s] / R[om]ae [et Aug(ustorum?) fuit(?)] et [o]mne genus spec/taculorum e[did]it [fu]erunt gladia[to]/r[um c]ertam(ina) n(umero) XXXII ex quibus per quad/riduum [n(umero)] V[III] s[i]n[e] missione edideru[nt] / [bal]neum quod [pop]u[lar]ibus coloniae s[uae] / pr[ofutu]rum S[ollemninus inferio]ribus(?) / funda[me]ntis inst[i]tut[is pae]ne [reli]querat / consumm(avit) d[e]s[tin(avitque) d]edere fructum unde / in perpetuum instauraretur is Sollemnis / amicus Tib(eri) Claud(i) Paulini leg(ati) Aug(usti) pro / pr(aetore) pro/vinc(iae) Lugd(unensis) et cliens fuit cui postea / [l]eg(ato) Aug(usti) p(ro) p(raetore) in Brit(annia) ad legionem sext[am] / adsedit cuique(!) ei salarium militiae / in auro aliaque munera longe pluris missi[t] / fuit cliens probatissimus Aedini Iuliani / leg(ati) Aug(usti) prov(inciae) Lugd(unensis) qui postea praef(ectus) praet(orio) / fuit sicut epistula quae ad latus scripta es[t] / declaratur adsedit

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Sollemnis konnte aus mehreren Aspekten Prestige beziehen: Zum einen werden seine eigenen Verdienste genannt, die zahlreichen Ämter, die er erfolgreich ausgeübt hatte, und seine Euergesien, wie die Veranstaltung von üppigen Gladiatorenkämpfen und der Bau der Thermen. Zum anderen war die Ehrung an sich außergewöhnlich, denn die Errichtung einer Ehrenstatue in der eigenen Heimatstadt durch den gallischen Landtag (tres provinciae Galliae) war laut der Inschrift zuvor noch niemandem zuteil geworden. Am meisten Gewicht kommt jedoch der ausführlichen Darstellung der Kontakte zu den beiden patroni zu, und nicht zuletzt die wörtliche Wiedergabe der beiden Empfehlungsschreiben auf den Seitenteilen ist in dieser Form einzigartig. Die Inschrift zeigt eindrucksvoll, wie wichtig die persönlichen Beziehungen des Sollemnis zu den beiden Mitgliedern der Reichsaristokratie waren und dass diese beiden patroni den sozialen und politischen Aufstieg des Sennius Sollemnis offenbar maßgeblich beeinflusst hatten. Ihre anhaltende und ausdrückliche Unterstützung des Sollemnis diente dazu, sein außergewöhnliches Ansehen in der Stadtgemeinschaft zu unterstreichen.

etiam in provincia Num[id(ia)] / Lambense M(arco) Valerio Floro trib(uno) mil(itum) leg(ionis) III Aug(ustae) / iudici arcae ferrar(iarum) / tres prov(inciae) Gall(iae) / primo umquam in sua civitate posuerunt / locum ordo civitatis Viducass(ium) libera(e) dedit / p(osita) XVII K(alendas) Ian(uarias) Pio et Proculo co(n)s(ulibus) // [E]xemplum epistulae Cl(audi) / [Pa]ulini leg(ati) Aug(usti) pr(o) pr(aetore) prov(inciae) / [B]ritanniae ad Sennium Sollem/nem a Tampio / licet plura merenti tibi h[aec] / a me pauca tamen quonia[m] / honoris causa offeruntu[r] / velim accipias libente[r] / chlamidem Canusinam / dalmaticam Laodiciam fibulam / auream cum gemmis rachanas / duas tossiam Brit(annicam) pellem vituli / marini semestris autem epistulam / ubi prope diem vacare coeperi[t] / mittam cuius militiae salari(u)m / [i]d est HS XXV(milia) n(ummum) in auro suscip[e] / [d]is faventibus et maiestate sanct[a] / Imp(eratoris) deinceps pro meritis / adfectionis magis digna / consecuturus concordit(er) // Exemplum epistulae Aedin[i] / Iuliani praefecti praet(orio) / ad Badium Comnianum pr[o]/cur(atorem) et vice praesidis agen[t(em)] / Aedinius Iulianus Badio / Comniano sal(utem) in provincia / Lugdune(n)s{s}(i) quinque fascal(is) / cum agerem plerosq(ue) bonos / viros perspexi inter quos / Sollemnem istum oriundum / ex civitate Viduc(assium) sacerdote[m] / quem propter sectam gravitat[em] / et honestos mores amare coep[i] / his accedit quod cum Cl(audio) Paulin[o] / decessori meo in concilio / Galliarum instinctu quorund[am] / qui ab eo propter merita sua laes[i] / videbantur quasi ex consensu provin[c(iarum)] / accus{s}ationem instituere tem(p)tare[nt] / Sollemnis iste meus proposito eor[um] / restitit provocatione scilicet inter[po]/[s]ita quod patria eius cum inter ce[ter(os)] / legatum eum creasset nihil de ac/tione mandassent immo contra laud[as]/[se]nt qua ratione effectum est ut o[mnes] / [a]b accusatione desisterent que[m] / magis magisque amare et compro[bare] / coepi is certus honoris mei erg[a se] / ad videndum me in urbem venit [atq(ue)] / proficiscens petit ut eum tibi [com]/mendarem recte itaque feceris [si] / de[si]d[e]rio illius adnueris et r(eliqua). Zu dieser Inschrift vgl. Pflaum 1948.

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2.3. Ehepartner Die persönlichen Nahbeziehungen, die sich wohl am häufigsten greifen lassen, betreffen Mitglieder der Familie.892 Es überrascht nicht, dass sich zahlreiche Inschriften finden, die das Andenken des Ehepartners sichern sollten, wie ein Grabmonument aus Sizilien, das Sextus Nonius Albanus für seinen Sohn und seine Ehefrau Caecilia Zotica errichten ließ. Wohl in Gedenken an seine Frau ließ er zudem ein epulum abhalten, womit möglicherweise das Totenmahl bei der Bestattung (silicernium) oder das Mahl am neunten Tag nach der Bestattung (cena novemdialis)893 gemeint gewesen sein könnte, oder vielleicht sogar ein jährliches Festessen zum Totengedenken – dass das epulum in der Inschrift genannt wird, könnte zumindest darauf hindeuten, dass es sich um eine regelmäßig abzuhaltende Veranstaltung handelte.894 Ein anderer Hintergrund für eine Stiftung war gegeben, wenn eine Person mit der Ausführung der testamentarischen Bestimmungen des Ehepartners betraut wurde, wie im Falle der Maria Prisca, die verfügt hatte, dass aus 4.000 Sesterzen ein Monument für Dea Fortuna errichtet werden sollte. Ihr Ehemann, der zugleich als ihr Erbe eingesetzt worden war, ließ das Monument anfertigen und anlässlich der Einweihung ein epulum geben.895 Die Errichtung der Götterstatue zeugte demnach nicht nur von der pietas der Stifterin selbst, sondern zugleich von der Freigebigkeit des Ehemanns, der aus eigenen Stücken die Festlichkeiten zur Dedikation finanziert hatte. Ebenfalls im Namen des Ehepartners, aber wohl noch zu dessen Lebzeiten, erfolgte die Stiftung einer Statue für den Kaiser Marcus Aurelius durch Annia Severa anlässlich des Pontifikats ihres Gatten Marcus Sergius Maternus. Zur Einweihung der Kaiserstatue ließ die Stifterin zudem eine Geldverteilung und Circusspiele ausrichten.896 Dies ist ungewöhnlich, denn in der Regel zeigte sich derjenige, der ein Amt erhalten hatte, selbst für dieses erkenntlich, und zwar meist durch zusätzliche Initiativen, die über die summa ho-

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Goffin 2002, 187. So Fasolo 2013, 83. 894 ILSicilia 12: Sex(to) Nonio / Sex(ti) f(ilio) Quir(ina) / Africano / […]NPP vix{s}it a(nnos) XXIIX // Caeciliae Zoticae / Sex(tus) Nonius Albanus / o[pt]imae uxori fecit / e[pul]um sing(ulis?) HS n(ummum) dignum eius. 895 Epigraphica 2003, 154: Deae Fortunae / Aug(ustae) sac(rum) / ex testamento [Ma]/riae(?) Silvani filiae / Priscae quam ex [HS] / IIII mil(ibus) n(ummum) fieri [iussit] / C(aius) Pleminius […] / heres id(em) coniunx eius / curavit et dedica[vit] / ob quam dedicati[o]/nem decurionibus epulum dedit l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 896 CIL 2,5, 59: Imp(eratori) Caesari / M(arco) Aurelio [A]nto[n]ino Aug(usto) [p(ontifici)] m(aximo) / Armeniaco P[a]rthico maximo / Medico tribuniciae pot(estatis) XX imp(eratori) V / co(n)s(uli) III p(atri) p(atriae) divi Antonini fil(io) [Divi] / Hadriani nepoti divi Traiani P[arth(ici)] / pro[nepo]ti divi Ner[vae] a[bne]p[oti] / conser[v]atori generis hu[mani] / ob honorem pontifica[tus] / M(arci) Sergii Materni mariti / Annia Q(uinti) fil(ia) Severa / epulo diviso editis circe(n)sibus / po[su]it / et d(edicavit). Durch die Formulierung epulo diviso lässt sich hier vermuten, dass unter epulum kein Festmahl sondern eine Geldverteilung gemeint ist. Vgl. Teil 2, Kapitel 4.4. 893

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noraria hinausgingen.897 Warum sich in diesem Falle die Ehefrau des Sergius Maternus dazu berufen fühlte, eine Kaiserstatue samt festlicher Handlungen zu Ehren des Priesteramtes ihres Mannes zu finanzieren, bleibt unklar. Es ist selbstverständlich nicht auszuschließen, dass Sergius Maternus ebenfalls als Stifter aktiv war und die entsprechenden Inschriften lediglich nicht erhalten sind. Das Engagement der Ehefrau zeigt jedoch, dass auch sie sich mit der mit dem Pontifikat verbundenen Ehre identifizierte: Durch die Stiftung der Statue und der Circusspiele anlässlich der Einweihungsfeierlichkeiten versuchte sie, das neuerworbene Prestige ihres Mannes öffentlich zu demonstrieren – und gleichzeitig für ihre eigene Freigebigkeit weiteres Prestige einzufordern. Noch eindeutiger auf das eigene Ansehen zielte die Initiative einer gewissen Vibia Marcella, die in Auximum eine Ehrenstatue für ihren Ehemann aufstellen ließ und für die Dedikation eine cena und ein epulum ausrichtete.898 Ging es bei der Errichtung eines Grabmonumentes um das Andenken eines Familienmitglieds, bei der Umsetzung der testamentarischen Verfügungen zumindest vordergründig um die Berücksichtigung des letzten Willens des Verstorbenen und bei einer Stiftung anlässlich eines neuerworbenen Amtes um den Dank für diese Ehre, so stellte eine öffentliche Ehrung des Gatten zu Lebzeiten einen direkten Anspruch auf Zuerkennung von Prestige dar. Dabei gerieten nicht nur der Geehrte, dessen zahlreiche Ämter in der Inschrift ausführlich genannt wurden, und der ausdrücklich für seine beispielhaften Verdienste gerühmt wurde (marito omnibus exemplis de se bene merito), sondern auch die Ehefrau selbst in den Blick: Sie ließ es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass sie das angesehene Amt der flaminia Augustarum innehatte. Darüber hinaus hatte sie durch die Organisation der Festmähler, zu denen die coloni und der populus geladen waren, sichergestellt, dass die Ehrung ihres Mannes und ihre eigenen Verdienste von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. Neben diesen Fällen, in welchen sich der Stifter oder die Stifterin für den jeweiligen Ehepartner einsetzte – sei es zum Totengedenken, als Ausführung des letzten Willens oder als dezidierte Ehrung –, finden sich auch Stiftungen, die auf einer gemeinsamen Initiative eines Ehepaars beruhten. Der Bau von Thermen in Narbo und die Verteilung von sportulae anlässlich der Einweihung wurde beispielsweise von einem sevir Augustalis und seiner Frau ermöglicht. Zwar wurde dem Ehemann eine prominentere Stellung als seiner Frau eingeräumt, indem er zuerst genannt und sein Name in deutlich größerer Schrift zum Haupttext abgesetzt wurde, während der Name der Ehefrau zwar ebenfalls größer, aber doch nicht ganz so groß wie der Name ihres Mannes erscheint. Dennoch wird durch die

897

Siehe Teil 2, Kapitel 3.7. CIL 9, 5841: L(ucio) Praesentio L(uci) fil(io) / Lem(onia) Paeto / Lattio Severo / praefecto coh(ortis) I Afr(orum) / c(ivium) R(omanorum) eq(uitatae) iudici selecto ex / V dec(uriis) pr(aetori) Auximi pat(rono) col(oniae) / aedili IIvir(o) Anconae / Vibia L(uci) f(ilia) Marcella / flamina August(arum) / marito omnibus exem/plis de se bene merito / et in dedic(atione) statuae / cenam colon(is) et epul(um) pop(ulo) ded(it) / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum).

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Formulierung deutlich gemacht, dass sowohl die Thermen als auch die Einweihungsfeierlichkeiten im Namen beider Personen gestiftet wurden.899 Aus einer Inschrift aus Veii geht hervor, dass eine gewisse Caesia Sabina für die Mütter, Schwestern und Töchter der centumviri, die Ehefrauen der Mitglieder des gesamten ordo und alle mulieres des municipium freien Eintritt in die Bäder und kostenloses Öl stiftete, und zwar für den Tag, an dem ihr Ehemann selbst Spiele und ein Festmahl für die Männer ausrichten ließ.900 Das Ehepaar trat also parallel am selben Tag als Wohltäter auf mit jeweils unterschiedlichen Adressaten. Hemelrijk interpretiert dieses Engagement als Reaktion auf den sozialen Aufstieg der beiden, da Cnaeus Caesius Athictus, der wohl libertiner Herkunft war, in den lokalen Senat (die centumviri) aufgenommen worden war.901 Mit ihrer Stiftung versuchte Caesia Sabina nun offenbar genau wie ihr Mann, ihren Status innerhalb ihrer neuen peer group, in ihrem Fall den hochrangigen Frauen der Stadt, auszubauen. Die Errichtung einer Ehrenstatue durch die sorores piissimae, die wohl Teil dieser Elite waren, deutet Hemelrijk konsequent als „öffentliche Anerkennung ihres Elitestatus“,902 und tatsächlich belegen nicht weniger als drei Ehreninschriften für Caesius Athictus, dass es auch ihrem Mann gelungen war, sich erfolgreich in der städtischen Elite zu positionieren.903

2.4. Eltern und Kinder Gemeinsame Initiativen gab es nicht nur von Ehepaaren, sondern auch von Eltern und ihren Nachkommen. Eine Stiftung für das Wohl eines Kaisers und einer Frau aus dem Kaiserhaus904 samt festlichen Handlungen zur Einweihung des Monuments wurde beispielsweise von einer Frau und ihren beiden Söhnen durchgeführt.905 Sehr häufig finden

899

CIL 12, 4388: […] Chrysanthus / [VIvir Aug(ustalis) c(oloniae) I(uliae) P(aternae) C(laudiae) N(arbonis)] M(artii) et Clodia Agathe uxor / [… loco si]bi dato ex decreto IIIIIIvirorum Aug(ustalium) / [balineum …] et marmoribus exstructum et ductu / [aquae … feceru]nt et sportulis datis dedicaverunt. 900 CIL 11, 3811: Caesiae Sabinae / Cn(aei) Caesi Athicti / haec sola omnium / feminarum / matribus Cvir(orum) et / sororibus et filiab(us) / et omnis ordinis / mulieribus municipib(us) / epulum dedit diebusq(ue) / ludorum et epuli / viri sui balneum / cum oleo gratuito / dedit / sorores piissimae. 901 Hemelrijk 2015, 196. 902 „[T]he ‘most devoted sisters‘ (sorores piissimae), whom I consider to be her new social peers, erected a statue for her, which may be regarded as public recognition of her elite status.” Ebd., 197. 903 CIL 11, 3807; 3808; 3809. 904 Die Namen wurden eradiert, möglicherweise handelt es sich um Elagabal und dessen Mutter. So Tomlin 1988, 145. 905 CIL 8, 1578: […] pro salute Imp(eratoris)] Caes(aris) [[…]] [et [[…]] Aug(usti) matris castr]orum Maria Lucina flam(inica) et L(ucius) Fulvius Kastus Ful/[vianus … proc(urator) prov(inciae) Africae tr]act(us) Kart(haginis) et Galliae Narbo[nensis … et L(ucius) Fulvius …] Britanniae inferior(is) fili(i) eius cum ob honor(em) eiusd(em) / [… promisissent adiectis ex

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sich Inschriften, die gemeinsame euergetische Akte von Vater und Sohn belegen, wie die Thermen im afrikanischen municipium Aurelium Commodianum Turcetanum, die samt elaborierter Ausstattung und Ausschmückung von Quintus Vetulenius Urbanus Herennianus, einem flamen perpetuus und curator rei publicae, und dessen Sohn erbaut und mit einem dreitägigen Festmahl und ludi scaenici feierlich eingeweiht wurden.906 Auch die Einlösung eines Gelübdes an Iupiter Optimus Maximus und Iuno Regina für das Wohl des Kaisers im etrurischen Tarquinii durch die Stiftung einer Eichenkrone und einer goldenen sella sowie der Ausrichtung eines Festmahls und der Verteilung von crustulum et mulsum anlässlich der Dedikation erfolgte durch Vater und Sohn, die beide dem ordo equester angehörten.907 Ebenfalls von Vater und Sohn wurden in Pompeji üppige munera mit 35 Paar Gladiatoren und eine venatio veranstaltet. Aus dieser Inschrift, einer Grabinschrift für Decimus Lucretius Valens, erfahren wir zudem, dass es sich bei dem Geehrten um einen Mann handelte, der von Claudius zum Ritter ernannt und bereits im Alter von acht Jahren in den ordo decurionum gewählt worden war.908 Die Veranstaltungen der Gladiatorenkämpfe und der venatio müssen sicherlich im Zusammenhang mit dieser Ernennung zum decurio

li]beralitate sua amplius HS X[… n(ummum) … fecerunt … ob dedicationem sp]ortulis decurionibus et epulis civibus datis. 906 CIL 8, 828: Magnilianorum / Q(uintus) Vetulenius Urbanus Herennianus / fl(amen) p(er)p(etuus) cur(ator) r(ei) p(ublicae) apodyterium novum / in dextera cellis exeuntibus / a solo constructum piscinas duas / cetera restaurata adq(ue) statuis / marmoribus tabulis pictis / columnis ingressu cellaru[m] / alisq(ue) rebus ornata sum(p)tu proprio / cum Magniliano filio suo / florentissimo adq(ue) prudentissi[mo] / adulescenti voto omnium civium / perfecit adq(ue) dedicavit et univer/s(a)e plevi(!) epulu(m) per tridu(u)m dedit nec / non et ludos sc(a)enicos ex(h)ibuit. Vgl. auch die fast identische Inschrift CIL 8, 23965. Auch zwei Inschriften aus Cosilinum belegen die Stiftung von Thermen von Vater und Sohn: InscrIt 3,1, 209: […] / Grati pat(er) et f(ilius) / [b]alneum sua pecu/nia fecerunt d(ecreto) d(ecurionum) / [p]ater epulo dato dedicavit, und AE 1969/70, 178 mit fast identischem Text. 907 AE 2008, 524: [Pro sal(ute) Ti(beri) Caes]aris divi Augusti f(ilii) divi Iuli n(epotis) Augusti pont(ificis) / [maximi co(n)s(ulis) V] imp(eratoris) VIII tribunic(ia) potest(ate) XXXVI nepotumq(ue) / [[[C(ai) Caesaris G]ermanici f(ilii) Germanici q(uaestoris)]] et Ti(beri) Caesaris Drusi f(ilii) / [coron(am) querc(eam)] ex auri p(ondo) X et sellam auratam cum ornament(is) / [sua pecun(ia) de]derunt dedicaverunt Iovi O(ptimo) M(aximo) Iunoni R(eginae) vot(um) s(olverunt) / [MM(arci) Tarquiti] Priscus pater harispex(!) Ti(beri) Caesaris Augusti / [[IIIIvir i(ure) d(icundo) prae]f(ectus) fabr(um) et Etruscus fil(ius) IIIIvir i(ure) d(icundo) trib(unus) milit(um) et / [praef(ectus) fabr(um) e]idemque dedicationis die decurionibus epulum / [et plebei crustu]lum et mulsum dederunt. 908 Campania p 297: D(ecimo) L[uc]retio [D(ecimi) f(ilio)] Men(enia) Valen[ti] / equo publico honorato ab(!) Ti(berio) Claudio Caesare Au[g(usto) Ger(manico)] / ann(is) VIII in ordinem decurionum gra[ti]s adlecto a[ed(ili?) IIvir(o) i(ure) d(icundo?)] / hic cum patre gladiatorum XXXV paria c[um eorum suppositiciis et] / legitima venatione dedit huic ordo de[curio]num [in funere HS … et] / locum sepulturae et d[… dari] laudarique publice eum et statuam equestrem [in foro] poni pecunia public(a) / censuit item Augustales [et pag]ani statuas pedestres et ministri eorum et [Fortu]nales(?) et scabillar(ii) / et Foreses clupeos(!) censuerunt vi[xit a]nnis […]. Zu dieser Inschrift und zu den Lucretii Valentes in Pompeji vgl. Camodeca 2008, 295-322.

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oder zumindest mit einem besonderen Punkt seiner politischen Karriere zu sehen sein:909 In der Tat sind zahlreiche Dipinti aus Pompeji überliefert, die weitere Veranstaltungen von Gladiatorenkämpfen und venationes von Decimus Lucretius Valens und dessen Sohn ankündigen, und dass beide politische Ambitionen hegten, geht nicht zuletzt aus den vielen erhaltenen Wahlaufrufen hervor.910 Die Stiftungen waren also offenbar ein Versuch des Vaters, dem Sohn den Zugang zu politischen Ämtern zu erleichtern.911 Während die Initiativen eines Ehepaars wohl meist einen Versuch darstellten, sich gemeinsam in der Öffentlichkeit zu präsentieren, verbarg sich hinter gemeinsamen Stiftungen von Eltern und Kindern wohl eher der Wille der Eltern, die Karriere des Nachwuchses zu befördern. Noch deutlicher tritt diese Motivation bei zahlreichen Stiftungen hervor, die Eltern alleine für ihre Nachkommen tätigten. Caius Iulius Victor, ein Ädil aus dem numidischen Castellum Arsacalitanum, ließ beispielsweise ein Bild der Victoria Augusta im Namen seiner Söhne errichten und mit der Veranstaltung von Spielen einweihen.912 Diese Stiftung sah der Vater, der selbst bereits eine erfolgreiche politische Karriere hinter sich hatte, offenbar als lohnenswerte ‚Investition‘ in die Zukunft der Söhne, die dank seines Engagements nun selbst in die öffentliche Aufmerksamkeit rücken konnten. Dass die Stiftung für Victoria Augusta erfolgte, zu deren Ehren sicherlich auch die ludi abgehalten wurden, dürfte wohl kein Zufall sein, denn er selbst trug, wie auch einer seiner Söhne, den Beinamen Victor. Durch die Errichtung dieses Bildnisses und die Abhaltung von Spielen zur Einweihung erscheint diese spezielle Göttin nicht nur als Ausdruck der Verehrung des siegreichen Kaisers, sondern darüber hinaus als eine Art persönliche Schutzgottheit der Familie, und die Stiftung kann gewissermaßen als Versuch gelesen werden, sich selbst zu feiern. Caius Torasius Severus, quattuorvir iure dicundo und Augur im umbrischen Spoletium, fand hingegen einen anderen Weg, seinen Sohn in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu stellen. Er ließ nicht nur Thermen913 im eigenen Namen sowie im Namen seines Sohnes errichten, sondern stiftete darüber hinaus Geldsummen an verschiedene Gruppen des städtischen Lebens – an die Dekurionen, die anwesenden municipes, die seviri Augustales, die Vertreter des Compitalkultes und die magistri vici –, damit diese jährlich

909

So auch Camodeca, der vermutet, dass die Spiele „all’inizio della sua carriera cittadina“ veranstaltet worden waren. Camodeca 2008, 300. 910 Z.B. AE 1915, 61a; CIL 4, 1185; 3884; 7992. Vgl. auch Mouritsen/Gradel 1991, 147. 911 Mouritsen/Gradel 1991, 147: „[T]he munera seem a measure to facilitate the son's entry into municipal politics.” 912 CIL 8, 6046: Victoriae / Aug(ustae) sacr(um) / C(aius) Iulius Victor / aed(ilis) praef(ectus) pr(o) IIIvir(is) / signum Victoriae / quod nomine Iulio/rum Tertulli Mar/tialis Quadrati Iuli/ani Victoris Hono/ratae filior(um) suorum / promiserat sua pec(unia) fec(it) / idemque dedicavit / et dedicationem / diem ludorum celebravit. 913 Zur Identifizierung des gestifteten Gebäudes als Bäder vgl. Fagan 2002, 263.

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am Geburtstag seines Sohnes ein öffentliches Festmahl abhalten konnten.914 Diese Bemühungen wurden zwar in erster Linie dem Stifter selbst angerechnet, denn er wurde vom ordo decurionum als Dank für seine Verdienste zum Patron des municipium ernannt, doch dürften sowohl sein eigenes daraus resultierendes Prestige als auch die regelmäßigen Feierlichkeiten zu Ehren seines Sohnes ihre Wirkung nicht verfehlt haben, diesen ebenfalls als angesehenen Mann in der Öffentlichkeit zu präsentieren.915 War der politische Aufstieg der Söhne des Caius Iulius Victor und des Caius Torasius Severus noch ungewiss, so zeugen weitere Inschriften davon, dass zahlreiche Stiftungen von Eltern im Kontext eines konkret angestrebten Amtes für den Sohn oder die Tochter versprochen und nach Erhalt desselben eingelöst wurden. Der dem ordo equester zugehörige Lucius Vibius Severus, der zudem Patron verschiedener Gemeinwesen war, ließ anlässlich der Ädilität seines Sohnes Lucius Vibius Rutilus venationes und ludi sollemnes abhalten, wobei die Inschrift durch Lucius Vibius Nepos, einem weiteren Sohn, im Namen seines Bruders errichtet wurde. Interessanterweise kommt dem neu ernannten Ädil in der Inschrift sehr wenig Raum zu; weitaus prominenter sind der Vater vertreten, dessen Ämter ausführlich wiedergegeben werden und der als Veranstalter der Spiele genannt ist, sowie der Bruder, der ebenfalls mit sämtlichen Ämtern aufgeführt wird und für die Errichtung der Inschrift verantwortlich zeichnete.916 Man erhält den Eindruck, dass sich sowohl Vater als auch Bruder für die politische Karriere des Vibius Rutilus einsetzten,

914

CIL 11, 04815: C(aius) Torasius C(ai) f(ilius) Hor(atia) Severus IIIIvir i(ure) d(icundo) / augur suo et P(ubli) Mecloni Proculi Torasiani pontif(icis) / fili(i) sui nomine loco et pecunia sua fecit idem / ad celebrandum natalem fili(i) sui in publicum dedit HS CCL(milia) / ex quorum reditu III K(alendas) Sept(embres) omnibus annis decuriones in publico / cenarent et municipes praesentes acciperent aeris octonos item / dedit VIviris Aug(ustalibus) et compit(alibus) Larum Aug(ustorum) et mag(istrorum) vicorum HS CXX(milia) ut ex reditu / eius summae eodem die in publico vescerentur hunc ob merita eius / erga rem publicam ordo decurionum patronum municipi(i) adoptavit. 915 Stiftungen einer jährlichen Geburtstagsfeier hatten allerdings häufig Gedenkcharakter, weshalb auch denkbar wäre, dass der Sohn des Stifters bereits verstorben war und der Vater ihm deshalb ein jährliches Gedenkfest einrichtete. Die Stiftung der Thermen in beider Namen lässt eher an eine Initiative denken, die die künftigen Karrierechancen des Sprösslings befördern sollte, daher wird hier vermutet, dass der Sohn noch lebte und die Geburtstagsfeier nicht dem Totengedenken diente. Auch in CIL 11, 5963 und 6377 wurden Stiftungen für eine jährliche Geburtstagsfeier des jeweiligen Sohnes ins Leben gerufen. Bei diesen beiden Inschriften ist ebenfalls nicht eindeutig ersichtlich, ob die Söhne noch lebten. Bei Letzterer wurde neben einem jährlichen Festmahl auch eine weitere Geldsumme für Gladiatorenkämpfe zur Verfügung gestellt, die alle fünf Jahre stattfinden sollten – dies könnte vielleicht auf einen Zusammenhang mit dem Totengedenken hinweisen, da Gladiatorenkämpfe ursprünglich eng mit dem Totenkult verbunden waren. Sicher lässt sich dies jedoch nicht feststellen; im Text finden sich keine weiteren Hinweise, dass die Stiftung der memoria des Sohnes galt. 916 CIL 9, 3314: L(ucius) Vibius Severus / aedilis IIIIvir q(uin)q(uennalis) / splendidus eq(ues) / Romanus patro/nus civitatis Supe/raequanorum item / patronus civitatis / Anxatium Frentanor(um) / et Peltuinatium Vestin(orum) / hic ob honorem aedilita/tis L(uci) Vibi Ru[ti]li fili(i) sui / eq(uitis) R(omani) ad deam Pelinam pri/mus huic loco venatio/nem edidit deinceps ludos / sol[l]emnes L(ucius) Vibius Nepos / filius aed(ilis) IIIIvir iur(e) d(icundo) eq(es) R(omanus) / patronus civitatis ob / nomen fratris sui ti/tulum publice dica/vit Aureliano Aug(usto) / et Basso II co(n)s(ulibus) XVI Kal(endas) Iun(ias).

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doch bleibt dieser selbst in der Inschrift merkwürdig blass, während die Leistungen des Vaters und Bruders hervorgehoben wurden. Auch Germanus Sutunurcensis, der anlässlich des dauerhaften Flaminats seiner Tochter Quinta je eine Statue für Divus Hadrianus sowie für Lucius Aelius Caesar errichten ließ, steht als Stifter dieser Statuen klar im Vordergrund: Er hatte nicht nur die versprochene summa legitimia für das Priesteramt der Tochter in Höhe von 4.000 Sesterzen für die Errichtung der Statuen zur Verfügung gestellt, sondern darüber hinaus weitere 75.000 Sesterzen hinzugefügt und, wahrscheinlich zur Einweihung der Statuen, gymnasium gestiftet.917 In einer Ehreninschrift für Lucius Rasinius Saturninus Maximianus wird dies noch deutlicher: Unter den Tugenden des Geehrten wird neben dessen vorbildlichem Verhalten, seiner clementia und liberalitas auch erwähnt, dass er anlässlich der Priesterämter seiner Söhne ludi veranstalten ließ.918 Die Leistung, die summa honoraria für das Amt eines Sohnes oder einer Tochter zu stellen oder anlässlich eines Amtes eine Stiftung zu tätigen, wird in diesen Beispielen eindeutig dem jeweiligen Elternteil zugeschrieben, dem somit auch primär das damit verbundene Ansehen zukam. Natürlich dürfte sich das erhöhte Prestige der Eltern indirekt auch auf die Nachkommen und deren Karrierechancen ausgewirkt haben. Ganz anders stellt sich die Lage in einer Inschrift aus dem afrikanischen Thigibba Bure dar: Ein gewisser Caius Caelius Felix ließ die Statue, die er anlässlich seiner Quästur versprochen hatte, errichten, wobei er die zur Verfügung gestellte Geldsumme vergrößerte und zur Einweihung ein Festmahl veranstaltete. Erst im letzten Satz der Inschrift wird erwähnt, dass sein Vater dies alles bezahlt hatte.919 Hier wird die Initiative der Stiftungen und somit auch das damit verknüpfte Prestige ganz eindeutig dem Sohn zugeschrieben,

917

AE 1910, 154: Divo Hadriano patri / Imp(eratoris) Caes(aris) T(iti) Aeli Hadr(iani) Antonini / Aug(usti) Pii pontif(icis) max(imi) trib(unicia) / potest(ate) VIIII co(n)s(ulis) IIII p(atris) p(atriae) / Germanus Passi Germani f(ilius) / Sutunurc(ensis) ob honorem flam(onii) perp(etui) / Quintae f(iliae) suae ex HS IIII mil(ibus) legitim(am) / statuam divi Hadriani et L(uci) Aeli Caes(aris) adiectis a se HS |(milibus) DXXV n(ummum) d(ecreto) d(ecurionum) s(ua) p(ecunia) f(ecit) et / gymnasium populo dedit. Der Text ist weitgehend identisch mit ILAfr 300, einer Inschrift aus Suturnuca; hier wird lediglich als hinzugefügte Geldsumme MDXXV genannt, und außerdem explizit erwähnt, dass das gymnasium samt einer visceratio anlässlich der Dedikation gestiftet wurde: ob dedicationem viscerationem et / gymnasium populo dedit. 918 CIL 8, 11349: L(ucio) Rasinio L(uci) fil(io) Quir(ina) Saturnino / Maximiano aedil(i) IIvir(o) q(uin)q(uennali) / ob singularem morum eius / exemplum et in utroque hono/ris gradu fidam clementiam / filiorumque eius sacerdotii edi/tionem ludorum et adsiduam / erga singulos cives suos / liberalitatem universus po/pulus curiarum testimo/nium gratiarum suarum / perpetuum posuit idemque / dedicavit. 919 AE 1999, 1845: Pro salute adque in/columitate [[Imp(eratoris) Caes(aris)]] / [[M(arci) Aureli Severi Alexandri]] / [[Pii Fel(icis) Aug(usti) totiusque divinae do]]/[[mus eorum]] C(aius) Caelius Felix / aedilis libertatis statuam / quam ob mis(s)iliorum aedi/tionem et qu(a)esturae sum/mam facturum se promise/rat ampliata pecunia perfe/cit et dedicavit et {a}epulum / universis civibus dedit haec / omnia dependit C(aius) Caelius Fortuna/tus Septimiani f(ilius) pater.

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obwohl der Vater finanziell dafür aufgekommen war. Diese Inschrift stellt allerdings mit dieser eher beiläufigen Erwähnung der elterlichen Finanzierung eine Ausnahme dar. Es lässt sich vermuten, dass sich zwar in vielen Fällen die Eltern in ähnlicher Weise für die Karriere ihrer Kinder einsetzten, doch dass dies in Inschriften, die in erster Linie die Verdienste und das Ansehen des Nachwuchses demonstrieren sollten, in der Regel nicht erwähnt wurde. Stand dagegen das Lebenswerk der Eltern im Vordergrund, konnte ihnen der Einsatz für ihre Nachkommen wie oben dargelegt durchaus positiv als eigene Leistung angerechnet werden. Ein anderer Kontext war gegeben, wenn die Eltern die Kosten für eine öffentliche Ehrung ihres Sohnes oder ihrer Tochter übernahmen oder die Feierlichkeiten anlässlich einer derartigen Ehrung stellten. So beschlossen etwa die municipes von Ostra, Picenum, eine Ehrung für Quintus Precius Proculus, wobei dessen Vater Quintus Precius Hermes das Monument für seinen Sohn auf eigene Kosten errichten ließ und anlässlich der Einweihung ein Festmahl stiftete.920 Die Mutter eines in Carsulae von den Dekurionen, Augustalen und der plebs urbana geehrten Mannes übernahm zwar offenbar nicht die Kosten für die Ehrung an sich, stellte aber immerhin ein epulum zu den Einweihungsfeierlichkeiten.921 Ging in diesen Fällen die Initiative für die Ehrung von den Stadtbewohnern oder deren offiziellen Vertretern aus, so finden sich auch Beispiele für die Errichtung von Ehrenstatuen auf alleiniges Betreiben der Eltern. In Croton ließ beispielsweise Futia Longina eine Statue für ihren Sohn Lucius Lollius Marcianus errichten, einem Ritter, der zudem Patron der colonia war, und fügte anlässlich der Einweihung eine Geldverteilung hinzu. Zwar wurde der Platz für die Statue auf Beschluss der Dekurionen zur Verfügung gestellt, doch ging die Errichtung sowie die Finanzierung auf das Betreiben der Mutter des Geehrten zurück.922 Lucius Lollius Marcianus hatte sämtliche Ämter erfolgreich ausgeübt und spätestens mit der Ernennung zum Patron von Croton alles erreicht, was dort zu erreichen war. Dass sich eine Stadtgemeinschaft an diesem Punkt bemüßigt fühlte, einen solchen Mann für seine Verdienste mit einer Ehrenstatue auszuzeichnen, wäre nicht ungewöhnlich, doch weshalb sich die eigene Mutter in diesem Fall für die Errichtung der Statue einsetzte, bleibt unklar. Vielleicht war der ordo einer entsprechenden Ehrung nicht auf 920

CIL 11, 6190: Q(uinto) Precio Q(uinti) f(ilio) Pol(lia) Proculo / equo publ(ico) auguri IIviro designato / municipes quo honore accepto / Q(uintus) Precius Hermes filio piissimo pec(unia) s(ua) f(ecit) / cuius dedicatione viris et mulierib(us) / epulum dedit l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). Vgl. auch CIL 2,5, 847. 921 Epigraphica 1996, 180: T(ito) Flavio T(iti) f(ilio) […] / Q(uinti) Egnat(i) Aug[…] / ex aere con[lato] / decur(ionum) et Aug(ustalium) […] / et plebis urb[anae] / ob cuius dedi[cationem] / Egnatia Co[…] / mater / epulum viriti[m d(edit?)]. Vgl. auch CIL 2,5, 849. 922 CIL 10, 110: L(ucio) Lollio L(uci) f(ilio) L(uci) n(epoti) L(uci) pro/n(epoti) Cor(nelia) Lollio Mar/ciano equo pub(lico) / ornato patrono / col(oniae) omnibus hon(oribus) / functo Futia C(ai) f(ilia) / Longina mater fi/lio piissimo ob cu/ius statuae dedica/tionem decurioni/bus Augustalibus / [e]pulantibus po/[p]ulo viritim di/[vi]sionem dedit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). Vgl. auch CIL 2, 1338.

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angemessene Weise nachgekommen, vielleicht war die Mutter dem Gemeinwesen mit ihrer Initiative zuvorgekommen, um ihr eigenes Prestige zu befördern. Dass Eltern hingegen die Kosten für eine öffentliche Ehrung selbst trugen oder zusätzliche festliche Handlungen zur Einweihung einer Statue finanzierten, wie im Falle des Quintus Precius Proculus oder des von den Dekurionen, Augustalen und der plebs urbana geehrten Mannes aus Carsulae, erscheint kaum ungewöhnlich. Zwar ließ es sich in der Regel der Geehrte selbst nicht nehmen, sich durch derartige Gesten für die ihm zuerkannte Ehrung erkenntlich zu zeigen, doch liegt es nahe, dass die Eltern als Ansprechpartner am Prozedere der Ehrung beteiligt waren – der Sohn in ersterem Beispiel war möglicherweise als Mitglied der Reichsaristokratie schlicht nicht vor Ort. Außerdem hätten die Übernahme der Kosten und die Stiftung von Feierlichkeiten zur Einweihung durch den Geehrten selbst in einem potenziell unendlichen Zirkel von Ehrungen und Dankesgesten sicherlich weitere Ehrbezeigungen durch die Stadtgemeinschaft nach sich gezogen. So konnte er sich durch die Initiative, die offiziell auf seine Eltern zurückging, indirekt für die Ehrung bedanken und zugleich das Ansehen seiner Familie durch den erneuten Beweis ihrer Freigebigkeit untermauern, ohne selbst im Fokus der Stiftung zu stehen. Dass Eltern sich nicht nur für die Karriere und das Ansehen ihres Nachwuchses einsetzen, sondern auch umgekehrt aus dem Status oder den Euergesien ihrer Kinder Prestige beziehen konnten, zeigt sich beispielsweise an einer Stiftung aus Dalmatien: Der dem ordo equester angehörige Quintus Manlius Rufus hatte testamentarisch verfügt, dass ein Bauwerk errichtet und mit einem Festmahl eingeweiht werden sollte. Seine Mutter fügte daraufhin weitere Geldsummen hinzu, sodass die beachtliche Summe von 299.000 Sesterzen zur Verfügung stand.923 Auch Quintus Pacuvius Saturus und seine Frau Nahania Victoria nahmen die Ausführung der von ihrem Sohn angeordneten Stiftung eines Mercurtempels zum Anlass, die von diesem gestellte Geldsumme aus eigenen Mitteln zu vergrößern sowie weitere Baustiftungen ins Leben zu rufen. Außerdem übergab Pacuvius Saturus der civitas von Thugga 25.000 Sesterzen für eine jährliche Geldverteilung und ließ anlässlich der Dedikation des Theaters ludi abhalten sowie sportulae verteilen.924 Obwohl der Tem-

923

CIL 3, 1717: Q(uintus) Manlius Q(uinti) f(ilius) Serg(ia) Rufus / dec(urio) iudex ex quinq(ue) decuri(i)s equo publico / testamento fieri iussit / et epulo dedicari / in hoc opus Statia Sex(ti) f(ilia) Fida mater adiecit HS XXXV(milia) et summae operi et epulo relictae / XX (vicesimam) fisco intulit HS XIII(milia) CC solo publico. In der Epigraphischen Datenbank Heidelberg wird davon ausgegangen, dass es sich um eine Grabinschrift handelt, doch legt der Verweis auf die Stiftung eines opus sowie die fehlenden, für Grabinschriften typischen Formulierungen nahe, dass es sich um eine Bauinschrift handelte. Vgl. http://edh-www.adw.uni-heidelberg.de/edh/inschrift/HD053192, zuletzt aufgerufen am 12.04.2016. Zur ermittelten Gesamtsumme vgl. Donahue 2004, 176. 924 CIL 8, 1503: Q(uintus) Pacuvius Saturus fl(amen) perp(etuus) augur c(oloniae) I(uliae) K(arthaginis) e[t] Nahania [Victo]ria fl(aminica) p(er)p(etua) ad [opu]s templi Mercuri quot(!) M(arcus) Pacuvius Felix Victorianus filius eorum codicillis suis HS L mil(ibus) fieri iussit amplius ipsi ob honorem f[l(amonii) perp(etui)] HS LXX mil(ibus) pollicitis [sum]mis templum M[e]rcuri et cellas duas cum [s]tatuis et porticum et ab[sides …] / [[omnique cultu]] ampliata pecunia fecerunt item

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pel ursprünglich vom Sohn des Ehepaars initiiert wurde, stehen die Eltern deutlich im Vordergrund: Sie werden nicht nur zuerst genannt, sondern vielmehr als Hauptakteure bei der Umsetzung des Gebäudes dargestellt, und darüber hinaus wurden ihre weiteren Verdienste ausführlich honoriert. Die Stiftung des Sohnes wurde von dessen Eltern also geschickt genutzt, um sich selbst im großen Stil als Euergeten zu inszenieren. Umgekehrt dürfte sich das Engagement des Paars zugleich für den Sohn ausgezahlt haben, denn Stiftungsinschriften an Gebäuden mussten, wie Goffin richtig betont, auch nach Renovierungsarbeiten erhalten bleiben, „damit die Erinnerung an die munificentia oder die liberalitas auf die Nachkommen eines Euergeten übergehen konnte.“925 Neben dieser Inschrift existiert noch eine Ehreninschrift für Marcus Pacuvius Felix mit nahezu identischem Text; hier wurden also ebenfalls die Verdienste der Eltern ausführlich aufgeführt, obwohl die Ehrung dem Sohn galt.926 Dies zeigt, dass Pacuvius Felix in der Tat wiederum Prestige aus den Euergesien seiner Eltern beziehen konnte. Vor einem gänzlich anderen Hintergrund stellt sich die Nahbeziehung zwischen Eltern und Kindern dar, wenn es sich um das Totengedenken eines verstorbenen Familienmitglieds handelte. So ließ etwa Annia Victorina eine Wasserleitung in Gedenken an ihren Mann und ihren Sohn errichten sowie ein Festmahl zur Einweihung durchführen.927 Aus einer etwas bruchstückhaften Inschrift aus Africa proconsularis geht zwar nicht eindeutig hervor, dass die von den Eltern für ihren Sohn gestiftete Statue dessen Andenken nach dem Tode gewidmet war, doch trägt die Stiftung deutlichen Memorialcharakter: Sowohl die Bereitstellung einer Geldsumme, aus deren Zinsen offenbar regelmäßige festliche

porticum et [area]m macelli pago patr[i]ae extruxerunt et excoluerunt item civitati Thugg(ensi) HS XXV mil(ia) Q(uintus) Pacuvius Saturus fl(amen) perp(etuus) daturum se pollicitus est ex cuius summae reditu quotannis decurionibu[s sport]ulae darentur et ob diem [mun]eris ludos scaenicos et sportu[las] decuri[o]nibus utriusque ordinis et un[i]verso populo [dedit]. 925 Goffin 2002, 44. 926 CIL 8, 26485: Pagus et [civitas Aureli]a Thugga ob meritu[m s]ua pecunia fec[erunt d(ecreto) d(ecurionum)] / quod M(arcus) Pa[cuvius Felix Victo]rianus Pacu/vi Satur[i et Nahaniae Vict]oriae fil(ius) codi/cillis sui[s templum Me]rcuri HS L m(ilibus) fie/[ri iussit … ipsi ampl]ius ob honorem / [flam(onii) perp(etui) HS LXX m(ilia) pol]liciti sunt ex quib(us) / [templum Mercuri et c]ellas duas cum sta/[tuis et porticum et absides] / [fecerunt item porticum et … macelli] / [pago patriae extruxerunt et excolerunt] / item [civitati] Thugg(ae) HS XXV [mil(ia) Q(uintus) Pacuvius] / [Saturus fl(amen) perp(etuus) da]t[urum pollicitus est] / [ex quorum reditu quotannis dec(urionibus) sportulae] / p[raestarentur et ob diem muneris ludos scae]/[nicos et sportulas dec(urionibus) utriusque ordinis] / [et universo populo dedit …] / […] / […] / Sex(to) Egnatio Pri[mo…]. Allerdings muss eingeräumt werden, dass dieser Text größtenteils rekonstruiert wurde, wohl auf Grundlage von CIL 8, 1503. 927 CIL 2, 3240: Annia L(uci) f(ilia) Victorina ob / memoriam M(arci) Fulvi Mo/derati mariti et M(arci) Fulvi / Victorini f(ilii) aquam sua om/ni inpensa perduxsit(!) fac/tis pontibus et fistulis et / lacu[bu]s cum suis orna/mentis dato epulo / dedicavit.

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Handlungen durchgeführt werden sollten, als auch die Art dieser festlichen Handlungen – Faustkämpfe und ein Festmahl – passen gut zu Totengedenkfeiern.928 Eine besondere Ehre für ihren Sohn hatten sich die Eltern des Publius Marius Calpurnianus Oretanus im spanischen Aeso einfallen lassen: Für ihren mit 18 Jahren jung verstorbenen Sohn ließen sie eine Reiterstatue errichten und zu deren Einweihung sportulae verteilen.929 Dabei handelt es sich um die einzige bisher bekannte Ehrung durch ein Reiterstandbild im Nordteil der iberischen Halbinsel, und auch die Stiftung von sportulae zur Einweihung war offenbar in dieser Gegend unüblich.930 Was die Eltern dazu veranlasste, zu solch außergewöhnlichen Mitteln zu greifen, lässt sich nur vermuten: Möglicherweise wollten sie ihrem Schmerz über den frühen Tod des Sohnes auf besondere Weise Ausdruck verleihen und dessen memoria durch die Wahl ansonsten unüblicher Gedenkformen sichern. Die Entscheidung für ein derart monumentales Andenken durch die Errichtung einer Reiterstatue zielt jedoch zugleich auf eine Heroisierung des Sohnes ab, was vielleicht auch mit der Intention verknüpft gewesen sein könnte, das Prestige der Familie zu befördern.931 Ein Seidenhändler und Amtsdiener (accensus velatus) aus Gabii wählte einen noch außergewöhnlicheren Weg, um das Andenken an seine Tochter Plutia Vera zu sichern. Er ließ einen Tempel für Venus Vera Felix errichten samt Bronzebild dieser Göttin, vier weiterer Bronzestatuen, Bronzetüren, Altar und Kultgerät, und anlässlich der Einweihung eine Geldverteilung durchführen. Außerdem übergab er der res publica von Gabii 10.000 Sesterzen, damit jährlich am Geburtstag seiner Tochter ein Festmahl abgehalten werden konnte.932 Dass die Gottheit, der dieser Tempel geweiht war, als Venus Vera denselben

928

ILTun 769: Urani / G(aio!) Mario Caelestino […] / decurion(i) c(i)v(i)vt(is)(!) (G)oritanae / Maria […]C[…] mater et Marius / […] pater filio piissimo statuam / […]S cuius dedicationem / […]r P() |(denarios) mille pol(l)icitus / est […] ex reditu eorum / […] quamdiu […]duum / […] pugile […] / […] / et epulum decurionibus […] / et post D[…] sua […] / P[…] / ita ab […] / [l(ocus) d(atus) d(ecreto)] d(ecurionum). 929 CIL 2, 4465: P(ublio) Mari(o) Marian(i) filio / Calpurniano Or/et(ano) defuncto an(norum) [X]VIII / Mari(us) Marianus [co]mmuni / adfectione Mariae Calpurni/ae uxoris et matris recep/to in clientelam civium / Aesonens(ium) / et liberalibus / studiis erudito impetra/to loco ex d(ecreto) ord(inis) / statua equestri memo/riam piaetatis(!) hono/rav(i)t datisque spor/tulis dedicavit. 930 IRC 2, 35. 931 So auch der Kommentar bei IRC 2, 35. 932 CIL 14, 2793: Veneri Verae felici Gabinae / A(ulus) Plutius Epaphroditus accens(us) velat(us) negotiator sericarius templum cum / signo aereo effigie Veneris item signis aereis n(umero) IIII dispositis in zothecis et / balbis(!) aereis et aram aeream et omni cultu a solo sua pecunia fecit cuius ob / dedicationem divisit decurionibus sing(ulis) |(denarios) V item VIvir(is) Aug(ustalibus) sing(ulis) |(denarios) III item taber/nari(i)s intra murum negotiantibus |(denarios) I et HS X m(ilia) n(ummum) rei publ(ica) Gabinor(um) intulit ita ut ex / usuris eiusdem summae quodannis IIII K(alendas) Octobr(es) die natalis Plutiae Verae / filiae suae decur(iones) et VIvir(i) Aug(ustales) publice in triclinis suis epulentur quod si / facere neglexserint(!) tunc ad municipium Tusculanor(um) HS X m(ilia) n(ummum) pertineant / quae confestim exigantur loc(o) dato decreto decur(ionum) / dedicata Idibus Mai(i)s L(ucio) Venuleio Aproniano II L(ucio) Sergio Paullo II co(n)s(ulibus).

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Beinamen trägt, den auch die Tochter des Stifters trug, ist sicherlich kein Zufall: Rüpke geht davon aus, dass die Göttin mit Plutia Vera identifziert werden konnte, und dass der Vater auf diese Weise eine „Privatdeifikation“ seiner verstorbenen Tochter vorgenommen hatte.933 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das jährliche Festmahl der Dekurionen und seviri Augustales zum Geburtstag der Plutia Vera, das öffentlich auf den Speisesofas des Stifters (publice in triclinis suis) stattfinden sollte, im Tempel der Venus Vera abgehalten wurde. Damit war das epulum nicht nur ein ‚normales‘ Mahl im Andenken an die Tochter, sondern zugleich ein Festmahl zu Ehren der Göttin, die durch die Anwesenheit der beiden zentralen städtischen Gruppen (decuriones und seviri Augustales) offiziell anerkannt wurde. Um sichergehen zu können, dass diese Bestimmungen durchgeführt wurden, legte der Vater der Verstorbenen fest, dass die für das Mahl gestiftete Geldsumme an das municipium Tusculanum übergehen sollte, falls die Dekurionen und seviri Augustales seinem Willen nicht nachkommen sollten. Auch in Germanien findet sich ein Beispiel für eine Deifikation einer verstorbenen Tochter:934 Die Mutter einer gewissen Materna ließ einen Altar für Dea Domina Rufia Materna – also für die explizit als Göttin bezeichnete Tochter – errichten und einen Hain weihen, und jedes Jahr am Geburtstag der Materna und an den Parentalien sollten dort Opfer für Materna sowie für den Vater und Sohn der Stifterin durchgeführt werden.935 Doch nicht nur die Eltern konnten sich für ihre Kinder einsetzen, indem sie Stiftungen in deren Namen durchführten oder diese durch Statuen ehrten, sondern es finden sich natürlich auch die umgekehrten Fälle: Nachkommen, die Stiftungen im Namen ihrer Eltern tätigten, wie der duumvir Quintus Furfianus Martialis, der ludi, zwei Festmähler und eine Getreidespende im Namen seines Vaters Bellicus gab,936 oder ihre Eltern durch die Errichtung einer Statue ehrten, wie Cornelia Fabulla, die eine Statue für Quintus Cornelius

933 Rüpke 2011, 36. Außerdem lässt der Beiname des Vaters, Epaphroditus, einen Bezug des Vaters zur Göttin Venus erkennen. Wrede 1981, 85f. 934 Eine Deifikation eines verstorbenen Familienmitglieds kam durchaus häufiger vor. Vgl. Wrede 1981, der sich auch den archäologischen Quellen zuwendet und u.a. die ikonographische Identifikation von Privatpersonen mit Gottheiten untersucht. 935 CIL 13, 8706: Deae Dominae Rufiae / [M]aternae aram et / [l]ucum consacravit / […] Mucronia Marcia / ubi omnibus annis sacrum / instituit XVI K(alendas) Aug(ustas) / [e]t natali Maternae f(iliae) suae / […] I(?) N(onas) Octob(res) et Parental(ibus) / [I]X K(alendas) Martias Rufis Simil[i] / patri et [S]imili [f]il(io) / [et] Maternae [fil(iae)]. Auch in AE 1992, 1819 ist es wohl kein Zufall, dass eine Statue für die Gottheit Deus Silvanus Augustus errichtet wurde: Der Vater des Stifters trug den Namen Silvanus. 936 CIL 8, 25703: Marti Aug(usto) / sacr(um) / Q(uintus) Furfanius Q(uinti) f(ilius) Lem(onia) M[art]/ialis pec(unia) a se ob hono[res] / suos IIvir(atus) et flam(omii) Aug(usti) / rei p(ublicae) inlata d(onum) d(edit) statu[as] / fac(iendas) cur(avit) praeter sum[mam] / numeratam ob decus / quinq(uennalitatis) et amplius ludo[s] / et epul(a) bis et trit(ici) mo(dios) X m(ilia) / cum esset |(denariis) denis ex |(denariis) [… ]/nis a Bellico patre n[o]/mine eius populo [datis(?)] / item sportulas or[din(i) bis]. Vgl. auch die fast identische Inschrift CIL 8, 25704, die lediglich einer anderen Gottheit geweiht ist.

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Senus, patri pientissimo et optimo, aufstellen und zur Einweihung ein Festmahl ausrichten ließ.937 Auch hier konnten Ehrungen zu Lebzeiten der Eltern durchgeführt werden oder deren Andenken nach dem Tode dienen. Im afrikanischen Uchi Maius ließ beispielsweise Lucius Cornleius Quietus im Gedenken an seinen Vater eine Statue errichten. In der beigefügten Inschrift wird zudem festgehalten, dass der Vater der res publica von Uchi Maius testamentarisch 10.000 Sesterzen zur jährlichen Feier seines Geburtstags mit einer sportulae-Verteilung und der Veranstaltung von ludi hinterlassen hatte.938 Die vom Sohn gestiftete Statue samt Inschrift diente also nicht nur dem ehrenvollen Andenken des Vaters, sondern zugleich auch als öffentliche Erinnerung an dessen eigene Geburtstagsstiftung. Darüber hinaus bot sich dem Sohn die Gelegenheit, selbst in der Inschrift genannt zu werden, wodurch er zum einen im Kontext mit der Ehrung seines Vaters stand und von dessen erhöhtem Ansehen profitieren konnte, und zum anderen als Initiator der Ehrung die eigene pietas als Sohn unter Beweis stellen konnte, was ihm selbst ebenfalls zur Ehre gereichte. Auch Gaius Licinius Agrippinus ließ eine Statue für seinen Vater, Gaius Licinius Agrinus, errichten und gemeinsam mit der von ihm gestifteten Ausschmückung einer Exedra mit einem Festmahl einweihen.939 Im Vergleich zur eben vorgestellten Inschrift aus Uchi Maius stellte sich der Sohn in diesem Fall deutlich stärker in den Vordergrund: Zwar wurde in der Statue ebenfalls der Vater verewigt, doch werden im Inschriftentext primär die Leistungen des Sohnes erwähnt, der sich somit nicht nur durch die angemessene pietas gegenüber seinem „besten Vater“ (optumo(!) patri) auszeichnete, sondern selbst als Euerget seine liberalitas unter Beweis gestellt hatte. Caius Valerius Primitius ging es hingegen weniger um eine gelungene Selbstdarstellung zu Lebzeiten, sondern um ein dauerhaftes Totengedenken für sich und seine Familie. Er hatte ein Grabmal für sich, seine Frau und seine Eltern erbauen lassen und zwei Vereinen eine Geldsumme vermacht, damit diese „auf ewig“ (in perpetuum) Trankspenden (profu-

937

CIL 2, 1258: Q(uinto) Cornelio Q(uinti) f(ilio) / Quir(ina) Seni IIvir(o) / IIII Cornelia / Q(uinti) f(ilia) Fabulla / patri pientis/simo et optimo / posuit epul(o) d(ato) d(edit). 938 CIL 8, 26275: L(ucio) Cornelio Quieto / h(onestae) m(emoriae) v(iro) qui testamen/to suo rei publicae colo/niae Marianae Aug(ustae) Ale/xandrianae Uchitanor(um) / [Ma]iorum per fidei commissum / HS decem mil(ia) n(ummum) reliquit ex cuius / summae usuris quotannis die na/tali eius decurionibus sportulae et / [po]pulo ludi darentur / L(ucius) Cornelius Quietus fl(amen) p(er)p(etuus) filius eius pa/[r]emti(!) optimo sua pecunia fecit et / impetrato ab ordine loco dedicavit. 939 CIL 2,5, 736: G(aio) Licinio Agrino / Osq(uensi) IIviro bis / G(aius) Licinius Agrippinus / f(ilius) optumo(!) patri / accepta exedra / ab ordine m(unicipum) m(unicipii) Osq(uensis) / statuam cum orna/mentis exedrae / dato epulo d(edit) d(edicavit). Eine weitere Ehreninschrift für Licinius Agrinus von Licinius Agrippinus verzeichnet allerdings, dass es sich bei Agrippinus um den Vater handelte. Ob es sich bei einer der Inschriften um eine fehlerhafte Angabe handelt, oder ob es sich um andere Personen gleichen Namens handelt, bleibt unklar. CIL 2,5, 737: G(aio) Licinio Agrino / Osq(uensi) / G(aius) Licinius Agrip/pinus pater / statuam / dato epulo / d(edit) d(edicavit).

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siones) für die Verstorbenen durchführen konnten.940 Dass ihm die dauerhafte Pflege des Andenkens sehr am Herzen lag, zeigt sich darin, dass er die Finanzierung doppelt durch eine Geldsumme und die Überschreibung von Wirtshäusern mit Speisesälen gesichert hatte und zudem einen anderen Empfänger festsetzte für den Fall, dass seinen Wünschen nicht entsprochen wurde. Im Vordergrund dieser Stiftung standen somit weniger die Leistungen und Verdienste des Stifters oder seiner Familie, sondern die technischen Details, durch welche das Totengedenken aller genannten Personen gleichermaßen auf möglichst lange Zeit gesichert werden konnte. Stiftungen, die dem Andenken an einen Verstorbenen dienten, beruhten häufig nicht nur auf der Initiative der Nachkommen, sondern auch auf testamentarischen Verfügungen des Verstorbenen selbst. Lucius Papius Pollio ließ etwa gemäß des Testaments seines Vaters ein Grabmonument aus 22.000 Sesterzen errichten. Außerdem stiftete er offenbar auf eigenen Beschluss Gladiatorenkämpfe und eine cena für die coloni Senuisanis et Papieis, möglicherweise anlässlich der Totenfeier für seinen Vater.941 Der Sohn führte also einerseits den letzten Willen seines Vaters aus, andererseits setzte er sich für eine fulminante Totenfeier ein, und er ließ, was für eine langfristige Erinnerung von Bedeutung war, diese Stiftungen detailliert in der Inschrift festhalten. Das Grabmonument diente demnach zugleich dem Andenken an den Verstorbenen und an die Stiftungen seines Sohnes, der auf diese Weise sowohl seine pietas als auch seine liberalitas demonstrieren konnte. Es überrascht nicht, dass die Möglichkeit, bei der Ausführung testamentarischer Verfügungen aus eigener Tasche weitere Elemente hinzuzufügen und somit selbst als Stifter in die öffentliche Wahrnehmung zu rücken, nicht gerade selten genutzt wurde. Die Töchter eines Freigelassenen nahmen beispielsweise die Errichtung einer von ihrem Vater und dessen Mitfreigelassenen gestifteten Statue zum Anlass, selbst einen Tempel und 4.400 Sesterzen für ein Festmahl hinzuzufügen – eine Stiftung, die ihnen als Frauen und Töchter eines Freigelassenen so vielleicht nicht möglich gewesen wäre.942 Quintus Titinius

940 CIL 5, 4488: [D(is) M(anibus)?] / […] / qui et Mannuli / et Va(l)eriae Aprillae C(aius) / Valerius Primitius / parentibus bene / merentibus et sibi / et coniugi suae / Acutiae Ursae / qui legaverunt / coll(egiis) fabr(orum) et cent(onariorum) / HS n(ummum) II(milia) et (h)oc ampliu(s) / tabernas cum cenac(ulis) / coll(egio) centonariorum / quae sunt in vico Herc(ulio) / profusiones in perpetu(um) / per of(f)iciales c(ollegii) cent(onariorum) / quod mi(!) voluptati(!) sati(s) / non fecerit iubio(!) / castellum (h)abere(?) Ingenan(orum) / quae r(e)ddunt d(enarios) CC ut / ex d(enariis) C profusio nobis fiat et ex / d(enariis) C tutela{m} taber(nar)um s(upra) s(criptarum). 941 CIL 10, 4727: L(ucius) Papius L(uci) f(ilius) Ter(etina) Pollio duovir L(ucio) Papio L(uci) f(ilio) Fal(erna) patri / mulsum et crustu(lu)m colonis Senuisanis et Caedicianeis / omnibus munus gladiotorium cenam colonis Senuisanis / et Papieis monumentum HS XII(milibus) ex testamento / arbitratu L(uci) Novercini L(uci) f(ilii) Pup(inia) Pollionis. Im CIL-Band wird vermutet, dass es sich um festliche Handlungen anlässlich der Bestattung (fortasse in exequiis) des Vaters handelte und auch Dillon/Garland 2005, 171 gehen von einem „funerary feast for a father“ aus. 942 CIL 8, 17831: Fortunae Aug(ustae) / Anniae M(arci) fil(iae) Cara flaminica et Tranquilla statuam quam / testamento suo Annius Protus ex HS XXII(milibus) legave/rat pecunia Proti et Anni Hilari

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Securus, ein pontifex im afrikanischen Theveste, stockte die von seinem Vater testamentarisch gestiftete Geldsumme um einen beträchtlichen Betrag auf, um den Bau eines Tempels für Saturn Augustus zu ermöglichen. Außerdem fügte er eine weitere Summe hinzu, damit die cella mit einer vergoldeten Kassettendecke ausgestattet werden konnte, und ließ eine Statue des Gottes anfertigen. Anlässlich der Einweihung des Tempels richtete er ein Festmahl aus und veranstaltete ludi scaenici. Die testamentarische Stiftung des Vaters stellte also nur den Ausgangspunkt für zahlreiche Euergesien des Sohnes dar, der in der Bauinschrift des Tempels folgerichtig als eigentlicher Wohltäter auszumachen ist. 943 Ob die Initiativen des Sohnes aus pietas dem Vater gegenüber oder aus dem Bestreben heraus getätigt wurden, das eigene Prestige zu befördern, lässt sich kaum mehr entscheiden – vielleicht waren auch beide Motive miteinander verbunden. In einer weiteren Bauinschrift für einen Fortuna Redux Augusta-Tempel in Sidi Naui, Africa proconsularis, wird dem Vater als Initiator der Stiftung ein etwas größeres Gewicht eingeräumt – hier wird erwähnt, dass er das Amt des flamen perpetuus ausgeübt und zu den ursprünglich anlässlich dieses Amtes versprochenen 7.000 Sesterzen weitere 1.000 hinzugefügt hatte. Doch auch hier oblag es dem Erben, in diesem Fall dem Enkel des Stifters, den Tempel zu vollenden, und auch hier ließ es sich dieser nicht nehmen, die Summe für die Fertigstellung des Tempels zu vergrößern, ein goldenes Abbild und anlässlich der Einweihungsfeierlichkeiten sportulae, ein Festmahl und gymnasium zu stiften sowie ludi scaenici zu veranstalten. Als Motivation für diese Euergesien des Enkels wird explizit die „Liebe zu seiner Heimat“ ([i]n amorem patriae suae) genannt – der Enkel konnte sich also weitgehend als eigenständiger Euerget darstellen, während das Andenken des Großvaters offenbar keine sehr große Rolle mehr spielte.944

patris sui / comparatam posuerunt et adiecta de suo ae/de ex HS IIII(milibus) CCCC dedicaver(unt) epulo curiar(um) d(ecreto) d(ecurionum). 943 AE 1933, 233: [Saturno Aug(usto) s]acr(um) pro salu[t]e / [Imp(eratoris) Caes(aris) M(arci) Aureli Antonini Armeniaci] Med(ici) Part(hici) max(imi) Aug(usti) et Imp(eratoris) Caes(aris) L(uci) Aureli Veri Armeniaci Med(ici) Part(hici) max(imi) Aug(usti) / [Q(uintus) Titinius Q(uinti) fil(ius) Pap(iria) Securus pont]if(ex) ex HS XXV m(ilibus) quae Q(uintus) Titinius Sabinianus pater / [testamento dari iusserat s]ummam quam praesentem rei p(ublicae) intulit et ex HS XV mil(ibus) / [quae ipse ob honorem … adiecit sum]mam quam praesentem rei p(ublicae) intulit ut ex HS L mil(ibus) id opus / [perficeretur additis etiam HS XIII mil(ibus) cellam laquea]ribus(?) auratis ex HS LXIII m(ilibus) exornavit et statuam Saturni posuit idemq(ue) dedic(avit) d(ecreto) d(ecurionum) / [ob cuius operis dedicationem curiis et Augustal]ibus(?) epulum dedit et ludos scaenicos edidit. 944 CIL 8, 754: Fortunae Reduci Aug(ustae) sacrum / pro salute Imp(eratoris) Caes(aris) divi M(arci) Antonini P[ii] Germanici Sarmatici fili(i) divi Commodi fratris divi Antonini Pii ne[p(otis) divi] / Hadriani pronep(otis) divi Traiani Part[h]ici abnep(otis) divi Nervae adnep(otis) L(uci) Septimi Severi Pii Pertinacis Aug(usti) Arabici / Adiabenici pontif(icis) max(imi) trib(unicia) pot(estate) IIII imp(eratoris) VIII co(n)s(ulis) II p(atris) p(atriae) et M(arci) Aureli Antonin[i] Caes(aris) fili(i) eius totiusque divinae domus / M(arcus) Pinarius Fortunatus fl(amen) p(er)p(etuus) templum Fortunae

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Eine weitere Möglichkeit der Nachkommen, ihre pietas auszudrücken und zugleich selbst als Wohltäter aufzutreten, bot sich darin, offiziell verfügte Ehrungen für die Eltern zu übernehmen oder zu erweitern. So hatte etwa der ordo Romulensis in Baetica eine Ehrung für einen wohlverdienten duumvir beschlossen, woraufhin der Sohn die Kosten erstattete und anlässlich der Einweihung des Ehrenmonuments ein Festmahl veranstaltete.945 Für seinen Einsatz für das Gemeinwesen zeichneten der ordo und der populus der colonia Madauros in Africa proconsularis den Ritter Marcus Cornelius Gabinianus mit der besonderen Ehre einer biga sowie einer Statue aus. Seine drei Töchter übernahmen darauf die Kosten und ließen zur Einweihung sportulae verteilen.946 Da erwähnt wird, dass es sich bei den Töchtern zugleich um die Erben des Geehrten handelte, ist anzunehmen, dass die Ehrung posthum erfolgte. Indem sie die Kosten der Ehrenmonumente übernahmen sowie einen Teil der Feierlichkeiten zur Einweihung stellten, zeigten sich die drei Töchter im Namen ihres Vaters für die zuerkannten Ehrungen erkenntlich. Zugleich konnten sie ihre eigene Freigebigkeit unter Beweis stellen und damit erreichen, dass sie als Euergeten namentlich auf der Inschrift genannt wurden, die der biga und damit einem ganz besonders prestigeträchtigen Ehrenmonument beigefügt war.947 Auch nach dessen Tod konnten die Töchter somit letztlich vom Ansehen ihres Vaters profitieren und selbst Prestige gewinnen. Ebenfalls mit einer biga geehrt wurde ein gewisser Titus Ancharius Priscus aus dem umbrischen Pisaurum. Diese Ehrung ist insofern ungewöhnlich, da Ancharius Priscus zwar zur munizipalen Elite zählte, aber nicht dem Ritterstand angehörte, für dessen Mitglieder eine derartige Auszeichnung in der Regel vorbehalten war.948 Daher wurde in der Inschrift auch explizit hinzugefügt, dass er der erste duumvir war, dem eine biga errichtet wurde, was diese Ehre noch außergewöhnlicher erscheinen lässt. Als Begründung werden zu-

quod adiectis HS mille n(ummum) ad summam flam(onii) sui ex HS VII mil(ibus) distribuendum promiserat / M(arcus) Salvius Celsus Pinarianus nepos et heres [i]n amorem patriae suae multiplicata pecunia simulacro auro reculto solo publico / consommavit(!) idemq(ue) dedicavit et ob dedicationem sportulas decurionibus item epulum et gymnasium universis civibus dedit / et spectaculum ludorum scaenicorum ed(idit). 945 CILA 2,3, 967: […]NI / […]B / [… I]Ivir(o) / […] Iuli G(…) / […] genus de/[coru]m(?) sepultura[e] / [locu]m statuam / [ordo Ro]mulensis d[ec(revit)] / [… Agr]ippa f(ilius) h(onore) [u(sus)] / [im]pensam [remisit epulo] / dato dedic[avit…]. 946 ILAlg 1, 2145: M(arco) Cornelio Frontoni Quir(ina) Gabin[ia]no eq(uiti) R(omano) / ex inquisitione allecto fl(amini) p(er)p(etuo) IIvi[ral]i hones/tae memoriae viro M(arci) Corneli Vict[or]ini fl(aminis) p(er)p(etuo) / bis IIviralis filio spendidissimus o[rd]o et po/pulus coloniae Madaurensium o[b in]signem / in se amorem et frumenti copiam t[emp]ore in/opiae sibi largiter praestitam hono[re]m bigae / et statuae decrev[e]runt pecunia [publi]ca quam / Corneliae Romani[ll]a Postumiana e[t Vi]ctorina / Claudiana et Eulogia Romanilla f[iliae] et here/des eius sua pecun[i]a posuerunt s[po]rtulis / decurionibus et curialibus dat[is]. 947 Zur Ehrung mit einer biga vgl. Zelazowski 1997. 948 Ebd., 177.

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nächst allgemein die Großzügigkeit und Freigebigkeit des Geehrten gerühmt, und schließlich konkret die von diesem gestifteten Veranstaltungen von acht Gladiatorenkämpfen mit kaiserlicher Erlaubnis sowie von ludi florales genannt. Anlässlich der Einweihung des Ehrenmonuments fügte Titus Ancharius Priscianus, der Sohn des Geehrten, weitere zehn Paar Gladiatoren hinzu und ließ darüber hinaus eine venatio abhalten.949 War die Auszeichnung eines duumvir mit einer biga bereits etwas Besonderes, so stellte auch die Veranstaltung von Gladiatorenkämpfen und einer venatio anlässlich der Einweihung eines Ehrenmonuments eine äußerst ungewöhnliche Maßnahme dar.950 Obwohl die vom Sohn gestifteten Gladiatoren und die venatio mit den umfangreichen Stiftungen des Vaters vielleicht nicht ganz mithalten konnten, weist Chamberland zu Recht darauf hin, dass gerade die Wahl dieser festlichen Handlungen dem Sohn möglicherweise die Gelegenheit gab, sich als munerarius, als Vorsitzender des Spektakels zu inszenieren.951 Ancharius Junior knüpfte also gezielt an die Gladiatorenkämpfe des Vaters an und erreichte so, dass er an der Seite dieses hochangesehenen Mannes als Euerget auftreten konnte und dass etwas von dem Prestige, das dem Vater durch die außergewöhnliche Ehrung zugeschrieben wurde, auch auf ihn übertragen werden konnte. Indem er eine unübliche Form der festlichen Handlungen anlässlich der Einweihungsfeierlichkeiten gewählt hatte, konnte er außerdem die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich als Euerget lenken und für sich selbst Prestige beanspruchen.

2.5. Geschwister Vergleichsweise selten finden sich Beispiele, in denen eine Person eine Stiftung zu Ehren oder in Anknüpfung an die Stiftungen eines Bruders oder einer Schwester tätigte. Die meisten Fälle betreffen die Ausführung der testamentarischen Bestimmungen eines Geschwisterteils. So versprach eine flaminica aus Musti eine der Ceres Augusta geweihte Statue für das Wohl des Kaiserhauses und fügte eine Summe für ein jährliches Festmahl hinzu. Außerdem hatte sie angeordnet, dass nach ihrem Tode ein Festmahl anlässlich der Einweihung der Statue abgehalten werden sollte. Ihr Bruder sowie zwei weitere Männer,

949

CIL 11, 6357: T(ito) Anchario T(iti) f(ilio) Pal(atina) Prisco / aedil(i) quaest(ori) IIvir(o) / quaest(ori) alimentorum / huic primo IIvir(o) biga posita / ob eximias liberalitates et / abundantissimas in exemplum largitiones / et quod ex indulgentia Aug(usti) octies / spectaculum gladiator(ium) ediderit / amplius ludos florales / ob haec merita plebs urbana / […] cuius dedicatione / T(itus) Ancharius Priscianus filius / aedilis quaestor adsedente / patre gladiatorum paria decem ad[i]ecta / venatione legitima edidit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 950 Das einzige weitere Beispiel für einen Fall, bei welchem sowohl Gladiatorenkämpfe als auch eine Tierhetze anlässlich einer Dedikation durchgeführt wurden, war die Einweihung eines Amphitheaters. Die Veranstaltung eines munus und einer venatio liegt hierbei natürlich nahe. CIL 10, 6429. 951 Chamberland 2012, 279.

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bei denen es sich wahrscheinlich um ihre Söhne handelte,952 setzten sich dementsprechend für die Aufstellung ein und ließen das von ihr verfügte Festmahl zur Dedikation durchführen.953 In dieser Inschrift werden jedoch nicht nur die Leistungen der Stifterin genannt, sondern es wird auch betont, dass diese sich in ihre Familientradition einordnete: Sie verstand sich als Wohltäterin, die die Freigebigkeit ihrer Eltern und Vorfahren gegenüber der Heimatstadt als Vorbild für ihre eigenen Handlungen betrachtete. In diesem Zusammenhang wird außerdem mit der von ihrem Vater Caius Iulius Felix Felinianus gestifteten Statue des Iupiter Victor ein konkretes Beispiel für bereits durchgeführte Euergesien ihrer Familie angeführt. Ihr Bruder und ihre Söhne werden zwar namentlich genannt, erscheinen aber lediglich als Ausführende ihrer Bestimmungen. Anders bei einem Beispiel aus Uchi Maius: Der Stifter Quintus Apronius Vitalis trat auch hier in den inschriftlich festgehaltenen testamentarischen Bestimmungen als großzügiger Wohltäter von Uchi Maius auf, der nicht nur eine Statue der Göttin Karthago Augusta versprochen hatte, sondern zudem eine Geldsumme für ein wohl jährlich abzuhaltendes Festmahl zur Verfügung gestellt hatte und offenbar noch ein weiteres Festmahl ausrichten ließ.954 Caius Apronius Extricatus, der Bruder des Stifters, ließ die Basis für die Götterstatue errichten und kümmerte sich um den Transport und die Aufstellung der Statue.955 Apronius Extricatus tritt hierdurch einerseits als Testamentsvollstrecker für seinen Bruder auf,956 andererseits ging sein Einsatz über die reine Ausführung der testamentarischen Bestimmungen weit hinaus: Es wird explizit erwähnt, dass er die Statuenbasis errichten

952

IMustis 20. AE 1968, 588: Cereri Aug(ustae) sac(rum) pro [salute] / Imp(eratoris) Caes(aris) M(arci) Aureli Severi A[lexandri] / Pii Felicis Aug(usti) [[[et Iuliae Mamaeae Aug(ustae)]]] / [[[matris Aug(usti)]]] et senatus et cas[trorum et pa]/triae munus quod Iulia Q(uinti) f(ilia) [… ho]/nestae memoriae flaminica imi[tata paren]/tes maioresq(ue) suos qui munifici in [patriam] / extiterunt id est C(aium) Iulium C(ai) f(ilium) Cor(nelia) Fe[licem] / Felinianum flam(inem) perp(etuum) qui statuam Iov[i Victo]/ri in foro posuit patriae suae per decr[etum] / universi ordinis promisit inlata suo [tempo]/re legitima summa honoris et ampliu[s curi]/ae honestiss(imae) Aug(ustae) classi prim(a)e summam p[ecu]/niae dignam ex cuius usuris annuis redac[tis] / omnib(us) annis in perpetuum epularetur t[ri]/buit donoq(ue) dedit epulumq(ue) decedens ob dedi[c(ationem)] / curiis dari iussit Q(uintus) Iulius Felix frater eius / et Iulius Homullus et Iulius Honoratus eius / ab ea statuam adlat(am) statuer(unt) et epulo curiis dato ded(icaverunt). 954 Die Inschrift ist etwas bruchstückhaft; das jährliche Festmahl könnte anlässlich des Geburtstags des Stifters stattgefunden haben, oder, was allerdings ungewöhnlich wäre, am Jahrestag des Magistratsantritts – davon wird in Uchi-2, 5 ausgegangen. Ughi 1997, 223 vermutet, dass ein Festmahl für das Volk und das andere für die Dekurionen veranstaltet wurde. 955 CIL 8, 26239 (= Uchi-2, 5): Karthagini Aug(ustae) sac(rum) / ex testamento Q(uinti) Aproni Q(uinti) f(ilii) / Arn(ensi) Vitalis honestae memoriae vir(i) / qui rei p(ublicae) Uchitanorum Maiorum at sta/tuam [deae ponendam promiserat(?) HS …] mil(ia) et in epu/[lationem diei natali(?) magisterii(?)] sui HS II mil(ia) / [… ad exple]ndam(?) adfectio/[nem … a]mplificationem / […]M[…]L epulationis / [conc]essit(?) et ex HS V mil(ibus) fieri curavit / C(aius) Apronius Extricatus ad exornandam mun[i]/[fi]centiam fratris basem cum impensa perferen/dae et constituendae statuae suo sumptu et cura / posuit d(ecreto) d(ecurionum). 956 So auch Uchi-2, 5. 953

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ließ und die Kosten für die Aufstellung übernahm, um die munificentia seines Bruders zu rühmen (ad exornandam mun[ifi]centiam fratris). Obwohl Apronius Extricatus somit betonte, dass es ihm primär um das Ansehen seines Bruders ging, welches er durch seine eigene Initiative weiter zu befördern suchte, ist nicht zu übersehen, dass er sich mit seinem Einsatz für die Errichtung der Statue zugleich selbst ein Denkmal für seine eigenen Leistungen schuf. In ganz ähnlicher Weise ließ Lucius Pompeius Novellus die von seinem Bruder Marcus Pompeius Veteris testamentarisch gestiftete Kaiserstatue errichten und mit der Veranstaltung von ludi einweihen. Auch hier fügte der mit der Ausführung betraute Bruder auf eigene Initiative ein podismus (womit möglicherweise der Sockel gemeint ist) hinzu.957 Ein etwas anderer Kontext lässt sich für die von Quintus Cornelius Gallus testamentarisch beschlossene Errichtung einer Statue feststellen, denn dabei handelte es sich offenbar um eine Statue seiner selbst. Seine Schwester Cornelia Prisca übernahm die Aufstellung sowie die ebenfalls von ihm beschlossene sportulae-Verteilung, und sie ließ es sich nicht nehmen, auf eigene Kosten ein Festmahl hinzuzufügen.958 Indem die Statue dem Stifter selbst galt, erscheint die Stiftung in stärkerem Maße als die bisher diskutierten Beispiele als Monument, das primär der Demonstration des Ansehens des eigentlichen Stifters diente, wobei sich Cornelia Prisca als seine Schwester, Testamentsvollstreckerin und Stifterin weiterer Wohltaten dennoch prestigeträchtig positionieren konnte. Ausschließlich dem Andenken seines Bruders galt eine Stiftung, die Caius Sextius Martialis ins Leben gerufen hatte: Er ließ der res publica seiner Heimat Mactaris 50.000 Sesterzen für ein jährliches Totengedenkmahl959 der curiales am Geburtstag seines verstorbenen Bruders zukommen. Diese Stiftung wurde ihm hoch angerechnet, denn er wurde für diese liberalitas von den curiae mit der Errichtung einer Ehrenstatue ausgezeichnet.960 Das Andenken an den Bruder und die Erinnerung an den Einsatz des Stifters wurden somit auf doppelte Weise gesichert: Zum einen im jährlichen Festmahl, bei dem sicherlich nicht nur 957

CIL 8, 20152: M(arco) Aurelio / Caes(ari) Imp(eratoris) Caes(aris) / T(iti) Aeli Hadriani / Antonini Aug(usti) / Pii p(atris) p(atriae) fil(io) trib(unicia) pot(estate) / co(n)s(uli) II ex testa/mento M(arci) Pom/pei M(arci) fil(ii) Quir(ina) Ve/teris Flaviani / aug(uris) L(ucius) Pompeius / M(arci) fil(ius) Quir(ina) Novel/lus aed(ilis) IIvir aug(ur) mag(ister) / aug(urum) bis frater / adiecto podis/mo posuit et lu/dis editis dedi/cavit. 958 CIL 2, 1047: Q(uinto) Cornelio Quir(ina) Gallo / quam testamento suo / sportulis datis decurio/nibus poni i(ussit) Cornelia Prisca / soror et heres / datis sportulis decurionib(us) / et de suo dato epulo / pleb(i) et ordini ponendam / curavit. 959 Unter dem Begriff epulaticium wird hier analog zu funeraticium die Geldsumme verstanden, die für ein Festmahl ausgegeben werden soll. 960 CIL 8, 11813: C(aio) Sextio C(ai) f(ilio) Papir[ia] / Martiali trib(uno) mil(itum) legionis II[II] / Scythicae proc(uratori) Aug(usti) ab actis urbis pr[oc(uratori)] / Aug(usti) inter mancip(es) XL Galliarum et ne/gotiantis(!) proc(uratori) Macedoniae qui / ob memoriam T(iti) Sexti Alexandri / fratris sui inlatis HS L mil(ibus) rei pub(licae) / col(oniae) suae Mactaritanae epulaticium ex / usuris curialibus die natali fratris sui // quodannis dari iussit ob quam liberalitate(m) / eius statuam universae curiae d(ecreto) d(ecurionum) pec(unia) sua posuer(unt).

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dem Verstorbenen, sondern auch dem Stifter selbst gedacht wurde, zum anderen in der Ehrenstatue für Sextius Martialis, auf deren Beischrift wiederum die Gedenkstiftung an seinen Bruder erwähnt wurde.

2.6. Stiftungen von mehreren Familienmitgliedern Dass nicht nur Initiativen von einzelnen Personen für das Totengedenken des Ehepartners, eines Kindes oder eines Elternteils existierten, sondern sich gelegentlich auch mehrere Familienmitglieder an derartigen Stiftungen beteiligten, erstaunt wenig. Im etrurischen Nepet ließen die Frau und die Tochter eines kaiserlichen Freigelassenen ein Ehrenmal zu dessen Andenken errichten und stellten darüber hinaus ein Festmahl.961 Am Bau eines Monuments zu Ehren einer gewissen Gargilia Marciana beteiligten sich nicht nur ihr Ehemann und ihre Söhne, sondern auch ihr Bruder. Die Familienmitglieder ließen zudem sportulae verteilen und ludi scaenici ausrichten, womit sie wohl sicherstellen wollten, dass die Einweihung auf ein breites Interesse der Öffentlichkeit stieß. Dass außerdem der Geburtstag der Geehrten in der Inschrift festgehalten wurde, lässt vermuten, dass es an dieser Ehrenstatue jährlich zu weiteren Feierlichkeiten kam.962 Die Familie, die mit den Söhnen den Aufstieg in den Ritterstand geschafft hatte, nutzte also die Stiftung und Aufstellung des Ehrenmonuments, um die herausragende Stellung der gesamten Familie in der Stadtgemeinschaft zu demonstrieren und diese zugleich mit den Feierlichkeiten im Gedenken an die Ehefrau, Mutter und Schwester jedes Jahr erneut zu zelebrieren. Nicht nur Ehepaare traten gelegentlich gemeinsam als Euergeten auf, sondern es finden sich auch Inschriften, die von Stiftungstätigkeiten verschiedenster Familienmitglieder teilweise sogar über mehrere Generationen zeugen. Ein gewisser Caius Iulius Secundinus unternahm die für sein Priesteramt anfallende Zahlung der summa legitima sowie die Stiftung von sportulae und einer Statue ex voluntate Iuli Tertioli patris et Iuliorum Thevestini et Silvani fratruum, also nach dem Willen seines Vaters und seiner beiden Brüder – offenbar waren diverse Familienmitglieder an den von ihm getätigten Stiftungen beteiligt.963 Es bleibt allerdings unklar, ob der Stifter die zu seinem Amtsantritt versprochenen

961 CIL 11, 3206: M(arco) Ulpio Aug(usti) lib(erto) / Thallo / proc(uratori) / Flavia Inventa uxor / et Ulpia Procula / filia de se bene / merenti idem / decurionibus / Augustalib(us) et plebei / coniugibusq(ue) et liberis / epulum dederunt l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 962 AE 1914, 45: Gargiliae C(ai) f(iliae) / Marcianae ma/ritae rarissimae / C(aius) Aemilius C(ai) f(ilius) Pap(iria) / Martialis ponti/fex quaestor et / Aemilii Marcia/nus et Martialis / Iunior ordinis nos/tri viri equites R(omani) / cum Honorato / fratre matri dignis/simae divisis spor/tulis tam decuri/onibus quam civib(us) / editis ludis scaenicis de suo pous(erunt) // Dedica[t(um)] / Kal(endis) Se[pt(embribus)] / Fusco II et Dex/tro con(sulibus) / ordinis / decret(o) / XVI Kal(endas) Sep(tembres) / co(n)s(ulibus) s(upra) s(criptis) nat(ali) / eius XV Kal(endas) Mai(as). 963 CIL 8, 4202: Victoriae / Germanicae / Aug(ustae) Imp(eratoris) Caes(aris) M(arci) Au/reli Severi Anto/nini Pii Felicis Aug(usti) Par/th(ici) max(imi) Brit(annici) max(imi) Germ(anici) / max(imi)

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Zahlungen zunächst nicht einlösen wollte oder konnte und dieser Verpflichtung erst auf Aufforderung oder mit finanzieller Unterstützung seiner Familie nachkam – was in der Tat häufiger vorkam –,964 oder ob der Vater und die Brüder anlässlich des Priesteramtes des Iulius Secundinus selbst finanzielle Leistungen versprochen hatten und daher als weitere Wohltäter an der Seite des Bruders und Sohnes genannt wurden, oder ob der Stifter seine Familienmitglieder in der Inschrift aufführen ließ, damit diese am Prestige seiner Euergesien teilhaben konnten. Ein flamen perpetuus aus Musti bezog in die von ihm getätigte Stiftung seine engere Familie mit ein, indem er einen Tempel für Mercur Augustus gemeinsam mit seiner Frau und seinen Söhnen errichten und zur Einweihung ein Festmahl geben ließ.965 Auch ein gewisser Memmius Pecuarius Marcellinus ließ einen Tempel – in diesem Fall sogar einen kapitolinischen Tempel für Iupiter Optimus Maximus, Iuno Regina und Minerva Augusta – in seinem Namen sowie im Namen seines Sohnes, einem flamen und decurio, und seiner Frau, einer flaminica, erbauen und mit diversen festlichen Handlungen einweihen.966 In ähnlicher Weise verwirklichte eine flaminica der Diva Plotina den von ihr versprochenen Tempel für Dea Caelestis gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Sohn, die beide ebenfalls Priesterämter ausübten.967 Ein flamen und duumvir aus Baetica dehnte die von ihm

pont(ificis) max(imi) p(atris) p(atriae) / C(aius) Iulius Secundinus / ex voluntate Iuli Ter/tioli patris et Iuliorum / Thevestini et Silvani / fratruum ob ho/norem fl(amonii) p(er)p(etui) inla(ta) / legitima HS II(milium) n(ummum) et con/decurionibus sportu/las duplas et curiis / sing(ulis) HS CXX n(ummum) statuam / quam ex HS VIIII(milibus) n(ummum) / promiserat faci/end(am) dedicandamq(ue) / curavit. 964 Vgl. Teil 2, Kapitel 1.1. 965 AE 1968, 591: Mercu[rio] Augusto sacrum pro s[a]lute / Imp(eratoris) Caes(aris) M(arci) O[[[pelli]]] Sever[[[i Macrini]]] Pii Felicis Aug(usti) p(atris) p(atriae) et M(arci) [[[Opelli]]] Antonini [[[Diadumeniani]]] C[ae]s(aris) Aug(usti) / L(ucius) Nonius Rogatia[nus H]onoratianus fl(amen) an(nuus) aedil(is) IIvir fl(amen) perp(etuus) cum ob honorem flamoni[i per]petui / HS X mil(ia) n(ummum) taxasset in[lat(is)] aerario HS V mil(ibus) n(ummum) legitimae summae eiusdem honor[i]s opus quod solo [p]ub(lico) pro/miserat multiplicata p[ec]unia cum Orfia M(arci) f(ilia) Fortunata sua et Noniis Orfiano et Fortunato fili(i)s dedicavit epulo curiis dato. 966 CIL 8, 26121: [I]ovi Optimo Maximo Iunoni Reginae Minervae Augustae sacrum / [p]ro salute Imp(eratoris) Caes(aris) M(arci) Aureli Antonini Aug(usti) Armeniaci Medici Part(hici) max(imi) pont(ificis) max(imi) trib(unicia) pot(estate) XXIIII imp(eratoris) V co(n)s(ulis) III p(atris) p(atriae) liberorumq(ue) eius totiusque domus divinae / [L(ucius)] Memmius Pecuarius Marcellinus cum suo et L(uci) Memmi Marcelli Pecuariani decurionis c(oloniae) I(uliae) K(arthaginis) flaminis divi Nervae designati filii sui nomine templum Capitoli liberalitate sua / [f]aciendu[m] ex HS XX mil(ibus) n(ummum) patriae suae pago et civitati Numlulitanae promisisset et ob honorem flamoni(i) Iuniae Saturninae uxoris suae ex decreto utriusque ordinis HS IIII m(ilia) n(ummum) in id / opus [e]rogass[et] multiplicata pecunia solo suo extruxit et marmoribus et statuis omnique cultu exornavit itemq(ue) dedicavit ob quam dedicationem decurionibus utriusq(ue) ordinis sportulas / item populo epulum et gymnasium dedit praeterea exigente annona frumenta quantacumq(ue) habuit populo multo minore pretio quam tunc erat benignissime praestitit item ludos scaenicos et gymnasia adsidue dedit. 967 CIL 8, 993: Aedem quam Cassia Maximula flaminica divae Plotinae Caelesti deae voverat Sextili Martialis mari/tus sacerdos publicus omnibus honoribus functus et Martialis filius flamen perpetuus

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verfügten Stiftungen über eine weitere Generation aus, indem er die Baustiftungen sowie die ludi scaenici und das Festmahl nicht nur im eigenen Namen sondern auch im Namen seines Sohnes, seiner Tochter sowie seiner Enkelin ausführen ließ.968 In die Stiftung eines Tempels für Fortuna Augusta im afrikanischen Musti waren mehrere Familienmitglieder auf verschiedenste Weise eingebunden. Initiiert wurde die Stiftung von Caius Iulius Galba, einem centurio, der testamentarisch die Summe von 30.000 Sesterzen für den Bau bereitgestellt hatte. Der Erbe des Verstorbenen, sein Bruder969 Lucius Iulius Rogatus Kappianus, führte die Bestimmungen des Testaments aus und begann mit dem Bau, wobei er anlässlich des ihm übertragenen Amtes des flamen perpetuus 10.000 Sesterzen hinzufügte sowie gemeinsam mit seinen Brüdern die Summe um weitere 30.000 Sesterzen erhöhte. Vollendet wurde der Tempel vom Sohn der Schwester des Lucius Iulius Rogatus Kappianus, den dieser als seinen Erben eingesetzt und offenbar auch adoptiert hatte.970 Zur Einweihung ließ dieser wiederum gemeinsam mit seinem Sohn dreitägige ludi veranstalten, sportulae an die Dekurionen verteilen und er gab dem Volk ein Festmahl sowie gymnasium (womit in diesem Zusammenhang wohl die Verteilung von Öl für den Besuch der Bäder gemeint ist).971 An diesem Beispiel lässt sich deutlich ablesen, dass der Prozess der Stiftung, Errichtung und Einweihung des Tempels sich offenbar über längere Zeit hinzog und somit verschiedenste Mitglieder der Familie über drei Generationen in die Pflicht nahm, die nicht zuletzt auch für die Ausführung der ver-

aedilis suo / sum(p)tu a solo aedificatam d(ecreto) d(ecurionum) marmoribus et museis et statua Pudicitiae Aug(ustae) et thorace Caelestis / Augustae ornaverunt et die dedicationis decurionibus sportulas dederunt. 968 CIL 2, 1074: L(ucius) Attius Quir(ina) Vetto flamen / IIvir m(unicipum) m(unicipii) Flavi Canam(iensis!) / suo et L(uci) Atti Vindicis f(ilii) et / Attiae Autumninae f(iliae) et / Antoniae Proculae neptis nomine / porticus lapideas marmoratas solo / suo ludis sca(e)nicis impensa sua factis epulo / dato d(edit). Ähnlich auch in CIL 12, 4393. 969 Unter der Bezeichnung frater patruelis ist wohl zu verstehen, dass es sich um Halbbrüder väterlicherseits handelte. 970 Da sein Sohn den Namen Aulus Titisenus Honoratus Kappianus trägt, lässt sich vermuten, dass er selbst ursprünglich Aulus Titisenus Rogatus Kappianus hieß, bevor er von seinem Onkel adoptiert wurde und dessen praenomen und nomen gentile übernahm. Salomies 2014, 529. 971 CIL 8, 1574: Fortunae Augustae sacrum / Imp(eratori) Caes(ari) M(arco) Aurelio Antonino Aug(usto) Armeniaco et Imp(eratori) Caes(ari) L(ucio) Aurelio Vero Aug(usto) Armeniaco / templum quod C(aius) Iulius C(ai) f(ilius) Corn(elia) Galba |(centurio) leg(ionis) XXII Primig(eniae) hastatus ex HS XXX mil(ibus) n(ummum) testamento suo fieri iussit L(ucius) Iulius L(uci) f(ilius) Corn(elia) / Rogatus Kappianus frater patruelis et heres eius adiectis ob honorem flam(onii) perp(etui) sui HS X mil(ibus) n(ummum) et amplius quae professus est HS XXX mil(ibus) n(ummum) cum fratribus / Potito Natale Honorata faciendum curavit L(ucius) Iulius Titisenus Rogatus Kappianus fil(ius) sororis et heres eius consummavit et cum / A(ulo) Titiseno Honorato Kappiano fil(io) suo dedicavit et ob dedicationem triduo ludos decurionibus sportulas populo epulum et gymnasium dedit. Zu den unterschiedlichen Bedeutungen von gymnasium vgl. Teil 2, Kapitel 4.6.

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sprochenen Stiftung hafteten.972 Die zusätzlich zur Verfügung gestellten Geldsummen könnten den inzwischen gestiegenen Kosten für das Bauprojekt geschuldet sein oder sogar als eine Art „Verzugszins“ interpretiert werden.973 Andererseits bot sich den Nachkommen auf diese Weise aber auch die Gelegenheit, sich aktiv in die Stiftung einzubringen und dadurch selbst als Euergeten aufzutreten.974 Indem sie freiwillig weitere Geldsummen hinzufügten oder auf eigene Initiative Festlichkeiten zur Einweihung organisierten, übertrumpften sie die vorherigen Stifter und konnten das Prestige der ganzen Familie immer weiter steigern. Vollendet wurde der Prozess der Tempelstiftung schließlich durch die Einweihungsfeier: Dieses Fest stellte die letzte Möglichkeit dar, nochmals öffentlich auf die kollektiven Leistungen der Familie zu verweisen, und bot zugleich die Chance, die vorangegangenen Euergesien abermals zu überbieten und neue Akzente zu setzen, was nicht zuletzt durch die dreitägigen ludi eindrucksvoll gelungen sein dürfte. Auch wenn die zusätzlichen Zahlungen sowie die Feierlichkeiten zur Einweihung sicherlich in hohem Maß erwartbar waren – es finden sich kaum Stiftungen, bei denen die Ausführenden nicht auf eigene Initiative weitere Leistungen hinzufügten – zeigt diese Inschrift, die sämtliche Details der verschiedenen Stiftungen genauestens wiedergibt, wie stolz die Familie auf ihre Leistungen war und in welchem Maße sie hoffte, dafür wiederholt Prestige zu beanspruchen.

Die familiären Bindungen konnten bei der Stiftung von Festen also in unterschiedlicher Weise zum Tragen kommen. Indem Eltern etwa gemeinsam mit ihren Kindern oder im Namen ihrer Kinder Feststiftungen tätigten, konnten sie zum einen versuchen, die Karriere der Nachkommen zu befördern, zum anderen konnten diese Leistungen aber auch ihnen selbst zugeschrieben werden. Setzten sich die Kinder für ihre Eltern ein, konnten sie deren ehrenvolles Andenken sichern – was sich nicht zuletzt bei Familien der Oberschicht ganz wesentlich auf die eigene Position ausgewirkt haben dürfte975 – und damit zugleich der von Nachkommen erwarteten pietas Ausdruck verleihen. Darüber hinaus konnten sie aber auch durch eine besonders elaborierte Feststiftung die eigene liberalitas unter Beweis stellen. Initiativen, die dem Totengedenken an ein verstorbenes Familienmitglied dienten, zeugen wohl in erster Linie vom Wunsch, dass die betreffende Person nicht vergessen und nach dem Tod angemessen verehrt werden sollte. Zugleich taten sich hierbei jedoch auch Handlungsfelder zur Selbstdarstellung auf, z.B. durch die Möglichkeit einer Privat-

972

Wesch-Klein 1989, 180f. Ebd., 186f. 974 Ebd. 975 Eck betont die „familiale[…] Kontinuität“ bei senatorischen Familien: „Schon die Leistung, die merita des Vaters sollten eigentlich genügen, um dem Sohn eine vergleichbare öffentliche Position zu sichern.“ Eck 2010, 258. 973

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deifikation, wodurch nicht zuletzt auch das eigene Ansehen und das der gesamten Familie gesteigert werden konnte. Abgesehen davon boten sowohl die Einsetzung als Erbe und die damit verbundene Ausführung der testamentarischen Verfügungen als auch die Übernahme von Ehrungen, die von einer anderen Person oder einem Organ beschlossen worden waren, die Gelegenheit, die ursprünglich verfügte Stiftung um eigene Elemente zu erweitern und somit sich selbst als Euergeten ins Spiel zu bringen. Einige Beispiele zeugen davon, dass derartige Strategien der Prestigegewinnung bei Stiftungen angewandt wurden, bei denen Familienmitglieder über mehrere Generationen hinweg involviert waren und somit immer wieder aufs Neue ihre Großzügigkeit unter Beweis stellen konnten.

3. Die Motivation der Stifter 3.1. Explizit genannte Motive Senatoren, Ritter, städtische Eliten, Freigelassene, einfache Bürger, Familien – die Stifter von Festen oder festlichen Handlungen stellten eine äußerst heterogene Gruppe dar, deren soziale Hintergründe kaum diverser sein könnten. Was führte dazu, dass sich so unterschiedliche Menschen dazu entschlossen hatten, als Stifter aktiv zu werden? In manchen Fällen geben die inschriftlichen Texte selbst Auskunft über die Motivation der Euergeten. Recht weit verbreitet war der Verweis auf Werte, die eng mit dem Euergetismus verknüpft waren, wie munificentia, liberalitas oder largitio.976 Diese Werte wurden meist als Begründung genannt, wenn ein Euerget für seine Wohltaten geehrt wurde, was mit Formulierungen wie ob munificentiam bzw. ob liberalitatem eius ausgedrückt wurde.977 Besonders elaborierte Begründungen zählten gleich mehrere dieser Tugenden auf, wie in einer Inschrift aus Signia, in welcher ein Wohltäter ob plura saepius beneficia et munificent(ia) largitionesque ausgezeichnet wird, die er dem collegium der Dendrophoren erwiesen hatte.978 Die Betonung dieser klassischen, mit dem Euergetismus verbundenen Tugenden stellte neben der Aufzählung der konkreten Leistungen sicherlich auch ein zentrales Motiv der Reden dar, die anlässlich der Einweihung von Ehrenstatuen gehalten wurden.979 Eine Inschrift aus Ariminum, die wohl den Tenor einer solchen Ehrenrede imitierte, gibt einen lebendigen Eindruck hiervon: Die Bewohner eines Dorfes ließen ihrem optimo et rarissimo civi, dem Ritter Caius Faesellius Rufio, der zudem Patron der colonia Arimi-

976

Zu den inschriftlich genannten Werten in der römischen Kaiserzeit vgl. umfassend Forbis 1996. Zur munificentia, liberalitas und largitio ebd., 31-42. Vgl. auch Veyne 1990, 19-22, der auch auf die philosophischen Hintergründe eingeht. 977 Z.B. AE 1958, 144; CIL 8, 1495; 12422. 978 CIL 10, 5968. 979 Erkelenz 2005, 90f.

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num sowie einiger Dörfer und collegia war, eine Ehrenstatue errichten, da er die liberalitates, die den Bürgern bereits von seinen Vorfahren zuteil geworden waren, durch sein Beispiel noch übertroffen habe (quod liberalitates in patriam civesque a maioribus suis tributas exemplis suis superaverit). Neben weiteren Wohltaten (inter c[e]tera beneficia) hatte er die Dörfer immer wieder durch Getreidespenden unterstützt und ihnen aus Freigebigkeit (munificentia sua) eine Summe in Höhe von 20.000 Sesterzen zum Kauf seines Grundstücks gegeben, aus dessen Erträgen sie jährlich an seinem Geburtstag eine Geldverteilung abhalten sollten. Außerdem ließ er anlässlich der Einweihung der Ehrenstatue eine weitere Geldverteilung durchführen.980 Der Text dieser Ehreninschrift geht über die häufig sehr knappen Formulierungen hinaus: Anstatt eines allgemeinen Verweises, dass der Stifter aufgrund seiner Freigebigkeit geehrt wird, werden hier die von ihm initiierten Euergesien detailliert aufgeführt und jeweils mit einem anderen Begriff bedacht: liberalitates, beneficia, munificentia. Auf diese Weise wird ein Bild vom Geehrten als Wohltäter gezeichnet, der keine Wünsche offen ließ. In einigen Inschriften wurden diese Tugenden nicht als Begründung für eine Ehrung des Stifters eingesetzt, sondern um dessen Stifterverhalten darzustellen und positiv zu bewerten. Meist geschieht dies durch die Verwendung des Ablativs in Formulierungen wie liberalitate oder ex liberalitate sua donavit/constituit.981 Gelegentlich werden diese Begriffe sogar explizit als Charaktereigenschaften des Stifters verwendet, indem dieser etwa als duumvir munificentissimus bezeichnet wird, wie in einem Beispiel aus Allifae.982 Auch in einer Inschrift aus dem afrikanischen Cillium wird mit der Formulierung, dass der Euerget Bilder in gewohnter Freigebigkeit (solita liberalitate) herstellen ließ, angedeutet, dass es sich bei der liberalitas um einen grundlegenden Wesenszug des Stifters handelte.983 Die Augustalen von Misenum bescheinigten sowohl dem Quintus Cominius Abascantus, der sich durch bemerkenswerte Stiftungen hervorgetan hatte, als auch dessen Frau Nymphidia

980

CIL 11, 379: C(aio) Faesellio C(ai) f(ilio) An(iensis) / Rufioni eq(uo) publ(ico) L(aurenti) L(avinati) / cur(atori) rei p(ublicae) Forodr(uentinorum) patr(ono) col(oniae) Arim(ini) / itemq(ue) vicanorum vicorum VII / et coll(egiorum) fabr(um) et cent(onariorum) optimo et / rarissimo civi quod liberalitates / in patriam civesque a maioribus / suis tributas exemplis suis supe/raverit dum et annonae populi / inter c[e]tera beneficia saepe / subvenit et praeterea singulis / vicis munificentia sua HS XX(milia) n(ummum) ad / emptionem possessionis cuius de / reditu die natalis sui sportular(um) / divisio semper celebretur / largitus sit ob cuius dedicationem / HS n(ummos) IIII vicanis divisit / vicani vici Dianensis // Proseri. 981 Z.B. CIL 8, 1500: (...) [ad ornamentum patriae su]ae sua liberalitate constitutis (...); CIL 8, 937: (...) ad cuius ornamenta / Armenia Auge mater et Bebenia Pauliana / soror liberalitate sua HS XXV mil(ia) n(ummum) / erogaverunt (...); CIL 11, 132: (...) HS |(mille) n(ummum) liberalitate / donavit (...); CIL 14, 2112: (...) […d]aturum eis ex liberalitate sua HS XV m(ilium) n(ummum) (...). 982 CIL 9, 2350: L(ucio) Fadio Piero IIviro / munificentissimo (…). 983 CIL 8, 210: (…) Q(uintus) Manlius Felix C(ai) filius Papiria Receptus post alia arcum quoque cum insignibus colo[niae] / solita in patriam liberalitate erexit (…).

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Monime einen großzügigen Charakter, indem sie eine Ehrung der Ehefrau damit begründeten, dass sie ihrem Mann in dessen außergewöhnlicher Freigebigkeit nachfolgte.984 Handelte es sich um Amtsträger, die in ihrer Amtszeit als Wohltäter auftraten, kann die Formulierung sua liberalitate außerdem andeuten, dass die Stiftung über die mit der Ausübung des Amtes verbundenen Aktivitäten hinausging und sie dem Spender somit als freiwilliger Euergetismus angerechnet werden musste, was sicherlich mit erhöhtem Prestige einherging. Insbesondere in Africa proconsularis finden sich einige Beispiele, in denen die beiden aktuell amtierenden Ädile Stiftungen ‚aus eigener Freigebigkeit‘ tätigten.985 Gelegentlich stehen die Begriffe auch direkt als Synonyme für gestiftete Wohltaten,986 wie in diesem Beispiel aus Africa proconsularis: Ein gewisser Caius Flavius Pudens wurde vom ordo und auf Verlangen des Volkes mit der öffentlichen Aufstellung einer Quadriga geehrt, u.a. weil er über die zahlreichen Wohltaten hinaus (super numerosam munificentiam), die er für seine Bürger gestiftet hatte, als erster in seiner Heimatstadt besonders prächtige, fünftägige Gladiatorenkämpfe veranstaltet hatte. Außerdem wird erwähnt, dass der Vater des Geehrten nach zahlreichen „Akten der Großzügigkeit“, post multas liberalitates, mit denen er die Stadt geschmückt hatte – es handelte sich offenbar um Baustiftungen –, auch das Aquädukt und 12 Wasserbecken errichten ließ.987 In beiden Fällen werden die Begriffe, die eigentlich für die Tugend der Stifter stehen, synonym für nicht näher ausgeführte weitere Stiftungstätigkeiten verwendet. Eine weitere Tugend, die gelegentlich inschriftlich als Begründung für eine Stiftungsinitiative genannt wird, ist pietas, womit in den hier betrachteten Fällen die Verehrung der Eltern gemeint ist.988 So ließ etwa Publius Ligarius Securus ein Ehrenmonument für seinen Vater aus der diesem geschuldeten pietas errichten.989 In zahlreichen Inschriften wird zwar pietas nicht explizit genannt, doch kann diese Tugend dennoch eindeutig als Beweg-

984

AE 2000, 344: (…) uxor secuta mariti sui peculiarem munificentiam (…). AE 2003, 1985; CIL 8, 769; 859; 860; 12378; 23966. 986 Forbis 1996, 35, die dies jedoch nur für munificentia belegt: „Munificentia also characterizes a variety of benefactions, from public works to cash sportulae.” 987 IRT 117: C(aio) Flavio Q(uinti) fil(io) Pap(iria) Pudenti flam(ini) Liberi Patris IIviro flam(ini) perpetuo cuius pater Fl(avius) Tullus post / multas liberalitates per quas patriam suam exornavit aquam privata pecunia induxit item lacus n(umero) XII exstru/xit eosdemque crustis et statuis marmoreis excoluit praeterea HS CC mil(ia) num(mum) ad tutelam eiusdem / aquae rei publ(icae) promisit et intulit quod ipse quoque Pudens super numerosam munificentiam quam in / cives suos contulit etiam muneris gladiatori spectaculum primus in patria sua per dies quinq(ue) / splendidissimum ediderit ordo Sabrathensium populo postulante quadrigam ei de publico ponend(am) censuit / Fl(avius) Pudens honore contentus sua pecunia posuit. 988 Zu weiteren Bedeutungen von pietas, z.B. als Verehrung der Heimat, vgl. Forbis 1996, 56-59. 989 CIL 8, 12421: (…) ob debitam patri / pietatem posuit (…). 985

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grund ausgemacht werden, wie beispielsweise im Falle des Maternus, der ein Monument für Virtus von Visentium zu Ehren seines Vaters errichtete.990 In ähnlicher Weise lässt sich religio, die Verehrung der Götter, in der Regel lediglich indirekt greifen, indem Stiftungen zu Ehren einer Gottheit getätigt wurden. Ein als duumvir und Priester tätiges Mitglied der munizipalen Oberschicht, der im afrikanischen Musti einen Bogen „in Verehrung des sanctissimum numen“ sowie „aus Liebe zu seiner Heimat“ gestiftet hatte,991 stellt mit der ausdrücklichen Nennung von religio eher die Ausnahme dar. Die ebenfalls in dieser Inschrift genannte Liebe zur Heimat, amor patriae, ist hingegen ein Motiv, das sich recht häufig findet. In Africa proconsularis ließ beispielsweise der Enkel und Erbe eines Euergeten den von diesem versprochenen Tempel für Fortuna Redux Augusta vollenden, wobei er in amorem patriae suae die Geldsumme zum Bau des Tempels vergrößert hatte und zudem ein goldenes Abbild wiederherstellen ließ.992 Wie munificentia und liberalitas konnte die von einem Wohltäter erwiesene Liebe zur Heimat auch als Begründung für eine Ehrung aufgeführt werden: Der Senat und das Volk von Anagnia ehrten etwa den kaiserlichen Freigelassenen und Patron der civitas Anagnia Marcus Aurelius Sabinianus für die „aus Liebe zur Heimat und zu den Bürgern“ (erga amorem patriae et civium) von diesem vollbrachten Euergesien.993 Alternativ zu amor patriae konnten auch Formulierungen wie amor civitatis994 verwendet werden, oder es konnte angedeutet werden, dass eine Stiftung „zu Ehren“995 oder zum „Glanz“996 der Heimat getätigt wurde. Diese von Goffin als „Lokalpatriotismus“997 erfasste Motivation lässt sich häufig für Senatoren greifen, die sich als wohlhabende Mitglieder der Reichsaristokratie ihren Heimatstädten oder den Gemeinden, deren Patronat sie ausübten, in besonderer Weise verpflichtet fühlten. Das prominenteste Beispiel ist wohl Plinius d.J., der seine Heimat Comum mit umfangreichen Stiftungen bedachte.998 Gerade bei derart illustren Gönnern einer Stadt wird deutlich, dass ein solches Engagement nicht nur dem Ansehen des Stifters selbst förderlich war, sondern auch das „Sozialprestige einer Stadt im Vergleich zu den Nachbargemeinden“ erhöhen konnte.999

990

CIL 11, 2911: (…) Maternus f(ilius) patris / sui h(onoris) c(ausa) (…). CIL 8, 16417: (…) arcum quem suo et C(ai) O[rf]i […] n[omine] / [p]ro praecipua erga sanctissimum numen relig(ione) proque perpetuo patriae amore pro[miserat…] (…). 992 CIL 8, 754: (…) M(arcus) Salvius Celsus Pinarianus nepos et heres [i]n amorem patriae suae multiplicata pecunia simulacro auro reculto solo publico (…). 993 CIL 10, 5917. 994 CIL 8, 15528. 995 CIL 8, 769: (…) ob honorem patriae / suae multiplicatis summis hono/rari(i)s aedilitatis suae (…). 996 NSA 1900, 102: (…) mun(us) / pro nitore coloniae edidit (…). 997 Goffin 2002, 28. 998 CIL 5, 5262. 999 Goffin 2002, 28f. 991

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Plinius war wohl nicht der erste in seiner Familie, der als Wohltäter auftrat: Aus einem seiner Briefe geht hervor, dass er seine Stiftungen in der Tradition seiner Eltern sah.1000 Gerade bei hochstehenden senatorischen Familien überrascht es nicht, dass der Euergetismus über Generationen hinweg zum guten Ton gehörte, wie Veyne treffend bemerkt: „Denn Adel verpflichtet – und Großzügigkeit ist eine seiner Tugenden.“1001 Auch in einigen Inschriften klingt an, dass die Euergeten sich ihre Vorfahren als Vorbilder nahmen: Ein Ädil aus dem afrikanischen Giufi betonte, dass er die Statue für Apollon Augustus in „Nachahmung des Beispiels seines Vaters“ anfertigen ließ,1002 und eine Frau aus Musti, ebenfalls in Africa proconsularis, stiftete eine Statue gemäß des Vorbilds ihrer Eltern und Vorfahren, wobei anschließend sogar die Leistungen ihres Vaters in der Inschrift genannt werden.1003 Der oben bereits erwähnte Ritter Caius Faesellius Rufio wurde in Ariminum geehrt, da er die Wohltaten, die seiner Heimat von seinen Vorfahren zuteil geworden waren, durch sein eigenes Beispiel sogar noch übertroffen habe.1004 Eine in Gabii öffentlich geehrte Priesterin der Spes und Salus Augustae sah die Ausgaben, die sie anlässlich ihrer Priesterschaft getätigt hatte, hingegen nicht in ihrer eigenen Familientradition verankert, sondern nahm sich ein Beispiel an anderen „hervorragenden Frauen“ (inlustres feminae), womit wohl ihre Vorgängerinnen in diesem Amt gemeint waren.1005 Nicht auf vergangene, sondern auf zukünftige Generationen bezogen war eine weitere Motivation, als Stifter aufzutreten, nämlich der Wunsch, für die Nachwelt und potenzielle weitere Euergeten als Vorbild zu fungieren. Besonders eindrucksvoll formuliert wird dies in einem Testament, das in Auszügen auf einer Inschrift aus Petelia wiedergegeben ist: Der Stifter, ein Mann namens Manius Maegonius Leo, legte fest, dass die von ihm verfügten testamentarischen Bestimmungen auf der Basis der für ihn zu errichtenden Statue veröffentlicht werden sollten, damit seine Leistungen zum einen den nachfolgenden Generationen bekannt wurden – und somit sein eigenes Ansehen auch in Zukunft gesichert war –, und zum anderen als Vorbild für weitere zukünftige Wohltäter dienen konnten.1006 Aus einer anderen Inschrift geht hervor, dass der gleiche Euerget den Augustalen ebenfalls

1000 Plin. ep. 1,8,5. Vgl. Goffin 2002, 31. Zur Berufung auf die Familientradition als Motivation der Stifter vgl. ebd., 30f. 1001 Veyne 1990, 21. 1002 CIL 8, 858: (…) hanc statuam imita/tus patris exemplum ex HS VIII mil{l}ibus n(ummum) sua li/beralitate numerata prius se rei publicae / summa honoraria posuit (…). 1003 AE 1968, 588: (…) quod Iulia Q(uinti) f(ilia) [… ho]/nestae memoriae flaminica imi[tata paren]/tes maioresq(ue) suos qui munifici in [patriam] / extiterunt id est C(aium) Iulium C(ai) f(ilium) Cor(nelia) Fe[licem] / Felinianum flam(inem) perp(etuum) qui statuam Iov[i Victo]/ri in foro posuit patriae suae per decr[etum] / universi ordinis promisit (…). 1004 CIL 11, 379, s.o. 1005 CIL 14, 2804: (…) quod post / inpensas(!) exemplo inlustrium feminar(um) / factas ob sacerdotium etiam opus portic(us) / Spei vetustate vexatum pecunia sua refectu/ram se promiserit (…). 1006 D 6468: (…) hoc caput testamenti mei basi statuae pedestris quam supra a vos(!) petivt(!) mihi po/natis inscribendam curetis quo notius posteris quoque nostris / esse possit vel eis quoque qui munifici erga patriam suam erint admoniat (…).

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testamentarisch diverse Gerätschaften für die Ausstattung der Festmähler zukommen ließ, was wiederum laut Inschriftentext andere motivieren sollte, die „Bürde der Augustalität“ auf sich zu nehmen.1007 Einem Mann vom Zuschnitt eines Manius Maegonius Leo scheint es also in erster Linie darum gegangen zu sein, sich selbst als leuchtendes Vorbild für andere zu inszenieren und das durch Ämter, zahlreiche Euergesien und dieses positive ‚Image‘ erlangte Ansehen dauerhaft zu bewahren.1008 Doch darf nicht vergessen werden, dass für wohlhabende Mitglieder der lokalen Oberschicht und in noch viel größerem Maße der reichsweiten Aristokratie ein nicht zu unterschätzender sozialer Druck herrschte, einen Teil des eigenen Reichtums als Wohltaten für die Allgemeinheit abzugeben.1009 Gelegentlich klingt dies auch in den inschriftlichen Texten an, wenn etwa erwähnt wird, dass eine Stiftung auf Verlangen des Volks durchgeführt wurde, wie die ludi scaenici, die vom duumvir von Vina, Africa proconsularis, expostulante populo veranstaltet wurden.1010 Zum einen zeigt diese Formulierung, dass derartige Stiftungen von Personen eines gewissen Ranges erwartet wurden. Der Umstand, dass die Spiele offenbar nicht ganz freiwillig organisiert worden waren, sondern erst lautstark eingefordert werden mussten, war dem Euergeten jedoch nicht unangenehm, sonst wäre dies wohl kaum inschriftlich erwähnt worden. Der Stifter bezog also offenbar auch Prestige aus der Tatsache, bedeutend genug zu sein, dass das Volk mit derartigen Erwartungen an ihn herangetreten war,1011 und reich genug zu sein, diesen Erwartungen gerecht werden zu können – und vielleicht sogar mehr als gerecht, indem die Stiftungen über die von Amts wegen oder vom Volk verlangten Wohltaten noch hinausgingen.

3.2. Implizite Motive Viele der vorgestellten Motive klingen wie bereits angedeutet auch indirekt in Inschriften an, ohne dass die entsprechenden Schlüsselbegriffe genannt werden. So diente freilich die Aufzählung der gestifteten Wohltaten eines Euergeten als Beleg der munificentia und

1007

CIL 10, 114: (…) quod ipsum ad utilitate[m] / rei p(ublicae) n(ostrae) pertinere existimavi facilius subituris onus Augu[s]/talitatis dum hoc commodum ante oculos habent (…). 1008 Bossu 1982, 163: „As a conclusion, one could say that all the testamentary donations of M. Megonius Leo reflect one single concern: the benefactor wanted to be sure that his name would be remembered after his death.” 1009 Goffin 2002, 29f. 1010 CIL 8, 958. 1011 Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Formulierung, dass etwas auf den Willen des Volkes hin gestiftet wurde, immer auf einen realen Sachverhalt zurückging, oder ob es sich nicht auch um einen Topos handeln könnte, mit dem versucht wurde, im Inschriftentext Nähe zum Volk zu demonstrieren und das Auftreten als Euerget und die damit verbundene hohe soziale Stellung durch die Akzeptanz des Volkes zu legitimieren.

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liberalitas, auch wenn diese Wörter nicht explizit fallen. Ebenso bewies eine Frau, die ein Kultgewand für eine Götterstatue stiftete,1012 oder ein Aesculap-Priester, der Opfertiere zur Verfügung stellte,1013 Frömmigkeit, ohne dass explizit auf deren religio hingewiesen werden musste. Betrachtet man jedoch die verschiedenen sozialen Hintergründe der Stifter, kristallisieren sich weitere Motive heraus, die tiefer liegen als die rein textliche Ebene der Inschriften und deren Implikationen. Für Freigelassene, die über einen gewissen Wohlstand verfügten, stellte das Auftreten als Euerget ein zentrales Medium dar, in der Öffentlichkeit Ansehen zu gewinnen und sich idealerweise sogar einen sozialen Aufstieg zu ermöglichen, wie beispielsweise durch die Aufnahme unter die Augustalen, in einen prestigeträchtigen Verein oder gar durch die Auszeichnung mit einem Ehrenmonument oder den ornamenta decurionalia.1014 Nicht zuletzt für die Nachkommen von Freigelassenen konnte die gesellschaftliche Positionierung der Eltern entscheidend sein, als homines novi in der römischen Ämterlaufbahn Karriere zu machen.1015 Dass diese Strategie aufgehen konnte, belegen zahlreiche Inschriften, wie beispielsweise der Text einer Ehreninschrift aus Suessa Aurunca: Der Augustale Caius Titius Chresimus wurde hier für die von ihm veranstalteten Gladiatorenkämpfe vom ordo decurionum mit einem bisellum geehrt und außerdem wurde sein Sohn zum decurio ernannt.1016 Der Vater hatte durch sein Engagement als Augustale, der öffentlich ausgezeichnet wurde, bereits alles erreicht, was ihm als Freigelassener möglich war, und es war ihm darüber hinaus gelungen, den Aufstieg seines Sohnes in die munizipale Elite zu sichern. Auch für römische Bürger konnte der Euergetismus einen Weg darstellen, die eigene Karriere zu befördern und gesellschaftlich aufzusteigen, etwa durch den Eintritt in den Dekurionenstand.1017 Dass die überwiegende Mehrheit der von der munizipalen Oberschicht

1012

CIL 14, 2804. AE 1952, 41. 1014 Goffin 2002, 23-26 und Chamberland 2012, 281. 1015 Goffin 2002, 25. 1016 CIL 10, 4760: C(aio) Titio / Chresimo Aug(ustali) II / huic ordo decurionum / quod pro salute et indulgen/tia Imp(eratoris) Antonini Pii Felicis Aug(usti) / et ex voluntate populi munus / familiae gladiatoriae ex pecunia / sua diem privatum secundum digni/tatem coloniae ediderit honorem / biselli quo quis optimo exemplo in / colonia Suessa habuit et ut aquae / digitus in domo eius flueret com/modisque publicis ac si decurio fru/eretur et Titio Chresimo filio eius / ob merita patris honorem decuriona/tus gratuitum decrevit / ordo decurionum et Augustalium / et pleps(!) universa // [Q(uinto) S]ossio Falcone C(aio) Iulio / Erucio Claro co(n)s(ulibus) / Nonis Septembr(ibus) / Suessae in bybl[i]otheca(!) M[ati]/diana scribundo adfu[erunt] / T(itus) Iulius Bassus M(arcus) Maesius Q[…] / M(arcus) Arrius Adiutor L(ucius) Mildius […] / L(ucius) Asinius Marsirianus / quod universi[s postul]antiba[s (!) …]/lius HE[…] diem / […] eius [decurio]/ant(um)(!) gratuitum […] / decurionatus ei o[fferri(?) …] / statuiq(ue) eius ob munificen[tiam] / diem(!) privati editi [statua …] / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 1017 Zur pollicitatio als Mittel, die Chancen auf ein bestimmtes Amt zu verbessern, vgl. Goffin 2002, 24. 1013

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getätigten Stiftungen in Zusammenhang mit der Erlangung oder Ausübung eines Amtes standen, unterstreicht die Bedeutung, die das Auftreten als Wohltäter für die politische Laufbahn hatte. Doch dies erklärt nicht, warum zahlreiche Männer, die als Dekurionen, Priester oder sogar Patrone bereits an der Spitze der munizipalen Hierarchie standen, sich weiterhin aktiv als Wohltäter im Gemeinwesen engagierten. Eine Erklärung hierfür könnte darin zu sehen sein, dass versucht wurde, auch die gesellschaftliche Stellung der eigenen Nachkommen zu sichern. Dass der Sohn des decurio Caius Trebius Cornelianus offenbar schon sehr jung – er wird zumindest als filiolus bezeichnet – ebenfalls in den ordo decurionum aufgenommen wurde, lag sicherlich nicht zuletzt an den zahlreichen Stiftungen seines Vaters, worunter sich mehrmals zweitägige ludi scaenici und ein Festmahl für die Dekurionen und alle Bürger fanden.1018 Herz sieht die Hauptgründe für den Euergetismus hingegen zum einen in der „interne[n] Rivalität zwischen den führenden Familien der Gemeinde“, die ihre „gesellschaftliche Vorrangstellung durch besondere Leistungen für die Gemeinschaft“ auch weiterhin behaupten mussten, und zum anderen am Druck, der durch die Bevölkerung ausgeübt werden konnte, indem diese die Möglichkeit hatte, „ihrem Mißvergnügen an zu geringen Spenden lautstark Ausdruck zu geben oder Ehrungen für spezielle Wohltäter einzufordern.“1019 Sowohl die Angst davor, das Gesicht zu verlieren, weil man den Erwartungen nicht nachkam, die mit der eigenen gesellschaftlichen Stellung verknüpft waren, als auch der Wunsch, auf Verlangen des Volkes öffentlich ausgezeichnet zu werden und durch eine Ehrenstatue das eigene Andenken in der städtischen Öffentlichkeit dauerhaft zu sichern, konnten eine wirkmächtige Motivation darstellen, sich trotz der bereits erlangten Vorrangstellung weiterhin als Euerget zu betätigen. Ganz ähnlich sahen sich auch Mitglieder der Reichsaristokratie als Patrone oder Inhaber von munizipalen Ämtern in der Pflicht, sich dem jeweiligen Gemeinwesen als freigebige Gönner zu erweisen. Der gesellschaftliche Druck, in einer Stadt als Euerget aufzutreten, zu der ein persönlicher Bezug bestand, dürfte in der Tat für Ritter und Senatoren noch größer gewesen sein als für Mitglieder der munizipalen Oberschicht, wovon die vergleichsweise hohe Zahl an ‚reinen‘ Euergesien von dieser Personengruppe zeugt, die nicht in Verbindung mit einem Amt oder einer vorangegangenen Ehrung standen.

1018

AE 1997, 1643: C(aius) Trebius Cornelianu[s] / ob receptum [i]n ordinem / decurionum C(aium) Septimium Tre/bium Tsinchanem filiolum s[u]/um inlata r(ei) p(ublicae) pec(unia) decuriona/tus s[uo tempore signum aereum M]ar/syae [sua pec(unia) in foro posuit(?)] et / ep[ulo decurionib(us) et omnib(us) c]ivibus / d[a]t[o ludos scaenicos populo p]er / b[iduum ad]s[idue edidit amplius i]n / t[emp]l[o Saturni(?) ar]cum(?) [de impen]dio / suo dedicavit l(ocus) [d(atus) d(ecreto) d(ecurionum)]. 1019 Herz 1995, 73.

231

Ebenso konnte das Beispiel des Kaisers als Motivation dienen, dessen Stifterverhalten zu imitieren.1020 Die Stiftungen eines Plinius sowie die diesbezüglichen Selbstaussagen, die sich in seinen Briefen greifen lassen, zeigen, dass es auch den Mitgliedern der Reichsaristokratie darum ging, sich in den betreffenden Gemeinwesen als großzügige Euergeten darzustellen und Ruhm und Ehre zu erlangen, wie Page treffend feststellt: „Die euergetische oder patronale Stiftung von Gebäuden widmete Plinius immer der Stadt selbst oder ihrer gesamten Bürgerschaft. Im Gegenzug erhielt er als großzügiger Stifter öffentliches Prestige und Lobpreisung in Form von Weih- oder Bauinschriften, Festen oder Statuen. Für Plinius standen somit stets Aspekte der öffentlichen Selbstdarstellung und seines Wirkens als (idealer) Geistesaristokrat im Vordergrund und nicht Wohlfahrt oder Nächstenliebe gegenüber seinen clientes.“1021

Eng verknüpft mit dieser Inszenierung als ehrbarer Gönner war der Wunsch, auch über den Tod hinaus in Erinnerung zu bleiben. Für einen anhaltenden Nachruhm war es wichtig, die Langlebigkeit der Stiftungen zu sichern, was erklärt, weshalb Mitglieder der Aristokratie Baustiftungen bevorzugten. Doch auch die Einrichtung eines jährlichen Festes konnte diesem Zweck dienen, wobei dieses gegenüber den Baustiftungen den Vorteil bot, dass die Erinnerung jedes Jahr erneut unter den anwesenden Festteilnehmern inszeniert werden konnte. Das zentrale Medium der Erinnerung stellten jedoch die Inschriften selbst dar, die in Form von Stiftungs- oder Ehreninschriften den nachkommenden Generationen von den vollbrachten Wohltaten berichten und das Ansehen des Stifters, seine dignitas und immortalitas auf ewige Zeiten sichern sollten.1022 Das Bestreben, das eigene Andenken auch über den Tod hinaus zu sichern, war selbstverständlich nicht auf Mitglieder der Reichsaristokratie beschränkt, sondern lässt sich für Stifter aus allen Schichten greifen, wobei lediglich die Qualität variiert. Ging es einem einfachen Bürger, der ein jährliches Erinnerungsmahl an seinem Grab verfügte, in erster Linie darum, von seinem engeren Umfeld nicht vergessen zu werden und die einem Verstorbenen zustehenden rituellen Handlungen des Totengedenkens zu sichern, stand für einen Senator wie Plinius der Nachruhm und die Erinnerung an die zahlreichen vollbrachten Taten sicherlich im Vordergrund. Die Motive, die sich für Stifter von festlichen Handlungen explizit oder implizit greifen oder auch nur vermuten lassen, sind mannigfaltig, und in den meisten Fällen muss wohl von einer Kombination von mehreren bewussten und unbewussten Beweggründen ausgegangen werden. Völlig unterschiedliche Aspekte sowohl altruistischer als auch egoistischer Natur konnten hierbei nebeneinander existieren,1023 wovon folgende von Veyne vorgenommene Aufzählung der Motive für den Euergetismus einen anschaulichen Eindruck gibt:

1020

Goffin 2002, 32. Page 2015, 198. Vgl. auch Goffin 2002, 20-23. 1022 Goffin 2002, 26. 1023 Ebd., 20. 1021

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„Karrierismus, Paternalismus, monarchischer Stil, Korruption, ostentativer Konsum, Lokalpatriotismus, Rivalitätssucht, der Wunsch, seinen gesellschaftlichen Rang zu behaupten, Unterwerfungsbereitschaft gegenüber der öffentlichen Meinung, Angst vor dem Charivari (also vor der oft satirischen, aber auch ungerechten und gewalttätigen Schmähung der Reichen durch die Armen), Freigebigkeit, Glaube an Ideale.“1024

Die tatsächliche Motivation lässt sich im Einzelnen kaum greifen, da sich natürlich nicht feststellen lässt, ob es sich etwa bei der genannten ‚Liebe zur Heimat‘ oder bei der durch Stiftungen für Gottheiten bewiesenen Frömmigkeit um ‚echte‘ Gefühle handelte. Diese Aspekte sind lediglich als Motive in den inschriftlichen Texten fassbar, die der Selbstinszenierung des Stifters dienten, der sich eben als heimatverbunden oder religiös darstellen wollte. Egal, ob man eine politische Karriere anstrebte, die eigene soziale Stellung festigen wollte, das eigene Gesicht in der Öffentlichkeit nicht verlieren wollte, sich der Freigebigkeit, einer bestimmten Gottheit oder der Familientradition verschrieben sah: Als Grundzug lässt sich hinter den meisten dieser Motive der Wunsch erkennen, sich in der Öffentlichkeit in einem positiven Licht darzustellen und für die getätigte Stiftung Ansehen zu erlangen.1025 Insbesondere für die Mitglieder der Oberschichten war es unerlässlich, innerhalb dieses kommunikativen Systems zu agieren und den Logiken der Einforderung und Zuschreibung von Prestige durch das Auftreten als Stifter Folge zu leisten, um den eigenen sozialen Status anzuzeigen, diesen künftig zu bewahren und möglicherweise sogar gesellschaftlich aufzusteigen.

1024 1025

Veyne 1990, 18. Eck 1997, 326.

233

Kapitel 3: Der Anlass von Festen 1. Feste für Gottheiten / jährliche Feste Beim Stichwort ‚römische Feste‘ denkt man wohl zunächst an die einschlägigen Feste im Jahreslauf, wie die Saturnalien, Neptunalien oder Luperkalien, die meist zu Ehren einer bestimmten Gottheit abgehalten wurden. Diese Feste sind zum einen in zahlreichen Kalendern überliefert,1026 zum anderen zeugen Diskurse in den antiken literarischen Quellen von den Versuchen, die Ursprungsmythen, die teils obskuren Festnamen und den Sinn des Festgeschehens zu erläutern.1027 Tatsächlich lassen sich jedoch nur zu wenigen Festen besondere, auf einen konkreten Anlass bezogene festliche Handlungen greifen, wie beispielsweise an den Luperkalien der Lauf von jungen Männern, die mit den Fellen von geopferten Böcken bekleidet waren.1028 In den Kalendern sind für die entsprechenden Feste in den meisten Fällen lediglich ludi verzeichnet, weshalb ein Bezug zur Gottheit oder zu bestimmten Aitiologien zumindest für uns heute nicht (mehr?) erkennbar ist.1029 Aus den überlieferten Stadtgesetzen geht hervor, dass die Städte in den römischen Provinzen offenbar relativ große Freiheiten hatten, was die Ausgestaltung ihres offiziellen Festkalenders betraf. In Kapitel 70 und 71 der aus der späten Republik datierenden sogenannten lex Ursonensis, einem Stadtgesetz aus dem spanischen Urso, wird lediglich festgelegt, dass die duumviri viertägige Spiele für die kapitolinische Trias Iupiter, Iuno und Minerva, und die aediles dreitägige Spiele ebenfalls für diese drei Gottheiten und einen weiteren Tag für Venus abzuhalten hatten.1030 Weitere

1026

Vgl. umfassend Rüpke 1995. Zur Überlieferung zu den Poplifugia und Nonae Caprotinae vgl. Pfeilschifter 2009. 1028 Plut. Caes. 61; Rom. 21. 1029 So auch Herz 1995, 80 zu den in CIL 10, 1074 überlieferten ludi zu Ehren von Apollon: „Ein direkter inhaltlicher Bezug zu der Gottheit, der diese Spiele geweiht waren, läßt sich im Programm der hier präsentierten Spiele nicht erkennen.“ 1030 CIL 2,5, 1022: (…) [L]XX // IIviri quicu[m]que erunt ei praeter eos qui primi / post h(anc) l(egem) [fa]cti erunt ei in suo mag(istratu) munus lu/dosve scaenicos Iovi Iunoni Minervae deis / deabusq(ue) quadriduom m(aiore) p(arte) diei quot eius fie/ri [poter]it arbitratu decurionum faciun/to inque eis ludis eoque munere unusquis/que eorum de sua pecunia ne minus HS |(mille)|(mille) / consumito et ex pecunia publica in sing(ulos) / IIvir(os) d(um)t(axat) HS |(mille)|(mille) sumere consumere liceto iis/que(!) eis s(ine) f(raude) s(ua) facere liceto dum ne quis ex ea / pecun(ia) sumat neve adtributionem faciat / quam pecuniam h(ac) l(ege) ad ea sacra quae in co/lon(ia) aliove quo loco public{a}e fient dari / adtribui oportebit LXXI // Aediles quicumq(ue) erunt in suo mag(istratu) munus lu/dos(ve) scaenicos Iovi Iunoni Minervae tri/duom maiore parte diei quot eius fieri pote/rit et unum diem in circo aut in foro Veneri / faciunto inque eis ludis eoque munere unus/quisque eorum de sua pecunia ne minus HS |(mille)|(mille) / consumito de(q)ue publico in sing(ulos) aedil(es) HS |(mille) / sumere liceto eamq(ue) pecuniam IIvir praef(ectusve) / dandam adtribuendam curanto itque iis / s(ine) f(raude) s(ua) c(apere) liceto (…). Zur lex Ursonensis vgl. Rüpke 2011, 101-119. 1027

234

Festtage konnten von den jeweiligen duumviri jährlich neu festgelegt werden.1031 Auch hier lässt sich kein Zusammenhang zu besonderen Kulthandlungen für diese spezifischen Gottheiten erkennen. In den in dieser Arbeit untersuchten Inschriften finden sich nur wenige Stiftungen, die auf die jährlichen Feste des Jahreskreises oder Feste für Gottheiten Bezug nehmen. Eine Grabinschrift aus Ravenna stellt hierbei eher eine Ausnahme dar: Der Stifter, ein gewisser Lucius Fanius, ließ dem collegium fabrum unter anderem eine Geldsumme zukommen, aus deren Zinsen jährlich die Festtage für Neptun, Bacchus von Eleusis, Ceres, Talasius, Quirinus und Liber mit unterschiedlichen festlichen Handlungen begangen werden sollten.1032 Die Neptunalien sollten im Neptun-Tempel gefeiert werden, der ebenfalls von Fanius errichtet worden war, was dafür sprechen könnte, dass ihm diese Gottheit besonders am Herzen lag. Vermutlich war es auch kein Zufall, dass der Meeresgott in Ravenna, einer Stadt mit Flottenstützpunkt, verehrt wurde.1033 Denkbar wäre zudem, dass die fabri in Ravenna ihr Hauptauskommen aus dem Schiffsbau bezogen und daher naheliegend Neptun als Schutzgottheit ihres Vereins gewählt hatten – möglicherweise diente der Tempel sogar als Versammlungsraum dieses Berufskollegiums.1034 In Bezug auf Bacchus wird in der Inschrift explizit erwähnt, dass Fanius diesen Gott selbst verehrte (quem ipse coluit). Weshalb der Stifter Ceres, Talasius, Quirinus und Liber für weitere Festtage auswählte – ob es sich hierbei vielleicht um Feste handelte, die bereits im collegium fabrum gefeiert wurden und deren festliche Handlungen er durch seine Stiftung aufstocken wollte, oder ob es sich um weitere Gottheiten handelte, die er persönlich verehrte und deren Kult er im collegium verankern wollte – bleibt jedoch im Dunkeln.

1031

CIL 2,5, 1022: (…) LXIIII // IIviri quicumque post colon(iam) deductam erunt ii in die/bus X proxumis quibus eum mag(istratum) gerere coeperint at / decuriones referunto cum non minus duae partes / aderunt quos et quot dies festos esse et quae sacra / fieri publice placeat et quos ea sacra facere place/at quot ex eis rebus decurionum maior pars qui / tum aderunt decreverint statuerint it ius ratum/que esto eaque sacra eique dies festi in ea colon(ia) / sunto (…). 1032 CIL 11, 127: Aconiae Q(uinti) f(iliae) Salutari consor(ti) / kariss(imae) L(ucius) Fanius / v(ivus) p(osuit) hic coll(egio) fabr(um) m(unicipii) R(avennatis) HS LXX(milia) n(ummum) vivus d(edit) ex quor(um) / redditu quod ann(is) decurionib(us) coll(egii) fabr(um) m(unicipii) R(avennatis) in aede Nept(uni) / quam ipse extruxit die Neptunaliorum sport(ulas) |(denarii) bini dividerentur / die item sacrato apud Eleusinam deo Bacc(h)o quem ipse coluit / sacrato deae Cereri Talasio Quirinoque / et dec(urionibus) XXVIII suae |(denarii) centeni quinquageni quodann(os) darentur / deo Libero mulso et tirsis libent(er) libamenta epulen(tur) inde sicut / soliti sunt mauso(leum) Faniorum Fanii et Italici filiorum et in quo posita est Aconia / Salutaris uxor eius rosis exornent de XXXV sacrificen(tque) de reliq(uis) ibi epulentur / ob quam liberalitatem coll(egium) fabr(um) m(unicipii) R(avennatis) inter bene meritos quodann(os) rosas / Fan(iis) supra s(criptis) / et Aconiae uxori incomp(a)r(abili) mittendas sacrificiumque faciundum per magistros decrevit. 1033 Deichmann 1969, 37. 1034 So diente etwa auch der Augustus-Tempel in Misenum als Versammlungsort der Augustalen. AE 1993, 468.

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Interessanterweise ist aus Ravenna eine weitere Inschrift erhalten, die eine in Teilen sehr ähnliche Stiftung verzeichnet: Ein gewisser Lucius Publicius Italicus, ein mit den ornamenta decurionalia ausgezeichneter Freigelassener, ließ ebenfalls dem collegium fabrum eine Geldsumme für eine jährliche Geldverteilung an den Neptunalia im Neptuntempel zukommen, und auch hier wird erwähnt, dass der Stifter selbst für den Bau des Tempels verantwortlich zeichnete.1035 Offenbar bestand ein engerer Kontakt zwischen diesen beiden Familien, denn auch die Grabanlage, in welcher Aconia Salutaris, die Ehefrau von Lucius Fanius, und wohl auch ihr Mann bestattet worden waren, war für Familienmitglieder der Fanii und der Italici gedacht. Der Bau des Neptuntempels könnte daher vielleicht auf eine gemeinsame Initiative des Lucius Fanius und Lucius Publicius Italicus zurückgegangen sein, die zudem Mitglieder derselben decuria im collegium fabrum von Ravenna waren und sich in identischer Weise für die Feier der Neptunalien und das Totengedenken der Familie engagiert hatten. Abgesehen von diesen beiden Inschriften, die wohl in einem engen Kontext zu sehen sind, existieren noch zwei weitere Texte, die festliche Handlungen anlässlich der Neptunalia verzeichnen: Lucius Caecilius Cilo, bei dem es sich wahrscheinlich um den Vater von Plinius d.J. handelte, hinterließ den Bürgern von Comum testamentarisch eine Geldsumme, aus deren Zinsen dem Volk jährlich an den Neptunalien Öl für die Bäder gewährt werden sollte.1036 Außerdem ließ der römische Konsul Catius Sabinus laut einer in Gedichtform verfassten Inschrift aus Ostia ludi für Neptun abhalten, doch die Organisation dieser Spiele könnte durchaus im Zusammenhang mit seinem Amt als Konsul in Rom gestanden haben.1037 Was Feste für andere Gottheiten anbelangt, sind vor allem Spiele zu deren Ehren überliefert, wie die ludi für Honor und Virtus in Tarracina, die von einem decemvir ad hastam

1035

CIL 11, 126: Flaviae Q(uinti) f(iliae) Salutari coniugi / rarissimae L(ucius) Publicius Italicus dec(urio) orn(atus) / et sibi v(ivus) p(osuit) hic coll(egio) fabr(um) m(unicipii) R(avennatis) HS XXX(milia) n(ummum) vivus dedit ex quor(um) / reditu quod annis decurionib(us) coll(egii) fabr(um) m(unicipii) R(avennatis) in aede Nept(uni) / quam ipse extru{c}xit die Neptunaliorum praesentibus sport(ulae) |(denarii) bini dividerentur / et dec(urionibus) XXVIII suae |(denarii) centeni quinquageni quodannis darentur ut ex ea summa sicut / soliti sunt arcam Publiciorum Flaviani et Italici filiorum et arcam in qua posita est Flavia / Salutaris uxor eius rosis exornent de |(denariis) XXV sacrificentque ex |(denariis) XII s(emissem) et de reliq(uis) ibi epulentur / ob quam liberalitatem coll(egii) fabr(um) m(unicipii) R(avennatis) inter bene meritos quodannis rosas Publiciis supra s(criptis) / et Flaviae Salutari uxori eius mittendas ex |(denariis) XXV sacrificiumque faciundum de |(denariis) XII s(emissem) / per magistros decrevit. 1036 CIL 5, 5279: L(ucius) Caecilius L(uci) f(ilius) Cilo / IIIIvir a(edilicia) p(otestate) / qui testamento suo HS n(ummum) XXXX(milia) municipibus Comensibus / legavit ex quorum reditu quotannis per Neptunalia oleum / in campo et in thermis et balineis omnibus quae sunt / Comi populo praeberetur (…). 1037 CIL 14, 1: (…) Neptunoque patri ludos fecisse Sabinus. Várhelyi geht davon aus, dass die Neptunalien in Ostia zu dieser Zeit von einem römischen Magistrat organisiert wurden. Várhelyi 2010, 120.

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veranstaltet worden waren.1038 Falls es sich bei dem Stifter, wie Eck vermutet, tatsächlich um Caius Paccius Africanus gehandelt haben sollte,1039 dann könnte auch dessen Initiative mit den Verpflichtungen eines senatorischen Amtes zu tun gehabt haben. Ebenso war die Veranstaltung von ludi scaenici für Fortuna Primigenia durch Marcus Aurelius Iulius Eupraepes in Praeneste sicherlich mit dessen Amt als Pontifex der Sancta Fortuna Primigenia verknüpft.1040 Quadratus Baebianus Vindex ließ als trevir im numidischen Cirta ludi Florales veranstalten, wobei er die Kosten selbst trug,1041 und auch im umbrischen Pisaurum organisierte der duumvir Titus Ancharius Priscus neben achttägigen Gladiatorenkämpfen ludi Florales.1042 Obwohl die ludi Florales in Rom eine fest im Kalender verankerte Veranstaltung waren, die regulär von den Magistraten organisiert wurde, müssen die von Ancharius Priscus gestifteten ludi wohl als ‚echte‘ Euergesie gesehen werden, da sie in der Inschrift explizit in einem Kontext mit seinen weiteren Wohltaten und Spenden dargestellt wurden.1043 Ob auch die von Lucius Ammiatius (?) Gamburio im belgischen Beda (heute Bitburg) gestifteten Spiele, die jährlich am 30. April abzuhalten waren, der Göttin Flora galten, bleibt hingegen unklar; dass das Datum in den Zeitraum fällt, in welchem in Rom die ludi Florales abgehalten wurden, könnte vielleicht Zufall sein.1044 Einen außergewöhnlich guten Einblick in einen Festakt zu Ehren einer Gottheit bietet eine Inschrift aus Pompeji. Der dreimalige duumvir Aulus Clodius Flaccus war im Zusammenhang mit diesem Amt für die Ausführung der Feiern für Apollon zuständig und ließ diese größtenteils auf eigene Kosten, teils aber auch gemeinsam mit seinem Kollegen auf üppige Weise ausgestalten: Im ersten Duumvirat fand ein Festzug (pompa) statt, außerdem wurden Stier-, Fecht- und Boxkämpfe sowie schauspielerische Darbietungen und eine Geldverteilung in Höhe von 10.000 Sesterzen durchgeführt. Anlässlich seines zweiten 1038

CIL 10, 8260: C(aius) Paccius C(ai) f(ilius) / Xvir ad hastam / ludos honoris e[t virtutis fecit] / (…). 1039 Eck 1980, 295. 1040 AE 1987, 230: M(arco) Aurel(io) M(arci) fil(io) Pal(atina) Iulio / Eupraepeti spl(endido) eq(uiti) R(omano) / patron(o) col(oniae) IIvir(o) q(uin)q(uennali) pon(tifici) S(anctae) F(ortunae) P(rimigeniae) / ludos scaenicos Pal(atinorum?) relig(ione) dign(os) / Fort(unae) Prim(igeniae) ededit(!) (…). 1041 CIL 8, 6958: [Pal]ladi sacrum / [… Qua]dratus Baebianus / [… V]index aedil(is) quaest(or) IIIvir / [praef(ectus) i(ure) d(icundo) col(oniarum)] Rusicadensis Chullitanae / [IIIvir q(uin)q(uennalis) praete]r diem ludorum floralium / [… qu]os IIIvir sua pecunia fecit / (…). 1042 CIL 11, 6357: T(ito) Anchario T(iti) f(ilio) Pal(atina) Prisco / aedil(i) quaest(ori) IIvir(o) / quaest(ori) alimentorum / huic primo IIvir(o) biga posita / ob eximias liberalitates et / abundantissimas in exemplum largitiones / et quod ex indulgentia Aug(usti) octies / spectaculum gladiator(ium) ediderit / amplius ludos florales / (…). 1043 Chamberland 2012, 268. 1044 CIL 13, 4132: In h(onorem) d(omus) d(ivinae) et / Numinibus Augg(ustorum) I(ovi) O(ptimo) M(aximo) / L(ucius) Ammia[tius(?)] Gamburio / prosc(a)en[ium c]um tribun/ali et eo a[mpl]ius(?) |(denarios) L ex q/uorum [usur]is tutela(m) / prosc(a)eni(i) et ludos omn/ibus annis pri(die) Kal(endas) Mai(as) / curatores vici procu/rare deb(eb)unt (…). Des Weiteren werden auf einem Cippus in Alba Fucens floralia erwähnt, der Zusammenhang bleibt aber unklar: CIL 9, 3947: L(ucio) Septimio / Philadespo/td(!) pro suis / meritis et / floralibus cipp(us) / p(ositus).

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Duumvirats erfolgten ebenfalls eine pompa, Stier- und Boxkämpfe, und darüber hinaus gab es am folgenden Tag Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen. Zum dritten Duumvirat wurden die gleichen Veranstaltungen wie zum ersten Amtsantritt organisiert, und zudem traten weitere Possenreißer auf.1045 Dieses Beispiel zeigt, dass zwar die jährliche Feier für Apollon ein fester Teil des pompejianischen Festkalenders war, die konkrete Ausgestaltung aber je nach Einsatzbereitschaft der amtierenden Duumvirn variieren konnte. Dass in einer Inschrift derart ausführlich davon berichtet wurde, stellt jedoch eher die Ausnahme dar – was wohl auf das außergewöhnliche Engagement des Stifters bzw. auf die Finanzkraft der Familie, die das Monument errichten ließ, verweisen könnte. Abgesehen von den vergleichsweise gut belegten Neptunalia und ludi Florales finden sich in einigen Inschriften weitere Hinweise auf Festtage für bestimmte Gottheiten, doch erfahren wir kaum etwas über die Ausgestaltung dieser Feste – die Stiftungen des Aulus Clodius Flaccus für Apollon stellen in dieser Hinsicht eine glückliche Ausnahme dar. So ließ etwa der mit den ornamenta decurionalia ausgezeichnete curator perpetuus der Augustalen Lucius Licinius Primitivus eine Geldverteilung am Tag der ‚Nachtfeier für Dis Pater‘ (die pervigilii dei patrii) durchführen.1046 Diese Feier könnte möglicherweise im Zusammenhang mit den Totengedenkfesten stehen, da das Datum mit dem 12. Februar einen Tag vor dem Beginn der Parentalien liegt1047 und es sich bei Dis Pater um eine Gottheit handelte, die als römische Entsprechung des Hades mit der Unterwelt assoziiert wurde.1048 Viel mehr lässt sich jedoch zu dieser Feststiftung nicht herausfinden. Marcus Valerius, ein Ädil, dictator und praefectus iuventutis aus Lanuvium, wurde von den Bürgern geehrt, da er diverse Bauwerke wieder aufgebaut, eine visceratio und Gladiatorenkämpfe gestiftet und ohne seinen Kollegen Spiele für Iuno Sospita Magna Regina veranstaltet hatte, bei welchen er offenbar auch für eine angemessene Beleuchtung (lumina) gesorgt hatte.1049 Im afrikanischen Vallis trug Caius Egnatius Felix über die für

1045

CIL 10, 1074d: A(ulus) Clodius A(uli) f(ilius) / Men(enia) Flaccus IIvir i(ure) d(icundo) ter quinq(uennalis) / trib(unus) mil(itum) a populo / primo duomviratu(!) Apollinarib(us) in foro pompam / tauros taurocentas succursores pontarios / paria III pugiles catervarios et pyctas ludos / omnibus acruamatis pantomimisq(ue) omnibus et / pylade et HS n(ummos) X(milia) in publicum pro duomviratu(!) / secundo duomviratu(!) quinq(uennalis) Apollinaribus in foro / pompam tauros taurarios succursores pugiles / catervarios poster(o) die solus in spectaculis athletas / par(ia) XXX glad(iatorum) par(ia) V et gladiat(orum) par(ia) XXXV et / venation(es) tauros taurocentas apros ursos / cetera venatione varia cum collega / tertio duomviratu(!) ludos factione prima / adiectis acruamatis cum collega // Clodia A(uli) f(ilia) hoc monumentum sua impensa / sibi et suis. 1046 CIL 10, 1881: (…) item pr(idie) Idus Febr(uarias) die pervigilii dei patrii / alterum tantum dedit (…). 1047 Zu den Parentalien vgl. Teil 2, Kapitel 3.4. 1048 Graf 1997. 1049 CIL 14, 2121: M(arco) Valerio M(arci) f(ilio) / aed(ili) dict(atori) / praef(ecto) iuventutis / municipes compitenses v{e}icorum / quinque quod specus mil{l}ia / passus III(milia) purgavit refecit / fistulas reposuit balnea virilia / utraque et muliebre de sua / pecunia refecit populo viscerati(onem) / gladiatores dedit lumina ludos / I(unoni) S(ospiti) M(agnae) R(eginae) solus fecit.

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Ädile üblichen Ausgaben hinaus die Kosten für die Liberalia und ließ dieses Fest offenbar besonders üppig ausgestalten (diem sacri Liberaliorum auxit et omni inpensa(!) sua eum civib(us) universis exibuit) – leider bleibt diese Umschreibung vage und es werden keine Details zu den durchgeführten festlichen Handlungen genannt.1050 Schließlich findet sich noch eine Stiftung für eine jährliche Geldverteilung am dies natalis von Hercules Genius Patriae, die von einem flamen perpetuus und quinquennalis aus dem afrikanischen Sufes durchgeführt wurde, der mit dieser Initiative sicherlich die Schutzgottheit der Stadtgemeinschaft ehrte und somit zugleich seiner Ergebenheit und Loyalität zur Heimatstadt Ausdruck verlieh.1051 Singulär sind die Spiele, die in Puteoli von drei Augustalen gegeben wurden, denn sie galten nicht nur Iupiter und dem Genius Coloniae, sondern ebenso Nero und Agrippina – deren Namen wurden allerdings in der Inschrift nach der damnatio memoriae des Nero eradiert.1052 Interessanterweise wurden hier Götter und Kaiser gleichberechtigt als Adressaten der Spiele nebeneinandergestellt, und nicht wie sonst üblich Spiele für eine Gottheit zum Wohle des Kaisers durchgeführt.1053 Abgesehen von diesen Stiftungen, die Götterfeste für die gesamte Stadtgemeinschaft betrafen, finden sich Beispiele für collegia, die vereinsintern Feierlichkeiten für ihre Schutzgottheiten abhielten. Die cultores Dianae et Antinoi feierten etwa die Festtage für diese beiden Götter mit einem Festmahl und finanzierten den Mitgliedern zudem den Besuch der Bäder. Dass anlässlich des ebenfalls gefeierten Geburtstags des Patrons des Vereins und der Geburtstage von dessen Familienmitglieder hingegen kein Öl für die Bäder bereitgestellt wurde, kann als Aufwertung der Feierlichkeiten für die beiden im Verein verehrten Gottheiten verstanden werden.1054 Neben Festtagen zu Ehren der Schutzgottheit zählten auch Kaisergeburtstage, der Neujahrstag oder Totengedenkfeste zu den Anlässen, die im Rahmen von collegia regelmäßig gefeiert wurden.1055

1050

CIL 8, 14783: C(aio) Egnatio C(ai) fil(io) / Papiria [Fe]lici aedi/li in[no]centissimo / amici ob m[er]itum ob cu/ius dedicationem idem / Egnatius praeter gymna/sium et missilia quae aedi/les edere solent diem sacri / Liberaliorum auxit et omni in/pensa(!) sua eum civib(us) universis / exibuit (…) 1051 CIL 8, 262: [Spl]endidissimus et / [f]elicissimus ordo / col(oniae) Sufetan[ae] / P(ublio) Magnio Aman[do fl(amini)] / p(er)p(etuo) inter quinqu[ennali]/cios adlecto qu[i prae]/ter summ(am) hono[rariam] / flamoni(i) p(er)p(etui) et quinquen/nalitatis amplius HS L(milia) n(ummum) / obtulerit ex cuius quanti/tatis usuris quodannis / XII K(alendas) Nov(embres) die natali dei / Herc(uli) Geni(i) Patriae divisi/ones dec(urionibus) dantur / (…) 1052 CIL 10, 1574: Q(uinto) Volusio Saturn(ino) / P(ublio) Cornelio Scip(ione) co(n)s(ulibus) / Augustales / qui [[Neroni]] Claudio / Caesari August(o) et / [[Agrippinae]] Augustae / I(ovi) O(ptimo) M(aximo) et Genio coloniae / ludos fecer(unt) XIII XII K(alendas) Mart(ias) / (…). 1053 Vgl. Teil 2, Kapitel 3.2. 1054 Ebel 2004, 67: „Durch diese zeitlich und materiell aufwendigere Art der Festgestaltung erhalten die Gedenktage für Diana und Antinous einen höheren Wert als die des Patrons und seiner Familie, und zugleich wird den cultores der beiden Gottheiten eine nicht für jeden von ihnen alltägliche Wohltat zuteil.“ 1055 Vgl. Teil 2, Kapitel 2.1.7.

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Stiftungen, die festliche Handlungen anlässlich der jährlichen Totengedenkfeste Parentalien, Rosen- und Veilchentag verfügten, finden sich nicht nur in Vereinen, sondern auch von mehreren Einzelpersonen, doch sind hierbei in der Regel einfache Riten zur Erinnerung an die Verstorbenen zu verstehen und keine größeren Festakte, die die gesamte Stadtgemeinschaft betrafen, weshalb diese Feste in einem gesonderten Kapitel besprochen werden.1056 Auch Weihinschriften für eine bestimmte Gottheit, in welchen festliche Handlungen zur Dedikation verfügt sind, sollen als eigenes Phänomen betrachtet werden, da es hierbei nicht um regelmäßige Götterfeste ging, sondern vielmehr um den einmaligen Akt der Einweihung des jeweiligen, einer bestimmten Gottheit geweihten Monuments.1057 Insgesamt zeigt sich, dass die inschriftlichen Feststiftungen selten in einem Kontext mit den ‚klassischen‘ Festen des Jahreslaufs standen. Es ist anzunehmen, dass die meisten dieser Feste von der Stadt bzw. den dafür zuständigen Magistraten organisiert wurden und private Stiftungen in diesem Zusammenhang nicht ins Spiel kamen. Allenfalls ergab sich für die jeweiligen Amtsträger die Gelegenheit, die zu stellenden festlichen Handlungen aus eigener Tasche zu vergrößern und auf diese Weise Prestige zu erlangen. Doch auch dieses Phänomen soll in einem eigenen Kapitel näher beleuchtet werden.1058

2. Feste für den Kaiser bzw. das Kaiserhaus Es überrascht kaum, dass zahlreiche Stiftungen für den Kaiser oder ein Mitglied des Kaiserhauses getätigt wurden. Dabei war es nicht unbedingt nötig, den Kaiser explizit mit einer Ehrenstatue auszuzeichnen. Auch durch Initiativen zum Wohl des Kaisers (pro salute) konnte die Loyalität zum Herrscher ausgedrückt werden, wie in 33 der hier erfassten Inschriften. In 14 Texten wurden Monumente zwar primär einer anderen Gottheit geweiht, wie Hercules Invictus1059 oder Iupiter Optimus Maximus1060, aber zugleich für das Wohl des Kaisers (pro salute) gestiftet. Im afrikanischen Numlulis beispielsweise ließ ein gewisser Lucius Memmius Pecuarius Marcellinus einen Tempel für Iupiter Optimus Maximus, Iuno Regina und Minerva Augusta und für das Wohl des Kaisers Marcus Aurelius, seiner Kinder und des gesamten Kaiserhauses errichten. Außerdem ließ er den Tempel mit Statuen und Kultgerät ausstatten und weihte ihn mit einer Geldverteilung, einem Festmahl und der Stiftung von gymnasium ein.1061 Interessanterweise erfolgte die Weihung des

1056

Vgl. Teil 2, Kapitel 3.4. Vgl. Teil 2, Kapitel 3.6. 1058 Vgl. Teil 2, Kapitel 3.7. 1059 AE 1917/18, 44. 1060 AE 1957, 266 und AE 1960, 337. 1061 CIL 8, 26121: [I]ovi Optimo Maximo Iunoni Reginae Minervae Augustae sacrum / [p]ro salute Imp(eratoris) Caes(aris) M(arci) Aureli Antonini Aug(usti) Armeniaci Medici Part(hici) max(imi) pont(ificis) max(imi) trib(unicia) pot(estate) XXIIII imp(eratoris) V co(n)s(ulis) III p(atris) p(atriae) 1057

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Tempels nicht nur für die kapitolinische Trias an sich, sondern die Göttin Minerva wurde durch das Attribut Augusta zusätzlich mit dem Kaiserhaus verknüpft. Der Bezug zum Kaiser wurde somit auf doppelte Weise hergestellt: Durch die Verbindung einer der kapitolinischen Gottheiten mit einem Begriff, der sich auf den Kaiser bezog, und durch die Durchführung der Weihung zum Wohle des Kaisers und seiner Familie. Der Gedanke, eine bereits bestehende ‚klassische‘ Gottheit durch den Zusatz Augustus/ Augusta mit dem Kaiserhaus zu assoziieren, war in der Tat nicht ungewöhnlich. Ganze 52 Fälle zeugen im hier zusammengestellten Korpus von diesem Vorgehen, wobei die gewählten Götter eine große Bandbreite aufweisen und von Mars, Pluto, Saturn, Mercur, Neptun, Apollon, Volkanus, Ceres, Venus, Minerva, Diana, Victoria, Pax und Fortuna bis hin zu Silvanus, Caelesta, Dea Libera, Tellur und Frugifer reichen. Großer Beliebtheit erfreuten sich Victoria Augusta (acht Stiftungen), Fortuna Augusta (sechs Stiftungen) und Mars Augustus (sechs Stiftungen), was nicht erstaunt, da diese Gottheiten in besonderer Weise für die Sieghaftigkeit und Stärke des Kaisers standen. Der Vorteil, ein Monument einer abstrakt durch das Attribut Augustus/Augusta mit dem Kaiserhaus verknüpften Gottheit zu widmen, lag darin, dass Loyalität zum Kaiserhaus gezeigt wurde, die Stiftung aber zugleich zeitlos blieb und im Zweifelsfall sogar nach einer damnatio memoriae eines Kaisers bestehen bleiben konnte. Der Tempel für Pluto Augustus im afrikanischen Macomades beispielsweise existierte offenbar längere Zeit, denn aus einer Inschrift geht hervor, dass ein gewisser Caius Valerius Valentinus das verfallene Bauwerk komplett neu wiederaufbauen und mit Säulen und zwei Kaiserbildern ausschmücken ließ. Zeitweise scheint der Kult allerdings nicht mehr ausgeübt worden zu sein, denn der Stifter ließ den Tempel einweihen, nachdem er unter anderem die Opferrituale wieder eingeführt hatte (wörtlich „dem Gott die Opfer zurückgegeben hatte“, deo victimis redditis) und ein jährliches Festmahl für die Priester eingerichtet hatte (perpetuo epulo annuo sa[c]erdotibus). Die Stiftung des Tempels erfolgte für das Wohl des Kaisers Gallienus, dessen Name nach seinem Tod aus der Inschrift eradiert worden war. 1062 Dass

liberorumq(ue) eius totiusque domus divinae / [L(ucius)] Memmius Pecuarius Marcellinus cum suo et L(uci) Memmi Marcelli Pecuariani decurionis c(oloniae) I(uliae) K(arthaginis) flaminis divi Nervae designati filii sui nomine templum Capitoli liberalitate sua / [f]aciendu[m] ex HS XX mil(ibus) n(ummum) patriae suae pago et civitati Numlulitanae promisisset et ob honorem flamoni(i) Iuniae Saturninae uxoris suae ex decreto utriusque ordinis HS IIII m(ilia) n(ummum) in id / opus [e]rogass[et] multiplicata pecunia solo suo extruxit et marmoribus et statuis omnique cultu exornavit itemq(ue) dedicavit ob quam dedicationem decurionibus utriusq(ue) ordinis sportulas / item populo epulum et gymnasium dedit (…). 1062 AE 1905, 35: Deo Pluton[i] Aug(usto) sac(rum) / pro salute d(omini) n(ostri) Imp(eratoris) Caes(aris) [[[P(ubli) Li]]]/[[[cini Egnati Gallieni]] Aug(usti)] / C(aius) Valerius Valentinus […] / templum modicum antiqua vet[us]tate / dilapsum ampliato spatio columnis / et regiis duabus picturis ornatum / pecunia sua ex HS LXVII mil(ibus) D n(ummum) / a solo coeptum perfecit et deo / victimis

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nur der Name des Kaisers entfernt wurde, der Rest der Inschrift u.a. mit den Bestimmungen zum jährlichen Festmahl hingegen bestehen blieb, lässt darauf schließen, dass der Kult dennoch weitergeführt wurde, was für eine Gottheit wie Pluto Augustus trotz der damnatio memoriae des Gallienus nicht weiter problematisch war. Eine interessante Verbindung zum Herrscherhaus weist die Stiftung einer Statue der Victoria Victrix im afrikanischen Thamugadi auf. Die Weihung erfolgte hier nicht für das Wohl der Kaiser, sondern die Göttin wurde direkt mit mehreren Herrschern verknüpft, u.a. mit Septimius Severus, Pertinax, Marcus Aurelius, Antoninus Pius und Geta, der allerdings eradiert wurde.1063 Es ging also um die vergöttlichte Sieghaftigkeit dieser konkreten Kaiser. Ebenfalls explizit auf den Kaiser und dessen Handeln bezogen waren mehrere Weihungen für Fortuna Redux, eine Göttin, die für die glückliche Heimkehr der Herrschers stand. Es ist anzunehmen, dass diese Weihungen jeweils in einem direkten Kontext einer Reise des Herrschers getätigt wurden. Im hier vorgelegten Korpus finden sich acht Inschriften, die dieser Göttin galten. Eng verwandt mit den Weihungen für Gottheiten, die mit dem Kaiserhaus assoziiert waren, sind Initiativen, die vergöttlichten Tugenden des Herrschers gewidmet waren, wie der Pietas, Pudicitia, Indulgentia, Virtus, Concordia, Spes oder Iustitia. Ein flamen perpetuus aus dem numidischen Thamugadi ließ beispielsweise Statuen für die Concordia des Septimius Severus, des Caracalla und der Iulia Augusta errichten, zu deren Einweihung er eine Geldverteilung, ein Festmahl und ludi scaenici ausrichtete.1064 Dass ausgerechnet die Concordia des ersten Kaisers der severischen Dynastie gewählt wurde, erstaunt kaum: Der Stifter griff hierbei einen zentralen Aspekt der Selbstdarstellung des Septimius Severus

redditis et popularib[u]s / epulo exhibito statut[o] etiam / perpetuo epulo annuo sa[c]erdoti/bus dedicavit (…). 1063 AE 1941, 49: [V]ictoriae Victri/ci dominor(um) nos/tror(um) Sanctissimo/rum fortissimor(um)/que Imperatorum / L(uci) Septimi Severi Pii / Pertinacis et M(arci) Au/reli Antonini Pii / Felicis [[… Getae]] / [[…]] / [[…]] «Parth(ici) max(imi)» / «Brit(annici) max(imi) Ger(manici) max(imi)» / «pontif(icis) max(imi)» Augg«us»(torum) [[…]] / et Iuliae Aug(ustae) / matri / Augg(ustorum) et castrorum / L(ucius) Iunius Vibianus / ob honorem au/guratus inlatis / r(ei) p(ublicae) super legiti/mam HS VI mil(ibus) n(ummum) / et statuam quam p/romiserat ex HS III / mil(ibus) n(ummum) adiectis HS IDCCC n(ummum) / cum bas(i) posuit eam/que ludis scaenicis / [e]ditis dedic(avit). 1064 CIL 8, 17829: Concordiae / Augg[[[g(ustorum)]]] / dominorum / nn[[[n(ostrorum)]]] / Impp(eratorum) L(uci) Septimi / Severi et M(arci) Au/reli Antonini / «Pi(i) Fel(ici) Aug(usti) Parth(ici) max(imi)» / «Brit(annici) max(imi) Ger(manici)» Augg[[g(ustorum)]]] / et Iuliae Aug(ustae) / L(ucius) Licinius Optatia/nus ob honorem / fl(amonii) p(er)p(etui) statuas quas / ex HS XX m(ilia) n(ummum) cum / basib(us) praeter le/gitim(am) pollicitus / est ampliata pec(unia) / ex HS XXXV m(ilia) n(ummum) / posuit easque / sportulis decuri(onibus) / datis et epul(is) curi/is et ludis scae/nicis editis de/dicavit.

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auf, der mit der Demonstration von Geschlossenheit und Einheit die Stärke der neuen Herrscherfamilie sinnfällig ausdrücken wollte.1065 In Gabii ließ Agusia Priscilla, eine Priesterin für Spes und Salus Augusta, nicht nur eine porticus für Spes erneuern, sondern auch Spiele für das Wohl des Antoninus Pius und seiner Kinder (pro salute – und damit für Salus Augusta) veranstalten, und sie stiftete Kultkleidung, die möglicherweise für Statuen der Spes oder Salus gedacht war.1066 Die Stifterin war als Priesterin für Salus und Spes der Verehrung dieser vergöttlichten kaiserlichen Tugenden verpflichtet und kam dieser Aufgabe offenbar bereitwillig nach: Ihre vielfältigen Euergesien zeugen von ihrem über die priesterlichen Aufgaben hinausreichenden Einsatz für diesen Kult und von ihrer Loyalität zum Kaiserhaus, wofür sie schließlich auch offiziell mit einer Statue geehrt wurde. Eine eher ungewöhnliche Kombination von Gottheiten mit Städten weisen zwei Inschriften aus dem afrikanischen Raum auf. In Uchi Maius wurde eine Statue der Karthago Augusta geweiht,1067 also der vergöttlichten und zugleich mit dem Kaiserhaus verknüpften Stadt Karthago. Eine Inschrift aus Giufi belegt eine Weihung zum Wohl des Kaisers Severus Alexander, der Iulia Mamaea Augusta und des ganzen Kaiserhauses für die Götter Quirinus, den Genius Municipii und für Augustus.1068 Auch hier wurde die Verbundenheit sowohl zur Heimat durch die Verehrung des Genius der Stadt als auch zum Herrscherhaus durch die Weihung an Augustus zum Ausdruck gebracht. Sehr viel konkreter auf den Kaiser bezogen als eine Andeutung durch das Attribut Augustus/Augusta waren Weihungen für das numen des Kaisers, also die „göttliche Wirkungskraft“, die dem Herrscher zugeschrieben wurde.1069 Stiftungen für das numen Augusti finden sich in fünf der hier zusammengestellten Texte.1070 Besonders bemerkenswert ist die Stiftung eines Altars für das numen Augusti durch das Volk von Narbo im Jahr 1065

Zur Concordia auf der Münzprägung unter Septimius Severus vgl. Zanzarri 1997, 79-81. CIL 14, 2804: Agusiae T(iti) f(iliae) Priscillae / sacerdoti Spei et Salutis Aug(ustae) / ex d(ecreto) d(ecurionum) Gabini statuam publice po/nendam curaverunt quod post / inpensas(!) exemplo inlustrium feminar(um) / factas ob sacerdotium etiam opus portic(us) / Spei vetustate vexatum pecunia sua refectu/ram se promiserit populo cum pro / salute principis Antonini Aug(usti) Pii / patris patriae liberorumque eius / eximio ludorum spectaculo edito / religioni veste donata / universis satis fecerit / cuius statuae honore contenta / inpensam(!) populo remiserit / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 1067 CIL 8, 26239: Karthagini Aug(ustae) sac(rum) (…). 1068 AE 1999, 1828: Quirino deo Patri / Genio municipii / Aug(usto) sacrum / pro salute Imp(eratoris) [[Caesaris]] / [[M(arci) Aureli Severi Alexandri Pii Felicis Aug(usti) pont(ificis) max(imi) trib(unicia) pot(estate) […] co(n)s(ulis) […] p(atris) p(atriae) proco(n)s(ulis) et Iuliae Mamaeae Aug(ustae) matris Aug(usti) et castrorum et senatus et patriae]] / totiusque domus divinae / (…). 1069 Prescendi 2000, Sp. 1048; Herz 1975, 72-74. Herz stellt fest, dass die Verehrung des numen Augusti ein Weg war, den Kaiser und sein Handeln „aus der menschlichen Sphäre zu entrücken”: „Die Entschlüsse des Kaisers, die kaiserliche Wirkungskraft wird der Sphäre der Menschen entzogen und der der Götter angenähert.” Ebd., 72f. Zur Klärung des Konzeptes numen Augusti vgl. auch Fishwick 2007, insbes. 247. 1070 CIL 8, 958; CIL 11, 3303; CIL 12, 4333; CIL 13, 4132; CIL 14, 4057. 1066

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11/12 n.Chr.:1071 Tatsächlich wird in der Inschrift betont, dass es sich um ein votum des gesamten Volks, der plebs Narbonensium handelte, die diesen Altar zu Ehren des Augustus beschlossen hatte. Auch in die Opferhandlungen, die jährlich zu mehreren Terminen stattfinden sollten, war die gesamte Einwohnerschaft eingebunden, indem zusätzlich zum tierischen Opfer, das durch drei Ritter und drei Freigelassene durchgeführt werden sollte, Weihrauch und Wein an die coloni und incolae verteilt wurde.1072 Als Vorbild für die Kultbestimmungen dienten, wie in der Inschrift explizit betont wird, die leges, die für den Altar der Diana im Aventin beschlossen worden waren. Außerdem orientierte sich die Stiftung möglicherweise an einer Initiative aus Rom aus dem Jahr 6 n.Chr., als Tiberius auf dem Palatin einen Altar für das numen des Augustus weihen ließ.1073 Die Stiftung aus Narbo ist ein sehr früher Beleg für die Verehrung des Herrschers, die offenbar bereits in augusteischer Zeit kultische Züge aufweisen konnte. Sowohl die Orientierung an Kultbestimmungen für eine ‚klassische‘ Gottheit als auch die durchgeführten tierischen und unblutigen Opferhandlungen rückten das numen Augusti in eine göttliche Sphäre. Dennoch galt die Verehrung nicht unmittelbar der Person des Augustus, sondern eben ‚nur‘ dessen göttlicher Wirkkraft. Die Stiftung der plebs von Narbo zeugt also in eindrucksvoller Weise vom Bestreben großer Teile der Bevölkerung, der Verehrung des

1071

Das Gelübde wurde 11 n.Chr. geleistet, der Altar wurde im folgenden Jahr fertiggestellt. CIL 12, 4333: T(ito) Statilio Taur[o] / L(ucio) Cassio Longino / co(n)s(ulibus) X K(alendas) Octobr(es) / numini Augusti votum / susceptum a plebe Narbo/nensium in perpetuom / quod bonum faustum felixque sit Imp(eratori) Caesari / divi f(ilio) Augusto p(atri) p(atriae) pontifici maximo trib(unicia) potest(ate) / XXXIIII coniugi liberis gentique eius senatui / populoque Romano et colonis incolisque / c(oloniae) I(uliae) P(aternae) N(arbonensis) M(artii) qui se numini eius in perpetuum / colendo obligaverunt plebs Narbonen/sium aram Narbone in foro posuit ad / quam quot annis VIIII K(alendas) Octobr(es) qua die / eum saeculi felicitas orbi terrarum / rectorem edidit tres equites Romani / a plebe et tres libertini hostias singu/las inmolent et colonis et incolis ad supplicandum numini eius thus et vinum / de suo ea die praestent et VIII K(alendas) Octobr(es) / thus et vinum prae/stent K(alendis) quoque Ianuar(iis) thus et vinum / colonis et incolis praestent VII quoq(ue) / Idus Ianuar(ias) qua die primum imperium / orbis terrarum auspicatus est thure / vino supplicent et hostias singul(as) in/molent et colonis incolisque thus vi/num ea die praestent et pridie K(alendas) Iunias quod ea die T(ito) Statilio / Tauro M(anio) Aemilio Lepido co(n)s(ulibus) iudicia / plebis decurionibus coniunxit hostias / singul(as) inmolent et thus et vinum ad / supplicandum numini eius colonis et / incolis praestent exque iis tribus equitibus Roman[is tribusve] / libertinis unu[s // [Pleb]s Narbone(n)sis a[ram] / numinis Augusti de[di]cavit […] / […] / […] legibus iis q(uae) i(nfra) s(criptae) s(unt) numen Caesaris Aug(usti) p(atris) p(triae) quando tibi / hodie hanc aram dabo dedicabo/que his legibus hisque regioni/bus dabo dedicabo quas hic / hodie palam dixero uti infimum / solum huiusque arae titulorum/que est si quis tergere ornare / reficere volet quod beneficii / causa fiat ius fasque esto sive / quis hostia sacrum faxit qui / magmentum nec protollat id/circo tamen probe factum esto si / quis huic arae donum dare au/gereque volet liceto eademq(ue) / lex ei dono esto quae arae est / ceterae leges huic arae titulisq(ue) / eadem sunto quae sunt arae / Dianae in Aventino hisce legi/bus hisque regionibus sicuti / dixi hanc tibi aram pro Imp(eratore) / Caesare Aug(usto) p(atre) p(atriae) pontifice maxi/mo tribunicia potestate XXXV coniuge liberis genteque eius / senatu populoque R(omano) colonis / incolisque col(oniae) Iul(iae) Patern(ae) Narb(onensis) Mart(ii) qui se numini eius in per/petuum colendo obligaverunt / doque dedicoque uti sies volens / propitium. Zu dieser Inschrift vgl. Teil 2, Kapitel 2.1.8. 1073 Beard/North/Price 1998, 1, 207. 1072

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Kaisers Ausdruck zu verleihen, ohne den noch lebenden Herrscher direkt als Gott zu verehren. Darüber hinaus stellt der Altar für das numen Augusti ein Monument dar, das einen Eindruck von der konsolidierenden Wirkmacht gibt, die von der Person des ersten Prinzeps ausging: Die gesamte Stadtgemeinschaft fand sich mehrmals jährlich zu rituellen Handlungen am Altar ein und feierte gemeinsam die göttliche Kraft dieses Mannes. Außerdem verdankten sie Augustus den inneren Frieden, da er sich offenbar persönlich für die Beilegung eines Streits zwischen plebs und Dekurionen von Narbo eingesetzt hatte; einem Ereignis, dem jährlich in einem weiteren Festakt gedacht wurde. Sowohl die Errichtung des Altars als auch die jährlichen Feiern stellten somit nicht nur eine Ehrung des regierenden Herrschers dar, sondern waren zugleich Ausdruck davon, auf welche Weise der Kaiser als geistiger Bezugspunkt der römischen Gesellschaft eine vergemeinschaftende Wirkung entfalten konnte. Eine weitere Möglichkeit, die Loyalität zum Kaiserhaus auszudrücken, bot sich in der Feier des kaiserlichen Geburtstags, der im Übrigen auch einen Platz im offiziellen Festkalender hatte.1074 Es überrascht daher kaum, dass sich unter den festlichen Anlässen, an denen am Altar des numen Augusti in Narbo geopfert wurde, nicht zuletzt der Geburtstag des Augustus findet. Noch unter den in den fasti Filocali aus dem Jahr 354 n.Chr. verzeichneten Festen sind zahlreiche Geburtstage divinisierter Kaiser aufgeführt, bis hin zum Geburtstag des Augustus, der offenbar über 300 Jahre nach dessen Tod noch durch ludi circenses mit 24 Rennen gefeiert wurde.1075 Im Korpus dieser Studie finden sich 17 Inschriften, die Feste anlässlich des Geburtstags eines Kaisers oder eines Mitglieds des Kaiserhauses verzeichnen, und zwar sowohl der jeweils herrschenden als auch bereits verstorbener und divinisierter Kaiser. Neben offiziellen Initiativen, wie dem Beispiel aus Narbo, kann natürlich davon ausgegangen werden, dass der Geburtstag des aktuellen Herrschers in den meisten Vereinen gefeiert wurde. So sind unter den Festen des collegium Silvani aus Caposele unter anderem die Geburtstage des Domitian und der Domitia Augusta aufgeführt, 1076 das collegium eborariorum et citriariorum aus Rom feierte jährlich den Geburtstag des Hadrian1077 und ein Verein aus Trebula Suffenas, bei dem es sich möglicherweise um die Augustalen handelte,1078 beging den Geburtstag der Livia mit einem jährlichen Festessen.1079 Dass es sich bei dem Datum eines in Aquae Sextiae von einem sevir Augustalis gestifteten Festmahls

1074

Herz 1975, 41-44, insbes. 41. InscrIt 13,2, 42: (…) n(atalis) divi Augusti c(ircenses) m(issus) XXIIII (…). 1076 CIL 10, 444: (…) III Idus Febr(uarias) Domitiae Aug(ustae) n(ostrae) natale (…) et IX K(alendas) Novembr(es) natal(e) / Domitiani Aug(usti) n(ostri) (…); vgl. Teil 2, Kapitel 2.1.7. 1077 CIL 6, 33885: (…) VIII[I Kal(endas)] Febr(uarias) / [natali Ha]driani Aug(usti) (…); vgl. Teil 2, Kapitel 2.1.7. 1078 So in EAOR 3, 23. 1079 CIL 6, 29681 = EAOR 3, 23: (…) natale Iuliae August(ae) in pu[blico] / cenam decurion(ibus) et Augu[stal(ibus)] / dederunt (…). 1075

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samt Geldverteilung um den Geburtstag des Vespasian (17. November) handelte, war möglicherweise ebenfalls kein Zufall.1080 Die cultores Dianae et Antinoi aus Lanuvium feierten mit dem Geburtstag des Antinoos nicht nur einen Festtag zu Ehren einer der beiden von ihnen verehrten Gottheiten,1081 sondern konnten durch ihre Wahl, den früh verstorbenen Geliebten des Hadrian in ihren Kult aufzunehmen, zugleich ihre Nähe zum Kaiserhaus demonstrieren. Ebel vermutet sogar, dass „[d]er Kult des Antinous […] hier gewissermaßen als Ersatz für den Kaiserkult“ fungierte.1082 Die Feier eines Kaisergeburtstags konnte natürlich auch auf die Privatinitiative einzelner Personen zurückgehen: In Rom ließ etwa der decurio Lucius Sextilius Seleucus dem collegium centonariorum neben einer Statue und einem Götterbild die Summe von 5.000 Denaren zukommen zur jährlichen Feier des Geburtstags des Divus Augustus.1083 Auch kaiserliche Freigelassene fühlten sich häufig in besonderer Weise dem Herrscherhaus verpflichtet und setzten sich für die Feier der entsprechenden Geburtstage ein. So stifteten Cnaeus Domitius Polycarpus und seine Frau Domitia Europes, die wohl beide liberti der Domitia Longina (der Ehefrau des Domitian) waren, einen Tempel in Gedenken an Domitia und sie verfügten überdies, dass jährlich an deren Geburtstag eine Geldverteilung an die Dekurionen und seviri stattfinden sollte.1084 Eine besondere Bedeutung kam auch nach seinem Tode dem Geburtstag von Augustus, dem ersten Prinzeps zu. Bereits in tiberianischer Zeit wurde eine Stiftung zum „heiligsten Geburtstag des Divus Augustus“ auf Beschluss des municipium Cales getätigt, wobei das

1080

CIL 12, 530: (…) / […]um HS XXX(milia) n(ummum) dedit […] / [… ex quorum] usuris XV K(alendas) De[c]emb[res …] / [… quotannis] sportulae vescenti[bus …] / (…). Auch bei den auf den 11. April datierten Festhandlungen von den Augustalen von Brixia handelt es sich wohl nicht zufällig um den Geburtstag des Septimius Severus: CIL 5, 4449: (…) magistri s(upra) s(cripti) titu/lo honoris usi / datis in tutelam / HS n(ummum) |(mille) / ut ex usur(is) eor(um) / quodann(is) die / III Id(us) April(es) per / officiales sa/crificetur et / oleo et prop(inatione) / dedicaver(unt). 1081 CIL 14, 2112: (…) V Kal(endas) Dec(embres) nat(ali) Ant[inoi] (…). 1082 Ebel 2004, 61. 1083 CIL 6, 9254: Collegio / centonariorum / […] / cum basi marmorea et ceriolarib(us) / duobus aereis habentibus effigi/em cupidinis tenentis calathos / L(ucius) Sextilius Seleucus decurio d(onum) d(edit) / hoc amplius ark(ario) rei p(ublicae) collegii s(upra) s(cripti) / donum dedit |(denarios) V ut ex usuris / centesimis eius quantitatis / quae efficit annuos |(denarios) DC die / VIIII Kal(endas) Octobr(es) natali divi / Augusti erogentur ex ark(ario). 1084 CIL 14, 2795: (…) Cn(aeum) Domitium Polycarpum nomine suo et Domitiae Europes coniugis suae / offerre ordini decurionum et sevirum Augustalium HS X m(ilia) n(ummum) qu(i) iam pridem extruxisset templum in honorem ac memoriam Domitiae Corbulonis fil(iae) et hoc pietatis suae adfectu / exornet et meliorem faciat ordinem n(ostrum) singulis etiam universisque prodesse festinet at quos ex reditu eius pecuniae fructum semper desideret pervenire confugiendo at / aeternam rem publ(icam) n(ostram) petendo ut secundum exemplum codicillorum Cl(audi) Vitalis stipulatione interposita desiderio suo talis condicio decerneretur ut ex reditu eius pecuniae / III Idus Febr(u)ar(ias) natale Domitiae praesentibus decurionib(us) et sevir(is) discumbentibus in publico aequis portionibus fieret divisio (…). Vgl. Teil 2, Kapitel 2.1.5.

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gestiftete Monument von den pontifices und augures eingeweiht wurde.1085 Das Geld wurde zwar von zwei Männern bereitgestellt, deren Funktion nicht genannt wird, doch handelte es sich hier wohl um eine offizielle Stiftung und weniger um eine private Stiftungsinitiative. Auch im etrurischen Forum Clodii wurde 18 n.Chr. in einem offiziellen Dekret verfügt, dass an den Geburtstagen des Augustus und des Tiberius Opfer am Altar des numen Augustum1086 dargebracht werden sollten und ein Festmahl stattfinden sollte. Außerdem wurde an beiden Tagen ein unblutiges Opfer von Wein und Weihrauch für die genii der beiden Kaiser am Altar des numen Augustum durchgeführt, und am Geburtstag der Livia sollte eine Verteilung von crustulum et mulsum erfolgen. Interessant an diesem Beispiel ist, dass sowohl der Geburtstag des verstorbenen Augustus als auch derjenige des aktuell regierenden Tiberius gefeiert wurde. Die Opfergaben für deren genii waren identisch, was nicht überrascht, da der Genius als persönliche Schutzgottheit eines Menschen problemlos mit (in der Regel unblutigen) Opfergaben verehrt werden konnte, was anlässlich des Geburtstags ohnehin üblich war.1087 Am Geburtstag des Augustus, der an zwei Tagen gefeiert wurde,1088 wurden zwei nicht näher spezifizierte Opfertiere am Altar dargebracht – hier war wohl für jeden der beiden Tage ein Tier intendiert.1089 Am Geburtstag des Tiberius wurde ein Kalb geopfert, also ein weniger wertvolles Opfertier als die zu Ehren des Augustus geschlachteten ausgewachsenen Tiere.1090 Im Anschluss an die Opfer erfolgte ein Festmahl der Dekurionen.1091 Am Geburtstag des Tiberius sollte zudem ein weiteres Fest-

1085

AE 1969/70, 110: Sacratissimo die natali divi Augusti / prosperis felicibusque auspici(i)s dedicata / est per pontifices et augures pecunia / Q(uinti) Murrasi Glyconis L(uci) Dentri Communis (…). 1086 Die abweichende Form numen Augustum statt numen Augusti ist wohl der noch nicht ausgeprägten Terminologie des Kaiserkultes zu diesem frühen Zeitpunkt geschuldet. Fishwick 2007, insbes. 250f. und 255. 1087 Schmidt 1908, 25-27. 1088 Zum „doppelten Geburtstag“ des Augustus vgl. Suerbaum 1980, 334f. 1089 Strothmann geht davon aus, dass die Opfer direkt dem vergöttlichten Augustus galten. Strothmann 2000, 126. Allerdings ist es wahrscheinlicher, dass die Opfer für das numen Augusto erfolgten, dem auch der Altar geweiht war. Augustus wurde zwar nach seinem Tode als Divus verehrt, womit ihm auch direkt ein Opfertier hätte zukommen können, doch scheint diese Praxis zum Zeitpunkt dieser Stiftung noch nicht gänzlich etabliert gewesen zu sein: Augustus wird in dieser Inschrift nicht als Divus bezeichnet und Beispiele für Weihungen an Divus Augustus datieren meist später. Fishwick 2007, 250. 1090 Da explizit erwähnt wird, dass es sich um ein Kalb handelte, ist davon auszugehen, dass es sich bei den nicht näher spezifizierten victimae für Augustus um ausgewachsene Opfertiere handelte. Für Tiberius wurde also ein weniger wertvolles Tier gewählt, was auf dessen geringeren Status als noch nicht divinisierter Herrscher verweisen könnte. Zur Klassifizierung der Opfertiere vgl. Wissowa 1971, 412f. 1091 Darauf verweist die Passage, dass vor dem Mahl der Dekurionen Weihrauch und Wein für die Genii dargebracht werden sollte: (…) ut natalibus Augusti et Tiberi Caesarum priusquam ad vescendum decuriones irent thure et vino Genii eorum ad epulandum ara Numinis Augusti invitarentur (…).

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mahl (cena) stattfinden, an dem sowohl die Dekurionen als auch das gesamte Volk teilnahm.1092 Die Beschlüsse für Tiberius bewegten sich also offenbar in einem gewissen Spannungsverhältnis zwischen göttlichen und menschlichen Ehrungen. Eine cena anlässlich des Geburtstags war nichts Außergewöhnliches, auch wenn es eine große Ehre darstellte, dass die gesamte Stadtgemeinschaft beteiligt war – doch immerhin handelte es sich hier um den Geburtstag des Kaisers. Durch die Verfügung, dass dieses Festmahl in Zukunft fortdauernd (perpetue) durchgeführt werden sollte, stand das Festmahl sogar in gewisser Weise in Tradition der ebenfalls auf Dauer angelegten Stiftungen zu Geburtstagen, die dann nach dem Tode der betreffenden Person als Totengedenktage weitergeführt wurden.1093 Auch das Opfer an die genii war nicht ungewöhnlich, da die Verehrung des Genius eines Mannes an Geburtstagen ohnehin gebräuchlich war. Das tierische Opfer galt hingegen einer Gottheit, und zwar der göttlichen Wirkungskraft der beiden Kaiser,1094 die damit selbst den Göttern angenähert wurden. Dass Augustus zwei Opfertiere zugesprochen wurden, dem noch lebenden Tiberius hingegen nur eines, noch dazu ein noch nicht ausgewachsenes, zeugt zum einen davon, dass dem Augustus größere göttliche Ehren zukamen, sich Tiberius zum anderen aber nicht grundlegend von Augustus unterschied und ebenfalls bereits in die Nähe der Götter gerückt wurde. Auch in Cales erfolgte noch unter Tiberius eine offizielle Initiative anlässlich des Geburtstags des Augustus: Das municipium verfügte die Aufstellung eines Monuments (möglicherweise eines Altars), das durch die pontifices und augures eingeweiht wurde.1095 Es ist gut denkbar, dass diese Weihung im Zusammenhang der Kampanienreise des

1092

CIL 11, 3303: Ti(berio) Caesare tert(ium) Germanico Caesare iter(um) co(n)s(ulibus) / Cn(aeo) Acceio Cn(aei) f(ilio) Arn(ensi) Rufo Lutatio T(ito) Petillio P(ubli) f(ilio) Qui(rina) IIvir(is) / decreta / aediculam et statuas has hostiam dedicationi victimae natali Aug(usti) VIII K(alendas) Octobr(es) duae quae p(er)p(etuo) / inmolari adsuetae sunt ad aram quae Numini Augusto dedic(ata) est VIIII et VIII K(alendas) Octobr(es) / inmolentur item natali Ti(beri) Caesaris perpetue acturi decuriones / et populus cenarent quam impensam Q(uinto) Cascelllo(!) Labeone / in perpetuo(m)(!) pollicenti ut gratiae agerentur munificentiae eius eoque / natali ut quotannis vitulus inmolaretur / et ut natalibus Augusti et Ti(beri) Caesarum priusquam ad vescendum / decuriones irent thure et vino Genii eorum ad epulandum ara / Numinis Augusti invitarentur / ara(m) Numini Augusto pecunia nostra faciendam curavimus ludos / ex Idibus Augustis diebus sex p(ecunia) n(ostra) faciendos curavimus / natali Augustae mulsum et crust(u)lum mulieribus vicanis ad / Bonam Deam pecunia nostra dedimus / item dedicatione statuarum Caesarum et Augustae mulsum et crust(u)la / pecunia nostra decurionib(us) et populo dedimus perpetuoque eius die / dedicationis daturo[s] nos testati sumus quem diem quo frequentior quod/annis sit servabimus VI Idus Martias qua die Ti(berius) Caesar pontif(ex) maximus felicissime est creatus. 1093 Vgl. Teil 2, Kapitel 3.4. und 3.5. 1094 Fishwick 2007, 247. 1095 AE 1969/70, 110: Sacratissimo die natali divi Augusti / prosperis felicibusque auspici(i)s dedicata / est per pontifices et augures pecunia / Q(uinti) Murrasi Glyconis L(uci) Dentri Communis / VIIII K(alendas) Octobr(es) / L(ucio) Iunio Silano C(aio) Vellaeo Tutore co(n)s(ulibus) / m(unicipii) C(aleni) d(ecreto).

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Tiberius getätigt wurde, womit dem Beschluss zugleich indirekt der Charakter einer Ehrung für den Nachfolger des Divus Augustus zugekommen sein könnte.1096 Der Geburtstag des Augustus könnte sich also in der Folgezeit – ähnlich der Stiftungen mit dem allgemeinen Zusatz Augustus/Augusti – in besonderer Weise geeignet haben, einen übergreifenden Referenzpunkt im Zusammenhang mit dem Kaiserhaus zu bieten und zeitlose Loyalitätsbekundungen zu ermöglichen, die nicht spezifisch an das aktuell herrschende Kaiserhaus (dessen Herrschaft möglicherweise von nicht allzu langer Dauer war) gebunden waren und dennoch als Ehrbezeigungen an jeden Kaiser, der sich auf den ‚Urvater‘ des Prinzipats berief, gelten konnten.1097 Davon abgesehen scheinen sich die Geburtstage der regierenden Kaiser besonderer Beliebtheit erfreut zu haben, wenn es um die Wahl eines Datums für die Einweihungsfeierlichkeiten eines gestifteten Monumentes ging. Im afrikanischen Sustri wurde ein zerfallener Tempel für Iupiter Optimus Maximus, Iuno und Fortuna Augusta wieder aufgebaut und am Geburtstag des Kaisers Gordian mit einem Festmahl eingeweiht.1098 Auch die Einweihung eines Ehrenmonuments für Titus Flavius Similis mit einem Opfer und einer sportulae-Verteilung erhielt durch die Datierung auf den Geburtstag des regierenden Kaisers Marcus Aurelius besonderes Gewicht.1099 In einer Inschrift aus Ostia ist leider nicht erhalten, wen die gestifteten Bilder für das corpus traiectus (Verein der Fährleute) von Rusticelis darstellten, doch lässt das Datum der Einweihungsfeier, das auf den Geburtstag des Lucius Verus fiel, vermuten, dass zumindest eines der Bilder diesen Kaiser darstellte.1100 Neben all diesen indirekten Initiativen zu Ehren des Kaiserhauses existierte auch eine ganze Zahl an gestifteten Ehrenstatuen, die explizit dem Kaiser oder einem Mitglied des Kaiserhauses zugedacht waren. In den hier gesammelten Inschriften können 41 derartige Stiftungen ausgemacht werden. Darunter finden sich Beispiele von Kaiserstatuen, die von

1096

Vgl. die Bemerkungen in AE 1969/70, 110, und Tac. ann. 4,74. Zu weiteren Inititiven, die auf den Geburtstag des Augustus datieren, vgl. Herz 1975, 276f. 1098 CIL 8, 25935: [Iovi Optimo Maxi]mo Iunoni Reginae Fortunae Aug(ustis) sacr(um) / [pro salute Imp(eratoris) Caes(aris) M(arci)] Antoni Gordiani Pii Felicis Aug(usti) p(ontificis) m(aximi) tr(ibunicia) pot(estate) co(n)s(ulis) p(atris) p(atriae) / [aedem(?) vet]ustate dilapsam a solo facta cisterna ampliatam / […]nus ex aere collato restituit idemque dedicavit / [die] natalis d(omini) n(ostri) Aug(usti) et ob utramque laetitiam epulatus est. 1099 CIL 3, 14219,10: T(ito) Fl(avio) Simili IIvir(o) q(uin)q(uennali) huic primo / ex ordine statuam / in basilica posuit / et dedicavit eam / victima percussa / sportulis datis na/tale Aug(usti) VI K(alendas) Maias / (…). 1100 CIL 14, 4554: […Fel]ix et / […] Martinus / [im]ag(inem?) ex arg(ento) p(ondo) II |(uncia) / [cum clipeo et Atl]ante aerev(!) / [corp(ori) t]raiectus / [Rusti]celi d(onum) d(ederunt) / [et ob ded(icationem)] diviserunt / [spor]tulas sing(ulis) |(denarios) II / [ded(icatum) // …] / L(ucius) Faler[ius … et] / M(arcus) Mariu[s] M(arci) f(ilius) Prim[itivus] / corpor[i tr]aiect[us Rusticeli] / imag[in]es s(upra) [s(criptas) d(onum) d(ederunt)] / et ob d[e]d(icationem) divise[runt sport(ulas) sing(ulis) |(denarios)] / II / ded(icatae) XVIII [K(alendas) I]an(uarias) Pude[nte] / [et Pollio]ne [co(n)s(ulibus)]. Vgl. auch Fishwick 1987/1991 II,1 538. 1097

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Einzelpersonen, von Mitgliedern eines Vereins oder sogar vom ordo einer Stadt gestiftet wurden. So setzte sich etwa der gesamte ordo von Salpensa in Baetica dafür ein, dass ein Monument für Nero errichtet und eingeweiht wurde.1101 In einer Inschrift aus Ostia wurden neben Kultgerät und Einrichtungsgegenständen zahlreiche Bilder und Statuen aufgezählt, die von diversen Mitgliedern eines Vereins gestiftet worden waren, darunter mehrere Bilder und eine Bronzestatue des Marcus Aurelius und eine Acrolithstatue des Commodus, wobei zur Einweihung einiger dieser Statuen zudem eine Geldverteilung durchgeführt wurde.1102 Ein flamen perpetuus aus Thamugadi ließ hingegen nicht nur eine Statue für den Genius der colonia und eine zweite für Mars errichten, sondern leistete überdies bei einer Theateraufführung das Versprechen, aus 40.000 Sesterzen weitere Statuen für die Kaiserfamilie zu errichten. Diese Statuen ließ er schließlich aus der um weitere 10.000 Sesterzen erhöhten Summe aufstellen und mit einem Festmahl, ludi scaenici und gymnasium einweihen.1103 Der Stifter trat also als vielseitiger Euerget auf und konnte sein Ansehen, das er durch sein Priesteramt und die in diesem Zusammenhang finanzierte Statue für den Genius der Stadt bereits erworben hatte, noch steigern, indem er zusätzliche Statuen errichten ließ und die für die Kaiserstatuen öffentlich zugesagte Summe noch weiter erhöhte. Die Stiftung der Statuen für Mitglieder des Kaiserhauses scheint sich als euergetischer Akt nicht grundlegend von der Stiftung der Götterstatuen unterschieden zu haben – die Stiftungen werden gleichberechtigt nebeneinander aufgezählt und das Prestige scheint der Stifter primär aus der erhöhten Geldsumme bezogen zu haben denn aus der Tatsache, dass die Statuen für Götter oder für den Herrscher und dessen Familie gedacht waren.

1101 Allerdings wurde die Passage, die auf den ordo als Stifter verweist, weitestgehend ergänzt; es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass es sich auch um einen anderen Stifter handeln könnte. CIL 2, 1281: [Neroni Claudio divi Claudi f(ilio) Germanici Ca]esaris n(epoti) Tib(eri) / [Caesaris Aug(usti) pron(epoti) Augusti abn(epoti) Caesari] Aug(usto) Ger/[manico pont(ifici) max(imo) trib(unicia) pot(estate) III imp(eratori)] II p(atri) p(atriae) [ordo r(es)] / [p(ublica) Sal]pensa[na]e [epulo ob] dedica[ti]on[e]m o[blato … restituit] (…). 1102 AE 1940, 62: (...) M(arcus) Antonius Ingenu(u)s / statuam Verissimi Caesaris / cum Victoria{m} acrolitha{m} / imaginem argentiam(!) / Antonini Aug(usti) p(ondo) I / et ob dedic(ationem) univers(is) HS IIII n(ummum) / A(ulus) Herenuleius Faustus / imaginem Antonini Aug(usti) p(ondo) II / C(aius) Voltidius Martianus / imaginem Aeli Caesaris p(ondo) I / C(aius) Antistius Hermes / imaginem Concordiae arg(enteam) p(ondo) I s(emis) / C(aius) Antistius Onesimus / imaginem Verissimi Caesar(is) / argentiam(!) p(ondo) I s(emis) / C(aius) Nasennius Felix / imag(inem) arg(enteam) Antonini Augusti p(ondo) I / C(aius) Nasennius Felix iun(ior) / imag(inem) arg(enteam) Verissimi Caes(aris) p(ondo) I / P(ublius) Aelius Eutychus / scamna n(umero) VI / M(arcus) Cornelius Maximus / me(n)sas n(umero) IIII et scabilla II / M(arcus) Aeficius Hermes / et Cn(aeus) Sergius Felix / statuam acrolitham L(uci) Aeli / Commodi s(ua) p(ecunia) p(osuerunt) (...). Vgl. Teil 2, Kapitel 2.1.7. 1103 AE 1941, 46: Genio coloniae / Thamugadis / M(arcus) Pompeius Pudentianus / vet(eranus) fl(amen) p(erpetuus) p(osuit) ob honorem fla/moni(i) inlata rei p(ublicae) legitima / amplius statu(a)m Martis ad ar/cum pantheum et hic in thea/tro statuas dd(ominorum) nn(ostrorum) et / Iuliae Aug(ustae) ex HS XL mil(ibus) n(ummum) / promiserat ampliata pecu/nia HS X mil(ibus) n(ummum) ex HS L mil(ibus) n(ummum) po/suit et ob dedicationem / curiis epulum et gymnasi/um populo et ludos scae/nicos dedit.

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Auch zwischen Ehrenstatuen für verdiente Bürger und für den Kaiser bestand offenbar kein grundlegender Unterschied, wie ein Beispiel aus Perusia zeigt: Hier hatte die plebs urbana beschlossen, dem verdienten Duumvirn Caius Egnatius Festus eine Statue zu errichten, doch dieser entschied sich, statt dessen eine Statue für Divus Antoninus Pius aufstellen zu lassen, und zwar auf eigene Kosten.1104 Dem Egnatius Festus wurde damit einerseits die Ehre zuteil, vom Volk als Dank für seinen Einsatz ausgezeichnet zu werden, andererseits konnte er paradoxer Weise durch die Ablehnung der Umsetzung dieser Ehrung, bzw. für die Umwidmung der Statue an den Kaiser und die Übernahme der Kosten, wiederum seine Bescheidenheit, Großzügigkeit und seine Loyalität zum Kaiserhaus unter Beweis stellen.1105 Natürlich zeugte eine ausführliche Inschrift auf der Statuenbasis sowohl vom Ehrenbeschluss des Volkes als auch von seiner eigenen Initiative, und somit indirekt von dem Prestige, das dem Egnatius Festus nicht zuletzt durch die Entscheidung zugesprochen werden musste, statt einer Ehrenstatue für sich selbst eine Statue für den divinisierten Kaiser aufstellen zu lassen – was er im Übrigen offiziell durch den ordo absegnen ließ, der zudem den Ort für die Statue zur Verfügung stellte. Könnte die Errichtung einer Kaiserstatue in diesem Falle auch als eher neutrale Alternative zu einer Ehrung der eigenen Person und mithin als Versuch zu sehen sein, die eigene Bescheidenheit zu demonstrieren, so stellt sich dies in einem Beispiel aus Misenum ganz anders dar: Lucius Kaninius Hermes, ein Augustale, ließ im Augustus-Tempel, der zugleich als Versammlungsort der Augustalen fungierte, eine Statue des Kaisers Trajan errichten und mit einem Festmahl und einer Geldverteilung unter den Augustalen einweihen. Zugleich legte er großen Wert darauf, dass sein eigener Name und der Name seiner beiden Söhne in der Inschrift zu dieser Statue genannt wurden. Der Ausdruck der Verehrung des Kaisers und die Beanspruchung von persönlichem Prestige für sich und die eigene Familie waren hier eng miteinander verknüpft, und von den Augustalen wurde v.a. letzterer Aspekt auch deutlich wahrgenommen: Sie beschlossen, den Kaninius Hermes Senior als Dank für dessen Engagement samt seinem Sohn unter die immunes des Vereins aufzunehmen, das Dekret mit diesen Beschlüssen auf der Statuenbasis zu veröffentlichen

1104

CIL 11, 1924: M(arco) Vibio Liberale P(ublio) Martio Vero co(n)s(ulibus) / X K(alendas) Apriles Augustae Perusiae / in schola Laeliana scribundo / adfuerunt quod P(ublius) Casinerius / Clemens IIvir suo et L(uci) Petili / Nepotis collegae sui nomine ver/ba fecit Annium Leonan petere / ut secundum verba testamenti / Egnati Festi statuae quam divo Pio / positurus esset loc[u]s sibi adsig/naretur q(uid) d(e) e(a) r(e) f(ieri) p(laceret) d(e) e(a) r(e) i(ta) c(ensuerunt) / placere ut secundum voluntatem / Egnati Festi locus statuae divo / Pio ponendae proxime Naevi / Libani ad introit[um c]uri[ae] / daretur // Divo Antonino / Pio / C(aius) Egnatius Festus aedil(is) IIvir / huic cum plebs urbana ludos publ(icos) / edenti ad statuam sibi ponendam / pecuniam optulisset is honore / contentus impensam remisit / et impetrata venia ab ordine / Perusinor(um) Optimo Maximoq(ue) princ(ipi) / de sua pecunia posuit cuius / ob dedicationem dari iussit / ab herede suo decurionib(us) / sing(ularis) HS IIII n(ummum) plebi HS II n(ummum) / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 1105 Vgl. Teil 3, Kapitel 2.1.

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und den clipeus der Kaninier im Tempel aufzustellen.1106 Sowohl bei diesen Ehrenbeschlüssen als auch bei den Einweihungsfeierlichkeiten stand ganz eindeutig die Person des Stifters im Vordergrund. Dass es sich bei der Errichtung der Statue um eine Ehrung des Kaisers handelte, spielt in der Inschrift keine allzu bedeutende Rolle. Im Text wurde keine klare Trennung zwischen eigener Familie und collegium, zwischen Kaiserverehrung und persönlicher Ehrung vorgenommen, sondern all diese Aspekte waren sehr eng miteinander verwoben und bedingten sich gegenseitig. Bei der Einweihung einer Statue für Antoninus Pius im ligurischen Pollentia stand hingegen ganz eindeutig der Kaiser im Mittelpunkt: Ein nicht namentlich erhaltener Euerget stiftete Gladiatorenkämpfe, zu deren Beginn die Statue für den Kaiser eingeweiht werden sollte, und er verfügte darüber hinaus, dass dieser Tag jedes Jahr gefeiert werden sollte.1107 Allein schon die äußerst ungewöhnliche Entscheidung, die Einweihung der Statue mit Gladiatorenkämpfen zu begehen, zeugt davon, dass dem Kaiser hier außergewöhnliche Ehren zuteil werden sollten. Gesteigert wird dies durch die Bestimmung, dieses Fest jährlich zu wiederholen, was sicherlich mit erneuten Ehrbezeigungen an Antoninus Pius einherging – und zugleich an die Loyalität des Stifters zum Kaiserhaus erinnern sollte, womit auch dessen Prestige erhöht wurde. Spiele wurden in der Regel für Gottheiten durchgeführt; eine Veranstaltung von ludi zumindest für den noch lebenden Kaiser war nicht üblich, da dies den Prinzeps zu sehr in eine göttliche Sphäre gerückt hätte. Es überrascht daher nicht, dass sich im hier zusammengestellten Korpus ganz in diesem Sinne lediglich Spiele für mit dem Kaiserhaus assoziierte Gottheiten finden, wie ludi Victoriae Caesaris Augusti,1108 oder Veranstaltungen,

1106

AE 1993, 473: Imp(eratori) Caesari divi Nervae / filio Nervae Traiano / Aug(usto) Germ(anico) Dac(ico) pont(ifici) max(imo) / trib(unicia) pot(estate) XVI imp(eratori) VI co(n)s(uli) VI p(atri) p(atriae) / L(ucius) Kaninius Hermes / L(ucius) Kaninius L(uci) f(ilius) Claud(ia) Philippus f(ilius) adlect(us) in ord(inem) dec(urionum) / L(ucius) Kaninius Hermes iunior / Augustalibus peq(unia)(!) sua // L(ucio) Publilio Celso II C(aio) Clodio Crispino / co(n)s(ulibus) V Id(us) Novembr(es) / Miseni in templo Aug(usti) quod est / Augustalium referente L(ucio) Tullio / Eutycho curatore perpet(uo) cum / universi Augustales convenissent / et L(ucius) Kaninius Hermes senior largis/sima voluntate sua pietati publicae / satisfecerit ponendo statuam / Optimo Maximoq(ue) principi Imp(eratori) Nervae / Traian(o) Caesari Aug(usto) Germ(anico) Dacico / parenti publico inscripto nomine suo / et Kanini Philippi fili(i) sui et Kanini Her/metis iun(ioris) adieceritq(ue) cumulum benefi/ciorum suorum dando nomine Kanini / Hermetis iun(ioris) ob honorem immuni/tatis eius arcae n(ostrae) HS VI m(ilia) et ob dedi/catione(m) statuae epulum et sing(ulis) HS XII / sitq(ue) sollemne nobis bonorum civium / m[eritis] respondere placuit / consentientib(us) universis Augustalib(us) / Kanininum Hermen seniorem et Kani/nium Hermen iun(iorem) inter immunes / immunium numero referri adque / decretum in basi statuae inscribi in/sculpiq(ue) eisq(ue) Kaniniis clipeum in templo / nostro publice poni. Vgl. Teil 2, Kapitel 2.1.4. 1107 CIL 5, 7637: […] / divisiones reliq[u]am consentiente pleb(e) / in munus gladiat[o]rium [e]t saepta lignea / inpendere(!) ita ut dedicat[i]one statuae / Imp(eratoris) Antonini Aug(usti) Pii p(atris) p(atriae) edi[t]io inchoetur / et eodem die omnibus ann[i]s celebretur / (…). 1108 CIL 11, 5820 a, b, c.

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die für die Rückkehr1109 oder das Wohl1110 des Kaisers gestiftet wurden. Etwas schwieriger einzuordnen sind die ludi Augusti, die von einem gewissen Lucius Silvanus Pater für einen inschriftlich nicht erhaltenen Kaiser gegeben wurden.1111 Da die Spiele offenbar nicht dem divinisierten Augustus galten sondern sich durch den Zusatz Augusti allgemein auf das Kaiserhaus bezogen, lässt sich hier durchaus ein Bezug zum aktuellen Herrscher vermuten, was jedoch allgemein formuliert blieb. Eine absolute Ausnahme stellen hingegen die zweitägigen Spiele dar, die von Augustalen in Puteoli für Nero, Agrippina, Iupiter Optimus Maximus und den Genius Coloniae veranstaltet wurden.1112 Dass sowohl Nero als auch seine Mutter (die beide nachträglich aus der Inschrift eradiert worden waren) als gleichberechtigte Empfänger dieser ludi neben Iupiter genannt wurden, lässt sich wahrscheinlich nur durch die außergewöhnliche Herrschaft des Nero erklären – ein Kaiser, der in vielerlei Hinsicht die Grenzen dessen, was einen Prinzeps als primus inter pares ausmachte, überschritten hatte und sich bereits zu Lebzeiten als Gottheit inszenierte.1113 Unproblematisch waren Ehrungen für den Kaiser oder Mitglieder des Kaiserhauses hingegen, wenn sie nach dem Tod durchgeführt wurden. Bereits die frühkaiserzeitlichen Ehrenbeschlüsse, die angesichts des Todes von Lucius und Gaius Caesar sowie Germanicus und Drusus erfolgten, trugen Züge einer Verehrung, die die Verstorbenen in die Nähe der Götter rückten. Einen Eindruck hiervon geben die Beschlüsse, die in Pisa in Anlehnung an die vom Senat und Volk von Rom beschlossenen Ehrungen für die verstorbenen Adoptivsöhne des Augustus verfügt worden waren.1114 Der 2 n.Chr. überraschend verstorbene Lucius Caesar war patronus der colonia Pisana gewesen und dementsprechend sah sich das Gemeinwesen offenbar besonders in der Pflicht, den Sohn des Prinzeps – und indirekt natürlich auch Augustus selbst – zu ehren. So beschloss der ordo von Pisa, auf Kosten der Stadt ein Grundstück zu kaufen und einen Altar errichten zu lassen, an welchem jährlich am 20. August, dem Todestag des Lucius Caesar, ein öffentliches Opfer an dessen di Ma-

1109

CIL 6, 385 und 36789. CIL 10, 4760 und CIL 11, 5716. 1111 CIL 9, 4395: L(ucius) Silvanus Pater[… Imp(eratori)] Caesari / divi f(ilio) pont(ifici) max{s}(imo) pr[imus omnium(?) Fo]rulis ludos / Augustos fecit (…). 1112 CIL 10, 1574: Q(uinto) Volusio Saturn(ino) / P(ublio) Cornelio Scip(ioni) co(n)s(ulibus) / Augustales / qui [[Neroni]] Claudio / Caesari August(o) et / [[Agrippinae]] Augustae / I(ovi) O(ptimo) M(aximo) et Genio coloniae / ludos fecer(unt) XIII XII K(alendas) Mart(ias) / (…). 1113 Champlin 2003, 112-144 zur Selbstdarstellung des Kaisers als Apollon. Zu den Idealen, die mit einem ‚guten Kaiser‘ verknüpft waren und die von den ‚verrückten‘ Kaisern wie Nero gebrochen wurden, vgl. Witschel 2006. Möglicherweise besteht auch ein Zusammenhang mit der griechischen Prägung von Puteoli, das ursprünglich eine griechische Kolonie war, und der dezidiert griechenlandfreundlichen Politik des Nero. 1114 CIL 11, 1420. Kritische Edition, Übersetzung und Kommentar bei Marotta D’Agata 1980. 1110

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nes abgehalten werden sollte.1115 Das Opfer sollte vom Magistrat durchgeführt werden, wobei die jeweils amtierenden Vertreter zu diesem Anlass dunkle Togen tragen sollten. Geopfert wurde ein mit blauen Bändern geschmücktes Rind und ein schwarzes Schaf. Interessanterweise handelte es sich um ein holocaustum, also um ein Brandopfer, bei welchem nicht wie sonst üblich nur die Eingeweide verbrannt werden sollten, sondern die ganzen Opfertiere. Über das Brandopfer sollten jeweils eine Urne Milch, Honig und Öl ausgegossen werden. Abgesehen von diesen offiziellen (publice) Opfervorschriften im Namen der Stadt war es der Bevölkerung erlaubt, private Opfergaben beizusteuern, allerdings nicht mehr als eine Kerze, eine Fackel oder einen Kranz. Der Scheiterhaufen wurde anschließend von öffentlichen Vertretern der Stadt entzündet, wobei diese nach dem ritus Gabinus gekleidet waren, also den Kopf entsprechend dem römischen Opferbrauch teilweise mit der Toga bedeckt halten sollten.1116 Des Weiteren wurde festgelegt, dass die Inschrift mit dem Dekret auf einem cippus am Altar veröffentlicht werden sollte, samt weiterer Ehrenbeschlüsse, bei denen man sich an den Senatsbeschlüssen in Rom zu diesem Anlass orientiert hatte.1117 Abschließend wurde verfügt, dass Gesandte aus dem ordo nach Rom zu Augustus geschickt werden sollten, die dessen Zustimmung zu den Beschlüssen ersuchen sollten. Als zwei Jahre später Gaius Caesar, der ältere Bruder des Lucius, ebenfalls verstarb, wurde in Pisa ein weiteres Dekret mit Ehrenbeschlüssen erlassen, obwohl die Magistratur zu diesem Zeitpunkt nicht besetzt war, weshalb die beschlussfassenden Einzelpersonen im Dokument namentlich genannt wurden.1118 Hier wurde eine Trauerzeit bis zum Abschluss der Begräbniszeremonien für Gaius verfügt und in diesem Zeitraum sollte Trauerkleidung getragen werden, außerdem sollten die Tempel, Bäder und Wirtshäuser geschlossen bleiben, es durften keine Gastmähler stattfinden, und die verheirateten Frauen sollten öffentlich ihre Trauer bekunden.1119 Darüber hinaus wurde beschlossen, dass der Todestag des Gaius auch künftig als Trauertag gelten sollte, an dem keine öffentlichen Opfer und Gastmähler, keine Hochzeitsfeiern, Theater- oder Circusspiele abgehalten werden durften. Ferner verfügte die Stadt, dass ebenfalls am Todestag ein Totenopfer dargebracht werden

1115

Dieses Opfer wird als parentatio, als Totenopfer bezeichnet, was nicht zu verwechseln ist mit dem Totengedenkfest der parentalia. Vgl. auch Marotta D’Agata 1980, 34: "La parentatio annuale decretata a Pisa in onore dei due giovani principes iuventutis [...] è nettamente distinta dai Parentalia collettivi e, per la solenne complessità del rito, è molto più vicina al sacrificio funebre istituito da Enea per il padre Anchise nell'anniversario della sua morte." 1116 Ebd., 35 und 39, Anm. 43. 1117 Zu den Beschlüssen in Rom zählte u.a. die Einstellung der Rechtsgeschäfte (iustitium) während der Überführung des Leichnams, die Aufnahme des Namens in das Salierlied, die Errichtung einer porticus und einer Basilika und die Veranstaltung von ludi. Zu diesen Beschlüssen vgl. ausführlich ebd., 33f. 1118 CIL 11, 1421. 1119 Dies stellte wohl eine besondere Ehre dar, dass verheiratete Frauen als (unbezahlte) Klageweiber auftraten. Zu den professionellen Klageweibern vgl. Schrumpf 2006, 30f.

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sollte, das dem Opfer für Lucius Caesar entsprach. Schließlich wurde noch bestimmt, dass ein Bogen für Gaius an einem belebten Platz der Stadt errichtet werden sollte, an dem zudem eine Statue, die ihn als Triumphator darstellte, sowie zwei vergoldete Reiterstatuen von Gaius und Lucius Caesar aufgestellt werden sollten. Diese beiden decreta Pisana belegen einerseits, dass offenbar ein reges Bedürfnis herrschte, die eigene Anteilnahme am Tod der Prinzen auszudrücken, und zwar sowohl von den offiziellen Vertretern der Stadt als auch von der Bevölkerung. Dies war äußerst ungewöhnlich, weshalb Scheid die Beschlüsse von Pisa als „sehr seltenes Beispiel des Zusammenspiels von magistratischem Akt und privatem Mitzelebrieren in einem öffentlichen Opfer“1120 charakterisiert. Tatsächlich scheint das Interesse der Menschen so groß gewesen zu sein, dass eine Beschränkung für privat beigesteuerte Opfergaben eingeführt werden musste. Andererseits beruhten die beschlossenen Ehrungen auf dem Vorbild – und möglicherweise auch auf konkreten Vorgaben – aus Rom. Es dürfte daher wohl kein Zufall gewesen sein, dass einige Elemente den Rahmen der bislang üblichen Feierlichkeiten anlässlich eines Todesfalls sprengten und an den Stil griechischer Heroenkulte erinnerten, wie z.B. die Errichtung eines Altars oder die jährliche offizielle Feier am Todestag der betreffenden Person.1121 Die weiteren Beschlüsse, die von Rom ausgingen und daher in den decreta nicht explizit genannt wurden, umfassten Initiativen, die die beiden Prinzen sogar in die Nähe der Götter rückten, wie die Aufnahme in das Salierlied oder das Mitführen ihrer Statuen bei der pompa circensis.1122 Diese ungewöhnlichen Auszeichnungen der beiden Verstorbenen fügten sich gut ein in die augusteische Ideologie, die trotz der demonstrativen Anknüpfung an die Republik auf eine kultische Überhöhung der Familienmitglieder abzielte, was sicherlich nicht zuletzt dazu diente, die Stellung des Kaiserhauses dauerhaft zu stärken und somit den dynastischen Anspruch, den Augustus für den von ihm geschaffenen Prinzipat erhob, zu unterstreichen.1123 Die Beispiele aus Pisa zeigen, dass offenbar im frühen Prinzipat das Bedürfnis großer Teile der Bevölkerung, der Verehrung von Augustus Ausdruck zu geben, und eine gezielte Förderung einer Huldigung der Prinzen durch Augustus Hand in Hand gingen. Die Ehrungen für Gaius und Lucius Caesar machten Schule: Als 19 n.Chr. Germanicus, Großneffe des Augustus und designierter und äußerst beliebter Nachfolger des Tiberius, überraschend verstarb, kam es zu zahlreichen, teils heftigen Äußerungen der Trauer und Anteilnahme,1124 und nicht zuletzt wurden auch zu diesem Anlass zahlreiche Ehrenbe-

1120

Scheid 1993, 195. Marotta D’Agata 1980, 35 und 54. Vgl. auch Zanker 2009, 223 zu weiteren Ehrungen für die Prinzen. 1122 Scheid 1993, 196f. Dennoch bestand kein Zweifel, dass die Prinzen keine divi waren, sondern als di Manes, als Totengötter, mit den entsprechenden Opfern verehrt wurden. Ebd., 196-199. 1123 Zanker 2009, 217-226. 1124 Hartmann 2005, insbes. 72. 1121

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schlüsse gefasst. Aus dem etrurischen Heba und dem spanischen Siarum sind Bronzetafeln erhalten, die die entsprechenden Senatsbeschlüsse wiedergeben.1125 Der Verstorbene wird zwar ähnlich wie Gaius und Lucius durch außergewöhnliche Ehrungen in die Nähe der Götter gerückt, doch bleiben diese Ehrungen in dem Rahmen, der bereits durch die Verfügungen für die beiden Prinzen gesteckt wurde: So wurde sein Name beispielsweise ebenfalls in das Salierlied aufgenommen und an seinem Todestag sollte auf gleiche Weise wie für die beiden Prinzen eine jährliche parentatio durchgeführt werden. Außerdem sollten imagines von Germanicus und Drusus (seinem Vater) am Tagungsort des Senats beim Apollontempel errichtet werden und die sella curulis des Germanicus an den ludi Augustales aufgestellt und mit Eichenlaub bekränzt werden. Diese beiden Ehrungen zeugen zwar vom herausragenden Status des Germanicus als Mitglied der kaiserlichen Familie, verweisen jedoch nicht auf eine göttliche Sphäre.1126 Auch die in der Tabula Siarensis verfügte Errichtung dreier Ehrenbögen sollte Germanicus in erster Linie als erfolgreichen Feldherrn ehren – auf dem im Circus Flaminius in Rom aufzustellenden Bogen sollte der Verstorbene in einer Ehrenstatue dementprechend als Triumphator dargestellt werden.1127 Die Beschlüsse zeigen, dass Tiberius zwar an die bereits für Lucius und Gaius Caesar eingeführten offiziellen Trauerbekundungen anknüpfte, aber dennoch trotz der ungeheuren Beliebtheit des Germanicus versuchte, die Ehrungen auf das zu beschränken, was einem Menschen von hohem aber nicht göttlichem Rang zustand. Mit den decreta Pisana und den Beschlüssen zu Ehren des Germanicus war offenbar ein angemessener Rahmen entwickelt worden, wie sich die Trauer für ein Mitglied des Kaiserhauses offiziell zu gestalten hatte. Die Verfügungen für den 23 n.Chr. verstorbenen Drusus, Sohn des Tiberius und Vater des vier Jahre zuvor verstorbenen Germanicus, orientierten sich dementsprechend eng an diesem Ehrenkomplex. 1128 Zu den eigentlichen Senatsbeschlüssen hinzu kamen wie auch bereits für Germanicus weitere Ehrungen, die vom ordo equester und vom stadtrömischen Volk initiiert und schließlich vom Senat offiziell verabschiedet wurden. Im Namen der Ritter sollte eine goldene Reiterstatue des Drusus auf dem Luperkal aufgestellt werden und ein Silberschild mit dem Bild des Drusus sollte bei Paraden der Ritterschaft vorangetragen werden.1129 Außerdem sollte der Keil im Theater, der bislang nach Germanicus benannt war, nun nach Drusus und Germanicus benannt werden.1130 Im Namen des Volkes sollten des Weiteren mehrere Standbilder des Drusus im Triumphalgewand errichtet werden, und zwar an der Stelle, an der bereits Statuen des Germanicus aufgestellt worden waren.

1125

AE 1949, 215. Weinstock 1957, insbes. 145f. und 153. 1127 CILA 2,3, 927. Vgl. auch CIL 6, 40348. Zu diesen Inschriften vgl. Lebek 1987 und ders. 1991. 1128 CIL 6, 912. Vgl. Lebek 1993, inbes. 82f. 1129 Lebek 1993, 99. 1130 Zur Bedeutung dieses Beschlusses für den ordo equester, der ein Anrecht auf bestimmte Sitzplätze hatte, vgl. ebd. 1126

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All diese Ehrungen zeugten zwar vom außerordentlichen Status der Mitglieder des Kaiserhauses, doch wurden diese nicht als Divi, als Gottheiten verehrt. Diese höchste Auszeichnung der göttlichen Ehren blieb den verstorbenen Kaisern selbst und in manchen Fällen den nächsten weiblichen Angehörigen vorbehalten. Im hier zusammengestellten Korpus finden sich sechs Stiftungen, die einem divinisierten Kaiser galten; darunter Divus Hadrianus,1131 Divus Pertinax1132 und Divus Antoninus Pius.1133 Weitere vier Stiftungen waren dem Augustus geweiht (Augusto sacrum).1134 So wurde etwa in Puteoli eine goldene Reiterstatue für Divus Antoninus Pius errichtet.1135 Ob die zudem ausgerichteten ludi ebenfalls dem divinisierten Kaiser galten, ist aus dem etwas bruchstückhaften Text leider nicht ersichtlich. Zusammenfassend lassen sich zwei Stoßrichtungen der Prestigeaushandlung greifen für Stiftungen, die im Zusammenhang mit dem Kaiserhaus getätigt wurden: Zum einen konnte sich der Stifter selbst durch den Bezug auf das Kaiserhaus im Gemeinwesen positionieren und sein Ansehen durch die Demonstration der Loyalität zum Herrscher steigern. Zum anderen wurde sowohl durch die Stiftungen Einzelner als auch durch offizielle, städtische Initiativen die Person des Kaisers geehrt. Zum Teil wurde durch außergewöhnliche Ehrungen sogar immer wieder versucht, Mitglieder des Kaiserhauses in göttliche Sphären zu rücken. Gerade im frühen Prinzipat wurden die offiziellen Möglichkeiten einer Verehrung von Mitgliedern des Kaiserhauses ausgelotet und verfestigt, was nicht heißt, dass im privaten Bereich keine weiteren Gesten stattfinden konnten, die über die hier festgeschriebenen Grenzen hinausgingen und den Mitgliedern des Kaiserhauses auch göttliche Ehren zuerkennen konnten. Auch wenn von Einzelpersonen ausgeführte Initiativen für den Kaiser selbst vielleicht keine allzu große Bedeutung im städtischen Leben spielten, zeugen die ungeheuer vielfältigen Stiftungen für das Herrscherhaus dennoch eindrucksvoll von der konsolidierenden Kraft, die von der Person des Kaisers ausging. Interessanterweise stammt mit 106 der insgesamt 187 Inschriften die überwiegende Mehrzahl der Belege für Feststiftungen im Zusammenhang mit dem Kaiserhaus aus den afrikanischen Provinzen. In diesem Raum scheint also die Verehrung des Kaisers eine beson-

1131

AE 1910, 154; ILAfr 300. AE 1995, 1657. 1133 CIL 10, 1824; CIL 11, 1924. 1134 AE 1979, 169; CIL 3, 1769a; CIL 8, 7960; 16530. 1135 CIL 10, 1824: […]siae Rufinae mat[ri …] / [… cu]r(avit?) Kal(endas) Maioris(!) et Clodiani et Minu[ciani …] / [… statuae e]questris aureae divi Antonini […] / […] hic idem ludos administravit solu[s …] / [sum]ptu publico splendidissim(us) ordo ei decrevi[t…]. Vgl. zu dieser Inschrift Bergemann 1990, 123, der alternative Ergänzungen vornimmt und davon ausgeht, dass die Statue von einem curator kalendarii gestiftet wurde: (…) […cu]r(atoris) kal(endarii) maioris (…). 1132

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ders wichtige Rolle gespielt zu haben.1136 Für Italien sind 54 Fälle belegt, für die iberische Halbinsel 14 und für das heutige Frankreich lediglich vier. Mit 83 Stück lässt sich ein großer Anteil der Stifter zudem der munizipalen Oberschicht zuordnen, von deren Mitgliedern die Demonstration von Loyalität zum Kaiser möglicherweise verstärkt erwartet wurde.

3. Bestattungen Die Riten, die anlässlich von Bestattungen im römischen Reich durchgeführt wurden, sind hinlänglich bekannt und wurden in der Forschung unter diversen Gesichtspunkten bereits ausgiebig untersucht.1137 In der Tat scheinen die literarischen Quellen ein recht einheitliches Bild zu ergeben, wie eine römische Bestattung durchgeführt wurde: Der Tote wurde zunächst aufgebahrt und es erfolgte eine Totenwache, unter Umständen sogar mit angemieteten Klageweibern.1138 Anschließend wurde der Leichnam zum Scheiterhaufen oder Grabplatz gebracht – bei hochstehenden Familien in Form der eindrucksvollen pompa funebris –, und je nach Bestattungsart körperbestattet oder verbrannt und anschließend beigesetzt.1139 Rituell wurde die Beisetzung durch das Opfer eines Schweines und ein Totenmahl am Grab (silicernium) begleitet.1140 Nach einer neuntägigen Trauerzeit fand mit der novemdiales cena ein weiteres Festessen statt. Mit diesem zweiten Mahl, das wohl in größerer Gesellschaft stattfand und dem ein heiterer Charakter zukam, wurde die Trauerzeit beendet und die betroffene Familie wieder in die Gemeinschaft aufgenommen.1141 Bei derartigen Beschreibungen muss allerdings berücksichtigt werden, auf welch unterschiedliche Quellen rekurriert wird, um dieses scheinbar ‚runde‘ Bild einer römischen Bestattung zu erzeugen: Die Informationen zu den Opfern finden sich etwa bei Cicero, dem es hierbei um sakralrechtliche Aspekte geht, wie z.B. der Frage, wann ein Grab als Grab gilt.1142 Der fröhliche Charakter der cena novemdiales wird hingegen meist aus einer Passage in Petrons Satyricon abgeleitet, in der einer der Gäste von einem Leichenschmaus

1136

Dies könnte daran liegen, dass die afrikanischen Inschriften mehrheitlich aus einem späteren Zeitraum datieren als die Inschriften aus dem italischen Raum, und die Verehrung des Kaisers möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt üblicher war. 1137 Z.B. grundlegend und umfassend Schrumpf 2006; Wesch-Klein 1993 zu den funera publica und insbesondere 41-90 zur Möglichkeit, Totenfeiern als „Mittel politischer Propaganda“ zu nutzen (Zitat ebd., 41); Lindsay 1998 zum Totenmahl. Insbesondere das Phänomen des Leichenzugs (pompa funebris) stößt immer wieder auf großes Interesse: zuletzt Flaig 2015. 1138 Schrumpf 2006, 28-31. 1139 Ebd., 63-87 zu den verschiedenen Bestattungsarten. 1140 Festus, 377 L; Toynbee 1971, 50f.; Lindsay 1998, 72f.; Schrumpf 2006, 88f. 1141 Schrumpf 2006, 98. 1142 Cic. de leg. 2,22,55 und 57.

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berichtet, der für einen Sklaven ausgerichtet worden war.1143 Die bekannteste Beschreibung einer pompa funebris stammt hingegen mit Polybios von einem griechischen Autor des 2. Jhs. v.Chr.1144 Allein diese drei Passagen sind so unterschiedlichen literarischen, zeitlichen und sozialen Kontexten zuzuordnen, dass es äußerst problematisch erscheint, sie in gleicher Weise als Belege für ein allgemeingültiges Ritual heranzuziehen. Es muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass sich die jeweiligen Rituale zur Bestattung mit der Zeit veränderten und zudem lokal äußerst unterschiedlich ausgeprägt sein konnten – ganz zu schweigen von den großen Unterschieden, von denen je nach gesellschaftlichem Status und Vermögen ausgegangen werden muss. Da die Organisation und Finanzierung der Bestattung zumindest für die entsprechenden Familien der Oberschichten eine Aufgabe der gens und insbesondere des oder der Erben war,1145 bot sich diesen Personen die Gelegenheit, durch die Ausgestaltung der Feierlichkeiten das Ansehen des Verstorbenen und der gesamten Familie zu demonstrieren. Vor allem in der späten Republik kam den Bestattungen von Mitgliedern hochstehender Familien in Rom ein stark repräsentativer Charakter zu, und die Ausrichtung von elaborierten Feierlichkeiten wurde in diesen Kreisen nicht nur erwartet,1146 sondern konnte auch die politische und gesellschaftliche Zukunft der betreffenden Familien wesentlich beeinflussen.1147 Die soziale Funktion, die der Inszenierung dieser senatorischen Familien in den Bestattungsritualen zukam, kann wohl kaum überschätzt werden, wie Baltrusch zu Recht bemerkt: „Denn die demonstrativ kostspielige Ausrichtung von Begräbnissen gab auch Aufschluß über die Stellung des einzelnen Senators in der Gesellschaft; sie durfte daher nicht vernachlässigt werden.“1148 Die Dimensionen, die etwa die von Caesar für seinen Vater und seine Tochter ausgerichteten Totenfeiern samt Gladiatorenkämpfen hatten, stehen am Ende einer langen Entwicklung in der Republik, in der derartige Anlässe zunehmend als „Machtinstrument“ für die politische Elite Roms fungierten.1149 Ganz abgesehen von den prachtvollen Grabanlagen1150 konnten mehrere Elemente des Bestattungsritus genutzt werden, um die betreffende Familie zu distinguieren: Das nahe-

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Petron. 65,10-66,7. Pol. 6,53. 1145 Cic. leg. 2,20,50 und 2,22,55. 1146 Cic. Mur. 75f. 1147 Wesch-Klein 1993, 46: „Überdies forcierten gelungene Veranstaltungen die weitere Karriere der Ausrichtenden.“ Vgl. auch Patterson 1992, 15: „Aristocratic funerals thus had the effect of reinforcing the two key elements of the republican system, the ideology of aristocratic exclusivity and the aristocrats’ reliance on popular support.” 1148 Baltrusch 1989, 48. 1149 Wesch-Klein 1993, 41-49; Zitat 46. 1150 Rebenich 2008, 192-199. Zu den Grabanlagen in Pompeji vgl. u.a. Cormack 2007 und Etienne 1991, 338-349. Etienne bemerkt hier treffend: „Die Gräber sind ein Abbild der Gesellschaft der Lebenden mit ihrer reichen Aristokraten-Klasse, die hier das Andenken an ihre hohen Ämter und an 1144

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liegendste Mittel war wohl die üppige Ausgestaltung der Totenmähler,1151 teils am Grab, wovon die Ausstattung der Grabbauten mit Speiseräumen, Brunnen und Küchen zeugen,1152 teils als öffentliche Festmähler unter Einbezug großer Teile der Stadtgemeinschaft.1153 Insbesondere von hochstehenden senatorischen Familien wurde eine öffentliche Speisung nach einer pompa funebris als „Akt der publica munificentia der betroffenen Familie“ durchaus erwartet.1154 Des Weiteren bot die Veranstaltung von ludi funebres oder Gladiatorenkämpfen eine beliebte Möglichkeit, Reichtum und Einfluss der Familie zur Schau zu stellen.1155 Auch die laudatio funebris, die Rede, die bei öffentlichen Bestattungen auf dem Forum gehalten wurde, diente dazu, die Leistungen des Verstorbenen und das Prestige der gesamten gens darzulegen:1156 So nutzte beispielsweise Caesar die Gelegenheit, bei der Totenrede für seine Tante auf die göttliche Abkunft der Julier zu verweisen.1157 Sogar die Größe und Gestaltung des Scheiterhaufens konnte das Ansehen des Verstorbenen zum Ausdruck bringen: „So konnte der Holzstoß mit Teppichen verkleidet oder bemalt, Statuen, Elfenbein und Gold hinzugefügt werden. Allein die Größe des rogus war bereits ein weiteres Element der Verherrlichung des Verstorbenen, schloss man doch allgemein von der Höhe dieses Bauwerks auf die Bedeutung des Menschen.“1158

Das wohl bekannteste Element, durch welches senatorische Familien in der Republik ihre Bedeutung sinnfällig inszenierten, war sicherlich die pompa funebris, der Leichenzug, bei dem die Masken der Ahnen mitgeführt wurden und somit die ruhmreiche Vergangenheit dieser gens der gesamten Stadtgemeinschaft vor Augen geführt wurde.1159 Angesichts die-

ihren Lebensstil verewigt.“ Ebd., 338. Zur Problematik, von Grabgröße auf sozialen Status zu schließen, vgl. Eck 2001. 1151 Diverse Beispiele bei Wesch-Klein 1993, 48f. 1152 Schrumpf 2006, 105; Heinzelmann 2001b, 185f. 1153 Wesch-Klein 1993, 49; Cic. Vatin. 12.30-13.32. 1154 Vössing 2004, 235f. 1155 Wesch-Klein 1993, 42f. zu den ludi funebres für Marcus Aemilius Lepidus; ebd., 43 zu den Gladiatorenkämpfen für den Vater von Scipio Africanus Maior; ebd., 47 zu Gladiatorenkämpfen für die Tochter des Caesar. 1156 Hölkeskamp 2008, 105f. Zugleich wurden in der laudatio jedoch auch die Tugenden und Werte der römischen Gesellschaft verhandelt, weshalb sie auch „der kollektiven Selbstbestätigung, ja der permanenten Selbstkonstituierung der spezifisch römisch-republikanischen ‚Meritokratie‘“ diente. Ebd., 106. 1157 Suet. Iul., 6,1. 1158 Schrumpf 2006, 81. 1159 Hölkeskamp 2008, 104-107; Flaig 2015, insbes. 109: „Das Prestige eines Adelsgeschlechtes, einer gens, war ablesbar an der pompa funebris. Man brauchte bloß zu zählen: zwei Triumphatoren, fünf Censoren, sieben zweifache Consuln, zwölf einfache Consuln, 20 Praetoren – wenn eine gens diese Zahlen ins Feld führte, dann signalisierte sie, dass sie weit vorne lag im unaufhörlichen Kampf um familiales Prestige.“

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ser Entwicklung erstaunt es kaum, dass es immer wieder Versuche gab, die Ausgaben für Begräbnisse und die Gestaltung von Gräbern gesetzlich zu beschränken.1160 Die grandiose Selbstinszenierung senatorischer Familien bei den Bestattungen hatte ihren Höhepunkt in der ausgehenden Republik erreicht. Mit der Etablierung des Prinzipats war es den Mitgliedern der Reichsaristokratie in Rom schließlich nicht mehr möglich, den eigenen Status in dieser exaltierten Form auszudrücken.1161 Der Prachtentfaltung bei Bestattungen von Mitgliedern des Kaiserhauses waren hingegen kaum Grenzen gesetzt: Die pompa funebris ähnelte nun immer mehr einem Triumphzug,1162 die Ehrbezeigungen des Senats und diverser Gemeinwesen außerhalb Roms überboten sich gegenseitig und die überragende Stellung des Prinzeps konnte schließlich in der Divinisierung des Verstorbenen dauerhaft manifestiert werden.1163 Im hier zusammengestellten epigraphischen Quellenmaterial finden sich im Gegensatz zu Stiftungen zum Totengedenken sehr wenige Inschriften, die Hinweise auf die Feierlichkeiten der Bestattung geben. Dies mag daran liegen, dass die durchzuführenden Riten ohnehin bekannt waren und es sich zudem um ein einmaliges Ereignis handelte, das nicht inschriftlich dokumentiert werden musste. Bei Stiftungen zum Totengedenken war hingegen ein größerer Spielraum hinsichtlich der Ausgestaltung gegeben, und außerdem waren diese auf eine jährliche Wiederholung über einen längeren Zeitraum hinweg (idealerweise auf ewig) angelegt, weshalb es von Vorteil war, die genauen Bestimmungen inschriftlich zu publizieren. Es finden sich jedoch einige Ausnahmen, die von besonderen festlichen Handlungen anlässlich einer Bestattung zeugen. Eine leider sehr bruchstückhaft überlieferte Inschrift aus Umbrien bietet einige Informationen zur Bestattung des Stifters: Es handelt sich um ein Ehrenmonument, das kurz nach dem Ableben eines Wohltäters aus öffentlich gesammeltem Geld errichtet wurde. Der Geehrte hatte unter anderem das Theater mit Marmor ausschmücken lassen, Thermen errichtet und testamentarisch eine Geldsumme vermacht, die wohl aus den Resten des Bestattungsgeldes bestritten werden sollte.1164 Falls die Ergänzung von funeratici korrekt ist, könnten die daraus zu finanzierenden Geld- und Speiseverteilungen im Zusammenhang

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Baltrusch 1989, 44-50; Cic. leg. 2,23-27. Schrumpf 2006, 35f. 1162 Zanker 2004, 23-28; Patterson 1992, 15f. 1163 Umfassend Zanker 2004. 1164 CIL 11, 6481: […] / [post …]atum theatrum marmoribus ornatum / [… s]tratam clipeo posito in curia ex arg(enti) p(ondo) c(entum) / […] fontae templum ad aquas solo ampliatum / […] mamoribus exornatus balineum aput / [forum factum multis in]super rei p(ublicae) donatis relictis in distribut(ione) / [funeratici ad divisi]onem epularum HS CC(milibus) divisione mulsa/[rum et panum suff]icientium HS C(milibus) legat(is) iis quos test(amento) non no/[minavisset decurio]nibus HS CCCC VIviris et Augustal(ibus) HS CCC / [… ple]bei HS CC / [plebs urbana die ab] excessu eius XXXIII beneficior(um) eius / [memor ex aere co]nlato ex HS XXXXIII(milibus) posuit / [Bellicio Torqu]ato et Salvio Iuliano co(n)s(ulibus). 1161

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mit den Feierlichkeiten der Bestattung abgehalten worden sein, doch bleibt eine Rekonstruktion der Inschrift und der Kontext der festlichen Handlungen problematisch. Besser greifbar ist hingegen folgende Inschrift: Ein duovir namens Lucius Papius Pollio ließ gemäß dem Testament seines Vaters ein Grabmonument für diesen errichten, crustulum et mulsum an die coloni von Sinuessa und vom vicus Caedicis verteilen und Gladiatorenkämpfe sowie ein Festmahl (cena) abermals für die coloni von Sinuessa und die Mitglieder der gens Papius abhalten.1165 Mommsen vermutet, dass die Verteilung von crustulum et mulsum anlässlich der Bestattungsfeierlichkeiten durchgeführt wurde,1166 und auch die Veranstaltung von Gladiatorenkämpfen und die Ausrichtung eines Festmahls sowohl für die Einwohner als auch für die Mitglieder der Familie könnte auf festliche Handlungen im Kontext der Bestattung des Vaters hinweisen.1167 Offenbar hatte der Vater testamentarisch diverse Festakte verfügt, die ihm nicht zuletzt durch die Abhaltung von munera eine aufwändige und öffentlichkeitswirksame Bestattung garantieren sollten, bei welcher er die Anwesenheit sowohl der Stadtgemeinschaft als auch der eigenen gens sicherstellen wollte. Der Sohn des Verstorbenen setzte sich wohl als Erbe für die Durchführung der Bestimmungen des Vaters ein und konnte so die Gelegenheit nutzen, sich ebenfalls inschriftlich zu verewigen. In Petelia stiftete Manius Maegonius Leo, der Patron der Stadt, neben 100.000 Sesterzen für ein jährliches Festmahl und eine Geldverteilung an seinem Geburtstag eine weitere Summe in Höhe von 50 Denaren für die cena parentalicia und er übernahm die Kosten für das Opfertier.1168 Sowohl die geringere Geldsumme als auch der fehlende Hinweis auf ein jährlich abzuhaltendes Festmahl und Opfer zeigen, dass es sich im Gegensatz zur Stiftung zum Geburtstag bei der cena parentalicia nicht um ein regelmäßiges Totengedenkfest an den Parentalien handelte, sondern eher um ein Festmahl und Opfer, die ein-

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CIL 10, 4727: L(ucius) Papius L(uci) f(ilius) Ter(etina) Pollio duovir L(ucio) Papio L(uci) f(ilio) Fal(erna) patri / mulsum et crustu(lu)m colonis Senuisanis et Caedicianeis / omnibus munus gladiotorium cenam colonis Senuisanis / et Papieis monumentum HS XII(milibus) ex testamento / arbitratu L(uci) Novercini L(uci) f(ilii) Pup(inia) Pollionis. 1166 Ebd.: „Primum mulsum et crustum, fortasse in exequiis, dedit colonis Sinuessanis“. 1167 So auch Dillon/Garland 2005, 171, die von einem „funerary feast for a father“ ausgehen. 1168 D 6468: (…) HS C m(ilia) n(ummum) q(uae) eis me vivo pollicitus sum dari volo / ea autem condicione HS C m(ilia) n(ummum) q(uae) s(upra) s(cripta) s(unt) dari volo ut ex usuris semissibus / eius pecuniae omnibus annis die natalis mei qui est X Kal(endas) April(es) / distributio fiat decurionibus epulantibus |(denariorum) CCC deducto ex his / sumptu strationis reliqui inter eos qui praesentes ea hora erunt / dividantur item Augustalibus eadem condicione |(denarios) CL dari volo / et municipibus Petelinis utriusque sexus ex more loci |(denarium) I om/nibus annis dari volo item in cena parentalicia |(denarios) L et hoc / amplius sumptum hostiae prout locatio publica fuerit dari volo / (…).

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malig, und zwar möglicherweise im Rahmen der Bestattungsfeierlichkeiten durchgeführt wurden.1169 Einen außergewöhnlichen Eindruck von den Formen, die eine Bestattung annehmen konnte, liefert das sogenannte testamentum Lingonis: Ein wohlhabendes Mitglied der lokalen Oberschicht im germanischen Andematunum verfügte hier testamentarisch, welche Gegenstände mit ihm auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollten. Darunter finden sich seine Jagdausrüstung (mit Speeren, Schwertern, Messern, Netzen und Fallen), besondere Möbelstücke, Salben, Kleidung, Schmuckstücke und sogar ein Boot.1170 Dass Bestattungen ein zentrales Mittel waren, den Verstorbenen zu ehren und dessen Prestige und das seiner Familie in der städtischen Öffentlichkeit zu inszenieren, zeigt sich besonders deutlich in der Zuerkennung eines funus publicum, also von offiziell vom ordo zuerkannten Feierlichkeiten und Ehrungen zur Bestattung, wobei in der Regel auch der Grabplatz gestellt wurde.1171 Der Stadtrat von Tingis in Mauretanien etwa stiftete einer gewissen Antonia Saturnia Fabia den Grabplatz sowie Weihrauch und ließ darüber hinaus eine laudatio abhalten.1172 In Parentium beschloss der ordo ein öffentliches Begräbnis für den mit 14 Jahren verstorbenen decurio Sextus Fulcinius Verus. Außerdem wurden von der res publica1173 drei Pfund Weihrauch gestiftet und die öffentliche Errichtung einer Gedenktafel dekretiert. Diesen Ehrungen schloss sich das collegium fabrum mit einem weiteren Weihrauchopfer an.1174

1169

Auch die für Lucius Caesar beschlossene parentatio ist in diesem Sinne als Opfer anlässlich der Totenfeier zu verstehen. CIL 11, 1421; vgl. Teil 2, Kapitel 3.2. 1170 CIL 13, 5708: (…) autem omne instrumentum meum quod ad ve/nandum et aucupandum paravi mecum cremari cum lanceis glad[i]i[s] / cultris retibus plagis laqueis [k]alamis tabernaculis formidinibus / balnearibus lecticis sella gestatoria et omni medicamento / [et] instrumento illius studi et navem Liburnam e[x] sc[i]r[p]o ita [ut] in/de nihil substrahatur et vestis polymit(ae!) et plumari[ae(?) …] / quidquid reliquero et stellas(?) omnes ex cornibus alcinis // […]. 1171 Wesch-Klein 1993, insbes. 63-66 und 83-90; Toynbee 1971, 55f. 1172 CIL 8, 21815: Ant[on]ia[e] / Sat[urni]nae / Fabia […] piissu/mae(!) [et inno]centis/sum[ae(!) …]e ex tes/[t]ame[nto po]suit / [Fa]bius […]es mari/[t]us ei[us] et h]er(es) optu/mae(!) u[xori po]nen/dam [cura]vit / huic o[rdo Tin]gitanus / locu[m sepul]turae et / laud[ationem] et thu/ris p(ondo) [… decre]vit. 1173 Der Ausdruck res publica wird häufig alternativ für den ordo verwendet, ist aber nicht immer eindeutig: So ist hier nicht klar, warum zwischen ordo und res publica differenziert wird; die Kosten sowohl für das funus publicum als auch für den Weihrauch dürften aus demselben Topf bestritten worden sein. Auch in einer Inschrift aus Baetica steht res publica offenbar analog zum ordo für den Dekurionenrat, da erwähnt wird, dass die duumviri für das von der res publica beschlossene Monument sowie das Festmahl zur Einweihung zuständig waren: CIL 2, 1330: […]D / res publica Oben/sis epulo dato / dedicavit curan/tib(us) L(ucio) Cor(nelio) Heren/nio Rustico et M(arco) / S[e]n[ti]o Restituto / IIvir(is). Auch in CIL 2, 1281 werden ordo und res publica genannt, allerdings wurde die betreffende Passage ergänzt. 1174 CIL 5, 337: D(is) M(anibus) / Sex(to) Fulcinio Sex(ti) f(ilio) Vel(ina) Vero / dec(urioni) Parent(ino) / an(norum) XIIII dier(um) XXXVII / huic ordo pientissi/mus decr(eto) suo funus pub(licum) / et res pub(lica) turis lib(ras) / tres titulis publice ferri / universi censuerunt / huic et

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In Ostia verfügten die duumviri und die Dekurionen ein funus publicum sowie eine Statue und 50 Pfund Weihrauch für Lucius Cacius Reburrus, wobei Lucius Kacius(!) Reburrus, offenbar ein Verwandter des Verstorbenen, die Kosten für das Begräbnis erstattete.1175 Im spanischen Asido beschloss der ordo zwar nicht explizit ein funus publicum, doch wurde dem mit 18 Jahren jung verstorbenen Caius Clodius Blattianus der Grabplatz zugesprochen, außerdem wurde eine Statue errichtet und ein Opfer von 100 Pfund Weihrauch durchgeführt, was letztlich genau den Verfügungen eines funus publicum entspricht.1176 In einer Inschrift aus Herculaneum ist sogar der Wortlaut des Beschlusses festgehalten, mit welchem dem Marcus Nonius Balbus sowohl eine Reiterstatue als auch ein marmorner Altar an der Stelle, an der seine Asche aufgesammelt wurde, zuerkannt wurde.1177 Der Altar, der zugleich als Grab des Balbus diente,1178 befand sich im Inneren der Stadt auf einer ursprünglich am Meer gelegenen öffentlichen Terasse, weshalb davon ausgegangen werden muss, dass Balbus tatsächlich innerhalb der Stadt eingeäschert und bestattet wurde. Da es eigentlich verboten war, einen Leichnam innerhalb einer Stadt beizusetzen,1179 stellte dies eine außergewöhnliche Auszeichnung dar, die nicht zuletzt an die Beisetzung Caesars in Rom erinnert. Aus der Inschrift geht zwar nicht explizit hervor, dass ihm ein funus publicum verfügt wurde, doch lässt allein die Tatsache, dass Balbus seine letzte Ruhe an einem öffentlichen Ort in der Stadt fand, darauf schließen, dass anlässlich seines Todes zahlreiche weitere offiziell verfügte Feierlichkeiten stattfanden. Bei

col(legium) fab(rum) turis / mittendi habuit hon(orem) / qui parentes suos / miseros senes in / luctu reliquit / parentes filio / pientissimo et sibi / vivi posuerunt. 1175 CIL 14, 413: (…) decuriones Ost(i)e(n)ses / funere pub(lico)(!) statuamq(ue) et / turis p(ondo) L censuer(unt) L(ucius) Kacius / Reburrus h(onore) u(sus) funeris im/pensam remisit. 1176 IRPCadiz 31a: C(aius) Clodius / C(ai) f(ilius) Gal(eria) / Blattianus / ann(orum) XVIII / huic ordo dec(revit) / locum sepulturae / turis p(ondo) C statuam. Wesch-Klein geht ebenfalls davon aus, dass es sich hierbei um ein funus publicum handelt, weshalb diese Inschrift in ihren Korpus der funera publica aufgenommen wurde. Wesch-Klein 1993, 72 und 188. 1177 AE 1947, 53: [Qu]od M(arcus) Ofillius Celer IIvir iter(um) v(erba) f(ecit) pertinere at(!) municipi(i) / dignitatem meritis M(arci) Noni Balbi respondere d(e) e(a) r(e) i(ta) c(ensuerunt) / [cu]m M(arcus) Nonius Balbus quo hac vixerit parentis animum cum plurima liberalitat(e) / singulis universisque praistiterit placere decurionibus statuam equestrem ei poni quam / celeberrimo loco ex pecunia publica inscribique M(arco) Nonio M(arci) f(ilio) Men(enia) Balbo pr(aetori) proco(n)s(uli) patrono universus / ordo populi Herculanie(n)s{s}is ob merita eius item eo loco quo cineres eius conlecti sunt aram / marmoream fieri et constitui inscribique publice M(arco) Nonio M(arci) f(ilio) Balbo exque eo loco parentalibu(s) / pompam duci ludisque gymnicis qui soliti erant fieri diem edici unum in honorem eius et cum in theatro / ludi fient sellam eius poni c(ensuerunt). 1178 Aus der Inschrift geht nicht hervor, ob der Altar zugleich als Grab für die sterblichen Überreste des Balbus diente. Schumacher geht davon aus, dass dies nicht der Fall war. Schumacher 1976, 173f. Inzwischen konnte jedoch Pappalardo nachweisen, dass sich die Asche tatsächlich im Altar befand und dass es sich hierbei somit zugleich um das Grab des Balbus gehandelt haben muss. Pappalardo 2005, 177. Für diesen Hinweis danke ich Prof. Andrew Wallace-Hadrill. 1179 Schrumpf 2006, 63-65; Cic. leg. 2,23.

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Balbus handelte es sich um einen äußerst illustren Bürger, der als Praetor, Consul und Proconsul zur Elite der römischen Aristokratie gezählt worden sein durfte und zudem als Stadtpatron von Herculaneum fungierte. Daher überrascht es kaum, dass dieser Mann auf so vielfältige Weise geehrt wurde.1180 Weitaus erstaunlicher ist hingegen die Tatsache, dass in Praeneste ein Freigelassener ebenfalls mit einem öffentlichen Grabmonument und einer Statue auf dem Forum geehrt wurde: Lucius Urvineius Philomusus hatte testamentarisch eine Geldsumme gestiftet, aus der dem Volk für drei Jahre der Eintritt in die Bäder finanziert und eine Krone der Fortuna Primigenia erstellt werden sollte, und außerdem Kämpfe mit zehn Paar Gladiatoren und fünftägige ludi – möglicherweise im Kontext seiner Bestattungsfeierlichkeiten – durchgeführt werden sollten. Für dieses Engagement wurden ihm die genannten Ehren zuerkannt, was eine nicht alltägliche Auszeichnung für einen Freigelassenen darstellte, dem nicht zuletzt durch die Statue auf dem Forum posthum ein prestigeträchtiger Platz im öffentlichen Erinnerungsraum der Stadt zugesprochen wurde.1181 Eine außergewöhnliche Inschrift aus Puteoli nennt auf dem Sockel einer Statue die Ehrungen, die von der res publica für die jung verstorbene Gavia Marciana beschlossen worden waren, wobei seitlich am Sockel der offizielle Beschluss im Wortlaut wiedergegeben ist. Dieser Tochter eines Ritters wurde ein funus publicum zuerkannt sowie 10 Pfund foleum (Narde) – womit das Ausgießen von Nardenöl1182 oder, analog zu den ansonsten üblichen Weihrauch-Spenden, das Verbrennen von Narden als Räucherwerk gemeint sein könnte1183 – und die Errichtung dreier Statuen. Ihr Vater ließ daraufhin eine der Statuen auf eigene Kosten anfertigen.1184 Die Beschlüsse dienten in erster Linie dazu, das

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Vgl. Teil 2, Kapitel 3.4. und Teil 3, Kapitel 2.3. CIL 14, 3015: L(ucio) Urvineio L(uci) l(iberto) Philomuso / mag(istro) conl(egii) libert(orum) / publice sepulturae et statuae in foro locus / datus est quod is testamento suo lavationem populo gratis / per triennium gladiatorumque paria X et Fortunae Primig(eniae) / coronam auream p(ondo) I dari idemque ludos ex HS XL(milia) per dies V fieri iussit / Philippus l(ibertus) monumentum de suo fecit. 1182 Vgl. die oben bereits vorgestellten Bestimmungen des Quintus Cominius Abascantus, der u.a. verfügte, dass Nardenöl über seine sterblichen Überreste ausgegossen werden sollte: (...) super reliquias meas nardum p(ondo) libra HS XXIIII [ef]/fundi (...); AE 2000, 344. 1183 Zur Identifizierung von folium als Narde vgl. Georges 2013, 1, 2164 und Cooley 2012, 9. 1184 CIL 10, 1784: Gaviae M(arci) fil(iae) / Marcianae / honestae et incompara/bilis sectae matron(ae) Gavi / Puteolani decurion(is) omnib(us) / honorib(us) functi fil(iae) Curti Cris/pini splendidi equitis Romani / omnib(us) honorib(us) functi uxori Ga/vi Iusti splendidi equit(is) Romani / sorori huic cum ob eximi[u]m pu/dorem et admirabilem cas[tit]a/tem inmatura et acerba morte / interceptae res p(ublica) funus public(um) / item foleum et tres statuas decr(evit) / M(arcus) Gavius Puteolanus pater hon(oratus) / decreti contentus sua pequn(ia)(!) / posuit l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum) // L(ucio) Bruttio Crispino L(ucio) Roscio Aeliano co(n)s(ulibus) / V Kal(endas) Novembr(es) / in templo divi Pii scribundo adfuerunt Caep(ius?) Proculus Cossutius Rufinus / Cl(audius) Priscus Calp(urnius) Pistus quod postulante Annio Proculo o(rnato) v(iro) de decernendo / funere publico Gaviae M(arci) f(iliae) Marcianae b(onae) m(emoriae) f(eminae) item decem libris folei(!) locisq(ue) / tribus concedendis / quae ipsi elegerint in quibus statuae eidem Marcia/nae secundum eiusdem Proculi postulationem ponerentur P(ublius) Manlius Egnati/us Laurinus duovirum(!) v(erba) f(ecerunt) q(uid) 1181

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Mitglied einer hochstehenden Familie zu ehren, und zwar eine junge Frau, die untypischer Weise für ihre eximi[u]m pudorem et admirabilem cas[tit]atem gerühmt wurde.1185 Zugleich wurde jedoch auch ihrer Familie in angemessener Weise Respekt gezollt und deren Status im Gemeinwesen anerkannt. Zum einen wurde im Hauptteil der Inschrift viel Raum für die Nennung des Vaters (Marcus Gavius Puteolanus), Ehemannes (Curtius Crispinus) und Bruders (Gavius Iustus) samt Ämter- und Ehrenbezeichnungen aufgewendet. Zum anderen wurde im Dekret des ordo explizit erwähnt, dass die Beschlüsse für Gavia Marciana getätigt wurden, um Curtius Crispinus und Gavius Puteolanus zu ehren. Beide Männer waren ehemalige bzw. aktive Mitglieder des ordo: Curtius Crispinus wird als magistratus noster bezeichnet und von Gavius Puteolanus wissen wir aus dem ersten Teil der Inschrift, dass er decurio omnibus honoribus functus war. Es ist daher nicht überraschend, dass sich der ordo verpflichtet fühlte, auf den Tod einer Angehörigen dieser beiden Männer durch ausführliche Ehrenbeschlüsse zu reagieren und das Ansehen, das die Männer im ordo und der Stadt genossen, nicht zuletzt durch die explizite Bezeichnung als primarius vir (Curtius Crispinus) und optimus vir (Gavius Puteolanus) zum Ausdruck zu bringen. Andererseits konnten die Angehörigen der Gavia Marciana auch selbst Akzente setzen: Durch die Entscheidung, eine der verfügten Statuen selbst aufstellen zu lassen, konnte sich der Vater der Verstorbenen nicht nur für die seiner Tochter zuerkannte Ehre erkenntlich zeigen, sondern sich zugleich selbst als freigebiger Gönner darstellen, der sich nicht davor scheute, die Kosten für dieses Projekt zu tragen – was vielleicht in gewisser Weise auch von ihm erwartet wurde. Es ist daher durchaus wahrscheinlich, dass die Kosten für die beiden anderen verfügten Statuen jeweils vom Ehemann und Bruder der Geehrten getragen wurden, die in der Inschrift derart prominent berücksichtigt wurden.1186 Doch die Inschrift bot darüber hinaus noch weiteren Personen die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit der städtischen Öffentlichkeit auf sich zu ziehen und Prestige einzufordern: So wurden im Dekret sowohl diejenigen Personen namentlich genannt, die für die Aufzeichnung der Beschlüsse verantwortlich waren, als auch mehrmals ein gewisser Annius Proculus, der als optimus vir bezeichnet wird und den Antrag für diese Beschlüsse gestellt hatte. Außer-

d(e) e(a) r(e) f(ieri) p(laceret) d(e) e(a) r(e) i(ta) c(ensuerunt) optasse quidem singulos uni/verosque nostrum in honorem Curti Crispini magistratus n(ostri) primarii / viri item Gavi Iuteolani(!) soceri eius adaeque o(ptimi) v(iri) Gaviae Marcianae r(everentissimae) m(emoriae) f(eminae) / vivae potius honoris(!) conferre quam ad huius modi decretum prosilire ut de / solacio viventium quaereremus ei ideo quod pertineat etiam ad memoriam / puellae ipsius cohonestandum placere huic ordini funus publicum {ei} de/cerni et decem libras folei mitti concedique secundum postulationem Anni / o(ptimi) v(iri) ut loca quae elegerint statuendis tribus statuis de consensione nostra / consequantur. 1185 Cooley weist darauf hin, dass Frauen sonst eher für ihre finanzielle Großzügigkeit als Wohltäterinnen gelobt wurden. Hier könnte die ungewöhnliche Wortwahl darauf hindeuten, dass die Geehrte verstorben war, bevor sie selbst als Euergetin aktiv werden konnte. Cooley 2012, 9. 1186 Ebd.

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dem wird der duumvir aufgeführt, unter dessen Ägide die Ehrungen beschlossen wurden, ein Mann namens Publius Manlius Egnatius Laurinus. In der Tat erhält man beim Lesen des Beschlusses den Eindruck, dass all diesen Männern, den Familienmitgliedern sowie den beteiligten Mitgliedern des ordo, in der Inschrift ein viel größeres Gewicht zugesprochen wird als der eigentlich zu ehrenden Gavia Marciana. Dieser Eindruck wird durch die Erklärung bestätigt, dass die Beschlüsse zwar zum Andenken an die „hochverehrte Gavia“ gefasst wurden, doch darüber hinaus dem „Trost“ der Lebenden dienen sollten. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass ein funus publicum stets auch im Namen der gesamten Stadtgemeinschaft verfügt wurde. Für die Einwohner konnte ein öffentliches Begräbnis je nach Ausgestaltung ein durchaus sehenswertes Spektakel darstellen, nicht zuletzt, wenn munera ein Teil der Feierlichkeiten waren.1187 Zugleich galt es sicherlich als Ehrensache, die Leistungen eines verdienten Bürgers durch ein funus publicum zu honorieren, was indirekt dafür sorgte, dass etwas von dessen Ansehen auf die Stadt abfärbte, die einen so illustren Zeitgenossen hervorgebracht hatte. Schließlich zeugte die Errichtung einer Ehrenstatue oder eines besonders ausgestalteten Grabmonumentes dauerhaft und für alle sichtbar – für die aktuellen Bewohner, für kommende Generationen und für Besucher von außerhalb – von den Leistungen des geehrten Bürgers und zugleich vom Ansehen der Stadtgemeinschaft, die sich mit erheblichen Kosten und Mühen für dessen Ehrung eingesetzt hatte. Wie wichtig es war, in gebührender Weise beerdigt zu werden, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sich einige collegia der Bestattung ihrer Mitglieder annahmen, was wohl für viele Menschen, die sich sonst womöglich keine größeren Feierlichkeiten hätten leisten können, ein nicht unwesentliches Motiv für einen Beitritt dargestellt haben könnte.1188 Insbesondere die Satzung der cultores Dianae et Antinoi gibt einen außergewöhnlich guten Einblick in die diesbezüglichen Regelungen eines Vereins. Tatsächlich scheint es einer der Hauptzwecke gewesen zu sein, die verstorbenen Mitglieder angemessen beizusetzen. Bereits im wiedergegebenen Senatsbeschluss, der die Gründung des Vereins erlaubte, wird dies deutlich gemacht: Diejenigen, die einen monatlichen Geldbetrag einzahlen wollten, aus dem Bestattungen finanziert wurden, durften in diesem Verein zusammenkommen, und zwar zum Zweck, die Verstorbenen zu begraben.1189

1187

Gladiatorenkämpfe hatten in der Tat „ihren Ursprung im Totenkult“. Wesch-Klein 1993, 41. Allerdings lassen sich für die hier erfassten Bestattungen keine munera nachweisen. 1188 Zur Bedeutung der collegia für Bestattungen und den unterschiedlichen damit verknüpften Motiven vgl. Liu 2009, 266-275. Zur Problematik der Bestattungen in einer Stadt wie Rom und zu den wohl immensen Kosten für ein würdiges Begräbnis oder eine Familiengrabstätte vgl. Patterson 1992, 17. 1189 CIL 14, 2112: (…) […ex s(enatus) c(onsulto) coire co]nvenire collegiumq(ue) habere liceat qui stipem menstruam conferre vo/len[t unde fiant fune]ra in it(!) collegium coeant neq(ue) sub specie eius collegi(i) nisi semel in men/se c[onveniant con]ferendi causa unde defuncti sepeliantur (…). Ebel

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Die genauen Bestimmungen zur Einzahlung der entsprechenden Gelder sowie zur Durchführung der Bestattungen sind sehr detailliert und nehmen mehr als ein Drittel der Inschrift ein.1190 Verstarb ein Mitglied aus dem collegium, so sollten 300 Sesterzen aus der Vereinskasse ausgezahlt werden, wobei 50 Sesterzen von dieser Summe für eine Geldverteilung am Scheiterhaufen abgezogen wurden. Außerdem erfahren wir, dass ein Leichenzug zu Fuß durchgeführt wurde.1191 Es folgen eine Reihe von Beschlüssen, die alle Eventualitäten absichern sollten, damit die zugesagte Bestattung auch tatsächlich erfolgte und niemand zu Unrecht Geld aus der Vereinskasse erhielt. So wurde etwa kein Geld ausgezahlt, wenn ein Mitglied sechs Monate am Stück keinen Beitrag entrichtet hatte und dann verstarb, selbst wenn er dies in seinem Testament verfügt hatte,1192 oder wenn jemand Selbstmord begangen hatte.1193 Sollte jemand weiter als 20 Meilen außerhalb der Stadt verstorben sein, so wurden drei Männer aus dem Verein ausgeschickt, die sich um die Bestattung zu kümmern hatten. Diese erhielten ein Wegegeld in Höhe von 20 Sesterzen, mussten jedoch Rechenschaft ablegen und im Falle einer Veruntreuung des Bestattungsgeldes eine Strafe zahlen.1194 Außerdem verfügte der Verein über Kuriere (viatores), deren Aufgabe wahrscheinlich darin bestand, bei einem Todesfall die Vereinsmitglieder möglichst schnell über die anstehende Bestattung zu informieren.1195 Dass sich sogar Regelungen finden für den Fall, dass ein Sklave verstarb und der Leichnam von dessen Besitzer nicht freigegeben wurde – woraufhin eine Bestattung eines Bildnisses erfolgen sollte1196 –, zeigt, dass eine Mitgliedschaft in diesem Verein gerade für Personen

warnt zwar davor, die Regelungen zur Bestattung der Mitglieder überzubewerten, da durchaus auch andere Aspekte des Vereins, die in der Inschrift nicht erhalten sind, für dessen Attraktivität gesprochen haben könnten, doch geht aus dem hier zitierten Passus eindeutig hervor, dass die Bestattung der Mitglieder der ausgewiesene Hauptzweck des Verein war. Ebel 2004, 33. Vgl. auch Teil 2, Kapitel 2.1.7. 1190 Ebel 2004, 33. 1191 CIL 14, 2112: (…) quisquis ex hoc corpo/re n(ostro) pariatu[s] decesserit eum sequentur ex arca HS CCC n(ummum) ex qua summa decedent exe/quiari nomine HS L n(ummum) qui ad rogus(!) dividentur exequiae autem pedibus fungentur (…). 1192 Ebd.: (…) item placuit ut quisquis mensib(us) / contin[uis se]x non pariaverit et ei humanitus acciderit eius ratio funeris non habebitur / etiamsi [tes]tamentum factum habuerit (…). 1193 Ebd.: (…) item placuit quisquis ex quacumque causa mortem sibi adsciveri[t] / eius ratio funeris non habebitur (…). 1194 Ebd.: (…) item placuit quisquis a municipio ultra milliar(ium) XX decesserit et nuntiatum fuerit eo exire debebunt / electi ex corpore n(ostro) homines tres qui funeris eius curam agant et rationem populo reddere debebunt / sine dolo m[al]o et si quit(!) in eis fraudis causa inventum fuerit eis multa esto quadruplum quibus / [funeraticium] eius dabitur hoc amplius viatici nomine ultro citro sing(ulis) HS XX n(ummum) (…). 1195 Ebel 2004, 69. 1196 CIL 14, 2112: (…) item placuit q[ui]squis ex hoc collegio servus defunctus fuerit et corpus eius a domino dominav[e] / iniquitat{a}e sepulturae datum non fuerit neque tabellas fecerit ei funus imag[ina]/rium fiet (…).

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aus den unteren Schichten reizvoll war, die sich auf diese Weise eine angemessene Beerdigung sichern konnten.1197 Die cultores Dianae et Antinoi waren jedoch nicht der einzige Verein, der sich um die Bestattung seiner Mitglieder kümmerte. Auch ein aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes der Inschrift nicht näher spezifizierbarer Verein aus Ostia hatte offenbar einige Bestimmungen bezüglich einer ehrenvollen Feier des Begräbnisses seiner Mitglieder in seiner Satzung aufgenommen.1198 Etwas detailliertere Informationen finden sich überdies in der lex der familia Silvani aus Trebula Mutuesca. Bei einem Todesfall im Verein hatte jedes Mitglied innerhalb von drei Tagen acht Sesterzen an die Vorsteher zu zahlen;1199 wer dem nicht nachkam, hatte eine Strafe von 20 Sesterzen zu entrichten.1200 Außerdem verfügte die familia Silvani möglicherweise über Gräber für die Mitglieder, denn für den Fall, dass jemand aus dem Verein ausschied, sollte sein Nachfolger seinen „Platz“ (locus eius) im Wert von 100 Sesterzen erhalten, womit wahrscheinlich der Grabplatz gemeint war.1201

4. Totengedenkfeste „Immer wird dein Altar vom Duft der Blüten umhüllt sein, immer wird die glückliche Urne assyrischen Balsam trinken und Tränen, die größere Ehre. Hier wird (der Sohn) deiner Seele heilige Opfer darbringen und er wird aus deiner Erde einen Grabhügel errichten. Auch meine Verse, die er durch seine vorbildliche Haltung verdient hat, weiht er dir, froh, auch mit diesem Denkmal deine Asche beschenkt zu haben.“1202

1197

Ebel 2004, 50. CIL 14, 4548: (…) [… quid a]mplissimus ordo cens[uisset(?) …] / [… convenire(?) coll]egiumque hab[ere…] // […]q[…]or / [… qui stipem menstruam conferre volent ut cui]que eorum post obi/[tum honeste celebrentur funera in id coll]egium coeant neq(ue) / [sub specie eius collegii coetus illicitus fiat nec p]lus quam semel sin/[gulis mensibus conveniant cenferendi causa(?)] ex quo defuncti / [sepeliantur] / […]ano co(n)s(ulibus) / […]re debent / […]nto(?) / «[…] inf(ra) s(cript) s(unt)» / «[… cont]ulerit» / «[…]vetur» / «[… def]unctis» / «[…]e diem» / «[…]VV». Die Rekonstruktion der fehlenden Teile der Inschrift basiert allerdings im Wesentlichen auf einem Vergleich mit der lex der cultores Dianae et Antinoi (CIL 14, 2112). 1199 Ebel stellt fest, dass dies bei einer Mitgliederzahl von 78 eine Summe von 616 Sesterzen ergibt – ein doppelt so hoher Wert als derjenige, der für Bestattungen der cultores Dianae et Antinoi zur Verfügung stand. Laut Ebel ist dies „ein Indiz für den höheren gesellschaftlichen Status der Mitglieder dieses Vereins“, was überdies aus einer prosopographischen Untersuchung hervorgeht. Ebel 2004, 49. 1200 AE 1929, 161: (…) qui ex ea familia decesserit ut ei confe/rant singuli HS VIII ni(!) quis decumanis / moram faciat plus triduo qui ita fece/rit aut exequias non fuerit nisi certa / causa d(are) d(ebeat) HS XX ex cuius decuria deliquerit / eorum cura erit tollere si ita non fecerit d(are) d(ebeat) HS X (…). 1201 Ebd.: (…) item qui ex eo corpore decesserit sequi eum / debeat aut heredem eius HS DLX et locus eius / HS C (…). Auch Ebel 2004, 49 geht davon aus, dass es sich hierbei um den Grabplatz handelte. 1202 Stat. silvae 3,3,211-216: semper odoratis spirabunt floribus arae, semper et Assyrios felix bibet urna liquors et lacrimas, qui maior honos. hic sacra litabit manibus eque tua tumulum tellure levabit. 1198

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Diese Passage aus den Silvae des Statius zeigt, dass für viele Römer nicht nur eine würdige Bestattungsfeier von Bedeutung war, sondern auch das Gedenken über den Tod hinaus – im Idealfall auf ewig: Nicht umsonst wird wiederholt das Wort semper verwendet. Nach der Bestattung galten Verstorbene als Unterweltsgötter (di manes, di inferi) bzw. göttliche Ahnen (di parentes),1203 die auf verschiedene Weise verehrt wurden. Bei Statius wird etwa das Schmücken des Grabes mit Blumen, das Ausgießen von Balsam (libatio)1204 und das Darbringen von Opfern genannt. In der Tat belegen jenseits der literarischen Quellen zahlreiche inschriftliche Stiftungen für Totengedenkfeiern, dass diese festlichen Handlungen durchgeführt wurden. Die zum Teil peinlich genauen Regelungen in diesen Stiftungen zeugen darüber hinaus davon, wie zentral der Wunsch des Gedenkens war und wie verbreitet die Sorge war, dass man nach dem Tode in Vergessenheit geraten könnte. Dementsprechend existierten einige Anlässe für das Totengedenken: Neben den jährlichen Festen zum Totengedenken, den Parentalia, Feralia, Caristia, Rosalia (Rosentag) und dem dies Violae (Veilchentag), wurde auch häufig der Geburtstag des Verstorbenen mit festlichen Handlungen am Grab begangen.1205 Das Fest der Parentalien ist nicht ganz einfach zu greifen. In den literarischen Quellen finden sich verschiedene Hinweise auf eine Festperiode im Februar, doch ist die genaue Datierung nicht unumstritten.1206 Zudem variieren die Angaben darüber, ob es sich überhaupt um ein mehrtägiges Fest handelte, oder nur um einen Tag: In manchen Inschriften wird nur ein Tag für die Parentalia genannt, dies Parentaliorum/Parentalis,1207 in anderen wird von einem Zeitraum der Parentalia gesprochen, tempore parentaliorum1208 – es

nostra quoque exemplo meritus tibi carmina sancit, hoc etiam gaudens cinerem donasse sepulcro. (Übersetzung: Heinz Wissmüller). 1203 Bömer 1943, 1. Cicero unterscheidet zwischen den supplicationes, den Dankfesten für die dei immortales, die unsterblichen Götter, und den Opfern für die Toten; diese Opfer bezeichnet er als parentalia. Cic. Phil. 1,6,13. Es handelt sich also um zwei strikt getrennte Sphären mit unterschiedlichen Ritualen; diese Sphären werden letztlich durch die Vergöttlichung der Kaiser, die zum divus werden, aufgebrochen. 1204 Statius stellt das Vergießen von Tränen hier ebenfalls lyrisch als religiösen Akt in Form einer Trankspende dar. 1205 Außerdem sind noch die Lemuria überliefert, ein obskures Fest, das wohl der Abwehr böser Geister dienen sollte, doch scheint dies bereits in republikanischer Zeit nicht mehr gefeiert worden zu sein. Schrumpf 2006, 102-104. 1206 Ov. fast. 2,533-570; Lyd. de mens. 4,29. In der Literatur wird fast immer davon ausgegangen, dass die Parentalia, oder dies parentales, vom 13. bis zum 21. Februar dauerten. Diese Datierung beruht auf Lyd. de mens. 4,29, doch wird hier die Bezeichnung Parentalia nicht verwendet. Vgl. hierzu Robinson 2011, 355. 1207 Z.B. AE 1940, 94; AE 2000, 344; CIL 6, 10239. Vgl. Robinson 2011, 330. Auch Ausonius spricht von einem Tag der Parentalia. Auson. par. 1. 1208 Z.B. CIL 5, 5272 und 5907; CIL 11, 4593. Auch Athenaios berichtet, dass es bei den Römern Sitte war, im Februar mehrere Tage lang Trankopfer für die Verstorbenen darzubringen: καὶ ἔθος τότε τοῖς κατοιχομένοις τὰς χοὰς ἐπιφέρειν πολλαῖς ἡμέραις. Athen. deipn. 3,98.

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bleibt daher unklar, ob an einem oder an mehreren Tagen festliche Handlungen vorgenommen wurden.1209 Zudem ist die Begrifflichkeit Parentalia/parentare nicht immer eindeutig. So kann das Verb parentare ganz allgemein „ein feierliches Totenopfer […] darbringen“1210 heißen – und Totenopfer wurden natürlich auch am Todestag einer Person durchgeführt.1211 Betrachtet man die Inschriften, in denen das Wort ‚Parentalia‘ auftaucht, ist der Befund allerdings relativ eindeutig: Es finden sich keinerlei Hinweise darauf, dass ein spezieller Todestag und nicht das Fest der Parentalia im Februar gemeint sein könnte.1212 Wenn in den Inschriften der Begriff ‚Parentalia‘ verwendet wird, darf man also davon ausgehen, dass die Festperiode im Februar gemeint ist. Im Gegensatz zu den Parentalia ist das Fest der Feralia, das Ovid als ultima placandis manibus illa dies1213 bezeichnet, in den Kalendern verzeichnet, und damit eindeutig auf den 21. Februar zu datieren.1214 In der Forschung wird meist davon ausgegangen, dass das

1209 Rüpke geht von einer längeren Periode aus und vermutet, dass, wenn in den Inschriften nur von einem einzelnen Tag gesprochen wird, „der letzte Tag [der Parentalia] gemeint ist, eben die Feralia.“ Rüpke 1995, 297. Denkbar wäre natürlich auch, dass es regionale Unterschiede in der Dauer und Ausgestaltung des Festes gab, oder dass ein Zeitraum von mehreren Tagen für die Feier der Parentalien vorgesehen war, die festlichen Handlungen des eher im privaten Bereich anzusiedelnden Festes aber individuell an nur einem dieser Tage ausgeführt wurden. Ähnliches vermutet auch Robinson: „[...] it may suggest that individuals received offerings on only one of the dies Parentales.“ Robinson 2011, 330. 1210 Georges 2013, 2, 3503. 1211 Zur Unterscheidung von Parentalia und Parentatio vgl. Rebillard 2010, 281. 1212 Auch Schrumpf hält daher die These Marquardts, dass die Parentalien auch den Todestag einer Person meinen könnten, für „unwahrscheinlich: in vielen Inschriften sind sie [= die Parentalia] als eigenständige Feier ohne einen weiteren Zusatz neben anderen Festen des Totenkultes zu finden.“ Schrumpf 2006, 100, Anm. 279. In den Inschriften wird, mit einer Ausnahme, nie ein konkretes Datum für die Parentalia aufgeführt. Hätte ein Stifter sicherstellen wollen, dass sein persönlicher Todestag auch noch in ferner Zukunft gefeiert wird, so hätte es ja durchaus nahegelegen, dieses Datum inschriftlich fixieren zu lassen. Bei Stiftungen anlässlich von Geburtstagen war es dementsprechend üblich, das genaue Datum des Geburtstags in der Inschrift aufzuführen. In diesem Zusammenhang muss wohl auch die Formulierung (…) die parentali meo (…) in einer Inschrift aus Rom – eine Formulierung, die eventuell auf einen persönlichen Todestag verweisen könnte – hinterfragt werden: Das Wort meo ist eine Ergänzung, und die Tatsache, dass es sich hierbei um den einzigen Fall handeln würde, in welchem diese Formulierung auftaucht, lässt eher vermuten, dass diese Ergänzung möglicherweise nochmals überdacht werden sollte. CIL 6, 10239: (…) ut die parentali [meo item XI(?) K(alendas) Apr(iles) die viola]/tionis item XII K(alendas) Iunias die rosationis item III K(alendas) Ianuar(ias) die natali meo cu[m mortuus ero…] (…). Auch erscheint in derselben Inschrift die Formulierung der Ergänzung cu[m mortuus ero] äußerst ungewöhnlich. Für diesen Hinweis danke ich Dr. Florian Forster. Ebenfalls stutzig macht die Tatsache, dass in dieser Inschrift nicht nur sämtliche Informationen, wie die Feste begangen werden sollen, fehlen, sondern auch in dem Satzteil, der die Feste Parentalia, Veilchentag, Rosentag und Geburtstag nennt, kein Verb vorkommt. Man würde analog zu ähnlichen Inschriften zumindest ein ut die parentali [...] celebrarent o.ä. erwarten. 1213 Ov. fast. 2,570. 1214 Die Feralia sind in fünf Kalendern vermerkt: Fasti Antiates maiores (InscrIt 13,2, 1) mit dem Eintrag F[er]a(lia) f(astus), Fasti Maffeiani (CIL 6, 2297) mit Feral(ia) f(astus), Fasti Farnesiani (CIL 6, 2301) mit Feral(ia)] / [Dis infer(is)], Fasti Verulani (InscrIt 13,2, 22) mit Feral(ia) f(astus) p(iaculum) / [inferiae] C(ai) Caesaris, Fasti Filocali (InscrIt 13,2,42) mit Feralia. Die Feralia sind

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Fest der Feralia als einziger Tag der Festperiode der Parentalia ein offizieller Feiertag war – quasi als eine Art „Totensonntag“ Roms1215 –, und aus diesem Grund, anders als die nicht-offiziellen Parentalia, in den Kalendern verzeichnet war.1216 Hinzu kommt der auffallende Befund, dass umgekehrt in den Menologia und den inschriftlichen Stiftungen ausschließlich die Parentalia genannt werden, sich aber kein einziger Beleg für die Feralia findet.1217 Die Parentalia scheinen also ein Fest gewesen zu sein, das von der breiten Bevölkerung an mehreren Tagen gefeiert wurde, der Begriff Feralia stand dagegen wohl nur für den einen staatlichen Feiertag, der eindeutig datiert werden kann.1218 Sowohl in den Kalendern des Filocalus1219 und Polemius Silvius1220 als auch in den Menologia1221 und beim collegium Aesculapi et Hygiae1222 finden sich Belege für die Feier der Caristia oder Cara Cognatio, einem Totengedenkfest, das am 22. Februar, also im Anschluss an die Parentalien und Feralien begangen wurde.1223 In den literarischen Quellen wird dieser Festtag als versöhnliches Familienfest dargestellt, an dem Streit beigelegt werden sollte und der Fokus von den Toten, die an den vorangegangenen Tagen geehrt wurden, wieder auf die Gemeinschaft der Lebenden gerückt wurde.1224 In den hier erfassten Inschriften finden sich 23 Belege für die Parentalien und fünf für den Veilchentag,1225 sowie 36 Texte, die auf eine Feier des Rosentags hinweisen könnten,1226 und 42, die den Geburtstag als Gedenkfeier für einen Verstorbenen verzeichnen.1227 Das

damit für die Zeit der Republik (Fasti Antiates maiores) bis in die Spätantike (Fasti Filocali) belegt. Vgl. Rüpke 1995, insbes. 43-44, 53-55, 76-77, 90-94, 126-127. 1215 Schrumpf 2006, 100. 1216 Ebd. 1217 Menologia: CIL 6, 2305 und 2306. 1218 Weitere Erklärungsmöglichkeiten, warum die Parentalia nicht in den Kalendern aufgeführt wurden, bieten Michels und Bömer: Michels meint, dass keine Feste verzeichnet wurden, die über mehrere Tage gingen, und Bömer vermutet, dass Feste nicht aufgeführt wurden, wenn sie auf die Iden, Nonen oder Kalenden fielen. Robinson 2011, 354. 1219 InscrIt 13,2, 42. 1220 InscrIt 13,2, 43. 1221 CIL 6, 2305 und 2306. 1222 CIL 6, 10234. 1223 Wissowa 1971, 233. 1224 Ov. fast. 2,616-639; Mart. 9,54 und 55; Val. Max. 2,8. 1225 Die Parentalia zu Ehren des verstorbenen Drusus (CIL 6, 912; vgl. Teil 2, Kapitel 3.2) sind wohl eher als Totenopfer zu verstehen und nicht als Feier des jährlichen Totengedenkfestes im Februar. 1226 19 Belege nennen gesichert die Rosalia, wobei ein Fall möglicherweise ein Fest bezeichnet, das nicht dem Totengedenken diente (CIL 10, 444). 17 Texte beziehen sich auf ein Fest, an dem Rosen am Grab niedergelegt werden sollten, was ebenfalls als Hinweis auf eine Feier des Rosentages gelesen werden kann. Zu Totengedenkfeiern und insbesondere dem Rosenfest im griechischen Raum vgl. Kokkinia 1999, insbes. 212. 1227 In 38 dieser Inschriften handelt es sich eindeutig um den Geburtstag, in vier Fällen wird der Geburtstag zwar nicht explizit erwähnt, doch wird ein Datum für ein jährliches Gedenkfest genannt,

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Fest der Cara Cognatio ist abgesehen von den beiden erwähnten Kalendereinträgen inschriftlich lediglich für das collegium Aesculapi et Hygiae überliefert. Außerdem wurden in einigen Fällen noch weitere Gedenktage festgelegt, die ursprünglich in keinem Zusammenhang mit dem Totengedenken standen. So lassen sich in drei Inschriften aus Venetia et Histria neben dem Rosentag auch die Vindemia als Totengedenkfeier greifen, ein Fest, das wohl eigentlich im Zusammenhang mit der Weinlese gefeiert wurde.1228 Aus Ravenna sind zudem zwei Beispiele belegt, an denen eine Geldverteilung anlässlich der Neptunalien in Gedenken an den Stifter stattfinden sollte,1229 und aus einer Inschrift aus Pannonia geht hervor, dass am Fest der Carnaria Rosen am Grab niedergelegt werden sollten.1230 In einigen Fällen stand das Totengedenken in keinem Zusammenhang mit einem bestimmten Festtag: So legte ein Stifter aus Rom fest, dass abgesehen von der jährlichen Feier der Parentalia, des Rosen- und Veilchentags sowie des Geburtstags auch an allen Kalenden, Nonen und Iden jedes Monats eine Lampe mit Weihrauch aufgestellt werden sollte.1231 Der Verfasser des testamentum Lingonis verfügte in ähnlicher Weise, dass an den Kalenden der Monate April, Mai, Juni, Juli, August und Oktober Opfer für ihn durchgeführt werden sollten.1232 In einer Inschrift aus Lugudunensis flossen offenbar keltische Bräuche in das Totengedenken ein: Hier wurde bestimmt, dass an jedem tricontis und petrudecameto ein Festmahl abgehalten werden sollte, wobei es sich wohl um eine lokale Form der Datierung handelte.1233

und es lässt sich zumindest vermuten, dass es sich hierbei um den Geburtstag gehandelt haben könnte: AE 1991, 823; CIL 8, 26239; CIL 9, 5854; CIL 14, 246. 1228 CIL 5, 2046: (…) ad mem(oriam) col(endam) / rusarum et vindemia(rum) / |(denarium) foll(es) quin/gentos / dat/um coll(egio) s(upra) s(cripto). CIL 5, 2090: (…) et reliquum quot est ex usuris es/cas rosales et vindemiales omnibus annis poni sibi voluit / (…); InscrIt 10,5, 817: (…) ita ut rosalibus et / vindemiarum et [pa]/rentalium diebus / omnibus cele/brent(ur) solemnia. Vgl. Schrumpf 2006, 102. 1229 CIL 11, 126: (…) ex quor(um) / reditu quod annis decurionib(us) coll(egii) fabr(um) m(unicipii) R(avennatis) in aede Nept(uni) / quam ipse extru{c}xit die Neptunaliorum praesentibus sport(ulae) |(denarii) bini dividerentur / (…); CIL 11, 127: (…) ex quor(um) / redditu quod ann(is) decurionib(us) coll(egii) fabr(um) m(unicipii) R(avennatis) in aede Nept(uni) / quam ipse extruxit die Neptunaliorum sport(ulas) |(denarii) bini dividerentur / (…). Vgl. Teil 2, Kapitel 3.1. 1230 CIL 3, 3893: (…) uti rosas Carnar(iis) / ducant |(denariis) CC / (…). Es könnte sich hierbei allerdings auch lediglich um eine Datierung mittels des Festes handeln und nicht um einen inhaltlichen Zusammenhang mit den Festhandlungen an den Carnaria. Vgl. Schrumpf 2006, 101f. 1231 CIL 6, 10248: (…) ita ut ex reditu eius insu/lae quodannis die natalis sui et / rosationis et violae et parentalib(us) / memoriam sui sacrifici(i)s quater in an/num factis celebrent et praeterea omnib(us) K(alendis) / Nonis Idibus suis quibusq(ue) mensib(us) lucerna / lucens sibi ponatur incenso inposito. 1232 CIL 13, 5708: (…) [ii] curatoresque ita nom[i]/nati [(s(acra) f(aciant?)] quotannis in ara quae s(upra) s(cripta) est Kalendis Aprilibus Maiis Iu/niis Iuliis August(is) Octobri[b(us)] (…). 1233 CIL 13, 2494: (…) ad cenam omni/bus Tricontis ponendam |(denariorum) II in perpet(uum) sicut Petrudeca/meto consumatur (…). “Tricontis is the dative of a word meaning 30, a cardinal number; in

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Bis auf wenige Ausnahmen stammen sämtliche Belege für Totengedenkfeste aus dem italischen Raum. Darüber hinaus lässt sich sowohl für die Parentalia als auch für den Rosentag ein deutlicher Schwerpunkt der Stiftungen im norditalienischen Raum ausmachen: Allein zehn Belege der Parentalien und 22 der Rosalia kommen aus Venetia, Histria oder Transpadana.1234 Mit vier Inschriften für die Parentalien und für die Rosalia und drei der insgesamt fünf Belege des Veilchentags1235 scheint ein zweiter Schwerpunkt auf der Stadt Rom gelegen zu haben. Die Feier des Geburtstags im Andenken an einen Verstorbenen scheint hingegen weiter verbreitet gewesen zu sein. Auch hier finden sich relativ viele Belege aus Norditalien (sechs Belege) und Rom (vier Belege), doch ist dieses Fest gerade in Norditalien deutlich schwächer vertreten als die Parentalien und der Rosentag, dafür existieren zahlreiche Inschriften aus ganz Italien. Außerdem sind Geburtstage mit Totengedenkcharakter im Gegensatz zu den ‚klassischen‘ Totengedenkfesten (Parentalien, Rosen- und Veilchentag) mit elf Fällen recht gut in den afrikanischen Provinzen belegt und es lassen sich sogar einzelne Beispiele aus den spanischen Provinzen sowie aus Germanien und Gallien greifen.1236 Außerdem war es wohl recht beliebt, die verschiedenen Totengedenkfeste miteinander zu kombinieren: In 14 Texten wurden Stiftungen für die Parentalia und für den Rosentag eingerichtet, in acht sollten Parentalia und der Geburtstag des Verstorbenen begangen werden und in sechs wurden sowohl Parentalia als auch Rosalia und der Geburtstag genannt. Der sehr selten belegte Veilchentag wurde zumindest in den überlieferten Beispielen immer gemeinsam mit anderen Totengedenkfesten gestiftet. In drei der fünf Inschriften, die dieses Fest nennen, sind neben dem dies Violae die Parentalia und Rosalia genannt, in den zwei verbleibenden Texten finden sich Hinweise auf eine gleichzeitige Stiftung zur Feier der Rosalia. Abgesehen von den hier vorstellten Inschriften zu den Parentalia, Rosalia und zum Veilchentag existieren noch weitere 17 Texte, die ebenfalls auf Gedenkfeste für Verstorbene verweisen, doch ist dies nur aus dem Kontext ersichtlich, da die konkreten Feste hier nicht erhalten oder nicht genannt sind.

Breton tregont; in Old Irish tricha, genetive trichat (= tricos, tricontos). Petrudecameto is an ordinal number, 14th.” Hubert 1996, 234. 1234 Außerdem finden sich vier Belege der Parentalien aus Rom, drei aus Latium et Campania, zwei aus Umbria und jeweils einer aus Etruria, Africa proconsularis, Lugudunensis und Germania. Für das Rosenfest finden sich vier Belege aus Rom, drei aus Aemilia, zwei aus Liguria und jeweils einer aus Latium et Campania, Bruttium et Lucania, Etruria, Pannonia und Moesia. 1235 Die verbleibenden zwei Belege stammen aus Latium et Campania und Transpadana. 1236 Neben den elf Belegen aus den afrikanischen Provinzen finden sich vier Inschriften aus Venetia et Histria, Rom und Latium et Campania, drei aus Etruria, Umbria und den spanischen Provinzen, zwei Inschriften aus Bruttium et Lucania und Picenum sowie eine Inschrift aus Transpadana, Liguria, Alpes Maritmae, Apulia et Calabria, Gallia und Germania.

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Die festlichen Handlungen, die anlässlich der Totengedenkfeste gestiftet wurden, entsprechen im Wesentlichen den bei Statius genannten Elementen. Primär scheint es darum gegangen zu sein, das Andenken des Verstorbenen zu ehren, indem das Grab geschmückt und Opfer durchgeführt wurden. In 20 Inschriften wurde dementsprechend eine Geldsumme gestiftet, aus der Blumenschmuck für das Grab finanziert werden sollte. Am häufigsten werden Rosen genannt, doch finden sich zudem einzelne Inschriften, die neben Rosen auch Veilchen und Tausendschön (amaranthus) nennen,1237 und in zwei Stiftungen wurde festgelegt, dass jeweils drei Kränze am Grab niedergelegt werden sollten.1238 In 33 Belegen wurden Opferhandlungen am Grab verfügt. Meist wird recht unspezifisch von Opfern (sacrificia) oder Trankspenden (profusiones) gesprochen. Im norditalischen Bereich, wo die Totengedenkfeiern als lokale Tradition offenbar deutlich ausgeprägt waren, wurden in mehreren Inschriften geradezu formelhaft rosae und escae für ein Opfer am Grab erwähnt.1239 Die durchzuführenden festlichen Handlungen waren offenbar so weitläufig bekannt, dass es häufig ausreichte, in der Inschrift lediglich vage festzulegen, dass die Parentalien oder Rosalien gefeiert werden sollten, ohne die genauen festlichen Handlungen zu spezifizieren.1240 Manchmal wurden in den Texten aber auch sehr genaue Anweisungen wiedergegeben, die von den expliziten Wünschen des Stifters zeugen, das Fest auf eine bestimmte Art zu gestalten: So legte Quintus Cominius Abascantus, ein wohlhabender Freigelassener aus Misenum, unter anderem fest, dass das Grab an den Parentalien mit Rosen und Veilchen geschmückt und zudem Nardenbalsam ausgegossen werden sollte.1241 In Feltria stiftete ein gewisser Lucius Veturius Nepos eine Geldsumme, aus der jährlich an seinem Geburtstag Weihrauch, Wein und tucetum1242 gestellt werden sollten.1243 Marcus Antonius Valens verfügte in einer Inschrift aus Aquileia, dass neben der Feier der Parentalien jedes Jahr am 12. Mai (hierbei könnte es sich um seinen Geburtstag handeln) von der 25. Dekurie des collegium fabrum, in welcher er selbst Mitglied war, ein Trankopfer mit Wein und ein anschließendes Festmahl an seinem Grab und dem Grab seiner Frau

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AE 2000, 344 und CIL 5, 7357. CIL 5, 5272 (hier sogar spezifiziert als Myrtenkränze) und CIL 5, 5907. 1239 CIL 5, 2090; 2176; 2315; analog bei CIL 5, 4015 und 4017 rosae und cibus. In CIL 5, 4017 findet sich sogar der Verweis, dass dies secus veterem consuetudinem („gemäß alter Sitte“) durchgeführt werden sollte. 1240 CIL 5, 4016: (…) Parentalia (…) procurentur (…); CIL 5, 4489: (…) Parentalior(um) et Rosal(iorum) (…) in perpet(u)um fier[e]nt (…); CIL 11, 01436: (…) parental(ia) et rosar(ia) quotann(is) at sepulchrum (…) celebrant (…). 1241 AE 2000, 344: (…) sepulcro exornando viola HS XVI item ro/sa HS XVI n(ummum) et super reliquias meas nardum p(ondo) libra HS XXIIII [ef]/fundi (…). 1242 Hierbei handelte es sich offenbar um eine „für die Gallia Cisalpina typischen Fleischsroulade“. Kränzl/Weber 1997, 116. Egelhaaf-Gaiser übersetzt tucetum ähnlich als „Rollfleisch“. EgelhaafGaiser 2000, 276. 1243 CIL 5, 2072: (…) ut facerent Ciar(nenses) na(talia) tur(e) tuc(eto) / vin(o) Her(clanenses) par(entalia) mul(ieres) rosas / (…). 1238

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abgehalten werden sollten, wobei er genau beschreibt, dass der betreffende Wein bei einem Mann namens Marcianus im Dorf gekauft werden sollte.1244 Valens hatte also nicht nur genaue Vorstellungen davon, was für ihn und seine Frau geopfert werden sollte, sondern auch, von welchem Händler der Wein bezogen werden sollte. Dass wie im Falle des Antonius Valens ein Festmahl am Grab durchgeführt wurde, war nicht ungewöhnlich: Tatsächlich finden sich in 35 der hier erfassten Inschriften konkrete Hinweise hierauf. Häufig wurde insbesondere ein Festmahl gestiftet, wenn Vertreter des öffentlichen Lebens (decuriones, Augustales) oder ein collegium als Empfänger der Stiftung zum Totengedenken eingesetzt wurden. So legte beispielsweise der Freigelassene Caius Attius Ianuarius fest, dass jährlich an den Parentalien nicht weniger als 12 Menschen am Grab speisen sollten,1245 wobei er die Geldsumme für die Feier dem collegium centonariorum zukommen ließ, aus dessen Mitgliedern sich wohl auch diese 12 Speisenden rekrutiert haben dürften. Bei den in einer Inschrift aus Brixia belegten siliae dürfte es sich wahrscheinlich ebenfalls um ein Mahl gehandelt haben, das zu Ehren des Toten abgehalten wurde.1246 Zudem kann in einigen Fällen indirekt auf ein Festmahl geschlossen werden: So bewegen sich die genannten Summen für ein durchzuführendes Opfer häufig in einem Bereich, der vermuten lässt, dass das Opfer über die in vielen literarischen Quellen geschilderten „kleinen Gaben“ hinausgehen musste,1247 sodass ein anschließendes Opfermahl für die Anwesenden angenommen werden kann.1248 Tierische Opfer sind bis auf eine ungewöhnliche Inschrift aus Africa proconsularis nicht direkt belegt. Aus diesem Text geht zwar 1244

Pais 181: (…) ex qua reditus eius ut de(n)tur / decuriae meae XXV Maron(ianae) colleg(ii) fabr(um) XXXV / ad Parentalia XXII s(emissem) sicuti mihi et co(n)iugi meae / ponatis sic tamen ut decuria mea ut vinum quod accipim(us) / de Marciani in vic(o) provi(n)c(iali) IIII Idus Mai(as) ut / ad sepulc(hrum) meum profundatis mi(hi) et co(n)iugi me(ae) / et ipsi epulet(is) (…). 1245 CIL 11, 5047: (…) ex / cuius reditu quod annis / die parentaliorum ne minus / homines XII ad rogum suum / vescerentur / (…). In der Inschrift wird zwar der Scheiterhaufen (rogus) als Ort für das Festmahl genannt, doch ist wohl anzunehmen, dass sich das Grab ebenfalls an diesem Ort befand, da Gedenkfeiern an den Parentalien in der Regel am Grab durchgeführt wurden. 1246 CIL 5, 4489: (…) ut ex redit(u) eiusde(m) agell(i) q(uot) a(nnis) / sili(a)e coniugi suo id est VIII K(alendas) N(ovembres) di{a}e natali(s) eius item pr(idie) K(alendas) Mar(tias) / di{a}e natalis sui ut ex d(enariis) L per magistr(os) celebrentur (…). Vgl. die Hinweise zu siliae von Mommsen bei InscrIt 10,5, 280. 1247 Bei Statius werden wie bereits erwähnt Blumenschmuck, das Ausgießen von Balsam und Opfer aufgeführt. Stat. silvae 3,3,211-216. Ovid nennt für die Feier der Parentalien etwa Opfer, die in Form von „kleinen Gaben“ (parva munera) dargebracht wurden – er führt hierfür etwa Opferkränze, die um einen Ziegelstein gewunden wurden, Früchte, Salz, Brot und Wein an. Ov. fast. 2,533-540: Est honor et tumulis, animas placare paternas, / parvaque in exstructas munera ferre pyras. / parva petunt manes: pietas pro divite grata est / munere; non avidos Styx habet ima deos. / tegula porrectis satis est velata coronis / et sparsae fruges parcaque mica salis, / inque mero mollita Ceres violaeque solutae: / haec habeat media testa relicta via. 1248 Z.B. CIL 5, 4015: Zinsen aus 2.000 Sesterzen für Rosen und Speiseopfer am Grab; CIL 5, 4017: Zinsen aus 4.000 Sesterzen für Rosen und Speiseopfer am Grab; NIVerona 7: 2.000 Sesterzen für Rosen am Grab.

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hervor, dass an den Parentalien offenbar 51 Stiere und 38 Ziegenböcke geopfert werden sollten,1249 doch stellt sich die Frage, ob hierbei tatsächlich die ansonsten nur für den italischen Raum bezeugte Festperiode im Februar gemeint ist, oder ob dieses Opfer nicht vielmehr in einem anderen Kontext gesehen werden muss. In jedem Fall scheint dieses Fest mit der großen Anzahl an Opfertieren, was sicherlich mit der Veranstaltung eines öffentlichen Festmahls einherging, einen völlig anderen Charakter aufzuweisen als die für Italien bezeugten Parentalien. Die zahlreichen Beispiele für Stiftungen, bei welchen Essen am Grab niedergelegt werden sollte, zeigen hingegen, dass sich die Angehörigen zu den Totengedenkfesten am Grab einfanden und sicherlich selbst von den mitgebrachten Speisen und vom Wein kosten durften. Noch bei Augustinus und Tertullian finden sich Passagen, die davon zeugen, dass der Brauch, Festmähler am Grab abzuhalten, bis in die Spätantike bestand und sogar von Christen zunächst unhinterfragt übernommen worden war.1250 Dass an den Gräbern Festmähler durchgeführt werden konnten, deckt sich im Übrigen auch mit dem archäologischen Befund: Es lassen sich Speiseräume, Brunnen und Küchenvorrichtungen, und sogar Röhrchen, mittels derer Öl- und Weinspenden (libationes, profusiones) in die Grabkammer gegossen werden konnten, belegen.1251 Einen besonders guten Eindruck, wie Grabanlagen für Totengedenkfeiern angelegt sein konnten, liefert das sogenannte testamentum Lingonis, eine Grabinschrift aus dem französischen Langres, in welcher ein äußerst wohlhabendes Mitglied der lokalen Oberschicht testamentarisch genauestens die Ausstattung seines Grabes verfügte. Die Anlage bestand demnach aus einem Gebäude, das als cella memoriae bezeichnet wird und in welchem eine sitzende Statue des Verstorbenen in einer Nische stehen sollte.1252 Vor dieser Nische sollte eine Bahre aufgestellt werden – wahrscheinlich für ein lectisternium des Verstorbenen –, und außerdem wurden an den Seitenwänden des Raumes zwei Bänke für die Teilnehmer des Gedenkmahls errichtet. All dies sollte aus hochwertigem Marmor angefertigt werden. Zudem sollten die Möbel an den Festtagen mit Kopfkissen, Decken und Mänteln ausgelegt werden.1253 Vor dem Gebäude sollte zudem ein Altar errichtet werden, in welchem die sterblichen Überreste des Stifters beigesetzt wurden. Darüber hinaus war das

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AE 1957, 243: (…) sacrificia [p]are/ntaliorum ta/uros n(umero) LI qu/inquaginta e[t] / [unum?] capros [n(umero)] / [XX]XVIII(?) tri[gi]/[nta o]ct[o…] (…). 1250 Aug. conf. 6,2; Tertull., de test. anim. 4. 1251 Egelhaaf-Gaiser 2000, 294-300, 319-321; Schrumpf 2006, 105; Robinson 2011, 340. Zur zeitlichen Entwicklung der Grabarchitektur in Rom vgl. Heinzelmann 2001a. 1252 CIL 13, 5708: […cellam quam a]edificavi memoriae perfici volo ad exemplar quod dedi ita ut exe/[d]ra sit eo [loco] in qua statua sedens ponatur marmorea ex lapide / quam optumo(!) transmarino ubi aenea ex aere tabulari quam optumo(!) / alt[a] ne minus p(edes) V (…). 1253 Ebd.: (…) le[c]tica fiat sub exedra et II subsellia ad / duo latera ex lapide transmarino stratui ibi sit quod sternatur / per eos dies quibus cella memoriae aperietur et II lodices et cervi/calia duo par(ia) cenator(ia) et aboll[ae] II [et] tunica (…). Vgl. hierzu Egelhaaf-Gaiser 2000, 311.

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Gelände mit einem Garten samt Teich ausgestattet, für dessen Instandhaltung drei Gärtner samt Gehilfen eingestellt worden waren.1254 Der Stifter verfügte, dass eine jährliche Gedenkfeier in der cella stattfinden sollte, die aus Geldspenden von Freigelassenen und Familienmitgliedern finanziert wurde. Aus diesen Summen wurden Speisen und Getränke gestellt, die in der Grabanlage konsumiert werden sollten. Abgesehen von dieser jährlichen Feier sollte an allen Kalenden des April, Mai, Juni, Juli, August und Oktober zudem ein Opfer am Altar abgehalten werden.1255 Der Gesamteindruck, der aus den hier vorgestellten Inschriften entsteht, scheint einem Fest zu entsprechen, das im familiären Kreise am mit Blumen geschmückten Grab abgehalten wurde und bei dem Speisen und Getränke für ein Opfer und ein gemeinsames Mahl mitgebracht wurden. Manchmal scheint es sogar schon ausgereicht zu haben, als Geste des Andenkens an den Verstorbenen eine Lampe am Grab anzuzünden.1256 In mehreren Stiftungen wurde der Kreis der Feiernden auf die Freigelassenen ausgeweitet. Titus Flavius Syntrophus übertrug etwa seinen Freigelassenen das Nutzungsrecht eines Anwesens, womit die Klausel verbunden war, dass sie von den Einkünften die Parentalia, den Veilchentag, Rosentag und den Geburtstag des Stifters begehen sollten.1257 Eine größere Öf-

1254 Ebd.: (…) araq(ue) ponatur ante / id aedific(ium) ex lapide Lunensi quam optimo sculpta quam optume(!) / in qua ossa mea reponantur cl(a)udaturq(ue) id aedifi(cium) lapide Lu/nensi ita ut facile aperiri et denuo cl(a)udi possit colaturq(ue) id ae/dificium et ea pomaria et lacus arbitratu Philadelphi et Veri liber/torum meorum impensaq(ue) praestetur [ad] reficiend(um) si quid / ex iis vitiatum corru[p]tumq(ue) fuerit colaturq(ue) a trib(us) topiari(i)s et / discentib(us) eorum et si qu[i] ex iis decesserit decesserintve subtra[c]/tusve erit in vicem eius eorumve alius al[i]ve substituant(ur) accipi/ant[q]ue singuli ex trib(us) tritici modios LX in ann(os) sing(ulos) et vesti/ar(i) nomine [X]XX (…). 1255 Ebd.: (…) liberti mei et liber[tae] / quos et vivos et quos hoc testamento manumisi stipem conferant / quotannis singul[i nummos sing(ulos) et] Aquila nepos meus et [h(eres) eius] pr[a]estet quotanni[s] / [n(ummos) …] ex quibus edulia [quiq(ue) sibi] paret et potui quod profan[e]tur infra ante ce[l]/lam memoriae quae est Litavicrari et ibi consumant […] / morenturque ibi donec eam summam consumant vicibus ex se cura/tores ad hoc officium nominent qui id officium annu[m] habeant habe/antque potestatem exigendi hos nummos mandoque hanc curam / Prisco Phoebo Philadelpho [V]ero pos[t obitum me]um(?) [ii] curatoresque ita nom[i]/nati [(s(acra) f(aciant?)] quotannis in ara quae s(upra) s(cripta) est Kalendis Aprilibus Maiis Iu/niis Iuliis August(is) Octobri[b(us)] (…). 1256 CIL 11, 2596: L(ucius) Granius Pudens veter(anus) / ex coh(orte) VII pr(aetoria) d(at) |(denarios) VIII(milia) d(onum) p(osuit) / ut gens eos |(denarios) in usu/ris dent et die n(atali) festo / sollemne oleum in / lucerna quem dedi / d(e) p(roprio) ex usuris praes/tetur d(eo) I(nvicto) M(ithrae). 1257 CIL 6, 10239: T(itus) Flavius Syntrophus priusquam hortulos Epagathianos Dadu[chianos … ianosque] / cum aedificio et vineis maceria clusis ita uti instructi sunt qui sunt via Labic[ana ad miliarium III] / euntibus ab urbe parte laeva ad viam Aithale liberto suo mancipio daret test[atus est se in hanc condi]/cionem mancipare ut infra scriptum est si tibi hortos Epagathianos Dad[uchianos … ianosque] / q(uibus) d(e) a(gitur) q(ui) s(upra) s(cripti) s(unt) mancipio dedero vacuamque possessionem tradidero tum per te no[n fieri factumve iri neque] / per heredem tuum eumve ad quem ea res q(ua) d(e) a(gitur) pertinet pertinebit quo minus ii ho[rti aedificiumve sit com]/mune tibi cum conlibertis tuis utriusque sexus qui a me testamento codicillisv[e honorati erunt cumque is fru]/aris parique portione inter eos reditum eius custodiatis ita ut die parentali [meo item XI(?) K(alendas) Apr(iles) die viola]/tionis item XII K(alendas) Iunias die rosationis item III K(alendas) Ianuar(ias) die

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fentlichkeitswirkung war offenbar nicht intendiert – selbst bei den umfangreichen Verfügungen im testamentum Lingonis fand das Gedenkmahl in einem abgeschlossenen Raum und mithin nicht für Außenstehende sichtbar statt.1258 Primär scheint es also um den persönlich-privaten Ausdruck des Andenkens an die verstorbenen Familienmitglieder gegangen zu sein. Diese Einschätzung relativiert sich jedoch, wenn man die Adressaten der jeweiligen Stiftungsinitiativen genauer in den Blick nimmt. In 37 der hier erfassten insgesamt 96 Inschriften zum Totengedenken wurden collegia als Empfänger der Stiftung eingesetzt. Nimmt man die zehn Inschriften, in denen die Empfänger bzw. Teilnehmer der Stiftung unbekannt sind, heraus, waren bei 43% der hier erfassten Totengedenkfeste Vereine involviert. Dies heißt zwar nicht, dass die Feierlichkeiten deshalb in einem öffentlichen Kontext stattfanden, doch wurde in diesen Fällen zumindest der rein familiäre Rahmen aufgebrochen. Die Anziehungskraft von Vereinen lässt sich wohl in Teilen damit erklären, dass sie Menschen, deren finanzielle Verhältnisse ein angemessenes Totengedenken nicht erlaubten, eine Chance boten, dies langfristig zu sichern. Das collegium Aesculapi et Hygiae in Rom hatte etwa diverse Totengedenkfeste in seinen Festkalender aufgenommen und war somit sicherlich beliebt als Möglichkeit, nicht nur die eigene Bestattung sondern

natali meo cu[m mortuus ero tum ut] / quisque vestrum vivet quive ex vobis geniti erunt aut a quo vestrum quis ma[numissus erit ad quem unum] / pluresve portio similiter huius loci aedificiive pertinebit id ex formula su[pra scripta dividatis et si quis] / ibi inhabitare volverit ex communi omnium consensu maiorisve partis [eorum qui vivent id ei liceat] / quae autem membra aedificii vacabunt in reditu sint ita ut huic volunta[ti parentes deducta summa] / impensae et quod ad tutelam aedifici(i) opus erit quod reliquom erit inter v[os dividatis et sic horti cum aedi]/fici(i)s instrumentoque omni quod die mortis meae ibi habuero usui vestro [deserviant quam diu vivetis] / quive ex vobis novissimus morietur eodem modo testamento suo [caveat ut horti s(upra) s(cripti) per eos qui s(upra) s(cripti) s(unt) quive] / ex iis prognati erint aequaliter in familiam nominis mei permanea[nt eodem semper iure sint et] / ab hac re promissioneque dolus malus cuius vestrum de quibus agitur [absit sit adversus ea f(actum) e(rit) q(uanta) e(a) r(es) e(rit)] / tantam pecuniam dari et amplius poenae nomine HS L m(ilia) n(ummum) stipulatu[s est T(itus) Flavius Syntrophus] / spopondit T(itus) Flavius Aithales libertus tum hortulos cum aedificio e[t vineis maceria clusi ita ut] / empti sunt et quae postea Iis accesserunt mancipio accepit T(itus) Flavius Aitha[les de T(ito) Flavio Syntropho HS n(ummo) I] / libripende Ti(berio) Claudio Phileto antestatus est T(itum) Flavium Theopom[pum et in vacuam possessionem horto]/rum q(ui) s(upra) s(cripti) s(unt) ex causa supra scripta ire aut mittere iussit T(itus) Flavius S[yntrophus T(itum) Flavium Aithalem lib(ertum) seque] / inde excessisse desisseque possidere{que} dixit salva volun[tate si qua postea ossa ex lege annte dicta] / hortis inferri consacrarive voluerit act(ium) III […]s M[artias(?) … co(n)s(ulibus) signatores] / M(arci) Clodi Saturnini A(uli) Cascelli Doryphori T(iti) Flavi Pii T(iti) St[…] / Ti(beri) Claudi Phile[ti]. Vgl. auch die Bemerkungen zu dieser Inschrift oben in Anm. 1212. 1258 Die Freigelassenen scheinen unter freiem Himmel am Altar oder im anliegenden Garten gespeist zu haben, womit eine räumliche wie soziale Differenzierung durchgeführt wurde. Egelhaaf-Gaiser 2000, 327f. Es mochte sich zwar je nach Anzahl der Freigelassenen um einen womöglich recht umfangreichen Adressatenkreis gehandelt haben, doch fand die Feier dennoch nicht in einem öffentlichen Kontext statt.

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auch das weitere Andenken zu sichern.1259 Aus vielen Inschriften ist es nicht eindeutig ersichtlich, ob der Stifter selbst Mitglied im Verein war, den er mit dem Totengedenken betraute. Tatsächlich scheinen Vereine nicht nur von den eigenen Mitgliedern als Institutionen geschätzt worden zu sein, die sich als Empfänger für derartige Stiftungsinitiativen besonders eigneten und im Zweifelsfall zuverlässiger und langlebiger waren als die eigene Familie.1260 Wie sehr einigen Stiftern daran gelegen war, dass die von ihnen verfügten Feierlichkeiten noch möglichst lange nach ihrem Tode abgehalten wurden, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie in ihrer Stiftung die Klausel einfügten, dass ein anderer Verein die gestiftete Geldsumme erhalten sollte, falls der damit beauftragte Verein den Bestimmungen nicht nachkam. So stiftete beispielsweise Marcus Naevius Restitutus in Pisa eine Geldsumme an das collegium fabrum navalium, die aus den Zinsen die Parentalia und Rosalia am Grab des Stifters feiern sollten. Zusätzlich wurden die fabri tignari genannt, die diese Feierlichkeiten durchführen sollten, falls das collegium fabrum navalium dies nicht tat.1261 Auch Iulia Felicitas legte mit der familia publica eine alternative Gruppe für die Feier ihres Geburtstages fest, falls die damit beauftragten Mitglieder des collegium centonariorum diese nicht in ihrem Sinne durchführen sollten.1262 Zeugen diese Alternativbestimmungen vom Wunsch der Stifter, dass die Feierlichkeiten möglichst lange weitergeführt wurden und somit das Andenken in der Nachwelt gesichert wurde, gingen andere Stifter hingegen wohl eher von einer kurzlebigen Dauer ihrer Verfügungen aus: Marcus Antonius Valens legte in der bereits diskutierten Inschrift aus 1259

CIL 6, 10234. Vgl. Teil 2, Kapitel 2.1.7. So auch Schrumpf 2006, 109: „Auf diese Weise waren bereits mehrere Hindernisse auf dem Weg zur Unsterblichkeit beseitigt: mit der Beauftragung von Institutionen, die zumindest in der Theorie auf ewige Dauer angelegt waren, hatte man das Problem der zwangsläufigen, weil biologisch begründeten Endlichkeit eines lediglich personal gebundenen Auftrags beseitigt. Diese Motivation ist sicherlich der Grund dafür, warum man sich in der Regel an die zuverlässigsten Vereine der Gegend wendete, allen voran die freiwilligen Feuerwehren (fabri centonarii), deren Fortbestand auch aufgrund des staatlichen Interesses am ehesten gewährleistet schien.“ 1261 CIL 11, 1436: D(is) M(anibus) / Venuleia / Pelagia / hic adq(uiescit) / fil(ius) matr(i) pi(i)ss(imae) // M(arcus) Naevius M(arci) f(ilius) / Gal(eria) Restitutus / mil(es) coh(ortis) X pr(aetoriae) h(ic) a(d)q(uiescit) / qui reliq(uit) testam(ento) coll(egio) / fabr(um) naval(ium) Pis(anorum) stationi / vetustiss(imae) et piiss(imae) HS IIII(milia) / n(ummum) ex cuius reditu pa/rental(ia) et rosar(ia) quot/ann(is) at sepulchrum / suum celebrent quot / si factum ab eis non / esset tunc ea ipsa con/dicione fabr(i) tig(nari) Pis(ani) / accept(is) pro poena a / fabr(is) nav(alibus) HS IIII(milibus) n(ummum) ipsi / celebrare debebunt. Vgl. auch CIL 11, 132 und AE 1987, 198. 1262 CIL 11, 4391: Iuliae M(arci) f(iliae) Felicitati / uxori / C(ai) Curiati Eutychetis / IIIIvir(i) magistrae Fortu/nae Mel(ioris) coll(egium) centonarior(um) / ob merita eius quo honore / contenta sumptum omnem / remisit et ob dedic(ationem) ded(it) sin/gulis HS XX n(ummum) et hoc amplius / arkae eorum intul(it) HS V m(ilia) n(ummum) / ut die natalis sui V Id(us) Mai(as) / ex usuris eius summae epu/lantes im(!) perpetuum divider(ent) / quod si divisio die s(upra) s(cripto) celebrata non / fuerit tunc pertineb(it) omn(is) summa / ad familiam publicam. Unter der familia publica sind öffentliche Sklaven zu verstehen, die in diesem Falle möglicherweise in einem Zusammenhang mit dem collegium centonariorum standen. Weiß 2004, 168. 1260

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Aquileia fest, dass der Wein für ein Trankopfer und Festmahl am Grab, das von der 25. Dekurie des collegium fabrum abgehalten werden sollte, von einem Mann namens Marcianus erworben werden sollte.1263 Dies zeigt, dass er offenbar keine Illusionen darüber hegte, dass die Stiftung nach seinem Tode über einen besonders langen Zeitraum hinweg bestehen blieb. Ihm scheint es vielmehr darum gegangen zu sein, dass seine Bekannten aus dem Verein zumindest eine Zeit lang regelmäßig mit einem kleinen Fest an ihren verstorbenen Kollegen gedachten. Ein über Generationen weitergeführtes Fest, das dem ruhmvollen Andenken des Stifters bis in alle Ewigkeit dienen sollte, war hier wohl nicht intendiert. Auch der Stifter des testamentum Lingonum scheint keinen allzu großen Wert auf eine langfristige Durchführung der Totengedenkfeiern gelegt zu haben. Anstatt der Einsetzung eines zweckgebundenen Stiftungskapitals, das eine dauerhafte Finanzierung ermöglicht hätte, verfügte er, dass seine Familienmitglieder und Freigelassenen die Feierlichkeiten aus eigenen Geldspenden zu organisieren hatten. Diese Entscheidung impliziert nicht nur, dass er die volle Verantwortung für sein Andenken an seine Vertrauten übertrug, sondern auch, dass er nicht davon ausging, dass die Riten zu seinem Totengedenken über mehrere Generationen hinweg bestehen blieben. Obwohl es sich um ein äußerst wohlhabendes Mitglied der lokalen Oberschicht gehandelt haben muss, lag ihm ein dauerhaftes Andenken offenbar nicht so sehr am Herzen, wie die von ihm verfügte prunkvolle Bestattung, womit er sich von vielen anderen Mitgliedern der römischen Oberschicht und insbesondere der senatorischen Memorialkultur1264 ganz grundlegend unterschied. Ob dies seiner persönlichen Einstellung oder anders gelagerten lokalen Traditionen und Jenseitsvorstellungen in Germanien geschuldet war, lässt sich nicht mehr feststellen. Manchmal scheint es auch eine Rolle gespielt zu haben, die jeweilige peer group des Verstorbenen in das Totengedenken mit einzubeziehen: So übergaben die Eltern eines mit acht Jahren verstorbenen Mädchens den iuvenae Corogennatibus die Summe von 400 Denaren, aus deren Zinsen an den Totengedenkfesten für die Tochter Trankspenden durchgeführt und Blumenkränze niedergelegt werden sollten.1265 Die Namen der Eltern, Ursilius Rufinus und Domitia Severa, lassen kaum Rückschlüsse auf deren Herkunft und sozialen Status zu;1266 es scheint sich um Dorfbewohner gehandelt zu haben, die über das nötige Vermögen verfügten, diese Stiftung sowie den Grabstein samt Inschrift zu finanzie-

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Pais 181, siehe oben Anm. 1244. Page 2015, 69, 144 und 267f.; Eck 2005, 6-9. 1265 CIL 5, 5907: Ursiliae Ingenuae quae vix(it) / ann(os) VIII m(enses) VI Ursilius Rufinus / et Domitia Severa parentes in cuius / mem(oriam) colend(am) deder(unt) iuvenae Coro/gennatib(us) |(denarios) CCCC ex quor(um) reditu / quodann(is) tempore parentalior(um) / quam et rosae coronas ternas / ponerentur et profus(ionem) suo quoq(ue) / anno fieri quod si iuvenae / non fecerint restituer(e) debeb(unt) / vicanis Corogennatibus et illi / id observabunt. 1266 Der Name Domitia könnte vielleicht auf eine kaiserliche Freigelassene hindeuten. 1264

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ren und somit das Andenken ihrer Tochter über den Kreis der Familie hinaus in einem Kollegium, das wohl aus jungen Mädchen bestand, zu sichern. Trotz des eher familiär-privaten Charakters von Totengedenkfesten dürfte die große Beliebtheit von Vereinen im Zusammenhang mit derartigen Stiftungen neben der langfristigen Absicherung aber auch deren Stellung im halböffentlichen Raum zuzuschreiben sein: Das Andenken des Verstorbenen konnte so außerhalb der Familie von Bekannten in den sozialen und/oder beruflichen Netzwerken gepflegt werden, und mithin in Organisationen, die durch ihre offiziösen Strukturen und Verfahren eine größere öffentliche Aufmerksamkeit und somit auch höhere Bedeutsamkeit – wenn nicht sogar Legitimation – der Feierlichkeiten suggerieren konnten.1267 In Cemelenum stiftete beispielsweise eine Frau 1.500 Denare an das collegium centonariorum, damit diese jährlich den Geburtstag ihres verstorbenen Sohnes begingen: Sie sollten ein Opfer durchführen und im Anschluss im Tempel speisen. Außerdem sollten sie Rosen darbringen und die von seiner Mutter gestiftete Ehrenstatue reinigen und bekränzen.1268 Die Mutter des Verstorbenen konnte mit dieser Stiftung nicht nur ein langfristiges Andenken an ihren Sohn sichern, sondern erreichte zudem, dass die Rituale zum Gedenken an ihren Sohn in einem größeren Rahmen begangen wurden, als dies nur im rein familiären Kreis möglich gewesen wäre. Aus der Inschrift geht zwar nicht hervor, wo sich die Statue für den Geehrten befand, doch ist es gut möglich, dass diese auch in oder bei dem Tempel stand, in welchem das Totengedenkmahl stattfinden sollte – und dieser könnte darüber hinaus als Versammlungsraum für den Verein fungiert haben. Immerhin ließ die Stifterin zur Einweihung der Statue ebenfalls ein Festmahl für das collegium ausrichten, und es liegt nahe, dass dieses Mahl auch im Tempel stattfand. Am Geburtstag des Verstorbenen wurde folglich an seinem Grab ein Opfer von den Vereinsmitgliedern durchgeführt; anschließend zogen diese von dort in den Tempel, wo das Festmahl zu seinen Ehren in unmittelbarer Nähe der frisch gereinigten und geschmückten Statue stattfand. Die jährlichen Feierlichkeiten wurden also von einem angesehenen Verein weitgehend im öffentlichen Raum durchgeführt und auch von Außenstehenden konnte wahrgenommen werden, dass es sich hier offenbar um ein besonderes Fest zu Ehren einer bedeutenden Person handelte. Dementsprechend nutzten einige Stifter die Gelegenheit, die Totengedenkfeiern im Verein aufwändiger zu gestalten, als dies vielleicht im rein familiären Rahmen gemacht worden wäre: Ein Stifter aus Comum beauftragte etwa einen Verein, wahrscheinlich das collegium

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Zur Legitimation durch Verfahren vgl. Luhmann 1983, insbes. 30f. und 38-53. CIL 5, 7906: P(ublio) Etereio P(ubli) f(ilio) Q(uirina) Quadrato / Etereia Aristolais mater / statuam posuit / ob cuius dedicat(ionem) coll(egio) cent(onariorum) / epulum ex mori(!) ded(it) item |(denarios) I(mille) L / ita ut ex usur(is) quod ann(is) in perpet(uum) / die natal(i) Quadrati V Id(us) Apr(iles) / ubi reliquiae eius conditae sunt / sacrificium facerent ansare et libo / et in templo ex more epularentur / et rosas suo tempore deducerent / et statuam tergerent et coronarent / quod se facturos receperunt.

1268

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fabrum centonariorum, das Andenken an sich selbst, seine Frau und seine Kinder durch Blumenschmuck, Trank- und Ölspenden sowie eine Geldverteilung an die zur Feier anwesenden Personen zu sichern.1269 Dies entspricht zwar abgesehen von der Geldverteilung den zu diesen Anlässen üblichen festlichen Handlungen, doch nimmt Sartori an, dass eine Investitionssumme von mehr als 70.000 Sesterzen nötig war, um dies alles in der vom Stifter vorgegebenen Form zu finanzieren.1270 Der Aufwand lag demnach in diesem Fall deutlich über den in den literarischen Texten anklingenden „kleinen Gaben“,1271 was vom Bestreben des Stifters zeugt, seinen Anspruch auf Prestige noch über den Tod hinaus deutlich zu kommunizieren. Dass es deutliche Tendenzen gab, für die Feier des Totengedenkens Aufmerksamkeit über den familiären Rahmen hinaus zu erlangen, zeigt sich auch darin, dass in 22 der hier zusammengestellten Inschriften sogar die gesamte Stadt- oder Dorfgemeinschaft involviert werden sollte. Darüber hinaus wurden in 24 Fällen offizielle Vertreter der Stadtgemeinschaft (Magistrat bzw. Dekurionen, seviri Augustales) und in drei Fällen weitere Gruppen der Stadtgemeinschaft1272 als Teilnehmer festgesetzt. Zusammen mit den Stiftungen für Vereine ergibt sich für über 90% der Stiftungen, deren Empfänger bekannt sind, ein öffentlicher oder halböffentlicher Kontext. Diese Zahlen sind nicht ganz unproblematisch und sicherlich nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass sich eine einfache Totengedenkfeier innerhalb der Familie in der Regel nicht im epigraphischen Material niedergeschlagen haben dürfte. Erst durch die Ausweitung einer Stiftung auf halböffentliche oder öffentliche Gruppen lag es nahe, die verfügten Bestimmungen inschriftlich und für alle sichtbar festzuhalten. Dennoch lässt sich bei denjenigen, die wohlhabend genug waren, eine jährliche Stiftung für das Andenken nach dem Tode einzurichten und in einer Inschrift zu publizieren, eine deutliche Tendenz erkennen, für die Totengedenkfeste eine größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und einen quasi-offiziellen Rahmen anzustreben. 1269

CIL 5, 5272: Albiniae / Vetti fil(iae) / Valerianae / pudi[cissimae fe]min(ae) / P(ublius) Appi[us … Euty]ches(?) / ad cuius [memoriam cole]ndam huic / colleg(io) de[dit … ex c]uius sum/mae red[itu magistri coll(egii) quodannis] die natal(is) / eius III Id[us …] sportul(as) / ex |(denariis) CC in[ter praesentes arbit]r(atu) suo divid(ant) / oleum et propin(ationem) ex |(denariis) DCCL praebeant item / lectisternum tempore parentalior(um) ex |(denariis) CC / memoriis eiusdem Valerianae et Appi Valerian(i) / fil(ii) eius per offic(ium) tesserarior(um) quodannis pona/tur et parentetur item coronae myrt(eae) ternae / et tempore rosal(iorum) Iul(io) ternae eis ponantur / micatae de [l]iliis ex |(denariis) L profudantur / item Appius Eutychianus maritus eiusdem / Valerianae scholae vexillarior(um) largitus / est HS XXX(milia) n(ummum) ex cuius summae reditu quod/annis die s(upra) s(cripto) natalis eius ante statuam lectist(ernium) / ex |(denariis) CCL ponant sport(ulas) |(denarios) CCL inter praesent(es) / sibi divid(ant) oleum et propin(ationem) per rosam praebeant / l(ocus) d(atus) d(ecreto) c(ollegii) f(abrum) c(entorariorum). 1270 Sartori 1994, 51f. 1271 Ov. fast. 2,533-540. 1272 CIL 5, 2072: mulieres; CIL 5, 4871: gentilitas Argeniae; CIL 5, 5878: possessores vici Bardomagi. Worum es sich bei den in CIL 5, 2072 genannten Ciarnenses und Herclanenses handelte, bleibt unklar.

283

Das wirksamste Mittel, die Anwesenheit größerer Teile der Stadtgemeinschaft bei der Feier zu sichern, lag sicherlich darin, Anreize durch besondere festliche Handlungen zu bieten. In 20 der hier gesammelten Beispiele wurde versucht, die entsprechenden Gruppen durch eine Geldverteilung zu gewinnen: In sechs dieser Fälle wurde hierbei ein collegium mit sportulae bedacht, in zwölf Fällen die Dekurionen. So verfügte Manius Maegonius Leo testamentarisch, dass aus den Zinsen der von ihm zur Verfügung gestellten 100.000 Sesterzen jährlich an seinem Geburtstag eine Geldverteilung an die zum Festmahl anwesenden Dekurionen, sowie an die Augustalen und die Bürger von Petelia beiderlei Geschlechts stattfinden sollte. Ihm war es also ein Anliegen, dass sich die gesamte Stadtgemeinschaft zusammenfand, um seiner zu gedenken. Dies sollte eben nicht an einem der Totengedenktage geschehen, an denen es ohnehin üblich war, zu den Gräbern zu ziehen und die Toten zu ehren, sondern an seinem Geburtstag, seinem ganz persönlichen Gedenktag. Aus der Inschrift geht zwar nicht hervor, wo das Festmahl und die Geldverteilung stattfinden sollten, doch war die Stiftung an folgende Bedingung geknüpft: Die versprochene Summe sollte nur ausbezahlt werden, wenn die Stadt dem Stifter ein Standbild auf dem Forum errichtete.1273 Diese Bitte wurde auch erfüllt, wovon der erste Teil der Inschrift zeugt, der die Widmung der Statue durch die Dekurionen, Augustalen und das Volk an Maegonius Leo wiedergibt.1274 Es liegt daher nahe, dass das Mahl und die sportulaeVerteilung nicht am Grab des Stifters, sondern sehr viel öffentlichkeitswirksamer an dieser Ehrenstatue auf dem Forum durchgeführt wurden. Maegonius Leo war es somit gelungen, sich durch die Errichtung einer Statue und die Stiftung einer jährlichen Gedenkfeier dauerhaft in die öffentliche Erinnerungskultur der Stadt einzuschreiben. Der Auszug aus seinem Testament, der neben der Widmung publiziert wurde, zeigt allerdings auch, dass die Ehrung durch die Stadt wohl nicht ganz freiwillig erfolgt war. Maegonius Leo muss als Ädil, Quaestor und Quattuorvir sowie nicht zuletzt als Patron des municipium ein wichtiges Mitglied der lokalen Oberschicht gewesen sein und es wäre zu erwarten gewesen, ihn auf offiziellen Beschluss der Stadt mit einer Statue oder sogar einem funus publicum zu ehren. Die Initiative für die Ehrung ging jedoch in diesem Falle 1273

D 6468: (…) Kaput ex testamento / rei p(ublicae) municipum meorum si mihi statua pedestris / in foro superiore solea lapidea basi marmorea ad exemplum basis / quam mihi Augustales posuerunt prope eam mihi municipes / posuerunt posita fuerit HS C m(ilia) n(ummum) q(uae) eis me vivo pollicitus sum dari volo / ea autem condicione HS C m(ilia) n(ummum) q(uae) s(upra) s(cripta) s(unt) dari volo ut ex usuris semissibus / eius pecuniae omnibus annis die natalis mei qui est X Kal(endas) April(es) / distributio fiat decurionibus epulantibus |(denariorum) CCC deducto ex his / sumptu strationis reliqui inter eos qui praesentes ea hora erunt / dividantur item Augustalibus eadem condicione |(denarios) CL dari volo / et municipibus Petelinis utriusque sexus ex more loci |(denarium) I om/nibus annis dari volo (…). 1274 Ebd.: M(anio) Maegonio M(ani) f(ilio) / M(ani) n(epoti) M(ani) pron(epoti) Cor(nelia) / Leoni / aed(ili) IIIIvir(o) leg(e) Cor(nelia) / q(uaestori) p(ecuniae) p(ublicae) patrono mu/nicipii IIIIvir(o) q(uin)q(uennali) / decuriones Augus/tales populusque / ex aere conlat(o) / ob merita eius // (…).

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nicht von der Stadt aus, sondern von ihm selbst, indem er die Errichtung der Statue als Bedingung für seine Stiftung gestellt hatte. Es wäre denkbar, dass er potenziellen Ehrungen der Stadt durch seine Initiative zuvorgekommen war. Zumindest scheint es Maegonius Leo nicht gestört zu haben, dass ihm die Ehrbezeigungen der Stadt nicht aus freien Stücken erbracht wurden, denn er verfügte, dass seine testamentarischen Bestimmungen auf der Basis der Statue veröffentlicht werden sollten, damit auch die Nachfahren von seinen Taten erfuhren und er als Vorbild für weitere Wohltäter fungieren konnte.1275 Durch diese Begründung untermauerte er abermals seinen Anspruch, dass die Erinnerung an ihn als angesehenen Euergeten von der städtischen Öffentlichkeit gepflegt werden sollte, die schließlich auch davon profitierte, dass mögliche weitere Stifter seinem Vorbild nacheiferten. Noch ansprechender für ein potenzielles Publikum als eine Geldverteilung dürfte die Veranstaltung von ludi oder munera gewesen sein, die in einzelnen Fällen zu Totengedenkfeiern überliefert sind. Ein Beispiel aus Auximum belegt, dass testamentarisch ein munus gladiatorium verfügt wurde, das jährlich am Tag vor den Kalenden des Juni stattfinden sollte – möglicherweise handelte es sich bei diesem Datum um den Geburtstag des Stifters.1276 In Auzia, Mauretania Caesariensis, stiftete Lucius Cassius Restutus unter anderem eine Geldsumme, aus der jährlich jeweils an seinem Geburtstag und an dem seiner Frau Circusspiele durch den Magistrat organisiert werden sollten, und zwar sechs Rennen, für welche eine Summe von 135 Denaren zur Verfügung stand. Ebenfalls an diesen beiden Tagen sollten die in der Stadt errichteten Ehrenstatuen für ihn und seine Frau gereinigt, gesalbt und bekränzt werden; außerdem sollten dort zwei Kerzen entzündet werden und zu einem genau festgelegten Zeitpunkt (ante hora(m) tertia(m)) eine Geldverteilung an die Dekurionen, Schreiber und an Familienmitglieder durchgeführt werden.1277 Sowohl der

1275

Ebd.: (…) a vobis optimi municipes peto et rogo per salutem sacratissimi principis / Antonini Augusti Pii liberorumque eius hanc voluntatem meam et dis/positionem ratam perpetuamque habeatis totumque hoc caput testamenti mei basi statuae pedestris quam supra a vo(bi)s peti ut mihi po/natis inscribendum curetis quo notius posteris quoque nostris / esse possit vel eis quoque qui munifici erga patriam suam erint admoniat(!). 1276 CIL 9, 5854: […testame]nto suo dedit ex quorum r[editu] / [munus gladiatori]um colonis Auxumatibus(!) dar[etur] / [ita ut(?) gladiatoru]m paria sena alternis annis emere[ntur] / [quae a(nte) d(iem) …] K(alendas) Iunias Auxumi(!) pugnarent qui […] / […] quot annis eoque consumeret[ur …]. 1277 CIL 8, 9052: (…) et item Non(is) Aug(ustis) natalis mei edere per magg(istros) s(ui) c(uius)/q(ue) ann(i) circuenses(!) ce[…]es missus sex |(denarios) CXXXV [eadem d]ie ante hora(m) tertia(m) dabuntur sportulae{s} universis / con[dec]urionibus meis et [scri]bis duobus […]B[… de]nario I Clodiae Luciosae uxori meae Cassiae Dulcae et Cassiae / Rest[ut]ae filiabus [fratris] mei pu[pi]labus meis ante basem statuarum tam meae quam / uxoris m[eae singulis |(denarios) bi]n[o]s ad custod(iam) |(denarios) III ita ut statuam meam et uxoris meae tergeat et ungat et coronet et cer(eos) / II accendat item V Iduum Ianuarium natalis Clodiae L[uci]osae uxoris meae edentur per magg(istros) per omnes annos circu/[e]nses(!) ce[…]es missus VI |(denarios) CXXXV eadem die ante horam tertiam ante basem statuarum tam meae quam uxoris meae dabun/[tur] sportulae universis condecurionibus meis et scribis duobu[s … d]enario I Clodiae Luciosae uxori meae Cassiabus /

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Ort als auch der Zeitpunkt der Geldverteilung waren also genau festgelegt. Auf diese Weise konnte einerseits die Anwesenheit der Gäste gesichert werden, die einen zusätzlichen Anreiz durch das Versprechen einer Geldverteilung erhielten, und andererseits ein besonderer Rahmen des Festaktes durch den räumlichen Bezug zu den Ehrenstatuen des Stifters und seiner Frau geschaffen werden. Das Andenken an den Stifter und dessen Frau fand somit auf sehr verschiedene Weisen statt, und zwar sowohl durch typische Akte der privat-persönlichen Memorialkultur (Schmücken der Statue, Entzünden von Kerzen), als auch durch ostentative festliche Handlungen, die die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gewinnen sollten (Geldverteilung, Circusspiele). Interessanterweise wurde bezüglich der festlichen Handlungen keine Unterscheidung getroffen zwischen denen zu Ehren des Mannes und denen für seine Frau; so ergibt sich aus der Selbstrepräsentation des Ehepaars im Festakt keine höhere Stellung des Ehemannes. Bei den Teilnehmern wurde hingegen nicht zwischen der öffentlichen und privaten Sphäre unterschieden: Bei der Geldverteilung wurden Familienmitglieder (die Ehefrau und zwei Nichten) und gleichzeitig Vertreter des öffentlichen Lebens berücksichtigt, wobei die Familienmitglieder größere Summen erhielten als die städtischen Magistrate. Sowohl durch das öffentliche Auftreten der Familie als auch durch die Bevorzugung bei der Geldverteilung sollten wohl die Rolle, die diese Familie im städtischen Leben spielte, und deren hohe Stellung in der Stadtgemeinschaft sinnfällig zum Ausdruck gebracht werden. Zwei weitere Stiftungen aus Africa proconsularis belegen ebenfalls die Abhaltung von ludi an den Geburtstagen der Stifter: Sowohl Marcus Porcius Dextrianus aus Hippo Diarrhytus als auch Lucius Cornelius Quietus aus Uchi Maius hinterließen dem jeweiligen städtischen Fiskus eine Geldsumme, aus der jährlich ludi und eine sportulae-Verteilung an die Dekurionen finanziert werden sollte.1278 Im spanischen Ebusus hatte ein Stifter 6.000 Denare zur Verfügung gestellt für jährlich an seinem Geburtstag abzuhaltende ludi, die

[Dulc]ae et Restutae filiabus fratris mei pupilabus meis singulis |(denarios) binos ad custod(iam) |(denarios) III ita ut statuas(!) meam et uxoris meae terge/[at et unguat et] coron[et et cer]eos II accendat credo tamen […] pares hanc n(ostram) memoriam vos posterosque vestros libentissimus […]. Zur Finanzierung dieser Stiftungen vgl. Duncan-Jones 1962, 113. 1278 CIL 8, 14334: M(arco) Porcio Fl[ami]nalis fil(io) Quir(ina) / Dext[ria]no [ae]di[l]icio f(lamini) p(erpetuo) qui / s[i]ngula[ritate? …]TEI […]P[…] pa/triae sua[e HS …]I n(ummum) legavit / ita ut ex [usuri]s sestertiorum / ducentorum(!) mil(ia) ludi scae/nici quodannis natali / eius [ede]rentur et decri/o[nib]us singulis sportulae / [|(denarii) qu]ini darentur d(ecreto) d(ecurionum) p(ecunia) p(ublica). CIL 8, 26275: L(ucio) Cornelio Quieto / h(onestae) m(emoriae) v(iro) qui testamen/to suo rei publicae colo/niae Marianae Aug(ustae) Ale/xandrianae Uchitanor(um) / [Ma]iorum per fidei commissum / HS decem mil(ia) n(ummum) reliquit ex cuius / summae usuris quotannis die na/tali eius decurionibus sportulae et / [po]pulo ludi darentur / L(ucius) Cornelius Quietus fl(amen) p(er)p(etuus) filius eius pa/[r]emti(!) optimo sua pecunia fecit et / impetrato ab ordine loco dedicavit.

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offenbar abends oder nachts stattfinden sollten – er hatte zusätzlich für Beleuchtung gesorgt.1279 In einer recht bruchstückhaften Inschrift aus Ostia wurden testamentarisch verschiedene Stiftungen eingerichtet, die neben einer Alimentarstiftung für unterhaltsberechtigte Mädchen und einem dreimal jährlich abzuhaltenden Festmahl auch jährliche Spiele in Gedenken an eine gewisse Aemilia Agrippina umfassten.1280 Noch schwieriger zu rekonstruieren ist ein Text aus dem afrikanischen Gori: Es scheint sich um eine Ehrenstatue gehandelt zu haben, die von den Eltern für ihren Sohn errichtet worden war. Außerdem war wohl eine Geldsumme versprochen worden, aus deren Zinsen ein Festmahl für die Dekurionen und ein Faustkampf finanziert werden sollten. Es lässt sich nur vermuten, dass diese festlichen Handlungen im Zusammenhang mit dem Andenken des verstorbenen Sohnes stattfanden – dass sie aus den Zinsen einer investierten Summe finanziert wurden, lässt immerhin auf eine regelmäßig durchzuführende Veranstaltung schließen. Ob diese im Kontext eines der hier vorgestellten Totengedenkfeste durchgeführt wurde, muss allerdings gänzlich offen bleiben.1281 Auch das munus, das ein curator im afrikanischen Lepcis Magna kraft seines Amtes organisierte, sollte dem Andenken an einen anderen Menschen dienen. Hierbei handelte es sich offenbar um Spiele, die von dem Verstorbenen, einem gewissen Iunius Afrus, testamentarisch gestiftet worden waren, und die nun tatsächlich als eine städtische Veranstaltung (munus publicum) vom zuständigen Magistrat durchgeführt wurden.1282 Im Gegensatz zu dem von den Eltern gestifteten Faustkampf kann das munus in Lepcis Magna als offizielle Ehrung charakterisiert werden und trägt daher ganz andere Züge als die üblicherweise verfügten Feierlichkeiten zum Totengedenken. Eine sehr ungewöhnliche Initiative ist außerdem von Quintus Cominius Abascantus überliefert, einem wohlhabenden Freigelassenen aus Misenum, über dessen umfangreiche

1279

CIL 2, 3664: (…) hic r(ei) p(ublicae) Ebusit(anae) XC milia / num(m)orum legavit ut ex eis / quodannis(!) tributum Romanis / penderetur et ne cives iniquo / tempore tributa pendere / cogerentur reliqua VI milia / funerarentur et ex usuris ludi ederentur quodannis(!) / cum vas(is) lum(inum) nat(ali) eius V / [K(alendas)…]. 1280 CIL 14, 350: […]F[…] // Ag[…] / Fabi Agr[ippini] cons[ulis …] / decurion[um dec]reto col[onorum] / consensu pu[bli]ce quod e[a …] / sestertium […] centen[a milia n(ummum)] / testament[o s]uo deder[at ut ex eius] / summae usu[ris p]uellae [alime]ntar[iae] / centum alerentu[r e]t […] Maia[s …] / quod annis ludi eder[entur in] memori[am] / Aemiliae Agrippinae […] suae [et] / [t]er in ann[o] decurio[nes c]enar[ent…]. 1281 ILTun, 769: Urani / G(aio!) Mario Caelestino […] / decurion(i) c(i)v(i)ut(is)(!) (G)oritanae / Maria […]C[…] mater et Marius / […] pater filio piissimo statuam / […]S cuius dedicationem / […]r P() |(denarios) mille pol(l)icitus / est […] ex reditu eorum / […] quamdiu […]duum / […] pugile […] / […] / et epulum decurionibus […] / et post D[…] sua […] / P[…] / ita ab […] / [l(ocus) d(atus) d(ecreto)] d(ecurionum). 1282 IRT 601b: (…) et proxime cum ad munus publ(icum) / [e]x t(estamento) Iuni Afri c(larissimae) m(emoriae) viri edendum curator e/le[c]tus esset sollicitudini laboriq(ue) suo non pe/percerit et observata amplissimi senatus / voluntate splendidissime munus edi curaveri[t] / (…).

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Stiftungstätigkeit eine dreiteilige Inschrift detailliert Auskunft gibt.1283 Eine Seite der Inschrift befasst sich hierbei mit den festlichen Handlungen, die nach seinem Tode am Grab durchgeführt werden sollten. Den typischen Elementen zum Totengedenken entsprechend trug er Sorge für den Schmuck des Grabes mit Veilchen und Rosen, und er verfügte, dass Nardenbalsam, ein äußerst kostspieliges, wohlriechendes Öl, über dem Grab ausgegossen werden sollte. Darüber hinaus sollte anlässlich der Parentalien jährlich ein Ringkampf mit zehn Paar Ringern an seinem Grab stattfinden, wobei er zudem das Preisgeld für Sieger und Besiegte, das für den Kampf benötigte Öl sowie die erforderlichen Sklaven und die Bezahlung für den Unternehmer des Ringkampfes exakt festgesetzt hatte. Doch damit nicht genug: Im Triclinium, das sich über dem Grab befand,1284 sollte zugleich ein Festmahl für den Magistrat und die curatores des Augustalenkollegiums ausgerichtet und außerdem ein Opfer für den Verstorbenen abgehalten werden.1285 Abascantus versuchte also, sowohl die Anwesenheit der wichtigsten Vertreter der Stadtgemeinschaft (Magistrat) und der Augustalen (curatores) zu sichern, als auch ein sehenswertes Spektakel an seinem Grab zu inszenieren, das die Aufmerksamkeit größerer Teile der Bevölkerung auf sich ziehen sollte. Die Zuschauer des Faustkampfes konnten zugleich Zeuge davon werden, wie sich die städtische Elite zum Festmahl am Grab des Stifters einfand. Abascantus dürfte auf diese Weise mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen haben: Zum einen konnte er sicher gehen, dass auch nach seinem Tode sein Andenken dauerhaft gesichert blieb.1286 Zum anderen wurden trotz seines libertinen Status sein Ansehen und seine außergewöhnliche Stellung von den wichtigsten Gruppen der Stadt regelmäßig offiziell bestätigt.1287 Mit dieser Feststiftung erscheint Quintus Cominius Abascantus auf den

1283

AE 2000, 344. Vgl. Teil 2, Kapitel 2.1.4. Schrumpf geht davon aus, dass der Speiseraum in einem oberen Stockwerk des Grabbaus untergebracht war. Schrumpf 2006, 113. Denkbar wäre auch, dass das Grab tiefergelegt war, und das Festmahl somit direkt am Grab stattfand. Dies würde nicht zuletzt Trankopfer durch Libationsröhrchen an den Verstorbenen ermöglichen, wie dies aus anderen Grabbauten belegt ist. Vgl. Heinzelmann 2001b, 188. 1285 AE 2000, 344: (…) item viola exornandis HS XVI n(ummum) itemq(ue) rosa or/nandis HS XVI n(ummum) et ad cepotafium meum quod annis die Parenta/liorum luctatorib(us) paribus decem in eo loco victoribus sing(ulis) HS VIII / superatis sing(ulis) HS IIII n(ummum) oleum HS XVI n(ummum) vernis HS LX n(ummum) conducto/ri harenae HS VIII n(ummum) sepulcro exornando viola HS XVI item ro/sa HS XVI n(ummum) et super reliquias meas nardum p(ondo) libra HS XXIIII [ef]/fundi et epulari volo magistratus qui tunc erunt ea die in triclin(i)o quod est super sepulcrum et curatores Augustali/um qui tunc erunt inpendique HS C n(ummum) et ea die sacrificio / mihi faciundo HS LX n(ummum) (…). 1286 Schrumpf interpretiert die meisten Posten der Stiftung als „Öffentlichkeitsarbeit“ und sieht letztlich nur das Opfer des Nardenöls als „reine Totenfürsorge“. Schrumpf 2006, 115. Dies ist m.E. zu einseitig, stellten doch der Schmuck des Grabes mit Blumen, ein Mahl zu Ehren des Toten und Leichenspiele traditionelle Gesten des Totengedenkens dar. Dass es Abascantus zugleich darum ging, den Totengedenkfeierlichkeiten einen möglichst offiziösen und aufsehenerregenden Rahmen zu verleihen, lässt sich freilich nicht bestreiten. 1287 Schrumpf schätzt die Stiftungen des Abascantus als „durchschnittlich“ ein und geht angesichts der zur Verfügung gestellten Summe davon aus, dass es sich u.a. um „zweitklassige Ringer“ handelte. 1284

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ersten Blick als reichlich exzentrischer Sonderfall,1288 doch vielleicht war es kein Zufall, dass er sich ausgerechnet für einen Ringkampf am Grab entschieden hatte. Erst kurz zuvor hatte Kaiser Antoninus Pius Spiele in Puteoli zu Ehren seines verstorbenen Vorgängers Hadrian eingerichtet; und zwar unter dem Namen Eusebeia athletische Spiele im griechischen Stil.1289 Die Stiftung des Abascantus könnte somit an das kaiserliche Vorbild angeknüpft haben – eine Geste, aus der sich möglicherweise durch den Bezug auf den Kaiser weiteres Prestige schlagen ließ. Obwohl Gladiatorenkämpfe ursprünglich wohl im Zusammenhang mit dem Totenkult standen,1290 war es anscheinend im Prinzipat eher ungewöhnlich, diese als festliche Handlungen für die Totengedenkfeiern zu stiften. Die Stiftung des Abascantus stellt das einzige Beispiel dar für Schaukämpfe, die anlässlich der Parentalien am Grab abgehalten werden sollten. Für die Gladiatorenkämpfe, die in Auximum verfügt wurden, lässt sich nur vermuten, dass diese am Geburtstag abgehalten werden sollten, und das munus publicum, das in Lepcis Magna durchgeführt wurde, muss wie erläutert als öffentliche Ehrung und nicht als regelmäßige Stiftung einer Totengedenkfeier interpretiert werden. In den Beispielen aus Auzia und Ostia wurden ludi und keine munera gestiftet, was im Kontext von Totengedenkfeiern eher unüblich war. Außerdem gilt es zu beachten, dass allein fünf der hier vorgestellten neun Inschriften zur Veranstaltung von Spielen aus den afrikanischen Provinzen stammen, für die sich die im italischen Raum üblichen Totengedenkfeiern kaum nachweisen lassen und daher wohl ein anderer Kontext bzw. andere Traditionslinien angenommen werden können. Der jeweilige soziale Hintergrund der Stifter von Totengedenkfesten war sehr divers. Vertreter der reichsweiten und munizipalen Oberschichten sind mit jeweils neun Mitgliedern der Reichsaristokratie und der städtischen Oberschicht relativ schwach repräsentiert. Auch Stifter mit libertinem Hintergrund lassen sich mit vier Augustalen und fünf Freigelassenen wenig belegen. Bei 15 Stiftungen waren Frauen beteiligt, womit der Anteil an

Ebd., 116 und 118. Dies widerspricht aber zum einen dem Befund, dass es sich bei Abascantus um einen mit den ornamenta decurionalia ausgezeichneten Freigelassenen handelte, dessen Status mit dieser Auszeichnung der munizipalen Elite angeglichen wurde, und zum anderen der Sachlage, dass die von ihm gestiftete, für die Totenfeierlichkeiten aufzuwendende Summe von 10.000 Sesterzen eher im oberen Bereich der ansonsten verfügten Geldsummen anzusiedeln ist. 1288 Dass es in einigen Kulturen immer noch Tendenzen gibt, durch öffentlichkeitswirksame Initiativen am Grab Aufmerksamkeit und Prestige für den Verstorbenen und dessen Familie zu erlangen, zeigt ein Beispiel aus China: Dort wird offenbar seit mehreren Jahren versucht, die am Grab durchgeführten Strip-Shows einzuschränken. Vgl. Strittmatter 2015 und http://www.welt.de/vermischtes/article140042086/Die-Grab-Stripper-und-die-Nummer-mit-derSchlange.html, zuletzt aufgerufen am 29.07.2016. 1289 D’Arms 2000b, 138. 1290 Ville 1981, 9-19; Wesch-Klein 1993, 41.

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weiblichen Akteuren erstaunlich hoch liegt. In drei Fällen beruhte die Einrichtung eines Totengedenkfestes auf der Initiative des ordo bzw. der Bürgerschaft (cives), in einem Fall auf der eines Vereins. In den meisten Fällen kann die soziale Stellung der Stifter jedoch nicht ermittelt werden, da entweder nur der Name angegeben ist – in elf Beispielen lässt zumindest die angegebene Filiation auf einen römischen Bürger schließen –, oder weder Name noch Ämter des Stifters erhalten sind. Dieser Befund legt trotz der vagen Zahlenverhältnisse nahe, dass es nicht primär die Mitglieder der Eliten waren, die sich mittels der Stiftung von Totengedenkfesten zu profilieren suchten, sondern vielmehr einfachere Bürger, Einwohner und Freigelassene, denen sich hier im Kleinen die Möglichkeit bot, das eigene Andenken zu sichern und durch die aufgewendeten Mittel und besonderen Bestimmungen vielleicht etwas Ansehen zu gewinnen. Etwas anders scheint sich die Sachlage in den afrikanischen Provinzen gestaltet zu haben: Von den 14 Stiftungen zum Totengedenken, die sich aus diesen Regionen finden, wurden sechs von Mitgliedern der Oberschicht getätigt. Tendenziell wurden dort derartige Stiftungen offenbar häufiger von den Eliten genutzt, um das eigene Andenken nach dem Tod zu sichern, während die breite Bevölkerung sich weniger stark engagierte – wohl auch, weil die ‚klassischen‘ Totengedenktage, die sich für den italischen Raum belegen lassen, dort nicht vertreten waren und vielleicht die entsprechenden Traditionen fehlten.1291 Auch die für die Totengedenkfeiern aufgewendeten Geldsummen zeichnen ein sehr diverses Bild. Für einfache Trankopfer und Blumenspenden am Grab schien eine Geldeinlage

1291

Allerdings beschreibt Augustinus, dass es zu seiner Zeit in Afrika üblich war, Speisen und Wein zu den Gräbern der Heiligen zu bringen, was deutlich an die im italischen Raum durchgeführten Totengedenkfeste erinnert. Offenbar hatte ein Bischof schließlich versucht, diese Sitte zu verbieten, weil sie zu sehr an heidnische Bräuche erinnerte. Dies lässt vermuten, dass die Totengedenkfeste zumindest im 4. Jahrhundert in Afrika in ähnlicher Weise gefeiert wurden wie in Italien. Aug. conf. 6,2: itaque cum ad memorias sanctorum, sicut in Africa solebat, pultes et panem et merum attulisset atque ab ostiario prohiberetur, ubi hoc episcopum vetuisse cognovit, tam pie atque oboedienter amplexa est ut ipse mirarer quam facile accusatrix potius consuetudinis suae quam disceptatrix illius prohibitionis effecta sit. non enim obsidebat spiritum eius vinulentia eamque stimulabat in odium veri amor vini, sicut plerosque mares et feminas qui ad canticum sobrietatis sicut ad potionem aquatam madidi nausiant, sed illa cum attulisset canistrum cum sollemnibus epulis praegustandis atque largiendis, plus etiam quam unum pocillum pro suo palato satis sobrio temperatum, unde dignationem sumeret, non ponebat, et si multae essent quae illo modo videbantur honorandae memoriae defunctorum, idem ipsum unum, quod ubique poneret, circumferebat, quo iam non solum aquatissimo sed etiam tepidissimo cum suis praesentibus per sorbitiones exiguas partiretur, quia pietatem ibi quaerebat, non voluptatem. itaque ubi comperit a praeclaro praedicatore atque antistite pietatis praeceptum esse ista non fieri nec ab eis qui sobrie facerent, ne ulla occasio se ingurgitandi daretur ebriosis, et quia illa quasi parentalia superstitioni gentilium essent simillima, abstinuit se libentissime, et pro canistro pleno terrenis fructibus plenum purgatioribus votis pectus ad memorias martyum afferre didicerat, ut et quod posset daret egentibus et sic communicatio dominici corporis illic celebraretur, cuius passionis imitatione immolati et coronati sunt martyres.

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von einigen hundert Sesterzen ausgereicht zu haben.1292 Rüpke geht davon aus, dass für ein einfaches Opfer ca. 60 bis 100 Sesterzen benötigt wurden, ein Opfer mit Mahl für eine kleinere Gruppe lag bei etwa 250 Sesterzen und für ein gutes Mahl muss man ca. 20 bis 30 Sesterzen pro Kopf ansetzen.1293 Die meisten Stiftungen bewegten sich in einem Bereich von 1.000 bis 5.000 Sesterzen – Summen, aus deren Zinsen sich sicherlich auch die Durchführung eines Festmahls am Grab ermöglichen ließ. 1294 Nach oben waren selbstverständlich keine Grenzen gesetzt: 23 Stiftungen weisen eine investierte Summe zwischen 10.000 und 200.000 Sesterzen auf, und eine Inschrift aus Feltria nennt sogar die ungewöhnlich große Summe von 500.000 Denaren. Diese Summe sollte zu 12% verzinst werden, und aus den daraus resultierenden 60.000 Denaren sollte jährlich ein Festmahl und eine Geldverteilung durchgeführt werden.1295 Über den sozialen Hintergrund des Stifters lässt sich aus dieser Inschrift nichts erschließen, und die festlichen Handlungen bewegen sich mit Festmahl und Geldverteilung durchaus im üblichen Rahmen. Dies ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die von Quintus Cominius Abascantus verfügten Akte (Schmuck des Grabes, Nardenbalsam, das Festmahl für Magistrat und curatores der Augustalen sowie der Ringkampf am Grab) aus den Zinsen von 10.000 Sesterzen bestritten wurden. Für die Parentalien standen hierbei jährlich lediglich 420 Sesterzen zur Verfügung – eine im Vergleich zu den 60.000 Denaren geradezu lächerliche Summe.1296 Dies zeigt, dass nicht nur je nach gestifteten festlichen Handlungen sehr unterschiedliche Geldsummen aufgewendet wurden, sondern auch weitere Faktoren eine Rolle spielten, wie aufwändig die Stiftung ausgestaltet wurde, wobei nicht zuletzt Anzahl und Ansehen der Adressaten von Bedeutung gewesen sein dürften. Zudem stellt sich bei einigen Stiftungen die Frage, ob nicht neben den genannten festlichen Handlungen noch weitere 1292

CIL 3, 3893: 200 Denare für Blumenschmuck; CIL 5, 2090: 800 Sesterzen für Rosen und Speiseopfer; CIL 5, 2315: 400 Sesterzen für Rosen und Speisen; CIL 5, 5878 und CIL 5, 7450 : 400 Sesterzen für Rosen. 1293 Rüpke 2005, 1463. 1294 AE 1991, 823: 1.000 Sesterzen für Opfer; CIL 5, 2072: 2.400 Sesterzen für Weihrauch, Wein, Fleischspeise; CIL 5, 4015: 2.000 Sesterzen für Rosen und Speisen; CIL 5, 4017: 4.000 Sesterzen für Rosen und Speisen; CIL 11, 132: 1.000 Sesterzen für Blumen und Festmahl; CIL 11, 5047: 1.000 Sesterzen Festmahl; CIL 14, 246: 4.000 Sesterzen für Festmahl. Nichtsdestotrotz finden sich einige Stiftungen in diesem Bereich, die nur Blumenschmuck oder Trankspenden erwähnen: NIVerona 7: 2000 Sesterzen für Rosen; CIL 5, 6363: 1000 Sesterzen für Blumen; CIL 5, 4410: 1000 Sesterzen für profusiones; CIL 5, 4488: 2.000 Sesterzen und Einkünfte aus Tavernen für profusiones; CIL 5, 5907: 400 Denare für Kränze und profusiones.; AE 1954, 168: 5.000 Sesterzen für Schmuck der Statue und Geldverteilung. 1295 D 9420: Severo et Rufino co(n)ss(ulibus) / V K(alendas) Sept(embres) / acceperunt coll(egia) fab(rorum) et cc(entonariorum) / |(denariorum) quingentamilia computata / usura anni uni(us) centensima(!) u[n]a / |(denariorum) LX(milia) de qua usura per singulos an(nos) / die V Idu(s) Ian(uarias) natale ipsius ex usura s(upra) s(cripta) / at(!) memoriam Hos(tili) Flaminini refriger(are?) / SEIII debunt et IIIIvir(i?) et sex princ(ipales?) / et off(iciales?) pub(lici?) spor(tularum) no(mine) aureos den(os) et sil(iquam) / sing(ulam) neicnon et per ros(am) at(!) memor(iam) eius / refrigerar(e?) deveb(unt!) n(ummis?) CCCLXII. 1296 AE 2000, 344.

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durchgeführt wurden, die in der Inschrift nicht aufgeführt wurden: So ist es kaum vorstellbar, dass in einer Inschrift aus Montalcino eine Summe von 8.000 Sesterzen lediglich für Lampenöl aufgewendet werden sollte.1297 Auch die Zinsen der investierten 200.000 Sesterzen, aus denen jährlich crustulum et mulsum für die Bevölkerung von Minturnae und Casinum zur Verfügung gestellt werden sollten, dürften hierfür mehr als ausreichend gewesen sein.1298 Insgesamt beruhen 67 der hier erfassten Inschriften auf einer zu verzinsenden Geldeinlage; in weiteren 12 Fällen wurden Ländereien oder Häuser übertragen, aus deren Einkünften die Totengedenkfeste finanziert werden sollten – recht beliebt waren etwa die Erträge aus Weinbergen.1299 In einem Beispiel wurden beide Finanzierungsmodelle miteinander kombiniert, indem 2.000 Sesterzen an die collegia fabrum et centonariorum vermacht wurden, und dem collegium centonariorum zusätzlich – wohl als Sicherheit – tabernae mit cenaculi zugeeignet wurden.1300 Unabhängig davon, ob die Stiftung durch eine investierte Geldsumme oder durch die Überschreibung von Gütern ermöglicht wurde, vermachte in beiden Fällen der Stifter einen Teil seines Vermögens, um die gestifteten Festakte regelmäßig und auf möglichst lange Dauer zu sichern. Eine Ausnahme stellt das testamentum Lingonis dar: Hier setzte der Stifter fest, dass seine Freigelassenen und verschiedene Familienmitglieder jährlich eine bestimmte Summe entrichten sollten, aus der die Nahrungsmittel für das Opfer und Festmahl zum Totengedenken beschafft wurden.1301 Da er diesen Personen sicherlich zugleich einen Großteil seines Vermögens vererbt hatte, dürfte diese Regelung finanziell wohl keinen allzu großen Unterschied für seine Angehörigen und Freigelassenen gemacht haben.1302

1297

CIL 11, 2596: L(ucius) Granius Pudens veter(anus) / ex coh(orte) VII pr(aetoria) d(at) |(denarios) VIII(milia) d(onum) p(osuit) / ut gens eos |(denarios) in usu/ris dent et die n(atali) festo / sollemne oleum in / lucerna quem dedi / d(e) p(roprio) ex usuris praes/tetur d(eo) I(nvicto) M(ithrae). 1298 CIL 14, 2827: Corelliae C(ai) f(iliae) Gallae Papianae / uxori C(ai) Corelli N(umeri) f(ilii) Fab(ia) / quae testamento dedit coloniae / Menturnensi(um) HS C(milia) et municipio Casini HS C(milia) / ita uti VII Idus Mart(ias) natali suo / quodannis crustulum et mulsum detur / ex testamento fieri iussit HS C(milia). 1299 CIL 3, 14493; CIL 12, 1657; CIL 13, 2465; 2494. 1300 CIL 5, 4488: (…) qui legaverunt / coll(egiis) fabr(orum) et cent(onariorum) / HS n(ummum) II(milia) et (h)oc ampliu(s) / tabernas cum cenac(ulis) / coll(egio) centonariorum / quae sunt in vico Herc(ulio) / (…). 1301 CIL 13, 5708: (…) omnes autem liberti mei et liber[tae] / quos et vivos et quos hoc testamento manumisi stipem conferant / quotannis singul[i nummos sing(ulos) et] Aquila nepos meus et [h(eres) eius] pr[a]estet quotanni[s] / [n(ummos) …] ex quibus edulia [quiq(ue) sibi] paret et potui quod profan[e]tur infra ante ce[l]/lam memoriae quae est Litavicrari et ibi consumant (…). 1302 Außer, es fiel eine Erbschaftssteuer an, dann wäre die Einrichtung einer Stiftung sinnvoller gewesen. Da jedoch nicht klar ist, ob die Betroffenen unter römisches Bürgerrecht fielen, und nahe Verwandte ohnehin ausgenommen waren von einer Besteuerung des Erbes, dürfte dies für das testamentum Lingonis nicht relevant sein. Zur Erbschaftssteuer vgl. Wesch-Klein 1989, 193-196.

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In den meisten Fällen wurden die Totengedenkfeste gestiftet, um das eigene Andenken nach dem Tode zu sichern. Es existieren aber auch Beispiele, bei welchen Initiativen für andere Personen eingerichtet wurden. So lag es natürlich nahe, Familienmitglieder ebenfalls mit derartigen Stiftungen zu bedenken, wie den Ehemann1303 bzw. die Ehefrau,1304 die Eltern,1305 Schwiegereltern,1306 Geschwister1307 oder die Kinder,1308 was einmal mehr den familiären Charakter der Totengedenkfeste unterstreicht. Im Extremfall konnte ein Familienmitglied sogar in einer Privatdeifikation auf göttliche Weise verehrt werden.1309 Davon abgesehen finden sich auch zwei Inschriften, in welchen das Andenken des Patrons geehrt wurde: So vermachte Lucius Ogius Patroclus Gärten und ein Gebäude an das collegium centonariorum, damit sie aus den Einkünften Rosen und Speisen erwerben und für ihn und seinen Patron darbringen konnten.1310 In Mediolanum stiftete eine Frau namens Petronia Myrsile 400 Sesterzen an die possessores vici Bardomagi, also an die Besitzenden in Bardomagus, einen vicus von Mediolanum. Diese sollten die Grabherme ihres Patrons Caius Petronius Iucundus instand halten und jährlich mit Rosen schmücken.1311 In seltenen Fällen erfolgte sogar ein offizieller Beschluss der Stadtgemeinschaft, Totengedenkfeiern für eine Person abzuhalten, was sicherlich als besondere Ehre galt. Die cives von Bergomum verfügten etwa, das Abbild des Ritters Publius Marius Lupercianus als Dank für seine Verdienste „stets mit Hochachtung zu verehren“.1312 Hier ist zwar kein konkretes Totengedenkfest genannt, doch ist anzunehmen, dass es beispielsweise am Geburtstag des Geehrten zu festlichen Handlungen an dieser Statue gekommen sein dürfte. In Ostia hatte ursprünglich der Vater des hochangesehenen Ritters Fabius Hermogenes anlässlich der von diesem ausgeübten Ämter 50.000 Sesterzen gestiftet, aus deren Zinsen jährlich am Geburtstag des Sohnes eine Geldverteilung stattfinden sollte. Als Fabius Hermogenes offenbar noch in jungen Jahren verstarb, wurde er von der Stadt mit einem funus publicum und einer Reiterstatue geehrt, und außerdem beschloss der ordo decurionum in Anwesenheit des Vaters, weiterhin am Geburtstag des Fabius Hermogenes sportulae auf

1303

CIL 5, 4489, 4990. AE 1958, 144; CIL 5, 4015; 4410; 4448; 7357; CIL 11, 132. 1305 CIL 5, 2315; 4015; 4017; 7450. 1306 CIL 5, 4990, 7357. 1307 CIL 11, 132. 1308 CIL 5, 4990; 4448; CIL 14, 353. 1309 Vgl. Teil 2, Kapitel 2.2.4. 1310 CIL 5, 2176: L(ucius) Ogius / Patroclus / secutus / pietatem /col(legii) cent(onariorum) / hortos cum / aedificio huic / sepult(o) [[a]] iunctos / vivos donavit ut / ex reditu eor(um) lar/gius rosae et esc(a)e / patrono suo et / quandoque sibi / ponerentur. 1311 CIL 5, 5878: C(aio) Petronio Iucu[ndo] / VIvir(o) sen(iori) / Petronia Myrsile patrono / quae HS CCCC leg(avit) possessoribus / vici Bardomag(i) in herm(am) / tuend(am) et rosa quodannis / ornandam. Vgl. Nilsson 1914, 1113 mit dem Hinweis, dass es sich um eine Grabherme handelte. 1312 CIL 5, 5128: (…) censuerunt / ut effigiem illius perpetua / veneratione celebrarent / (…). 1304

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dem Forum vor dessen Ehrenstatuen zu verteilen.1313 Hier wurde also offenbar die private Initiative des Vaters aufgegriffen, um den Sohn – und indirekt auch den Vater – nach seinem Tode auf ähnliche Weise weiterhin zu ehren. In ihrer Art einzigartig sind die Ehrungen, die in Herculaneum vom ordo für den Senator Marcus Nonius Balbus beschlossen worden waren. Unter anderem sollte an dem für ihn errichteten Marmoraltar, in welchem seine sterblichen Überreste bestattet worden waren, jährlich an den Parentalien eine Prozession ihren Ausgang nehmen.1314 Diese Inschrift stellt nicht nur den einzigen Beleg für eine pompa am Fest der Parentalien dar, sondern zeugt damit zugleich von einem öffentlichen Festakt an einem sonst eher im familiär-privaten Bereich angesiedelten Gedenkfest. Indem sich die Stadtgemeinschaft feierlich zu einer Prozession – was in der Regel eine sozial geordnete, repräsentative Aufstellung mit Rangabzeichen beinhaltete – am Grabaltar des Balbus einfand, wurde er als herausragender Bürger öffentlich ausgezeichnet. Sicherlich wurden ihm auch zu diesem Anlass die an den Parentalien üblichen Totenopfer dargebracht, womit den rituellen Akten am Grab, die eigentlich von der Familie durchgeführt wurden, hier ein dezidiert öffentlicher Charakter zukam. Nicht nur durch die ungewöhnliche Aufstellung des Grabaltars an einem prominenten Ort innerhalb der Stadt sondern auch durch die dort jährlich vollbrachten Festakte wurde die überragende Stellung des Balbus immer wieder öffentlich zelebriert und ihm ein Platz in der öffentlichen Erinnerungslandschaft der Stadt zuerkannt. Wohin die Prozession ziehen sollte, wird in der Inschrift nicht erwähnt, doch lässt sich vermuten, dass die versammelten Bürger geschlossen zu den Gräberstraßen zog, um dort weitere Festhandlungen der Parentalien zu verrichten – zumindest die Bürger, die dort über einen Grabplatz verfügten. Ebenfalls nicht ersichtlich ist, ob es sich bei der pompa um ein neues Festelement handelte, das zu Ehren des Balbus eingeführt worden war, oder ob es bereits eine längere Tradition darstellte, an den Parentalien gemeinsam zu den Gräbern zu ziehen, und Balbus damit geehrt wurde, dass die Prozession nun von seinem Grabmonument den Ausgang nehmen sollte. Bei Cicero findet sich immerhin eine Passage, die andeutet, dass sich an den Paren-

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CIL 14, 353: (…) hunc splendidissimus ordo dec[urionum f(unere) p(ublico)] / honoravit eique statuam equestre[m cum in]/scriptione ob amorem et industria[m] / in foro ponendam pecun(iam) publ(icam) decr[evit] / inque locum eius aedil(i) substituendum […] / putavit in solacium fabi pat[ris] / qui ob honores ei habitos HS L m(ilia) n(ummum) / dedit ex quorum usuris quincunci[bus] / [quot]annis XIII Kal(endas) Aug(ustas) die natali eius dec[urionibus] / [si]ngulis |(denarii) V dentur et decuri[alibus] / [ce]raris |(denarii) XXXVII s(emissem) libraris |(denarii) [XXXVIIS] / li[ctor]ibus |(denarii) XXV[…] // In aede Romae et Augusti placu[it] / ordini decurionum praesente / Fabio patre uti sportulas / die natal(i) Hermogenis fili(i) / eius praesentibus in foro ante / statuas ipsius dividi / stipulatione interposita. 1314 AE 1947, 53: (…) item eo loco quo cineres eius conlecti sunt aram marmoream fieri et constitui […] exque eo loco parentalibu(s) pompam duci (…). Vgl. zu dieser Inschrift Teil 2, Kapitel 3.3.

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talien die gesamte Stadtgemeinschaft zu den Gräbern begeben hatte1315 – ein gemeinsamer Zug dorthin in Form einer Prozession wäre demnach auch für diesen Fall nicht abwegig. So oder so stellt die Tatsache, dass das Grab des Nonius Balbus der Ausgangspunkt der Prozession und nicht ihr Ziel war, und er damit wahrscheinlich jedes Jahr der erste Verstorbene war, an dessen Grab die Totenopfer an den Parentalien begangen wurden, einen besonders feinen Kniff dieses außergewöhnlichen Ehrenbeschlusses dar, der in einmaliger Weise von der herausragenden Stellung dieses Bürgers zeugt. Nicht zuletzt konnte so erreicht werden, dass die Ehrung des Balbus jährlich im Fest immer wieder aktualisiert und ihm über den Tod hinaus wiederholt Prestige zugeschrieben wurde. Dass es möglicherweise in verschiedenen Orten üblich war, an Totengedenktagen kollektiv zu den Gräbern zu ziehen, wirft zudem Licht auf einen weiteren Aspekt der hier erfassten Stiftungen: So stellt sich gerade bei der Einsetzung beliebter Vereine als Empfänger die Frage, ob die in der Stiftung beschlossenen Bestimmungen tatsächlich auch durchgeführt wurden, insbesondere, wenn die zur Verfügung gestellten Summen eher gering waren und keine Anreize durch besondere festliche Handlungen geboten waren. Fand sich jedoch an den Totengedenkfesten die gesamte Bevölkerung in einem gemeinsamen Akt an den Gräbern ein, dürfte es ein gewisses Maß an Sozialkontrolle gegeben haben, denn auf diese Weise war gesichert, dass die festlichen Handlungen am Grab wahrgenommen wurden.1316 Auch die Stiftung des Quintus Cominius Abascantus fügt sich gut ein in dieses Bild: Das repräsentative Festessen und der Ringkampf am Grab machen natürlich nur Sinn, wenn das entsprechende Publikum vor Ort gegeben war – hier wäre es also ebenfalls gut denkbar, dass sich die Stadtbevölkerung ohnehin größtenteils bei den Gräbern befand. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum Stiftungen zum Totengedenken Tendenzen aufweisen, durch einen größeren Empfängerkreis den privat-familiären Rahmen zu sprengen sowie durch besondere festliche Handlungen aufzufallen: Die Stifter konnten in diesen Fällen offenbar davon ausgehen, dass ausreichend Publikum vor Ort war, das den von ihnen geäußerten Anspruch auf Prestige wahrnehmen und anerkennen konnte.

1315 Cicero erwähnt, dass sich die gesamten Bewohner von Nora zu den Parentalien aus der Stadt entfernt hatten, wie es der Brauch war (suo more). Man kann davon ausgehen, dass sie sich zu den Gräbern begeben hatten, die normalerweise an den Straßen, die aus der Stadt hinausführten, lagen. Cic. Scaur. 11: quae quidem suspicio valuit etiam plus ob hanc causam quod, cum agerent parentalia Norenses omnesque suo more ex oppido exissent, tum illa est a liberto suspendisse se dicta. 1316 Auch heute dürfte in traditionell geprägten Regionen im ländlichen Bayern für einige Menschen die Teilnahme am jährlichen Gräbergang an Allerheiligen dadurch motiviert sein, dass von der Stadtoder Dorfgemeinschaft genau wahrgenommen wird, wer sich zu diesem Anlass am Grab einfindet und wer nicht.

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5. Geburtstag Die Feier des Geburtstags in der Antike war ein weit verbreitetes und sehr beliebtes Fest, das sehr unterschiedliche Facetten aufweist: Private Geburtstagsfeiern wurden mit kleinen Opfergaben, einem Festmahl sowie Geschenken und Glückwünschen von Freunden und Bekannten begangen.1317 Davon abgesehen konnte ein collegium beschließen, den Geburtstag einer angesehenen Person als Ehrung zu feiern. Die Geburtstage der Kaiser wurden natürlich im gesamten Reich als offizielle Festtage aufwändig zelebriert. 1318 Darüber hinaus stellten die Geburtstage von Verstorbenen neben den Parentalien und dem Rosentag eines der zentralen Totengedenkfeste dar.1319 Und schließlich wurde auch der dies natalis von Göttern bzw. Tempeln oder abstrakten Größen, z.B. als Gründungstag von Städten, Vereinen oder Legionen, gefeiert.1320 Im hier zusammengestellten Korpus finden sich neben den oben bereits diskutierten Belegen für die Feier des Geburtstags eines Kaisers insgesamt 105 Inschriften für Geburtstage von Personen und sechs Beispiele für den dies natalis einer Gottheit oder eines Abstraktums. Von den 105 Inschriften betrifft mit 67 Belegen die überwiegende Mehrheit die Feier des eigenen Geburtstags des jeweiligen Stifters; in 23 Fällen wurde der Geburtstag eines Verwandten (Ehemann, Ehefrau, Kinder, Eltern) – teils gemeinsam mit dem eigenen, teils alleine – begangen. In sieben Inschriften wurden Personen mit dem Beschluss, ihren Geburtstag jährlich zu feiern, von Seiten der Stadt oder eines Vereins geehrt. Bei 13 Belegen kann nur vermutet werden, dass es sich um die Feier eines Geburtstags handelte; wird etwa in einer Inschrift ein konkretes Datum für festliche Handlungen genannt, liegt es nahe, dass hier der Geburtstag des Stifters angegeben war. Die Mehrzahl der Belege stammt mit 77 Stück aus dem italischen Raum, 19 Stiftungen finden sich aus den afrikanischen und vier aus den spanischen Provinzen, drei aus Gallien und jeweils eine aus Germanien und Pannonia. Die meisten italischen Geburtstagsstiftungen lassen sich für Latium et Campania belegen (27 Stück), was möglicherweise der guten Überlieferungslage in dieser Region geschuldet sein mag, gefolgt von Umbria (elf) und

1317 Schmidt 1908, 25-31. Einen lebendigen Eindruck hiervon gibt nicht zuletzt eines der sogenannten Vindolanda-Täfelchen, ein Schreibtäfelchen, das bei Ausgrabungen des römischen Heerlagers Vindolanda im heutigen Großbritannien zutage kam, und das die Geburtstagseinladung von Claudia Severa an Sulpicia Lepidina wiedergibt: AE 1987, 747 = Vindolanda 291: III Idus Septembres soror ad diem / sollemnem natalem meum rogo / libenter facias uti venias / ad nos iucundiorem mihi / [diem?] interventu tuo factura si / [venia]s // Sperabo te soror / vale soror anima / nea ita valeam / karissima et have / Cerial[em t]uum saluta Aelius meus [te] et filios salutat. 1318 Vgl. Teil 2, Kapitel 3.2; Schmidt 1908, 60-65. 1319 Vgl. Teil 2, Kapitel 3.4. 1320 Schmidt 1908, 79-83 (zum dies natalis von Städten), 84-125 (zu den Geburtstagen und Tempelstiftungstagen von Göttern).

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Rom (zehn). Norditalien ist mit neun Beispielen relativ gut vertreten,1321 doch insgesamt lässt sich kein so deutlicher Schwerpunkt ausmachen wie für die Totengedenkfeste, und die übrigen Stiftungen zum Geburtstag sind tendenziell im ganzen italischen Raum verbreitet.1322 In 44 der hier erfassten Stiftungen war die Einrichtung einer jährlichen Geburtstagsfeier als Totengedenkfest intendiert.1323 Dies lässt sich entweder daran erkennen, dass der Geburtstag gemeinsam mit weiteren Totengedenkfesten (Parentalien, Rosen-, Veilchentag) gestiftet wurde, für Totengedenkfeste typische Handlungen genannt wurden,1324 oder daran, dass eine Stiftung testamentarisch verfügt wurde.1325 Allerdings lässt sich nicht immer einwandfrei entscheiden, ob eine Einrichtung eines jährlichen Geburtstagsfestes auf einem testamentarischen Beschluss beruhte oder nicht. So sind beispielsweise aus dem afrikanischen Gor zwei sehr ähnliche Stiftungen überliefert: Der decurio Publius Ligarius Potitus ließ der res publica 4.000 Sesterzen zukommen, aus deren Zinsen jährlich an seinem Geburtstag Faustkämpfe, gymnasium und ein Festmahl finanziert werden sollten.1326 Der flamen perpetuus Marius Marinus hinterließ ebenfalls der res publica von Gor 12.000 Sesterzen für eine jährliche Verteilung von sportulae und gymnasium an seinem Geburtstag.1327 Der Zusatz, dass diese Stiftung testamentarisch erfolgte, findet sich jedoch nur bei letzterer Inschrift, weshalb vermutet werden kann, dass der Geburtstag von Marius Marinus erst nach dessen Tode entsprechend gefeiert wurde. Ligarius Potitus hingegen trat offenbar mit seiner Stiftung bereits zu Lebzeiten als Euerget auf, da explizit vermerkt wurde, dass er diese aus Großzügigkeit (ex sua liberalitate) versprochen hatte. Dennoch waren die Grenzen zwischen einer Feier zu Lebzeiten und nach dem Tode wohl fließend, denn er verfügte, dass die festlichen Handlungen zu seinem Geburtstag fortwährend (in perpetuum), und somit auch nach seinem Tode weiter durchzuführen waren. Dieser Zusatz findet sich tatsächlich in zahlreichen Inschriften und es scheint bei vielen Stiftungen,

1321

Venetia et Histria (6), Aemilia (2), Transpadana (1), Alpes Maritimae (1). Etruria (5), Samnium (4), Picenum (4), Bruttium et Lucania (3), Apulia et Calabria (2), Liguria (1). 1323 Vgl. Teil 2, Kapitel 3.4. 1324 Z.B. ein Trankopfer (profusio) in CIL 10, 107 anlässlich des Geburtstags der Tochter. 1325 Dass eine Stiftung testamentarisch verfügt wurde, muss allerdings nicht unbedingt bedeuten, dass sie erst nach dem Tod umgesetzt wurde. So bestimmte Caius Statius Celsus in seinem Testament, dass ein Gebäude errichtet werden sollte, und er ließ es selbst mit einem Festmahl einweihen – es wurde also offenbar noch zu seinen Lebzeiten fertiggestellt. CIL 3, 6359: C(aius) Statius C(ai) f(ilius) / Serg(ia) Celsus (…) t(estamento) p(oni) i(ussit) et epulo / dedicavit. 1326 CIL 8, 12421: Mensur(i) / P(ublio) Ligario Maximi Ligari fil(io) Potito / decurioni et magistrato annuali ci/vitatis suae Goritanae qui ex sua li/beralitate rei publ(icae) suae HS IIII mil(ia) / n(ummum) inferenda repromisit ut ex eius / summae reditum id est usurae X LX / die XVI Kal(endas) Ian(uarias) natalis eius pugili/bus et gymnasio itemque decurio/nibus epulo suo quoque anno in per/petuum ab eadem re p(ublica) insumerentur / (…). 1327 CIL 8, 12422: Mario Marino Felicis fil(io) / fl(amini) p(er)p(etuo) ob insignem in patria et ci/ves suos liberalitatem qui testamen/to suo r(ei) p(ublicae) suae Goritanae HS XII mil(ia) / n(ummum) dedit ex cuius usuris die natali / suo Idibus Septembr(ibus) quod annis / decuriones sportulas acceperent(!) et / gymnasium universis civibus (…). 1322

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die den Geburtstag einer lebenden Person feiern sollten, bereits mitgedacht gewesen zu sein, dass diese auch nach dem Tod weitergeführt wurden und idealiter auf ewig angelegt waren. Auch die bereits vorgestellte testamentarische Stiftung aus dem mauretanischen Auzia ist in dieser Hinsicht von Interesse:1328 Abgesehen von den Circusrennen, die am Geburtstag des Stifters und dem seiner Frau stattfinden sollten, sollte an diesen Tagen eine Geldverteilung an den frisch gereinigten, gesalbten und mit Kränzen geschmückten Statuen des Ehepaars stattfinden, an der neben einigen Personen des öffentlichen Lebens (Dekurionen, Schreiber) zudem die beiden Nichten sowie die Ehefrau des Stifters teilnahmen.1329 Dass die Ehefrau nicht nur an der Geburtstagsfeier ihres Mannes sondern auch an ihrer eigenen anwesend sein sollte, zeigt, dass dieses Fest bereits zu Lebzeiten in dieser Form gefeiert wurde und offenbar keine Unterscheidung getroffen wurde zwischen den verfügten festlichen Handlungen für die Lebenden und die Toten. Dem Stifter scheint es hier primär um eine Kontinuität der Ehrbezeigungen gegangen zu sein, die zumindest zu Lebzeiten seiner Gattin bereits etabliert wurden. Dem Verstorbenen als Di Manes zustehende rituelle Handlungen spielten in der Stiftung hingegen keine Rolle – was nicht heißt, dass diese nicht auch im privaten Bereich durchgeführt wurden. Dieses Beispiel bestätigt die Vermutung, dass in den afrikanischen Provinzen zwar römische Formen der Ehrung von Individuen übernommen wurden und wohl auch äußerst beliebt waren, die italische Memorialkultur der früheren Kaiserzeit in Form der Totengedenkfeste für die Di Manes hier jedoch offenbar keinen Eingang gefunden hatte, sondern vielmehr die bereits eingeführten Ehrbezeigungen auch nach dem Tod in der gleichen Form fortgeführt wurden. In 39 der hier erfassten Inschriften etablierte der Stifter eine Geburtstagsfeier, für die sich kein unmittelbarer Bezug zum Totengedenken ermitteln lässt und die wohl primär der Feier zu Lebzeiten diente – auch wenn eine Weiterführung nach dem Tod vielleicht ebenfalls intendiert war. Von diesen 39 Belegen lassen sich für 11 keine Aussagen über den

1328

Vgl. Teil 2, Kapitel 3.4. CIL 8, 9052: (…) et item Non(is) Aug(ustis) natalis mei edere per magg(istros) s(ui) c(uius)/q(ue) ann(i) circuenses(!) ce[…]es missus sex |(denarios) CXXXV [eadem d]ie ante hora(m) tertia(m) dabuntur sportulae{s} universis / con[dec]urionibus meis et [scri]bis duobus […]B[… de]nario I Clodiae Luciosae uxori meae Cassiae Dulcae et Cassiae / Rest[ut]ae filiabus [fratris] mei pu[pi]labus meis ante basem statuarum tam meae quam / uxoris m[eae singulis |(denarios) bi]n[o]s ad custod(iam) |(denarios) III ita ut statuam meam et uxoris meae tergeat et ungat et coronet et cer(eos) / II accendat item V Iduum Ianuarium natalis Clodiae L[uci]osae uxoris meae edentur per magg(istros) per omnes annos circu/[e]nses(!) ce[…]es missus VI |(denarios) CXXXV eadem die ante horam tertiam ante basem statuarum tam meae quam uxoris meae dabun/[tur] sportulae universis condecurionibus meis et scribis duobu[s … d]enario I Clodiae Luciosae uxori meae Cassiabus / [Dulc]ae et Restutae filiabus fratris mei pupilabus meis singulis |(denarios) binos ad custod(iam) |(denarios) III ita ut statuas(!) meam et uxoris meae terge/[at et unguat et] coron[et et cer]eos II accendat credo tamen […] pares hanc n(ostram) memoriam vos posterosque vestros libentissimus […].

1329

298

sozialen Status des Stifters machen. 15 Fälle beruhten auf einer Initiative eines Mitglieds der munizipalen Oberschicht und vier Stiftungen gehen auf ein Mitglied der senatorischen oder ritterlichen Elite zurück. Weitere fünf Inschriften lassen sich einem Augustalen zuordnen, zwei Stiftungen wurden von einem Freigelassenen getätigt. Im Gegensatz zu den Totengedenkstiftungen, für die sich hinsichtlich des sozialen Hintergrunds der Stifter eine sehr große Spannbreite ausmachen lässt, liegt hier der Anteil der Stifter, die der munizipalen oder reichsweiten Elite zuzuordnen sind, deutlich höher: Knapp 50% der Stiftungen von Feiern anlässlich des eigenen Geburtstags wurden von diesem Personenkreis getätigt. In der Regel bestand die gestiftete Geburtstagsfeier aus einer Geldverteilung (so in 26 Fällen) und einem Festmahl (14 Belege). Weitere festliche Handlungen stellen hierbei die absolute Ausnahme dar: So finden sich zwei Beispiele für eine Verteilung von Nüssen, einmal sollte crustulum et mulsum und einmal Wein zur Verfügung gestellt werden. In einer Inschrift aus dem afrikanischen Gor wurden sogar Faustkämpfe, gymnasium und ein Festmahl für die Dekurionen gestiftet.1330 Insgesamt scheint für die Feier des eigenen Geburtstags also eine relativ standardisierte Festform mit Mahl und Geldverteilung exisitiert zu haben. Finanziert wurden diese Feststiftungen in den meisten Fällen durch zu verzinsende Geldeinlagen und nur in Einzelfällen durch Einkünfte aus einem Landgut bzw. durch den Pachtzins aus einem Grundstück.1331 Die einbezahlten Geldsummen bewegen sich in einem Bereich von 2.000 bis über 100.000 Sesterzen, wobei zehn Stiftungen zwischen 2.000 und 8.000 Sesterzen liegen und 13 eine investierte Summe zwischen 10.000 und 50.000 Sesterzen aufweisen. Die im Vergleich zu den Totengedenkstiftungen recht hohen Summen decken sich mit dem Befund, dass die Stifter tendenziell eher den gesellschaftlichen Eliten zuzuordnen sind. Auch die eingesetzten Empfänger, denen die Geldverteilungen bzw. das Festmahl zugute kommen sollte, lassen darauf schließen, dass es den Stiftern darum ging, der Feier des eigenen Geburtstags einen öffentlichen Rahmen zu geben und den eigenen hohen Status in der Stadtgemeinschaft zu präsentieren: In 13 Inschriften wurden Gruppen des städtischen Lebens (Dekurionen, curiae, plebs etc.) bedacht, 16 Stiftungen wurden im Zusammenhang mit einem Verein und fünf mit den Augustalen getätigt. Für knapp 90% der Geburtstagsstiftungen lässt sich demnach ein öffentlicher oder halböffentlicher Kontext ausmachen; berücksichtigt man nur die Stiftungen, deren Empfänger bekannt sind, liegt der Prozentsatz sogar bei über 90%.

1330

CIL 8, 12421: (…) qui ex sua li/beralitate rei publ(icae) suae HS IIII mil(ia) / n(ummum) inferenda repromisit ut ex eius / summae reditum id est usurae X LX / die XVI Kal(endas) Ian(uarias) natalis eius pugili/bus et gymnasio itemque decurio/nibus epulo suo quoque anno in per/petuum ab eadem re p(ublica) insumerentur / (…). 1331 CIL 10, 1880 und 5853.

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Angesichts dieser Zahlen erhält man den Eindruck, dass die Feier des eigenen Geburtstages ein beliebtes Mittel der städtischen Eilte war, sich selbst in der Stadtgemeinschaft zu profilieren und gezielt die Aufmerksamkeit der wichtigsten Gruppen zu gewinnen. Betrachtet man die Inschriften genauer, erhält man jedoch ein differenzierteres Bild. Erste Hinweise auf den Charakter dieser Stiftungen liefert eine singuläre Inschrift aus Ostia, in welcher diverse Statuen und Ausstattungsgegenstände für ein Vereinsgebäude aufgeführt sind, die von verschiedenen Mitgliedern gestiftet worden waren. Neben Kesseln, Kaiserbildern und Kissen findet sich überraschender Weise auch die Stiftung einer Geldsumme für ein gemeinsames Festmahl am Geburtstag dieses Stifters. 1332 Die Finanzierung einer jährlichen Feier des eigenen Geburtstags wurde hier also analog zur Bereitstellung von Gebrauchsgegenständen oder Kultstatuen als Euergetismus verstanden, als Stiftung, die in erster Linie den Vereinsmitgliedern zugute kam. Auch im samnischen Reate galt die Bereitstellung einer Geldsumme an die Augustalen für ein jährliches Festmahl am Geburtstag offenbar als Verdienst, das dem Stifter hoch anzurechnen war, denn die Augustalen errichteten ihrem Patron Titus Fundilius Geminus als Dank für diese Stiftung sogar eine Ehrenstatue.1333 Hier wurde die Einrichtung einer Geburtstagsfeier in eigener Sache interessanterweise ebenfalls nicht als Versuch wahrgenommen, das eigene Ansehen durch den persönlichen Anlass des Festes zu mehren, sondern als wohltätige Bereitstellung eines Festmahls, von dem die Augustalen profitierten und für das sie sich dementsprechend mit einer Statuendedikation erkenntlich zeigten. Dies lässt sich damit erklären, dass der Status des Stifters, der ja nicht zuletzt Patron der Augustalen war, bereits über dem der übrigen Mitglieder lag und sich Bemühungen seinerseits erübrigten, sich innerhalb der Augustalen noch weiter zu profilieren. Die Stiftung der Geburtstagsfeier stand somit nicht in Konkurrenz zu anderen Initiativen, durch welche die Mitglieder der Augustalen möglicherweise versuchten, ihre Stellung oder ihr Andenken im ordo zu sichern, sondern konnte als Akt der Wohltätigkeit honoriert werden – dass sich der Euerget das ewige Andenken unter den Augustalen bereits verdient hatte, stand spätestens seit der Errichtung der Statue ohnehin nicht mehr zur Diskussion. Es ist sogar durchaus wahrscheinlich, dass sein Geburtstag als Patron bereits vor der Initiierung der Stiftung gefeiert wurde. Dass er nun aus seinem Vermögen die Finanzierung der Geburtstagsfeier übernahm, kam den Augustalen daher sicherlich entgegen. Ihm selbst dürfte es natürlich nicht ungelegen gekommen sein, auf diese Weise erneut als Euerget auftreten zu können und zugleich die jährliche Feier seines Geburtstags und somit sein dauerhaftes Andenken zu sichern. 1332

AE 1940, 62, siehe Teil 2, Kapitel 2.1.7. CIL 9, 4691: T(ito) Fundilio Gemino / VIvir(o) Aug(ustali) mag(istro) iuv(enum) / Augustales / patrono et quinq(uennali) perpetuo / optime merito / hic arcae Augustalium se vivo / HS XX(milia) dedit ut ex reditu eius summae / die natali suo IIII K(alendas) Febr(uarias) / praesentes vescerentur / et ob dedicationem statuae / decurionib(us) et seviris et iuvenib(us) sportulas / et populo epulum et oleum / eadem die dedit.

1333

300

Auch einige weitere Stiftungen legen nahe, dass die Geburtstage angesehener Menschen im Verein offiziell gefeiert wurden. Iulia Felicitas zahlte 5.000 Sesterzen in die Kasse des collegium centonariorum im umbrischen Ameria, aus deren Zinsen an ihrem Geburtstag eine Geldverteilung an die Speisenden (epulantes) durchgeführt werden sollte. Die Formulierung der Inschrift zeigt deutlich, dass sie lediglich die Geldverteilung, aber nicht das Festmahl stiftete, woraus sich schließen lässt, dass das Festmahl an ihrem Geburtstag bereits vor dieser Stiftung stattgefunden hatte.1334 Die Bestimmungen des Ritters Aulus Quinctilius Priscus, einem hochangesehenen Mitglied der städtischen Elite von Ferentinum, müssen in ähnlicher Weise verstanden werden: Priscus verfügte, dass aus den Einkünften mehrerer Grundstücke jährlich an seinem Geburtstag diverse festliche Handlungen durchgeführt werden sollten: Die Bürger (municipes), Einwohner (incolae) und verheirateten Frauen (mulieres) sollten crustulum und mulsum erhalten, die Dekurionen, die auf Triclinien speisten, und ihre Söhne sollten crustulum, mulsum und sportulae in Höhe von acht Sesterzen bekommen, und den seviri Augustales sowie weiteren Personen, die das Recht hatten, an öffentlichen Speisungen teilzunehmen, sollte ebenfalls crustulum, mulsum und acht Sesterzen zugeteilt werden. Außerdem sollten die Männer im privaten Triclinium des Stifters (in triclin(io) meo) einen zusätzlichen Sesterz erhalten. Ein weiterer Teil der Geldsumme sollte für den Schmuck der Ehrenstatue und der Bilder des Stifters aufgewendet werden. Schließlich sollten die Jungen aus dem Volk (pueri plebei) ohne Unterschied Nüsse erhalten und an die Kinder der städtischen Elite sollten aus Wein zubereitete Getränke ausgeschenkt werden.1335 Aus diesen Verfügungen geht hervor, dass offenbar zwei Festmähler anlässlich des Geburtstags des Aulus Priscus stattfanden: Erstens speisten die Dekurionen auf Speisesofas, die wahrscheinlich im öffentlichen Raum aufgestellt wurden.1336 Da die seviri Augustales und die übrigen Personen, die zu anderen öffentlichen Anlässen an Speisungen teilnehmen durften, ebenfalls berücksichtigt wurden und diese zudem die gleichen Zuteilungen beka-

1334

CIL 11, 4391: (…) et hoc amplius / arkae eorum intul(it) HS V m(ilia) n(ummum) / ut die natalis sui V Id(us) Mai(as) / ex usuris eius summae epu/lantes im(!) perpetuum divider(ent) / (…). Slater weist zu Recht darauf hin, dass die Lesung in der Inschrift wahrscheinlich epulantib(us) sein müsste: Slater 2000, 113, Anm. 31. Zu Geldverteilungen bei öffentlichen Festmählern vgl. ebd., insbes. 112116. 1335 CIL 10, 5853: (…) ex quor(um) reditu de HS IV m(ilibus) CC / quod annis VI Id(us) Mai(as) die natal(i) suo perpet(uo) daretur praesent(ibus) / municipib(us) et incol(is) et mulierib(us) nuptis crustul(i) p(ondo) I mulsi hemin(a) / et circa triclin(ia) decurionibus mulsum et crust(ulum) et sportul(a) HS X n(ummum) / item puer(is) curiae increment(is) et VIvir(is) Aug(ustalibus) quibusq(ue) u(na) v(esci) i(us) e(st) crust(ulum) / mulsum et HS VIII n(ummum) et in triclin(io) meo ampl(ius) in sing(ulos) h(omines) HS I n(ummum) et in orn(atum) / statuae et imag(inum) mear(um) res p(ublica) perpet(uo) HS XXX n(ummum) impend(at) arbitr(atu) IIIIvir(um) / aedilium cura favorabil(e) est si puer(is) plebeis sine distinctione liber/tatis nucum sparsion(em) mod(iorum) XXX et ex vini urnis VI potionum / eministration(em) digne incrementis praestiterint. 1336 Slater 2000, insbes. 115f.

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men wie die Dekurionen, ist es gut möglich, dass sich diese Gruppen ebenfalls zu einem öffentlichen Festmahl einfanden, auch wenn dies nicht explizit genannt ist. Zweitens wurden weitere Gäste im Haus des Priscus bewirtet. Ob die Kosten für die Speisung der Dekurionen vom Jubilar getragen oder vielleicht sogar aus der städtischen Kasse gedeckt wurden, geht aus dem Text nicht hervor, doch muss zumindest davon ausgegangen werden, dass dieses Festmahl bereits zuvor durchgeführt worden war, da nichts darauf hindeutet, dass es im Zuge seiner Stiftung neu eingeführt worden war. Mit seiner Stiftung trat Priscus also als Euerget auf, der den Feiernden zusätzliche Gaben (Speisen, Getränke und Geld) zukommen ließ und darüber hinaus den Personenkreis, der bisher am Fest teilnehmen durfte, erheblich ausweitete. Indem er zentrale Gruppen der Stadtgemeinschaft mit in die Feierlichkeiten einband, gelang es ihm, ein großes Publikum zu schaffen, das als Zeuge der zu seinem Geburtstag durchgeführten Festmähler (und sicherlich auch weiterer Ehrbekundungen, wie z.B. eine Rede auf den Jubilar) fungierte und seinen auf diese Weise demonstrierten überragenden Status in der Stadtgemeinschaft anerkennen konnte. Zudem gereichte die feierliche Anwesenheit der wichtigsten Personenkreise der Stadt dem Priscus freilich zu weiterer Ehre. Darüber hinaus konnten Geburtstagsfeiern auch als Gesten des Dankes für eine erfolgte Ehrung eingesetzt werden. Ein Mitglied der munizipalen Oberschicht in Corfinium war gemeinsam mit seinen Kindern vom ordo für seine Verdienste mit dem Patronat ausgezeichnet worden, woraufhin der Geehrte ein öffentliches Festmahl für die Mitglieder des ordo, deren Ehefrauen und Kinder und für das Volk (populus) ausrichten ließ. Als Dank hierfür beschlossen ordo und populus von Corfinium die Errichtung eines Ehrenmonuments für den Stifter und seine Kinder. Anlässlich der Einweihung vermachte dieser wiederum den Dekurionen und dem Volk 50.000 Sesterzen, aus deren Zinsen jährlich eine Geldverteilung an seinem Geburtstag durchgeführt werden sollte, wobei er zusätzlich festlegte, dass die Geldverteilung auf die civitas Sulmonensium übergehen sollte, für den Fall, dass seine Bestimmungen nicht eingehalten wurden. Darüber hinaus stiftete er eine weitere, wohl einmalige Geldverteilung, die offenbar anlässlich der Einweihung des Ehrenmonuments abgehalten wurde.1337

1337

CIL 9, 3160: (…) huius propter morum gravem patientiam maximamque verecundiam / splendidissimus ordo consentiente populo tabulas patrocinales a{h}eneas / liberisq(ue) eius offerri censuerunt qui accepto honore statim / splendidissimum ordinem liberosq(ue) et coniuges eorum sed et populum public(e) / epulantes maximo cum gaudio exhilaravit huius ob merita / ordo populusque Corfiniensium / (!) remunerandam adfectionem quem in singulos universosque cives suos exhibuit / liberisque eius equestris dignitatis pueris ex pecunia publica poni censuerunt / cuius ob dedicationem obtulit decurionibus et universo populo HS L mil(ia) nummum / quae Mammiana vocentur ex cuius summae usuris die natialis eius VII Idus Febr(u)ar(ias) / divisionem percipere possint quod si die praestituto condicioni paritum non fuerit / tunc eius diei divisio ad Sulmonensium civitatem pertinere debebit item dedit / decurionibus discumbentibus et liberis eorum singul(is) HS XXX nummos sevir(is)

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Die Einrichtung der jährlichen Geburtstagsfeier war hier einerseits nur einer von vielen wohltätigen Akten, die der Stifter dem Gemeinwesen zukommen ließ. Andererseits lag es ihm jedoch offenbar sehr am Herzen, dass die Feier tatsächlich durchgeführt wurde und sein Andenken auf diese Weise weitergeführt wurde, da er eine alternative Gruppe mit der Ausführung betraut hatte, sollte die Feier nicht nach seinen Wünschen durchgeführt werden. Der Stifter trat einerseits als freigiebiger Euerget auf, der eine Geldverteilung zugunsten der Allgemeinheit finanzierte, und andererseits zugleich als Agent in eigener Sache, indem er sein ehrenvolles Andenken am eigenen Geburtstag in der Stadtgemeinschaft sichern wollte. Diese Beispiele zeigen, dass die Feier des eigenen Geburtstags zwar den Stiftern die Möglichkeit bot, sich selbst in der Stadtgemeinschaft prestigeträchtig zu inszenieren und das eigene Andenken zu sichern, doch wurden diese Feiern offenbar nicht unbedingt als ‚egoistische‘ Akte der Selbstdarstellung empfunden. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Geburtstage von hochstehenden Mitgliedern der städtischen Elite ohnehin in einem gewissen öffentlichen Rahmen begangen wurden – entweder auf vorheriger Initiative der Stifter selbst oder seiner Klienten und amici, oder sogar auf Beschluss des ordo, um die jeweiligen Personen zu ehren, wobei allerdings entsprechende Beschlüsse des ordo nicht überliefert sind. Das einzige Beispiel, das auf einen mehr oder weniger offiziellen Beschluss für eine Geburtstagsfeier hindeuten könnte, ist eine Inschrift aus Trebula Mutuesca. Aus dieser geht hervor, dass die tricliniares beschlossen hatten, eine Ehrenstatue für Aurelia Crescentia, die Frau des Patrons von Trebula Mutuesca, zu errichten und diese an ihrem Geburtstag einzuweihen.1338 Unter tricliniares sind möglicherweise die Amtsinhaber und Mitglieder verschiedener Körperschaften gemeint, die das Recht hatten, an öffentlichen Speisungen teilzunehmen1339 – damit wäre die Ehrung in der Tat als öffentlicher Akt der Stadtgemeinschaft zu charakterisieren. Insgesamt kann sicherlich davon ausgegangen werden, dass es auch zu Ehrbezeigungen von Seiten der Magistrate kam, wenn Mitglieder der städtischen Elite, wie beispielsweise der Patron der Stadt, ihren Geburtstag feierten. Dass dies keine Spuren im epigraphischen Material hinterlassen hat, könnte darauf zurückzuführen sein, dass derartige Ehrbezei-

Augustal(ibus) / vescent(ibus) singul(is) HS XX numm(os) plebei unversae epulantibus singulis HS VIII nummos l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 1338 CIL 9, 4894: Aureliae Cre[s]/centiae honestissim[ae] / et pudicissim(a)e femin(a)e patro(nae) / co(n)iugi Aureli Felicissimi Pro/x(imi?) e(gregi) v(iri) patroni municipii Trebulan(ae) / Mut(uescae) ob merita et be[ne]ficia saepe / [i]n se conlata statuam ponendam / [i]dem tricliniares decreve/runt / dedicata natali die XVII Kal(endas) Feb(ruarias) / Arriano et Papo co(n)s(ulibus) / l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum). 1339 In Georges 2013, 2, 4813 findet sich für tricliniares die Bedeutung: „die öffentlich zusammenspeisenden Mitglieder aller Körperschaften“.

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gungen selbstverständlich waren und daher nicht explizit in einer Inschrift aufgeführt werden mussten. Indem nun die betreffenden Personen die Kosten für die Feier im Verein oder in der Stadtgemeinschaft ganz oder teilweise übernahmen bzw. weitere Annehmlichkeiten wie eine Geldverteilung stifteten, konnten sie als Euergeten auftreten, die festliche Handlungen finanzierten, von denen die Festgemeinschaft profitierte, indem sie diese nicht mehr selbst zu stellen hatte. Auch die Wortwahl und Ausgestaltung der Stiftungen zur Feier des eigenen Geburtstags unterschied sich nicht von anderen Stiftungen.1340 Analog zu weiteren Wohltaten konnte als Dank für die Einrichtung einer Geburtstagsfeier auch beispielsweise eine Ehrenstatue für den Stifter verfügt werden, wie im Falle des Fundilius Geminus. Umgekehrt konnte eine Geburtstagsstiftung auch als Dank für eine erfolgte Ehrung eingesetzt werden, was ebenfalls nahelegt, dass Geburtstagsfeiern ebenso als euergetische Akte wahrgenommen wurden, wie etwa die Stiftung eines Gebäudes oder einer Geldverteilung zur Einweihung. Angesichts dieser Überlegungen überrascht es kaum, dass die Stiftung von Geburtstagsfeiern, die zu Lebzeiten der Stifter abgehalten werden sollten, eher ein Phänomen der munizipalen und reichsweiten Oberschichten darstellte. Einfache Bürger und Freigelassene waren gelegentlich ebenfalls bemüht, auch ihren Geburtstagen einen gewissen öffentlichen Rahmen zu geben und sich durch die Stiftung einer jährlichen Feier zu distinguieren. So ist aus Ostia eine Liste überliefert von Personen, die Geld einzahlten, um eine jährliche Feier ihres Geburstags wohl im Zusammenhang mit einem Verein zu sichern.1341 Sicherlich war es äußerst erstrebenswert, in diesem Geburtstagsregister durch eine eigene Stiftung aufgenommen zu werden und sich vielleicht sogar mit den höheren der einbezahlten Summen messen zu können. Die Mehrzahl der inschriftlich überlieferten Geburtstagsfeiern, die von Menschen gestiftet wurden, die nicht der finanziellen und sozialen Elite angehörten, betraf allerdings eher das Andenken nach dem Tode. Diese Stiftungen umfassten tendenziell weniger aufwändige und kostspielige Handlungen am Grab und dienten kaum einer prestigeträchtigen Selbstdarstellung als Euerget. Natürlich wurden nicht nur Feste anlässlich des eigenen Geburtstags gestiftet, sondern es finden sich zudem einige Beispiele für Initiativen, die die Geburtstage von Familienmitgliedern berücksichtigten. Eher selten lässt sich die Feier des Geburtstags der Eltern bele-

1340

Ein Stifter aus Tolentinum stellte beispielsweise eine Summe für die schola Augusta des Vereins zur Verfügung und ließ dem Verein eine weitere Summe zukommen für ein jährliches Festmahl an seinem Geburtstag. CIL 9, 5568: Ex s(enatus) c(onsulto) / schola Aug(usta) colleg(ii) fabror(um) / tignuar(iorum) impendi(i)s ipsorum ab in/choato exstructa solo dato ab(!) T(ito) Fu/rio Primigenio qui et dedic(atione) eius HS X(milia) n(ummum) ded(it) / ex cuius summ(ae) redit(u) omnib(us) annis XII K(alendas) August(as) / die natalis sui epulentur. 1341 CIL 14, 326: Nomina eorum qui pecuni[am …] / et quibus dieb(us) natalis e[orum …] / (…); [es folgt die Liste der Geburtstage, Namen der Stifter und deren Geldsummen]; vgl. hierzu Teil 2, Kapitel 2.1.7.

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gen: Ein Stifter aus Picenum stellte die Summe von 100.000 Sesterzen für eine Geldverteilung am Geburtstag seines Vaters und seiner Mutter zur Verfügung.1342 Aus der Inschrift lässt sich nicht erkennen, ob diese Stiftung dem Totengedenken der verstorbenen Eltern galt oder diese zu Lebzeiten ehren sollte, doch lässt sich vermuten, dass hier das Motiv, den Eltern die gebührende pietas als Sohn zukommen zu lassen, im Vordergrund gestanden haben dürfte.1343 Weitaus häufiger sind Stiftungen anlässlich des Geburtstags der Nachkommen zu fassen. In einer eher ungewöhnlichen Initiative aus Africa proconsularis wurden offenbar Circusspiele, eine Geldverteilung und ein Festmahl anlässlich der Geburtstage der Töchter des Stifters organisiert.1344 Weitere fünf Inschriften belegen Stiftungen zur jeweiligen Feier des Geburtstags eines Sohnes. Ein besonderes Interesse an einer öffentlich zelebrierten Geburtstagsfeier des Sprösslings hatte offenbar Caius Torasius Severus, der nicht nur ein Gebäude im eigenen Namen und im Namen seines Sohnes errichten ließ, sondern zudem 250.000 Sesterzen für eine Feier des Geburtstags seines Sohnes zur Verfügung stellte. Aus den Zinsen dieser Summe sollte jedes Jahr eine öffentliche Speisung der Dekurionen sowie eine Geldverteilung an die Bürger (municipes) finanziert werden. Eine weitere Summe von 120.000 Sesterzen wurde darüber hinaus für ein jährliches Festmahl der seviri Augustales und der Priester der Lares Compitales und Augustales bereitgestellt.1345 Dem Vater, dem anschließend für seine Verdienste das Stadtpatronat angetragen wurde, war anscheinend daran gelegen, seinen Sohn in diversen wichtigen Gruppen der Stadtgemeinschaft zu empfehlen und ihm dadurch ebenfalls verschiedene Karriereoptionen zu ermöglichen. Zu eher ungewöhnlichen Mitteln, um den eigenen Sohn ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken, griff Caius Titius Valentinus, ein duumvir aus dem umbrischen Pisaurum: Er stiftete die stolze Summe von 1.000.000 Sesterzen für ein jährliches Festmahl am Geburtstag seines Sohnes, und zudem sollte alle fünf Jahre ein

1342

CIL 9, 5376: […] / Noni Firmanis HS C(milia) ut / ex reditu eorum / [die natalis] patris XV K(alendas) Iulii(!) decurio/[nibus singulis(?) HS] XVIIII et […] / H sex{s}us feminei singuli[s] / HS IIIII n(ummum) [darentur item] / [die nat]ali(s) matris suae IIII / Nonas Iunii(!) decurio[nibus…]. 1343 Vgl. Teil 2, Kapitel 2.2.4 und 2.3. 1344 CIL 8, 22856: […] comensi / […] iussit Circenses / […]AQ palmarum duodenar(um) nata/libus filiarum suarum Vi[ct]orinae / et Macedoniae item sportulas / decurionibus et epulum populo quod / annis dari praecepit bono civi p(ecunia) s(ua). 1345 CIL 11, 4815: C(aius) Torasius C(ai) f(ilius) Hor(atia) Severus IIIIvir i(ure) d(icundo) / augur suo et P(ubli) Mecloni Proculi Torasiani pontif(icis) / fili(i) sui nomine loco et pecunia sua fecit idem / ad celebrandum natalem fili(i) sui in publicum dedit HS CCL(milia) / ex quorum reditu III K(alendas) Sept(embres) omnibus annis decuriones in publico / cenarent et municipes praesentes acciperent aeris octonos item / dedit VIviris Aug(ustalibus) et compit(alibus) Larum Aug(ustorum) et mag(istrorum) vicorum HS CXX(milia) ut ex reditu / eius summae eodem die in publico vescerentur hunc ob merita eius / erga rem publicam ordo decurionum patronum municipi(i) adoptavit.

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Gladiatorenkampf durchgeführt werden.1346 Mit dieser testamentarischen Verfügung versuchte der Vater offenbar, auch nach seinem Tode das Ansehen des Sohnes in der Öffentlichkeit zu steigern und diesem zu einer ähnlich erfolgreichen Karriere zu verhelfen, wie sie dem Vater bereits gelungen war. Dem ebenfalls zur städtischen Elite zugehörigen Caius Flavius Proculeius ging es in seiner Stiftung hingegen mehr darum, das Ansehen seiner Familie zu demonstrieren und für die Nachwelt zu sichern: Er übergab dem ordo und dem Volk von Fabrateria Vetus 25.000 Sesterzen für eine jährliche sportulae-Verteilung am Geburtstag seines Enkels, und als Dank für eine Ehrenstatue ließ er einem Kultverein weitere 4.000 Sesterzen für eine vereinsinterne Geldverteilung zukommen. Da sein Enkel bereits zum Patron der Stadt ernannt worden war, dürften sich karrieretechnische Überlegungen des Großvaters weitgehend erübrigt haben.1347 Abgesehen von privaten Stiftungen einer jährlichen Feier des eigenen Geburtstags oder desjenigen eines Familienmitglieds wurde der Geburtstag von angesehenen Mitgliedern, Gönnern oder Patronen natürlich auch in den entsprechenden collegia gefeiert. Dass das collegium iuvenum die Errichtung einer Ehrenstatue für seinen Patron an dessen Geburtstag beschloss, war nicht nur eine schöne Geste, sondern könnte zudem darauf hinweisen, dass die Bekanntgabe des Beschlusses im Kontext weiterer Ehrenbekundungen und Feierlichkeiten stattfand, die ohnehin zu diesem Anlass durchgeführt wurden.1348 Für andere Vereine ist die regelmäßige Feier der Geburtstage von zu ehrenden Personen nicht zuletzt aus den Vereinssatzungen überliefert: So beging etwa das collegium eborariorum et citriariorum aus Rom nicht nur den Geburtstag des Kaisers Hadrian, sondern auch den eines Gönners, einem Mann namens Iulius Aelianus,1349 der dem collegium das Nutzungsrecht des Vereinsgebäudes übertragen hatte, sowie den Geburtstag von dessen Sohn. Interessanterweise wurden die Geburtstage des Kaisers und der beiden Gönner mit beinahe identischen festlichen Handlungen begangen: Zu allen drei Anlässen fand eine Geldverteilung

1346

CIL 11, 6377: C(aio) Titio C(ai) f(ilio) Cam(ilia) Valentino / aedili q(uaestori) IIvir(o) qui testamen/to colonis coloniae Iul(iae) / Felic(is) Pisaur(i) decies centena / mil{l}ia num(mum) dedit ita ut per sing(ulos) / annos ex sestertiorum CCCC(milium) / usuris populo epulum die / natali Titi Maximi fili(i) eius / divideretur et ex sestertiorum / DC(milium) usuris quinto quoque an/no munus gladiatorium ederetur / plebs urbana. Denkbar wäre auch, dass diese Stiftung dem Totengedenken seines Sohnes diente. 1347 CIL 10, 5654: […] Fl(avio) C(ai) f(ilio) Proculeiano quinq(uennalicio) / viro m(unicipii) F(abrateriae) v(eteris) cur(atori) kal(endarii) novi cur(atori) Formi(anorum?) om/nibus muneribus rei p(ublicae) perfuncto avo / C(ai) Molli Fl(avi) Proculeiani p(atroni) m(unicipii) cuius nomine / HS XXV m(ilia) n(ummum) ord(ini) dec(urionum) et populo donavit / ut di{a}e natalis eius XII Kal(endas) Ian(uarias) omnibus an/nis sportul(a)e dividantur (…). 1348 CIL 10, 5928: (…) collegius(!) i/uvenum patrono dignissimo / ob renovatam(!) ab eo lusus iuve/num quod vetustate temporum / fuerat obliteratum ob quam hon/oris huius oblationem die nata/lis sui eidem collegio V Kal(endas) Oct(obres). 1349 Der Name Aelianus könnte vielleicht darauf hinweisen, dass es sich hierbei um einen Freigelassenen des Hadrian handelte. Für diesen Hinweis danke ich Dr. Florian Forster.

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und ein Festmahl im collegium statt. Vom höheren Status des Kaisers zeugte lediglich, dass die zu seinem Geburtstag verteilte Geldsumme etwas höher angesetzt war.1350 Die cultores Dianae et Antinoi führten in der Liste der Anlässe, zu denen sie Festessen abhielten, sowohl die Geburtstage der im Verein verehrten Gottheiten Diana und Antinoos auf – wobei der ‚Geburtstag‘ der Diana zugleich als dies natalis des Vereins galt1351 –, als auch die Geburtstage vom Patron des Vereins und von einigen seiner Familienmitglieder.1352 Dieses Festverzeichnis zeigt, dass nicht nur zwischen den Ehrbezeigungen für den Kaiser und für einen Gönner (wie im collegium eborariorum et citriariorum) sondern auch zwischen denen für eine Gottheit und ein Ehrenmitglied allenfalls graduell differenziert wurde: Sowohl für die Gottheiten als auch für den Patron und dessen Familienmitglieder fanden Festmähler statt, doch darf davon ausgegangen werden, dass den Gottheiten weitere kultische Ehrungen zukamen, die in der Inschrift nicht explizit genannt sind. In der römischen Welt wurden im Gegensatz zum antiken Griechenland in der Regel keine Göttergeburtstage gefeiert, sondern der Tag, an welchem der Tempel eingeweiht wurde – und dieser konnte auch als dies natalis bezeichnet werden.1353 So finden sich im hier zusammengestellten Quellenkorpus nur wenige Fälle für eine Stiftung von festlichen Handlungen anlässlich des Geburtstags einer Gottheit. Eine Inschrift aus Cumae belegt die von einem Ritter initiierte Feier des dies natalis von Dis Pater, die mit einer venatio mit zehn Sträußen, vier Raubtieren und vier Paar Schwertkämpfern begangen werden sollte.1354 Da es sich bei Dis Pater um eine Gottheit handelte, die eng mit dem griechischen Hades verknüpft war, und Cumae zudem eine griechische Kolonie war, kann die Geburtstagsfeier möglicherweise als Anknüpfung an die im griechischen Raum üblichen Feierlichkeiten interpretiert werden.

1350

CIL 6, 33885: (…) [… item] VIII[I Kal(endas)] Febr(uarias) / [natali Ha]driani Aug(usti) sportulae darentur |(denarii) V et a curatorib(us) praestari pl[a]c(uit) / [panem et] vin[um et] cal(i)dam passive iis qui ad tetrastylum epulati fuerint / [item … natali I]uli Aeliani sportulae ex arca darentur |(denarii) III et a cur(atoribus) / [panem et vinum et caldam pas