Retail in Transition. Verkaufswelten im Umbruch 9783868599916, 9783868597196

Digital technology, new business models, demographic and cultural change, and now the Covid-19 pandemic are shaking up t

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German Pages 236 Year 2021

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Retail in Transition. Verkaufswelten im Umbruch
 9783868599916, 9783868597196

Table of contents :
Inhalts
Vorwort
Einleitung
Grundlagen Forschung
1 Retail in Transition – Verkaufswelten im Umbruch
2 Der Wandel der Innenstädte
3 Perspektiven für deutsche Städte
Resümee
Bibliographie
Autoren
Impressum
Bildnachweis

Citation preview

Retail in Transition

Digitale Technologien, neue Geschäftsmodelle und die in Deutschland seit über einem Jahr andauernde Coronapandemie, gepaart mit einem demografischen wie auch kulturellen Wandel, erschüttern den Einzelhandel. Einerseits bedrohen die stark angestiegenen Umsätze im Onlinehandel den stationären Handel fundamental in seiner Existenz. Andererseits setzen immer mehr Einzelhändler mit Geschäften im Stadtzentrum stärker auf digitale Verkaufskanäle. Entwicklungen wie diese haben tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Städte und das urbane Leben. In diesem Kontext erbrachte caspar.esearch eine systematische Untersuchung, die darauf abzielt, die tieferen Zusammenhänge der Veränderungen im Einzelhandel zu erkennen. Sie gibt vor allem Antworten darauf, wie unsere Stadtzentren und Städte in der Zukunft mit einer veränderten Einzelhandelslandschaft

aussehen könnten. Denn was wir heute in unseren Innenstädten erleben, ist zunächst ein Sterben alter Geschäftsmodelle und -ideen, was dann in zweiter Linie eine Entvölkerung der Einkaufsstraßen nach sich zieht. caspar.esearch ist die Forschungsabteilung des Architekturstudios caspar., die seit 2017 mit führenden Vertretern unterschiedlicher Interessensgruppen und Experten über die Zukunft der Innenstädte im Dialog steht. Unser Ziel ist es, die nötigen Kenntnisse für den anstehenden Wandel in unseren Städten zu erwerben. Ergreifen wir – über die anfängliche Schockstarre hinaus – beherzt die in diesem Wandel verborgen liegenden Chancen!

8085 Vorwort 110 Einleitung 112 Grundlagen Forschung 1 116 Retail in Transition – Verkaufswelten im Umbruch 118 Fakten 138 Workshop Interviews 2 174 Der Wandel der Innenstädte 176 Hauptthesen 180 Aktion 1 114 Aktion 2 158 Aktion 3 3 180 Perspektiven für deutsche Städte 184 Fallstudien: Köln, Frankfurt, München, Düsseldorf, Hamburg, Berlin

Vorwort zur aktualisierten deutschen Auflage Unsere Zeit ist schnelllebig, im permanenten Wandel. Auch dieses Buch wurde vom Lauf der Zeiten erfasst und zum Zeichen rasanter Veränderungen. Als wir 2017 mit der Konzeption von Retail in Transition begannen, war die Welt noch eine ganz andere als die von heute. Wir, ein Team aus nationalen und internationalen Architekten bei caspar., tauschten uns über die immer weiter ausgreifenden Veränderungen unserer Welt aus. Dreh- und Angelpunkt der ersten Diskussionen waren die Herausforderungen einer smarten Digitalisierung, Globalisierung und einer Cyber World, die alle unsere Lebensbereiche und -welten immer mehr in Beschlag nehmen. Damals trieb uns vornehmlich ein tiefsitzendes Unbehagen an. Die Sorge um unsere Städte, wie sich diese physisch-materiell-soziale Substanz unter dem Einfluss virtuell-digitaler Techniken und Dynamiken zu zersetzen begann. Städte sind Orte, Stätten mit Tradition, Historie, Identität und persönlicher Identifikation von Millionen von Menschen. Architektur jeglicher Art, von der Kirche, dem Wohnhaus, Fabrik oder Bürohaus bis hin zu einer Brücke, ist das althergebrachte Bindeglied zwischen dieser gebauten Umwelt und der Psyche, den Wünschen und Träumen der Gesellschaft.

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Plötzlich weicht die digitale Ungebundenheit und Unverbindlichkeit viele, wenn nicht alle, dieser Faktoren auf. Ortsungebunden können wir prinzipiell von überall auf der Welt uns mit Informationen, Arbeit, sozialen Kontakten und Waren versorgen. Die virtuelle Scheinwelt des World Wide Web steht jedem offen und ist sofort greifbar. Daher die Frage: Brauchen wir unsere Städte eigentlich noch als materielle, analoge Objekte, als Begegnungsstätten, Identifikationsbild unserer Persönlichkeit, Arbeitsumfeld oder für den kulturellen Austausch? Kurz gefragt, sind unsere Städte noch die Orte, wo wir frei, sicher, ungezwungen und vielfältig leben und arbeiten können? Im Oktober 2019 erschien die erste englischsprachige Ausgabe von Retail in Transition. Seitdem werden die Nöte unserer Innenstädte mit all den damit verbundenen existenziellen Fragen des stationären Einzelhandels leidenschaftlich in den Feuilletons aller großen Magazine, Zeitungen und Onlinedienste diskutiert. Kein Tag vergeht, an dem nicht in den Medien und Foren Beurteilungen zum wirtschaftlich-kulturellen Niedergang unserer Städte, besonders unserer Innenstädte, veröffentlicht werden. Hinzu kommen die seit Frühjahr 2020 in Europa wütenden Auswirkungen der weltweiten Coronapandemie. COVID-19 wird oft mit einem Brennglas verglichen, das erbarmungslos die Schwächen unserer Gesellschaft, politischen Ordnung, medizinischen Versorgung und des Wirtschaftssystems entblößt. Ein schnelles Opfer der Epidemie wurden auch die Städte. Wirtschaftlich durch sinkende Besucherzahlen vom E-Commerce schwer gebeutelt, erfolgte ein zweiter harter Schlag in Form von mehrfachen und

lang anhaltenden Lockdowns. Der massenhaft erzwungene Rückzug in häusliche Gefilde und an die digitalen Instrumente der materiellen Bedarfsbefriedigung entvölkert seitdem die Städte und treibt den stationären Einzelhandel in den Ruin. Alles Tatsachen, die uns, keine zwei Jahre nach der Veröffentlichung der englischen Originalausgabe, aufgrund der dramatischen Entwicklungen die ursprüngliche Thematik noch drastischer vor Augen führen. Die Lage ist zudem umfangreicher, komplexer und damit auch komplizierter geworden. Die hier vorliegende deutsche Ausgabe von Retail in Transition ist daher keine schlichte Übersetzung. Sie beruht zunächst auf der Aktualisierung der empirischen Daten und Fakten (Stand Frühjahr 2021). Noch wichtiger und relevanter war uns allerdings die Darstellung, wie sich unser architektonisches Denken und Handeln über die Zeit weiterentwickelt hat. Insbesondere in dem dafür vorgesehenen Teil 3 fand eine inhaltliche Neufokussierung gleichbedeutend mit einer stofflichen Expansion statt. Die deutsche Ausgabe von Retail in Transition ist ein der aktuellen Lage und der Brisanz der Ereignisse geschuldeter work in progress. Der Stand der Forschungsarbeiten von caspar.esearch kann auf der digitalen Plattform www.retailintransition.archi nachverfolgt werden. Caspar Schmitz-Morkramer

Einleitung

Im Lauf des letzten Jahrzehnts und insbesondere seit dem weltweiten Ausbruch der Infektionskrankheit COVID-19 ging bzw. geht ein Riss durch den deutschen Einzelhandel. Hinzu kommen immer schnellere und effizientere digitale Prozessketten mit den daraus entstehenden revolutionären Geschäftsmodellen und -praktiken. Die Auswirkungen auf den sozio-kulturellen Zusammenhalt unserer Gesellschaft sind weitreichend. Kunden können sich heutzutage per Mausklick von zuhause aus die bunte Warenwelt direkt ins Haus liefern lassen, ohne auch nur einen einzigen Schritt vor die eigene Tür, geschweige denn in ein Geschäft gesetzt zu haben. Noch vor zehn Jahren war ein derartiger Service völlig unbekannt. Heute sind Kunden quasi 24/7 beim Onlineshopping. Auf ihren Mobiltelefonen wählen sie, vielleicht auf dem Weg zur Arbeit, unter unzähligen Angeboten zum Beispiel schicke Schuhmodelle aus. Sobald ihre Wahl erfolgt ist, bestätigen sie den Kauf und bezahlen mit ihrem Smartphone. Dann wird die Ware umgehend an ihre Adresse geliefert.

Die neuen Vertriebs- und Verkaufsformen betreffen alle Produktgruppen von Kleidung bis Lebensmittel. In vielen Städten und Kommunen zeigen sich schon erste Anzeichen der negativen Auswirkungen auf das urbane Leben: Je mehr Käufe online erledigt werden, umso mehr schließen Geschäfte in einer alarmierenden Zahl und Geschwindigkeit. Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, ob wir damit das Ende des stationären Handels bzw. den Abstieg der Innenstädte erleben, so wie wir sie kennen und lieben? – Vielleicht aber auch nicht … Erhebungen zeigen, dass dennoch das „Erlebnis Einkauf“ in innerstädtischen Offlineläden, in denen Kunden individuell beraten werden, einen großen Stellenwert einnimmt. Marktführer der unterschiedlichsten Onlinebranchen investieren in die Ausstattung dieser 3D-Läden, um auch auf analogen Wegen eine Kundenbindung zu erreichen. Über diese Wiederbelebung herkömmlicher Marken- und Vertriebspraktiken hinaus generieren einige Firmen mit Hilfe revolutionärer Technologien und frischer Kreativität neues Potenzial für unsere absterbenden Innenstädte. Dieser neue Auftritt in zentralen innerstädtischen Lagen offeriert teils überraschende Formen des zeitgemäßen Lebens und Arbeitens im urbanen Kontext. Mit anderen Worten, genau die Kräfte, die das Absterben des traditionellen stationären Handels vorantreiben, kreieren neue Ladenkonzepte sowie ein unkonventionelles „Einkaufserlebnis“.

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Ohne genau vorhersagen zu können, wie und was geschehen wird, ist eines sicher: Die Städte der Zukunft werden vom Aussehen und der Funktion her teils sehr unterschiedlich zu denen sein, an die wir heute gewöhnt sind. Für uns gilt es heute, die Transformationen, die diesen neuen Vertriebs- und Verkaufsformen zugrunde liegen, klar zu erkennen. Dieser Erkenntnisschritt ist absolut notwendig, um die zukünftigen Anforderungen und Bedürfnisse der Urbanität und der Stadtplanung vorherzusehen und ihnen dann erfolgreich zu begegnen. Aus diesem Grund startete caspar.esearch die Studie Retail in Transition, die die aktuellen Trends in Technik und Technologie, der Immobilienwirtschaft, der Stadtplanung und der Mobilität in Bezug auf das urbane Leben sowie die Entwicklung der Stadtzentren aufspürt und nachgeht. Unsere Untersuchungen sollen aufzeigen, wie der Wandel im Einzelhandel unsere Innenstädte transformieren wird. Uns ist daran gelegen, eine öffentliche Diskussion zu stimulieren und eine Debatte zu führen, wie Städte zu planen sind, öffentliche Orte entworfen werden müssen und individuelle Gebäude revitalisiert werden können, damit sie den Anforderungen der Nutzer weiter gerecht bleiben. Darin liegt die große Herausforderung für unsere Städte.

Architekten, Stadtplaner, Einzelhändler, Immobilienbesitzer und -makler, Projektentwickler sowie die Vertreter der Städte mögen in Retail in Transition nützliche Ideen und Anregungen für die Wiederbelebung der städtischen Einkaufslandschaften finden. Denn die Komplexität des Themas und der damit verbundenen Aufgaben befreit keinen der oben genannten Akteure von dieser Auseinandersetzung. In der Tat hoffen wir, dass diese Publikation das Interesse einer breiten Öffentlichkeit erregt. Nicht nur auf Seiten der Planer und Eigentümer, sondern auch der individuellen Ladenbetreiber einschließlich der Käuferschichten und Bürger, die unsere Innenstädte bevölkern. Wir stellen uns gerne dieser großen Herausforderung, das historische Projekt „Stadt der Zukunft“ neu zu denken, zu definieren und zu planen. Als Architekten sind wir der Auffassung, dass die Veränderungen, die auf uns alle zukommen – insofern sie korrekt analysiert werden – zu einem Gewinn unserer Gesellschaft führen. Unser Hauptanliegen dabei ist es, öffentliche Räume zu generieren und Gebäude zu konzipieren, in denen Menschen ihre Potenziale noch besser er- und ausleben können. Wir bezeichnen dies als Maßstab Mensch – es stellt die Triebfeder unserer Arbeit dar. Darunter stellen wir uns nicht nur einen permanenten Wandel vor, sondern auch die Hoffnung, dass die Städte der Zukunft eine neue, starke Form der Bindung mit ihren Bürgern verknüpft. Dann wird der Handel in das Schlaglicht der Städte zurückkehren, ein absoluter Gewinn für die Idee der europäischen Stadt.

Grundlagen Forschung

Immobilien

Einzelhändler

Verkaufswelten im Umbruch

Designer

Architekten + Stadtplaner

13 Teil

Inhalt

Zielgruppe

Teil 1

Basierend auf statistischen Erhebungen von Marktanalysen bildet Teil 1 wesentliche Trends ab. Dies beinhaltet Entwicklungen im Einzelhandel einschließlich deren spezialisierte Verbreitung in unterschiedlichsten Bereichen, das Verhalten der Konsumenten in verschiedenen Produktkategorien, die Kopplung von Einkauf und Erlebnis sowie den Anstieg der Paketzustellungen an private Haushalte. Zusätzlich wird der Einfluss der Aufspaltung des Einzelhandels in Deutschland und seine Auswirkungen auf die Innenstädte untersucht. Die Analyse erfolgt auf drei Ebenen; einer übergeordneten städtischen, der der Straße und dem Sockelgeschoss der umliegenden Bebauung (Plinth).

Einzelhändler und Markenverantwortliche; Stadtplaner sowie Mitarbeiter und Beauftragte von Städten

Teil 2 stellt drei Strategien vor gegen den zu erwartenden weiteren Rückgang von Einzelhandelsflächen in Innenstadtlagen: 1. Beibehaltung des städtischen Einzelhandels durch neue Konzepte; Massenkonsum wird ersetzt durch differenzierte Einkaufserlebnisse. 2. Bildung und Förderung einer stärkeren Durchmischung des Einzelhandels, unter anderem mit Gastronomie und sogar Wohneinheiten. 3. Verbesserung der Zugänglichkeit – Stichwort Mobilität – und der Aufwertung des öffentlichen Raums im Sinne von visueller Attraktivität und Sauberkeit. Jede dieser Strategien stützt sich auf Internetrecherchen und ist begleitet durch reale Fallstudien innovativer Beispiele und städtischer Experimente.

Städtische Entscheidungsträger, Architekten, Stadtplaner, Einzelhändler, Immobilienexperten, Zukunftsforscher

Teil 3 beginnt mit morphologischen Studien in verschiedenen deutschen Großstädten, um beispielsweise sich wiederholende räumliche Strukturen zu ermitteln, die dazu geeignet sind, Entwürfe und Konzepte aufzunehmen, die in Teil 2 vorgestellt wurden. Dazu werden architektonische Skizzen und Collagen präsentiert, die jeweils markante Orte in den Innenstädten widerspiegeln, nachdem sie die hier vorgestellten drei Strategien durchlaufen haben.

Städtische Entscheidungsträger, Architekten und Stadtplaner, Bürger, Immobilienbesitzer und Projektentwickler

Verkaufswelten im Umbruch

Teil 2 Städte im Umbruch

Teil 3

Fallstudien: Köln, Frankfurt, München, Düsseldorf, Hamburg und Berlin

Kontext

Straße

Sockelgeschoss

Vorindustrieller Städtebau

Die moderne Stadt

bis 1850

1850–1940

Städtische Zentren entstehen an Kreuzungen von Handel und Kommunikation. Ein Markt, die Kirche und das Rathaus bilden das städtische Zentrum.

Entstehung von Eisen- und Straßenbahnstrecken. Trennung von geschäftigen und weniger frequentierten Einkaufsstraßen im Zentrum sowie den ruhigen Wohngegenden in den Vorstädten.

Hauptstraßen führen von und zu Straßenkreuzungen und Aktivitätszentren. Das soziale und wirtschaftliche Leben findet auf öffentlichen Plätzen, Straßen, Kaianlagen und Brücken statt, die jeweils zu Marktzwecken genutzt werden.

Entstehung von breiten Boulevards durch historisch gewachsene Stadtkerne. Verkehrsströme werden getrennt geführt. Geschäfte siedeln sich entlang der Hauptstraßen und -achsen an, ebenso an öffentlichen Plätzen, Straßenbahnhaltestellen und Bahnhöfen.

Das Leben, Arbeiten und der Handel finden in ein und demselben Gebäude statt. Die Waren werden an hölzernen Ständen oder mittels in Fassaden integrierten Auslagen angeboten.

Gebäudefassaden werden als attraktive Schaufensterfassaden ausgebildet, um Passanten anzuziehen.

15 Das Zeitalter des Automobils

Die Wiederentdeckung des Maßstabs Mensch

Die Rückkehr ins Stadtzentrum

1940–1970

1970–1990

1990– heute

Enormer Zuwachs an Autoverkehr. Funktionale Trennung: Büros, Geschäfte und Theater im Stadtzentrum; Wohnungsbau und Shoppingcenter in den Vorstädten und dem Umland.

„War on cars“ und die Forderung eines fußgängergerechten Straßenbilds. Neue Geschäfte und Supermärkte entstehen unter anderem in zentralen Shoppingmalls.

Die Wiederentdeckung der Stadtzentren als Orte des sozialen Austauschs, Amüsements und Freizeit. Stadtzentren werden für Fußgänger hergerichtet und verschönert.

Trennung unterschiedlicher Verkehrsarten: Zusammenhängende Räume verschwinden. Die Vorstädte werden von einer Hierarchie der Straßenführung bestimmt, einschließlich der Durchwegung auf unterschiedlichen Ebenen.

Die Wiederentdeckung des öffentlichen Raums als ein Ort des Flanierens, Treffens und Versammelns. Fußgängerzonen werden in den Innenstädten angelegt.

Mehr Raum für Fußgänger, weniger für den Autoverkehr. Geteilt genutzte Verkehrsräume schaffen offene Straßen für alle Nutzer. Eingeschränkte Abgrenzung zwischen Autos, Fahrradfahrern und Fußgängern.

Offene Gebäudestrukturen in den Vorstädten erlauben neue Formen von Läden und Geschäften: Schaufenster und Verkauf zur Straße; Vertrieb und Lagerhaltung im rückwärtigen Gebäudeteil. Der Zugang und die Erschließung der Wohnbauten erfolgen getrennt.

Kleinmaßstäbliche Entwicklung von Wohngebäuden in den Innenstädten. Einige wenige Einkaufsstraßen entwickeln sich als Shopping-Magneten. Viele Erdgeschosslagen werden für Wohnzwecke genutzt und wieder als geschlossene Fassaden entworfen.

Verstärkte Interaktion zwischen Straßen und angrenzenden Wohngebäuden, Geschäften, Restaurants und Cafés, wo sich Young Urban Professionals treffen und arbeiten.

1 Retail in Transition – Verkaufswelten im Umbruch

17

Fakten

Der Onlinehandel im Vergleich zum stationären Handel wächst und wächst. Von etwa 55 Milliarden Euro im Jahr 2018 stieg der Umsatz im digitalen Handel auf bis zu 74,6 Milliarden Euro im Jahr 2020. [1] Viele Einzelhändler betreiben ihr Geschäft inzwischen als OmnichannelBusiness auf vielen Kanälen und Plattformen, um ihren Kunden vielfache Möglichkeiten zum Einkauf zu bieten.

19

Der Aufstieg vom „Einkaufen als Erlebnis“: In Europa geben die Kunden mehr aus für Erlebnisse rund ums Einkaufen als für die eigentlichen Produkte. Entwicklungen in den Städten und bei der Mobilität stehen in Zusammenhang mit den Veränderungen in den Einkaufswelten. Diese beeinflussen die Attraktivität des städtischen Umfelds in mehrfacher Hinsicht.

Der Anteil der Umsätze des Onlinehandels am gesamten Einzelhandel in Deutschland wächst überproportional. Seit 2020 hat sich das Wachstum noch beschleunigt.

Deutschland ist hinter Großbritannien Europas zweitgrößter Onlinemarkt. Im Jahr 2019 belief sich der Umsatz im B2C-E-Commerce in Deutschland auf 59,2 Milliarden Euro [2]. In der Entwicklung könnte der Onlineumsatz mit zunehmender Dynamik bis Ende 2021 auf bis zu 97,5 Milliarden Euro wachsen [3].

[1] IFH. In: Handelsblatt Nr. 64 vom 01.–05.04.2021. [2] Statista. Umsatz durch E-Commerce (B2C) in Deutschland in den Jahren 1999-2019. https://www.de.statista.com/statistik/ daten/studie/3979/umfrage/e-commerce-umsatz-in-deutschlandseit-1999 (24.02.2021) [3] eMarketer. Germany Ecommerce 2020. https://www.emarketer. com/content/germany-ecommerce-2020 (24.02.2021)

Grafik 1. Anteil der Onlineverkäufe am Gesamtmarkt des Einzelhandels (2019) weltweit. Quelle: CRR.

3,7 %

0 %

Italien

5,4 %

Niederlande

9,9 %

Spanien

Schweden

Frankreich

10,3 %

10,9 %

Deutschland

USA

16,5 %

15,9 %

UK

19,7 %

21 50 %

Der klassische stationäre Einzelhandel ist ohne eine gleichzeitige Onlinepräsenz nicht überlebensfähig.

Zudem fordern Kunden heutzutage analoge wie auch gleichzeitig digitale Möglichkeiten beim Kauf von Produkten. Das Schlagwort dafür lautet Omnichannel-Business. Noch vor einer Dekade gingen die Käufer, nachdem sie das gewünschte Produkt in der Magazin- oder Fernsehwerbung gesehen hatten, in ein Geschäft, um es zu erwerben. Die Ladenbedienung mag das Produkt dann hinsichtlich seiner Qualitäten noch weiter ausführlich erläutert haben. Nach dem Kauf bestand eine Garantie, die es dem Kunden erlaubte, das Produkt wieder zurückzugeben bzw. zu tauschen. Diese logische Abfolge von Schritten, die bei jedem Kauf zeitlich nacheinander erfolgen, wird als path to purchase bezeichnet.

Einzelhändler und Vertriebler übertreffen sich einander in der Bereitstellung von ansprechenden und profitablen Omnichannel-Angeboten, indem sie den Vorlieben und Erwartungen der Kunden folgen. Die Daten dafür unterscheiden sich nach Produktkategorien. Wir kaufen Lebensmittel nicht in derselben Art und Weise, wie wir elektronische Güter erwerben, weder online noch offline. Grafik 3 zeigt eine Langzeitstudie aus Deutschland, die darstellt, welche Wege Käufer gehen beim Kauf von Lebensmitteln, Kleidung, Technik und Möbeln. [4]

Technologischer Fortschritt, neue Geschäftsmodelle und sowohl das Internet als auch Smartphones haben die Wege zum Produkt vervielfacht. Informationen über Produkte sind auf entsprechenden Webseiten und Blogs jederzeit verfügbar, auch ohne den Besuch eines Geschäfts. So kann man Kleidung über das eigene Mobiltelefon von zuhause aus bestellen und dorthin geliefert bekommen. Gleiches gilt für Lebensmittel, für deren Besorgung man nicht mehr im Laden anstehen muss, man holt einfach die fertiggepackte Einkaufstüte im Supermarkt nach der Arbeit auf dem Weg nach Hause ab. Moderne Technik macht Online- wie auch Offlineshopping möglich und verbindet sich im sogenannten Omnichannel-Konzept, welches als das gegenwärtig effizienteste Prinzip der Kundenbindung bezeichnet wird.

[4] siehe auch: KPMG. Trends im Handel 2025: Erfolgreich in Zeiten von Omni-Business.

544 10,9

527 10,1

514 9,5

493 9

478 8,3

458 7,8

451 7,1

445 6,3

438 5,6

427

432 2,9

4,7

428 2,4

419

433 1,9

3,7

430 1,5

417 0,7

426

423 0,5

1

432 0,4

0,3

428

23

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019

Umsatzvolumen im gesamtdeutschen Einzelhandel in Mrd. Euro (netto)

Onlineanteil (%)

Grafik 2. Onlineanteil am Einzelhandel im engeren Sinne in Prozent (institutionelle Einzelhandelsformen in Deutschland einschließlich ihrer Onlineumsätze, ohne Apotheken, Kfz-, Brennstoff- und Kraftstoffhandel). Quelle: HDE Online-Monitor 2020.

Welche Szenarien haben sie schon angewendet? Welche Szenarien werden sie in der Zukunft anwenden? G  ewünschte zukünftige Szenarien, z. B. nach größter Zustimmung

Lebensmittel

Informationen online einholen vor dem Besuch eines Geschäfts, dann Kauf im Geschäft

Kleidung & Accessoires

34

23 14

10

Kauf im Geschäft mit anschließender Lieferung nach Hause

6

8 16

Online bestellen, dann Abholung der Ware im Geschäft

14

5

12 16

Information im Geschäft und dann Onlinebestellung

22

25

8 6

Im Geschäft die Bestellung über das Onlinehändlerportal aufgeben

10

8

17

11

Im Geschäft das eigene Smartphone zur Information über Produkte nutzen

13 7

Online bestellen und dann das Produkt in das Geschäft zurückbringen

2

15

9 11

9

5

Im Geschäft das Produkt über das Portal eines anderen Händlers bestellen

6 3

20

7 8

25 Gesundheit & Wellness

Heimwerken & Garten

36 16

29

11

29

8

62 12

10

26 28

32

14

13

11

25

15 16

10 18

8 16

20

7 4

19

11

5

7

16

17

26

17

26

21 19

13

29

11

10

12

20

38

15

15

21

21

16

13

58

26

20

18

53 12

16

6

Wohnen & Möbel

52

15

8

Elektronik

10

17

12 8

Beliebte Omnichannel-Szenarien nach Produktkategorien. Quelle: [4]

Onlineshopping ist nicht in allen Produktkategorien gleich verbreitet.

Eine Analyse des deutschen Markts offenbart, dass die Hälfte der Onlinekäufe auf Elektronik und Kleidung entfallen (Grafik 4). Fast die Hälfte aller in regulären Geschäften eingekauften Waren gehören zur Kategorie der FMCG (fast moving consumer goods), Güter mit einer hohen Umschlagsgeschwindigkeit wie etwa verpackte Lebensmittel, Getränke, Toilettenartikel und andere Güter, die ständig erneuert werden müssen. Obwohl sie 2019 nur 8,7% der Onlineverkäufe am Gesamtumsatz des deutschen Onlinehandels ausmachten [5], verzeichnen FMCGs in letzter Zeit deutlich überdurchschnittliche Verkaufszahlen. 2019 stieg die Zahl der jährlichen Onlinekäufe um 11% an und der Lebensmittelanteil in Bezug auf FMCGs um 16% [6], da neue Handelsketten den Markt eroberten – so zum Beispiel in den USA, wo Hightech-Giganten wie Amazon und Google den Handel mit Lebensmitteln testeten. In Deutschland bieten bereits große Supermarktketten wie Rewe oder Edeka Onlinelieferservices an. Ebenso mehren sich in Großstädten die Angebote von reinen Onlinesupermärkten wie Amazon Fresh, Picnic, Gorillas oder Flink.

[5] Statista. Umsatz mit FMCG-Produkten im Online-Handel in Deutschland von 2010 bis 2019. https://de.statista.com/ statistik/daten/studie/696103/umfrage/umsatz-mit-fmcgim-deutschen-online-handel/ (24.02.2021) [6] HDE Online-Monitor 2020. https://einzelhandel.de/index. php?option=com_attachments&task=download&id=10433 (24.02.2021)

27 Mode & Accessoires

7,0

Elektronik

5,8

24,7

Schmuck & Uhren

Heimwerken & Garten

24,2

Wohnen & Möbel Freizeit & Hobby

Büro & Schreibwaren

42,0

FMCG

8,7

Gesundheit & Wellness

Grafik 4. Anteile der Branchen am Offlineund Onlinevolumen in Prozent (2019). Quelle: HDE Online-Monitor 2020.

Sonstige

Mode & Accessoires

Elektronik

-1,4

+10,4

-5,1

Heimwerken & Garten

Wohnen & Möbel

Freizeit & Hobby

FMCG

+10,1

+9,6

+1,2

-2,9

+11,1

-2,4

+12,2

+15,9

+1,4

im Geschäft

online

Grafik 5. Veränderungsraten offline und online 2019 nach Branchen im Vergleich. Quelle: HDE Online-Monitor 2020.

Einkaufen und Shopping wird immer mehr zu einem „Erlebnis“: In Europa geben die Kunden dafür inzwischen mehr aus als für die eigentlichen Produkte.

Im Zeitalter des Überflusses und der Warenwirtschaft verlagern Konsumenten mehr von ihrer Zeit und ihren Ausgaben auf Erlebnis-Einkäufe und -Tätigkeiten, wie beispielsweise in Restaurants, Cafés sowie in Theatern und Kinos. Diese soziologischökonomische Verschiebung wird in der Fachwelt als Experience Economy bezeichnet. Studien belegen, dass der Jahrgang der Millennials, unter anderem die Generation Z – Personen, die im Zeitraum zwischen 1997 und 2012 geboren wurden –, vermehrt Erlebnisse statt materieller Dinge bevorzugt (20% laut einer Studie von OC&C [7]). Des Weiteren wird seitdem diese Entwicklung als generationenübergreifend gesehen. Untersuchungen der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) besagen, dass in den letzten fünf Jahren Europäer ihr Einkommen vermehrt für Restaurantbesuche, Ferien und Freizeitaktivitäten ausgaben. Selbstverständlich variieren die Zahlen

von Land zu Land und werden jeweils unterschiedlich von sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Faktoren beeinflusst. In Deutschland zum Beispiel wurde 2019 19,2% mehr für Speisen und Getränke als 2014 ausgegeben (die durchschnittliche Steigerung lag in der EU bei 13,1%). In demselben Zeitraum gaben Deutsche 24,5% mehr in Restaurants und Hotels aus (EU-Durchschnitt +23,6%) und 3,9% mehr für Kleidung und Schuhe (EU-Durchschnitt +9,7%) (Grafik 6) [8]. Im Corona-Halbjahr 2020 lagen dagegen die Ausgaben der Deutschen bei - 26% im Segment Textilen und bei -66% mit Blick auf private und Geschäftsreisen [9]. In Großbritannien, 2019 das EU-Land mit der höchsten Verbreitung des Onlinehandels, gab die Bevölkerung 20,9% mehr in Restaurants und Hotels aus, für Speisen und Getränke 15,2% mehr und für Kleidung und Schuhe 22,2% mehr [8].

[7] OC&C. Generation Z hat Lust auf Erlebnisse. https://www. occstrategy.com/de/%C3%BCber-occ/neuigkeiten-und-medien/ article/id/3745/2019/03/generation-z-hat-lust-auf-erlebnisse (24.02.2021) [8] OECD. Final consumption expenditure of households. https://stats.oecd.org/Index.aspx?DataSetCode=SNA_TABLE5 (24.02.2021) [9] HDE Standort-Monitor 2021. https://einzelhandel.de/ component/attachments/download/10514 (18.02.2021) Grafik 6. Haushaltsausgaben (2019) nach Konsum pro Segment in Prozent. Quelle: [8]

29 + 19,2 %

Speisen & Getränke

10 %

5 %

0

Restaurant & Hotel

10 %

+ 24,5 % 5 %

0

EU Deutschland Großbritannien

Kleidung & Schuhe

10 %

5 %

+ 3,9 %

0 2014

2019

Die Entwicklungen im Einzelhandel durchlaufen einen ständigen Prozess der Verlagerung, wobei vier Kriterien herausstechen.

Der Onlinehandel und der Erlebnis-Konsum wachsen unaufhörlich. Dabei ergeben sich im gesamten Warenverkehr und -handel entsprechende Verschiebungen, deren vier wichtigste Elemente sind: 1. Einkäufer kehren von den Einkaufszentren auf der grünen Wiese und den Gewerbegebieten in die Stadtzentren zurück [10]. 2. Während internationale Ketten und FranchiseUnternehmen die hohen Mieten in den zentralen Lagen verkraften, ziehen kleine Boutiquen und familiengeführte Geschäfte an die Ränder der Stadtzentren [10]. 3. Shoppingcenter werden wieder in den Innenstädten realisiert. In Deutschland gibt es 544 Shoppingcenter (Stand 27.05.2020). Von den 69 Centern, die in den Jahren 2010 bis 2018 hinzukamen, sind 75% in Innenstädten entstanden, 18% in Stadtteilzentren und nur 5% in Stadtrandlage bzw. auf grüner Wiese [11]. 4. 1A-Lagen in großen Städten sind die Gewinner des Wandels im stationären Einzelhandel, dafür kämpfen die Geschäfte in Randlagen und kleineren Städten um ihr Überleben. Dieses Muster des Wandels und der Verdrängung ist sicherlich nicht nachhaltig. Experten sagen voraus, dass die Leerstände in den Innenstädten und die Fluktuationen im Bestand des stationären Handels weiter stetig zunehmen werden [10] mit all den nachteiligen Konsequenzen für das urbane Leben und die Attraktivität der Städte. Weiter ist festzustellen, dass Shoppingcenter und Malls, trotz ihrer größeren finanziellen Lukrativität im Vergleich zu vielen verstreuten Boutiquen, keine

Lösung für die Krise des Einzelhandels darstellen, ganz zu schweigen von der stark abfallenden Attraktivität der Stadtzentren. Erhebungen des EHI Retail Institute zufolge kauften im Jahr 2012 0,28 Millionen Personen täglich in einem Einkaufszentrum ein, 2020 waren es 0,64 Millionen Personen [12]. Im Einzelhandel allgemein verbesserte sich die Geschäftslage von einem Tief im Frühjahr 2019 auf ein Hoch im Folgejahr um 11 Prozentpunkte [13]. Aber auch die Zukunft von Malls ist ungewiss; laut einem Bericht von CNBC vom 27. Juli 2020 werden in den nächsten fünf Jahren 25% der amerikanischen Shoppingmalls schließen. Viele dieser leerstehenden Immobilien werden in Büros, Bildungseinrichtungen und Lagerhäuser umfunktioniert. Obwohl die USA eine höhere Zahl an Shoppingcentern aufweist, ist noch nicht gewiss, wie sich dieser Trend auf Europa niederschlagen wird [14].

[10] Paradigm Shift in City Centers. Across Magazine. https://www.across-magazine.com/paradigm-shift-city-centers/ (01.04.2021); Zu hohe Preise, zu wenig Erlebnis. Warum kleine Läden immer öfter sterben. Handelsblatt. https://www. handelsblatt.com/unternehmen/dienstleister/gewerbevielfaltin-deutschland-zu-hohe-preise-zu-wenig-erlebnis-warumkleine-laeden-immer-oefter-sterben/25206008.html (18.02.2021) [11] EHI Retail Institute. Shopping-Center in Deutschland 2019. https://www.handelsdaten.de/branchen/shopping-center (18.02.2021) [12] EHI Retail Institute. Shopping-Center. https:// www.handelsdaten.de/shopping-center/einkaufshaeufigkeiteinkaufszentren-jahresvergleich (24.02.2021) [13] HDE Zahlenspiegel 2020. https://einzelhandel.de/index. php?option=com_attachments&task=download&id=10482 (18.02.2021) [14] Thomas, Lauren: 25% of U.S. malls are expected to shut within 5 years. https://www.cnbc.com/2020/08/27/25percent-ofus-malls-are-set-to-shut-within-5-years-what-comes-next.html (18.02.2021)

31

Grafik 7. Verteilung der zwischen 1991 und 2020 eröffneten 75

Shoppingcenter in Deutschland, nach Standort und in Prozent.

75

Quelle: EHI Retail Institute. 68

Stadtzentrum Urbane Randgebiete 64

Grüne Wiese / Umland

45

44

40

35 31 27 25

19

18

11

5

1991–1995

1996–2000

2001–2005

7 5

2006–2010

2011–2018

6

2010–2020

Das Wachstum von E-Commerce erhöht das Volumen der Paketzustellungen, was wiederum das Verkehrsaufkommen und die dadurch bedingten Luftverschmutzungen in den Städten negativ beeinträchtigt. 80

+91,6 %

+33,3 %

60

7,18

8,27

9,97

2010

2011

2012

11,93

13,59

15,4

17,17

19,1

21,07

23,21

25,46

40

20

2013

2014

2015

2016

2017

2018

2019

2020

B2B B2C

Grafik 8. Jährliche Aufstellung der Paketzustellung in Europa von 2010 bis 2020, in Abschnitten (Milliarden Euro). Quelle: Statista.

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In dem Maß, in dem der Onlinehandel wächst, steigt auch die Zahl der ausgelieferten Pakete. Die jährliche Bilanz der europäischen Paketzustellungen verzeichnet zwischen 2015 und 2019 einen Zuwachs von 24%. Amazon konnte seine Einnahmen auf dem europäischen Markt in den letzten fünf Jahren fast verdoppeln. [15] Unterschiedliche Erhebungen gehen davon aus, dass dieses Wachstum allein in dem Segment Business-to-Customer (B2C) vonstattengeht, da die Zahlen des Business-to-Business (B2B) seit 2010 rückläufig sind [16]. Eine aktuelle Studie des amerikanischen Postzustellers Pitney Bowes hat ermittelt, dass das Paketvolumen weltweit im Jahr 2019 erstmals die 100-Milliarden-Marke überstiegen hat. Pro Sekunde werden demnach auf der Welt 3.248 Pakete verschickt. Der Studie zufolge wird sich das Paketvolumen innerhalb der nächsten sechs Jahre wahrscheinlich mehr als verdoppeln. Bis 2026 soll das globale Versandvolumen 220 bis 262 Milliarden Pakete erreichen mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 14,8% von 2020 bis 2024 [17].

Der starke Anstieg des B2C-Warenverkehrs stellt zwei wesentliche Bedrohungen für unsere Städte dar. Einerseits bedeutet es mehr Auslieferungen, mehr Verkehr und Luftverschmutzung. Eine Studie des University Transportation Research Center in New York attestierte, dass Lieferfahrzeuge bei der Zustellung bis zu einer Stunde einen Parkplatz suchen. Andererseits findet sich in der Umgebung der Auslieferungen mehr Müll in den Straßen, was die ökologische Bilanz der Städte verschlechtert. Daher erproben Lieferfirmen schon alternative Arten der Zustellung, zum Beispiel mit Hilfe von Drohnen und kleinen Elektrofahrzeugen, in der Hoffnung, dass diese auch die Zustellung effizienter machen. Obwohl dies schon die Ökobilanz der Postzusteller verbessert, verbleibt das Problem des zusätzlichen Verpackungsmülls.

[15] Statista. B2C market share of parcel services in europe. https://www.statista.com/statistics/235412/b2cmarket-share-of-parcel-services-in-europe/ (24.02.2021) [16] Apex Insight. Annual revenue of the parcel market in Europe from 2010 to 2020, by segment (in billion euros). https://www. statista.com/statistics/235412/b2c-marketshare-of-parcel-services-in-europe (18.05.2018) [17] Pitney Bowes. Parcel Shipping Index. https://www. pitneybowes.com/content/dam/pitneybowes/germany/de/ Newsroom/pressemitteilungen/PM_2020ParcelShipping Index_DE.pdf (18.02.2021)

Im Zusammenhang mit dem Wandel im stationären Einzelhandel stehen Stadtund Mobilitätsentwicklungen, die die Attraktivität des urbanen Umfelds auf vielfache Weise beeinflussen.

Sockelgeschoss

öffentlicher Raum

Stadt auf Augenhöhe

Sockelgeschoss, öffentlicher Raum und die Stadt auf Augenhöhe beziehen sich auf die Quelle: [18].

[18] STIPO (2016). The City at the Eye Level – Second and Extended Version. N.B. Die Autoren beziehen sich auf einige der etablierten Vordenker in Bezug auf die Bewertung und Neudefinition des öffentlichen Raums, wie etwa Jan Gehl, Kevin Lynch und Jane Jacobs.

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Grafik 9. Unattraktive Sockelgeschosse und Erdgeschosszonen, die die Passanten nicht zum Verweilen oder Betreten des Gebäudes einladen.

Grafik 10. Eine lebendige Erdgeschosszone macht die Straße attraktiv, eine Basis für gute menschliche Interaktion.

Obwohl wir nicht genau vorhersehen können, wie Stadtzentren – unter dem Einfluss des Onlinehandels – in Zukunft aussehen werden, können wir dennoch ergründen, wie die bisher dargestellten Veränderungen die Attraktivität der Städte beeinflussen werden.

flächen“) die feine Balance des urbanen Netzwerks zerstören. Gleichzeitig mögen die Ersatzwelten für urbanes Leben in den klimatisierten Einkaufstempeln das allgemeine Stadterlebnis (Kritikpunkte „nicht angenehm zu begehen und befahren“ und „keine schönen Aussichten“) weiter abschwächen.

In dem Diagramm auf der nächsten Seite sind die Trends in Bezug auf Stadtentwicklung und Mobilität mit siebzehn Kriterien der Erreichbarkeit und der funktionalen Durchmischung großer Straßen verbunden [18]. Blaue Pfeile stehen für positive Einflüsse, weiße dagegen für negative. Das Diagramm stellt eine zukünftige durchmischte Realität dar. Auf der einen Seite befinden sich Marken des Internets und weitere Firmen, die Concept-Stores oder Pop-upStores in den Stadtzentren eröffnen, was einen positiven Einfluss auf die funktionale Durchmischung der Städte haben könnte. Andererseits könnte die Vermehrung von Einkaufszentren und die damit verbundene Krise der kleinen Einzelhändler (Kritikpunkt „Reduzierung des Bedarfs an Einzelhandels-

Den Kritikpunkt, dass vermehrter Verkehr und Verpackungsmüll das Leben der Städter beeinträchtigt, kennen wir bereits. Abschließend kommt hinzu, dass die Errichtung von autofreien Zonen entweder positive oder negative Auswirkungen auf die Stadtzentren haben können. Sofern die Städte die Bereitstellung von Fahrrädern und öffentlichem Nahverkehr garantieren, so dass die Erreichbarkeit der Zentren weiterhin möglich ist, dann wird die Verbannung des individuellen Autoverkehrs paradiesische Zustände für Fußgänger etablieren. Im negativen Fall hält es die Menschen vom Besuch der Stadtzentren ab, was gleichbedeutend mit einer Verödung unserer Städte wäre.

Die zunehmende Reduzierung von Geschäften in Einkaufsstraßen, verbunden mit (und befeuert von) schlechten Mobilitätsangeboten in Richtung der Stadtzentren, verleitet Menschen, mehr Zeit in der jeweils neuesten Generation von Shoppingmalls zu verbringen. Dort können sie alle Annehmlichkeiten von Restaurantbesuchen, Freizeit, Darbietungen und andere Erlebnisse genießen. Unter einem solchen Paradigmenwechsel werden die Städte leiden. Wenn Einkaufsstraßen an ihrer Frequentierung einbüßen, verlieren sie schnell ihre Attraktivität. Einerseits aus der Sicht der Faktenlage (Geschäfte schließen), dann aus visuell-materieller Sicht (Fassaden bröckeln) und letztlich vom menschlichen Standpunkt (weniger Aktivitäten und Ereignisse finden statt). Allerdings verfügt die Straße über viel Potenzial: Sie ist das verbindende Glied, welches Museen, Landmarken, Bürogebäude, Knotenpunkte des öffentlichen Nahverkehrs und die urbanen Einkaufsmöglichkeiten miteinander vernetzt. Die vermehrte Etablierung von Fußgängerzonen in deutschen Innenstädten ab den 60er-Jahren bis zu den heutigen autofreien Zonen ermutigte Passanten, wieder durch die Straßen zu flanieren. Jetzt gilt es zu verhindern, dass diese Fußgängerzonen veröden oder von parkenden Zulieferwagen verstellt werden. In dem Maße wie der Einzelhandel und sonstige Funktionen anderswo stattfinden, zum Beispiel in riesigen Einkaufszentren, eröffnen sich neue Möglichkeiten in den freigewordenen Sockelgeschossen der ehemaligen Geschäfte – insbesondere in vormals monofunktionalen Einkaufsstraßen. Um neues Leben in die Stadt zu bringen, kommt es speziell auf die Wiederbelebung und Öffnung der Sockelgeschosse an, sie sind der Schlüssel zu einer belebten und attraktiven Stadt.

Einzelhändler ziehen zurück in die Stadt

Reduzierung des Bedarfs an Einzelhandelsflächen

Städtische Einkaufszentren

Autoverbot in Stadtzentren

Anstieg der Paketzustellungen

37 Position auf städtischen Gehrouten

Angenehm zu gehen und mit dem Fahrrad zu fahren Sitzgelegenheiten Schöne Ausblicke, Beobachten von Menschen

Nähe von Parkplätzen Gehmöglichkeiten ohne Hindernisse Kreuzungen an vielen Punkten

Kontext

Gebietsdichte

Funktionale Intensität

Funktionen erfüllt von Bedeutung/Relevanz

Nutzerkomfort

Verbindung zu Plätzen und Parks

Begehbarkeit

Vernetzung des Straßengeflechts

Netzwerk

Fußgänger (5–20 Passanten/Minute)

Wertige Cafés, Geschäfte und Kultur

Positiver Einfluss

Negativer Einfluss

Straße

Unterschiedliche Funktionen

Sockelgeschosse

Aktivitäten übers ganze Jahr

Variables Programm

Bewegung, Spiel, Interaktion

Funktionale Durchmischung

Mindestens 10 Türen/Tore je 100 Meter Straßenfront

Workshop

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caspar.esearch führte 2017 eine Reihe von Interviews mit Entscheidungsträgern in unterschiedlichen Interessensgruppen. Ziel und Zweck war es, aus unterschiedlichen Perspektiven Auskünfte über die komplexen Probleme unserer Gegenwart und Zukunft zu erfahren. Zudem versprachen wir uns davon spezifische Antworten, beispielsweise auf die Herausforderungen der Digitalisierung für unsere Gesellschaft und Volkswirtschaft, Einblicke in neue Einzelhandelskonzepte und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Städte.

Susanne Botschen

Susanne Botschen, Mitbegründerin des Onlineshops für Luxusmoden Mytheresa und Hauptgeschäftsführerin der Finanzen/Beteiligungsgesellschaft ccms invest GmbH. Zusammen mit ihrem Ehemann war sie Generaldirektorin und Besitzerin von THERESA und Mytheresa bis zu ihrem Ausstieg 2014.

41 „Für Onlineplattformen gelten vor allem eine exzellente Kundenbetreuung, einfache Navigation, bequeme Checkout-Prozesse, viele Bezahlmöglichkeiten und eine schnelle Auslieferung.“

„Die Städte sind ein bisschen müde geworden, sie sollten interessanter werden.“

Was hat sich im Luxusbereich des ModeeinzelWas bedeutet „Service“ auf einer Webseite? handels verändert, seitdem Sie Ihren E-CommerceUnser ganzes Geschäftsmodell ist zu einem komHandel begannen? plizierten und anstrengenden Service geworden. Es Wir eröffneten Mytheresa 2006 und seitdem hat gibt keine Geduld mehr, keine Zeit für irgendetwas, sich eine Menge verändert. Der E-Commerce spielt jeder will alles hier und jetzt mit dem bestmögeine weitaus größere Rolle und das besonders lichen Service. Für Onlineplattformen gilt es daher, im Luxussektor. Es gibt dort immer noch weitere die beste Kundenbetreuung zu gewährleisten, Chancen für Wachstum; wahrscheinlich wird sich einfache Navigation bereitzustellen, bequeme der Umsatz bis 2025 verdoppeln. Große internatioCheck-out-Prozesse zu garantieren, viele Bezahlnale Onlinehändler wachsen ebenso und werden möglichkeiten anzubieten und natürlich die schnelle weltweit immer einflussreicher. Kleinere Firmen Auslieferung an die Kunden. Die Kunden erwarten stecken eher in Schwierigkeiten, aber es gibt immer immer eine VIP-Behandlung auf allen Ebenen, verneue Chancen, andere Mitbewerber, interessanlangen alle Vorzüge, die nur sie bekommen können te Plattformen und frische Ideen. Besonders im und obendrein ist die kostenlose Zustellung in Luxussegment ist es eine Herausforderung erster unserem Feld die Norm. Fehlerfrei und schnell, das Ordnung mit den Big Playern mitzuspielen. bedeutet Service. Der Schlüssel dazu sind die VerSuchmaschinen wie Google veränderten den E-Com- kaufsplattformen, von der Produktauswahl zu Bemerce ebenso. Immer wenn ein Kunde etwas von zahloptionen, wie Rücknahmen gehandhabt werden uns kauft, müssen wir der Suchmaschine einen be- – alles das ist mit der Zeit unglaublich komplex und stimmten Prozentsatz vom Umsatz abgeben, das kompliziert geworden. ist ein nicht zu unterschätzender Teil des Geschäfts. Was veranlasste Sie zu der Zeit, in den Onlinehandel einzusteigen? Nach 30 Jahren erfolgreicher Einzelhandelstätigkeit wollten wir unser Geschäft in anderen Städten etablieren. Mit dem Onlinehandel steht Ihnen die Welt offen, was für uns damals unglaubliche neue Möglichkeiten darstellte. Mein Punkt ist der: Eine Luxus-Multi-Marke kann heute nur noch überleben im Verbund mit E-Commerce.

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Viele Händler haben das bis heute noch nicht verstanden. Wo sehen Sie in Ihrem Sektor innovative Konzepte? Kleine Kosmetikmarken sind sehr interessant und erfolgreich. Sie sind offen für Kooperationen und das Pop-up-Store-Konzept ist das Richtige für sie. Die Gastronomie ist heute ebenfalls ein relevanter Sektor. So etwas finden Sie heute überall in London und New York, aber noch nicht in Deutschland. Hier haben wir noch eine riesige Chance. Wenn Sie schnell etwas essen möchten, zum Beispiel einen Wrap, Ramen oder eine Poké Bowl, haben Sie keine andere Wahl. Normalerweise werden diese Orte von jungen Leuten betrieben, die sich jedoch nicht die hohen Mieten in den Innenstädten leisten können. Wie sehen Sie in Bezug auf diesen Trend deutsche Städte mit ihren typischen Einkaufsstraßen aufgestellt? Die Städte sind ein bisschen müde geworden, sie müssen interessanter werden. Die Haupteinkaufsstraßen werden von Einzelmarken dominiert, sie sind voll an Wochenenden, aber sonst gibt es da nicht viel zu tun. Städte müssen mehr Erlebnisse generieren, unterschiedliche Aktivitäten anbieten, den sogenannten Mixed Use. Was bedeutet, dass

der stationäre Einzelhandel über das Design attraktiv bleiben muss. Die Kunden sollten genau die gleiche Breite der Auswahl haben, wie sie es auch online haben. Jedes Produkt, jede Größe und den gleichen Service. Das schließt auch unterschiedliche Zahlungs- und Lieferoptionen mit ein. Glauben Sie, dass sich Ihre Kunden seit dem Onlineboom verändert haben? Wenn ja, wie? Onlinekäufe haben auch die Offlinekäufe total beeinflusst. E-Commerce hat uns bequem gemacht, wir haben keine Geduld mehr, keine Zeit mehr zu verlieren und wir verlangen heute dasselbe vom stationären Handel. Besonders im Luxus-Segment machen Kunden sogenannte „Erfahrungskäufe“. Zum Beispiel fliegen sie nach New York, um ein limitiertes Produkt zu kaufen. Man muss schnell sein, sonst verpasst man seine Chance. Andererseits, wenn man dergleichen Produkte online einstellt, sind sie innerhalb von Minuten ausverkauft. Weitere Faktoren gewinnen an Bedeutung, wie zum Beispiel Preise, Originalität, der Fakt, dass man ein Produkt nur dort und nirgendswo anders bekommt etc. Die Tatsache, dass heute etwas Besonderes nur an einem Ort verfügbar ist und auch nur in einem bestimmten Zeitfenster, gewinnt eine neue Wertigkeit.

„Haupteinkaufsstraßen werden heute von Einzelmarken dominiert, sie sind voll an Wochenenden, aber sonst gibt es da nicht viel zu tun.“

„Die Mischung macht’s und die Gastronomie ist perfekt dafür, für die Stadt, für große Warenhäuser. Interessante Dinge, tolles Design, kleine Cafés, Lebensmittelmärkte und schon zieht das Leute an, die auch verweilen.“

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Könnte man so etwas auch in Deutschland anstreben? Es ist schwierig, diese neuen Trends von London oder New York nach Deutschland zu importieren, aber selbst da sollte man mehr Vorstellungskraft besitzen. Die Welt gleicht sich immer mehr an, Städte und deren Einwohner denken immer mehr in einer internationalen, kosmopolitischen Art und Weise. Was anderswo in der Welt funktioniert, wird auch irgendwann in Deutschland funktionieren, es ist hier halt etwas langsamer. Dennoch besteht noch gehörig Spielraum für bessere Einkaufserlebnisse, größere Auswahl, neue Gastronomiekonzepte und mehr Schönheit. Da gibt es noch einige Bereiche, die in Deutschlands Städten unterentwickelt sind. Ein cooles, modernes Café ist immer ein attraktiver Ort. Dieser ist eng verbunden mit dem Einkauf, etwas zu besorgen, zu essen oder zu trinken und so weiter. Im Luxussegment stellt Mailand eine interessante Mischung von Geschäften, ein angenehmes Stadtbild, zum Beispiel mit Cafés, dar. Nochmals gesagt, der Schlüssel zum Erfolg für Städte und Warenhäuser ist die Durchmischung und die Gastronomie: Interessante Dinge, gutes Design, kleine Cafés und Lebensmittelmärkte ziehen die Leute an und lassen sie dort verweilen.

Hat sich Ihr Einzelhandelskonzept über die Jahre verändert? Wenn ja, in welcher Art und Weise? Brauchten Sie zum Beispiel mehr Fläche nach Ihrem Internetauftritt? Sicherlich, das Einzelhandelsgeschäft hat sich kolossal gewandelt. Im Luxussegment benötigen sie nur ein Untergeschoss, das Erdgeschoss und vielleicht noch den ersten Stock. Sicherlich gehen die Leute auch in den zweiten Stock, aber das ist nur etwas für Restaurants, vielleicht auch noch für Heimausstatter, falls die Fläche das hergibt. Aber all dies sollte gut entworfen sein und über ein gutes Ambiente verfügen – es reicht nicht einfach, die Flächen zu haben. Wie treten Sie mit dem Kunden auf einer digitalen Plattform in Kontakt? Die Kunden wissen genau, was sie wollen. Es kommt nicht darauf an, wo sie den Einkauf tätigen, solange er einfach und schnell vonstattengeht. Es gibt keine Markentreue mehr wie in der Vergangenheit. Allerdings besteht so etwas wie eine Treue zur der Produkt-Darstellung mit Hilfe der visuellen Wiedererkennbarkeit, zum Beispiel Produkte in Frachtkisten, was in Verbindung zur Marke steht. Es können auch kleine Dinge in der Darstellung sein, wie es beispielsweise in der Vergangenheit die Leser von Elle und Vogue erfahren konnten. Beide Magazine zeigten das gleiche Produkt, aber man bekam ein jeweils anderes Gefühl davon. Kundentreue muss mit anderen Methoden entwickelt werden, als Beispiel mögen Bonusprogramme dienen. Den besten Kunden sollte man immer kostenfreie Lieferung garantieren, oder noch besser, mehr Zeit, um die Sachen wieder zurückzuschicken!

John Cloppenburg

„Im Wettlauf mit dem Internet müssen unsere Geschäfte neu konzipiert werden, um besser den visuellen Warenverkauf zu betonen.“

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John Cloppenburg, Mitglied der Unternehmensleitung von Peek & Cloppenburg KG Düsseldorf, eines internationalen, familiengeführten Modeunternehmens mit ungefähr 16.000 Angestellten und Niederlassungen in 15 europäischen Ländern.

„Die Leute wollen immer noch in die Städte kommen. Nur verbringen sie heute ihre Zeit ein bisschen anders, als dies es noch vor 20 Jahren der Fall war.“

Wie hat sich das Geschäft bei P&C verändert, seitdem der E-Commerce dieses Wachstum entwickelte? Sagen wir mal, das ist ein fortwährender Prozess. Vor dem Aufkommen des Onlinehandels genügte es, in jeder größeren Stadt umfangreiche Bestände der Kollektion auf Lager zu halten, um den Löwenanteil der Kundenwünsche zu befriedigen. Heutzutage haben sich die Dinge allerdings verändert. Nur wenige Geschäfte weltweit können das von sich behaupten. Vielleicht gelingt es Selfridges, Harrods, Galerie Lafayette oder vergleichbaren Einkaufstempeln, von sich zu sagen, dass sie ein Einkaufserlebnis ersten Ranges allein durch die Art ihrer Häuser darstellen. Aber fast allen anderen Häusern gelingt es nicht, hinsichtlich ihrer Auswahl mit dem geballten Angebot des Internets mitzuhalten. Demzufolge müssen wir unsere Geschäfte neu überdenken, schon um rein visuell die Ware besser zu präsentieren und sie dadurch ansprechend zu machen. Auch damit unsere Käufer besser finden, was sie suchen, oder noch besser, dass sie etwas finden, von dem sie noch nicht wussten, dass sie es benötigen. Diese Veränderungen haben unser Geschäft noch mehrdimensionaler gemacht, als es bisher schon war. Jedoch ist es genauso spannend unsere Haltung zum Modegeschäft generell neu zu überdenken. Das gilt besonders für einige Geschäfte, die ihr Sortiment mit Waren von einer ganz anderen Ausrichtung kombinieren. Ich denke,

an einigen neuen Konzepten dieser Art kann man schon erkennen, dass die Summe von eins plus eins in vielen Fällen mehr sein kann als zwei. Glauben Sie, dass die Integration unterschiedlicher Marken und von Angeboten anderer Industrien erfolgreich sein kann? Wie ich bereits sagte, ich glaube es gibt schon gute Beispiele, die zeigen, dass Modehändler sehr gut von der Zusammenarbeit mit anderen Warensortimenten profitieren können und dass man sehr wohl aus der gegenseitigen Anziehung einen Nutzen ziehen kann. Das ist durchaus vergleichbar mit der Entwicklung, die wir in den Shoppingcentern beobachten können. Ein einzelnes Geschäft kann sich in ähnlicher Weise aufstellen. Allerdings glaube ich, dass es in diesem Fall intensiv beraten werden muss, um immer den richtigen Nerv zu treffen. Wir können alle die gleiche Welle reiten, die zu einem phänomenalen Momentum werden kann. Der Trick besteht darin, den Mut zu haben, immer etwas Besonderes zu sein. Nicht zu weit ab vom Strom, aber auch nicht zu identisch mit der Masse. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Sind Ihre digitalen Kunden anders als die stationären? Ja und nein, es gibt viele Kunden von uns, die sowohl online als auch offline einkaufen. Ich denke, das ist eine Frage der Treue zu unserem Haus und

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der Vertrautheit mit unseren Marken sowie der Qualität. Dieser Art von Kunden können wir eine besondere Art von Einkauf anbieten, selbst wenn sie zu beschäftigt sind, um zu uns in die Läden zu kommen. Dann gibt es natürlich auch jene Kunden, für die wir nur eine Marke von vielen sind, von denen sie ihre Kleidung beziehen. Dieser Schlag von Kunden ist oft sehr auf Sonderangebote ausgerichtet und daher viel schwieriger für uns zu gewinnen. Welche Lehren können vom digitalen Handel gelernt werden und wie könnten diese auf den stationären Handel übertragen werden? Ich persönlich möchte die Kunden nicht in Onlineoder Offlinekunden kategorisieren. Online und offline sind nur zwei unterschiedliche Kanäle, um die Kunden zu erreichen. Wie immer kommt es darauf an, die Wünsche der eigenen Kunden zu kennen, ihre Gedanken zu lesen und dann zu wissen, was sie wollen und wie sie das Produkt erwerben möchten. Online gibt es dafür entsprechende Instrumente, offline ist das immer noch mehr ein menschlicher Faktor. Aber ich denke, dass Offlinegeschäft ist schon hart bei der Arbeit, um die Lücke zum Onlinegeschäft zu schließen, zum Beispiel mit Hilfe von Loyalitätsprogrammen und besserem CRM (Customer Relationship Management). Am Ende müssen wir es unseren Kunden so angenehm wie

möglich machen, gleich welche Art von Verkaufskanal sie wählen. In welchem Maß hat die Integration von E-Commerce die Inneneinrichtung Ihrer Häuser beeinflusst? Ganz ehrlich, das ist eine große Herausforderung für uns. Einerseits denke ich, dass es den Gesamteindruck unserer Häuser moderner erscheinen lässt. Das Letzte, was einer in unserer schnelllebigen Welt möchte, ist etwas Altbackenes und Verstaubtes. Andererseits hat sich seit dem Aufkommen des Onlinehandels die Ausrichtung unserer Häuser komplett gewandelt. Weg von der Präsentation der Waren nach Kategorien hin zu einer Total-Look-Präsentation. Das gilt besonders, seitdem die starken Marken verlangen, in einem Shop-in-Shop-Konzept präsentiert zu werden. Ich persönlich sehe diesen Entwicklungen mit gemischten Gefühlen entgegen. Denn es tendiert dahin, dass die Händler mehr und mehr austauschbar werden und es erschwert diesen Händlern vermehrt, als eigene Marke aufzutreten. In den Herrenabteilungen unserer Häuser ist die Präsentation nach Kategorien noch etabliert. Unsere Erfahrung ist auch, dass dergleichen Ausrichtung gemäß Marken, Preiskategorien und Qualität immer noch die höchste Form an Produktivität gibt und den besten Ertrag des investierten Kapitals. Wenn das alles wirklich so antiquiert sein soll, dann wundere ich mich, warum alle Onlinehändler dem

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Kunden ebenso eine Differenzierung der Produkte anbieten, um sie so schnell wie möglich zu den Produkten zu führen, die sie suchen? Allerdings muss ich eingestehen, dass die Damenkollektion schon ein bisschen weiter auf dem Weg zu einer TotalLook-Präsentation ist. Wie beeinflussen diese Entwicklungen das Einzelhandelsgeschäft und die Städte? Der Onlinehandel hat im stationären Handel für eine Kundenfrequenz-Krise gesorgt. Wenn schon ein gewisser Bedarf der Kunden gestillt ist, bevor sie das eigene Haus verlassen, um einzukaufen, ist es kein Wunder, dass weniger Leute in die Geschäfte kommen. Die Herausforderung für die stationären Händler ist eine höhere Frequentierung und dadurch mehr Käufer zu gewinnen und/oder höhere Durchschnittspreise zu verlangen, um die Verluste zu kompensieren, die sie anderswo erleiden. Aber wie bereits angemerkt, es ist leichter gesagt als getan. Wie verändern sich dabei die Städte? Das ist eine sehr schwierige Frage. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass die Leute immer noch in die Städte kommen wollen. Nur verbringen sie heute

ihre Zeit ein bisschen anders, als dies es noch vor 20 Jahren der Fall war. Wie sehen Sie diese Veränderungen auf lange Sicht? Gibt es eine Zukunft für die Innenstädte? Ich denke ja, mit großer Bestimmtheit. Menschen sind soziale Wesen und demzufolge sind die Städte die perfekten Orte, um dies auszuleben. Die Anziehung der Innenstädte scheint immer noch hoch zu sein, was sich zum Beispiel in den Immobilienpreisen ausdrückt. Natürlich gibt es immer kritische Stimmen, die fragen, wie man die Masse der Pendler regelt? Einige Leute haben tatsächlich behauptet, es wäre besser, wenn weniger Menschen in die Zentren strömten. Sie sollten online einkaufen und damit einen geringeren ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Da bin ich sehr skeptisch. Besonders wenn man bedenkt, wie viele Waren auf den Onlinekanälen wieder zurück in die Lager geschickt werden. Am Ende wird es sein wie im Einzelhandel. Die Städte, die gut verwaltet sind und es ihrer Bevölkerung leicht machen einzukaufen und das zu bekommen, was sie suchen, werden attraktiv sein und aufblühen.

„Die Revolution im Onlinehandel hat sich komplett von einer Warenpräsentation nach Kategorien zu einer TotalLook-Präsentation gewandelt.“

Ralf Rothberger „Die Zahl unserer Onlinekunden wächst und dieses Wachstum reflektiert sich in unseren Geschäften. Zum Beispiel haben wir viele Kunden, die online suchen, aber offline kaufen.“

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Ralf Rothberger, Chief Marketing Officer bei C&A, einem internationalen Modehändler mit mehr als 50.000 Angestellten und Geschäften in Europa, Asien sowie Nord-, Mittel- und Südamerika.

In Deutschland finden 11% des Einzelhandelsumsatzes im Internet statt. Wie wirkt sich dieser Trend auf C&A aus? In den letzten 10 Jahren hat sich der Onlineumsatz im Segment Kleidung mehr als verdreifacht. Das daraus resultierende größte Problem für die Städte und den stationären Handel ist die abnehmende Zahl von Menschen, die in die Läden kommen. Die daraus folgende geringere Frequentierung der Innenstädte ist ein generelles Problem. Daher haben wir im vergangenen Jahr Anstrengungen unternommen, wieder mehr Menschen in unsere Häuser zu bringen. Dieser Verkehr in unseren Häusern steht natürlich im direkten Zusammenhang mit der allgemeinen Attraktivität von Shoppingmalls und Innenstädten.

Erlaubt Ihre Verlagerung auf den Onlinehandel eine Kompensierung der geringeren Kundenfrequenz in Ihren Häusern? Der Verlust an Kaufkraft in unseren Häusern bedeutet nicht gleichzeitig einen Gewinn für uns im Internet. Es geht immer um den Moment der Kaufentscheidung. Nehmen Sie eine Mutter, die abends zu Hause sitzt, während ihre Kinder schon schlafen. Die Alternative besteht dann nicht zwischen dem Besuch des Internets oder eines unserer Geschäfte. Es geht darum, dass sie nur während ihrer freien Zeit einkaufen kann, und deswegen geht sie online. Hier ein weiteres Beispiel, nehmen Sie den typischen Samstagmorgen nach dem Frühstück, wenn die Leute entscheiden, in die Innenstadt zu gehen, ein Festival oder einen Weihnachtsmarkt zu besuchen. Während sie in der Stadt sind, mögen sie Lust bekommen, bei einer Marke einzukaufen, die ihnen zusagt. Es ist falsch zu denken, dass das, was man in den Geschäften an Umsatz verliert, online wieder reinkommt. Aber, wenn man nicht online ist, verliert man auch die spontanen Shopper.

55 „Warum sind die Städte nicht kreativer? Wir sollten alle zusammen spezielle Aktivitäten und Erlebnisse kreieren.“

So sind Sie der Meinung, dass Sie die Multi-Channel-Strategie verfolgen müssen? Definitiv, es ist für C&A zwingend notwendig, einen Internetshop zu haben. Keinen zu haben, würde bedeuten all die spontanen Käufer und obendrein diejenigen, die außerhalb der Öffnungszeiten einkaufen, zu verlieren. Glauben Sie, Ihre Käuferschicht hat sich seit dem Aufkommen des Onlinehandels verändert? E-Commerce hat das Verhalten und die Erwartungen der Käufer signifikant verändert. Es gibt Momente, in denen das Onlineshopping weniger Aufwand bedeutet und es viel einfacher ist, als ein stationäres Geschäft zu besuchen. Jedoch für die Mehrzahl unserer Kunden stellen unsere Häuser immer noch die bevorzugte Variante dar – wir verzeichnen mehr als drei Millionen Besucher pro Tag in all unseren Läden weltweit. In der Tat ist es das mittlere Marktsegment, welches vom E-Commerce und den Discountern am stärksten unter Druck gerät. Bekleidungsdiscounter sind in den letzten zehn Jahren enorm gewachsen. Sie profitieren von einem Aspekt, der in Bezug auf Onlineshopping noch kaum in Betracht gezogen wurde: die Kreditwürdigkeit. Einige Käufer mit unzureichendem Kontostand haben Schwierigkeiten online einzukaufen, ganz gleich, ob ihre Kredit-

würdigkeit berechtigt oder unberechtigt in Frage gestellt wird. Ihr einziger Ausweg ist dann, bei billigen Bekleidungsdiscountern einzukaufen, die meist offline sind. Am anderen Ende des Spektrums leiden hochwertige Marken nicht so sehr unter dem Onlinehandel, da ihre Kundschaft das exklusive In-store-Einkaufserlebnis genießt. Wie könnten digitaler und stationärer Handel zusammengeführt werden? Unser Anteil an Onlinekäufern wächst beständig und dieses Wachstum drückt sich auch im stationären Handel aus. Zum Beispiel zeigt unsere Zustellung von Newslettern, dass viele Kunden online suchen, aber offline kaufen. Über 30% unserer Newsletter-Abonnenten kaufen nicht online, sondern gehen lieber ins Geschäft. Haben Sie Unterschiede zwischen Ihren Kunden, die Geschäfte aufsuchen und denen, die im Internet sind, feststellen können? Unsere Onlinekunden sind durchschnittlich zehn Jahre jünger als unsere Offlinekunden. Viele Kunden betrachten die Ware heute anders. Eigentlich benötigen sie die Produkte nicht, ihr Kauf folgt einem Impuls und dem Wunsch zu kaufen, unabhängig davon, ob sie etwas brauchen oder nicht. Die Schlüsselfrage ist daher, was löst diesen

Kaufimpuls aus? Wir müssen unseren Kunden einen Grund geben, zu uns in die Geschäfte zu kommen, wenn sie unterwegs sind, einen Cappuccino oder das Mittagessen in der Stadt einnehmen. Haben sich in den letzten Jahren die Firmen geändert, die Ihre Geschäfte ausstatten? Wie steht es um die Produktpräsentation und die Anzahl der Produkte in den Regalen? Wir bauen unsere Häuser seit Jahren ständig um: Decken, Böden und Beleuchtung – alles ist immer auf dem neuesten Stand. Wir haben ebenso die Art und Weise verändert, wie wir unsere Ware ausstellen. Was wir davon lernen ist, dass unsere Kunden ein gewisses Erlebnis bei uns suchen. Worauf es bei einem vitalen und wachsenden Geschäft ankommt, ist mit einer inspirierenden Kollektion und einem tollen Interieur immer einen Schritt voraus zu sein. Wir müssen unsere Häuser attraktiv halten. Bis in die 90er-Jahre renovierten wir erst nach sieben oder zehn Jahren wieder. Heutzutage, mit

schneller Technik und neuen Trends, geschieht dies schon alle drei bis vier Jahre. Unsere Philosophie ist daher die, wie in einem Eigenheim, ein Zimmer nach dem anderen mit den neuesten Dingen auszustatten. Es ist eine permanente Revolution. Welche Rolle spielen die Städte in Ihrem Geschäftsmodell? Zusätzlich zu der kontinuierlichen Optimierung unserer Häuser ist die Gegend, in der sich unsere Geschäfte befinden, und die Stadt ganz allgemein extrem wichtig. Die geringere Frequenz an Käufern, welche der Einzelhandel feststellt, hat nicht selten auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass Stadtzentren an Attraktivität verlieren oder schwerer erreichbar sind. Hier handelt es sich für uns um eine dringende Angelegenheit, die immer wieder von den Städten hinterfragt werden sollte. Konzepte, um den jeweiligen Zustand einer Einkaufsgegend zu verbessern, beginnen zunächst immer mit einer erhöhten Sauberkeit in den Straßen, einem guten Nahverkehrs- wie auch Parkplatzangebot einschließlich der Reduzierung der Fahrkartenpreise oder Parkgebühren. Der erste Schritt ist, die Leute in die Städte oder die Shoppingmalls zu locken, der nächste ist es dann, sie in die Geschäfte zu führen. Daher wird die jetzt diskutiere Maut für Innenstädte nicht notwendigerweise die Attraktivität der Städte erhöhen.

57 Können Sie messen, wie attraktiv eine Stadt ist? Wie sind Ihre Verhältnisse zu Stadtverwaltungen? Wir sind ständig dabei, unsere Geschäfte zu eröffnen, zu renovieren oder zu schließen. Daher befinden wir uns in einem fortwährenden Evaluierungsprozess, der von den Mietverträgen abhängig ist. Wenn ein Standort an Attraktivität verliert, muss das auf den Tisch, wenn wir die Miete mit dem Vermieter besprechen, sonst können wir nicht profitabel sein. Daher sind wir viel öfter in Kontakt mit Vermietern als mit der Stadtadministration. Allerdings sind wir während der Renovierung unserer Häuser von strengen Auflagen der lokalen Behörden betroffen. Nehmen Sie als Beispiel einen Fassadenschriftzug, manchmal dürfen wir ein altes Logo abnehmen, aber kein neues anzubringen. Deswegen steht hinter einer alten Fassade nicht selten ein komplett renoviertes Haus. Der Grad der Freiheit in solchen Belangen ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Bezüglich der Öffnungszeiten, besonderer Veranstaltungen und der Attraktivität der Innenstädte sind wir oft im Gespräch mit den örtlichen Behörden, die wir immer auch an die Interessen der Käufer erinnern müssen. Das sind die zwei Seiten ein und derselben Münze. Einzelhandel macht die Innenstädte attraktiver, aber die Attraktivität der Städte bestimmt, welche Einzelhändler im Zentrum verbleiben.

Benötigen Sie bei der wachsenden Digitalisierung und den vielfachen Kaufoptionen der Kundschaft mehr oder weniger Verkaufsfläche in Ihren Geschäften? Die ständige Abnahme der Kundenfrequenz in den letzten zehn Jahren hat unseren Umsatz pro Quadratmeter verringert. Und da wir das ganze Gebäude mieten, ist es schwierig, unsere Mietfläche zu verringern – es ist nicht selten eine Frage von „alles oder nichts“. Eine Antwort darauf könnte sein, die Flächen mit anderen Einzelhändlern zu teilen, wie wir es mit Decathlon in Düsseldorf machen. Dort reduzierten wir unsere Mietfläche, machen aber weiterhin den gleichen Umsatz. Das ist keine Patentlösung für alle Standorte, kann aber eine gute Alternative sein. Glauben Sie, dass „click and collect“ in Zukunft noch wichtiger wird? Unser Ziel ist und bleibt es, unseren Kunden einen umfassenden wie auch nahtlosen Omni-Service online wie offline anzubieten. Neben dem OnlineNewsletter und den Sozialen Medien ist „click and collect“ für uns wichtig, da es bereits für ein Drittel der Onlinekäufe zutrifft. Das ermöglicht unseren Kunden, niemals eine Paketlieferung zu verpassen und zu jeder Zeit in unsere Geschäfte zu kommen, um vielleicht auch eine neue Bestellung aufzugeben oder eine alte zu korrigieren.

„Es ist falsch zu denken, dass das, was man in den Geschäften an Umsatz verliert, online wieder reinkommt. Aber, wenn man nicht online ist, verliert man auch die spontanen Shopper.“

Habe Sie Pläne, die Technik noch weiter aufzurüsten, zum Beispiel durch „Bagless Shopping“ oder „Smart Mirrors“? Es hängt immer vom jeweiligen Einzelhändler ab, sich seine passende Technik für sein Geschäftsmodell auszusuchen. Bei C&A funktioniert es gut, unsere Verkäufer mit Tablets und RFID-Technologie zu versehen, weil sie dadurch die Kunden noch besser beraten und gleichzeitig einen Blick ins Lager werfen können. Andererseits funktionieren „Smart Mirrors“ – so fantastisch sie in der Theorie sein mögen – für große Einzelhändler nicht. Sie sind viel zu schwierig, in all unseren Häusern zu installieren. Viele Marken kooperieren mit anderen Geschäftsfeldern wie beispielsweise Technik und Lebensmitteln. Glauben Sie, dass diese Partnerschaften eine Zukunft haben? Wir haben erfolgreiche Partnerschaften mit anderen Marken, solange sich ihr Angebot im Preissegment unserer Kundschaft befindet und das Einkaufen bei C&A attraktiv macht. Wir haben zum Beispiel einen Kooperationspartner von einer Jeansmarke, die preislich etwas über unseren Preisen liegt. Und dennoch funktioniert es gut, solange wir damit unsere eigene Kollektion erweitern, aber unseren Umsatz nicht kannibalisieren. Ein anderes Beispiel aus unseren Geschäften ist eine spezielle In-storeSpielzeugabteilung, wo Kinder unterhalten werden, während ihre Eltern ungestört ihren Einkauf genießen können. Das ist ein Gewinn für alle Beteiligten.

Glauben Sie, die Öffnungszeiten in Deutschland könnten verbessert werden? Sehen Sie irgendwo einen Fortschritt in den Diskussionen über den „Offenen Sonntag“? Die Frage nach den Öffnungszeiten ist sehr wichtig, besonders in kleineren Städten, wo die Läden früher schließen. Begrenzte Öffnungszeiten hindern Kunden, in die Innenstädte zu kommen. Ein Geschäft am Sonntag zu öffnen, ist eine komplexe Angelegenheit. Das schafft ein besonders Einkaufserlebnis bei unseren Kunden, da es entspannter ist. Offene Sonntage funktionieren perfekt in Verbindung mit einem besonderen Anlass, wie beispielsweise das Wochenende vor Ostern, im Mai die Tage vor den Feiertagen oder die Zeit vor dem Schulstart. Solche Anlässe müssen in das Leben und die Kalender unserer Kunden passen. Die Städte müssen mit an Bord geholt werden bei der Organisation von Veranstaltungen. Dann haben wir die richtige Mischung, die die Kundschaft in die Städte bringt, so wie wir das jedes Jahr mit den Weihnachtsmärkten in Deutschland erleben. Wie beeinflussen solche Trends die typischen Einkaufsstraßen in Europa? Die Frage ist doch: Warum sind die Städte nicht kreativer in ihrer Suche nach mehr Attraktivität? Es geht in der Findung geeigneter Anlässe darum, mit den Städten gemeinsame Sache zu machen. Also ein umfangreiches Erlebnis anzubieten, das für die Käufer, die Einzelhändler und die Stadt sinnvoll ist.

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„Städte können viele Initiativen unternehmen, um attraktiver zu sein. Eine davon ist die Anfahrt zu erleichtern, indem beispielsweise die Fahrkarten ermäßigt oder die Parkgebühren gesenkt werden.“

Dr. Markus Wiedenmann und Holger Weber

Dr. Markus Wiedenmann ist Managing Director/CEO und Partner des Projektentwicklers Art-Invest.

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Holger Weber ist Head of Research bei Art-Invest.

Art-Invest Real Estate GmbH ist eine Projektentwicklungs- und Investmentgesellschaft mit Langzeitstrategien. Die Hauptverwaltung ist in Köln mit Projekten in den Metropolregionen von Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg und Köln/Bonn.

Seit Jahren steigt die Popularität von E-Commerce. Wie schätzen Sie diesen Trend ein und welche Auswirkungen hat er auf die Immobilienwelt? Holger Weber: Natürlich besteht eine Imbalance zwischen dem Online- und dem stationären Handel. Onlinehändler haben im Wettbewerb mit dem stationären Handel komplett andere Preisstrukturen; die letztbenannten müssen in den Städten vertreten sein, sie zahlen eine vergleichsweise hohe Miete, wogegen der Onlinehandel auf die preiswertere Grüne Wiese ausweichen kann. Stationäre Händler haben außerdem Logistikkosten, hohe Tarife, viele Mitarbeiter etc. Daher liegen für sie von Anfang an die Karten schlecht im Wettbewerb mit dem ECommerce. Markus Wiedenmann: Die Städte haben sich ebenfalls gewaltig verändert. Sie merken das zum Beispiel, wenn Sie die Hohe Straße durchlaufen, Kölns erste Adresse für den innerstädtischen Einkauf: Alles ist dicht beieinander, es kommt kein richtiges „Einkaufserlebnis“ auf im Vergleich zu einer richtigen Haupteinkaufsstraße, es entsteht einfach kein gutes Gefühl. Man muss den öffentlichen Raum wieder mehr ansprechend machen; es gibt einen Bedarf an Grünflächen, Gastronomie, Plätzen, Höfen und durchmischten Nutzungen. Es sollten dort nicht nur Bekleidungsgeschäfte angesiedelt sein, sondern auch Cafés, Eisdielen, Servicegeschäfte etc. Der Gang in die Stadt muss wieder zu einem Erlebnis werden und nicht nur eine pflichtbewusste Erbringung einer Notwendigkeit. Meiner Meinung nach haben die Städte bis heute ein unvollständiges Verständnis von diesen Problemen, deswegen haben sich diese Stadtteile auch noch nicht grundlegend verbessert. Trotzdem glaube ich auch, dass nicht alles an der Stadtverwaltung hängen bleiben soll, sondern auch an den privaten Investoren. Die Business Improvement Districts (BID) in Hamburg sind

dafür ein gutes Beispiel. Sie sind erfolgreich und alle tragen einen Nutzen davon, einschließlich die Stadt, die keinerlei Kosten hinsichtlich der Straßenunterhaltung hat. Wir versuchten etwas Gleichgeartetes in der Kölner Innenstadt mit Hilfe der ISG (Immobilien- und Standortgemeinschaft) und ich glaube, wir könnten leicht die Straßen mit privater Unterstützung aufpolieren, aber dies alles ist sehr schwierig und ein langwieriges Thema. Warum ist das so schwierig? Ist dies so, weil es für die Stadt eine Herausforderung ist, so etwas zu organisieren oder liegt es am mangelnden Interesse der Immobilienmakler? MW: Das Problem ist, dass eine solche Maßnahme als eine strukturelle Hilfe für eine schwache Gegend betrachtet wird, die auch anderweitig entwicklungsbedürftig ist. Die Stadt würde sich der Straße annehmen und sie umgestalten, das ist die Idee. Was ich dagegen sage, ist, man sollte die besten vergleichbaren Straßen als Vorbild nehmen und wenn des dort geklappt hat, kann man sagen „Schaut her, wie schön dieser Ort geworden ist!“. Man sollte mit den besten verfügbaren Beispielen ganz von oben anfangen, zum Beispiel was Berlin mit dem Kurfürstendamm gelang, und sich dann in die weniger attraktiven Gebiete vorarbeiten, nicht aber von unten nach oben. Ich sehe in Köln großes Potenzial.

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Die Immobilienbesitzer sind scharf darauf zu investieren, weil sie verstehen, dass die Verweildauer eines Ortes nicht nur die Immobilien betrifft, sondern auch den umliegenden öffentlichen Raum. Und für solche Ausgaben hat die Stadt Köln wenig Mittel. Das korrespondiert mit unserer These: Die Attraktivität der Städte muss sich verbessern und eine Weise dies zu erreichen, ist eine durchmischte Nutzung zu etablieren. Nach Ihren Erfahrungen und der Perspektive eines Projektentwicklers und Immobilienbesitzers, welche weiteren Nutzungen würden Sie mit dem klassischen Einzelhandel kombinieren? MW: Wir benötigen weitere Nutzungen in den Innenstädten. So konnten wir uns nicht vorstellen, dass Lebensmittelgeschäfte oder ein Autohändler in der Innenstadt funktionieren würden. Jedoch, jetzt sind sie da: Autofirmen wurden oft an die Ränder und in die Industriegebiete der Städte delegiert. Aber Firmen wie Tesla und andere Autobauer entschieden sich in den Innenstädten präsent zu sein, nicht mit dem klassischen Autohandel aber mit Showrooms. HW: Offensichtlich ist der Digital-Commerce für diesen Wandel verantwortlich: Man kann jetzt seine Autofarbe, die Sonderausstattungen und individuelle Details online aussuchen. So etwas gab es noch nie. Heutzutage muss man aber nicht mehr zwanzig Autos ausstellen, man zeigt nur noch ein Modell und alle Farben und Ausstattungsvarianten auf dem Bildschirm. Will sagen, man kann viel mehr Nutzungen in die Innenstädte bringen. Es verbleibt aber

das Problem, dass die besten Lagen viel zu teuer sind. Für uns von der Immobilienseite besteht darin ein Problem, denn heute ist quasi alles ein Showroom! Wobei die genaue Profitabilität im Verhältnis Miete/Umsatz schwer zu ermitteln ist. Es gibt aber noch andere Konzepte, wie dieses hier, welches wir in den BRICKSPACES in Düsseldorf testeten. Dort analysierten wir den Besucherverkehr, zuerst in der Straße, dann im Geschäft und schließlich die genaue Anzahl derjenigen, die etwas kauften. Von da an – mit einer gewissen Investition in entsprechende Technik – hatten wir ein effizientes Instrument, die Immobilie zu evaluieren und zu sagen: „Wir haben die beste Lage, die kostet Geld, aber hier sind die Daten: Zahl der Besucher pro Stunde, Frequenz, Verteilung über die Werktage, Ferien, Jahreszeiten und so weiter. Wir können die Veränderungen über die Zeit verfolgen und die Gebäudekosten entsprechend anpassen. Wir machten vor einiger Zeit eine Studie in München. Was man klar erkennen konnte, war der Besucherhöchststand während des Oktoberfests, um die 20.000 Besucher in der Stunde/Tag – das ist vergleichbar mit London. Wir können also erkennen, wie viele Passanten pro Tag in einer Stunde am Laden vorbeigehen und über das ganze Jahr. Man kann genau messen, wie viele Kunden ein Geschäft betreten und welche Jahreszeiten mehr Kundschaft generieren als andere.

„Die ‚Aufenthaltsqualität‘ an einem Ort betrifft nicht nur die Immobilie, sondern auch den öffentlichen Raum.“ — Wiedenmann

Diese Informationen sind ausschlaggebend für unsere Klienten, in diesem Fall die Einzelhändler. Sie und wir erhalten damit wichtige Verkaufsargumente oder eine Begründung, die Miete zu reduzieren beziehungsweise zu erhöhen. Bevor so etwas möglich war, hatten wir mehr oder weniger ein Basiswissen, wie gut eine Immobilie ist, und entschieden darüber nach dem Entweder-Oder-Prinzip. Jetzt kann die gleiche Information für beide Parteien nützlich sein, um effizienter zu verhandeln. Das ist interessant. Glauben Sie, dass im Einzelhandel die Immobilie und das Gebäude ‚digitalisiert‘ werden müssen? Seit dem Aufkommen der Digitalisierung sind andere Einzelhandelskonzepte entstanden, Verkaufskonzepte, die nicht in Bezug zum stationären Handel stehen, aber andere Faktoren beinhalten, die Einzelhändler interessieren, zum Beispiel das Brand Building. Die Frage lautet daher, was kann die Architektur dazu beitragen? Was kann der stationäre Handel anbieten, was der Onlinehandel nicht hat? MW: Ich glaube der Onlinehandel kann Kunden nicht an eine bestimmte Marke fesseln. Man ist ein erfolgreicher Onlinehändler, wenn man eine starke Marke hat, sprich, wenn einen die Leute im Internet anklicken. Nehmen Sie zum Beispiel den Verkauf eines Paars Schuhe im Internet und jemand sagt: „Ich suche schwarze Laufschuhe“. Wenn Ihre Marke aber nicht so stark ist, wie zum Beispiel Adidas, dann werden Sie es schwer haben mit dem Verkauf. HW: Es gibt eine Nische, in die der klassische Einzelhandel reinschlüpfen kann: Die innerstädtische Produktion in kleinen Mengen, personalisierte Produkte oder ähnliches. Nike Store machte es vor und Adidas versuchte es auch in Berlin: Sie bauten

ein Pilotgeschäft auf, in dem an einen 3D-Scan vom eigenen Körper machen konnte. Danach konnte beispielsweise ein Trikot oder ein Paar Schuhe nach den eigenen Körpermaßen mit selbstausgesuchten Materialien und Farben angefertigt werden. Für 200 Euro bekam man ein einzigartiges Teil, das einem perfekt passte. Auf diese Art und Weise kann eine Produktion in einer Stadt stattfinden, aber sie ist nicht geeignet für den Massenkonsum, sondern für besonders ambitionierte Kunden im oberen Segment, die etwas jenseits der Standardmode haben wollen. Historisch besehen waren es Schneider und Schuhmacher, die dergleichen am Anfang der Warenentwicklung anfertigten. Sicherlich werden in der Zukunft wieder ähnliche Angebote in der Stadt zu finden sein. Kommen wir auf die Immobilie zurück, was bedeutet so etwas für ein Gebäude? Sie haben viele Einzelhandelsobjekte realisiert, was sind Ihre Gedanken in Bezug auf die Zukunft des Einzelhandels? Wie sehen Sie ihn konzeptuell? Sehen Sie neue Geschäftsmodelle, so wie BRICKSPACES? MW: Eines der großen Themen heute ist Flexibilität. Keiner weiß, was im Einzelhandel in fünf oder zehn Jahren passiert, aber eines scheint klar zu sein: Es wird weniger Fläche benötigt werden. Händler brauchen nur noch ausreichend Fläche, um die Kunden mit den Produkten zusammenzubringen. Wenn der Kunde dann sagt: „Ich möchte es kaufen“, braucht er die Ware nicht direkt vor sich, sie kann ihm nach Hause geliefert werden, was komfortabler ist. Man trifft eine Kaufentscheidung, aber man muss es nicht nach Hause schleppen, außer man wünscht sich das „Erfolgserlebnis“ mit einer Designerstore-Tüte die Einkaufsstraße entlang zu schlendern.

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Die Profitmargen sind ebenfalls geschrumpft. In der Vergangenheit wurde nur stationär eingekauft, deshalb konnten Einzelhändler Premiumstandorte finanzieren. Heutzutage konkurrieren sie mit Firmen, die weit weniger Miete zahlen: Eine Halle am Rand der Stadt reicht aus für ein E-Commerce-Lager. Die Kostenstruktur ist komplett unterschiedlich; im stationären Handel benötigt man noch Verkäufer, Berater und so weiter. Deswegen sind die Margen niedriger; man muss effizienter bei den Flächen sein und zwanzig Marken ausstellen anstatt nur eine. Wir denken, der Trend zur Mischnutzung ist positiv. Aber in den deutschen Innenstädten, in Städten wie Köln, Düsseldorf oder Frankfurt am Main, hören wir, dass es in Bezug auf Mixed Use Probleme gibt einschließlich der Gastronomie. Dagegen ist in anderen großen internationalen Städten alles was neu ist und Spaß macht, immer mit einem Gastronomie-Erlebnis gekoppelt. Darin erkennen wir eine Gelegenheit zur Diversifikation. Der Einzelhandel ist langweilig geworden und deswegen funktioniert er nicht mehr. Viele große Einzelhändler haben langsam begonnen, ihre eigenen Cafés, Restaurants und Pop-up-Konzepte in die Geschäfte zu integrieren. Sie sehen darin eine interessante Möglichkeit, Nebenflächen mit anderen Nutzungen zu belegen und damit eine höhere Fluktuation zu erzielen. HW: Es gibt auch noch einen Generationswechsel. Heute finden Sie alles online. Junge Leute sind eher an speziellen, limitierten Produktserien, die nur für eine begrenzte Zeit verfügbar sind, interessiert. Die direkte Art so etwas zu erlangen, ist auf Auktionen überhöhte Preise zu zahlen. Also wenn die Jugend hört, dass ein seltenes Paar Schuhe in einem bestimmten Laden verfügbar ist, rennen sie los.

Kommen wir auf die Digitalisierung der Immobilie zurück. Welche anderen Arten gibt es, um neue Technologien in Gebäuden einzuführen, außer die Besucherfrequenz zu messen? MW: Besucherströme zu messen, ist recht passiv, aber es ist wichtig ein Objekt und seinen Wert so zu bestimmen. Andererseits wird die Interaktion mit der Kundschaft ab einem bestimmten Punkt wichtig. Die Marken fahren gerade auf diesen Trend ab. Sie werden sehr gut in der Identifizierung bestimmter Kundenwünsche. Wenn Sie deren Webseiten aufsuchen, wissen die zum Beispiel, was Sie schon alles gekauft haben und was Sie sonst noch benötigen. Im stationären Handel sind vergleichbare Dinge am Werk. Falls Sie eine bestimmte App installieren und Sie gehen an dem Laden vorbei, bekommen Sie automatisch die neusten Sonderangebote und Preisnachlässe auf Ihr Smartphone. Ich nahm diese Veränderungen erstmalig wahr, als ich nach einer Schultasche für meinen Sohn suchte. Da merkte ich, dass der stationäre Handel komplett im Wandel ist. Im Geschäft hatten sie nur jeweils ein Exemplar von jedem Modell und es war klar, dass sie uns unter keinen Umständen eines davon verkaufen wollten. Sie wollte hingegen, dass mein Sohn eine Tasche aussucht und sagt: „Die möchte ich haben“. So wussten sie, dass wir diese Marke später kaufen werden: Statt darauf aus zu sein, meinem Sohn eine Tasche zu verkaufen, war es für sie wichtiger, dass er sich für eine bestimmte Marke entscheidet. Das war das erste Mal, dass ich realisierte, wie es in der Vergangenheit war. Früher gab es im Laden eine limitierte Auswahl und die Verkäufer wollten ein Exemplar verkaufen. Heute wäre es für die Berater eine Katastrophe, wenn ich zu Hause online ginge und das gleiche Produkt 10% günstiger bestellte.

„Mit einer gewissen Investition in entsprechende Technik haben Sie ein effizientes Instrument, eine Immobilie zu evaluieren.“ — Weber

Aus diesem Grund glaube ich, dass in der Stadt der Zukunft Marken ihre eigenen Geschäfte haben werden, um in direkten Kontakt mit ihren Kunden zu kommen, ohne die Einzelhändler dazwischen. Letztere werden es sein, die gar keine Chance mehr bekommen; die Preisstrukturen werden immer transparenter. Die Kunden profitieren von Mitarbeitern und Produktberatern im Geschäft und kaufen später das gleiche Produkt günstiger online. Und man kann nichts machen, sie davon abzuhalten. Diese Sorte von Einzelhändlern geht harten Zeiten entgegen, aber die individuelle Marke wird überleben. Was sind für Sie interessante Lagen, die Sie bewegen, dort eine Immobilie zu entwickeln? Mit anderen Worten, was erwarten Sie von der Stadtentwicklung, um ein kommerzielles Objekt attraktiv zu machen? Was sollte eine Stadt tun, so dass Sie in bestimmten Lagen investieren? MW: Was ich mir in diesem Bezug wünsche und was meine Gedanken dazu sind, ist kein Geheimnis: Die Besucher einer Stadt kommen nicht mehr dorthin, um einen Bedarf zu stillen. Stattdessen suchen sie nach einem Erlebnis. Dieses Erlebnis ist eng verbunden mit der Aufenthaltsqualität, die wiederum abhängt von der Sauberkeit, Ordnung, Vielseitigkeit des Angebots, kostenloses WI-FI – kurzum, eine allgemeine Zufriedenheit. In Hamburg zum Beispiel

zeigten wir im öffentlichen Raum Kunstwerke. Eine Nutzungsdurchmischung ist ebenso von Relevanz, aber sie ist schwer zu erreichen, denn jeder will ein kleines Café in der Nähe haben. Am Ende können wir als Projektentwickler nur allgemeine Bedingungen definieren, der Einzelhandel muss sich schon selbst neu erfinden, wir können nur in unseren eigenen Dimensionen denken. Wir versuchten es mit BRICKSPACES, indem wir frische Ideen und Kooperationen einbrachten, Pop-up-Stores aufstellten und ‚Fläche als Service‘ in einer unkonventionellen Weise einführten. Wir entschieden, keine der Flächen dauerhaft zu vermieten, sondern sie als Anziehungspunkte zu nutzen. Kunden möchten neue Erlebnisse und ich denke, sie finden es spannend, wenn Läden alle zwei Monate wechseln und komplett neue Dinge verkaufen, die man nicht sonst überall bekommt. HW: Man sollte hier erläutern, dass BRICKSPACES wirklich ein Pop-up-Store ist, und dass er jeweils nur circa zwei Monate von Dauer ist. Es kann auch sein, dass wenn die Kundschaft merkt, dass die Läden alle zwei Monate wieder verschwinden, sie das als negativ empfinden. Jedoch wenn unsere Kunden von vornherein wissen, dass die Läden nach kurzer Zeit wieder ausziehen, werden sie sicherlich regelmäßiger kommen, um herauszufinden, was es Neues gibt. MW: … und es könnte sein, dass sie jedes Mal einen neuen Eindruck bekommen. Zum Beispiel könnte man in Köln ein Pop-up-Store-Konzept haben nur mit Erzeugnissen aus Köln, von Biergläsern bis Bettdecken. Einen Monat verkauft man nur Produkte in Bezug auf den Kölner Dom, im Folgenden steht der 1. FC Köln im Rampenlicht und so weiter. Eine neue Idee jeden Monat wird die Kunden interessieren.

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HW: Der Pop-up-Store als ein Serviceangebot begründet sich immer auf dem Ziel, Flächen zu vermieten. Eine fest etablierte Firma kann so etwas für sich selbst schaffen, aber kleinere Firmen, die vielleicht nur ein Produkt haben, können sich das nicht leisten. Was es noch zu entwickeln gibt, ist eine Plattform, die ein umfangreiches Serviceangebot für einen Hersteller oder eine Marke darstellt. Dies würde nicht nur beinhalten, eine Fläche für eine kurze Zeit zu vermieten, sondern auch Ausrüstung, eine Zahlungsplattform und vielleicht Verkäufer für das Geschäft bereitzustellen.

„Die Kunden wollen neue Erlebnisse und ich denke, sie finden es interessant, wenn die Läden alle zwei Monate wechseln.“ — Wiedenmann

Markus Greitemann

Markus Greitemann ist der Baudezernent für Stadtentwicklung, Planen und Bauen der Stadt Köln.

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„Kunden sollten in der Lage sein, den individuellen Mehrwert vom stationären Handel zu erkennen. Dies kann ein spezieller Service oder eine individuelle Vorliebe sein.“

Was sind die Auswirkungen des digitalen Wandels auf Köln? Die Auswirkungen des digitalen Wandels auf den Einzelhandel sind in allen entwickelten Ländern der Welt vergleichbar. Der Trend zum digitalen Shopping stellt die stationären Einzelhändler vor die Existenzfrage. Das trifft auch auf Köln zu. Außer dem Lebensmittelhandel, der noch nicht arg mitgenommen ist, und einer kleinen Gruppe von hoch spezialisierten Geschäften mit sehr individuellen Produkten, sind fast alle Geschäftsbereiche betroffen. Viele Firmen, die den digitalen Wandel verleugnen, werden letztendlich vom Markt verschwinden. Die, die ihren stationären Handel beibehalten wollen, müssen gleichzeitig auch eine parallele Onlinepräsenz aufweisen – was bedeutet, dass sie eine sogenannte „Online/Offlinestrategie“ verfolgen müssen. Darüber hinaus liegt es an den Kunden, den individuellen Mehrwert vom stationären Handel zu erkennen. Dies kann ein spezieller Service oder eine individuelle Vorliebe sein. Der Einzelhandel vermeldet, dass die Besucherfluktuation in den deutschen Innenstädten immer weiter abnimmt. Wie können Sie als Stadt Köln dagegen etwas unternehmen? Wie kann Köln auf die digitale Transformation reagieren? Lassen Sie mich zuerst eine Bemerkung machen: Seit Jahrzehnten zielten Immobilienbesitzer in der Kölner Innenstadt darauf ab, absolute Spitzenmieten zu erwirtschaften. Das Ergebnis davon ist, dass inhabergeführte Geschäfte, die in der Vergangenheit eine wichtige Komponente für die Individualität Kölns als Einkaufsstandort von Relevanz waren, immer mehr aus den zentralen Lagen verschwanden. So hat schließlich die Haltung der Immobilienbesitzer zur Abnahme der Versorgungsvielfalt beigetragen. In Bezug auf Ihre Frage bedeutet dies: Die Möglichkeiten der Einflussnahme der städtischen Behörden auf die Situation im Einzelhandel sind begrenzt. Sie beschränken sich darauf, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Eine dieser Rahmenbedingungen ist die digitale Erreichbarkeit der Geschäfte. Mit dem lokalen Netzwerkanbieter NetCologne ist die Stadt Köln ein absoluter Vorreiter in Deutschland. Alle dicht besiedelten Gebiete von Köln haben Zugang zu einem hochmodernen Glasfaserkabelnetz. Eine andere Rahmenbedingung ist die mobile Erreichbarkeit. Viele Kunden kommen mit dem eigenen Auto, was in Kernzeiten einen Flaschenhalseffekt produziert. Jedoch ist das Angebot an Parkplätzen in der Innenstadt gut. Das gleiche gilt für den öffentlichen Nahverkehr. Die Stadtverwaltung ist also verantwortlich für die Qualität des öffentlichen Raums, damit die Leute in die

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Stadt kommen bzw. dort verbleiben. In den letzten Jahren verzeichnen wir ständige Verbesserungen in diesem Feld, zum Beispiel in Bezug auf die Design-Richtlinien oder Leuchtturmprojekte wie den Rheinboulevard. Aber es gibt natürlich immer noch viel Raum für Verbesserungen. Hier ist die Stadtverwaltung gefragt. In Bezug auf die Veränderungen im Einzelhandel konkurrieren deutsche Städte immer mehr untereinander hinsichtlich der Attraktivität. Wie kann sich Köln diesbezüglich noch besser herausstellen? Ein einzigartiges Merkmal ist das Image der Stadt Köln mit seinem Dom, der Altstadt und dem Rheinpanorama. Das ist tief im Bewusstsein der Menschen verankert und erweitert sich jetzt mit dem Rheinauhafen und dem Rheinboulevard noch zusätzlich. Sogar ein eher zufälliges Phänomen, die „Kölner Liebesschlossbrücke“, also die Hohenzollernbrücke mit ihren Tausenden von Liebesschlössern, hat zum individuellen Image von Köln beigetragen. Ein weiterer einzigartiger Standortfaktor, der besonders auf Köln zutrifft, sind die Struktur und der Straßenverlauf der zentralen Einkaufsstraßen. In den meisten Städten ist eine Handvoll von Orten von Fußgängern hochfrequentiert, die aber nicht miteinander verbunden sind. Im Gegensatz dazu verfügt Köln über ein Dutzend bestens bekannter Einkaufsmeilen. Der besondere Höhepunkt: Köln kann einen Shopping-Rundkurs aufweisen. Die, die ihre Einkaufstour am Wallrafplatz beginnen, erreichen den Neumarkt über die Hohe Straße und die Schildergasse. Von dort kann man zur Ehrenstraße über die Mittelstraße und Pfeilstraße oder die Benesisstraße gelangen. Dieser Rundkurs beinhaltet acht unterschiedlichste Einkaufsszenarien. Einige davon stellen hoch spezialisierte Geschäfte

dar. Zwei der Topgegenden, die Schildergasse und die Hohe Straße, sind von internationalen Handelsketten belegt, während die Ehrenstraße und die Breite Straße weniger davon betroffen sind. Ein Grund dafür sind die vorhin schon erwähnten hohen Mieten. In den letzten Jahren zogen einige der spezialisierten Einzelhändler aufgrund der hohen Mietpreise pro Quadratmeter von der Ehrenstraße in einige der Seitenstraßen, die dadurch attraktiver wurden. Zusammengefasst, die Abnahme von eigentümergeführten Geschäften wird aufgewogen durch den verhältnismäßig hohen Zuwachs an teilweise sehr kreativen Läden. Das bezieht sich auch auf Einkaufsgegenden, die vor 20 Jahren noch unbekannt waren wie zum Beispiel das Belgische Viertel, die Venloer Straße oder die Seitenstraßen im EhrenfeldViertel. Weitere innerstädtische Einkaufsmöglichkeiten mit einer individuellen Atmosphäre bestehen in der Südstadt um den Chlodwigplatz und den Eigelstein. Zusätzliche Kreativläden eröffneten kürzlich auch in den Einkaufsstraßen der Vorstädte von Nippes und Mülheim. Weniger positiv ist leider die Entwicklung von kleineren Versorgungszentren in einigen Vierteln. Hier erreicht die Dichte der Geschäfte oft nicht die nötige Anzahl, um von einem Einkaufsgebiet zu sprechen.

„Grundsätzlich geht bei Innenstadtlagen der Trend in die Richtung stärkerer gastronomischer Nutzung.“

Internationale Vertreter des Einzelhandels schätzen Köln auch wegen seiner Anziehungskraft als Einkaufsmetropole. Kölns Einkaufsstraßen sind gefragt für Pilotprojekte ausländischer Handelsketten, die auf den deutschen Markt wollen. Das aktuelle Beispiel ist die Marke Dyson. Nach London und Mailand eröffnete der britische Hersteller von Staubsaugern sein drittes europäisches Geschäft in der Kölner Innenstadt. All diese Faktoren zusammen bringen die Stadt Köln in eine richtig gute Ausgangslage. Wir fanden in unserer Studie heraus, dass es immer mehr um Einkaufserlebnisse als um die Besorgung von notwendigen Dingen geht. Welchen Mehrwert bietet die Stadt Köln in dieser Hinsicht und was leistet der öffentliche Raum, um dies zu verstärken? Ein Mehrwert von Köln ist die Mentalität seiner Einwohner, die eine entspannte fast mediterrane Atmosphäre schafft. Der Besuch einer Bauereikneipe nach dem Einkaufsbummel steht auf dem Programm vieler Besucher. Zusätzlich gibt es Attraktionen wie den Dom, die Altstadt oder die Rheinpromenade, ebenso das Schokoladen- und das Deutsche Sport und Olympia-Museum. Allerdings sehe ich Bedarf bei der Sauberkeit von Straßen und Plätzen und die Aufenthaltsqualität an manchen Orten könnte verbessert werden. Wir hoffen jedoch, dass das monotone Erscheinungsbild zum Beispiel der Hohen Straße oder der Schildergasse ein Relikt der Vergangenheit sein wird. Wie sieht Ihrer Meinung nach das Erscheinungsbild Kölns in 30 Jahren aus und welcher Dinge bedarf es, das zu erreichen? Die Hohe Straße und die Schildergasse als monotone Einkaufswelten zu bezeichnen, empfinde ich als etwas übertrieben. Zugegebenermaßen findet sich dort immer noch viel architektonische Mittelmäßig-

keit aus den 60er- und 70er- Jahren. Es gibt allerdings auch Ausnahmen wie das Blau-Gold-Haus, den Kaufhof, das ehemalige Hansen-Gebäude oder das Weltstadthaus von Peek & Cloppenburg. Die Zeppelinstraße und die Breite Straße mit ihren Kundenmagneten Globetrotter und Karstadt sollte man ebenso nicht verachten. Nicht hinnehmbar sind allerdings vernachlässigte Ecken wie zum Beispiel das ehemalige WDR-Parkhaus zwischen Roncalliplatz und Rathaus. Hier soll mit dem geplanten Laurenz-Carré bis 2024 ein neues Quartier entstehen. Außer diesem Projekt ist der Bereich des historischen Zentrums in der Entwicklung, so ist zum Beispiel das „MiQua“ im Bau, das Jüdische Museum im Archäologischen Quartier. Vielleicht meinen Sie mit dem Wort ‚monoton‘ aber auch das Einzelhandelsangebot? Dies könnte in der Tat diverser sein. Es ist allerdings immer sehr schwierig, individuelle eigentümergeführte Geschäfte in die hochpreisigen Lagen der Hohen Straße und der Schildergasse zu bringen. Und die Niederlassungen der Handelsketten sind auch irgendwie berechtigt. Ihre Geschäfte werden keinesfalls mir-nicht-dir-nichts verschwinden. Um ein individuelleres Profil dieser Einkaufsstraßen herauszubilden, bedarf es, dass sich die Immobilienbesitzer, Mieter, die Stadt Köln, der Köln Tourismus und andere Beteiligte, wie zum Beispiel die Handelskammer und das Stadt-Marketing, mit an einen Tisch setzen und zusammen ein Konzept entwickeln und umsetzen. Die Stadt hat leider keinerlei Einfluss auf die Entscheidungen der Immobilienbesitzer. Es liegen entbehrungsreiche Aufgaben vor uns und davor bedarf es noch politischer Entscheidungen. Grundsätzlich geht bei Innenstadtlagen der Trend in die Richtung stärkerer gastronomischer Nutzung. Solch eine Entwicklung muss intensiv begleitet werden, um ein Minimum an Qualität sicherzustellen.

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Gibt es schon Bestrebungen, wo diese Veränderungen umgesetzt werden könnten, und wie sieht dann die Kooperation zwischen der Stadt, dem Handel und den Immobilienbesitzern aus? Es bestehen Ansätze, aber noch nicht in den allerbesten Innenstadtlagen. Zum Beispiel in der Severinstraße, am südlichen Rand des Zentrums, gab es 2016 die ersten Statuten für eine Immobilienund Standortgemeinschaft (ISG) auf Basis eines Beschlusses der Kölner Stadtverordneten. Die ISG setzt sich zusammen aus Immobilienbesitzern, die gewillt sind, eine breite Palette von Maßnahmen umzusetzen. Diese reichen von der Anschaffung einer neuen Weihnachtsbeleuchtung, Straßenbegrünung bis zur Einstellung eines Nachbarschafts-Hausmeisters, der für ein besseres optisches Erscheinungsbild der Straße verantwortlich ist. Was an der ISG besonders ist, bezieht sich auf deren Finanzierung. Sie basiert auf Gebühren, die von offizieller Seite festgelegt werden und die wiederum proportional unter den Besitzern von Immobilien und Erbbaurechten aufgeteilt werden. Die Stadt Köln steuert nichts dazu bei. Die Tatsache, dass die erste ISG für die traditionsreiche, aber ebenso durch den Einsturz des U-Bahntunnels und des Historischen Archivs der Stadt Köln betroffenen Severinstraße aufgestellt wurde, sagt etwas über die Identifikation mit dem Ort aus. Eine große Anzahl der Immobilienbesitzer leben in der unmittelbaren Nachbarschaft und kennen daher die Umstände sehr gut. Es bestehen auch andere Initiativen und Händlergemeinschaften an anderen Orten, die wir als Stadt Köln gerne unterstützen.

„Ein einzigartiger Standortfaktor, der besonders auf Köln zutrifft, sind die Struktur und der Straßenverlauf der zentralen Einkaufsstraßen. Die Stadt verfügt über ein Dutzend bestens bekannter Einkaufsmeilen und bietet den sogenannten Shopping-Rundkurs an.“

2 Der Wandel der Innenstädte

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Hauptthesen

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Aktion 1 Beibehaltung des städtischen Einzelhandels durch neue Konzepte; Massenkonsum wird ersetzt durch differenzierte Einkaufserlebnisse. Aktion 2 Förderung einer stärkeren Durchmischung des Einzelhandels, unter anderem mit Gastronomie und sogar Wohneinheiten. Aktion 3 Verbesserung der Zugänglichkeit – Stichwort Mobilität – und des öffentlichen Raums im Sinne von visueller Attraktivität und Sauberkeit.

Das Wachstum des Onlinehandels und die daraus folgenden Veränderungen im stationären Handel, die im vorangegangenen Kapitel beschrieben wurden, sind das Ergebnis von marktwirtschaftlichen Kräften, technologischen Entwicklungen und sozio-kulturellen Transformationen. Obwohl derartige Entwicklungen eigentlich nie revidierbar sind, besteht die Möglichkeit, ihre negativen Auswirkungen auf die Stadtzentren durch politische Maßnahmen, Stadtplanung und private Initiativen zu mildern. In der Tat liegt in dem Verlust von stationären Einzelhandelsaktivitäten, der Reduzierung der dafür benötigten Flächen im Verkauf wie auch in der Lagerhaltung eine Chance für die Innenstädte, neue Nutzungen in das urbane Gefüge zu integrieren. Neue Wohnformen, Erlebnisgastronomie, Werkstätten und Standorte für die Produktion gehören dazu. Zu guter Letzt werden aber auch neue Formen der Mobilität benötigt, die es den Menschen erlauben, gut und umweltfreundlich mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln in die Stadtzentren zu gelangen. In diesem Kapitel werden drei Strategien für eine Neuprogrammierung der Innenstädte vorgestellt.

Grafik 11. Das Diagramm verdeutlicht drei Strategien, um dem durch den Onlinehandel entstandenen Verlust an Attraktivität in den Städten entgegenzutreten.

79

Ziel

Bewahrung der Attraktivität und Lebendigkeit von Stadtzentren

„Wie sollen wir auf den Niedergang des Einzelhandels reagieren und gleichzeitig unsere Städte attraktiv und lebendig halten?“

Neuprogrammierung der Stadtzentren

Strategische Ebene

Taktische Ebene

Aktionen

1. Beibehaltung des städtischen Einzelhandels durch neue Konzepte

2. Durchmischung fördern

3. Verbesserung der Mobilität und des öffentlichen Raums

Wie werden stationäre Geschäfte in Zukunft aussehen, bedingt durch das starke Wachstum des Omnichannel-Handels?

Welche Funktionen und Aktivitäten können im wachsenden Leerstand der Einkaufsstraßen stattfinden?

Welche Transformationen müssen im öffentlichen Raum stattfinden, um Interaktion unter den Besuchern der Stadtzentren zu fördern?

Neue Konzepte für den stationären Handel

Alternative Nutzungen von Läden und Geschäften

Innovative Mobilitätskonzepte

– Das Geschäft als Erlebnisraum – Das Geschäft als Ort der Co-Produktion

– Lebensmittelherstellung

– Kostenloser Nahverkehr

– Neue Wohnformen

– Multimodale Transportsysteme

– Warenproduktion und Kreativwirtschaft

– Pop-up-Stores – Kunst und Freizeit – Geschäfte mit einem Anteil von Gastronomie

– Energiegewinnung

– Dezentralisierte Flotte autonomer Mietwagen

Aktion 1 Beibehaltung des städtischen Einzelhandels durch neue Konzepte; differenzierte Einkaufserlebnisse statt Massenkonsum. Das Aufkommen des Onlinehandels wie auch die vorgestellten Trends zwingen die Marken, die Einzelhändler und die Ladenmanager, die Funktion und das Aussehen des stationären Handels neu zu überdenken. In der ganzen Welt experimentieren schon Firmen mit neuen Formen für ihre Läden und Geschäfte. Eine Untersuchung der individuellen Ausrichtungen ergab vier Antworten, den stationären Handel in Zeiten von E-Commerce zu prägen:

1. Das Geschäft als Erlebnisraum 2. Das Geschäft als ein Ort der Co-Produktion 3. Pop-up-Stores 4. Geschäfte mit einem Anteil von Gastronomie Interessanterweise integrieren eine Handvoll von Geschäften mehr als eine der oben aufgeführten Maßnahmen. Zum Beispiel sind die Flagship-Stores von Nike und Adidas beides, Experimentierfeld und Ort der Co-Produktion – dank der Herstellung im Laden und der Rapid-Prototyp-Technologie.

81 4. 1.

Lau Pa Sat

H&M It’s Pleat

Barneys

Eataly Memomi Labs

Brandless Selfridges Fragrance Lab

Nike Stores Adidas Shop

2.

Uniqlo Ministry of Supply

Fast Food Aid

Dresden Vision

ECCO Quant-U

Grafik 12. Neue stationäre Einzelhandelskonzepte, Beispiele und Fallstudien.

3.

Aktion 1 Das Geschäft als Medium: Von der schlichten Warenauslage für den Massenkonsum zum Shopping mit Erlebnispotenzial

„Unsere Abhängigkeit von Geschäften, die als Verteiler von Produkten dienen, nimmt rapide ab. Was früher der stationäre Handel leistete, schaffen heute die digitalen Medien, in all ihren Formen, die uns erstaunlich effektiv bei allen normalen Einkaufsund Versandwünschen unterstützen. Heutzutage kann nahezu alles, was wir auf einer Vielzahl von Onlineportalen einkaufen, innerhalb weniger Tage, wenn nicht von Stunden, zu uns nach Hause geliefert werden.“ [19] Statt normale stationäre Geschäfte als Orte der Lagerhaltung zu nutzen, finden einige innovative Firmen neue Verwendungen für ihre Brick-and-Mortar-Läden. Sie werden in Zentren für die Tuchfühlung und der direkten Kontaktaufnahme mit der Kundschaft umfunktioniert. Trotz einer schnellen und wenig zeitaufwendigen Art des Einkaufens können Onlineplattformen doch nicht den direkten Kontakt mit einem Produkt (und einer Marke) über alle menschlichen Wahrnehmungsorgane ersetzen, wie dies in einem normalen Geschäft möglich ist. Diese neue Strategie verkehrt die Funktion der Medien und die der Geschäfte um. „Das Geschäft muss ein Ort für die erste und zweite Unterhaltung sein und zu unserem dritten Ort werden. Ohne eine starke Betonung der Unterhaltung haben die Kunden wenig Grund, überhaupt ins Geschäft zu gehen. Als Konsequenz heißt das, dass Einzelhändler, um in Zukunft überlebensfähig zu sein, diesen Ansatz darauf anwenden, wie sie ihre physischen Räume planen, entwerfen, bauen und betreiben: in erster Linie Erfahrungen und Erlebnisse und in zweiter Linie Produkte.“ [20]

Auch eine Studie von JLL betont diese Notwendigkeit. So sollte die „Erfahrung der Kunden im physischen Geschäft [darf] nicht weniger anregend […] sein als der Besuch des Online-Shops“ [21]. Sensorische Erfahrungen scheinen besonders wichtig bei Produkten mit einer hohen Identifikation zu sein, wie zum Beispiel Kleidung, Schuhe und Schmuck. Aus der Perspektive der Architektur sollen mit Hilfe eines jeweils bestimmten Ambientes sensorische Erfahrungen für ein Markenbewusstsein geschaffen werden. Die Idee stationäre Geschäfte als „Medien“ zu betrachten, mag auch E-Commerce-basierten Marken bei der erhöhten Sichtbarmachung ihrer Onlinepräsenz helfen. In der Eröffnung von sichtund betretbaren Läden in Einkaufsstraßen greifen diese Marken nach neuen Kunden, die sie dann für den Verkauf und die Auslieferung der Waren auf ihre Onlinekanäle umlenken.

[19] Stephens, Doug. The Future of Retail is the End of Wholesale. https://www.businessoffashion.com/opinions/ retail/future-retail-end-wholesale (06.04.2021) [20] Wolfram, Gerd. Erlebniseinkauf: Das Geschäft wird zum ‚Medium‘. https://zukunftdeseinkaufens.de/erlebniseinkaufgeschaeft-medium/ (25.02.2021) [21] JLL. Digitalisierung im deutschen Einzelhandel. https://www.estrategy-consulting.de/wp-content/uploads/ Digitalisierung-im-deutschen-Einzelhandel-2021.pdf (25.02.2021)

83 Vorteile

Nachteile

– Förderung von hoher Kunden- – Trifft nicht auf alle Produktkategorien zu, insbesondere die beteiligung und von Markenmit einer niedrigen Produktbewusstsein. identifikation. – Ein Beitrag des Einzelhandels zur „Experimental-Wirtschaft“. – Höhere Ansprüche an die Ladenausstattung als beim – Physische und sensorische Ertraditionellen „Warengeschäft“. fahrungen können durch Dig– Seitdem Geschäfte in ein ital-Technologie nicht ersetzt Medium verwandelt werden, werden: Geschäfte erlauben um Kundenverkehr und auch den Kunden mit den ProdukOnlineverkauf zu regeln, beten auf Tuchfühlung zu gehen. nötigen Händler neue Instrumente, um ihre Profitabilität zu messen, mit anderen Worten, analytische Datenverwertung.

Aktion 1 1. Das Geschäft als Medium: Von der schlichten Warenauslage für den Massenkonsum zum Shopping mit Erlebnispotenzial 1.1 MemoMi Labs

Mit Hilfe von Make-up-Experten können Kunden „virtuell“ unterschiedliche Produkte testen.

Kunden können mit verschiedenen Schnitten und Farben experimentieren, bevor sie sich für ein Produkt entscheiden.

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Am Ende jedes Versuchs können die Ergebnisse gespeichert oder in den Sozialen Medien geteilt werden.

Mehrere Produkte können gleichzeitig nebeneinander ausprobiert werden.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von MemoMi Labs – www.memorymirror.com

MemoMi ist der Erfinder des MemoryMirror, eines digitalen Spiegels, der dem Kunden erlaubt, zum Beispiel unterschiedliche Kleidungsstücke „virtuell anzuprobieren“ mit Hilfe von künstlicher Intelligenz sowie der Erweiterten Realität. In Partnerschaft mit unterschiedlichen Firmen können die Kunden Produkte von Kleidung über Brillen, Schuhe, Accessoires und Make-up in Echtzeit anprobieren, ohne den Aufwand einer wirklichen Anprobe zu haben. Zusätzlich können Bilder und Videos über die Sozialen Medien ausgetauscht werden, was das Einkaufserlebnis noch vergrößert.

Aktion 1 1. Das Geschäft als Medium: Von der schlichten Warenauslage für den Massenkonsum zum Shopping mit Erlebnispotenzial 1.2 Barneys Digital Table, New York

Das Café befindet sich im achten Stock eines Flagship-Stores in Manhattan.

Der Tisch zeigt eine scheinbar unendliche Anzahl von Abbildungen, Videos und Blogs.

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Kunden bestellen ihren Kaffee und Backwaren direkt über den Tisch.

Besucher können ununterbrochen im Markenkatalog blättern, Videos anschauen und aus dem Café bestellen.

Der Modeausstatter Barneys eröffnete ein Restaurant im achten Stock seines Flagship-Stores in New York City. Der Mittelpunkt ist ein neun Meter langer Esstisch, der aus Touchscreens besteht. Über diese können die Kunden ununterbrochen die neue Kollektion im Katalog entdecken, Speisen bestellen und Barneys Modeblogs lesen. Die endlose Oberfläche zeigt andauernd Bilder, Texte und Videos, mit denen die Kunden interagieren können, während sie einen Kaffee und einen Snack genießen und gleichzeitig den Laden überblicken können.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von 2x4 studio – www.2x4.org

Aktion 1 1. Das Geschäft als Medium: Von der schlichten Warenauslage für den Massenkonsum zum Shopping mit Erlebnispotenzial 1.3 Selfridges Fragrance Lab, London

Das Fragrance Lab existierte von Mai bis Juli 2014 als Teil der „Beauty Project“-Initiative und war in das Londoner Kaufhaus integriert.

Atmosphärische Bühneneffekte gaben die Stimmung vor und bereiteten die Kunden auf ein einzigartiges Erlebnis vor.

89 Die Reaktionen der Kunden auf unterschiedliche Stimuli wurden bei der Parfümherstellung miteinbezogen.

Dieses einzigartige Einkaufserlebnis beinhaltete Fragebögen und verlangte die volle Gegenwart der Kunden.

Als Bestandteil einer größeren Kampagne des Luxus-Kaufhauses Selfridges in London wurde ein Concept-Store eröffnet, in dem die Kunden ein speziell für sie kreiertes Parfüm erwerben konnten. Die Anwesenheit der Kunden, ihre Antworten auf einem Fragebogen und ihre Reaktion auf atmosphärische Stimuli waren essentiell bei der Herstellung des personalisierten Parfüms. Zusätzlich erhielten sie Informationen zur Entstehung der persönlichen Duftkomposition, zur Rezeptur und zu den Einflüssen, die bei der finalen Kreation von Relevanz waren.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Selfridges – Fotos von Hufton + Crow

Aktion 1 2. Das Geschäft als ein Ort der Co-Produktion

Die Überflussgesellschaft generiert eine Nachfrage für speziell auf die Kunden zugeschnittene Konsumgüter. „Die Personalisierung der Masse scheint Realität zu werden. 36% der Kunden zeigen Interesse an personalisierten Gütern oder Serviceangeboten, gemäß einer Erhebung des Wirtschaftsberatungsunternehmens Deloitte. Dieser Wunsch kontrastiert allerdings mit der Tatsache, dass bisher nur einer von sechs Kunden jemals solche Produkte kaufte.“ [22] Mit anderen Worten, personalisierte Güter werden mit Massenprodukten koexistieren und, da Geschäfte Treffpunkte von Kundschaft und Ware sind, wandeln einige Marken ihre Geschäfte in Zentren der Co-Kreation und der Personalisierung um. In der Studie über Kundenverhalten und personalisierte Güter für die Massen gibt Professor Nikolaus Franke von der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien an, dass Konsumenten gewillt sind, bis zu 40% mehr für ein personalisiertes T-Shirt auszugeben.

Der Umbau von regulären Geschäften zu Zentren der Co-Produktion würde sicherlich auch einige tiefenpsychologische Bedürfnisse des modernen Menschen befriedigen: „Der moderne Lifestyle distanziert viele Menschen von kreativen, emotionalen und motorisch sinnvollen Notwendigkeiten. Viele sind in alltäglichen und sich immer wiederholenden Tätigkeiten gefangen, die keinen direkten Bezug zur täglichen Konsumroutine haben, was bei nicht wenigen Menschen zu einer Entfremdung führt. Die Co-Produktion erlaubt es den Konsumenten wieder in produktionsähnliche Aktivitäten eingebunden zu werden, die in einem direkten Zusammenhang mit ihrem täglichen Leben und Wünschen stehen.“ [23]

[22] Black, Will. Making it personal – One in three consumers wants personalised products. https://www2.deloitte.com/uk/en/ pages/press-releases/ articles/one-in-three-consumers-wantspersonalised-products.html (07.06.2016) [23] Etgar, Michael. Ways of Engaging Consumers in Co-production. https://timreview. ca/article/307 (18.05.2018)

91 Vorteile – Zugang zu Kunden bzgl. ihrer Wünsche nach Individualität. – Produkte können zu höheren Preisen verkauft werden als vergleichbare Massenware. – Auf spielerische Weise wird Kundennähe etabliert und so die Verbindung zu Produkt und Marke verbessert. – Über das Einkaufen hinaus entstehen im Einzelhandel Interessenskreise und -gruppen.

Nachteile – Das Format trifft nur auf wenige Produktkategorien zu, insbesondere Bekleidung und Möbel. Dieser Kreis kann aber in Zukunft erweitert werden dank neuer Technologien. – Setzt eine komplexe Organisation voraus, zum Beispiel Produktionszeiten versus Kapazität, viele Kunden gleichzeitig zu bedienen. Es müssen zusätzliche Flächen für die Rohstoffe der Endprodukte gefunden werden etc.

Aktion 1 2. Das Geschäft als ein Ort der Co-Produktion 2.1 ECCO Quant-U, Shanghai

Fertige Schuhe und 3D-gedruckte Sohlen.

Zwei 3D-Drucker bei Quant-U.

Die Füße des Kunden werden gescannt und digital vermessen.

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Quant-U ist ein Experiment des Schuhherstellers ECCO. In dem Concept-Store W-21 der Marke und dem ECCO Studio in Shanghai werden die Füße der Kunden durch 3D-Scanner und Sensoren im Schuh digital vermessen, um einen personalisierten Abdruck zu erhalten. Die adaptierten Komponenten werden dreidimensional in Silikon ausgedruckt und sind binnen einer Stunde verwertbar. Sowohl das Scannen als auch die Herstellung der Komponenten erfolgt im Geschäft, was nicht nur ein einzigartiges Produkt, sondern auch eine innovative Kundenerfahrung hervorbringt.

Die Inneneinrichtung ist auf die Marke abgestimmt.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von ECCO Quant-U – www.quant-u.com

Aktion 1 2. Das Geschäft als ein Ort der Co-Produktion 2.2 Ministry of Supply

Ein Mitarbeiter prüft eine 3D-gedruckte Jacke.

Der 3D-Drucker im Ministry of Supply.

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Mit Hilfe der Omnichannel-Strategie und einer 3DDrucktechnik sind Ministry of Supply-Geschäfte in der Lage, ihren Kunden personalisierte Kleidungsstücke anzubieten und diese an Ort und Stelle zu drucken. Große 3D-Drucker befinden sich in den Geschäften und kreieren die besondere Ästhetik.

Der Drucker in Aktion.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Ministry of Supply – www.ministryofsupply.com

Von der Webseite. Betonung der persönlichen Markenerfahrung im Geschäft.

Aktion 1 2. Das Geschäft als ein Ort der Co-Produktion 2.3 Dresden Vision

Die Kunden können jedes einzelne Brillenteil selbst auswählen.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Dresden Vision – www.dresden.vision

Sie können die selbstzusammengestellten Brillen sofort anprobieren.

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Dresden Vision hat für die Brillenmode ein modulares System entwickelt, das aus auswechselbaren Komponenten besteht: Rahmen, Bügel und Gläser, alles kann im Laden innerhalb von 15 Minuten zusammengesetzt werden, was ein besonderes Erlebnis für die Kunden darstellt. Selbst danach können die Kunden nach eigenen Wünschen ihre Brillen noch verändern, beispielsweise nach Bauteilen oder Farben. Das Brillengeschäft ist somit nicht nur Verkaufsort, sondern auch Ersatzteillager und Augenoptiker. Dabei stellt das Kundenerlebnis einen wesentlichen Faktor in der Erschaffung eines personalisierten Produkts dar.

Unterschiedliche Farben und Kombinationen sind verfügbar.

Die Kunden können auch vorgefertigte Brillen wählen.

Aktion 1 3. Eine andere Größenordnung: Von permanenten Geschäften zu kurzfristigen Pop-up-Stores

Untersuchungen des Einzelhandels haben festgestellt, dass auf dem Immobilienmarkt zwischen Angebot und Nachfrage ein Ungleichgewicht besteht. Vermieter großer Flächen verlangen hohe Mieten bei Langzeitverträgen (10-Jahres-Abschlüsse), jedoch die neuesten Entwicklungen im Einzelhandel machen präzise Voraussagen über lange Zeiträume immer schwieriger. Es existiert jedoch auch eine beträchtliche Anzahl von kleinen innovativen Händlern, die Flächen benötigen, aber weder die hohen Mieten zahlen können, noch langfristige Verträge wollen. Eine Konsequenz aus dieser Dynamik ist zunehmender Leerstand. Diese Entwicklung hat einige Makler dazu gebracht, neue Mietverträge für kleinere Einheiten, gemeinsam genutzte Flächen und kurzfristige Mietverhältnisse einzufordern. Solche Formate, auch als Pop-up bekannt, mögen gegenüber traditionellen Mietverträgen einige Vorteile aufweisen. „Für Einzelhändler weist diese Art von Geschäften viel niedrigere Mietkosten auf und sind auch sonst unverbindlicher. Für die Vermieter besteht der Vorteil darin, dass sie bei Kurzzeitvermietung weniger Leerstand verzeichnen.“ [24]

Pop-up-Stores sind vor allem für junge aufstrebende Firmen von Interesse. So können schnell neue Kunden gewonnen, ein Marken-Hype kreiert, neue Produkte getestet, der Standort überprüft, der Verkauf über längere Zeiträume sowie der Markt beobachtet und neue Kundenstämme erschlossen werden. Letztlich stellen Pop-up-Stores ein neues innovatives Marketingkonzept dar, das auf Verknappung des Angebots, Exklusivität und Überraschung setzt [25]. Aus der Sicht des Produkts dienen Popup-Stores eher Händlern mit einer hohen Identifikationsrate, wie etwa Luxus- und Lifestylegüter. Aber das Pop-up-Store-Format wird auch von sozialen Organisationen und NGOs auf einer nicht kommerziellen Grundlage genutzt. Auf dieser Basis funktionierte zum Beispiel der Amnesty International Stand für die Rede- und Versammlungsfreiheit in Hongkong genauso wie The Street-Store, eine Organisation von Facebook, die mit Pop-up-Stores im Freien arbeitet, um an Wohnungslose SecondHand-Kleidung zu verteilen und sie damit in die lokalen Kommunen wieder miteinzugliedern. Aufgrund ihrer zeitlichen Begrenzung können Pop-upStores auch als städtische Initiative zur Wiederbelebung öffentlicher Räume genutzt werden.

[24] Hughes, C. J. Pop Up Goes the Retail Scene as Store Vacancies Rise. https://www.nytimes.com/2017/05/30/realestate/ commercial/pop-up-stores-retail-vacancies.html (18.05.2018) [25] Niehm, Linda S.; Fiore, Ann Marie; Jeong, Miyoung; Kim, Hye-Jeong. Pop-up Retail’s Acceptability as an Innovative Business Strategy and Enhancer of the Consumer Shopping Experience. Apparel, Events and Hospitality Management Publications. https://lib.dr.iastate.edu/aeshm_pubs/1 (18.05.2018)

99 Vorteile

Nachteile

– Normale Mietverträge basie– Pop-up-Stores schaffen in ren auf 10-Jahres-AbschlüsStädten eine Atmosphäre der sen, kulturelle und rechtliche Emotionen und ÜberraschunHindernisse müssen aus dem gen aufgrund des stetigen Weg geräumt werden. Wandels. – Widerstand von Vermieter– Sie können Leerstand seite, da mehr Aufwand und reduzieren. Risiko. – Neue Firmen entstehen, die – Mietkosten in zentralen Lagen Vermieter und potentielle könnten für aufstrebende MarKurzzeit-Mieter zusammenken zu teuer sein. bringen und dabei die Vermietung regeln (z. B. das deutsche Start-up-Unternehmen Brickspaces, das ähnlich Airbnb funktioniert).

Aktion 1 3. Eine andere Größenordnung: Von permanenten Geschäften zu kurzfristigen Pop-up-Stores 3.1 Brandless, New York

Ein Warenangebot, das gleichermaßen online und im Pop-up-Store angeboten wird.

Der Pop-up-Store verbindet Produkte und ein kleines Café.

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‚Pop-up mit einem Zweck‘ ist das Konzept von Brandless. Die Marke hat ein sorgfältig zusammengestelltes Produktsortiment allerhöchster Qualität, das auf Kundenempfehlungen zurückgeht, aber moderat bepreist ist. Die Firma fördert den Austausch unter den Kunden und zielt darauf ab, das Angebot noch verständlicher zu gestalten. Verkauf und Warendurchlauf stehen dabei weniger im Fokus. Der Pop-up-Store wird als Werkzeug der Community verstanden und steht damit in direkter Verbindung mit dem Firmenethos.

Der Pop-up-Store bringt Qualitätsprodukte besser zu den Kunden und kommuniziert gleichzeitig das Firmenethos. Ziel der Marke ist es, Kunden zu binden und unter ihnen einen Austausch zu initiieren.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Brandless – www.brandless.com

Aktion 1 3. Eine andere Größenordnung: Von permanenten Geschäften zu kurzfristigen Pop-up-Stores 3.2 Uniqlo, New York

Die typischen Uniqlo-Regale sind vom Eingang aus sichtbar.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von LOT-EK Architects – www.lot- ek.com

Im Container können Produkte getestet und erworben werden.

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Der Pop-up-Container kann nahezu überall aufgestellt werden.

Um den japanischen Einzelhändler Uniqlo in den USA zu etablieren, bauten LOT-EK Architekten zwei Container zu voll ausgerüsteten und markengerechten Pop-up-Stores aus. Jeder Container hatte die typischen Regalfronten, eine Kasse und eine Umkleidekabine. Die Container wurden in den unterschiedlichsten Bezirken von New York aufgestellt, da sie auch für besondere Veranstaltungen und Anlässe umgebaut werden konnten. Beide Container waren gleichzeitig Einzelhandelsgeschäft wie auch mobile Werbetafel. Das Design außen wie innen war den klassischen Uniqlo-Regalen angepasst, was die Produkte durch die Fassade sichtbar werden ließ.

Der Container funktioniert als Anlaufpunkt für den Verkauf, das Kundenerlebnis und als Kommunikationspunkt.

Aktion 1 3. Eine andere Größenordnung: Von permanenten Geschäften zu kurzfristigen Pop-up-Stores 3.3 Fast Food Aid, Tokio

Die Innenansicht des Fast Food Aid-Stores ähnelt einer medizinischen Einrichtung.

Mitarbeiter bieten Vitaminzusätze an, je nach Ernährungsgewohnheiten der Kunden.

Alle Abbildungen mit freundlicher Gewnehmigung von Dohtonbori Co. Ltd. – www.dohtonbori.com

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Fast Food Aid eröffnete 2016 als ein ConceptPop-up-Store, jedoch ohne Produktverkauf. Die Besucher erhielten kostenlose Vitamine und Ernährungsberatung im Austausch gegen ihre FastFood-Rechnung, um nachhaltig ihre Essgewohnheiten zu ändern. Das scheinbare Geschäft war die Werbekampagne des japanischen Restaurants Dohtonbori, das eine gesunde Ernährung propagiert und für diese Art der Werbung viele Preise erhielt.

Eine Vitamin-Diät wird jedem Kunden empfohlen.

Aktion 1 4. „Gastronomifikation“: Von eindimensionalen Orten zu hybriden Knotenpunkten von kulinarischen Genüssen und Kauferlebnissen

Wenn man eine Einkaufspassage besucht, ist es nicht ungewöhnlich, dass man auf Lebensmittelstände, Cafés und Restaurants trifft. Seit Jahrzehnten wissen Immobilienbesitzer und -manager, dass Gastronomie und Freizeitangebote Leute und Familien dazu bringen, mehr Zeit in den Zentren zu verbringen und damit häufiger einzukaufen. Die noch recht neue Begeisterung für den Erlebnis-Einkauf hat diesen Trend verschärft, was die Bereiche Food & Beverages (F&B) weiter anwachsen ließ. JLL schätzt, dass in Großbritannien, Kanada und der USA der F&B-Flächenanteil bis 2025 auf bis zu 20% der Verkaufsfläche anwachsen wird. In Anbetracht dieser Entwicklung stellt sich die Frage, ob derartige hybride Knotenpunkte auch außerhalb der klimatisierten Einkaufszentren funktionieren und damit Besucher etwa in die Stadtzentren ziehen würde? Vincent Healey, Direktor für Kommunikation bei der international vertretenen thailändischen Restaurantkette Busaba Eathai, stellt dazu fest: „Der Hauptunterschied zwischen dem Einzelhandel in einem Shoppingcenter und einer Einkaufsstraße ist, dass sich in einer Mall eine bestimmte Menge von Kunden aufhalten und daher der Umsatz eher abzuschätzen ist. Wenn man in einem Jahr 20.000 Essen verkauft hat, weiß man, dass es im nächsten Jahr vielleicht 21.000 sein können. Auch die Öffnungszeiten sind unterschiedlich. Dazu kommt, dass die Haltung der Kunden anders ist, nachdem sie etwas eingekauft haben und sich durch eine Essenspause belohnen und erfrischen möchten. [26]

[26] JLL, ICSC. The Successful Integration of Food & Beverage Within Retail Real Estate. https://www. icsc.org/uploads/research/ general/Food Beverage_Study_US.pdf (18.05.2018)

Die „Gastronomifikation“ im stationären Handel fängt erst langsam an, zum Beispiel durch ein Café in einer Buchhandlung oder in einem größeren Umfang wie zum Beispiel im Lau Pa Sat- Lebensmittelmarkt in Singapur. Dieser liegt genau an der Kreuzung des Bankenviertels, eines Wohnquartiers und einer Einkaufsstraße. Was wir Menschen an diesen hybriden Knotenpunkten lieben, ist das soziale Miteinander, die Beobachtung von Menschen und das Treiben einer großen Anzahl von Passanten. Dies führte zu einer drastischen Zunahme an Außengastronomie mit Aussicht auf Straßen und Plätze. Eine Entwicklung, die der dänische Architekt und Stadtplaner Jan Gehl schon 2010 in „Städte für Menschen“ anhand von vergleichenden Stadtstudien ermittelt hatte: „Die drastische Zunahme von Stühlen in Straßencafés ist ein weltweites Phänomen in Städten. Sie ist ein Anzeichen für neue Bedürfnisse und neue Muster der Stadtnutzung.“ Ein weiteres Phänomen dieser neuen Form von Straßenkultur ist die Kombination von der Zurschaustellung und dem Verkauf von Frische-Produkten im Verbund mit Gastronomie. Nach dem Prinzip des Time Out Market in Lissabon wird ein Stadtquartier zur kulinarischen Bühne und Aushängeschild einer regionalen Küche. Frei nach dem Motto „bunt und belebt“ feiert sich das Stadtleben im Stil historischer Märkte und Markthallen.

107 Vorteile

Nachteile

– F&B-Angebote müssen sehr – Die Bereiche F&B sind vorauf die Kunden zugeschnitrangig in Einkaufszentren zu ten sein, was wieder in Zufinden, in denen Kunden mehr sammenhang mit dem Mix an Zeit verbringen und dadurch Einzelhändlern steht. die allgemeinen Umsatzzahlen – Die besten Beispiele für gut nach oben drücken. integrierte F&B-Bereiche las– Die Ansiedlung von Cafés sen sich in Einkaufszentren und Restaurants unterbricht finden, aber nicht in Einkaufsdie Monotonie von Einkaufsstraßen. straßen und schafft Gelegenheit, nach der Arbeit im Sinn der „24/7-Stadt“ auszugehen.

Aktion 1 4. „Gastronomifikation“: Von eindimensionalen Orten zu hybriden Knotenpunkten 4.1 Eataly, Mailand

Die zentrale Halle des Eataly in Stockholm. (Foto Annika Berglund)

Traditionelle Ausstattung in moderner Architektur. (Foto Claudia Del Bianco)

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Eataly – www.eataly.com

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Verkaufsflächen und Gourmet Küche koexistieren in Bologna. (Foto Claudia Del Bianco)

Eataly ist eine gehobene Lebensmittelhandelskette mit Lebensmittelgeschäften aus Mailand, die traditionelle italienische Küche anbieten. In das Konzept eingegliedert sind Cafés, Restaurants und Veranstaltungen, wie zum Beispiel Konzerte und Kochseminare. Die Standorte von Eataly finden sich in Innenstadtlagen, sind von einem internationalen Flair durchzogen und bieten die Waren auf offener Fläche an. Die unterschiedlichen Funktionen sind durchmischt und so finden sich Restauranttische direkt neben Regalen gefüllt mit Lebensmitteln.

Die weiträumige Schrannenhalle des Eataly in München. (Foto Tommy Losch)

Aktion 1 4. „Gastronomifikation“: Von eindimensionalen Orten zu hybriden Knotenpunkten 4.2 Lau Pa Sat, Singapur

Lau Pa Sat inmitten der Hochhäuser von Singapur .

Innenansicht

111

Errichtet im 19. Jahrhundert ist der Lau Pa SatMarkt eines der ältesten Gebäude Singapurs im Herzen des Bankenviertels. Seine programmatische Ausrichtung veränderte sich vom Fischmarkt über einen Straßenstrich zum heutigen Lebensmittelmarkt mit 200 Ständen und 2.000 Restaurantplätzen. In den Abendstunden eröffnet in den Seitenstraßen ein Street-Food-Markt, der das kulinarische Angebot weiter ausweitet.

Unter dem Dach des ehemaligen Fischmarkts werden heute Lebensmittel aller Art verkauft und verzehrt. (Foto Gurmit Singh)

Auch in der Nacht ist Lau Pa Sat ein geschäftiger sozialer Treffpunkt. (Foto Dion Hinchcliffe)

Aktion 1 4. „Gastronomifikation“: Von eindimensionalen Orten zu hybriden Knotenpunkten 4.3 H&M – It’s Pleat, Großbritannien

Cafés ziehen die Besucher an und binden Kunden.

It’s Pleat kombiniert frische Produkte und natürliche Dekoration.

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H&M ergänzte in Großbritannien seine mit erschwinglichem Chic gefüllten Modehäuser, einschließlich ihrer Inneneinrichtungsabteilungen, durch ein Café. Dort können die Kunden beim Einkaufsbummel ein gesundes Frühstück, Mittagessen und andere Leckereien bekommen. Die Speisekarte ist ausgerichtet auf eine gesunde Ernährung unter Einbezug von Fair Trade- und regionalen Produkten. Eine geschickte Kombination von frischen Produkten mit natürlicher Dekoration spiegelt sich auch in der Inneneinrichtung und -architektur wider. Alle Möbelstücke sind in der hauseigenen Inneneinrichtungsabteilung zu erwerben.

Alle Möbel der Ausstattung sind auch in der hauseigenen Inneneinrichtungsabteilung zu kaufen.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von It’s Pleat – www.pleat.com

Die Dekoration passt zum firmeneigenen Modestil.

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Aktion 2 Förderung einer stärkeren Durchmischung des Einzelhandels, unter anderem mit Gastronomie und sogar Wohneinheiten

In naher Zukunft könnte die Nachfrage nach Einzelhandelsflächen dramatisch einbrechen. Als Folge davon werden Einkaufsstraßen dann aus zwei gegenüberliegenden Reihen leergefegter Geschäfte bestehen, während die Einkaufszentren und Parkhäuser, wie schon heute in den Vorstädten amerikanischer Metropolen zu beobachten, schwerwiegende Belegungs- und Auslastungsprobleme haben werden. Die Vision leerer Schaufenster in europäischen Innenstädten mag ein Horror-Szenario sein, da historisch betrachtet der stationäre Einzelhandel eine wesentliche Stütze städtischen Lebens darstellt und immer noch ein wichtiger Katalysator der urbanen Ökonomie ist. Allerdings könnten die heutigen Einzelhandelsflächen auch für unterschiedliche Funktionen und Nutzungen umgestaltet werden, was folgende Möglichkeiten einschließt:

1. Lebensmittelproduktion 2. Neue Wohnformen 3. Warenproduktion und innovative Geschäftsmodelle 4. Kunst und Freizeit 5. Energiegewinnung

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Der Traum der Gefolgsleute der amerikanischen Architektin und Kritikerin Jane Jacobs [27] war eine, auf der vorindustriellen Ära aufbauende, von Funktionen durchmischte und durchwebte Stadtlandschaft, die menschliche Interaktion fördert, Sicherheit garantiert und eine entsprechende Lebendigkeit hat. Vielleicht werden nicht nur die Städte der Zukunft diese Prinzipien reflektieren, sondern auch jedes einzelne Gebäude. Die Stadt des „Post-Retail“, des überlebten Einzelhandels, könnte aus einer wilden Zusammensetzung hybrider Räume bestehen: Cafés angedockt an Werkstätten, Wohnungsbau aufgesetzt auf Einzelhandelsobjekte, Lebensmittelläden in den Erdgeschossen städtischer Bauernhöfe und MikroApartments über den Studios und Galerien Bildender Künstler, die sich um einen Innenhof gruppieren. Dank des technologischen und logistischen Fortschritts könnten auch unterschiedliche Nutzungen und Tätigkeiten im gleichen Raum zur gleichen Zeit, Tag oder Jahreszeit stattfinden, was eine 24/7-Lebendigkeit – gleichbedeutend mit Sicherheit – hervorrufen würde. Der Anteil der neuen buchstäblichen „Einwohner“ in der Innenstadt würde dabei gleichermaßen steigen. Denn der zukünftige, aller Wahrscheinlichkeit nach stark verringerte Flächenbedarf von Geschäften macht damit das bisher kommerziell genutzte erste und/oder zweite Obergeschoss frei für Wohnzwecke. Damit so etwas Wirklichkeit wird, müssen nicht nur neue Arbeitswelten, sondern auch neue soziale Gruppen in die Innenstädte gelockt werden.

[27] siehe: Jacobs, Jane. Tod und Leben großer amerikanischer Städte. Bauwelt Fundamente 4. Basel: Birkhäuser Verlag, 2015.

Aktion 2 1. Lebensmittelproduktion in der Stadt: Urbane- wie vertikale Landwirtschaft und Dachbegrünung

Urbane Landwirtschaft steht für die Anpflanzung von Lebensmitteln in und um Städte. Sie wird ermöglicht durch die Integration ökologischer Systeme in die städtische Struktur. Die urbane Landwirtschaft kann höchst unterschiedliche Formen annehmen, was von der Größe, der Lage und dem Maß, in dem sie mit anderen ökonomischen Systemen verflochten ist, abhängt. Zum Beispiel entstand aus Nachbarschaftsinitiativen der urbane Gartenbau, der kleine Mengen organischer Lebensmittel ohne Profit anbaut. Viele dieser Programme wurden aufgelegt, um Nachbarschaften und Bezirke zu stärken, Menschen zu rehabilitieren und für gesunde Ernährung bei Kindern und Erwachsenen zu propagieren. Eine andere Form des urbanen Gartenbaus ist die vertikale Landwirtschaft, was einen Anbau von qualitätshaltigen Lebensmitteln für den lokalen und regionalen Vertrieb bedeutet. Im Gegensatz zu den urbanen Gärtnern investierten die urbanen Bauern in den letzten Jahren verstärkt in Technik, Chemikalien, Immobilien und Logistik, um die Produktivität zu erhöhen. So wuchs auch die Szene der urbanen Landwirtschaft stetig und spezialisierte sich weiter, was Ideen sozialer Inklusion, Erziehung und Nachhaltigkeit miteinschließt. In dem Maß, wie Menschen aufgrund globaler Fehlentwicklungen immer bewusster auf ihre Ernährung sowie die Qualität und Herkunft ihrer Lebensmittel achten, stellt die urbane Landwirtschaft für die Städte ein immer größeres Potenzial dar.

119 Vorteile – Anstellung von wenig qualifizierten Arbeitern. – Soziale Integration von benachteiligten Gruppen. – Urbane Landwirtschaft kann horizontal wie auch vertikal praktiziert werden. – Reduzierung von Lebensmittelknappheit (gilt nur für bestimmte Bezirke und Städte).

Nachteile – Geringe Profitabilität. – Hohe Luftverschmutzung kann die Erfolgsaussichten der urbanen Landwirtschaft einschränken. – Niedrige Erträge im Vergleich zur traditionellen Landwirtschaft.

Aktion 2 1. Lebensmittelproduktion in der Stadt: Urbane- wie vertikale Landwirtschaft und Dachbegrünung 1.1 Pasona HQ, Tokio

Außenansicht der Pasona-Hauptverwaltung. (Foto Toshimichi Sakaki)

Hydroponische Tomaten bewachsen den Konferenzraum.

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Entspannte Atmosphäre in einem Gruppenraum. (Foto Luca Vignelli)

Angestellte ernten Reis im Foyer.

Die Hauptverwaltung der Personalagentur Pasona in Tokio wurde 2010 renoviert. Die Firma beauftragte Kono Design Architekten mit der Planung eines nachhaltigen Bürogebäudes, in dem die Angestellten an ihrem Arbeitsplatz ihre eigenen Lebensmittel anbauen und ernten können. Im Gebäudeinneren wurden fast 4.000 Quadratmeter als Anbaufläche für Pflanzen, Früchte, Gemüse und Reis vorgesehen.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von kono designs Ilc. – www.konodesigns.com

Aktion 2 1. Lebensmittelproduktion in der Stadt: Urbane- wie vertikale Landwirtschaft und Dachbegrünung 1.2 Dakakker, Rotterdam

Urbane Landwirtschaft zwischen Glaspalästen.

Mitarbeiter, die Gewürze und Gemüse kultivieren.

Auf dem Dach befindet sich ein kleines Café.

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Das Gebäude mit der Dakakker-Dach-Landwirtschaft.

Dakakker war das erste urbane Landschaftsprojekt in Rotterdam auf einem Dach. Die Fläche befand sich auf dem Flachdach eines ungenutzten Bürogebäudes. Das Projekt war in die 5. Rotterdamer Biennale 2012 eingegliedert. Die Farm produzierte auf kleiner Fläche Gemüse, Kräuter und Honig. Alle Produkte wurden an Restaurants in der Nachbarschaft verkauft.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Binder Groenprojecten – www.binder.nl

Aktion 2 1. Lebensmittelproduktion in der Stadt: Urbane- wie vertikale Landwirtschaft und Dachbegrünung 1.3 Lufa Farms, Montreal

Ein Mitarbeiter bestückt die Lebensmittelkörbe.

Luftbild einer der Lufa-Farmen in Montreal, Kanada.

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Innenansicht eines der Gewächshäuser auf dem Dach.

Gemüse-Anpflanzung in einem Gewächshaus.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Lufa Farms – www.lufa.com

Lufa Farms ist eine kombinierte Landwirtschaftund Technologiefirma, die sich auf den Anbau von Gemüse, Kräutern, Früchten und Gewürzen in Gewächshäusern in Innenstädten spezialisiert hat. Außer dem Anbau vertreibt Lufa auch seine Erzeugnisse selbst über das Internet einschließlich einem Online-Bestellsystem, firmeneigener Körbe für die Lebensmittel und deren Auslieferung.

Aktion 2 2. Neue städtische Wohnformen: Mikro-Apartments und gemeinschaftliches Wohnen auf Zeit – Co-Living

Seit Anbeginn des 21. Jahrhunderts zieht es die Menschen wieder in die Stadtzentren. Diese Entwicklung stellt eine Umkehr der Entwicklungen vom 20. Jahrhundert dar, als die Vorstädte mit ihrem Grün und ihrer Ruhe als begehrte Wohnlagen galten. Einer der Hauptgründe, der die Einwohner wieder in die Zentren führt, ist die Nähe zum Arbeitsplatz, ohne lange pendeln zu müssen. Hinzu kommen weitere Annehmlichkeiten, die man in der Freizeit genießen kann, wie das Einkaufen, der Besuch von Cafés und Restaurants, der Zugang zu Kultureinrichtungen und anderen Freizeitaktivitäten. Der städtische Nahverkehr ist der Schlüssel zu diesem Trend. Statt auf das eigene Auto angewiesen zu sein, gehen oder fahren die Angestellten mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Nahverkehr zur Arbeit oder zu ihren Freunden. Viele junge Leute, die in den Städten wohnen, haben kein eigenes Auto mehr. Unter dem steigenden Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum in zentraler Lage sind die Städte gezwungen, neue Wohnbebauungen zu entwickeln beziehungsweise zu realisieren. Und das in meist zentralen Lagen, in denen Grundstücke knapp und die Bodenpreise hoch sind. Ganz im Gegensatz zu Häusern in den Vorstädten und dem ländlichen Raum müssen innerstädtische Wohnprojekte nicht selten für Studenten, Berufseinsteiger oder Einpersonenhaushalte geplant werden, die entweder keine großen Wohnungen benötigen oder diese nicht bezahlen können.

Diese demografischen Gruppen sind bereit, bei entsprechenden Angeboten und den damit verbundenen Vorteilen, ihren Wohnraum zu teilen, besonders, wenn das bedeutet, dass sie dabei mehr und nicht weniger für ihr Geld bekommen. Derartige Entwicklungen mögen der Grund für das Aufkommen neuer Wohntypologien sein, wie zum Beispiel Mikro-Apartments und gemeinschaftliches Wohnen auf Zeit, was auch unter dem Schlagwort Co-Living bekannt ist. Der Mangel an passendem und bezahlbarem Wohnraum in den Innenstädten brachte Projektentwickler und Architekten dazu, über Alternativen zu traditionellen Wohnformen und Arbeitsstätten nachzudenken. Darunter fällt auch die Revitalisierung alter Gebäude, wie städtische Einkaufszentren und Bürotürme.

127 Vorteile – Das Leben und Arbeiten in Städten reduziert die Notwendigkeit des eigenen Autos und eröffnet nachhaltigere Möglichkeiten der Mobilität, zum Beispiel gehen und Fahrrad fahren. – Billigere und einfachere Alternative zu traditionellen Wohnformen, besonders bei kurzfristigen und -zeitigen Mietverhältnissen. – Nähe zur Arbeit und Freizeitaktivitäten. – Zugeschnitten auf den Lebensstil der jüngeren Generationen sowie der finanziellen Situation junger Erwerbstätiger. – Co-Living könnte die Wiederbelebung öffentlicher Räume bedeuten, da ein breites Publikum in einer wenig frequentierten Infrastruktur angesprochen wird.

Nachteile – Verfügbarkeit von Wohnraum (bestehende Wohnungen und Häuser müssen renoviert werden) kann zu einer Verknappung des Angebots führen. – Co-Living verlangt einen ansprechenden öffentlichen Raum zur Kompensation des geringen privaten Wohnraums. – Die Strategie ist zum Scheitern verurteilt, wenn die Stadt nicht Programme zu Herrichtung öffentlicher Räume auflegt. – Fehlende Machbarkeit aufgrund von Erfahrungsmangel.

Aktion 2 2. Neue städtische Wohnformen: Mikro-Apartments und gemeinschaftliches Wohnen auf Zeit – Co-Living 2.1 The Collective, London

Gemeinschaftsküche

Geteilte Arbeitsplätze sind auch verfügbar.

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Die Nutzung eines Fitness-Studios ist Bestandteil des Mietvertrags.

The Collective eröffnete eine Reihe von Co-LivingSpaces in London. Die Bewohner haben jeweils ihr eigenes, gut gestaltetes Einzelzimmer, teilen sich aber Küche, Terrasse und Kino mit den anderen Bewohnern. The Collective vertritt das Ethos einer Kommune mit gemeinsamen Aktivitäten in zentralen städtischen Lagen. Für die Mitglieder gibt es eine gemeinsame App, die über die Verwaltung, Treffen und Veranstaltungen an The Collective-Wohnorten informiert.

Privater Wohnraum.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von The Collective – www.thecollective.com

Aktion 2 2. Neue städtische Wohnformen: Mikro-Apartments und gemeinschaftliches Wohnen auf Zeit – Co-Living 2.2 Genossenschaft Kalkbreite, Zürich

Blick in den Innenhof vom frei zugänglichen Dach.

Ansicht der Genossenschaft Kalkbreite.

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Gemeinschaftsräume umfassen eine Bibliothek und einen Kindergarten.

Gemeinschaftsraum und Café.

Eine Nachbarschaftsinitiative stand hinter der Gründung der Genossenschaft Kalkbreite 2007 und dem Bau des Gebäudekomplexes in Zürich 2014. Das Hofgebäude besteht aus 97 Wohnungen, Gemeinschaftsräumen (unter anderem einer öffentlichen Bibliothek), einer Herberge und Gewerbeeinheiten. Die Wohneinheiten bilden Cluster von acht bis zehn Studios mit großen Gemeinschaftsräumen. Alle Funktionen sind um den Innenhof gruppiert, der eine erhöhte Ebene darstellt, die auch für Nichtmitglieder frei begehbar ist. 2020 wurde nach dem gleichen Prinzip eine zweite Liegenschaft, das Zollhaus mit 56 Wohnungen in Zürich eröffnet.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Kalkbreite –www.kalkbreite.net

Aktion 2 2. Neue städtische Wohnformen: Mikro-Apartments und gemeinschaftliches Wohnen auf Zeit – Co-Living 2.3 WeLive, New York

Gemeinschaftsräume in der WeLive Crystal City.

Gemeinschaftsküche in der WeLive Wall Street.

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Privatwohnung in der WeLive Wall Street.

Sogar die Wäscherei ist als Gruppenraum gestaltet.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von WeLive / WeWork – www.welive.com

WeLive ist ein Unternehmen, das vorwiegend jungen Erwerbstätigen alternative Wohnformen anbietet. Die Wohnungen sind klein, aber bereits voll möbliert beziehungsweise eingerichtet. Dazu bestehen großzügige Gemeinschaftsräume wie Cocktailbars, Spielezimmer und Terrassen. Alle Angelegenheiten des gemeinschaftlichen Lebens, von der Hauswirtschaft bis zur Ankündigung von Veranstaltungen, werden über eine eigene App geregelt, um den Gemeinschaftsgeist zu pflegen.

Aktion 2 3. Arbeiten in der Stadt: Co-Working, hybride Räume und urbane Produktion

Über Jahrhunderte waren europäische Städte Orte der Produktion und der Fertigung. Jedoch in den letzten fünfzig Jahren verlagerten technische und wirtschaftliche Veränderungen die Produktion und Fertigung nach Übersee. In Folge etablierten sich europäische Städte vor allem als Zentren für Dienstleistungen und einer wissensbasierten Wirtschaft. Allerdings kehrte in den letzten Jahren mit Hilfe neuer und feinteiliger Technologien die Produktion wieder zurück in die europäischen Städte. Dieser neue Sektor für Produktion, auch bekannt unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“, besteht aus einer umweltfreundlichen Herstellung von Gütern und wissensbasierten Prozessen, die mit dem Aufkommen der Robotertechnik, Informatik und 3D-Druck erst möglich wurde. Gleichzeitig erwachte das Gewissen der Konsumenten hinsichtlich nachhaltiger Lieferketten und einer ökologischen Wirtschaft. Während die herkömmliche Industrieproduktion viel Fläche benötigt und nicht selten außerhalb dicht besiedelter Gebiete stattfindet, bedürfen die neuen re-industrialisierten Prozesse eher innerstädtischer Zentren, wo die notwendige digitale und sonstige Infrastruktur bereits vorhanden ist. Die neuen Handwerker von heute sind hochqualifizierte „Macher“, die über alle Branchen hinweg arbeiten, etwa im Möbelbau, der Lebensmittel- und Getränkeindustrie sowie in den Bereichen Design und Mode. Sie suchen eine hohe Lebensqualität, die sie, verbunden mit all ihren Annehmlichkeiten, in den urbanen Zentren finden. Außer Designern und Machern hat die digitale Entwicklung auch eine neue Generation von Entrepreneuren und kreativen Profis hervorgebracht, die als Selbstständige arbeiten und flexible Büroräume suchen.

135 Vorteile – Die urbane Produktion könnte das traditionelle Handwerk beflügeln, was das Arbeitsangebot in den Städten verbessern würde. – Eine Alternative zur „Stadt der Konsumenten“. – Hybride Räume könnten auch nicht produktive Aktivitäten wie Yoga-Unterricht und kulturelle Veranstaltungen aufnehmen. – Smarte Technologien könnten mit anderen Bereichen kombiniert werden, so etwa mit Bildung, Kultur und Einzelhandel, alles unter einem gemeinsamen Dach.

Nachteile – Ballungsraum Wirtschaft: Die Städte stehen im Wettbewerb um neue Entrepreneure und Handwerker. Eine Entwicklung, die von umfassenden Maßnahmen beim Umbau der Städte ergänzt werden muss. – Starke Konkurrenz in der Herstellung von vergleichbaren Massenprodukten könnte kleine Unternehmer in den Bankrott treiben. – Sehr kleine Unternehmen, die höchstwahrscheinlich der öffentlichen Förderung bedürfen. – Starke Ausrichtung auf Luxusoder Designprodukte, kleine Produktzyklen und limitierte Auflagen.

Aktion 2 3. Arbeiten in der Stadt: Co-Working, hybride Räume und urbane Produktion 3.1 Hamilton House, Bristol

Gemeinschaftsküche (Foto Evi Lemberger)

Ansicht mit Eingangsbereich des Hamilton House.

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Künstleratelier im Hamilton House. (Foto Abigail Oborne)

Tanzstunde in einem der Gemeinschaftsräume. (Foto Gregory Bond)

Hamilton House verkörperte bis zu seinem Abbruch im Dezember 2018 eine lebendige Gemeinschaft von Künstlern und Handwerkern im Zentrum von Bristol. Der ehemalige Bürobau wurde ab 2008 von der Coexist-Gruppe als ein Gemeinschaftshaus betrieben. Im Hamilton House befanden sich Künstlerateliers, Yoga-Kurse, Werkstätten für Start-ups und junge Firmengründer als auch eine Kantine. Außerhalb der täglichen Routine fanden dort auch Veranstaltungen und Konzerte unterschiedlichster Art statt.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Coexist CIC – www.hamiltonhouse.org

Aktion 2 3. Arbeiten in der Stadt: Co-Working, hybride Räume und urbane Produktion 3.2 WeWork, Berlin, Frankfurt am Main

Gemeinschaftsraum im WeWork-Turm in Berlin.

Küche im WeWork am Kurfürstendamm in Berlin.

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Innenansicht von WeWork Rothofstraße, Frankfurt am Main.

Entspannte Atmosphäre in einem der Co-Working-Räume.

WeWork ist einer der weltweit größten Agenturen für Co-Working-Räume. Das Geschäftsmodell basiert auf der Revitalisierung von alten Bürogebäuden in B-Lagen, etwa in Seitenstraßen im Stadtzentrum. Die Kunden können eine Vielzahl von Flächen anmieten, vom eigenen Tisch, Gemeinschaftsräumen bis zu unterschiedlich genutzten Büroräumen. Dabei kommen ihnen zusätzliche Dienstleistungen zugute, wie Teeküchen, Internet-Infrastruktur und eine Markenberatung.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von WeWork Berlin und Frankfurt am Main – www.wework.com

Aktion 2 3. Arbeiten in der Stadt: Co-Working, hybride Räume und urbane Produktion 3.3 RDM Makerspace, Rotterdam

RDM verbindet Gemeinschaftsräume mit Werkstätten und Büros.

Innenansicht des Makerspace.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von RDM Rotterdam - www.rdmrotterdam.nl

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Das RDM Makerspace befindet sich im Hafen von Rotterdam.

RDM Makerspace ist ausgerüstet mit den unterschiedlichsten Maschinen, wie 3D-Drucker, Laserschneider und anderen. Beheimatet im Innovations-Dock von Rotterdam zieht der Makerspace, wie der Name schon suggeriert, junge „Macher“ an, die in der Fabrikation (Holz, Metall oder der digitalen Produktion) Erfahrungen sammeln möchten. Der Makerspace-Maschinenpark wird von Experten geleitet, die Personen bei der Aus- und Weiterbildung sowie Start-ups und Handwerker bei ihrer Firmengründung fachlich unter die Arme greifen können.

Einige der Maschinen, die angeboten werden.

Aktion 2 4. Kulturelle und kreative Initiativen in Stadtzentren

Zusätzlich zur Industrie 4.0 und dem Dienstleistungssektor können Städte und ihre Einwohner von der Kreativwirtschaft und der Kunstszene profitieren, um in puncto Lebendigkeit und Dynamik entsprechende Akzente zu setzen. Auch in umgekehrter Richtung zieht es Künstler und Vertreter der Kreativwirtschaft in die städtischen Ballungsräume, wie der Monitoringbericht der Kultur- und Kreativwirtschaft 2019 im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) belegt [28]. Im Gegensatz zu Technologiefirmen und Forschungsunternehmen entwickeln sich kreative Viertel in dichten urbanen Lagen, in denen eine hohe soziale Durchmischung besteht und Cafés etc. zu einem Austausch und Aufführungen einladen. Zudem benötigen Künstler und andere Kreative deutlich weniger Fläche als zum Beispiel Technologiefirmen. Sie leben in unmittelbarer Nähe zu ihrem Arbeitsplatz und bewegen sich langsam durch die Stadt, entweder zu Fuß oder mit dem Fahrrad.

Zusammengefasst, Stadtzentren – mit einem Flair aus unterschiedlichen Berufsgruppen, Freizeitangeboten und sozialen Netzwerken – sind ein optimaler Nährboden für kreative Menschen und das Entstehen entsprechender Viertel. Hinweis: Empirische Daten zeigen, dass bestimmte Gebäude (und ihre Funktion) Katalysatoren einer solchen Entwicklung sind. Mit anderen Worten, sie ziehen die Kreativwirtschaft magisch an, die dort ihre Ateliers einrichtet. Zu einer solchen Gebäudetypologie gehören Kunst- und Musikschulen, Museen, Privatgalerien, Theater etc.

[28] ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Fraunhofer- Institut für System- und Innovationsforschung, im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2019. https:// www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/monitoringbericht-kultur-und-kreativwirtschaft-2019.pdf (25.02.2021)

143 Vorteile – Die Kreativwirtschaft kann leicht in andere städtische Aufgaben und Bereiche integriert werden, zum Beispiel Künstlerheime, kleine Einzelhändler. – Städte mit kreativen Vierteln werden oft als dynamisch und interessant betrachtet. Beispiele mögen Berlin und das amerikanische Portland in Oregon sein, zwei Städte die sehr stark Künstler und Touristen anziehen.

Nachteile – Die Entwicklung von Kreativvierteln gelingt zunächst nur im kleinen Maßstab. – Die Entwicklung von Kreativvierteln kann nur begünstigt, aber nicht wie ein Immobilienprojekt gesteuert werden. – Fehlende Kunst-, Musik- oder Designschulen behindern die Entwicklung. – Fehlende Traditionen in den regionalen Künsten und Handwerk behindern die Entwicklung. – Konsequenz: Diese Strategie ist riskant und benötigt langfristige Investitionen.

Aktion 2 4. Kulturelle und kreative Initiativen in Stadtzentren 4.1 Holzmarkt, Berlin

Am Spreeufer mit dem barrierefreien Uferwanderweg inklusive hölzernen Sitzmöglichkeiten.

Der Holzmarkt von der Spree aus gesehen.

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Öffentliche Plätze direkt am Spreeufer.

Luftbild des Holzmarkts.

Der Holzmarkt in Berlin ist ein typisches Beispiel für ein von Bürgerinitiativen gestartetes Projekt. Das Projekt liegt mit einer Größe von 12.000 Quadratmetern direkt an der Spree im Berliner Bezirk Mitte. Seit 2008 hat der Holzmarkt sich als ein Eldorado für DJs, Künstler, Artisten und Start-ups (das Gelände verfügt auch über Flächen für Co-Working) etabliert. Das Projekt entwickelte sich über die Jahre kontinuierlich weiter und wird in der Zukunft auch über gemeinschaftliche Wohnmodelle und Studentenunterkünfte verfügen.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von EyeCandy Berlin – www.eyecandyberlin.com

Aktion 2 4. Kulturelle und kreative Initiativen in Stadtzentren 4.2 Poblenou, Barcelona

Belebte Straße im Poblenou. (Foto Francisco Cornellana Castells)

Umringt von Hochhäusern in unmittelbarer Nachbarschaft.

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Hort Indignat, der gemeinschaftliche Dachgarten. (Foto Jorge Fraganillo)

Graffiti „Poblenou, ich liebe Dich!“

Poblenou, was auf Katalanisch „Neues Dorf“ bedeutet, ist das neueste Kreativviertel Barcelonas, das in einem Industriegebiet aus dem 19. Jahrhundert entstand. Was mit der Besetzung leerer Industriehallen durch Künstler vor circa 20 Jahren begann, entwickelte sich zum Vorzeige-Viertel. Auch die umliegenden Bezirke unterlaufen zurzeit eine Regeneration, wobei verlassene Lagerhäuser zu Wohnungen mit offenen Grundrissen, Galerien, Co-Working-Flächen und Architekturbüros umgebaut werden.

Aktion 2 4. Kulturelle und kreative Initiativen in Stadtzentren 4.3 Metelkova, Ljubljana

Typische Graffiti auf Gebäudefassaden. (Foto Marika Bortolami)

Öffentliche Plätze und Graffiti. (Foto Marika Bortolami)

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Das Metelkova-Gebäude. (Foto Michael Perry)

In der unmittelbaren Nachbarschaft des Hauptbahnhofs befindet sich Ljubljanas alternativer Szenebezirk Metelkova. Ursprünglich ein altes Kasernengelände, welches 1991 aufgegeben wurde, nahmen anschließend Hausbesetzer ein. Ganz allmählich entwickelte es sich zu einem unverzichtbaren Teil der slowenischen Hauptstadt. Nachts zieht Metelkova große Mengen von Musikfreunden an, was die Stadt bis in frühen Morgenstunden lebendig hält. 2006 erklärte die Regierung Metelkova zum kulturellen Nationalerbe.

Öffentlicher Raum im Metelkova. (Foto Marika Bortolami)

Aktion 2 5. Energiegewinnung

Ein unverzichtbares Konzept für die Stadt der Zukunft werden die smarten Technologien sein. Das bedeutet: modernste Kommunikation, Mobilität und Energieversorgung. Darüber hinaus verfügen moderne Städte manchmal nicht nur über neueste Technik, die den Energieverbrauch mindert, sondern sie regeln auch, wie Energie produziert und verteilt wird. Es gilt aufzuzeigen, wie wichtig es ist, dass Städte auch ihre eigene Energie generieren können. So werden weniger Ressourcen verbraucht, was auch bedeutet, dass neue Dynamiken freigesetzt werden, woraus wieder neue Projekte entstehen können. Das traditionelle Versorgungsnetz von Elektrizität, Wasser und Wärme beruht auf einer stadtweiten Infrastruktur, die die Produzenten direkt mit den Verbrauchern verbindet. Neueste Technik hinterfragt und fordert diese lang etablierten Vorrechte – zumindest teilweise – heraus. Zum Beispiel kann Solarenergie dezentral auf Dächern und von Fassaden gewonnen werden. Davon ist ein bestimmter Anteil für den Eigenbedarf, der Rest wird frei auf dem Markt verkauft oder in das städtische Netz eingespeist.

Eine oft gestellte Frage lautet: Wie können Städte heute die Energie erzeugen, die sie auch verbrauchen? Außer Solar- und Windenergie bestehen noch weitere Alternativen, um den urbanen Energiehunger zu stillen, wie etwa das Anzapfen von menschlichen oder Verkehrsbewegungen. Nicht unwichtig bei solchen Gedankengängen ist die Frage, wie diese smarten Technologien neuester Generation die Infrastruktur unserer Städte revolutionieren werden. Welche Konsequenzen wird das für uns alle als Einwohner haben, sobald das ganze Potenzial entfesselt ist?

151 Vorteile

Nachteile

– Saubere und effiziente – Einige Technologien, zum Energieversorgung und ein Beispiel die Solarenergie, sind umweltverträglicher Verbrauch. nicht für alle Städte der Welt – Städte verfügen über viel freie geeignet. Flächen (Dächer, Fassaden), – Infrastruktur bedarf immer die für die Energiegewinnung öffentlicher und privater herangezogen werden Investitionen, wozu noch die können. Kosten des Unterhalts zu hinzurechnen sind.

Aktion 2 5. Energiegewinnung 5.1 CityNOW, Denver

Smart-Cities-Technologie von Panasonic in Denver.

Luftbild des CityNOW-Konzepts.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Panasonic CityNOW – http://www.eyecandyberlin.com/ Informationen unter www.denverchamber.org

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Die Pena-Haltestelle in Denver.

CityNow ist ein smarter karbonneutraler Stadtteil, der auf eine Initiative von Panasonic zurückgeht und mit dem 2015 begonnen wurde. Unterschiedliche Erneuerungen in Bezug auf Energieersparnis finden sich fast überall, wie Solar-Mikrozellen- und energiespendende Parkplatz- und Haltestellenüberdachungen. Der Stadtteil wurde mit dem Beinamen „Lebendiges Labor“ versehen und stellt ein Exempel einer Smart City dar. Was bedeutet, dass öffentlich-private Partnerschaften die smarte Technologie einbauen, testen und dafür die Daten der Auswertung bekommen.

Überdachungen der Pena-Haltestelle liefern Solarstrom.

Aktion 2 5. Energiegewinnung 5.2 Energy Floors, Rotterdam

Die Tänzer-Technologie „The Dancer“. „The Dancer“ erzeugt Strom aus menschlicher Bewegung.

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„The Walker“ in Aktion.

Der „Smart-Energy-Boden“ kann für Informationsübertragungen genutzt werden.

Energy Floors ist eine europäische Firma, die Bodensysteme entwickelt und herstellt, die entweder durch menschliche Bewegungen („The Dancer“) Strom generieren oder durch Solarzellen („The Gamer & The Walker“). „The Dancer“ erzeugt elektrischen Strom direkt aus der menschlichen Bewegung, die dann die im Boden befindlichen LEDs betreibt. Dagegen speisen „The Gamer“ und „The Walker“, die beide mit programmierten LEDs ausgestattet sind und über begehbare Bodenplatten verfügen, ihre Energie direkt in die städtische Stromversorgung.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Energy Floors – www.energy-floors.com

Aktion 2 5. Energiegewinnung 5.3 Brooklyn Microgrid, New York

Solarzellen auf einem Dach in Brooklyn.

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Die Energieverteilung wird über eine App gesteuert.

Energiegewinnung auf privaten Dächern.

Brooklyn Microgrid ist eine Initiative, die lokale Energieproduzenten mit Energiekonsumenten vernetzt. Die Teilnehmer verbinden sich über ein nachhaltiges Stromnetz und wählen dabei die von ihnen bevorzugten Energiequellen aus, die in der Nachbarschaft zur Verfügung stehen. Zum Beispiel kann eine Straßenseite der anderen, je nach Sonnenstand, Strom liefern. Diese Art von kleinen Netzwerken (micro grids) verbessern die allgemeine Energieversorgung über das öffentliche Netzwerk, indem sie die lokal verfügbaren Energieressourcen koordiniert. Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Brooklyn Microgrid – www.brooklyn.energy

Aktion 3 Verbesserung der Mobilität im öffentlichen Raum Städte nur rein administrativ zu verwalten, reicht allein nicht, um ihre Attraktivität und Lebendigkeit langfristig sicherzustellen. In der Zukunft – einer Zeit, in der menschliche Beziehungen noch weniger als heute auf traditionellen physischen Kontakten beruhen werden – wird die Qualität des öffentlichen Raums noch weiter an Bedeutung gewinnen. Der städtische Charakter einer Straße oder Platzes, einschließlich deren Erreichbarkeit, werden kritische Komponenten darstellen, ob die Leute von zu Hause online shoppen, eine Einkaufspassage besuchen oder noch einen Nachmittag in der Innenstadt verbringen werden. Studien weisen darauf hin, dass die Menschen am liebsten immer noch ihren Einkauf mit der Vorstellung eines „Einkaufstags im Stadtzentrum verbinden und damit auch den Wunsch nach sozialen Kontakten und Erlebnissen im städtischen Umfeld zum Ausdruck bringen.“ [29] Daher ist es von größter Wichtigkeit den städtischen Einzelhandel zu erhalten und für neue Attraktionen und Erlebniswelten in den Städten zu sorgen. Dafür müssen alle Belange einer nachhaltigen Mobilität ins und im Stadtzentrum erfüllt werden. Das Verkehrsaufkommen sollte jedoch nicht weiter unbegrenzt wachsen, sondern mit Hilfe einer Reduzierung von Lärm und Luftverschmutzung einhergehen. Insgesamt werden durch solche Maßnahmen der Charakter und die Attraktivität der Landmarke Stadt mit direktem Bezug zur Historie des Stadtzentrums gestärkt. [29] IFH Köln. Vitale Innenstädte 2020. https://www.dstgb.de/dstgb/Homepage/Aktuelles/2021/ Studie%20%E2%80%9EVitale%20Innenst%C3%A4dte %202020%E2%80%9C%3A%20Nutzungsvielfalt%20und%20 neue%20Konzepte%20erforderlich!/; vgl. auch https:// www.ifhkoeln.de/vitale-innenstaedte-nach-corona-wo-citysanpacken-muessen/“muessen/ (25.02.2021)

Bildquelle: Daimler.

3. Multimodaler Verkehr

2. Kostenloser öffentlicher Nahverkehr

1. Flotte autonomer P2P-Fahrzeuge

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Aktion 3 1. Flotte autonomer P2P-Fahrzeuge

Die Automobilindustrie durchläuft tiefgehende Transformationsprozesse, die durch technische Innovationen, Marktkräfte und ein immer stärkeres Bewusstsein für eine Sharing Economy beeinflusst werden. Drei Trends sind dazu auserkoren, die Art und Weise, wie Menschen individuelle motorisierte Verkehrsmittel nutzen, maßgeblich zu verändern:

1. Zunahme der Elektromobilität (EVs) 2. Verbesserung von autonom gesteuerten Fahrzeugen 3. Ausweitung des Carsharing-Angebots Jeder dieser Trends wird eine enorme Auswirkung auf unsere Mobilität haben, die nachhaltiger, komfortabler und sicherer werden muss. All diese benannten Faktoren werden unisono den Paradigmenwechsel in der Mobilität einleiten. Private, autonom gesteuerte Automobile (größtenteils mit Elektroantrieb) werden allein schon über ihre Steuerungsmechanismen fest in digitale Systeme eingegliedert sein. Gesteuert wird das Netzwerk von einem Algorithmus, der nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage agiert und die jeweils optimale Fahrstrecke ermittelt. Dabei werden Umwege, Staus etc. vermieden und unterwegs Fahrgäste aufgenommen oder abgesetzt. In solch einem Szenario können Fahrzeugbesitzer ihre Autos bei Eigenbedarf nutzen, aber auch über ein Carsharing-System vermieten, etwa in den Nachtstunden oder während Arbeitszeiten. Mit Hilfe eines MikroBezahlsystems werden sie nach den gefahrenen Kilometern oder nach einer Passagierpauschale entgolten. Als direkte Konsequenz würde der Bedarf an Parkplätzen sprunghaft sinken. Denn die meisten Automobile unterlägen einer kontinuierlichen Nutzung.

Hinweis: Ungleich vieler Technologien, die im Umfang dieser Studie vorgestellt werden, bedarf es bei dem autonomen Fahren noch etlicher technologischer und logistischer Entwicklungen, bevor dies zur endgültigen Realität wird. Nichts destotrotz investieren viele Firmen in derartige Systeme, was auf ein Peer-to-Peer (P2P) Carsharing-Modell hinauslaufen wird, wie es auf den folgenden Seiten beschrieben wird.

161 Vorteile

Nachteile

– Reduzierung von Parkraum. – P2P-Mobilität verlangt eine – Verbesserte VerkehrsverbinKoordination zwischen privadungen, besonders in Räumen tem und öffentlichem Sektor. mit schlechter Nahverkehrsan- – Eine stabile Fahrzeugflotte bindung. muss über eine entsprechen– Auch umsetzbar in „autofreide Menge von Fahrzeugen en“ Innenstädten (mit Hilfe verfügen und als verlässliches von Aufnahme- und AbsetzTransportmittel gelten. haltepunkten). – Organisatorische Risiken: Soll das steuernde System privat oder öffentlich betrieben werden? Existieren mehrere Systeme parallel? Wie hoch sind die Betriebskosten? – Studien zeigen, dass die Verkehrsmenge eher zunehmen wird; und dass – bei einer immer noch hohen Anzahl von Verbrennungsmotoren – die Luftverschmutzung sogar steigen würde. – Auswirkungen auf den existierenden Nahverkehr sind nicht vorhersehbar.

Aktion 3 1. Flotte autonomer P2P-Fahrzeuge 1.1 Getaround, USA

Getaround ist ein privates Carsharing-Modell auf Internet-Basis (P2P) für kurze Zeitabschnitte. Im Gegensatz zum Turo-Modell müssen sich die Getaround-Vertragspartner nicht treffen, um zum Beispiel die Schlüssel auszutauschen. Die Vorrichtung Getaround Connect in jedem Auto wird über eine mobile App gesteuert und öffnet bei Bedarf den Wagen. In den letzten Jahren ging Getaround mit Uber eine Partnerschaft ein, um die Art und Qualität des Angebots noch weiter zu steigern.

App mit Getaround Connect.

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Spitzenautos, wie von Tesla, sind über die Plattform mietbar.

Autos können für Stunden, Tage oder Wochen angemietet werden.

Einige Automodelle und Größen sind nur für kurzzeitige Mietverhältnisse verfügbar.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Getaround – www.getaround.com

Aktion 3 1. Flotte autonomer P2P-Fahrzeuge 1.2 Share Now, Europa

Per App ist das gesamte Angebot startbereit.

Das Prinzip des „Freefloating“: Die Autos sind überall zu finden, Mietwagenstationen gibt es nicht.

165 Die Fahrzeuge lassen sich an jedem Wunschort anmieten.

Parken, Tanken, Aufladen oder Versicherung sind im Tarif inklusive.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Share Now – www.share-now.com

Als Marktführer und Vorreiter des free-floating Carsharing ist SHARE NOW in 16 europäischen Metropolen mit rund 11.000 Fahrzeugen vertreten, 2.900 davon elektrisch. Rund drei Millionen Kunden nutzen dieses Angebot bereits. SHARE NOW bietet eine nachhaltige Lösung für urbane Mobilität und trägt als Teil des Mobilitätsangebots wesentlich zur Verkehrsentlastung in Städten bei. Denn jedes Carsharing-Auto ersetzt bis zu sechs Privatfahrzeuge im Stadtverkehr. An vier Standorten betreibt SHARE NOW rein elektrische Flotten und ist mit insgesamt vier teil-elektrischen Standorten Europas größter Anbieter im Bereich des elektromobilen stationsunabhängigen Carsharings. Das Unternehmen aus Berlin ist eine von insgesamt fünf Mobilitätsdienstleistungen, welche aus dem 2019 gegründeten Joint Venture der BMW Group und der Daimler AG hervorgehen.

Aktion 3 2. Kostenloser Nahverkehr

Als Teil der gegenwärtigen Diskussionen über den Klimawandel wird die Reduzierung von CO2-Emissionen eine der wichtigsten Prioritäten für viele Städte weltweit. Mit ihren ambitionierten Zielen bis 2050 die Klimaneutralität in der EU zu erreichen, betont die Europäische Union die Relevanz in der Einhaltung aller Klimavorgaben. Mobilitätsexperten scheinen sich einig: Um die EUVorgaben zu erreichen, muss der öffentliche Nahverkehr die erste Wahl unter den Mobilitätsoptionen sein, wenn das Gehen oder Fahrradfahren nicht möglich sein sollte. Die Verfügbarkeit unterschiedlicher Formen von Mobilität, insbesondere unter dem Aspekt der Kosten, ist der Schlüssel in der Entwicklung der Innenstädte. Die Möglichkeit der Teilnahme an einem komfortablen und ansprechenden öffentlichen Nahverkehrsangebot befördert den Erfolg des städtischen Revitalisierungsprozesses. Der ÖPNV dient allen Altersgruppen und sozialen Klassen, indem er sie schnell und bequem in und durch die Städte fährt. Jedoch, wie gelangen wir von der verkehrsgerechten auch zur menschengerechten Stadt?

Einen Überblick zum Thema gibt die Website www.freepublictransport.info.

[30] Zur Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile eines kostenlosen ÖPNV-Angebots siehe auch https://www.zeit.de/ 2018/08/oepnv-verbesserung-luftverschmutzung-gratis-procontra oder https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/oepnvcontra-gratis-nahverkehr-dorfbewohner-subventionieren-diestaedter-1.3867085 (20.02.2021)

167 Vorteile

Nachteile

– Städtische Finanzierung: Wenn – Fast immer, wenn kostenloser die Fahrgäste nicht mehr zahÖPNV angeboten wird, registlen, müssen die Unkosten über rieren die Städte einen Anstieg Steuern und andere Einnahmeder Fahrgastzahlen. quellen gedeckt werden. – Reduzierung der CO2-Emissionen, Verbesserung des ökologi- – Erhöhte Nutzung der Infrastruktur mit einhergehender schen Fußabdrucks. Verschlechterung von Standard – Mögliche Attraktion für und Qualität. Touristen. – In einigen Fällen des kostenlosen ÖPNVs stiegen die Zahlen im privaten Autoverkehr. – Einige Studien belegen, dass kostenloser Nahverkehr vermehrt von Fußgängern in Anspruch genommen wird, was kontraproduktiv ist. – Pilotprojekte beziehen sich bisher nur auf kleine und mittlere Städte. Es ist unklar, ob sie in großen Städten funktionieren. – Der schnelle Ein- und Ausstieg in Bussen muss neu eingerichtet werden, etwa unter Einsatz mobiler Apps. [30]

Aktion 3 2. Kostenloser Nahverkehr 2.1 Tallinn, Estland

Tallinn, die Hauptstadt Estlands, führte den kostenlosen öffentlichen Nahverkehr 2013 ein. Der Service, der allen registrieren Einwohnern der Stadt zusteht, erwirtschaftet jährlich einen Profit von ungefähr 20 Millionen Euro. Eine Umfrage ermittelte schon 2014 eine 90%ige Zustimmung aus der Bevölkerung. Die estnische Wirtschaftsministerin Kadri Simson legte nach: „2018 wird die Unterstützung für den öffent-

Grüne Busse in Tallinn.

lichen Nahverkehr in ganz Estland 34,8 Millionen Euro betragen. Das genügt, um ab dem 1. Juli das Liniennetz zu verbessern und alle Zentren für den öffentlichen Nahverkehr zu unterstützen.“ Allerdings stellte man auch fest, dass der Zustand der Infrastruktur darunter leidet und der Autoverkehr um 31% zu- statt abnahm.

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Die Grüne Karte garantiert kostenlose freie Fahrt.

Werbung für den kostenlosen ÖPNV.

Straßenbahnen sind ebenfalls Teil der Aktion. Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Pjtor Mahhonin.

Aktion 3 2. Kostenloser Nahverkehr 2.2 Luxemburg

Die Pressekonferenz zum Auftakt des kostenlosen ÖPNV. (Foto: Patrick Flammang, CFL).

Reisende brauchen keinen Fahrschein mehr, um mit der Tram zu fahren.

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Pendler aus der Grenzregion werden von günstigeren Tarifen profitieren können.

Als erstes Land weltweit hat Luxemburg 2020 den öffentlichen Nahverkehr kostenfrei gemacht. Diese Maßnahme stellte einen Teil eines übergreifenden Programms zur Verkehrswende dar. Ziel dieses Angebots ist es, Menschen zu motivieren, vom privaten Auto auf Bus und Bahn, den öffentlichen Transport, umzusteigen. Parallel investiert das Land zwischen den Jahren 2018 und 2027 rund vier Milliarden Euro in den Ausbau und die Optimierung von Bus- und Bahnlinien. In Luxemburg leben über 600.000 Menschen. Des Weiteren ist das Aufkommen an Pendlerverkehr mit geschätzten 200.000 Personen aus den grenznahen Gebieten in Deutschland, Belgien oder Frankreich nicht unerheblich für den Verkehrsraum.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von CFL sowie des Ministeriums für Mobilität und öffentliche Arbeiten Luxemburg (MMTP) – www.mobilitegratuite.lu

Aktion 3 2. Kostenloser Nahverkehr 2.3 Dünkirchen, Frankreich

Die post-industrielle Stadt Dünkirchen testet den kostenlosen ÖPNV seit 2014, um seine mit Autos verstopften Straßen vom Individualverkehr zu befreien. Am Anfang der Maßnahme war die Fahrt nur an Wochenenden frei. Seit 2018 gilt dies an allen Wochentagen für alle 200.000 Einwohner. Vor allem der ärmere und ältere Teil der Bevölkerung profitiert davon. Mehrere kleine Kommunen in Frankreich experimentieren schon mit dem kostenlosten Nahverkehr.

Busse sind das Rückgrat des ÖPNV.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Ville de Dunkerque – www.ville-dunkerque.fr

173 Sieben Tage die Woche gilt zu 100% freie Fahrt!

Kostenlose Busverbindungen an Wochenenden.

Einige Busse waren zunächst nur an Wochenenden und in den Ferien kostenlos.

Aktion 3 3. Multimodaler Verkehr

Multimodaler Verkehr bedeutet die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel in einem begrenzten Zeitraum. So kann der Weg zur Arbeit beispielsweise zunächst mit dem Mietfahrrad, dann der Straßenbahn und der letzte Teil des Wegs zu Fuß zurückgelegt werden. Unsere Gesellschaft steht vor großen Umweltproblemen. Hohe Luftverschmutzung auf Grund von dichtem Autoverkehr lässt sich schnell und effektiv als ökologische Lösung auf alltäglichen Standardstrecken mit Hilfe des multimodalen Verkehrskonzepts reduzieren. So werden kleine und schnelle Verkehrsmittel miteinander kombiniert, wie Trams, Metro und Züge mit langsameren Komponenten, die da wären Fahrrad, Bus und Fußgängerzone.

In der Generation der Millennials trifft das Modell auf viel Zustimmung, da deren Erwartungen an die „Verfügbarkeit“ von Verkehrsmitteln über der des „Besitzens“ liegen. So zeigen auch internationale Studien, dass die Zahl der Autobesitzer, insbesondere unter den jüngeren Generationen, konstant am Abnehmen ist. Der Aufbau eines funktionierenden multimodalen Verkehrsmodells benötigt einerseits die Einbindung unterschiedlicher Verkehrssysteme innerhalb eines begrenzten Ökosystems oder andererseits die Koordination von Dienstleistungen unterschiedlicher Firmen mit Hilfe digitaler Technik und mobilen Applikationen [31]. BeMobility (BerlinelektroMobil) war bis 2011 in der Region Berlin-Potsdam ein Forschungsprojekt zur Integration von Elektro- und Hybridfahrzeugen in den öffentlichen Nahverkehr. Das Projekt offenbarte schon vor zehn Jahren, wie der multimodale Verkehr optimal aufgestellt sein muss: Vornehmlich in sauberen Technologien und digitalen Buchungssystemen liegt die Zukunft eines nachhaltigen ÖPNVs.

[31] Fundierte Daten liefert auch die amerikanische Unternehmensberatung Arthur D. Little. https://www.adlittle.com/en/ insights/viewpoints/future-urban-mobility-0“urban-mobility-0 (21.02.2021)

175 Vorteile

Nachteile

– Zusammenarbeit unterschied- – Multimodale Verkehrsmodelle licher Verkehrsmittel in einem setzen die Koordination von gemeinsamen Ökosystem. öffentlicher Politik und privater – Effizientes Management von Initiative voraus. privatem und öffentlichem – Große komplexe InfrastrukVerkehr. turen bedürfen substantieller – Viele europäische Städte öffentlicher Investitionen. haben bereits funktionierende – Übermäßiger Verkehr von ÖPNV-Systeme und die jüngeFahrrädern und E-Rollern re Bevölkerung nutzt weniger könnte das Straßenbild negadas eigene Auto. tiv beeinflussen. – Digitale Technologie kann zur Analyse von Trends, Nutzern und der Planung eingesetzt werden.

Aktion 3 3. Multimodaler Verkehr 3.1 Transbay Center, San Francisco

Das Transbay Transit Center ist ein intermodaler Verkehrsknotenpunkt, der die verstopften Straßen San Franciscos in Bezug auf den Verkehrsstrom in und aus der Innenstadt entlasten soll. Der zentral gelegene Bahnhof ist ein 440 Meterlanges und 50 Meter breites unter- wie oberirdisches Gebäude. Er hat vier Ebenen mit einer Hochstraße für den Busverkehr, die zwei Stockwerke darunter sind mit Einzelhandel und Büronutzung belegt und anschließend folgt ein weiteres Stockwerk tiefer die unterirdische Schienenanbindung. Gekrönt wird das Bauwerk von einem Park als Dachbegrünung. Seit der Eröffnung 2017 verkehrt dort auf sechs Gleisen der lokale Caltrain.

Luftbild des Bahnhofs mit Dachgarten.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Transbay Joint Powers Authority.

177 Die Galerie im Erdgeschoss.

Schnitt durch das Center.

Aktion 3 3. Multimodaler Verkehr 3.2 Arnhem Centraal, Arnheim

Die Gestaltung bleibt funktionell, die Einfahrt für Busse und Züge ist linear angeordnet.

Einladende Geste: Die Architektur ermöglicht den Übergang zwischen Innen- und Außenflächen.

179 Mehr als eine Bahnstation ist mit Arnhem Centraal (Ben van Berkel/UN Studio) ein Hub entstanden, der in seiner Form europaweit einzigartig ist. Nicht nur Regionen und Städte verbindet das komplexe Drehkreuz miteinander, sondern auch Länder – die Niederlande, Belgien und Deutschland. Auf einer Gesamtfläche von 160.000 Quadratmetern ermöglicht die Anlage den Nutzern einen einfachen Wechsel zwischen den Verkehrsmitteln Bus, Zug, Straßenbahn, Auto und Fahrrad. Zentrum der Station ist die Terminalhalle, unverkennbar in ihrem architektonischen Ausdruck dank einer imposanten Dachgeometrie, die die Geste der Bewegung spiegelt. Durch Geschäfte, Restaurants, Büros, Konferenzzentren sowie einem Kinokomplex innerhalb der Umsteigehalle wird Arnhem Centraal funktional aufgewertet. Der großflächige Verkehrsknotenpunkt erhält einen lebendigen Quartiercharakter mit hoher Aufenthaltsqualität.

Arnhem Centraal ist konzipiert als „Umsteigemaschine“.

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Visit Arnhem Nijmegen, Jurjen Drenth – www.toerismevan.nl

3 Perspektiven für deutsche Städte

181

Angekommen im Hier und Jetzt „In der Zeit, als wegen Corona viele öffentliche Räume geschlossen waren, haben wir erlebt, wie wichtig sie sind. Öffentliche Räume heißt nicht zwingend, dass sie Räume der öffentlichen Hand sind, also dem Staat gehören. Es ist ein qualitativer Begriff, der inklusiv ist: In öffentlichen Räumen können Menschen aus allen sozialen und kulturellen Milieus zusammenkommen, von Spielplätzen bis zur Sportstätte, von Parks bis – ja – zur Straße.“ Habek, Robert. Von hier an anders: Eine politische Skizze. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2021. Die Politik, wenn nicht gar bestimmte Politiker haben begriffen, wie und wo sich die Gesellschaft verändert und welche Spuren dies im Land hinterlässt. Im Hier und Jetzt einer Welt, die wie getrieben ist von epidemiologischen Fragen, Zahlen, Daten und Vorschriften bzw. Verboten, zählen plötzlich wieder althergebrachte Werte und verlässliche Zustände. Die Summe der im Zitat oben benannten Orte und Qualitäten ergibt erste Konturen vom Bild einer Stadt. Städte sind seit jeher Orte, in denen der Wandel, der Fortschritt, schlicht jede Art von Veränderung, sich besonders exponiert. Zählen wir all die in diesem Buch bereits benannten Fakten zusammen und fügen den „Megatrend“ Coronapandemie hinzu, wissen wir, dass Gesellschaft und Wirtschaft – will sagen das öffentliche Leben und Arbeiten – an ihren Belastungsgrenzen angekommen sind. Was kann die Architektur in solchen Krisenzeiten leisten? Denn ähnlich wie Politik und Wirtschaft ist meines Erachtens auch die Architektur gefordert. Sie wird zum Bindeglied einer systemimmanenten Hinterfragung wie auch Neudefinition der Wirtschaft, des Handels und des gesellschaftlichen Miteinanders. Sie entwirft, plant und realisiert Bauten und

183

Orte, die sich Menschen aneignen. Das muss immer im Hier und Jetzt, auf der Höhe der Zeit geschehen, die Flucht in die Vergangenheit oder sonstige Plattitüden wäre eine fahrlässige Missachtung der drängenden Fragen und Bedürfnisse unserer Zeit. Nicht mehr die freie Natur, sondern die gebaute Umwelt bevölkern heutzutage die meisten Menschen auf unserem Globus. Dicht gedrängt arbeiten, kommunizieren, berühren, ja, reiben sie sich dort in den steinernen Wüsten. Mit anderen Worten, die Antworten der Architektur auf die gegenwärtige Krise sind überlebensnotwendig für das Wohlergehen des größten Teils der Menschheit. Eine Utopie zuviel? Zu allen Zeiten ersonnen Gesellschaften Utopien und Visionen neuer Lebensformen und Gemeinschaften. Fast immer standen diese auch im direkten Zusammenhang mit teils sehr konkreten Aussagen über fiktive oder reale Städte. Zum Beispiel war der Hintergedanke von Thomas Mores Utopia die Reformation der europäischen Gesellschaft am Beispiel Londons. Sozusagen waren und sind Utopien – einschließlich ihrer Projektionen auf Städte – immer das ideelle Ebenbild aktueller wie gegenwärtiger Probleme im jeweiligen Hier und Jetzt. Wie also die Zukunft denken, planen, zeichnen und umsetzen? Die auf den folgenden Seiten exemplarisch vorgestellten Szenarien gehen der Frage nach, wie architektonisch und städteplanerisch mit unseren digital-ausgebremsten Städten umzugehen ist. Erschwerend hinzu kommen werden die jetzt noch nicht absehbaren wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie und der damit in Zusammenhang stehenden Lockdowns. Wie konkret dann der Stillstand und die Verödung der im Lockdown verharrenden Stadtzentren sein wird, beruht auch auf der

Analyse, ob das Geschäftsmodell der europäischen Stadt auf neue Füße gestellt werden kann. Ein ‚Weiter wie bisher‘ schließt sich schon jetzt automatisch aus. Architektur, von allen Künsten, die durch ihre allgegenwärtige Präsenz am härtesten geforderte, steht als Allererste in der Pflicht, den virtuell-digitalen Welten ein konstruktives, physisch-materielles und sensorisches Gegengewicht zu bieten. Wir Architekten sind es unserem urbanisierten Planeten schuldig, eine sinnhafte, nachhaltig gebaute Umwelt zu schaffen. Getrieben von der Charta von Athen (CIAM) uferte der Städtebau im 20. Jahrhundert unter anderem in der autogerechten Stadt aus. Um derartige Fehlentwicklungen zeitnah und wirkungsvoll zu verhindern, gilt es in unserer heutigen Zeit wachsam zu sein, dass Städte nicht zu digital leergefegten Wüsten oder gar zu webbasierten Slums verkommen.

Fallstudien

185

Köln

Köln, bisher ein Mekka des Einkaufstourismus, teilt sich hauptsächlich in drei Einkaufsstraßen und fünf Einkaufszentren. Mit über 16.000 Passanten pro Stunde war die Schildergasse unter den Top 5 Einkaufsmeilen Deutschlands. Allerdings verzeichnen, wie überall auf der Welt, die Straßen und Malls in Köln kaum Unterschiede im Angebot.

187

Monopolisierung und Standardisierung verflachen das Warenangebot, drücken den Standard und leisten damit der Monotonie des Kommerzes immer mehr Vorschub.

189

Die Konsequenzen für den architektonischen und öffentlichen Raum sind fatal. Das Stadtbild als Identitätsträger ist nachhaltig beschädigt, einzelne Gebäude verwahrlosen und treten als reine „Lagerhaltung“ immer mehr in den Hintergrund. Das Straßenbild ist indifferent, auswechselbar und von einer atmosphärischen Tristesse geprägt. Fazit: Spezialisierte und/oder inhabergeführte Einzelhändler sind nur noch rar gesät oder nicht mehr vertreten. Der hohe Mietspiegel zwingt viele von ihnen zur Geschäftsaufgabe. Der Veränderungsdruck in Kölns Einkaufsstraßen wächst beständig.

B

Ehrenstraße / Breite Straße

H

Hohe Straße

Schildergasse

S

Hauptbahnhof

€ 55–100 / m2 1 B

2

4

H

€ 150–250 / m2

3

Neumarkt

S 5

€ 150–250 / m2 Lage der Einkaufsstraßen in Köln mit den jeweiligen Mieten in Euro/m2. Quelle: Rheinische Immobilienbörse e.V/IHK Köln.

191

1

DuMont Carré

2

Karstadt Köln

3

Neumarkt Galerie Köln

4

Opern Passagen

5

Galeria Kaufhof Cologne Hohe Straße

Köln besteht – wie viele andere deutsche Städte – aus einer endlichen Zahl von Raum- und Gebäudetypologien.

Monofunktionaler Block

Kulturelle und kreative Aktivitäten Neue Lebensformen Arbeiten in der Innenstadt Lebensmittelproduktion in der Innenstadt Energiegewinnung

Monofunktionales Gebäude

193

Jedes Stadtzentrum setzt sich aus unzähligen Gebäuden zusammen, wobei ein jedes eine einzigartige Gestalt, materielle und ästhetische Qualitäten, Verbindung mit der Umgebung, Funktion und Geschichte hat. Trotz dieser Vielfalt ist es möglich, eine bestimmte Zahl wiederkehrender Muster räumlicher Art und Gebäudetypologien nach architektonischen Kriterien der Proportion, horizontaler oder vertikaler Ausrichtung und Positionen zu erkennen. Alle Einkaufszentren zum Beispiel, die in den vorangegangenen Kapiteln beschrieben wurden, können aufgrund ihrer Dimensionen, Ausmaße und dem Fehlen eines mittigen Innenhofs mit der Beschreibung „Monofunktionaler Block“ klassifiziert werden.

Dachparkplätze

Kommerziell genutztes Erdgeschoss

Baulücke

Eine räumliche Analyse der städtebaulichen Struktur von Köln lässt sechs relevante Typologien erkennen.

Platz/Innenhof

Monofunktionaler Block

Monofunktionales Gebäude

195

Dachparkplätze

Kommerziell genutztes Erdgeschoss

Baulücke

Platz/Innenhof

Die sechs Typologien des Städtebaus und der Architektur gemäß ihrer Lage in der urbanen Struktur von Köln.

Eine Vision für die Schildergasse in Köln.

Die Schildergasse neu gedacht mit frischen Konzepten, alternativen Nutzungen, neuartigen Typologien und sozialen Akteuren, die wieder in die Innenstadt gelockt werden.

197

Neue Aktivitäten, neue Programme, neue Typologien, neue Gebäude und neue Nutzer (vielleicht sogar Formen von Künstlicher Intelligenz) besetzen, besiedeln und beleben die Innenstädte der Zukunft. Einige davon werden früher, andere später auf der Bildfläche erscheinen. Eines ist allerdings jetzt schon sicher: Die Städte werden nicht so bleiben, wie sie sind. Aus der herkömmlichen Flaniermeile entsteht eine neue „Öffentliche Zone“.

199

Die Schildergasse der Zukunft – ein öffentlicher Raum, der von allen Einwohnern jeglichen Alters und auch der Künstlichen Intelligenz genutzt wird.

201

Ideen – Stadtmarketing: Domstadt mit Einkaufsanschluss. – Nutzung der Kirchen und der klerikalen Architektur in Kölns Stadtgesicht als städtebaulichen Marken und Highlights. – Verringerung eines konsumgetriebenen Stressfaktors: Schaffung einer entspannten Atmosphäre, die mehr als nur das Shopping erlaubt. – Was wir heute mehr denn je brauchen, ist das genaue Gegenteil der modularen, seriellen Stadt aus der Retorte von Moderne oder Post-Moderne, nämlich höchste Individualität und Identität! – Eine fantastische wie gleichzeitig einmalige Gelegenheit: Mit der Verlagerung des Handels in das Internet werden innerstädtische Flächen frei. Statt Verknappung stehen immer mehr neue Flächen in bester Lage zur Revitalisierung bereit unter dem Motto „Neues Denken, Planen und Nutzen“. – Doppeltes Potenzial – Immobilien ohne Rückseiten: Wo früher noch täglich Waren angeliefert wurden, Logistik mit starker Frequenz stattfand, ist heute gähnende Leere und Stille. Zeit und Platz für die „Einkaufsstraße“.

– Kommerzielle Einheiten: Dort, wo Flächen in Gebäuden und im öffentlichen Raum frei werden, sich öffnen oder veröden, ist dringender Handlungsbedarf angesagt. Flexible Einheiten, Opportunitätswaben als neue ökonomische Größen des stationären Handels.

Eine Vision für die Zeil in Frankfurt.

Die Zeil. Einkaufsstraßen werden sich breiter und diversifizierter aufstellen müssen.

203

Ideen Einkaufsstraßen verschwinden nicht gänzlich, allerdings werden sie in eine andere Form und Gestalt mutieren. Die Prognose lautet, Einzelhandelsflächen definieren, richten und unterteilen sich auf und für andere Felder, Aktivitäten und Kunden, zum Beispiel in Arbeits- und Freizeitbereiche. Die Städte der Zukunft müssen sich daran messen lassen, wie gut dieser Wandel vonstattengeht, aber natürlich auch wie reibungslos die zukünftigen Käuferschichten auf eine nachhaltige, angenehme und schnelle Art und Weise in und wieder aus den Innenstädten gelangen können.

– Nutzung der ausgewöhnlichen Straßenbreite: Die Chance eines Champs Élysées für Frankfurt am Main! – Neubesetzung des Straßenraums mit unterschiedlichen Funktionen (zum Beispiel Popup-Radwege, Nahverkehr) und Objekten (zum Beispiel Cafés, Kioske, Brunnen etc.). – Das visuelle Erscheinungsbild sollte nachhaltig von einer konsequenten Stadtbegrünung geprägt sein. Diese umfasst nicht allein die Pflanzung sogenannter „Straßenbäume“, sondern auch beispielsweise die Begrünung von Fassaden und Dächern der angrenzenden Bebauung. Ziel ist unter anderem die Verbesserung des lokalen Kleinklimas und der übergeordneten Lebensqualität der Besucher und Anwohner. – Die Zeil wird als ein wesentlicher Teil einer übergeordneten Stadtraumqualität definiert, die für das gesamte Innenstadtquartier um die Hauptwache gelten kann. Demnach müssen Einzelmaßnahmen auf ihre lokale Wirksamkeit überprüft und im integralen Zusammenschluss der verschiedenen Stadträume neu bewertet werden.

205

Eine Vision für die Neuhauser und Kaufinger Straße in München.

Nach Meinung unterschiedlicher Experten ist die funktionale Durchmischung der Schlüssel zum Erfolg für eine belebte, hochfrequentierte Einkaufsstraße. Der Einzelhandel, Cafés und Restaurants stehen für Leben und Sicherheit in den Straßen. Dagegen verkörpern Wohn- und Arbeitsquartiere ein ständiges Kommen und Gehen aller Altersund Interessensgruppen sowie einen Mix unterschiedlichster sozialer Klassen. Einkauf, Bildung, Arbeit, Wohnen – es gibt mannigfaltige Arten, wie unsere Einkaufsstraßen hinsichtlich unterschiedlicher Nutzungen über den ganzen Tag und die ganze Woche verbessert werden können.

207

Ideen Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs wurde das Stadtbild des Münchner Zentrums im Wesentlichen nach alten Stadtgrundrissen wiederaufgebaut bzw. rekonstruiert. Der Charme der ehemaligen bayerischen Residenzstadt konnte gerettet werden. Davon lebt bis heute Münchens einzigartiges Flair. Neuhauser und Kaufinger Straße, die vom Karlsplatz bis zum Marienplatz vor das Münchner Rathaus führen, sind ein „Schlauch“ von ständiger variierender Breite und Bebauungshöhen. Als die ältesten Straßen in Münchens historischer Altstadt und mit die am meisten frequentierten Einkaufsstraßen Deutschlands wurden sie 1972 zur Fußgängerzone umgestaltet. Gleichfalls werden auf der circa 700 Meter langen Einkaufsmeile bundesweit die höchsten Spitzenmieten erzielt.

–K  aufhäuser als Auslaufmodelle? Kaufhäuser, so auch das Geschäftshaus Zum schönen Turm, werden im 19. Jahrhundert anstelle barocker Stadthäuser errichtet. Heute befindet sich darin das „größte Männermodehaus der Welt“ der Hirmer Gruppe. Neben dem Stammhaus an der Kaufinger Straße betreibt Hirmer auch einen 24/7-Onlineshop mit eigenem Zustellservice. – Warum funktionieren Warenhäuser beispielsweise in Großbritannien und in Japan, aber immer weniger in Deutschland? – Städtische Identität und die „Faszination Stadt“ speist sich aus lokaler Historie, die von unterschiedlichsten Nutzungen (von Kirchen über Gasthäuser, Handel, Hotels und Wohnen) durchwebt ist. – Das klassische Geschäftsmodell „Einkaufsstraße“ stirbt ab und muss durch multiple Modelle ausgewechselt werden. – Bewegt-belebte Architektur versus einer rigiden Tektonik. – Die Stadt als Wohn-, Arbeits- und Lebenslabor. –T  rotzdem gilt: keine bedingungslose Inszenierung der Stadt; kein reines Spektakel!

Eine Vision für die Königsallee in Düsseldorf.

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Ideen Düsseldorfs einzige über die Landesgrenzen hinaus bekannte Marke ist die Luxusmeile Königsallee, liebevoll „Kö“ benannt. Sie könnte jedoch auch als ein gnadenlos ausstaffierter Stadtteil verstanden werden. 1804 als Boulevard mit Baumbestand und dem mittig verlaufenden Stadtgraben in einer Breite von 87 Metern angelegt, wurde sie 1985 neugestaltet. 1994 stellte man sie mit all ihren Brücken, Brunnen, Skulpturen, haushohen Platanen und Kastanien unter Denkmalschutz. In Europa, nach der Londoner Bond Street, besteht hier die zweithöchste Dichte an Filialen von Luxusmarken. Die Interessengemeinschaft Königsallee e.V. kümmert sich speziell um die Vermarktung der Königsallee als hochwertig-gediegene Einkaufsmeile.

– Optimierung statt Maximierung: Die Erhaltung der ökologischen und städtebaulichen Wertigkeit ist vorrangiges Ziel. Der hochwertige und spezialisierte Einzelhandel soll als Erkennungszeichen weiterhin erhalten bleiben. Kein Ausverkauf kommerzieller Kernsubstanz. – Modernität und Mobilität im Einklang: Kein gegenseitiger Ausschluss alternativer Formen von Mobilität – von Fußgänger, Roller/Skater, Fahrrad wie auch CO2-neutraler PKW-Verkehr. – Befriedung der Kö?: Über den Vorschlag des Oberbürgermeisters vom Sommer 2020 hinsichtlich eines Shared Space auf der Königsallee hinaus soll auf den Verkehr komplett verzichtet werden. – Mikroklima der Städte, besser, gesünder und artenreicher: Allein auf der Kö schätzt man die Zahl der seit den 80er-Jahren eingewanderten Indischen Halsbandsittiche auf über 1.500 Exemplare. Das ungestüme Wachstum findet nicht nur Freunde der „Kö-Papageien“. Ökologie ist kein Feigenblatt. – Platz für Außengastronomie, wo sich vorher Stellplätze für Fahrzeuge befanden. – Ein Erleben der Düssel soll möglich gemacht werden: Treppen zum Kö-Graben steigern die Aufenthaltsqualität und laden zum Verweilen ein.

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Eine Vision für den Gustaf-GründgensPlatz in Düsseldorf.

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Ideen In Shakespeares Zeilen „All the world’s a stage, And all the men and women merely players; They have their exits and their entrances;“ (As You Like It, II.7.) liegt bereits angedeutet die Funktion und der Charme des neu gestalteten Gustaf-Gründgens-Platz – eine Piazza, ganz nach italienischem Vorbild, wo das Leben spielen könnte. Der mit dem Kö-Bogen II und der Sanierung des Schauspielhauses erst Ende 2020 wieder hergestellte Gustaf-GründgensPlatz sollte allerdings nicht nur durch die umliegende Architektur aufgewertet werden. Mit der Kreation von „Europas größter Grünfassade“ durch die Integration einer acht Kilometer langen Hainbuchenhecke auf dem Dach und der Fassade des Kö-Bogen II von Ingenhoven Architects und der Gestaltung des neu gewonnenen Freiraums durch die Landschaftsarchitekten FSWLA sind denkbar günstige Voraussetzungen für die gesellschaftliche Wiederbelebung des städtischen Umfelds im Schatten des Dreischeibenhauses geschaffen worden. Als ergänzende Bereicherung von „Düsseldorfs neuer Mitte“ bedarf es allerdings noch einiger wohlgesetzter szenischer Handgriffe.

– Erweiterte Innenstadt: Durch den Abriss der Hochstraße „Tausendfüßler“ und der bereits im Zusammenhang mit dem Kö-Bogen I erfolgten Freilegung der vormals überdeckten Wasserfläche der Landskrone erfolgte quasi automatisch eine Wiederanbindung der Königsallee an den Hofgarten, was auch den neu gestalteten Gustaf-Gründgens-Platz miteinbezieht. Fazit: Düsseldorfs wieder gefundene neue Mitte sollte nicht nur dem Kommerz und der Kultur vorbehalten sein. Zur Wiederbelebung gehört auch eine entsprechende Wohnnutzung bzw. Wohnquartiere. – Frei nach Shakespeare: Theateraufführungen auf dem Gustaf-Gründgens-Platz sind bereits avisiert. Wie aber wird der Platz in den Spielpausen genutzt? Ganz im Sinn eines barocken Heckentheaters könnte ebenso die Hainbuchenhecke auf dem Kö-Bogen II in die Inszenierungen einbezogen werden: Im Erdgeschoss muss aber eine belebte Fassade zum Platz hin entstehen. All the world’s a stage. – Belebte Sockelgeschosse (Plinth): Außer der Gastronomie im Dreischeibenhaus wurde es leider versäumt, den Platz gastronomisch zu erschließen. Darunter leidet die Verweildauer auf dem Platz ganz erheblich. – Nebenschauplätze: Die Straßen und Gassen, die auf den Platz führen, sollten im Gegensatz zu den großen Filialisten im Kö-Bogen I und II mit kleinen Geschäften und Cafés bestückt werden. Die Fußgängerfrequenz erhöht sich damit auch auf dem Gustaf-Gründgens-Platz, der sonst die meiste Zeit aufgrund seiner beträchtlichen Größe wie leergefegt wirkt. – Ein Wohnhochhaus auf der Tuchtinsel kann als verbindendes Element zwischen Bahnhof und Innenstadt dienen.

217

Eine Vision für das Passagenviertel in Hamburg.

219

Ideen Im schicken Hamburger Passagenviertel liegt in der Straße Große Bleichen der Ursprungsort für die erste deutsche Einkaufspassage Sillem‘s Bazar zwischen 1843 und 1881. Die heute historischste Einkaufsstraße der Hansestadt verfügt über fünf einzelne Passagen. Mit der 2011 für das Passagenviertel gegründeten Initiative Business Improvement District (BID) versuchen Grundeigentümer und Gewerbetreibende, die Werterhaltung der Immobilien und höhere Warenumsätze zu erzielen. Darauf gilt es aufzusetzen. Für Walter Benjamin waren Passagen die Entsprechung der labyrinthischen Stadt, in der die Fetischisierung der Waren ihren Höhepunkt erlebte. Heute in Zeiten der Digitalisierung und der Coronapandemie veröden diese realen Erlebniswelten, die 3D und Echtzeit offerieren. Der Flaneur der Straße ist zum Surfer und Streamer virtueller Fetischwelten im Netz verkommen. Baulicher Grundmodus: Maximale Flächenausnutzung der Grundstücke, die damit erreichte Dichte und Tiefe des Quartiers und die Abfolge von teils gegensätzlichen Nutzungen (Handel, Fertigung, Verwaltung, Wohnen) wurde in der Blockrandbebauung im 19. und 20. Jahrhundert perfektioniert. Heute können, zum Beispiel mit Hilfe exzellenter Beleuchtungs- und Belichtungstechniken, dunkle Hinterhöfe und -gebäude attraktiver gestaltet werden, die Dächer und teils die Fassaden zur Energiegewinnung genutzt und dank wenig raumgreifender digitaler Techniken ein lebendiger Mix aus Leben und Arbeiten geschaffen werden.

– Diffundierung der Städte bzw. Viertel und Häuserblöcke: In puncto Nutzung, Durchwegung und in der Herstellung von neuen Bezügen müssen die Blöcke neu konzipiert und durchdrungen werden. –F  lächen und Raumfolgen ergeben Szenarien mit inhärenten Handlungsprogrammen – räumlich-sinnliche Erlebniswelten entstehen. – Neue programmatische und architektonische Antworten auf Technologiewandel, neue Gewerbeformen und soziales Miteinander. –F  rei nach Hermann Hertzbergers „Einladender Form“ werden Gebäude als unfertig und aufnahmebereit zur kreativen Interaktion begriffen. – Der Code der Städte muss „gehackt“, also umprogrammiert und erweitert werden. – Wohnen und Kultur müssen für eine 360-GradMischnutzung gestärkt werden.

221

Eine Vision für den Alexanderplatz in Berlin.

223

Ideen Symbolhaft donnert die Dampframme in Döblins Roman Berlin Alexanderplatz mit Getöse die Spundwände für den U-Bahntunnelbau in den Boden. Der Platz kommt niemals zur Ruhe. Nicht nur konstruktiv, auch historisch und sozial sind die Erschütterungen auf Berlins größtem öffentlichem Platz für jedermann zu spüren, zu sehen und nachzuverfolgen. Seitdem gilt der Alexanderplatz als Synonym für unaufhaltsamen Fortschritt, permanenten Wandel – und letztlich als Abbild menschlicher Verwerfungen. Heute gibt die circa acht Hektar große Fläche ein Bild städtischer Orientierungslosigkeit ab. Die am südwestlichen Rand gelegenen zwei Peter-BehrensBauten, das Alexander- und Berolinahaus, flankieren bzw. fassen den Platz nur noch mühsam. Nach Nord-Osten franst der Alexanderplatz städtebaulich aus, verliert sich regelrecht. Daran können auch die 2004 im Zuge der Neugestaltung wieder verlegten Tramschienen und errichteten Haltestellen nichts ändern. Auch haben die für die Platzgestaltung und Randbebauung erfolgten Wettbewerbe noch nichts Grundlegendes bewegt. Allerdings erlangte der Alexanderplatz als größter Kriminalitätsschwerpunkt Berlins eine traurige Spitzenposition. Der Alexanderplatz ist ein perfektes Beispiel dafür, wie sich Städtebau und Architektur überschätzen können. Statt eines Zusammenspiels aller Kräfte wurde bisher zu sehr auf Einzelmaßnahmen gesetzt. Dabei wissen wir, dass der öffentliche Raum aus einem Zusammenspiel aller entsteht, lebt und belebt wird.

–D  as menschliche Maß: Sinneswahrnehmungen und Größenordnungen des Stadtbilds auf Augenhöhe. Die menschliche Stadt findet sich wieder auf belebten Plätzen, Parks und Straßen. Bestenfalls bringt Architektur das menschliche Maß voll zur Geltung. Statt bemitleidenswerte Randfiguren urbaner Verwahrlosung spielen Gebäude eine zentrale Funktion, indem sie Attraktionen im städtischen Umfeld darstellen und einen unverzichtbaren Faktor im Erlebnis Stadt abgeben. – Gute öffentliche Räume mit hoher Lebensqualität bedürfen der Kohäsion durch Präsenz, nämlich die der Bevölkerung. – Zu große räumliche Offenheit kippt schnell in Verlorenheit und Unsicherheit. – S trukturierung des Raums durch Bepflanzung und Möblierung (Brunnen, Bänke, Kiosk). Der Alexanderplatz ist eher ein Fleck als ein Platz im städtischen Gefüge Berlins. – Fazit frei nach Jan Gehl, Architekt und Stadtplaner aus Kopenhagen: Der Wandel muss für alle Sinne spürbar bleiben, darf aber nie zur verbauten Agonie verkommen. Einen Überblick geben dabei die zwölf Qualitätskriterien für die Stadt auf Augenhöhe (in: Gehl, Jan. Städte für Menschen. S. 275).

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Resümee

Was wir gegenwärtig wahrnehmen, ist ein ununterbrochener immer schneller werdender Wandel in unseren Städten. Das belegt auch die vorliegende deutsche aktualisierte Ausgabe von Retail in Transition. Sind es allerdings nur noch mehr Zahlen, Fakten und bunte Bilder eines sich immer rasanter drehenden Karussells? Nein, wir treiben nicht ziellos im Cyberspace umher. Auch steuern keine finsteren Mächte mit ihren Algorithmen, Viren etc. unsere Wünsche und Begierden. Jedoch der beständige Wind of Change aus Trends und Mega-Trends plus allen erdenklichen Risikogefährdungen schleift unsere habituellen Gewohnheiten, gesellschaftlichen Zusammenhalt aber auch die gebaute Umwelt mit ihren Städten und Kommunen. Personen mutieren dabei schnell zu reinen Konsumenten, Politik zu Systemen, Wirtschaft zur Risikoproduktion und Städte werden poröser, ruinöser.

Der Fokus dieser Publikation liegt schwerpunktmäßig auf dem Wandel des Einzelhandels in deutschen Städten. Wie viele Beispiele in diesem Buch belegen, haben – und mussten – sich schon viele Einzelhändler mit den durch Digitalität und jetzt durch die Coronapandemie verursachten Veränderungen sowie den damit einhergehenden neuen Realitäten rasch abfinden. Allesamt erkunden sie neue Wege, sich auf immer anspruchsvollere Handels- und Kundenbeziehungen einzustellen. Umgekehrt etablieren sich auch zunehmend Vertreter des E-Commerce in den Stadtzentren, nicht nur um ihre Onlinegeschäfte auszuweiten, sondern um ihren virtuellen Unternehmen eine echte Erlebnisebene hinzuzufügen, die nur im wahrhaften Ladengeschäft zu erfahren ist. Will sagen, die Städte bleiben immer noch im Geschäft! Aber werden die Auswirkungen von E-Commerce und Coronapandemie auf die Innenstädte genauso tiefgreifend und langfristig sein, wie beispielsweise die historischen Entwicklungen auf dem Zeitstrang im Kapitel Grundlagen Forschung dargestellt? Nach der Lektüre von Retail in Transition ist die Antwort einhellig. Die darin beschriebenen Veränderungen berühren unser kollektives Bild von Städten auf nachhaltige Art und Weise. Momentan gibt es wenig zu beschönigen oder gar zu leugnen. In meinen Augen muss beherzt angepackt und umgeplant wie auch umgebaut werden. Nicht nur Stadtverordnete, Eigentümer, Einzelhändler etc. sind gefragt und betroffen. Nein, wir alle in der Tiefe und Breite der Gesellschaft müssen reagieren. Stellen wir uns gemeinsam der Aufgabe nach Lösungen zu suchen. Retail in Transition benennt in Kapitel 1 und 2 zahlreiche Fakten und Beispiele, gibt Hinweise und weist in Kapitel 3 Wege auf, wie sie gegangen werden könnten oder sogar müssten. Aber noch sind unsere

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Antworten teils zu unfertig, zu kurz gedacht oder vielleicht gar zu oberflächlich. Dennoch stehen für mich wesentliche Fragen und Erkenntnisse schon jetzt im Vordergrund: Was machen wir mit den freiwerdenden Flächen in den Innenstädten? Sie stellen ein ungeheures Potential der urbanen Zukunft dar. Darüber hinaus, so bin ich mir sicher, wird wieder eine für die Entwicklung der europäischen Städte typische Vielfalt von Nutzungen in die Zentren einziehen. Auch in diesem Fall sollten wir das damit verbundene Potential, zum Beispiel in der neuen Schaffung von Gastronomieangeboten und besonders Wohnraum in den Innenstädten, nicht unterschätzen. Denn, so lautet einer von Jan Gehls Wahlsprüchen für städtisches Flair, „First life, then spaces, then buildings. The other way around never works!“ Eintritt frei auf die Bühnen der Innenstädte, Vorhang auf! Der Weg führt über die Bestandsaufnahme und erste Skizzen in Retail in Transition hinaus in eine genauere, präzisere Formulierung des Anliegens: „Die Vorgänge in den Städten zu begreifen, ist keine Geheimwissenschaft, die lediglich Fachleuten zugänglich wäre“, sagte bereits 1961 Jane Jacobs, die große Vordenkerin der menschlichen Renaissance unserer Städte, ein Zitat aus Ihrem Werk „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“. Jedoch, wohin geht die Reise in den Städten des 21. Jahrhunderts? Keine geschönten Utopien, sondern harte Realitäten stehen uns gegenüber, fordern uns heraus. Gefragt ist spielerische Kreativität im Umgang mit den Innenstädten. Unbefangenheit, keine dogmatisch-ideologische Prinzipienreiterei, stattdessen entspannt-gespannt auf Zukunftssuche. Es gilt, das Motto Maßstab Mensch weiterzuentwickeln. Wir sollten daher noch offener, konkreter, ja

radikaler vorangehen und weiterdenken. Wir, mein Team und ich, befinden uns demnach gefühlt immer noch am Anfang. Erste Gedanken sind gemacht, viele Schritte müssen noch folgen. Mannigfaltige Perspektiven sind notwendig, die wir allein in unserem Architekturstudio nicht erlangen können. Noch sind wir vorerst Kommentatoren und dann Initiatoren, die im Zusammenspiel der Kräfte Zuspruch, Fragende und Mitstreiter suchen. All das hier Beschriebene offenbart sich zuerst in den Innenstädten. Neue Programme, neue Ziele, neue Aktivitäten und neue Kunden können zurück in die Zentren gebracht werden. Leben, lernen, einkaufen, arbeiten, produzieren, genießen und wohnen, all diese Tätigkeiten und Eigenschaften sollten erneut in überraschender und aufregender Weise miteinander vermischt werden. Dafür müssen wir die Städte umbauen, alte Infrastrukturen anpassen und modernisieren, Gebäude nachhaltig revitalisieren, Grünflächen pflegen und hegen sowie den Nahverkehr neu auflegen. Schlicht und einfach, den Weg ebnen von der verkehrsgerechten zur menschengerechten Stadt.

Bibliographie

Eine Auswahl von Publikationen, die uns inspirieren: – Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main: Edition Suhrkamp, 1986. – Beck, Ulrich, (Hrsg.): Kinder der Freiheit. Frankfurt am Main: Edition Zweite Moderne, Suhrkamp, 1997. – Becker, Annette; Lampe, Stefanie; Negussie, Lessano; Cachola-Schmal, Peter: Fahr Rad! Die Rückeroberung der Stadt. Deutsches Architekturmuseum. Basel: Birkhäuser, 2018. – Benjamin, Walter: Einbahnstraße. Frankfurt am Main: Bibliothek Suhrkamp, 1997. – Benjamin, Walter: Passagenwerk. Bd. I. & II. Berlin: Edition Suhrkamp, 2020. – Bodenschatz, Harald (Hrsg.): Renaissance der Mitte. Zentrumsumbau in London und Berlin. Berlin: Braun, 2005. – Davis, Mike: City of Quartz. Excavating the Future in Los Angeles. London: Vintage, 1990. – Delitz, Heike: Gebaute Gesellschaft. Architektur als Medium des Sozialen. Frankfurt am Main: Campus, 2010. – Ebbing, Georg (Hrsg.); Christoph Mäckler: Lehre 1998–2018. Von der Rematerialisierung der Architektur zur Rekultivierung des städtischen Raums. Bd. 11. Stadtbaukunst. Berlin: DOM Publishers, 2019. – Farocki, Harun: Die Schöpfer der Einkaufswelten. In: Harun Farocki Filme 1967–2005. Berlin: Absolut Medien, 2009. – Gehl, Jan: Städte für Menschen. Berlin: Jovis, 2015. – Gehl, Jan: Leben in Städten. Basel: Birkhäuser, 2016. – Giseke, Undine; Löw, Martina; Million, Angela; Misselwitz, Philipp; Stollmann, Jörg (Hrsg.): Urban Design Methods. Integrated Urban Research Tools. Berlin: Jovis, 2021. – Habeck, Robert: Von hier an anders. Eine politische Skizze. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2021.

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– Hasse, Jürgen: Atmosphären der Stadt: Aufgespürte Räume. Berlin: Jovis, 2015. – Hasse, Jürgen: Fotografie und Phänomenologie. Mikrologien räumlichen Erlebens. Freiburg im Breisgau: Karl Alber Verlag, 2020. – Häußermann, Hartmut; Siebel, Walter: Neue Urbanität. Frankfurt am Main: Edition Suhrkamp, 1987. – Hoffmann-Axthelm, Dieter: Die dritte Stadt. Frankfurt am Main: Edition Suhrkamp, 1993. – J acobs, Jane: Tod und Leben großer amerikanischer Städte. Bauwelt Fundamente 4. Basel: Birkhäuser, 2015. – Jüttemann, Andreas (Hrsg.): Stadtpsychologie. Handbuch als Planungsgrundlage. Lengerich: Pabst Science Publishers, 2018. – Koolhaas, Rem: Delirious New York. New York: The Monacelli Press, 1994. – Lampugnani, Vittorio Magnago: Die Stadt im 20. Jahrhundert. Bd I. & II. Berlin: Wagenbach, 2011. – Lampugnani, Vittorio Magnago: Bedeutsame Belanglosigkeiten. Kleine Dinge im Stadtraum. Berlin: Wagenbach, 2019. – Lynch, Kevin: Das Bild der Stadt. Bauwelt Fundamente 16. Basel: Birkhäuser, 2013. – Mitscherlich, Alexander: Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden. Frankfurt am Main: Edition Suhrkamp, 1965. – Nohl, Werner: Landschaftsästhetik heute. Auf dem Weg zu einer Landschaftsästhetik des guten Lebens. München: Oekom, 2015. – Precht, Richard David: Jäger, Hirten, Kritiker. Eine Utopie für die digitale Gesellschaft. München: Goldmann, 2018. – Reckwitz, Andreas: Die Gesellschaft der Singularitäten. Berlin: Suhrkamp, 2017. – Reckwitz, Andreas: Das Ende der Illusionen: Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne. Berlin: Edition Suhrkamp, 2019.

– Rötzer, Florian: Vom Wildwerden der Städte. Bauwelt Fundamente 135. Basel: Birkhäuser, 2006. – Schmitz-Morkramer, Caspar (Hrsg.): Maßstab Mensch. Dortmund: Kettler, 2019. – Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Frankfurt am Main: Campus, 2005. – Sennett, Richard: Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 1997. – Sewing, Werner: Bildregie. Bauwelt Fundamente 126. Basel: Birkhäuser, 2003. – Siedler, Wolf Jobst: Stadtgedanken. München: Goldmann, 1990. – Sim, David: Soft City: Building Density for Everyday Life. Washington DC: Island Press, 2020. – Situationistische Internationale: Der Beginn einer Epoche. Hamburg: Edition Nautilus, 1995. – Steets, Silke: Der sinnhafte Aufbau der gebauten Welt. Berlin: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 2015. – Tchoban, Sergei; Sedow, Wladimir: 30:70. Architektur als Balanceakt. Berlin: DOM Publishers, 2017. – Venturi, Robert; Scott Brown, Denise; Izenour, Steven: Learning from Las Vegas. Cambridge, Massachusetts: MIT Press, 1991. – Wilde, Jessica: Die Fabrikation der Stadt. Eine Neuausrichtung der Stadtsoziologie nach Bruno Latour. Bielefeld: Transcript, 2021. – Wolfe, Tom: From Bauhaus to our House. London: Cardinal by Sphere Books Ltd., 1981.

Autoren

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Caspar Schmitz-Morkramer Studierte Architektur an der RWTH in Aachen und der TU Berlin. Schon als Jugendlicher war er an Kunst und Architektur interessiert. Aus diesem Interesse heraus nahm er noch vor seinen Studien an Architekturkursen in New York City teil und lernte klassisches Zeichnen in Florenz. Erste Arbeitserfahrungen erlangte er bei Murphy/Jahn (Chicago) und Renzo Piano (Genua). 2019 ging sein Architekturstudio caspar. aus der 2004 gegründeten Büropartnerschaft meyerschmitzmorkramer hervor. Zahlreiche Projekte des Architekturstudios caspar. wurden mit Preisen und Auszeichnungen gewürdigt. Darunter die zweifache Auszeichnung für das Projekt Abtei Michaelsberg mit den renommierten MIPIM Awards. Die ursprüngliche englische Ausgabe von Retail in Transition entstand unter der wissenschaftlichen Mitarbeit der Architekten Federico Garrido und Aurelio David, die zur damaligen Zeit in der Forschungsabteilung caspar.esearch tätig waren.

Impressum

Sprachliche Gleichstellung Sofern Personenbezeichnungen in männlicher Form verwendet werden, sind mit diesen stets sowohl männliche als auch weibliche Personen gemeint.

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© 2022 by jovis Verlag GmbH Das Copyright für die Texte liegt bei den Autoren. Das Copyright für die Abbildungen liegt bei den Fotografen/Inhabern der Bildrechte. Alle Rechte vorbehalten. Autoren Caspar Schmitz-Morkramer mit Aurelio David und Federico Garrido Herausgeber Caspar Schmitz-Morkramer caspar. | Erftstr. 17 | 50672 Köln www.caspar.archi www.retailintransition.archi Redaktionsteam der aktualisierten deutschen Ausgabe: Michael Kuhn (caspar.) Christian Brensing (CBE Ltd. London/Berlin) Laura Stillers (caspar.) Übersetzung aus dem Englischen Christian Brensing

Diese Publikation einschließlich ihrer Bestandteile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Herausgebers ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder andersartige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. jovis Verlag GmbH Lützowstraße 33 10785 Berlin www.jovis.de jovis-Bücher sind weltweit im ausgewählten Buchhandel erhältlich. Informationen zu unserem internationalen Vertrieb erhalten Sie von Ihrem Buchhändler oder unter www.jovis.de. ISBN 978-3-86859-991-6

Zukunftsvisualisierungen Caspar Schmitz-Morkramer mit Kacper Rojek Layout und Design Studio für Gestaltung, Köln Druck Druckerei Kettler, Bönen Printed in Germany

Bildnachweis

A Adobe Stock / Ingmar Gerckens (220) Adobe Stock / phllp (212) Adobe Stock / Sina Ettmer (226, 227) AKIM Photography (232) Art-Invest Real Estate Management GmbH & Co. KG (62, 63) B Barneys / 2×4 studio (88, 89) Binder Groenprojecten (124, 125) Marika Bortolami (150, 151) Susanne Botschen (42) Brandless, (102, 103) Brooklyn Microgrid (158, 159) C C&A Mode GmbH & Co. KG (55, 56, 58, 61) Francisco Cornellana Castells /  Jorge Fraganillo (148, 149) Coexist CIC Bristol (138) Coexist CIC Bristol / Gregory Bond (139) Coexist CIC Bristol / Evi Lemberger (138) Coexist CIC Bristol / Abigail Oborne (139) D Daimler (161) Dohtonbori Co. Ltd. (106, 107) Dresden Vision (98, 99)

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E Eataly / Annika Berglund (110) Eataly / Claudia del Bianco (110, 111) Eataly / Tommy Losch (111) ECCO Quant-U (94, 95) Energy Floors (156, 157) Hans-Georg Esch (218) EyeCandy Berlin (146, 147)

S Selfridges / Hufton + Crow (90, 91) SHARE NOW (166, 167) Gurmit Singh / Dion Hinchcliffe (112, 113) T The Collective (130, 131) Transbay Joint Powers Authority (178, 179) U Uniqlo / LOT-EK Architects (104, 105)

F Patrick Flammang / CFL (172) Fotostudio CoellnColoer (70) G Genossenschaft Kalkbreite  /  Volker Schopp (132, 133) Getaround (164, 165) H H&M / It’s pleat (114, 115) K Kono Designs (122, 123) Kono Designs / Toshimichi Sakaki (122) Kono Designs / Luca Vignelli (123) L Lufa Farms (126, 127) M Pjotr Mahhonin (170, 171) Memomi Labs (86, 87) Ministry of Supply (96, 97) MMTP Luxemburg (172, 173) P Panasonic CityNOW (154, 155) Kristina Paukshtite (37) Peek & Cloppenburg KG Düsseldorf (49, 51, 52) Michael Perry (151) R RDM (142, 143)

V Ville de Dunkerque (174, 175) Visit Arnhem Nijmegen / Jurjen Drenth (180, 181) W WeLive / WeWork (134, 135) WeWork (140, 141) Trotz intensiver Bemühungen konnten einige Urheber der Abbildungen nicht ermittelt werden. Die Urheberrechte bleiben jedoch gewahrt. Wir bitten um entsprechende Mitteilung.