Repräsentationen des Krieges: Emotionalisierungsstrategien in der Literatur und den audiovisuellen Medien vom 18. bis zum 21. Jahrhundert 3835310615, 9783835310612

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Repräsentationen des Krieges: Emotionalisierungsstrategien in der Literatur und den audiovisuellen Medien vom 18. bis zum 21. Jahrhundert
 3835310615, 9783835310612

Table of contents :
Umschlag
Titel
Impressum
Inhalt
Jan Süselbeck in Zusammenarbeit mit Søren R. Fauth und Kasper Green Krejberg: Der Krieg als Vater aller Dinge? Zur emotionswissenschaftlichen Fragestellung des Bands
1. Die Ambivalenz der Affekte: Kriegsfilme – Antikriegsfilme
Hermann Kappelhoff: »Sense of Community«: Die filmische Komposition eines moralischen Gefühls
Manuel Köppen: Das Wissen des Films. Gewaltinszenierungen in Kriegsfilmen (»Saving Private Ryan«, »Black Hawk Down«, »Inglourious Basterds«)
Lars Koch: Angst im Post-9/11-Cinema. Zur filmischen Bearbeitung eines Erwartungsaffekts
Gerhard Jens Lüdeker: Zur Zuschauermobilisierung in Antikriegsinszenierungen. Figurenkonstruktionen und Emotionalität in Hollywood-Kriegsfilmen nach 9/11
Linda Maria Koldau: Submarine Films as Aesthetic Reflection of War History and War Strategy
Klaus Theweleit: Pocahontas, Modell »Avatar«. James Camerons »very mad affair« mit der militärischen Medientechnologie im 3-D-Kino
2. Emotionale und ästhetische Aspekte der Kriegsberichterstattung in den Medien
Thomas F. Schneider: Reduktion, Emotionalisierung, Ikonisierung. Bilder des Todes in der Kriegsberichterstattung (Fotografie, Fernsehen, Internet)
Mikkel Bruun Zangenberg: The Milblogger as a Truth Witness proper? About new forms of representing war on the Internet
3. Mischformen visueller und textueller Kriegsdarstellungen
Jürgen Brokoff: »Nichts als Schmerz« oder mediale »Leidenspose«? Visuelle und textuelle Darstellung von Kriegsopfern im Bosnienkrieg (Handke, Suljagić, Drakulić)
Kasper Green Krejberg: The Anxiety of Emotional Identification. W. G. Sebald, Michael Haneke and the Aesthetics of Indirection in Contemporary War Stories
Anders Engberg-Pedersen: Takt. Der Kriegszustand und die Kunst des Urteilens im 19. Jahrhundert
4. Emotionalisierungsstrategien und -effekte in der Kriegsliteratur
Debra Kelly: Living War, Reading War. Emotions and Responses to Life-Writing Narratives of the French Occupation
Jan Süselbeck: »Ich komme nur ganz kurz hierher.« Emotionale Strategien der ›filmischen‹ Schnitt- und Überwältigungsästhetik in Christian Krachts Kriegsroman »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« (2008)
5. Kriegsliteratur zwischen Satire und Slapstick
Bernd Blaschke: Emotionsmodellierung in Kriegsdramen. Elfriede Jelinek und Falk Richter als satirische Medienbeobachter
Andrea Schütte: Krieg und Slapstick. Kontrolle und Kontrollverlust in der literarischen Darstellung des Bosnienkrieges
6. Formen der Heroisierung und der Gewaltverherrlichung in der Kriegsliteratur
Christoph Jürgensen: Der Dichter im Feld oder Dichtung als Kriegsdienst. Strategien der Mobilisierung in der Lyrik der Befreiungskriege
Mareen van Marwyck: »Nicht schrecklich bist du in der Nähe anzuschaun, / Es zieht das Herz mich zu der lieblichen Gestalt.« Die emotionstheoretische Codierung der Anmut als Helden- und Gewaltästhetik um 1800
7. Zur Erzeugung von Hass und Empathie in der Kriegsliteratur
Thomas Anz: Freunde und Feinde. Kulturtechniken der Sympathielenkung und ihre emotionalen Effekte in literarischen Kriegsdarstellungen
Svend Erik Larsen: After the Battle. Complexities of emotional post-war reactions
Autorinnen und Autoren

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eit jeher provozieren Kriege heftige Emotionen. Mit dem Fortschritt militärischer Techniken und Propagandamethoden ging aber auch eine Veränderung der Wahrnehmung von Kriegen durch die Künste einher. Bis heute werden in der Literatur, der Fotografie sowie in Film und Fernsehen Darstellungen von Kriegen in aller Welt konstruiert, die ihr Publikum durch die Aufrufung bestimmter ideologischer Rahmungen, Raster oder auch Pathosformeln gezielt zu emotionalisieren versuchen. Namhafte Autorinnen und Autoren aus der internationalen Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaft untersuchen verschiedenste Phänomene der historischen und der aktuellen Kriegsinszenierung – in der Literatur seit dem 18. Jahrhundert, im Kino und in den neuen Medien.

Repräsentationen des Krieges

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Repräsentationen des Krieges Emotionalisierungsstrategien in der Literatur und in den audiovisuellen Medien vom 18. bis zum 21. Jahrhundert

Herausgegeben von Søren R. Fauth,   Kasper Green Krejberg  und Jan Süselbeck

Wallstein

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Repräsentationen des Krieges

Repräsentationen des Krieges Emotionalisierungsstrategien in der Literatur und in den audiovisuellen Medien vom 18. bis zum 21. Jahrhundert Herausgegeben von Søren R. Fauth, Kasper Green Krejberg und Jan Süselbeck

WALLSTEIN VERLAG

Die Herausgeber danken dem Dänischen Forschungsrat für Kultur und Kommunikation für die Förderung der Tagung sowie der Aarhuser Universitätsstiftung (AUFF ) für die großzügige Finanzierung der Drucklegung dieses Bandes.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar. © Wallstein Verlag, Göttingen 2012 www.wallstein-verlag.de Vom Verlag gesetzt aus der Adobe Garamond Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf Druck und Verarbeitung: Hubert & Co, Göttingen ISBN (print) 978-3-8353-1061-2 ISBN (eBook, pdf ) 978-3-8353-2246-2

Inhalt

Jan Süselbeck in Zusammenarbeit mit Søren R. Fauth und Kasper Green Krejberg Der Krieg als Vater aller Dinge? Zur emotionswissenschaftlichen Fragestellung des Bands . . . . .

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1. Die Ambivalenz der Affekte: Kriegsfilme – Antikriegsfilme Hermann Kappelhoff »Sense of Community«: Die filmische Komposition eines moralischen Gefühls . . . . . . 43 Manuel Köppen Das Wissen des Films Gewaltinszenierungen in Kriegsfilmen (»Saving Private Ryan«, »Black Hawk Down«, »Inglourious Basterds«) . . . . . . . . . . 58 Lars Koch Angst im Post-9/11-Cinema Zur filmischen Bearbeitung eines Erwartungsaffekts . . . . . . . 73 Gerhard Jens Lüdeker Zur Zuschauermobilisierung in Antikriegsinszenierungen Figurenkonstruktionen und Emotionalität in HollywoodKriegsfilmen nach 9/11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Linda Maria Koldau Submarine Films as Aesthetic Reflection of War History and War Strategy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Klaus Theweleit Pocahontas, Modell »Avatar« James Camerons »very mad affair« mit der militärischen Medientechnologie im 3-D-Kino . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

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2. Emotionale und ästhetische Aspekte der Kriegsberichterstattung in den Medien Thomas F. Schneider Reduktion, Emotionalisierung, Ikonisierung Bilder des Todes in der Kriegsberichterstattung (Fotografie, Fernsehen, Internet) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Mikkel Bruun Zangenberg The Milblogger as a Truth Witness proper? About new forms of representing war on the Internet . . . . . . 149

3. Mischformen visueller und textueller Kriegsdarstellungen Jürgen Brokoff »Nichts als Schmerz« oder mediale »Leidenspose«? Visuelle und textuelle Darstellung von Kriegsopfern im Bosnienkrieg (Handke, Suljagić, Drakulić) . . . . . . . . . . 163 Kasper Green Krejberg The Anxiety of Emotional Identification W. G. Sebald, Michael Haneke and the Aesthetics of Indirection in Contemporary War Stories . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Anders Engberg-Pedersen Takt Der Kriegszustand und die Kunst des Urteilens im 19. Jahrhundert 198

4. Emotionalisierungsstrategien und -effekte in der Kriegsliteratur Debra Kelly Living War, Reading War Emotions and Responses to Life-Writing Narratives of the French Occupation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

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Jan Süselbeck »Ich komme nur ganz kurz hierher.« Emotionale Strategien der ›filmischen‹ Schnitt- und Über­ wältigungsästhetik in Christian Krachts Kriegsroman »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« (2008) . 236

5. Kriegsliteratur zwischen Satire und Slapstick Bernd Blaschke Emotionsmodellierung in Kriegsdramen Elfriede Jelinek und Falk Richter als satirische Medienbeobachter 259 Andrea Schütte Krieg und Slapstick Kontrolle und Kontrollverlust in der literarischen Darstellung des Bosnienkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

6. Formen der Heroisierung und der Gewaltverherrlichung in der Kriegsliteratur Christoph Jürgensen Der Dichter im Feld oder Dichtung als Kriegsdienst Strategien der Mobilisierung in der Lyrik der Befreiungskriege . . 297 Mareen van Marwyck »Nicht schrecklich bist du in der Nähe anzuschaun, / Es zieht das Herz mich zu der lieblichen Gestalt.« Die emotionstheoretische Codierung der Anmut als Helden- und Gewaltästhetik um 1800 . 316

7. Zur Erzeugung von Hass und Empathie in der Kriegsliteratur Thomas Anz Freunde und Feinde. Kulturtechniken der Sympathielenkung und ihre emotionalen Effekte in literarischen Kriegsdarstellungen 335 Svend Erik Larsen After the Battle Complexities of emotional post-war reactions . . . . . . . . . . 355 7

Jan Süselbeck in Zusammenarbeit mit Søren R. Fauth und Kasper Green Krejberg

Der Krieg als Vater aller Dinge? Zur emotionswissenschaftlichen Fragestellung des Bands 1. Was wir angesichts des Kriegs fühlen, vermitteln uns die Medien Sommer 2011: Es ist ein ganz alltäglicher Vorgang. Zwischendurch klickt der Autor, der an seinem Computer arbeitet, auf einige Headlines bei »Spiegel Online«. Beiläufig liest er Meldungen wie die folgende: »Der Diktator in Tripolis gerät immer mehr unter Druck: Die Nato hat nach eigenen Angaben ihre Luftangriffe auf den von Muammar al-Gaddafi kontrollierten Westen Libyens ausgeweitet. Mehr als 50 militärische Ziele seien in dieser Woche in der Region zerstört worden.«1 Seit Februar 2011 führten revolutionäre Truppen in Libyen einen erbitterten Bürgerkrieg gegen die Verbände Gaddafis. Am 19. März hatte die Nato mit Luftschlägen in den Konflikt eingegriffen. Einmal mehr waren damit die mittlerweile seit Jahrzehnten bekannten Effekte ›westlicher‹ Medien-Kriege entstanden: Die zitierte Meldung auf »Spiegel Online« etwa wurde mit einer pittoresken Qualmwolke in Pilzform illustriert, die sich über mediterranem Buschwerk in den blauen Himmel erhob. Was da genau explodierte, wo es passierte und ob jemand dabei zu Schaden kam, konnte man nicht sehen. Wer hatte das Foto überhaupt gemacht? Wesentliche Informationen dieser Art wurden, wie so oft, verschwiegen. Unter dem Bild stand nur, ganz klein, »AFP« – das Kürzel für die Presseagentur »Agence France Presse«. Darunter fand sich schließlich noch der redaktionelle Vermerk, der fast schon wie eine Selbstermahnung klang: »Luftangriff der Nato auf Vorstadt von Tripolis: Vormarsch der Aufständischen unterstützen«.2 Was die Rezipienten anhand solcher Nachrichten vermittelt bekommen, ist lediglich eine abstrakt wirkende Perspektive auf die Ereignisse, sind wenige allgemeine Informationen über militärische Entscheidungen, 1 Die Meldung wurde am 03.07.2011 bei »Spiegel Online« veröffentlicht: Krieg gegen Gaddafi. Nato verstärkt Angriffe in Libyens Westen. Siehe auch: http://www. spiegel.de/politik/ausland/0,1518,772022,00.html (letzter Zugriff: 23.07.2011). 2 Siehe http://www.spiegel.de/politik/ausland/bild-772022-233103.html (letzter Zugriff: 25.07.2011).

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Marschbewegungen und eventuelle Geländegewinne oder -verluste – in diesem Fall der libyschen Rebellen, da die eingreifenden Nato-Mächte selbst keine Bodentruppen entsandt hatten. Wie auch schon in früheren Fällen solcher Interventionen wurde von der westlichen Presse dennoch der Eindruck vermittelt, dass es nach der Entscheidung der beteiligten Nato-Staaten zum Eintritt in den Luftkrieg im Grunde nur noch kurze Zeit werde dauern können, bis eine militärische Entscheidung herbeigeführt sein werde: »Shock and Awe« – also »Schrecken und Ehrfurcht« – nennt man diese Strategie seit dem Irakkrieg von 2003. Erzeugt werden soll in solchen Propaganda-Inszenierungen der Eindruck einer unmittelbaren Evidenz militärischer Macht, wo doch tatsächlich kaum etwas zu sehen ist und niemand mehr unabhängig Bericht erstatten kann: Der Bilderkrieg mündet nach den Worten Bazon Brocks in eine »theatra­ lische, spektakelhafte Verblendung«.3 Tatsächlich dauerte die Libyen-Intervention wie auch schon im Fall früherer Nato-Einsätze etwas länger als geplant. Es wurde sogar wiederholt vor einem möglichen ›Patt‹ der libyschen Kombattanten und einem lang anhaltenden Bürgerkrieg gewarnt. So war man am Ende geradezu überrascht, dass es den Rebellen nach einem knappen halben Jahr und einem ›Body-Count‹ von Zehntausenden von Toten doch noch gelungen war, Libyens Hauptstadt Tripolis einzunehmen. Wie genau und zu welchem Preis das erreicht worden war, konnte man allerdings höchstens in Andeutungen erfahren. Grund dafür war die skizzierte Berichterstattung der westlichen Medien: Judith Butler hat das Propaganda-Phänomen einer solchen abstrakten, auf rein ›technische‹ Vorgänge konzentrierten Nachrichtenpolitik zu Kriegszeiten in einem Interview zum beginnenden Irak-Krieg von 2003 so interpretiert: Die ganze Strategie, der man den perfiden Titel ›Schrecken und Ehrfurcht‹ gegeben hat, scheint mir sehr gut zu der spezifischen Ästhetik zu passen, mit der die Medien die Bombardierungen zeigen. Die Bombenabwürfe sehen wir nur aus der Luft oder aus anderweitiger Distanz. Sie werden die Bombe niemals von unten fallen sehen, sondern nur von oben. Und Sie sehen nie Bilder von Menschen, wie sie rennen und Deckung suchen, wenn die Bomben fallen. Sie sehen niemals die verstümmelten Körper. Sie sehen nie die Nahaufnahme. Die zeigt der Mainstream nicht. Stattdessen präsentiert er uns eine Panorama-­ Ästhetik, die einer ruchlosen Erhabenheit stattgibt, die tatsächlich 3 Bazon Brock, Bilderkriege, in: Pia Janke (Hrsg.), Jelinek[Jahr]Buch. Elfriede Jelinek-Forschungszentrum 2011, Wien 2011, S. 149-154, hier: S. 151.

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­etwas wie ›Schrecken und Ehrfurcht‹ erzeugt – indes ist dies eine Wirkung, die nur möglich ist aus der Distanz, unserer Distanz.4 Parallel dazu entstehen eingängige ›Schlagbilder‹, also das, was man ganz selbstverständlich für ›Schlüsselbilder‹ des modernen Krieges hält, obwohl auch sie diesen gar nicht abzubilden vermögen und in ihrer emo­ tionalisierenden Wirkung irreführende Sachverhalte suggerieren.5 Als ›Schlagbilder‹ im Gedächtnis bleiben können solche Fotos allerdings nur dann, wenn sie vom Publikum mit mehr Informationen verknüpft werden können als einer bloßen Rauchwolke, wie sie das erwähnte »AFP«Bild bei »Spiegel Online« zeigt. Sie avancieren immer dann zu emotional besonders wirksamen Motiven, wenn sie im Kopf »ganze Geschichten auslösen«, die durch sie erinnert werden können: »In diesem Prozess wird das Abbild eines vergangenen Sachverhalts (Denotat) mit Bedeutung aufgeladen und aus seinen historischen Bezügen gelöst. Diese Bedeutungszuschreibung produziert einen Bedeutungsüberschuss (Konnotat). Schlüsselbilder liefern dem Rezipienten auf diese Weise ein Sinn­ bildungsangebot«, erläutert der Medienhistoriker Gerhard Paul.6 Das ›Schlagbild‹, ein von dem Kunsthistoriker Aby Warburg geprägter Begriff, wird also paradoxerweise erst dann wirksam, wenn es aus dem ­historischen Ursprungs-Rahmen herausgefallen ist und eine neue Geschichte konstruieren hilft, die mit der ›tatsächlichen‹ nur noch mittelbar verknüft ist: Seit Aby Warburg wissen wir, dass bestimmte, aufgeladene figurale Darstellungen, sogenannte ›Pathosformeln‹, die besten Garanten für das Wirkungspotential von Bildern im Allgemeinen und von Medien­ ikonen im Besonderen darstellen. Sie sind der ›Treibstoff der Bild­ energie‹ […], gleichsam magisch wirksame Erregungsbilder, die sich unabhängig vom jeweiligen historischen Kontext und Bildträger durchzusetzen vermögen.7

4 Judith Butler, Krieg und Affekt. Herausgegeben und übersetzt von Judith Mohrmann, Juliane Rebentisch und Eva von Redecker, Zürich 2009, S. 78 f. 5 Vgl. dazu auch den Beitrag von Thomas F. Schneider im vorliegenden Band. 6 Vgl. dazu Gerhard Paul, Das Jahrhundert der Bilder. Die visuelle Geschichte und der Bildkanon des kulturellen Gedächtnisses, in: Ders. (Hrsg.), Das Jahrhundert der Bilder. 1900 bis 1949, Göttingen 2009, S. 14-39, hier: S. 31. 7 Gerhard Paul, Bilder, die Geschichte schrieben. Medienikonen des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, Einleitung, in: Ders (Hrsg.): Bilder, die Geschichte schrieben. 1900 bis heute, Göttingen 2011, S. 7-16, hier: S. 11 f.

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Die größte Emotionalisierungskraft entfalten solche ›Schlagbilder‹, wenn sie gleich in narrative Strukturen eingebunden werden können – nicht nur in den Nachrichten, sondern vor allem auch im fiktiven Kriegs- oder ›Antikriegsfilm‹. Burkhard Röwekamp hat in seiner Studie zu dem ­umstrittenen letzteren Genre bemerkt, dass die in ihm typischen »Schlüsselbilder« ihre »Wirkmächtigkeit also erst im Sinn- und Sinnlichkeitszusammenhang des je Filmganzen« entwickelten, das »zeichenförmig auf etwas Außerfilmisches verweist: auf die semantischen Bestimmungs­ größen der Rezeption«.8 Es bedürfe also einer auf bestimmte Weise codierten Verdichtung von ›Schlüsselbildern‹ sowie des »affektiv-kognitiven Gebrauchs durch die Rezeption, in dem ihr kriegskritisches Potenzial wahrnehmungsästhetisch wirksam und kommunikativ anschlussfähig wird«.9 Erst wenn Kriegsfilme eine Geschichte erzählen, die auch im zeitgenössischen Publikum als Form der Kritik am Krieg aufgefasst wird, ­gelten sie für eine bestimmte Zeit als ›Antikriegsfilme‹.10 Die vertrackten Parameter dieser Wahrnehmungsweise können sich allerdings jederzeit auch wieder ändern – oder aufgrund vielfältiger medialer Einflüsse und propagandistischer Manipulationen bewusst modifiziert werden. So weit, dass bereits kriegskritische Kinofilme über die Intervention in Libyen entstünden und vom Publikum als solche angenommen würden, sind wir allerdings noch nicht. Schließlich sprachen ja auch tatsächlich viele Argumente für einen Krieg gegen den grausamen und unberechenbaren Terror- und Folterdikator Gaddafi,11 mit dem die Westmächte ­allerdings zuvor lange Zeit wirtschaftlich und geheimdienstlich eng kooperiert hatten.12 Dass sich schließlich, ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn, der Sieg der Rebellen gegen den Unterdrücker abzeichnete, schien mittelfristig von einer wildromantisch anmutenden ›Erfolgsstory‹ zu 8 Burkhard Röwekamp, Antikriegsfilm. Zur Ästhetik, Geschichte und Theorie einer filmhistorischen Praxis, München 2011, S. 48. 9 Ebd. 10 Vgl. ebd., S. 7. 11 Am 25.09.2011, während in Tripolis bereits die Rebellen die Macht übernommen hatten, in Sirte jedoch nach wie vor gegen Gaddafis letztes Aufgebot kämpften, meldete »Spiegel Online« den Fund eines Massengrabes mit angeblich mehr als 1.270 Leichen von Häftlingen aus Gaddafis berüchtigtem Gefängnis Abu Salim, vgl. den Artikel: Libysche Behörden melden Fund von Massengrab. Online abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,788274,00.html (letzter Zugriff: 25.09.2011). 12 Vgl. etwa die »Spiegel Online«-Meldung vom 03.09.2011: Westliche Geheimdienste halfen Gaddafis Stasi, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,784164,00. html (letzter Zugriff: 03.09.2011).

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künden. Der militärische Erfolg vermochte den in den Krieg eingetretenen Westmächten trotz der zwischenzeitlichen Zweifel vieler Kommentatoren in ihrem strategischen Kalkül Recht zu geben, Gaddafi mit einem Luftwaffeneinsatz ohne die Entsendung von Bodentruppen außer Gefecht setzen zu können – auch wenn der Diktator selbst zunächst für längere Zeit unauffindbar blieb und mit einer offensichtlich gut bewaffneten Gruppe von Getreuen in seiner Heimatstadt Sirte weiterkämpfte. Die libyschen Rebellen schufen währenddessen in ihrem Widerstandskampf »eine ganz eigene Ästhetik, die irgendwo zwischen ›Mad Max‹ und spanischem Bürgerkrieg angesiedelt und von Revolutionsrap unterlegt« war, wie Thomas von der Osten-Sacken nicht ohne Ironie feststellte, wobei er die Hoffnung äußerte, der Sturz Gaddafis könne eine »Chance« für den gesamten Nahen Osten darstellen.13 Es gab aber auch deutsche Stimmen, die den Krieg der Libyer aus weniger ›emanzipatorischen‹ Gründen befürworteten. So empörte sich Karl Heinz Bohrer darüber, dass die Regierung Deutschlands eine Beteiligung an der Libyen-Intervention aufgrund der tatsächlichen Unwägbarkeiten der Folgen eines solchen militärischen Einsatzes abgelehnt hatte. Aus­ gerechnet mangelnde Großmachtambitionen sowie fehlende ›positive‹ Kolonialerfahrungen hätten zu einer provinziellen Form politischen Duckmäusertums geführt, ärgerte sich Bohrer: Bei Engländern und Franzosen, selbst Italienern und Spaniern existiert aufgrund der kolonialen Vergangenheit ein noch immer ansprechbares Interesse für das, was in fernen und nahen exotischen Ländern geschieht, die inzwischen weltpolitisch relevant geworden sind. Davon gibt es keine Spur hierzulande. Stattdessen ein schwerfällig besser­ wisserisches Bedachtsein auf den eigenen Vorgarten.14 Die verschiedenen ›Sinngebungsangebote‹, die in diesem Krieg den Einsatz der Nato rechtfertigen sollten, waren allerdings nicht nur in Deutschland umstritten. Dass in Libyen Millionen von Zivilisten in Gefahr seien, diente zur rechtlichen Plausibilisierung von Bombenangriffen, ­deren konkrete Folgen für ebendiese Zivilbevölkerung zunächst im ­Dunkeln blieben. Die Kriegsverbrechen, die man Gaddafi zu Beginn der 13 Thomas von der Osten-Sacken, Eine Chance für den Nahen Osten, in: Jungle World, 01.09.2011. Online abruf bar unter: http://jungle-world.com/artikel/2011/ 35/43886.html (letzter Zugriff: 01.09.2011). 14 Karl Heinz Bohrer, Projekt Kleinstaat, in: Merkur 8/2011, S. 661-669. Online abrufbar unter: http://www.klett-cotta.de/fm/14/mr_2011_08_0661-0669.pdf (letzter Zugriff: 13.08.2011).

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Intervention vorwarf – die Rede war etwa von planmäßigen Massen­ vergewaltigungen von Frauen durch seine Truppen, die dafür mit ViagraPillen versorgt worden seien15 –, schienen eher auf Vermutungen zu ba­ sieren. Nach einigen kurzen zwischenzeitlichen Hinweisen auf diese Kriegsverbrechen, die in der Tat besonders dazu geeignet schienen, die Empörung westlicher Beobachter über Gaddafis Regime anzuheizen, war darüber bald nichts Näheres mehr zu lesen.16 Bereits ganz am Anfang des Konflikts war das militärische Eingreifen in den libyschen Stammesund Bürgerkrieg durch Nachrichten plausibilisiert worden, wonach »Gaddafis Luftwaffe friedliche Demonstranten angreife«, wie Reinhard Mutz in der »taz« kommentierte: »Was daran zutraf, war unklar. Weder das UN-Generalsekretariat in New York noch das Pentagon in Washington noch eine westliche Botschaft in Tripolis noch sonst eine unabhängige Quelle konnte die Schreckensmeldungen bestätigen.« Und weiter: Bei jeder Einnahme einer Stadt durch die Aufständischen haben NatoKampfjets ihnen den Weg freigeschossen. Mochte die UNO-Resolution mit ihrem weiten Auslegungsspielraum auch einer Blankovollmacht gleichen – der Schutz von Zivilisten und Luftunterstützung für vorrückende Truppen sind nicht dasselbe. […] Ob die 10.000 Luft­ angriffe mehr zivile Opfer verhüteten als verursachten, ist fraglich. Nach Angaben des neuen Gesundheitsministeriums kamen in Libyen mindestens 30.000 Menschen ums Leben. Das ist die mit Abstand 15 Siehe dazu etwa die »Spiegel Online«-Meldung vom 21.06.2011: Mögliche Kriegsverbrechen. Bundesanwaltschaft ermittelt gegen Gaddafi. Online abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,769720,00.html (letzter Zugriff: 24.07.2011). Siehe dazu auch die Nachricht vom 27.06.2011: Den Haag. Straf­ gerichtshof sucht Gaddafi mit Haftbefehl. Vgl.: http://www.spiegel.de/politik/ ausland/0,1518,770808,00.html (letzter Zugriff: 24.07.2011). 16 »Im Krieg muss man vorsichtig sein mit Gräuelgeschichten«, hieß es bei »Spiegel Online« etwa auch noch in dem Moment, als rund 50 verbrannte und verwesende Leichen im libyschen Khellet Ferjan gefunden wurden, die mutmaßlich von ­Gaddafis Truppen massakriert worden waren. Derartige Ungewissheiten sind für die Kontingenz des bürgerkriegsähnlichen, ›asymmetrischen‹ Kriegs typisch: »Man könnte natürlich auch vermuten, dass die Rebellen am Freitagabend nach der Schlacht Gefangene niedergemetzelt hätten und das Verbrechen hinterher Gaddafis Leuten in die Schuhe hätten schieben wollen. Aber auf einem der draußen liegenden Toten wimmelten am Samstagabend Tausende winziger Maden. Nur 24 Stunden nach dem Tod wäre das unmöglich.« Siehe Clemens Höges, Leichenfund nahe Tripolis. Das Grauen im Lagerhaus, in: »Spiegel Online«, 28.08.2011. Online abruf bar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,782933,00. html (letzter Zugriff: 30.08.2011).

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höchste Zahl von Opfern in einem der von der arabischen Aufstandswelle erfassten Länder ­– ausgerechnet in dem Land mit der kleinsten Bevölkerungszahl.17 Hinzu kam, dass man auch das, was die Revolutionäre genau planten, deren Verbände gegen den Diktator vorgingen, anfangs höchstens ahnen konnte. Zumindest warfen die Menschenrechtsorganisation »Human Rights Watch« und »Amnesty International« auch ihnen Gewalt gegen Zivilisten vor.18 Kurz vor der Einnahme von Tripolis durch die Rebellen im August 2011 wurden zudem Stimmen lauter, die davor warnten, hier seien Islamisten auf dem Vormarsch, die untereinander verfeindet seien und das Land in einen längeren Bürgerkrieg stürzen könnten.19 »Trotz ­aller Beschwörungen, blutige Vergeltung müsse unbedingt ausbleiben«, sei es »nicht gelungen, die Rebellen von Massakern an Gaddafi-Anhängern abzuhalten«, fasste Jörg Kronauer die Lage im September 2011 zusammen: Hinzu kommen Massaker an Arbeitsmigranten aus Ländern südlich der Sahara, die dem unkritischen westlichen Publikum gewöhnlich als Racheakte an vermeintlichen Gaddafi-Söldnern verkauft werden, die tatsächlich aber Resultat eines pogromartig eskalierenden Rassismus sind. Derlei Massaker schaden nicht nur der PR, sie gefährden womöglich sogar die westliche Kontrolle über Libyen insgesamt.20 Einen der vorläufigen Gipfel in der Kontingenz der Berichterstattung zum Libyen-Krieg stellte von Deutschland aus gesehen wohl jener Moment dar, als am 23. August 2011 der »Spiegel Online«-Live-Ticker zu den letzten Gefechten um die Diktator-Residenz Gaddafis in Tripolis durch eine »Eil-Meldung« unterbrochen wurde. Dort sah der gespannte Leser allerdings nicht den für jeden Moment als mögliches Resultat der 17 Reinhard Mutz, Der Nato-Einsatz bleibt falsch, in: »taz«, 25.10.2011. Online abruf bar unter: http://www.taz.de/Debatte-Libyenkrieg/!80530/ (letzter Zugriff: 26.10.2011). 18 Vgl. dazu die »Spiegel Online«-Meldung vom 13.07.2011: Krieg in Libyen. Menschenrechtler werfen Rebellen Gewalt gegen Zivilisten vor. Online abrufbar ­unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,774077,00.html (letzter Zugriff: 24.07.2011). 19 Siehe etwa Ulrike Putz, Die Rebellen hoffen auf Gaddafis Götterdämmerung, in: »Spiegel Online«, 21.08.2011. Online abruf bar unter: http://www.spiegel.de/poli­ tik/ausland/0,1518,781483,00.html (letzter Zugriff: 21.08.2011). 20 Jörg Kronauer, Das Bagdad-Syndrom. Mit finanzieller und militärischer Hilfe des Westens hat eine disparate Allianz aus wirtschaftlichen Funktionären und militanten Islamisten die Macht in Libyen übernommen, in: Konkret 10/2011.

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Kämpfe erwarteten Hinweis auf die Verhaftung oder gar den Tod Gaddafis vermeldet, sondern plötzlich ›nur‹ einen solchen auf das Ableben eines beliebten deutschen Komikers: »Loriot ist tot«.21 Solche subtilen Ironien des Weltgeschehens, wie es uns die Medien vermitteln, benannte bereits der Expressionist Jakob van Hoddis, als er in seinem berühmten Gedicht »Weltende« katastrophische Szenarien, von denen man ›lesen‹ könne, mit vergleichsweise belanglosen Alltagsdetails kontrastierte: »Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, / In allen Lüften hallt es wie Geschrei.« Oder auch, am Ende des visionären Gedichts von 1911, das also in relativer zeitlicher Nähe zum Ersten Weltkrieg veröffentlicht wurde: »Die meisten Menschen haben einen Schnupfen. / Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.«22 Das tatsächliche Ende des Diktators Gaddafi jedoch, das schließlich am 20. Oktober 2011 gemeldet wurde,23 setzte in der medialen Bericht­ erstattung einen vorläufigen Schlusspunkt, der für das Thema des vorliegenden Bands von ganz besonderer Bedeutung ist – entstand hier doch tatsächlich ein ›Schlagbild‹ der verstörendsten Sorte. Dieses Mal war es doch eine Nahaufnahme: Die sensationsheischende und voyeuristische Rezeption dieses Motivs durch Blätter wie »Bild« oder die britische Boulevardzeitung »The Sun« sowie durch Verlinkungen bei ›Social Networks‹ wie »Facebook«, »Twitter« und »YouTube« zeugte beim weltweiten Publikum von einer archaischen Lust an der Wahrnehmung einer Grausamkeit, die man in Libyen eigentlich gerade zu bekämpfen vorgegeben hatte:24 Wenig später kamen bereits neue Gerüchte auf, die Rebellen hätten in Sirte Massaker an der Zivilbevölkerung durchgeführt.25 Gaddafi selbst war auf der Flucht aus der Stadt mit seinem Fahrzeugkonvoi durch 21 Siehe die Meldung: Loriot ist tot. Deutschland trauert um den Meister des ­Humors, in: »Spiegel Online«, 23.08.2011. Online abrufbar unter: http://www. spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,781856,00.html (letzter Zugriff: 30.08.2011). 22 Jakob van Hoddis, Weltende, in: Ders., Dichtungen und Briefe. Hrsg. von Regina Nörtemann, Zürich 1987, S. 15. 23 Vgl. die Headline auf »Spiegel Online«, 20.11.2011: »Übergangsrat meldet Gadda­ fis Tod«. Online abruf bar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518, 792982,00.html (letzter Zugriff: 24.11.2011). 24 Vgl. dazu Christian Stöcker, Tod eines Diktators: Weltöffentlicher Lynchmob, in: »Spiegel Online«, 21.10.2011. Online abruf bar unter: http://www.spiegel.de/ netzwelt/web/0,1518,793154,00.html (letzter Zugriff: 24.10.2011). 25 Yassin Musharbash, Massaker und Hinrichtungen: Kriegsführung libyscher Rebellen gerät ins Zwielicht, in: »Spiegel Online«, 25.10.2011. Online abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,793902,00.html (letzter Zugriff: 26.10.2011).

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einen Luftangriff gestoppt und von Rebellen verletzt aus einer Beton-­ Abflussröhre unter einer Ausfallstraße gezerrt worden, in der er zuletzt Unterschlupf gesucht hatte. Die verwackelten Handy-Filmaufnahmen und -fotos, die seither im Internet kursieren, ließen sofort auf einen qualvollen Tod des Diktators schließen, der geschlagen, angeschossen, verhöhnt und schwer misshandelt auf der Motorhaube eines Fahrzeugs präsentiert wurde. Das schemenhafte Handy-Bild des blutenden Kopfs des sterbenden Diktators avancierte nun trotz seiner Grausamkeit zum ›Schlagbild‹ des Kriegsendes in Libyen: Seine bedenkenlose Verwendung durch gewisse Zeitungen demonstrierte, dass der Krieg der Bilder, mit dem die ›asymmetrischen‹ Konflikte unserer Tage ausgetragen werden, gerne auch mit extremen Affekten arbeitet – selbst wenn die ›euphorische‹ Affirmation betreffender Motive der westlichen Selbstwahrnehmung als einer rechtsstaatlich und demokratisch organisierten »Zivilisation« in eklatanter Weise widerspricht: »That’s for Lockerbie, Gaddafi«, triumphierte etwa die britische »Sun«.26 Bei diesen drastisch illustrierten Meldungen handelte es sich also um revanchistisch motivierte Ausstellungen von Gräueln, die offensichtlich nach wie vor ein Massenpublikum finden, das derlei Darstellungen zu ›goutieren‹ weiß.27 Hinzu kommt eine weitere Beobachtung: Die ethische Entscheidung der Medien, auf die Wiedergabe der bewegten Bilder von Gaddafis Folterung zu verzichten oder nicht, spielte für den inter­ essierten Konsumenten letztlich überhaupt keine Rolle mehr. Die in Windeseile vervielfältigte und weltweit per Mausklick verfolgbare Dokumentation des Diktatoren-Todes von Gaddafi führte eindrucksvoll vor Augen, dass die Leichtigkeit der Herstellung von Bildern durch HandyKameras und iPhones sowie deren weltweite Veröffentlichung im Internet das Monopol von Zeitungen und TV-Sendern ausgehebelt hat: Das Netz hat sich damit zu einem unabhängigen Kriegs-Archiv entwickelt, in dem jeder, der möchte, so gut wie alles sehen kann, zu jeder Zeit.28 26 Virginia Wheeler, That’s for Lockerbie, Gaddafi. And for Yvonne Fletcher. And IRA Semtext Victims, in: »The Sun«, 21.10.2011. Online abrufbar unter: http:// www.thesun.co.uk/sol/homepage/news/3884974/Thats-for-Lockerbie-Gaddafi. html (letzter Zugriff: 26.10.2011). 27 Vgl. zu diesem Thema auch Jan Süselbeck, Im Angesicht der Grausamkeit. Emotionale Effekte literarischer und audiovisueller Kriegsdarstellungen vom 19. bis zum 21. Jahrhundert (Publikation in Vorbereitung). 28 Siehe dazu auch den Beitrag von Mikkel Bruun Zangenberg im vorliegenden Band.

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2. Das Leiden anderer betrachten: Bilder-Kriege als ›reale‹ Tragödien unserer Tage? Die Gefühle des ›westlichen‹ Lesers und Betrachters, der über solche drastisch illustrierten Nachrichten nicht weiter nachdenkt, bleiben in der Regel eher kühl. Exzessive Emotionen wie das ›Jammern‹ und das ›Schaudern‹, von denen sich Aristoteles in seiner »Poetik« noch kathar­ tische Wirkungen auf den Tragödien-Rezipienten versprach, und zwar im Sinne einer Erregung von Furcht und Mitleid (eleos und phobos),29 deren Hervorrufung »eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen« bewirken sollte,30 sind dem heutigen Konsumenten des Kriegs-Infotainments fremd geworden: Die realen ›Tragödien‹, die mittlerweile beinahe tagtäglich in aller Welt stattfinden und für deren Wahrnehmung man sich nicht mehr ins Theater zu bemühen braucht, betreffen den Nachrichten-Interessenten kaum noch – zumindest solange der Krieg, von dem berichtet wird, ›weit weg‹ stattfindet und daher seltsam unwirklich bleibt. Gaddafi etwa mag ohnehin als jemand erscheinen, der seinen Tod ›verdient‹ hat – doch auch das Leid ungezählter Zivilisten interessiert den routinierten Medienkonsumenten vor dem heimischen Bildschirm eher wenig: Das hängt vor allem auch davon ab, ob diese Opfer von dem Zuschauer als ›Freunde‹ oder als ›Feinde‹ wahrgenommen werden.31 Und doch verfolgt der Leser die Meldungen geradezu begierig weiter, unterbricht seine Arbeit am PC sogar oftmals unvermittelt, um wieder einmal ›beiläufig‹ nachzusehen, ›was es Neues gibt‹.32 Hier scheint tatsächlich so etwas wie eine diffuse Empfindung von ›Entertainement‹ im Spiel zu sein, und zwar gerade jenes Interesse am schieren ›Grauen‹, vor dem Aristoteles aus poetologischen Gründen noch so dringend warnte: »Und wer gar mit Hilfe der Inszenierung nicht das Schauderhafte, sondern nur noch das Grauenvolle herbeizuführen sucht, der entfernt sich 29 Vgl. dazu Thomas Anz, Kulturtechniken der Emotionalisierung. Beobachtungen, Reflexionen und Vorschläge zur literaturwissenschaftlichen Gefühlsforschung, in: Karl Eibl/Katja Mellmann/Rüdiger Zymner (Hrsg.), Poetogenesis. Im Rücken der Kulturen, Paderborn 2007, S. 207-239, hier: S. 230. 30 Vgl. Aristoteles, Poetik. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Manfred Fuhrmann, Stuttgart 2010, S. 19. 31 Vgl. dazu auch den Beitrag von Thomas Anz im vorliegenden Band. 32 Vgl. dazu Susan Sontags Kommentar: »War was, and still is, the most irresistible – and picturesque – news, along with that invaluable substitute for war, inter­ national sports.« Hier zitiert nach Susan Sontag, »A critic at large: Looking at war. Photography’s view of devastation and death«, in: »The New Yorker«, 09.12.2002. Online abruf bar unter: http://www.newyorker.com/archive/2002/12/09/021209 crat_atlarge (letzer Zugriff: 20.02.2012).

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gänzlich von der Tragödie. Denn man darf mit der Tragödie nicht jede Art von Vergnügen hervorzurufen suchen, sondern nur die ihr gemäße.«33 Nun haben, so sollte man zumindest meinen, unsere heutigen Nachrichten rein gar nichts mit dem antiken Theater gemein. Doch was diese ominöse »gemäße« Wiedergabe grauenvoller Geschehnisse sei, und zwar sowohl in der Berichterstattung über ›reale‹ Ereignisse als auch in der ästhetischen Darstellung des Krieges, wird tatsächlich auch in den heutigen Medien-Inszenierungen immer wieder neu ausgehandelt bzw. unterliegt fortwährenden Diskurswandlungen: Einerseits scheint es tatsächlich so etwas wie »Skripte« der Grausamkeit zu geben, die auf die Menschen seit jeher ihre äußerst ambivalente Wirkung nicht verfehlen ­– und andererseits wäre es falsch, diese Beobachtung als ›Wiederkehr des Immergleichen‹ zu relativieren. Was eine angemessene »Repräsentation« des Krieges darstellt, die dem vorliegenden Band den Titel gibt, was sie also ›sinnlich erfahrbar‹ macht und inwiefern dies in der Gesellschaft ›gefühlsmäßig‹ rezipiert und anerkannt wird, ist als Merkmal komplexer »Codierungsprozesse« nicht nur in der Politik und den Nachrichten, sondern auch in »Sprache und Gebärde, Kunst und Musik« stets genau zu definieren. Die »Repräsentationen des Krieges« sind als Resultat verschiedenster per­ formativer Prozesse der ›Vergegenwärtigung‹ von etwas Abstraktem und Abwesendem immer wieder neu zu analysieren.34 Auf welcher seltsamen Sehnsucht der Rezipienten aber beruht nun diese Faszinationskraft, die Re-Inszenierungen der kriegerischen Gewalt auf sie ausüben? Worin liegt der geheime Reiz vielfältiger nachträglicher Verrätselungen und machtpolitischer Euphemisierungen von grausamen Geschehnissen? Zu konstatieren ist hier eine Mixtur aus Angstlust, Voyeurismus sowie der schieren Neugier auf ›drastische‹ Ereignisse aller Art. Dazu gehören auch die durch das Netz flottierenden Fotos realen Grauens, deren extreme affektive Wirkung auf ein Massenpublikum diejenige von Texten in unserer Kultur längst weit überholt zu haben scheint, wie auch das Beispiel der medialen Verwertung von Gaddafis Tod wieder verdeutlichte. Hier sind emotionale Ambivalenzen im Spiel, die für den modernen, durch die neuen Medien umso leichter möglich gewordenen Vorgang typisch sind, das »Leiden anderer« zu betrachten, wie ihn Susan 33 Aristoteles, Poetik, a.a.O., S. 43. 34 Vgl. zur Definition des Begriffs »Repräsentation« den hier zitierten Artikel von Horst Wenzel aus dem »Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft«, Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte gemeinsam mit Harald Fricke, Klaus Grubmüller und Jan-Dirk Müller herausgegeben von Klaus Weimar, Band III, P-Z, Berlin/New York 2007, S. 268-271, hier: S. 268.

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Sontag in ihrem klassischen Essay »Regarding the Pain of Others« (2003) reflektiert hat.35 Judith Butler hat diese Effekte im Anschluss an Sontag in ihrem Buch über »Krieg und Affekt« genauer zu analysieren versucht. Sie richtet den Fokus auf die diskursiven »Rahmenbedingungen«, vor deren »Folie bestimmte Leben als lebenswert« bzw. als beschützenswert erscheinen, während andere Menschen »dagegen als nicht schützenswert« dargestellt werden, »eben weil sie aus der Perspektive der die Wahrnehmung beherrschenden kulturellen Normen gar nicht erst in vollem Ausmaß als ›Leben‹ in Betracht kommen«.36 Damit wäre eine wichtige Präzisierung in der Analyse dessen möglich, was bei der Wahrnehmung rudimentärer Kriegs-Informationen und -Illustrationen beim Rezipienten geschieht: Das mehr oder minder diskrete Deutungsraster, das Leben in würdiges und unwürdiges Leben aufteilt, arbeitet grundsätzlich über alle Sinne: Der Schrei, den wir hören, wird von dem, den wir nicht hören, unterschieden; der Anblick, den wir sehen, von dem, den wir nicht sehen – und genauso auf der Ebene von Berührungen oder sogar Gerüchen. Kriege können geführt und fortgesetzt werden, weil sie auf die Sinne einwirken – indem sie sie ausbilden, die Welt selektiv wahrzunehmen. Sie töten die affektiven Reaktionen auf bestimmte Bilder und Klänge ab und beleben die auf andere. Deshalb kann der Krieg die demo­ kratische Einstellung unterminieren: Er beschränkt, was wir fühlen können; er veranlasst uns, Schrecken und Wut angesichts einer Ausdrucksform von Gewalt und eine selbstgerechte Kälte angesichts einer anderen zu empfinden.37 Bei der Darstellung des Krieges in den Nachrichten, die ­vielleicht tatsächlich so etwas wie die spezifischen ›Tragödieninszenierungen‹ unserer Tage sind, weil sie sich als ›Dispositive‹ auch in der Kunst, im Film und der Literatur weiter fortsetzen und dort performativ oder deskriptiv multiplizieren bzw. ausdifferenzieren können, ginge es also weniger um die Erzeugung gewisser Gefühle, wie sie bei Aristoteles noch im Zentrum standen – sondern in den meisten Fällen vielmehr um deren Kanalisierung und Disziplinierung, um nicht zu sagen: ihre Verhinderung zu Zwecken weltweiter militär- und geopolitischer Machtausdehnung.38 35 Vgl. Susan Sontag, Das Leiden anderer betrachten. Übersetzt von Reinhard Kaiser, München 2003. 36 Judith Butler, Krieg und Affekt, a.a.O., S. 36. 37 Ebd., S. 37. 38 Vgl. dazu auch den Beitrag von Bernd Blaschke im vorliegenden Band.

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Das Erstaunliche daran ist, dass diese zielgerichtete Betäubung von Mitgefühl und Mitleid von den dadurch entmündigten Rezipienten als Selbstermächtigung erfahren und somit individuell als angenehm empfunden werden kann. Das mangelnde Mitgefühl für die ›Anderen‹ bzw. die als ›Feinde‹ deklarierten Gruppen von Menschen impliziert nämlich ein höheres Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Individuen der ›eigenen‹ Gesellschaft. Mit Fritz Breithaupts Thesen zu den »Kulturen der Empathie« gesprochen, artikuliert sich hier ein ›evolutionär‹ entstandenes Interesse daran, den Dritten als schlechtere Wahl darzustellen. Und insofern das beobachtende Individuum sich mit dem einen assoziiert und dessen Perspektive übernimmt, adaptiert es wohl auch regelmäßig die (zumindest teilweise) negativen Gefühle des einen dem Dritten gegenüber. Die emotionale Nähe zu dem einen zieht insofern sekundär die Ausgrenzung des Dritten nach sich. Die auf Empathie gegründete Gemeinschaft generiert mithin notwendig stets auch […] Feindbilder.39 Hier werden destruktive soziale Energien frei, deren Plötzlichkeit und Massivität auf den ersten Blick oft rätselhaft erscheinen und die Theore­ tiker zu immer neuen, grundsätzlichen Überlegungen angetrieben haben. In Bezug auf den Antisemitismus etwa, der ebenfalls aus dem Ausschluss einer ›Figur des Dritten‹ beruht, bemerkt Samuel Salzborn unter Rückgriff auf die Kritische Theorie Theodor W. Adornos und Marx Hork­ heimers,40 die autoritären Ressentiments von Antisemiten seien stets mit einer »narzisstischen Dimension« gekoppelt, in der »dem antisemitischen Ressentiment an einer totalen und bedingungslosen Harmonie gelegen« sei, welche gleichermaßen in »Verschmelzungs- und Vernichtungsphantasien« münden könne.41 39 Fritz Breithaupt, Kulturen der Empathie, Frankfurt am Main 2009, S. 191. 40 Für die Analyse ›falscher Projektionen‹, deren Affektpotential mit der von Breithaupt beschriebenen ›negativen‹ Form der Empathie zumindest korrelierbar ­erscheint, ist Theodor W. Adornos und Max Horkheimers »Dialektik der Auf­ klärung« (1947) als eine der nach wie vor wegweisenden Theorien zu nennen – insbesondere das dortige Kapitel über die »Elemente des Antisemitismus«. Vgl. dazu Samuel Salzborn, Antisemitismus als negative Leitidee der Moderne. Sozialwissenschaftliche Theorien im Vergleich, Frankfurt am Main 2010, S. 96-119, hier besonders: S. 111, Fußnote 41. Allerdings ist der Antisemitismus ein Spezialfall und von so vielen individuellen, massenpsychologischen, ökonomischen und politischen Faktoren abhängig, dass ein vorschneller und verallgemeinernder Vergleich der durch ihn erzeugten Emotionen mit denjenigen, die Kriegsdarstellungen verschiedenster Provenienz zu provozieren mögen, zu kurz greifen würde. 41 Ebd., S. 117.

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Derartige Theorien für die Analyse emotionaler Effekte von Kriegs­ darstellungen zu nutzen, die oft mit der Konstruktion bestimmter Feindbilder verbunden sind oder in bestimmter Weise auf diese reagieren, mag bis zu einem gewissen Grade sinnvoll erscheinen. Allerdings wäre dabei stets das Besondere des Mediums, des historischen Moments seiner Nutzung sowie der Intentionalität der darin vermittelten Botschaft durch die jeweilige Repräsentation des Kriegs zu berücksichtigen. Obwohl etwa die aktuellen Formen des Medien-Kriegs-›Genusses‹ mit denen der Kriegsdarstellungen vergangener Jahrhunderte nur noch wenig zu tun haben dürften – nicht zuletzt durch die Schnelligkeit der selektiven Informa­ tionsvermittlung, die durch das Fernsehen und das Internet mittlerweile erreicht worden sind –, wurde jedoch in verschiedensten Untersuchungen zum Thema immer wieder versucht, in großzügiger Weise ›anthropologische‹ Konstanten der kulturellen ›Verhandlung‹ und Wahrnehmung von Kriegen auszumachen. Solche Verallgemeinerungen gewisser ›Symptome‹ der Wahrnehmung des Krieges laufen Gefahr, eventuelle situative, soziologische und historische Besonderheiten aus dem Blick zu verlieren. 3. Zur Theorie und Genese der ›neuen Kriege‹ und ihrer Affekte Die teils esoterisch klingenden Versuche einer Systematisierung oder ›regelhaften‹ Auffassung des Krieges als ›Naturgesetz‹, diese Suche nach so etwas wie der historisch konstanten ›Essenz‹ des Kriegs, kann manchmal geradezu irrational klingen. So spekuliert Gilles Deleuze in einem – passenderweise »Zwei Systeme von Verrückten« überschriebenen – Essay aus dem Jahr 1975, in dem er sich unvermittelt auf Carl von Clausewitz’ hinterlassenes, dreibändiges Werk »Vom Kriege« (1832-1834) bezieht: Clausewitz spricht von einer Art Strom, den er den absoluten Krieg nennt, der zwar nie im Reinzustand existiert habe, aber nichtsdestoweniger die Geschichte durchziehe, unzerlegbar, singulär, mutierend, abstrakt. Vielleicht hat es diesen Kriegsstrom tatsächlich gegeben, als den Nomaden eigentümliche Erfindung, eine von Staaten unabhängige Kriegsmaschine.42

42 Gilles Deleuze, Zwei Systeme von Verrückten, in: Ders., Schizophrenie & Gesellschaft. Texte und Gespräche 1975-1995. Herausgegeben von Daniel Lapoujade. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer, Frankfurt am Main 2005, S. 12-17, hier: S. 13. Zur ›Esoterik‹ der Kriegstheorie von Carl von Clausewitz siehe auch den Beitrag von Anders Engberg-Pedersen im vorliegenden Band.

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Mit der »Kriegsmaschine« klingt hier bei Deleuze schon das später gemeinsam mit Félix Guattari verfasste Werk »Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II« (1980, deutsch 1992) an: »Denn es fällt auf, daß die großen Staaten, die großen despotischen Apparate ihre Macht nicht auf einer Kriegsmaschine gegründet zu haben scheinen, sondern vielmehr auf der Bürokratie und der Polizei«, beobachtet Deleuze. »Die Kriegsmaschine ist immer etwas, was von außen kommt und nomadischen Ursprungs ist: die große abstrakte Mutationslinie.«43 Seltsamerweise wird hier eine offenbar als ›emanzipatorisch‹ bzw. als ›widerständig‹ gedachte Form des Kriegs, welche die »despotischen Apparate« großer Staaten herausfordere, ausgerechnet unter Berufung auf den preußischen Militaristen Clausewitz mit einem »Reinzustand« des Kampfs in Verbindung gebracht, wodurch bereits ein vager ideologischer Standpunkt Deleuzes durchscheint, welcher der poststrukturalistischen Offenheit seines Jargons widerspricht: Solche wandelbaren Versuche historischer Komplexitätsreduktion treten immer dann auf, wenn der Krieg seine Form auf verwirrende Weise ändert, und zwar sowohl durch die schwunghafte Modernisierung seiner militärtechnischen Ausführung als auch in seinen darauf reagierenden Darstellungen und Ästhetisierungen. Die Erwägung einer grundsätzlichen ›Regelhaftigkeit‹ von Konflikten hat demgegenüber offenbar etwas enorm Beruhigendes: Helfen derartige Annahmen doch dabei, die Unwägbarkeit des Kriegs mitsamt seiner tödlichen Konsequenzen gedanklich als etwas ›einzudämmen‹, das ›seit jeher‹ dagewesen und ohnehin nicht zu ändern sei, weshalb es auch immer weiter in der Welt existieren werde. Eine vergleichbar beunruhigende Situation gewachsener kriegerischer Kontingenz war zu Zeiten Clausewitz’ im 19. Jahrhundert tatsächlich gegeben. Clausewitz setzte sich deshalb intensiv mit dem Für und Wider eines ›totalen‹ Guerilla-Volkskriegs gegen Napoleon auseinander, während das Zeitalter der ›eingehegten‹ Kabinettskriege in Europa definitiv vorüber war und die Distanzwaffen – namentlich die Fortschritte der Artillerie – die Räumlichkeit des Schlachtgeschehens mehr und mehr ›entgrenzt‹ hatten: Die totale Enthegung des Kampfes als ›Volkskrieg‹ war eine offensive Strategie gegen die waffentechnische Überlegenheit der Armee Napoleons. Vergleichbare Effekte einer ›Enträumlichung‹ des Kriegs sind aber auch in unserer heutigen Zeit wieder Thema, da der sogenannte ›asymmetrische Krieg‹ in aller Welt eskaliert und nicht nur im ›Zielgebiet‹ größerer Invasions- bzw. Interventionskriege stattfindet, sondern auch in 43 Gilles Deleuze, Zwei Systeme von Verrückten, a.a.O., S. 13.

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den Metropolen der kriegführenden Staaten selbst Opfer zu fordern droht – jederzeit, unvorhersehbar, unkontrollierbar und im ›Herzen‹ zivilen ›westlichen‹ Lebens.44 Vor dem Angriff auf die Twin Towers, der diese neue Gefahr mit seinen im Fernsehen unablässig wiederholten ›Infektionsbildern‹ (Klaus Theweleit) schockhaft und weltweit spürbar werden ließ, war es unter liberalen und linken Intellektuellen fast noch selbstverständlich, vor allem die ›imperialistischen‹ USA ganz allein für das Kriegs-Übel in der Welt verantwortlich zu machen. Angesichts des umstrittenen US-Golfkriegs von 1990/91 in Kuwait, den George H. W. Bush gegen Saddam Husseins ­aggressives irakisches Regime führen ließ, empörte sich etwa der zitierte, konsequent ›antiimperialistisch‹ denkende Deleuze in der französischen Zeitung »Libération«: Unter dem Vorwand strategischer Ziele sterben Zivilisten unter Bombenteppichen, werden, weitab von der Front, die Verkehrswege, Brücken und Straßen zerstört, wird ein wunderbares historisches Erbe bedroht und erschüttert. Heute liegt die Befehlsgewalt beim Pentagon, dem Organ eines Staatsterrorismus, der seine Waffen testet. […] Wenn dieser Krieg nicht gestoppt wird […], dann bedeutet das nicht nur die sich abzeichnende Unterjochung des Mittleren Ostens, sondern auch die Gefahr einer amerikanischen Hegemonie, die kein Gegengewicht mehr hat […].45 Während eines weiteren Irak-Kriegs im Jahr 2003 nahm aber nicht nur bei europäischen Intellektuellen, sondern auch in der amerikanischen Linken die Kritik an der Verteidigungspolitik des eigenen Landes zu. So bemerkte Judith Butler bereits 72 Stunden nach Beginn der damaligen neuerlichen US-Invasion im Irak und der Bombardements auf Bagdad: Die USA haben einfach entschieden, ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen auszusetzen. Und solche Entscheidungen hat es nicht nur im Zusammenhang mit diesem Krieg gegeben. Denken Sie an Guantánamo, wo die USA die Genfer Konventionen außer Kraft setzten, oder denken Sie daran, wie die USA den Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen kündigten. Überdies haben sich die USA geweigert, den Internationalen Strafgerichtshof zu unterstützen – das ist 44 Vgl. dazu vor allem Herfried Münkler, Die neuen Kriege. Frankfurt am Main/ Wien/Zürich 2002 sowie Ders., Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion, Weilerswist 2011. 45 Gilles Deleuze, Der widerwärtige Krieg, in: Ders., Schizophrenie & Gesellschaft, a.a.O., S. 357 f.

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vielleicht der abscheulichste Ausdruck ihrer Abkehr von der inter­ nationalen Gemeinschaft. Die USA haben jetzt also schon eine Weile ihre multilateralen Beziehungen strapaziert und sich über ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen hinweggesetzt.46 Auch nach dem weltweiten Skandal um die fotografierten Geschehnisse im Folterlager von Abu Ghraib47 und der Abwahl George W. Bushs konnte der demokratische US-Präsident Barack Obama an dieser Situation kaum noch etwas ändern – selbst Guantánamo ist nach wie vor in Betrieb. Trotzdem hat sich die Befürchtung von Gilles Deleuze über 20 Jahre nach dem US-Interventionskrieg in Kuwait sowie im Angesicht einiger weiterer ›asymmetrischer‹ Konflikte in der Welt nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Die strategische Weltlage stellt sich, nicht zuletzt in wirtschaftlicher Hinsicht, mittlerweile weit komplizierter dar als sie 1991, zur Zeit des Endes der Konfrontation der ›Blockstaaten‹ des Kalten Krieges, wahrgenommen wurde. Im Unterschied zu dem antiimperialistischen Bedrohungsszenario einer weltweiten, nicht mehr zu stoppenden US-Hegemonie gab der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld 2009 zu bedenken: Angesichts der Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon sowie anderer Anschläge, die Al-Qaida und ihresgleichen durchführten, besteht kein Zweifel mehr: Der Terrorismus breitet sich in die ›entwickelte Welt‹ aus. Gerade weil so viele seiner Protagonisten imstande sind, in dieser Welt zu operieren, stellt der Terrorismus eine weit größere Bedrohung dar als alle drittklassigen Diktatoren – und das gilt selbst für jene […], die sich bereits Atomwaffen verschafft haben oder entsprechende Programme planen. Entweder schüttelt die ›entwickelte Welt‹, mit den Vereinigten Staaten an der Spitze, endlich ihre Lethargie ab, erkennt das Wesen des Problems […] und lernt, wie sie mit den Terroristen fertig wird, oder die Terroristen werden mit ihr fertig werden. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Wir haben, wie immer, die Wahl.48 Aus der Perspektive Israels hat diese Warnung tatsächlich ihre besondere Berechtigung: Der unter anderem von Seiten des atomwaffentechnisch ambitionierten Iran, der Hisbollah und der Hamas akut bedrohte und 46 Judith Butler, Krieg und Affekt, a.a.O., S. 76 f. 47 Vgl. dazu die Analysen in dem Band: Angela Krewani/Karen A.  Ritzenhoff (Hrsg.), Leiden, Trauma, Folter: Bildkulturen des Irakkriegs, in: Augenblick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft 48/49 (2011). 48 Martin van Creveld, Gesichter des Krieges. Der Wandel bewaffneter Konflikte bis heute. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz, München 2009, S. 326.

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immer wieder durch Raketenangriffe aus Gaza bzw. durch Selbstmord­ attentate palästinensischer Terroristen attackierte kleine Staat muss sich verteidigen, um sein Existenzrecht zu sichern und seine Bürger zu schützen. Die aufrüttelnde Rhetorik eines alles entscheidenden Verteidigungskriegs, wie Martin van Creveld sie wählt, wird jedoch auch in ganz anderen Kontexten verwendet und vermag durch ihre weltweite Tradierung und Verselbständigung in essentialistische Denkweisen umzuschlagen, die wiederum von verschiedensten reaktionären politischen Gruppierungen aufgegriffen werden können. Seit George W. Bushs War on Terror in Afghanistan und im Irak gebiert diese militärische Beurteilung der Lage ganz neue, umso verstörendere Probleme: Ihre vielfältige Multiplizierung und Diskursivierung durch die Medien wird mitunter von Rechtsextremen in Europa und der ganzen Welt aufgegriffen, um gefährliche, im Ernstfall eskalierende Vorstellungen eines globalen und ›totalen‹ Abwehrkampfs gegen den Islam zu entwickeln, der selbst terroristisch geführt und ebenfalls in die Zentren der ›westlichen‹ Welt getragen zu werden droht. Bezeichnenderweise richten sich solche verselbständigten Terrorakte in ihrem angemaßten ›Befreiungskrieg‹ gegen einen halluzinierten abstrakten Feind oft nach innen, gegen die eigene Gesellschaft, was wiederum ein besonderes Licht auf die Affekte wirft, die hier auf tödliche Weise wirksam werden: Es ist letztlich das ›Eigene‹ im ›Fremden‹, das hier auf so mörderische Weise ­attackiert wird. In diesem zunehmend verwirrenden Spannungsfeld widerstreitender und zunehmend ›entgrenzt‹ wahrgenommener Kriegsdiskurse des neuen Jahrtausends entstand nicht zuletzt der merkliche ›Boom‹ akademischer Projekte und Studien zum Thema Krieg, der seit etwa zehn Jahren zu ­verzeichnen ist und nach wie vor anhält. Das Sprechen, Reden und Schreiben über den Krieg scheint im Alltag nicht zuletzt durch das Kommunikationsmedium des Internets, durch den Erfolg von Ego-ShooterVideospielen49 sowie durch viele andere Phänomene der ›Banalisierung‹ des Militärischen nach wie vor en vogue zu sein – ein Phänomen, das in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema in der Tat kritisch analysiert und reflektiert werden sollte.50 49 Vgl. dazu Jan Süselbeck, Kampf als inneres Erlebnis? Zur emotionalen Wirkung der Kriegsdarstellung in Computerspielen und ihren Vorbildern, in: kjl & m 10.2. Kinder-/Jugendliteratur und Medien in Forschung, Schule und Bibliothek, 62. Jahrgang, 2. Vj. 2010, S. 14-24. 50 Vgl. dazu etwa Tanja Thomas/Fabian Virchow (Hrsg.), Banal Militarism. Zur Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen, Bielefeld 2006.

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Vielleicht ist es aber auch als eine Art von Verdrängung dieser Emo­ tionalisierung des Krieges als ›positives‹, ›selbstverständliches‹ Element des ›postmodernen‹ Alltagslebens zu werten, dass man insbesondere im akademischen Diskurs das jeweils Spezielle dieser Entwicklungen im Blick auf das ›Allgemeine‹ wieder zu abstrahieren versucht, um es rational zu erklären und historisch einzuordnen. Damit muss nicht einmal eine bewusste Absicht zur Relativierung verbunden sein: Wäre es z. B. unbedingt absurd, einen Attentäter wie Anders Behring Breivik, der durch einen Bombenanschlag im Regierungsviertel Oslos sowie einen Amoklauf in einem sozialdemokratischen Jugend-Camp auf der kleinen norwegischen Insel Utøya im Sommer 2011 binnen kürzester Zeit insgesamt 77 Menschen ermordete, mit ›soldatischen Männern‹ des 20. Jahrhunderts in Verbindung zu bringen? Man könnte sogar auch noch weiter zurückgehen und den Massenmörder mit der paradigmatischen ›Helden‹-Figur Herrmanns in Heinrich von Kleists »Herrmannsschlacht« (1808) vergleichen:51 Schließlich ist Kleists germanischer Feldherr Herrmann ebenso selbstverständlich dazu bereit, seine eigenen Landsleute zu Propaganda-Zwecken dafür zu opfern und umzubringen, dass die Römer, die sein Territorium kolonisieren, in einem unbedingten Guerilla-Krieg vertrieben und vernichtet werden können. Barbara Vinken schreibt dazu in ihrer Studie »Bestien. Kleist und die Deutschen«: Dieser trostlosen Gewalt ist nichts heilig; sie kehrt sich gegen das Innigste, das Eigenste. Umgekehrt heißt das, dass sie so grund- wie sinnlos ist, denn sie beschützt und erhält – nichts. Deutsch heißt nach Kleist, dass Ehemänner ihre Ehefrauen, Väter und Landesväter ihre Töchter vertieren.52 4. Zur kulturwissenschaftlichen Zielsetzung des Bands Derartige ›diachrone‹ Assoziationen, die noch dazu zwischen litera­ rischen Stoffen und realen historischen Ereignissen Verbindungen herstellen, dürfen wie gesagt nicht dazu führen, dass das jeweils Besondere verschiedener Kriegsdiskurse dadurch aus dem Blick gerät. Wenn man am Ende alles mit allem vergleicht, läuft man Gefahr, mit derlei groß­ zügigen Konzeptionen einer Geschichte und des ›Wesens‹ des Krieges 51 Heinrich von Kleist, Die Herrmannsschlacht. Brandenburger Ausgabe I/7, herausgegeben von Roland Reuß und Peter Staengle, Basel/Frankfurt am Main 2001. 52 Barbara Vinken, Bestien. Kleist und die Deutschen, Berlin 2011, S. 92.

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den Eindruck zu erwecken, es sei demgegenüber eine unabhängige, objektive wissenschaftliche Position einnehmbar. So haben bereits Stephan Jaeger und Christer Petersen davor gewarnt, sich in einer »Metareflektion des Entideologisierungsprozesses« von Kriegen zu verlieren, obwohl eine vollkommen ›unideologische‹ Sichtweise auf diese Kriege und ihre medialen Repräsentationen überhaupt nicht möglich sei. Dies berge die Gefahr, »die Kriegsereignisse selbst aus dem Auge zu verlieren und letztlich bloß zu theoretischen (Meta-)Aussagen über Probleme der Kriegsdarstellung zu gelangen, unabhängig von der Spezifik des einzelnen Krieges und der in ihm präsupponierten Ideologien«.53 Die vielen literatur-, kultur- und medienwissenschaftlichen Bücher, die in der letzten Dekade seit dem 11. September 2001 und den darauf folgenden Wars on Terror zu diesem Thema erschienen sind, neigen jedoch tatsächlich in auffälliger Weise dazu, das ›Überzeitliche‹, also das Apriori propagandistischer und unsere Emotionen manipulierender Nachrichten zu betonen. Der Krieg sei gewissermaßen ›immer schon‹, wie es Geisteswissenschaftler so gerne formulieren, ein allererstes Thema der Medien der jeweiligen Zeiten und Epochen gewesen: »Die Darstellung der Medien ist ein bevorzugter Gegenstand aller Medien seit den Anfängen der Zivilisation«, stellt etwa Heinz-Peter Preußer in seinem Vorwort zu dem von ihm herausgegebenen, materialreichen Sammelband »Krieg in den Medien« (2005) fest: »Die ersten Hochkulturen, in denen Schriftsysteme entstehen, sind deshalb bereits gekennzeichnet von gleichermaßen kunstvollen wie ideologischen Repräsentationen des Krieges.«54 Auch Matthias Karmasin stellt zwei Jahre später fest: »Das Siegel des Krieges ist auf die Geschichte der Menschheit gedrückt. Der Krieg als vermeintlicher Vater aller Dinge«, wie der Autor und Herausgeber das bekannte Bonmot Heraklits zitiert, scheine »damit auch pro futuro ebenso plausibel wie der durch die Vollendung der Aufklärung erreichte Weltfriede«. Sei der Krieg doch »Thema medialer Berichterstattung seit Beginn der Schriftkulturen« gewesen, und »vermutlich in Form münd­ licher Überlieferungen auch schon früher«.55 53 Stephan Jaeger/Christer Petersen, Einleitung, in: Dies. (Hrsg.), Zeichen des ­Krieges in Literatur, Film und den Medien. Band 2: Ideologisierung und Entideologisierung, Kiel 2006, S. 7-12, hier: S. 11. 54 Heinz-Peter Preußer (Hrsg.), Perzeption und Urteilsvermögen. Eine Einleitung zu Krieg in den Medien, in: Ders. (Hrsg.), Krieg in den Medien, Amsterdam /New York 2005, S. 9-34, hier: S. 9. 55 Matthias Karmasin, Krieg – Medien – Kultur: Konturen eines Forschungsprogramms, in: Matthias Karmasin/Werner Faulstich (Hrsg.), Krieg, Medien, Kultur. Neue Forschungsansätze, München 2007, S. 11-34, hier: S. 11.

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In der Tat gehen Barbara Feichtinger und Helmut Seng in ihrer Ein­ leitung zu dem von ihnen ebenfalls 2007 herausgegebenen Band »Krieg und Kultur« noch einmal einen Schritt weiter zurück und erinnern daran, dass bereits die ersten bekannten menschlichen Vorfahren vor Millionen Jahren an dieser Geschichte teilgehabt hätten: Es gibt wenige Dinge, die mit dem Menschen so eng und anscheinend so untrennbar verbunden sind, wie der Krieg. Nachweise für kriege­ rische Handlungen finden sich bereits für Australopithecinen, die Ethnologie konstatiert kriegerische Gewalt als weltweit zu findende Verhaltensform des Menschen, und die Unvermeidbarkeit von Kriegen bis in unsere aktuelle Gegenwart scheint sie als Universalie aus­ zuweisen.56 Marco Formisano greift diese Argumentation in seinem Vorwort zu dem von ihm zusammen mit Hartmut Böhme herausgegebenen Band »War in Words. Transformations of War from Antiquity to Clausewitz« jedoch kritisch auf und führt neben Feichtinger und Seng auch noch den oben bereits zitierten Historiker Martin van Creveld mit dessen Monografie »The Culture of War« (2008) an: »Like a number of other historians, van Creveld advocates the view that despite numerous technical innovations, the culture of war has always somehow remained the same throughout all epochs.« Daraus folge auch bei van Creveld ein wenig hoffnungsfroh stimmender Ausblick in die Zukunft: »In the last part of his book, he ­denies the possibility that a world could or should exist without a culture of war.«57 Ähnlich wie der Band von Formisano und Böhme, der stattdessen die Transformationen kriegerischer Diskurse ins Auge fasst, nimmt auch das vorliegende Buch von derlei ›prinzipiellen‹ historischen Einschätzungen Abstand, die den Krieg letztlich eher als ein ›statisches‹ Phänomen zu begreifen versuchen und damit Gefahr laufen, ihn ungewollt als etwas ›Unabänderliches‹ zu affirmieren. Das spezifische Thema der hier versammelten Aufsätze ist allerdings die konkrete Frage nach der Genese der Gefühle, die verschiedene Formen der Repräsentation des Krieges aus­ lösten, die diese provozieren sollten bzw. eventuell noch heute bei ihren Rezipienten zu erzeugen vermögen – oder auch nicht. Die Fragestellung 56 Barbara Feichtinger/Helmut Seng, Einleitung, in: Dies., Krieg und Kultur, Konstanz 2007, S. 9-20, hier: S. 9. 57 Marco Formisano, Introduction. Stuck in Panduria: Books and War, in: Ders./ Hartmut Böhme (Hrsg.), War in Words. Transformations of War from Antiquity to Clausewitz, Berlin/New York 2011, S. 1-9, hier: S. 3.

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der im dänischen Aarhus durchgeführten Tagung, aus welcher der vorliegende Band resultiert, zielt dabei auf die Erhellung der emotionalen Effekte verschiedenster Repräsentationen des Krieges seit dem 18.  Jahrhundert in der Literatur und den audiovisuellen Medien bis heute – wobei jeweils geklärt werden soll, wie sie die von ihnen anvisierten affektiven Auswirkungen auf ihre Rezipienten evozieren bzw. ob ihnen dies gelang oder gelingt. Das Profil des vorliegenden Bandes ist also nicht nur ein internationales, sondern wird vor allem auch von der Interdisziplinarität und Intermedialität des Ansatzes bestimmt: Für die Kultur- und die Literaturwissenschaft hat die Frage, wie die neuen Möglichkeiten globaler Affektmobilisierung, welche die weltweite Kriegspropaganda nicht zuletzt via Internet eröffnet hat, einzuschätzen seien bzw. wie Literatur und Medien auf diesen epochalen Medienwechsel reagierten, interdisziplinären Fragestellungen ganz neue Dimensionen eröffnet. Deshalb sind im Folgenden nicht nur Texte, sondern auch Kriegsfotografien und Kriegsfilme Thema: In der letzten Zeit hat es schließlich auch in der Medienwissenschaft einen bemerkenswerten Paradigmenwechsel hin zur Fragestellung gegeben, wie sich das Kino konkreter als »Sinnesansprache« auf »das körperlich-materielle Sein« des Zuschauers begreifen lasse. Wie sich der Film zum Thema des Körpers und auch ganz konkret zum Körper des Zuschauers verhalte, sei mittlerweile sogar zur »Leitfrage« filmtheoretischen Denkens erhoben worden, konstatiert etwa Michael Wedel.58 Durch die filmwissenschaft­ liche Beschäftigung mit historisch und kulturell veränderlichen wirkungsästhetischen Strategien einzelner Filmgenres hätten »Momente der Gefühlsstimulation« und die »Erzeugung affektiv-somatischer Erregung« beim Zuschauer einen gehobenen Stellenwert erhalten. So plädiert Wedel dafür, gerade auch das Genre des Kriegsfilms als eines jener »Stimula­ tionsprogramme für die Erzeugung von Zuschauer­emotionen« begreifen zu lernen, als die bisher vor allem der Horrorfilm, der Pornofilm und das Melodrama untersucht wurden.59

58 Vgl. Michael Wedel, Körper, Tod und Technik – Der postklassische HollywoodKriegsfilm als reflexives Body Genre, in: Dagmar Hoffmann (Hrsg.), Körperästhetiken, Filmische Inszenierungen von Körperlichkeit, Bielefeld 2010, S. 77-99, hier: S. 77. 59 Ebd., S. 78 und S. 80.

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5. Zur Thematik der einzelnen Beiträge Untersucht werden im vorliegenden Band sowohl klassische Dramen aus der ›Sattelzeit‹ um 1800 (Mareen van Marwyck) als auch ›postdramatische‹ Theaterstücke des 21. Jahrhunderts (Bernd Blaschke), Kriegslyrik aus der Zeit der Befreiungskriege (Christoph Jürgensen) und Kriegsromane der Gegenwart (Kasper Green Krejberg, Andrea Schütte, Jan ­Süselbeck). Carl von Clausewitz’ Kriegstheorien (Anders Engberg-Pedersen) und militärische Blogs unserer Tage (Mikkel Bruun Zangenberg) werden ebenso analysiert wie weltbekannt gewordene Kriegsfotografien (Thomas F. Schneider) und zu ›Blockbustern‹ avancierte Kriegsfilme (Hermann Kappelhoff, Klaus Theweleit, Manuel Köppen und Lars Koch). Hermann Kappelhoff untersucht die filmische Komposition eines moralischen Gefühls, genauer des »Sense of Community«. Dabei geht er von der These aus, sämtliche Hollywood-Kriegsfilme seien »auf das ­affektive Bindegewebe der amerikanischen Nation als eines spezifischen politischen Gemeinschaftsideals« bezogen, »gleichviel ob die einzelnen Filme diese Gefühlsbindung beim Zuschauer bestätigen, mobilisieren, kritisieren, verwerfen oder erneuern wollen«. Kappelhoff spricht in ­diesem Zusammenhang von einer »Affektpoetik des Hollywoodkriegsfilms«, die den Zuschauer emotional auf das politische Gemeinschafts­ ideal einschwört. Als zentrale Anschauungsobjekte dienen ihm dabei ­Steven Spielbergs »Saving Private Ryan« (USA 1998) und John Woos »Windtalkers« (USA 2002). Neben »Black Hawk Down« (USA 2001) und »Inglourious Basterds« (USA, Deutschland 2009) behandelt auch Manuel Köppen Spielbergs »Saving Private Ryan«. Köppen fragt nach spezifischen Formen von Gewaltinszenierungen in diesen erfolgreichen Kinofilmen und arbeitet am Beispiel von Francis Ford Coppolas »Apocalypse Now« (USA 1979) heraus, wie solche Werke ihr Wissen über ihre eigenen affektmodulierenden Verfahrensweisen ausstellen. Während Spielberg in »Saving Private Ryan« darum bemüht sei, »Effekte des Authentischen her­zustellen«, gehe es Ridley Scott in seinem Somalia-Kriegsfilm »Black Hawk Down« um die als dokumentarisch inszenierte Rekonstruktion von Kriegsereignissen. Quentin Tarantinos »Inglourious Basterds« wiederum unterscheide sich von diesen Filmen durch eine bewusste »Missachtung aller Regeln des Authentischen oder Dokumentarischen«. Das vorherrschende Thema einer Vielzahl von Hollywoodfilmen nach 9/11 sind düstere Zukunftserwartungen und die Angst vor einem ›inneren Feind‹: Lars Koch geht in seinem Beitrag auf einige exemplarische Werke ein und stellt fest, dass viele Post-9/11-Filme nicht ausschließlich 31

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durch eine dezidierte Bezugnahme auf die Ereignisse vom September 2001, sondern auch mittels ›indirekter‹ Assoziationen versucht haben, dieses für die amerikanische Gesellschaft nach den Terroranschlägen prägende Gefühl der Angst und der Unsicherheit darzustellen. Ausgehend von M. Night Shyamalans »The Happening« (USA, Indien, Frankreich 2008), Neil Jordans »The Brave One« (USA, Australien 2007), Jeff Renfroes »Civic Duty« (Großbritannien, USA, Kanada 2006) und Chris Goraks »Right at Your Door« (USA 2006) demonstriert Koch, wie diese Filme die amerikanische Politik des Verdachts und des Misstrauens auf narrativer und figurativer Ebene inszenieren. Die Jagd auf unsichtbare innere Feinde der amerikanischen Gesellschaft, so Koch, werde durch eine in diesen Filmen dargestellte Milita­risierung des Alltags gespiegelt. Die Protagonisten werden dabei als proto-paranoide Figuren inszeniert. Koch folgert daraus, dass selbst noch »der ›gut-gemeinte‹ Terror-Film einen Beitrag zur Befeuerung kollektiver Angst leistet«. Hollywood-Kriegsfilme nach 9/11 sind auch das Thema von Gerhard Lüdekers Untersuchung der Zuschauermobilisierung in Antikriegsinszenierungen. Nach einer einleitenden Frage nach der Definition des Antikriegsfilms widmet sich Lüdeker einer Analyse der »Strategien der Figurendarstellung und Emotionssteuerung« in »drei neueren Filmen zum Irak-Krieg«. Dabei gilt es zu zeigen, »unter welchen Bedingungen eine emotionale und kognitive Mobilisierung der Zuschauer gegen den Krieg« zustande kommen kann. Als Beispiele sogenannter Combat-Movies, die an der Front spielen, wählt Lüdeker »Battle for Haditha« (Großbritannien 2007) und »The Hurt Locker« (USA 2009), während »In the Valley of Elah« (USA 2008) als Homefront-Film herangezogen wird, der den Krieg aus der Perspektive der US-Gesellschaft thematisiert. Linda Maria Koldau beschreibt in ihrem Beitrag ein populäres ­Subgenre des Kriegsfilms, den U-Boot-Film. Wie in den von Lars Koch behandelten Werken fungiert auch nach ihrer Analyse die Angst als durchgehendes Motiv dieses Genres. Im Unterschied zur Action- und Gewaltästhetik der konventionellen Infanterie-Kriegsfilme erkennt Kol­ dau im U-Boot-Film jedoch »a pleasant way of representing war«: Sei er doch von einer spezifischen Stimmung des Abenteuers und der Spannung geprägt, die insbesondere durch die Repräsentation einer mystisch anmutenden Unterwasserwelt hervorgerufen werde. In diesem ›Meereskosmos‹ erscheine der Krieg in einem schöneren und ›unblutigeren‹ Licht. Koldau liefert eine Zusammenfassung der militärischen Entwicklungsgeschichte des U-Boot-Kriegs und ihrer Bedeutung für den ty­ pischen Handlungsverlauf, die spezifische Bildästhetik und die ideologischen Botschaften dieses Genres: U-Boot-Filme stellen den Alltag der 32

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Besatzungen demnach etwa als besonders dramatisch dar, obwohl das U-Boot-Leben in Wirklichkeit vor allem aus zermürbenden Routinen und endlosen Missionen besteht. In diesem Sinne ähnele der U-BootFilm wiederum anderen Kriegsfilmen, indem auch er den Krieg spektakulärer und attraktiver zu machen versucht, als er sich tatsächlich darstellt. Klaus Theweleits Beitrag setzt sich mit einer anderen Art der Kriegs­ ästhetik auseinander – der 3-D-Computeranimation und deren Funktion in James Camerons Kinohit »Avatar« (USA 2009). »Avatar« wiederholt den Pocahontas-Mythos unter anderen Vorzeichen: Was hier als ›asymmetrischer‹ Krieg zwischen einem ›gesunden Urvolk‹ und einer hoch­ gerüsteten und industrialisierten Besatzungsmacht gezeigt wird, ist in der Filmästhetik zugleich ein Kampf zwischen zwei dennoch verwandt erscheinenden Parteien. Bestehe doch, so Theweleit, die grundsätzliche ­Attraktion des Films vor allem in der Darstellung eines mittels avancierter militärischer Computertechnologie inszenierten ›Naturvolks‹: Dass also in dem Film ausgerechnet diejenige virtuelle Ästhetik, die von den US-Amerikanern in Afghanistan und Pakistan u. a. dazu eingesetzt wird, um sogenannte Drohnen zu steuern, bei Cameron dazu benutzt wird, die ›urtümliche‹ Botschaft des ›Friedens‹ und des ›Lebens im Einklang mit der Natur‹ zu vermitteln, rücke »Avatar« in ein geradezu »perverses« Licht. Ausgehend von den Bemerkungen Susan Sontags über den großen Unterschied zwischen der unmittelbaren Erfahrung der Kriegsrealität und dem Betrachten von Kriegsbildern untersucht Thomas F. Schneider in seinem Beitrag, inwiefern die Kriegsfotos der Nachrichtenmedien bereits Teil einer etablierten ästhetischen Tradition geworden sind. Die meisten bekannt gewordenen und ins kollektive Gedächtnis eingegangenen Kriegsfotografien seien durch eine Komplexitätsreduktion gekennzeichnet: Demnach sind die dominanten Motive ›ikonisch‹ gewordener Kriegsbilder, durch die unsere kollektive Erinnerung der Kriegsgeschichte des vergangenen Jahrhunderts gelenkt wird, entweder durch die unmittelbare Konfrontation zwischen Täter und Opfer oder die isolierte Darstellung der Leiden des Opfers geprägt. Schneider verweist auf unterschiedliche Traditionen dieser Kriegsikonografie –, so etwa die Inszenierung des Kriegsopfers als Christusfigur. Ein generelles Merkmal ›kanonisierter‹ Bilder sei jedoch die Anonymisierung des Leids und der Verbrechen des Krieges zugunsten einer umso wirksameren emotionalen Anklage: Solche Motive verhinderten damit eine aufwändige ra­tionale Auseinandersetzung mit dem historischen Gegenstand, um möglichst direkt an die Emotionen des Betrachters appellieren zu können. 33

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Mikkel Bruun Zangenberg untersucht in seinem Aufsatz ein relativ neues Medium der Kriegsrepräsentation – die »military blogs«. Zangenberg arbeitet die Unterschiede zwischen der Kriegsdarstellung in literarischen Texten (etwa Ernst Jüngers) und diesen sogenannten »milblogs« heraus, um sich zu fragen: »Are we indeed witnessing the emergence of a novel form of being a witness to warfare?« Zangenberg erörtert damit noch einmal ganz grundsätzlich, was es überhaupt heiße, von Kriegsereignissen Zeugnis abzulegen: Bringen die »military blogs« den Leser durch ihre (auch zeitliche) ›Unmittelbarkeit‹ etwa näher an den Kriegsschauplatz heran als andere Darstellungsformen? Jürgen Brokoff beschäftigt sich mit der Darstellung von Kriegs­ opfern bei Peter Handke, Emir Suljagić und Slavenka Drakulić. Bevor er sich dem literarischen Medium zuwendet, geht er jedoch kritisch auf die PR-technische Propaganda in Kroatien und Serbien ein und erinnert insbesondere an die fragwürdige Rolle der internationalen Berichterstattung während des Jugoslawienkriegs als wichtigstem Instrument im Kampf um die Meinungshoheit in der Weltöffentlichkeit. Peter Handke macht sich laut Brokoff mit seiner ­radikalen Konterkarierung der antiserbischen Propaganga des Westens selbst einer irreführenden Darstellung der Tatsachen schuldig: Eine differenzierte Darstellung, die als wirk­ liches Korrektiv zu der propagandistischen Kriegsberichterstattung westlicher Medien in Frage käme, müsste die Relativität von Opfer- und Täterrollen reflektierter hand­haben, argumentiert Brokoff. Ein solches Korrektiv erkennt er in den Texten von Suljagić und Drakulić. Der Krieg betrifft nicht nur die kämpfenden Soldaten oder jene Bevölkerungsgruppen, die direkt unter den Bombardements, Gefechten oder Vertreibungen leiden: Anhand einer Analyse des literarischen Werks W. G. Sebalds und von Michael Hanekes Film »Das weiße Band« (Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien 2009) schlägt Kasper Green Krejberg in seinem Beitrag vor, die Definition des Genres der Kriegsdarstellungen dergestalt zu erweitern, dass auch ›indirekte‹ Schilderungen bewaffneter Konflikte dazugehören. Könnten doch so auch die kulturellen Voraussetzungen und die langfristigen Kon­sequenzen moderner Kriegsführung in den Blick genommen werden. Die von Krejberg vorgeschlagene Bezeichnung einer »Ästhetik des In­direkten« soll das Spezifische dieser neuen Art der Kriegsdarstellung bestimmen. Die Rede ist von den Werken jener Künstler- und Schriftstellergenerationen, die zwar selbst von den Kriegsereignissen weitgehend unberührt blieben, aber wie Sebald und Haneke dennoch im Schatten zweier Weltkriege aufwuchsen. Die ästhetische Annäherung Sebalds und Hanekes an den Krieg, so ­Krejberg, sei durch eine ausgesprochene Angst vor emotionaler Identifi34

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kation mit den Subjekten der Geschichte (den Helden, den Schurken oder den Opfern) gekennzeichnet. Gleichzeitig sei aber bei beiden Künstlern eine sensible und emotionale Auseinandersetzung mit der Geschichte zu konstatieren. Der Aufsatz versucht, diese Spannung in ihren Werken zu analysieren. Anders Engberg-Pedersen blickt in der Geschichte weiter zurück und geht dem »Kriegszustand und der Kunst des Urteilens im 19. Jahrhundert« nach. Besondere Aufmerksamkeit widmet er dabei den Kriegstheoretikern Georg Heinrich von Berenhorst und Carl von Clausewitz, deren Kriegs-Denken er vor dem Hintergrund französischer Fortifika­ tionstheorien erörtert, wie sie Menno van Coehoorn und Sébastien Le Prestre de Vauban um 1700 entwickelten. Im Gegensatz zur Theorie Vaubans, Kriege folgten bestimmten, logisch kalkulierbaren Mustern, verweist Berenhorst auf die grundsätzliche Unberechenbarkeit kriege­ rischer Ereignisse. Damit drängen sich jedoch neue Fragen auf: Ist die Kontingenz des Krieges dennoch irgendwie kanalisierbar? Wie kann man in diesem Kriegs-Chaos überhaupt noch effektiv handeln? Und wenn dies möglich sein sollte, wie könnten dann die dazu notwendigen Aktionsmuster entwickelt und trainiert werden? Engberg-Pedersen verweist auf Clausewitz’ Idee des ›Takts‹, die dieser als ­entscheidende Fähigkeit des Kriegers bezeichnet, und zeigt in seinem Beitrag, wie dieser Begriff eine Verbindung von »Emotionen, Medien und Poetik« markiert. In der Entwicklungsgeschichte unterschiedlicher Kriegstheorien avanciert Clausewitz damit zum Erfinder einer ›Wahrscheinlichkeitstheorie‹, die Engberg-Pedersen unter besonderer Berücksichtigung ihrer emotionalen Aspekte untersucht. Debra Kelly analysiert öffentliche Reaktionen, die durch zwei autobiografische Prosatexte über die Zeit der nationalsozialistischen Besatzung in Frankreich ausgelöst wurden: Agnès Humberts »Résistance« und Hélène Berrs »Journal«. »Résistance« entstand unmittelbar nach dem Krieg und wurde von einer französischen Widerstandskämpferin geschrieben, während die Verfasserin des Tagebuchs »Journal« den Krieg als Jüdin nicht überlebte. Beide Bücher wurden vor allem als besonders ›authentische‹ Augenzeugenberichte gelesen: Sowohl in der angelsächsischen als auch in der französischen Rezeption macht Kelly deshalb eine starke Tendenz zur emotionalen Identifikation mit den schreibenden Protagonistinnen und ihren Kriegserlebnissen aus. Gleichzeitig unterstreicht Kelly, dass beide Werke gleichwohl zur erneuten Reflexion über das Vergessene oder auch bewusst in den Beschreibungen Verschwiegene anzuregen vermochten, als einer Form der alternativen autobiografischen Geschichtsschreibung. 35

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Jan Süselbeck beleuchtet in seinem Beitrag über Emotionalisierungsstrategien in Christian Krachts Kriegsroman »Ich werde hier sein im ­Sonnenschein und im Schatten« (2008) u. a. das außerliterarische Kokettieren des Autors mit faschistischen Ikonografie-Traditionen als provokatives Element öffentlicher Selbstinszenierungen in den Medien. Süselbeck zeigt anhand des untersuchten Textes, wie Kracht durch seine ›filmisch‹ inspirierte Überwältigungsästhetik »tabuisierte oder verdrängte Affektbilder aus dem kollektiven Gedächtnis wieder aufruft, ohne sie jemals weiter zu kommentieren oder gar zu kritisieren«. Kracht bediene sich ­dabei einer Ästhetik, die u. a. an Ernst Jüngers Bildpolitik und Leni ­Riefenstahls Filme erinnere: ›Kalte‹, teleskopisch anmutende Perspektiven kippten dabei immer wieder auch in kitschige Szenerien um – so etwa beim Versuch, Gefühle des ›Erhabenen‹ zu erzeugen, indem ›infernalische‹ Bombardements beschrieben werden. In seinem noch vor der Feuilleton-Debatte über den angeblichen Rassismus von Krachts Folge­ roman »Imperium« (2012) fertiggestellten Beitrag problematisiert Süselbeck die Tendenz bisheriger literaturwissenschaftlicher Interpretationen von Krachts Werken, deren mitunter fragwürdig anmutende Provokationen als bloßen ›Ästhetizismus‹ oder ›Ironie‹ zu relativieren und zu nobilitieren. Elfriede Jelinek und Falk Richter werden von Bernd Blaschke als »satirische Medienbeobachter« vorgestellt. Die Deutung von narrativen und filmischen Kriegssatiren sei bisher weit umfassender erfolgt als die  Untersuchung »theatralisch-dramatischer Kriegskritik« – eine Forschungstendenz, der Blaschke mit seiner auf »die wirkungsästhetischen Implikationen satirischer Darstellungsweisen« konzentrierten Analyse von Jelineks und Richters Kriegsdramen begegnet. Zu den dominierenden wirkungsästhetischen Implikationen in Jelineks »Bambiland« gehören die von Blaschke nachgewiesenen »spezifischen Emotionsmischungen« (Hass, Wut und Aggression gegenüber dem Kritisierten werden mit den positiven Emotionen des Lachens vermengt). Die orientierungsstiftenden, relativ eindeutige Gefühle produzierenden und oft moralisch fragwürdigen Kriegsrepräsentationen des Fernsehens werden durch Jelineks »Mediendiskurs-Dekonstruktionen« zwecks einer »Gefühlsverwirrung und Desorientierung ihres Publikums« konterkariert. Der Zustand emotionaler Verstörung, in dem das Publikum zurückgelassen wird, werde in den »Kriegs-Medien-Stücken« Falk Richters wiederum in der ambivalenten Gefühlswelt von Kriegsmedienarbeitern wieder­gespiegelt. Richters kriegs- und medienkritische Stücke »Peace«, »Sieben Sekunden«, »Hotel Palestine« und »Krieg der Bilder« schildern laut Blaschke »Kriegsmedienarbeiter am Rande des Nervenzusammenbruchs«, die zu keiner Empathie mehr fähig sind. 36

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Andrea Schütte untersucht die literarische Darstellung des Bosnienkrieges in Saša Stanišićs Roman »Wie der Soldat das Grammofon repariert«. Der Krieg zwischen Serben und Bosniaken wird bei Stanišić ­sinnbildlich auf ein Fußballfeld verlegt – der Kampf, der im Stadion zwischen serbischen und bosnischen Mannschaften sowie deren jeweiligen Anhängern ausgetragen wird, symbolisiert die kriegerischen Ereignisse an der Front. Charakteristisch für diese Darstellungsweise sei dabei die Verbindung von Furchtbarem und Lächerlichem: »Krieg und Komik« stehen nicht in einem antagonistischen, sondern vielmehr in einem komplementären Verhältnis zueinander, das zugleich auf ein weiteres Begriffspaar verweist: »Kontrolle und Kontrollverlust«. Das Kriegsspiel auf dem ­Fußballfeld zeichnet sich in Stanišićs Roman – im Gegensatz zu Erich Fromms Behauptung einer ordnungsstiftenden Funktion des Krieges – durch ›chaotische‹ Vielschichtigkeit aus. Diese Kontingenz ist als Korrektiv zur ›Ordnung‹ des Kriegs auffassbar, wie sie etwa die ethnisch motivierte, undifferenzierte Einteilung der Welt in ›Freunde‹ und ›Feinde‹ suggeriert. Schüttes Beitrag mündet in eine Reflexion über die Funktion und Bedeutung des im Roman häufig verwendeten Humors bzw. des Slapsticks, die eingesetzt werden, um die Unverhältnismäßigkeit der ›Kriegsordnung‹ zu entlarven. Die von Schütte diagnostizierte Komplexität korrespondiert mit der Inszenierung von Lust und Unlust im Text: An die Stelle einer angeblichen Einheitlichkeit und Natürlichkeit von Gefühlen angesichts des Kriegs tritt bei Stanišić deren Unberechenbarkeit, ihre Ambivalenz und Unwägbarkeit. Nur wenige Autoren der deutschen Literatur sind in den Augen der ­literaturwissenschaftlichen Zunft so ›tief‹ gefallen wie Ernst Moritz Arndt und Theodor Körner, die prominentesten Propaganda-Lyriker der deutschen Befreiungskriege gegen Napoleon. Zu Lebzeiten viel gelesen und gefeiert, sind sie heute weitgehend in Vergessenheit geraten, aus den »Schülbüchern eskamotiert, nicht mehr aufgelegt und von der Literaturwissenschaft ignoriert«: Christoph Jürgensen untersucht in seinem Beitrag unterschiedliche Strategien der (Affekt-)Mobilisierung dieser Lyriker. Zwar sei der ›wirkliche‹ Kampf auf dem Schlachtfeld schon immer medial begleitet und narrativ auf bereitet worden, aber »erst während der Befreiungskriege avancierten die Autoren zu einer maßgeblichen, äußerst breitenwirksamen Instanz im Prozess der öffentlichen Willensbildung«. Ernst Moritz Arndts »Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann« und Theodor Körners »Leyer und Schwert« werden in dem Beitrag jeweils als Beispiele deutsch-nationaler Lyrik und »Freiwilligenlyrik« behandelt. Die Frage nach »den Formen und Funktionen« der »poetischen Mobilmachung« ist bei Jürgensen zentral: Wie sehen die lyrischen 37

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›Repräsentationen des Krieges‹ bei Arndt und Körner aus, wie vermögen ihre kriegsverherrlichenden Verse die Emotionen der Leser so zu ma­ nipulieren, dass diese von nationalistischer Begeisterung und Opfer­ bereitschaft ergriffen werden? Mareen van Marwyck setzt sich mit den emotionstheoretischen ­Codierungen der Anmut als spezifischer Form der Helden- und Gewalt­ ästhetik um 1800 auseinander. Nicht nur aufgrund des gleichen behandelten literaturgeschichtlichen Zeitraums, sondern auch thematisch ergänzen ihre Überlegungen den Beitrag von Jürgensen um eine weitere Perspektive – diejenige auf die emotionalisierende Wirkung literarischer Kriegsheldinnen. Im Gegensatz zum griechischen Heros und dem Ideal großer Leidenschaftlichkeit war der Held im Barock durch die Fähigkeit erhabener Selbstüberwindung und Affekt­beherrschung gekennzeichnet. Diese stoische Haltung, die die Gewaltbereitschaft nach wie vor nicht unbedingt ausschloss, war mit den Heroismuskonzeptionen der Weimarer Klassik nicht vereinbar. Marwyck unternimmt den Versuch zu zeigen, dass der anmutige Heroismus der Klassik, der sich insbesondere auf eine spezifisch weiblich codierte Helden- und Gewaltästhetik kaprizierte, auch in emotionstheoretischer Hinsicht ein alternatives Konzept zum Erhabenen etablierte. Thomas Anz stellt in seinem Beitrag grundlegende Thesen über die »Kulturtechniken der Sympathielenkung« in literarischen Kriegsdarstellungen und über deren emotionale Effekte auf. Das Medium der Literatur eigne sich in besonderer Weise dazu, die in sozialen Interaktionen ­gebräuchlichen Formen der Konstruktionen von ›Freund‹- und ›Feind‹Bildern wiederzugeben bzw. weiterzuentwickeln. Der Tod, so Anz, sei dabei »ein Ereignis mit kaum zu überbietender, sozusagen todsicherer Emotionalisierungskraft«. Dabei sei allerdings stets zu beachten, wie die sterbenden Figuren in Texten charakterisiert würden. Anz greift dazu auf Kategorien aus der Poetik des Aristoteles, auf Regeln der Rhetorik sowie auf Erkenntnisse aus der Emotions- und Feindbildforschung zurück. Neben einer kritischen Referierung der Thesen Judith Butlers zum Thema bietet der Beitrag exemplarische Analysen von Textbeispielen aus der ­Lyrik des Ersten Weltkrieges sowie aus dem erzählerischen Werk Erich Maria Remarques. Svend Erik Larsen diskutiert in seiner Erörterung emotionaler Spätfolgen von Kriegen literarische Darstellungen von Vergebungsszenarien. Durch die Analyse literarischer Verarbeitungen moderner Konflikte und Kriege in Europa, Südafrika und Korea skizziert Larsen die komplexen individuellen, familiären und gesellschaftlichen Konsequenzen kriegerischer Konfrontationen. Beim südafrikanischen Autor Jacob Dlamini 38

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etwa stellt Larsen einen Willen zur Vergebung der verbrecherischen Taten des Apartheidregimes fest. Diese Tendenz zur Vergebung und Versöhnung komme durch eine radikale Neuinterpretation der Vergangenheit zustande. In seinem Roman »Native Nostalgia« (2009) konnotiert Dlamini das Leben in den Townships als Ort gesteigerter Sinnlichkeit und Emo­tionalität auch positiv. Larsen kontextualisiert den Autor deswegen mit Imre Kertész und dessen provozierend naiven ›Kinder‹-Schilderun­ gen des Vernichtungslager-Alltags in Auschwitz aus dem »Roman eines Schicksal­losen« (1975). Das zweite literarische Beispiel Larsens ist der Roman des südkoreanischen Schriftstellers Yi Mun-Yols, »An Appointment With My Brother« (1994). Der Text schildert die Versöhnung zweier Brüder aus Nord- und Südkorea. Nur die Literatur, so eine der zentralen Thesen des Beitrags, könne die in der Nachkriegsära entstehenden komplexen Gefühlsmischungen auf angemessene Weise vermitteln.

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1. Die Ambivalenz der Affekte: Kriegsfilme – Antikriegsfilme

Hermann Kappelhoff

»Sense of Community«: Die filmische Komposition eines moralischen Gefühls Zuverlässig führt die dramaturgische Linie des klassischen HollywoodKriegsfilms vom alltäglichen Körper des Jugendlichen, des Rekruten, über die Höhe eines illusionären emphatischen Selbstbilds, der Verschmelzung von organischem Körper und Waffentechnologie, zum Sturz in die Tiefe von Angst und Verlassenheit des Soldaten. Im Prozess der ästhetischen Wahrnehmung entfaltet sich dieser Verlauf als eine ­affektive Bewegung, die der Zuschauer als seine eigene Emotionalität realisiert. Ihm wird der Film in der Zeit seiner Entfaltung zu einem »inneren Objekt«, vergleichbar dem Bild eines Erinnerungskomplexes. Hierin liegt die Eigenheit des Kriegsfilmgenres Hollywoods; es zielt auf ein Empfinden, das sich in den Erfahrungsformen des Erinnerns zwischen Trauma und Trauer bewegt. Nicht zufällig entwickelte sich das Shell Shocked Face zu einer stehenden Bildform nicht nur des Kriegsjournalismus, sondern auch des Kriegsfilms; kristallisieren hier doch im Moment des blendenden Schreckens ein Zeugnis der Traumatisierung und ein zu betrauerndes Bild zur zwiespältigen Imagination des Krieges. Es ist das fassungslose Staunen Montgomery Clifts in »From Here to Eternity« und das Gesicht des amoklaufenden Berserkers in »Full Metal Jacket«. Es ist das insistierende Staunen Martin Sheens und die Kälte beherrschter Grausamkeit des Colonel Kurtz in »Apocalypse Now«. Und immer wieder ist es das Leidensbild des Soldaten, emphatisch herausgestellt und mit den mythischen Zeichen des Opfers versehen, wie in Sam Fullers »Steel Helmet«, in Oliver Stones »Platoon« und John Irvins »Hamburger Hill«. Dieses Gesicht lässt sich als ein doppelsinniges Emblem verstehen: zum einen als eine Opferimago, in der die Schrecken, die Agonie des Soldaten zu einer sinnträchtigen Ikone geformt sind. Zum anderen stellt es ein anklagendes Dokument dar, das nichts anderes zeigt als das nackte physische Leiden, die bloße Vernichtung menschlichen Lebens. In dieser Spannung beschreibt das Bild des Shell Shocked Face eine grundlegende Pathosformel des amerikanischen Kriegsfilms. Es setzt die moralische Empörung in eins mit dem andachtsvollen Erinnern, die Anklage mit dem Pathos des Gedenkens an die Gefallenen, die sich für den Erhalt der politischen Gemeinschaft opferten. Es bringt den grundlegenden dramatischen Konflikt zum Ausdruck, der die Poetik 43

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des Kriegsfilmgenres Hollywoods strukturiert: Das ist die Differenz zwischen dem sinnreichen Opfertod für und dem sinnlosen Sterben Einzelner durch die Handlungen der Nation, die Differenz zwischen Sacrifice und Victim. Dieser Konflikt ist in hohem Maße affektbeladen; im Kino realisiert er sich als Empfindungsbewegung des Zuschauers. So ist im Kriegsfilm das ästhetische Genießen eng gebunden sowohl an die vergemeinschaftenden Rituale der erinnernden Trauer und des kollektiven Gedenkens als auch an die moralische Empörung, den Zorn des Einzelnen, der sich wütend gegen die Versuche der Sinnstiftung erhebt. Ohne damit die wiederholende Handlung des Kinobesuchs vorschnell dem Begriff des Rituals zuzuordnen, soll im Folgenden doch ein ritueller Aspekt hervorgehoben werden, der sich auf spezifische Weise mit den Kriegsfilmgenres Hollywoods verbindet. Damit meine ich zunächst nicht viel mehr, als dass diese Filme eine affektorganisierende Funktion in der medialen Zirkulation der Bilder vom Krieg erfüllen, die in der Inszenierung eines übergreifenden Bildes vom Krieg zusammenwirken. Diesem Bild, so möchte ich hypothetisch formulieren, kommt eine fundamentale Bedeutung für den politischen Zusammenhalt einer Gesellschaft, für das Gemeinschaftsgefühl, den Sense of Community zu. In diesem Sinne sehe ich das Kriegsfilmgenre funktional auf eine Öffentlichkeitssphäre bezogen, in der alle Formen gesellschaftlich-politischer Kommunikation vielfältig verschränkt sind mit ästhetischen Erfahrungsmodalitäten, die man den Mediensphären der Kunst und der Unterhaltungskultur zuweist. Die Frage nach der Funktion des Kriegsfilmgenres ist nicht zu trennen von der Frage nach der Funktion des ästhetischen Genießens innerhalb einer übergreifenden Ökonomie medial organisierter, kultureller und sozialer Verortungen. Sie ist nicht zu trennen von der Frage nach den ästhetischen Strategien der medialen Organisation und Modellierung affektiver Bindungen an ein übergreifendes politisches Gemeinschaftsideal. Jedenfalls sind die Inszenierungsstrategien und poetischen Konzepte des Kriegsfilmgenres Hollywoods immer bezogen auf das affektive Bindegewebe1 der amerikanischen Nation als eines spezifischen politischen Gemeinschaftsideals, gleichviel ob die einzelnen Filme diese Gefühlsbindung beim Zuschauer bestätigen, mobilisieren, kritisieren, verwerfen oder erneuern wollen. Weil dies niemals als bloße Reflexion geschieht, sondern als ästhetische Strategie der Gestaltung des emotionalen Erle1 Vgl. Albrecht  Koschorke,  Körperströme und Schriftverkehr:  Mediologie des 18. Jahrhunderts, München 1999, S. 15.

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bens der Zuschauer, weil es immer an das ästhetische Genießen gebunden ist, spreche ich von der Affektpoetik des Hollywoodkriegsfilms. Was dies bedeutet, will ich nun an zwei filmanalytischen Skizzen zeigen. Ich beginne mit Spielbergs »Saving Private Ryan« und wende mich im Anschluss John Woos »Windtalkers« zu. »Saving Private Ryan« Eine Familie, drei Generationen: Eltern, Kinder, Enkel. Ein Gräberfeld, endlos, von keinem Horizont begrenzt. Die Montage formt eine Impression, die schon in der Architektur des Soldatenfriedhofs angelegt ist. Grabmal um Grabmal reiht sich in diagonaler Aufstellung aneinander; jedes für sich zählbar, ergeben sie doch in der Zusammenschau ein Bild der buchstäblichen Zahllosigkeit der Toten. Die weißen Mahnmale sind so gleichförmig wie die Uniformen der Soldaten und halten als einzige Differenz lediglich die zwischen christlichem Kreuz und jüdischem Davidstern fest. Eine Großaufnahme zeigt das Gesicht des Kriegsveteranen: Sie leitet die Rückblende ein, die mit dem Ereignis beginnt, das in dem Grabfeld zahllose steinerne Zeugen hat: das große Sterben von Omaha Beach. Das Sounddesign, der Lärm der Landungsboote, schließt die Zuschauer bereits in den Bildraum ein, noch bevor die Laderampen aufschlagen und die Infanteristen vorne in den Booten dem feindlichen Feuer preisgeben werden. Ohne hinführende Handlung, mit einem Paukenschlag ist das Thema gesetzt, das in den nächsten 16 Minuten inszeniert wird: Die ersten Reihen der Soldaten sterben als lebende Schutzschilde, die den Nachfol­ genden Schritt für Schritt, Reihe um Reihe das Vorrücken auf den mit Minen und Sperrzäunen bestückten Strand ermöglichen. Der Truppenkörper drängt an Land, während die einzelnen Soldaten zerfetzt und zerschossen den Preis entrichten, der diese Bewegung ermöglicht. In den ersten zwanzig Minuten zieht »Saving Private Ryan« alle Register audiovisueller Rhetorik, die das Kino für seine Schlachtbeschreibungen entwickelt hat, um diese Ungeheuerlichkeit in Szene zu setzen. Eine Montage dissoziierter Raum- und Geräuschperspektiven entfaltet den Raum einer chaotischen Wahrnehmung; die Kamera bewegt sich zwischen diffus zugeordneten Blicken, dicht über oder unter Wasser, wie ein Schwimmender – oder ein Ertrinkender; mal geblendet vom aufspritzenden Wasser; mal lassen verschmierte Blutspritzer das Objektiv selbst sichtbar werden. Die Szenerie löst sich vom Blick, wird distanziert, wie durch eine Glasscheibe betrachtet. Auch die Geräuschebene setzt sich aus 45

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einer vielperspektivischen Impression zusammen, die sich zwischen der Taubheit des ins Wasser stürzenden Soldaten und dem ohrenbetäubenden Lärm von Explosionen bewegt. Schließlich öffnet sich die Geräuschperspektive auf die Leere eines dumpfen Hallraums; sie wirkt wie die Selbstwahrnehmung körperlicher Innengeräusche, wenn man sich die Ohren zuhält. Tatsächlich ist dieser nach außen sich abschließende Hallraum die erste klar einem individuellen Körper zuzuordnende Perspektive. Das Schlachtengetümmel wird zu einem Horrorfilm: stumme Schreie, einschlagende unhörbare Schüsse, lautlose Granatexplosionen, zerfetzte Körper. Man sieht das Gesicht des Protagonisten: a Shell Shocked Face. Die Inszenierung der Szene ist insgesamt darauf ausgerichtet, die größtmögliche Diskrepanz zwischen der Perspektive eines in das Kampfgeschehen orientierungslos eingeschlossenen leiblichen Individuums und der kinematografischen Schlachtbeschreibung zu entfalten. Das para­ lysierte Gesicht verbindet die eine Perspektive mit der anderen. Eingeschlossen in den Donner der Geschütze, dann in die Stille dieses fremden Körpers, entfaltet sich für den Zuschauer eine eigentümliche Form der subjektiven Perspektive; er empfindet sich physisch ganz nah dabei und gewahrt sich zugleich in absoluter Distanz – als das Gegenüber eines traumatisierten Gesichts. Die Kamera simuliert den zersplitternden Blick einer überforderten Wahrnehmung und hält doch die Position des souveränen Zuschauers aufrecht.2 Was dem Truppenkörper nur unter größten Leiden und Opfern gelingt, ist diesem mühelos möglich: Er durchquert sehend und hörend die Raumsimulation des chaotischen Wahrnehmungsbewusstseins eines von Schrecken und Schmerz geblendeten und gelähmten Körpers; er findet einen ersten narrativen Halt, wenn er das Gesicht des Stars, Tom Hanks, mit dem dumpfen Hallraum verbindet, der ihn im Kinosessel umschließt (gleichsam die Innenansicht 2 Michael Wedel betrachtet den postklassischen Kriegsfilm als neues Body-Genre. Vgl. Michael Wedel, Körper, Tod und Technik – Der postklassische HollywoodKriegsfilm als reflexives ›Body Genre‹, in: Körperästhetiken. Filmische Inszenierungen von Körperlichkeit, hrsg. v. Dagmar Hoffmann, Bielefeld 2010, S. 77-100. Vgl. hierzu auch: Hermann Kappelhoff, Shell shocked face: Einige Überlegungen zur rituellen Funktion des US-amerikanischen Kriegsfilms, in: Verklärte Körper, hrsg. v. Nicola Suthor und Erika Fischer-Lichte, München 2006, S. 69-89. Vgl. als figurenpsychologisch bzw. handlungslogisch argumentierende Analysen von Spielbergs Film: Albert Auster, Saving Private Ryan and American Triumphalism, in: The War Film, hrsg. v. Robert Eberwein, New Brunswick, N. J. 2005, S. 206-213; Janine Basinger, Combat Redux, in: Dies., The World War II Combat Film. Anatomy of a Genre, New York 2003, S. 253-262.

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des Shell Shocked Face). Ein Dialog bahnt sich an; zunächst noch stumm, dann gibt es den ersten Wortwechsel. Nach und nach formiert sich aus dem Horrorszenario eine Handlungsfiguration: »Wie knackt man die Bunkerstellung dort oben?« Wenn die Soldaten den Strand überwunden, die Klippen erklommen, die Bunker eingenommen haben, findet sich der Zuschauer im Handlungsraum einer überschaubaren Wirklichkeit, im Raum des klassischen Erzählkinos wieder. Der Umschlag im Erzählmodus ist durch einen genauen Scheitelpunkt markiert: Erst in dem Moment, in dem es gelingt, mit Hilfe eines Spiegels den Feind in den Blick zu bekommen, stabilisiert sich eine eindeutige Erzählperspektive.3 Die Reise ins Innere des Landes, die Landschaft der Normandie, der Spähtrupp mit dem Sonderauftrag, die entscheidende Schlacht, das alles vollzieht sich im Spiegel des klassischen Hollywoodkriegsfilms und der audiovisuellen Dokumente des Zweiten Weltkriegs, wie sie in den Medien zirkulieren. Man versteht, dass die Rückblende eine Erinnerungsbewegung nicht nur in der Fiktion der Figur, sondern auch auf der realen Ebene der Filmzuschauer beschreibt. Was für die Figur die Passage durch ein Trauma ist, hinter dem sich der Raum der Erinnerung öffnet, funktioniert für den Zuschauer als spiegelgleiche Umkehrung der Handlungsfolge des klas­ sischen Kriegsfilms: Dort nämlich ist die Agonie des Soldaten, das Shell Shocked Face, das letzte Bild, hier ist es an den Anfang gestellt. In der Raumsimulation des Chaos einer jedes individuelle Bewusstsein überfordernden Katastrophe bildet die Inszenierung dieses Gesichts die erste Kristallisation, an die sich nach und nach eine Episode anschließen kann, der Keim einer klassischen Kriegserzählung. Die gleiche Umkehrung vollzieht sich auch auf der Ebene des dramatischen Konflikts: Während die Anfangssequenz alle kinematografischen Darstellungsmittel auf bietet, um den unerträglichen Gewaltakt sinnlich greif bar werden zu lassen, der darin besteht, Leib und Leben der Einzelnen buchstäblich als Medium der Fortbewegung des Truppenkörpers einzusetzen, kehrt die Handlung des Films diese Ordnung um. Nicht der Einzelne stirbt für die ideelle Gemeinschaft, sondern der Auftrag, das Leben des Einzelnen zu retten, bringt fast der gesamten Truppeneinheit, dem als Suchtrupp eingesetzten Platoon, den Tod. Spielberg scheint mit dieser Fabel den moralischen Konflikt des klassischen Kriegsfilms in einer paradoxen Lesart des Gründungsakts der Nation aufzulösen: Das Recht des Einzelnen auf Leben, Freiheit und Glück, dieser höchste Wert 3 Vgl. Drehli Robnik, Körper-Erfahrung und Film-Phänomenologie, in: Moderne Film Theorie, hrsg. v. Jürgen Felix, Mainz 2002, S. 246-280.

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der politischen Gemeinschaft, wird durch den Opfertod unzähliger ­Einzelner gesichert und erhalten. Tatsächlich aber kehrt das Gesicht des weinenden Veteranen im Kreis seiner Familie das heroische Pathos des Shell Shocked Face um in ein sentimentalisches Bild des Gedenkens. Der Soldat, der an die Grabfelder zurückkehrt, gedenkt der letzten Worte ­seines Kommandanten: »Earn this.« – »Verdien es Dir.« Nachdem fast alle gefallen sind, damit ihm, James Ryan, das Recht auf Leben und Freiheit erhalten bleibt, erscheint einem dieser letzte Befehl so ungeheuerlich wie das Schlachtenbild zu Beginn des Films. Doch die Schuld, die dieser Überlebende zu begleichen hat, besteht einzig darin, den Auftrag des Platoons zu Ende zu bringen, für den die anderen gestorben sind: Er ist den Toten nichts weiter schuldig, als sein Leben und seine Freiheit zu nutzen, um sein Glück zu machen. Eben deshalb steht am Ende des Films nicht die Pathosformel des Shell Shocked Face, sondern das weinende Gesicht des Veteranen, eingefasst in eine sentimentalische Szene. Die Schlussszene von »Saving Private Ryan« hätte nicht besser eingerichtet werden können, um zu illustrieren, was Michael Fried mit der Figur des versunkenen Betrachters meint, die er am Ursprung bürgerlicher Kultur im Zeitalter der Empfindsamkeit verortet.4 Jedenfalls ruft der Film ein zentrales dramatisches Motiv dieses Zeitalters auf: Der überlebende Soldat am Grab der gefallenen Kameraden, sein Gesicht, die Tränen abgewandt von der Familie; die Frau, die Kinder, die Enkel stehen etwas abgerückt im Hintergrund, ihre Blicke auf den weinenden Mann gerichtet. Den Prototyp dieser Szene hat Diderot entworfen, als er das Theater der Empfindsamkeit als ein Medium der Übung bürgerlicher Gefühlskultur begründete. Die Familie, die sich am Sterbebett des Vaters versammelt und im einfühlsamen Blick auf den Sterbenden zu einer Gemeinschaft des gleichgerichteten Empfindens und Fühlens verschmilzt, galt es immer wieder neu zu re-inszenieren, um das Publikum in eben diesen Bund einzuschließen. In der medialen Wiederholung der beschriebenen Szene soll der anonymen Menge der Zuschauer jenes Gefühl vermittelt werden, das sie in eine Gemeinschaft einbindet. So gesehen ist dies die Urszene einer Kunst- und Unterhaltungskultur, die Medien einrichtet, um Affekte zu gestalten. »Saving Private Ryan« führt die Kriegsdarstellung zurück in diese Urszene sentimentalischer Gefühlskultur. Tatsächlich tritt noch die Familie des Soldaten Ryan, im Hintergrund des Bildes als Halbkreis positioniert, 4 Vgl. Michael Fried, Absorption and Theatricality. Painting and Beholder in the Age of Diderot, Berkeley 1980.

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dem Kinozuschauer als eine Gemeinschaft gegenüber, die ihn buch­ stäblich in ihren Kreis aufnimmt; sind sie doch verbunden durch den geteilten Blick auf ein und dieselbe Szene des Weinenden am Grab – so als schließe sich mit den Blicken des anonymen Publikums vor der Leinwand der Kreis der Gemeinschaft um das trauernde Gesicht. Die Montage löst mit einem Achsensprung die Figuration auf, um sie in einer kreisenden Einstellungsabfolge fest mit dem Symbol der Nation zu verbinden: die Flagge der Vereinigten Staaten. »Windtalkers« »Windtalkers« beginnt mit einem Prolog, der ein narratives Stereotyp des klassischen Kriegsfilms durchspielt: Joe Enders (Nicolas Cage), der Kommandant eines Platoons, zwingt seine Männer während eines vernichtenden Angriffs zum Durchhalten; Enders ist der einzige, der den Angriff überlebt, getroffen vom Granatenblitz, nur scheinbar tot. In der Umkehrung dieser Konstellation findet der Film am Ende seine Apotheose in einem anderen Stereotyp des Kriegsfilms, dem des sich opfernden Helden: Der Soldat, der seinen sterbenden Kameraden auf dem Rücken aus dem feindlichen Feuer trägt und dabei selbst den Tod findet. Diesmal ist es der Kommandant, der weiße Amerikaner, der sich opfert und seinem Freund, einem Navajo, das Leben rettet. Ich zitiere aus einer Inhaltsangabe: Im Pazifikkrieg werden die Marines Joe Enders (Nicolas Cage) und ›Ox‹ Henderson (Christian Slater) per Geheimbefehl abgestellt, als eine Art Leibwächter für die Funker Ben Yahzee (Adam Beach) und Charlie Whitehorse (Roger Willie) zu fungieren. Die beiden Navajos beherrschen einen speziellen Code, der auf keinen Fall in die Hände der Feinde gelangen darf. Die erbitterten Kämpfe um die Insel Saipan schweißen die Männer zusammen. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die beiden Beschützer der Code-Sprecher mit einer furchtbaren Frage konfrontiert werden: Würden sie wirklich bis zum Äußersten gehen, um den Code zu schützen?5 Der spezielle Code, das ist die Muttersprache der Native Americans, der Navajos. John Woo, der Regisseur, belässt es nicht bei dem Gedankenspiel, dass es ausgerechnet die Sprache der Ureinwohner ist, deren weitgehende Vernichtung am Ausgang der Nation steht, welche nun einen entscheidenden strategischen Vorteil im Kampf gegen die Japaner ver5 Inhaltsangabe der deutschen DVD-Ausgabe im Vertrieb von MGM.

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schafft. Auch der Umstand, dass die Navajos äußerlich weit eher den japanischen Feinden gleichen als ihren weißen Kameraden, ist mehr als nur eine anekdotische Pointe. Beides weist vielmehr auf ein grundlegendes Sujet des Genres, das »Windtalkers« bearbeitet. Wird im klassischen U. S.-Kriegsfilm doch regelmäßig die ethnische Heterogenität als ein grundlegendes Merkmal der amerikanischen Armee betont. Selbstredend verdankt sich dieser Topos den pragmatischen Erfordernissen der Propaganda während des Zweiten Weltkriegs, die es als geboten erscheinen ließ, möglichst alle Ethnien (mit der Ausnahme des afro-amerikanischen Soldaten) im Personal der Filme zu repräsentieren. Doch jenseits dieses pragmatischen Grunds weist der Topos auf das Gemeinschaftsideal einer Nation, die sich in ihrem politischen Selbstverständnis wesentlich durch die Integration aller Ethnien und Religionen definiert. Damit ist das eigentliche Thema des Films benannt. Nach und nach tritt bei einzelnen Soldaten eine je andere ethnische Abstammungslinie hervor; so dass die anfängliche Entgegensetzung von Navajos und weißen Amerikanern in eine Gruppe vieler Einzelner verschiedener Herkunft zerfällt. Zwischen diesen sind schließlich die Navajos die einzigen wirklichen Amerikaner, Native Americans. Die Idee einer Nation, deren Gemeinschaftsgefühl die Fremdheit der Ethnien und der Religionen überspannen soll, erfährt hier eine spezifische Wendung; in der Perspektive des Films ist die bedrohliche Fremdheit des Anderen nur eine Übergangserscheinung in der dynamisch sich ausweitenden Integration. So wie die anfängliche Zweiteilung des Platoons übergeht in eine heterogene Gruppe, die durch wachsende Freundschaftsbindungen zusammengehalten wird, erscheint noch der Krieg gegen die Japaner als eine weitere Etappe dieser Integration. Der Krieg wird zur Etappe der historischen Verwirklichung einer politischen Gemeinschaft, in der prinzipiell jeder zum Amerikaner werden kann.6 Diese Deutung des Krieges als Grund einer dynamischen Vergemeinschaftung hat in dem Film eine prägnante rhetorische Figur gefunden. 6 Auch Michael Wedel thematisiert »Windtalkers« als einen Film, in dessen Zentrum die Frage nach der Gemeinschaft steht. Allerdings rekurriert Wedel dabei vor allem auf die Theorien Jean-Luc Nancys. Damit unterscheidet sich sein Gemeinschaftsbegriff grundlegend von dem, was im vorliegenden Text als politische Gemeinschaft verstanden wird. Vgl. Michael Wedel, Körper, Tod und Technik, a.a.O. In der Perspektive, die ich hier zu entwickeln versuche, erscheint der Kriegsfilm tatsächlich als ein Genre, das zwei unvereinbare Gemeinschaftsmodelle konfrontiert: das der politischen Gemeinschaft und das der militärischen Gemeinschaft. Vgl. zum Begriff der militärischen Gemeinschaft: Hermann Kappelhoff, Shell shocked face, a.a.O.

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Nach jeder Schlacht – gleichsam zum Feierabend – sieht man den dezimierten Trupp bei den Gräbern der soeben Gefallenen: Hier plaudern die Soldaten, nachdem die Toten verscharrt sind, hier ruhen sie aus, hier erhalten sie ihre Auszeichnungen, hier geraten sie, verfolgt von den Stimmen der Toten, in Raserei, von hier aus brechen sie auf zur nächsten Schlacht. Man sieht, wie sich die Horde der Männer verwandelt: Aus ­lebendigen Körpern werden Felder aus Kreuzen und Stahlhelmen – während die Freundschaft zwischen den Überlebenden immer enger wird. Wie der Refrain einer Ballade strukturieren die wiederkehrenden Schlachten den Prozess der Vergemeinschaftung, wie ein Stundenschlag gliedert die zunehmende Zahl der Toten deren Werden. »Windtalkers« fokussiert diesen Prozess in den beiden Hauptfiguren: Joe Enders und Ben Yahzee. Ein Ringen, ein Kampf, der schließlich in der Fusion endet: Als Protagonist und Antagonist sind ihre Gesichter eingeführt: das eine leer, versteinert, die Maske einer erstickten Empfindungskraft – ein Shell Shocked Face; das andere offen, immer lachend. Es verbindet das Klischee asiatischer Weisheit mit dem der emotionalen Fülle des urstämmigen Menschen. Dieses Gesicht scheint alle Empfindungskräfte, die das andere verloren hat, in sich zu tragen. Joe Enders erhält denn auch deshalb den Auftrag, den Navajo zu schützen, weil er sich im Gehorsam bis zum Tod diese Versteinerung erworben hat. Ihm ist zuzutrauen, dass er den ihm Anvertrauten töten kann, falls dieser in die Hände des Feindes zu fallen droht. Sein Gegenstück hat dieses Melodrama der Freundesliebe in der Darstellung der Kriegshandlungen. Eine höchst mobile Kamera verbindet in rasanter Geschwindigkeit Serien nicht zuzuordnender Blicke mit verschwommenen, in sich bewegten Halbtotalen und verrissenen Schwenks zu einer kunstvollen Landschaft des Kriegs. Sie gipfelt in Totalen, die aussehen wie computertechnisch animierte Gemälde im Hightechrealismus. Es sind die Bilder des klassischen Hollywoodkinos, von den Western John Fords bis zu den Kriegsepen Sam Fullers, verfremdet durch die rhetorischen Übersteigerungen des gegenwärtigen Actionkinos. In der ­f inalen Rettungsaktion des Films kommen beide Seiten, das Melodrama und der Actionfilm, zusammen. In ihr verbinden sich der eingewanderte und der eingeborene Amerikaner buchstäblich zur Einheit eines Körpers, der sich mühselig aus dem Schlachtgetümmel des Kriegsfilms hinüberrettet in die melodramatische Apotheose des sterbenden Soldaten. Diese gibt dem weißen Amerikaner in der Erinnerung an seine Herkunft die Empfindungskraft zurück, die ihm der Krieg genommen hat. Enders’ Tod scheint die Ordnung umzukehren, die in den Mythen vom Werden Amerikas entfaltet wurde. Wenn das Ethos des militäri51

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schen Ehrenkodex, »no man left behind« – ein weiteres narratives Stereotyp des Genres –, in den sich mehrenden Grabstätten des Camps eine bittere Kommentierung erfährt, betrifft dies mehr als das Militär den Mythos vom Werden der amerikanischen Nation. Der Mythos vom ersten Amerikaner Der zurückgelassene Soldat – bedroht von Folter und Schändung – nimmt ein altes Motiv wieder auf, das in die Anfänge der amerikanischen Kultur zurückreicht: die Erzählung von den Leiden und der Marter der unter die Wilden gefallenen Gefangenen, das Phantasma der puritanischen ›Captivity Narrativs‹. Diese Figuration bildet – ich beziehe mich hier auf Winfried Flucks Funktionsgeschichte des amerikanischen Romans7 – gemeinsam mit zwei anderen Motiven das grundlegende Muster der Imagination des Geschichtlichen in der amerikanischen Populär­ kultur. Es ist dies zum einen das Motiv des Kampfes der Kulturen, der Auseinandersetzung mit der fremden, ›unzivilisierten Rasse‹, das auf die Indianerkriege weist; zum anderen das Motiv des Kampfes zwischen Freiheitsstreben und technokratischer Herrschaft im Innern der eigenen Kultur, das mit dem Unabhängigkeitskrieg verbunden ist. Alle drei Motive (Marter, Kampf der ›Rassen‹, Freiheit versus Technokratie) prägen den Kriegsfilm. So ist der Topos des Vietnamfilms, der »bittere, von seinen Leuten verratene Krieger, der die Fehler seiner Vorgesetzten erkennt und ihnen trotzdem dient«, keineswegs eine neue Figur; er ist eine Variation des ›Frontiersman‹, des Grenzers, wie er in den Romanen James Fenimore Coopers entsteht. In »The Deer Hunter« von Michael Cimino aus dem Jahr 1978 ist diese Verbindung bereits im Titel explizit. Der Jäger, der an der Grenze von Wildnis und Zivilisation, zwischen den Wäldern und den Siedlungen, zwischen den eigenen Leuten und der fremden ›Rasse‹ hin- und hergeht, ist die emblematische Figur der Geburt der amerikanischen Nation. Schon bei Cooper – in »The Last of the Mohicans« (1826) – ist die Mythologie dieser Figur mit der Ambivalenz der Schuld und der Trauer, mit dem Tod des eingeborenen Amerikaners verschränkt. »Windtalkers« inszeniert letztlich eine weitere Variation dieser Mythologie. So wie Spielberg die heroische Pathosformel des amerikanischen Kriegsfilms in einer sentimentalischen Szene aufzulösen sucht, überführt 7 Winfried Fluck, Das kulturelle Imaginäre. Eine Funktionsgeschichte des amerikanischen Romans 1790-1900, Frankfurt am Main 1997.

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»Windtalkers« die mythologische Szene in eine melodramatische Figuration der Verschmelzung. Anders aber als bei Spielberg ist es keine ver­ innerlichende Erinnerungsszene, sondern eine analytisch-ironische Anordnung. Sie weist eher auf aktuelle Auseinandersetzungen innerhalb der Gesellschaft denn auf die Geschichte des Zweiten Weltkriegs. »Windtalkers« bezieht das Zugehörigkeitsgefühl einer politischen Gemeinschaft, die sich weder auf eine ethnische noch eine religiöse Einheit gründet, auf die mythologische Rede vom Krieg der Rassen, die ein Fundament dieser Gemeinschaft bildet. Er lässt so die Vergemeinschaftung selbst als einen zutiefst ambivalenten Gewaltprozess erscheinen, einen sich ständig verschiebenden Frontverlauf zwischen dem Selbstbild und dem Feindbild. Diese Perspektive wird, ähnlich wie bei Spielberg, in der rahmenden Schlussszene noch einmal gebrochen. Wenn am Ende – vor der grandiosen Kulisse des Monument Valley, das im Westerngenre zur ikonografischen Signatur des amerikanischen Mythos wurde – Private Ben Yahzee das Trauerritual der eingeborenen Amerikaner vollzieht, geschieht auch dies unter den Augen seiner Frau und seines Sohnes. Die Familie in traditioneller Kleidung erscheint in der Kulisse so vieler »Indianerkriegsfilme« wie ein höchst irreales Wunschbild, das die Geschichte Amerikas in der Spiegelung des Kinos auf ähnliche Weise korrigiert, wie Spielberg es mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs tut. Bei Spielberg bezieht die gemeinschaftsstiftende Trauerszene den amerikanischen Europafeldzug auf die vereinzelt geretteten Überlebenden des Holocaust.8 Bei John Woo erscheint die Dominanz der ›weißen Rasse‹ nur als eine vorübergehende Erscheinung im Werden der Nation. »Saving Private Ryan« und »Windtalkers« fragen nach der Idee Ame­ rikas, der Idee einer demokratischen Nation angesichts ihres geschicht­ lichen Schicksals und ihrer gegenwärtigen gesellschaftlichen Konflikte. Sie rekonstruieren dabei die poetische Logik und das Sujet eines Genres, das unmittelbar aus der politischen Auseinandersetzung um den Eintritt Amerikas in den Zweiten Weltkrieg entstand. Auf je eigene Art wird das Kriegsfilmgenre als eine ästhetische Erfahrungsform des Historischen greifbar, das eng mit dem Ideal politischer Gemeinschaftsbildung ver8 In seiner Arbeit zum Combat-Film hat Drehli Robnik überzeugend ausgeführt, dass Spielberg den Europafeldzug in den simulierten Erinnerungsakten des Blockbusterkinos als Aktion zur Rettung der Juden re-inszeniert. Vgl. Drehli Robnik, Kino, Krieg, Gedächtnis. Affekt-Ästhetik, Nachträglichkeit und Geschichtspolitik im deutschen und amerikanischen Gegenwartskino (unveröffentlichte Disser­ tation, Universiteit van Amsterdam 2007).

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bunden ist, auf das sich die amerikanische Nation in ihrem Selbstbild ­beruft. Am Ende eines Jahrhunderts der zerstörerischsten und verwerflichsten Kriege, in denen die moralische Bewährung ebenso triumphal wie das moralische Versagen vernichtend war, versuchen die Filme, die Basis eines Gemeinschaftsgefühls zu ergründen, das die Einzelnen an eine ­Nation bindet. Eine Nation, die sich keinen anderen Zweck gesetzt hat, als die Freiheit, das Leben und das Glück eben dieser Einzelnen zu schützen. Ich möchte dies noch etwas genauer ausführen. Richard Rorty und der Pursuit of Happiness Zur gleichen Zeit, als »Saving Private Ryan« in die Kinos kommt, veröffentlicht Richard Rorty eine ebenso engagierte wie kritische Vorlesung über das Denken der amerikanischen Linken. Sein Buch »Achieving Our Country« konstatiert ein fundamentales Versagen der Linken – zwei Jahre, bevor George W. Bush Junior zum Präsidenten der Vereinigten Staaten wurde, und inmitten einer Epoche scheinbar unbegrenzt wachsenden Wohlstands. Die amerikanische Linke habe, so die Diagnose, im Bruch mit dem Sense of Community der amerikanischen Nation ihre politische Handlungskraft eingebüßt.9 Nach Vietnam sei sie in kritischer Distanz zum eigenen Land verblieben und habe sich auf eine Zuschauerrolle beschränkt, anstatt ihre ebenso notwendige wie unerledigte Agenda weiterzuentwickeln. Zwar gesteht Rorty zu, dass der Bruch mit dem ­Establishment der Demokraten während der Auseinandersetzungen um den Vietnamkrieg ebenso berechtigt wie notwendig war. Doch verurteilt er den moralischen Rigorismus, mit dem die Linke den Grundkonsens der amerikanischen Nation selbst aufgegeben habe, um sich auf eine ebenso fundamentalistische wie akademische Kulturkritik zurückzuziehen. Sie habe zwar in dem pädagogischen Bemühen, die rassistischen und sexistischen Diskriminierungen zurückzudrängen, Erhebliches geleistet; doch sei sie vom Gründungsprojekt Amerikas abgerückt: der ­steten Verwirklichung der demokratischen Nation. Damit sei auch der spezifische historische Beitrag der Linken zu diesem Projekt verworfen worden. Dieser bestehe immer noch und immer dringlicher in der so­ zialpolitischen Agenda, mit der die Gründungsidee der Nation historisch eine entschieden neue Richtung bekam. Rorty entfaltet seine Diagnose, indem er diese sozialpolitische Fortentwicklung der Idee des Pursuit of 9 Richard  Rorty,  Achieving Our Country:  Leftist Thought in Twentieth-Century America, Cambridge 1998, S. 65 f.

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Happiness aus der Tradition der amerikanischen Philosophie ableitet: William James, Walt Whitman und vor allem John Dewey sind die ­Gewährsleute eines philosophisch begründeten »Partriotismus«, der die Idee der amerikanischen Nation als ein universelles Prinzip demokra­ tischer Gesellschaften begreift. Der Gründungsakt der Nation wird als ein historischer Auftrag verstanden, mit dem sich das politische Handeln in einen offenen Geschichtsprozess gestellt sieht, innerhalb dessen diese Idee zu verwirklichen sei – oder auch nicht. Rorty betont, wie sehr der Gedanke einer geschichtlich zu verwirklichenden Nation gerade aus der Kritik des teleologischen Geschichtsverständnisses und des metaphysisch-religiös motivierten Gemeinschaftsmodells entsteht. Das Recht des Einzelnen auf Freiheit, Leben und das Streben nach Glück ist kein ge­ gebener Besitzstand des Landes, sondern eine moralische Orientierung des politischen Handelns in eine ungewisse, aber gestaltbare Zukunft: »Achieving Our Country«. Dieses Handeln selbst freilich vollzieht sich in den begrenzten Horizonten kleinteiliger Prozesse gesellschaftspolitischer Interventionen. Es begreift sich als die stets notwendige Verbesserung real gegebener Verhältnisse. In dieser Perspektive ist die sozialpolitische Interpretation des Pursuit of Happiness ein entscheidender Schritt in der langen Geschichte der Neubestimmungen der Nation. Dieser Schritt wäre auf der gleichen Ebene anzusiedeln wie die Überwindung der Sklaverei, das Bewusstsein für den Genozid an den Native Americans, die Antivietnam- und die Bürgerrechtsbewegung. Mit der moralisch durchaus legitimen Distanzierung von der Nation sei eben auch das historische Versprechen aufgegeben worden, das die Gründung der USA gerade für jene darstellt, denen die ­unveräußerlichen Rechte jedes Menschen vorenthalten werden: Es sei möglich, staatliche Gemeinwesen zu formen, deren Regierungen keinen anderen Zweck verfolgen, als die Bürger in ihrem Leben und ihrer Freiheit so zu schützen, dass sie sich in ihrem Handeln als glückliche Menschen verwirklichen können. In ihrem Buch »Über die Revolution« (»On Revolution«, 1963) ent­ wickelt Hannah Arendt diesen Begriff politischen Handelns mit Blick auf die Amerikanische Revolution.10 Eine demokratische Gemeinschaft kann ihren Zusammenhalt weder auf eine naturwüchsig-ethnische noch eine religiöse Zugehörigkeit gründen. Sie basiert auf nichts anderem als auf dem revolutionären Gründungsakt, der einen Anfang freien politischen Handelns setzt. Im revolutionären Akt der Unabhängigkeitserklärung ist der Anfang eines politischen Handelns gesetzt, das sich in eine 10 Hannah Arendt, On Revolution, New York 1963.

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unbestimmte Zukunft hinein richtet. Ungewiss deshalb, weil dieser ­Anfang stets angewiesen bleibt auf sich anschließende politische Handlungen. Die demokratische Gemeinschaft kann sich nur in den Verzweigungen zahlloser Einzelhandlungen in die Zukunft hinein verwirklichen. In diesem Verständnis bezeichnet die Amerikanische Revolution für ­Arendt den Anfang der westlichen Demokratie. Im Grundsatz des Pursuit of Happiness ist dieser Anfang als ein sich aus sich selbst begründendes Handeln gesetzt. Versteht Arendt dieses Glück doch wesentlich als das Recht und die Möglichkeit, sein persön­liches Streben im Raum der Öffentlichkeit als politisches Handeln zur Geltung zu bringen. Mit diesem Grundsatz ist ein universelles Freiheitsideal in die politische Welt gebracht, das genau soweit geschichtliche Wirklichkeit werden kann, wie es für gegenwärtige und zukünftige Bürger zur Handlungsmaxime wird. Es sind also zwei Axiome, die mit dem Ideal der politischen Gemeinschaft verbunden werden: Die universelle Idee freien politischen Handelns in einem offenen geschichtlichen Horizont und das Zugehörigkeitsgefühl zu einer politischen Gemeinschaft, das sich auf nichts anderes stützt als den revolutionären Gründungsakt, mit dem diese universelle Idee als Anfang eben dieser Gemeinschaft gesetzt worden ist. Die U. S. A sind so gesehen eine Nation, in der Demokratie kein gegebener Zustand ist, sondern eine in einem revolutionären Anfang gesetzte geschichtliche Möglichkeit. In diesem Sinne betonen sowohl Rorty als auch Arendt die Universalität der Idee Amerikas gegenüber kulturalistischer Relativierung. Der Sense of Community dieser Nation kann eben deshalb zutiefst destruktive Regierungen, ja noch das moralische Versagen der gegen­ wärtigen Gesellschaft überspannen, weil weder das eine noch das andere mit der geschichtlichen Realität der politischen Gemeinschaft identisch ist. Die moralisch nicht versagende Gesellschaft kann es so wenig geben wie gute oder saubere Kriege. Aber es kann überhaupt keine demokra­ tische Gesellschaft geben ohne die affektive Bindung von Einzelnen an eine in diesem Sinne verstandene politische Gemeinschaft. Das Gemeinschaftsgefühl ist die Bindung, mit der das partikulare Handeln Einzelner sich anschließt an eine endlos sich verzweigende Handlungsfolge; es lässt noch die geringste politische Aktion in das geschichtliche Werden einer politischen Gemeinschaft einfließen: ein Strom ohne Ufer. In diesem Sinne scheinen mir auch »Saving Private Ryan« und »Windtalkers« an dem Vorhaben Anteil zu haben, das Richard Rorty in seiner Vorlesung entwickelt. Die Krise des Sense of Community bezeichnet für diese Filme das gesellschaftliche Feld ihrer ästhetischen Intervention. Sie zielen auf eine Reaktivierung der affektiven Bindungen an die Nation, 56

die fil mische komposition eines mor a lischen gefühl s

nicht ohne der Idee der Nation eine neue Richtung zu geben. Die Filme stehen dabei in einer Tradition politischen Denkens, die Richard Rorty noch einmal scharf konturierte und die Hannah Arendt als Gegenmodell zur abendländischen Philosophie verstand. Lassen sie doch die amerikanische Nation – bei allem moralischen Versagen, aller Gewalt und aller Schuld – in der Fluchtlinie geschichtlichen Werdens als ein universelles Versprechen erscheinen, das an alle Menschen gerichtet ist. Sie tun dies freilich nicht im Sinne des diskursiven Räsonnements, sondern als affektstrategische Intervention in die mediale Ökonomie der Gemeinschaftsgefühle: »Saving Private Ryan« und »Windtalkers« sind Reparaturarbeiten am Sense of Community.

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Das Wissen des Films Gewaltinszenierungen in Kriegsfilmen (»Saving Private Ryan«, »Black Hawk Down«, »Inglourious Basterds«) I. Affektmodulation und Verfahrenswissen Neben all dem, was Filme aus Allgemein- und Spezialwissen bis hin zur Simulation künftiger Welten zu integrieren vermögen, ist es auch immer wieder das Wissen über die eigenen Verfahrenstechniken, das den Beobachter zuweilen zu überraschen vermag. »Denn was geschieht«, fragten sich Thomas Elsaesser und Malte Hagener in Rückblick auf die Ap­ paratus-Debatte und angesichts des ausgestellten Okularzentrismus in Filmen von Stanley Kubrick, Steven Spielberg oder Jonathan Demme, »wenn die Filme selbst ein theoretisches Modell derart inszenieren und zur Schau stellen, dass kaum ein Zweifel an ihrer Kenntnis dieses Modells bleibt?« – »Die Theorie blickt […] aus dem Film zurück«, ist eine Antwort.1 Eine andere wäre: Der Film weiß schon immer um seine Verfahren, bevor die Metareflexion ihn einholt. Solche Verfahrenskenntnis an Gewaltinszenierungen in Kriegsfilmen demonstrieren zu wollen, scheint auf den ersten Blick gewagt. Immerhin geht es hier doch vor ­allem darum, den Zuschauer möglichst effektvoll in die Handlung zu involvieren und dabei die Reizschwellen für die Affektstimulierung so zu setzen, dass sie dem aktuellen Standard entsprechen, besser noch: neue Paradigmen der Gewaltinszenierung filmisch formulieren. Doch gerade an der Affekt-Maschine des Action-Kinos mit Anspruch auf faktische oder auch kontrafaktische Geschichtsrepräsentation lässt sich zeigen, dass dieses Kino immer auch das Wissen über seine Modulierungsmodelle der Affekte ausstellt oder im besten Fall sogar selbstreflexiv vernetzt. Der beste Fall wäre etwa die Hubschrauberangriffssequenz aus Francis Ford Coppolas »Apocalypse Now« (USA 1979): ein Drama im Drama, dreiaktig, mit einer Exposition, die mit weichen Überblendungen und in vollendeter Schönheit der Objektbewegungen das Kampf­ geschehen einleitet, das bis zur Peripetie der Handlung im zweiten Akt durch Richard Wagners »Walkürenritt« in eine Ästhetik des Erhabenen überführt wird, um schließlich einer eher nüchternen Katastrophe im 1 Thomas Elsaesser/Malte Hagener, Filmtheorie zur Einführung, Hamburg 2007, S. 143.

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dritten Akt zu weichen, dem Sieg der amerikanischen Einheit. Eine Schlacht aus dem Geist der Oper und damit auch eine Inszenierung im Doppelsinn: als Kriegstheater, das tatsächlich wie eine Theaterinszenierung daherkommt, ohne jedoch die Regeln des Action-Kinos zu verletzen. Für Irritierung sorgen die angespielten Referenzen, die sich palimp­ sestartig auf drei Ebenen überlagern. Da sind zum einen die biblischen Anspielungen auf die Reiter der Apokalypse, die durch den zum Angriff blasenden Trompeter zugleich mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg und der Rolle der Hubschraubereinheiten als fliegende Kavallerie verbunden sind. Wobei Wagners »Walkürenritt« nicht nur diffus auf den BayreuthKult im »Dritten Reich« verweist, sondern jene Wochenschau zum Luftlandeunternehmen in Kreta zitiert, in der sich deutsche Formationen unterlegt mit dem »Walkürenritt« erheben. Gleichzeitig wird aber auch David Wark Griffith’ »Birth of a Nation« (USA 1915) wachgerufen, der finale Ritt der Clansmen zu Wagners Klängen, womit wiederum ein Gründungsmythos der amerikanischen Nation angespielt wird. Eine gezielt über­codierte Sequenz, die sich nahtlos in das Projekt fügt, mit Referenz auf Joseph Conrads »Heart of Darkness« in Gestalt einer als Vietnamfilm daherkommenden hard-boiled-detektive-story das Archaische der Gewalt im Herzen europäisch-amerikanischer Zivilisation auszuloten. Im Folgenden werden jedoch weniger solche selbstreflexiven Kabinettstücke des Kriegsfilms interessieren. Es geht mir darum, das Verfah­ renswissen und seine Paradoxien an drei Beispielen zu verfolgen: dem Bemühen, Effekte des Authentischen herzustellen (Steven Spielbergs Inszenierung des D-Days in »Saving Private Ryan«, USA 1998); dem Anspruch, Kriegsereignisse dokumentarisch zu rekonstruieren (Ridley Scotts »Black Hawk Down«, USA 2001); und der bewussten Missachtung aller Regeln des Authentischen oder Dokumentarischen in Quentin Tarantinos kontrafaktischer Pulp-Fiction des Zweiten Weltkriegs »Inglourious Basterds« (USA/Deutschland 2009). II. Saving History. Spielbergs Authentizitätseffekte Spielberg, so hieß es, bald nachdem »Saving Private Ryan« angelaufen war, habe vor allem durch die zwanzigminütige Eingangssequenz zur Landung in der Normandie das Genre »radikalisiert«.2 Von einem »Damm­bruch« der Gewaltinszenierung war die Rede.3 2 Rainer Rother, Wann hat der Krieg Sinn? Kriegsfilme nach 1945: Zwischen politischer Haltung und gelungener Erzählung, in: »FAZ«, 19.05.2001. 3 Lars-Olav Beier, Helden auf verlorenem Posten, in: »Der Spiegel«, 25.03.2002.

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Die Sequenz wird eingeleitet durch einen Zoom auf die Augen des geretteten Private Ryan, der sich als alter Mann auf einem Soldatenfriedhof in der Normandie erinnert. Und sie endet mit einer Nahaufnahme der Augen Captain Millers (Tom Hanks), dem die Erinnerung gilt. »Ich habe es gesehen!«, lautet die filmische Beglaubigungs- wie Verpflichtungsformel, womit in dem Szenario massenhaften anonymen Kämpfens und Sterbens zugleich gesichert wird, das Geschehen an eine zentrale Iden­ tifikationsfigur zu binden. Was sich zwischen diesen beiden Einstellungen vollzieht, bleibt bemerkenswert. Tatsächlich gelang es Spielberg, den Zuschauer in neuer Weise in das Kampfgeschehen zu involvieren. Dafür waren kaum die seit dem Vietnamfilm vertrauten Splatter- und Schockeffekte verantwortlich oder der infernalische Lärm, der den Zuschauer im Dolby-Surround-Verfahren attackierte. Es war insgesamt ein neues filmisches Muster, den Zuschauer ein Kampfgeschehen so miterleben zu lassen, als wäre er »dabei«. Dabei hält Spielberg das Schema des Continuity-Editings sehr genau ein. Jede Situation im Handlungsraum bleibt zeitlich wie räumlich plausibel. Korrekturen betreffen vor allem die Kamera als Erzählinstanz. Es gibt die auktorialen Einstellungen: jene, die wiederholt als Establishingund Re-Establishing-Shots die räumliche Orientierung sichern, und jene, die kommentierend etwa die Angst der Protagonisten in Szene setzen: die zitternde Hand in Großaufnahme, noch bevor Tom Hanks als Captain Miller ins Bild geschwenkt wird. Es gibt die personalen, extrem subjektivierten Einstellungsfolgen, in denen das Geschehen aus der Sicht des Captains vermittelt wird. Neben dem konventionellen Bildmuster des Shot/Reaction-Shot wird die subjektive Sicht vor allem auf der Tonschiene deutlich gemacht. Der Gefechtslärm weicht einem pulsierenden Pfeifton als dem auditiven Wahrnehmungsbild des Protagonisten. Und es gibt – als dominantes neues Muster – die Simulation von News-ReelEinstellungen, also einer personalen Erzählweise, die aber nicht mehr an einen sichtbaren Protagonisten gebunden ist, sondern die Kamera und damit auch den Zuschauer zum Mitagierenden macht. Es sind diese Aufnahmen, die immer wieder das Schema des Continuity-Editings durchbrechen. Diskontinuität wird hergestellt, indem die Erzählinstanzen auf dem Schlachtfeld verteilt werden. »Live« kann der Zuschauer gleichsam aus der Perspektive mehrerer Kriegsberichterstatter miterleben, wie die Männer über Bord springen und die Kamera dabei ebenso untertaucht wie die verzweifelten Soldaten. »Live« ist er dabei, wenn sich die Kamera Deckung suchend den rettenden Dünen nähert oder in Reißschwenks von einer Sensation zur nächsten taumelt. Die Kamera wackelt und ­ruckelt, die Bilder wirken oft betont unkomponiert, haben zu viel Kopf60

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raum oder landen bei Schwenks im scheinbar Nebensächlichen. Die Aufnahmen sind teils schlierig verschwommen, haben Streiflichter, sind dann aber wieder unvermutet klar. Es handelt sich um eine produktionstechnisch aufwendige Simulation des Fronterlebnisses, die in Rekurs auf die Ästhetik der Kriegsberichterstattung Effekte des Authentischen herzustellen sucht. Gezielt orientierte sich Spielberg an Kriegsaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Entscheidung, in Farbe zu drehen und nicht wie in »Schindlers Liste« (USA 1993) die historische Referenz durch Schwarzweiß-Material abzusichern, war wesentlich in dem Umstand begründet, dass die Farbaufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg in der zeitgenössischen Rezeption einen immer höheren Stellenwert zu spielen begannen. Nur mussten, zumindest für die Kampfaufnahmen, die Bilder farblich ent­sättigt werden, um sich den historischen Vorbildern anzunähern: deshalb die fahlen, blaustichigen Aufnahmen mit den gedämpften leitmotivischen Rottönen. Es wurden Objektive eingesetzt, um die Kontrastund Farbwiedergabe zu verschlechtern; kurze Brennweiten verwandt, um Blutspritzer auf dem Objektiv sichtbar zu machen; Shutter-Effekte eingesetzt, um visuelle Effekte zu simulieren, die den Aufnahmen der alten Bell & Howell-Kameras alliierter Berichterstatter aus dem Zweiten Weltkrieg entsprachen; für die Aufnahmen mit der Handkamera wurde ein Image-Shaker benutzt, um die Bilder gebührend zittern zu lassen, und schließlich auch noch ein erstmals für Stanley Kubricks »Full Metal ­Jacket« (USA /Großbritannien 1987) entwickeltes Verfahren verwandt, um einen fehlerhaften Transportmechanismus der Kamera zu simulieren. Der historische »Look« der Aufnahmen musste garantiert sein. Radikalisiert hat Spielberg das Genre insofern, als er das filmische Wahrnehmungsdispositiv in neuer Weise für die Darstellung kriege­ rischer Gewalt zu nutzen vermochte. In der Kombination von Continu�������� ity-Editing, Bindung an die Sicht des Protagonisten und schockhafter News-Reel-Ästhetik, unterstützt durch Sound-Effekte, die die jeweiligen Erzählpositionen unterstützen, kann sich der Zuschauer dem Kampf als »innerem Erlebnis« kaum noch entziehen.4 Ästhetisch hat der Film das Genre nicht unwesentlich beeinflusst, indem das Kampfgeschehen in Filmen wie »Windtalkers« (John Woo, USA 2002) oder »We were Soldiers« (Randall Wallace, USA 2002), aber auch Scotts »Black Hawk Down« die Protagonisten und damit auch die Zu4 Ganz abgesehen von den Effekten, die unterhalb der Apperzeptionsgrenze liegen: etwa den computeranimierten Leuchtspurgeschossen, die gerade für ein Bild zu sehen sind, und sich daher nur im laufenden Film tatsächlich bewegen.

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schauer immer wieder an die Grenzen ihrer Apperzeptionsfähigkeiten führt. Auch thematisch war er nicht weniger erfolgreich, indem er die amerikanische Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg in zweierlei Hinsicht aktualisierte: durch die schon in der Rahmenhandlung an­ gelegte Verbeugung vor den Leistungen der Erlebnisgeneration und durch die mehr oder weniger versteckte Anspielung auf den Holocaust als ethische Rechtfertigung nicht nur der erbrachten Opfer, sondern auch des Ausagierens exzessiver Gewalt. Lässt sich »Der längste Tag«, der US-Film zur Landung in der Normandie von 1961, als eine Art Völkerverständigungsprojekt im Zeichen der Nato verstehen, bei dem gleich drei Regisseure für die jeweils national kom­patible Sicht der Vergangenheit garantierten (Ken Annakin, Andrew Marton und Bernhard Wicki), so gilt es in Spielbergs Neu­ auflage der Ereignisse, das absolut Böse zu bekämpfen. Dafür wird eigens eine jüdische Bezugsfigur eingeführt, Privat Stanley »Fish« Mellish (Adam Goldberg), der sich mit der siebenköpfigen Gruppe um Captain Miller auf die Odyssee durch das umkämpfte Terrain begibt, um den einen, Privat Ryan, zu retten. Eingeführt wird Mellish, als er am Ende des ersten Kampftages von einem Kameraden einen Dolch der Hitlerjugend erhält, den dieser einem gerade erschossenen Deutschen abgenommen hatte. »Genau das Richtige für das Schabbat-challot«, kommentiert Mellish, womit er auf das Teilen des Brotes am Vorabend des heiligen Ruhetages verweist und damit eine Bedeutungskette in Gang setzt, die ihn als Opfer präfiguriert. Es wird genau dieses Messer sein, das ihm den Tod bringen wird. Die finale Tötungsszene bildet neben der Eingangssequenz die zweite bemerkenswerte filmische Innovation. Mellish kämpft mit der einzigen personalisierten Figur unter den angreifenden Deutschen: »SteamboatWillie«, dem zur Exekution bestimmten, durch Miller jedoch freigelas­ senen Soldaten, der sich als fanatischer Kämpfer bis zuletzt erweist. Er wird nicht als Nazi stigmatisiert, aber als Prototyp des unbelehrbaren Deutschen herausgestellt, was in der Deutungsperspektive des Films indes auf das Gleiche hinausläuft. Der Kampf, in dem der Deutsche dem Juden das Messer entwindet und ihm fast behutsam in das Herz führt, kommt einem pervertierten Liebesakt gleich. Während zuvor das Blut des Juden auf das Gesicht des Deutschen rann, ist es am Ende dessen Schweiß, der auf das Blut des Opfers tropft. »Gib auf. Du hast keine Chance. Lass es uns beenden«, flüstert der Deutsche, während sich das Messer dem Brustkorb nähert. »What’s up? What’s up? Stop !«, doch das Eindringen des für den Sabbat bestimmten Stahls kann Mellish nicht verhindern: »Es ist einfacher für Dich. Viel einfacher. Du wirst sehen: Es 62

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Abb.  1: Mellishs letzter Kampf. »Saving Private Ryan«. Screenshot.

ist gleich vorbei.« Es ist diese Szene, die alle Opfer rechtfertigt, und am Ende selbst Privat Upham, den pazifistischen Bystander aus Millers Gruppe, dazu bringen wird, diesen einen Deutschen zu erschießen und alle anderen freizulassen: eine Vorausdeutung auf die Nürnberger Prozesse. Doch auch eine christologische Dimension ist eingezogen. Der Scharfschütze im Team Millers, Private Daniel Jackson (Barry Pepper), versichert sich vor jedem seiner erfolgreichen Schüsse des Beistands Gottes, bis ihn das Urteil in Gestalt einer Granate erreicht. Bei seiner Fixierung auf kleine, bewegliche Ziele hatte er den Panzer übersehen. Es trifft ihn ausgerechnet im Glockenturm einer Kirche, von dem er zuvor die Feinde in Serie erschossen hatte. Wobei Miller wohl nicht zufällig mit sieben Soldaten zu seiner Mission aufgebrochen ist. Numerisch verweisen sie auf den Tag des Sabbats, der den Captain als Überzähligen in einer Melange jüdisch-christlicher Tradition zum Opfer bestimmt, das sterbend seine letzte Botschaft an den geretteten Ryan übermittelt: »James … earn this. Earn it.« Dabei wird er keineswegs als Christusfigur ausgestaltet, sondern eher tragikomisch akzentuiert, wenn er, bereits tödlich verwundet, einen deutschen Panzer mit Pistolenschüssen bedenkt, während die tatsächliche Erlösung in Gestalt von P-51-Mustangs erfolgt. Ein Him­ melsurteil auch dies, aber doch angebunden an die militärhistorische Plausibilität in Zeiten beinahe uneingeschränkter alliierter Lufthoheit. Nicht nur filmästhetisch, auch vergangenheitspolitisch war »Saving Private Ryan« wirkungsvoll. In den USA wurde der Zweite Weltkrieg als 63

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Referenz zu heroischer Vergangenheit wiederentdeckt, vielleicht auch deshalb, weil sich mit Bezug auf das absolut Böse, wofür der Zivilisa­ tionsbruch des Holocaust das geschichtliche Paradigma schlechthin bot, die Gegenwart in einem anderen Licht zeigte. Jedenfalls initiierte Spielbergs Film die auch international erfolgreiche zehnteilige Fernsehserie »Band of Brothers« (USA 2001), die einer amerikanischen Fallschirm­ jägereinheit auf ihrem Weg von der Normandie bis zum Obersalzberg in Berchtesgaden folgt. Die Drastik der Kriegshandlungen wie das termi­ natorische Selbstverständnis einiger Protagonisten finden ihren legitimatorischen Fluchtpunkt in der neunten Folge mit dem Titel »Why We Fight«, eine Allusion an jene berühmte Filmserie von 1942-45, für die das amerikanische »Office of War Information« namhafte Hollywood­ regisseure verpflichtet hatte. Nur wird nun das gezeigt, was sich damals noch außerhalb des Deutungshorizonts befand. Auf ihrem Weg zum Obersalzberg befreit die Einheit im März 1945 ein Konzentrationslager mit jüdischen Häftlingen, wodurch den inzwischen kriegsmüden Helden der Sinn ihres Handelns vor Augen geführt wird: Ihr Kampf erlöst die Welt. Die Spielentwickler, die in solchem Boom die Chance erkannten, einen massenwirksamen historischen Stoff mit dem Thrill von EgoShooter-Simulationen zu verbinden, interessierten sich weniger für solch ethische Fundierung der Kampfsituationen. Interessant war allein die Kampfposition, und so bildete weniger die Massenschlachtung in Spielbergs Eingangssequenz die Vorlage, sondern der finale Kampf an der Brücke mit jener Handvoll Soldaten, die einen übermächtigen Feind bekämpfen müssen. Grafisch anspruchsvoll, der filmischen Vorlage erstaunlich angenähert, ist das Szenario in der jüngsten, 2010 erschienenen Adaption nachzuspielen: »Saving Private Ryan« als einer Folge der von Relic Entertainment herausgegebenen Reihe »Company of Heroes«, die »Strategie«-Spiele zum Zweiten Weltkrieg versammelt. III. Ego-Shooting in Mogadischu. Das Schlachtfeld als Bildschirm Hatte die Spielindustrie schon früh auf Spielbergs Weltkriegsepos reagiert, so scheint andererseits Ridley Scotts Bemühen, mit dokumenta­ rischer Genauigkeit für Authentizität zu bürgen, durch die Ästhetik der Computerspiele beeinflusst zu sein. Wie Spielberg stand Scott zunächst vor dem Problem, eine Handvoll identifizierbarer Charaktere zu ent­ wickeln. Die Ereignisse in Mogadischu am 20. und 21. Oktober 1993 ­sollten nachgestellt werden: ein 18 1⁄2-stündiger Einsatz amerikanischer Truppen gegen Anhänger des lokalen Machthabers Mohamed Farrah ­Aidid. Es war ein mehr oder weniger gescheitertes Unternehmen, Ver64

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Abb. 2: »Black Hawk Down«. Screenshot.

traute Aidids gefangen zu nehmen, das sich zum bis dahin heftigsten ­Gefecht amerikanischer Truppen seit den Tagen des Vietnamkrieges entwickelte. Beteiligt waren, wie die Romanvorlage von Mark Bowden sorgfältig rekonstruiert hatte, auf amerikanischer Seite über 100 in die Ereignisse involvierte Hauptfiguren.5 Um die Story einigermaßen ko­ härent erzählen zu können, musste das Personal reduziert werden. Nach vielen Drehbuchentwürfen blieben immer noch 37 Figuren, um die zentralen Ereignisse »authentisch«, so der Anspruch, nachspielen zu können. Und das waren nach gängiger Dramaturgie mindestens 30 zu viel. So versucht Ridley Scotts »Black Hawk Down«, in der ersten halben Stunde neben einer Einführung in die historischen Umstände einige der Figuren mit persönlichen Merkmalen auszustatten, auch um Empathie für einige der späteren Opfer zu erzeugen. Doch entwickeln sich aus dieser Personalisierung keine Konflikte, die in der späteren Kriegshandlung von Bedeutung wären. Vor allem reicht die Kurzvorstellung mancher Figuren bei weitem nicht, um sie in den späteren Kämpfen identifizieren zu können, zumal sich die Soldaten in ihren Kampf­anzügen ohnehin zum Verwechseln ähneln. Ein Ausweg bestand darin, auf die Helme, vorne und hinten, den Namen zu schreiben, zumal so etwas in Vietnam zuweilen vorgekommen sein soll. Gelöst war damit aber noch nicht das Problem personalisierter Identifikationsangebote, das sich letztlich doch wieder auf eine kleine Zahl herausgehobener Protagonisten beschränkte. Entscheidender jedoch ist der ästhetische Effekt dieser dramatur­ gischen Vorentscheidungen. Wenn sich bei Spielberg die Schlacht 20 Minuten lang und immer nur peripher rückgebunden an die zentrale Iden5 Mark Bowden, Black Hawk Down – Kein Mann bleibt zurück (Originaltitel: Black Hawk Down), München 2002.

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tifikationsfigur entfaltet, um erst danach die Charaktere zu entwickeln, wird der Zuschauer bei Ridley Scott 90 Minuten lang einem Gefecht ausgeliefert, in das er vor allem situativ einbezogen wird: in einer Abfolge schier unablässiger Kampfsensationen, in denen die Charaktere, so sie nicht vorzeitig sterben, allmählich Profil gewinnen. Der »Look« des in Marokko, in Salé und einem Arbeiterviertel Rabats, gedrehten Films sollte dokumentarisch sein. Deshalb wurden für die ­Szenen bis zu elf, im Mittel immerhin noch sechs Kameras eingesetzt. Keineswegs versuchte Scott jedoch, eine News-Reel-Ästhetik zu imitieren. Die Kameraarbeit (Stativ- und Handkamera) bleibt konventionell und orientierte sich, wie Scott im Audiokommentar der DVD-Edition erzählt, an seinen Erfahrungen mit Live-Übertragungen von Theater­ aufführungen: der genauen Planung von Kamerastandpunkten und ­-bewegungen in Relation zu den Handlungsachsen. Alle subjektiven ­Perspektiven oder identifikatorischen Kamerapositionen bleiben den amerikanischen Protagonisten vorbehalten. Erzählt wird, wie auch bei Spielberg, ein heroischer Kampf. Räumlich wird die Orientierung nicht nur durch Establishing-Shots garantiert, sondern vor allem durch die Monitore im Kommandoraum General William Garrisons (Sam Shepard), mit denen das Kampfgeschehen selbst bei Nacht detailliert aus der Luft überwacht werden kann. Auf den Bildschirmen sind nicht nur die Positionen der Kämpfer zu verorten, die Wege, die Einsatztruppen nehmen oder nehmen könnten, sondern auch ein Ereignis wie der Absturz eines Hubschraubers, der vom szenischen Realbild zum Überwachungsbild des Monitors überblendet wird. Eine Situation wie im Video-Game, wobei der einsame General vor den Monitoren zu einer tragischen Figur wird, der eine Simulation gestartet hat, die seine Soldaten dort unten im Schachbrettmuster der Straßen und Plätze Mogadischus in die Rolle von Spielern eines Ego-Shooter-Programms versetzt: auf alles zu schießen, was sich zeigt. Nur sieht der Film keine Reset-Taste vor. Das Level wird nur einmal gespielt. Und was Computerspiele an grafischer Detaillierung vielleicht vermissen lassen, wird in filmischer Opulenz inszeniert. Nicht auf Seiten der namenlos und massenhaft fallenden Gegner, sondern auf Seiten der amerikanischen Soldaten. Exakt den durch die Buchvorlage überlieferten Todesarten folgend wird der zerstückelte, zerfetzte, auseinandergerissene Körper ausgestellt oder auch eine Notoperation in Großaufnahme ins Bild gerückt. Das diene dem »Realismus«,6 so Scott: »I just wanted to 6 Ridley Scott, Audiokommentar. Black Hawk Down. DVD, Senator Film 2002, 1.43''.

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show it as it was.«7 Doch vor allem dient dieser Realismus neben den ­obligatorischen Schockeffekten dazu, das Opfer der amerikanischen Soldaten als »sacrifice« auszustellen. Denn dass es sich um einen heroischen Opfergang handelt, um sinnhaftes Sterben bei einer gleichwohl wenig sinnvollen militärischen Operation, daran lassen weder die filminternen Dialoge einen Zweifel noch die Aussagen des Regisseurs. »It is anti war, but it is pro military. It is pro what these individuals do.«8 Ungeachtet des Votums für militärische Interventionen in Bürgerkriegsgebieten zeigt sich das Promilitärische allein am schieren Exzess des Tötens, der, so ließe sich einwenden, dem Willen zu dokumentarischer Genauigkeit geschuldet war. Immerhin hinterließen die amerikanischen Einheiten bei 19 eigenen Verlusten über 1000 tote Somalier, wobei der Film zumindest marginal zivile Opfer als Kollateralschäden der Kampfhandlungen thematisiert. Nur verstärkt dieses Dauergemetzel an namenlosen schwarzen Gegnern, die sich anscheinend bar jeder Furcht vor die Gewehrmündungen der Amerikaner stürzen, den Effekt, einem filmisch animierten Computerspiel zuzusehen. Bei all dem Massenschlachten verzichtet Scott keineswegs darauf, einige Hauptbösewichte zu kennzeichnen. War »Steamboat-Willie« in Spielbergs Film als prototypische Nazifigur noch sinnstiftend in die Narration eingebunden, so erscheint jener Kommandeur der Milizen, der eingangs den Namen Malid bekommt und in den Kämpfen an seiner Sonnenbrille zu erkennen ist, als weitgehend eigenschaftslose Kampf­ maschine, die es auszuschalten gilt. In diesem Szenario eines kill and ­destroy wird der klassische Antipode, dem noch bei Spielberg eine Position innerhalb eines geschichtsdeutenden narrativen Gesamtkonzeptes zugewiesen wird, in eine reine Funktionsgröße transfiguriert, die allein innerhalb der Action-Logik einen Stellenwert bekommt. Solcher Verlust stabilisierender narrativer Muster mag aber auch dem Realismus-Anspruch Scotts geschuldet sein, wie andererseits die betonte Annäherung an eine Computerspiel-Ästhetik durch die bläulich gefärbten Bilder im »Joint Operations Center« die taktische Kampfführung bei hochtech­ nologisch gestützten Kommandounternehmen den tatsächlichen Bedingungen angleicht. Solcher Realismus aus dem Geist moderner Überwachungs- und Kommunikationstechnologie in Krisensituationen, verbunden mit den Sensationen individueller Kampf bereitschaft, erwies sich abermals als Steilvorlage für die Spielentwickler. Schon im März 2003 wurde »Black 7 Ebd., 1.47''. 8 Ebd., 54''.

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Hawk Down« von NovaLogic als Action- und Shooter-Game veröffentlicht: »It definitely lacks a bit on any strategy«, meinte ein Spiel-Kritiker, »but sometimes playing the part of Rambo can be pretty fun«.9 Das Spiel wurde zu einem Dauerbrenner auf allen Plattformen. Jeweils im Abstand von einem Jahr erschienen die Versionen für den Mac, die PlayStation und die Xbox: Geschichte als sensomotorisches Trainingsfeld für Kids von 16 Jahren an. Und das mit pädagogischer Würzung: Das gezielte Schießen auf Zivilpersonen soll zum Abbruch der jeweiligen Mission führen. IV. Geschichte kontrafaktisch. Tarantinos Rachefantasien Wenn Spielberg in seinem finalem Brückenszenario in »Saving Private Ryan« eine tödliche Symbiose zwischen dem unverbesserlichen Deutschen und dem unterliegenden jüdischen Kämpfer inszeniert, so werden in Tarantinos kontrafaktischem Geschichtsspektakel »Inglourious Basterds« die Verhältnisse umgekehrt. Hier skalpiert eine amerikanisch-­ jüdische Untergrundeinheit deutsche Wehrmachtssoldaten im besetzten Frankreich, zertrümmert ihre Schädel mit dem Baseballschläger und jagt die ganze Nazi-Elite in einem Kino in die Luft. Was in Kriegsfilmen wie »Saving Private Ryan« oder »Black Hawk Down« gleichsam verschämt mitgeliefert wird, die filmisch vollzogene Vergeltung, wird bei Tarantino offen ausgespielt. Zudem gibt es kein Puzzle versteckter Hinweise wie noch bei Coppola, sondern offen inszenierte Referenzialität: vom ItaloWestern als stilistische Primärfolie des filmischen Racheepos über weitgehend sinnfrei bleibende Anspielungen, wenn etwa der Name des zum Widerstand übergelaufenen Leinwandstars Bridget von Hammersmarck zugleich auf Brigitte Helm und den deutschen Regisseur Henckel von Donnersmarck verweist, bis zu Schmankerln für das bildungsbewusste Publikum. Wenn der charmant-sadistische SS-Offizier Landa am Ende des ersten Teils jenes fünfaktigen Dramas auf die fliehende Jüdin ­Shosanna zielt und selbst in der englischen Version, statt zu schießen, »Bumsti« sagt, so dürfte damit wohl jene Kinoszene aus Karl Kraus’ »Die letzten Tage der Menschheit« ironisiert sein, in der das »Bumsti« die Pointe in einer Vorführung von Sascha-Filmen zur Wirkung von Mörsergeschossen vor dem österreichischen Armeekommando bildet. Wobei schon der Titel des Films eine Anspielung ist. Programmatisch verweist 9 Vgl. die Besprechung des Spiels »Delta Force Black Hawk Down«, online abrufbar unter: http://www.download-free-games.com/review/delta-force-black-hawk-down (letzter Zugriff: 02.08.2011).

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er auf die B-Klasse des Kriegsfilmgenres: Enzo G. Castellaris »Ein Haufen verwegener Hunde« (Italien 1978), im englischsprachigen Raum als »Inglourious Bastards« vertrieben.10 Einerseits fröhlich-karnevaleskes Zitat-Kino, andererseits eine dramaturgische Botschaft, die eindeutiger nicht ausfallen könnte. Während der Antagonist mit Christoph Waltz als polyglotter und kulturbewusster Agent der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie auftaucht, spielt Brad Pitt als Führer des »dreckigen Dutzends« den dumpf auf Vernichtung aller Nazis sinnenden Good Guy aus Tennessee, der am Ende der Handlung sein Jagdmesser in die Stirnhaut des allzu anpassungswilligen Adepten aus Hitlers Reich rammen wird, um das Hakenkreuz auf seine Weise als Kainsmal zu applizieren. Schaut man sich die Mühen des amerikanischen Kinos an, vergangene Kriegsereignisse filmtechnisch überzeugend und historisch korrekt zu ­inszenieren, so mag in Tarantinos Geschichtsrevision aus dem Geist des Kinos einiges Befreiendes liegen. Die trivialste und archaischste Gewaltfantasie, die noch bei Coppola als das verborgene Eigene der Zivilisation verrätselt wurde, wird nun offen ausgespielt. Wobei deutlich die Opposition gesetzt wird zwischen einerseits den guten barbarischen Rache­ instinkten, die gleichermaßen den einfachen Wehrmachtssoldaten wie die politische und gesellschaftliche Elite des »Dritten Reichs« treffen, und andererseits der Kultur, die von den Nazis pervertiert wurde: ein Inversionsmodell, das den Film durchzieht. Denn der Baseballknüppel schwingende Bear Jew, gespielt von Eli Roth, könnte durchaus als eine Art Golem-Figur und damit als Projektion nationalsozialistischer Ängste verstanden werden, wie sie Hitler (Martin Wuttke) in einer der Anfangsszenen des Films ja auch benennt. Und schließlich basiert das Finale auf einer perfekten Inversion. Ausgerechnet das Kino, der Kultur- als Propagandatempel des »Dritten Reichs«, wird zum Ort der Reinigung, indem die Leinwand mit Hilfe von Nitrofilmkopien aus den 10er- und 20erJahren entzündet wird. Lotte Eisners »Dämonische Leinwand« lässt ­grüßen. Während die Flammen hochzüngeln, kündet das filmische Bild Shosannas von jüdischer Rache. »Putting out fire with gasoline«, so der 10 Enzo G. Castellari, Quel Maledetto Treno Blindato, Italien 1978. Ebenso deutlich ist die Anspielung auf ein anderes dirty war movie: Robert Aldrichs »The Dirty Dozen«, USA 1967, in dem eine Kommandoeinheit aus entlassenen Sträflingen Nazi-Größen und ihre Gespielinnen in den Keller eines Schlosses im besetzten Frankreich lockt, um sie dort mit Brandbeschleunigern und Handgranaten zu ­erledigen. Im Detail hat solche Referenzen Georg Seeßlen aufgezeigt: Quentin Tarantino gegen die Nazis. Alles über Inglourious Basterds, Berlin 2010.

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eingespielte Song von David Bowie: Das entflammte Kino rettet die Welt oder zumindest die amerikanischen Truppen vor ihrem Einsatz am D-Day. Statt der Juden in den KZ-Öfen brennen die Ober-Nazis im Zuschauerraum. Er halte den Film für »kosher porn«, meinte Eli Roth nach der Pre­ miere, wobei die Berichterstattung nicht nur bei der Uraufführung in Cannes, sondern etwa auch bei jener in Berlin stets die heitere und gelöste Stimmung des Publikums betonte. »Jubel, Jauchzer, Glückseligkeitspfiffe wie bei einem heiteren Rockkonzert«, schrieb Jan SchulzOjala im »Tagesspiegel«. »Ja, da löst sich was. Und erlöst sich was.«11 Von »Katharsis« war wiederholt die Rede, und Georg Seeßlen feierte den Film gar als Überwindung faschistischer und postfaschistischer Ästhetik. Endlich werde mit dem Nimbus aufgeräumt, der die Hitlerfigur noch in ­Filmen wie Oliver Hirschbiegels »Der Untergang« (Deutschland/Italien/ Österreich 2004) umgebe. Und aus­gerechnet in der Dramaturgie, die streng fünfaktig doch wohl eher an eine elisabethanische Rachetragödie mit komödiantischem Einschlag erinnert, meint er eine »Absage an die zwangsläufige Linie der ›history‹« zu erkennen.12 Von solch postmodern fröhlicher Einladung, Rachefantasien ausleben zu können, zeigten sich Sprecher einiger jüdischer Organisationen in den USA keineswegs be­ geistert.13 Es stellt sich die Frage, wer hier wen erlöst? Erlöst das dreckige Dutzend die jüdische Gemeinschaft von der Opferstigmatisierung oder das deutsche Publikum von unbequemen Verquickungen mit der Täter­ erbschaft? Befreit Tarantino die Deutschen selbst noch in der dritten und vierten Generation von der »Unfähigkeit zu trauern«, die die Mit­ scherlichs einst der Erlebnisgeneration zugeschrieben hatten? Oder erlöst Tarantino gar die Welt von quälenden Schlachtinszenierungen à la ­Spielberg und Scott, indem er gegen das scheiternde Bemühen um Authen­ti­zität die »fröhliche Wissenschaft« des Barbarischen und der Pulp-Fiction setzt? 11 Jan Schulz-Ojala, Schauder des Erkennens. »Inglourious Basterds« provoziert. Was die Premiere des Tarantino-Films auslöst, in: »Der Tagesspiegel«, 30.07.2009. 12 Georg Seeßlen, Mr. Tarantinos Kriegserklärung, in: »Spiegel Online«, 16.08.2009. Online abrufbar unter: http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,642401,00.html (letzter Zugriff: 02.08.2011). 13 Die genüssliche Abkehr von der Opferperspektive führe zu einer »Bastardisierung der Geschichte«. So Daniel Mendelsohn in »Newsweek«, zitiert nach Bert Rebhandl, Das filmische Äquivalent zu Sarah Palin. Scharfe Kritik in den USA an »Inglourious Basterds«, in: »Berliner Zeitung«, 21.08.2009.

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Abb. 3: Shosannas Rache. Inglourious Basterds. Screenshot.

V. Fazit Das Wissen zumindest, das Tarantinos Film ausstellt, ist das des Kinos der ungebremsten Affekte und der körperlichen Reaktion: des Ausagierens der Rache, die immer auch das Eindringen in den Körper des Gegners meint. Die Ästhetik des Kriegsfilms spätestens seit dem Vietnamfilm der 1970er-Jahre ist darauf orientiert, die Sensation des Kampfes als ein den Soldaten immer wieder überforderndes Geschehen zu vermitteln. Die heroische Leistung der Protagonisten besteht darin, in diesem Inferno der sensomotorischen Reize zu bestehen. Eine Herausforderung für das Kino, jene Überforderung auch für den Zuschauer bereitzustellen. In solcher Konzeptionalisierung des Heroischen werden der zerfetzte Körper und die herausdringenden Därme immer den eigenen Opfern zugerechnet. Das ist auch zu verstehen als Absage an das heroisch-stilvolle Sterben, das die Kunstgeschichte seit der Antike begleitet hat und sich in den Kriegsfilm – mit mehr oder weniger deutlichen Anklängen an die ikonografische Tradition – bis in die 1960er-Jahre tradiert. Doch mit solcher Tradition hat Tarantino ohnehin nichts zu tun. Er mag in »Inglourious Basterds« G. W. Pabst und Leni Riefenstahl zitieren oder auch die Explosivkraft des frühen Kinos, filmstilistisch bleibt er dem Action-Genre und dem Italo-Western verpflichtet. Und selbst der Film im Film, der in jenem französischen Kino gezeigte Propaganda­ streifen »Der Stolz der Nation«, hat mit der Ästhetik des Kriegsfilms im »Dritten Reich« allenfalls mit seinem Vorspann etwas zu tun, der mit dem perspektivisch gekippten Rolltitel im Übrigen auch »Star Wars« ­adressiert. In fiktionalen Kriegsfilmen des »Dritten Reichs« wurde vermieden, das Opfer der Anderen zu zeigen, während in Tarantinos Nazi71

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Propaganda-Fiction die Gegner gleich serienweise erschossen werden. Damit wird dem nationalsozialistischen Film zugeschrieben, was doch eigentlich Kennzeichen des eigenen Projektes ist: den Triumph über den Feind als körperlich ausagierten Exzess darzustellen. Oder verweist der »Stolz der Nation«, als gedoppelte Inversion, nicht vielmehr auch auf das finale Brückenszenario in Spielbergs Normandie-Spektakel? Womit der christlich affizierte Sniper im Glockenturm nun dem nationalsozialistisch kontaminiertem Scharfschützen aus dem Geist postmodernen Retro-Designs auf fatale Weise ähnelte? Im Anspielungsraum Tarantinos als muntere Begegnungsstätte der Versatzstücke mögen solche Allusionen durchaus angelegt sein. Die Grundreferenz all dessen, was Tarantino ausstellt, ist jedoch die körperliche Unmittelbarkeit. Als Kern des Bösen gilt es gerade die Figur des zynisch-eleganten Nazis in Gestalt Landas zu eliminieren. Der Dolch, der bei Spielberg dem Juden ins Herz geführt wird, findet in Tarantinos kontrafaktischer Geschichtserzählung sein Ziel in der Stirn des Nazis. Körperliche Unmittelbarkeit und Direktheit kennzeichnen alle neueren Kriegsfilme. Sie zielen vor jeder kognitiven Verarbeitung und auch vor jeder unbewussten Identifikation auf Sensationen, die durch den Blick des Zuschauers nicht in Distanz gehalten werden können. Die erlösende Botschaft bei Tarantino besteht darin, dass endlich den An­ deren, den Bösen der Geschichte, nicht mehr wie bei Spielberg und Scott weitgehend anonymisiert, sondern konkret und personalisiert die Vergeltung zuteil wird. Vielleicht antwortet »Inglourious Basterds« auch auf die Anmutung der als Strategiespiele camouflierten First-person-shootergames, indem er dem Kino zurückgibt, was die Spielebranche okkupiert hat? Wobei nur zu hoffen wäre, dass die nicht auch noch »Inglourious Basterds« entdeckt.

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Angst im Post-9/11-Cinema Zur filmischen Bearbeitung eines Erwartungsaffekts Terror ist seit den 1990er-Jahren, verstärkt noch seit 9/11, ein zentrales ­Sujet des US-amerikanischen populären Spielfilms. Erzählungen über mögliche Attentäter, drohende Anschläge und den entschlossenen Anti-TerrorKampf stehen angesichts ihres dramaturgisch-spektakelhaften Potenzials hoch im Kurs. Kino-Produktionen wie »The Kingdom« (2007), »Déjà vu« (2007) oder »The Dark Knight« (2008), aber auch Fernseh-­Serien wie die vielfach ausgezeichnete Produktion »Twenty Four« (2001-2009) berichten davon, dass der Westen in einen neuen Krieg eingetreten sei, der nicht mehr alleine an der Peripherie geführt werde, sondern in Form terroristischer Schläfer-Zellen permanent auch das Zentrum bedrohe. Sieht man von den Details der jeweiligen Plot-Konstellationen ab, so findet sich ein tertium comparationis des Terror-Kinos in der Art und Weise, wie dieses die Klaviatur eines kollektiven »Erwartungsaffekts« spielt, der bedrohliche Unsicherheit als zentrale Eigenschaft der Zukunft in Szene setzt. Ernst Blochs Überlegungen zum Affekt der Angst, welche er als eine »Erwartung nach der unbestimmt-finsteren Seite, nach der Seite des würgenden, starrenden Nichts im Real-Möglichen«1 definiert hatte, übersetzt sich im Szenario des terroristischen Nicht-Kriegs in eine temporale Struktur, die sich mit einer Überlegung Jacques Derridas als ein Ineinander von gespannter Zeitdehnung und plötzlicher Punkt-Zeit beschreiben lässt: Die Prognose ist düster: Als Produkt der Gewalt, die ihn zu unter­ drücken sucht, schuf der Terrorismus ein Trauma, das nicht durch Trauer gelindert werden kann, weil das Herz des Traumas nicht das vergangene Ereignis ist, sondern die Angst vor einem zukünftigen Ereignis, dessen katastrophische Natur nur geraten werden kann.2 Dieser Angst vor einem zukünftigen Ereignis, das in seinem Eintreten in Form einer Erwartung immer schon hinausgeschoben ist, gleichwohl 1 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung. In drei Bänden, Frankfurt am Main 1959, Bd. 1, S. 350 f. 2 Jacques Derrida, Autoimmunisierungen, wirkliche und symbolische Selbstmorde. Ein Gespräch mit Jacques Derrida, in: Jürgen Habermas/Jacques Derrida, Philosophie in Zeiten des Terrors. Zwei Gespräche, geführt, eingeleitet und kommentiert von Giovanna Borradorie, Berlin/Wien 2004, S. 117-178, hier: S. 123.

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aber als »reale Möglichkeit« (Carl Schmitt) politische Wirkung entfaltet, soll im Folgenden nachgegangen werden. Der Fokus liegt auf dem Kino, weil hier ein Ort besichtigt werden kann, der als eine kognitive Karte des politisch Unbewussten zu lesen ist, die im Modus des Fiktionalen latente politische Zusammenhänge sichtbar werden lässt. Als »Speicher des ­Zeitgeistes« – so Fritz Lang – artikuliert der populäre Spielfilm zentrale Ängste seiner Gegenwart. Indem er diese in Narrative überführt, die ­allgemeine Bedrohungsfantasmen auf dem Wege emotionalisierender Identifikation individualisieren, leistet er eine Übersetzung diffuser Angst in konkrete Furchtszenarien, deren Situiertheit in einem bloß ­imaginären Gefahrenhorizont angesichts der Evidenz- und Immersions­ qualität der präsentischen Film-Welten in den Hintergrund zu treten scheint. Jacques Rancières Frage nach der »Aufteilung der sinnlichen Welt« ist für den Terror-Film dahingehend zu konkretisieren, dass nach der narrativen Organisation von Zeitlichkeit zu fragen ist, in der sich die Diegese entfaltet. Der dramaturgische Beunruhigungsgehalt des TerrorSzenarios ­resultiert aus einer strukturellen Nachträglichkeit möglicher Abwehrstrategien. Wenn ein Anschlag passiert, kommen Gegenmaßnahmen immer schon zu spät. Terror-Angst resultiert somit aus dem genrekonstitutiven Wissen um das mögliche Fehllaufen einer »Ordnung und Ortung«3 des Feindes: Im Zentrum einer filmischen Rhetorik der Dringlichkeit steht der »Schläfer«, der als Teil einer schwärmenden NetzwerkStruktur sein Angst-Moment aus der Unlesbarkeit seiner Intention und der Plötzlichkeit der Tat gewinnt und in seiner Ungestalt zur ultimativen Herausforderung des stabilitätsorientierten Handelns staatlicher Sicherheitsorgane wird.4 Indem Angst als Kommunikationskondensat auf mittlerem Intensitätsniveau gleichzeitig entschärft und präsent gehalten wird, trägt der populäre Spielfilm als Teil der gesellschaftlichen Repräsenta­ tionsordnung zu einer doppelten Codierung des Politischen bei, die auf die Lesbarmachung des Feindes und die polizeiliche Re-Normalisierung seiner Tat-Konsequenzen abzielt. In der filmischen Imagination des Terrors wird im Dienste der Verteidigung der Gesellschaft auf der MakroEbene eine Konzeptualisierung staatlicher Agency beobachtbar, die sich als Amalgamierung von Bio- und Disziplinarmacht beschreiben lässt. Auf der Mikro-Ebene korrespondiert hierzu die Modellierung einer spezi­ 3 Vgl. Carl Schmitt, Das Recht als Einheit von Ordnung und Ortung, in: Jörg Dünne/Stephan Günzel (Hrsg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2006, S. 409-419. 4 Vgl. Eva Horn, Die Ungestalt des Feindes: Nomaden, Schwärme, in: MLN, Vol. 123, Nr. 3, April 2008 (German Issue), S. 656-675.

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fischen Subjektposition, die zu permanenter Wachsamkeit aufruft und den Einzelnen proto-paranoid werden lässt. Die affirmative Mobilisierungsleitung des (Hollywood-)Films im Dienste des War on Terror ist oft beklagt worden. Statt diesen ein­ dimensionalen Enthüllungsgestus zu perpetuieren, soll nachfolgend anhand zweier Beispiele gezeigt werden, dass der 9/11-induzierte Erwartungsaffekt einer unkonkreten Bedrohung in Form spezifischer Bild- und Handlungskonstellationen fast unmittelbar ins Kino diffundiert ist und dabei keineswegs auf eindeutige Adressierungen im Terror-Genre beschränkt blieb. Daran anschließend sind die Makro- und Mikroebene der an den Erwartungsaffekt der Angst geknüpften Verhaltenskomplexe anhand zweier Filme zu beleuchten, die sich als gegendiskursive Reak­ tionen auf die Terror-Hysterie der letzten Jahre begreifen. Dabei zeigt sich, dass die Politik des Kulturellen im populären Film natürlich nie zwangsläufig an hegemoniale Diskurse angeschlossen bleibt. Im Hinblick auf die spezifische Problematik der Angst ist gleichwohl zu fragen, wie der machtkritisch intendierte Film emotionspolitisch zu bewerten ist. Zwar macht er die gemeinhin verdeckte Einheit der Unterscheidung von Freund und Feind in ihren naturalisierenden politischen Effekten sichtbar. Da er sich aber weiterhin in den ästhetischen Genre-Konven­ tionen bewegt, läuft er Gefahr, die Bedrohungsplausibilität des Terrors in Form eines konsumierbaren Otherings präsent zu halten. Dies bedeutet, dass auch der ›gut gemeinte‹ Terror-Film einen Beitrag zur Befeuerung kollektiver Angst leistet und als Re-Entry des »verworfenen Wissen[s]«5 selbst dazu beiträgt, die identitätsstiftende Reduktion von Komplexität als Reaktion auf Unsicherheit fortzuführen. Diffusion der Angst Die filmische Gedächtniskultur hat bald nach 9/11 damit begonnen, die zurückliegenden Anschläge in Geschichten von Verlust, Trauer und ­Heldentum zu übersetzen. Filme wie »World Trade Center« (2006) oder »United 93« (2006) nutzen die Ereignisse als Ausgangspunkt für pathe­ tische Erbauungserzählungen, die das Leid der Opfer sinnhaft über­ formen, indem sie der Überlebensgesellschaft den Auftrag moralischer Läuterung geben. Interessanter als diese stringente nationalpädagogische Funktionalisierung ist die Wiederkehr der katastrophischen Bilder in ­solchen Filmen, die auf der diegetischen Ebene nur einen vermittelten 5 Michel Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France (1975-1976), Frankfurt am Main 2001, S. 21.

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Terrorbezug aufweisen. Die Resonanz der durch die Diskursivierung der Anschläge erzeugten Erwartung kommenden Unheils kann dort – wie M. Night Shyamalans Film »The Happening« aus dem Jahr 2008 zeigt – als Mechanismus der Aufmerksamkeitsakkumulation benutzt werden, um im Einklang mit dem Alltagswissen der Zuschauer eine allgemeine Atmosphäre der Bedrohung als eigentlichen Inhalt des Films zu präsentieren. Das titelgebende und semantisch nicht genauer spezifizierte »Ereignis« konkretisiert sich bei Shyamalan in Form eines »Nature-Revenge-Szenarios«, das sich gegenüber den einschlägigen Filmen der 1970er-Jahre durch eine neuartige Selbstreferenzialität der erzählten Katastrophe unterscheidet. Sind es im dystopischen 70er-Jahre-Film vorzugsweise tierische Kollektive – Ameisen, Spinnen, Fische –, die zum Kampf gegen die Menschheit antreten, so ist es in »The Happening« der Mensch selbst, der von einem durch die Luft übertragbaren, pflanzlichen Nervengift infiziert, dazu getrieben wird, Suizid zu begehen. Erscheint an »The Happening« einerseits interessant, wie der Film das durch den Club of Rome konstatierte und in älteren Filmproduktionen plotspezifisch aufgegrif­f enen »Ende des Wachstums« zu einer Variante anomischer Autoaggression radikalisiert,6 so liegt andererseits eine wichtige diskursive Neujustierung Shyamalans in der Analogisierung von Terror und Natur als dem Anderen der westlichen Gesellschaften. Gewissermaßen tritt die Renormalisierung der durch 9/11 eingeleiteten Denormalisierung in »The Happening« in eine zweite Phase, die den Bogen zurück zum Katastrophenfilm der 1990er-Jahre schlägt und so genretypische Narrationsmuster von Weltuntergang und Neuer Gemeinschaft aktualisiert.7 Wichtig für das Gelingen einer solchen Neuformatierung des filmischen Ge­f ahrensinns ist die 6 Paradigmatisch kommt der dystopische Pessimismus des 1970er-Jahre-Kinos in Richard Fleischers »Soylant Green« (1973) zum Ausdruck, der von einer im Jahr 2022 angesiedelten Verfallsgesellschaft erzählt, die aufgrund einer Versorgungsnotlage zur Produktion von Nahrungsmitteln auf Menschenfleisch zurückgreift. 7 Dort, wo in den 1990er-Jahren Blockbuster wie »Dante’s Peak« (1997), »Arma­ geddon« (1998) oder »Deep Impact« (1998) das gefährliche Außen jenseits gesellschaftlicher Zusammenhänge verortet hatten, bevor das 9/11-Kino dann Pe­ripherie und Zentrum zur Deckung brachte, transferiert der gegenwärtige Katastrophenfilm in der Variante von Roland Emmerichs »2012« (2009) Alterität wieder in ein Jenseits der westlichen Kultur. Auch James Camerons »Avatar« (2009) arbeitet mit der Natur-Ressource, übersetzt Fremdheitserfahrung aber in einen mimetischen Nachvollzug, der in Form der Kolonisation des Planeten ­Pandora eine triviale Kapitalismuskritik vollzieht. Auch diese Identifikation mit der Außen­perspektive ist gleichwohl nicht neu, vielmehr folgt Camerons Plot vom zivilisa­tionsmüden Überläufer en detail Kevin Costners »Dances with Wolves« (1990).

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Durchmischung von politischer Feindschaft und terroristischer Natur, die Narration und Bildraum affektpolitisch kurzschließt: Nicht nur, dass auf der diegetischen Ebene zunächst Terroristen für die Selbstmord­ kaskaden verantwortlich gemacht werden, zudem zitiert eine Sequenz am Beginn des Films in elaborierter Form die Ikonografie des 11.  September: Nach ersten Selbstmordvorfällen im Central Park wird eine Hochhausbaustelle – bezeichnenderweise um 8:59 Uhr morgens – zum Ort des Geschehens. Die Kamera zeigt zunächst Bau­arbeiter im Gespräch, dann ­jedoch Menschen, die vom Gebäude herabstürzen. Das Aufschlagen der Körper, das nicht nur angedeutet, sondern gezeigt wird, schockiert umso mehr, weil es drastisch mit dem Versuch einer sinnstiftenden Ästhetisierung des Todes bricht, wie sie in den US-amerikanischen Medien 2003 in der Ikonisierung des »Falling Man« vollzogen wurde. Zudem wird auf der Ton-Spur die Referenz zum Dokumentarfilm der Brüder Naudet gezogen, der, im März 2002 im Sender CBS ausgestrahlt, zum offiziellen Gedächtnismedium der Anschläge wurde. In einem eindringlichen Moment zeigt der Dokumentarfilm den Versuch der New Yorker Feuerwehr, sich in der provisorisch eingerichteten Einsatzzentrale im Nord-Turm des WTC zu organisieren. Während die Feuerwehrmänner im Bildausschnitt in hektischer Betriebsamkeit zu sehen sind, hört man im Hintergrund die Aufschlaggeräusche der sich vom Turm hinabstürzenden Menschen. Eröffnet sich im Dialog zwischen körperlicher Unversehrtheit im Schwebezustand des Bildes und bilderloser, gleichwohl akustisch signifizierter Finalität des Sturzes im Dokumentarfilm ein Zwischenraum der auf ein tröstliches Noch-Nicht des Todes bzw. der Anschläge verweist, dann bricht Shyamalan mit dieser Transzendierung, indem er Visualität und Akustik des zerschmetterten Körpers prosaisch kurzschließt. Bezogen auf die Diffusion der Angst ist »The Happening« jenseits dieses verunsichernden Realitätseffekts zweiter Ordnung auch insofern von Relevanz, als das Nerventoxin von den Pflanzen erst dann freigesetzt wird, wenn es zu größeren Menschenansammlungen kommt. Zum ersten wird damit der seit Rousseau tradierte Diskurs der Zivilisationskritik adressiert, zum zweiten eröffnet der Film in der Konnexität von Nervengift und Flora eine historische Perspektive auf das Vietnam-Trauma, zum dritten reaktualisiert der Film die Einsicht, dass in der Logik des Terrorismus primär soziale Ballungsräume das wahrscheinlichste Angriffsziel sind und selbst dort, wo sich keine Gewalt ereignet, Terror gleichwohl als »Kettenreaktion durch Ansteckung«8 wirksam bleibt. Die Großstadt, und nament8 Jean Baudrillard, Im Schatten der schweigenden Mehrheit oder Das Ende des Sozialen, Berlin 2010, S. 59.

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lich New York, ist der eigentliche Angst-Raum des 9/11-Kinos. Nicht zufällig beginnt »The Happening« im Central Park, nicht ­zufällig lässt David Fincher seinen »Panic Room« (2002) betitelten Film über Klaustrophobie und erodierende häusliche Sicherheit mit einem Umzug der Protagonistin nach Manhattan starten. Programmatisch verknüpft auch Neil Jordans »The Brave One« (2007) das Schicksal der von Jodie Foster gespielten Figur Erica mit der Topografie New Yorks. »The Brave One« gehört zu einer Reihe von Filmen der Dekade, die sich mit dem Motiv der Selbstjustiz beschäftigen und davon erzählen, wie Protagonisten ein Trauma der Gewalt überwinden, indem sie die Schuldigen bzw. deren Stellvertreter zur Rechenschaft ziehen.9 Liegt in der Verbindung von Gewalterfahrung, Ermächtigung und Gewaltausübung schon eine Analogiebildung zur US-amerikanischen Reaktionsweise auf 9/11 vor, so gewinnt eine terrorsensible Lektüre von »The Brave One« weiter an Plausibilität, wenn der psychische Zustand der Figur in seiner filmischen Parallelisierung mit der Visualität der Stadt-Topografie in den Blick gerät. Bezeichnenderweise ist Erica eine Radio-Redakteurin, die in ihrer Sendung »Street Walk« von ihren Spaziergängen durch die Stadt berichtet. Die anfänglich in warme Farben getauchten Bilder, die Erica bei ihren Expedi­tionen zeigen, schreiben sich in eine filmische Tradition der Stadtrepräsentation ein, die – man denke an »Manhattan« (1979), »When Harry Met Sally« (1989) oder »Sex and the City« (2008) – New York als einen romantischen Ort der Liebe erscheinen lassen. Als Erica während eines abend­lichen Ausflugs in den Central Park überfallen und ihr Verlobter zu Tode geprügelt wird, ändert sich die visuelle Signatur der Stadt schlagartig. New York wird zu einer Zone der Bedrohlichkeit, in der eine unheilsschwangere Atmosphäre vorherrscht. Erica lebt urplötzlich in einer anderen Stadt. Sie erfährt eine Entortung in der einst so vertrauten Gegend, sieht sich versetzt in eine Krisen-Heterotopie der Angst, welche – wie insbesondere die Szene zeigt, in der Erica erstmals nach dem Überfall ihr Haus verlässt – ihre Lebenswelt kolonisiert. Im irrlichternden Schwanken der Kamera verliert New York jede Heimeligkeit und wird zu einem Raum des von Martin Heidegger beschriebenen unheimlichen »Un-zuhauses«.10 Das

9 Auch hier ist die Parallele zum Krisenjahrzehnt 1970 ff. signifikant. War es damals vor allem der Film »Death-Wish« (1974), der eine genre-konstitutive Wirkung entfalten konnte, so sind es nach 9/11 mit namhaften Setlists ausgestattete Produktionen wie »Man on Fire« (2004), »Death Sentence« (2007) oder »Law ­Abiding Citizen« (2009), die das Hohe Lied der Selbstjustiz singen. 10 Martin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1993, S. 189.

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»Nichts und Nirgends«,11 von dem es in »Sein und Zeit« heißt, es sei der eigentliche Inhalt der Angst, koppelt sich in »The Brave One« an eine Visualität der Zerrüttung, die vorsprachlich, in Form subjektiver Fokalisierung vor allem als schwankende »Berührungsfurcht« (Elias Canetti) in Szene gesetzt wird. So bewegt sich Erica hyperventilierend durch ihr Viertel, unfähig, ihre Umgebung anders als feindlich wahrzunehmen, unfähig auch, die konkrete Quelle der vermeintlichen Bedrohung auszumachen. Dieser unspezifische und zugleich totalisierte Angst-Raum wirkt wie eine filmische Übersetzung der Überlegungen von Hermann Schmitz, der die Bangnis als leibliches Korrelat der Angst beschrieben hat: Bangnis ist eine diffuse, zentripetal auf den Betroffenen eindringende Atmosphäre des Bedrohlichen und Unheimlichen, die sowohl vorkommt, wenn man mit konkreten Gefahren rechnen könnte […], als auch ohne solche Anknüpfung […]. Wenn Bangnis einen Menschen mit intensiver leiblicher Angst ergreift, […] entsteht Grauen als […] eindringliches Zwittergebilde aus isolierter Fixierung und atmosphä­ rischem Zerfließen.12 Zwischen den Polen der Fixierung und des Zerfließens oszilliert nicht nur das Angsterleben des Einzelnen in der phänomenologischen Begriffsbestimmung, sondern auf die Diffusion der Angst im Post-9/11-Kino. Eine zentrale Technik der politischen Angst-Bearbeitung besteht in dem Versuch der Überführung des atmosphärischen Zerfließens in klare Fixierungen der Freund-Feind-Unterscheidung. Wenn eine solche Epistemologie des Feindes jedoch misslingt, wenn sich ein Anschlag ereignet, zielt die Staatsmacht darauf, Panik zu deeskalieren und das anomische Zerfließen des Gesellschaftskörpers durch Praktiken der Selbststeuerung, der polizeilichen Ausschließung und der einordnenden Narrativierung zu verhindern. Proto-Paranoia Der Umstand, dass es den Anschlägen vom 11. September tatsächlich geglückt ist, vitale Knotenpunkte der nationalen Infrastruktur zu treffen, hat im mentalen Haushalt Amerikas eine nachhaltige Wirkung entfaltet. Insbesondere das Faktum, dass einige der Attentäter in den Monaten vor ihrem Angriff unbemerkt in den USA gelebt hatten, schuf eine tiefe Verunsicherung, in der sich ein konstitutives Wissen um die Verletzlichkeit öffentlicher Strukturen artikulierte und die das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen mit einschloss. Mit 9/11 erfuhr 11 Ebd., S. 188. 12 Hermann Schmitz, Was ist Neue Phänomenologie?, Rostock 2003, S. 216 f.

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die Vorstellung von Normalität eine prekäre Infragestellung. Da mit dem Schläfer eine Interiorisierung des Feindes einhergeht, die die Unterscheidung von gefährlichen und sicheren Zonen verunmöglicht, kam es nach 9/11 zu einer medial befeuerten Dissoziation der Wirklichkeit, einer ­Implosion von harmloser Oberfläche und bedrohlichem Untergrund, die das Gefühl zirkulierte, ein Leben »in gespaltenen Normalitäten«13 zu führen. Die US-Regierung versuchte die um sich greifende Ängstlichkeit im Sinne einer Strategie der geistigen Mobilmachung zu nutzen, die angesichts der Latenz von Gefahr auf die soziale Synchronisation permanenter Wachsamkeit setzte. Zentrales Instrument einer solchen wahrnehmungsdisponierenden Politics of Fear war der vom Justizministerium 2002 herausgegebene und mit Abbildungen der Trümmer von Ground Zero versehene »Citizen’s Preparedness Guide«, eine Verhaltenslehre ­ziviler Feindaufklärung, die den Terrorkampf als politische Epidemiologie in Echtzeit konzeptualisierte und die Bürger dazu aufrief, ein genaues Auge auf die Nachbarschaft und etwaige verdächtige Begebenheiten zu ­haben.14 Wie Eli Sagan schon Anfang der 1990er-Jahre im Kontext des ersten Irak-Kriegs herausgestellt hat, ist der amerikanischen Politik aufgrund ihrer religiösen Imprägnierung ein latenter Zug zur proto-para­ noiden Bearbeitung von Kontingenzerfahrungen eigen, der auf die Personalisierung von Konfliktkonstellationen setzt: The paranoid position is intensely personal. All evil wears a specific human face. The individual suffering from paranoia may believe in malicious cosmic forces disrupting and poisoning the world, but the paranoid sees a person or persons behind all life’s evils […].15 In der kommunikativen Begleitung des War on Terror, der zu allererst von der Ungestalt des Feindes auszugehen hat, steigert sich die Sehnsucht nach Adressierbarkeit zu einer alttestamentarischen Rhetorik dichotomischer Gegenüberstellung, die aus dem Register der Rechtsstaatlichkeit in jenes der Rache wechselt und in der Rede Barack Obamas anlässlich der Tötung Osama Bin Ladens eine neuerliche Aktualisierung erfahren hat. In Jeff Renfroes »Civic Duty« (2006), wird die in den Ratschlägen des Justizministeriums realisierte Tendenz zur Personalisierung zum Aus13 Jürgen Link, Normalität und Denormalisierung, in: Navigationen. Siegener Beiträge zur Medien- und Kulturwissenschaft 2 (2002), S. 67-84, hier S. 75. 14 Als PDF abzurufen unter http://www.fema.gov/areyouready/ (letzter Zugriff: 30.06.2011). 15 Eli Sagan, The Honey and the Hemlock. Democracy and Paranoia in Ancient Athens and Modern America, New York 1991, S. 23.

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gangspunkt eines Plots, der vom Verdacht eines arbeitslosen weißen Mittelklasse-Amerikaners gegen seinen arabischstämmigen Nachbarn erzählt. Inszenatorisch präsentiert sich »Civic Duty« als eine Kombination des panoptischen Settings von Alfred Hitchcocks »Rear Window« mit einer »Falling-Down«-Dramaturgie, wobei der gegendiskursive Clue des Films in der Unschuld des Verdächtigen und dem Schuldigwerden des Protagonisten besteht. Hauptfigur von »Civic Duty« ist Terry, ein zutiefst verunsicherter Mann, der mit seinem Job seine berufliche wie auch sexuelle Potenz verloren hat. Den Modus der Wachsamkeit präsentiert der Film dementsprechend als eine Praktik des imaginären Empowerments, die der Protagonist nutzt, um sich selbst in der Beobachtung des Nachbarn einen neuen Wert zu geben. Damit spiegelt der Protagonist exakt die Psychogenese der Regierung Bush, die in ihren ersten Amtsmonaten ob des extrem knappen und verfassungsrechtlich umstrittenen Wahlergebnisses einen zögerlichen Eindruck machte, bevor sie 9/11 dazu nutzte, Tatkraft und Zustimmung zu mobilisieren. »Civic Duty« realisiert den Zusammenhang von individueller Krise, Zukunftsangst und Interpellation in Form der Überblendung einer Rede George W. Bushs mit einem Fahndungsplakat, auf das Terry aufmerksam wird, nachdem er in einem Postgebäude eine Reihe von Bewerbungen (und keine AnthraxBriefe!) aufgegeben hat. In der Szene fungiert Terry als selbstempfundener Adressat eines vom »ideologischen Staatsapparat«16 ausgehenden Speech-Acts, der die allgemeine Form der Verunsicherung politisch vereindeutigt und damit einen Beitrag zur Formatierung von Subjektivität und zur Kalibrierung von Handlungsneigung leistet.17 Die Nachfolgeszene zeigt Terry nach der Zwischenblende eines den Himmel durch­ querenden Flugzeugs bei der Zubereitung des Abendessens. Seine Frau, eine Fotografin, macht währenddessen Fotos von ihm. Auf diese Weise schließt der Film politische Subjektvorgabe, aus Verunsicherung resultierende subjektive Empfänglichkeit und Selbstbild der Stärke als Ergebnis einer imaginären Body Politic zusammen.18 Im nachfolgenden Gespräch 16 Vgl. Louis Althusser, Ideologie und ideologische Staatsapparate. Aufsätze zur marxistischen Theorie, Hamburg/Berlin 1977. 17 Vgl. Jordan Crandall, Bereitschaft, in: Multitude e.V./Unfriendly Takeover (Hrsg.), Wörterbuch des Krieges, Berlin 2008, S. 62-86, hier S. 73. 18 Der Begriff der Body Politic trifft exakt jene Gender-Konfiguration, mit Hilfe derer das Post-9/11-Kino den männlichen und nationalen Körper kurzschließt. So wie auf der einen Seite »World Trade Center« das angegriffene New York als verletzten weiblichen Körper inszeniert, so inszenieren »The Brave One«, »Civic Duty« und »Right at Your Door« Terror als Korrelat schwächlicher Virilität, die den weiblichen Körper nicht vor Gefahr beschützen kann. Ironischerweise ist auch

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kommt die Rede auf den neuen Nachbarn, »a middle-eastern guy«, den Terry verdächtigt, seiner Frau begehrliche Blicke hinterherzuwerfen. Ausgehend von dieser anfänglich in einem Rivalitätsverhältnis verorteten Aufmerksamkeitskonstellation verwickelt sich Terry in einen Indizienprozess, der immer mehr paranoide Züge annimmt und selbst von einem FBI-Agenten nicht mehr aufgehalten werden kann. Ganz im Gegenteil: Die mit unruhiger Handkamera eingefangenen Ermittlungen nehmen umso drastischere Formen an, je negativer das Feedback von Terrys Frau als eigentlicher Referenz des virilen Wiederauf baus wird. Terry, dessen neues Motto »We have to be the eyes and ears now« lautet, macht auch vor einem Einbruch in die Wohnung des Nachbarn nicht halt. Die Dynamik eskaliert, als der sich belästigt fühlende Chemie-Student in einem Streitgespräch die Beobachtungsaktivität Terrys provokativ als homoerotische Affektion auslegt. Terry sieht rot und eröffnet mit vorgehaltener Waffe eine Befragung, die sich zu einer Geiselnahme auswächst. Während der Befreiungsaktion kommt dann bezeichnenderweise Terrys Frau ums Leben, als sich ein Schuss aus der Waffe ihres Mannes löst. »Civic Duty« führt in seiner Affekt-Dramaturgie einerseits vor, welche Rückkopplungseffekte die Militarisierung des Alltäglichen nach sich zieht. Andererseits zeigt der Film in der Psychologie Terrys, dass der Politik der Angst konstitutiv eine imaginäre Komponente innewohnt, die die Reichweite präventiver Praxis definitorisch ad infinitum aus­ weitet. Gerade weil der Feind strukturell unterbestimmt bleibt, weil er nicht im finalen Sinne dingfest gemacht werden kann, entwickelt sich ein Gefahrensinn, der jede Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel als Verharmlosung der Lage negiert. Da Semiotik und Intentionalität des Schläfers nicht zu eruieren sind und der neue Krieg strategisch wie moralisch beyond the lines stattfindet, entwickelt sich eine kollektive Verdachtsdynamik, die als eine neue Form der »Kontrolle […] Bewusstsein und Körper der Bevölkerung und zur gleichen Zeit die Gesamtheit sozialer Beziehungen durchdringt«.��In gewisser Weise stellt sich die politisch konstruierte Angst vor Schläfer-Nachbarn als ein »innerer Rassismus permanenter Reinigung« dar, »der zu einer der grundlegenden Dimensionen der gesellschaftlichen Normalisierung wird«.20

hier wiederum der Mechanismus von Alterität und Mimesis am Werk, ist doch der verweiblichte, schwache Westen ein fester Topos islamistischer Rhetorik. 19 Michael Hardt/Antonio Negri, Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt am Main 2002, S. 39. 20 Michel Foucault, Verteidigung der Gesellschaft, a.a.O., S. 75.

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Der Ausnahmezustand als Amalgam von Bio- und Disziplinarmacht Chris Goraks Film »Right at Your Door« (2006) stellt einen Versuch dar, die staatliche Reaktion auf einen Biowaffen-Anschlag als ein Normalisierungsgeschehen verständlich zu machen, das sich im Wesentlichen um das Ziel dreht, den angeschlagenen Gesellschaftskörper mittels Disziplinierungstechniken zu restrukturieren. Gorak, der zuvor als Art-Director für die Ausstattung von »Fight-Club« (1999) und »Minority-Report« (2002) verantwortlich war, nutzt das Narrativ der Ansteckung für eine polyperspektivische Reflexion, die ebenso die Technologien der Macht durchspielt, wie sie zugleich nach den Feedback-Schleifen von Angst als einem infizierenden Affekt fragt. Kontradiktorisch zum Terror-Narrativ der Fernsehserie »Twenty Four«, das davon erzählt, dass die Normalisierung der Bedrohung eine informationsdienstliche und zugleich heldenbezogene Aufgabe der präskriptiven Ortung ist, inszeniert »Right at Your Door« retrospektiv eine Totalisierung des Informationsvakuums aus der Perspektive zweier Opfer, die zwar versuchen, aus dem über das Radio verbreiteten Nicht-Wissen schlau zu werden, die eigentlich aber bis zum Schluss des Films nicht verstehen, was vorgeht. Leitmotiv des Films ist die Darstellung jener »paradoxen Schwelle der Unentschiedenheit«,21 die nicht nur in Giorgio Agambens Theorie des Ausnahmezustands eine wichtige Funktion übernimmt, sondern im Ambivalentwerden der Unterscheidung von Eigenem und Fremden bzw. von Freund und Feind auch »Right at Your Door« seinen eigentlichen dramaturgischen Einsatzpunkt verleiht. Realisiert wird dieser Ansatz mittels einer Plotkonstruktion, die mit der Explosion mehrerer Bomben in Downtown L. A. ihren Ausgangspunkt nimmt und im Fortgang der Handlung ganz auf das ­Suburbia-Paar Lexi und Brad fokussiert. Während Lexi auf dem Weg zur Arbeit in die Nähe von Ground Zero gerät, erfährt Brad aus dem Radio von den Ereignissen. Durch Polizeisperren am Verlassen des Vororts ge­ hindert, befolgt Brad die amtlichen Verhaltensratschläge und beginnt, sein Haus hermetisch von der Außenwelt abzuschließen. Nach vollbrachter Abdichtung – die sich metaphorisch als eine Habitualisierung der schockhaften Bilder von New York decodieren lässt22 – erscheint plötz21 Giorgio Agamben, Ausnahmezustand, Frankfurt am Main 2002, S. 28. 22 In diesem Sinne verweist die Abdichtung, die in Reaktion auf eine kommende, aber eigentlich unsichtbare Gefahr geschieht, medienreflexiv auf den Modus der Angst, der im Film die Zone zwischen Schreck und Furcht etabliert. In An­ lehnung an Freuds Einsicht, dass die Angst gegen den Schreck schütze, könnte man sagen, dass die Angst jene Pause besetzt, die zwischen der schockartigen Etablierung von Unsicherheit und deren Auflösung eintritt. Interessant wäre dann

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lich Lexi vor seiner Tür. Äußerlich unversehrt, begehrt sie Einlass, was Brad ihr aus Angst vor Ansteckung verwehrt. Indem der Film seine durch eine Membran aus Plastikfolie getrennten Hauptfiguren in das zeitliche Register einer »primitive[n] Gegenwart«23 versetzt, erzählt er davon, wie der Anschlag in Form eines toxischen Material- und Signalgestöbers die normale Zirkulation von Menschen, Gütern und Nachrichten unterbricht und die staatliche Arbeit der Verortung stört. So schildert »Right at Your Door« die Geschichte seiner Protagonisten als zweier freigesetzter Individuen, deren bürokratisch-technologische Rück-Verortung als Ergebnis einer normalistischen Biomacht funktioniert. Dort, wo der Anschlag zunächst Unsicherheit, Unwissen und Stille erzeugt hat, kehren sukzessive die durch Schutzanzüge anonymisierten Repräsentanten der Macht ­zurück, die Informationen sammeln, Infizierte identifizieren und den temporär glatten Raum mit Waffengewalt neu einkerben. Der zentrale Metaphernbestand des Filmes wird dementsprechend von Gasmasken, Versiegelungsapparaturen und Schleusen bestimmt, die als Medien des prekären Austauschs zwischen heterogenen Konstellationen omnipräsent sind. Das sich so chiffrenhaft verdichtende Szenario einer mit Kollateralschäden kalkulierenden Disziplinarmacht hat seit George A. Romeros »The Crazies« (1973) einen festen Platz in der Filmgeschichte. Filme wie »Outbreak« (1995) oder »28 weeks later« (2007) beziehen ihre Spannung daraus, dass sie der flirrenden Hitze von Infektionsgefahr und körper­licher Desintegration einen staatlichen Kälte-Pol der Angst gegenüberstellen. Hier knüpft Gorak an und nimmt gleichzeitig eine Zuspitzung vor, indem er die Wiedergeburt des Leviathans als eine funktionalistische Aufrechterhaltung der Angst mit anderen Mitteln kenntlich macht. Dort, wo der Anschlag Regression in vorstaatlichen »panique ­terror« (Thomas Hobbes) verursacht, kann ex post nur Ordnung werden, wenn das kranke Leben für die Verteidigung der Gesellschaft ge­ opfert werden darf. Für die psychische Signatur, die der Ausnahmezustand in seinen Effekten des Leben-Machens und Sterben-Lassens im Individuum als Erlebnis die Überlegung, inwieweit eine Veränderung zwischen dem geschlossenen Paranoia-Film der 1970er-Jahre und der Entgrenzung von terroristischer Agency im Post-9/11-Kino zu konstatieren ist. Für entsprechende Hinweise danke ich Elisabeth Bronfen. Vgl. hierzu ihr bislang unveröffentlichtes Manuskript »Bestimmte Unbestimmtheit. Schrecken, Furcht und Angst im Hollywood-Erzählkino«, vorgetragen während der Tagung »Angst. Kon(junk)turen eines Gefühls«, Einsteinforum 1.-3. Februar 2007. 23 Hermann Schmitz, Was ist neue Phänomenologie?, a.a.O., S. 213.

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totaler Vereinzelung hervorruft, findet »Right at Your Door« eine Bildsprache der Einkerkerung. So dominiert nach dem ersten Drittel des im Format »Super 16« gedrehten Films eine Quadrierung des Bildes, die räumliche Orientierung verhindert und den Innenraum des Hauses als Gefängniszelle erscheinen lässt. An diese Form des ausschließenden Einschlusses knüpft intradiegetisch ein panoptisches Blickregime an, wie es aus Michel Foucaults »Überwachen und Strafen« bekannt ist. Will die Staatsmacht erfolgreich sein, muss die »Registrierung des Pathologischen […] lückenlos und zentral gelenkt sein. Die Beziehung jedes einzelnen zu seiner Krankheit und zu seinem Tod läuft über die Instanzen der Macht: ihre Registrierungen und ihre Entscheidungen«.24 Diese Amalgamierung von Bio- und Disziplinarmacht im Moment des Ausnahmezustands individualisiert sich in »Right at your Door« in der schluss­endlichen Pointe, dass die Angst vor Ansteckung, die Brad zur brutalen Ausgrenzung von Lexi motiviert hatte, nicht diese, sondern ihn selbst zum Tode verurteilt: Während sich das Gift an der frischen Luft so stark verdünnen konnte, dass Lexi zumindest eine Überlebenschance hat, ist die Virenkonzentration im Haus derart angestiegen, dass sich die Krisenreaktionskräfte zur äußeren Doppel-Versiegelung des Hauses und zur giftinduzierten Abtötung des Krankheitserregers entschließen. Dass sie damit auch Brad töten, legitimiert sich mittels seiner statistisch ungünstigen Überlebensprognose. Neben dieser kritischen Reflexion biopolitischer Denkmuster ist an »Right at Your Door« auch der filmische Zugriff interessant, der die in­ tradiegetische Virengefahr an einen extradiegetischen Blick auf Angst als Performanz-Geschehen koppelt. Nach Hartmut Böhme springt Angst über, »stahlt aus, erfüllt atmosphärisch den Raum und bildet AngstGemeinschaften«25 aus. Der Film zeigt diesen Verdichtungseffekt der Angst, der als »atmoterroristische«26 Vergiftung eine ganze Umwelt lebensfeindlich werden lässt, indem er den Ort der Handlung nahezu komplett entvölkert und alle Informationen narrativ durch die Fokalisierung auf Brad filtert. Indem der Zuschauer den eigentlichen Gefahrenherd der brennenden Innenstadt – analog zur Wirklichkeitsvernichtung 24 Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 1989, S. 253. 25 Hartmut Böhme, Vom Phobos zur Angst. Zur Transformations- und Kultur­ geschichte der Angst, in: Michael Harbsmeier/Sebastian Möckel (Hrsg.), Pathos, Affekt, Emotion. Transformationen der Antike, Frankfurt am Main 2009, S. 154184, hier S. 171. 26 Peter Sloterdijk, Luftbeben. An den Quellen des Terrors, Frankfurt am Main 2002, S. 27.

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der Nachrichtenbilder der Breaking News – immer nur aus großer Distanz zu sehen bekommt, vermag es »Right at Your Door«, die Blaupausenfunktion der Echtzeit-Medien für das Gefahrenempfinden des Einzelnen kenntlich zu machen. Die intradiegetische Bilderlosigkeit des Anschlags eröffnet im Zusammenspiel mit den schockierten Korrespondenten-Berichten aus dem Off eine kritische Perspektive auf die Toxizität selektiver Gefahreninformationen, die integral zur politischen Pervasivität von Angst gehört. Die Virtualität des Terrors wird von Gorak einer weiteren Reflexionsschleife unterzogen, indem er für das Bild der über der Stadt aufsteigenden Rauchwolken digital bearbeitete Dokumentaraufnahmen der brennenden Ölquellen in Kuwait auf die Skyline von L. A. überblendet. Im Zeitraffer baut »Right at Your Door« damit en passant ein historisches Tiefengedächtnis in die Handlung ein, das den Zusammenhang von der Stationierung amerikanischer Soldaten in SaudiArabien und der Konjunktur des Djihads ab 1992 in Erinnerung ruft. Dort, wo sich der populäre Film um eine politische Kontextualisierung des Terrors bemüht, ist die Wiederkehr des Verdrängten ein gängiger Topos. Überschaut man nach der Lektüre von »Right at Your Door« das Terror-Genre insgesamt, so drängt sich die Einsicht auf, dass »Fear, without the apprehension of why, or what« (Hobbes) auf Dauer nur schwer zu ertragen ist. Um die kinotypische Angst-Lust genießen zu ­können, braucht es einen Wirkungszusammenhang, der in Form eines Verweises auf die außenpolitischen Sünden der Vergangenheit den gegenwärtigen Hass der Anderen kausallogisch domestiziert. Nimmt man vor diesem Hintergrund Carl Schmitts Diktum, dass »der Feind unsere eigene Frage als Gestalt ist«,27 ernst, wird plausibel, wie das Fantasma dauerhafter Bedrohung »als globale Strategie sozialer Konservativismen«28 wirkt. Der Gegenentwurf zu solch einem identitätslogischen Denken hätte von Derridas Politik der Freundschaft ausgehend deutlich zu machen, dass hinter jedem Feindbild ein polemischer Kampf »mit sich selbst als dem anderen«29 geführt wird.

27 Carl Schmitt, Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, Berlin 1995, S. 87. 28 Michel Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft, a.a.O, S. 81. 29 Jacques Derrida, Politik der Freundschaft, Frankfurt am Main 2000, S. 480.

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Zur Zuschauermobilisierung in Antikriegsinszenierungen Figurenkonstruktionen und Emotionalität in Hollywood-Kriegsfilmen nach 9/11 In den letzten Jahren sind in den USA, aber auch in Europa eine scheinbar nicht abreißende Reihe von Kriegsfilmen produziert worden, die sich mit den Ereignissen seit 9/11, also dem War on Terror in Afghanistan oder dem nicht enden wollenden Einsatz im Irak auseinandersetzen.1 Diese Filme haben als gemeinsames Kennzeichen eine kritische Ein­stellung zu den gegenwärtigen Kriegen, so dass sie auch als Hollywoods Anti-War ­Movies bezeichnet werden.2 In der Filmwissenschaft ist der Antikriegsfilm eine umstrittene Kategorie. Eine gängige Argumentation gegen eine solche Einordnung lautet, sobald ein Film Krieg darstellt, ist es möglich, ihn als kriegsverherrlichend zu rezipieren.3 In dem Film »Jarhead« (USA/Deutschland 2005) von Sam Mendez wird diese Argumentation visualisiert: Junge Rekruten brechen bei einer Vorführung von Francis Ford Coppolas »Apocalypse Now« (USA 1979) in Jubel aus bei der Szene, in der die amerikanischen Hubschrauber ein vietnamesisches Dorf bombardieren.4 Gegen die Kritik am Antikriegs1 Um nur einige dieser Filme aus den letzten Jahren zu nennen: »Redacted« (USA 2007), »Battle for Haditha« (GB 2007), »The Hurt Locker« (USA 2008), »Green Zone« (USA 2010), »Stop-Loss« (USA 2008), »In the Valley of Elah« (USA 2007), »Grace is Gone« (USA 2007), »The Messenger« (USA 2009). 2 Vgl. dazu Gabrielle Murray, Fact and Fiction: The Iraq War Film in Absence, Screening the Past 2009. Online abruf bar unter: http://www.latrobe.edu.au/ screeningthepast/29/fact-and-fiction-iraq-war-film-in-­absence.html (letzter Zugriff: 17.08.2011). Auch auf »Spiegel Online« werden diese neueren Kriegsfilme als Mobilisierung Hollywoods gegen den Krieg im Irak bezeichnet: Lars Olav Beier, Sex mit Bomben, »Spiegel Online«, 10.08.2009. Online abrufbar unter: http:// www.spiegel.de/spiegel/0,1518,641297,00.html (letzter Zugriff: 17.08.2011). 3 Vgl. Burkhard Röwekamp, »Peace is Our Profession« – Zur Paradoxie von Antikriegsfilmen, in: Heinz B. Heller/Burkhard Röwekamp/Matthias Steinle (Hrsg.), All Quiet on the Genre Front. Zur Praxis und Theorie des Kriegsfilms, Marburg 2006, S. 141. 4 Zur Darstellung des Irak-Krieges im Spielfilm und den Strategien, die eingesetzt werden, damit er als Antikriegsfilm wahrgenommen werden kann vgl. Gerhard Jens Lüdeker, Die Darstellung des Irakkrieges im amerikanischen Spielfilm Jarhead, in: Carsten Gansel/Heinrich Kaulen (Hrsg.), Störungen: Kriegsdiskurse in Literatur

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film steht die Erkenntnis, es gäbe zwar eine solche Klasse von Filmen, aber ihre Struk­turen seien einem permanenten historischen Wandel unterworfen, so dass letztlich keine feststehende Definition für einen Antikriegsfilm angegeben werden könne.5 Tatsächlich sind es die Zuschauer, die einen Film als Kriegs- oder Antikriegsfilm bewerten. Einem solchen rationalen Bewertungsakt geht in jedem Fall eine kognitive und affektive filmische Mobilisierung für oder gegen den Krieg voraus. Die Rezeption kann also bis zu einem gewissen Grad durch filmische Strukturen beeinflusst werden, ist aber letztlich vom soziokulturellen Kontext und den Dispositionen der Zuschauer abhängig. Eine wesentliche filmische Strategie zur Steuerung der Zuschauer bildet die Emotionalisierung des filmischen Geschehens. Die häufig unbewusste emotionale Reaktion geht der möglichen bewussten Bewertung des Films in jedem Fall voraus und kann auch nur schwer bewusst reflektiert und hinterfragt werden. Der Kriegsfilm ist per se stark emotional aufgeladen, weil er mit elementaren Grunderfahrungen wie Gewalt und Tod konfrontiert, aber auch, weil er verschiedene kriegführende Parteien zeigt und allein schon dadurch grundsätzliche Sympathien und Antipathien von Zuschauern anzusprechen vermag. Darüber hinaus können Zuschauer insbesondere durch die Figurengestaltung, deren Einbettung in die Narration und die Möglichkeit der emotionalen Anteilnahme am Schicksal der Figuren für oder ­gegen etwas mobilisiert werden. Die Rezipienten begleiten von ihnen positiv bewertete Figuren emotional durch die filmische Welt und werden tendenziell gegen etwas eingenommen sein, das diese Figuren in Mitleidenschaft zieht; dazu können andere Figuren gehören, die eine kriegführende Partei repräsentieren. Im Folgenden will ich diese Strategien der Figurendarstellung und Emotionssteuerung exemplarisch anhand von drei neueren Filmen zum Irak-Krieg analysieren und zeigen, unter welchen Bedingungen eine emotionale und kognitive Mobilisierung der Zuschauer gegen den Krieg wahrscheinlich wird. Das gesamte Korpus der Kriegsfilmproduktion nach 9/11 kann man grob unterscheiden zwischen reinen Combat-­Movies, die ausschließlich an der Front spielen, und Homefront-Movies, die überwiegend in der Heimat spielen. Um dieser Differenz gerecht zu werden, habe ich die britische Produktion »Battle for Haditha« und den amerikanischen Oscar-Gewinner »The Hurt Locker« als Beispiele für Combatund Medien von 1989 bis zum Beginn des 21.  Jahrhunderts, Göttingen 2011, S. 309-321. 5 Diese Position vertritt Burkhard Röwekamp, »Peace is Our Profession« – Zur Paradoxie von Antikriegsfilmen, a.a.O., S. 141-154.

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Movies ausgewählt und »In the Valley of Elah« als Exemplar eines Homefront-Films. Vor den Filmanalysen soll jedoch ein kurzer Abriss des theoretischen Fundaments dieser Arbeit erfolgen: zu den Bedingungen emotionaler Anteilnahme am Erleben von Filmfiguren. Wie entsteht Empathie für Filmfiguren? Das Thema des emotionalen Filmerlebens hat in der Forschung nach wie vor Konjunktur – seit einigen Jahren auch in Deutschland.6 Dabei steht unter anderem das Verhältnis des Zuschauers zu den dargestellten Figuren im Fokus.7 Ich möchte den Prozess der emotionalen Anteilnahme kurz in seinen wichtigsten Aspekten skizzieren: Zunächst kann die Aufmerksamkeit des Zuschauers filmisch auf bestimmte Figuren gelenkt werden, indem diese realistisch und plastisch gestaltet und gespielt werden, andere hingegen eher artifiziell oder stereotyp wirken. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Schaffung von Nähe zwischen den Figuren und den Zuschauern, dabei geht es besonders um die Annäherung der Zuschauer- und Figurenperspektive auf die fiktionale Welt. Das bedeutet, der Zuschauer betrachtet, erlebt und bewertet die Ereignisse in der Diegese des Films annähernd so wie die Figur. Dadurch kann sich leicht ein Effekt der Empathie einstellen, also des Mitfühlens mit der Figur. Dieser Effekt kann durch visuelle filmische Mittel forciert werden. Dabei muss die Kameraperspektive nicht unbedingt subjektiv sein, sie sollte jedoch die Figur in den Mittelpunkt rücken. Durch die Kamera kann sogenannte Paraproxemik entstehen, womit raumzeitliche Nähe bzw. das Gefühl, man werde von der Figur direkt angesprochen, entsteht. Aber auch auditive Mittel spielen hierbei eine Rolle, wie etwa voice-overKommentare, durch welche eine Figur ihre inneren Zustände kommuniziert und zusätzliche Intimität herstellt. Damit diese filmischen Strategien Erfolg haben können, müssen auf der Rezipientenseite jedoch auch einige weitere Bedingungen erfüllt sein. Beispielsweise sollten sich die Zuschauer in einem geeigneten sowie kulturellen und situativen Kontext 6 Um nur einige instruktive Sammelbände zu nennen: Anne Bartsch/Jens Eder/­ Kathrin Fahlenbrach (Hrsg.), Audiovisuelle Emotionen. Emotionsdarstellung und Emotionsvermittlung durch audiovisuelle Medienangebote, Köln 2007; Thomas Schick/Tobias Ebbrecht (Hrsg.), Emotion – Empathie – Figur: Spielformen der Filmwahrnehmung, Berlin 2008; Fotis Jannidis/Jens Eder (Hrsg.), Characters in fictional worlds: understanding imaginary beings in literature, film, and other media, Berlin [u. a.] 2010. 7 Einschlägig ist hier Jens Eder, Die Figur im Film. Grundlagen der Figurenanalyse, Marburg 2008.

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befinden, der sie emotional ansprechbar macht und überhaupt genügend Aufmerksamkeit für intensive Filmrezeption zulässt. Daneben müssen sie über Dispositionen verfügen, die es ihnen erlauben, sich auf die fil­ mische Welt einzulassen – etwa, weil sie das Genre mögen oder nicht rundheraus ablehnen. Sind diese Minimalbedingungen gegeben, ist eine Annäherung der Perspektiven von Zuschauern und Figuren auf die Welt des Films möglich. Grundlage dafür sind einerseits eine fortlaufende Evaluation und Bewertung der verschiedenen Figuren, ihrer Absichten und Taten im Verlauf der Narration, filmische Strategien der Perspek­ tivierung und Aufmerksamkeitslenkung sowie emotionale und kognitive Präferenzen und Aversionen der Rezipienten, wozu natürlich auch moralische Überzeugungen gehören.8 Zur Inszenierung eines traumatisierten Soldaten in »Battle for Haditha« Der in Großbritannien produzierte Film »Battle for Haditha« setzte sich im Jahr 2007 mit Ereignissen auseinander, die sich 2005 in der namensgebenden irakischen Stadt abgespielt haben. Das ist ein Beispiel dafür, wie zeitnah heutige Kriegsfilme auf aktuelle Kriegsereignisse reagieren und somit als ästhetische Artefakte oder Kommentare in die Diskurse über die zugrundeliegenden Kriege eingebunden sind. Innerhalb dieser Diskurse positioniert sich der Film in einer Ausnahmestellung, weil er nicht nur die Sinnlosigkeit und Unmenschlichkeit von Krieg zum Ausdruck bringt, sondern auch narrativ und formal-ästhetisch um eine ambivalente Darstellung bemüht ist, die nicht eindeutig Partei ergreift. Das ist insofern verwunderlich, weil Krieg als Ausnahmezustand vor der Hand Entschiedenheit provoziert: entweder ist man dafür oder dagegen, für die eigenen Soldaten oder nicht, einer Meinung enthalten kann man sich eigentlich nicht. Der Film erzählt eine fiktionale Geschichte, der das Realereignis eines Bombenattentates auf einen amerikanischen Militärkonvoi in Haditha und die anschließende maßlose Vergeltung der Soldaten an der Zivil­ 8 Vgl. dazu auch Werner Wirth/Holger Schramm, Emotionen und Emotionsregulation bei der Medienrezeption aus appraisaltheoretischer Perspektive, in: Sabine Trepte/Erich H. Witte (Hrsg.), Sozialpsychologie und Medien, Lengerich 2007, S. 35-60. Zu der Rolle der Moral bei der emotionalen Anteilnahme: Gerhard Jens Lüdeker, Grundlagen für eine ethische Filmanalyse. Figurenmoral und Rezeption am Beispiel von »Tropa de Elite« und »Dexter«, in: RabbitEye – Zeitschrift für Filmforschung, Nr. 001, S. 41-59. Online abruf bar unter: http://www.rabbiteye. de/2010/1/luedeker_ethische_filmanalyse.pdf (letzter Zugriff: 30.08.2011).

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bevölkerung zugrundeliegt. Das Potenzial zur Ambivalenz erlangt der Film durch seinen polyperspektivischen Auf bau: Die Zuschauer teilen die Sicht des Attentäters Ahmad, eines ehemaligen Soldaten der Armee Saddam Husseins, der sich von einer Gruppe als Terroristen gekennzeichneter Männer gemeinsam mit dem jüngeren Jaffar gegen Bezahlung dafür anheuern lässt, das Attentat durchzuführen. Die längste Zeit teilt man die Perspektive der US-Soldaten, insbesondere von Corporal Ramirez, der sie anführt. Und hin und wieder wird aus der Sicht der irakischen Zivilbevölkerung ­erzählt, die sich eigentlich in permanenter Angst befindet: zunächst, weil die Bürger von dem Attentat erfahren, die Attentäter aus Angst vor terroristischen Racheakten aber nicht verraten, dann, weil sie die Vergeltung der Amerikaner fürchten, nachdem das Attentat durchgeführt wurde. Kurz, die Zivilbevölkerung wird als das eigentliche Opfer des Krieges dargestellt, da sie, zwischen beiden Seiten stehend, aufgerieben wird. Mit Hilfe einer teilweise subjektiven Handkamera, dem Bezug auf das Real­ ereignis und Zeiteinblendungen soll die Darstellung authentisch erscheinen, tatsächlich ist sie visuell an heutiges Action-Kino angelehnt: schnelle Schnitte, Perspektivwechsel und Veränderungen der Kameraeinstellung geben den Zuschauern einen Eindruck von der Unübersichtlichkeit des Geschehens. Es sind nur wenige Figuren individualisiert und werden im Verlauf der Narration konturiert. Dabei wird der US-Soldat Corporal Ramirez in das Zentrum der Aufmerksamkeit der Zuschauer gestellt; das geschieht durch die langen Auftritte, die er bekommt, aber auch, weil er zunächst zu den Opfern des Anschlags gehört, dessen Auswirkungen ausführlich audiovisuell auf bereitet werden. Von diesem Zeitpunkt an stehen seine Aktionen in einem Kausalzusammenhang, der sie für die Zuschauer nachvollziehbar macht und möglicherweise sogar Verständnis für deren exzessive Ausmaße schafft. Denn Ramirez wird von dem Anblick seiner teilweise mit zerfetztem Unterleib daliegenden, schreienden und sterbenden Soldaten getrieben, die Vergeltung einzuleiten. Nach dieser Aktion, bei der auch Frauen und Kinder sterben, entpuppt er sich jedoch als traumatisierter Soldat: Die Kamera ist nahe bei ihm, als er im Bad auf dem Stützpunkt der Marines einen Zusammenbruch erleidet. Konterkariert wird er von dem Attentäter Ahmad, der ebenfalls häufig in Naheinstellungen dargestellt wird, aber zunächst als gewissenloser Killer charakterisiert ist. Er erteilt dem jungen Jaffar altkluge Belehrungen über ihren Auftrag, und erst als er am Ende seiner Flucht vom Tatort zu seiner Familie zurückkehrt, wo er seine Kinder umarmt, weil er froh ist, dass sie noch leben, provoziert auch seine Figur einen Moment lang emotionale Nähe durch Menschlichkeit. 91

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Abb.  1: Battle for Haditha: Ramirez erleidet einen Nervenzusammenbruch im Waschraum.

Emotional bedeutsam ist das Ende des Films, weil dort die dargestellten Figurenemotionen potenziell mit den Zuschaueremotionen kon­ fligieren. Es wird eine Menge weinender und sich die Haare raufender Frauen gezeigt, die um ihre auf dem Boden aufgebahrten Toten trauern. Gleichzeitig rufen einige muslimische Geistliche eine Gruppe junger Iraker mit Kalaschnikows zum Heiligen Krieg auf. Diese instrumentalisierte und emotional aufgeputschte Menge wird schließlich durch eine drohnengelenkte Rakete der Amerikaner in die Luft gesprengt. Während auf der einen Seite die Trauer der Frauen um ihre ermordeten Angehörigen aus dem Kontext der Narration heraus Anteilnahme verlangt, wird diese durch den Schnitt zu den fanatischen Massen, die indirekt an dem Massaker schuldig sind, aufgehoben – unter anderem auch deshalb, weil die Toten die Begründung für weitere Anschläge liefern ­sollen. Es darf bezweifelt werden, dass die distanzierte Sprengung der Menge aus dem amerikanischen Kontrollraum heraus eine Lösung darstellt. Vielmehr markiert sie eine weitere Stufe in einem kon­tinuierlichen Prozess von Gewalt und Gegengewalt. Die Zuschauer werden dieser Situation gegenüber eher ratlos ent­ lassen, und es ist möglich, dass mit der Option einer rationalen Kritik der Handlungen der Figuren auch die emotionale Partizipation an ihnen schwindet. Das ist vor dieser Szene jedoch noch nicht der Fall. Von Beginn an wird im Film mit Figurenkonstellationen gearbeitet, die unterschiedlich perspektiviert sind. Dadurch wird die emotionale Anteilnahme auf bestimmte Figuren gelenkt, während sie anderen systematisch entzogen 92

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wird. Letztlich hängt an der emotionalen Parteinahme für eine der kriegführenden Gruppierungen auch die Einstellung der Zuschauer für oder gegen den Krieg ab. Denn wenn man nicht den Krieg als solchen für notwendig hält, wie es beispielsweise in deutschen Künstler- und Intellektuellenkreisen vor dem Ersten Weltkrieg der Fall war, dann ist es in der Regel die Hoffnung, eine bestimmte Partei möge sich durchsetzen, die jemanden einen Krieg befürworten lässt. Obwohl »Battle for Haditha« durch seinen polyperspektivischen Auf bau zunächst neutral erscheint, weil die Ereignisse in ihrem Zusammenhang und damit in ihrer moralischen Ambivalenz gezeigt werden, unterscheidet sich die Darstellung der einzelnen Figuren in dem Film doch stark. Während die jungen Aufständischen wie auch die Attentäter dem ­Stereotyp des instrumentalisierten und fanatisierten Terroristen entsprechen, ist die Zivilbevölkerung als Opfer beider Seiten dargestellt. Diese Opfer werden jedoch nur flüchtig in Form von herausgehobenen Individuen personalisiert, die nicht die nötige charakterliche Tiefe besitzen, um eine spezifische Anteilnahme zu erlangen. Ganz anders der US-Soldat Ramirez: Dieser entwickelt sich im Verlauf der Narration, und seine Handlungen stehen in einem Begründungszusammenhang. Seine maßlose Rache zu Beginn des Films erscheint durch die amerikanischen Opfer gerechtfertigt, deren drastische Inszenierung an die Anfangsszene von »Saving Private Ryan« (USA 1998) erinnert. Man könnte an dieser Stelle von so etwas wie emotional priming ­sprechen, denn der moralisch verwerfliche Akt des Attentats und die Darstellung der amerikanischen Opfer schafft zumindest zeitweise eine emotionale Voreingenommenheit für die Soldaten und gegen die Attentäter. Dennoch werden die Zuschauer im weiteren Verlauf der Handlung in ein Wechselbad der Gefühle versetzt: Es erscheint legitim, dass die Soldaten sich wehren – dass sie Unschuldige töten allerdings nicht. Die Vergeltungsaktion erleben die Zuschauer überwiegend aus Sicht der Soldaten mit, das Ereignis ist vielfach mit subjektiver Kamera gefilmt, die an Ego­shooter-Videospiele erinnert. Durch die verwirrende Kameraarbeit, den häufigen Perspektivwechsel und die schnellen Schnitte wird verdeutlicht, wie schwierig es für Colonel Ramirez ist, den Überblick zu behalten und rationale Entscheidungen zu fällen. Es wird klar, dass er letztlich durch die Tat der Attentäter getrieben ist. Es entsteht der Eindruck, die Situation sei zu einem Selbstläufer geworden, was Ramirez als Verantwortungsträger in der Rezeption potenziell entlastet. Als schließlich in der zweiten Hälfte des Films sein Trauma zutage tritt, wirkt er menschlicher als alle anderen Figuren in der Diegese. Ramirez verdeutlicht metonymisch, inwiefern die Soldaten selbst zu Opfern der 93

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eigentlichen Kriegstreiber werden – der fundamentalistischen Terroristen und ihrer Vorgesetzten. Durch die visuelle Präsenz der Figur, ihre charakterliche Entwicklung und die Subjektivierung der Sicht wird schwerpunktmäßig Nähe zwischen den Zuschauern und Ramirez als Repräsentant der einfachen US-Soldaten hergestellt. Sein Trauma kann Mitleid provozieren und die Erkenntnis wecken, dass diese jungen Sol­ daten für eine sinnlose Sache sterben – letztlich also auch nur genauso instrumentalisiert werden wie ihre Gegner. Es handelt sich im Sinne von Aleida Assmann um personifizierte viktimologische Opfer, die für keine höhere Sache erbracht werden und daher sinnlos erscheinen.9 Solche Opfer, zu denen im Film sowohl die Soldaten als auch die Zivilbevölkerung zählen, sind nur schwerlich sinnstiftend auszudeuten. Aber es ist möglich, ihnen die emotionale Anteilnahme der Gemeinschaft zuteilwerden zu lassen. Dem wird hier mit filmischen Mitteln Vorschub geleistet. Allerdings übernehmen die Figuren im Film bereits die Anteilnahme an den irakischen Toten, westeuropäische und amerikanische Zuschauer werden aufgrund der genannten Perspektivierung und Emotionalisierung wohl eher Mitleid mit den einfachen Soldaten empfinden. Der kriegssüchtige Adrenalinjunkie in »The Hurt Locker« Im Mittelpunkt von Kathryn Bigelows Film steht die Figur des Sergeant James, der als Anführer einer dreiköpfigen Spezialeinheit für das Bombenentschärfen im Irak seinen am Anfang des Films sterbenden Vorgänger ablöst. Die beiden anderen Mitglieder der Einheit, Sergeant Sanborn und Specialist Eldridge, bekommen schnell Probleme mit James, weil sich dieser durch eine draufgängerische, nahezu todessehnsüchtige Art hervortut und zunächst keinen Wert auf die Kommunikation im Team legt, sondern eher als Einzelgänger arbeitet. Im Mittelpunkt des Films stehen zwei narrative Elemente, aus deren Dynamik dieser seine Spannung bezieht. Ein Element ist der Vorgang des Bombenentschärfens; dieser ist durch hektische Handkamerabilder gekennzeichnet, die im Wesentlichen zwischen Close-ups auf die Kabel und Bomben, Pano­ ramaaufnahmen des Ortes sowie subjektiven Aufnahmen durch das Zielfernrohr der Gewehre hin und her springen. Es handelt sich um eine fast rein visuell erzeugte Spannung, denn die Montage suggeriert, dass jederzeit ein Aufständischer hervorkommen und die Bombe fernzünden könnte. 9 Vgl. Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006, S. 74.

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Das zweite Element sind die anfänglichen Disharmonien im Team: Aufgrund des riskanten Vorgehens von James erwägen Sanborn und ­Eldridge, ihren Vorgesetzten umzubringen. Sie befürchten, sonst nicht überleben zu können. Dieses gruppeninterne Spannungsverhältnis wird gelöst, als sie sich gemeinsam gegen angreifende Aufständische wehren müssen. Wo zunächst kein interner Kitt vorhanden war, sorgt nun ein externer Feind für den kollektiven Zusammenhalt. Dieser Feind bleibt gesichtslos und seine Motive dunkel. Es wird an das Weltwissen der Rezipienten verwiesen, die entweder die Hintergründe für den Aufstand im Irak kennen oder die Gegner als schlicht so böse akzeptieren, wie sie hier auch dargestellt werden. Im Unterschied zum Gegner bekommt James jedoch im Verlauf der Narration menschliche Züge. Dies wird besonders in der Konfiguration mit einem irakischen Jungen deutlich, mit dem er sich anfreundet. Außerdem erfährt man bruchstückhaft, wie er zu dem geworden ist, der er ist: Bei einem Trinkgelage mit seinen beiden Kameraden zeigt er diesen eine Kiste mit Teilen von Bomben, die er entschärft hat, worunter sich auch sein Ehering befindet, denn seine Frau hat ihn verlassen. Hier wird auf ein Stereotyp angespielt, das sich in Filmen, in denen die einfachen Soldaten die eigentlich Opfer des Krieges sein sollen, immer wieder findet: Das Opfer an der Front erscheint angesichts eines Verrats in der Heimat als sinnlos. Die sich trennende Ehefrau steht pars pro toto für die ame­rikanische Gesellschaft, die Sinn und Zweck des Einsatzes in Frage stellt und ihre ›Jungs‹ nicht unterstützt.10 Einen vorläufigen Kulminationspunkt findet der Konflikt zwischen den immer bösartiger erscheinenden Aufständischen und dem mensch­ licher werdenden James, als das Team in einem Haus einen toten Jungen findet, dem Sprengstoff in den Körper implementiert wurde. James entfernt den Sprengstoff und ermöglicht dem Kind ein würdiges Begräbnis. Sein anschließendes Rachevorhaben läuft allerdings ins Leere. Durch diese kurze Skizzierung dürfte das Konzept von Bigelows Film deutlich geworden sein: Die Figur des Sergeant James wird nicht nur durch ihre charakterliche Entwicklung, sondern auch durch einen omnipräsenten, aber nicht greifbaren und hinterhältigen Gegner sympathisch gemacht. Letztlich wollen die US-Soldaten niemanden töten, sondern im Gegenteil durch das Bombenentschärfen Leben retten, während die Aufständischen offenbar nur wahlloses Morden im Sinn haben. Die vielfach subjektive Perspektivierung schafft nicht nur Nähe zu den Soldaten, die vielen Kameraschwenks und -switches transportieren auch 10 Dieses Stereotyp nimmt auch in »Jarhead« einen breiten Raum ein.

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Abb.  2: The Hurt Locker: Sergeant James trägt totes Kind.

die Bedrohlichkeit der Entschärfungssituationen und den damit verbundenen Thrill. Die in der letzten Bombenszene einsetzende Rockmusik stellt klar, dass Sgt. James in etwa so süchtig nach dem Nervenkitzel ist wie ein Musiker bei seinem Auftritt – beide brauchen ihre Bühne. So ist es am Ende des Films aus zwei Gründen nachvollziehbar, warum der zwischenzeitlich in die Heimat zurückgekehrte James erneut seine Familie verlässt: Der weniger plausible Grund ist der moralische Auftrag, die Menschen vor Ort vor den Bomben zu schützen – dieser Grund wiegt nur ähnlich schwer wie die ins Wanken geratene Vorstellung eines moralischen Kriegs gegen das vermeintlich Böse, welche die amerikanische Regierung nach 9/11 ins Feld führte und die tatsächlich auch in diesem Film kommuniziert wird (durch die deindividualisierten, hinterhältigen Feinde). Der viel schwerwiegendere und eigentliche Grund liegt jedoch in der Unmöglichkeit, in das normale Zivilleben zurückkehren zu können; sowohl die Dinge, die James gesehen und erlebt hat, als auch der Adrenalinrausch, den er aus der Gratwanderung zwischen Leben und Tod zieht, versetzen einen Menschen in eine Ausnahmesituation, aus der es keinen Weg zurück in die Normalität gibt. Der Krieg hat James gebrandmarkt – man könnte auch sagen, verdorben. Der Film unterstützt damit zwei Rezeptionsweisen gleichzeitig: Durch die moralische Abwertung der aufständischen Iraker und die entsprechende Aufwertung der Amerikaner sowie die einseitige Perspektivierung und die Schaffung von Nähe zu den Soldaten provoziert der Film positive Emotionen für James und seine Truppe sowie Aversionen gegen nahezu jeden Iraker (denn jeder könnte ein Feind sein). Auf der anderen Seite nutzt Bigelow ihre filmischen Mittel bis zum Äußersten, um die Sucht und den Reiz des Krieges spürbar zu machen. Damit handelt es 96

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sich um einen parteiischen Kriegsfilm, aber auch einen Metafilm über die Faszination des Kriegs sowie seine filmische Verarbeitung. Denn es besteht immerhin die Möglichkeit, dass die Zuschauer über ­ihren eigenen emotionalen ›Kick‹ reflektieren und sich davon ausgehend die Frage stellen, warum sie sich überhaupt Kriegsfilme anschauen. Der Kriegsheimkehrer als Soziopath in »The Valley of Elah« Während es sich bei den vorherigen Fällen um Combat-Movies handelt, die hauptsächlich im Kriegsgebiet spielen und Kampfhandlungen darstellen, ist »The Valley of Elah« von Paul Haggis ein Homefront-Movie, denn die Handlung findet beinahe ausschließlich in der Heimat statt und Kampfgeschehen wird nicht gezeigt. Nun könnte man meinen, genau aus den genannten Gründen sei es kein Kriegsfilm, schließlich führt die Genrezuordnung in Richtung Drama und Krimi. Das ist zwar der Fall, es werden aber bestimmte Ereignisse im Irak-Krieg und letztlich das Unternehmen Krieg als solches thematisiert und problematisiert. Deshalb kann ein Film, der kein Kriegsfilm ist, trotzdem ein Antikriegsfilm sein. Die Story handelt von einem Vater und Kriegsveteran, der Ermittlungen im Milieu von Heimkehrern aus dem zweiten US-Irakkrieg unternimmt, um den Mord an seinem Sohn aufzudecken. Er lässt etwa Fragmente von Videos entschlüsseln, die sich auf dem Handy seines Sohnes befinden. So erfährt er, dass sein Sohn, ein anscheinend ausgezeichneter Soldat, daran zerbrochen ist, dass er ein Kind überfahren hat, weil er seinen Anweisungen Folge leisten musste. Dem Vater offenbart sich suk­ zessive ein Bild durch den Krieg verrohter Soldaten, die seinen Sohn schließlich unter Drogeneinfluss in einem banalen Streit zerstückelten. Typisch für Homefront-Movies, zu ­denen auch »Grace is Gone« (USA 2007) und »The Messenger« (USA 2009) zählen, sind langsam montierte Bilder, in deren Mittelpunkt Fi­guren stehen, die unter dem Verlust Gefallener leiden. Hier ist das die Vaterfigur Hank Deerfield. In »The Valley of Elah« werden diese Bilder durch hektische Handkameraufnahmen aus dem Irak gebrochen, die auf dem Handy des ermordeten Sohnes zu sehen sind. Dieser ästhetische Kontrast zwischen Heimat und Front findet seine moralische Entsprechung in der Dichotomie der Werte des Vaters und derjenigen der Soldaten. Die Vorstellungen von Pflichtbewusstsein und Patriotismus Deerfields werden unterminiert, als er von den tatsächlichen Vorgängen im Irak erfährt und erlebt, wie sich einige der Kameraden seines Sohnes das Leben nehmen. So ist etwa die Rede von Misshandlungen Gefangener und fortwährendem Drogenkonsum, wodurch den jungen Männern das Gefühl für das moralisch Richtige und letztlich die 97

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Abb.  3: The Valley of Elah: Hank Deerfield erfährt von der Zerstückelung seines Sohnes.

Möglichkeit zur normalen Partizipation an der menschlichen Gemeinschaft genommen wurde. Übrig geblieben sind soziopathische Wracks ohne Empathie. Dem Kriegsheimkehrer als Soziopath sitzt Deerfield am Ende des Films in einem Verhörraum gegenüber. Völlig emotionslos berichtet ihm dieser, wie sein Sohn umgebracht, zerstückelt und schließlich verbrannt wurde. Gleichzeitig wird das Bild, das der Vater von seinem Sohn als einem mustergültigen Soldat hat, destruiert, denn dieser unterschied sich psychisch und in seinem Handeln nicht von seinen Kameraden. Wie über weite Strecken des Films, so ist die Kamera auch in dieser Szene äußerst nah an der von Tommy Lee Jones eindringlich gespielten Figur Hank Deerfield und vermittelt seine inneren Zustände, die sich in seinen Gesichtszügen widerspiegeln, an die Zuschauer. Im Schuss-GegenschussVerfahren wird Deerfield das teilweise regungslose, teilweise sadistische Gesicht des soziopathischen Soldaten gegenübergestellt. Umso mehr Abscheu die Zuschauer gegenüber dem Jungen entwickeln, desto größer ist die Anteilnahme an den Gefühlen des Alten, dessen anfängliche Entschlossenheit Fassungslosigkeit weicht. In dieser Szene wird die Diskrepanz zwischen Hank, seinen Werten und der Heimat im allgemeinen und den zeitgenössischen Soldaten und der heutigen Front im besonderen narrativ und visuell auf die Spitze getrieben. Die Anteilnahme der Zuschauer wird zwar während des gesamten Filmes auf Hank gelenkt, hat aber in dieser Szene eine spezielle Funktion, denn das Mitgefühl mit dem fassungslosen Vater bedeutet zugleich, von dem Krieg abgestoßen zu sein. So ist es auch eher ein symbolischer als ein im Sinne der Narration funktionaler Akt, als Hank am Ende die amerikanische Flagge als Zeichen für eine Notlage verkehrt herum hisst. 98

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Fazit: Emotionale Mobilisierung gegen den Krieg im Combat- und im Homefront-Movie Nicht nur das Setting ist in »The Valley of Elah« ein anderes als in den beiden untersuchten Vertretern des Combat-Movies, sondern die emo­ tionale Anteilnahme der Zuschauer wird in ganz andere Richtungen gelenkt. Die Heimat, welche in der Regel durch Angehörige der Soldaten repräsentiert wird, ist in Combat-Movies einerseits ein Sehnsuchtsort, an den man sich von der Front zurückgewünscht, andererseits kann sie aber auch ein Ort des Verrates sein, wenn beispielsweise die Ehefrauen ihre sich im Einsatz befindlichen Männer betrügen. In dieser Art von Kriegsfilmen wird Empathie auf jeden Fall nicht auf die Repräsentanten der Heimat gelenkt, sondern immer auf die Soldaten. Die technischen Bedingungen dieser Lenkung haben erheblichen Anteil an der Art und Weise, wie die Zuschauer den Krieg in diesen Filmen erleben, sie modulieren unsere Einstellung diesem Phänomen gegenüber. Wie gezeigt, sind die hier zugrundeliegenden Combat-Movies vielfach polyperspektivisch aufgebaut und arbeiten mit vielen subjektiven point-of-view-shots, die meistens aus der Sicht der amerikanischen Soldaten erfolgen, zu denen mit weiteren Mitteln, wie etwa der narrativen Erzeugung von charakterlicher Tiefe, Nähe aufgebaut wird. Die Schnitte erfolgen relativ schnell – und eine wackelige Handkamera leistet ihr Übriges, um den Eindruck von Gefahr und Unübersichtlichkeit zu vermitteln. Insgesamt wird die Kriegssituation als unübersichtlich inszeniert, die Soldaten scheinen potenziell von allen Seiten durch Unbekannte bedroht zu werden, sie sind emotional und kognitiv überlastet. Es entsteht auf keinen Fall der Eindruck, die Soldaten seien Herr der Lage. Trotz dieser Chaos evozierenden Darstellungsweise wird auch Spannung erzeugt, kurz, es wird der Thrill des Krieges vermittelt. Alleine diese Darstellung scheint das Handeln der Soldaten zu legitimieren, die gar nicht die Zeit haben, um ihre Entscheidungen moralisch abzuwägen – denn sie befinden sich in einem reinen Überlebenskampf. Zwar kommt mitunter auch die Perspektive der Gegner zum Tragen, wie etwa in »Battle for Haditha«, diese sind allerdings selten individualisiert, besitzen kaum charakterliche Tiefe und verfügen über weniger Erzählzeit als die US-Soldaten. Selbst wenn also kein starres Freund-Feind-Schema entwickelt wird wie in »The Hurt Locker«, wird die Anteilnahme der Zuschauer tendenziell auf die amerikanischen Soldaten gelenkt und weniger auf ihre Feinde. Die derartig erzeugten Kontraste sind wesentlich für die Zuschauer-Bewertung dieser Filme, denn die Iraker erscheinen entweder als passive und hilflose Opfer oder als perfide Fanatiker, während die US-Soldaten die Ge­ 99

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schädigten des Krieges sein sollen: Sie erkennen und thematisieren die Fragwürdigkeit ihres Auftrages und dass man ihre Hilfe gar nicht will. Deshalb wünschen sie sich als traumatisierte Opfer zurück nach Hause – oder sie haben gar kein Zuhause mehr, zu dem sie sich zurückwünschen könnten. Aber selbst als Adrenalinjunkies, für die Krieg ein Selbstzweck ist, sind diese Soldatenfiguren im Kontrast zu ihren Feinden so dargestellt, dass sie, wenn auch kein Verständnis, so doch die Hoffnung evozieren, sie mögen am Leben bleiben. In jedem Fall werden in diesen Filmen Strategien verfolgt, durch welche die Zuschauer für die betroffenen Soldaten eingenommen und gegen die Iraker sowie nicht selten auch gegen die ›Verräter‹ in der Heimat aufgebracht werden. Ganz abgesehen davon, dass diese Filme ihr Spannungskapital aus der aktionsreichen Kriegs­ darstellung ziehen und so Kriegsfaszination hervorrufen können. »The Valley of Elah« funktioniert gewissermaßen andersherum. Die Anteilnahme wird auf die Repräsentanten der Heimat gelenkt, hier auf den Vater, und die Soldaten entpuppen sich als Soziopathen, werden also zu  Objekten der Antipathie. Homefront-Movies setzen nicht auf den Schrecken des Krieges, sondern arbeiten mit der emotionalen Verlust­ erfahrung, die der Tod eines Soldaten für die Angehörigen bedeutet. Damit beleuchten sie einen anderen Aspekt des Krieges, der meistens ­marginalisiert oder überhaupt nicht thematisiert wird. Hier wird eine Vorstellung hervorgerufen, die für viele Zuschauer nachvollziehbar sein dürfte, immerhin macht man im Leben häufiger Verlusterfahrungen – aber nur wenige waren als Soldaten im Irak oder in Afghanistan. »Grace is Gone« lässt es bei der emotionalen Zurichtung der Zuschauer durch Teilhabe an der Bedeutung des Verlustes der Ehefrau und Mutter für den Mann und die beiden Töchter bewenden, in »The Valley of Elah« wird dagegen der Eindruck eines ›falschen‹ Krieges darstellerisch und narrativ vertieft. Denn würde der Krieg nur die Söhne nehmen, könnten diese immerhin noch für eine gerechte Sache gestorben sein, was der Vater zu Beginn auch annimmt. Als dann aber erzählt und vor ­allem auch gezeigt wird, was dieser Krieg aus den Kindern tatsächlich macht bzw. was diese in dem Krieg mit anderen Menschen machen, ist es nicht mehr möglich, in irgendeiner Weise für diesen Krieg Partei zu ergreifen. Statt der Transportation von Thrill und Nervenkitzel wird in diesem Film Aversion erzeugt – vielleicht zuerst eine solche gegen die ­Täter, aber nach einem reflexiven Schritt wird deutlich, dass diese auch bloß Opfer sind. So wird der Krieg insgesamt in Frage gestellt. Weil Homefront-Movies nur die Folgen des Krieges zeigen, das Ereignis selber kaum audiovisuell auf bereiten und wenn, dann so, dass enthusias100

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tische Emotionen vermieden werden, ist es möglich, diese Filme als Antikriegsfilme zu rezipieren. Die Haltung gegenüber dem Krieg mag in Combat-Movies zwar durchaus kritisch sein, aber sie arbeiten doch mit Feindbildern, mobilisieren also Zuschaueremotionen gegen eine bestimmte Partei und transportieren mit dem intentionalen Ziel, Spannung zu erzeugen, immer auch die Möglichkeit der Kriegsbegeisterung. Aus diesem Grund sind Combat-Movies weniger eindeutig als Antikriegsfilme wahrnehmbar als Homefront-Movies.

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Submarine Films as Aesthetic Reflection of War History and War Strategy »Le Triomphant«, »Le Téméraire«, »Le Terrible«: they are terrible – and sublime. The nuclear submarines of the French Triomphant class with their telling names reflect the special character of this specific unit in the navies worldwide. Submarines, especially the gigantic nuclear submarines with ballistic missiles, are horrifying weapons, but in their overwhelming size, their elegant shape and their amphibious mode of existence both on and beneath the surface of the ocean, they also possess aesthetic and mysterious qualities. It is this combination of the terrible and the sublime that has made submarines a favoured object in the representation of war both in film and the media. The submarine film is a special phenomenon in the history of film. A systematic analysis of its structure and elements shows that it indeed can be regarded as a genre in its own right.1 This is confirmed by the considerable number of submarine films that can be identified: since 1910, more than 150 motion pictures have focussed on submarines, or rather, on a single submarine and the fate of its crew.2 In addition to the fictional films, uncounted documentaries present submarines in the First and Second World Wars, in the Cold War and in present-day time. The fascination of the submarine has remained unbroken, as frequent TVbroadcastings of popular movies like »Das Boot« or »K-19 – The Widowmaker« show, often combined with some documentary on the submarine war or on the present-day functions of submarines in the Western navies. Submarine films make use both of this general fascination and of the submarines’ great potential to create suspense in a movie plot. They combine this media-pertinent potential with lessons in history and technology, with insights into war strategy and into the behavior of individuals under extreme pressure. Although they also attract female audiences, 1 Cf. Linda Maria Koldau, Mythos U-Boot, Stuttgart 2010, pp. 96, 110. 2 Cf. the filmography by Johannes Kamps, »100 U-Boot-Filme«, in: »Das Boot. Auf der Suche nach der Crew der U96«, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, hrsg. vom Deutschen Filmmuseum Frankfurt, Frankfurt am Main 2006, pp. 182-197. Kamps describes 100 films, but has found c. 150 specimen. More than 100 films are described on the web site http://submarinemovies.com/index.html, including a considerable number of films not included in Kamps’ filmography.

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submarine films are a primarily »male genre«, displaying a strong emphasis on the fascination of technology and on the subject of a male community standing the test in a situation of greatest danger.3 Thus, they offer a special form of representing war in the media, combining aggressiveness and action with the fascination of warfare in mystifying underwater settings. In this essay, the submarine film is presented as a highly effective aesthetic translation of the submarine myth, whose techniques of representing war change according to the historical and technological context, from conventional war strategy to the asymmetrical warfare of recent years. Thus, the complex interrelation between film representation and historical context is illuminated, showing how warfare in its various historical stages is turned into an aesthetically attractive product. 1. The Submarine Myth: Background and Basic Elements The conquest of the depths of the ocean has been an old dream of mankind. It is known that as early as in the 4th century B.C. diving bells were used.4 Both in the Middle Ages and in the Early Modern Period inventors and fishermen have experimented with various forms of diving apparatus, with some spectacular public demonstrations of man reaching the bottom of the ocean in the 16th and 17th centuries. In the 18th century, comparable experiments to devise a movable underwater vehicle led to the first »submarine« that was used in a war context, David Bushnell’s »Turtle«, which was deployed in the American Revolutionary War. By the early 19th century, the development of war submarines had become a serious issue, but it was not before the end of this century that submarines were systematically produced as weapons for war. Submarines were first regularly deployed by the German Reichsmarine in the First World War, which shaped the general perception of the submarine as an important tactic and strategic instrument in general warfare. Tellingly, the use of the German submarines 1914-1918 still was strongly restricted by moral conflicts and political consideration of international relations – the debate about unrestricted submarine warfare waged over years and eventually 3 On gender issues in submarine films, cf. Linda Maria Koldau, »Frau – Militär – Musik. Darstellungen und Interpretationen im Spielfilm«, in: Musiksoldatinnen, proceedings of the conference Berlin 2009, ed. Albrecht Riethmüller & Rebecca Wolf (in print). 4 On the early history of submarine technology, cf. Jean-Marie Mathey & Alexandre Sheldon-Duplaix, Geschichte der Unterseeboote, Stuttgart 2007, pp. 9-23.

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caused the entry of the United States into the war, which finally led to Germany’s defeat.5 Due to the success and the considerable presence of submarines in the public perception during the First World War, submarines primarily became associated with Germany in the first half of the 20th century. Indeed, in the years between the First and Second World War Germany had a special interest in developing its submarine technology, first secretly (due to the restrictions of the Treaty of Versailles), then, following the Anglo-German Naval Agreement in 1935, quite openly. Karl Dönitz, who had been submarine commander in the First World War, perfected his »wolf pack strategy«, which led to great success once Germany had declared the war in September 1939. Until 1943, when the tides of the German submarine war turned, the myth of the secret weapon and its naval heroes became ever more persistent both in Germany and among the allied forces. After the war, the veneration for the submarine fleet was suppressed, but it strongly resurged with the publication of Lothar-Günther Buchheim’s bestselling novel »Das Boot« in 1973, which was turned into one of Germany’s greatest movie successes in 1981. Paradoxically, the fascination of the submarine was strongly revived due to this novel and its film adaptation, although it had been Buchheim’s aim – and eventually turned into an obsession – to present the cruelty and absurdity of submarine warfare and thus to speak up against submarines. In historical perspective, the submarine myth is primarily a modern phenomenon that became widespread with the deployment of submarines in the First World War. Yet the general fascination with the submarine can also systematically be described as a myth. In the context of this essay, the concept of a modern »myth« is applied in its anthropological sense: a pictorial translation of existential human experience, coupled with public perception and the transmission in popular culture.6 The submarine myth thus stands for a general fascination, an experience which people who have never personally been involved in war seek to immerse in and be carried away by. It is an aesthetically agreeable representation of warfare. 5 Cf. the short summary of the role of the submarines in the First World War in Koldau, Mythos U-Boot, pp. 31-37; with references to the relevant literature in maritime history. 6 Cf. the definition of the »modern myth« in Richard Howells, The Myth of the »Titanic«, Basingstoke 1997, p. 37: »a sophisticated social representation; a complex relationship between history, reality, culture, imagination and identity«. A discussion of the various social anthropological theories about myths is offered ibid., pp. 37-59.

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There are clearly distinguishable elements in the vast production of submarine literature, films, and artistic renditions that make visible a pattern of suspense, manhood and the conquest of an inimical world. They are applied and varied again and again in representations of sub­ marine warfare: – the fascination of the third dimension: human endeavour to master the depths of the oceans and to survive in inimical surroundings; – the aura of the secret weapon: its capability to approach the enemy unnoticed7 and the myth constructed after World War I (and also applied to World War II) that the German submarines would almost have decided the war in favour of Germany; – the fascination of technology: technical innovation lifting man above his natural possibilities; man as a perfectly functioning implement in a high-tech surrounding; – special qualities of the submariners’ service: comradeship among men, mutual trust, ›Schicksalsgemeinschaft‹ (all live, fight, and die together; one for all and all for one); – the heroic combat with all kinds of enemies in extremely confined surroundings: fire, water, time running out, nuclear radiation, outward enemies, mutiny/treason; – the youth of the submariners: David (small, vulnerable, isolated) against Goliath (several allied armies, larger forces, better possibilities of communication);8 – the figure of the Commander: hero and father, head and brain of the entire boat and the crew.

7 This capability became shockingly clear to the Americans with the ›Operation Paukenschlag‹ (Operation Drum-Beat) in January 1942, when German submarines approached the American coast unhindered and caused havoc among the unprotected commercial ships. 8 Cf. Michael Salewski, Von der Wirklichkeit des Krieges. Analysen und Kontroversen zu Buchheims »Boot«, Munich 1985, pp. 29: »Der Bericht über den UBoot-Krieg der Jahre 1943 bis 1945 ist ein Bericht aus dem Reich der Toten. Sie waren jung: 22, 21 Jahre die Kommandanten, die ›Alten‹, 20, 19 die Wachoffiziere. Ihre Lebenserwartung betrug wenige Monate, statistisch waren sie binnen Jahresfrist alle tot. Wenn die Boote La Rochelle oder Brest, La Pallice oder Bordeaux verließen, verdichteten sich Krieg und Geschichte zum raum- und zeitlosen Kampf ums Überleben, der fast immer verlorenging. Nicht mehr das ›Großdeutsche Reich‹ kämpfte gegen die ›Seemächte‹, sondern vierzig bis fünfzig Jugendliche gegen das unerschöpfliche Potential des halben Erdballs.«

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Most of these characteristics can be used to build up a specific suspense, thus supporting the covert or open fear of danger that is so central to submarine films: the constant menace of the underwater setting (water pressure, leaks, and in fantasy films also sea monsters attacking ­submarines); the menace of underwater or surface enemies in a war situation; the potential failure of the technical equipment (which is the central premise for survival in a submarine); the immediate dangers deriving from such a failure (fire, water, radiation); in some settings also treason among the crew members or personal failure of the leading officers.9 All these motifs add up to the perfect fabric of filmic drama: a company of young and brave men is put into a borderline situation, their ­eagerness for combat, their comradeship, their heroism are put to the test and seen in contrast to mortal fear, a nerve-racking chase, and cruel death. And the men are isolated, not only removed from their families and loved ones but quite often also from their headquarters: contact broken by way of damaged antennae, malfunction of the radio transmission, breakdown of the sonar system, and other ›coincidences‹ are a leitmotif in submarine films and serve to focus on the extreme pressure of responsibility weighing down on the young men’s shoulders. There are countless possibilities of variation of these elements, founded on the basic structure of the submarine film, »inside vs. outside«, that is »good vs. bad«. This potential for variety on the fundament of a clear structure and fixed, submarine-specific motifs, is the basic reason why more than 150 submarine films have been made and why they continually fascinate audiences worldwide. 2. The Aestheticization of the Submarine War The structure and the basic elements of the submarine film are endowed with certain aesthetic principles. Submarine films are a pleasant way of representing war: the aura of the sea, manhood and adventure, the racy silhouette of the martial vessel, good comradeship on board the boat and the suspense of torpedo warfare. In contrast to other war films, there is very little shooting, relatively few detonations, hardly any severed limbs nor hanging intestines. Rather than focussing on the violent confrontation of battalions and individual soldiers, submarine films offer a wealth of aesthetic possibilities to entice the spectator: suspense, the strange un9 Of course, the above enumeration cannot be seen as fixed and complete; there are many more motives recurring again and again in submarine literature and film. They are generally more open, though. Cf. Koldau, Mythos U-Boot, pp. 82 f.

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Ill. 1: Final shot of »Haie und kleine Fische« (1957).

derwater world, the fascination of technology, the sheer beauty of an atomic submarine – and ever changing constellations of underwater warfare, of cunning tactics and supreme strategy. Sound design and music contribute decisively to the aesthetic pleasure of a submarine film.10 Even death, the climax of any plot in war film, appears to be aestheticized in the submarine film. In submarine movies, people die decently – there is rarely any blood, and in the end, there is just the calm surface of the sea. None of the dozens of submarine films made since the 1910s has ever shown how a submarine – plus its crew – really dies. After all, nobody knows. As submarine bestseller author Lothar-Günther Buchheim puts it in his novel »Das Boot«: »Those who dived too deep could no 10 Cf. Linda Maria Koldau, »Musik zum Krieg: Klangliche Mittel zur emotionalen Steigerung in U-Boot-Filmen«, in: Militär, Musik und Krieg – Kolloquium anlässlich des 70. Geburtstags von Michael Salewski, ed. by Linda Maria Koldau, Stuttgart 2010 (= Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft 22), pp. 170187; ead., »Sound Effects as Genre-Defining Factor in Submarine Films«, in: MedieKultur 48 (2010), pp. 18-30.

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longer report, and those who have been very deep, could never be sure whether they really had reached crush depth.«11 The filmmakers’ answer to the ultimate question of submarine existence is quite considerate. What happens when the boat reaches crush depth – and surpasses it? What happens when the creaking turns into a ripping noise, when the boat – including its contents – is crushed like a tin can? Nobody knows – and thus, nothing is shown. The rest is silence: the German movie »Haie und kleine Fische« (1957) ends with the endless horizon of the ocean, with the roar of the ever-breaking waves – and the tearjerking Schlager »Wo sind sie geblieben? Fragt doch das weite Meer«! (Ill. 1) More recent films equally prefer reticence on this central question of the submariners’ existence. This general silence, visually represented by the ocean’s inscrutable indifference to mankind’s little skirmishes, is, in fact, part of the submarine myth: the submariners’ end is quiet, their dignified grave lies in the endless depths of the ocean, they are taken back to nature, and we, the onlookers, enjoy the beautiful prospect of blue waves and the peaceful horizon. Reality, of course, is less pleasant. Thousands of submariners have been traumatized by experiencing their comrades’ death in the First and ­Second World War, and tens of thousands died under atrocious circumstances. Until today, filmmakers have preferred not to visualize the real end of a submarine. Lothar-Günther Buchheim, in his ever more acid ­denunciation of the submarine war, at least put it into words in 1985: There are no films or photos of this hellish descent into death ! […] I imagine what would have become of a boat – a crushed clump of ships’ steel, struts, human flesh, clothing, victuals, battery cells, machines, and engines, pushed together as express train compartments in a railway disaster. Perhaps more compact – maybe even like cars after having been through the junk press. […] Are the men’s bodies crushed like flatfish …? Such a hellish descent into the deep may take its time.12 11 »Diejenigen, die zu tief gingen, konnten keine Meldung mehr machen, und die, die sehr tief waren, konnten nicht sicher sein, ob sie tatsächlich die äußerste Tauchtiefe erreicht hatten«, Lothar-Günther Buchheim, Das Boot, Munich 1973, p. 66. 12 »Von der Höllenfahrt des Krepierens gibt es keine Filme und keine Photos! […] Ich stelle mir vor, was dann aus einem Boot wurde, als einen zusammengepreßten [sic !] Klumpen aus Schiff baustahl, Gestängen, Menschenfleisch, Klamotten, Frischproviant, Batteriezellen, Maschinen und Aggregaten, ähnlich zusammengeschoben wie D-Zug-Waggons nach einer Eisenbahnkatastrophe. Vielleicht noch kompakter; vielleicht gar so, wie Autos aussehen, wenn sie aus dem Schredder

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Submarine war is not a decent matter – and all the films that make us think so are deceptive. Submarine films are aesthetically more agreeable than the classical war film, since they do not show much shooting, blood and torn flesh. Instead, they make use of suspense plots building on the various aspects of the submarine myth, offering an aesthetic rendering of an extremely strenuous war situation. It is suspense, not brutal action, that has priority in a submarine film. On the visual level of film production, the suspense plot is combined with the sublime. The »beauty« of war is encoded in the terror of the ultimate weapon – a weapon that is both a refuge and a deadly trap to those serving to make it work. Navy soldiers develop a personal relationship to their submarine, and thus the submarine often appears to be somewhat personalized, a beast, a monster – or a homely stead.13 There are, however, decisive outward differences between the conventional submarines used in the First and Second World War and the nuclear submarines that began to dominate the public perception of the submarine service with the beginning of the Cold War. Owing both the developments in technology and war strategy, ­nuclear submarines emanate quite another aura than the conventional diesel-electric vessels, that – albeit still in use in many navies – in public perception have acquired the character of the »historical« and thus no longer up-to-date submarine. The prevailing image of the Second World War submarine is that of the shark or the wolf: German u-boats fighting the allied forces, or American submariners in war with Japanese destroyers and air forces.14 The image of the aggressive monster coming from the depths is enforced by the visual appearance of Second World War submarines (Ill. 2). The silhouette of the hull is a result of technical exigency: Second World War submarines were »Tauchboote«, i.e. »diving boats«, that depended upon large stretches of surface travel in order to charge the batteries. The submarine’s vital advantage, its capability of disappearing from sight, was used in dangerous situations only: attack and hunt. ­Accordingly, the outer hull resembles the shape of a normal surface kommen. […] Werden die Körper der Leute flachgequetscht wie Plattfische …? So eine Höllenfahrt in die Tiefe kann dauern.« Lothar-Günther Buchheim, ­documentary film »Zu Tode gesiegt« (1985), quoted after Michael Hadley, Der ­Mythos der deutschen U-Boot-Waffe, Hamburg 2001, p. 139. 13 On the corresponding personalization of maritime vessels in civil seafare cf. Howells, The Myth of the »Titanic«, pp. 74-78. 14 Cf. the titles of scholarly and popular books on the submarine war 1939-1945, such as »Neither Sharks Nor Wolves« (Timothy P. Mulligan, 1999) or »Haie im Paradies« (Jürgen Brennecke, 1961).

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Ill. 2: The typical shape of a conventional Second World War submarine, here the VIIC boat lying at Kiel-Laboe (© Linda Maria Koldau).

ship.15 However, exactly this silhouette, supplemented by the ominous pattern of deck guns, also provides the impression of merciless aggressiveness: the submarine is a hunter, speeding towards its prey, cutting the waves with its knife-sharp prow. Its counterpart, the postwar nuclear submarine, offers quite another aesthetic impression (Ill.  3). Nuclear submarines are long-term diving vessels: due to the boundless supply of nuclear power, they are constructed to remain under water for months without surfacing. Accordingly, the hull is the cigar-shaped teardrop hull, patterned after the bodies of whales and offering minimal ­hydrodynamic resistance. The more ­»elegant« outer shape is combined with the awe-inspiring size of the nuclear submarine: the famous Russian Typhoon class submarines have a length of 564 feet (172 meters) and a maximum displacement of 50,000 tonnes. Their dimensions are truly terrifying, dwarfing the men who work with this weapon. This visual ­impact confirms the instinctive awareness that this sort of submarine is a truly murderous weapon: submarines of the Typhoon class carry, just like their American, French or British counterparts, a large number of nuclear missiles with multiple 15 The inner hull in the double hull vessels, however, had the streamlined cigar shape.

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Ill. 3: Power and sublimity – the typical silhouette of a nuclear submarine (© Public Domain).

warheads. Each of these submarines, hidden in the depths of the oceans, can devastate large parts of the globe. Nuclear submarines are a matter of beauty – and of terrifying, limitless power. They combine the terrible with the sublime: filmmakers have exploited this ambiguous quality again and again.16 3. The Historical Context: Submarine Films as Reflection of War History and Military Development Submarine films make the most of the aesthetic effects offered by the submarine myth. However, their agenda is not primarily an aesthetic one: they combine historical, technological and strategic developments of maritime warfare with enthralling events and individual destiny. Historically, submarine films reflect the various periods of submarine warfare in the 20th and 21st centuries, with a few fictionalizations of the early developments in the 19th century: 16 Compare, for example, the opening of »The Hunt for Red October« (1990) or the diving scene in »Crimson Tide« (1995): the nuclear submarines are depicted as awe-inspiring, beautiful monsters.

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19th century:

development of the conventional submarine (the American CSS »Hunley«, the German »Brandtaucher«) World War I: conventional submarines: tactics World War II: conventional submarines: tactics Cold War: nuclear submarines with ballistic missiles: submarine espionage, cat-and-mouse game, tactics and general strategy =› focus on the USA and the Soviet Union Post-Cold War: nuclear submarines with ballistic and/or guided missiles =› focus on the USA and terrorist groups Due to the radical change in the technological development of submarines after the Second World War, submarine films can be divided into two categories that evince characteristic differences in historical setting, technological premises, and the strategic significance of submarine warfare: films with conventional submarines and films with nuclear submarines (Table 1). Both the technological and the historical context have decisive consequences for the design of a submarine film. Films with conventional submarines, typically situated in World War I or II, focus on tactical aspects of submarine warfare (Table 2a). Although the German submarines had a high significance in World War I, since the question of unrestricted submarine warfare became a major political issue, conventional submarines never played a strategic role in the two World Wars. Their ­effectiveness lay in the submarine fleet as a whole and in the successful tactics of individual commanders as well as of the famous »wolf packs«. Since it is a basic rule in filmmaking that it narrates the fate of a limited group of protagonists, submarine films with a setting in these two wars focus on a single submarine with its crew and its commander, frequently taking a historical event as starting point (Table 2b). Thus, submarine films with a setting in the two World Wars highlight tactical, but not strategic issues. This is not the case with films about Cold War and post-Cold War submarine warfare: they expose central questions of war strategy (Table 3). With the advent of the nuclear submarine, international warfare was subjected to a paradigmatic change: nuclear submarines with ballistic missiles, the so-called boomers, are strategic platforms for an atomic war. In fact, they were not conceived as first strike weapon, but served to maintain the precarious balance under the Cold War principle of mutual assured destruction (MAD). Filmmakers, of course, took advantage of the boomers’ devastating destructive potential (regardless of their actual function as second strike weapon). A single submarine can change the course of this world: the perfect motif for any script writer. Due to this 112

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potential of unprecedented destruction, every single submarine is a strategic weapon. Its power is still enhanced by the fact that nuclear submarines are basically invisible and extremely hard to trace: this means that in contrast to land missile bases, the submarine strategic platform cannot be destroyed by a preemptive strike. There is no way around it: nuclear submarines carrying ballistic missiles are the most dangerous weapon in the world. But it is not only the extreme danger emanating from nuclear submarines that is exploited in recent war film production. The Cold War with its threat of utmost destruction, with the concomitant dependence on military balance and with the necessary efforts to spy on the enemy’s most recent technological innovations presents a broad gamut of topics for any suspense novel and action film. It is no coincidence that authors like Tom Clancy – with his bestseller »The Hunt for Red October« (1984) – made their fortune on exactly this subject matter. The focus again lies on a single submarine, its crew and its mission in saving the world. Yet rather than concentrating on combat tactics, films with nuclear submarines focus on suspense, on the ubiquitous menace of an atomic war, on the dangers of nuclear radiation, on the isolation of the crew and on inner conflict – submarine warfare has become more and more psychological. With the end of the Cold War, a new tactical and strategic situation changed the course of international warfare – and, on a more modest scale, of the submarine film. Especially the action film genre has profited greatly from events like 9/11 – it must be said, though, that terrorist and human disaster plots already began to abound in the 1980s and 90s, most famous of all, John McTiernans film »Die Hard« (1990), whose claustrophobic, isolated setting can be found again in many submarine films ­f eaturing terrorists overtaking one of these dangerous vessels. It is typical of these post-Cold War submarine settings that they do not primarily ­involve a conflict between two nations, but rather the asymmetrical constellation of an extremely brutal terrorist group taking hold of a rulebound military submarine (Table 4). Generally, of course, it is a US navy submarine with a well-meaning, but rather helpless crew and some superhero that bails not only the submariners, but incidentally also the United States and the entire (Western) world out of a rather unfortunate situation. The political implications are clear: the terrorists are generally from the Balkan, the Middle East or the former Soviet Union (sometimes they even carry German names !), and the good guys are invariably US citizens. A single exception, the South Korean film »Yuryeong – Phantom: 113

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The Submarine« (1999) should be named: this action film of remarkably high quality offers a completely different setting, which is based on the old conflict between Korea and Japan and uses quite a different set of ­aesthetic values.17 4. Conclusion Despite the vital importance of the historical context for the design and the impact of a film, submarine films are primarily an aesthetic matter. They do use historical, technological and military constellations, often aiming at utmost realism – but they transform the business of war into a tale of suspense and heroism, making the most of the basic ingredients this special military unit offers. The sea, the endless horizon, the awe-inspiring hull of a nuclear submarine, the exciting thrill of underwater combat and all-encompassing nuclear menace: there is much the submarine myth has to offer. Music and sound effects, two important aesthetic parameters in filmmaking, contribute decisively to the effect of sublime and heroic warfare, as analyses of the most famous submarine films have shown. Submarine routine, though, is not half as exciting as the movies make us believe – Buchheim and film director Wolfgang Petersen contributed their share to unmask the myth of the Second World War submarine myth in »Das Boot«. Boomer routines are not much better, if, at least, less dirty and smelly than life on a cramped VIIC-boat. A boomer mission takes months, and until today, it is characterized by waiting, observing, collecting data. »All hands to battle station !« belongs to the world of Hollywood – German TV documentations offer a sobering image of what life on a real submarine is like today. No drama, no suspense, nothing but dreary routine. This is life on a modern German 212A-submarine.18 But this is not the pathos formula needed by Hollywood and other film producers – where is the human interest? Where is the pathos of war? Reality is not sufficient. Thus, filmmakers resort to fictionalized war situations, with all their urgency and human drama, in order to make the submarine myth work for their action-hungry audience. According to the craft of filmmaking, they use every visual and auditory means available to enable a vivid cinematic experience of submarine warfare. This has decisive consequences for our understanding of war. 17 Cf. the analysis in Koldau, Mythos U-Boot, pp. 331-336. 18 Ibid., pp. 455-463.

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A theory of the submarine film as aesthetic representation of war can thus be subsumed under three consecutive points: 1. Submarine films predominantly strive to represent a historical war situation, the technological state of the art and corresponding war tactics and strategy. 2. Historical war scenarios and incidents are singled out and adapted to the exigencies of cinematic art. Aspects of the submarine myth provide the necessary element of suspense and drama. 3. By combining realistic war representation with the aesthetic (as well as commercial) principles of filmmaking, submarine films aestheticize war. The problem is: By aestheticizing war, they make war acceptable – to an audience who has never experienced the reality of warfare. This reality is blood, torn intestines, and miserable death – there is nothing aesthetic about it. Elements of Plot and Setting

Conventional Submarines

Setting

hot war (World War I and II)

Cold War

Action

diving and surfacing, combat =› action in a hot war

long-term underwater mission, isolation and suspense =› action in a cold war

Technique of tactics: hunt, attack, duel warfare Propulsion Primary dangers Historical events

Nuclear Submarines

strategy: long-term missions (espionage, observation)

conventional

nuclear

water pressure, enemies

nuclear energy, atomic threat

– missions of individual boats – Scapa Flow (1939) – Operation Primrose (1941)

– reactor accident on K-19 (1961) – accident on K-219 (1986) – sinking of the »Kursk« (2000)

Table 1

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linda m a r i a koldau Film

Year

Focus

Morgenrot

1933

propaganda: status of the submariners, ennoblement of submarine warfare tactics: Q-boats, prize rule

U-Boote westwärts !

1941

propaganda: comradeship in the submarine fleet tactics: Q-boats, prize rule, attack

The Enemy Below (Duell im Atlantik)

1957

tactics: duel between a destroyer and a submarine

Hellcats of the Navy

1957

tactics: mine fields, intrusion into a harbor

Run Silent, Run Deep

1958

tactics: duel between a destroyer and a submarine; operation in hostile waters

Operation Petticoat

1959

chaotic situation at the beginning of the Pacific War (comedy)

Submarine X-1

1969

tactics: the missions of midget submarines

Das Boot

1981

daily routine on a German VIIC-boat tactics and strategy (convoi hunt)

Table 2a: Motifs in Films with Conventional Submarines

Film

Year

Historical event

Above Us the Waves (X-Boote greifen an)

1955

Operation Source: sabotage of the »Tirpitz« by means of X-class midget submarines in September 1943

U 47 – Kapitänleutnant Prien

1958

Torpedo Run

1958

destruction of the Japanes aircraft carrier »Shinano« through the submarine USS »Archer-Fish« in November 1944

Das Boot

1981

1941 mission of U 96

U-517

2000

Operation Primrose: capture of U 110 with an Enigma machine and secret cipher documents by the Royal Navy in May 1941

Prien’s entry into Scapa Flow, October 1939

Table 2b: Historical Events in Films with Conventional Submarines

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subm a r ine fil ms Film

Year

The Russians are Coming ! The Russians are Coming !

1966

Ice Station Zebra

1968

– Cold War espionage and agents – submarines conquering the Arctic

The Spy Who Loved Me (James Bond – Der Spion, der mich liebte)

1977

– global threat: submarine as the ultimate weapon – Cold War espionage and agents

1978

submarine disaster historical: fictitious variation on the loss of the USS »Scorpion« in 1968; development of deep sea rescue vehicles (DSRV)

1989

submarine disaster historical: fictitious variation on the loss of the USS »Scorpion« in 1968; use of deep sea rescue vehicles

The Hunt for Red October

1990

– Cold War espionage and agents – the nuclear submarines’ cat-and-mouse game – underwater duel between nuclear asubmarines – global threat: the ultimate weapon (loudless propulsion) =› nuclear submarine as first strike weapon (fictitious)

Hostile Waters

1997

submarine collision and reactor accident historical: accident and loss of the Soviet submarine K-219 in 1986

K-19 – The Widowmaker

2002

reactor accident historical: accident of the Soviet submarine K-19 in 1961

Gray Lady Down

The Abyss

Focus American fear for invasion (comedy)

Table 3: Cold War Films with Nuclear Submarines

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linda m a r i a koldau Film

Year

Focus

1995

Russian nationalists have conquered a Siberian missile base and threaten to bomb the USA central motive: has a submarine commander the right to launch an atomic war? (conflict between commander and executive officer)

Steel Sharks (U 577  – Überleben ist ihr Ziel)

1997

an American top expert on chemical weapons is kidnapped by terrorists in the Iraq and must be liberated by US Navy SEALS; part of the team is taken hostage, which results in a duel between an American and an Iraqi nuclear submarine

Crash Dive

1997

Serbian terrorists capture an American boomer and threaten to bomb New York and other American cities

Counter Measures (Crash Dive II)

1999

Russian nationalists capture a Russian submarine with guided missiles and threaten to bomb several cities in the former USSR to enfore the re-establishment of the Soviet Union

Yuryeong. Phantom – The Submarine

1999

a secretly constructed South Korean nuclear submarine fights a private war against Japanese submarines in the Chinese Sea

Agent Red

2000

Russian terrorists capture an American submarine and threaten to attack New York and Moscow with biological weapons

Submarines

2002

Chechenian terrorists capture an American submarine and threaten to attack the USA with nuclear missiles

Phantom Below

2005

an untraceable North Korean submarine attacks and sinks a US submarine

2005

American SEALS must save their comrades who are brainwashed in Uruguay in order to attack the USA =› the conventional Oberon submarine is only staffage and does not play a role as a weapon system

Crimson Tide

Submerged

Table 4: Fictitious Submarine Scenarios with Asymmetrical Warfare

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Klaus Theweleit

Pocahontas, Modell »Avatar« James Camerons »very mad affair« mit der militärischen Medientechnologie im 3-D-Kino1 Bis 2017, dem 400. Todesjahr von Pocahontas, brauchten wir nicht zu warten, um eine Art Antwort darauf zu erhalten, was die »Westwelt« sich einfallen lassen könnte zu einem solchen Datum. Diese Idee kam viel schneller, viel präziser und weit überwältigender, als es sich Vorausschauen nach dem Plausibilitätsprinzip hätten träumen lassen. Sie kam aus dem Kino. »Avatar« heißt der Film, aus dem »das neue Jamestown« schon zum Ende des Jahres 2009 überwältigend auf die Netzhäute der »Westwelt« strömte: J. S. sind die Initialen seiner Hauptfigur, Jake Sully (alias John Smith), in diesem Pocahontas-Film des unablässig kontinentsuchenden Kino-Kolonisators James Cameron, Berufs-Conquistador aus Hollywood, CA. »Avatar« – wie die Computermasken; gemacht von einem Regisseur, der aus lauter Sehnsucht nach dem untergegangenen Kino noch mal einen richtigen Indianerfilm machen wollte und dabei feststellte: das geht nicht. Das geht nicht mehr, jedenfalls nicht mit Kostüm-Indianern, mit Prärie, mit sattellosen Pferden, mit federgeschmückten Schauspielern, mit anstürmenden Indians, die reihenweise umgelegt werden von feuernden Weißen; good gracious, wer will das sehen; niemand kommt, nur ein paar indianische Anwälte. James Cameron wollte aber doch einen Indianerfilm machen, den ultimativen, den letzten, den ersten; einen mit Pocahontas & John Smith und auch mit richtiger mad affair; aber das geht eben nicht mit den guten alten Redskins und ihren versehrten Wounded Knees. Das geht vielleicht aber, wenn der neu entdeckte Kontinent auf einem anderen Planeten liegt; Lichtjahre entfernt in unentdeckten Galaxien; das geht nur als Sci-Fi-Film; und die Indians dürfen nicht einfach Indianer sein, kostümierte Menschen; nein, sondern wirklich fremde Wesen von unirdisch anziehender Schönheit. Solche können heute, das weiß niemand besser als die Menschenbildner aus Hollywood, nur elektronisch erzeugte sein. Fremde Wesen aus Computern. 1 Der vorliegende, essayistische Beitrag ist ein Auszug aus Klaus Theweleits geplantem Band II seines großen Pocahontas-Projekts »Buch der Königstöchter«.

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Aber nicht die Sorte Aliens, die aus der Serie »Alien I-IV« (zu der Cameron die Nummer II beigesteuert hat) in unsere Eingeweide eingedrungen sind bis zu einem Grad, gegen den wir uns endlich immunisiert haben; nein, es müssen ungesehene menschenähnliche Wesen einer anderen Art sein; computergenerierte Katzenmenschen von göttergleicher Geschmeidigkeit, blauer Haut, ein bißchen gestreift, mit aufgestellten spitzen Ohren und wunderschönen grüngelben Augen; ausgerüstet mit ebenfalls wunderschönem Pfeil und Bogen. Und die schönste von ihnen, Neytiri – Cameron lässt sie uns lange Zeit ganz allein anschauen, wie sie ihre zauberhaften Gefilde nächtens durchstreift – heißt nicht, aber ist Pocahontas. Sie kommt ins Bild, sie tritt auf, um einen der Invasoren, J. S., Jake Sully, zu töten; aber ein merkwürdig schwebendes Gebilde senkt sich – in zauberhaftem 3-D – auf ihre Hand am Bogen, eine Art überhöhter Altweibersommer; das Abzeichen der Großen Göttin des Stammes der Blauhäutigen auf diesem fremden Planeten (wie wir lernen), und sie lässt ab vom Tötungsakt; und wird schon in der nächsten Sekunde zur Retterin des J. S.: Ungeheure, nie gesehene Wesen aus dem nächtlichen Unterholz des wundersamen Planeten greifen den schutzlosen Weißen an – und unweigerlich hätten sie ihn getötet, wäre da nicht sie und hielte ihre schützende Hand über ihn. Die wilden Ungeheuer des Waldes sind ihr zu Willen, sie fressen ihr aus der Hand, sie verziehen sich zurück ins nächtliche Dunkel und J. S., Jake Sully, blickt erstaunt und dankbar in die Augen dieses gertenschlanken, offenbar irgendwie weiblichen Wesens (eine Art angewachsener Bikini verbirgt ihre miniproportionierten Brüste); bezaubernde, nein zauberische Augen, grüngelb, mandelartig geschlitzt wie die der asiatischen Medea, schauen amüsiert auf ihn nieder. Warum tut sie das? Warum hilft sie ihm? Zuerst, um ihn zu veräppeln. Trottel du, keine Ahnung von nichts, ist ihre erste Rede. Das ist aber nicht der Grund für ihr Handeln. Ihre Göttin hat es ihr bedeutet. Und sie hält sich daran. Diese Neo-Sci-Fi-Indians sind, wie wir bald erfahren, hoch­ religiöse Leute; sie sind Naturwesen im Sinne von Ökowesen; ihre Göttin lebt in einem heiligen Baum, vielmehr sie ist dieser heilige Baum; diese Na’vi, so heißt diese Population (homophon zu Navy und verkehrte Kurzform von Natives) tun nichts, was den Lehren dieser Großen Göttin/der Natur zuwider sein könnte. Wir sind mitten im (computergenerierten) Öko-Paradies. Warum kann sie, die blaue Katzen-Poca, überhaupt mit ihm, J. S., dem weißen US-Boy, dem Ex-Marine, dem Navy-Typ, reden? Weil sie – diese amerikanischen Kolonisatoren sind schon eine Weile auf dem Planeten der Na’vis – gewisse Erfahrungen mit ihnen hat; es hat Berührungen gegeben, negative; sie kann Sprach-Brocken. Zweitens aber, weil der, dem 120

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sie da nächtens im Dschungel das Leben rettet, ihr nicht als der Jake Sully erscheint, der er eigentlich ist: nämlich ein amerikanischer Soldat mit gelähmten Beinen, ein Rollstuhlmann, der einen Sonderauftrag für die Sicherheitskräfte des US-Stützpunkts auf diesem Planeten durchzuführen hat. Eben dafür hat er den Körper eines der Indigenen erhalten; so etwas können die weißen hochtechnifizierten Amerikaner in ihrer Raumstation auf dem fremden Planeten künstlich herstellen. Nur in diesem »in­ dianischen« Kunst-Körper ist Jake Sully auch Herr seiner Beine, er ist ein blauer Katzenmensch wie seine indianische Retterin. Solche von den amerikanischen Invasoren hergestellten Natives heißen Avatare; und geben dem Film den Titel. Die Indianerin weiß all dies. Er ist nicht der erste Amerikaner in solcher Gestalt, der zu ihnen in den Dschungel kommt (in dem neben lauter nie gesehenen hyperexotisch konstruierten Tieren auch lauter ungesehene, wundersame Pflanzen wachsen); die eingeborenen Na’vi erkennen solche Fake-Körper; und sie, Poca, hätte ihn ja auch sogleich getötet, wäre da nicht der Eingriff der Großen Göttin Eywa ge­wesen; dies sanfte weiße Schwebeteilchen in der nächtlichen Luft, das ihre Bogenhand stoppt. Pocahontas muss J. S. lieben; millimetergenau erfüllt Cameron diesen mytho-historischen Auftrag. Was will er da? Was wollen die Amerikaner da, weiße und schwarze Amerikaner, im Film unverstellt kenntlich als militaristisch okkupierende moderne US-Americans; hoch technifiziert, modernste Waffen, modernste Computersysteme. »Yes, we can« (und zwar alles) – so ihr Gestus. So ist auch der Gestus des Films. Jede kleinste Szene ist technologisch ausstaffiert und ausgereizt bis an die Grenze des Machbaren. Wir können. Alles, was wir wollen. Jedes Bild so, wie wir es wollen. Und jeden fremden Planeten, wie wir ihn wollen. Wir brauchen nur unser Waffenpotential loszulassen, dann sind z. B. die blauhäutigen Na’vi des Planeten »Pandora«, an Zahl nicht größer als Wahunsenacas Powhatan-Stämme im Jahr 1607, innerhalb von Stunden vom Erdboden verschwunden. So würde es auch gehen, hätten allein die Militärs das Sagen in diesem amerikanischen Vorposten in einer fremden Galaxie. Wäre da nicht noch die Wissenschaftsabteilung. Sie forscht über fremdartige Populationen. Und ist schon recht weit mit ihren Forschungen (gegen Ende des Films hält jemand ein Buch in die Kamera, auf dem groß THE NA’VI zu lesen ist). Die Wissenschaftler, Mischungen aus Genforschern, Molekular­ biologen, Elektronikern und Ethnologen, wollen die fremde Population erhalten. Der Kopf des Forscherteams ist eine Professorin: James Camerons Gallionsfrau Sigourney Weaver; das Schwergewicht aller »Aliens«-­ Filme. Womit klar ist, dass sie etwas zu sagen hat in der Hierarchie der amerikanischen Besatzung auf dem fremden Planeten Pandora. 121

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Ohne ihr Gegengewicht hätte der militärische Security-Chef die Na­ tives längst vernichtet. Kein Geheimnis ist der Grund, aus dem die Militärs und das politische Oberkommando des kolonialen Raumstützpunkts die Na’vi bekämpfen wollen: Sie sitzen auf dem seltensten und wertvollsten Rohstoff aller bekannten Galaxien, genannt Unobtanium­­ (= das Unerreichbare). Genau unter ihrem Dorf und beim heiligen Baum ihrer Großen Göttin befinden sich die ergiebigsten Vorkommen. Sie sollen da also weg. Und die Frage ist wie. Wegbomben sagt das Militär. Nein, wir könnten sie überreden, dort wegzugehen, sagen die Wissenschaftler. Und genau das ist die Mission von J. S., Jake Sully, verwandelt in die Gestalt eines Na’vi. Er soll zu ihnen hineingehen, das Vertrauen der Natives gewinnen und sie davon überzeugen, ihr Zentraldorf freiwillig zu räumen; andernfalls droht ihrer aller Tod. Ein amerikanischer Rohstoffkrieg moderner Prägung also, noch dazu konfliktgeladen durch gegensätzliche Interessen im Lager der Amerikaner. So die Grundkonstellation. Aber es wimmelt von Umkehrungen der historischen Pocahontas/ Smith-Konstellation, wie wir sie kennen; Anspielungen, Zitate und Umkehrungen literarisch-filmischer Motive. Schärfste Umkehrung: statt des »Seitenwechsels« der Indianerin plus ihrer Taufe gibt es bei Cameron den Seitenwechsel von Jake Sully/John Smith (plus »Taufe« = Initiation in die Gebräuche der Na’vi). Nicht die Indianerin, sondern J. S., der Weiße, wird zum Überläufer in Camerons Anti-Kolonialmärchen. Nach Bestehen der Initiationsriten wird er zum bekennenden Indianer. Gegen die offenkundige Bösartigkeit seiner Landsleute kämpft er an ihrer Spitze gegen die amerikanischen Invasoren. In »Avatar« sind die Americans die Aliens; Usurpatoren, die unter Vorwänden friedliche Länder besetzen und deren Kultur zerstören, um an begehrte Rohstoffe zu kommen. Am Ende des Films, als die Amerikaner geschlagen abziehen, werden sie direkt auch Aliens genannt; politically correct in Umkehrung. Nicht nur in der Figur von Sigourney Weaver also spielt Cameron das Aliens-Thema hier noch einmal (und anders) durch; Sigourney Weaver, Trägerin des Alien-Monsters in den früheren Filmen, wird zur vernünftig-normalen Gesunden, die von den bösen Eigenen positiv abweicht und mit den ­Eingeborenen, den unbösen Indians, paktiert, wie J. S. (Jake Sully/John Smith) auch. Zudem sind die Na’vi die tatsächlich Religiösen dieses Films; während die Ami-Soldaten für den Zauber der Großen Göttin nur Hohn und Spott übrig haben. Auch »Kocoum« ist auf der Szene, der Häuptlingssohn des »Stammes«, ihr, der Königstochter, als Ehemann versprochen; aber zunächst machtlos zusehend, wie sich seine versprochene Braut in den Fremden in Indianergestalt, in J. S., Jake Sully, den blauhäutigen Neben122

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buhler, verliebt und sich in einer wundersamen Zaubernacht, mit Bil­ ligung der Großen Göttin Eywa, formell mit ihm verbindet. Aber Sully wird sich mit Kocoum aussöhnen; Seite an Seite kämpfen sie gegen die technologischen Americans (»Kocoum & Jake Sully/Kevin Kostner, die mit den Wölfen tanzen, gegen die weißen Usurpatoren«). Cameron und sein Team werden ihr Vergnügen gehabt haben am Spiel der Verkehrungen und Zitate, dem versierten Alltagsgeschäft von Regisseuren, Schauspielern, Scriptwritern, Kostümbauern. Wie sehr Cameron mit »Avatar« dennoch dramaturgisch der Genre-Linie eines IndianerWesterns folgt, demonstriert die Wendung der Story zum Schluss des Films: Sie inszeniert einen astreinen Showdown zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen J. S.-Indianer, nackt, und dem amerikanischen Oberkommandeur, sicher eingepanzert in einem Kampfroboter. Wie zu erwarten, wie abzusehen und wie üblich, neigt sich das Kampfglück dem Bösen zu; der blauhäutige J. S.-Indianer ist schon so gut wie besiegt, da schreitet Pocahontas ein weiteres Mal zur Rettung und feuert zwei gefiederte Pfeile in die für einen Moment entpanzerte Brust des USGenerals; und einen davon mitten in sein böses Conquistadorenherz. In seinen rein märchenhaften Passagen, in denen J. S. »die Kultur« der Na’vi von seiner Lehrerin »Pocahontas« lernt, wobei die beiden Körper sich so notwendig wie unwiderstehlich ineinander verlieben, zeigt der Film bislang Ungesehenes; überwältigend schöne Momente in fantastischem 3-D. Es gibt da unter den Tieren urweltlich fliegende Dino-Vögel, hyperelegant und bemalt wie von Niki de Saint Phalle, auf denen die Indians dieser fremden Galaxie in taumelnden Spiralen durch die Lüfte ­segeln/reiten: pure Lust, sich ihren Flügen zuschauend zu überlassen; Momente, in denen man fast vergisst, welche technologische Power der Film »Avatar« auffährt, uns diese Momente einer vorzivilisatorischen UrWelt-Natur im Zustand einer göttlich-tier-menschlichen unversehrten und scheinbar unversehrbaren Körperlichkeit vor Augen zu führen. Alle Unwahrscheinlichkeiten schöner Bewegungsabläufe, von denen man glaubte (ich jedenfalls glaubte), bestenfalls extrem gut gezeichnete Animationsfilme würden die Schwerelosigkeit hinbekommen, die nötig ist, das ­sehende Auge und die schwebende Psyche zum Absehen von jeder physischen Wahrscheinlichkeit zu verführen, sind hier technologisch hergestellt und gelungen. Die Computertechnologie von »Avatar« übertrifft lässig – und lässig ist entscheidend – jede schauspielerische Möglichkeit und selbst die fast unbegrenzten Möglichkeiten zeichnerischer Animation der Figuren- und Bewegungskonstruktion. Fast möchte man sagen, nicht einmal Traumbilder kommen da mit. Hier sind die schöneren Lebewesen. Hingerissen schreibt Georg Seeßlen: »Wenn man ›Avatar‹ 123

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gesehen hat, hat man alles gesehen, was das populäre Kino derzeit können will und wollen kann«.2 Seine technologisch-elektronischen Spektakel, den Gipfel der bis dato gerechneten Bilder im Kino, die technologisch strahlendste Computerkunst, bringt »Avatar« uns allerdings dar – und hier beginnen die Einwände – im Gewand diverser esoterischer Akte. Esoterische Akte, die sehr offensichtlich darauf zielen, alle irgendwie irgendwo an irgendwas (noch) »glaubenden« Gläubigen auf der Welt aus ihren Höhlen in die Kinos zu locken; (avisiert: kalkulierte Zuschauerrekorde, die prompt eintraten). Gelockt wird die Welt-Menschheit im Rahmen einer Erzählung, in der das Technische das Böse ist, das naiv-urweltlich-religiös TierMenschliche aber das Gute; das Gute, welches über alles hochtechnologische Kriegsmaterial siegt – mit Hilfe von Pfeil und Bogen. Ist’s möglich – frage ich mich nach einer Weile –, ist’s möglich, heu­ tigen Menschen, den abgebrühten Kinogängern aller Weltteile, so ein Pfeil-und-Bogen-Wunder zu verkaufen zu Beginn des Jahres 2010? Offenbar: ja. Wir sehen staunend, wie die blauhäutigen Indians auf ihren Flugsauriern hoch aus der Luft von ihren hängenden Felsen herabstoßen (das neunte Weltwunder unter Einarbeitung von Magritte) und jede Menge der amerikanischen Kampfhubschrauber in die Tiefe befördern, verendend in riesigen Feuerbällen. Wir sehen eine Phalanx von Riesennashörnern mit einer Art Querbalken, einem meterbreiten Rammbock vorn an den Schnauzen, deutlich den Hammerhaien abgeschaut, mit Verve die amerikanischen Kampfroboter über den Haufen rennen. Die amerikanischen, scheinbar unverletzlichen Neu-Ritter im Eisengewand, ausgestattet mit Feuerwaffen, werden hinweggefegt von der Urgewalt prähistorischer Über-Tiere, schön zu Kampfgruppen geordnet unter der Einwirkung der Kräfte der Großen Göttin Eywa; das elfte Weltwunder, das zwölfte und dreizehnte lassen nicht auf sich warten. Lauter (urwelt­ liche) Ungeheuerlichkeiten, montiert in die Dramaturgie von Indianerfilmen. Ein solcher tobt nun vor unseren Flinten; die Urwelt siegt, die Natives siegen, die Urreligion siegt; auf Vögeln reitende Indianer siegen  …Tod den Kolonialisten ! (»Amis raus aus Vietnam !« … aus dem Irak! … aus Afghanistan !); und über allem eine weitere gigantische ­Ladung Esoterik, Bild & Ton: magischer Körpertausch, eine magische 2 Georg Seeßlen, Drogentrip mit Pixelromantik.. James Cameron hat den ersten großen All-in-One-Film für ein Jahrzehnt gedreht. »Avatar« ist Fantasy und Western, Wunderwerk und B-Movie, moralisches Statement und visueller Trip, in: »die tageszeitung«, 16.12.2009. Online abruf bar unter: http://www.taz.de/!45451/ (letzter Zugriff: 17.10.2011).

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Auferstehung, Resurrektion des guten Wilden aus Jake Sully/John Smith – bloß: kein einziges der Zauberbilder dieser Anti-Technologie-Orgie wäre herstellbar ohne die ausgefuchsteste Computertechnologie der Welt; ohne den letzten Schrei elektronischer Bild(be)arbeitungsverfahren aus den Studios des Technik-Freaks James Cameron in L. A. Wenn das nicht pervers ist – also wirklich verdreht – weiß ich keinen Sinn für dies Wort. Was ja nicht schlimm wäre. »Perversionen« sind der Motor vieler Künste; sie haben immer Raum für jede Sorte Drehungen und Schwindel. Künsten, die nicht das Körpergefühl drehen bzw. verdrehen, fehlt das Wichtigste, fehlt die Kraft der Überschreitung. Hier erlebt man (erlebe »ich«; wie und mit welchem Körperteil?) jedoch so etwas wie eine Umkehrung des Verfahrens der Transgression in ihr Gegenteil. Der Körper antwortet mit Ekelgefühlen. Noch nie hat ein Film derart an meinen Eingeweiden gezerrt, mir »den Magen umgedreht«. Der Körper rebelliert gegen diesen Versuch, ihn total zu bescheißen; zwar hingerissen von einigen Bildpas­sagen, ihrer Wunder-Technologie, zapple ich, ungläubig aufgewühlt in der Wahrnehmung, dass dies doch nicht wahr sein kann: die naive Urwelt galaktischer Indianer und ihre »antikolonialistische« Ideologie zu feiern unter ausschließlichem Einsatz der technologischavanciertesten, also auch potentiell kriegerischsten, potentiell imperialistischsten Technologie, die auf der Erde existiert – und der der Film in seiner Herstellungsweise auch huldigt. Auf der Story-Ebene siegt die Urwelt; wechselt »John Smith« die Fronten und kämpft an der Spitze der Esound Öko-Krieger auf bunten Vogel-Sauriern erfolgreich gegen die hochgerüsteten modernen Invasoren. Wo dieselbe Technologie, mit der der Film seine Über-Flug-Bilder generiert, in den Wirklichkeiten außerhalb des Kinos im Innern aller amerikanischen Kriegsgeräte jede Sekunde auf der Welt ihre Rohstoffkriege führt bzw. Teile der Erde mit solchen Kriegen bedroht. Natürlich kann und soll man argumentieren – und so ist das im Film auch angelegt –, dass hier nicht nur »Indianer« gegen »militärische Hochtechnologie« antreten, sondern zwei verschiedene Technologien gegeneinander: Schwerindustrie (= alt; kriegerisch; kolonialistisch) gegen Computertechnologie (neu; friedlich; ökologisch). Im Klartext: Apple wäre ein ökologischer Indianer aus dem All. So wie der iPod in der Hand heutiger Jugendlicher natürlich ein Pirat ist, ein unkriegerisch medientechnologischer. An einer solchen ästhetischen Fusion von Öko, Urvolk, Weltraum und elektronischer Technologie könnte man im Kino Spaß haben: würde sie anschweben auf den Schwingen artistisch-verspielter Ironie. In Camerons »Avatar« kommt sie aber als volle Ladung und voller Ernst. Das haut um. Und sprengt das Denken. Hat man es, später, wiedergefunden, 125

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hört man sich, ebenfalls zu »ernster Rede« gezwungen (um den Magen wieder in eine aushaltbare Lage zu bringen), entgegnen: außerhalb des Kinos, liebe Leute, dominiert eine ganz andere Fusion; nämlich die Kooperation grad jener Elemente, die der Film gegeneinander ausspielt. In den amerikanischen Drohnen, unbemannten Flugbombe(r)n, die in Afghanistan und sonstwo ihre menschlichen Ziele finden (»War On Terror«), sind modernste elektronische und alte metallurgische Flug­ industrie ja perfekt vereinigt. Keine dieser Tötungsmaschinen fliegt ohne die Technologie, der sich die Märchenbilder von »Avatar« verdanken, Elektronik im Metallmantel. Im »Ziel« explodieren sie, tödlich, nicht spielerisch. In »Avatar« fliegt diese Technologie zur Ermöglichung der Hochzeit der ökologischen Königstochter aus der »fernen Galaxie Pandora« mit dem zum Naturmenschen konvertierten amerikanischen Soldaten (= Kolonisator) Jake Sully/John Smith. Die zauberhafte Verbindung der beiden unterm Blütenregen der Großen Mutter Eywa (inklusive Sieg von Pfeil und Bogen über die amerikanische Drohnen-Technologie) besiegelt die neue Reinheit einer geretteten Welt (Erde + Rest-Galaxien); aus den Lautsprechern im Kino schwellen dazu unaufhörlich religiöse Gesänge, elektronisch-gregorianisch. It’s so hard to go on! Überwältigt von der Ladung absurder Perversionen in 3-D hängt der Körper in den Seilen (des Kinosessels) und kapituliert … »Größter Kinohit aller Zeiten« … von den Pharaonen bis zu Obama … sieht so aus, als wäre der neue Zuschauer, der neue Mensch aus Camerons Hirn entsprungen, wie ein Kind, das, mit Herz und Hirn und allen vieren gefesselt an sein Videogame, ausruft: »Tod allen Computern … Es lebe die Natur … Ich liebe die Indianerin … die mandeläugig intergalaktische …und ihren Großen Gottesbaum« … wozu es mit dem Joystick onaniert … und die Sonderangebote durchsieht zum Updating der eigenen Playstation … schon nah der Erlösung … alle Götter werden Brüder … alle GöttInnen … Auch alle Banker … Auch alle Krieger … & alle Töchter werden Schwestern … ah, Große Mutter Ey-war, niederschwebend als galaktischer Altweibersommer … computergeboren … demnächst in 4-D. *

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Den Beleg, dass Cameron all das keineswegs ironisch oder sonstwie gebrochen in Szene gesetzt hat auf einer der üblichen Comedy-Schienen, liefern seine Interviews: »Ich möchte die Zuschauer auf eine Reise nach ›Kinderland‹ mitnehmen, ihnen also auch das kindliche Staunen zurückschenken. Dieser erfundene Planet ›Pandora‹ kann uns allen einen neuen Respekt für die Natur auf der Erde zurückgeben. Denn nicht die Tech126

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nik und nicht 3-D und nicht die Spezialeffekte sind hier das Ent­ scheidende, sondern die Geschichte. Dazu gehört zum Beispiel auch die ökologische Botschaft des Films. Mir war das wichtig.« Solche Öko»Botschaft« aus dem Mund eines Mannes, der sich gern als »Technikfreak« bezeichnet (und dies mit »Avatar« brillant demonstriert), dreht einem gleich nochmal den Magen um. So »naiv« kann niemand sein, schon gar nicht in dieser Branche; bei einem Film, der damit wirbt, die höchsten Produktionskosten aller Zeiten verschlungen zu haben (und einen fast ebenso großen Werbeetat). Cameron: »Ich bin ein bisschen nervös in Bezug auf die Marketing-Kampagne des Films: Wir erreichen den weiblichen Teil des Publikums nicht so, wie wir es sollten. Wir, die wir den Film kennen, wissen, dass es ein emotionaler Film ist, ein Film, der bei Frauen gut funktioniert, wenn sie erstmal im Kino sitzen – Dinge wie diese machen mir Sorgen.«3 … in der Falle des Königstochter-Blicks … die Sorge ist sicher (mehr als) echt. Was Cameron also faktisch tut: er steckt die gesamte moderne Kriegselektronik in »Avatar« ins Gewand von Greenpeace. »Botschaft«: Der böse rohstoffraubende heutige Amerikaner wird vom Erdboden verschwinden, wenn die Unterdrückten und Unterentwickelten dieser Erde sich weiterentwickelt haben zum Ur-Indianer, in dessen Seele allerdings die neuesten Computer ticken. Computer, die natürlicherweise an Gott glauben, die keine Umweltschäden anrichten und auch sonst nichts zerstören: fundamentalistische Friedenscomputer. Das potentiell Tötende modernster Technologien tritt uns entgegen in Gestalt betender blaugefärbter Naturmenschen aus dem All, die Frieden für ihren Planeten fordern. Cameron steuert tatsächlich – über den Körper der katzenäugigen Pandora-Königs­ tocher – eine Art ökologisch-elektronische Weltaufsicht an (wie der Superschurke im Superheldencomic die Weltherrschaft ansteuert). In der Terminologie einer alten Psychologie – der Psychoanalyse Anna Freuds – heißt das, wozu »Avatar« das Publikum anleitet, Identifikation mit dem Aggressor. Das Aggressionspotential der Gesamtheit aller neuen Technologien wird im neuen Naturmenschen versteckt, im galaktischen Indianer unkenntlich gemacht und in uns gesenkt in Gestalt jener schwebenden Medusen, die in Camerons 3-D-Verfahren in den Zuschauer3 Rüdiger Suchsland, »Ich möchte die Zuschauer auf eine Reise nach ›Kinderland‹ nehmen.« James Cameron im Gespräch über seinen Ökothriller ›Avatar‹, Kino­ revolutionen und intellektuellen Ehrgeiz, in: »Telepolis«, 15.12.2009. Online ­abruf bar unter: http://www.heise.de/tp/artikel/31/31726/1.html (letzter Zugriff: 18.10.2011).

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raum hineinsegeln und in uns einschweben wie Viren aus einer jensei­ tigen Zauberwelt; nicht weniger als Gehirnwäsche. Ihr Funktionieren legt nahe, dass die ins Kino gehende Menschheit überall auf dem Planeten bereit ist, ihrer Ersetzung durch technologische Wesen dann zuzustimmen, wenn diese – wenn der heftig ersehnte »neue Mensch« – nicht mehr in der (historisch negativisierten) Utopie des Roboters erscheint, des metallischen Maschinenwesens, sondern als neue Natur aus dem All: in »Avatar« als tiermenschlicher »Indianer«, als galaktischer Urmensch (computergeneriert). Dem Technologiewahn, den »Avatar« auf der StoryEbene bekämpft, verdankt der Film komplett seine Gestalt. Eben das könnte das Geheimnis seines Welterfolgs sein. Wir, die Menschheit der modernen Technowelt, sind so weit, Tod und Teufel zu akzeptieren (in 3-D), wenn sie zu uns kommen in Gestalt elektronischer Friedensengel aus der Steinzeit. Um derartige Kino-Bilder zu generieren, müssen die neuen Techno­ logien natürlich ihre beliebtesten Wohnorte wechseln; müssen sie die ­Raketen- und Panzerkörper, die bombenwerfenden Kriegsgeräte und Schnellfeuergewehre verlassen, in denen sie sonst (überwiegend) zu Hause sind; und die Studiocomputer upgraden, um uns von dort ­märchenhaft mit nie gesehenen Kinobildern zu verzaubern. Der »neue Mensch«, den Cameron avisiert, wird dann, so die weiteste umfassende »Botschaft« des Films, den Krieg nicht mehr nötig haben. Vorher aber: »Auf zum letzten Gefecht«; dieser Ruf repetiert sich (im Kino) selbstredend automatisch. In »Avatar« zum letzten Gefecht mit ­allen Mitteln, auch denen des alten Indianerfilms: eine halbe Stunde tobender Kampflärm mit Neo-Indians auf Urweltpferden, die stählernen Robotern den Garaus machen, zum Lärm eines Musik-Bombardements gemixt aus Western-Attacke, Hollywoods Kriegs-Fanfaren und einem orgelnden Eso-Schleim, der noch Tage später die Gehörgänge verstopft. Der technologische Überfall, verkleidet als Friedensgöttin, kommt syn­ ästhetisch als heftige Gewalt. Die ganz und gar berechnete Seele des ­Kinozuschauers, »unsere« umgerechnete »Seele«, soll solche Bilder und solchen Geräusch-Track schlucken als das neue befreiende Reale. Genau für solche Operationen nutzen Hollywoods Computergötter die weltweit gehypte Neue Religiosität, was »Avatar« eindrucksvoll vorführt. The Return of the Vanishing American, als den Leslie Fiedler die historische Heraufkunft »des Hippies« beschrieb, ist damit technologisch erledigt. Der Drogen-Hippie mit seiner buddhistischen Esoterik ist verschwunden, weltweit, im Indianer »Computer« – welcher, schwindelerregend, mit urweltlichen Außergalaktischen heult, und zwar höchst gläubig. (Egal, gläubig »an was«. Sagen wir, teuflisch gläubig). 128

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Derart triumphiert der »Indianer Computer« in seinen speziellen Zauberhöhlen, die mal Kinos hießen, aber kein Kino mehr sind. Zumindest ist es nicht mehr Film, was in ihnen gezeigt wird. »Avatar« besteht aus und in Siliziumbits. Seine Kameras sind Rechner. Die Raumtiefe ist kein Produkt der Linse und auch keine Sache des Auges. Sie ist gerechnet und berechnet, uns in einen Raum zu führen, der kein Raum ist. 3-D schluckt paradoxerweise den Kino-Raum: Das Kino mit »Avatar« verwandelt sich in ein computeranimiertes Puppentheater. 3-D stellt die Guckkastenbühne wieder her; wir blicken in ein hochtechnifiziertes Museums-Diorama. Tiefseeaquarium, sagt meine Frau während des Films zur wuchernden 3-D-Fauna (ohne von Camerons langjährigen Unterwasserarbeiten zu wissen). Zu denen hat Cameron angemerkt, in den Tiefen des Ozeans sei es sehr leicht, sich wie auf einem anderen Planeten zu fühlen.4 Neben der Tiefsee ist der Raum in »Avatar« Computerspace auf Moni­ toren. In Camerons 3-D-Kino ist auch die Leinwand, die immer noch Leinwand heißt, nichts als Monitor. Das Space-Ship-Kino insgesamt findet sich verwandelt in einen Großcomputer, in dessen Innerem wir beschossen werden mit elektronischen Ladungen, die uns umformen zu Teilen seines Eingeweides; uns physisch elektronisieren. Genau das also, wofür dieser Begriff in der Programmiersprache der Elektroniker erfunden wurde: »Avatar« heißt elektronischer Doppelgänger, ist Maske einer Menschfigur, die im Avatar endlich aufhören soll, eine solche zu sein. Erst dann wird Frieden. Genau dies Geschöpf schlägt die Augen auf im letzten Bild von Camerons Bilderschau. Und schaut uns an, blauäugig, katzenäugig, stumm. Erwachend im Zeitalter der Post-Humanität. Der letzte Mensch, das Monster, das Alien, hat ausgedient. *

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Wer hätte das gedacht – ich hätte nicht gedacht –, dass Pocahontas & John Smith uns noch mal erscheinen würden im elektronischen Nicht-mehrKino als blauhäutiges indianisches Paar. Denn Jake Sully wird in der letzten Szene des Films neugeboren als Indianer –; ein Paar, das im Jahr 2010 mit jugendlichem Ungestüm die amerikanischen High-Tech-Kolonia­ listen samt ihrer überlegenen Flug- & Waffentechnologie kriegerisch ­hinausbefördert aus Pocahontas’ heimischem Virginia – hier genannt:

4 Tiefsee-Aquarien – die schätzt ja auch, überall auf der Welt, alle Welt. Und hat dabei den Zugang zu diesem »anderen Planeten« unter den Fingerspitzen, täglich – auf heimischem PC.

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Pandora –; und dies unter akustischer Re-Installation aller native ����� religions, die der Erdball je hat singen hören. Cameron and his computers had some very mad affairs. HE GIVES US FEVER … ? ? … Fever when she kisses? … Fever when she holds us tight … (und dichter als tight in 3-D). Fieberschauer in einem Computerkunststück, welches uns erzählt, dass amerikanische Kriegstechnologie durch die Ureinwohner des Alls, perfekte steinzeit­ liche Bogenschützen, besiegbar sei; dass diese Kriegstechnologie potentiell ökologisch wäre, wenn nur richtig eingesetzt; und dass modernste Elektronik sozusagen genuin zu neuer/alter Religiosität führt. (Was, nebenbei, die Musikindustrien besonders freut; denn unter dem Schirm von Spiritualität lässt sich jeder brodelnde Musikmüll unter Menschen bringen; auf diesem Gebiet hat allerdings die Steinzeit schon lange gesiegt.) So also The True Story of Pocahontas im Jahr 2009; der ein wenig verspätet eingetroffene Beitrag des elektronischen Hollywood zum 400. Jahrestag der Gründung von Jamestown, Virginia. Ein wenig verspätet, weil es seine Zeit brauchte, die digitalen Film-Wunder auf dieses Höchst­ niveau zu trimmen. Wäre interessant, wie Little Bear & Silver Star diesen neuen Überfall verarbeiten. Cameron und sein Team mussten einige innovations kreieren für ihre True Story, nicht weniger als eine neue (technologische) Welt mit einem ganz neuen John Smith und einer ganz neuen galaktischen Pocahontas. (Nicht bloß einer playboymäßig ausgezogenen wie in Terrence Malicks Pocahontas-Film von 2005: in diesem dümm­ lichen Sentiment-Spektakel »The New World«, in dem ein geiler John Smith, mit Pocahontas im Schilf stehend, zum 2. Satz von Mozarts ADur-Klavierkonzert seine Hände auf ihre Hüften legt, während leuchtendste Kalenderfotografie den Abendhimmel von »Virginia« (Good Old Fucking Country) vergoldet). Beide jedoch, darin stimmen Malick und Cameron überein, kommen komplett ohne die Figur des John Rolfe aus und ohne Pocahontas’ rotweißen Sohn Thomas Rolfe; womit sie voll in der Spur des traditionellen virginischen Gründungsmythos fahren. Die Love Story Pocahontas/Smith triumphiert bei beiden … in »Avatar« nicht tragisch, wie in Camerons »Titanic« … dort bekanntlich unvermeidlich. Hier dagegen das New America aus dem All als esoterischer Vulkan … digital aus allen Rohren … um Digitalität zu vergessen. Eine Königstochter als urweltlich-elektronische Katzenfrau, hyper-religiös, die ihr eingeborenes Ur-Territorium kriegerisch behauptet gegen die Bedrohung durch eine invasive Technologie – ohne die sie, das ist der Clou, nicht existieren würde, keine NanoSekunde lang. 130

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Es ergibt sich der (dann doch etwas überraschende) Befund: vom kolonialistischen Zugriff der griechischen Argonauten aufs Kaukasische bis zur Mikroelektronisierung der Welt und unserer Wahrnehmungswelt geschehen die angepeilten Landnahmen über den Körper der Königstochter; von Jason bis zu James Cameron. Auf der Kunst- bzw. der Propaganda-Ebene gilt: Ohne eine »Medea«, ohne eine »Pocahontas« keine New Worlds; auch nicht in den raffiniertesten Verzweigungen modernster Silicon Valleys. Auch das neuzeitliche Weltraum-Kino, auf Saurierflügeln elektronisiert, bezieht die Energien für seine High-Orbit-Umlaufbahnen weiterhin aus dem artistischen Recycling des Anzapfens von Königstöchter-Körpern. Eine Einarbeitung, die der Körper der Königstochter im Jahr 2010 – das ist der elektronische Quantensprung – als Kunstfigur allerdings lebend übersteht. Cameron: »Das Wichtigste war, mit ›Avatar‹ dem Publikum etwas zu zeigen, was es nie zuvor gesehen hat«.5 Das hat er (auch indem er das Bekannteste zeigt) fraglos hinbekommen. Der Preis: das Publikum hängt in den Seilen, am Rande seiner gehirnlichen Selbstauslöschung. Täuschender, anspruchsvoller – auf technisch so hohem Niveau – kam der Bock noch nie als Gärtner. Märchenhaft. Sagenhaft. Siegreiche Gesänge des bildgenerierenden Siliziums. Die Finger auf der Rechner-Tastatur hat ein alter Schurke, Captain John Smith, der untote Unsterbliche; vom Jamestown-Lotsen zum Kartenzeichner der Mayflower-Fahrt, zum überfliegenden Bildingenieur von Filmverfahren, denen es gelingt, modernste elektronische Waffentechnologien im Körper attraktiver unschuldiger junger Mädchen zu verstecken … im Körper von Pocahontas-Neytiri … in 3-D … der Täuschung dreidimensional. Nach welcher Melodie auch das hippste Techno-Märchen 2010 gesungen wird? Immer noch nach Königstochter jüngste, mach mir auf …

5 Rüdiger Suchsland, »Ich möchte die Zuschauer auf eine Reise nach ›Kinderland‹ nehmen.« James Cameron im Gespräch, a.a.O.

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2. Emotionale und ästhetische Aspekte der Kriegsberichterstattung in den Medien

Thomas F. Schneider

Reduktion, Emotionalisierung, Ikonisierung Bilder des Todes in der Kriegsberichterstattung (Fotografie, Fernsehen, Internet) Susan Sontag hat sich in ihrem grundlegenden Essay »Das Leiden anderer betrachten«1 umfassend mit der Repräsentation von Krieg in Bildern, vorrangig in der Fotografie, auseinandergesetzt. Dabei hat sie die Faszination und die emotionalen Effekte analysiert und hinterfragt, welche Affekte diese Bilder beim Betrachter auslösen. Obwohl an vielen Stellen diskutabel, ist ihrem abschließenden Befund nicht zu widersprechen, dass kein Bild des Krieges auch nur einen entfernten Eindruck von der Realität des Krieges vermitteln könne.2 Die hieran notwendigerweise unmittelbar anschließende Frage wird von Sontag jedoch nicht gestellt: Wenn Bilder des Krieges nur mittelbar auf eine von den nicht unmittelbar Betroffenen nachvollziehbare ›Realität‹ des Krieges verweisen, worauf verweisen sie dann? Rekurrieren sie in einem reziproken Zirkel auf eine beim Betrachter vorausgeahnte oder alternativ im kollektiven Gedächtnis3 implementierte Vorstellung davon, wie ›Krieg‹ auszusehen hat, und erfüllen die Bilder damit eine Erwartungserwartung des Betrachters? Welche Bilder können diese Konditionen erfüllen, wie sind diese Konditionen und Traditionen entstanden und mit welchen Konnotationen sind sie behaftet? Gerhard Paul ist in den vergangenen Jahren nicht müde geworden, darauf hinzuweisen, dass das kollektive Gedächtnis historischer Ereignisse zum überwiegenden Teil aus Bildern konstruiert ist und Geschichtsschreibung sich konsequenter- und ebenso notwendigerweise mit einer Geschichte der Bilder zu beschäftigen habe.4 Diese Geschichte 1 Susan Sontag, Das Leiden anderer betrachten, Frankfurt am Main 2005. Zuerst als Susan Sontag, Regarding the Pain Of Others, New York 2003. 2 Ebd., S. 146-147. 3 Mit dem Terminus »kollektives Gedächtnis« beziehe ich mich auf die von Astrid Erll detailliert von der Begrifflichkeit Maurice Halbwachs’ und Aleida Assmanns hergeleitete Definition. Vgl. Astrid Erll, Gedächtnisromane. Literatur über den Ersten Weltkrieg als Medium englischer und deutscher Erinnerungskulturen in den 1920er-Jahren, Trier 2003, S. 15-92. 4 Grundlegend in Gerhard Paul, Von der Historischen Bildkunde zur Visual History. Eine Einführung, in Gerhard Paul (Hrsg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 7-36.

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der Bilder erweist sich, wie an Pauls instruktivem Band »Das Jahrhundert der Bilder«5 abzulesen ist, als Abfolge von zu Ikonen geronnenen Bildern, die unsere Vorstellungen eines historischen Ereignisses zugleich defi­ nieren und dominieren. Es ist das besondere Verdienst von Pauls Publikation, diese Ikonen an Hand von Einzelbeispielen zurück in ihrem ursprünglichen Entstehungskontext verfolgt und ihren Weg zur Ikone nachvollzogen zu haben, um damit die Verschiebung der Bildbedeutungen und Konnotationen nachzeichnen zu können. Darüber hinaus verdeutlichen einige Beiträge zu den Bildbeispielen die Traditionslinien und Stereotypen, die Interdependenzen zwischen einzelnen Medien und die Wiederverwendbarkeit der Bilder in anderen Kontexten. Für Bilder, die den Krieg befürworten helfen sollen, sind solche Tra­ ditionslinien in vielen Fällen offensichtlich. So ist das Aufrichten der jeweiligen Nationalflagge oder eines anderen vergleichbaren symbolischen Gegenstands unbestreitbar als Zeichen der Inbesitznahme zu werten – sei es auf Iwo Jima, dem Reichstag, dem Mond oder auf Ground Zero.6 Ein okkupierter, ein verloren gegangener Ort wird wieder in Besitz genommen und damit dem Betrachter versichert, dass ein katastrophischer und zugleich chaotischer Zustand in den der Normalität zurückversetzt wird. Wenn Tacitus 180 n. Chr. in den »Annalen« den zweiten Germanienfeldzug des Germanicus damit legitimiert, dass dieser aufgebrochen sei, um den in der »Varus-Schlacht« verloren gegangenen Legionsadler wieder in Besitz zu nehmen, so wird die Relevanz der Inbesitznahme für die zeit­ genössischen Rezipienten verdeutlicht, und es ist zugleich zumindest ein frühes Zeugnis dieser Traditionslinie benannt, die seit der Antike das Medium von der Schrift zur Fotografie gewechselt hat. Die ihr zuzuordnenden Produkte haben jedoch medienunabhängig nichts von ihrer eine Normalisierung versichernden Konnotation verloren. Impliziter funktionieren Schutz suggerierende, den jeweiligen Kriegseinsatz rechtfertigende Bilder wie die durch die Jahrhunderte zu verfolgenden Repräsentationen von Soldaten an Gewehren oder Maschinen­ gewehren. Die standardisierte Perspektive ist die aus leichter Unter- und Rückenansicht auf den das Gerät beherrschenden Soldaten, der den Feind nahezu ausschließlich von rechts erwartet.7 Die Kameraposition 5 Gerhard Paul (Hrsg.), Das Jahrhundert der Bilder, Bd. 1, Göttingen 2009, sowie Ders.: Das Jahrhundert der Bilder, Bd. 2, Göttingen 2008. 6 Siehe Jost Dülffer, Iwo Jima. Die patriotische Siegesikone der USA, in Gerhard Paul, Das Jahrhundert der Bilder, Bd. 1, S. 674-681 und Ernst Volland, Die Flagge des Siegers. Die Rote Fahne auf dem Reichstag, ebd., S. 714-721. 7 Siehe Frank Hischer, Ernst Jünger: Das Antlitz des Weltkrieges, Osnabrück [Examens-Arbeit] 2007.

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hinter dem Schützen, die zugleich die Position des Betrachters ist, verdeutlicht die verteidigende Potenz der eigenen Streitkräfte gegen einen im Bild nicht benannten und unsichtbaren Gegner, der jeweils nur aus dem historischen Kontext, also aus einem Vorwissen über das Ereignis, zu erschließen ist. Die Bilder ›funktionieren‹ in ihrer Grundaussage jedoch auch ohne dieses Vorwissen, und da sie einer im kollektiven Gedächtnis verankerten Ikonografie folgen, sind sie reproduzierbar im Sinne von wieder-herstellbar. Susan Sontag ist in »Das Leiden anderer betrachten« der Meinung, dass die Wirkung und Legitimation eines Bildes wesentlich von seinem Wahrheitsgehalt abhängt.8 So sei die Diskussion, ob Robert Capas berühmte Aufnahme aus dem Spanischen Bürgerkrieg, »Falling Soldier«, gestellt sei oder nicht, entscheidend für die Akzeptanz und kriegskritische Wirkung des Bildes. Sollte sich herausstellen, dass das Bild gestellt sei, würde es seine internationale Wirkmächtigkeit verlieren. Dem steht entgegen, dass Ikonen der Kriegsdarstellung auf Komplexität verzichten, Nebensächliches ausgeblendet wird und man sich bei Ihnen auf das Wesentliche der Aussage konzentriert. Die Position von Robert Capas Fotografie aus dem spanischen Bürgerkrieg im kollektiven Gedächtnis beruht nicht zuletzt darauf, dass mit Ausnahme des fallenden Soldaten keine weiteren Bildinhalte identifizierbar sind.9 Die Landschaft ist karg, der von keinem Gegenstand unterbrochene Horizont teilt das Bild in zwei Hälften. Mit Ausnahme der Uniform (die wohl kaum ein heutiger Betrachter an Hand von Indizien mehr als die eines republikanischen Soldaten zu identifizieren in der Lage wäre) weist nichts auf den speziellen Krieg, den Ort oder das Datum der Aufnahme hin. Was der Betrachter sieht, ist ein offensichtlich von einer Kugel getroffener Soldat im Moment des Fallens. Selbst die Information des Sterbens ist nicht dem Bild zu entnehmen, sondern einem Vorwissen des Betrachters geschuldet, das literaturwissenschaftlich den Paratexten zuzuordnen ist. Die Information, das Bild sei gestellt, gehörte ebenfalls zu den Paratexten und müsste erst diesen verstetigten Informationen eingeschrieben werden, ehe sie Relevanz für die Wirkmächtigkeit erlangen könnte – und dies ist ein zeitraubender Prozess. Die Reduktion der Komplexität lässt sich auch an weiteren Ikonen des pazifistischen Bildkanons beobachten. So zeigt Eddie Adams’ Fotografie 8 Susan Sontag, Das Leiden anderer betrachten, a.a.O., S. 65 ff. 9 Vgl. zur Geschichte des Bildes Irme Schaber, The Falling Soldier. Eine politische Ikone des 20. Jahrhunderts, in Gerhard Paul, Das Jahrhundert der Bilder, a.a.O., Bd. 1, S. 514-523.

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der Erschießung eines Vietcong in den Straßen Saigons von 1968, »Saigon Execution«,10 in der ursprünglichen Fassung einige Details, die im Laufe der Verwertung und Ikonisierung des Bildes verloren gegangen sind. Das Problem der Entstehung des Bildes aufgrund der Tatsache, dass Medien anwesend waren, die Erschießung also konkret von den Medien zumindest mitinszeniert worden ist, soll hier außer Acht bleiben. In Adams’ ursprünglicher Fassung lief am rechten Bildrand ein Schüler oder Student ins Bild, und zwar von rechts unten nach links oben, unbeteiligt und unbeeindruckt vom zeitgleich in unmittelbarer Nähe stattfindenden Ereignis. Ein in diesem Sinne vom eigentlichen Geschehen ablenkendes, wegen des Desinteresses geradezu konterkarierendes Detail fiel als erstes im Ikonisierungsprozess zum Opfer. Der im linken Hintergrund im Original sichtbare Soldat mit martialischem Gesichtsausdruck wurde zum nächsten ›Opfer‹, so dass heute Adams’ Fotografie auf das ›Wesentliche‹, Täter und Opfer, reduziert erscheint, im kollektiven Gedächtnis ver­ ankert ist und so auch in anderen Kontexten als Zitat wieder verwendbar ist. Wer hier auf wen schießt und vor allem warum, ist die Erzählung der Paratexte, die Erzählung des Bildes aber ist auschließlich die des Tötens und Sterbens. Nic Uts Foto des Mädchens Kim Phúc von 1972 ist ebenso das Ergebnis einer Reduktion. Da als Ergebnis einer Ansammlung von Medienvertretern in der Nähe eines zufällig bombardierten vietnamesischen Dorfes entstanden, existieren diverse Versionen des Motivs der fünf Kinder.11 Einige dieser Versionen sind in gewisser Hinsicht reflexiv, da sie sowohl die Aufgenommenen als auch die Aufnehmenden zeigen, und eignen sich somit in keinem Fall zur Ikone, da Ikonen ihre Medialität grundsätzlich ausblenden – nichts soll die vermeintliche Identität von Kameralinse und Betrachter stören. Selbst in Uts ursprünglicher Version sind am rechten Rand noch Fotografen zu sehen, die der Reduktion der Komplexität aber längst zum Opfer gefallen sind.12 Die Liste dieser reduzierten Bilder des Sterbens und der Opfer im ­Kanon der Kriegsbilder ist lang, und die Bilder sind fest im kollektiven 10 Siehe hierzu Stephan Schwingeler und Dorothée Weber, Der Schuss von Saigon. Gefangenentötung für die Kamera, in Gerhard Paul, Das Jahrhundert der Bilder, a.a.O., Bd. 2, S. 354-361. 11 Vgl. Gerhard Paul, Das Mädchen Kim Phúc. Eine Ikone des Vietnamkrieges, in Gerhard Paul, Das Jahrhundert der Bilder, a.a.O., Bd. 2, S. 426-433. 12 Für die Intention der Reduktion könnte von Belang sein, dass in den Versionen mit den Medienvertretern die Kinder gerade vor diesen flüchten, während in Uts Version die US-Soldaten als Bedroher erscheinen.

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Gedächtnis verankert: Der fallende französische Soldat des Ersten Weltkrieges, der ursprünglich aus einem französischen Spielfilm stammt; Capas »Falling Soldier«; der fallende deutsche Soldat im Zweiten Weltkrieg, der mit dem Zusatz »Why?« in den 1970er- und 1980er-Jahren als Plakatmotiv den Weg in die Zimmer friedensbewegter Aktivisten fand; Adams’ »Saigon Execution«; ein Still aus dem Video über das angebliche Gefecht an einer Straßenkreuzung in Gaza 2000.13 Uts, Adams’ und das letzte Beispiel liefern zugleich einen Hinweis auf die Prädominanz des Mediums Fotografie, des gefrorenen Bildes, gegenüber dem Film. Sowohl das vietnamesische Mädchen Kim Phúc14 als auch die Erschießung des Vietcong15 existieren auch als Filmaufnahmen, die jedoch in keinem Fall die Wirkmächtigkeit erlangt haben wie die entsprechenden, das Geschehen ›einfrierenden‹ Fotografien. Die Filmaufnahmen sind komplex, sie zeigen ›überflüssige‹ Details oder erzählen im Fall der Erschießung des Vietcong zugleich die Entstehung und den Kontext des ›eigentlichen‹ Bildes, der Nachricht. Dies erfordert vom Betrachter Reflexion – über das Gesehene, seine Entstehung und Distribution und damit über die Rolle des Betrachters selbst. Das Medium tritt in den Vordergrund, ist präsent, eine kontemplative ›Versenkung‹ in den Bildinhalt, eine Konzentration auf das vermeintlich Wesentliche ist nur bedingt möglich. Filme sind in diesem Kontext einmalig und nicht austauschbar, sie sind verortet und zeitlich gebunden, ihre Historizität wird ebenso erzählt wie die Limitationen des Mediums (insbesondere mit fortschreitender Entwicklung der Aufnahmequalität). Ein Film ist keine Ikone.16 13 Vgl. Esther Schapira, Mohammed Al Durah. Die Ikone der zweiten Intifada, in Gerhard Paul, Das Jahrhundert der Bilder, a.a.O., Bd. 2, S. 678-685. 14 Siehe einen Zusammenschnitt unbekannter Herkunft: http://www.youtube.com/­ watch?v=QJ2_YmvzBBo (letzter Zugriff: 21.04.2010) oder http://www.dailymotion. com/video/x71ks1_phan-thi-kim-phuc-vietnam-napalm_news (letzter Zugriff: 21.04.2010). 15 Die Aufnahmen des Kameramannes Vo Su existieren in mehreren Schnittversionen, häufig ist Adams’ Foto als ›Referenz‹ eingebaut. Siehe http://video.google. com/videoplay?docid=6691386969411115472 (letzter Zugriff: 21.04.2010). 16 Es wäre erkenntnistheoretisch, kognitionswissenschaftlich und neurologisch zu klären, bis zu welchem Umfang Filmsequenzen im kollektiven Gedächtnis eine Fotografien vergleichbare Dominanz einnehmen können. Einige historische Ereignisse werden – so scheint es – nicht in stehenden Bildern, sondern in Sequenzen erinnert: die Ermordung John F. Kennedys, der Einschlag des zweiten Flugzeugs in das World Trade Center. Versuche Pauls, diese zweifellos als Ikonen zu wertenden Bildfolgen auf Standfotos zu reduzieren, verweisen durchweg auf Publikationen in Periodika, damit auf einen Medientransfer und letztlich sekundäre

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Doch wenn Ikonen der Repräsentation des Krieges insbesondere mit kriegskritischem Impetus im Wesentlichen auf einer Reduktion der Komplexität des Bildinhalts beruhen, worauf verweisen sie dann und woraus gewinnen sie Inhalt, Bedeutung, Aussage? Worauf beruht ihre Wirkmächtigkeit? Die Details der Paratexte geraten mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildes in Vergessenheit und verlieren ihre Bedeutung. Es ist zunehmend für die kriegskritische Wirkung eines Bildes irrelevant, in welchem Krieg es entstand, welche Partei eines Konfliktes es zeigt und von wem es aufgenommen wurde. Die Bedeutung des Bildes ruht in sich selbst, und dieser Umstand ermöglicht die nicht kommentierte Reproduktion in unterschiedlichsten Kontexten und Medien wie Zeitschriften, Zeitungen, Büchern, als Standbild in Filmen, als Zitat in Kunstwerken, als Plakat, als T-Shirt-Aufdruck oder als Dekor einer Kaffeetasse. Einen Hinweis auf eine mögliche Antwort auf die Frage nach der Rekontextualisierung und dem Ursprung der umfassenden Konnotation liefert Kyoichi Sawadas ebenfalls im Vietnamkrieg 1965 entstandenes Foto einer mit den Füßen an einen US-amerikanischen Panzer gebundenen Leiche eines Vietcong, das auch zweifellos zu den Ikonen der kriegskritischen Repräsentation von Kriegen zählt.17 Auf den ersten Blick ist das Bild ›harmlos‹: Es zeigt einen Panzer, auf dem sich zwei Soldaten, von denen einer raucht, befinden, und eine vermeintliche Leiche. Die Soldaten zeigen sich unbeteiligt, als sei dieser Transport einer Leiche alltäglich und vor allem nicht beachtenswert. Worin besteht dann die irritierende Wirkung des Bildes? Die Traditionslinie des Bildes reicht zurück in ein anderes Medium, die Literatur, und erneut bis in die Antike: Homer schildert in der »Ilias«18 die Tötung Hektors durch Achilles und wie ­dieser den Leichnam des Gegners mit den Fersen an seinen Streitwagen bindet, um ihn im Triumph durch das griechische Lager zu schleifen. Homer verurteilt unzweideutig diese Tat als »schändlichen Frevel«, als Ausdruck der Hypostase des Siegers über den wehrlosen Feind, was letztendlich auf die Legitimation des gesamten Krieges zurückverweist. Sawadas Bild schließt hier unmittelbar an: Es ist letztendlich Homers im Verwendungen und wirken daher konstruiert. Vgl. Sibylle Machat, Der Jahrhundertmord. Attentat vor laufender Kamera, in Gerhard Paul, Das Jahrhundert der Bilder, a.a.O., Bd. 2, S. 282-289 sowie Stephan A. Weichert, Aufmerksamkeits­ terror, 9/11 und seine Inszenierung als Medienereignis, ebd., S. 686-693. 17 Vgl. Gerhard Paul, Bilder des Krieges. Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn/München 2004, S. 352. 18 22. Gesang, Vers 387-398.

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k­ ollektiven Gedächtnis tief und – vor allem – nicht bewusst verankertes Urteil eines Verstoßes gegen einen grundlegenden Konsens westlicher Zivilisation, das Sawadas Bild eingeschrieben ist und vom Betrachter ›mitgelesen‹ wird. Die Wirkmächtigkeit dieser Tradition wurde im Oktober 1993 während des Engagements der USA im somalischen Bürgerkrieg deutlich, als von einem somalischen Kameramann gedrehte Filmaufnahmen von verbrannten und an Pick-Ups gebundenen Leichen amerikanischer Soldaten als Film und Stand-Foto in den US-amerikanischen Medien auftauchten,19 zu einem Aufschrei der Empörung und letztendlich zum Abzug der US-Truppen im März 1994 führten.20 Weiter noch: ­Ridley Scotts Film »Black Hawk Down« (USA 2001) nimmt implizit Bezug auf diese Bilder, indem er zwar das gleiche Ereignis vom 4. Oktober 1993 schildert, die Behandlung der Leichen der US-Soldaten jedoch gerade nicht zeigt, sondern dem entgegen das durchgängige Motiv des »No man’s left behind« setzt. Der vom Pentagon unterstützte Film ist eindeutig auf eine Revision der Erinnerung an diesen militärisch und vor allem medial katastrophalen Einsatz der USA in Somalia ausgerichtet.21 Die Bilder aus »Black Hawk Down« sollen die Bilder der Leichen, die Homers »Ilias« aufrufen, ersetzen und aus dem kollektiven Gedächtnis streichen, damit die gesamte Bewertung des historischen Ereignisses revidieren und die Einstellung (zumindest) der US-Bevölkerung gegenüber militärischen Einsätzen verändern. Wie dieses Beispiel zeigt, verweisen ikonisierte Repräsentationen des Krieges vermutlich nicht nur auf den jeweils relevanten Krieg, sondern auf über- und umfassende Traditionslinien und Wertemuster, die unserer 19 Teile der Aufnahmen sind zu sehen in der ARD-Reihe »100 Jahre. 1993 – Debakel in Somalia«. Vgl. http://www.youtube.com/watch?v=7UUkO3RH8nw (letzter Zugriff: 21.04.2010). 20 Vgl. Hermann Nöring/Thomas F. Schneider/Rolf Spilker (Hrsg.), Bilderschlachten. 2000 Jahre Nachrichten aus dem Krieg. Technik – Medien – Kunst, Göttingen 2009, S. 366-367; Jonathan Mermin, Television News and Intervention in Somalia. The Myth of a Media-Driven Foreign Policy, in Political Science Quarterly 112 (1997), Nr. 3, S. 385-404. 21 Vgl. Tom Doherty, The new war movie as moral rearmament: Black Hawk Down and We were Soldiers, in Cineaste 27 (2002), Nr. 3, S. 4-8; Eckart Pabst, ›Let’s Go and Get Things Done !‹, Krieg als die Fortsetzung kultureller Differenzen mit anderen Mitteln in Ridley Scotts ›Black Hawk Down‹, in Christer Petersen (Hrsg.), Zeichen des Krieges in Literatur, Film und den Medien, Kiel 2004, S. 170-193; Philippa Gates, ›Fighting the Good Fight‹. The Real and the Moral in the Contemporary Hollywood Combat Film, in: Quarterly Review of Film and Video 22 (2005), Nr. 4, S. 297-310.

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kulturellen Tradition eingeschrieben sind. Es ist dabei überraschenderweise unwichtig, ob die Traditionen und Muster vom Betrachter erkannt werden, sie funktionieren unbewusst und – im Gegensatz zu Susan Sontags Prämissen – ohne ikonografische Kenntnisse.22 Die Ikonen lassen sich vor diesem Hintergrund kategorisieren und Traditionslinien, die zu Stereotypen gerinnen, zuordnen: Bilder sterbender Soldaten verweisen auf einer ersten Ebene auf die Tötung eines Menschen, in der Regel sind die Arme jedoch erhoben, zur Seite gestreckt und bilden ein direkt sichtbares oder seitlich verschobenes Kreuz. Aus welcher Perspektive auch immer verweisen sie auf die Kreuzigung Jesu, die ebenso stilisiert als Kreuz omnipräsent ist. Die Bedeutung der Bilder wird damit ambivalent: Der sterbende Soldat ist sowohl Opfer als auch Erlöser – er nimmt Schuld anderer auf sich, steht damit stellvertretend für alle in einen Krieg direkt oder indirekt involvierte Individuen; in diesem Sinne ist sein Sterben, das im Bild sichtbar ist und für die Ewigkeit in diesem Moment eingefroren erscheint – wie das Sterben Christi im stilisierten Kreuz aufscheint – sinnvoll, es entschuldet den Soldaten und den Betrachter. Auch das (reduzierte) Bild des vietnamesischen Mädchens Kim Phúc lässt sich dieser Tradition zuordnen, denn das mittlere Kind streckt die Arme seitlich aus, was ausschließlich auf dieser ikonisierten Version zu sehen ist: Es ist sowohl der Appell an den Betrachter als auch die Reminiszenz an Golgatha. Eine Frage nach der Täterschaft und der individuellen Schuld der im Bild abgebildeten Person stellt sich in diesen Ikonen damit nicht. An diese – christlich fundierte, aber nicht notwendigerweise christlich dominierte – Traditionslinie schließen die Bilder der Pietà unmittelbar an. Sie zeigen in der Regel zwei Soldaten, wobei der eine Soldat den sterbenden oder toten zweiten Soldaten im Arm hält. Offensichtlich und in gewisser Hinsicht überkonnotiert ist das Pressefoto des Jahres 1962 von Héctor Rondón Lovera, das einen sterbenden Guerilla-Kämpfer und einen Priester in Venezuela zeigt23 – letztendlich zu komplex, denn die folgende lange Reihe der verwandten Bilder aus dem Ersten Weltkrieg bis zum Afghanistankrieg verzichtet auf diese Eindeutigkeit. In nahezu jedem Dokumentarfilm über den Ersten Weltkrieg ist jene Aufnahme zu sehen, auf der ein britischer Soldat einen anderen, vermutlich verwundeten Soldaten aus dem Graben trägt und dabei direkt auf 22 Vgl. Susan Sontag, Das Leiden anderer betrachten, a.a.O., S. 93-94. 23 Vgl. die allgemein spärlichen Informationen zum Bild: http://lulu-memoirs. blogspot.com/2008/01/story-behind-picture-priest-and-dying.html (letzter Zugriff: 21.04.2010).

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den Betrachter zuläuft. Variationen aus dem Vietnamkrieg,24 dem zweiten Golfkrieg 199125 und Afghanistan26 wurden wie das Foto Loveras ebenfalls zu Pressefotos des Jahres, was ihre immense Wirkmächtigkeit betont. Der vermeintlich getötete palästinensische Junge, der an einer Straßenkreuzung von seinem Vater beweint wird, ist ein prägnanter Beleg dafür, dass christliche Ikonografie die Kulturgrenzen zu überspringen vermag, ohne an Wirkung zu verlieren. Und dies gilt schließlich und nicht zuletzt für die Ikone der iranischen Revolution, die Aufnahmen der sterbenden Studentin Neda Agha-Soltan.27 Die Zuschreibung des Opferstatus ist auf diesen Bildern eindeutig und unzweifelhaft; die Sterbenden sind ebenso wie die fallenden Soldaten Stellvertreter für alle am Konflikt Beteiligten, die Täter sind in beiden Fällen nicht sichtbar. Insofern verweist wie bei den fallenden Soldaten das Bild auf das Ereignis Krieg generell und unabhängig von der Schuld der teilnehmenden Staaten, Parteien und Individuen. Die Bilder abstrahieren auf eine Ebene des schuldlosen Individuums, das schuldlos in einen Konflikt geraten ist und ihm zum Opfer fällt. Das Prinzip der Konfliktlösung wird angeklagt, nicht die Ausführenden; der Appell ist auf die perspektivische Veränderung der Situation und der Umstände ausgerichtet, die zu dem vage geschilderten historischen Ereignis geführt haben. Es ist daher irrelevant, welcher Konflikt im Bild über die Paratexte beschrieben wird. Das Bild steht allein – und es ist mit Ausnahme des universellen Gehaltes leer. Eine ebenso eindeutige Zuweisung der Opferrolle ist in jenen Bildern zu sehen, die wie Eddie Adams’ Erschießung des Vietcong eine Exekution zeigen: Der Getötete oder zu Tötende ist in jedem Fall ein Opfer, der Ausführende ein Täter. Eine Diskussion erübrigt sich. Nicht erst seit Francisco de Goyas »No se puede mirar« aus den »Desastres de la Guerra« oder seinem Gemälde »Erschießung der Aufständischen am 3. Mai 1808 24 Vor allem die in »Life« publizierten Aufnahmen von Larry Burrows, 1965/66. Vgl. Gerhard Paul, Bilder des Krieges, a.a.O., S. 350-351. 25 David Turnleys Foto verwundeter US-Soldaten von 1991 schließt direkt an Burrows an. Vgl. ebd., S. 402. 26 Tim Hetheringtons Foto »American Soldier« eines US-Soldaten in Afghanistan, für »Vanity Fair« aufgenommen, schließt in der Ikonografie an Burrows Aufnahmen an und war »World Press Photo« 2007. Siehe http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-29002.html (letzter Zugriff: 21.04.2010). 27 Siehe neben den zahllosen im Netz eingestellten Videos und Kommentaren den die Ikonisierung dokumentierenden und zugleich voran treibenden CNNBericht: http://www.youtube.com/watch?v=d90bwM4No_M (letzter Zugriff: 21.04.2010).

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in Madrid« (1814) funktioniert diese Traditionslinie, über Pablo Picassos »Massaker in Korea« (1951), über den deutschen Soldaten, der im Zweiten Weltkrieg auf eine Frau schießen wird, die ein Kind im Arm hält. Häufig, wenn auch nicht bei Adams, sind die Täter anonymisiert, denn die Aufgabe des Bildes – aller Bilder – ist es nicht, individuelle Täter zu benennen, da hiermit für den Betrachter eine Reflexion über das Dargestellte notwendig werden würde: Hat es das ›Opfer‹ ›verdient‹, hingerichtet zu werden, gibt es eine Legitimation für die Exekution und damit für den Krieg? Die anonymen Täter handeln im Auftrag einer anonymen, nicht auf Individuen zurückzuführenden Macht. Grundlage ihrer Tat ist ein System und eine Form der Politik, die solche Ereignisse wie das Dargestellte überhaupt erst ermöglichen, und selbstverständlich entschuldet sie die Anonymität in gewisser Hinsicht im Auge des Betrachters.28 Diese Bilder und damit Traditionslinien, die eine Entschuldung im­ plizieren, sind ambivalent. Ihr kriegskritischer Impetus ist ebensowenig eindeutig, letztendlich entscheidet ein neuer Paratext – der Kontext der Publikation – über die Aussage. Das ›Opfer‹ kann einer sinnvollen, einer gerechten Sache zugeordnet werden, das System kann sich als legitim ausweisen, das ›Opfer‹ in diesem Zusammenhang ›notwendig‹ erscheinen. Die endlose Diskussion um kritische oder befürwortende Kriegsfilme oder -texte findet hier ihren Widerhall. Der alleinige Appell, die Vorgehensweise zu verurteilen, reicht für eine komplexe Beurteilung der Situation nicht aus und ist somit instrumentalisierbar. Dieser letzte Befund gilt ausdrücklich nicht für eine Traditionslinie der kriegskritischen Ikonen: den Bildern der physischen Zerstörung des menschlichen Antlitzes. Obwohl es in jedem Krieg Gesichtsverletzungen gegeben hat, sind deren Darstellungen bis ins 20. Jahrhundert hinein außerordentlich selten. Dies mag daran liegen, dass die Darstellung von Gesichtsverletzungen die Konstruktion von Individualität voraussetzt. Es muss implizit etwas vorhanden gewesen sein, dessen Zerstörung präsentiert werden kann, um einen unwiederbringlichen Verlust zu betonen. Und das Konzept der Individualität (des ›einfachen‹ Soldaten) im Krieg scheint erst seit dem 19. Jahrhundert virulent. Die Darstellung von Gesichtsverletzungen unterscheidet sich fundamental von anderen irreparablen Verletzungen wie Amputationen, etwa dem Verlust des Augenlichts etc. Die Auslöschung des menschlichen 28 Dementgegen stehen die mittlerweile recht zahlreichen Fotos, auf denen identi­ fizierbare Soldaten der Wehrmacht Zivilisten exekutieren. Siehe dazu generell Anton Holzer, Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918, Darmstadt 2008.

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Antlitzes ist gleichzusetzen mit der Auslöschung dessen, was einen Menschen als Individuum definiert. Die Präsentation dieser Tötung eines Menschen, ohne ihn realiter getötet zu haben, ist zweifellos eine Anklage. Mit einer tatsächlichen Tötung ist die Geschichte zumindest zu Ende erzählt, in einer Gesichtsverletzung sehen wir einen Prozess, dessen Ende nur imaginiert werden kann. Die Tötung ist definitiv irreparabel, dem Gesicht des Opfers ist der Krieg im wahrsten Sinne des Wortes eingeschrieben, eine dauerhafte, unübersehbare Wunde im menschlichen Antlitz, das auch hier stellvertretend steht. Im Gesichtsverletzten erblickt man alle Aspekte des Krieges, vor allem seine Dauerhaftigkeit, wenn der erste – und zu vernachlässigende – Schock über das Bildtabu überwunden ist. Der Gesichtsverletzte ist letztlich der Krieg, der nun durch nichts mehr zu legitimieren ist. Bilder von Gesichtsverletzten – wie die in Ernst Friedrichs »Krieg dem Kriege«29 abgebildeten,30 das berühmte Bild »Rwanda, 1994« von James Nachtwey oder das verbrannte Gesicht des Irakers aus dem Zweiten Golfkrieg 1991 (die einzige Bildikone dieses Krieges)31 – sind kontextlos, sie müssen und können rekontextualisiert, mit anderen Traditionslinien verknüpft werden, um eine gezielte Wirkung zu erreichen.32 Im ebenso 29 Ernst Friedrich, Krieg dem Kriege, Berlin 1926. 30 Vgl. Astrid Wenger-Deilmann, Die ›Kriegszermalmten‹. Die visuelle Schock­ rhetorik des Antikriegsdiskurses, in: Gerhard Paul, Das Jahrhundert der Bilder, a.a.O., Bd. 1, S. 308-315. 31 The Real Face of War von Kenneth Jarecke. Zuerst publiziert im »Observer« (London), 03.03.1991, obwohl Jarecke für »Time« akkreditiert war, und später in seinem Band »Just Another War«. Exene Cervenka, Kenneth Jarecke, Just Another War, Joliet/MT 2006. Vgl. Gerhard Paul, Bilder des Krieges, a.a.O., S. 403. Bedauerlicherweise zeigt Paul dort nur die Fassung des »Observer«, die das Bild wesentlich beschneidet und damit die Komplexität reduziert. Vgl. zu einem ähnlichen Fall aus dem Bildfundus des Ersten Weltkrieges meinen Beitrag »Narrating the War in Pictures, German Foto books on World War I and the construction of pictorial war narrations«, in: JWCS [im Druck]. 32 Was im Falle des Kosovo-Albaners Bessim Kadriu, dessen Gesichtsverletzung als »The Face of War« das Cover von »Time« vom 06.03.2000 zierte, geschehen ist. Das »Time«-Cover ist retuschiert (vgl. http://humer-film.businesscard.at/blog/ Das-Gesicht-des-Krieges-1999_5128__193 [letzter Zugriff: 21.04.2010]), die Publikation dient der nachträglichen Legitimation des Kosovo-Krieges. Zur Ikone ­dieses Krieges hat es das Bild trotz (oder gerade wegen) der propagandistischen Anstrengungen nicht geschafft. Aktuell wird im Netz bezeichnenderweise nur die Wiederherstellung des Gesichtes diskutiert. Vgl. http://abutreecostela.blogspot. com/2009_07_06_archive.html (letzter Zugriff: 21.04.2010); und Likang Chin, The Use of Telecommunications in Clinical Medicine – Telemedicine, in Journal

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bekannten Bild des aufgespießten Kopfes eines gesichtsverbrannten japanischen Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg von Ralph Morse findet diese Überschneidung der Traditionslinien statt:33 Es verweist ebenso auf die Traditionslinie der Aneignung der Kraft des Gegners durch die Aufbewahrung seines Kopfes wie auf die Dokumentation des Sieges durch das Aufspießen der Köpfe gegnerischer Soldaten.34 Und damit wird das Bild ambivalent und seine Wirkung abgemildert: Die atavistischen Traditionslinien konterkarieren die Zerstörung des Individuums, eine Frage nach Schuld und Legitimation ist (wieder) möglich – das Bild schockiert durch die Anlehnung an die Traditionslinie der Auslöschung des menschlichen Antlitzes, aber es verfolgt keinesfalls eine ausschließlich kriegs­ kritische Intention. Sämtliche der hier skizzierten Traditionslinien und Stereotypen, seien sie nun kriegskritisch oder kriegsbefürwortend, schließen eine rationale Auseinandersetzung aus und appellieren direkt an die Emotionen des Betrachters. Dieser Appell wird verstärkt durch die zu beobachtende Reduktion von Komplexität des Bildinhaltes, den Anschluss an ikonogra­ fische Traditionslinien, Stereotypen und Wertemuster, die Ausblendung der Medialität sowie die Erfüllung von Erwartungserwartungen, die im Wesentlichen auf den ins kollektive Gedächtnis eingeschriebenen Tra­ ditionslinien beruhen. Kriegskritische und kriegsbefürwortende Diskurse decken sich strukturell auf dieser Ebene und weisen gleiche Muster und Verfahrensweisen auf. Die in jeweils aktuellen Diskursen intendierte Zielrichtung der Publikation eines Bildes vom Krieg wird dabei von den Publikationskon­ texten und beigegebenen Paratexten präformiert – wobei zwischen den jeweiligen Erstpublikationen und zeitlich zum Teil mit erheblichem Abstand erfolgenden weiteren Publikationen zu unterscheiden ist. Die Bild­ ikone wird schließlich zum Zitat einer vom Betrachter vorgewussten und erwarteten Position zum Krieg, die auf den aktuellen Publikationskontext, der jeweils (auch) auf ein aktuelles Ereignis rekurriert, transferiert wird. Die Bildikone, die selbst schon eine Stellvertreterfunktion einnimmt, wird nun in doppelter Hinsicht zum Stellvertreter für eine Position zum Krieg, die nur noch vorgibt, auf einem rationalen Diskurs zu of Young Investigators 3 (2001), Nr. 1; http://www.jyi.org/volumes/volume3/issue1/features/chin.html (letzter Zugriff: 21.04.2010). 33 Zuerst in »Life«, 01.02.1943. Siehe Gerhard Paul, Bilder des Krieges, a.a.O., S. 298. 34 Siehe dazu auch die (offensichtlich retuschierte) Abbildung bei Ernst Friedrich, Krieg dem Kriege, a.a.O., S. 227.

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beruhen. Die Geschichte der Bilder vom Krieg und von dem damit ­einhergehenden »Krieg der Bilder«, wie Gerhard Paul es so treffend formuliert hat, wäre somit zu beschreiben als unablässige Abfolge in zu definierenden und zu identifizierenden Traditionslinien stehender Ikonen, die einer letztlich gemeinsamen Ikonografie zuzuordnen sind. Diese Ikonografie ist zwar aktualisierbar und durch Bilddetails auf aktuelle Ereignisse applizierbar, jedoch irreversibel und wird von den »Information Warfare«-Betreibern bewusst zur Meinungslenkung eingesetzt. Verkürzt gesagt: Alle Bilder des Krieges sind bereits gezeigt worden. Die Frage der Reizüberflutung und Abstumpfung, oder wie auch immer die beklagte mangelnde Entrüstung der Betrachter über Kriegsbilder bezeichnet werden könnte, erscheint in diesem Zusammenhang als eine denkbare Folge der Wiederkehr des ewig Gleichen, als eine mögliche Reaktion auf die permanente Ansprache an die Emotionen des Betrachters und die Ausblendung von Realität. Um noch ein letztes Mal auf Susan Sontag zurückzukommen: Bezeichnenderweise ist es ein Kunstwerk, das Susan Sontag als das ihrer Meinung nach beeindruckendste Bild des Krieges wertet:35 Jeff Walls »Dead Troops Talk« (1986), das in seiner bereits im Titel angedeuteten Darstellung von sprechenden, ikonografisch ›eigentlich‹ toten Soldaten die traditionelle Darstellung des Krieges radikal in Frage stellt und zugleich auf die hier skizzierten Traditionslinien verweist.36 So scheinen jene Bilder und Wiederverwendungen von Bildern prädestiniert, die die emotionale Ansprache zugunsten einer rationalen Auseinandersetzung mit der Repräsentation des Krieges ablösen und die Medialität des Bildes thematisieren. Der Beispiele gibt es genug: Die Variationen der Aufnahme des vietnamesischen Mädchens Kim Phúc, die zugleich den Moment der Aufnahme und damit das Medium selbst im Bild zeigen; der Verweis auf das Medium Fotografie in den großformatigen Kohlezeichnungen von Gesichtsverletzten im »Verdun«Zyklus des Hamburger Künstlers Robert Schneider, die das Gesicht und die Verletzungen zu einer Landschaft umformulieren, die parallel gesetzt wird zu den Verwundungen der Landschaft Verduns;37 oder die Wiederverwendung der »Rwanda 1994«-Fotografie James Nachtweys als Brief35 Susan Sontag, Die Leiden anderer betrachten, a.a.O., S. 143-146. 36 Vgl. zu Walls »Dead Troops Talk« Agnes Matthias, Die Kunst, den Krieg zu fotografieren. Krieg in der künstlerischen Fotografie der Gegenwart, Marburg 2005, S. 244-253. 37 Siehe Hermann Nöring/Thomas F. Schneider/Rolf Spilker, Bilderschlachten, a.a.O., S. 411; und http://www.bilder-der-arbeit.de/Schneider/Jahrhundert.html (letzer Zugriff: 21.04.2010).

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marken-Motiv »Rwandan Genocide Commemoration Stamp – Another Clinton Blunder« des US-amerikanischen Künstlers Frank H. Jump,38 der sich mit dem Titel und dem Medien-Mix ambivalent sowohl auf das historische Ereignis als auch auf die mediale Auf bereitung bezieht. Dieser Hinweis und die Hoffnung auf die Gegen-Diskurse der Kunst mögen nun wieder elaboriert und damit letztlich naiv erscheinen. Doch angesichts einer in Traditionslinien und Stereotypen gefangenen und operierenden Repräsentation des Krieges im kollektiven Gedächtnis, die permanent nicht auf den Krieg, sondern auf sich selbst verweist, sind der Manipulation der Bewertung und Legitimation des Krieges im öffent­ lichen Diskurs keine Grenzen gesetzt. Eine »Visual History« – so sie denn eines Tages den Stellenwert erreicht, der der Macht der Bilder angemessen ist – hätte sich dementsprechend der Aufgabe zu widmen, nicht nur die Bildikonen historisch zu verorten, ihre Entstehung und Verwendungen und die mit ihnen verbundenen Implikationen zu rekonstruieren, sondern die Rück- und Seitenbezüge zu verdeutlichen und zu analy­ sieren, mit denen unsere Erwartungen an Repräsentationen des Krieges behaftet sind.

38 Vgl. http://fadingad.wordpress.com/category/genocide/ (letzter Zugriff: 21.04. 2010).

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The Milblogger as a Truth Witness proper? About new forms of representing war on the Internet My purpose in investigating the question of the import of the military blogger (henceforth termed »milblogger«), is three-fold. First, to delineate, in rough outline, a few distinctive differences between a normative model of the war-novel, and the still emergent military blog. Second, to sketch briefly the possibility of probing a Kierkegaardian perspective on being a »truth witness«, and in particular characterizing the milblogger as such a one. Third, to summarily hint at the novel modalities and conditions of writing and witnessing warfare in an all-pervasive media ecology. I: War novel versus milblog? I want to begin by laying out a few salient differences between an ad-hoc, restrictive and normative model of the war-novel, and the still emergent cyber-milblog. A caveat: when talking of a quasi-genre that span a full historical and generic range stretching from Homer, Thucydides and Herodotus, to Hemingway, Barbusse, Jünger, Vonnegut and most recently the young American soldier Colby Buzzell’s »My War«,1 it stands to reason that we have to deal with a very simplified, normative and schematic model. And to complicate things, the milblog and the blogosphere are themselves emergent, late-modern, migrant and »feral« generic phenomena. Accordingly, the establishment of a firm tertium comparationis is – at best – somewhat challenging. Nonetheless, I think we may be justified in pointing to at least five important traits and hence differences between these two variegated objects of knowledge.

1 Colby Buzzell, My War: Killing Time in Iraq, New York 2005. Buzzell’s novel is a relatively early, but very characteristic example of what have been called a »blook«, a »blog« turned into a regular »book«. For a useful anthology documenting the sprawling heterogeneity of war writing, cf. John Keegan (ed.), The Penguin Book of War: Great Military Writings, New York 1999.

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1. The modern war-novel typically has a staged narrator, as opposed to a straightforwardly autobiographical authorial voice. Although the genre has always had a strong tradition for empirically founded narration, due to the demand for veridical authenticity, even authors such as Jünger, ­Remarque and Hemingway, tend to stage a narrative instance in between the seemingly direct account and its formal presentation or mode of ­arrangement. 2. Most often, there is a historical-temporal delay between the warevent itself, and the publication of the war-novel. It is commonplace to register the fact that the novel in general tend to be somewhat slow, as concern it’s temporal relation to the representation of any given, historical datum. As opposed to the breathless speed and acuity of journalism e. g., the novel as a genre represent a far more elaborate and virtually principled stance of delay: Tolstoy wrote of the Napoleonic wars from a safe distance in time, and this function as a general trait, if not a conditio sine qua non, of the war-novel. 3. The war-novel harbor certain stylized, generic traits, e. g. schemas such as »Young-innocent-man encounters Death at the Front-and become Disillusioned« (Tolstoy, Hart Crane, Remarque, Céline, are wellknown examples of this particular schema). Perhaps due to the ancient, noble tradition of belligerent narratives, stretching all the way back to Homer, a limited spectrum of narrative and stylistic features have become reasonably stable generic traits.2 4. Most often, the war-novel is embedded in a particular ideological stance, e. g. a humanist ethos (Remarque) or pro-war fascism (Marinetti). Only rarely can the war-novel be said to be ideologically neutral, as opposed to many regular novels and e.g. collections of poetry. The intense, political and dramatic character of war seems to force itself upon the authors of war-novels as a pull towards ideological thematization, be it muted and implied, or overt and explicit. 5. It almost goes without saying, but needs to be enlisted in this context, that in the case of the war-novel we have an elaborate, complete and finished text-sequence, and a full, detailed plot-scheme. More often than 2 For an interesting, carefully non-normative investigation of the nature of the relation between literature and warfare, cf. Karl Heinz Bohrer, Kriegsgewinnler. Homer, Shakespeare, Kleist, in: Bohrer, Imaginationen des Bösen. Für eine ästhetische Kategorie, München 2004, pp. 214-246. Bohrer’s hypothesis is, that literature, and art in general, has sought out warfare as a privileged source of phantasmatic energy, cf. ibid., pp. 215-217, 245-246. For a normative critique of the same relation, cf. James Dawes, The Language of War, Boston, Mass. 2002.

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not, at least in the twentieth century, the war-novel has occupied a somewhat low-ranking position in terms of canonization, but this has in no way prevented the war-novel from being a fully elaborate member of the novelistic genre as such. Now, in symmetric contradistinction: 1. In the case of the milblog3 we usually have no staged narrator, but an emphatically real, empirical firsthand and first-person narrator. This is premised on the absence of a fictional contract between writer and reader. Whenever a viewer and reader enter a milblog, the horizon of expectation is not premised on a fictional foundation, but much rather comprised of what we may term an expectation of, perhaps even a longing for, the real. The notion of »the real« is generally pitted not merely against war-novels, but defined in contradistinction to the stories and perspectives of so-called »mainstream-media«. 2. In terms of the temporal aspect, there is virtually no delay within the perimeter of milblogging. On the contrary we are dealing with imme­ diacy and real-time publication, typically the same day, sometimes even hours or minutes after the incidents conveyed, and in some instances contemporaneous with the shooting of film – and enemies. Paul Virilio has written at length on this particular aspect,4 but has perhaps slightly exaggerated the implications and consequences. Nonetheless, there is every reason to take in earnest the novel, temporal character of milblogging, as opposed to the decelerated, comparatively slow advance of the war-novel. 3. There are no fixed generic traits as of yet. We should even be wary of categorizing the milblog as a genre or subgenre. It stands to reason that it involves some very basic phenomenological organizations of narrative patterns (cf. Paul Ricoeur),5 but there are no strong and formative generic antecedents. Instead we are confronted by a sprawling, generic multitude of techniques and strategies, in part due to the tremendous sociocultural heterogeneity among the blogging soldiers, but perhaps first and foremost as a result of what we might describe as a generic deficit.

3 The following characterization of the milblog is indebted to Jill Walker Rettberg, Blogging, Cambridge 2008. 4 E. g. Paul Virilio, Desert Screen. War at the Speed of Light, New York 2002. 5 I am thinking principally of Paul Ricoeur’s trilogy Time and Narrative, volumes 1-3, 1990, in which Ricoeur eloquently argues for a foundational, phenomenological substratum organizing our sensory experience of time in narrative patterns.

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4. Fourthly, when entering the universe of the milblog, we are not ­ ecessarily met by any firm or transparent ideological stance from which n belligerent events or circumstances are narrated – quite often a sense of bewilderment, chaos or disorientation characterizes individual blog-posts. To be sure, this is a generic fixture of war-novels, it is prevalent in Stephen Crane6 and principled in Tolstoy, e. g.7 But the crucial difference is, that in the case of the war-novel, at least those of some literary worth, we find a highly conscious elaboration and representation of the sense of chaos. Whereas in the case of the milblog, the immediate and spontaneous sense of bewilderment is a result of the lack of any noteworthy aesthetic organization and emotional composition. 5. Lastly, we are confronted with an episodic text in reverse chronology, with an overtly interactive dimension (the readers’ possible replies or comments are constantly listed), and with hyper-links to other websites adjoined. It is something of a truism to point to, but it would clearly be an illegitimate omission if we failed to take into consideration the importance of the novel media-technological conditions subtending the milblog. While these are all hesitant and perhaps premature attempts at describing a few of the defining differences between the war-novel proper and the milblog, I want to reiterate that we may feel justified in assuming that real and important differences are about to arise between the two genres. Obviously, central functions of the war-novel has emigrated into the blogosphere, as well as living on in more traditional formats, but in this context I wish to claim that the conditions and modes of narrating and witnessing the belligerent event is about to undergo significant transformations, and that these transformations are becoming visible and legible via the analysis of the still emergent phenomenon of milblogging. I would like to single out one aspect of those transformations, in the form of two initiatory and open-ended questions: are we indeed witnessing the emergence of a novel form of being a witness to warfare? And if so, how might we best begin to comprehend the stakes involved in this allegedly new mode of witnessing warfare?8 6 Stephen Crane, The Red Badge of Courage (1895), New York 2007. 7 In »War and Peace«, Tolstoy made the strong, Clausewitzian claim that war is in­ herently irrational, and therefore cannot be adequately analyzed by the help of ­rationalistic models or theories. 8 I examine other possible aspects of an answer to these questions in Mikkel Bruun Zangenberg, Witnessing at War: The Belligerent Gaze, in Tygstrup and Ekman (eds.), Witness. Memory, Representation, and the Media in Question, Copenhagen 2008, pp. 315-333.

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II: The milblogger as truth witness proper? This article will revolve round the question of what it might mean to testify in and of warfare? Hence not merely being or posing as a witness in general, but turning into what Søren Kierkegaard termed a truth witness, in Danish a »sandhedsvidne«. And, additionally, functioning as a truth witness in a pervasive media-ecology. Let me immediately quote from an excellent, recent article by Andrew Hoskins and Ben O’Loughlin: »a new ›media ecology‹ in which the availability and interactivity of a range of news sources contributes to a proliferation of (online) publicprivate spheres or ›sphericules‹ with loose and problematic engagements with mainstream public institutions and debates«.9 Obviously, the public sphere abound with any number of actual testimonials – from journalists, from lay citizens of e. g. Iraq and Afghanistan, from writers, from soldiers, from government officials, from NGO’s and representatives of military institutions. In this context I focus on the ­peculiar phenomenon termed »milblogging«, and in particular active ­soldier’s blogging from the still current quasi-religious war on terrorism in Iraq and Afghanistan. This is a very recent phenomenon. Up until the so-called Operation Desert Storm (1990-91), soldiers typically did what they had done for the last three hundred years, namely write letters and send postcards to the loved ones back home. This mode of communication of course made possible a rather high level of control and censorship on the part of the military institution and the government. The army was able to some extent to shape and regulate the collective first-hand testimonials coming directly from warfare. At the beginning of World War I, some reporters and photographers were allowed into the theater of war, but almost exclusively under highly restricted settings and therefore most often as an instrumental, one-way means of propaganda.10 The soldier and scholar Jean Norton Cru’s textual anthology »Témoins«11 containing 251 personal accounts from French soldiers having experienced combat at the front, was conceived as a strong corrective to what he perceived to be a false and misleading picture of what actually took place during World War I. It wasn’t until the Vietnam War, that the media in itself began to play a significant and powerful part 9 Andrew Hoskins and Ben O’Loughlin, The Internet as a Weapon of War, in Cyber Conflict and Global Politics (ed.), Athina Karatzogianni, London 2009, p.  31. 10 Cf. Wolfgang G. Natter, Literature at War, 1914-1940. Representing the »Time of Greatness« in Germany, Yale 1999. 11 Jean Norton Cru, Témoins (1929), Nancy 2006.

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in-between the army and the general public.12 But still, the army, and in particular the American army, until 2001-2003, a mere nine years ago, was largely able to compose and edit the visual and textual arrangement of collective testimonials emerging from warfare. The appearance and diffusion of the internet dramatically changed the modes and conditions of witnessing warfare – and, hence, the relation between the media, the public and the military. What Jill Walker Rettberg has aptly termed the »feral« hypertext, ­applies as well to the disgusting video-clips from Abu Ghraib, as to the by now widespread tendency among American soldiers to write and edit their own weblogs. Rettberg rhetorically asks: »So what is feral hypertext? […] what feral hypertexts have in common is that they have reverted to the wild, in one respect or another. They are no longer tame. They won’t do what we expect and they refuse to stay put within boundaries we’ve defined.«13 This purely negative definition, is made less opaque by Rettberg pointing to large, collaborative enterprises such as e. g. Wikipedia or Wikileaks as examples, and I quote once again from Rettberg: »Spotting feral hypertext, and literary feral hypertext, requires a willingness to ­accept structures that are neither predefined nor clearly boundaried. In discussing weblogs, one natural habitat for feral hypertexts, Steve Himmer wrote that weblogs’ »absence of a discrete, ›completed‹ product makes the weblog as a form resistant to the commoditization either of itself, or of any one particular interpretation«.14 Put in plain words, any given weblog is a malleable, volatile and emergent semi-object. This pose basic problems of hermeneutics in general, but of course in particular when it comes to extremely sensitive, contemporaneous political events such as the wars in Afghanistan and Iraq. It also causes changes in our conception of witnessing, and in what follows I wish to suggest that we equate what we might baptize the feral witness, with a Kierkegaardian notion of being a properly veridic truth witness.

12 For a tellingly indirect examination of the relatively weak position of the media as opposed to that of the army, cf. Bernd Greiner, Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam, Hamburg 2007. 13 Jill Walker Rettberg, Feral Hypertext: When Hypertext Literature Escapes Control, at: http://www.slideshare.net/jilltxt/feral-hypertext-when-hypertext-literature-escapes-control (31.08.2011). 14 Ibid., p. 2.

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III: Registers and Modes of Witnessing Before venturing any further into this risky territory, I want to briefly ­ istinguish between three conceptions of witnessing: the journalistic-­ d legal, the psychoanalytical and the Kierkegaardian. We have, firstly, a journalistic, juristic and empiricist notion of witnessing. According to this most widespread approach being a witness is tantamount to having been there and seen what took place, i. e. the defining criteria are immediate, physical presence and a truthful rendering of what is straightforwardly perceived to be the »facts«. While this type of notion bristles with common sense, it perhaps fails to take into consideration the full complexity ensconced in the act of witnessing, e. g. the distortions that will typically arise due to an extreme proximity to violent events; also, being a participant in the event entail a risk of lacking objectivity and fairness. The second notion is largely psychoanalytical and quasi-philosophical, and is represented by literary scholars, philosophers and psychiatrists, the like of Cathy Caruth, Horace Engdahl, Shoshana Felman, Giorgio ­Agamben and Dori Laub.15 According to this approach, the most influential in the field of comp.lit. in the 1990ies, the witness is a paradoxical figure, simultaneously having been wounded and having avoided lethal wounding. The Holocaust survivor e. g. is in a sense not the witness proper, for all the true witnesses died. I quote, from Primo Levi: »I must repeat: we, the survivors, are not the true witnesses […]. We survivors are not only an exiguous but also an anomalous minority: we are those who by their prevarications or abilities or good luck did not touch bottom. Those who did so, those who saw the Gorgon, have not returned to tell about it or have returned mute, but they are the Muslims, the submerged, the complete witnesses, the ones whose deposition would have a general significance […]. We speak in their stead, by proxy.«16 The dead experienced or suffered the full trauma, but in doing so evaded the possibility of giving proper testimony. This is a fruitful and interesting notion, but perhaps not fully relevant when it comes to analyzing the testimonial of milbloggers. We must distinguish between dif15 E. g. Cathy Caruth, Unclaimed Experience: Trauma, Narrative and History, ­Baltimore, Johns Hopkins University Press 1996; Horace Engdahl (ed.), Witness Literature: Proceedings of the Nobel Centennial Symposium, New Jersey 2002; Giorgio Agamben, Remnants of Auschwitz: The Witness and the Archive, New York, Zone Books 2000; Dori Laub, Truth and Testimony, in: Cathy Caruth (ed.), Trauma: Explorations in Memory, Baltimore 1995. 16 Quoted by Giorgio Agamben, op. cit., pp. 33 f.

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ferent types of witnesses and victims, and it is prima facie doubtful whether the precise set of conditions regulating the plight of the survivors of Auschwitz, applies to the American soldiers stationed in Iraq and Afghanistan. The third notion is religious and romantic, and is derived from the Danish existentialist philosopher Søren Kierkegaard, and in particular from the papers relating to the last, dramatic feud between Kierkegaard and the Danish state-church, in 1855. Kierkegaard reacted acerbically to the deceased bishop Mynster being described in a eulogy as a »truth witness«.17 And his reaction consisted of publishing himself and having distributed ten issues of a self-written journal, »Øjeblikket« (The Moment). Now, Kierkegaard’s vitriolic reaction unearthed five distinguishing and dogmatic characteristics of a so-called genuine or proper truth witness: His life shall express what he preaches; there shall be no double standards, no hypocrisy, but an elemental congruence between structure of belief and mode of life, Lebenspraxis. It is necessary to suffer for the Teachings, in Danish »Læren«. The truth witness proper must be a stranger to any form of physical enjoyment or symbolic pleasure, and he shall not pursue any secular career, and shall receive no recognition whatsoever, i. e. keine Anerkennung. The truth witness shall be an object of ridicule and contempt, ideally speaking a prey of persecution, preferably subject to torture, and ultimately the death of the martyr. In Christian terms, and according to Kierkegaard, being a truth witness entail a foundational or constitutive relation to danger. Witnessing equals danger. Proper witnessing, that is.18 I want to note in passing the partial, but striking kinship of this list, with Ernst Jünger’s early machismo and aesthetic-philosophical cultiva17 In Øjeblikket (The Moment), in Kierkegaards Samlede Værker, bd. 19, cf. pp. 1015. By »romantic« I refer, not least, to the conception of romanticism advanced by Carl Schmitt in Political Romanticism (1919, 1925), transl. Oakes, Boston, Mass. 1986. 18 We should note that in between Øjeblikket no. 2 and 3, Kierkegaard published a short text titled »What Christ Judges on Official Christendom« (Da. »Hvad Christus dømmer om officiel Christendom«). In it, he makes an analogy between playing at being in war, i. e. soldiers training for warfare, and playing at being a Christian, in Kierkegaard’s view the latter maneuver characterized the Danish State Church as an institution. Per negationem, this strengthens the analogy between being a soldier proper, and being a proper truth witness in the Kierkegaardian sense. Kierkegaard used the same analogy in Øjeblikket no. 1, op. cit., p. 12.

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tion of heroism in such early works as »Der Kampf als inneres Erlebnis« and of course »In Stahlgewittern«.19 Now, Kierkegaard’s rather draconian list of criteria could be said to ­apply as well to the traumatized Rambo that returned to the U. S. in ­Sylvester Stallone’s famous and infamous movie, to the guerilla soldiers allegedly fighting for Islam, and of course to some, but far from all, American milbloggers. Kierkegaard’s paradigmatic example however, was Jesus Christ and the prophets – and we probably shall be careful not to conflate the average G. I. Joe or even Rambo with Jesus Christ. Nonetheless, I wish for a moment to hold on to the perhaps slightly odd scenario of the milblogger as a genuine Kierkegaardian truth witness. I will attempt to do so, by way of a short detour, pinpointing a few ­similarities. First, I want to note that the war in Iraq and Afghanistan was and is ­explicitly religiously motivated – both by Al-Qaeda and by the Administration of George Bush Jr. taking the two parties at their word, is tantamount to acknowledging a perhaps skewed and perverse, but nonetheless emphatically religious core in the present conflict: Islamist extremism versus American right-wing religious fundamentalism.20 Second, as opposed to the many journalists and intellectuals commenting on or debating the war against terrorism, the soldier actually risks his own, biological life every day, he courts danger and he often suffers ridicule, hatred and contempt – allegedly while fighting for beliefs that he holds sacred. Third, while risking his life, the soldier-scribe, the milblogger, attempts to give testimony to humanity in general. He is not merely a passive, inert and mute lump of flesh, but in fact a proto-writer – »proto«, because we are justified in regarding the milblog as a form of proto-text, sometimes belatedly turning into what has been called a »blook«, i. e. a massive text-material from a weblog published as a traditional book-ob19 Ernst Jünger, Storm of Steel, transl. Michael Hoffmann, New York 2004. Also, Ernst Jünger, »Der Kampf als inneres Erlebnis«, and »Über den Schmerz«, in Sämtliche Werke, Band 7, Betrachtungen zur Zeit, Stuttgart 1980. 20 Bush Jr.’s infamous statement of those not being with us being against us, call our attention to the renewed relevance of the thinking of Carl Schmitt as concerns the peculiar constellation of politics and religion in world politics 2000-2010, cf. e. g. Der Begriff des Politischen (1932), Berlin 1996. The infamous distinction between friend and enemy (as being constitutive of politics proper), is transferred directly onto to the terrain of warfare, in the much later »Zwischenbemerkung« to the early work, cf. Carl Schmitt, »Theorie des Partisanen« (1963), Berlin 2002, pp. 9196.

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ject; famous examples are Salam Pax’s »Baghdad Burning«21 and Colby Buzzell’s »My War«. Fourth, the milblogger is, in a very real and tangible sense, a feral witness, i. e. a witness neither the military nor the media can fully control and tame. Kierkegaard himself, in the last year of his life, was an intensely annoying feral witness combating the placid and self-satisfied Danish state Church. What is the point? The point is, that grafting Kierkegaard’s fervent ­religious notion of a truth witness onto the decidedly late-modern figure of the milbogger producing feral hypertext in an all-pervasive »media ecology« (Hoskins), allow us to do better justice to the complexity of the kind of witnessing that we encounter in the twilight zone of milblogging. I. e. better justice than the empirico-journalistic and legal notion of witnessing allow for. A former U. S. army major and author of »The Blog of War«,22 Matthew Currier Burden, noted that: »Today, with digital cameras, Web cams, cell phones and Internet access readily available, the letter home has taken on an entirely new form, with a new honesty and urgency […]. The soldiers are telling their stories through blogging, instantly publishing expert-on-the-ground accounts from the war zones«.23 And an American journalist described Buzzell’s blog-cum-book as »unique, firsthand accounts«.24 In doing so, both the major and the journalist subscribed to the patriotic and empirico-journalistic paradigm, which I believe to be reductive and either cynical or downright naïve. Let me briefly attempt to clarify my methodologically motivated ­critique of a certain form of empiricism used as a methodical presupposition in this arena. I do not want to discount or discredit empirical statements per se, this is not yet another tiresome deconstruction of notions of immediacy and presence. I do, however, want to caution against a certain empirico-journalistic and patriotic stance – automatically, or even aggressively celebrating the authenticity and truthfulness of milblogs, typically saluting their opposition to the embedded journalism of »mainstream

21 Riverbend, Baghdad Burning: Girl Blog from Iraq, New York, The Feminist Press at CUNY 2005. »Riverbend« is a pseudonym for a young, female Iraqi. 22 Matthew Currier Burden, The Blog of War. Front-Line Dispatches from Soldiers in Iraq and Afghanistan, New York 2006. 23 Ibid., p. 4 24 Rob Collins, Oklahoma Gazette, September 9th, 2006, quoted at cbftw.blogspot.com (September 21st, 2006).

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media« and the bulletins of the army itself. We must try to stay clear of both a blunt cynicism and a blind empiricism.25 IV: Real Mediated War? We are nearing the end of this short article, and we will round off by first recapitulating the claims, the daring maneuvers and bold suggestions made so far. At first I made an attempt to delineate five defining differences between a normative model of the war-novel and the still-emergent milblog. My contention was that there are indeed foundational differences, and that these circumstances force us to contemplate anew what it might mean to be a literary or narrative witness to warfare. Then, I sketched a triadic spectrum of notions of witnessing – a journalistic, a psychoanalytical, and a Kierkegaardian perspective. My claim was that there are fruitful resources hidden in conceiving of the military blogger as a peculiar, late-modern form of truth witness, as defined by Kierkegaard. It has become time to finish. And I want to do so, by summarily hinting at the novel forms of writing and perceiving warfare in an all-pervasive media ecology. If we hold on to Jill Walker Rettberg’s notion of a »feral«, uncontrollable hypertext; if we duly note the gradual emergence of soldiers who are simultaneously fighting and digitally recording actual acts of warfare; if we accept and attempt to map open-ended and unstable forms of distributed narrative in the uncanny zone of milblogging; and, finally, if we adhere to Hoskins and O’Loughlin’s mention of a new »media-ecology« – we might begin to perceive some of the contours of a thoroughly mediated war.26

25 And it is in exactly this wide passage between the two extremes of Derrida and Pentagon, so to speak, that we are able to locate such a one as Elaine Scarry. Scarry’s The Body in Pain, New York 1985, is a magisterial examination of the multiple types of relations obtaining between language and bodily situated pain – ranging from rhetorical strategies of evasion and avoidance, onto modes of careful articulation. I suggest that Scarry’s approach form a useful platform for highlighting and scrutinizing some of the implications of regarding the milblog and the milblogger as a form of truth witness. For a more narrowly literary-historical investigation of the relation between war, ethics and literature in the twentieth century, but indebted to Scarry’s work, cf. Margot Norris, Writing War in the Twentieth Century, Charlottesville and London 2000. 26 Not à la Virilio or Baudrillard.

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Perhaps, from now on we are about to witness the invention of a live, multi-perspectival real-time streaming directly from the theater of war. Not a filmic and narrative version controlled by the army or the political institution, but a wild, untamed, malleable rendition and presentation of the hideous chaos and dark bloodshed of warfare? Presented to us, by an infinite variety of technologically savvy soldiers, and to a certain extent avoiding the filtering of hitherto dominant mainstream media? Already, for some time what is termed »war porn«, i. e. video-clips of actual battle-scenes filmed by American soldiers in Iraq and Afghanistan, have been rampant on the internet. And in that most of us now carry around so-called »smart-phones«, there is no reason why we shouldn’t watch any given scene of actual, real-time bloodshed, e. g. while quietly sitting in a bus, on our way to a pacifist, anti-war theater-performance. The all-pervasive media ecology in this instance produce a new form of Real War; tantamount to neither the tactless crudity of journalistic evasion (»collateral damage«), nor the complicated, slow and extremely composed form of the belated war novel – but a massive, literally overwhelming production of images and words enmeshed in a multi-nodal ensemble of blogs, and (nano)publishing of both video and textual material. Perhaps and hopefully there is no need to envisage a grim and apocalyptic emergence of a ubiquitous and thus unavoidable Mediated Real War, turning us all into perverse instantiations of truth witnesses. But, as scholars and as citizens I think there are fairly alarming tendencies we need to beware of. At the possible dawn of Mediated Real War we encounter not a constitutive, but perchance a regulative dilemma. On the one hand Real War enables an increase in horizontally distributed transparency, allowing the general public to see what actually takes place in warfare. But on the other hand transparency equals proximity, and thus entail a dissolution of the screen between the public and the battleground of actual warfare. The obscene, dark obverse of transparency would thus be the risk of a multiplication and intensification of what is today known as »warporn«, whereby we would have a multitude of an anonymous, civil clientele paying in advance for seeing specific warcrimes, e. g. rape and mutilation. Nearing that frightful dawn, we would be split between being potentially democratic observers and perversely skewed truth witnesses.

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3. Mischformen visueller und textueller Kriegsdarstellungen

Jürgen Brokoff

»Nichts als Schmerz« oder mediale »Leidenspose«? Visuelle und textuelle Darstellung von Kriegsopfern im Bosnienkrieg (Handke, Suljagić, Drakulić) I. Der Zerfall des multiethnischen Staates Jugoslawien, der spätestens im Sommer 1991 mit dem Zehntagekrieg in Slowenien unübersehbar wurde und der im Verlauf der 1990er-Jahre eine Reihe von blutigen Kriegen in Kroatien, Bosnien und im Kosovo nach sich zog, gehört ohne Zweifel zu den wichtigsten politischen Ereignissen in Europa seit den revolutionären Umwälzungen von 1989/90.1 Die politische und die politisch-kulturelle Bedeutung dieses Zerfalls ist unter anderem darin zu sehen, dass er die seinerzeit vielbeschworene These vom »Ende der Geschichte«2 ad absurdum führte und eine »Wiederkehr der Geschichte«3 unter dem Zeichen von Gewalt und Krieg einleitete. Mit einer Brutalität und »Bestialität«,4 die am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr für möglich gehalten wurde, eroberte der Krieg die Agenda der europäischen Politik zurück. Diese Rückkehr geschah zwar auf dem vermeintlichen ›Hin­ terhof‹ Europas, dem Balkan,5 und wurde in der öffentlichen Wahr­ nehmung teilweise durch die revolutionären Ereignisse in Deutschland, Ostmitteleuropa und der sich auflösenden Sowjetunion verdeckt. Die kriegerische Gewalt, die sich zu Beginn des Jugoslawienkonflikts bis zur slowenisch-österreichischen Grenze erstreckte, wirkte jedoch vor dem

1 Es gibt nur wenige wissenschaftliche Gesamtdarstellungen zur Geschichte Jugo­ slawiens. Vgl. Marie-Janine Calic, Geschichte Jugoslawiens im 20.  Jahrhundert, München 2010; Holm Sundhaussen, Geschichte Jugoslawiens 1918-1980, Stuttgart 1982. 2 Vgl. Francis Fukuyama, The end of history and the last man, New York/Toronto 1992. 3 Alexander Tišma, Wiederkehr der Geschichte, in: Europa im Krieg. Die Debatte über den Krieg in Jugoslawien, Frankfurt am Main 1993, S. 66-69. 4 Svetlana Slapšak, Gibt es überhaupt serbische Alternativen?, in: Europa im Krieg, a.a.O., S. 73-80, hier: S. 74. 5 Zur kulturellen Konstruktion des Balkanraums vgl. Richard Wagner, Der leere Himmel. Reise in das Innere des Balkan, Berlin 2005.

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Hintergrund dieser zumeist friedlichen Umwälzungen umso beunruhigender.6 Die mehr als einhunderttausend Menschenleben, die die Kriege im ehemaligen Jugoslawien gefordert haben, betrafen (und betreffen) alle am Krieg beteiligten Parteien und Ethnien.7 Die meisten Kriegsopfer haben dabei die muslimischen Bosniaken zu beklagen, gefolgt von den bosnischen Serben, den Kroaten, den Kosovo-Albanern und den Serben. Gelegentlich tauchen die während des Jugoslawienkriegs begangenen Verbrechen und Gräueltaten im Bewusstsein der Öffentlichkeit wieder auf, so etwa am 11. Juli eines jeden Jahres, dem Gedenktag für die Opfer des Massakers von Srebrenica von 1995. Auch die journalistischen Berichte über die Arbeit des »Internationalen Kriegsverbrechertribunals« (ICTY) in Den Haag rücken, zumindest bei spektakulären Verhaftungen oder bei der Eröffnung und beim Abschluss von Prozessen, die im ehemaligen Jugoslawien begangenen Kriegsverbrechen für einen Moment in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die politisch-kulturelle Bedeutung des Zerfalls von Jugoslawien ist aber auch darin zu sehen, dass in diesem kriegerischen Konflikt, wie schon im Zweiten Golfkrieg (1990/91), die massenmediale Kommunikation eine wichtige Rolle spielt – und das in zweifacher Hinsicht. Zum einen avanciert sie zum entscheidenden Mittel der innenpolitischen Auseinandersetzung und der militärisch-psychologischen Kriegsführung. Die kroatische Autorin Dubravka Ugrešić hat in ihrem Buch »Die Kultur der Lüge« von 1995 die Mobilisierung und ideologische Gleichschaltung der Öffentlichkeit in Kroatien unter dem damaligen Präsident Franjo Tuđman eindringlich beschrieben.8 Zu nennen ist in diesem Kontext auch die Medienpolitik in Serbien während der sogenannten »anti-­ bürokratischen Revolution« unter Slobodan Milošević, die am Ende der  1980er-Jahre den kriegerischen Auseinandersetzungen vorausging. Milošević setzte als einer der ersten Politiker die Macht der Fernsehbilder gezielt zur Manipulation der öffentlichen Meinung ein: Die sogenannten »Meetings der Wahrheit« brachten keineswegs den Willen der Be­ völkerung spontan zum Ausdruck, sondern waren mediale Inszenierungen unter Federführung des damaligen Belgrader Fernsehchefs Dušan 6 Vgl. dazu auch Hans Magnus Enzensberger, Bosnien, Uganda. Eine afrikanische Ansichtskarte, in: Europa im Krieg, a.a.O., S. 85-90, und Ders., Aussichten auf den Bürgerkrieg, Frankfurt am Main 1993. 7 Umfassend zum Thema: Der Jugoslawien-Krieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen, hrsg. von Dunja Melčić, Wiesbaden 2007. 8 Vgl. Dubravka Ugrešić, Die Kultur der Lüge, Frankfurt am Main 1995.

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Mitević, einem der engsten Vertrauten Miloševićs. Die medialen Inszenierungen dienten der Herrschaftsstabilisierung des Regimes innerhalb von Serbien und der Herrschaftsexpansion in den autonomen Provinzen Kosovo und Vojvodina. Deren verfassungsrechtlich garantierter Auto­ nomiestatus wurde unter dem medial herbeigeführten Meinungsdruck aufgehoben. Zum anderen war die massenmediale Kommunikation während des Jugoslawienkriegs das wichtigste Instrument im Kampf um die Meinung der Weltöffentlichkeit. Als Akteure sind dabei nicht nur Journalisten und Fotografen zu nennen, sondern auch die mit »Public Relations« ­befassten Agenturen, die die mediale Auf bereitung und Präsentation von  gesicherten und ungesicherten Informationen im Interesse der je­ weiligen Kriegsparteien und Klienten übernahmen. Da US-amerikanische Firmen aufgrund des »Foreign Agents Registration Act« (FARA) dazu verpflichtet sind, ihre Geschäftsbeziehungen zu ausländischen Regierungen offenzulegen, gibt es relativ zuverlässige Informationen über die Zusammenarbeit der PR-Branche mit den jugoslawischen Kriegsparteien.9 Prominentestes Beispiel hierfür ist die Agentur »Ruder Finn«, deren Abteilung »Global Public Affairs« 1991 zunächst die kroatische Regierung in Fragen der Öffentlichkeitsarbeit beriet und ein Jahr später auch die Regierung von Bosnien-Herzegowina unter Alija Izetbegović. Auf die Tätigkeit von »Ruder Finn« für die bosnische Regierung wird an späterer Stelle noch genauer einzugehen sein. Emotionen und Affekte spielen für die massenmediale Krisen- und Kriegskommunikation eine erhebliche Rolle: einerseits mit Blick auf die Innenpolitik und die psychologische Kriegsführung der beteiligten Akteure und andererseits im Kampf um die Meinung der Weltöffentlichkeit. Wie die Analysen von Ugrešić zu Kroatien gezeigt haben, ist es im ersten Fall vor allem der Affekt des Hasses, der die Sammlung einer zerstreuten und pluralen Öffentlichkeit und den Zusammenschluss der Gesellschaft zu einer ethnisch homogenen Nation bewirken soll. Im zweiten Fall, das heißt auf die Meinung der Weltöffentlichkeit bezogen, ist es das Leid der Kriegsopfer, das die Emotionen der Beteiligten wecken, beeinflussen und bestimmen soll. Die Schaffung eines medialen und kommunikativen Umfelds, in dem Mitleid und Empathie überhaupt erst ent­ wickelt werden können, ist ein wichtiger Faktor bei der Erlangung der Meinungsvorherrschaft und -führerschaft in Krisen- und Kriegszeiten, die dann ihrerseits auf die politischen Entscheidungsträger einwirkt. 9 Vgl. dazu Jörg Becker/Mira Beham, Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod, Baden-Baden 2008.

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Man könnte hier, wie schon im Fall der nationalstaatlichen Homoge­ nisierungspolitik, von einer »emotionalen Mobilmachung«10 sprechen. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf den Aspekt der emotionalisierenden Darstellung von Kriegsopfern (und Tätern) im Bosnienkrieg und fragen in diesem Zusammenhang danach, ob sich eine instrumentelle Form der emotionalisierenden Darstellung von einer nichtinstrumentellen Darstellungsweise unterscheiden lässt. Wie sich zeigen wird, ist diese Differenz keineswegs deckungsgleich mit der Gegenüberstellung von manipulativem Journalismus und (medien-)kritischer Literatur – eine Gegenüberstellung, die beispielsweise der österreichische Schriftsteller Peter Handke präferiert.11 II. Aus dem Bosnienkrieg, der vom Frühjahr 1992 bis zum Herbst 1995 dauerte,12 stammt ein Bild, das die zunehmende Bedeutung der massenmedialen Kommunikation für den Krieg symbolhaft verdeutlicht. Das Bild zeigt einen abgemagerten Bosniaken, der in einer Gruppe von weiteren Häftlingen hinter einem mit Stacheldraht versehenen Zaun steht. Bei dem Mann handelt es sich um den Bosniaken Fikret Alić (nicht zu verwechseln mit Fikret Abdić, dem Befehlshaber der Autonomen Provinz Westbosnien von 1993 bis 1995). Alić und die anderen auf dem Bild zu sehenden Häftlinge waren Insassen des Lagers Trnopolje, das zusammen mit Omarska, Keraterm und Manjača zu den berüchtigten Lagern 10 Mira Beham, Kriegstrommeln. Medien, Krieg und Politik, München 1996, S. 193. Der Begriff »emotionale Mobilmachung« führt vor Augen, dass die gegenwärtige Forschung zur Emotion und Emotionalisierung um politische und politisch-­ kulturelle Aspekte zu erweitern ist. Zur »Emotionalisierung« als kulturwis­ senschaftlichem Forschungsgegenstand vgl. Thomas Anz, Kulturtechniken der Emotionalisierung. Beobachtungen, Reflexionen und Vorschläge zur literaturwissenschaftlichen Gefühlsforschung, in: Im Rücken der Kulturen, hrsg. von Karl Eibl u. a., Paderborn 2007, S. 207-239. 11 Zu dieser Dichotomie und zur Medienkritik Handkes vgl. Karl Wagner, Handkes Endspiel: Literatur gegen Journalismus, in: Mediale Erregungen? Autonomie und Aufmerksamkeit im Literatur- und Kulturbetrieb der Gegenwart, hrsg. von Markus Joch u. a., Tübingen 2009, S. 65-76 sowie Ulrich Breuer, Parasitenfragen. Medienkritische Argumente in Peter Handkes Serbienreise, in: Mediensprache – Medienkritik, hrsg. von Ulrich Breuer und Jarmo Korhonen, Frankfurt am Main 2001, S. 285-303. 12 Vgl. dazu Marie-Janine Calic, Krieg und Frieden in Bosnien-Hercegovina. Erweitere Neuausgabe, Frankfurt am Main 1996 sowie Der Jugoslawienkrieg, a.a.O., Wiesbaden 2007.

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Abb.  1

der bosnischen Serben gehörte. Das Bild, das Teil eines Filmdokuments ist, wurde am 5. August 1992 von einem britischen Fernsehteam der »Independent Television News« unter Leitung der Journalistin Penny Marshall aufgenommen und am nächsten Tag erstmals von ITN ausgestrahlt. Als stillgestellter Ausschnitt aus dem Filmdokument wurde das Bild von diversen Zeitungen in ihre Kriegsberichterstattung übernommen, etwa von der »Daily Mail«, aber auch von der deutschen »taz«. Die Zeitungen stellten dabei in ihren Texten eine Verbindung zu den Konzentrations­ lagern der Nazis her (»Belsen 92«)13 und plädierten implizit oder explizit für ein militärisches Eingreifen der Westmächte in den Bosnienkrieg. Weltweite Verbreitung erlangte das Bild auf der Titelseite des »Time ­Magazine« vom 17.  August 1992. Das Nachrichtenmagazin übernahm das Bild mit dem Titel »Must it go on?« und mit dem Verweis auf die im Innenteil gebrachte Story »Muslim prisoners in a Serbian detention camp«. Ed Vulliamy, ein Journalist der Zeitung »The Guardian«, der das britische Fernsehteam im Juli und August 1992 in Bosnien begleitet hatte,

13 So die Zeitung »Daily Mirror«, 07.08.1992.

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schrieb 1994 in seinem Buch »Seasons in Hell. Understanding Bosnia’s War« über das Bild: With his rib cage behind the barbed wire of Trnopolje, Fikret Alić had become the symbolic figure of the war, on every magazine cover and ­television screen in the world.14 Der deutsche Journalist Thomas Deichmann, Chefredakteur der Zeitschrift »Novo«, hat Anfang 1997 auf der Grundlage eigener Recherchen in Bosnien herausgefunden, dass dieses Bild, das um die Welt ging, zwar keine Fälschung war, aber doch eine Täuschung bzw. eine mediale In­ szenierung.15 Deichmann wies in seinem Artikel nach, dass »nicht die ge14 Ed Vulliamy, Seasons in Hell. Understanding Bosnia’s War, London 1994, S. 202. 15 Thomas Deichmann, »Es war dieses Bild, das die Welt in Alarmbereitschaft versetzte«. Ein Bild ging um die Welt, und es war ein falsches Bild vom Bosnienkrieg [1997], in: Noch einmal für Jugoslawien: Peter Handke, hrsg. von Thomas Deichmann, Frankfurt am Main 1999, S. 228-258.

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filmten Lagerinsassen und in ihrer Mitte Fikret Alić von einem Stacheldrahtzaun umgeben waren, sondern die britischen Journalisten, die aus einem so umzäunten Grundstück heraus über den Zaun hinweg in das Lager hinein filmten«.16 Aufgefallen war Deichmann die Täuschung, weil der Stacheldraht an den Pfosten auf der Innenseite angebracht war, also dort, wo sich die Lagerinsassen befanden.17 Die Tatsache, dass das Bild vom ausgemergelten Lagerinsassen Alić in der Weltöffentlichkeit offenkundig falsch interpretiert wurde, erfordert in zweifacher Hinsicht eine Erläuterung. Erstens steht das Bild unmittelbar in einem Text-Bild-Zusammenhang, der die bosnisch-serbischen Lager in eine Nähe zu den Konzentrationslagern der Nazis rückt. Dieser Zusammenhang ist aber auch mittelbar gegeben, wenn man die Aktivitäten der involvierten PR-Agenturen berücksichtigt. Die Agentur »Ruder Finn« war zum Zeitpunkt der Bildveröffentlichung Geschäftspartner der bosnisch-muslimischen Regierung unter Izetbegović. Der Leiter der Abteilung »Global Public Affairs«, James Harff, hielt sich im Rückblick besonders zugute, dass im Kampf um die mediale Aufmerksamkeit für das Leid der bosnisch-muslimischen Bevölkerung jüdische Organisationen gewonnen werden konnten. Exakt zur selben Zeit, als das Bild von Alić veröffentlicht wurde, publizierten drei jüdische, in den USA ansässige Organisationen auf Anraten von »Ruder Finn« in der »New York Times« einen Aufruf, die Todeslager der bosnischen Serben zu verhindern.18 Die Einbindung jüdischer Organisationen war nicht nur deshalb heikel, weil die muslimischen Bosniaken mit der arabischen Seite in Verbindung standen, sondern vor allem, weil der kroatische Präsident Tuđman, dessen Regierung ebenfalls zu den Klienten von »Ruder Finn« gehörte, sich mehrfach antisemitisch geäußert hatte. Dennoch gelang es der Agentur nach Harffs Aussage, die jüdischen Organisationen für ihre PR-Kam­ pagne zu gewinnen. Die jüdischen Organisationen auf Seiten der Bosnier ins Spiel zu bringen war ein großartiger Bluff. In der öffentlichen Meinung konnten wir auf einen Schlag die Serben mit den Nazis gleichsetzen. […] Sofort stellte sich eine bemerkbare Veränderung des Sprachgebrauchs in den Medien ein, begleitet von der Verwendung solcher Begriffe, die eine starke emotionale Aufladung hatten, wie etwa ethnische Säuberung, 16 Ebd., S. 232. 17 Zu weiteren Einzelheiten und Indizien vgl. ebd., S. 235-241. 18 Vgl. Jörg Becker/Mira Beham, Operation Balkan, a.a.O., S. 42-45. Ein Faksimile der Anzeige der US-amerikanischen jüdischen Organisationen aus der »New York Times« vom 5. August 1992 findet sich ebd., S. 44.

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Konzentrationslager usw., und all das evozierte einen Vergleich mit Nazi-Deutschland, Gaskammern und Auschwitz. Die emotionale Aufladung war so mächtig, dass es niemand wagte, dem zu widersprechen, um nicht eines Revisionismus bezichtigt zu werden. Wir hatten ins Schwarze getroffen.19 Hier lässt sich in nuce beobachten, welche weitreichenden politischen Effekte eine gezielte Emotionalisierung der Krisen- und Kriegskommunikation haben kann. Nimmt man noch hinzu, dass das erwähnte, vom britischen Fernsehteam produzierte Bild auf einer Täuschung basiert, die die visuelle Wahrnehmung des Bosnienkrieges zum Teil bis heute bestimmt, stellt sich mehr als ein diffuses Unbehagen ein.20 Es liegt nahe, von hier aus eine Medienkritik zu formulieren, die den instrumentellen und interessegeleiteten Gebrauch von Bildern und Texten im Fall der Krisen- und Kriegskommunikation in den Blick zu nehmen hat. III. Der Journalist Deichmann, der das Bild von Alić als mediale Inszenierung entlarvt hat, ist ein Weggefährte von Peter Handke, wie nicht zuletzt der von ihm herausgegebene Band »Noch einmal für Jugoslawien: Peter Handke« unter Beweis stellt. Handke hat in seinen Texten zu ­Serbien, Jugoslawien und zum Jugoslawienkrieg wie Deichmann die In­ strumentalisierung von Bild und Sprache in der journalistischen Kriegsberichterstattung einer scharfen Kritik unterzogen. Bevor Handkes Medienkritik, die der kritisierten Emotionalisierung der Kriegsbericht­ erstattung eine eigene Art der Emotionalisierung entgegensetzt, thema­ tisiert wird, ist eine zweite Erläuterung zum Bild von Alić anzufügen. Was bedeutet es eigentlich, wenn das Lager, in dem Alić und die anderen Insassen sich befanden, nicht von einem Stacheldrahtzaun umgeben war? Was bedeutet es, wenn der Vergleich mit den Konzentrationslagern 19 James Harff zit. nach Jörg Becker/Mira Beham, Operation Balkan, a.a.O., S. 43. Vgl. auch Beham, Kriegstrommeln, a.a.O., S. 173 f., und Jacques Merlino, »Da ­haben wir voll ins Schwarze getroffen«. Die PR-Firma Ruder Finn, in: Serbien muß sterbien. Wahrheit und Lüge im jugoslawischen Bügerkrieg, Berlin 1999, S. 153-163. 20 Anlässlich der Verhaftung von Radovan Karadžić im Sommer 2008 griff die Zeitung »Bild« das Bilddokument von 1992 wieder auf. Vgl. Christina Mänz, Fikret Alic. Ich bin der Hunger-Mann aus dem Karadzic-Lager, in: »Bild«, 27.07.2008; kritisch dazu: Harry Nutt, Vor dem Zaun – oder dahinter, in: »Frankfurter Rundschau«, 30.07.2008.

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der Nazis abwegig, sachlich unangemessen oder zumindest übertrieben ist? Und welchen Aufschluss gibt die falsche mediale Präsentation – Gefangene hinter einem Stacheldrahtzaun21 – über die historische Realität des Lagers Trnopolje? Die Tatsache, dass das Bild offenbar nicht der Realität entspricht, sagt nichts oder wenig über die Realität im Lager aus. Ist die Realität des Lagers aufgrund des fehlenden Stacheldrahtzauns we­ niger schlimm? Aufschlussreich ist in diesem Kontext eine Äußerung des bosnischen Autors Emir Suljagić, der als Dolmetscher für die UNOSchutztruppe in Srebrenica das dortige Massaker von 1995 überlebt und den einzigen Augenzeugenbericht aus dem Inneren der Enklave verfasst hat. Suljagić schreibt über die Situation der Gefangenen von Srebrenica: In der Enklave gab es keinen Stacheldraht, keine Wachtürme, keine bewaffneten Aufseher und keine Hunde, keine Gaskammern wie in den Konzentrationslagern. Ihre Grenze verschob sich ständig, sie war nicht dauerhaft oder stabil, und die Erkenntnis, dass sie sich immer wieder zu Gunsten des Stärkeren verschiebt, machte einem Angst.22 Folgt man dem Bericht von Suljagić, so haben die Unsicherheit der Grenze und die Unberechenbarkeit der bosnisch-serbischen Angriffe den Bewohnern der Enklave Srebrenica emotional mehr zugesetzt als jede ­sichere, sichtbare und feststehende Grenze in Gestalt eines Stacheldrahtzauns. Die Bemerkung von Suljagić wird hier angeführt, weil die be­ rechtigte Kritik an falschen bzw. medial inszenierten Bildern und an unhistorischen Vergleichen mit Nazi-Deutschland nicht dazu verleiten sollte, die im Bosnienkrieg vor allem von bosnischen Serben begangenen Kriegsverbrechen in Abrede zu stellen. Genau dieser Tendenz leistet aber Handke mit seiner Medienkritik Vorschub, so berechtigt diese Kritik für sich genommen ist. Deutlich wird dies, wenn man sich die Struktur von Handkes Me­ dienkritik genauer anschaut. Bekanntlich kritisiert Handke in seinen Serbien-Büchern »Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina« und »Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise« die Einseitigkeit der medialen Kriegsberichterstattung. Selbst Kritiker, die den politischen Äußerungen Handkes zu Serbien und zum damaligen Präsidenten Milošević skeptisch gegenüberstehen, bestätigen die

21 Vgl. auch Harry Nutt, ebd. 22 Emir Suljagić, Srebrenica – Notizen aus der Hölle, Wien 2009, S. 27.

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im Grundsatz zutreffende Medienkritik des österreichischen Autors.23 Dies bedarf einer genaueren Prüfung. Auf der einen Seite kritisiert Handke die Manipulation und die Vermarktung vieler Bilder und Geschichten, die unter dem Vorwand der Informationspflicht das Leid der zumeist muslimischen Kriegsopfer medial ausschlachten und für eigene Zwecke instrumentalisieren. In manchen Fällen stimmten, so Handkes Vorwurf, die produzierten Bilder mit den dazugehörigen Texten, etwa der Bildlegende oder dem Off-Kommentar, nicht überein, wenn etwa im Bild muslimische Täter gezeigt werden, diese aber im Text als serbische Täter ausgegeben werden.24 In anderen Fällen handelt es sich, so Handke, um »gestellte Aufnahmen«,25 die ökonomischen Zwecken oder politischen Interessen oder beidem dienen. Doch Handke bleibt nicht bei dieser Medienkritik stehen. Er sieht sich durch die emotionalisierende und ein­seitige Medienberichterstattung, die die komplexen Zusammenhänge des Kriegsgeschehens oftmals verschleiert, dazu veranlasst, das Leid der bosnisch-muslimischen Opfer selbst in Frage zu stellen: Diese, so war es jedenfalls nicht selten zu sehen, »posierten« zwar nicht, doch waren sie, durch den Blick- oder Berichtsblickwinkel, deutlich in eine Pose gerückt: wohl wirklich leidend, wurden sie gezeigt in einer Leidenspose. Und im Lauf der Kriegsberichtsjahre, dabei wohl weiterhin wirklich leidend, und wohl mehr und mehr, nahmen sie für die Linsen und Hörknöpfe der internationalen Belichter und Berichter, von diesen angeleitet, gelenkt, eingewinkt (»He, Partner !«) sichtlich wie gefügig die fremdgewünschten Martermienen und -haltungen ein.26 Handkes Insinuation, dass nicht nur die Bilder und Bildermacher lügen, sondern möglicherweise auch die auf den Bildern zu sehenden Opfer, 23 Der folgende Abschnitt basiert auf Ergebnissen, zu denen ich im Rahmen einer anderen Studie gelangt bin. Vgl. dazu Jürgen Brokoff, »Srebrenica – was für ein klangvolles Wort«. Zur Problematik der poetischen Sprache in Peter Handkes Texten zum Jugoslawienkrieg, in: Kriegsdiskurse in Literatur und Medien nach 1989, hrsg. von Carsten Gansel und Heinrich Kaulen, Göttingen 2011, S. 61-88. 24 Vgl. Peter Handke, Rund um das große Tribunal, Frankfurt am Main 2003, S. 33. Vom umgekehrten Fall, in dem muslimische Kriegsopfer als serbische Opfer ausgegeben werden, berichtet Dubravka Ugrešić. Vgl. Dies., Die Kultur der Lüge, a.a.O., S. 125. 25 Peter Handke, Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien, in: Ders., Abschied des Träumers – Eine winterliche Reise – Sommerlicher Nachtrag, Frankfurt am Main 1998, S. 68. 26 Ebd., S. 67.

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ist  umso problematischer, als er auf der anderen Seite den serbischen ­Opfern des Bosnienkrieges deren Artikulation von Leid und Schmerz ­bedenkenlos abnimmt. So ist das Weinen und Klagen der Mütter um ihre gefallenen Söhne, das sich dem Beobachter Handke auf einem bosnisch-serbischen Gefallenenfriedhof darbietet, der »von nichts als dem Schmerz hervorgebrachte, und geleitete, und betonte, und beherrschte Totenbahrenmonolog«.27 Dort die mediale Inszenierung einer »Leidenspose«, hier der restlos-authentische Ausdruck von »nichts als Schmerz«. Handke misst mit zweierlei Maß und befördert damit selbst die bei anderen kritisierte Einseitigkeit der medialen Berichterstattung. An dieser Einseitigkeit ändert sich auch nichts durch die Äußerung Handkes, dass das »Totenklagen dort auf dem serbisch-orthodoxen Friedhof das sicher ganz gleiche, nur verschieden sich äußernde Weh woanders natürlich miteinschloß«.28 Abgesehen davon, dass das verwendete Wort »sicher« Handkes Aussage relativiert, indem es das unzweifelhafte Wissen um die echte serbische Trauer zum generösen Glauben an die gleichfalls echte Trauer der anderen herabstuft, ist die Ortsbestimmung »woanders« erstaunlich unpräzise. Falls damit die Trauer der bosnisch-muslimischen und der kroatischen Mütter gemeint sein soll, warum nennt Handke diese dann nicht beim Namen? Handkes Sprache ist – entgegen ihrem eigenen Anspruch29 – in dieser Frage reichlich »nebulös«.30 Mindestens ebenso schwer wie die skizzierte Einseitigkeit, wenn nicht schwerer, wiegt die Tatsache, dass Handke im Verlauf der Reiseberichte seine Kritik an den massenmedial produzierten und politisch instrumentalisierbaren Bildern aufgibt und sich diesen Bildern freiwillig und ohne Not ausliefert. Im Essay »Unter Tränen fragend« von 1999 begrüßt Handke die während des Kosovo-Kriegs vom serbischen Staatsfernsehen ausgestrahlte Propaganda, die in einer Mischung aus Mythologie und Folklore das serbische Volk zusammenschweißen soll: Und erstmals da mein Gedanke, es gebe eine Art ›Propaganda‹, die nichts Gemachtes oder gar Bezwecktes sei, vielmehr auch etwas Natur­ gewachsenes sein könne, als ›Propaganda‹ wahrnehmbar allein durch Verbreitetwerden, Propagiertwerden. Vorstellung: dieses Land sieht sich von einer unbezwingbaren Übermacht bedroht, umzingelt, ein­ 27 Peter Handke, Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise, in: Ders., Abschied des Träumers – Eine winterliche Reise – Sommerlicher Nachtrag, a.a.O., S. 205. 28 Ebd., S. 206 f. 29 Vgl. Peter Handke, Eine winterliche Reise, a.a.O., S. 159. 30 Ebd.

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gekesselt – und was tut es? Es zieht sein ältestes und feiertäglichstes Gewand an, und warum nicht seine schönste Volkstracht?, und es tanzt seine ältesten und traditionellsten Tänze. Es singt. Es zeigt und erzählt, so bedroht, die friedlichsten und unschuldigsten der Bilder von sich selbst – auch wenn diese sonst oft lügen, jetzt im Not- und Bedrängnisfall, lügen sie einmal nicht […]. Ja, Propaganda. Solche Propaganda: ja – für einmal ja ! Und selbst die dazu wiederholte Propaganda-Formel von der ›faschistischen Aggression der NATO‹: für einmal ja zu solcher Formel.31 Die Passage ist nicht aufgrund von Handkes Eintreten für Serbien problematisch, wie man als politischer Kommentator vielleicht denken könnte. Es handelt sich um den Offenbarungseid des Medien-, Bildund Sprachkritikers Handke, der seine eigene Kritik ohne einen wirk­ lichen Grund zunichtemacht. Das Grundproblem von Handkes Ansatz ist möglicherweise darin zu sehen, sich der als Einheitsfront wahrgenommenen Kriegsberichterstattung komplementär entgegenstellen zu wollen. Dies führt keineswegs, wie  Handke zu glauben scheint, zu der dringend gewünschten und zum Teil auch benötigten Korrektur, sondern verdoppelt gewissermaßen das Problem. Es stehen sich – Handkes Wahrnehmung der journalistischen Einheitsfront vorausgesetzt – zwei komplementäre Einseitigkeiten gegenüber, die wechselseitig ineinanderpassen. Statt der kritisierten Einseitigkeit die eigene Einseitigkeit entgegenzuhalten, wäre es notwendig gewesen, die Einseitigkeit innerhalb der eigenen Darstellung aufzubrechen. Aber genau dies unterbleibt in Handkes Darstellung. Das »Recht eines anderen, des poetischen Blicks auch auf die politische Welt«,32 das von Handke selbst und von seinen Verteidigern immer wieder eingefordert wird, erweist sich vor diesem Hintergrund als eine Leerformel, mit der die Unzulänglichkeit und der in Teilen ideologische Charakter von Handkes Äußerungen bemäntelt wird. Dieser ideologische Charakter geht bei Handke mit einer emotiona­ lisierenden Darstellung der Kriegsopfer einher, die von ganz eigener Art ist. Das zeigt vor allem der Text »Sommerlicher Nachtrag«, der die In­ sinuationen der zuvor veröffentlichten »Winterlichen Reise« nicht ab­ mildert, sondern noch einmal verschärft. Handke stellt in diesem Text in 31 Peter Handke, Unter Tränen fragend. Nachträgliche Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durchquerungen im Krieg, März und April 1999, Frankfurt am Main 2000, S. 19 f. 32 Sigrid Löffler, Die Arbeit am Mythos des Jetzt, in: Literaturen, H. 9, 2005, S. 7679, hier: S. 79.

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Frage, ob es die von bosnischen Serben verübten Massaker in dieser Weise überhaupt gegeben hat. Handke zieht insbesondere die Massaker von Višegrad in Zweifel, bei denen nach seriösen Schätzungen des »Research and Documentation Center« in Sarajevo bis zu 3.000 muslimische Zivilisten ermordet wurden. In seinem »Sommerlichen Nachtrag« ironisiert Handke die Medienberichte über einen barfüßigen bosnisch-ser­ bischen Milizenführer und mag nicht glauben, dass das mehrheitlich von Muslimen bewohnte Višegrad von bosnischen Serben terrorisiert worden ist. Durch die Ermittlungen des »Internationalen Kriegsverbrechertribunals« weiß man inzwischen, dass die seinerzeit veröffentlichten Medienberichte zutreffend gewesen sind und die Massenexekutionen genau so stattgefunden haben, wie es ein von Handke kritisierter Artikel der »New York Times« bereits 1996 beschrieben hat.33 Die Leichen der massakrierten Opfer wurden kurzerhand in die Drina geworfen, eine Praxis, die auch im Völkermord von Ruanda 1994 eine Rolle spielte.34 Statt den Wert dieser Berichte anzuerkennen, macht sich Handke über die Opfer der Massaker von Višegrad und über deren Angehörige lustig. So verwirft er  den Bericht einer Augenzeugin des Massakers, deren Mutter und Schwester getötet und in die Drina geworfen wurden, als unglaubwürdig und kritisiert den diesbezüglichen Zeitungsartikel als »miesliterarisch«.35 Doch damit nicht genug. Am Morgen nach dem nächtlichen Bezweifeln solcher Berichte schwimmt Handkes Erzähler in der Drina und ermahnt sich selber: »[K]ein Wasser, siehe die Wasserleichengeschichten, in den Mund kommen lassen !«36 Von einem angemessenen Umgang mit den Opfern des Bosnienkrieges kann in Handkes Darstellung keine Rede sein.37 Handke kommt, anders, als es der ihm zugeschriebene Anspruch glauben machen will, keineswegs zu einer ausgewogeneren und vor­ urteilsfreieren Darstellung als die von ihm kritisierten Medienberichte. Das Gegenteil ist der Fall. Die kritisierte Emotionalisierung der medialen Kriegsberichterstattung wird bei Handke durch eine negative Emotionalisierung unterboten. .

33 Vgl. Chris Hedges, From One Serbian Militia Chief. A Trail of Plunder and Slaughter, in: »New York Times« vom 25. März 1996. 34 Vgl. Robert Stockhammer, Ruanda. Über einen anderen Genozid schreiben, Frankfurt am Main 2005, S. 25 und S. 50 f. 35 Peter, Handke, Sommerlicher Nachtrag, a.a.O., S. 199. 36 Ebd., S. 203. 37 Vgl. dazu Jürgen Brokoff, »Srebrenica – was für ein klangvolles Wort«, a.a.O., und Jürgen Brokoff, Ich sehe was, was Ihr nicht fasst, in: »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, 10.07.2010.

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III. Als Korrektiv zur einseitig emotionalisierenden Kriegsberichterstattung sind Handkes Texte über Jugoslawien und den Jugoslawienkrieg kaum geeignet. Ein solches Korrektiv ist überall dort zu finden, wo die Festschreibung von Opfern und Tätern, die Handke bloß kritisiert, nicht aber überwindet, tatsächlich aufgebrochen wird. Dieses Auf brechen wird erreicht, wenn die dargestellten Opfer Züge der Täter erhalten, ohne dass ihr Opferstatus in Frage gestellt wird, und die Täter bei aller Täterschaft Züge der Opfer besitzen. Dies soll an zwei Textbeispielen diskutiert werden. Das erste Beispiel ist der bereits genannte Augen­zeugenbericht von Emir Suljagić über die dreijährige Belagerung der Enklave Srebrenica. Der Bericht von Suljagić bezieht seinen Wert nicht so sehr aus dem Faktum, dass es sich um einen Augenzeugenbericht handelt, solche Augenzeugenberichte sind erklärtermaßen auch Handkes Texte.38 Der Wert von Suljagićs Buch liegt vielmehr in einer Darstellungsweise, die die muslimischen Opfer der bosnisch-serbischen Armee implizit den Tätern annähert. Suljagić beschreibt ebenso eindringlich wie aufrichtig den Prozess der Verrohung und der Bestialisierung der Enklavenbewohner, der aus der langen Zeit der Belagerung im engen Talkessel von Srebrenica ­resultiert: Die Serben behandelten uns wie Tiere, und wir begannen uns nach einer gewissen Zeit wie Tiere zu benehmen.39 Das war in gewisser Weise unser Krieg im Krieg. Tagsüber kämpften wir gegen die Serben, nachts gegeneinander, um jeden Bissen Essen, um eine Plastikpackung. Die Leute verloren zum wer weiß wievielten Mal alle Skrupel, überschritten alle Grenzen des Anstands und verloren noch einmal ihre Würde. Der Existenzkampf hatte eine neue Form angenommen.40 Vielleicht ist das früher passiert, als es irgendjemand erwartet hätte, aber das Opfer begann unter diesen Umständen […] unvermeidlich dem Mörder zu gleichen.41 Bemerkenswert ist, dass sich der Autor selbst von dieser Entwicklung nicht ausnimmt:

38 Vgl. Peter Handke, Eine winterliche Reise, a.a.O., S. 39. 39 Emir Suljagić, Srebrenica, a.a.O., S. 97. 40 Ebd., S. 75. 41 Ebd., S. 110.

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[V]on einem Jungen, der vor dem Krieg schüchtern und zurück­ gezogen gewesen war, hatte ich mich zu einem aggressiven und rohen Burschen gewandelt; von einem Siebzehnjährigen, der vor dem Blick der Mädchen in der Klasse erstarrt war, hatte ich mich zu einem fast skrupellosen Menschen entwickelt. Was ich sah, erschreckte mich sehr, aber ich begriff bald, dass es eine Frage der puren Existenz war.42 Es leuchtet ein, dass aufgrund dieser kritischen Selbstbeschreibung die Kritik an anderen handelnden Personen nicht nur an Glaubwürdig­keit, sondern auch an Schärfe gewinnt: die Kritik an der »inneren Besat­ zung«43 Srebrenicas durch die warlords der muslimischen Stadtregierung, die nur auf ihren Vorteil aus waren und die eigenen Leute hungern ­ließen; die Kritik an den Journalisten, die »auf der Suche nach Sen­ sationen«44 nur daran interessiert waren, ein »gutes Zitat zu bekom­ men«.45 Und schließlich die Kritik an den UNO-Blauhelm-Soldaten, die in der Krisensituation nach dem Fall der Enklave mit einer »kalten, fast bürokratischen Gleichgültigkeit«46 »Verrat«47 an der Menschheit und Menschlichkeit geübt haben. All diese Kritik wird von Suljagić nicht aus einer Position der Überlegenheit oder des selbstgerechten Wissens heraus formuliert, sondern aus einer Position der Fragilität und Schwäche. Die emotionale Verstörung, die Suljagićs Augenzeugenbericht beim Leser bewirkt, kommt aufgrund dieser Fragilität und Schwäche zustande.48 Die kroatische Autorin Slavenka Drakulić wählt in ihrem Buch »They would never hurt a fly«, das die Prozesse vor dem »Internationalen Kriegsverbrechertribunal« in Den Haag behandelt, den umgekehrten Weg.49 Sie fühlt sich nicht in die Opfer, sondern in die Täter ein und ­erörtert auf betont unspektakuläre Weise, inwiefern diese Täter selbst Opfer der nationalistischen Politik im ehemaligen Jugoslawien und Opfer der kriegsbedingten Umstände geworden sind. Die einzelnen Kapitel 42 Ebd., S. 37. 43 Ebd., S. 33. 44 Ebd., S. 169. 45 Ebd., S. 79. 46 Ebd., S. 176. 47 Ebd. 48 Vgl. dazu auch die Rezension von Julia Encke, Die Widersprüchlichkeit der Wahrheit. Wie erzählt man vom Krieg?, in: »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«, 22.02.2009, S. 28. 49 Vgl. Slavenka Drakulić, They would never hurt a fly. War criminals on trial in The Hague, London 2004. Dt.: Dies., Keiner war dabei. Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht, Wien 2004.

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des Buches, die verschiedenen Tätern oder Tätergruppen gewidmet sind, entwerfen in einer Kombination aus Prozessbericht und philosophischer Erzählung Psychogramme der jeweiligen Täter und liefern indirekt Psychogramme der Gesellschaften, denen die Täter im ehemaligen Jugoslawien und deren Teilrepubliken angehört haben. Von besonderer Be­ deutung ist dabei das Kapitel über den bosnischen Serben Goran Jelisić, das dem Buch im englischen Original den Titel gegeben hat: »Er könnte keiner Fliege etwas zuleide tun.« Jelisić, geboren 1968 und zum Zeitpunkt seiner Taten 23 Jahre alt, hat als selbsternannter »serbischer Adolf« im Mai 1992 in der Polizeistation von Brčko und im Lager Luka innerhalb von achtzehn Tagen mehr als hundertzwanzig muslimische und kroatische Zivilisten ermordet.50 Wie er selbst berichtet, tötete er manchmal zwanzig bis dreißig Gefangene vor dem Morgenkaffee.51 Drakulić arbeitet in ihrem Psychogramm einerseits den scheinbar normalen und unauffälligen Charakter des passionierten Anglers Jelisić heraus. Dieser hatte, abgesehen von jenen achtzehn Tagen im Mai 1992, während des Bosnienkriegs mehrfach muslimischen Freunden geholfen und bedürftige Menschen unterstützt. Andererseits stellt sie Überlegungen über die Generation von Jelisić an, die zu Beginn der 1990er-Jahre unter dem Einfluss nationalistischer Propaganda in den Krieg ziehen musste. Auf dieser Grundlage kommt Drakulić nicht nur zu wichtigen Einsichten in die »Umstände«52 und »Bedingungen«,53 die vermeintlich ganz normale Männer – ordinary men – zu monströsen Tätern werden ließen.54 Ihr gelingt fernab einer problematischen Identifika­ tionsstrategie auch eine emotionale Annäherung an den Täter und eine Reflexion seiner möglichen Beweggründe. Diese Reflexion ist nicht so sehr eine erschöpfende Erklärung für die Entstehung grausamer Kriegsverbrechen als vielmehr die Annäherung an einen verstörenden Sachverhalt, der auch im Prozess gegen Jelisić nicht hinreichend plausibilisiert 50 Das 46-seitige Urteil gegen Jelisić, der zu vierzig Jahren Haft verurteilt wurde, ­f indet sich unter der Fall-Nummer IT-95-10-T in den öffentlich zugänglichen Prozessakten des »Internationalen Kriegsverbrechertribunals« (ICTY) in Den Haag. 51 Vgl. Slavenka Drakulić, Keiner war dabei, a.a.O., S. 77. 52 Ebd., S. 78. 53 Ebd., S. 79. 54 Vgl. zu dieser Frage – jenseits des Jugoslawienkonflikts – aus historischer und sozialpsychologischer Sicht Christopher Browning, Ordinary Men. Reserve Police Battalion 101 and the Final Solution in Poland, New York 1993 sowie Harald Welzer, Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, Frankfurt am Main 2005.

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werden konnte: »Weder Anklage noch Verteidigung konnten erklären, wie Jelisić zum Mörder geworden war.«55 Der von Drakulić inmitten einer Fülle aufschlussreicher Gedanken und Einsichten platzierte Satz »Ich weiß keine Antwort«56 hat in dieser Hinsicht programmatische Bedeutung. Die Darstellung von Drakulić steht unverkennbar in der Tradition von Hannah Arendts Buch »Eichmann in Jerusalem«, das bekanntlich unter anderem der »Banalität des Bösen« auf der Spur ist.57 Im Kapitel über Slobodan Milošević berichtet Drakulić über einen Witz, den der angeklagte Ex-Präsident im Gerichtssaal über einen beinamputierten Zeugen macht, indem er diesen nach der Relevanz des Sprichwortes »Lügen haben kurze Beine« fragt. Drakulić beschreibt diese Begebenheit wie folgt: Publikum und Richter waren entsetzt. Es trat eine unbehagliche Stille ein, als könnten die Menschen nicht glauben, was Milošević gesagt hatte. Jeder hier, auch Milošević, wusste, dass der Zeuge Samardžić tatsächlich kurze Beine hatte. Nicht weil er ein Lügner war, sondern weil sie ihm infolge von Diabetes amputiert worden waren. Tag für Tag schleppte er sich am Stock in den Gerichtssaal. Doch das bedeutete Milošević nichts. Er konnte sich seinen grausamen Scherz nicht verkneifen. Nicht weil er schlechten Geschmack hatte. Der Grund liegt viel tiefer. Das Leiden ­anderer bedeutet für Milošević nichts. Er ist zu keiner Empathie fähig. Bei seinem Anblick begriff ich erstmals die Definition des Bösen, die ich vor langer Zeit gelesen hatte: Das Böse ist die Abwesenheit von Mitgefühl.58 Mit einer unterschiedlichen Fokussierung auf Opfer und Täter gelingt es sowohl Suljagić als auch Drakulić, Mitgefühl nicht nur für die Opfer des Jugoslawienkrieges zu entwickeln, sondern in gewisser Weise auch für die Täter. Dieses Mitgefühl und seine Erzeugung in den Texten59 der genannten Autoren stehen quer zu einer Emotionalisierung, die vorgegebenen Zwecken folgt, etwa der Manipulation der öffentlichen Meinung oder des intendierten Drucks auf politische Akteure, und sie stehen quer 55 Slavenka Drakulić, Keiner war dabei, a.a.O., S. 74. 56 Ebd., S. 79. 57 Vgl. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München/Zürich 1998. 58 Slavenka Drakulić, Keiner war dabei, a.a.O., S. 130. 59 Zur These, dass Empathie diskursiviert werden muss und an narrative Strukturen gebunden ist, vgl. Fritz Breithaupt, Kulturen der Empathie, Frankfurt am Main 2009; Empathie und Erzählung, hrsg. von Claudia Breger und Fritz Breithaupt, Freiburg i. Br. 2010.

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zur negativen Emotionalisierung eines Peter Handke. Zur Andersheit der emotionalen Qualität der Texte von Drakulić und Suljagić trägt neben der Problematisierung einer starren Opfer-Täter-Dichotomie eine Darstellungsweise bei, die durch eine auffällige Zurückgenommenheit und verhaltene Tonlage gekennzeichnet ist. Die Zurückgenommenheit verleiht sich in tentativen Sätzen wie »Ich weiß keine Antwort«60 und »Vielleicht ist das alles falsch«61 Ausdruck – und wirkt aufgrund der reflektierten Zögerlichkeit des Urteilens umso glaubwürdiger.

60 Slavenka Drakulić, Keiner war dabei, a.a.O., S. 79. 61 Emir Suljagić, Srebrenica, a.a.O., S. 7.

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The Anxiety of Emotional Identification W. G. Sebald, Michael Haneke and the Aesthetics of Indirection in Contemporary War Stories A war story in the common sense of the term seems to require the combination of a number of basic figures, situations and emotions such as soldiers, officers, weapons, machinery, dangerous battlefields, difficult missions, struggle, despair, pain, triumph, ruin, devastation and death. If these features are not present and presented from the perspective of the soldiers, we tend to think that we do not really have a proper war story or a recognisable »look of warfare«.1 Furthermore, these well-known props and set pieces from culturally reproduced theatres of war must be put in motion in dramatic and overwhelming ways. Otherwise, it becomes difficult to identify emotionally with the soldiers fighting the war or with the civilians affected or victimised by it. The paramount purpose of every war story is exactly the possibility of emotional identification with the people involved in past or distant wars. »Bringing war home« has been the purpose of most representations of war, at least over the past two decades according to Astrid Erll.2 Thus, ­literary and visual representations of war strive to make us feel and sense how it really was to be present on the battlefield, to be there, in the ­middle of the combat zone.3 If this goal is not achieved, the war story has 1 Astrid Erll, »Bringing War Home«. Jarhead und die Kriegserinnerung made in Hollywood, in: Astrid Erll/Stephanie Wodianka (eds.): Film und kulturelle Erinnerung. Plurimediale Konstellationen, Berlin/New York 2008, p. 148. 2 Ibid., p. 140. 3 Of course the ›war story‹ as a genre or subgenre is much more diverse than out­ lined here. But to some degree all combat-oriented war narratives stage war as a dramatic and spectacular event and the participants in the belligerent actions as open for emphatic emotional identification. Marianna Torgovnick’s »The War Complex« (2005) is of special importance to my conception of the ›traditional‹ or ›typical‹ war story. Torgovnick places popular war narratives such as the standard American narrative of D-Day in »the genre I call guy talk: a blend of historicity, retrospective confidence in victory at odds with narrative suspense, casual insouciance, jokes that mask the shock of death but seem too good to be true – the wartime equivalent of big fish stories«. See Marianna Torgovnick, The War Complex. World War II in Our Time, Chicago/London 2005, p. 2.

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not done its job. As one reviewer tellingly wrote in his critique of a ­recently published World War One-memoir, written by a former Danish artillerist in German service: »A talent for keeping a cool head during battle, does not necessarily come with a talent for writing, and his story really lacks a gifted and skilled ghost-writer, who can make the reader feel the fear, the smoke, the rashness, the hunger and the death«.4 But should war representations necessarily make us feel the fear, the smoke and the death? Military history, popular war writing and war ­cinema still emphasise combat as the decisive and in many cases also attractive element in war, even though the notion of the decisive battle has been challenged in the aftermath of World War Two and its mixture of military and genocidal strategies, which culminated in the dropping of the atomic bombs in 1945.5 But the tradition of defining war primarily in terms of combat – or the expectation of combat – has marginalised other ways of representing war and thus blinded us to the possibility of depicting war as for instance a non-dramatic and profane condition. In »The War Complex« (2005) Marianna Torgovnick has noticed that the most important war novels written in English after World War Two »generally sidestep combat, often by using dual settings or dual timeframes that motivate […] movement to a different place or time and, consequently, displacement onto a different subject«.6 But these novels, among them Thomas Pynchon’s »Gravity’s Rainbow« (1973) and Kurt Vonnegut’s »Slaughterhouse-Five« (1969), still figure somewhat in the periphery of the canon of war writing, while Torgovnick urges us to re4 Simon Staffeldt Schou, Røg og damp: Ung sønderjydes erindringer fra Første Verdenskrig er trods gas og granater en lidt underligt tam oplevelse, in: »Weekend­ avisen Bøger« (weekly newspaper), 12.05.2010. Quotation translated from Danish. 5 In popular culture and public political discourse the conviction that ›war is about fighting‹ still overshadows all the other acts also characterising life in times of war. However, Clausewitz’ theory of war is much debated in military history and sociology, regarding the Cold War and the so called ›new wars‹ (Herfried Münkler) as well as old, pre- or early modern warfare. Political theorist Paul Hirst, for instance, has drawn attention to the problems raised by focusing on the battle as the deci­ sive event. »Battles, of course, are dramatic and finite actions, and they are apparently easy to narrate. Sieges, by contrast, are mostly protracted, episodic in their conflicts, and often unsuccessful in outcome. Battles attract military historians of the traditional type because, following Clausewitz, they seem as the decisive form of war, and sieges merely local forms of action that are inherently indecisive. This viewpoint is profoundly inaccurate and anachronistic, projecting back Napoleonic assumptions into a very different military system«. Paul Hirst, Space and Power. Politics, War and Architecture, Cambridge 2005, pp. 198 f. 6 Marianna Torgovnick, The War Complex, op. cit., p. 95.

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consider the general criteria by which we decide what can be read as war literature. In this article, I will carry out such an attempt at reconsidering the ­aesthetics of war by stretching the notion of the war story to its limits. Contrary to the task of ›bringing war home‹ or plunging the reader or viewer into the midst of the battlefield an aesthetic of indirection in the treatment of war has become more and more conspicious over the past few decades. This aesthetics of indirection is characterised by regarding »war at a distance« – to rephrase the title expression from Mary S. Favret’s study of »the making of modern wartime« by British romantic authors in their literary responses to the Napoleonic wars.7 At the same time, the aesthetics of indirection is an attempt at approaching belligerent events by keeping the media of representation as well as the conventions of intimation and identification visible to the reader or viewer. Central to this less spectacular variant of the war genre stands, in other words, the reflection on the abyss between the unmediated experience of war and the long-­ established traditions for representing and mediating the reality of war. By analysing two examples of this ›aesthetics of indirection‹ – the literary work of the late German author W. G. Sebald (1944-2001), and »Das weiße Band« (2009), the Palme d’Or-winning film by the Austrian ­director Michael Haneke (b. 1942) – I will furthermore argue that the aesthetics of indirection forms what Susan Sontag, the American critic and author, looks for in the concluding part of her critical essay on war photography, »Regarding the Pain of Others« (2003), namely »an antidote to the perennial seductiveness of war«.8 Sontag argues that this perennial seductiveness is somehow unavoidable in direct war representations. To bring the war home by depicting it as a struggle with which we must identify is somehow to affirm its reality. The same antiwar photograph that works as a protest against war in one setting »may be read as showing pathos, or heroism, admirable heroism, in an unavoidable struggle« in another, Sontag writes.9 In her opinion the perennial seductiveness of war is caused by the combined conventions of dramatisation and documentation in war photography, which operates to blur the difference or abyss between the mediated image of war and the unmediated incidents of warfare. But in fact, according to Sontag, images of war should

7 Mary A. Favret, War at a Distance. Romanticism and the Making of Modern Wartime, Princeton/Oxford 2009. 8 Susan Sontag, Regarding the Pain of Others, New York 2003, p. 122. 9 Ibid., pp. 38 f.

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operate to highlight and reflect on this very difference between image and experience, constitutive for our perception of the world as it is. This task is very similar to the ideal of an ethically grounded war literature described by Rainer Emig in a study of literary eyewitness-accounts of war experiences. »Das Extremerlebnis Krieg ist in seiner Fassung und Fassbarmachung extrem konventionell«, Emig claims in a critique of the realistic narrative tradition that shapes most of the war stories, we come across in literature, film and other media. Ideally, for Emig, war literature should oppose any potential healing of the fracture between the allegedly ›extreme‹ and ›indescribable‹ war events on the one hand and the all too conventional language we are left with to describe the indescribable on the other. Damit meine ich nicht, dass sich die Kriegsliteratur etwa einem ein­ fachen Realismus verschreiben müsste. Ganz im Gegenteil: dieser würde ja gerade wieder die Künstlichkeit von Anfang, Mitte, Ende, Problem und Lösung, Freund und Feind, Held und Feigling erfolgreich vertuschen. Es muss als Maßstab für Kriegsliteratur daher gelten, ihre Brüche aufzuzeigen, ohne so zu tun, als könne sich die Fiktion dem Drang verschließen, diese Brüche zu überwinden.10 The literary works by Sebald and »Das weiße Band« by Haneke can profitably be read as reflections on exactly such fractures in our common understanding of what war looks like rather than narratives depicting war experiences or war as such. In fact, in Sebald’s and Haneke’s aesthetics of indirection, war in itself cannot be understood as something isolated from other social practices. War is neither a spectacular adventure, nor is it an overwhelming trial or a gigantic all-destroying tragedy filled with mythic and religious resonances. It is a man-made, profane activity, wrought for specific mundane purposes or out of specific emotional impulses, and it always causes suffering for the participants as well as for the descendants who are left with a belligerent heritage in the shape of marks of pain and traces of destruction. *

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In the work of W. G. Sebald this troubled and troubling heritage stands at the very heart of his attempt at describing the meaning of past wars. 10 Rainer Emig, Augen/Zeugen. Kriegserlebnis, Bild, Metapher, Legende, in: Clau����� dia Gunz/Thomas F. Schneider (eds.), Kriegserlebnis und Legendenbildung. Das Bild des »modernen« Krieges in Literatur, Theater, Photographie und Film����� , Osnabrück 1999, pp. 19 and 22.

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Regardless if it is old Napoleonic battles, the trench warfare of World War One or the war of extermination in World War Two, his interest is directed primarily at the images and mediations of war, which we have created to make the unimaginable experiences accessible. The ­Second World War is, however, the paramount historical event in Sebald’s literary work. We never really get to the battlefields of World War Two, and when we do nevertheless come close, it is markedly in the shape of images drawn from the cultural or familial memory of war. Repeating the terms with which Jay David Bolter and Richard Grusin have described the »double logic of remediation«, it fits to say that Sebald gives a hypermediated account of war rather than an immediate impression of the conditions in the combat zone.11 In that way, personal memories of direct war experiences are left out. Being a ›Nachgeborener‹, Sebald acknowledges that his own historical imagination is inextricably bound to images of war, as it becomes obvious in his semi-poetological essay »Luftkrieg und Literatur« (1999) and this experiential limitation is transferred to all the characters in Sebald’s prose including the ones who have actually participated in military campaigns. Even though his alter ego narrators and characters often wish for immediate access or even fusion with the past, his literary imagination remains strangely bound to the present and thus to the afterlife of war in the social imagination as well as in the European landscape post-1945 that turns out to be a haunted and enigmatic ›memoryscape‹ under Sebald’s poetic gaze. This is due to the way Sebald handles two of the most central conventions in the writing of war: documentation and dramatisation. War stories are only perceived as genuinely authentic if the author has really been there, experiencing the battle. In Sebald’s work the historical incidents are documented in other ways: firstly, by found photographs and documents inserted into the text; secondly, by inserted photographs and accurate descriptions of the historical sites as they look many years later, when his literary characters come across them; and thirdly, by writing in a ­matter-of-fact tone, listing historical dates and events and accounting meticulously for different historical processes and their connection to the present state of affairs. The mode is often essayistic or factual, as if the books were not the pieces of fiction they also are. As Jonathan Long has remarked, describing the »generic hybridity« of Sebald’s narrative works, they are located »at the intersection of biography and autobiography, 11 Jay David Bolter/Richard Grusin, Remediation. Understanding New Media, Cambridge 1999, p. 5.

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­ istory and fiction, travel writing and memoir« and therefore »resist trah ditional genre categories«.12 However, war writing is often located exactly at these intersections. Classic contributions to the genre such as Stephen Crane’s »The Red Badge of Courage« (1895), Ernst Jünger’s »In Stahlgewittern« (1920) and Norman Mailer’s »The Naked and the Dead« (1948) combine biography and autobiography, history and fiction, travel writing and memoir, so at least in this regard Sebald is a typical war author. But when it comes to the all-important norm of dramatisation, Sebald follows the same conviction as Sontag: combat experiences cannot be ­accounted for or represented properly by literature or any other media. Still, Sebald seems almost obsessed with or haunted by stories and images of war, which he is restricted to frame as »Versatzstücke […] auf dem ­historischen Theater von jeher«, as the eponymous protagonist of the novel »Austerlitz« (2001) mentions, remembering the theory of his former history teacher at boarding school, André Hilary.13 Austerlitz’ memory of Hilary’s stories about the Napoleonic wars form a poetics of war description, which stresses the dialectics between the wish for proximity to, or even fusion with, the past events, and the melancholic recognition of the insurmountable distance between past and present. Hilary’s battle descriptions contain all the dramatic and frightening characteristics of the traditional war story. For instance, the school boys ›hear‹, ›see‹, ›feel‹ and ›sense‹ the battle of Austerlitz in 1805 as if it was taking place in the midst of the class room. But even though Hilary could talk for hours about famous Napoleonic battles – especially and significantly the one at Austerlitz – his depictions are always followed by the saddening realisation of the limits of our language. It would require and endless amount of time, he says, if we are ever to describe what really happened during a battle like the one at Austerlitz. The linguistic and imaginative tools we have at our disposal are mere pre-manufactured images, engraved in our minds, according to Hilary who is cast as not only the history-teacher of our protagonist, but also as his guardian and role model; a relationship that is repeated and varied in the speaker-listener-positioning of Jacques Austerlitz and the German narrator, Sebald’s literary alter ego who recounts the story of his enigmatic and haunted conversational partner. Here, Austerlitz recalls the lessons with Hilary who formed his conception of history, memory and narrative in decisive ways: 12 Jonathan J. Long, History, Narrative, and Photography in W. G. Sebald’s »Die Ausgewanderten«, in Modern Language Review Vol. 98, No. 1 2003, pp. 117-137, p. 117. 13 W. G. Sebald, Austerlitz, Frankfurt am Main 2006, p. 109.

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Hilary habe Stunden über den 2. Dezember 1805 reden können, sei aber demungeachtet der Auffassung gewesen, daß er in seinen Darstellungen alles viel zu sehr verkürze, denn sollte man wirklich, so habe er mehrfach gesagt, in irgendeiner gar nicht denkbaren systematischen Form, berichten, was an so einem Tag geschehen war, wer genau wo und wie zugrunde ging oder mit dem Leben davonkam, oder auch nur wie es auf dem Schlachtfeld aussah bei Einbruch der Nacht, wie die verwundeten und die Sterbenden schrien und stöhnten, so brauchte es dazu eine endlose Zeit. Zuletzt bleibe einem nie etwas anderes übrig, als das, wovon man nichts wisse, zusammenzufassen in dem lachhaften Satz »Die Schlacht wogte hin und her« oder einer ähnlich hilf- und nutzlosen Äußerung. […] Unsere Beschäftigung mit der Geschichte, so habe Hilarys These gelautet, sei eine Beschäftigung mit immer schon vorgefertigten, in das Innere unserer Köpfe gravierten Bildern, auf die wir andauernd starrten, während die Wahrheit irgendwoanders, in einem von keinem Menschen noch entdeckten Abseits liegt.14 This poetics of war writing offers an explanation as to why Sebald never writes any war stories in the experiential and identification-oriented sense of the term. His work is haunted by the aesthetics of war which becomes obvious already in the denotative and connotative meanings of the title ›Austerlitz‹. But apart from Marianna Torgovnick’s Sebald-reading in »The War Complex«, the critical reception has treated him as a writer of Holocaust-literature, not as a writer of war in the broader sense of the term.15 This is due to the fact that the inherent promise of war stories – to bring the reader or spectator closer to the war – can never be realised in Sebald’s work. On the contrary, the attempt at dramatisation and identification freezes the course of events into absurd and isolated fragments of some culturally reproduced idea of what war is really like. As Austerlitz also puts in his recollection of Hilary’s history lessons: Jeder Versuch, den Ablauf des sogenannten Kampfgeschehens zu begreifen, geht unweigerlich über in diese eine Szene, in welcher die Scharen der russischen und österreichischen Soldaten zu Fuß und zu 14 Ibid., pp. 108 f. 15 For a thorough examination and categorisation of the reception of Sebald’s work, see Richard Sheppard’s two articles: »Woods, trees and the spaces in between«: A report on work published on W. G. Sebald 2005-2008. Journal of European Studies 39.1, 2009, pp. 79-128 and Dexter – sinister: some observations on decrypting the morse code in the work of W. G. Sebald, Journal of European Studies 35.4, 2005, pp. 419-463.

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Pferde auf den gefrorenen Satschener Weiher fliehen. Ich sehe die Kanonenkugeln eine Ewigkeit lang stillstehen in der Luft, sehe andere einschlagen in das Eis, sehe die Unglücklichen mit hochgerissenen Armen von den kippenden Schollen gleiten, und sehe sie, seltsamerweise, nicht mit meinen eigenen Augen, sondern mit denen des kurzsich­ tigen Marschalls Davout.16 Sebald not only freezes and distances his narrator and protagonist from the iconography of war. He also destabilises the semantic conventions by describing the combat episodes as ›so called‹, a technique he uses exten­ sively and repeatedly when it comes to reproducing official descriptions of wars. Finally, he plays upon the drama-intensifying convention of substituting reader and character by installing the odd figure of Marshal ­Davout as a focalisation point, through which Austerlitz’ remembered image of the battlefield is mediated – or in another word: distorted. So, instead of claiming that the attempt to vivify the battle works seamlessly, as is the conventional expectation in accounts of war,17 Sebald’s conclusion is the opposite: the battlefield or combat zone surely looks weird and entirely foreign when evoked in retrospect. But this does not make the war less appalling. By reflection poetically on the very accessibility to what is often perceived as ›unimaginable‹ and ›indescribable‹ experiences, Sebald depicts war as a condition or a set of events which take place both at the limits of culture and in the very heart of our everyday life: in standard figures of speech, in the educational ­system, and in our mundane surroundings. Sebald’s 1992-short story »Paul Bereyter« from the collection »Die Ausgewanderten« makes the dialectics between the wish for accessibility and the anxiety of emotional identification with the fighting people of the past even more explicit. The eponymous protagonist in the narrative is a former soldier with whom the narrator – again Sebald’s alter ego – could far more easily identify than with a short-sighted French marshal, though Paul Bereyter, curiously enough, is also short-sighted. But this attempt also fails in conventional terms. Even though Paul Bereyter serves in the Wehr­ 16 W. G. Sebald, Austerlitz, op. cit., pp. 109 f. 17 ��������������������������������������������������������������������������������� In the preface to the 1924-edition of Ernst Jünger’s »In Stahlgewittern« the convention of straightforward dramatisation is spelled out in combination of Jünger’s alleged attempt at giving an ›objective depiction‹ of what he ›experienced‹ during The Great War: »Der Zweck dieses Buches ist, dem Leser sachlich zu schildern, was ein Infanterist als Schütze und Führer während des großen Krieges inmitten eines berühmten Regimentes erlebt, und was er sich dabei gedacht hat«. Ernst Jünger, In Stahlgewittern. Aus dem Tagebuch einer Stoßtruppführers, Berlin 1930, p. ix.

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macht for the entire six years of World War Two the actual ›war part‹ of the story takes up less than two pages of the text. However, the consequences of his participation in the German campaign determine the entire story. On the level of narration »Paul Bereyter« opens with the suicide of the protagonist, at first presented as the narrator’s former teacher in primary school. He takes his own life by placing himself on the railroad tracks just outside his hometown »S.«, referring to the town of Sonthofen in southern Bavaria where Sebald himself grew up and went to school. At the time of the suicide, the narrator has already lived away from S. for many years, but receiving the news of Bereyter’s death he returns to find out more about the suicide. The gruesome cause of death – rails, train – disturbs the narrator quite a lot. He is also puzzled by the obituary stating that the »Third Reich« made it impossible for Paul Bereyter to work as a teacher. To get behind these mysteries the narrator tries to come closer to his former teacher by imagining how his life had been in the village of S. This is nowhere as significant as in the perspective of the photograph opening the story (fig. 1), apparently showing the exact spot on the railroad tracks where Paul’s life ended – and at the same time carrying a stark iconic reference to the photograph of the railroad tracks leading into Auschwitz-Birkenau, thereby prefiguring the discovery of Paul Bereyter’s part-Jewish descent. The narrator’s failed attempt at emotional identification is underlined by the first text part, which culminates in an ekphrastic description of the photograph, enumerating what Paul Bereyter might have seen lying there on the tracks. However, the narrator breaks the storyline off just seconds before he reaches the point of imagining Paul’s death – »als das schlagende Geräusch sich näherte«18 – with a melancholic acknowledgment similar to that of Jacques Austerlitz: Solche Versuche der Vergegenwärtigungen brachten mir jedoch, wie ich mir eingestehen musste, dem Paul nicht näher, höchstens augenblicksweise, in gewissen Ausuferungen des Gefühls, wie sie mir un­ zulässig erscheinen und zu deren Vermeidung ich jetzt aufgeschrieben habe, was ich von Paul Bereyter weiß und im Verlauf meiner Erkundungen über ihn in Erfahrung bringen konnte.19 The narrator only gets close to Paul Bereyter in certain moments, in which emotions ›flood‹ the attempts at identification. These moments are ›unacceptable‹, the narrator claims, but why? Why are they an imper18 W. G. Sebald, Die Ausgewanderten. Vier lange Erzählungen, Frankfurt am Main 2006, p. 44. 19 Ibid., pp. 44 f.

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Fig.  1: Apparently the exact spot on the railroad tracks where Paul’s life ended. Image from »Die Ausgewanderten«, p. 41.

missible way of presenting the past? Proximity to and emotional identification with people of the past is otherwise regarded as the hallmarks of literature, so why is Sebald so cautious on that point? The answer undoubtedly lies in the subject matter: The Second World War told from the perspective of a descendant of the perpetrators – Sebald’s father Georg served in the Wehrmacht – cannot be the set piece for seamless and realistic historical fiction without further notice. As he has stated in an interview, with a reference to Walter Benjamin, »there is no point in exaggerating that which is already horrific«.20 That is why he attempts to narrate in a cool, prosaic, and matter-of-factly tone, describing hostilities and atrocities, whereas the rare moments of joy and levitation also present in his work are marked by a more poetic and emotionally laden style. As a bulwark against the potential flooding of emotions, the act of writing about and searching for access to the past must itself be part of literature. Time and again, Sebald breaks the illusion of immediacy evoked by his narrators in his struggle to reclaim and regain a position from where this dissonant, often terrible and heartbreaking, past can be 20 Michael Silverblatt, A Poem of an Invisible Subject. Interview with W. G. Sebald, in: Lynne Sharon Schwarz (ed.), The emergence of memory: conversations with W. G. Sebald, New York 2007, p. 86.

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told. This position is the present moment of the narrative act itself, which is always situated and visible in his work. Actually, for Sebald, one lesson – in poetic terms – from World War Two is that war is a subject that cannot be artistically approached and represented without marking explicitly the position of the narrator as a historical human being, one way or another involved and inscribed in the preceding processes of violence and destruction. For the narrator in »Paul Bereyter« this includes a pronounced lack of knowledge about what actually happened on the battle­f ield, where Paul Bereyter in spite of his officially declared identity as »nur ein Dreiviertelarier«21 – i.e. a little Jewish, so to speak – served during most of the war. The narrator and his informant, Paul’s enigmatic lady friend Lucy Landau, dwell on their astonishment as to why he went to the army in the first place. Why did he want to fight for a nation that did not acknowledge him as a real citizen? In the 1930s, the National Socialists had declared a de facto occupational ban on his work as a teacher, driving him into Swiss exile, but fighting for this anti-Semite fatherland caused no official problems. So Paul joins the army and fights for the German Reich, apparently because he »von Grund auf ein Deutscher gewesen ist, gebunden an dieses heimatliche Voralpenland und dieses elende S.«, as Mrs. Landau says with what is obviously only an attempt at an explanation.22 This decision remains the interesting drama and the irresolvable riddle of the story. What happened on the battlefield can in comparison only be described by the ›helpless sentences‹ and ›set-pieces‹ which we hear about in »Austerlitz«. Thus, the description of Paul’s experience during the war is characterised by the rhetoric of enumeration so wellknown from military front-reports in which the representation of war equals a discursive geography of remote battlefields and part-exotic place names, underlining the fundamental assumption of every war narrative that military campaigns and the places of combat are located away from home; the space of war is a priori an un-homely space, a field in which dwelling is always just a temporary activity. Sechs Jahre diente er, wenn das so gesagt werden kann, bei der motorisierten Artillerie und wechselte zwischen den verschiedensten Standorten in der großdeutschen Heimat und den bald zahlreichen besetzten Ländern hin und her, war in Polen, Belgien, Frankreich, auf dem Balkan, in Russland und am Mittelmeer und wird mehr gesehen ha21 W. G. Sebald, Die Ausgewanderten, op. cit., p. 74. 22 Ibid., p. 84.

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Fig.  2: We do not really hear about the belligerent events. Even the photographs are non-warlike. Image from »Die Ausgewanderten«, p. 83.

ben, als ein Herz oder Auge hält. Die Jahreszahlen und -zeiten wechselten, auf einen wallonischen Herbst folgte ein endloser weißer Winter in der Nähe von Berditschew, ein Frühjahr im Departement Haute-Saône, ein Sommer an der dalmatinischen Küste oder in Rumänien, immer jedenfalls war man, wie der Paul unter diese Fotografie geschrieben hat, zirka 2000 km Luftlinie weit entfernt – aber von wo? und wurde Tag für Tag und Stunde um Stunde mit jedem Pulsschlag, unbegreiflicher, eigenschaftsloser und abstrakter.23 Here, Sebald’s narrator puts the matter-of-factly enumeration of times and places together with a compassionate tone that suggests how Paul’s sense of self has been ruined by his war experiences. But the story is ­reluctant to give us any detailed account of what actually happened. We do not get to see ›more than a heart or an eye can hold‹. Even the photographs are non-warlike. In fact, on the first photograph Paul simply looks silly and on the second (fig. 2) he looks absentminded.24 23 Ibid., pp. 82 f. 24 Sebald’s images of Paul Bereyter’s military service contrasts the typical Wehrmacht-photographs brought home by so many soldiers that today it has become a public German property. In her studies of these photographs which were mainly kept in private ›war albums‹ until the early 1990s, Petra Bopp has described the

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But Bereyter himself has looked at something that the narrator refuses to lay his eyes upon namely the belligerent events. These events presumably include exterminations and other atrocities. By refusing to see what Bereyter has seen, the narrator tries to avoid the belligerent gaze, including the dominating and destructive qualities of this gaze. »There is […] a close relationship between the function of the arm and that of the eye«, as Paul Virilio has remarked in »Bunker Archeology« (1975).25 Instead of continuing this destructive process by depicting large panoramic landscapes raged by the war machine, as we know it from several war writers, Sebald’s literary gaze marks an attempt at restitution. But this restitution of the dignity of Bereyter, the enigmatic warrior, requires a polite distance. Identifying emotionally with Paul would imply a submersion into the general logic of war and the specific logic of the German aggression in the Second World War, which a reluctant descendant such as Sebald will do anything to avoid, while at the same time doing everything possible to show the consequences of this war: That it ruins, uproots and makes the individual more and more abstract and incomprehensible to itself and its surroundings. In other words, war destroys the possibility for reflecting on the self; a destruction that Sebald will not repeat on the level of representation. That is also the cause of his anxiety of emotional identification, his distance to the protagonist. In other words, Sebald’s aesthetics of indirection is both ethically-politically motivated by his background as a German Kriegskind, and aesthetically motivated by his dissatisfaction with the possibilities of the typical ways of representing not only war events but destructive processes of the past in general.26 *

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In Michael Haneke’s »Das weiße Band« the same kind of anxiety and dissatisfaction is present. But the way war is shown – or rather not shown – also differs from what we find in »Austerlitz« and »Die Ausgewanderten«. The film surely is a borderline case in the discussion about aesthetics of often boyish and adventurous atmosphere dominating private photographs from World War Two, reassuring the soldiers and their families that they were participating in a noble and exciting mission to spread German civilisation across Europe. Cf. Petra Bopp, Fremde im Visier. Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, Bielefeld 2009. 25 Paul Virilio, Bunker Archeology, Translated by George Collins, New York 1994, p. 43. 26 In the already cited interview with Michael Silverblatt, Sebald touches on this ethic and aesthetic dissatisfaction by describing his role-model in German lan-

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war. It contains a few discursive references to war, but no regular war images whatsoever. The story is set in 1913, at the brink of World War One, but no soldiers or other military figures are present, and one could easily argue that the aesthetics of indirection is so indirect that the film is not about war at all; and that to call it a war story is to empty the term of any stable meaning. But that is not the case. »Das weiße Band« has a number of allegorical qualities and historical references which in their intermingling leave no doubt about the issue at hand: The belligerent German history of the first half of the twentieth century. Haneke opens with a voice-over saying that the story we are about to follow is enigmatic and filled with un­ answerable questions: »Aber dennoch glaube ich, dass ich die seltsamen Ereignisse, die sich in unserem Dorf zugetragen haben, erzählen muss, weil sie möglicherweise auf manche Vorgänge in diesem Land ein erhellendes Licht werfen können«.27 The film presents itself as a key to and an enlightening or even illuminating story about modern German history. Haneke undoubtedly has National Socialism and the Second World War in mind. More important to my description of the film as an indirect war story, is that it leads up to the outbreak of World War One. The mutual declarations of war among the great powers of Europe in the late summer of 1914 marks the end of the film and the final departure from the uncanny village of Eichwald, accompanied by the church choir who sings the old battle hymn of the German protestants, »Ein feste Burg ist unser Gott«. guage literature, Thomas Bernhard, who also practiced an aesthetic of indirection due to the ›periscopic form of narrative‹, as Sebald calls Bernhard’s rebellion against the omniscient narrator. »What Thomas Bernhard did to postwar fiction writing in the German language was to bring it to a new radicality, which didn’t exist before, which wasn’t compromised in any sense. Much of German prose fiction writing, of the fifties certainly, but of the sixties and seventies also, is severely compromised, morally compromised, and because of that aesthetically insufficient. [What Thomas Bernhard] achieved, I think, was also to move away from the standard pattern of the standard novel. He only tells you in his books what he heard from others. So he invented, as it were, a kind of periscopic form of narrative. You’re always sure that what he tells you is related, at one remove, at two or three. That appealed to me very much because this notion of the omniscient narrator who pushes around the flats on the stage of the novel, you know, cranks things up on page three and moves them along on page four and one sees him constantly working behind the scenes, is something that I think one can’t do very easily any longer.« Michael Silverblatt, A Poem of an Invisible Subject, pp. 82 f. 27 Michael Haneke, Das weiße Band. Eine deutsche Kindergeschichte, DVD, Warner Bros., 0.02:23-0.02:36.

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Eichwald is a miniature world of harsh orthodoxy and disturbing s­ ecrecy. In the last year leading up to the war the village people has witnessed an escalating terror, mainly caused by the group of children that also make up the passive-aggressive church choir. ›Eine deutsche Kindergeschichte‹ is the telling subtitle of the film. However, on the surface the children are innocent, as it is significantly demonstrated by the white ­ribbon that has given the film its title. But in between the scenes of public village life we see the children lurk around their potential victims and eavesdrop on the adults trying to solve the mysterious atrocities that frighten the people in Eichwald. The different crimes are never officially unravelled, but at the end of the film it is a real relief simply to get away. »Ich habe genug von Misshandlungen, Bedrohungen und perversen Racheakten«, as the local baroness exclaims before leaving the village with her children.28 The audience feels the exact same way. But at the end of the film, due to the historical contextualisation, Haneke reminds us that such an escape was only possible for the happy few in 1914. The rest of the inhabitants of Eichwald will be occupied for the next 30 years abusing, threatening and taking revenge on each other until the spiral of violence finally comes to an end in Western Europe in 1945, whereas it continued in the Eastern part as well as many other places in the world, ruled by totalitarian dictatorship and war. Haneke presents us with »a horror film with no horror images«, as one reviewer pointedly said about his cinematic technique of assuring the ­audience that something is completely wrong without ever showing it ­directly.29 In his indirect or metonymic approach to violence, he resembles Sebald. None of them are interested in the spectacle of violence and destruction in itself. They both rebel against what I have earlier described as the convention of dramatisation by focusing instead on the causes, effects and reverberations of the belligerent violence. And still, Haneke and Sebald are painfully conscious of the problem of simultaneously knowing about and looking away from violations. In fact, as it is obvious from the pivotal scene of »Das weiße Band«, the decision to stay outside the room of violence – and in a broader perspective the room of war – can be even more offensive than the direct depiction of the violent incident itself. In all its horror, direct and detailed representations of violence often turn 28 Ibid., 1.55:30-1.55:36. 29 The German original says »ein Horrorfilm, der keine Horrorbilder braucht«. Christian Buss, Oscar-Kandidat »Das weiße Band«. Monster im Dorf, in: »SpiegelOnline«, 14.09.2009. http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,654825,00.html (30.12.2011).

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Fig.  3: The camera is intrigued, terrified and paralysed, trapped in a world of escalating violence and two world wars looming around the corner. Still from »Das weiße Band«, 0.26:50.

out to be alarmingly banal, while Haneke’s distanced and obstructed interest in physical abuse is unbearable, even though it is two of the otherwise dislikeable children, Martin and Klara, who are being punished by their father, the village reverend. In this long claustrophobic shot (fig. 3), the camera stays in the hallway, registering at first that Martin enters the ­living room in which the ceremonial punishment are about to take place. He soon returns to pick up the whip, the torture instrument, which his father subsequently uses, as we learn from the terrifying sounds coming from the living room before the shot ends.30 The camera and sound recorder staying put outside the room is appalling; not so much because of the loud cries of pain coming from the room, but because of the combination of curiosity and apathy it suggests. It will not look at the punishment, neither will it hinder it from taking place, nor does it seem just to accept it. The camera is intrigued, terrified and paralysed, trapped in a world of escalating violence and two world wars looming around the corner. It is both an accomplice to and the instrument of mediating the violence – much like the villagers of Eichwald and like the inhabitants of the »Third Reich« that is prefigured by Haneke in this film. With eyes wide open, Haneke’s filmic narrator approaches the ›Ur‹violence of the twentieth century, but it halts at the very brink of the ensuing wars, sceptic of the use of depicting the escalation of the violence 30 Michael Haneke, Das weiße Band, 0.24:25-0.26:55.

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in the world wars, since we know these images so very well from the hub of combat-oriented war novels and war films. Why picture more than a heart or an eye can hold when history is already horrific, Haneke seems to think in the same vein as Sebald. He approaches the world wars from the opposite temporal direction. The wars of the twentieth century is narrated in embryo by Haneke; they are staged en miniature in a sort of uncanny parable or dark allegory, while Sebald has picked up the aesthetic fragments from a long tradition of war writing and visual war representation and build this research into his contemporary travelogues from a post-hot-and-cold-war-Europe. In that regard, both Sebald and Haneke actually offer a point of emotional identification. But unlike the traditional war stories this point lies outside the combat zone, and for good reasons. The fact that two all-pervasive wars were fought here in Europe not that long ago has been somehow incomprehensible and disturbing to generations of descendants who did not experience war firsthand, but who know all the aesthetic features of warfare from the familiar conventions used by different media. The most important convention is the readily and seamless identification with fighting and fallen soldiers anywhere in the world. In a political ­situation in Europe where only a diminutive minority of people has experienced war at first hand, it would, however, be odd if all representations of war treated it as if it was a natural activity for human beings. War is brought forth by deliberate actions. Even if we accept the deterministic assumptions that war is a natural and thus unavoidable phenomenon in the existence of the human species, it cannot be ignored that it is also a cultural phenomenon. War has been subject to enormous change over the course of history, be it technological, ideological, conceptual, or juridical – or in literary and visual aestheticisation. In a time when battles are no longer decisive for the outcome of wars, it seems necessary to include other ways of depicting war than the dominating combat-oriented mode. The aesthetics of indirection is one of the most innovative ways of artistically coming to terms with past and present wars, since it not only reflects the distance between war experienced and war mediated, but also opens up a perspective on the belligerent events that are not bound to the single soldier or to the military-industrial-complex. What Sebald, Haneke and many others allow for is, on the contrary, a ­civilian, profane, and humanistic perspective on the course of events ­generally known as war.

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Takt Der Kriegszustand und die Kunst des Urteilens im 19. Jahrhundert Einleitung Gegen Ende des 18. Jahrhunderts erregte Georg Heinrich von Berenhorst großes Aufsehen. Zwischen 1797 und 1799 gab er seine dreibändigen »Betrachtungen über die Kriegskunst, über ihre Fortschritte, ihre Widersprüche und Zuverlässigkeit« heraus. Von Immanuel Kant beeinflusst, legte Berenhorst der Öffentlichkeit eine »gewissermaßen Kantsche Kritik [der Kriegswissenschaften]« vor.1 In diesem Werk versucht er, die kritische Methode auf den Krieg zu übertragen und den Krieg als eine selbständige Welt zu beschreiben, die ihre eigene Funktionsweise, ihre eigene operationale Logik hat; Berenhorsts Ziel ist es, die Grenzen der militärtheoretischen Spekulationen klar abzustecken. Im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Militärtheoretikern wie z. B. Heinrich von Bülow oder Antoine-Henri Jomini, betrachtet Berenhorst den Krieg als ein durchaus kontingentes Phänomen, als zufällig und instabil, und er behauptet, dass die neue Art der Kriegsführung, die grandes opérations auf dem europäi­ schen Kontinent, nur zu einer Erweiterung von »l’empire du hazard« – von dem Reich des Zufalls – geführt habe. Er schreibt: Les théâtres se sont aggrandis à cause du nombre excessif des troupes, de la hardiesse des projets, de l’atrocité des procédés envers les neutres et les foibles, cela est vrai; mais avec les théâtres, où l’on ne se bat plus en battaille rangée afin de se battre plus fréquemment par corps détachés, l’empire du hazard s’est aggrandi proportionnément, et c’est à quoi se réduisent envisagés sans prévention, tous ces élans de la science si vantés.2 Die Kriegsschauplätze sind aufgrund der maßlosen Zahl der Truppen, der Kühnheit der Pläne, der Grausamkeit des Verhaltens gegenüber 1 Georg Heinrich von Berenhorst, Aus dem Nachlaße, Bd. 2, Neudruck der Aus­ gaben Dessau 1845 und 1847, Osnabrück 1978, S. 16. 2 Georg Heinrich von Berenhorst, Betrachtungen über die Kriegskunst, über ihre Fortschritte, ihre Widersprüche und Zuverlässigkeit, I, Neudruck der 3. Auflage, Osnabrück 1978, S. 437.

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den Neutralen und den Schwachen erweitert worden, so viel ist richtig, aber mit den Kriegsschauplätzen, wo man nicht mehr in geregelten Schlachten, sondern häufiger mit getrennten Korps kämpft, hat sich das Reich des Zufalls entsprechend erweitert, und das ist es, wozu die gerühmten Grillen der Wissenschaft reduziert werden, wenn man sie unparteiisch betrachtet. (Übersetzung des Autors) Der Kriegszustand bildet eine Ausnahme jener Gesetzmäßigkeit, die im Frieden herrscht. Weil der Krieg nicht durch Gesetze, sondern durch den Zufall organisiert ist, widersteht er, laut Berenhorst, allen Theorien und kann weder vorhergesagt noch kontrolliert werden. Die Versuche militärischer Denker, Regeln und Prinzipien der Taktik und Strategie zu ent­ wickeln, sind daher nur als »Hirngeburten« zu betrachten; die Theore­ tiker scheinen nicht zu verstehen, dass mit Beginn der Schlacht alle Planungen sich in Rauch und Getümmel auflösen und die Gefechte bald in »Regellosigkeit und wildes Heckefeuer« ausarten.3 Berenhorsts Buch ist Teil einer größeren Umwälzung im Kriegs-­ Denken. In der Fortifikationstheorie, die mit Menno von Coehoorn und Sébastien le Prestre de Vauban um 1700 ihren Höhepunkt erreichte, wurden brutale Gewaltakte in architektonische Formen, die auf geometri­ schen Berechnungen beruhten, verwandelt. Ein Beispiel liefert Vaubans Abhandlung »Nouveau traité de Géométrie et Fortification« aus dem Jahr 1695, die mit einer ausführlichen Erklärung der Geometrie anfängt. Die nackten geometrischen Formen im ersten Teil der Abhandlung verwandeln sich allmählich in die Festungen des zweiten Teils (Abb. 1-3). Wie auf Abb. 4 zu sehen ist, hat Vauban auch eine neue Methode der Belagerung entwickelt, nämlich ein System von parallelen Gräben. Gegen die Mitte des Kastells gerichtet und von einem Halbkreis von Batterien unterstützt, wurde den offensiven Maßnahmen eine der Fortifikation komplementäre Form gegeben: Der Raum des Krieges um 1700 wurde aus der Geometrie geboren. In diesem Raum zu handeln hieß demnach, einer vor­gegebenen Sequenz zu folgen. In seiner Schrift »Traité de la défense des places« listet Vauban die verschiedenen Schritte sowie eine Einschätzung auf, wie viele Tage für die Umsetzung dieser Sequenz benötigt würden. Vom Anfang der Belagerung bis zur Eroberung einer befestigten Stadt berechnet er 48 Tage.4 3 Georg Heinrich von Berenhorst, Betrachtungen über die Kriegskunst II, Neudruck der 3. Auflage, Osnabrück 1978, S. 334 und 132. 4 Sébastien le Prestre de Vauban, Oeuvres de M. de Vauban, Bd. 2. Traité de la ­défense des places, Amsterdam und Leipzig 1771, S. 32-33. Vgl. auch David G.

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Abb.  1: Sébastien le Prestre de Vauban, Nouveau traité de Géométrie et Fortification, Bd. 1, Paris 1695, S. 7.

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Abb.  2 (oben): Sébastien le Prestre de Vauban, Nouveau traité de Géométrie et Fortification, Bd. 1, Paris 1695, S. 48. Abb.  3 (links): Sébastien le Prestre de Vauban, Nouveau traité de Géométrie et Fortification, Bd. 1, Paris 1695, S. 89.

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Abb.  4: Sébastien le Prestre de Vauban, De l’attaque et de la défense des places, Bd. 2, Tafel 5, La Haye 1737, S. 29.

Mit der großen Erweiterung der Militäroperationen während der ­ apoleonischen Kriege wurde dieses abgestimmte, statische Bild des N Krieges obsolet. Die Veränderungen in der Praxis der Kriegsführung, die Gliederung der Armee in getrennte Korps, ihre zunehmende Mobilität und die Weite des Kriegsschauplatzes führten zu einer Umgestaltung sowohl in der Vorstellung vom Krieg als auch in der Handlungstheorie. Nun nicht mehr von der Geometrie bestimmt, wurde der Krieg um 1800 als eine kontingente Welt gedacht, eine Welt, deren operationale Logik der Zufall war. Wie konnte man aber eine solche Kontingenz eindämmen? Wie in einer solchen Welt effektiv handeln? Und wie konnte man die not­wendigen Handlungsmuster entwickeln und trainieren? Dies ­waren die Leitfragen, die sowohl militärische als auch literarische und Chandler, The Art and Science of Fortification and Siegecraft, in: The Age of ­William III & Mary II: Power, Politics, and Patronage, 1688-1702, Williamsburg 1989, S. 125.

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philo­sophische Schriftsteller stellten. Eine entscheidende Fähigkeit war ›der Takt‹ – ein Begriff, der zu dieser Zeit entsteht und der in seiner militärischen Variante einen Nexus von Emotionen, Medien und Poetik bildet. Wahrscheinliche Welten Die zentrale Figur in dieser Entwicklung ist Carl von Clausewitz. In ­seinen umfangreichen Schriften und vor allem in seinem Hauptwerk »Vom Kriege« definiert er nicht nur ›Takt‹ als Voraussetzung für er­ folgreiches Handeln, er beschreibt auch den Krieg als einen besonderen Zustand, der Takt erfordert. Wie Berenhorst begreift Clausewitz den Krieg als einen Zustand der Kontingenz, das heißt als eine Welt, in der Ereignisse weder unausweichlich noch unmöglich sind.5 Im Gegensatz zu Berenhorst aber behauptet Clausewitz, dass es Gesetze gibt, die Kontingenz regeln, nämlich die Gesetze der Wahrscheinlichkeit. In dem Kapitel über »Methodismus« im zweiten Buch zwei von »Vom Kriege« schreibt er: [S]o kommt es darauf an […], daß die Methode auf die wahrscheinlichsten Fälle berechnet sei. Der Methodismus ist also nicht auf bestimmte einzelne Prämissen, sondern auf die Durchschnittswahrscheinlichkeit der sich einander übertragenden Fälle gegründet und läuft darauf hinaus, eine Durchschnittswahrheit aufzustellen.6 Mit anderen Worten, der Krieg führt eine neue epistemische Ordnung ein, die nicht mit Axiomen operiert, sondern mit »Wahrscheinlichkeits­ gesetzen«.7 Da Strategie und Taktik Versuche sind, die Zukunft zu lenken, sind die Ereignisse, mit denen sie arbeiten, von der Art, die Aristoteles in seiner »Peri Hermeneias« (»De Interpretatione«) »Möglichkeiten« nennt, und die heute als »kontingent-zukünftige Ereignisse« oder future contingents bezeichnet werden.8 Er schreibt: »denn wir sehen […], daß überhaupt für diejenigen Dinge, die sich nicht immer im Zustand der Verwirklichung (einer bestimmten Möglichkeit) befinden, die Möglichkeit besteht, (das und das) zu sein, und auch die Möglichkeit, (es) nicht zu sein, wobei für diese Dinge, jeweils beides möglich ist: sowohl, daß sie (das und das) sind, als auch daß sie (es) nicht sind.«9 5 6 7 8 9

Vgl. Aristoteles’ Definition, in: Ders., Peri Hermeneias, Berlin 2002, S. 27. Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Bonn 1980, S. 306. Ebd., S. 199. Aristoteles, Peri Hermeneias, a.a.O., S. 14. Ebd., S. 14.

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Sein berühmtes Beispiel der Seeschlacht folgt dieser Logik. Während es notwendig ist, dass eine Seeschlacht morgen entweder stattfindet oder nicht, ist es nicht notwendig, dass sie stattfinden wird, noch ist es notwendig, dass sie nicht stattfinden wird. Aristoteles’ Beispiel behandelt aber den Krieg, in diesem Fall den Seekrieg, als ein einziges Ereignis und stellt ihn einer Reihe von anderen möglichen Ereignissen zur Seite. Die Seeschlacht unterscheidet sich damit weder von anderen future contingents noch von nicht-militärischen Ereignissen. Laut Clausewitz ist der Krieg aber ein komplexes, vielschichtiges Phänomen, das aus unendlich vielen winzigen Ereignissen besteht, die alle kontingent sind. Erkenntnistheoretisch ist der Krieg die durchschnittliche Summe einer Unzahl mehr oder weniger wahrschein­licher zukünftiger Ereignisse. Es geht darum, ein »Wahrscheinlichkeitskalkül« aufzustellen, dessen Zweck die Produktion einer »Durchschnittswahrheit« ist.10 Der Faktor der Wahrscheinlichkeit durchdringt hier jedes Element des Krieges, nicht nur die Schlacht als ein singuläres Ereignis. Innerhalb dieses »Reich[s] möglicher Ereignisse« müssen die gemeinen Soldaten in den niederen Rängen selten sorgfältig überlegen, was sie tun sollen, wenn wir aber die militärischen Ränge hinaufsehen, steigt die Schwierigkeit von Entscheidungsfindungen entsprechend.11 Der militärische Befehlshaber sieht sich daher mit einer mathematischen Herkulesaufgabe konfrontiert, wenn er sein Wahrscheinlichkeitskalkül durchführen möchte: »In diesem Sinne hat Bonaparte ganz richtig gesagt, daß viele dem Feldherrn vorliegende Entscheidungen eine Aufgabe mathematischer Kalküls bilden würden, der Kräfte eines Newton und Euler nicht unwürdig.«12 In einer eher skeptischen Variation behauptet Clausewitz, dass sogar Newton vor einer ­solchen Aufgabe zurückschrecken würde.13 Schon unmittelbar nach der preußischen Katastrophe von Jena und Auerstedt im Jahr 1806 hatte Clausewitz sich verbittert in die Mathematik zurückgezogen, und obwohl er sie nicht genauer beschreibt, lässt die Theorie, die er bald entwickelte, wenig Zweifel daran, dass er die Wahrscheinlichkeitsrechnung studierte. In einem Brief an seine zukünftige Frau Marie vom 28. Februar 1807 schreibt er: Ich lerne täglich mehr, welche schwierigen Aufgaben die Mathematik zu lösen vermag, wie sie die durch tausend Verhältnisse und Bestim10 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, a.a.O., S. 200 und 306. 11 Carl von Clausewitz, Schriften – Aufsätze – Studien – Briefe, Bd. 1, Göttingen 1966, S. 78; Vom Kriege, a.a.O., S. 298. 12 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, a.a.O., S. 251. 13 Ebd., S. 961.

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mungen verwickelte Größe, die dem menschlichen Verstande sich ganz zu entziehen scheint, mit wahrhaft göttlicher Kunst diesem Labyrinthe entzieht und rein und einfach darstellt – oh, könnte doch ein Meister dieser Kunst mir die Stunde aus den mannigfaltigsten Verhältnissen unseres Lebens entwickeln, in der Du auf immer Deine Hand in die meinige legst!14 Der Scherz, Mathematik als ein Werkzeug zu benutzen, um Komplexität zu organisieren und ein Fenster in die Zukunft seiner Liebesangelegenheiten zu öffnen, sollte kurz danach ernsthafte Theorie werden, als er diese auf den Krieg applizierte. In welchem Ausmaß die Wahrscheinlichkeitstheorie Clausewitz’ Denkweise beeinflusst hat, lässt sich aus seinem Essay »Ueber die künftigen Kriegs-Operationen Preußens Gegen Frankreich« von 1807/08 ablesen. Als offener Fürsprecher für einen preußischen Aufstand gegen die französische Besatzung versucht Clausewitz seine politischen Gegner mit einer Variation eines Arguments von Blaise Pascal zu überwinden. Clausewitz behauptet, dass das richtige Verfahren in Politik und Krieg nicht sei, »sich eine vortheilhafte Kriegs-Situation zu verschaffen und die absolute Wahrscheinlichkeit eines glüklichen Erfolges herauszukalkuliren, sondern von zwei Uebeln das kleinste zu wählen«.15 Man sollte also eine militärische Lösung nicht ausschließen, wenn sie nur möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich ist, wenn nur das politische Ziel, das erreicht werden könnte, von der höchsten Bedeutung ist. Clausewitz wollte, dass Preußen gegen die Franzosen rebellierte, obwohl der Sieg höchst unwahrscheinlich war, weil für ihn der Wert der nationalen Unabhängigkeit alle Gefahren, die man in Kauf zu nehmen hatte, um sie zu erreichen, überwog.16 Pascal, der in seiner berühmten Wette die Existenz Gottes einem Wahrscheinlichkeitskalkül unterwarf, behauptete folgendes: Weil der Gewinn des Glaubens an Gott unendlich ist, nämlich das ewige Leben, der Einsatz aber nur das endliche Leben sein kann, muss jeder vernünftige Mensch, wenn man weiter annimmt, dass Gott mit fünfzig Prozent Wahrscheinlichkeit existiert, wetten, dass Gott tatsächlich existiert, 14 Carl von Clausewitz, Karl und Maria v. Clausewitz. Ein Lebensbild in Briefen und Tagebuchblättern, Berlin 1925, S. 94. 15 Carl von Clausewitz, Schriften – Aufsätze – Studien – Briefe, Bd. I, a.a.O., S. 78. Siehe auch: Verstreute kleine Schriften, Osnabrück 1979, S. 116: »denn im Kriege kommt es nicht auf den absoluten, sondern auf den relativen Grad der Wahrscheinlichkeit an, und die kleinste Wahrscheinlichkeit ist immer größer, als gar keine.« 16 Carl von Clausewitz, Schriften – Aufsätze – Studien – Briefe, Bd. I, a.a.O., S. 7879.

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und entsprechend handeln.17 In Clausewitz’ Version stehen die Chancen nicht fünfzig zu fünfzig, aber auch mit geringeren Chancen bedeutet für ihn der ›unendliche Wert‹ des politischen Ziels, dass das Wahrscheinlichkeitskalkül für den Aufstand spricht: Die »Wichtigkeit des Zwekes« müsse »im Verhältniß stehen zu der Gefahr, welche man ­dabey läuft. Es giebt aber keinen politisch wichtigern Zwek als die Un­abhängigkeit des Staates und der Nation. Diesen muß man unter den größten Gefahren verfolgen.«18 Der Krieg mochte also für ihn die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein, in Clausewitz’ Theorie aber sind sowohl der Krieg als auch die Politik einem probabilistischen Kalkül unterworfen. Die Bedeutung der Wahrscheinlichkeit ist also umfassend. Sie bezieht sich nicht nur auf die sichtbaren, materiellen Elemente des Krieges, sondern auch auf unsichtbare wie etwa politische Absichten und Emotionen. Einer der wichtigsten Beiträge Clausewitz’ zur Theorie des Krieges ist es bekanntlich, die Wirkung von Emotionen zu betonen, wobei zu beachten ist, dass auch sie bei ihm eine Variable im Wahrscheinlichkeits­ kalkül bilden. »Mir kommt nichts kleinlicher vor, als wenn man immer nur auf Fleisch und Blut, und Pulver und Bley calculirt, und auf die moralischen Größen gar keine Rücksicht nimmt.«19 Als Beispiel liefert er den Mut der Verzweiflung, der, auch wenn man in Bezug auf die mate­ riellen Mittel im Nachteil sei, dennoch so gewichtig sein könne, dass er den Krieg entscheide.20 Wie die Psychologie der gemeinen Soldaten sollen auch die Psycho­ logie und der Charakter der Befehlshaber mit in die militärische Berechnung einbezogen werden. Der idiosynkratische Charakter eines Königs und eines Militärkommandanten werden als Daten angesehen, nämlich »die Data […], welche diesen Calcul nach Gesetzen der Wahrscheinlichkeit begründen«.21 Als Indikatoren für future contingents, für potenzielle Ereignisse, sind Schüchternheit, Stolz, Unternehmungsgeist und andere psychologische Faktoren genauso wichtig wie die materiellen Faktoren. Clausewitz kommt daher zu dem Schluss: »Wer auf alle diese Dinge nicht rechnen will, wird nie ein guter General seyn, und sein mathe­matischer Calcul wird ihn, wenn er schwach ist, zur Unthätigkeit führen.«22 17 Blaise Pascal, Pensées, Paris 2004, § 233. 18 Carl von Clausewitz, Schriften – Aufsätze – Studien – Briefe, Bd. I, a.a.O., S. 7879. 19 Carl von Clausewitz, Verstreute kleine Schriften, a.a.O., S. 116. 20 Ebd., S. 116. 21 Ebd., S. 81 f. 22 Ebd., S. 82.

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In der Zeit von Aristoteles’ Seeschlacht bis hin zu derjenigen von Clausewitz’ Theorie des Krieges ist die Zahl der kontingenten Ereignisse explodiert. Ob politisch, materiell oder psychologisch – alle Elemente des Krieges sind der Wahrscheinlichkeit unterworfen. Die Komplexität der epistemischen Situation wird aber noch durch die Auswirkungen der Imponderabilien verschärft – Faktoren, die sich der Berechenbarkeit entziehen. Clausewitz entlehnte den Begriff ›Friktion‹ aus der Mechanik, um die Hindernisse, die durch das Unvorhergesehene und Zufällige entstehen, zu beschreiben. Aber wo in der Mechanik eine ›Friktion‹ deutlich loka­lisiert werden kann, ist sie im Krieg überall und nirgendwo.23 In Clau­sewitz’ Theorie wird der Raum des Krieges von einem Vakuum in ein Medium verwandelt, also in einen Raum, der mit einem viskosen, widerstandsfähigen Stoff gefüllt ist. Sich durch diese Substanz zu bewegen ist, in Clausewitz’ Metapher, wie durch Wasser zu gehen.24 Der Raum des Krieges ist ein Medium in dem doppelten Sinn, dass er die Möglichkeitsbedingung für alle Bewegung ist sowie deren Widerstand – gewissermaßen das Rauschen im Kanal. Als Produkt dieser medialen Konzeption des Raumes bezeichnet ›Friktion‹ die unberechenbaren Unfälle, die jeden Teil der Militäroperationen beeinträchtigen können. Zugleich unsichtbar und allgegenwärtig, erzeugen sie Effekte, »die sich gar nicht berechnen lassen«.25 Takt Die Zunahme der ›Fiktionen‹ waren eine militärische Herausforderung. Wo um 1700 noch die Geometrie den Prozess der Entscheidungsfindung leitete, wurden Offiziere und Kommandeure um 1800 plötzlich mit einer mathematischen Aufgabe konfrontiert, die sogar einen Newton oder Euler hätte überfordern können. Wie sollten an­gesichts dieser epistemischen Lage überhaupt noch Entscheidungen getroffen werden? Laut Honoré de Balzacs Sammlung Napoleonischer Bonmots, 1838 veröffentlicht, 23 Dazu kommt, wie Hans-Christian von Hermann bemerkt, dass die Information, über die die Gegner verfügen, immer grundsätzlich unvollständig ist. Siehe Ders., Bewegliche Heere. Zur Kalkulation des Irregulären bei Kleist und Clausewitz, in: Kleist-Jahrbuch 1998, S. 227-243. 24 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, a.a.O., S. 263. 25 Ebd., S. 262. Zur Analyse von Nichtlinearität und komplexen Systemen im Krieg siehe Alan Beyerchen: »Clausewitz, Nonlinearity, and the Unpredictability of War«, International Security, 17:3 (Winter, 1992-1993), S. 59-90, und: Clausewitz and the Non-Linear Nature of Warfare: Systems of Organized Complexity, in: Clausewitz in the Twenty-First Century, Oxford 2007.

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sagte der französische Kaiser einmal: »La guerre est surtout une affaire de tact.«26 »Takt« oder »Der Takt des Urteils« sind Begriffe, die immer wieder in Clausewitz’ Schriften auftauchen, wo der Takt als Gegensatz zur rationalen Überlegung für eine solche steht, die einer sequentiellen Entwicklung folgt. Eine von Clausewitz’ Definitionen des Begriffs lautet: Hier verläßt also die Tätigkeit des Verstandes das Gebiet der strengen Wissenschaft, der Logik und Mathematik, und wird, im weiten Verstande des Wortes, zur Kunst, d. h. zu der Fertigkeit, aus einer unübersehbaren Menge von Gegenständen und Verhältnissen die wichtigsten und entscheidenden durch den Takt des Urteils herauszufinden. Dieser Takt des Urteils besteht unstreitig mehr oder weniger in einer dunkeln Vergleichung aller Größen und Verhältnisse, wodurch die entfernten und unwichtigen schneller beseitigt und die nächsten und wichtigsten schneller herausgefunden werden, als wenn dies auf dem Wege strenger Schlußfolge geschehen sollte.27 »Takt« erscheint also als ein unbewusstes Vermögen, heuristische Entscheidungen zu treffen. Das Wahrscheinlichkeitskalkül, das die Fähigkeiten des Bewusstseins übersteigt, wird intuitiv und umgehend von einer unbewussten Abwägung aller Wahrscheinlichkeiten durchgeführt. Wenn Kant in seiner »Anthropologie« den Begriff »logischer Takt« prägt und darunter eine Fertigkeit versteht, empirisch-praktische Probleme zu bewältigen, stellt er fest, dass er mehrere Operationen »im Dunkeln des Gemüts« ausführt, ohne dass sich die Überlegung »der Akte, die hiebei im Inneren des Gemüts vorgehen, bewußt« werde.28 Clausewitz’ Verständnis von Takt hat mit Kants Begriff viel gemeinsam, er überträgt ihn aber auf ein Feld, das probabilistisch strukturiert ist. Das Unbewusste 26 Honoré de Balzac, Maximes et Pensées de Napoléon. Choisies et présentées par Honoré de Balzac, Paris 1999, S. 36. 27 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, a.a.O., S. 961. 28 Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Hamburg 2000, S. 25 f. Schon Aristoteles hat mit seiner Theorie der phronêsis (Klugheit) ein ähnliches Vermögen beschrieben. In der Nikomachischen Ethik wird der Begriff als eine praktische Fähigkeit verstanden, die richtigen Mittel für effektives Handeln zu finden. Für Aristoteles hat phronêsis aber eine ethische Dimension, die man bei Clausewitz nicht findet. ›Klugheit‹ fordert, dass das Ziel des Handelns lobenswert sei. Die reine Fähigkeit effektiv zu handeln nennt Aristoteles dagegen deinotês (›Cleverness‹ oder ›Geschicklichkeit‹). Es ist diese unterschwellige, moralisch neutrale Fähigkeit, auf der Klugheit beruht, die dem Begriff des Takts am nächsten kommt. Aristoteles, Nikomachische Ethik, Hamburg 1972, S. 135-150. Vgl. Otfried Höffe, Aristoteles. Die Nikomachische Ethik, Berlin 2006, S. 183.

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wird hier zu einer Funktion, durch die Mathematik dort in Handlungen umgesetzt wird, wo ein potenziell unendliches Kalkül operativ wird und wo kontingente Ereignisse in wirkliche Initiativen verwandelt werden. Clausewitz geht auch in der Betonung des sensoriellen Charakters dieses Vermögens noch einen Schritt weiter. Im Gegensatz zu einem kritischen Urteil ist Takt der »Handgriff des Urteils« – oder anders gesagt die Fähigkeit, »die Wahrheit herauszufühlen«.29 Wie die Etymologie des Wortes andeutet, ist ein Urteil, das auf Takt basiert, ›taktil‹, das heißt es beruht auf dem Tastsinn, auf einem reellen Kontakt mit einem Gegenstand. Das Individuum, das eine Vielzahl kontingenter Ereignisse zu verwalten versucht, muss eine unmittelbare Beziehung zu ihnen haben. In seinem kurzen Text »Von der Überlegung – Eine Paradoxe« dramatisiert Heinrich von Kleist sowohl die praktische Leistung des Unbewussten als auch die haptische Beschaffenheit effektiven Handelns. Ein Vater hält eine Rede an seinen Sohn über die Vor- und Nachteile des Denkens: Man solle nie vor einer Handlung denken, sondern immer erst danach. Das Bewusstsein würde sonst die instinktiven Reaktionen, die angemessene Handlungsmuster viel besser produzieren könnten, nur stören. Er schlussfolgert: Wer das Leben nicht, wie ein […] Ringer, umfaßt hält, und tausendgliedrig, nach allen Windungen des Kampfs, nach allen Widerständen, Drücken, Ausweichungen und Reaktionen, empfindet und spürt der wird, was er will, in keinem Gespräch, durchsetzen; vielweniger in einer Schlacht.30 ›Takt haben‹ heißt also wörtlich Kon-takt zu den tausenden Elementen zu haben, die das Phänomen des Krieges ausmachen. Nur post hoc oder post bellum sollte man über das, was passiert ist, überhaupt nachdenken, »[um] das Gefühl für andere künftige Fälle zu regulieren«.31 Bewusstes Denken bekommt somit eine regulative Rolle, um das Gefühl zu ver­ stärken oder neu zu kalibrieren. Kleist nennt es auch manchmal »das Gemüt«. Es ist eine komplexe Einheit, die sowohl eine physische Fähigkeit als auch ein unbewusstes Erkenntnisvermögen bildet. An anderer Stelle schreibt er: »nicht wir wissen, es ist allererst ein gewisser Zustand unsrer, welcher weiß.«32 Clausewitz hat etwas ähnliches im Sinn, wenn er erklärt, 29 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, a.a.O., S. 1176 und 233. 30 Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 2, hrsg. von Helmut Sembdner, München 1985, S. 338. 31 Ebd., S. 337. 32 Ebd., S. 323.

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dass ein solches Vermögen durch seine »Amphibiennatur« gekennzeichnet sei, weil es sowohl einen körperlichen als einen kognitiven Aspekt ­habe.33 Es ist evident, dass die Erfahrung der Napoleonischen Kriege zu einer doppelten epistemischen Rekonfiguration geführt hat. Erstens ist Kontingenz als die neue Ordnung der Dinge hervorgetreten, und, als Folge davon, hat die Wahrscheinlichkeitstheorie die Geometrie als das neue ­Paradigma im Denken des Krieges ersetzt; zweitens wurde das Interesse an spekulativen Überlegungen auf praktische Fertigkeiten hin verschoben, um die kontingenten Ereignisse besser lenken zu können. Die Aufgabe war, Wissen in ein Wissen-Können, spekulatives Wissen in eine Art Know-how, oder einfach in ›Takt‹ zu verwandeln. Die dringende Frage war, wie man diesen erlangen konnte. Mit anderen Worten: Wie lernt man, ›taktvoll‹ zu werden? Simulationen Der Pädagoge Johann Friedrich Herbart hielt 1802 zwei Vorträge über pädagogische Methoden. In dem einen Vortrag spricht er auch vom Takt und erklärt, dass dieser als »Mittelglied« zwischen Theorie und Praxis entstehe. Um ihn zu erwerben, müsse man in »[die] Schule des pädagogischen Tacts« gehen.34 Das Ausbildungsprogramm, das Herbart aufstellt, basiert auf praktischer Tätigkeit. Der Takt bilde sich nämlich »erst während der Praxis; er bildet sich durch die Einwirkung dessen, was wir in dieser Praxis erfahren, auf unser Gefühl.«35 Clausewitz war gleicher Meinung: Militärischer Takt konnte nicht auf theoretische Maximen reduziert werden, er konnte nur in der Schule des Krieges, also durch die Erfahrung auf dem Schlachtfeld erlernt werden. Das damit verbundene Problem ist offensichtlich: Wenn nur langjährige Erfahrung den Takt ausbilden kann, indem das Individuum wiederholt den kontingenten Ereignissen und Gefahren des Krieges ausgesetzt wird, wie soll man dann einen Neuling schulen, ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen? Um 1800 wurden darauf mindestens drei verschiedene Antworten gegeben, die alle auf Simulationen beruhten: Feldübungen, Kriegsspiele und Texte.

33 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, a.a.O., S. 242. 34 Johann Friedrich Herbart, Zwei Vorlesungen über Pädagogik, in: Sämtliche Werke, Bd. 1, Langensalza 1887, S. 290. 35 Ebd., S. 286.

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Clausewitz schlug vor, dass die traditionellen Übungen, die in Potsdam und in Berlin in Friedenszeiten durchgeführt wurden, völlig neu strukturiert werden müssten. Das geregelte Exerzieren in der Tradition von Friedrich II. sollte mit Kontingenz durchdrungen werden: Die Übungen des Friedens so einzurichten, daß ein Teil jener Frik­ tionsgegenstände darin vorkomme, das Urteil, die Umsichtigkeit, selbst die Entschlossenheit der einzelnen Führer geübt werde, ist von viel größerem Wert, als diejenigen glauben, welche den Gegenstand nicht aus Erfahrung kennen. Es ist unendlich wichtig, daß der Soldat, hoch oder niedrig, auf welcher Stufe er auch stehe, diejenigen Erscheinungen des Krieges die ihn beim erstenmal in Verwunderung und Verlegenheit setzen, nicht erst im Kriege zum erstenmal sehe; sind sie ihm früher nur ein einziges Mal vorgekommen, so ist er schon halb damit vertraut.36 Statt Übungen in Ordnung sollte den Soldaten Praxis in ›Friktion‹ vermittelt werden. Ihre Effizienz hing also von ihrer Fähigkeit ab, eine treue Simulation des Kriegszustandes erzeugen zu können, weil man die Sol­ daten nur so in der Bewältigung von Zufällen und Gefahr trainieren könnte, ohne sie dafür wirklichen Gefahren aussetzen zu müssen. Solche Übungen bedurften aber eines großen Aufwands. Eine einfachere Simulation boten die neuen Kriegsspiele an. Die großen Entwicklungen in der Militärkartografie um 1800 haben das Design der Bretter, worauf das Kriegsspiel gespielt wurde, stark beeinflusst. Anstelle des traditionellen Schachbretts wurden Kriegsspiele jetzt auf topografischen Karten, das heißt auf einem wirklichen Terrain, gespielt (Vgl. Abb. 5: Eine topografische Karte in großem Maßstab, die Rühle von Lilienstern, der Freund Heinrich von Kleists und spätere Direktor der Allgemeinen Kriegsschule zu Berlin, gemacht hat.) Die »Chikanen des Terrains« sind jetzt in das militärische Kalkül eingegangen, das die Soldaten beim Spielen ausstellen müssen.37 Aber nicht nur die Zufälligkeit des Raumes, sondern auch die Kontingenz als solche wurde als entscheidender Faktor in die operationale Logik des Spiels eingearbeitet. 1806 gab der Sohn von Johann Ferdinand Opiz, der verstorbene Erfinder, ein neues Kriegsspiel heraus mit dem Titel: »Das Opiz’sche Kriegsspiel, ein Beitrag zur Bildung künftiger und zur Unterhaltung selbst der erfahrensten Taktiker.« Seine Originalität bestand in der Einführung des Würfelwurfs. Fast alle 36 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, a.a.O., S. 265 f. 37 Vgl. Rühle von Lilienstern, Handbuch für den Offizier zur Belehrung im Frieden und zum Gebrauch im Felde. Erste Abteilung, Berlin 1817, S. 5.

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Abb.  5: Rühle von Lilienstern, Pallas. Eine Zeitschrift für Staats- und Kriegskunst, Bd. 1, 1808, S. 110.

wichtigen Ereignisse wurden nicht souverän vom Spieler entschieden, sondern von den Würfeln, die er zu benutzen hatte.38 Die Notwendigkeit eines Übergangs zwischen Ursache und Wirkung in dem vorhersehbaren Betriebssystem der früheren Kriegsspiele wurde hier durch ein System ersetzt, dessen Kausalketten immer wieder von Kontingenz unterbrochen werden. Verkeilt zwischen Ursache und Wirkung, wird der Zufall zu einem allgegenwärtigen Faktor, der die operationale Logik des Spiels bestimmt. Clausewitz’ Begriff von ›Friktion‹ wird damit ein materielles Korrelat gegeben, das störende Effekte in der symbolischen Welt des Kriegsspiels simulierte. Die strategischen und taktischen Berechnungen, die Generäle und Offiziere oft auf ihren topografischen Karten durch38 Johann Ferdinand Opiz, Das Opiz’sche Kriegsspiel, ein Beitrag zur Bildung künftiger und zur Unterhaltung selbst der erfahrensten Taktiker, Halle 1806, S. 73 ff. Für die Geschichte des Kriegsspiels siehe auch Philipp von Hilgers, Kriegsspiele. Eine Geschichte der Ausnahmezustände und Unberechenbarkeiten, München 2008; Claus Pias, Computer – Spiel – Welten, München 2002; Peter P. Perla, The Art of Wargaming, Annapolis 1990.

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führten, konnten hier getestet werden und ermöglichten eine neue Erfahrung in der Bewältigung des Zufälligen und Unvorher­gesehenen. Die dritte Art von Simulation ist von einer literarischen Perspektive aus interessant. Bevor Soldaten in den wirklichen Krieg geschickt wurden, sollten sie sich mit Texten auseinandersetzen: Clausewitz zufolge sollten sie die Militärgeschichte sorgfältig studieren, nicht aber um eine große Sammlung von Wissen zu erwerben, also nicht um etwa eine gute Kenntnis der Geschichte zu entwickeln, sondern um Lektionen in Kontingenz zu erhalten und dadurch ihr Urteil zu erproben. In Clausewitz’ Worten: »Nächstdem aber ist das Studium der Kriegsgeschichte beim Mangel eigener Erfahrung allein geeignet, eine anschauliche Vorstellung von dem zu geben, was ich hier die Friktion der ganzen Maschine genannt habe.«39 Der historische Gehalt der Militärgeschichte ist, in diesem Sinne, gleichgültig. Die Historie ist lediglich ein Katalysator, der ›Friktion‹ sichtbar macht. Clausewitz nimmt damit eine moderne Definition des Begriffs ›Simulation‹ vorweg. Eine »Computer-Simulation« ist laut Paul F. Roth »the process of representing the dynamic behavior of a system by the behavior of another system.«40 Es geht also um das Funktionieren des Systems, um seine operationale Logik. Dies ist, was simuliert werden soll. Um 1800 galten Texte als das beste Medium für die Simulation des Kriegszustandes, sofern sie in einer bestimmten Weise konstruiert waren. In einem kurzen Essay von 1807, »Nutzen der militärischen Geschichte: Ursach ihres Mangels«, tadelt Clausewitz’ Mentor, Gerhard von Scharnhorst, die Historiker, weil sie aus der Komplexität des Krieges eine Heldenbühne geschaffen hätten. Ihre Methode sollte umgekehrt die sein, das »Zufällige als Zufällig darzustellen, die Fehler aufzudecken u.s.f.«41 Mit anderen Worten, in der Militärgeschichte ist das wichtigste »[die] Darstellung selbst«.42 Clausewitz’ eigene Werke sind dafür beispielhaft. Während er gewisse Bedenken gegen Kriegsspiele hegte,43 versuchte er in seinen historischen 39 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, a.a.O., S. 1085. 40 Paul F. Roth, ›Simulation‹, in: A. R. und E. D. Reilly (Hrsg.), Encyclopedia of Computer Science, New York 1992, S. 1204, zitiert nach Bernhard J. Dotzler, ›Simulation‹, in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 5 Postmoderne – Synästhesie, Stuttgart 2003, S. 509-34, hier: S. 516. 41 Gerhard von Scharnhorst, Nutzen der militärischen Geschichte: Ursach ihres Mangels; ein Fragment aus d. Scharnhorst-Nachlass, Osnabrück 1973, S. 8. 42 Ebd., S. 6. 43 Carl von Clausewitz, Schriften – Aufsätze – Studien – Briefe, Bd. 2, II, a.a.O., S. 655 f.

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Schriften den Kriegszustand narrativ zu gestalten. Er vermeidet es Geschichten zu erzählen, die vom Ende her konzipiert sind, um von dort aus rückwärts zu rationalisieren. Stattdessen sind sie durch eine bestimmte Perspektive gekennzeichnet. Die Individuen sind räumlich und zeitlich so situiert, dass ihr Standpunkt eindeutig die Grenzen und den oft mangelhaften Stand ihres Wissens markiert.44 Diese Betonung der Poetik verwischt die Gattungsunterschiede. Um ›Friktion‹ zu trainieren und Takt zu erwerben, kann man laut Clausewitz ebenso gut »ein erfundenes Beispiel« benutzen.45 Es liegt hier nahe, sich abermals Kleist zuzuwenden. Die wieder­ kehrenden Formeln in seinen Werken – das »Eben als«, bei dem eine Kette von Ereignissen unerwartet von einer anderen unterbrochen wird; »Es traf sich«, die plötzliche Wirkung ohne Ursache, oder die nachträgliche Auskunft: »Man muss nämlich Wissen« –, sie strukturieren die textuelle Welt in einer Weise, die ihre operationelle Logik mit der des Kriegszustandes kongruent macht. Solche rhetorischen Kontingenzzeichen46 haben im Grunde die gleiche Funktion wie der Würfelwurf im Kriegsspiel: Sie brechen von außen in die Erzählung ein und konterkarieren alle Pläne, militärische oder sonstige, die von den Figuren gemacht worden sind. Auf diese Weise wird Kontingenz als ein textueller Effekt erzeugt. Die historischen Beispiele der Kriegsführung, die man in Kleists Texten findet, sind nicht nur unverhohlene militärpolitische Progaganda,47 sondern auch ein Medium für die Simulation des Kriegszustandes um 1800, also die Simulation einer stochastischen Welt. Bei Kleist können die ­Leser nicht bloß die virtuelle Erfahrung dieser Welt erleben, die Texte bieten auch Szenarien für verschiedene Modelle der Kontingenzbewäl­ tigung. Wenn sich etwa der Prinz von Homburg intuitiv, die sorgfältig geplante Strategie des Kurfürsts missachtend, in den Kampf stürzt, folgt er den Vorschriften, die in Kleists Text »Von der Überlegung – Eine ­Paradoxe« formuliert wurden, und veranschaulicht dadurch einen Entscheidungsprozess, der auf Takt beruht. Am Ende des Schauspiels offenbart der Kurfürst jedoch, dass das positive Ergebnis von Homburgs 44 Siehe z. B.: Carl von Clausewitz, Historische Briefe über die großen Kriegsereignisse 1806, 1807, in: Ders., Verstreute kleine Schriften, a.a.O., S. 93-127. 45 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, a.a.O., S. 337. 46 Siehe David Wellbery, »Contingency« in Neverending Stories: Towards a Critical Narratology, Princeton 1992, S. 249. 47 So die bekannte These von Wolf Kittler in Ders., Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie. Heinrich von Kleist und die Strategie der Befreiungskriege, Freiburg 1987.

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Handlungsmethode eine statistische Anomalie ist. Es stellt sich heraus, dass Homburg durch sein intuitives Eingreifen in die Schlacht bereits zweimal zuvor die unmittelbare Ursache einer Niederlage gewesen ist. Und der Kurfürst fragt: »Die Schule dieser Tage durchgegangen, / Wollt ihrs zum vierten Male mit ihm wagen?«48 Obwohl das Schauspiel also auf der einen Seite ›Takt‹ als ein erfolgreiches Instrument zur Verwaltung von Kontingenz behauptet, macht es doch auf der anderen Seite auch klar, dass dieser Takt ebenfalls dem probabilistischen Zustand des Krieges unterliegt. Die Aufgabe, eine kontingente Zukunft zu organisieren, fällt also nicht nur dem Befehlshaber, sondern auch dem Schriftsteller zu. Wenn die Napoleonischen Kriege erstens zu einem Paradigmenwechsel im Denken vom Kriege geführt haben, in dem die Wahrscheinlichkeit die Geometrie als Leitfaden ersetzt, und zweitens das Interesse für spekulative Überlegungen zu praktischen Fertigkeiten und des ›Takts‹ verschoben hat – was waren also die Folgen für die Produktion literarischer Werke? Wie hat der Kriegszustand literarische Strategien beeinflusst? Wieder liefert Kleist hierzu ein Beispiel. 1804 veröffentlichte ein junger Mann namens Christian Gottlieb Hölder den zweiten Teil eines Buchs mit dem Titel »Meine Reise über den Gotthard nach den Borromäischen Inseln und Mailand; und von da zurück über das Val Formozza, die Grimsel und das Oberland im Sommer 1801.« Er beschreibt hier eine Begegnung mit einem Mann, der als Heinrich von Kleist identifiziert werden kann.49 Während ihres Gesprächs über das Drama ergriff dieser ein Messer und ritzte eine Art Karte der Dramatik in den Tisch ein. (Vgl. Abb. 6).50 Die Figur stellt den dramatischen Raum dar; sie ist komplex, weil sie eine kartografische Messung des Raumes mit einem Spannungsbogen überlagert. Die angestrebte Bewegung des Helden von Punkt a nach Punkt b entwirft eine extensive 48 Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke, Bd. 1, hrsg. von Helmut Sembdner, a.a.O. S. 706. 49 Siehe Quelle 77a und 77aa in: Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen, München 1996, 67-70. Vgl. auch Hermann Weiss, Funde und Studien zu Heinrich von Kleist, Tübingen 1984, S. 47-57, und Hilda Brown, »Kleists Theorie der Tragödie – im Licht neuer Funde«, in: Dirk Grathoff (Hrsg.), Heinrich von Kleist: Studien zu Werk und Wirkung, Opladen 1988. 50 Christian Gottlieb Hölder, Meine Reise über den Gotthard nach den Borromäischen Inseln und Mailand; und von da zurück über das Val Formozza, die Grimsel und das Oberland im Sommer 1801, Zweiter Teil, Stuttgart 1804, S. 174. Die Figur ist auch in »Lebensspuren«, a.a.O., auf S. 68 abgedruckt.

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Abb.  6: Christian Gottlieb Hölder, Meine Reise über den Gotthard, Zweiter Teil, Stuttgart 1804, S. 174.

Größe, während die entgegenwirkenden Kräfte des Helden und des Schicksals eine intensive Größe produzieren. Der Raum der Skizze ist somit sowohl eine extensive Fläche als auch ein intensives Spannungsfeld. Die visuelle Struktur ist die einer Kippfigur, bei der man zwischen einer kartografischen Perspektive und einer Seitenansicht im Profil umschalten muss. Zusammen erzeugen sie die Bewegung des Helden als parabolische Funktion, da er sich immer weiter von seinem Ziel entfernt, in Richtung seiner Vernichtung. Der Zweck der Skizze ist, den Raum des Dramas optimal zu organi­ sieren. Nach Hölder behauptete Kleist, »man könne das Verhältnis der verschiedenen Teile des Dramas mathematisch bestimmen, und diesen Satz ebensogut beweisen, als irgend einen aus Euclid«.51 Als Hölder dies bezweifelte, wurde Kleist ein bisschen weniger kategorisch, »sein Dreieck versinnliche und vereinfache wenigstens die Regeln der Dramatik außer­ ordentlich«.52 Wenn zum Beispiel nach dem ersten Akt die Intensität bereits den Punkt x erreicht hat, dann muss man die Linie bc verlängern, damit die Intensität sich nicht in dem zweiten und dritten Akt abschwächt. 51 Ebd., S. 69. 52 Ebd., S. 70.

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Wie Vauban und Coehoorn versuchten, die Kriegsführung mit Hilfe von Geometrie zu organisieren, so diente Kleists Dreieck dem Autor als Hilfsmittel für die Verwaltung des fiktionalen, dramatischen Raumes. Aber diese literarische Strategie musste das gleiche Schicksal erleiden wie die Militärstrategie, die dem Prinz von Homburg vorgelesen wurde: Kleist hat die Arbeit an »Robert Guiskard«, dem Drama, an dem er zu diesem Zeitpunkt arbeitete, abgebrochen, und spätestens im Jahr 1806 hat er auch seine geometrische Poetik durch eine stochastische ausgetauscht. Als er erfuhr, dass sein Freund Rühle von Lilienstern überlegte, Fiktion zu schreiben, gab Kleist ihm einen Rat: »Folge Deinem Gefühl. Was Dir schön dünkt, das gib uns, auf gut Glück. Es ist ein Wurf, wie mit dem Würfel; aber es gibt nichts anderes«.53 Literarische Strategien scheinen so am Ende den gleichen Bedin­ gungen der Wahrscheinlichkeit und des Zufalls unterworfen zu sein wie Militärstrategien. In beiden Bereichen muss man also lernen, nicht ein »Sicherheitskommissarius« zu sein, wie es Rühle von Lilienstern formuliert.54 Nicht nur der Soldat, sondern auch der Autor muss sich den kontingenten Ereignissen aussetzen, um sie bewältigen zu können und seine Entscheidungen auf der Grundlage eines ausgebildeten Takts zu treffen. In den militärischen Kreisen um 1800 wurde das Textmedium als ein Modell des Kriegszustandes gesehen, sofern es auf eine Weise konstruiert war, die die operationale Logik des Krieges simulierte. Obwohl Texte nur als ein Ersatz für wirkliche Kriegserfahrung gesehen wurden, waren sie eines jener wenigen Mittel, die nicht nur theoretische Einsichten boten, sondern die virtuelle Erfahrung einer stochastischen Welt erzeugten. Für die Denker des 19. Jahrhunderts gab es daher keinen »sichern Weg des Glücks zu finden«, wie Kleist 1799 an Rühle von Lilienstern geschrieben hatte.55 Wenn man sich aber den Risiken textueller Kontingenz aussetzte und ›Takt‹ erwarb, waren die Chancen auf Erfolg zumindest etwas wahrscheinlicher.

53 Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke, Bd. 2, a.a.O., S. 770. 54 Rühle von Lilienstern, Handbuch für den Offizier, a.a.O., S. 70. 55 Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke, Bd. 2, a.a.O., S. 301.

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4. Emotionalisierungsstrategien und -effekte in der Kriegsliteratur

Debra Kelly

Living War, Reading War Emotions and Responses to Life-Writing Narratives of the French Occupation Agnès Humbert and Hélène Berr as ›Witnesses to History‹ Focusing on two French texts concerned with experiences of the Second World War, and more specifically with the French experience of Occupation, the readings here begin from a position that considers both Agnès Humbert’s »Résistance: Memoirs of Occupied France« (dating from the late 1940s, and published for the first time in English in 2008) and Hélène Berr’s »Journal« (dating from the Second World War, and first published in both French and English in 2008) as ›witness texts‹ rather than ›trauma texts‹ as currently understood within memory studies.1 Both writers are concerned to some extent with recounting traumatic experiences, but they do not deal with ›trauma‹ as usually understood since the authors, on the whole, reacted immediately to those experiences and committed them to writing within a short space of time, rather than ›uncovering‹ them at a later stage. Although marketed by their respective publishers as »memoirs« and a »diary«, the term ›life-writing narrative‹ is preferred here since the term ›life-writing‹ covers a more diverse range of writing concerning the self and its reception, and avoids the sometimes distracting over-emphasis on the definition of genre. The texts themselves are very different and provide a striking contrast: one by a middleaged art historian whose early resistance activity led to imprisonment in 1 Note that the original research for this article was conducted for the UK Arts and Humanities Research Council-funded conference ›Framing Narratives of the Second World War and Occupation in France 1939-2009‹ at the University of Leeds, September 2009. A shorter version of this article with an emphasis on the two ­authors as ›figures of memory‹ is to appear in a collection based on the conference papers with the title: ›Lived Experience Past/Reading Experience Present: Figures of Memory in Life-Writing Narratives of the Occupation‹. A longer version was developed within the concepts of cultural amnesia and ›anamnesia‹ and appears in the e-journal »Synthesis«, 2 (Fall 2010) as »From Cultural Amnesia to ›Anamnesia‹ in Reading Life-Writing Narratives of the French Occupation: The Lost Manuscript, the ›Handwritingness‹ of History and the Broken Narrative« (http://www. enl.uoa.gr/synthesis/). The emphasis on knowledge and the emotions in this ­article is new.

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France from April 1941 to March 1942; she was then deported as a slave labourer to Germany for the rest of the war, enduring gruelling hardships until being liberated by the Americans; the other by a much younger, well-assimilated Jewish woman who spent the Occupation in Paris until her arrest on her twenty-third birthday in March 1944; she survived eight months of Auschwitz and five months of Bergen-Belsen before being beaten to death five days before the liberation of the camp. While brief consideration will be given to the conditions of production of these texts (both with reference to their authors and to the texts’ publication history), the emphasis will be on the reception of Humbert’s and Berr’s texts. The reception of the two texts will be analysed both in terms of the types of cultural assumptions that are made by contemporary readers when reading historical life-writing narratives that bear witness to historical events, and with a specific attention to the types of emotional responses which such texts engender in their readers. While bearing in mind the caveats which will be discussed below concerning the often too facile identification with victims of catastrophic events by contemporary readers, and the subsequent consequences of this for history, it will be argued that we still do learn something about our relationship to history both from the past lived experience that is presented in such life-writing narratives and from the present reading experience as documented in various ways by their readers. This article will firstly consider the two texts and how they came to be written and published within the framework of their authors as ›witnesses to history‹. It will then go on to consider the emotional reactions to these books and reader identification with the experiences of these two very different women by a survey of some of the press and ­public reactions to their life stories within the context of their publication in the first decade of the twenty-first century. Humbert’s text is published in English in hardback as »Résistance: A Woman’s Journal of Struggle and Defiance in Occupied France« and in paperback as »Résistance: Memoirs of Occupied France«, both translated by Barbara Mellor (2008). Originally published in France in 1946, and then re-published in 2004 by Tallandier in an edition overseen by the author’s grandson Antoine Sabbagh, the title of »Notre Guerre. Souvenirs de Résistance« by Agnès Humbert clearly underwent interesting changes in translation which are worth further comment and which already begin to suggest assumptions concerning readership(s) and reception. The title of any literary work has a highly symbolic value and function, given that it is the first site of interaction between the text and the reader. It also has, of course, an important economic function within the contemporary publishing/marketing world. In French, first published just after the war, 222

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Humbert’s title would seem to play wholly into the post-war Gaullist myth of the Occupation of France as part of a war in which the majority of French citizens participated – on the side of the Resistance. In 2004, following the work of historians, filmmakers, writers and the various ›memory wars‹ which have challenged the immediate post-war history of the Occupation experience over the last three decades or so, the title resonates very differently across the generations. From the 1970s onwards, the French have been dealing, at national and private levels and in a more or less willing manner, with their cultural amnesia of the Second World War and of the Occupation and notably with the part played by the French in the deportation of Jews during the Holocaust. Keeping the accented ›é‹ of »Résistance« in the English edition makes explicit an editorial decision to mark out the ›Frenchness‹ of the text, thereby suggesting a clearly designated readership, playing perhaps on romanticised British perceptions of the French Resistance still nourished by cinema and literature. For the American readership, the text changes its title yet again: »Resistance. A Frenchwoman’s Journal of the War«. The accent, perhaps less widely understood by the reading public, is dropped, the »Frenchwoman« is reinstated, while the specifics of the Occupation (again less well known as a reference?) is replaced with the more general »war«. For the UK market, and an indicator of further cultural assumptions, there is a notable change of emphasis in the second part of the title for the paperback edition. There is an explicit change from the specific female experience to the more general »memoir«, suggesting a concern for the gendering of the text and its readership (and therefore perhaps for sales; although the issue of gender will be returned to later). The book was launched in the UK at the French Institute in London in June 2008 and was listed by »The Sunday Times« as one the »History Books of the Year«, again suggesting a certain type of reader reception and categorisation: this is a factual work of history and not a work of literary status. The second text is Hélène Berr’s »Journal«, translated into English by David Bellos and published by MacLehose Press (an imprint of Quercus, London) in autumn 2008, and again receiving a launch in the UK at the French Institute in February 2009. It was originally published in France, also by Tallandier, in January 2008 with a foreword – by the well-known writer Patrick Modiano, whose own work frequently treats the Second World War – which does not appear in the English version. The English version features instead an introduction and an essay, both by the ­translator, on the position of the Jews in France prior to and during the Occupation – again suggesting very different assumptions concerning readership and their historical knowledge and relationship to the text. 223

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Frequently described as a »publishing sensation«, the publication of Berr’s diary in France, even before the English version was available, was seen as meriting reporting in the British Press in, for example, »The Observer«. Such acknowledgement and press attention needs to be seen against the annual statistics for the publication of translated works in the UK which is around merely three percent of all publications. To return specifically to the main subject of this introductory section – the author of a life-writing narrative as ›witness‹ – both Humbert and Berr explicitly represent themselves as ›witnesses‹ to lived experience. However, we also know that the ›witness texts‹ that they produce are also just that, ›texts‹, constructed representations of ›reality‹ and ›lived experience‹ and as such they are works of literature and cannot be read in an unproblematic way as ›documents‹. This renders the reading experience complex and the relationship of the reader to the text ambiguous, since the reader must tolerate the uncertainties of the text as literature, even as s/he accepts the truth of the account sealed by the ›autobiographical pact‹ offered by the author. Before turning to the consequences of these ambiguities and uncertainties, and to the relationship between emotion and war in the reactions of some readers of Humbert’s and Berr’s texts, I am, at this stage, situating my readings within memory studies and three of its linked features as defined recently by Susannah Radstone: – urgent and committed engagement with varied instances of contemporary and historical violence; – close ties with questions of identity, and, relatedly, with identity politics; – bridging of the domains of the personal and the public, the individual and the social.2 Both Humbert and Berr felt compelled by the urgency of their experience in the Second World War and of varied forms of violence perpetrated on them and on those around them to keep a written record. While it would be anachronistic to think of them as being concerned with ›identity politics‹, both were certainly aware of their own ›identity‹ and of the position of their gender within the society in which they were living and, again, within the events to which they bore witness (indeed in the case of Humbert, her gender leads to deportation rather than execution). Berr obviously becomes increasingly aware of her status as Jew. Both become increasingly aware of the identity of the citizen under occupation and his 2 Susannah Radstone, Memory studies: for and against, Memory Studies 1.1, 2008, p. 31.

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or her relationship to the power of the occupier. Both authors write at the intersection of the personal and the public, examining their own emotions and reactions within the broader spectrum of the immediate and of the larger society in which they live, and within the historical circumstances that they experience. The notion of the witness, of witnessing and the associated notion of testimony occupy a central place in memory studies and in associated areas of enquiry such as trauma studies as they have developed over recent decades. The concept of the ›witness‹ in its double meaning of ›eye-­ witness‹ and ›bearing witness‹ to what cannot/has not been seen by the reader has proved extremely fertile, creative and critical ground as writers and film-makers examine the relationship between the individual and (often traumatic) historical events. In a recent collection of essays dedicated to »the image and the witness«, the editors stress the importance of the performative function of witnessing.3 Importantly for the context here, ›textual‹ witnessing also raises questions concerning the ethics and aesthetics (or the ethics of aesthetics) of bearing witness and therefore of the reception of such texts. In their founding text on narrative testimony, Felman and Laub note that: »the listener becomes a witness to the witness, not only facilitating the very possibility of testimony, but also subsequently sharing its burden. That is to say, the listener assumes the responsibility to perpetuate the imperative to bear witness.«4 The notion of responsibility is therefore added to the other emotions that the text may engender in the reader. Although there will always be a necessary distance between witness and reader, they »take a step towards each other, because testimony demands trust and promises truth. And this trust, which must not be understood as an appropriation of the other, nevertheless allows the [reader] to desire to understand the other, because this abstract other has become closer through the act of testimony.«5

3 Frances Guerin and Roger Hallas (eds.), The Image and the Witness. Trauma, Memory and Visual Culture, London/New York 2007, p. 10. 4 Shosannah Felman and Dori Laub, Testimony. Crises of Witnessing in Literature, London 1992, p. 11. 5 Anna Magdalena Elsner, ›L’obscénité absolue du projet de comprendre‹: The Communicability of Traumatic Knowledge in Claude Lanzmann’s Shoah, in: Peter Collier, Anna Magdelena Elsner and Olga Smith (2009), Anamnesia. Private and Public Memory in Modern France, Bern 2009, p. 45.

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Emotions, Life-Writing and History The relationships between ›emotion‹ and ›history‹ are complex. When contemporary academic historians »worry about emotions in history«, they are usually worrying about how historians have treated emotions in history6 and about the kind of judgements they have made about emotional behaviour in the past, usually within a grand narrative of the history of the West being one of increasing emotional restraint. Most historians have been reluctant to engage with the subject of emotions and, pertinent for the context of this article, it is not surprising to find that it is a French historian, Lucien Febvre, who called for engagement with the history of emotions in 1941 (under the Nazi Occupation), emphasising the point that politics was not rational, not unemotional and that »the emotional life [is] always ready to overflow into the intellectual life. […] [You might say] the history of hate, the history of fear, the history of ­cruelty, the history of love; stop bothering us with this idle chatter. But that idle chatter […] will tomorrow have turned the universe into a fetid pit of corpses«.7 When the Americans Peter and Carol Stearns called for a history of emotions in the mid-1980s, their emphasis was not »on how ­people felt or represented their feelings, but on what people thought about such matters as crying in public, getting angry, or showing anger physically«.8 The relationship between history and emotion that this article points to is not at all this. Rather it is the emotions that are elicited amongst readers when reading narratives that purport to be ›true‹ about the war experience and the suffering it engenders. In the cognitive view of emotions, emotions are part of a »process of perception and appraisal, not forces striving for release […]. The physical and mental capacity to have emotions is universal, but the ways those emotions are themselves elicited, felt and expressed depend on cultural norms as well as indi­vidual proclivities«.9 For social constructionism, »emotions and their display are constructed, that is, formed and shaped, by the society in which they 6 ���������������������������������������������������������������������������� Barbara Rosenwein, Worrying about emotions in history. The American Historical Review, 107/3, 2002, p. 1. 7 Lucien Febvre, La sensibilité et l’histoire: Comment reconstituer la vie affective d’autrefois, Annales d’histoire sociale, 3 (January-June 1941), pp. 5-20; translated into English by K. Folca as »Sensibility and History: How to Reconstitute the Emotional Life of the Past«, in: Peter Burke (ed.), A New Kind of History: From the Writings of Febvre, London 1973, p. 19; Rosenwein, Worrying about emotions in history, op. cit., p. 1. 8 Ibid., p. 3. 9 Ibid., p. 9.

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operate«;10 unlike cognitivists, social constructionists care less about (some even deny) the internal mechanisms of the production of emotions. Taking a path somewhere between the two, let us consider why the type of emotional reaction documented below is engendered by reading texts such as those by Humbert and Berr. Although presenting themselves as ›witness texts‹ and therefore as ›true‹ lived accounts, these texts provoke empathetic readings, as their readers (as we will see) engage in a reflection on the authors’ actions and reactions, and often on what they themselves would have done in their place. There are certainly emotional consequences of reading about war. As the rationale for the conference on »War – Literature, Media, Emotions« encapsulates it: Aesthetic representations of war do not primarily bear witness to the »true« nature of war or to its »actual« events. Rather they document the strong emotional repercussions intended to affect nonparticipant spectators of all kinds […]. The common point of departure is the history of mediatised illusions according to which war is never shown »as it really was« but always as the historical or cultural community in question ideally envisage it. Such »pathos formulas« still permeate and persistently reshape our sentiments towards war.11 The life-writing narrative shares some of the ›nature‹ of the literary text and readers identify with the main protagonist as they would in a fictional creation. Emotions constitute an inseparable element of literary works and their effects: »Novels, plays and movies, can all prompt real emotions about unreal events. The mechanisms used to understand fiction are the same as those which we use to understand the everyday world«.12 Indeed, with regard to feeling sympathetic emotions towards characters in fiction, Tan in fact calls these »witness emotions«,13 just as the emphasis has been put here on life-writing narratives produced in wartime as ›witness texts‹. In the experience of reading fiction we identify with the protagonist and resist antagonists, and that identification is ­empathetic.14 What is more, the emotions that we experience towards 10 Ibid., p. 10. 11 ������������������������������������������������������������������������������ Cf. conference abstract: http://slk.au.dk/fileadmin/www.slk.au.dk/krigskonference/About_the_conference.pdf (11 August 2011). 12 P. N. Johnson-Laird and Keith Oatley, Emotions, music and literature, in: M. Lewis, J. Haviland-Jones and L. F. Feldman-Barrett (eds.), Handbook of Emotions, New York 2008, p. 3. 13 Ibid., p. 20. 14 Ibid., p. 22.

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characters and events we know not to be real can help us in real life: »The experience of ›as-if anxiety‹ […] presents valuable life experience that may, in the end, help us in coping with comparable real-life situations«.15 The life-writing narrative goes one step further, sharing some of the effects of literature while at the same time purporting to be ›real‹. What, then, of emotions as effects of media exposure (which is the main focus of Wirth and Schramm’s study) since in the contemporary world the reader of the life-writing narrative will also be exposed, and much more frequently, to emotions through various other media forms? Just as in the reading of literature, »The emotions that develop during media reception do not differ fundamentally from everyday situations not influenced by media.16 According to cognitive emotion theories, we conceptualize media emotions as a result of a (normally unconscious) appraisal process.«17 Does the life-writing narrative then perhaps share also some of the effects of a much more directly mediatised representation of lived experience, that of »affect TV or Reality TV«?18 The four typical characteristics of ­»affect TV« can indeed be applied to life-writing narratives: – Personalization: the presentation focuses on the fate of one individual. The general is less important than the individual […] – Authenticity: the stories of non-prominent persons are often told by the persons themselves – Intimacy: private and personal matters and aspects of interpersonal relations are becoming a public topic – Emotionality: production and communication styles of the shows are set up to produce emotional reactions and to reveal personal attitudes of the studio guests and the audience.19 In the case of the last element, the publishers’ marketing can be read for the show production, the readerships – both in the press for ›studio guests‹, and the general reading public for ›audience‹. As for »affect TV«: »The success of these formats is based on the satisfaction of fundamental human needs to compare oneself to other persons, to fix a limit, and to define oneself as well as to test the appropri15 ���������������������������������������������������������������������� Werner Wirth and Holger Schramm, Media and emotions. Communication Research Trends, 24/3, 2005, p. 12. 16 ���������������������������������������������������������������������������� Cf. K. R. Scherer, Emotionsprozesse im Medienkontext: Forschungsillustrationen und Zukunftsperspektiven, in: Medienpsychologie, 10/4, 1998, pp. 276-293. 17 Wirth and Schramm, Media and emotions, op. cit., p. 8. 18 Ibid., p. 18. 19 Ibid., p. 18.

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ateness of one’s way of living and of one’s own interpersonal behaviour«.20 This ›appraisal process‹ will be seen to be in play the reviews and reactions of both press and public as presented below. (Life) Writing and History: From Private to Public Emotions? Mariette Job, the niece of Hélène Berr, was instrumental in bringing the diary to publication. She first saw the original, handwritten version of her aunt’s diary in 1992, fifty years after it was written, on a set of un­ damaged sheets from a student notepad: »When I took hold of the diary, it was very moving. When you see the actual handwriting, that really is life. She had precise, beautiful handwriting and crossed out very little«. Job’s emotional response to the fifty-year old manuscript brings us immediately and powerfully face-to-face with a contemporary emotional response to past lived experience. The intended recipient was a young man with whom Berr had recently fallen in love, Jean Morawiecki. At the time of the publication of the diary, he was still living, a man in his late eighties. According to Job, for years Jean could only read the typed copy because Hélène’s handwriting »emphasised the cruelty of her absence« and was like a »frozen hand« reaching out to him: »it took me [Job] thirty years to read the original manuscript. To touch it, see what it looked like«.21 As well as on the personal story, interest in France also focused on the ›how? why?‹ of the fate of the members of an educated, wealthy, professional, well-connected – and above all apparently totally integrated – ­Jewish family in wartime Paris. As previously noted, in France the two texts are published/re-published by the same publisher, a scholarly press, with the Humbert text preceding the Berr text by some four years. The issue of timing of publication in English and of the launches in the UK is rather different, with the Humbert text appearing just a few months before Berr’s »Journal« and by very different publishing houses.22 The earlier huge international publishing success of Irène 20 Ibid., p. 18. 21 Cf. http://www.thejc.com (11 August 2011). 22 Within the context of the conference ›War – Literature, Media, Emotions‹ in ­Aarhus, it is interesting to note the reaction of some of the Danish press to the two texts which appeared in well-acclaimed Danish translations in 2008 as Hélène Berr, Dagbog 1942-44 and Agnès Humbert, Modstand – en fransk kvindes erindringer fra krigen. They are heralded in »Politiken« (22 November 2008) as: »Two masterworks about the French at war«, and »two outstanding documents«. Hans Hertel writes that: »you undeniably feel the difference [with the Danish experience] first-hand«. Both in this review and in »Nordjyske Stifts­

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Némirovsky’s »Suite Française« (published in France in 2004, and in English in 2006) is also to be noted. Although a work of fiction, Némirovsky’s text is equally concerned with the experiences of those caught up in the events of the ­Occupation, and the attendant focus on the fate of the author herself blurred the distinction between fiction and lived experience. The critical and public reception of Némirovsky’s work both inside and outside France provides an important context for the readings of other recently published texts situated during the Occupation – and especially those written by women. Indeed, some commentators saw Humbert’s text as the »next Némirovsky«, as will be seen below. As for Berr, it is clear that Tallandier felt that it had an international bestseller on its list, and the rights to Berr’s »Journal« had already been sold in fifteen countries before it was even published in France. One might have expected some joint reviews of Berr and Humbert in the UK given the timing of publication. Of all the British press reviewers who may have been interested in such an approach, it was, rather surprisingly perhaps, »The Daily Mail« which reviewed the two texts together under the title »The extraordinary courage of women who resisted« (Anonymous). The text noted that »Read together, they give a vivid picture of the confusion and complexity of war«, suggesting that they do offer something more ›universal‹ while also emphasising the ­f emale experience of war (04 December 2008). A further flavour of the British press reception can be gauged from other brief extracts comparing the texts to others: »Bloomsbury finds ›real-life‹ Suite Française« (Humbert described in »The Bookseller« 10 October 2007); while Alexandra Pringle, Bloomsbury’s editor-in-chief ’s reaction was that: »It’s like the real life ›Suite Française‹. It’s incredibly moving. Every time I read [the dedications] I want to cry« (»The Times«, 12 October 2007); »France finds its own Anne Frank as young Jewish woman’s war diary hits the shelves« (on tidende«, the point is made that the Danish usually know little about the Occupation of France, and that French history is not commonly featured in Danish books; they perhaps found their way onto the Danish market, nonetheless, due to the subject of occupation and resistance in the Second World War. Like the British press reviews covered in the course of this article, the importance of the personalised testimony-value of both texts is emphasised, for »Standart« (13 March 2009), Jacob Lund writes that Berr’s is a »strong and relevant testimony« within the »recent tendency to personalise the Holocaust, to put individual faces and destinies on the victims and thereby make us all […] more readily relate to the loss«. There was further interest in Berr around a staging of Berr’s »Journal« in a small theatre in Copenhagen. I am most grateful to Kasper Green Krejberg for this research into the Danish press reception and for his translations.

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the publication in France of Berr’s diary heralded in »The Observer«, 06 January 2008). Berr is billed in numerous reviews as the »French Anne Frank«. In fact, they both died at Bergen-Belsen in 1945 and, as »The Washington Post« reviewer conjectures, »The two young women were imprisoned there at the same time. They might have met« (»The Washington Post«, 23 November 2008); a journalistic anecdote perhaps, used to poignant effect nonetheless. Berr in fact died of typhus within a month of Anne Frank, beaten to death because she was unable to get out of her bunk to attend roll call. Carmen Callil, author herself of »Bad Faith: A Forgotten History of Family and Fatherland«, provided a thoughtful reflection in her article »Testament to that other Holocaust« (»The Guardian«, 6 September 2008) on Humbert’s »memoir of love and captivity through the eye of an artist«, thereby reminding or informing the reader of the less well-known suffering of those deported for slave labour by the Nazis. Callil welcomes a »timely« translation of a »heroine’s war journal« and also emphasises the place of the trained art historian’s eye in the construction of experience in the written word. The reader reactions that follow focus on the texts’ reception in the UK, in the press and amongst a small selection of readers, to assess what this may tell us about the relationship between emotion and war when evoked through life-writing narratives, remembering that this is within a national culture and a collective national memory that did not experience occupation during the Second World War, which in broad terms conceives of itself as a place of asylum for refugees, including Jews during that war, and which generally holds romanticised views of the ›French Resistance‹ (usually ably abetted, of course, by the British Secret Services). Most reviewers note the harrowing read delivered by the Humbert text: »You have force yourself to go on«, writes Allan Massie in »The Literary Review«, »so vile are the conditions she describes and the conduct of those in authority.« (September 2008) And he adds, rather curiously: »Anyone who has ever responded, even in the smallest degree, to the seedy glamour of the Nazis should read these pages and feel ashamed.« His is also a typical overall ›evaluative‹ reading of the sort contained in several reviews, focusing on Humbert’s own strength of character: »Her generosity of spirit is as remarkable as her courage and endurance. […] This is a remarkable book by a remarkable woman.« For Caroline Moorhead in »The Spectator« »with its precise and moral tone and its humane perceptiveness, it is an extraordinary story« (17 September 2008). Importantly for »The Washington Post« this is again a »real-life ›Suite Française‹ by a key member of the French Resistance […]. Humbert, who trained to be a painter, writes with remarkable pictorial skill«. 231

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In addition to the reception by professional journalists, it is interesting to gauge some more general reception through on-line postings – and here the personal reaction and ›universal‹ message of the text is striking, as the reader places him or herself in that position in an enactment of the ›appraisal process‹ as presented above: »If our houses and families were threatened or destroyed, if our bodies were racked and our minds abused, would we succumb?«; »The astonishing courage of the author and fellow victims challenges the readers to ask how they would have reacted in those circumstances«; »I found Agnès’s story to be profoundly moving […]. Whenever I read such a book as this, and one that is a true story as well, I am staggered at the bravery displayed under fire. It makes me feel very humble and also makes me wonder just how I would behave and act if placed in such circumstances« (Amazon »Customer Reviews«, 11 September 2008). The process of identification is therefore very prevalent, but the effect can also produce adverse reactions. Under a posting entitled »misleading« one reader is profoundly disappointed, angry even, and in a revealing way: This is not a memoir of the French Resistance or occupied France […] of the 370 pages only the first 50 or so directly concern the Resistance […]. The last chapter covers her release and brief time working alongside the allies in Germany. Following this is 100 pages of what amount to padding – a long afterword […], an appendix and copious translator’s notes. There is no doubt that this is a hugely valuable document, but it doesn’t surprise me at all that it has taken so long to be translated. As an academic reference it is priceless […], but it is neither a memoir of the French Resistance, an insight into Agnès Humbert herself or a particularly moving or engaging story that you would expect to be promoted in the manner it has […]. I’d question the appeal of this book to the casual reader. (Amazon »Customer Reviews«, 10 January 2009) Much of the French press reception of Berr’s text emphasises the literary and intellectual qualities of the writing by the young woman who studied Russian and English (several sections of the diary were written in English) at the Sorbonne: »She was incredibly literary«, Antoine Sabbagh, the editor, tells »Spiegel Online« (01 September 2008). He was certain from the first pages that this was the »work of an intellectual« and a »­literary description of life in Occupied Paris«. Sabbagh attributes the diary’s popularity to its »exceptional literary quality« and the fact that it describes »how one young woman discovers war«. The female experience of war, then, sells books in the twenty-first century. Revealingly, the word ›Jewish‹ is not used by Sabbagh either with reference to the collective ex232

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perience of ›life in Occupied Paris‹ or to the individual young (Jewish) woman’s experience. It is hard not to conclude that there is either a wari­ ness that the French have still not come to terms with France’s Vichy past and its role in the deportation of the Jews, or that the feelings of the ­f amily need to be considered, not least because several members of the family avoided deportation and survived the war. In the French reception then, both the diary’s literary and historical value is emphasised. Simone Veil, interviewed in »L’Express«, notes its »exceptional literary quality«, and also its importance as an »historical reference« (10 January 2008). For »Libération«, the diary is »the publishing sensation of 2008« while it ­astonishingly suggests that we »seem to understand for the first time the horror and absurdity Jews had to face in their everyday lives in occupied Paris« (20 December 2007; my emphasis, D. K.). Modiano’s French foreword stresses the physical presence of Hélène Berr for the reader and places the diary firmly within the status of ›witnessing text‹. The press reviews in Britain focused on the »unbearable« feelings of the reader who knows Berr’s fate. Caroline Moorhead (who also reviewed Humbert) in »The Spectator« also notes »the exceptional portrait of Paris«, and most interestingly, the »testimonial to how well and bravely many perfectly ordinary French citizens behaved« playing again into British notions of how the French might have behaved, rather than how many of them did (22 October 2008). For the French public response, of particular interest are a series of reactions to Raphaël Sorin’s (a journalist for »Libération«) blog.23 One suggests that the diary gives us some insight into what »today’s outsiders« feel; another likens the situation to that of Iran and Algeria; yet another has the feeling of being a member of the Berr family, even though not Jewish: »it’s a part of me, of my culture that the anti-Semites wanted to destroy.« The public response can also be read within the recent boom in the ›misery memoir‹ and what is seen by some as a troubling contemporary ›addiction‹ to other people’s agony, as well as within the framework for the analysis of ›affect TV‹ as suggested above. Clearly, such emotive and powerful texts raise issues concerning the individualisation of history and the dangers of an unreflective relationship between academic memory research and the broader field of memory culture to which Susannah Radstone has also drawn attention. Radstone points out the dangers of contemporary emphasis on the »processes of identification with suffering« and of »taking the memoir’s realism at face value« and thereby »producing a literal reading that assumes that the 23 Cf. http://lettres.blogs.liberation.fr. (11. August 2011).

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subjects inscribed by memoirs are coincident with and can be mapped straightforwardly onto suffering ›persons‹ or ›individuals‹ with whom readers can then identify.« The danger is that »memoirs of suffering invite specifically empathetic identification with suffering«.24 She goes on to note the importance of »adequate attention to the literary as literary« and to the »complex play of tropes, narration, point of view and address that together constitute the complexity of texts and the reading experiences that they offer« and a necessary further step would be to move onto to explore these reading communities, their experiences, their responses, their ways of reading in the more positive perspective also offered by Radstone: Critiques of the memoir move beyond assertions about the reading positions offered by texts, however, connecting the identifications with suffering that they supposedly proffer with the formation of actual, if fragile communities. While textual analysis might complicate and ­extend these limited readings of the positions offered by texts, the ­exploration of those positions by actual reading communities would require contextual reader research studies.25 Finally, it is notable that these texts are by women and amongst the ­various recurrent tropes that could be analysed in Humbert and Berr there is a ›meta-trope‹ of ›the woman who has experienced war‹.26 Both writers may be considered to embody (literally) the historical moment in which they lived and about which they wrote. Does this female experience of war exert a particular type of fascination on their reading publics? Women’s memories of war are also currently perhaps more palatable to contemporary tastes concerning the experience of war and nourish the aspects with which twenty-first century readers prefer to identify: the war of the victim, either as eventual survivor or as tragic corpse; while the role of perpetrator, for example, is a historical food that is harder to swallow and those memories are allowed to recede. Without indulging in the types of facile identification with the victim against which Radstone warns us, and if we are mindful of readings of the sort she advocates, more dynamic, if necessarily more fragile, identities that connect us with 24 Susannah Radstone, Memory Studies, op. cit., p. 34. 25 Ibid., p. 34. 26 �������������������������������������������������������������������������������� The tropes of the lost manuscript, the ›handwritingness‹ of History and the broken narrative are developed in the article in »Synthesis« (see note 1 for details) with reference to Némirovsky and Marguerite Duras in addition to Humbert and Berr.

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the histories that we seek to know may come into being. Agnès Humbert and Hélène Berr offer us the possibility of just such connecting identities if the »empathetic identification with suffering« avoids the simplistic reading positions that we may appear to be invited to adopt by life-writing narratives and if the reader above all resists the »voyeuristic or triumphalist observation of suffering«.27 Life-writing allows us to (re)view our relationship to the past, to the identities and experiences of those who lived it, and to our own needs, desires and identities in the present as we read. We read the memoir or the diary for an apparently unfettered access to the experiences and emotions of someone who has lived what we have not. In their urgency also to trace the past and remedy memory’s ­lacunae, readers may mix cultural assumptions with what they imagine that experience to have been. But there is also a dynamic process at work in the reception of the life-writing narratives of witnesses to history; namely the opportunity to re-consider and to re-think what has been (mis?)remembered in both the accepted narratives of collective history and in the representation of the lived experience of the individual. If the worst excesses of ›affect‹ are avoided, then there is knowledge to be gained through the emotions.

27 Susannah Radstone, Memory Studies, op. cit., p. 34.

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»Ich komme nur ganz kurz hierher.« Emotionale Strategien der ›filmischen‹ Schnitt- und Überwältigungsästhetik in Christian Krachts Kriegsroman »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« (2008) 1. Einführende Thesen zur Funktionsweise von Christian Krachts »Überwältigungsästhetik« Als einer der ersten Rezensenten gab sich Gustav Seibt in der »Süddeutschen Zeitung« verzückt: »Was für ein Beginn ! Die ersten Sätze von Christian Krachts neuem Roman ›Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten‹ üben eine magische Wirkung aus, die man in der vielgefeierten jungen deutschen Literatur sonst nicht erfährt. Hier muss man sich nicht einlesen, durch mühselig-langwierige Beschreibungen quälen oder trivialen Dialogketten irgendwelche Basisinformationen abnotieren.«1 Dieter Hildebrandt witzelte dagegen in der »Zeit« über Krachts ErnstJünger-Allüren, indem er im Roman »Nahkampfvokabular, Landser­ lakonik und Schützengrabenromantik« ausmachte, um den Text mit einem Seitenhieb auf Krachts popliterarische Wurzeln kurz und griffig als »Stahlgewitter für die VIP-Lounge« zu kategorisieren. Hier werde die Lust am Untergang auf »volle Dröhnung« gebracht, weil man seinen »Dom Perignon längst lieber aus der Feldflasche« trinke.2 Dietmar Dath diagnostizierte in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« Ernst Jünger-Verweise bei Kracht, indem er seinen Artikel zunächst mit einer beeindruckenden Reihung von zusammenhangslosen Zitaten aus dem Roman einleitete, um schließlich den Leser mit der Mitteilung zu verblüffen, diese Funde stammten »nicht von Christian Kracht, sondern von Isaak Babel, Hans Grimm und Ernst Jünger«. 1 Gustav Seibt, Die Sowjetrepublik von Schweizerisch-Salzburg. TotalitarismusNippes im schönsten, elegantesten Deutsch, das derzeit zu lesen ist: Christian Krachts neuer Roman, in: »Süddeutsche Zeitung«, 20.09.2008. 2 Dieter Hildebrandt, Stahlgewitter für die VIP-Lounge. Christian Krachts quicker Untergang des Abendlands, in: »Die Zeit«, 09.10.2008. Hier zitiert nach der Rezensionsnotiz bei perlentaucher.de, 09.10.2008. Online abrufbar unter: http:// www.perlentaucher.de/buch/30367.html (letzter Zugriff: 23.06.2010).

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Gleichzeitig demonstrierten seine Zitate aber auch, wie »beherrscht« Kracht über den Krieg schreibe, meinte Dath: Die Sprache malt hier eine Welt, die eigentlich gar nicht sprechen will, lieber schweigen. […] Bewiesen wird damit nur, aber schlagend, dass niemand an etwas so Scheußlichem wie einem Krieg teilgenommen haben muss, um angemessen straff über die blutigsten Formen der Dummheit schreiben zu können, die der Mensch erfunden hat. Christian Kracht ist, neben vielen anderen netten Dingen, der abgebrühteste Waffenlose, den die Militärschriftstellerei je erlebt hat.3 »Waffenlos?« Merkwürdig unkritisch schreibt hier der bekennende Marxist Dath über die im Gegenteil bei Kracht seit Anbeginn auffällige Koketterie mit der Faszinationskraft des Totalitären, Militärischen und der Gewalt, die bis in explizite Formen der visuellen Selbstinszenierung hineinreicht ­– wie etwa auf jenem bekannten Foto von Kracht, auf dem er sich mit einem Gewehr zeigt, mit dessen Mündung er in Richtung Kamera zielt.4 Man könnte dieses bedrohliche Motiv, das natürlich auch schon wieder ein Zitat ist, mindestens bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs zurückverfolgen. So fand es bereits Eingang in Ernst Friedrichs drastischen Antikriegs-Fotoband »Krieg dem Kriege« (1924), mit der höhnischen Bildunterschrift: »Der Stolz der Familie: (Eine ›interessante‹, gestellte Photographie).«5 Die Waffe zielt auch hier auf die Kamera und damit auf den Betrachter der Fotografie ­– ein als triumphales Motiv ­soldatischer Macht und Bedrohlichkeit gedachtes Arrangement, das sich bei Friedrich allerdings in ein Dokument der Entlarvung verwandeln sollte, als frappierender Beleg für eine kollektive Kriegs-Verblendung, die von 1914-1918 bis in die Privatinszenierungen von Familiengedächtnissen hineinreichte. Zuletzt fand sich diese ›klassische‹ Kriegs-Perspektive noch einmal in Quentin Tarantinos »Inglourious Basterds« (USA, Deutschland 2009) wieder – genauer: In dem von dem Schauspieler Eli Roth inszenierten ›Film im Film‹ »Stolz der Nation«, der ein NS-Sniper-Massaker 3 Dietmar Dath, Ein schöner Albtraum ist sich selbst genug. Christian Krachts Anti­historienspiel »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten«, in: »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, 15.10.2008. Online abrufbar unter: http:// www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/ein-schoeneralbtraum-ist-sich-selbst-genug-1716257.html (letzter Zugriff: 19.10.2011). 4 Online abruf bar unter: http://www.facebook.com/photo.php?pid=1835058&id= 57740086757 (letzter Zugriff: 19.10.2011). 5 Ernst Friedrich, Krieg dem Kriege. Mit einem Vorwort von Gerd Krumeich, München 2004, S. 94. Für den Hinweis auf die Quelle danke ich Volker Mergenthaler.

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verherrlicht. Auch dort zielt der Wehrmachts-Held und Scharfschütze Frederick Zoller (Daniel Brühl) mit seinem Gewehr direkt auf die Kameralinse, also auch auf den Zuschauer. In der Inszenierung Tarantinos und Roths funktioniert dieses Bild wiederum als Karikatur typischer NaziPropaganda. Rätselhaft bleibt es also, was nun Christian Kracht mit solchen Selbstinszenierungen bezweckt, die auf schillernde Weise mit faschistischen Ikonografien zu spielen ­scheinen, da sie in keinem Kontext stehen, der sie als Kritik solcher Posen identifizierbar machen würde. Hierzu zählt übrigens auch Krachts fotografisches Selbstporträt im Trachten­ janker, das ebenso wie das Karabiner-Motiv durchs World Wide Web geistert.6 Die These des folgenden Beitrags ist es, dass auch Krachts Roman »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« mit seiner literarischen Aufrufung solcher Kriegs-Bilder jene Atmosphäre zwischen Faszination, Grauen und latenter Affirmation erzeugt, die Literaturkritiker wie Seibt ­– und übrigens auch die meisten Literaturwissenschaftler, die sich bislang mit Krachts Werk beschäftigten ­­– auf Anhieb fasziniert hat. Seibts ­zitierte Begeisterung darüber, dass man sich beim Lesen von Krachts Roman nicht durch »mühselig-langwierige Beschreibungen quälen oder trivialen Dialogketten« folgen müsse, wird offensichtlich durch Krachts geradezu filmische Schnitt-Technik provoziert, die emotionale Reaktio­nen beim Leser dadurch erzeugt, dass sie altbekannte, teilweise aber auch tabuisierte oder verdrängte Affektbilder aus dem kollektiven Gedächtnis wieder aufruft, ohne sie jemals weiter zu kommentieren oder gar offen zu kritisieren. Der Roman »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« legt gewissermaßen den Karabiner auf seine Leser an, ohne auch nur irgendwo zu erklären, warum genau dies geschieht. Es handelt sich hierbei also keineswegs um ein »waffenloses« Schreiben, wie Dath meint, sondern geradezu um einen Akt provokativer Aggression gegenüber dem ­Rezipienten, der gleichzeitig als zentrale Emotionalisierungsstrategie Krachts erkennbar wird: Dass nämlich der Leser, solange er keine kritische und analytische Haltung gegenüber dem Text einnimmt, diesen ­Angriff paradoxerweise auch genießen kann, hat mit der erwähnten Überwältigungsästhetik zu tun, die Kracht aus den Konventionen des Kriegsfilm-, Fantasy- und Science-Fiction-Kinos adaptiert.

6 Online etwa abrufbar unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Christian_Kracht. JPG (letzter Zugriff: 27.10.2011).

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2. Krachts Roman, die Bildpolitik Ernst Jüngers und die Ästhetik Leni Riefenstahls Schon Ernst Jünger schrieb nicht nur soldatische Romane, sondern fahndete auch nach Bildern, die sich als Motive gegen das demokratische System der Weimarer Republik verwenden ließen. Er sammelte gezielt Fotos, deren Perspektiven der Welt eine klare Ordnung aufzuzwingen schienen. Der Pazifismus stand bei Jünger für das Chaos, während der Krieg konkreten Fortschritt zu einer neuen Ordnung bedeutete. Bernd Stiegler schreibt über die Bildbände, die aus dieser Wahrnehmungsstrategie entstanden: »Jüngers Montagebegriff ist Ausdruck eines konstruktivistischen Radikalismus, ist Konsequenz einer technizistischen wie metahistorischen Betrachtungsweise, die sehenden Auges in faschistische Theoreme mündet.«7 Jüngers fototheoretische Beiträge und die von ihm herausgegebenen oder auch mit Begleittexten versehenen »Bilderbücher« wie etwa »Das Antlitz des Weltkrieges« (1930) frappieren demnach durch militärischherrische Kommentare und ein symmetrisch durchstrukturiertes Raumverständnis, das bereits Inszenierungen wie die Leni Riefenstahls in ­ihrem nationalsozialistischen Reichsparteitags-Propagandafilm von 1935 vorwegnimmt. Stiegler erkennt hier bei Jünger einen Wechsel vom Paradigma der »Plötzlichkeit«, also von der Fokussierung zeitlicher Dimen­ sionen in seinem Denken hin zu ganz neuen Visionen des Raums. Jünger propagiere eine regelrechte »Bildpolitik«, eine neue Form des Sehens, die auf eine Distanz des Betrachters abhebe und einen »teleskopischen Blick« beschwöre.8 Es gehe dabei um das Hochgefühl des kühlen Betrachters, der sich selbst unverwundbar erscheine wie die kalte Linse der Kamera, wie ein Geschoss und wie eine präzise arbeitende Maschine. Jünger meinte – und deutlicher kann man eigentlich kaum sagen, was für die Generation der nationalsozialistischen Frontkämpfer in ihren fotogra­ fischen Selbstdarstellungen ihr Selbstbild ausmachte –, dass die »Technik unsere Uniform ist«.9 Schon Jüngers später vielfach überarbeitetes Kriegstagebuch »In Stahlgewittern« (1920) zeigt an vielen Stellen, dass diese ›kalte‹ faschistische Form der Wahrnehmung in ihren Fiktionalisierungen gleichwohl gerne mit Momenten der Neoromantik und des Kitsches verbunden wurde ­– 7 Bernd Stiegler, Photographie und Bildpolitik, in: Natalia Borissova/Susi K. Frank/ Andreas Kraft (Hrsg.), Zwischen Apokalypse und Alltag. Kriegsnarrative des 20. und 21. Jahrhunderts, Bielefeld 2009, S. 77-93, hier: S. 80. 8 Ebd., S. 83. 9 Ebd., S. 82.

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ein emotionaler Kurzschluss, den seither nicht zuletzt selbst sogenannte »Antikriegsfilme« immer wieder aufgriffen, um ›Gegenbilder‹ des Krieges für ein Massenpublikum konsumierbar beziehungsweise überhaupt erzählbar zu machen. Auch Krachts Roman »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten«, in dem bereits »fast einhundert Jahre Krieg« herrscht und in dem »niemand mehr am Leben« ist, »der im Frieden geboren war«,10 spielt mit solchen auffälligen Ambivalenzen. Fast alle Figuren in diesem Text werden als maschinenhafte Kampfnaturen beschrieben, die durch ihre Kriegserfahrungen zutiefst geprägt wurden oder gar mutiert sind. Bei den Charakteren Favre und Brazhinsky etwa scheint es sich um kriegerische Androiden oder Cyborgs zu handeln: »Manchmal erschien er mir wie eine Maschine, wie eine sonderbare Apparatur, ein Schweizer Uhrwerk«, bemerkt der Protagonist einmal über seinen Gegenspieler Brazhinsky.11 Und über Favre heißt es unter anderem: »Neben ihrer Achselhöhle war eine Steckdose in die Haut eingelassen, wie die Schnauze eines Schweins.«12 Diese Elemente kombiniert Kracht gezielt mit solchen der Idylle und der Innerlichkeit: Bereits der Titel des Romans ist ein Zitat aus dem 1910 komponierten englischen Song »Oh Danny Boy«, der vom rührseligen Abschied und der späten Rückkehr eines geliebten Menschen handelt. Auch der messianische Protagonist bei Kracht, von ihm begegnenden Rassisten als »Schneemensch«13 verspottet, kehrt am Ende des Textes als ›Führerfigur‹ auf den afrikanischen Kontinent zurück, wo er einst für den Krieg rekrutiert wurde ­– passend zu den Liedzeilen: But come ye back when summer’s in the meadow Or when the valley’s hushed and white with snow ’Tis I’ll be there in sunshine or in shadow14 Eine obskure Rolle spielen im Roman kleine »Sonden«, die an verschiedenen Stellen auftauchen und kryptische lyrische Sentenzen von sich geben. Auch sie rufen idyllische Bilderwelten auf, die den Text mit einer seltsam poetisierten Erzählebene versehen: 10 Christian Kracht, Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten, Köln 2008, S. 13. 11 Ebd., S. 116. 12 Ebd., S. 46. 13 Ebd., S. 22. 14 Hier zitiert nach dem deutschsprachigen Wikipedia-Artikel zu dem Lied, online abrufbar unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Danny_Boy_(Lied) (letzter Zugriff: 25.06.2010).

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Meine Augen sind geschlossen. Geschlossen. Ich komme nur ganz kurz hierher. Berge und Wolken. Vögel sind dort. Ich höre sie. Ich bin an diesem Ort. Verloren.15 Gegen Ende des Romans wird angedeutet, dass diese Sonden möglicherweise für die Erscheinung jener Matrix zuständig sind, welche die Wahrnehmung des Erzählers beeinflusst.16 Die Sonden stellen also gewissermaßen eine Meta-Erzählinstanz des Romans dar, wobei die von ihnen generierte »Realität« im Text erst dann in eine neue Dimension eintritt, als sich der Protagonist zu Fuß über Italien nach Afrika aufmacht, um sein Söldnerdasein für die Schweiz hinter sich zu lassen. Wenn man so will, begeht der Protagonist hier einen ›Gottesmord‹ an einer dieser Sonden, um sich als werdender ›Übermensch‹ von ihren Suggestionen zu emanzipieren: Und die Sonden? Eine schlug ich in der Nähe von Varese aus der Luft, nachmittags, mit dem zurückschnappenden, sirrenden Ast einer Pappel. Sie britzelte ein paar Sekunden, als könne sie nicht verstehen, was mit ihr geschehen war, dann fiel sie zu Boden, ein lebloser Stein. Ich hob sie auf, sie lag in der Hand wie ein eiserner Apfel, ich warf sie weg. Danach stellte sich eine gewisse Nervosität ein, eine Veränderung in der Molekularstruktur der Umgebung, ein Zittern in den Büschen am Wegesrand. Ein Gewitter zog herauf, tauchte rasch den Nachmittag in Schiefergrau und zuckendes, elektrisches Orange und verschwand 15 Christian Kracht, Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten, a.a.O., S. 25. 16 Hierzu fallen verschiedene Textstellen ins Auge, an denen der Erzähler visionär an den Sonden-Text anschließt, so etwa ebd., S. 45: »Ich schloss die Augen, es drehte sich alles. Wolken.« Auch im Moment der Todesgefahr, als der autodiegetische Erzähler auf einer Mine steht, spricht er plötzlich, wie eine filmische Zwischenstimme aus dem Off, abermals selbst Satzfetzen, die der Litanei der Sonden zu folgen scheinen – womit sein Identitätsstatus auf subtile Weise unklar wird und man ihn vielleicht auch schon als homodiegetischen Erzähler aufzufassen beginnen müsste, weil hier fragwürdig wird, welche Instanz die Erzählung an der Stelle wirklich ­vorantreibt: »Unter meinem Stiefel hatte es metallisch geklickt. Ich schloss die Augen. Ein kleines Rinnsal hinter meinem Ohr, in den Nacken hinein. Eis. Minen. Ein Minenfeld. Mir war, als leerte sich meine Blase. Der Urin durfte nicht meine Beine herablaufen. Ich war an diesem Ort.« (Ebd., S. 85.) Eine weitere ­solche Stelle, die bereits nahelegt, der einem Gebet ähnelnde Sonden-Text habe mit der messianischen Auserwähltheit des Protagonisten und seiner schließlichen Rückkehr nach Afrika zu tun, findet sich auf S. 113: »Dies ist die Zeit. Und dies ist die Aufnahme dieser Zeit. Meine Augen sind geschlossen. Ich komme, Bambo, Mulungu, ich komme.«

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wieder am Horizont. Es schien, als sei die Welt ungläubig, als horche, als forsche sie noch. Vögel flogen unruhig auf, und einige Werst später sah ich ein weisses Pferd neben der Straße in einem Reisfeld stehen und die Zähne blecken.17 Es folgen an dieser Stelle des Textes noch weitere somnambule Visionen aus der Vergangenheit oder auch der Zukunft, aber vielmehr wird zu der Rolle dieser ominösen Sonden im Roman nirgends mehr gesagt. Auf­ fällig ist es jedoch, dass die mögliche Interpretation, hier schwebe gleichsam eine »teleskopische« Erzählinstanz über allem, die die gesamte Realität des Romans aus einer kalten Maschinen-Perspektive entwirft, wie ein metafiktionaler Verweis auf Jüngers kriegerische Bildpolitik lesbar ist. »Ich komme nur ganz kurz hierher«: Diese zitierte Bemerkung der Sonde wirkt wie ein poetologisches Statement zum Konzept des Romans, in dem immer nur kurze Schlaglichter geworfen beziehungsweise Bilder höchstens augenblicksweise ein- und ausgeblendet werden. Es handelt sich gewissermaßen um eine postmoderne Ästhetik des Zappings durch altbekannte Kriegsbilder: Lauter Szenerien des Grauens werden hier jeweils kurz aufgerufen, an- und wieder ausgeknipst. Gleichzeitig würde man auf die Deutung, hier werde von einer Welt erzählt, die möglicherweise nichts weiter als eine technisch erzeugte Vorstellung im Kopf der handelnden Figuren (und damit auch des Lesers) sein könnte, gar nicht erst kommen, wenn man nicht den Kinofilm »The Matrix« (USA, Australien 1999) von Andy und Larry Wachowski gesehen hätte, der auf einer verschwörungstheoretisch auffassbaren Idee beruht und auch wegen seiner neuartigen Special Effects für einige Furore sorgte. Zwar gibt es in diesem Film keine Sonden, dafür aber können die bis an die Zähne bewaffneten Partisanen ironischerweise mittels eines im ScienceFiction-Setting seltsam altertümlich anmutenden Telefonzellen-Anrufs aus der »Matrix« zurück in die alptraumartige Realität wechseln. Auch in 17 Ebd., S. 144. Es gibt auch noch weitere Verweise auf die Instanz eines ›göttlichen‹ Masterminds, das mit den Sonden assoziiert zu sein scheint. Vgl. auch die Stelle auf S. 111, an welcher der Erzähler einen Sondenflug über afrikanische Landschaften schildert. Kurz zuvor stellt er sich hier die Frage: »Wer hatte nur so eine Szenerie erdacht, aus wessen Intelligenz war diese Maschinerie des Krieges entsprungen?« Nicht zuletzt teilt Brazhinsky dem Protagonisten gegen Ende des Romans mit: »Ihre Erinnerungen sind nicht echt, nicht das, was wir als echt bezeichnen. Man hat Sie seit Ihrer Jugend einer Gehirnwäsche unterzogen.« (Ebd., S. 127.) Damit wird der Protagonist explizit als unzuverlässiger Erzähler gekennzeichnet, wobei auch Brazhinskys Behauptungen implizit in Frage gestellt werden, da er am Ende als intriganter Lügner erscheint.

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»The Matrix« gibt es übrigens wie in Krachts Roman einen Protagonisten, der als messianischer »Auserwählter« auftritt und sich anschickt, einen endlosen ›antiimperialistischen‹ Krieg ›versklavter‹ menschlicher Individuen gegen eine übermächtige Kriegs-Maschinerie anzuführen. Um darin bestehen zu können, mutieren die humanen Widerständler in ihrem Hei­ligen Krieg selbst zu wahren Kampf-Maschinen, die ihre Killer-Instinkte im Sinne der absoluten Gefühlskälte und Schnelligkeit moderner Videospiel-Ästhetiken geschärft und optimiert haben. Doch damit nicht genug: Die merkwürdig lyrische, manchmal aber auch schon kitschverdächtige Sprache, in die Krachts Roman immer wieder unvermittelt wechselt, wird in der Publikumswahrnehmung flankiert durch einen jener neuartigen »Buchtrailer«, die zu Werbezwecken ins Netz gestellt werden. Der Trailer zu Krachts Roman, den man sich unter anderem bei YouTube ansehen kann, wird abermals durchraunt von den zitierten Sonden-Sprüchen und endet mit dem Tod eines Schmetterlings auf einer afrikanischen Blumenwiese, unter dem Stiefeltritt eines marschierenden Soldaten. Am Ende ertönt noch ein Schuss, während in weißen Lettern der bedeutungsschwangere Romantitel auf schwarzem Grund erscheint.18 Der mit Afrika-Stereotypen vom ›dunklen Kontinent‹ überfrachtete Zeichentrick-Film lief nicht nur im Vorprogramm ausgewählter deutscher Lichtspielhäuser, er zitiert in gewisser Weise auch einen Klassiker des Kriegsfilms: Nämlich die berühmte Schlusssequenz aus Lewis Milestones 1930 in die Kinos gekommener Verfilmung von Erich Maria Remarques »Im Westen nichts Neues« (USA), die damit endet, dass der Protagonist Paul Bäumer an der Westfront des Ersten Weltkriegs geradezu sehnend nach einem Schmetterling greift und ausgerechnet in diesem beschau­ lichen Moment von einer Kugel getroffen wird. Auch dies ist bereits eine Szene, die melodramatisierende und idyllisierende Elemente zu einer ­cineastischen Pathosformel amalgamiert, welche letztlich eher zur Verharmlosung denn zur Kritik des Krieges angelegt ist.19 Damit befinden wir uns auch schon mitten im Netz der verblüffend assoziationsreichen und gewissermaßen intermedialen Zitatismusstrategie von Krachts Roman: Dass Ambiente des hier beschriebenen totalen 18 Online abrufbar unter: http://www.youtube.com/watch?v=KhqsTkg6yyM (letzter Zugriff: 27.10.2011). 19 Eine genauere Analyse dieser Filmszene findet sich in: Jan Süselbeck, Reflexionslosigkeit als Erfolgsrezept. Zum soldatischen Identifikationspotential in Erich Maria Remarques Bestseller »Im Westen nichts Neues« (1929), in: Wirkendes Wort. 59. Jahrgang, Dezember 2009, Heft 3. S. 383-403, hier besonders: S. 389-391.

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Kriegs einer Schweizer Sowjet-Republik (SSP) gegen das faschistische und mit England verbündete Deutschland ist zwar in die Zukunft verlegt, wirkt aber wie eine Erzählung aus der Vergangenheit des Ersten und Zweiten Weltkriegs, wenn auch unter auffällig verkehrten historischen Vorzeichen. Die SSP führt ihren Krieg mit der Unterstützung durch Söldner vom afrikanischen Kontinent, den die Schweizer kolonialisiert und ›entwickelt‹ bzw. ›zivilisiert‹ haben. Sie kämpfen unter anderem ­gegen diverse archaische ›Horden aus dem Osten‹. So ist etwa wörtlich von »grausamen Sinti-Divisionen« die Rede, angeführt von einem hindustanischen General Lal, der verblüffenderweise mit den faschistischen Deutschen paktiert.20 Solche notdürftigen fiktionalen Verschiebungen ehemaliger Frontstellungen des nationalsozialistischen Vernichtungskriegs bieten dem Autor die Möglichkeit, neben Film- und Fotografiezitaten auch schockhaft auf rassistische Feindbilder aus jener Zeit zurückzugreifen, die unmittelbare, wenn auch diffuse Emotionen beim Leser auslösen müssen, wobei eine weiterführende erzählerische Wertung oder gar Infragestellung der Stereotypen, mit deren Hilfe dies geschieht, auffälligerweise stets unterbleibt. Damit wird bei Kracht einer affirmierenden emotionalen Bezugnahme auf diese rassistischen Motive zumindest nichts explizit entgegengesetzt. Der Ich-Erzähler, ein Schweizer »Parteikommissär«21 aus Afrika, berichtet in knappen Text-Abschnitten, die teils wie Tagebucheinträge anmuten

20 Vgl. Christian Kracht, Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten, a.a.O., S. 16. Dieser bemerkenswerte fiktionale Rückgriff auf ursprüngliche »Untermenschen«-Feind-Stereotypen des Nationalsozialismus, die hier lediglich durch den ›Gag‹ modifiziert werden, dass der Roman die ehemalige Opfergruppe der Sinti und Roma mit den Deutschen ›alliiert‹ und somit in einer ›Opfer-TäterUmkehr‹ zu den Feinden eines kommunistischen Reiches macht, wird sogar noch weiter ausformuliert: Es handele sich bei den Sinti-Divisionen um »Männer mit Schnauzbärten, geschminkten Augen und goldenen Ohrringen, die vorne auf die Sättel ihrer Pferde schwere Maschinengewehre montierten, so dass sie während des Reitens schiessen konnten. Es hiess, dass sie kein Tier assen, welches Füße oder Federn hatte.« Diese ungebrochene literarische Aufrufung überkommener antiziganistischer Vorurteile rekurriert unter anderem auf die seit Jahrhunderten tradierten Bilder von den »Zigeunern« als eines »wilden« fahrenden Volkes, dessen Leute angeblich unappetitliche, niedere Tiere über dem Lagerfeuer brieten. Siehe hierzu etwa Wilhelm Solms, Zigeunerbilder. Ein dunkles Kapitel der deutschen Literaturgeschichte. Von der frühen Neuzeit bis zur Romantik, Würzburg 2008, S. 136 f. und 200 f. 21 Christian Kracht, Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten, a.a.O., S. 12.

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und Bilder aufrufen, wie man sie von den Notaten Jüngers oder anderen vergleichbaren Dokumenten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs her zu kennen glaubt. Schon die gesamte Einstiegsszene des Romans mit ihren winterkalten Kasernenstuben voller Flöhe, der Rede vom plötzlich schweigenden Artilleriefeuer, vom ruhigen Teetrinken und einem ›mongoloiden‹ Burschen, der dem Erzähler hilft, in seine Stiefel zu ­steigen22 –, also jenes Szenario, das den Rezensenten Seibt so sehr begeisterte – setzt nicht nur ein erstes rassistisches Schlaglicht in der lakonischen Bezeichnung der Down-Syndrom-Behinderung des Gehilfen durch einen mittlerweile als politisch inkorrekt problematisierten Begriff, sondern könnte atmosphärisch in der Tat direkt Jüngers »In Stahlgewittern« entstammen.23 Wie bei Jünger rechtfertigt Krachts Erzähler hier etwa auch das Erlebnis des völligen Ausgeliefertseins eines einzelnen Soldaten gegenüber den Einschlägen der feindlichen Artillerie mit Merksätzen, die etwas von einem bellizistischen und nationalistischen Glaubensbekenntnis ›trotz allem‹ haben. Zunächst die Beschreibung der Situation: Unendlich weit oben am Himmel sirrte das Geschoss einer deutschen Langstreckenkanone, von Norden kommend, nach Osten. Manchmal fielen sie herab und schlugen bei uns ein. Es war reiner Zufall, wiewohl man natürlicherweise erst den Einschlag wahrnahm und dann das Geräusch des sich nähernden Geschosses.24 Und dennoch beginnt derselbe Absatz bei Kracht mit der wie isoliert ­dastehenden Beschwörung, die wie eine luzide Zusammenfassung des Grundgedankens von Jüngers Werken der 1920er-Jahre klingt: »Es war notwendig, dass der Krieg weiterging. Er war der Sinn und Zweck un­ seres Lebens, dieser Krieg. Für ihn waren wir auf der Welt.«25 Es gibt aber auch noch weitere solcher mehr oder weniger subtiler Jünger22 Ebd., S. 11 ff. 23 Vgl. etwa Ernst Jünger, In Stahlgewittern. Erstausgabe 1920, in: Ders., Auswahl aus dem Werk in fünf Bänden, Stuttgart 1994, S. 52. Auch Jünger greift immer wieder zu dem abgeschmackten Stilmittel, den Krieg als romantische Idylle ›deutscher Innerlichkeit‹ darzustellen: »Oft saß ich mit einem Gefühl behaglicher ­Geborgenheit am Tisch meines kleinen Unterstandes, dessen rohe, waffenbehangenen Bretterwände an Wildwest erinnerten, trank eine Tasse Tee, rauchte und las, während mein Bursche an dem winzigen Ofen beschäftigt war, der den Raum mit dem Geruch gerösteter Brotscheiben erfüllte.« 24 Christian Kracht, Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten, a.a.O., S. 21. 25 Ebd. Vgl. auch die Bemerkung ebd., S. 43: »Die Generation, die nach uns kommt, ist der erste Baustein zum neuen Menschen. Es lebe der Krieg.«

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Verweise:26 Im letzten Drittel des Romans etwa, in den in der Schweizer Alpen­f estung des Réduits spielenden Passagen, treten der Protagonist und sein jüdischer Gegenspieler, der Oberst Brazhinsky, an »einem schönen Früh­lingstag«27 und unter Drogeneinfluss auf einen Balkon im Bergmassiv hinaus und betrachten von hoch oben das beeindruckende Schauspiel der kriegerischen Szenerie: »Graue Luftschiffe waren an Stahlseilen um das Massiv des Schreckhorns befestigt, weit unten glaubte ich einige Soldaten zu sehen, die mittels Handkurbeln die relative Höhe der Luftschiffe zueinander veränderten. Die Soldaten waren kleiner noch als Ameisen.«28 Etwas später wiederholt sich diese Szene noch einmal und wird zum geradezu ›bombastischen‹ Kitsch gesteigert: Den Balkon betretend, sah ich das erhabene Bild dutzender deutscher Luftschiffe, die den Himmel über meinem Kopf füllten. Und während vor den runden, gläsernen Scheiben der Gasmaske die Sonne orangerot und wundervoll glühend hinter den Alpen versank und unsere Scheinwerfer wie weisse Nadeln den Abend durchstachen, begann erneut das infernalische, monströse Bombardement des Réduits.29 Wer dächte angesichts dieser unangreif bar und zugleich dekadent-aristokratisch anmutenden Luftbildperspektive nicht an Jüngers berühmt-berüchtigten Tagebucheintrag vom 27. Mai 1944, in dem der Kompaniechef von Hitlers Wehrmacht beschreibt, wie er ein Bombardement auf Paris beobachtet: Beim zweiten Mal, bei Sonnenuntergang, hielt ich ein Glas Burgunder, in dem Erdbeeren schwammen, in der Hand. Die Stadt mit ihren roten Türmen und Kuppeln lag in gewaltiger Schönheit, gleich einem Kelche, der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird. Alles war Schauspiel, war reine, von Schmerz bejahte und erhöhte Macht.30 26 Darunter befinden sich auch solche auf die Biografie Jüngers, der bekanntlich als begeisterter Entomologe Käfer und Schmetterlinge sammelte: So stößt der Pro­ tagonist aus »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« im Schweizer Réduit auf »Schaukästen mit hunderten von Insektenarten« (ebd., S. 120), und in der Hütte der seltsamen Figur Uriel finden sich Bücher, die »offensichtlich dem Studium von Insekten« dienen, wobei der Erzähler vielsagend hin­ zufügt, dass sie »eindeutig keine faschistische Propaganda« seien (ebd., S. 68). Das muss als ironische Anspielung auf Jünger gelesen werden. 27 Ebd., S. 123. 28 Ebd. 29 Ebd., S. 132. 30 Ernst Jünger, Das Erste Pariser Tagebuch / Kaukasische Aufzeichnungen / Das zweite Pariser Tagebuch, in: Ernst Jünger, Auswahl aus dem Werk in fünf Bänden. Zweiter Band, Stuttgart 1994, S. 537.

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Kracht bezieht sich immer wieder auf solche »erhabenen« und »über­ wältigenden« Kriegsszenarien, die zudem oft explizit mit Anmutungen des Traumartigen sowie Assoziationen des Drogen- oder Alkoholrauschs gekoppelt werden. Sein Roman setzt auf die sofortige und stets ambivalente Faszinationskraft solcher Bilder, mit der bekanntlich auch das Kriegskino immer wieder gerne gearbeitet hat ­– man denke hier etwa nur an die Eröffnungssequenz von Francis Ford Coppolas »Apocalypse Now« (USA 1979), mit ihren im Napalm-Bombardement und in Zeitlupe in Feuerbällen aufgehenden Palmen. Doch auch Krachts Verweis auf die nationalsozialistische NS-»Lichtdom«-Ästhetik ist in der zitierten Passage offensichtlich: Wie bei Jünger werden hier solche Sinnbilder ergreifender militärischer Vernichtungsmacht bereitwillig aufgegriffen und bis zum Kitsch gesteigert. Mit Jens Eders Analysemodell zur Affektlenkung im Film, das sich besonders auch deshalb auf Krachts cineastischen Zitatismus gut anwenden lässt, weil Eder bereits eine beispielhafte Untersuchung von Riefenstahls Reichsparteitags-Propagandafilm »Triumph des Willens« (Deutschland 1935) vorgelegt hat, darf man annehmen, dass auch Kracht mit der Schilderung derartiger Szenerien versucht, im Leser Gefühle des »Erhabenen« zu erzeugen: Gefühle des Erhabenen werden demzufolge ausgelöst durch Objekte, die aufgrund von Eigenschaften wie Größe, Dynamik, Macht, Kraft etc. als überlegen, überwältigend, potenziell gefährlich erscheinen und zunächst Gefühle wie Stress, Orientierungslosigkeit, Unterlegenheit, Schwäche und Angst hervorrufen. Der Rezipient kann sich dann aber in einem weiteren Schritt bewusst machen, dass er in Sicherheit bzw. das betreffende Objekt für ihn ungefährlich ist, erlangt die kognitive Kontrolle wieder und reagiert mit Erleichterung. Die anfängliche Erregung bleibt dabei erhalten, es entsteht eine zwischen Angstlust, Faszination und Euphorie oszillierende Gefühlsmischung, wie sie ähnlich aus dem Gefühl des sensation seeking bekannt ist. Die überwältigende Macht und potenzielle Gefährlichkeit des Objekts kann darüber hinaus den Wunsch auslösen, sich ihm positiv unterzuordnen.31 Dass die unkommentierte Nahelegung einer solchen positiven Auffassung des Erhabenen à la Riefenstahl bei Kracht auch im Kontext seines bisherigen literarischen Gesamtwerks keinesfalls aus der Luft gegriffen 31 Jens Eder, Affektlenkung im Film. Das Beispiel Triumph des Willens, in: Oliver Grau/Andreas Keil (Hrsg.), Mediale Emotionen. Zur Lenkung von Gefühlen durch Bild und Sound, Frankfurt am Main 2005, S. 107-132, hier: S. 122.

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ist, mag zuletzt ein kurzer Verweis auf seinen Debüt-Roman »Faserland« (1995) untermauern, in dem sich der Erzähler beim Landeanflug auf Frankfurt am Main an seinen Geschichts-Schulunterricht erinnert, in dem er einmal Sergei Eisensteins »Panzerkreuzer Potemkin« (Sowjetunion 1925) mit Riefenstahls »Triumph des Willens« vergleichen sollte: Das Flugzeug kreist weiter über Frankfurt, taucht immer mal wieder durch die Wolken, dann glitzert das Sonnenlicht plötzlich auf den Flügeln, und ich sehe aus dem Fenster und muß daran denken, daß mich Landeanflüge immer an die großartige Anfangsszene aus Triumph des Willens erinnern, wo der blöde Führer in Nürnberg oder sonst wo landet, jedenfalls kommt er so von oben herab zum Volk. Ich meine, das ist ja ganz gut gemacht, so, als ob er von Gott heruntergesandt wird nach Deutschland, um da mal aufzuräumen. Die Deutschen haben das sicher geglaubt, damals, so schlau ist das gemacht. Den Film haben sie uns damals in der Schule gezeigt, zusammen mit Panzerkreuzer Potemkin, damit wir sehen, wie man durch Film fein manipulieren kann. Wobei der Lehrer immer gesagt hat, Eisenstein wäre ein Genie und Riefenstahl eine Verbrecherin, weil die Riefenstahl sich hat einspannen lassen von der Ideologie und der Eisenstein nicht. Das fand ich aber nicht.32 3. Krachts Erlöserfantasien in der Nachfolge Frank Herberts und David Lynchs Bislang war es unter Germanisten en vogue, Krachts verstörenden, mit reaktionären Provokationen spielenden Eklektizismus im Sinne einer postmodernen »Pop«-Avantgarde aufzuwerten – so etwa in fast allen Bei­ trägern des ersten literaturwissenschaft­lichen Kracht-Sammelbandes, den

32 Christian Kracht, Faserland. Roman, München 2009, S. 60 f. Kracht äußerte bereits am 13. Oktober 2008 in der »Welt«, er verstehe seine Romane »Faserland«, »1979« und »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« als abgeschlossenes »Triptychon«, was der Hinzunahme des zitierten Textbelegs weitere Plausibilität verleiht. Siehe Thomas Lindemann, Christian Kracht und die nackte Angst. Der Schweizer Schriftsteller Christian Kracht lässt in seinem neuen Roman einen Krieg in seiner Heimat toben. Nach einer Stippvisite in Deutschland ist der 41-Jährige nach Argentinien gezogen. Mit »Welt Online« spricht er über seine Psychoanalyse – und schlechtes Benehmen in Berlin. Online abrufbar ­unter: http://www.welt.de/kultur/article2559767/Christian-Kracht-und-die-nackteAngst.html (letzter Zugriff: 17.08.2010).

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Johannes Birgfeld und Claude D. Conter herausgegeben haben.33 Heinz Drügh übernahm in einem 2007 publizierten Aufsatz sogar Argumente des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher, um die »Denkbilder einer veralteten Avantgarde« zu verabschieden und die »Inkorporation pop­ kultureller Versatzstücke« in die Literatur, wie sie Kracht vornehme, als innovative und herausfordernde neue Form literarischer Ästhetik zu begrüßen. Dies geschah übrigens in einem Aufsatz, der es bemerkens­ werterweise unternimmt, selbst Krachts bereits stark auf »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« vorausweisenden Roman »1979« (2001), der vielfach als Abschied von der Popliteratur gelesen wurde, trotz seiner herausfordernden Affirmationen totalitärer Sehnsüchte der Hauptfigur interpretatorisch als Teil dieses Projekts einzustufen.34 Ähnlich auch die Denkfigur bei Till Huber: Sobald etwas als »Pop« klassifizierbar erscheint – und dazu zählen bei Krachts literaturwissenschaftlichen Claqueren in Texten wie »1979« eben auch kokett zitierte Hakenkreuz-Symbole35 sowie in Krachts zusammen mit Ingo Niermann verfasstem, schillerndem Verschwörungstheorie-Satire-Text »Metan«36 rassistische Anspielungen verschiedenster Couleur –, wird die »Nennung von Zeichen« für den Interpreten in dieser Literatur plötzlich zum angeblichen »Selbstzweck«, dessen »Kontextualisierung nebensächlich« erscheint.37 33 Johannes Birgfeld/Claude D. Conter (Hrsg.), Christian Kracht. Zu Leben und Werk, Köln 2009. Siehe dazu die Kritik von Jan Süselbeck, Irony, over. Nicht nur die Literaturkritik, sondern auch die Literaturwissenschaft ist immer noch nicht in der Lage, das Werk Christian Krachts richtig einzuordnen, in: »literaturkritik. de« 06/2010. Online abruf bar unter: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=14412 (letzter Zugriff: 26.06.2010). 34 Heinz Drügh, »…und ich war glücklich darüber, endlich seriously abzunehmen«. Christian Krachts Roman 1979 als Ende der Popliteratur?, in: Wirkendes Wort. Deutsche Sprache und Literatur in Forschung und Lehre. 57. Jahrgang 2007. Herausgegeben von Lothar Bluhm und Heinz Rölleke. Heft 1 (April 2007), S. 3151, hier: S. 34. 35 Vgl. ebd., S. 45: Drügh schreibt über die in »1979« auffällige, mehrfache Zitation von Swastika-Symbolen, unter anderem als T-Shirt-Aufdruck bei dem Freund des Protagonisten, durchaus treffend: »Auch wenn der Träger dieses T-Shirts eine eher abstoßende Figur ist: seine Provokationsgeste ist Krachts Text alles andere als fremd, ja bildet in gewissem Sinn den poetologischen Kraftstoff des Romans, eine Geste, die sie sich freilich nicht nur auf hoch politisierte Zeichen bezieht, sondern deren Wirksamkeit im Literaturbetrieb nach wie vor durch das schiere Hantieren mit popkulturellen Zeichen garantiert zu sein scheint.« 36 Christian Kracht/Ingo Niermann, Metan, Berlin 2007. 37 Till Huber, Ausweitung der Kunstzone. Ingo Niermanns und Christian Krachts ›Docu-Fiction‹, in: Alexandra Tacke/Björn Weyand (Hrsg.), Depressive Dandys.

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Dabei ist Hubers These nicht einmal irreführend, wenn er über die ­Romane »Faserland« und »1979« schreibt, ihr »literarisches Ergebnis« sei »nicht in einer nihilistischen Ablehnung aller Werte« zu suchen, »sondern – subtiler und gleichzeitig schockierender ­– in der Affirmation einer sinnentleerten Größe«. Wie die meisten der bisherigen Interpreten schafft es Huber dann aber im gleichen Atemzug, diesen bestürzenden Befund positiv zu wenden, als »neuen, lustvollen, selbstbewussten Ästhe­ tizismus«.38 Abschließend seien hier deshalb nun noch einige weitere Beispiele für Krachts intertextuelle, ikonografische und nicht zuletzt filmische Bezugnahmen analysiert, deren Vielfalt in der Tat groß ist, die jedoch nicht, so die These des vorliegenden Beitrags, als bloßes ästhetizistisches Spiel­ material einer popliterarischen Avantgarde abgetan werden kann. Zentral Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 218-233, hier: S. 228. 38 Ebd., S. 228 f. Nach der Fertigstellung des vorliegenden Beitrags ging die Debatte um eine ethische Bewertung von Krachts Literatur im Feuilleton weiter. Im Februar 2012 erschien Krachts Roman »Imperium« im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch. Kracht wurde daraufhin von dem Kritiker Georg Diez in einem vierseitigen, in der Presse vielfach skandalisierten Artikel »Die Methode Kracht« (»Der Spiegel« 07/2012, 13.02.2012) aufgrund angeblicher ›faschistischer‹ Tendenzen der Darstellung scharf angegriffen: »Wenn man genau hinschaut, ist ›Imperium‹ von Anfang an durchdrungen von einer rassistischen Weltsicht«, schreibt Diez in seinem ­Essay. Der Rezensent bezieht sich in seinem Beitrag jedoch nicht nur auf Krachts Roman, sondern auch auf den umso problematischer erscheinenden Band von Christian Kracht und David Woodard, Five Years. Briefwechsel 2004-2009. Vol.  1: 2004-2007. Herausgegeben von Johannes Birgfeld & Claude D. Conter, Erlangen 2011. Laut Diez ist diese aus E-Mail-Korrespondenzen ­zwischen Kracht und dem US-Komponisten Woodard bestehende und mit einem Vorwort Birgfelds und Conters versehene Publikation für eine Deutung von Krachts Roman »Imperium« nicht von diesem zu trennen und führt direkt »ins Denken und Schreiben« des Autors: »Dieser E-Mail-Wechsel funktioniert wie ein Weihnachtskalender des Teufels: Hinter fast jeder Tür, die man öffnet, hinter fast ­jedem Namen, den die beiden nennen, tauchen satanische, antisemitische, rechtsradikale Gedanken auf.« Siehe dagegen u. a. auch den beschwichtigenden Kom­mentar von Jan Küveler, Kracht und die Bosheit, in: »Die Welt«, 14.02.2012. Online abruf bar unter: http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/ article13867548/Kracht-und-die-Bosheit.html (letzer Zugriff: 14.02.2012) sowie den Artikel von Erhard Schütz, Kunst, kein Nazikram. Christian Krachts neuer ­Roman »Im­perium« zeigt mitnichten die »Nähe des Autors zu rechtem Ge­ dankengut«, wie im »Spiegel« behauptet wurde, in: Der Freitag, 16.02.2012. Online abrufbar unter: http://www.freitag.de/datenbank/freitag/2012/07/kunst-keinnazikram (letzter Zugriff: 16.02.2012).

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für den Roman »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« ist die Beschreibung des Untergangs einer kriegerischen Hochkultur, also eines Prozesses wachsender Dekadenz, aus dem aber nichts weiter folgt als eine Regression in der Vorstellung einer gewissermaßen ›rassischen Evolution‹ ­– hin zu einer Rückkehr zur Natur, zum afrikanischen ›Ursprung‹ der aus dem Krieg und für den Krieg geborenen ›Führerfigur‹ des Protagonisten. Die Reise dieses zunächst einmal autodiegetischen Erzählers beschreibt einen langsamen Aufstieg bis in die Höhe des Réduits, in dessen Alpenfestungsstollen zu seinem Erstaunen eine »fürchterliche und allumfassende Dekadenz des Geistes«39 herrsche. Der Ton dieser Bemerkung ­sowie die räumliche Struktur der Erzählbewegung des gesamten Romans erinnern vielleicht nicht von Ungefähr an Thomas Bernhards Prosatext »Verstörung« (1967), in dem der Leser am Ende mit dem endlosen Monolog des offensichtlich wahnsinnigen Fürsten der Burg Hochgobernitz konfrontiert wird. Auch bei Kracht ist der »tatsächlich wahnsinnig[e]«40 Gegenspieler des Protagonisten jedoch jener jüdische Oberst Brazhinsky,41 der sich am Ende als dekadenter Konterrevolutionär entpuppt.42 Er scheint die Strippen einer sinistren Verschwörung zu ziehen: Während der Pro­ tagonist, der als Afrikaner während seines Marschs zum Réduit selbst mit rassistischen Militärs aus dem eigenen Heer zu tun bekommt, antisemitische Bemerkungen anderer Figuren immer sofort zurückweist, muss er an seinem Ziel feststellen, dass Brazhinsky tatsächlich alle antisemitischen Vorurteile bestätigt, als dieser ihn sogar umzubringen versucht.43 Brazhinsky scheint außerdem ein mehrfacher Mörder zu sein,44 der, um seine Spuren zu verwischen, eine pogromartige Attacke auf seine ­Gemischtwarenhandlung in Neu-Bern, bei der ein Fenster des Ladens eingeschlagen wurde und jemand mit Schweineblut auf Polnisch »Jude stirb« an die Türe schmierte, kurzerhand selbst inszenierte.45 Kracht baut damit neben vielen weiteren Stereotypen ›des Juden‹ die übliche Verschwörungstheorie von Holocaust-Leugnern in seinen Roman ein, ›die 39 Christian Kracht, Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten, a.a.O., S. 120. 40 Ebd., S. 126. 41 Vgl. die Einführung dieser Figur, ebd., S. 20. 42 Ebd., S. 128. 43 Ebd., S. 130. 44 Ebd., S. 131. 45 Ebd., S. 124: »Brazhinsky sagte: ›Ich habe mir selber den Satz mit dem Schweineblut über das Schaufenster geschrieben […]‹«.

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Juden‹ hätten sich die Shoah selbst ausgedacht, um daraus Vorteile für sich zu ziehen. Dass dies bislang kein Literaturkritiker und auch noch kein Literaturwissenschaftler kritisch analysiert oder überhaupt wahrgenommen hat, liegt eventuell an jenen vielen effektvollen Fantasy- und Filmzitaten, mit denen Kracht seine Geschichte geradezu überfrachtet und deren isolierte interpretatorische Betrachtung er durch die verwirrende Vielfältigkeit dieser literarischen Bilderwelt erschwert.46 So wird etwa die Thematik einer im Sinken begriffenen Hochkultur, an deren Niedergang ›der Jude‹ in Krachts Roman seinen Anteil gehabt zu haben scheint, mittels einer offensichtlich aus H. P. Lovecrafts Roman »At the Mountains of Madness« (1936) geborgten Idee47 überzeichnet: Lovecrafts Roman handelt von einer sinistren außerirdischen »Rasse« unförmiger Wesen, die in der 46 So arbeiten Johannes Birgfeld und Claude D. Conter zahllose intertextuelle Verweise bei Kracht heraus, wobei ihre Entdeckungen am Ende eher dazu zu dienen scheinen, Kracht als staunenswert belesenen poeta doctus auszuweisen, während die Autoren den Verdacht, es könne sich bei der zentralen Botschaft des Romans um einen essentialistischen »Neo-Rousseauismus« handeln, vorsorglich zurückweisen. Siehe Johannes Birgfeld/Claude D. Conter, Morgenröte des Post-Humanismus. Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten und der ­Abschied vom Begehren, in: Johannes Birgfeld/Claude D. Conter (Hrsg.), Christian Kracht. Zu Leben und Werk, a.a.O., S. 252-269, hier: S. 260. Auch Stefan Hermes erkennt, vom Ansatz her von den Postcolonial Studies beeinflusst, in »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten« einen Roman, der klassische koloniale Narrative unterlaufe, keineswegs aber am Ende das Stereotyp des ­»naturverbundenen Afrikaners« fortschreibe. Und zwar deshalb, weil Kracht in seinem Text nirgends das »Gegenbild des weit ›fortgeschritteneren‹ Europäers« tradiere, der sich durch »eine überlegene, seine politische und ökonomische Hegemonie legitimierende Rationalität auszeichnet«. Allerdings zitiert Hermes sogar selbst nur eine Seite zuvor in seinem Aufsatz eine dieser Annahme ausdrücklich widersprechende Bemerkung von Krachts Erzähler: »Am meisten beeindruckte mich die Bescheidenheit der Schweizer […]. Sie waren niemals recht­haberisch oder grausam […]. Sie schienen mir unbestechlich, gradlinig und fair, und mein grösster Wunsch war es, genauso zu werden wie sie.« Siehe Stefan Hermes: »Ich habe nie Menschenfleisch gegessen«. Interkulturelle Begegnungen in Christian Krachts Roman »Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten«, in: Mark Arenhövel/Maja Razbojnikova-Frateva/Hans-Gerd Winter (Hrsg.), Kulturtransfer und Kulturkonflikt, Dresden 2010 (= Germanica. Jahrbuch der Germanistik in Bulgarien (2008)), S. 270-283, hier: S. 280 f. 47 Vgl. H. P. Lovecraft, Berge des Wahnsinns. Eine Horrorgeschichte. Aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein, Frankfurt am Main 1997. Auch Birgfeld und Conter haben auf diesen offensichtlichen Bezug schon richtig hingewiesen, allerdings ohne dabei die besondere Bedeutung rassistischer Vorstellungen für

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Antarktis in unentdeckten Riesenbergen schlummern und in einem abwärts führenden Wendelgang Reliefs hinterließen, deren schwindende künstlerische Könnerschaft offenbar vom stetigen Abnehmen ihrer Genialität künden. Als unverkennbare Anspielung darauf findet auch der Protagonist in Krachts Roman vergleichbare Wandgemälde und Reliefs über die Geschichte des hundertjährigen Krieges der SSP im Réduit, die vom Untergang jeder Schriftkultur im Land zeugen ­– allerdings in einer umgekehrten Richtung, vom tiefen Inneren des Labyrinths nach außen.48 Man kann das natürlich als ›kulturkritische‹ Satire auf die ›Dekadenz‹ der Schweiz lesen – aber ebenso auffällig ist doch an dieser Stelle der provokative Bezug auf darwinistische Vorstellungen sich entwickelnder beziehungsweise degenerierender »Rassen« bei Lovecraft, die bekanntlich für den 1937 gestorbenen US-Schriftsteller überaus charakteristisch waren und von Kracht in seinem Text deshalb wohl kaum zufällig herbeizitiert werden. Auch auf Coppolas bereits erwähnten Film »Apocalypse Now« wird durch die Erzählung von einem einzelnen Soldaten mit Spezialauftrag verwiesen, der sich auf die Suche nach einem außer Kontrolle geratenen Oberst macht, welcher in einer mörderischen Enklave ›geistiger‹ Dekadenz herrscht und verhaftet bzw. außer Gefecht gesetzt werden soll – und damit gleichzeitig auf den von Coppola adaptierten Roman »Heart of Darkness« von Joseph Conrad (1902). Einige dieser intertex­ tuellen Spuren (und noch viele weitere) haben Birgfeld und Conter bereits verfolgt – allerdings ohne dabei kritisch zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall Krachts der gesuchte und wahnsinnige Bösewicht eben ›ausgerechnet‹ ein Jude ist.49 Damit ist nach Auschwitz die äußerste Grenze einer ironischen Lesart überschritten. Brazhinskys Waffe der »Rauchsprache« wiederum, mit der er es im universellen Erkenntnis-Zustand des »Satori« vermag, Gegenstände zu bewegen und den Willen von Personen zu brechen, verweist nicht nur abermals auf »The Matrix«, sondern auch auf den von David Lynch 1984 verfilmten Fantasy-Roman-Zyklus »Dune« (1965-1985) von Frank Herbert, in dem diese Fähigkeit ebenfalls eine zentrale Rolle spielt. Nicht zuletzt hat auch die messianisch-faschistische Führerfigur Paul Atreides alias Muad’ Dib (gespielt von Kyle MacLachlan) in Lynchs US-VerfilLovecrafts Literatur zu erwähnen. Vgl. Johannes Birgfeld/Claude D. Conter, Morgenröte des Post-Humanismus, a.a.O., S. 267. 48 Christian Kracht, Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten, a.a.O., S. 101 f. und S. 120 ff. 49 Vgl. Johannes Birgfeld/Claude D. Conter, Morgenröte des Post-Humanismus, a.a.O., S. 266 ff.

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mung am Ende komplett blau leuchtende Augen: Dass Kracht ­seinen schwarzen Helden ebenfalls mit diesem neu erworbenen Attribut nach Afrika zurückkehren lässt,50 wo alle Stadtbewohner die Zivilisation aufgeben und, als verfolgten sie die Steinzeit-Kommunismus-Ideologie der Roten Khmer in Kambodscha nach 1975, zurück zur Natur marschieren,51 kann als symbolischer Gipfel des antiimperialistischen ­Essentialismus gelesen werden. »Und die blauen Augen unserer Revolution brannten mit der notwendigen Grausamkeit«, lautet zumindest einer der letzten, in diesem Zusammenhang doch bemerkenswerten Sätze des Romans.52 Nüchtern lässt sich hier zum Abschluss zumindest feststellen, dass sich Kracht in dieser Aufrufung eines antiimperialistischen ›Djihad‹, von dem bei Frank Herbert bereits 1965 sowie in Lynchs Verfilmung von »Dune« auffälligerweise schon in den 1980er-Jahren explizit die Rede ist,53 an einer auffälligen Tendenz des Hollywood-Fantasy-Kinos vor allem seit der Jahrtausendwende orientiert: Genauer zu analysieren wäre allemal, warum seit Filmen wie »The Matrix«, in dem bereits vor dem 11. September 2001 ein Helikopter durch die Hauptfigur Neo (Keanu Reeves) in einen Wolkenkratzer manövriert wird, wo er in einem großen Feuerball explodiert, verkappte antizivilisatorische Selbstmord-Attentäterkommandos und apokalyptische ›Befreiungskriege‹ im Kino so beliebt geworden sind. Noch viel bemerkenswerter mutet es jedoch in diesem Zusammenhang an, dass selbst noch nach dem ›Medienereignis‹ von 9/1154 verschworene Terroristen mit ihren messianischen Führer-Figuren eine so an­ haltend große Konjunktur haben und vom Publikum offensichtlich als willkommene Projektionsflächen der Identifikation wahrgenommen 50 Ebd., S. 139 ff. Siehe auch S. 146: »Meine Augen, sie waren nun vollständig blau geworden, nein, ultramarin; sowohl die Iris und die Pupille als auch die Netzhaut.« 51 Ebd., S. 148 f. 52 Ebd., S. 147. Birgfeld und Conter haben als Quelle für diesen Spruch bereits »ausgerechnet Verse aus Louis Aragons sozialistisch-stalinistischem Gedicht Front Rouge (1931)« ausgemacht: »Les yeux bleus de la Révolution / brillent d’un cruauté nécessaire«. Vgl. Johannes Birgfeld/Claude D. Conter, Morgenröte des Post-Humanismus, a.a.O., S. 267. 53 Auch Georg Seeßlen thematisiert die diversen faschistischen und ›Riefenstahl’­ schen‹ Elemente in David Lynchs Verfilmung. Siehe Ders., David Lynch und seine Filme, Marburg 2000, S. 65 ff. 54 Zu filmischen »Vorbildern« von 9/11 siehe Klaus Theweleit, Der Knall. 11. September, das Verschwinden der Realität und ein Kriegsmodell, Frankfurt am Main 2002.

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werden. Man denke hier nur an den riesigen Erfolg von James Camerons 3-D-Überwältigungsästhetik-Kino-Coup »Avatar« (2009).55 Wie die ­bisherige enthusiastische Rezeption durch die Literaturkritik und auch die Literaturwissenschaft nahelegt, gelingt es Krachts Roman auf ebenso effektvoll emotionalisierende Weise, literarisch an die Grundidee und die  Vorstellungswelten derartiger Filme anzuknüpfen, indem er deren obsessive Gewalt-Bilderwelten adaptiert.

55 Siehe dazu Klaus Theweleits Beitrag im vorliegenden Band. Vgl. dazu außerdem Jan Süselbeck, Der »Djihad« als Pathos-Losung des postmodernen BlockbusterKinos? Statt eines Editorials: Von David Lynchs »Dune« (1984) bis zu James ­Camerons »Avatar« (2009) – Selbstmordattentäter-Erzählungen und völkische Ideologien scheinen für die Kriegs- und Fantasy-Filme der letzten Jahrzehnte ein Erfolgsgarant gewesen zu sein, in: »literaturkritik.de« 08/2010. Online abrufbar unter:  http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=14643&aus­ gabe=201008 (letzter Zugriff: 17.08.2010).

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5. Kriegsliteratur zwischen Satire und Slapstick

Bernd Blaschke

Emotionsmodellierung in Kriegsdramen Elfriede Jelinek und Falk Richter als satirische Medienbeobachter I. Kriegssatire und ihre Emotionsmischungen Das Genre der Kriegssatire attackiert den Krieg, die Widersprüche seiner Ideologie und die Monstrosität seiner Praktiken mit Verfahren der Komik. Benders Filmlexikon bietet hierzu eine kompakte Abgrenzung von Subgenres und skizziert die Unterschiede in Anspruch und Verfahrensweisen diverser Spielarten der Kriegskomik: Über die Möglichkeiten der Komödie und des Burlesken hinaus und in Abgrenzung zu humoristischen Unterhaltungsformen etwa des Militärschwanks oder der Kriegsklamotte gibt die Kriegssatire mit aufklärerisch-didaktischem Duktus den Widerspruch zwischen idealisierten Vorstellungen des Krieges (z. B. als machtpolitisch-ordnungsstiftende Kraft) und seinen realen Erscheinungsformen (z. B. zerstörerisches Chaos der Schlacht) der Lächerlichkeit preis und legt die Unbrauchbarkeit zugehöriger Wertmaßstäbe offen, ohne einen positiven Gegenentwurf bereit zu stellen.1 Weit weniger erforscht als narrative oder filmische Kriegssatiren sind Versuche theatralisch-dramatischer Kriegskritik. Gleichfalls unterbelichtet blieben bisher die wirkungsästhetischen Implikationen satirischer Darstellungsweisen. Zudem wurden auch in der allgemeinen Satire-Forschung die spezifischen Emotionsmischungen im anvisierten spottenden Lachen kaum je eingehender untersucht. Diesen drei bislang wenig erkundeten Aspekten widmet sich mein Essay zu den satirischen Kriegsdramen von Elfriede Jelinek und Falk Richter. Die bissige Kritik an üblen Zuständen impliziert Wut, Aggression, eventuell sogar Hass auf das Kritisierte. Diese negativen Emotionen werden in der Satire freilich abgemischt mit der positiven Emotion oder Ausdrucksbewegung des Lachens – und im Theater zusätzlich noch mit 1 ›Kriegssatire‹, in: Hans. J. Wulff/Theo Bender (Hrsg.), Lexikon der Film­begriffe, zitiert nach der URL: http://www.bender-verlag.de/lexikon/lexikon.php?begriff= Kriegssatire (letzter Zugriff: 11.07.2011).

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der spezifischen Heiterkeit des Theaterbesuchs. Wie funktioniert eine solch negativ-positive Emotionsmodellierung nun im Ablauf eines Theaterstückes, insbesondere bei Stücken über den Krieg? Welche Wirkungsstrategien der Publikumsführung mittels Identifikation und Distanzierung, mittels Helden oder Figurenauflösungen, mittels Orientierung und Desorientierung praktizieren neuere Texte der Kriegsdramatik? Die Un-Darstellbarkeit des realen Kriegs im Modus mimetischer Repräsentation bildet den Ausgangspunkt der zeitgenössischen Kriegs­ stücke. Im Vergleich mit Medienkonkurrenten wie dem Roman oder dem Film sind die Darstellungsmittel der Bühne allemal unterlegen. Also mussten sich die Theaterautoren etwas anderes einfallen lassen; sie suchten formale Alternativen zur direkten Abbildung des Kriegsgeschehens. So erfanden gattungssprengende Dramatiker seit Karl Kraus’ »Die letzten Tage der Menschheit« Formen medienkritischer Kriegsbeobachtung. Nicht der Krieg an sich, sondern seine Verhandlung, Kommentierung oder gar Produktion in Medien wurde Hauptthema der Stücke. Von Kraus bis Jelinek und Falk Richter stehen Kriegsreporter, Kriegsfotografie und Kriegsfernsehen im Mittelpunkt des Dramas. Zeitgenössisches Theater versteht sich hier offenbar als medienkritische Versuchsanstalt zur Beobachtung des Medien-Kriegs-Ökonomie-Systems. Weniger das Denken, Reden, Handeln von Soldaten oder Offizieren werden auf der Bühne vorgeführt als vielmehr das Denken, Reden, Fühlen, Zeigen und Sehen von Reportern und Zuschauern. Ansatzpunkt und Leitmotiv der Stücke von Jelinek und Richter (tendenziell auch schon bei Kraus) ist die Gefühlsproduktion im Infotainment War. Spätestens seit dem nicht zuletzt an der amerikanischen Heimat-TV-Front verlorenen Vietnamkrieg ist die Gefühlsproduktion durch Medien ein zentrales Operationsgebiet, ein Schlachtfeld von strategischer Bedeutung. Die besten Texte der Kriegsdramatik stellen angesichts dieser medialen Thematik stets auch die Gattungsfrage. Sie erkunden die Grenzen des Theaters. Jelineks Text »Bambiland«, den man als Kriegsessay oder als Textflächen-Anti-Drama bezeichnen könnte, verzichtet auf Personen und auf Figurenrede. »Bambiland« wurde in Frankreich in Dieter Hornigs Übersetzung übrigens als ›Roman‹ publiziert.2 Karl Kraus glaubte nicht an die theatrale Aufführbarkeit seines Riesenwerks der »Letzten Tage der Menschheit«. Hingegen schreibt Falk Richter als studierter Regisseur, als Hausautor und Dramaturg institutionell eingebunden für die 2 »Bambiland« wurde 2008 auch in eine tausendseitige Ausgabe von Jelineks »­Œuvres romanesques« aufgenommen, die in französischer Übersetzung erschienen ist: Elfriede Jelinek, Œuvres romanesques, Arles 2008.

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Theaterbühne. Seine Theatertexte werden, von Berlin bis Zürich, entsprechend oft aufgeführt. Richters Kniff besteht darin, die Fotografen, Reporter, Medienkünstler oder Agenten, die den Krieg medial vermitteln und davon leben, auf die Bühne zu stellen. Geschickt erfindet er einen Kompromiss zwischen traditionellem Figurentheater und angesagter ­Medienreflexion. Im Gegensatz zu Kraus’ gewissermaßen allwissendpan­optischer Position und zu Jelineks kalauernder Fernsehdekonstruktion kreiert Richter mithin eine relativ stabile und moralisierende Beobachterposition: Theater als Ideologiekritik. II. Medienkritik, Komik und der Krieg der Gefühle bei Jelinek Elfriede Jelinek erachtet das Theater als subversiven Gegenort zur Tele­ vision.3 Schon 1970 hat sie in ihrem Essay »Die endlose Unschuldigkeit« das Fernsehen als Machtmittel kritisiert und seine Mythenproduktion dekonstruiert. Ihr Kriegs-Stück »Bambiland« wurde in Peter Kümmels »Zeit«-Rezension zu Christoph Schlingensiefs Uraufführung so zusammengefasst: »Bambiland« handelt vom Irak-Krieg und davon, wie die Medien ihn zu uns transportieren, und vor allem davon, wie er »in unseren Köpfen« (wichtige Diskurs-Formel) weitergeführt wird. Jelinek hat das Stück nach bewährter Methode geschrieben: Sie hat sich mit ihrem inneren Stammtisch vor den Fernseher gesetzt und CNN gesehen. Der innere Stammtisch ist eine Art brabbelnder Hefe, eine deutsch-österreichische Volksmasse, die im Geist der Dramatikerin ihr Auskommen hat und von ihr zum exzessiven Spiel mit der Sprache gezwungen wird. Jelinek entwirft keine Theaterfiguren; sie schreibt keine Stücke. Vielmehr schafft sie gigantische Hohlformen, in denen die »Volksseele« um Ausdruck ringt. Die Methode hat etwas Zwanghaftes, in »Bambiland« aber erreicht sie neue Höhen.4

3 Zum Medien- und Inszenierungsverständnis Jelineks vgl.: Pia Janke (Hrsg.), Elfriede Jelinek, »Ich will kein Theater«. Mediale Überschreitungen, Wien 2007, darin besonders Joachim Lux, »Theaterverweigerer« an der Burg. Schleef – Stemann – Schlingensief – Häusermann, S. 152-171. 4 Peter Kümmel kritisiert in der »Zeit« (Nr. 52, 17.12.2003) zudem, dass Schlingensiefs Egozentrik von Jelineks Stück nicht viel übrig oder erkennbar ließ: »Zwar ist von einer ›Uraufführung‹ die Rede, aber dazu kam es nicht. Der Regisseur Christoph Schlingensief hat eine so genannte Textfläche aus Mediensprech, JelinekSprachspiel und Aischylos mit eigenem Material überwalzt.«

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Ihrem ›Theatertext‹ »Bambiland« schickt Jelinek bezeichnende Credits für Inspiration und Intertexte voraus: »Meinen Dank an Aischylos und die ›Perser‹, übersetzt von Oskar Werner. Von mir aus können Sie auch noch eine Prise Nietzsche nehmen. Der Rest ist auch nicht von mir. Er ist von schlechten Eltern. Er ist von den Medien.«5 ›Nicht von ihr‹ stammen also die (satirisch) collagierten Texte und Bewusstseinsströme, sondern aus der Literaturgeschichte, vor allem aber aus dem Fernsehen und seinen Kriegsformaten. Die Rolle des Theaters im Krieg und in der Medienkonkurrenz reflektiert die Wiener Autorin fortlaufend in »Bambiland« und ferner in einem kleinen Essay als Antwort auf die Umfrage des Bühnenvereins: »In Mediengewittern – die Theater überflüssig?«. Jelinek umreißt unter dem an Jüngers »In Stahlgewittern« erinnernden Stichwort ›In Mediengewittern‹ ihre Positionierung des Fernsehens und des Theaters: In einem Gewitter ist es vielleicht nicht schlecht, einen Unterstand zu haben. […] Zuhause stellt einem der Fernseher vor, was ist bzw. was der Fernseher dafür hält. Er hat ja seine Erdherrschaft angetreten, um uns das ununterbrochen zu sagen. […] Das Theater hat keine Macht, höchstens über manche, die drinnen sind. […] Ich schreibe beim Fernsehn oft mit. Von dort geht der Menschenkreis ins Theater, wohin die Leute ja eigentlich vor ihm, dem Gerät, geflüchtet sind. So treffen sie einander wieder, die Bilder aus dem Kasten und die Bilder auf der Bühne. Aus dem Fernseher sprechen die vielen Stimmen und Bilder, die die Welt umkreisen, ohne sie je zu verstehen, denn sie umkreisen in Wirklichkeit nur die Macht, der sie dienen, immer, und ihr Zweck ist, daß wir uns mit dieser Macht abfinden, indem man sie uns unaufhörlich, aber nur scheinbar erklärt. […] Der Fernseher antwortet nur. Ich frage nur. […] Die Wesen auf der Bühne fragen ebenfalls, alle durcheinander. Man versteht, im Gegensatz zum braven Fernsehsprecher, kein Wort, aber aus dieser Vielstimmigkeit, die scheinbar alles erklärt, bevor noch gefragt wurde, werden plötzlich nichts als Fragen […]. Die Macht wird durch das Machen (und das Gemachte) sozusagen aus­ gehöhlt. Am Theater bekommt der Zuschauer wieder einen festen Boden unter die Füße, indem die Figuren, die er sich anschaut, auch jeweils ihren eigenen Boden haben. So wird vor der Bodenlosigkeit, der Verwüstung, der Kriegszertrümmerung, den endlosen Politikerreden, den langgeschweiften Diskussionen, ein Vorhang hochgezogen.6 5 Elfriede Jelinek, Bambiland/Babel. Zwei Theatertexte, Reinbek 2004, S. 15. 6 Antwort auf die Frage: »In Mediengewittern – die Theater überflüssig?« für das

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Die beschränkte – doch im Hinblick auf die Produktion von Emotionen wirkungsvolle – Rolle des Theaters als Fragensteller und Verunsicherungsanstalt reflektierte Jelinek erneut im Text »Theatergraben« (2005): Wer kennt schon die Welt so gut, daß er sie abbilden könnte? Ich jedenfalls nicht. Sie aber auch nicht, Sie glauben es vielleicht, aber Sie kennen sie nicht. […] Da fügt sich auf der Bühne Fülle zu Gefühlen und Gefühle wieder zurück zur Fülle, die wir in uns hineinstopfen, aber es paßt nie zusammen, weil es aus dem Nichtwissen ins Nicht­ wissen platscht.7 In »Bambiland« werden die Fernsehbilder nicht nur als Auslöser für kriegssatirische Gedankenströme der Erzählstimme benutzt. Die Medienfunktionen werden metaphorisch erhellt und befragt: An unser Haus können Sie den Brand legen, an unsere Götterbilder können Sie auch den Brand legen, aber nicht an unser Öl und nicht an unseren Fernseher, den behalten wir, unsren Altar, der darf nicht spurlos fort, der ist doch die Spur ! Der ist unsre Leuchtspurmunition, damit wir im Dunkeln sehen können. Damit wir auch im Dunkeln sehen, wie einschlägt der Blitz im Strom des feindlichen Heers.8 Jelineks Medienreflexion in »Bambiland« pendelt zwischen sarkastischen, naiven oder brutalen Zuschauerassoziationen und einem grotesk komischen Philosophieren über die Performanz von Wirklichkeit und Fernsehbildern. In ihren medienphilosophischen Tiraden schwingt sich die Erzählstimme auf, inspiriert von Friedrich Nietzsche, angelehnt an Georg Wilhelm Friedrich Hegel sowie Jean Baudrillard und mutiert vom passiven, doch emotional involvierten Kriegszuschauer zum allmächtig aktiven Gott und Waffenpornografen. Der Schluss von »Bambiland« imaginiert einen männlichen Orgasmus als Analogie zur Explosion der phallischen Raketen: So klug sind diese Bomben, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Von denen wollte ich ja noch erzählen. Ich bin richtig neidisch auf sie. Es ist egal, in welcher Form ich als Gott wiederkehre. Meine nächste Theaterbrevier, hrsg. vom Ausschuss für künstlerische Fragen im Bühnenverein, 28.4.2003, hier zitiert nach der Jelinek-Website: http://www.a-e-m-gmbh.com/ wessely/ (letzter Zugriff: 11.07.2011). 7 Elfriede Jelinek: ›Theatergraben – danke, Corinna !‹, zitiert nach Jelineks Website: http://www.a-e-m-gmbh.com/wessely/ (letzter Zugriff: 11.07.2011). 8 Elfriede Jelinek, Bambiland, a.a.O., S. 17. Zur Medienthematisierung vgl. auch: ebd., S. 46 und 68.

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Wiederkehr sollte jedenfalls einen tieferen Eindruck hinter­lassen als die vorige, und die war schon nicht schlecht. Ich bin ja nur ein Mensch, der so etwas erfinden kann, ich bin ja nur Mensch geworden, nein, ich bin trotzdem Gott. […] Es ist unentschieden ausgegangen zwischen Sein und Schein. Beide gleich stark. Gut so. Es gibt eh kein Kriterium für Realität, sage ich einmal so. Es ist alles wahr, was Sie sehen, aber es ist nicht richtig. Das Sein ist immer nur ein Grad von Scheinbarkeit, und der Schein kommt aus diesem Fernsehgerät, welches ich ebenfalls erschaffen habe. Es ist ein praktisches Zusatz­gerät zu all diesen Bomben. War das nicht nett von mir? So können Sie sie wenigstens verfolgen, die Bomben, aber einholen werden Sie sie nicht. Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Sein und Schein, die beide eins sind, auch das habe ich bewirkt, indem ich das Fernsehen erfunden habe, ist aber schon lange her […].Wir stehen auf dem Gipfel der Betrachtung, schauen um uns, sehen, daß das, was ist, Schein ist, sobald es endlich geworden ist, sobald es endlich nichts geworden ist, wieder nichts, und wir wenden uns ab und schauen in uns hinein und aus uns heraus. Wir wissen nichts, wir erfahren nichts, wir irren uns, wir fangen von vorn an, wir täuschen uns, wir täuschen andre, wir sind enttäuscht, daß wir noch nicht gewonnen haben. Aber bald haben wir gewonnen. Bald kaufen wir wieder ein Los, bald sind wir uns los, einer wird uns schon helfen, ich bins nicht, noch nicht, aber bald, aber bald. Aus. Aus. Aus. Na endlich spritzt der ab. Ich hab schon geglaubt, er kommt überhaupt nicht mehr. So. Nun ist auch das erledigt.9 Diese groteske Überblendung heterogener Semantiken (christologische Theologie, Epistemologie und Ontologie, Pornografie etc.) produziert neben der für Jelinek charakteristischen gedanklichen Provokation oder Überforderung des Rezipienten selbstverständlich auch emotionale Effekte. Die Kontraste und Registerwechsel erzeugen – neben möglichen anderen, aversiven Emotionen – durchaus auch positive Emotionen: Überraschung durch ihre freche Kombinatorik, das Interesse an originell assoziierten (mithin: witzigen) Diskurs-Fügungen, den Stolz des Wiedererkennens und Einordnen-Könnens der Diskursbruchstücke. Jelineks Verdichtungstechnik provoziert durch komische Kontraste Lachen und Heiterkeit.10 Damit steht ihr Text in der Tradition der satirischen Kritik und ihrer Mischung aus negativen und positiven Emotionen. 9 Ebd., S. 79 f. Zur Medienreflexion vgl. auch Jelineks Anschlussstück »Babel. Irm sagt«, ebd., S. 90. Sowie die durchgehende Bilder-Reflexion auf die Abu-GhraibFolter-Fotos, in: »Babel. Peter sagt«. 10 Dass der Verfasser keineswegs der Einzige ist, der bei der Lektüre von Jelineks

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Die politisch engagierte Nobelpreisträgerin äußerte allerdings wiederholt ihre Vorbehalte gegen das Lachen. In ihrem Nachruf für Heiner Müller, der sich auf ihrer Website unter der Überschrift »Da gibt’s nichts zu lachen« findet, grenzt sie Komik ab vom unerwünschten Lachen: »Dieser Dichter läßt uns, auch dann, wenn er komisch ist, nichts zu lachen übrig. Was er uns läßt, ist das Aushaltenkönnen«.11 Auch in ihrem »Sportstück« ließ Jelinek ihre Bühnen-Stellvertreterin, Elfi Elektra, über unangebrachtes Lachen klagen. Gegenüber ihrem verfolgten, verrückt gewordenen und verstorbenen Vater beschwert sich Bühnen-Elfi über das aggressive Lachen des Publikums.12 Doch zeitigen surreale und abrupte Verfahren in »Bambiland« – trotz der ernsten Kriegs- und Medienthematik – zweifellos komische Effekte. Jelineks Modus des kri­tischen Besserwissens und Decouvrierens dürfte bei ihrem Publikum (auch) positive Emotionen (wie Stolz, Interesse, Freude) provozieren. Ihr sarkastischer Spott über die vermeintlich gottähnlich perfekten Waffensysteme wirkt witzig, da den Marschflugkörpern anthropomorphe Fähigkeiten und Motivationen unterstellt werden und sie wie ungezogene Kinder bestraft werden sollen. Diese verfremdenden Analogien geben dem grausamen Geschehen einen heiter-verspielten, albernen Touch (der wiederum beunruhigt und irritiert – so vertrackt operiert Jelineks Produktion gemischter Gefühle): Wir zweifeln eher am Gegner als an uns. Der ist nicht dort, wo wir ihn vermutet haben. Kein Wunder, daß die Tomahawks manchmal da­ neben gehen, wenn auch der Gegner woanders ist, als er sein sollte. Logisch. Dabei haben wir die Technik so verbessert ! Das darf doch Kriegsstück lachen musste, belegt etwa die Rezension von Rolf Löchel in »literaturkritik.de« 04/05: »Man sieht die Autorin förmlich vor dem Fernseher sitzen – CNN läuft oder vielleicht auch mal ntv – und mit fliegender Feder schreiben, mal abschweifend, mal reflektierend, dabei stets überlegt, nie sich vom Fluss der Medienereignisse mitreißen lassend, immer literarisch gewitzigt und – witzig. Denn auch angesichts des Krieges verlässt sie ihr Jelinek’scher, gelegentlich kalauernder, aber immer subversiver Witz nicht. Noch bei keinem Text zum Irak-Krieg hat der Rezensent bisher lachen müssen. Hier schon. Und oft. Wenn das Lachen auch nie so recht aus dem Hals herauswollte, den der Krieg bei Jelinek nicht voll kriegt.« Online abruf bar unter: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_ id=7986 (letzter Zugriff: 11.07.2011). 11 Vgl. Fußnote 6, http://a-e-m-gmbh.com/wessely/fhmuller.htm (letzter Zugriff: 3.06.2012) 12 Elfriede Jelinek, Ein Sportstück, Reinbek 2004, S. 186: »Ich gehöre auch längst in so ein Haus wo auch du warst, meinen sie. Ich bin so lächerlich, lächerlich, lächerlich. […] Es ist ihnen Wurst, aber manchmal schauen sie es sich an. Sie lachen! Sie lachen !«

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nicht wahr sein, daß die auf den Markt geflogen ist, diese Idiotin ! Stundenlang haben wir ihr die Landkarte eingebläut, und jetzt fliegt sie auf den Markt ! Was wollte sie einkaufen, die liebe Tomahawk? Wollte vielleicht auch was essen? Viel haben sie ja nicht mehr zu bieten auf ihrem Markt. Was fliegt die eigens dorthin? Wenn man bedenkt, daß jedes dieser Geschosse intelligenter ist als ein Mensch, kann man da nur staunen. Etwa fünf von ihnen sind schon sinnlos in der saudischen Wüste niedergegangen und wissen bis heute nicht warum und sind bis heute nicht explodiert. Diese Flugroute ist aber ab sofort gestrichen. Ohne Strafe können wir das den Geschossen nicht durchgehen lassen. Die machen das doch sonst immer wieder. Die dürfen jetzt dort nicht mehr fliegen und aus. Was höre ich? Drei sogar in der Osttürkei niedergegangen? Also Touristen haben sie dort sicher nicht absetzen wollen, die Deppen. Also da hört sich ja alles auf. Der Krieg aber nicht. Der kriegt nicht genug. Der nicht. Nein, der nicht. Der kriegt den Hals nicht voll, der kriegt den Arsch jetzt voll.13 Diese spezifisch Jelinek’sche Methode aus Sprachspielerei, Infantilrhetorik, Medienkritik und emotional ambivalenter, sarkastischer Komik, bei der das Lachen stockt und sich Heiterkeit, Trauer und Ärger/Wut ver­ mischen, verdeutlicht am besten ein weiteres Zitat aus »Bambiland«. Hier werden das verhängnisvolle Scheitern amerikanischer high-techWaffen und die Rolle der Medien dargestellt und emotional moduliert. Zwischen explizit erwähntem Ernst und Schrecken und der implizit durch Privatassoziationen und Begehrlichkeiten angespielten Frivolität und Komik spielt der Text, der Fernsehbilder und Aischylos überblendet, auf der Klaviatur der Gefühle (der Leser/Zuschauer): Taktische Flugkörper, die marschieren. Müssen selber gehen, die Ärm­ sten. Man hat ihnen gesagt, daß die angestrebte Positionsgenauigkeit 5 Meter betragen muß, unter weniger günstigen Voraussetzungen zu Ungenauigkeiten von bis zu 300 Metern führen darf, ich sage ausdrücklich darf, nicht soll, und ungünstigstenfalls, aber das tritt ja nie ein, ungünstigstenfalls, z. B. bei gestörtem oder ausgefallenem Satel­ litenempfang, bliebe die Drift der Trägheitsnavigation vollkommen unkorrigiert, au weia. Ihnen fehlt wirklich jeder Ernst, nachdem Sie das gehört haben, oder der Ernst dämmert Ihnen jetzt erst, im Gegensatz zu denen, die sie abgeschossen haben und das alles jetzt bereits wissen. Die spielen sich mit ihrer eigenen Flugbahn, die wir program13 Elfriede Jelinek, Bambiland, a.a.O., S. 30 f. Zur schwarz-komischen und grausamen Groteske vgl. auch ebd., S. 34.

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miert haben, diese Tomahawks. Die haben eine Nahkampfsperre. Daher werden sie auch programmiert. Damit sie von uns weglaufen und woanders einschlagen. […] Wie wird mit einem Schlag zugrund gerichtet all dein Glück, der Männer Blüte fallend fortgerafft. So viele Männer einfach verschwendet ! Ich hätte den einen oder andren sicher noch brauchen können. Mein Garten hätte es verdient, meine Wände, die ausgemalt gehören, hätten es auch verdient. Mein Bett hätte auch was Besseres verdient als mich allein. Weh mir, wie leidvoll, erster Bote sein des Leids! Und so weiter und so fort. Niemand hat so etwas Schreckliches je gesehen, deswegen sehe auch ich es jetzt nicht, und niemand andrer wird es auch nicht sehen und aus. Doch nein, halt ! Eine ist da! Gleichwohl tuts not, ganz enthüllen, was uns und sie traf: die Presse! Ganz zugrunde geht der Barbaren Heer, und die Kamera erfaßt es. Wir fassen es nicht, doch die Kamera faßt es. Sie erfaßt es ­sogar schneller als wir, was da geschieht. Obwohl fast zuviel geschieht, auch wenn der Vorstoß jetzt stockt. // Wies wohl ergeht dem Bush, unserem Herrn? Danke, gut. Das, was ich hier finde, kann nicht Ihr Ernst sein, das muß was andres sein. Der Ernst fehlt mir irgendwie noch immer.  Wo ist der jetzt hingekommen? Du lastend, lastendes Leid, hast du den Ernst mitgenommen? Du müßtest ihn ja eigentlich gebracht haben, oder? Also sag schon, wo ist sie, des Kummers Kunde? Des Konzerns Kunden? Ja, alles ist dort draußen völlig abgetan, na ja, noch nicht ganz, aber bald. Und wir sind jetzt Kunden. Wir alle Kunden.14 Während die Zuschauerin der televisionären Kriegsberichterstattung (und dadurch auch der Jelinek-Rezipient) zwischen Leid und Kummer und fehlendem Ernst taumelt, zeigt oder inszeniert ihre Vorlage – das Kriegs-TV – auch einen Krieg zwischen Emotionsregimen. Der Beginn von »Bambiland« kommentiert den Einzug der siegreichen Koalitionstruppen in Bagdad und die Verteilung von Nahrungsmitteln als Kampf um Sympathien. Doch wird daraus ein neuer Gewaltkonflikt von agonalen Gefühlen: Wie können wir nach alldem wieder gut werden mit dem Babyloniervolk? […] Pakete mit Nahrung, los ihr, runter von den Wagen, etwas schneller bitte, sonst schlagen, nicht mehr benetzt vom Wasser,  die Städter der erwählten Schar des Herrn noch die Schädel ein und damit eine ganze Welt der Gefühle, wie nur wir nur wir im Westen sie kennen, und eine Welle des Hasses, wie nur die dort sie kennen. Auch wir 14 Ebd., S. 43. Zu weiteren Medienreflexionen vgl. S. 52, 59 f.

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haben Durst, jawohl, aber wir hassen wenigstens nicht, jawohl, doch wir haben auch Gefühle dazu. Die äußern wir wenigstens nicht. Wir sind nicht total gefühllos, und wo führen wir sie hin, die Gefühle? Wo kommen sie her, wo gehen sie hin? Wo führen sie uns hin? Zur Befreiung des Volks führn sie uns hin. Was führen die sich dann so auf ? Wollen nicht frei sein?15 In komplexen Verschränkungen sinniert die (immer wieder als delirant und unzuverlässig diskreditierte) Erzählstimme über gegensätzliche Kulturen des Gefühlsausdrucks, über gewaltsam umstrittene Werte (Freiheit) und über die Abgründe medialer Repräsentationen des Krieges. So kommentiert sie die Besatzung des Iraks und Versuche zur Eroberung der Sympathien, die vom Fernsehen weltweit übertragen werden. Bereits die Exposition von »Bambiland« widmet sich also der Frage nach den eigenen und fremden Emotionen. Die Zuschauerin/Erzählerin grübelt über die rätselhaften Gefühle der besiegten oder befreiten Iraker, die sie mit dem – vermeintlich – universalkritischen Habitus des Westens konfrontiert: Also das geht mir immer noch nicht aus dem Kopf: Die Gefühle sind jetzt wirklich alle tot, echt alle? Weil Sie soviel Entsetzliches und soviel Leid erblicken mußten oder was oder warum? Alle? Sie hätten welche gehabt, und die andren haben überhaupt keine? Das gibts doch nicht ! Nein, das glaub ich nicht, sie leben doch noch, nein, doch nicht. Die sind tot, da gibts nichts. Vielleicht kennen sie gar kein einziges von den Gefühlen persönlich. Wo sie doch an Gott glauben. Das genügt ihnen aber nicht. Sie wollen das Vaterland befreien. Können sie aber nicht, denn nur wir halten dem Verführer, der uns nur aufhalten würde, stand und stellen die Religion in Frage und die Steine stellen wir in Frage und den Sand stellen wir in Frage und das Wasser stellen wir in Frage, nur wir kennen Gott und haben erkannt, wir wollen ihn nicht, wir Verführer von niemand, wir Verführer des Bildes allein. Wenn wir ins Haus gekommen, dann drehn wir das Bild sofort auf. Das muß funktionieren. Und es funktioniert auch. Sofort. Nie spurlos fort unserer Gottheit Bilder, die wir dort sehn, die nur wir dort sehn auf dem leuchtenden Schirm. So, wir entfernen dieses Volk vom Glauben, geben ihm dafür endlich unser Bild und aus.  […] Sie kennen keinen, sie lieben keinen, aber den Gott, den kennen sie. Gefühle kennen sie nicht, aber einen Gott, den kennen sie angeblich.16 15 Ebd., S. 16 f. 16 Ebd., S. 18 f.

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Bilderverbot versus Omnipräsenz der Fernsehbilder, Unterschiede des Glaubens, der Aufklärungs- und Persönlichkeitskulturen wie der Gefühlskulturen, so reflektiert Jelineks Collage die medialen Zuspitzungen dieses als Kultur-Konflikt formatierten Krieges. Die beim Namen genannten amerikanischen Oberbefehlshaber George W. Bush und Dick Cheney werden von ihr nicht nur als ökonomisch interessierte Kriegsprofiteure vorgeführt, sondern auch als emotional motivierte Täter: Haben Sie gehört den Namen der Firma Halliburton und den Namen Cheney, den heiligen Herrn, den Sproß von ich weiß nicht was oder wem, gewiß von einer Mutter, und seither kämpft er gegen die zahl­ reichen weichen Gefühle. Dick Cheney. Aber seine Gefühle werden nicht gewinnen. Es wird gewinnen Halliburton, die Firma, sogar Käfige auf Kuba kann sie bauen, na, das würde sogar ich notfalls noch schaffen.17 Der Zusammenhang von ökonomischen und religiösen Kriegsgründen wird in »Bambiland« so komisch wie ideologiekritisch decouvrierend ausgestellt. Dabei wird auf die mediale Produktion von Emotionen durchs Fernsehen hingewiesen. Freilich geschieht dies, ohne dass der Jelinek-Leser in eine stabile emotionale Rezeptionslage versetzt würde. Im Gegensatz zum Fernsehen, das Orientierung zu geben verspricht und Gefühle produziert, die zwar relativ klar doch moralisch falsch sind, besteht die Wirkungsweise von Jelineks Mediendiskurs-Dekonstruktionen eher in Gefühlsverwirrung und Desorientierung ihres Publikums: Wir kommen im Namen unseres Gottes. Wir haben unseren eigenen, das ist doch klar.  Drum wohnt mir Sorge, mehrfach, unaussprechlich, im Gemüt: Wissen die Beteiligten, sämtliche Beteiligten, denn nicht, was sowas [es geht um Raketen, B. B.] kostet? […] ich sehe nur, daß GPS billiger ist als TERCOM, deswegen nehmen es ja die Franzosen. Beim Essen sparen sie nicht, aber beim Leitsystem sparen sie. Typisch. Das Programmieren von TERCOM scheint teurer zu sein, teurer als im Traum mir meine Liebsten oder mein Kind, während anderswo Kind um Kind wird genommen. Die wissen ja nicht, was gut ist. Das Beste sind die Kinder. Die nehmen wir zuerst. […] Ehrlich, ich glaube, dem Kind ist das schon über, in jedem Krieg muß es herhalten, in jedem Krieg wird es hergehalten, in jedem Krieg wird es in die Kameras gehalten, nein, nicht immer dasselbe Kind, Idiot, jedesmal ein andres Kind, aber das Kind, das universelle Kind muß immer herhalten, 17 Ebd., S. 20.

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­ amit wir ein Gefühl aus uns pressen können, denn wir sind eine d ­extreme Natur und härter als Oliven, wenn man was aus uns herauspressen möchte. Spenden, das tun wir. Aber herauspressen lassen wir uns Gefühle nur von einem Kind, und zwar von diesem hier, von dem nicht mehr viel übrig ist. Das ganze Blut. Wir nehmen es auf.18 III. Falk Richters Kriegsmedienarbeiter am Rande des Nervenzusammenbruchs Falk Richter hat von 2000 bis 2004 vier Kriegs-Medien-Stücke verfasst und inszeniert, die auch an anderen Bühnen nachgespielt wurden: »Peace«, ein Drama über Medienarbeiter im Krieg. »Sieben Sekunden«, der Bewusstseinsstrom eines abstürzenden amerikanischen Bomberbiloten, der am Ende als Medienproduktion enthüllt wird, die freilich nicht genug berührt und wegen dieser emotionalen Defizite wohl nicht realisiert wird.19 »Hotel Palestine«, eine US-Militär-Pressekonferenz über Widersprüche ihrer Kriegsführung.20 Und schließlich »Krieg der Bilder«, die Fortsetzung von »Peace«, wieder über Medienmenschen im Krieg.21 Alle Stücke inszenieren, besonders in ihren Schlussbildern, gewissermaßen als Fazit, die emotionale Leere und Desorientierung der dargestellten Medienarbeiter angesichts des medial-ökonomisch-kriegerischen Verbundsystems, in das sie ökonomisch, persönlich und emotional verwickelt sind. Mitgefühl ist diesen Beobachter-Tätern kaum mehr möglich. Doch leiden sie, durchaus theatralisch-hysterisch, an diesem gefühlten Empathieverlust. Falk Richters Theater zeigt die apathische Erschöpfung der involvierten Kriegsvermittler und implizit wohl auch: der Zuschauer.22 Als Setting wählt Richter in »Peace« und in »Krieg der Bilder« eine WG von Medienjobbern:

18 Ebd., S. 52 f. Zur Emotionsopposition im Krieg vgl. auch ebd., S. 20 f., 34, 65 f., 76. 19 Falk Richter, Sieben Sekunden, in: Ders., Unter Eis. Stücke, Frankfurt am Main 2005, S. 349-370. Zur Bilder- und Medienreflexion und den Emotionsbezügen vgl. besonders ebd., S. 351, 359, 366, 370. 20 Falk Richter, Das System, 5. Hotel Palestine (in Unter Eis. Stücke, a.a.O., nur in Auszügen publiziert, den kompletten Text gibt es beim Verlag). 21 »Krieg der Bilder« ist Teil von Richters Großprojekt »Das System«, in: Falk Richter, Unter Eis, a.a.O., S. 371-433, besonders 421 ff. 22 Zur Verwicklung und emotionalen Verwirrung der Medienleute im Krieg vgl. Falk Richter, Peace, in: Unter Eis, a.a.O., S. 258, 263, 268, 303f, 31 f.

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Diese Durchgangswohnung mit ihren Insassen ist ein perfekt funk­ tionierendes System: STEFAN [Fotograph] bringt den neuen Stoff aus den Krisenregionen mit, WOLFGANG schreibt darüber, MARCO und LAURA verarbeiten die Fotos weiter – jeder auf unterschiedliche Weise, Kunst oder Design –, Tim nimmt MARCOS neue Kunstwerke mit auf irgendwelche Events, die er gerade zusammen mit Laura organisiert hat, MARCO filmt MARC ab, Wolfgang schreibt über moderne 23 Lebensformen wie MARC. �� Richters jetsettende Medienmeute versucht, ihre unverstandenen Emo­ tionen zu verdrängen oder sie zumindest im Griff zu behalten. Die Kriegsbilder sind für sie alle zuerst Waren; sie dienen dem Lebensunterhalt. Wenn der Künstler der Reporterin für seine Arbeit das Bild eines erfrorenen Säuglings klaut, gibt es in »Peace« Streit um Haltungen und um Verwicklungen: MARCO: Für Euch ist das doch nur Porno / Ich setz das wenigstens

in  Zusammenhänge / Ihr holt euch da nur einen drauf runter / und kassiert ab. LAURA: Und du kassierst nicht ab oder was […]. Wenn du uns nicht hättest gäbs dich gar nicht / Was wär denn drauf auf deinen Videos wenns uns nicht gäb […] Du filmst unser Material einfach nochmal ab stellst das in irgendwelche leeren Hallen und kassierst ab wie blöde. MARCO: Was fühlst n eigentlich wenn du das siehst? 24 Die Medien sind im Krieg nicht nur Kunden, die bestimmte Formatierungen wünschen und für bestellte Gewalt-Bilder bezahlen, »›3000 Dollars für 700 childs‹ ganz guter Stückpreis«, heißt es in »Peace«.25 Medien sind durch ihre Berichterstattung zugleich Akteure, vielleicht sogar – wie schon bei Karl Kraus – geradezu Kriegsursachen: … überall noch Heckenschützen, die dann auf uns gezielt haben, die haben uns ja gehasst, total, ja, in deren Augen waren wir ja verantwortlich für den Krieg, wir haben ja immer die Flüchtlinge abgefilmt, und das lief ja stundenlang, dieses Leid, diese schreienden, heulenden Menschen, diese vergewaltigten Frauen, mit den erfrorenen Kindern auf dem Arm, diese Flüchtlingstrecks ohne Männer […] deshalb wurde ja dann überhaupt dieser Krieg geführt, wir hatten den ja vorbereitet mit unserer Kamera, die hassten uns, wir waren deren eigentliche Feinde: 23 Ebd., S. 233. 24 Ebd., S. 271 f. Alle Kriegsdramen Richters rufen das maximal emotionalisierende Thema unschuldig leidender Kinder auf. 25 Ebd. S. 299.

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Jamie Shea war der Feind, nicht Bill Clinton, und die STERN Reporter wollten natürlich wieder die Ersten sein, und die wurden dann auch einfach abgeknallt[.]26 Den Schluss von »Krieg der Bilder«, vermutlich Richters programma­ tisches und selbstreflexives Statement zu seinem Erfolgsthema, den Emotionen und Verwicklungen der Medien-Kriegs-Arbeiter, bilden die Überforderungs-Bekenntnisse seiner Kriegsvermittler: TOM [auf der ›Doku-Ebene‹ eines Filmprojekts, B. B.]: …Wer Krieg

führt, tritt unkontrollierbare Prozesse los, und der gesamte Medien­ apparat dient dazu, mit starken Bildern zu suggerieren, dass wir alles unter Kontrolle hätten, während wir gerade mit voller Kraft auf eine Katastrophe zurasen. Ich glaube, in dem Moment, wo wir den Krieg zulassen, führt der Krieg uns, nicht wir den Krieg. TIM: Alles bricht zusammen, ich habe keinen anhaltspunkt mehr, wie ich die ereignisse zusammendenken soll, ich bin zu schlecht informiert, ich weiß zu wenig, ich rase gemeinsam mit den ständig wechselnden ereignissen auf irgendetwas zu, aber ich weiß nicht, was, es wird immer schneller, kann erfolg explodieren?27 Dieser Monolog TIMs löst sich zunehmend auf in Stammeln und suggeriert Panik; sein Akku ist leer, er weiß nicht mehr, wo er ist, seine Verwirrung scheint total. Als Stückschluss dient ein Zitat, »aus einem Buch«,28 das Orientierung über die systematische Desorientierung verbürgt: TOM zitiert aus einem Buch ›wir sehen seit geraumer Zeit Menschen beim Verrücktwerden zu. Wir sehen uns selber beim Verrücktwerden zu‹ … und hier ja warte mal: ›Es geht um drei komplexe Systeme, die miteinander ein weiteres meta-komplexes System ergeben: die Medien, der Krieg und der politisch-ökonomische Zusammenhang.‹ Man kann diese Systeme weder hinreichend beschreiben, noch kann man sie ›kontrollieren‹, die sind in etwa so kontrollierbar wie das Weltall oder die Genforschung, wir haben sie angeschoben, jetzt existieren sie im Grunde ohne unsere Steuerung.29 26 Ebd. 27 Falk Richter, Krieg der Bilder, a.a.O., S. 429. 28 Dass es ein Buch ist, das in diesem Medien-Drama Orientierung und Überblick im Mediengewitter der Kriege bietet, freut und beruhigt den Literaturwissenschaftler natürlich, dessen Disziplin und Leitmedium nicht selten für obsolet oder anachronistisch erachtet werden. 29 Falk Richter, Krieg der Bilder, a.a.O., S. 432.

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Richters Bühnenfigur zitiert die These des 2002 publizierten Buches von Georg Seeßlen und Markus Metz, das denselben Titel trägt wie Richters Stück: »Krieg der Bilder – Bilder des Krieges«.30 IV. Schluss: Perspektiven und Zuschaueremotionen im zeitgenössischen Kriegsdrama Während sich die Erzählstimme in Jelineks »Bambiland« am Ende ironisch und delirierend zum allmächtigen Gott fantasiert, zeigt Richter am Ende seiner Kriegs-Texte regelmäßig ohnmächtige und verzweifelte Medienarbeiter, die den Überblick über den Krieg und die Kontrolle über ihr Leben und ihre Arbeit verloren haben. Karl Kraus mit seinem Leitmotiv der Stimmungsberichte und der medialen Stimmungsmacherei und Richter repräsentieren systematisch die Produktion von Emotionen – respektive von Apathie – im MedienKrieg. Jelinek dreht die Schraube durch ihre vorm TV assoziierende Erzählerin und ihr grotesk collagierendes Schreibverfahren noch einmal weiter. Ihre ironisch-sarkastische Perspektive ist die einer verwirrten TVZuschauerin, in deren Kopf die medial formatierten Emotionen, speziell Mitgefühl und Abscheu, verrücktspielen – etwa indem ihre Empathie den Waffensystemen gilt. Bei Richter und Jelinek kommt das Theater übrigens in den dargestellten Kriegs-Mediendispositiven nicht vor; der Ort und das Medium der eigenen Arbeit bleiben blinde Flecke. Karl Kraus war da schon theater­ kritischer. In den »Letzten Tagen der Menschheit« wurden Operette und Theater (das Stück »Husarenblut«, berühmte Schauspieler als Passanten oder Propagandafiguren) als involvierte Teile des Kriegsalltags vorgeführt. Während Kraus’ »Die letzten Tage der Menschheit« noch eine ­geradezu panoptisch informierte Übersicht über alle möglichen Schauplätze und Scheußlichkeiten des Krieges behaupteten kommt bei Jelinek und Richter jeglicher Durchblick durch den Medienschirm auf reale ­Ereignisse abhanden. Diese Absentierung der Kriegswirklichkeit durch 30 Georg Seeßlen/Markus Metz, Krieg der Bilder – Bilder des Krieges, Berlin 2002, S. 67: »Der entscheidende Punkt aber ist, daß die Bildermaschinen in komplexe Systeme übergegangen sind, die von niemandem mehr zu steuern sind, und letztlich auch von niemandem mehr wirklich verstanden werden. In der Situation, in der wir uns befinden, überlagern sich mehrere komplexe Systeme, der globa­ lisierte Markt, die deregulierten Bildermaschinen und der unstrukturierte, sich immer wieder neu im Wesen und in seinen Zielen definierende ›Krieg gegen den Terror‹. Angesichts solcher metakomplexer Systeme erscheint es beinahe schon zynisch, von ›moralischer Gewißheit‹ zu sprechen.«

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Medien wird von beiden mit ganz unterschiedlichen dramatischen oder postdramatischen Bühnenmitteln vorgeführt. Entsprechend unterschiedlich gerät dann auch ihre emotionale Adressierung des Publikums: Mit Richters Medienarbeitern kann man mitfühlen wie auch mit den Opfern ihrer Kriegsgeschichten. Jelineks Sarkasmus provoziert neben Lachen ein polymorphes, kaum fixierbares Gefühlsgewitter, das vermutlich gleichermaßen den idiosynkratischen Gefühls-, Wissens- und Ideologielagen der individuellen Rezipienten wie der betont ambivalenten und offenen Textstruktur Jelineks zuzurechnen ist. Die österreichische Cassandra ­stiftet eine postbabelsche Gefühlsverwirrung. Das hat sie absichtlich gemacht – vermutlich als ihre Antwort und als Strafe für den bedrohlichen Fernsehkrieg. Jelineks verwirrender Text, der kaum zu Identifikationen und kaum zu klaren Gefühlen des Zuschauers einlädt, antwortet mit dieser Wirkungsweise und emotionalen Faktur vermutlich auch auf ein Dilemma nahezu jeglicher Kriegsdramatik, das man gerade an den Erzählweisen und Per­ spektivierungen von Kriegsfilmen, die sich als Antikriegsfilme verstehen, beobachten kann: Durch Blickwinkel, Erzählperspektiven (und a fortiori: durch Kameraeinstellungen) wird der Zuschauer zu Parteinahmen, zu Identifikationen mit einer Seite motiviert. Der Zuschauer noch dieser Antikriegsfilme wird gewissermaßen emotionale Kriegspartei, investiert seine Furcht und Hoffnung in die eine oder andere Partei. Eine solche emotional orientierende und damit schnell auch sinn­ stiftende Beobachtungsperspektive des Kriegs unterläuft Jelineks anspruchsvolle, zugleich regelmäßig den Nonsens streifende Darstellungsweise. Ihre Kriegsbilder suggerieren keine eindeutigen Gefühle; ihre Kriegsbewusstseinsströme stiften keinen Sinn; ihre Kalauer zerreden und zerdenken mediale, politische oder moralische Sinngebungsnarrative. »Bambiland« entzieht sich damit der emotionalen, parteischaffenden Rhetorik des Krieges. Allerdings geschieht dies um den Preis einer irritierenden Ambivalenz: zwischen Ernst und Unernst, zwischen Ärger und Lachen, zwischen Ideologiekritik und verzweifelter Ratlosigkeit sieht sich der Leser/Zuschauer (s)einem Assoziationsstrom und Gefühlsmix ausgesetzt.

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Andrea Schütte

Krieg und Slapstick Kontrolle und Kontrollverlust in der literarischen Darstellung des Bosnienkrieges Wann begann der Krieg in Jugoslawien? Offiziell war es am 27.06.1991, zwei Tage nach der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens und Slo­we­ niens, mit den Kämpfen zwischen slowenischer Territorialverteidigung und slowenischer Polizei auf der einen und der jugoslawischen Volks­ armee auf der anderen Seite (dem sogenannten Zehn-Tage-Krieg). Genauso offiziell wird der Kriegsbeginn durch die Angaben auf einem Denkmal neben dem Maksimir-Stadion in Zagreb auf ein Jahr vorher verlegt: »Allen Fans von Dinamo, für die der Krieg am 13.V.1990 im Maksimir-Stadion begonnen hat und mit der Hingabe am Altar der Heimat Kroatien endete – BBB, Zagreb, 13.V.1994«.1 An diesem Tag sollte das Meisterschaftsspiel Dinamo Zagreb gegen Roter Stern Belgrad in Zagreb ausgetragen werden, doch zwischen den fanatischen Fangruppen beider Mannschaften kam es zu extremen Ausschreitungen, so dass das Spiel gar nicht erst angepfiffen werden konnte. Nationalistische (Sprech-)Gesänge und diffamierende Parolen hatte es schon lange vorher in den jugo­ slawischen Stadien gegeben, war der fußballerische Wettkampf doch die Möglichkeit für segregierende nationalistische Bestrebungen, die das gesellschaftliche Leben im kommunistischen Jugoslawien nicht erlaubte. Stadien wurden zu politischen Bühnen. So verwundert es nicht, wenn BBB (Bad Blue Boys), die Fangruppe von Dinamo Zagreb, den Beginn der Jugoslawienkriege ins Stadion verlegt. Der sogenannte »Krieg der Tribünen«2 ist nicht nur Vorbote der Kriege, sondern wird mit ihnen in eins gesetzt. Das Fußballstadion ist das Schlachtfeld. Extremistische Fans waren oft die ersten Freiwilligen, die sich wenig später zur nationalen Verteidigung meldeten und mit Symbolen ihrer Fußballvereine ausgerüstet an der Front kämpften. In diesen Kontext der Überschneidung, ja sogar Identifikation von Fußball und Krieg siedelt Saša Stanišić seine Darstellung des Bosnienkriegs an. Der in Deutschland lebende bosnische Autor beschreibt in 1 Online abruf bar unter: www.ballesterer.at/index.php?art_id=353 (letzter Zugriff: 31.08.2011). 2 Für den Hinweis auf den »Krieg der Tribünen« danke ich Jürgen Brokoff.

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s­ einem Roman das Leben vor, während und nach dem Bosnienkrieg 1992-1995 aus der Perspektive seines Protagonisten Aleksandar, der – ca. 14-jährig – zum Ende des Krieges mit seiner Familie nach Deutschland flieht, hier weiter aufwächst, aber in ständiger Erinnerung an seine Heimat Bosnien lebt. Der Roman spielt in Višegrad, einer bosnischen Stadt unweit der Grenze zu Serbien. Die ethnischen Auseinandersetzungen zwischen bosnischen Serben und Bosniaken, die sowohl die historische wie die literarische Situation bestimmen, sind im Roman in einem Kapitel besonders eindrücklich, in dem der Autor ein Fußballspiel zwischen An­gehörigen beider Ethnien während ihres Stellungskrieges beschreibt.3 Das Feld zwischen ihren Schützengräben wird zum Fußballfeld, dessen ­Seitenlinien von in den Boden gerammten Waffen markiert werden. Tore werden aus den Grenzzäunen zweier Karrenwege impro­visiert, die der eigentliche Kriegsgegenstand sind. Fußballspiel und Stellungskrieg, die sich eigentlich abwechseln, gehen auch semantisch derart ineinander über, dass sowohl für Protagonisten wie für Rezipienten das eine kaum mehr vom anderen getrennt werden kann: Die Ausdrücke ›Schütze‹, ›Angriff‹, ›Verteidigung‹, ›stürmen‹, ›schießen‹, ›treffen‹ und schließlich ›Kugel‹ deuten dies in ihrer Doppeldeutigkeit an. Wenn Kriegsszene und Spielszene zum Auftakt des Geschehens auch noch sechs Minuten voneinander getrennt sind, so schieben sie sich doch aufgrund ihrer teilweise gemeinsamen Semantik bereits in den ersten Sätzen des Kapitels in eins: Um 14.22 Uhr funkten sie den Waffenstillstand in den Schützen­ graben der Territorialen Verteidigung. Den dritten in diesem Monat. Um 14.28 Uhr schoss vom nördlichen Waldrand, aus dem serbischen Graben, der Ball im hohen Bogen auf die Lichtung, die auf etwa zweihundert Metern die Stellungen trennte, setzte zwei Mal auf und rollte zu den beiden zusammengeschossenen Tannen, die schon in den letzten Kriegsauszeiten als Pfosten gedient hatten. Der Befehlshabende der Territorialen […] hechtete aus dem Stand auf den Grabenrand, […] lief dann einige Meter in Richtung Ball, zu der Stelle, wo Ćora ausgestreckt lag mit einem Riesenloch im Kopf.4 Die Gleichsetzung von Fußballfeld und Schlachtfeld, die der historische Vorfall im Maksimir-Stadion erzeugt hat, erhält hier eine andere Lese3 Es handelt sich hierbei um das Kapitel »Was hinter Gottes Füßen gespielt wird, wofür sich Kiko die Zigarette aufhebt, wo Hollywood liegt und wie Mikimaus zu antworten lernt«, in: Saša Stanišić, Wie der Soldat das Grammofon repariert, München 2006, S. 234-255. 4 Ebd., S. 234.

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richtung: Das Schlachtfeld ist das Fußballfeld. Doch während der »Krieg der Tribünen« eine heroische, pathetische Stimmung erzeugt (»Hingabe ihres Lebens am Altar der Heimat«5), ist die Stimmung im beschriebenen Romankapitel zwiespältig: Neben und sogar bei der Schilderung grauenvoller Szenen gibt es einen Ton, der komische und vulgäre Elemente hat und so mitunter eine groteske Atmosphäre zu erzeugen vermag. Diese Gegenläufigkeit zeigt sich in fast allen Absätzen: »kugelscharfe« Schüsse werden von der »Hoffnung auf Wiederkehr von […] Schnaps«6 begleitet, »zwei Handgranaten« von »eine[r] angebrochene[n] Konserve Wurst­ aufstrich«7, die dem Bosniaken Meho wohl später zum Ersatz für ein Waschbassin wird, nachdem er sich bei der Ballsuche im verminten Gelände vor Angst in die Hosen gemacht hatte: Mein Gott, wie viel Mist hier herumliegt ! Es müsste mal ordentlich aufgeräumt werden, wie leben wir hier überhaupt? Er zog die Augenbrauen zusammen und sah sich im zugemüllten Graben um, als würde er ihn zum ersten Mal betreten. Direkt vor ihm lag eine leere Konserve Wurstaufstrich, sie war so sauber geleckt, dass sich keine einzige Fliege für sie interessierte. Er lupfte sie aus dem Graben. Mit Wasser aus einem weißen Plastikkanister wusch er sich ausführlich, spülte seinen Arsch aus und schrubbte mit dem sauberen Hosenbein die Innenseite seines Oberschenkels ab.8 Es wird geschossen und geschissen, man rennt und flennt,9 und die ­Helden erscheinen oft als kleine Jungen, die unbedarft und naiv im doppelten Sinne des Wortes ›bolzen‹, für ihr Leben gern und um ihr Leben, wie sich in der doppelten Schussgewalt des riesig großen Serben Milan, genannt Mikimaus, zeigt. Er ist es, der den Bosniaken Ćora mit einem Kopfschuss getötet hat,10 und zugleich ist er es, der seine Freude am Spiel am leidenschaftlichsten kundtut: Nach jedem Schuss entlud der seine ganze Kraft und Freude in einem Schrei, der musikalisch zwischen dem Brunstruf eines Stieres und dem Bremsgeräusch eines Fünfundzwanzigtonners mit Anhänger auf steil abschüssiger Straße lag […].11 5 6 7 8 9 10 11

Siehe Fußnote 1. Ebd., S. 236. Ebd., S. 235. Ebd., S. 244. Ebd., S. 245. Ebd., S. 239. Ebd., S. 236.

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Die Kopplung von Furchtbarem und Lächerlichem hat eine lange literarische Tradition,12 ebenso deren Funktionsbestimmung durch die Literaturwissenschaft.13 Bezeichnend an Stanišićs tragikomischer Darstellung des Bosnienkrieges ist allerdings, dass das Furchtbare und das Lächer­ liche, Krieg und Komik, nicht als distinkte Einheiten derart einander gegenübergestellt werden, dass sie einander in kritischer Absicht aushebeln, also in gewisser Hinsicht als antagonistische Prinzipien verstanden werden. Krieg und Komik werden hier vielmehr als zueinander gehörendes Begriffspaar konzipiert, das eine das andere komplementierend zum einen, um der Vielschichtigkeit des Darstellungsgegenstands gerecht zu werden, und zum anderen, um die Darstellung selbst möglichst vielschichtig zu machen. Die Kopplung beider Begriffe, der eine eher den Darstellungsgegenstand, der andere den Darstellungsmodus betreffend, 12 Für die Kopplung von Ares, dem Kriegsgott, mit Dionysos, dem Gott des Rausches, der orgiastischen Unordnung und des befreienden Lachens, gibt es schon im 6. Jahrhundert v. Chr. Belege (vgl. das Vorwort von Hans-Jürgen Horn und Hartmut Laufhütte, in: Dies. (Hrsg.), Ares und Dionysos. Das Furchtbare und das Lächerliche in der europäischen Literatur, Heidelberg 1981, S. 7-12. Siehe auch Hans-Jürgen Horn, Ares und Dionysos. Vom Aufbruch einer antiken Fragestellung, in: Ebd., S. 13-25. Horn bezieht sich v. a. auf Platons Dialog »Philebos«, den »wohl ersten Versuch wissenschaftlicher Analyse der Beziehung von Furchtbarem und Lächerlichem«, ebd., S. 15). Sie zieht sich durch die Geschichte der literarischen und später filmischen Medien und findet ihre literarischen ­Höhepunkte in der kritischen Darstellung des miles gloriosus in der römischen Komödie, dem Maulhelden des Spätmittelalters, Carlo Goldonis Kriegskomödie »La guerra« in der Aufklärung, der Militärgroteske im Expressionismus, in den Militärsatiren von Jaroslav Hašek und Bertolt Brecht in der Figur des Schwejk, filmisch in Chaplins »The Great Dictator« (1940), in den Antikriegssatiren seit den 60er- und 70er-Jahren, in Emir Kustu­ricas »Underground« (1995) – um nur einige Beispiele aus einer Fülle von Darstellungen zu nennen. 13 Das Lächerliche wird als »Korrektiv des Furchtbaren« (Horst Meixner, Vom ­Major Tellheim zum braven Soldaten Schwejk, in: Hans-Jürgen Horn/Hartmut Laufhütte, Ares und Dionysos, a.a.O., S. 149-157, hier S. 157) gesehen, im Lächerlichen und Furchtbaren werden in Anlehnung an Platon »dieselben Struktur­ elemente« in Form von Selbsttäuschung und Selbstüberschätzung erkannt (HansJürgen Horn, Ares und Dionysos, a.a.O., S. 16), das Lächerliche wird in Bezug auf die Groteske als Steigerung des Furchtbaren mittels Schockwirkung verstanden (Jürgen Landwehr, Der Krieg als Darstellungsvehikel und seine groteske Entlarvung, in: Hans-Jürgen Horn/Hartmut Laufhütte, Ares und Dionysos, a.a.O., S. 259-275, hier S. 272), oder aber man kommt zu dem Ergebnis, dass beide, das Lächerliche und das Furchtbare, als Darstellungsmittel angesichts von Absurdität und Grauen der realen Welt versagen (Horst Meixner, Vom Major Tellheim zum braven Soldaten Schwejk, a.a.O., S. 157).

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gelingt, insofern sich beide wesentlich auf ein Begriffspaar beziehen, ­dessen Gegenläufigkeit sie ausbuchstabieren: Kontrolle und Kontroll­ verlust. 1. Präzisierende Ungenauigkeit: Krieg (Fußball) als Darstellungsgegenstand Bekannt ist die chauvinistische These, die die ästhetische Leistung des Krieges in dessen Präzisionsfähigkeit sieht. Jürgen Landwehr stellt sie in Anlehnung an Erich Fromms »Anatomie der menschlichen Destruktivität« (1974) vor: [I]m Krieg werden Geschichte und Nation konkret. Er sorgt hier für Deutlichkeit. Gegenüber den ungenauen und vielschichtigen Prozessen in Nichtkriegszeiten vollzieht sich der ›Gang der Geschichte‹ im Krieg anschaulich: Schlachten bilden Zäsuren, der Ausgang zeitigt fühlbare, greifbare Ergebnisse. – Solche Verdeutlichung, ja Veräußerlichung gilt auch für den sozialen Bereich: soziale Konflikte werden scheinbar aufgehoben, indem sie auf den Feind, den inneren, lieber noch den äußeren, projiziert werden. Im gemeinsamen (!) Kampf wird Volksgemeinschaft erfahrbar. ›Der Krieg‹ führt, so scheint es, selbst Regie und entbindet von der Aufgabe, komplizierte Entscheidungen zu fällen. So paradox es klingt: Der Krieg sorgt für Ordnung, für Genauigkeit und Eindeutigkeit gegenüber einem sonst kompliziert gewordenen Leben.14 Stanišićs Text zeigt dagegen, dass es sich in diesem (Bürger-)Krieg in ­allen Punkten anders verhält: 1. Die Schlachten bilden keine Zäsuren, sondern Waffenstillstand und Kriegszustand gehen fast nahtlos ineinander über. Markierten zunächst noch Pfiffe aus dem Schützengraben nach erfolgter Funkverständigung den Beginn der jeweiligen Phase, so wird die Grenze – auch für die Protagonisten – später unklar. Noch bevor das Ende des Waffenstillstands ausgerufen wird, greift man zu den Waffen: Die etwa fünfzig Meter bis zum Spielfeld überquerte Meho im Laufschritt. Die letzten zehn brauchte er, um zu begreifen, dass sein Scheißtag noch nicht zu Ende war. Seine Einheit war in Höhe des ­Tannentors aufgereiht, manche hielten die Hände am Hinterkopf. Im Halbkreis vor ihnen standen an die zehn Serben mit Maschinengewehren im Anschlag […]. Während Meho nach Waffen durchsucht, dann – das Gewehr im Rücken – zu den anderen getrieben wurde, war in 14 Ebd., S. 270 f.

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der Ferne Artillerie zu hören. Einzelne Gewehrsalven, durch Weite und durch Sonne weich gefiltert, matt und ein bisschen müde. Der ­dicke Sejo, der Funker der Territorialen, wälzte sich mit einem panischen Gesichtsausdruck auf den Grabenrand, doch bevor er verkünden konnte, was inzwischen jeder aus den Kampfgeräuschen gehört und verstanden hatte, dass die Waffenruhe nämlich vorbei war, feuerte der serbische Torwart mehrere Schüsse auf ihn ab. Sejo knickte ein, erst auf ein Knie, dann seitlich weg, und blieb absonderlich verrenkt liegen, das Knie weiterhin gegen den Boden.15 Von diesem Zeitpunkt an werden Kampf und Match zugleich betrieben: »In Ordnung! Dino riss den Arm über den Kopf, in Ordnung, dann kämpfen wir eben, lass uns weiterspielen !«16 Der serbische General Mikado, Schiedsrichter des Matchs, reguliert mit Mitteln des Krieges: »Gelbe Karten habe ich keine da, sagte der General, fürs Meckern gibt’s ne Kugel«.17 Das Spiel bzw. der Krieg wird unübersichtlich, ungeordnet, vor allem auch aufgrund der Tatsache, dass der Schiedsrichter General Mikado ein nationalistischer Serbe ist, der nicht nur parteiisch zugunsten seiner Mannschaft entscheidet, sondern auch mal für seine eigene Mannschaft spielt, wenn die Spielsituation zu brenzlig wird: Elfmeter!, rief der General und schnappte sich den Ball. Dino Zoff schüttelte den Kopf, nie und nimmer war das Foul !, winkte er ab und fixierte den Ball, der jetzt auf dem abgeschrittenen Elfmeterpunkt lag. General Mikado trat an, nachdem er zuvor selbst auch den Gefoulten gemimt und für sich den Elfmeter gepfiffen hatte.18 Der Krieg sorgt (2.) hier eben nicht für »Ordnung, Genauigkeit und Eindeutigkeit«, vielmehr sind die Kriegszeiten äußerst komplex, viel kom­ plizierter als das Leben in Nichtkriegszeiten. Denn in Nichtkriegszeiten wurde das Leben oft nicht antagonistisch eingeteilt, nicht in Bezug auf Zugehörigkeit und Teilhabe problematisiert. Erst der Kriegszustand differenziert, was eine gewisse Ordnungsfunktion suggeriert. Wenn oben davon die Rede war, dass der Krieg »Nation konkret« macht, dann scheint das zunächst auf die ethnische Zugehörigkeit und Aufteilung in Bosnien zuzutreffen: Der Serbe Mikimaus muss zuerst seine Mutter ­fragen, zu welcher Ethnie er gehört: 15 16 17 18

Saša Stanišić, Wie der Soldat das Grammofon repariert, a.a.O., S. 245 f. Ebd., S. 246. Ebd., S. 247. Ebd., S. 250.

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Mikimaus fragte: wo ist der Krieg?, seine Mutter antwortete: Gott sei Dank noch weit weg, er fragte: gut, für wen sind wir?, sein Vater gab zurück: du bist Serbe.19 Mikimaus packt seinen Rucksack und geht in den Krieg, um an serbischbosnischer Front zu kämpfen bzw. in der Fußballmannschaft der »Tschet­ niks«.20 Doch hier löst sich die scheinbare Klarheit, die der Krieg herstellt, auf und stellt die eigentliche Komplexität heraus, die nicht nur die »Nichtkriegszeiten«, sondern auch den Krieg bestimmt: Etwas abseits umarmten sich Kiko [Bosniake, Kopf ballstar der Mannschaft, A. S.] und Mikimaus. Sie kannten sich von der Schule, beide waren sie in der achten Klasse zweimal sitzen geblieben, das war un­ gewöhnlich.21 An anderer Stelle wird ein Zusammenstoß zwischen beiden beschrieben: Schon wollte der große Mann aufstehen, stützte sich mit der Faust ab. Die aber ergriff Kiko, flüsterte: ja, steh auf, mein Milan, nicht wieder sitzen bleiben, bloß nicht mehr sitzen bleiben. Nicht?, wunderte sich Mikimaus, sperrte den Mund weit auf und blieb beim nächsten Kopfball zwar nicht sitzen, aber wie angewurzelt stehen, er sprang nicht hoch, Aufsetzer, Drei-zwei.22 Vorgegebene, aber teilweise als aufgesetzt empfundene Gegnerschaften werden zugunsten gelebter Freundschaften unterlaufen. Nation wird (3.) nicht langfristig konkret gemacht, sondern wenn nicht ambig gehalten, so doch zumindest für unbedeutend gehalten, durchlaufen von gelebten Nachbar- und Freundschaften. Diese Verbindungen, die zur nationalen Differenz quer stehen, machen das Spiel unkontrollierbar: Freunde aus den gegeneinander antretenden Mannschaften motivieren sich über die Mittellinie hinweg gegenseitig oder sorgen sogar dafür, dass falsche, parteiische Schiedsrichterentscheidungen zugunsten der eigenen Mannschaft rückgängig gemacht werden: Abstoß, Tor zählt nicht !, rief der General lauter, Abstoß, schrie er, kein Tor!23

19 Ebd., S. 238. 20 Ebd., S. 234. 21 Ebd., S. 238. 22 Ebd., S. 248. 23 Ebd., S. 252.

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Milan Jevrić, genannt Mikimaus, legte den Ball auf den ungefähren Anstoßpunkt, stützte den Fuß darauf und donnerte in einer Lautstärke über die Soldatenköpfe, über General Mikado, der an eine Waffe gekommen war, aber zögerte, sie zu gebrauchen, über den Platz, über die Schützengräben, über Mehos toten Körper, über die Buchen, über den Wind, über das Tal, so laut also und deutlich, als wollte er in diesem Schrei alle Antworten geben auf alle von ihm bisher unbeantworteten Fragen: Vier-drei für die !24 Das Leben in Bosnien als Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien ist zwar in sich ein komplexes Gebilde, aber darin gerade differenziert und präzise, und der Krieg schafft Ungenauigkeiten und Unsicherheiten, indem er eine hier als künstliche empfundene Differenz einzieht (»für wen sind wir?«25). Der Krieg sorgt nicht für Ordnung, sondern versucht eine vorhandene Ordnung aufzulösen, die gerade in ihrer Komplexität Sinn ergibt und sich aufgrund ihrer Natürlichkeit oder Selbstverständlichkeit als einfach gegeben darstellt. Der Krieg, den auf dem Spielfeld General Mikado als Befehlshaber bestimmt, führt (4.) eben keine Regie, was sich darin zeigt, dass der General als Symbolfigur für Kriegsführung von ­seinen eigenen Spielern aufgrund einer parteiischen Entscheidung in Form eines Putsches de-autorisiert wird – auf sein Nicht-Anerkennen des bosniakischen Tors verlassen die serbischen Spieler das Spielfeld: Einer nach dem anderen setzten sich seine Spieler hin. Ein Putsch, das also …, lachte der General, Deserteure !, schlug er um sich, Überläufer, Kriegsgericht werd ich euch ! […] Die meisten serbischen Soldaten sahen zu Boden, nicht so, als hätten sie Angst vor ihrem Vorgesetzten, sondern, als wäre ihnen der cholerische Mann mit dem behaarten ­Rücken peinlich.26 Mit der Autorität des Schiedsrichters wird seine Kontrollfunktion auf­ gehoben. Ebenso löst sich auch die Kontrollfunktion des Krieges auf, die darin besteht, Eindeutigkeiten herzustellen. Spiel und Krieg, Nichtkriegszeiten und Kriegszeiten, haben ihre eigene Logik und Ordnung, die nicht simplifiziert werden können. Hier zeigt sich, dass die jeweiligen Ordnungen ineinandergreifen, sich bestätigen oder vervollständigen, sich der eigenen Stabilität vergewissern oder sich sogar in dem Falle, dass eine Ordnung brüchig geworden ist, von der anderen Ordnung, die der 24 Ebd., S. 254. 25 Siehe Fußnote 19. 26 Ebd., S. 253.

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scheinbar entgegengesetzte Zustand spiegelt, wiederherstellen lassen: Wenn der Krieg schon unethisch ist, dann darf das Match nicht unethisch sein, das zeigt nicht nur der Putsch, mit dem die serbischen Spieler das Spiel abbrechen wollen und damit das unfaire Verhalten ihres Generals sanktionieren. Dennoch: Was sich hier im Laufe des Fußballspiels als Wiedereinsetzung von Regeln angesichts der Suspension von Regeln durch den Krieg andeutet, ist nicht die Wiedereinsetzung von Kontrolle, sondern zeigt immer wieder, dass dieser Vorgang eher unkontrolliert, aus dem Gefühl der Protagonisten motiviert ist und keinesfalls von einer ordnenden Vernunft gesteuert. Kontrolle vermisst man in dieser Darstellung des Kriegsgeschehens allenthalben. Entsprechend endet das Kapitel auch nicht mit der ­Bestätigung einer Ordnung, die die Gegnerschaft in einem Spielstand arithmetisiert (auch wenn deutlich wird, dass das Match unentschieden endet), sondern mit einem grenzübergreifenden ›Gabentausch‹: Der [Ab-]Pfiff verhallte. Niemand klatschte. Niemand jubelte. Aus dem Tal schwappte schwere Stille auf das Plateau. Ruhig wurden die Waffen aufgehoben. Marko [Serbe, A. S.] hielt die Schnapsflasche schräg über Dino Zoffs [bosniakischer Torwart, A. S.] Mund, bis einige Tropfen die Lippen benetzten, sich dort mit dem Blut mischten. Aah, Sliwowitzum bonum deorum donum ! Hab ich ihn gehabt?, ­lispelte Dino Zoff [über den letzten Schuss des Serben Mikimaus auf sein Tor, A. S.] und schenkte Marko einen Zahn.27 Definitionen, Markierungen (wie Grenzzäune) und Festlegungen (wie Spielstände) sind eben nicht eindeutig, sondern Genauigkeit schaffen die Verbindungen, Überschneidungen, Grenzverletzungen, die sowohl im Krieg wie in dessen Abwesenheit gelebt werden. Sie erlauben eine Tiefenschärfe, die die Kontrollanstrengungen des Krieges, die sich in dem Versuch zeigen, scharfe Grenzen zu ziehen, desavouiert. In Bezug auf die These von der Präzisierungsfähigkeit des Krieges bedeutet dies: Die angebliche Präzisierungsfähigkeit und die Paradoxie des Krieges liegen nicht darin, trotz des offensichtlichen Chaos’ Ordnung zu schaffen – das wäre zu unpräzise und zu wenig paradox gedacht –, sondern sie bestehen darin, in der chaotisch wirkenden Komplexität des Lebens die nötigen Differenzierungen offensichtlich zu machen, die die Situation charakterisieren und die sie erfordert.

27 Ebd., S. 255.

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2. Passende Unangemessenheit: Slapstick als Darstellungsmodus Das Spiel ist so brutal wie der Krieg. Da die Kriegsschlacht durch die Fußballschlacht ersetzt wird, ist das nicht ungewöhnlich. Der Tod ist auch im Spiel allgegenwärtig. Der Bosniake Ćora liegt von den Serben getötet (»weggefickt«28) im Schützengraben, der Bosniake Meho muss den Ball aus dem angrenzenden Wald holen, der voller Landminen ist (»this could get fuckin’ dangerous«29), und wird später im Spiel von den Serben erschossen, der serbische Torwart tötet den bosniakischen Funker, sobald die Waffenruhe vorbei ist. Brutalste Gewaltanwendungen, ein Erschießungskommando, Lynchdrohungen usw. sorgen dafür, dass das Spiel todernst ist. Aber die Gewalt wird – wie sich bereits an meh­ reren Stellen gezeigt hat – mit Slapstick gekoppelt, dem harmlosen, für Beobachter vergnüglichen Scheitern von Individuen an den Gegenständen und Gegebenheiten der Alltagswelt. Meho sitzt im Schützengraben neben dem toten Ćora, ordnet seinen Ranzen und findet neben zwei Handgranaten das Foto seines Idols Audrey Hepburn, das er sofort küsst. Erst dann bemerkt er den toten Freund. Milan, der so unförmig ist, dass er in keine Uniform passt und deshalb in seinen »riesenhaften Latzhosen von Zuhause« kämpft, wird »Mikimaus« genannt oder »Monika Seleš«, wenn er seine Schüsse mit einem lauten Schrei begleitet: Original Monika Seleš !, rief Kozica, der ziegenbärtige Linksaußen der Territorialen, nach einem solchen Aufjauchzen durch Berg und Tal, und prustete los. Spielt Monika heute wieder mit?, oder: Monika, Monika, spiel an mir Mundharmonika !, frotzelten seitdem Dino Zoffs Männer und stöhnten laut, sobald Mikimaus am Ball war.30 Mikimaus wird verlacht, wenn er seinen Rucksack trägt, der alle an ein Kosmetiktäschchen erinnert. Aber er scheint das hinzunehmen als gutmütiger, etwas dümmlicher Mann, der schon in der Schule mit völlig unpassenden Antworten die Klasse unfreiwillig zum Lachen gebracht hatte. Meho winkt jemandem zurück, als er in den Wald voller Landminen gehen muss, um den Ball zu holen, nimmt vom Gegner die kugelsichere Weste entgegen, in die er den Ball einwickeln soll, wenn er ihn denn erreicht, macht sich im Wald in die Hosen, riecht dann streng und fragt den toten Ćora, ob er sich von ihm die Hosen leihen kann. Meho schießt ein Tor, woraufhin er Audreys Foto küsst und ihm zuflüstert: »jetzt ist 28 Ebd., S. 239. 29 Ebd., S. 243. 30 Ebd., S. 236.

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echt Hollywood, meine Audrey, eh fick mich für ein Happy End !«31 Kurz danach wird ihm mit der Pistole in den Rücken geschossen, durch sein Trikot, das ihn an das Europapokalfinale 1991 erinnert: Meho hatte das Spiel zusammen mit seinem Vater gesehen. Der Empfang war schlecht, Mehos Vater musste die ganzen neunzig Minuten die Antenne in einer bestimmten Stellung über dem Kopf halten, damit das Bild nicht rauschte. Er traute sich nicht einmal, sie in der Halbzeit abzusetzen, also schmierte ihm Meho Wurstbrote und fütterte ihn.32 Ist dies das »Happy End«, im Trikot seines Lieblingsvereins mit Audrey Hepburns Foto in der Tasche während eines Fußballspiels erschossen zu werden? Warum fügt der Text der dargestellten Gewalt so viel Humor bei, dass die Darstellungsabsicht im Unklaren bleibt? Ist die Komik ein »Korrektiv des Furchtbaren«, ein notwendiges Komplement, um das doch sehr brutale Geschehen noch lesbar zu machen, um noch zu unterhalten? Ein Beispiel für den schwarzen Humor auf dem Balkan, den ­Zynismus und die Selbstironie? Ein Blick auf die Theorie des Slapstick kann weitere Einsichten liefern: Etymologisch hat der Begriff seine Wurzeln in dem Kampf von ­Zirkusclowns: Er bezieht sich auf »the double paddles formerly used by circus clowns to beat each other. The loud crack of the two paddle blades as they crashed together could always be depended upon to produce laughter and applause«.33 Man amüsiert sich über zwei lächerliche Figuren, und zwar bei deren Kampf. Das Geräusch des Zusammenstoßes produziert Gelächter. Es wird gelacht, weil die Figuren (eben Clowns) den Zuständen unangepasst erscheinen, sich in ihnen nicht zurechtfinden, Gegenstände anders als gewöhnlich benutzen, ineffektiv oder sinnlos handeln, weil sie un­ geschickt sind, stolpern, geschlagen werden – und trotzdem unverwüstlich, gutmütig, heiter, sorglos, unschuldig und oft treu oder treudumm (manchmal aber auch verschlagen) sind. Sie verlieren in gewisser Weise die Orientierung in der von Konventionen und Selbstverständlichkeiten bestimmten Welt und bringen das im Medium des Körpers zum Ausdruck.

31 Ebd., S. 249. 32 Ebd., S. 251. 33 Ohne Quellenangabe zitiert in Alan Dale, Comedy is a Man in Trouble: Slapstick in American Movies, Minneapolis 2000, S. 1.

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Auch im Romankapitel geht es bei der Komik weniger um vergeistigten Humor, sondern um körperliche Ausfälle (in die Hose machen), Deformierungen (ausgeschlagene Zähne), Disproportionalitäten (damenhaft-kleines Accessoire bei hünenhafter Körpergröße) und sonderbare Umgänge mit Gegenständen (Antenne haltend und Wurstbrot essend). Immer geht es um schwierige Situationen, in denen etwas physisch falsch läuft oder unangemessen ist: In slapstick the central irony is that the hero’s body itself comes between him and the satisfaction of his physical desires […]. Slapstick offers stylized exaggeration of our frustration with the physical.34 Slapstick ist »physical comedy«,35 und »comedy« ist nach einem Zitat des Comedy-Stars Jerry Lewis »a man in trouble«36 – die Slapstick-Figur ist also eine handelnde Figur, die körperlich in Schwierigkeiten steckt37 (auch wenn diese schlussendlich auf ungewohnte Weise gelöst werden). Was könnte besser auf die Kriegslage zutreffen, als eine Darstellung, die die Brutalität, die Körpern angetan wird und in der gesellschaftlichen Ordnung nicht akzeptabel ist, mit einer Komik kombiniert, die den Kampf gegen die »Tücke des Objekts«38 ebenso auf körperlicher Ebene ausagiert und sich somit abseits des konventionellen Umgangs mit dem Objekt stellt? Was als Verbindung moralisch so unpassend erscheint, Krieg und Slapstick, hat ästhetisch eine große Ähnlichkeit. In beiden geht es um »men in physical trouble«. Die Inkongruenztheorie konzipiert Komik als eine Struktur, in der »inkongruente Kontexte über zwei- oder mehrwertige Bezüge auf eine ungewohnte Weise überraschend miteinander kombiniert [werden], so daß plötzlich eine Durchlässigkeit zwischen diesen Kontexten auf­ scheint«.39 Hier aber scheint die Komik anders strukturiert zu sein. Es gibt zwei zunächst inkongruent erscheinende Kontexte, Krieg und Fuß34 Ebd., S. 14. 35 Ebd., S. 10, 29 et passim. 36 Ebd., Motto (ohne Seitenangabe). 37 Dieses Scheitern an der üblichen Funktionsweise von Ordnungen verdeutlicht den Kontrollverlust, der für den Slapstick kennzeichnend ist. 38 So eine Formulierung von Dorothee Kimmich in Anlehnung an Alfred Polgars und André Bazins Analyse der Chaplin-Filme, in: Dorothee Kimmich, Vorwort, »Der Mensch ist ein Loch«: Charlie Chaplin als Ikone der Moderne, in: Dies. (Hrsg.), Charlie Chaplin. Eine Ikone der Moderne, Frankfurt am Main 2003, S. 9-25, hier S. 16. 39 Klaus Schwind, Art. ›Komisch‹, in: Ästhetische Grundbegriffe, hrsg. von Karlheinz Barck u. a., Bd. 3, Stuttgart/Weimar 2001, S. 332-383, hier S. 333.

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ball, deren Durchlässigkeit aber von Anfang an demonstriert wird und nicht komisch, sondern tragisch wirkt. Komisch wirkt vielmehr, dass der Agon, der in Bezug auf die Kontexte Krieg und Fußball unangemessen erschien, als konstruktives Prinzip auf den Körper der Figuren bezogen wird. Sie kämpfen nicht wirklich gegeneinander in der Schärfe einer unverbrüchlichen agonalen Logik, sondern jeder kämpft in gewisser Weise gegen sich in seiner und gegen seine ihm zugewiesene(n) Rolle und den dazugehörenden Rollenerwartungen, ob als Individuum oder als Mannschaft, und muss daran scheitern, weil er ihnen nicht entspricht. Komik entsteht hier nicht aus der plötzlichen Einsicht in die Bezogenheit von zuvor als bezuglos verstandenen Kontexten, sondern aus der beobachtenden Einsicht in die sich im Handeln zeigende Unverhältnismäßigkeit von selbst- oder fremdgesetzten sekundären Bezügen. Diese Unverhältnismäßigkeit zeigt sich im Scheitern an der souveränen, unumstrittenen Setzung von Subjekt und Objekt, im Scheitern am autoritativen Umgang mit der Umwelt. Kontrollverlust. Aber zugleich findet die Slapstick-Figur eine andere, ungewohnte und kreative Beziehung zur widerständigen Umwelt, was sie und ihre Handlung fremd und gerade darin komisch macht. Eine gesellschaftskritische Betrachtung des Slapstick ließe den Schluss zu, dass durch den fremdartigen Gebrauch von Gegenständen und den unkonventionellen Umgang mit anderen Figuren die existierenden Ordnungen und Regeln in Frage gestellt werden. Gültige Funktionszusammenhänge und Rollenzuweisungen werden durch Konfrontation mit einem anderen, gänzlich fremden Handlungsschema unterlaufen und ausgehebelt. Das entbindet sowohl die Gegenstände und Personen von ihrer bisherigen Festlegung auf Funktion und Rolle als auch die Rezipienten, die nach Dorothee Kimmich »von dem Zwang erlöst [werden], an das Funktionieren dieser Ordnungen glauben zu müssen«.40 So sieht z. B. Alfred Polgar die profunde Komik, die dem Slapstick innewohnt, in der herausgestellten Sinn- und Bedeutungslosigkeit von Dingen und Figuren: Das ist ihre tiefe Bedeutung. In ihrer Sinnlosigkeit ruht ihr Sinn. Daß diese Dinge ohne Grund und Zweck sind, gibt ihrem Sein die nicht zu erschütternde Rechtfertigung. Daß sie keine logische Abkunft haben, ist ihr göttlicher Adelsbrief, gewährleistend unanfechtbare Souverä­ nität. Daß sie gar keine Absicht haben, als zu sein, was sie sind: darin steckt ihre profunde komische Absicht.41 40 Dorothee Kimmich, Vorwort, a.a.O., S. 17. 41 Alfred Polgar, Chaplin, in: Dorothee Kimmich, Charlie Chaplin. Eine Ikone der Moderne, a.a.O., S. 33-36, hier S. 34.

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Diese Charakteristika des Slapstick passen präzise auf die dargestellte ­Situation im Romankapitel. Erklärte Gegner sind eigentlich Freunde, die sich auch in der agonalen Situation (Krieg, Match) ihrer Verbundenheit vergewissern. Sie unterlaufen ihre von Ethnie und Krieg vorgegebene ­Bestimmung, putschen gegen die Logik des Krieges, die die Logik des Stärkeren ist. Zumindest die Hauptfiguren zeigen deutlich, dass sie nicht das sein wollen, wozu sie gemacht werden, sondern so sein wollen, wie sie sind: in ihrer Liebe zu Hollywood-Stars, Sliwowitz, Fußballclubs der anderen Ethnie, Kosmetiktäschchen. Sie sind alle Comicfiguren, wenn auch nur einer Mikimaus heißt – Comicfiguren deshalb, weil sie die Unverhältnismäßigkeit der gegenwärtigen Ordnung demonstrieren und andere Bezüge zu Dingen und Menschen herstellen, die mitunter überraschend sind. Das können nur Menschen, wie Dorothee Kimmich ausführt, die abseits dieser Ordnung stehen, die nicht so funktionieren wie andere, nur solche, über die andere lachen können, weil diese im Gegensatz zu den Abseitigen noch Kontrolle über ihre Welt zu haben glauben. Das erlaubt eine Haltung zum Krieg, die ihn auf anderer Ebene kritisiert als auf der moralischen: Es ist eine Kritik, die kommentarlos eine Alternative zu vorherrschenden Bezügen anfügt, die ihre Absicht nicht artikuliert, sondern auf der Handlungsebene versteckt (insofern sie ein anderes Handlungsmuster als das gewohnte präsentiert) – oder mit Worten von Henri Lefèbvre: eine »optimistische Kritik, mit einer lebendigen und humanen Einheit ihrer beiden Aspekte, des Negativen und Posi­ tiven«.42 Kurt Tucholsky schreibt Folgendes über Charlie Chaplin: Er bekommt es fertig, nur durch seine Erscheinung andere Leute lächerlich zu machen. Er braucht nur aufzutreten, mit dem kleinen Hütchen, mit dem kleinen Stöckchen, mit dem kleinen Schnurrbärtchen, watscheln auf seinen unmöglichen Beinen – und alles drum herum hat plötzlich unrecht, und er hat recht, und die ganze Welt ist lächerlich geworden. Es gibt ein Bild von ihm aus dem Kriege, auf dem der Zeichner den deutschen Kaiser abgebildet hat und seine Generale – mit starrenden Schnurrbärten und furchteinflößenden Helmen. Ihre Augen kullern ihnen fast aus dem Kopf, sie sehen alle auf eine Sache. Denn vor ihnen latscht Chaplin durch den Saal, sich leise einen pfeifend und unbeschreiblich frech sein Stöckchen schwingend. Und der ganze Militarismus ist hinten heruntergefallen.43 42 Henri Lefèbvre, Über Charlie Chaplin, Bertolt Brecht und einige andere, in: Dorothee Kimmich, Charlie Chaplin. Eine Ikone der Moderne, a.a.O., S. 48-69, hier S. 49. 43 Kurt Tucholsky, Der berühmteste Mann der Welt, in: Dorothee Kimmich, Charlie Chaplin. Eine Ikone der Moderne, a.a.O., S. 29-32, hier S. 31.

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Das beschreibt genau eine mögliche Lektüre des Romankapitels: Der Slapstick macht die Figuren zu solchen, die jenseits von fest gefügten Bestimmungen entweder neue, auf ungewohnten Kopplungen basierende Bestimmungen realisieren oder bzw. und darin aber einfach nur sind, was sie sind, frei von Rollenzuweisungen und Handlungserwartungen. Ihre Lächerlichkeit, die Komik, die sie freisetzen, macht, dass der ganze Militarismus hinten herunterfällt. Lächerlich sind damit nicht nur sie, sondern auch der Krieg. Der Slapstick zeigt ästhetisch, was Krieg bedeutet: Unverhältnismäßigkeit und Scheitern von Fremdbestimmungen, die am eigenen Körper ausgetragen werden. Insofern passen Krieg und Slapstick ästhetisch nur allzu gut zusammen, oder, um es auf die Spitze zu treiben, der slapping stick kommt erst im Kampf zu seinem Begriff und damit zu sich selbst: in der Schlacht der Clowns. 3. Lust und Unlust: Emotionalität als Darstellungseffekt44 Clowns und Comicfiguren kommen erst durch das Publikum zu ihrer Bestimmung. Die Reaktion auf die Rezeption, das heißt die Wirkung des Textes scheint damit auf der Hand zu liegen: Man empfindet bei allem Schock über die Brutalität des Dargestellten auch Lust, die sich im Lachen über die Unproportioniertheit, die der Slapstick offenlegt, zeigt. Bei aller zugestandenen Subjektivität von Gefühlen kommt man doch am Gefühl der Lust als Wirkung der Komik auch ohne sozioempirische Untersuchungen nicht vorbei. Wie inszeniert der Text das vom Rezipienten empfundene Gefühl der Lust? Grundsätzlich ist zwar richtig, dass die Komik im Subjekt (dem Lachenden) und nicht im Objekt (hier: dem komischen Text) liegt,45 doch damit wird in erster Linie die Bedeutung der Beobachtung markiert. Komik wird vom Betrachter empfunden, aber erwirkt wird sie – das zeigt dieser Text – von anderen Subjekten im Umgang mit Objekten. Sie ist körper- und objektgebunden, und vor allem handlungsgebunden. Das bedeutet, dass sie genauso wenig allein im fühlenden Subjekt aufgeht wie 44 Die Betrachtung des emotionalen Gehalts beschränkt sich hier auf die Rezipientenebene. Siehe Fußnote 50. 45 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik (1804), Erste Abteilung, 6. Programm, § 28, in: Jean Paul, Werke, hrsg. von Norbert Miller, Bd. 5, München 1963, S. 110. Vgl. auch Charles Baudelaire: »Le comique, la puissance du rire est dans le rieur et ­nullement dans l’objet du rire« (Charles Baudelaire, L’essence du rire et généralement du comique dans les arts plastiques (1855), in: Ders., Ecrits sur l’Art, Tome 1, hrsg. von Yves Florenne, Paris 1971, S. 297-325, hier S. 308).

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sie allgemein objektivierbar ist. Die Komik des Textes ist abhängig von der situativen Performanz der Handlungen durch deren Träger. Das ­bedeutet, dass sie – je nachdem, wie die Figuren sich situativ verhalten und präsentieren – auch hinter ihrem Gegenteil verschwinden kann. Die Unberechenbarkeit ihres Auftretens lässt auch die emotionale Lage des Rezipienten unentschieden. Das unterscheidet diesen Text von anderen literarischen Darstellungen von Kriegsschauplätzen, die den emotionalen Gehalt für den Leser einheitlicher anlegen. So beschreibt Johann Wolfgang von Goethe nach ­seinem Ritt über das Schlachtfeld von Valmy dieses als in eine atmo­ sphärisch einheitliche Stimmung46 eingetaucht: Es schien, als wäre man an einem sehr heißen Orte und zugleich von der Hitze völlig durchdrungen, so daß man sich mit demselben Element, in welchem man sich befindet, vollkommen gleich fühlt. Die Augen verlieren nichts an ihrer Stärke noch Deutlichkeit; aber es ist doch, als wenn die Welt einen gewissen braunrötlichen Ton hätte […]. Von Bewegung des Blutes habe ich nichts bemerken können, sondern mir schien vielmehr alles in jener Glut verschlungen zu sein. Hieraus erhellet nun, in welchem Sinne man diesen Zustand ein Fieber nennen könne.47 Die Objekte sprechen eine Sprache und reflektieren die ganzheitlich-­ atmosphärische Stimmung, die sich über Subjekt wie Objekt gleichermaßen ergießt und sich derart dem Leser in seiner emotionalen Bereitschaft präsentiert. Auch Homers »Ilias« liefert ein weiteres Beispiel dafür, dass Gefühle nicht auf ein handelndes Subjekt beschränkt sind, sondern sich in die Umgebung hinein verlängern und auf andere Subjekte, auf das ganze Geschehen übertragen lassen, wenn Homer im Sturmangriff der Troer die Götter Ares und Enyo voranziehen lässt, Ares die Waffen tragend, Enyo dagegen den Kriegsgeist, das nötige Kriegsgefühl verwaltend.48 Enyo beglei46 In der Forschung wird zwischen Stimmung und Gefühl unterschieden (vgl. Simone Winko, Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900, Berlin 2003). An dieser Stelle kommt es allerdings ganz allgemein auf den emotionalen Gehalt der Wahrnehmung an, weshalb dieser hier nicht weiter differenziert wird. 47 Johann Wolfgang von Goethe, Kampagne in Frankreich, den 19. September, ­zitiert bei: Hermann Schmitz, System der Philosophie, Bd. III, 2: Der Gefühlsraum, Bonn 1969, S. 101 f. 48 »Dort ging Ares voran, und die grause Enyo: Dies Getös’ herbringend und unermeßlichen Aufruhr; Ares dort in den Händen die schreckliche Lanze bewegend« (Homer, Ilias, fünfter Gesang, V 592 ff., übertragen von Johann Heinrich Voß, Frankfurt am Main 1990, S. 105). Zur Deutung dieser Textstelle Hermann Schmitz:

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tet als Personifikation des (Kriegs-)Gefühls das Geschehen und sorgt damit für die Einheitlichkeit und die Allgemeinverbindlichkeit dieses Gefühls. Enyo und Valmy als Träger und Verwalter des Gefühls sind zu ebenmäßig, zu breit und einheitlich aufgestellt für Stanišićs Darstellung. Der Text demonstriert, dass es keine Ganzheitlichkeit und Einsinnigkeit in der Wahrnehmung des Krieges gibt, weder in Bezug auf das Objekt (Goethe: Schlachtfeld) noch auf das Gefühl selbst (Homer: Enyo). Die Stimmung auf dem Schlachtfeld in Bosnien ist mal heiter, mal bedrängend, Gefühle von Lust und Unlust wechseln sich sowohl bei den Protagonisten49 wie beim Leser ab, bei letzterem je nach Proportionalität der dargestellten Handlungen. Gefühle der Unlust (ob Trauer, Wut, Mitleid, Bedrängnis o.ä.) mögen beim Leser entstehen, wenn der tote Ćora beschrieben wird: [Der Serbe Kiko gesellte sich] zu Dino Zoff […], [fasste] Ćora an den Knöcheln […] und [schleifte ihn] hinter sich zum Graben […]. Er deckte ihn mit seinem Mantel zu und strich die blutigen Strähnen aus seiner Stirn, schau mal, wie du aussiehst, mein Ćora, flüsterte er, Gras und Erde überall.50 Ähnliches gilt für die Beschreibung von Mehos Tod: Vom Osten kam Wind auf, nahm zu. Meho, schon in der Nähe der Bäume angekommen, konnte sehen, wie der Wind die Blätter erzittern ließ. Auch Meho zitterte, stärker noch, als im Wald, von Minen umgeben. Die Windböe kühlte Mehos Gesicht unter Tränen ab, die kamen, nachdem in seinem Rücken der Schuss aus der Pistole des ­serbischen Torwarts fiel […]. […] Der serbische Torwart hatte Meho mit seinem ersten Schuss erst Tränen in die Augen getrieben, dann mit zwei weiteren Schüssen zwei Kugeln in den Rücken.51 »[O]ffenbar verwaltet sie [Enyo] aber den ›Geist‹, das heißt die gefühlshaft-ganzheitliche Atmosphäre der Schlacht, also genau das, was Goethe als das Kanonenfieber beschreibt« (Hermann Schmitz, System der Philosophie, a.a.O, S. 101). 49 Die Emotionen der Protagonisten werden hier nicht weiter berücksichtigt, wenn diese vom Text dargestellten Regungen es auch sind, die nach Thomas Anz literaturwissenschaftlich besonders fassbar sind. Vgl. Thomas Anz: Emotional Turn? Beobachtungen zur Gefühlsforschung, in: »literaturkritik.de« 12/2006. Online abrufbar unter: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=10267 (letzter Zugriff: 31.08.2011). 50 Saša Stanišić, Wie der Soldat das Grammofon repariert, a.a.O., S. 234. 51 Ebd., S. 250 f.

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Hier kann beim Leser affektives Betroffensein52 entstehen, das sich im Gefühl des ohnmächtigen Mitleids kundtut. Diese Unlust assoziiert sich mit der Lust, die der Slapstick freisetzt und die als ein Gefühl ohne affektives Betroffensein zu verstehen ist. Denn in den Ausführungen zum Slapstick hat sich gezeigt, dass der Beobachter gerade über die SlapstickFigur lacht, weil dieser die Kontrolle zu entgleiten droht, während er sie noch zu besitzen glaubt. Aus der Distanz fühlt er seine – vermeintliche – Überlegenheit und Kontrolle. In diesem Sinne gibt es beim Rezipienten nicht nur die Spannung zwischen dem Bewusstsein eigener Kontrolle und fremdem Kontrollverlust, die sich in Komik auflöst, sondern auch die Spannung zwischen dem Glauben an die eigene Kontrolle und die Wahrnehmung von eigenem Kontrollverlust im Gefühl des ohnmächtigen Mitleids. Diese Spannung zwischen Kontrolle und Kontrollverlust bewirkt, dass die Gefühle von Lust und Unlust in ihrem Auftreten unvorhersehbar sind, insofern sie davon abhängen, wie jede einzelne Figur handelt, sich behandelt und ihre Umwelt verhandelt. Damit gewinnt die Figur eine Macht über den Beobachter zurück, die dieser ihr abgesprochen hat. Die Kontrollverhältnisse kehren sich um. Nach wie vor ist der Austragungsort der Gefühle das wahrnehmende Subjekt, aber die Grundlage für das Gefühl steuert der Text, und dies mitunter recht ­eigenwillig. Homer wählt für eigenwillige Steuerungsmechanismen die Bezeichnung »Thymos«. Der Thymos ist ein Seelenprinzip, das dem Noos gegenübergestellt ist.53 Während der Noos sich auf die Verstandeskräfte bezieht, ist der Thymos der Träger von Regungen, die allerdings autonom sind und das Ich in bestimmte Richtungen drängen. So wird er zur Begründung für die Unzugänglichkeit von Handlungen und die Unzuverlässigkeit von Handelnden. Ohne Berücksichtigung des Noos (denn nicht der Noos, sondern das Ich vermag den Thymos unter Kontrolle zu halten) handelt der Mensch nach Maßgabe eben seiner inneren Regungen, in Übereinstimmung mit sich selbst. Nach Homer glaubt der Mensch dies zumindest, und darin liegt für Homer die Verblendung des Menschen. 52 Die Begriffe »affektives Betroffensein« und »Gefühl« werden hier im Sinne von Hermann Schmitz, System der Philosophie, Bonn 1969, gebraucht. 53 Vgl. Efstratios Sarischoulis, 85 Jahre Forschung zu Schicksalsbegriffen, Göttern und Selbstverständnis bei Homer: eine Synopse, Frankfurt am Main 2008, S. 59 ff. Ich entnehme Homers Thymos-Konzept den Ausführungen von Sari­ schoulis, und zwar in der weiten, noch nicht auf den Zorn enggeführten Bedeutung.

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In Bezug auf Stanišićs Text wäre das zu widerlegen. Wenn oben davon die Rede war, dass der Text eigenwillige Steuerungsmechanismen freisetzt, die den Rezipienten in der Spannung von Kontrolle und Kontrollverlust, von Lust- und Unlustgefühlen hin- und herführen, dann wäre das – losgelöst vom Bezug auf das Subjekt – nichts anderes als das Funktionsprinzip des Homer’schen Thymos, dem sich der Rezipient nicht entziehen kann. Zugleich scheint der Thymos als autonomer Regungsherd auch Darstellungsgegenstand und -modus chiffrieren zu können: Wenn die Slapstick-Figuren nach Maßgabe ihrer selbst handeln, ungeachtet der an sie auf Inhalts- oder Rezeptionsebene herangetragenen Rollenerwartungen, so ist dies das Gegenteil von Verblendung: Die Figuren sind, was sie sind, und sie handeln so, wie sie es wollen, von Situation zu Situation. Das ist komisch, weil es unverhältnismäßig erscheint, aber es ist kreativ und bewundernswert überraschend, weil es ganz neue Verhältnisse installiert. Die thymotische Energie schiebt Kontrolle und Kon­ trollverlust zusammen, auf der Text- wie auf der Rezipientenebene. Auf Gegenstands-, Darstellungs- und Rezeptionsebene zeigte sich immer die gleiche Figur: Kontrollversuch und Kontrollverlust. Etymologisch deutet sich die Gegenläufigkeit, die Tatsache, dass die Kontrolle nicht ohne Gegenstück auftaucht, bereits an: Die Rolle bzw. das Schriftregister ist nicht ohne die Gegenrolle, die contre-rôle. Doch die doppelten Rollen, die im Aktenwesen (und bei Goethe wie bei Homer) auf Übereinstimmung angelegt sind, laufen im Text gegeneinander und in­ einander und erzeugen so eine Innenspannung, die den Text auszeichnet. Mit thymotischer Energie treibt der Text die Regungen des Lesers in unterschiedliche Richtungen und bildet sie auch wieder aufeinander ab. Das liefert nicht nur die Begründung für die Unvorhersehbarkeit der Handlungen auf Textebene, sondern auch für die nicht erreichbare Einstimmigkeit von Emotionen auf Rezipientenebene. Für den Text bedeutet dies eine gewisse Freiheit, die sich darin zeigt, dass er sich in viele Richtungen drängen kann. Er schafft damit – in der Logik des Slapstick – eine Fülle neuer Ausdrucksmöglichkeiten. Das zumindest scheinen die kämpfenden ›Clowns‹ in Bosnien zum Ausdruck zu bringen. Henry Miller weiß um die poetische Kraft der Clowns: »I should have been a clown; it would have afforded me the widest range of expression.«54

54 Henry Miller, Das Lächeln am Fuße der Leiter, Frankfurt am Main 1978. Zitiert ohne Quellenangabe in Alan Dale, Comedy is a Man in Trouble: Slapstick in American Movies, a.a.O., S. 1.

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6. Formen der Heroisierung und der Gewaltverherrlichung in der Kriegsliteratur

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Der Dichter im Feld oder Dichtung als Kriegsdienst Strategien der Mobilisierung in der Lyrik der Befreiungskriege In den Gesängen von ›Freiheitsdichtern‹ wie Ernst Moritz Arndt und Theodor Körner, hat Arno Schmidt einmal gewohnt deutlich geurteilt, treibe »die engstirnigste Teutomanie und primitivste Scharfmacherei die entsetzlichsten Blüten«.1 So sehr der notorische Nonkonformist ansonsten immer anderer Meinung war als alle anderen, mit diesem harschen Verdikt formulierte er die opinio communis, die nach 1945 über die ­Literatur der sogenannten ›Befreiungskriege‹ vorherrschte. Weitgehend einmütig abgelehnt wurde nun beispielsweise Körners »bluttriefende Poesie«,2 die »blindwütigen Hass und sadistische Rache«3 gepredigt habe und geradezu von einer »Opfertodmanie«4 beseelt gewesen sei, und folgerichtig verschwand sie schnell fast vollständig aus dem Bewusstsein der litera­rischen Öffentlichkeit, wurde aus Schulbüchern eskamotiert, nicht mehr aufgelegt und von der Literaturwissenschaft ignoriert. Und an Arndt wurde das öffentliche Gedächtnis nach Ende des Zweiten Weltkriegs nur noch ein Mal erinnert, bezeichnenderweise durch die vom Feuilleton heftig geführte Debatte darüber, ob eine Universität weiterhin seinen politisch schwer belasteten Namen tragen dürfe.5 Dieses so rasche wie gründliche Vergessen der Lyrik der Befreiungskriege6 gegen Napoleon kontrastiert erheblich ihrer zeitgenössischen Be1 Arno Schmidt, Fouqué und einige seiner Zeitgenossen (= Bargfelder Ausgabe III/1), Bargfeld/Zürich 1993, S. 399. 2 Albert Portmann-Tinguely, Romantik und Krieg. Eine Untersuchung zum Bild des Krieges bei deutschen Romantikern und »Freiheitssängern«, Freiburg/Schweiz 1989, S. 312. 3 Ebd., S. 325. 4 Helena Szepé, Opfertod und Poesie: Zur Geschichte der Theodor-Körner-Legende, in: Colloquia Germanica (1975), S. 293. 5 Siehe hierzu die Dokumentation in: Ernst Moritz Arndt im Widerstreit der ­Meinungen. Materialien zu neueren Diskussionen, hrsg. von der Ernst-MoritzArndt-Gesellschaft (=  Hefte der Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft 07/2000), Ueckermünde 2000. 6 Zu den sozial- und geistesgeschichtlichen Kontexten dieser Literatur siehe die materialreiche Studie von Ernst Weber, Lyrik der Befreiungskriege (1812-1815). Gesellschaftspolitische Meinungs- und Willensbildung durch Literatur, Stuttgart 1991.

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deutung, ja vielleicht hat keine andere Literatur eine vergleichbare ›Fallhöhe‹ erfahren. Denn nirgendwo in der deutschen Geschichte hatte es zuvor eine Literatur gegeben, die in gleichem Umfang produziert und rezipiert wurde, und nie zuvor erreichten die Schriftsteller ein derart ­hohes, weit über die Grenzen der ›Gelehrtenrepublik‹ hinausreichendes Renommee wie während ihres ›Federkriegs‹ gegen Napoleon.7 Sicher, seit jeher sind die politischen, ›eigentlichen‹ Feldzüge von resonanzträchtigen ›ästhetischen Feldzügen‹ flankiert, sprich: medial begleitet und narrativ aufbereitet worden – man denke nur an die mündlichen Berichte, die Boten nach den Schlachten der Antike in die heimatliche Polis überbrachten.8 Und sicher lässt sich eine prinzipielle Intensivierung der literarischen Kommunikation über den Krieg schon ab dem Siebenjährigen Krieg konstatieren, der fast gleichzeitig mit der Etablierung des litera­ rischen Marktes einsetzt. Mit einem zeitgenössischen Beobachter formuliert: »Je hef­tiger bisher der Krieg mit den Waffen, desto heftiger ist er auch mit der Feder geworden.«9 Als Beleg für diese Einschätzung sei hier nur Gleims Versuch der poetischen Mobilmachung durch seine »Preußischen Kriegslieder in den Feldzügen 1756 und 1757 von einem Grenadier« angeführt: Die Rollenfiktion des titelgebenden Grenadiers suggerierte ein authentisches Kriegserleben mit dem (literatur-)politischen Ziel, den realen preußischen Hegemonialkrieg zu einem nationalen Verteidigungskrieg für ein diskursiv konstruiertes ›Deutschland‹ umzuschreiben und dergestalt an der Herausbildung eines vaterländischen Identitätsgefühls bzw. eines ­patriotischen Bewusstseins mitzuwirken. Und rückblickend lässt sich konstatieren, dass der Nationalismus zwar keine Geburt aus dem Geiste der Literatur zum Siebenjährigen Krieg im Allgemeinen und Gleims im Besonderen war, aber seine Resonanz im Bildungsbürgertum durch diese Kriegsliteratur »vom Kanapee«10 immerhin erheblich verstärkt wurde. 7 Einen instruktiven Überblick über das Verhältnis der Schriftsteller bzw. der Literatur zu den Napoleonischen Kriegen bietet Gerhard Schulz, Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. Zweiter Teil: Das Zeitalter der Napoleonischen Kriege und der Restauration: 1806-1830, München 1989, insbesondere S. 24-80. 8 Und diese mündlichen Geschichtsdeutungen wurden übrigens wiederum für weitere literarische Deutungen verwendet, beispielsweise in den Tragödien von Euripides zur Rechtfertigung des Krieges als bellum iustum. Vgl. hierzu Kjeld Matthiessen, Die Tragödien des Euripides, München 2002, S. 119 f. 9 Zitiert nach Martin Blitz, Aus Liebe zum Vaterland. Die deutsche Nation im 18.  Jahrhundert, Hamburg 2006, S. 149. 10 Vgl. Jörg Schönert, Schlachtgesänge vom Kanapee. Oder: »Gott donnerte bei Lowositz«. Zu den ›Preußischen Kriegsliedern in den Feldzügen 1756 und 1757‹

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Aber erst während der Befreiungskriege avancierten die Autoren zu einer maßgeblichen, äußerst breitenwirksamen Instanz im Prozess der ­öffentlichen Willensbildung, die sich und ihre Literatur vorrangig als ­Instrument der antinapoleonischen Agitation verstanden. Nur andeuten kann ich, welche militär-, sozial- und geistesgeschichtlichen Konstellationen für diese resonanzstrategisch erfolgreiche Umwidmung der Dichtung vom Dienst am Wahren, Guten und Schönen zum Kriegsdienst verantwortlich waren, das heißt in welchen Schritten die Entwicklung vom irenischen Denken der Spätaufklärung zum vehementen Bellizismus der Befreiungskriege ablief.11 Wesentlich war zunächst die Reflexion preußischer Militärstrategen wie Gerhard von Scharnhorst über die »Entwicklung der allgemeinen Ursachen des Glücks der Franzosen in dem Revolutionskriege«.12 Kurz gesagt, erkannte Scharnhorst, dass Napoleons Erfolge nicht »in einzelnen Umständen und zufälligen Ereignissen seine Quellen habe«,13 sondern vielmehr das Resultat eines »auf eine unglaubliche Art« gesteigerten Nationalstolzes und der Idee sei, »das Glück der ganzen Menschheit«14 zu verfechten, sowie einer effektiven Propaganda. Dementsprechend plädierte Scharnhorst für eine – innere wie äußere – Reform der preußischen Armee nach französischem Vorbild, um die während der friderizianischen Kriege noch erfolgreichen Konzepte und Strukturen dem Wandel der Kriegsführung anzupassen: und zwar für eine äußere Reform insofern, als er gemeinsam mit an­deren ›Patrioten‹15 auf die Einführung einer Nationalmiliz hinarbeitete, und eine innere insofern, als dieser Armee eine höhere Idee gegeben werden

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des Kanonikus Gleim, in: Karl Richter (Hrsg.), Gedichte und Interpretationen, Bd. 2: Aufklärung und Sturm und Drang, Stuttgart 1983, S. 126-139. Siehe hierzu ausführlich Johannes Kunisch, Von der gezähmten zur entfesselten Bellona. Die Umwertung des Krieges im Zeitalter der Revolutions- und Freiheitskriege, in: Ders., Fürst – Gesellschaft – Krieg. Studien zur bellizistischen Disposition des absoluten Fürstenstaates, Köln/Weimar/Wien 1992, S. 203-226; Otto Dann, Vernunftfrieden und nationaler Krieg. Der Umbruch im Friedensver­ halten des deutschen Bürgertums zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Kirche ­zwischen Krieg und Frieden, hrsg. von Wolfgang Huber und Johannes Schwerdtfeger, Stuttgart 1976, S. 169-224. So der bezeichnende Titel einer Schrift Scharnhorsts aus dem Jahr 1797, in: Colmar Frhr. von der Goltz (Hrsg.), Militärische Schriften von Scharnhorst (= Militärische Klassiker des In- und Auslandes), Berlin 1881, S. 195-242. Ebd., S. 195. Ebd., S. 202. Zur Bedeutung dieser Selbstbezeichnung in der Literatur des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts siehe Bernhard Giesen, Die Intellektuellen und die deutsche Nation, Frankfurt am Main 1993, S. 122 ff.

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sollte, um die patriotische »Tapferkeit, Aufopferung, Standhaftigkeit«16 zu stärken: die Idee der Nation. Diese Neuformierung Preußens zur ›wehrhaften Nation‹,17 die die Speerspitze eines gesamtdeutschen Befreiungskampfes gegen Napoleon führen sollte, schien Scharnhorst und anderen Reformern allerdings nicht per Dekret von oben möglich, sondern nur durch die nachhaltige Mobilisierung der öffentlichen Meinung unter der Bedingung der Redeund Meinungsfreiheit: Nur »durch freimütiges Reden und Schreiben« könnten sich »die edelsten Kräfte des Menschen entwickeln«,18 nur so könne der bislang am Gemeinwohl desinteressierte Bürger in einen mündigen, aktiven Staatsbürger verwandelt werden. In die Praxis umgesetzt werden sollte diese Idee der Meinungsmobilisierung vor allem von Schriftstellern, denn, wie vom Stein in einer Denkschrift erläuterte, »auf die Deutschen [würde] die Schriftstellerei mehr als auf andere Nationen« wirken, »wegen ihrer Leselust und der großen Menge von Menschen, auf die die ­öffentlichen Lehranstalten einen Einfluß irgendeiner Art ha­ ben«.19 Und viele Autoren der Zeit ließen sich durchaus bereitwillig auf dieses he­teronome Literaturkonzept ein, einerseits, weil Äußerungen zum Krieg enorme Aufmerksamkeitsgewinne versprachen, und andererseits, weil die Gebildeten die annexionistische Politik Napoleons als Bedrohung ­ihrer kulturellen Identität erfahren hatten. Schließlich ist als Grund für die Wahl des Mediums Lyrik zur agitatorischen Beeinflussung nahezu ­aller Volksschichten noch eine gleichsam ›saure Frucht‹ zu nennen, die die Kulturnation Deutschland hier erstmals erntete: Die Lese­ fähigkeit war mittlerweile derart weit entwickelt, dass die ›Befreiungs­ lyrik‹ zur ›geistigen Stärkung‹ an die Truppen verteilt werden konnte, was im Siebenjährigen Krieg noch wenig effektiv gewesen wäre.

16 So Scharnhorst 1806 in einem Memorandum für den Generaladjutanten von Kleist und den Herzog von Braunschweig, abgedruckt in: Colmar Frhr. von der Goltz, Von Roßbach bis Jena und Auerstadt. Ein Beitrag zur Geschichte des preußischen Heeres, Berlin 1906, S. 543-549, hier S. 549. 17 Zu diesem Konzept der ›Wehrhaftigkeit‹ siehe ausführlich Karen Hagemann, »Mannlicher Muth und Teutsche Ehre«. Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens, Paderborn 2002. 18 So Ludwig von Vincke in einer Denkschrift von August 1808, in: Das Reform­ ministerium Stein. Akten zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte aus den Jahren 1807-1808, hrsg. von Heinrich Scheel u. Doris Schmidt, Berlin 1968, Bd. 3, S. 716. 19 Freiherr vom Stein, Briefe und Amtliche Schriften, bearbeitet von Erich Botzenhart u. a., neu hrsg. von Walther Hubatsch, Bd. 3., Stuttgart 1961, S. 296.

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Den Formen und Funktionen dieser poetischen Mobilmachung möchte ich im Folgenden anhand zweier Werke nachspüren, die jeweils exemplarisch eine der beiden dominanten Gruppen patriotisch-natio­ naler Befreiungslyrik verkörpern: und zwar an Arndts »Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann« als Prototypen für die deutschnationale Lyrik sowie an Körners Sammlung »Leyer und Schwert« als Muster für die Freiwilligenlyrik. Als »papierenes Geschütz über die Elbe geschickt«: Arndts »Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann« Arndt begann seinen publizistischen bzw. ›ästhetischen Feldzug‹ gegen Napoleon schon einige Jahre, bevor der ›eigentliche‹ Krieg losbrach und damit Ereignis wurde, was zuvor nur Wunsch und Gedanke gewesen war. Bereits in den ersten beiden Teilen seiner geschichtsphilosophischen Schrift »Geist der Zeit«, erschienen 1806 und 1809, hatte er Napoleon nämlich als neuen Attila entworfen, die Rheinbundfürsten als »Frankreichs Sklaven«20 und »offene Schildträger des Unrechts und der Tyran­ nei«21 beschimpft und die Notwendigkeit betont, gegen »den schlauen Verderber Europens«22 Napoleon die lebendigen Gegenkräfte des Volkes zu aktivieren. Damit hatte sich Arndt ausgerechnet kurz vor den preußischen Niederlagen von Jena und Auerstedt als ›Franzosen­hasser‹ exponiert. Im – wohl nicht unbegründeten – Gefühl persönlicher Bedrohung floh er vor den anrückenden Franzosen nach Schweden, von wo aus er seinen Kampf mit Übersetzungen, Aufsätzen, Aufrufen an die Deutschen und patriotischen Gedichten fortsetzte. 1809 kehrte Arndt unter einem Decknamen nach Deutschland zurück, und 1812 reiste er nach Petersburg, wo er gewissermaßen offiziell seinen ›Kriegsdienst‹ aufnahm. Im Reichsfreiherrn vom und zum Stein fand er dort nämlich einen kongenialen Bündnispartner für sein publizistisches Aktionsprogramm, der zwei Tage nach seiner Ankunft an den Zaren schrieb: »Herr Arndt muß sogleich mit Nutzen gebraucht werden a) um Schriften und Lieder u.s.w. abzufassen, welche unter den Deutschen verbreitet werden sollen, um ihre Ansichten zu berichtigen; b) er wird bei der deutschen Legion angestellt, um ihr – durch seine Schriften […] – Begeisterung und volle Hin20 Ernst Moritz Arndt, Geist der Zeit II, in: Arndts Werke. Auswahl in zwölf Teilen, hrsg. und mit Einleitungen versehen von August Leffson und Wilhelm Steffens, Siebenter Teil, Berlin (1912), S. 24. 21 Ebd., S. 13 f. 22 Ebd., S. 14.

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gebung einzuflößen […].«23 Stein fungierte in der Folgezeit gleichsam als Impresario Arndts, der für den Druck und die Ver­breitung seiner Schriften zuständig war. Das erste Resultat dieser insurrektionellen Kooperation war der »Kurze Katechismus für teutsche Soldaten, nebst zwei Anhängen von Liedern«, der Ende Oktober 1812 anonym in Petersburg gedruckt wurde, um an die Truppen der sogenannten ›Deutschen Legion‹, der späteren ›RussischDeutschen Legion‹ verteilt zu werden. Vor allem ging es dieser ersten und kürzesten Fassung darum, die Formierung einer Truppe deutschsprachiger Soldaten zu legitimieren, die sich für den Kampf gegen Napoleon an der Seite Russlands und damit zugleich für den Kampf gegen die eigenen Landesfürsten entschieden hatten. Mit dem sich abzeichnenden Scheitern von Napoleons Russlandfeldzug stieg Arndts Hoffnung auf einen nationalen Befreiungskampf aus »einem Wirbelwind des Volks«,24 und er arbeitete rastlos »wie ein Käuzlein« an einer neuen, auf die aktuellen Entwicklungen reagierenden Version seiner nationalpatriotischen ›Glaubenslehre‹, die er bald als »papierenes Geschütz über die Elbe«25 schicken wollte. Diese zweite Variante, im Februar 1813 in Königsberg wiederum anonym erschienen, war nun vorrangig an die Liniensoldaten der preußischen Armee und die Männer der Landwehr gerichtet, die gerade ­eingeführt worden war. Im November 1813, also kurz nach der ›Völ­ kerschlacht bei Leipzig‹, brachte Arndt unter dem vollständigen Titel »Katechismus für den teutschen Kriegs- und Wehrmann, worin gelehrt wird, wie ein christlicher Wehrmann seyn und mit Gott in den Streit gehen soll« schließlich die dritte Fassung heraus, die nun an alle Angehö­ rigen der verbündeten Truppen adressiert war. Auf diese Fassung werde ich mich im Weiteren konzentrieren, weil sie nicht nur auf den weitesten Adressatenkreis abzielte, sondern auch den weitesten Verbreitungsgrad erlangte. Sie erreichte mindestens zehn Auflagen in einer Gesamthöhe

23 Zitiert nach Ernst Weber, Der Krieg und die Poeten. Theodor Körners Kriegsdichtung und ihre Rezeption im Kontext des reformpolitischen Bellizismus der Befreiungskriegslyrik, in: Johannes Kunisch/Herfried Münkler (Hrsg.), Die Wiedergeburt des Krieges aus dem Geist der Revolution. Studien zum bellizistischen Diskurs des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, Berlin 1999, S. 285-325, hier S. 292. 24 Arndt in einem Brief an Friedrich von Horn vom 01.12.1812, in: Ernst Moritz Arndt, Briefe, hrsg. von Albrecht Dühr, Bd. 1, Darmstadt 1972, S. 234. 25 Arndt in einem Brief an Karl Bernhard Trinius vom 27.02.1813, in: Ernst Moritz Arndt, Briefe, a.a.O., S. 244.

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von 60.000 bis 80.000 Exemplaren, deren »verschiedene Druckorte […] der Siegesbahn der alliierten Truppen«26 folgten. Zusammengesetzt ist Arndts Schrift aus zwei Teilen, dem titelgebenden Katechismus und einem umfangreichen Liedanhang, der wiederum in ›geistliche‹ und ›weltliche‹ Lieder unterteilt ist. Darüber hinaus ist die Gedichtsammlung von einem starken paratextuellen Rahmen umgeben, in dem Arndt seine Rolle profiliert und seine Intentionen und sein ­Konzept auf den Punkt bringt. Zu nennen ist hier zunächst die eben ­genannte Titelei, die den Akzent offenkundig auf die religiöse Grun­ dierung seiner Argumentation legt und dergestalt, mit Johann Georg Hamann gesprochen, »nucleus in nuce, das Senfkorn des ganzen Ge­ wächses«27 ist. Dieses Gewächs, um im Bild zu bleiben, zeigt sich in der folgenden Vorrede dann voll entwickelt: Kardinal für dieses lektüre­ lenkende Rahmenstück ist Arndts ausdrückliche Selbstinszenierung als Nachfolger von Moses, der im Namen des Herrn unterwegs ist und das auserwählte Volk der Deutschen sozusagen ins Gelobte Land führen will. Der Krieg gegen Napoleon wird dieser Inszenierung entsprechend als ›Heiliger Krieg‹ interpretiert: Damit den »deutschen Menschen das rechte Herz des Krieges wachse, und sie wissen, was Gott will und was sie thun sollen – darum ist dieses Büchlein verfasset«.28 Und es sei »Gottes Wille«, legt Arndt unmissverständlich aus, »daß alle Lande und Völker aufstehen, des gerechten Zorns gedenken, und auf die Franzosen und ­ihren Tyrannen schlagen, und Ehre und Freyheit wiedergewinnen, welche sie von ihren Vätern geerbt, und welche die hinterlistigen Wälschen ihnen so treulos gestohlen haben.«29 Die zentrale legitimatorische, handlungsmotivierende These ist folglich, dass ›Deutschland‹, um Bob Dylan zu zitieren, »has God on its side«. Arndt behauptet diese Setzung al­ lerdings nicht nur, sondern belegt sie überdies durch den Rekurs auf die Nationalgeschichte, genauer: durch die Konstruktion einer solchen Geschichte. Im emphatischen Sinn gestiftet worden sei die ›Deutsche 26 Karen Hagemann, Federkriege. Patriotisch-nationale Meinungsmobilisierung in Preußen in der Zeit der Antinapoleonischen Kriege, 1806-1815, in: Bernd Sösemann (Hrsg.): Kommunikation und Medien in Preußen vom 16. bis zum 19.  Jahrhundert, Stuttgart 2002, S. 281-302, hier S. 294. 27 Johann Georg Hamann, ›Brief an Friedrich Jacobi‹, in: Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften, hrsg. von C. H. Gildemeister, Bd. V., Gotha 1837, 137 f. 28 Ernst Moritz Arndt, Katechismus für den teutschen Kriegs- und Wehrmann, worin gelehrt wird, wie ein christlicher Wehrmann seyn und mit Gott in den Streit gehen soll, Königsberg 1813, S. 10. 29 Ebd.

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Nation‹ durch eine vergleichbare Herausforderung, und zwar den Versuch Roms, die »Völker um den Rhein und die Weser und die Elbe bis an die Küsten der Ostsee zu bezwingen und zu ihren Sklaven zu machen«.30 Dieses Bestreben gefiel allerdings Gott nicht, weiß sein Sprachrohr Arndt, und so erweckte er den Deutschen mit Arminius oder Hermann einen »gewaltigen Kriegsfürsten«, der die Römer in »gewaltigen und blutigen Schlachten«31 geschlagen habe. Der Zweck dieser Genealogisierung ist leicht erkennbar: Geschichte soll, versichert Arndt dergestalt seinen Lesern, ja sie wird sich wiederholen. Weiter ausbuchstabiert werden diese persuasiven Strategien dann in den 20 Kapiteln des titelgebenden Katechismus’, die im Wesentlichen dreierlei leisten: Erstens skizzieren sie ein manichäisches Weltbild, das Orientierung bieten und Hass gegen die Franzosen stiften soll: Klar ­geteilt sei die Welt nämlich seit Kain und Abel in Gut und Böse, in Gottesfürchtige und Gottesvergessene, und wenig überraschen kann, dass diese polare Grundstruktur flugs auf das Verhältnis von Deutschen und Franzosen übertragen und dem ehrlichen, redlichen und männlichen Deutschen der falsche, listige und weibisch-schmeichlerische Franzose gegenübergestellt wird. Dementsprechend sei Krieg zwar prinzipiell ein »Uebel, und die Gewalt ist das größte Uebel«,32 aber immer dann »eine heilige Arbeit«, wenn er gegen von der »Hölle« ausgespiene »Ungeheuer«33 wie Napoleon mit Gott an der Seite für Vaterland, Recht und Freiheit geführt werde: »Denn wer Tyrannen bekämpft, ist ein heiliger Mann […]. Das ist der Krieg, welcher dem Herrn gefällt; das ist das Blut, dessen Tropfen Gott im Himmel zählt.«34 Aus dieser Legitimation des anti­ napoleonischen Kampfes resultiert zweitens ein Verhaltenskatalog für deutsche Soldaten, welcher der Gefahr eines ethisch verwerflichen Krieges vorbeugen soll und sich geradezu wie eine Sittenpredigt liest: Die Rede ist hier beispielsweise von Bescheidenheit, Demut, Güte, Frömmigkeit und Hingabe. Aufgestellt ist damit, summiert Arndt seine Unter­ weisung am Ende, ein »Spiegel eines christlichen Soldaten […], auf daß alle deutschen Soldaten sich durch den hohen Reiz der Ehre und Tugend locken lassen, nicht dem vergänglichen Glanz des Augenblicks, sondern den unsterblichen Glanz der Ewigkeit zu begehren«.35 Aber dieser Sitten30 Ebd., S. 4. 31 Ebd. 32 Ebd., S. 46. 33 Ebd., S. 24. 34 Ebd., S. 22. 35 Ebd., S. 57.

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katalog zielt offenkundig nicht nur auf das Verhalten im Kriege, sondern darüber hinaus – und das ist die letzte und wohl wichtigste Funktion des Arndt’schen Katechismus – drittens auf einen grundlegenden Struk­ turwandel der Gesellschaft: Denn er löst die Soldaten mittels dieser ›Glaubenslehre‹ aus der alten soldatisch-ständischen Bindung an den Landesherrn und bindet sie an einem neuen nationalen Ehrenkodex, in dessen Sinne sie gewissermaßen autonom handeln sollen. In dieser Verpflichtung der Soldaten auf bürgerlich-christliche Werte und Verhaltensnormen liegt das ›Revolutionäre‹ von Arndts reformbellizistischem Programm: Mit ihr setzt er auf »politische Weise die Bemühungen der bürgerlichen Emanzipationsbewegung fort, die Kluft zwischen Staat und Gesellschaft verschwinden zu lassen«.36 Demzufolge werden die Landesherren zwar nicht mehr beschimpft wie noch in der ersten Fassung des Katechismus, weil der Rheinbund mittlerweile aufgelöst war und sich alle deutschen Fürsten am Krieg gegen Napoleon beteiligten; aber sie kommen dafür schlicht nicht vor, markieren gleichsam eine Leerstelle.37 Der umfangreiche Liedanhang setzt die Überzeugungsarbeit durch die Wiederholung der Kernmomente im Modus des Liedes fort, und mehr noch: Er ist insofern der sowohl resonanzstrategisch als auch wirkungsgeschichtlich bedeutsamste Teil von Arndts Schrift, als er nicht nur gelesen, sondern auch und vor allem gesungen werden sollte und damit nicht für eine einsame Lektüre, sondern vorrangig für den kollektiven, mutund gemeinschaftsstiftenden Gesang konzipiert war. Demgemäß sind die meisten Gedichte auf bekannte Kirchenmelodien geschrieben, und zeitgenössischen Berichten ist zu entnehmen, dass die Lieder tatsächlich im Feld gesungen wurden.38 Dabei lässt sich der gegenüber den früheren Fassungen veränderten Zusammenstellung der Lieder noch deutlicher als dem ebenfalls neu akzentuierten Sittenkatalog ablesen, dass Arndt keineswegs blind hasserfüllt gegen die Franzosen wütet, wie von Literar­ historikern häufig inkriminiert wurde, sondern seine Schrift vielmehr ­rational kalkuliert auf die jeweilige politische Situation ausrichtet: Denn 36 Ernst Weber, Lyrik der Befreiungskriege, a.a.O., S. 161. 37 Nur an einer Stelle propagiert Arndt eine Verpflichtung des Soldaten auf die ­›alten‹ Instanzen: »Ein wackerer Soldat und Kriegsmann soll für seinen löblichen und gerechten König und Herrn, und für sein Reich und seinen Ruhm streiten und aushalten bis in den Tod.« Ernst Moritz Arndt, Katechismus für den teutschen Kriegs- und Wehrmann, a.a.O., S. 38. Bezeichnenderweise ist die Verpflichtung aber auch hier nicht prinzipiell formuliert, sondern ausdrücklich an Qualitäten des Landesherrn gekoppelt. 38 Zu Funktion und Wirkung der Singbarkeit siehe Ernst Weber, Lyrik der Be­ freiungskriege, a.a.O., S. 119 ff.

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während in der ersten und zweiten Fassung des Katechismus noch viele Verse zur Jagd auf die Besatzer aufrufen – »Schlagt alle Franzosen mausedodt«, »Schlagt die Schelme todt ! Jede Stunde / wie die Hunde / Schlagt die Büttel todt«,39 appelliert Arndt gebetsmühlenhaft an seine Leser –, fehlen die blutrünstigen und mordlüsternen Lieder in der dritten Version weitgehend, nur vier der ersten 18 Lieder hat Arndt nämlich in sie übernommen. Kurz gesagt: Um die Aufwiegelung eines Volksaufstands gegen die Unterdrückung musste es nach dem Sieg bei Leipzig nicht mehr gehen, sondern nun stattdessen darum, das Erreichte zu bestätigen und im nationalen Sinn zu interpretieren, das heißt die Kriegsgemeinschaft der Deutschen war als Akt der nationalen Selbstbesinnung dar­ zustellen und »dem Wunsche nach Freiheit vom napoleonischen Joch mit dem nach Freiheit von absolutistischer Willkürherrschaft«40 gleichzusetzen. Gegliedert ist die Gedichtsammlung in dreizehn »Geistliche« und zwölf »Weltliche Lieder«. Die geistlichen Lieder sind dabei mehr als die Summe ihrer Teile, sind nicht nur additiv aneinandergefügt, sondern weisen vielmehr einen narrativen Zusammenhang auf: Zunächst rufen sechs Lieder Gott an und gestehen reuevoll diejenigen Sünden ein, die für die Niederlage gegen Napoleon verantwortlich sind: den Verlust von wahrer Frömmigkeit, brüderlichem Zusammenhalt und nationalem Identitätsgefühl. Beispielhaft klagt gleich das erste Gedicht dieser Sektion, Anrufung Gottes: Schmerzlich erfähret man wie sich jetzt trennen Kinder der Mutter, die droben gebiert, Wie sich die Brüder einander nicht kennen, herzliche Freundschaft sich täglich verliert, Viele sich scheiden und viele sich spalten, Weil man die Liebe so läßet erkalten.41 Drei »Ermunterungslieder vor der Schlacht« rufen dann zum »heil’gen Streit«42 gegen Napoleon auf und versichern den deutschen »Brüdern«, »Gott ist mit euch im Heer«.43 Schließlich feiern drei »Danklieder nach 39 Ernst Moritz Arndt, Kurzer Katechismus für teutsche Soldaten, nebst zwei Anhängen von Liedern, Königsberg 1813, S. 53 u. 56. 40 Ernst Weber, Lyrik der Befreiungskriege, a.a.O., S. 163. 41 Ernst Moritz Arndt, Katechismus für den teutschen Kriegs- und Wehrmann, a.a.O., S. 64. 42 Ebd., S. 72. 43 Ebd., S. 73.

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der Schlacht« den errungenen Sieg, der sich nach dem einleitenden ­Reuebekenntnis nur als vergebende Tat Gottes und seine erneute Hinwendung zu dem auserwählten Volk der Deutschen verstehen lässt, das zu Gott und zu nationaler Einheit zurückgefunden habe. Die zwölf ›weltlichen Lieder‹ erzählen zwar keine vergleichbar ko­ härente Geschichte, versammeln aber noch einmal alle bellizistischen Topoi, für die die Lyrik der Befreiungskriege im Allgemeinen und Arndts Lyrik im Besonderen so berühmt wie berüchtigt waren – etwas sum­ marisch aufgeführt: In den typischen Binäroppositionen des Guten und Bösen, Fremden und Eigenen, Tapferen und Feigen, von Ehre und Schande wird der Heilige Krieg gegen, wie es etwa im Bundeslied heißt, »Franzsche Teufel, franzsche List«44 ausgerufen, wird Napoleon als »Satan«45 dämonisiert und Hermann als Heilsbringer gefeiert. Es wird Rache und größtmögliche Brutalität gefordert, besonders plakativ im Lied der Rache, das auch durch seinen Rhythmus mitreißen will: »Schlage, reiße, morde, rase!«46 Schließlich wird als Kriegsziel die radikale Alternative ›Tod oder Freiheit‹ ausgegeben: »Frey wollen wir das Vaterland, / Sonst liegen wir als Leichen.«47 Dass dieser Tod von vielen Soldaten tatsächlich mit Arndts Liedern auf den Lippen gefunden wurde, oder nüchterner: dass der sakralisierte Nationalismus und die demagogisch übersteigerte Xenophobie seiner Vaterlandsgesänge einen wesentlichen Beitrag zur Mobi­ lisierung des Volkes gegen Napoleon leisteten, steht auf einem Blatt. Auf einem anderen Blatt steht allerdings, dass Arndts weiterreichende politische Hoffnungen enttäuscht wurden: Nach dem Ende der Napoleo­ nischen Kriege wurde bekanntlich kein neues Reich gegründet, sondern die deutschen Staaten bildeten, wie es der Frieden von Paris vom 30. Mai 1814 festgelegt hatte, ein ›föderatives Band‹ – und Arndt beklagte in der Flugschrift »Der deutsche Bund wider das deutsche Reich« vom Sommer 1815 das lange befürchtete, »schon zum voraus verfluchte Los«: Du armes, treues, deutsches Volk ! Du sollst keinen Kaiser haben. Sie, deine Fürsten, wollen selbst den Kaiser spielen […]. Nicht ein Volk sollst du sein, nicht deutsch sollst du sprechen, denken und handeln; sondern österreichisch, preußisch, bayerisch und schwäbisch, sächsisch und hannoverisch, badisch und hessisch, und nach drei Generationen wie der Souverän von Krähwinkel und Widershausen, von 44 Ebd., S. 100. 45 Ebd., S. 91. 46 Ebd. 47 Ebd., S. 94.

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Schöppenstedt und Schilda, von Deutschroda und Winkelsleben ! Statt eines Herrn hast du ein paar Dutzend, die, wenn es die deutsche Sache betrifft, nie einig werden können, und die dich gegeneinander jagen, wenn sich einer den Anmaßungen des andern nicht fügen will. Ist der äußere Feind abgetrieben, so gebärt dein Inneres ein Nest voll Ungeziefer, das nur leben kann, indem es sich auffrißt.48 »Heraus mein Schwert! Magst auch dein Liedchen singen«: Körners Rollenwechsel vom Kriegssänger zum singenden Krieger Als Sohn des Dresdner Oberappellationsrats Christian Gottfried Körner, diesem »Genie der Freundschaft und Freund der Genies«,49 ist Theodor Körner gleichsam im Schoß der deutschen Kulturnation aufgewachsen. So hatte er Besuche u. a. von Schiller, den Brüdern Humboldt oder den Brüdern Schlegel erlebt und dergestalt, mit Pierre Bourdieu formuliert, früh reichlich kulturelles und soziales Kapital akkumulieren können. Mit seinen ersten, bühnenwirksamen Stücken avancierte er dann schnell zum vielversprechenden Nachwuchsdichter: Der Olympier Goethe führte Ende 1812 – allerdings wohl Theodor Körners Vater zuliebe50 – in Weimar zwei seiner Stücke auf, und Beziehungen wie allgemeine Aufmerksamkeit verschafften ihm bald eine Anstellung als gefeierter Hoftheaterdichter in Wien.51 Vor allem aber entdeckte Körner mit dem Drama 48 Ernst Moritz Arndt, Der deutsche Bund wider das deutsche Reich, zit. n. Tim Klein, Die Befreiung 1813 – 1814 – 1815. Urkunden, Berichte, Briefe mit geschichtlichen Verbindungen, Ebenhausen b. München 1913, S. 504 f. 49 Joseph Peter Bauke, Christian Gottfried Körner und Friedrich Schegel. Ein un­ bekannter Kommentar Körners zu Schlegels Frühschriften, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft VII (1963), S. 15-43, hier S. 15. 50 Dass der Vater auch und gerade im Falle der Karriere seines Sohnes den supporting actor, das heißt den engagierten Vermittler gibt, als den ihn die Literatur­ geschichte vor allem erinnert, lässt sich ihrem Briefwechsel ablesen. So schlägt er am 2.  März 1812 vor, das Stück »Die Sühne« an Goethe zu schicken, und ist in der  Folge hartnäckig bemüht, den Weimarer Dichterfürsten als Mentor seines Sohnes zu gewinnen. Siehe hierzu beispielsweise den Brief vom 3. Dezember 1812 (Theodor Körners Briefwechsel mit den Seinen, hrsg. von U. Weldler-Steinberg, Leipzig 1910, S. 177 u. 204 f.). 51 Gelegentlich moniert wurde allerdings die mangelnde Originalität der Körner’­ schen Stücke. So kritisierte Dorothea von Schlegel etwa säuerlich, dass seine ­Stücke »aus lauter Reminiscenzen von Schiller« bestünden: »Auch liest er nichts als Schiller und kennt ausser Kotzebue keinen andern Dichter als Werner«. Do­ rothea von Schlegel an Wilhelm Schlegel, 12.01.1813, in: Dorothea v. Schlegel geb. Mendelssohn und deren Söhne Johannes und Philipp Veit: Briefwechsel. Im Auf-

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Zriny sein Thema: den Heldentod fürs Vaterland. Knapp gesagt, mündet das Drama nämlich in den Opfertod aller Helden, was Dorothea Schlegel zu der so spöttischen wie treffenden Bemerkung veranlasste, dass Körner »nichts deutlich vorschwebt als die Katastrophe, die manchmal eine wahre Explosion ist, wie in seinem ›Zriny‹, wo alles in die Luft gesprengt wird. Die drei, vier oder fünf Acte vorher sind nichts als Zubereitungen zu einem solchen Feuerwerk.«52 Erst mit seinem Rollenwechsel sozusagen vom Kriegssänger zum ­singenden Krieger fand Körner allerdings die Rolle seines Lebens, Todes und Nachlebens. In einem Brief vom 10. März 1813 an seinen Vater, der maßgeblichen Anteil an Entstehung und Langlebigkeit der Körner-Legende hatte, teilt er seinen Entschluss mit, sich freiwillig für den Kampf gegen Napoleon zu melden: »Kein Opfer«, heißt es in diesem Brief, sei zu groß »für das höchste menschliche Gut, für seines Volkes Freiheit«, denn »zum Opfertode für die Freiheit und für die Ehre seiner Nation ist keiner zu gut, wohl aber sind viele zu schlecht dazu !« Und Körner, versteht sich, war keineswegs zu schlecht dazu und sein bisheriges Opfer ihm daher zu klein, sein patriotischer Einsatz zu gering: »Soll ich in ­f eiger Begeisterung meinen siegenden Brüdern meinen Jubel nach­ leyern? – Soll ich Komödien schreiben auf dem Spotttheater, wenn ich den Mut und die Kraft mir zutraue, auf dem Theater des Ernstes mitzusprechen?«,53 fragte er rhetorisch und gab rasch die Antwort, indem er sich tatsächlich für das nichtpreußische Freikorps des Majors Adolf von Lützow meldete, das eine Anzahl adeliger und bürgerlicher Intellektueller zu seinen Mitgliedern zählte wie Eichendorff, Jahn und Friesen. »[I]ch kann Euch gar nicht beschreiben, wie angenehm das Verhältniß ist, in dem ich lebe«, schrieb er wenige Tage nach seinem Eintritt in das Lützow’sche Freicorps stolz an seine Eltern, da »die gebildetsten und ausgesuchtesten Köpfe aus ganz Deutschland neben mir in Reih und Glied stehen. Man könnte einen ganzen Plan mit lauter Schriftstellern ausführen, so viele stehen bey den Schwarzen.«54 Besonders stolz aber war er darauf, selbst aus diesen ›ausgesuchten Köpfen‹ dadurch herauszuragen, trag der Familie Veit hrsg. v. J. M. Raich, Mainz 1881, Bd. 2, S. 139. In ähnlichem Sinne urteilte Clemens Brentano zu einer posthumen Aufführung von »Toni«, das Trauerspiel klänge, als »hätte sich die Feder Kotzebues in Schillers Tintenfaß verirrt«. Clemens Brentano, Theaterrezensionen, in: Ders., Werke. Zweiter Band, München 1963, S. 1055. 52 Dorothea von Schlegel, a.a.O., S. 138. 53 Theodor Körners Briefwechsel mit den Seinen, a.a.O., S. 219. 54 Ebd., S. 231.

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dass »das Corps […] viele Lieder von mir« singe.55 Diese Darstellung wird von einer der raren Äußerungen aus den Kriegsjahren über die Liedund Gesangspraxis unter den Soldaten bestätigt: Die Sänger fanden sich bald zusammen, und nun wechselte unsere Musik mit herrlichen vierstimmigen Liedern und anderen Gesängen ab. […] Es war von ergreifender Wirkung. Unsere Wachfeuer flackerten zum Himmel empor. ›Frisch auf Kameraden‹ aus Wallensteins Lager, dann das neue Arndtsche Lied Des Deutschen Vaterland, vor allem waren es aber unsere herrlichen Körnerschen Lieder, die die höchste Teilnahme und selbst Tränen der Rührung hervorbrachten.56 Körners Kriegslieder, zumeist auf bekannte Melodien gedichtet, hatten offenkundig unmittelbar Erfolg bei den mehrheitlich akademisch gebildeten Kameraden, wurden sogleich gemeinsam gesungen mit dem kollektivpsychologischen Effekt, dass sie Gemeinsamkeit erzeugten, Angst vor der Schlacht nahmen und Zuversicht vermittelten. Der kämpfende Dichter Körner beglaubigte seine Gedichte also durch die Verbindung von Wort und Tat, was maßgeblich zu ihrer Wirkung beitrug, und dass Körner am 26. August 1813 kurz vor seinem 21.  Geburtstag in einem Gefecht bei Gadebusch fiel – sei es im rühmlichen Kampf oder nicht, spielt dabei keine Rolle57 –, verlieh dieser Beglaubigung schließlich eine unüberbietbare Weihe. Körner war zwar weder der erste noch der einzige deutsche Schriftsteller, der während der Befreiungskriege als Soldat ums Leben kam; zuvor gefallen war bereits am 20.  Februar 1813 Alexander von Blomberg, dessen Schwertfegerlied Körner zu seinem »Schwertlied« inspirierte,58 und einen Tag nach Körner fiel Christian Kühnau, Verfasser der »Wehrlieder«. Aber Körners ›Heldentod‹ bot sich in besonderer Weise zur Legendenbildung bzw. zur anti­ napoleonischen Propaganda an, da er sowohl als Zugehöriger des 55 Ebd. 56 So brieflich der Jägeroffizier Friedrich August Mebes (Briefe aus den Feldzügen 1813 und 1814, in: Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine, Bd. 60, Berlin 1886, S. 27 f.). 57 Zu den unterschiedlichen Versionen der Augenzeugenberichte über Körners Tod siehe Erhard Jöst, Der Heldentod des Dichters Theodor Körner. Der Einfluß eines Mythos auf die Rezeption einer Lyrik und ihre literarische Kritik, in: Orbis Litterarum 32 (1977), S. 310-340, hier S. 316-319. 58 Zu Blombergs Gedichten und seinem Nachruhm, namentlich den Totenklagen Friedrich de la Motte Fouqués, siehe: Alexander von Blomberg, »Die verhasste Wirklichkeit«. Gedichte. Im Auftrage des Lippischen Heimatbundes hrsg. von Heinrich Detering, Detmold 1986.

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Lützow’schen Freicorps als auch durch sein Vaterhaus eine Vielzahl von literaturpolitischen Bündnisgenossen hatte, die von großem Einfluss in der literarischen Öffentlichkeit waren und seinen Nachruhm mit einem ›Heer‹ von Widmungsgedichten sicherstellten.59 In einer Zeit, in der Literatur nicht vorrangig an ästhetischen, sondern ethischen Maßstäben gemessen wurde, positionierte ihn sein Heldentod als unangreifbare moralische Instanz und verlieh seiner Dichtung eine kaum anfechtbare Autorität. Richtungweisend für diese Instrumenta­ lisierung, modern gesagt: diese Vermarktung als ideale Verkörperung der Einheit von Wort und Tat war eine eminent erfolgreiche Zusammenstellung Körner’scher Gedichte, die sein Vater unter dem Titel »Leyer und Schwert« schon 1814 herausbrachte; alleine bis 1834 erfuhr diese Sammlung sieben Auflagen, und zahlreiche weitere folgten. Wirkungsstrategisch geschickt ist zunächst die Wahl des suggestiven Titels, der Wort und Tat aufeinander bezieht und mittels der archaisierenden Begriffe Assoziationen an antike oder germanische Helden aufruft. Entnommen ist dieses Begriffspaar Körners im April 1813 entstandenem Gedicht »Zueignung«, das der Vater quasi als Vorwort des Dichters vor die Gedichtsammlung setzt und auf diese Weise die Authentizität der Lieder betont, das heißt den Kurzschluss zwischen textexternem und textinternem Ich nahelegt: Allen Freunden, die noch an den »verwegnen Zitherspieler« von einst denken, ruft Körner in dieser Zueignung zu, dass er den Rollenwechsel vom Sänger zum Krieger nun vollziehen muss: »Das kühne Herz läßt sich nicht länger mahnen, / der Sturm der Schlachten trägt es brausend fort; / Die Leier schweigt, die blanken Schwerter klingen. / Heraus, mein Schwert ! Magst auch Dein Liedchen singen.« Und ein geradezu antizipativer Charakter ist den Schlussversen durch den Tod Körners aufgeprägt: »Und sollt’ ich einst im Siegeszug fehlen: / Weint nicht um mich, beneidet mir mein Glück ! / Denn was berauscht die Leier ­vorgesungen, / Das hat des Schwertes freie Tat errungen.«60 Im Tod des 59 Besonders anschaulich wird diese gleichsam bündnispolitische Arbeit am Nachruhm Körners bzw. die Fremdinszenierung des Dichters in einem von Friedrich Wilhelm Lehmann herausgegebenen Band, der auf über 200 Seiten u. a. eine ­biografische Skizze, Beschreibungen des ›Heldengrabs‹ und Totenklagen ver­ sammelt. Siehe: Lebensbeschreibung und Todtenfeier Carl Theodor Körners, herausgegeben von Friedrich Wilhelm Lehmann, Halle u. a. 1819. 60 Theodor Körner, Leyer und Schwert von Theodor Körner. Lieutnant im Lützow’schen Freicorps. Zweite rechtmäßige, vom Vater des Dichters veranstaltete Ausgabe, Berlin 1814, S. V. Dieser zwei ten Auflage sind unter dem Titel »Zugabe« einige Widmungsgedichte an Körner angehängt, womit der Rezeption Körners die Richtung vorgegeben ist.

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Individuums, lassen sich diese Verse reformulieren, kommt die Nation zu sich selbst, und erst die Zukunft wird ihm Sinn verleihen – und in genau diesem Sinn wurde sein Tod tatsächlich als geradezu folgerichtige Krönung seines Lebens gefeiert. Wilhelm Humboldt, um nur ein Beispiel für diese Interpretationslinie zu nennen, schrieb an seine Frau Caroline: »Je öfter ich an ihn denke, desto mehr finde ich ihn glücklich, so geendet zu haben. […] Körner ist nun wirklich zu einer vollendeten Gestalt geworden. Jugend, Dichtung, Vaterlandsliebe, Tapferkeit haben sich zu diesem einen frühen Ende verschlungen.«61 Noch während der Befreiungskriege entwickelte sich ein veritabler Körner-Kult: »Die Porzellanmanufakturen verewigten sein Portrait auf Tassen, Tellern und Tabaksdosen und Pfeifenköpfen«,62 Maler und ­Biografen tradierten seinen heroischen ›Ritt in den Tod‹, sein Grab avancierte geradezu zum säkularen Wallfahrtsort, und seine Gedichte erfreuten sich einer außerordentlichen Popularität. Im Gegensatz zu Arndts Lyrik wurden diese Gedichte allerdings nicht von der gesamten Bevölkerung bzw. dem gesamten Heer, sondern vorrangig von den jungen Ge­ bildeten als standes- und generationsspezifische Literatur für sich reklamiert. So schrieb der Lützower Jäger Hermann Fischer mit Stolz auf die sittliche Überlegenheit seiner Schicht: Während Arndt für den Soldaten dichtet, den treuherzigen Ton des Volkes, der älteren deutschen Sprache […] zu treffen sucht, sind Körners Lieder hervorgegangen aus der patriotischen Empfindung des ­gebildeten Theils der deutschen Jugend. Von dieser Volksklasse, die ja auch unter Körners Waffenbrüdern im engeren Sinn besonders zahlreich vertreten war, sind sie deshalb mit ungetheilter Begeisterung aufgenommen worden.63 Auf den ersten Blick mag diese Zuordnung erstaunen, weil Körners ­Geschichts- und Weltbild sowie das Bildinventar seiner Gedichte wenig von Arndts Kriegslyrik zu unterscheiden scheint. Dazu nur knapp einige exemplarische Belege: Auch bei Körner wird der Tod für das Vaterland

61 Am 3.6.1814, in: Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, hrsg. von Anna von Sydow, Berlin 1910, Bd. IV, S. 379. 62 »Zum Opfertod für die Freiheit«. Theodor Körners Taschenuhr, in: Erinnerungsstücke von Lessing bis Uwe Johnson. Marbacher Kataloge 56, Ulrich Ott (Hrsg.), Marbach am Neckar 2001, S. 73-81, hier S. 80. 63 Zitiert nach Adolph Kohut, Theodor Körner. Sein Leben und seine Dichtungen, Berlin 1891, S. 244 f.

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gepriesen (»Vaterland ! Dir woll’n wir sterben«),64 wird Freiheit als zentraler Hochwertbegriff etabliert und dementsprechend die Alternative »Freiheit oder Tod«65 ausgegeben. Und auch hier wird der Krieg, gezeichnet abwechselnd metaphorisch als Jagd (»Frisch auf ihr Jäger frei und flink, / Die Büchse von der Wand«)66 oder Tanz (»So geht’s zum lust’gen Hochzeitsfest, / Der Brautkranz ist der Preis […] Die Ehre ist der Hochzeitsgast, / Das Vaterland die Braut«),67 als gerecht und heilig interpretiert und auf die einheitsstiftende deutsche Sprache hingewiesen: »Uns knüpft der Sprache heilig Band, / Uns knüpft ein Gott, ein Vaterland, / Ein trautes deutsches Blut.«68 Bei genauerem Hinsehen sind aber zumindest drei Gründe auszu­ machen, die ihr besonderes identifikatorisches Potential für die junge akademische Intelligenz erklären:69 Zu nennen ist hier natürlich erstens die frühe Distribution von Körners Liedern, die ja während der Kriegszüge des Lützow’schen Freicorps entstanden, zunächst in Abschriften unter diesen Truppen zirkulierten und erst nach seinem Tod einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden. Zweitens unterscheiden Körners Verse von dem reformpolitischen Bellizismus der Arndt’schen Lyrik, dass sie keineswegs auf einen gesellschaftlichen Strukturwandel, sondern vielmehr auf die Wiederherstellung der alten Ordnung abzielen, sich im Kern also als reaktionär bezeichnen lassen. Während die Fürsten bei Arndt eine Leerstelle bilden und ansonsten ein antidynastisches Denken seine Verse bestimmt, finden sich bei Körner nur zwei einsame Verse, die sich von der Orientierung auf die alten Herrscherhäuser lösen. Und zwar heißt es am Anfang des Gedichts Aufruf: »Es ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen; / Es ist ein Kreuzzug; ’s ist ein heil’ger Krieg«70 – und diese beiden Verse haben der  DDR-Germanistik übrigens ausgereicht, um Körner zum Vorläufer demokratischer Ideen zu erheben.71 Besonders augenfällig wird diese Orientierung neben verschiedenen Gedichten, die

64 Bundeslied vor der Schlacht, in: Theodor Körner, Leyer und Schwert, a.a.O., S. 51 ff. 65 Reiterlied, ebd., S. 60 ff. 66 Jägerlied, ebd., S. 43 f. 67 Reiterlied, ebd., S. 60 f. 68 Jägerlied, ebd., S. 43 f. 69 Siehe hierzu Ernst Weber, Der Krieg und die Poeten, a.a.O., S. 301 ff. 70 Aufruf, in: Theodor Körner, Leyer und Schwert, a.a.O., S. 37 ff. 71 Zu Körners später ›Karriere‹ zum fortschrittlichen Dichter im Sinne des Marxismus siehe Erhard Jöst, Der Heldentod des Dichters Theodor Körner, a.a.O., S. 328-331.

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ausdrücklich das »Haus Oesterreich«72 hochleben lassen oder dem König gewidmet sind, im Bundeslied. Beklagt wird dort nämlich vor allem, dass »unsre Sprache ward geschändet, / unsre Tempel stürzten ein«, und die Hoffnung richtet sich auf eine »goldne« Zukunft, die folgendermaßen ausgemalt wird: »Deutsche Kunst und deutsche Lieder, / Frauenhuld und Liebesglück / Alles Große kommt uns wieder, / alles Schöne kehrt zurück.«73 Gleichsam geborgen werden soll die in den Trümmern des Krieges verschüttete Kultur des Bürgertums bzw. der akademischen Intelligenz, und es soll ausdrücklich nur »Rache« genommen werden für die ›Schändung‹ dieser Kultur – von einer ständeübergreifenden Perspektive ist hier keine Rede. Drittens schließlich charakterisiert Körners Lyrik eine Empfindsamkeit und Sensibilität, die Arndts Versen fremd ist: In dem Gedicht Letzter Trost beispielsweise, das dem Untertitel gemäß geschrieben sein will »Beim Zurückzug der Vereinigten Heere über die Elbe«, thematisiert und gesteht die Sprechinstanz große Besorgnis angesichts der Gefahren: Was zieht ihr die Stirne finster und kraus? Was starrt ihr wild in die Nacht hinaus, Ihr freien, ihr männlichen Seelen? Jetzt heult der Sturm, jetzt braus’t das Meer, Jetzt zittert das Erdreich um uns her, Wir woll’n uns die Noth nicht verhehlen.74 Und mehr noch: In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass Körners Gedichte immer wieder von einem ›Ich‹ sprechen, wo bei Arndt grundsätzlich von einem ›Wir‹ die Rede ist. Den von Gymnasien und Universitäten zugeströmten Freiwilligen wird auf diese Weise vermittelt, dass sie sich mit dem Eintritt ins Heer nicht zu anonymen Soldaten verwandeln, die ihre Individualität zugunsten einer höheren Idee aufgeben, wie dies bei Arndt letztlich der Fall ist, sondern exzeptionelle Individuen bleiben bzw. werden. Besonders deutlich präsentiert sich dieser zur identifikatorischen Lektüre einladende Entwurf eines so sensiblen wie furchtsamen, aber der Sinnhaftigkeit seines Handelns gewissen Ichs in »Abschied vom Leben«: In diesem Gedicht, das wiederum dem Untertitel zufolge auf­ gezeichnet wurde, »als ich in der Nacht vom 17. zum 18. Juni 1813 schwer verwundet und hilflos in einem Holze lag und zu sterben meinte«, muss 72 Hoch lebe das Haus Oesterreich, in: Theodor Körner, Leyer und Schwert, a.a.O., S. 14 ff. 73 Bundeslied vor der Schlacht, ebd., S. 51 ff. 74 Letzter Trost, ebd., S. 48 ff.

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das lyrische Ich (das offensichtlich mit seinem Autor in eins gesetzt ­werden soll) sich angesichts der existentiell bedrohlichen Lage selbst­ beschwörend »Mut! Mut !« zurufen, bevor es die Freiheit wieder beruhigend »als lichten Seraph« vor sich sieht.75 Ein kurzer Schluss nur zur langen Rezeptionsgeschichte der anti­ napoleonischen Literatur, die sicher, um es sehr zurückhaltend zu formulieren, nach Ende der Befreiungskriege problematisch verlaufen ist. Hinweisen ließe sich in diesem Zusammenhang sowohl auf Einzelfälle wie denjenigen des Studenten Carl Ludwig Sand, der zur Mutstiftung das ­Johannesevangelium und Körners »Leyer und Schwert« im Gepäck hatte, als er am Abend des 23. März 1819 August von Kotzebue mit den Worten »Hier, du Verräter des Vaterlandes« erdolchte, als auch und vor allem auf die Phasen der ›Reaktivierung‹ dieser Literatur anlässlich der Kriege von 1870/71 und 1914/18 sowie durch die Nationalsozialisten ab 1933 – Goebbels beispielsweise krönte seine ›Sportpalastrede‹ mit einem fast wört­ lichen Zitat aus Körners Gedicht »Männer und Buben«: »Nun, Volk, steh auf, und Sturm, brich los !«76 Wertneutral betrachtet, kann der Lyrik der Befreiungskriege dennoch keine ›primitivste Scharfmacherei‹ vorgeworfen werden. Vielmehr ist sie, wie deutlich geworden sein sollte, äußerst resonanzsensibel auf die politikräsonierende Öffentlichkeit im Allgemeinen und ihren jeweiligen Adressatenkreis im Besonderen ab­ gestimmt und bietet dementsprechend ein ertragreiches Explorationsfeld für die Frage nach dem Emotionalisierungs- und Mobilisierungspotential der Literatur.

75 Abschied vom Leben. Nachts vom 17-18 Juni 1813, ebd., S. 65. 76 Bei Körner heißt es: »Das Volk steht auf, der Sturm bricht los«, vgl. Männer und Buben, ebd., S. 78 ff.

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»Nicht schrecklich bist du in der Nähe anzuschaun, / Es zieht das Herz mich zu der lieblichen Gestalt.« Die emotionstheoretische Codierung der Anmut als Helden- und Gewaltästhetik um 1800 I Die literarische und theatrale Konstruktion des Heroischen ist in doppelter Hinsicht abhängig von emotionalen Codierungen. Zum einen setzt die Inszenierung des Heros bestimmte affektive Konstellationen auf der Seite des Helden voraus, damit wir sein Handeln als heroisch wahrnehmen können. Zweitens ist die affektive Wirkung auf den Rezipienten entscheidend dafür, ob sich ein dargestelltes Individuum als Held qua­ lifiziert. Beide emotionalen Bestimmungen des Heroismus sind in verschiedenen historischen Kontexten immer wieder neu definiert worden. Zeichnete sich der griechische Heros durch große Leidenschaften aus, die sich bis ins Wahnhafte steigern konnten, setzt sich in der von der Aufklärung geprägten bürgerlichen Moderne zunehmend eine Moralisierung heroischen Handelns durch.1 Damit werden zugleich neue Anforderungen an die innerpsychischen Prozesse des Helden wie auch an seine ästhetische Wirkung gestellt. Um den Heros als sittlichen Helden zu legitimieren, wird das barocke Konzept des erhabenen Heroismus von den bürgerlichen Theoretikern, insbesondere von Friedrich Schiller, neu akzentuiert. Im Barock entwickelt sich mit dem neustoischen Heroismusideal ein Konzept, welches an den Helden vor allem den Anspruch der Selbstüberwindung stellt. Erhaben zu sein heißt, die vollkommene Kontrolle über die eigenen Affekte zu gewinnen.2 Als paradigmatisch für diese Konzeption wird Corneilles Held Horace angesehen, der sich ohne zu zögern entscheidet, in einem Zweikampf für Rom gegen den Bruder seiner Ver1 Heinz Schlaffer, Der Bürger als Held. Sozialgeschichtliche Auflösungen litera­ rischer Widersprüche, Frankfurt am Main 1973, S. 24. 2 Zur Konzeption des neustoischen Helden siehe u. a. Walter Rehm, Römisch-­ romanischer Barockheroismus und seine Umgestaltung in Deutschland, in: Ders., Götterstille und Göttertrauer. Aufsätze zur deutsch-antiken Begegnung, München 1951, S. 11-61.

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lobten an­zutreten.3 Zwar zeichnet sich schon in dieser Konzeption des Barock im Vergleich zur exzessiven Gewalt der antiken Helden eine mo­ ralische Wendung ab: Im erhabenen Heldentum sind nicht Geschick­ lichkeit, Tatendrang oder Kraft Conditio sine qua non des Heroischen, sondern die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse zugunsten der guten Sa­ che in den Hintergrund zu stellen. Die an Grausamkeit grenzende Bereit­ schaft zur Gewalt des Helden wird in den Barockpoetiken jedoch nicht infrage gestellt. Sie ist durch die übermenschliche Selbstüberwindung des Heros, durch seine Größe und Unnahbarkeit und durch die unterstellte rationale Einsicht in die Richtigkeit seiner Mission gerechtfertigt. Die emotionale Codierung des barocken Heldenkonzepts ist ganz der traditionellen Auffassung der Emotionen in der Philosophiegeschichte verhaftet. Seit Aristoteles, der Stoa und vor allem auch den Philosophien Descartes’ und Leibniz’ wird der Affekt als antivernünftig gedacht, ist das anthropologische Ideal darauf ausgerichtet, die Emotion der Herrschaft der Vernunft zu unterwerfen.4 Dies gilt auch für die Wirkung, die mit der erhabenen Heldendarstellung erreicht werden sollte. Im distanzieren­ den, als Bewegung des Intellekts verstandenen »Affekt« der Bewunde­ rung sollte der Zuschauer emotional ebenso ungerührt bleiben wie der neustoische Held.5 Von diesem Heldentypus mussten sich die Heroismuskonzeptionen der Weimarer Klassik deutlich abgrenzen. Die uneingeschränkte Ge­ waltbereitschaft wie auch die emotionale Ausdruckslosigkeit des neu­ stoischen Helden ließen sich nicht mit dem Konzept einer ästhetischen Erziehung vereinbaren. Gewalt kann in dem auf Harmonisierung und die Entwicklung des »ganzen Menschen« ausgerichteten Programm nur noch unter sehr eingeschränkten Bedingungen gerechtfertigt sein. Die Fragestellung, inwieweit gewaltsame Darstellungen mit den Idealen der Klassik überhaupt kompatibel sind, prägt die konzeptionellen Über­ legungen ihrer Theoretiker.6 Für die auf ästhetische Erziehung durch emotionale Rührung aus­ gerichtete Theaterästhetik7 der Empfindsamkeit und Klassik war zudem 3 Pierre Corneille, Horatius, Halle 1905. 4 Siehe u. a.: Burkhard Meyer-Sickendiek, Affektpoetik. Eine Kulturgeschichte lite­ rarischer Emotionen, Würzburg 2005, S. 15. 5 Albert Meier, Dramaturgie der Bewunderung. Untersuchungen zur politisch-­ klassizistischen Tragödie des 18. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1993, S. 41. 6 Siehe hierzu vor allem Martin Dönike, Pathos, Ausdruck und Bewegung. Zur ­Ästhetik des Weimarer Klassizismus 1796-1806, Berlin 2005. 7 Siehe u. a.: Erika Fischer-Lichte, Kurze Geschichte des deutschen Theaters, Tü­ bingen/Basel 1993, S. 83-87.

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die emotionale Ausdruckslosigkeit des neustoischen Helden ein Mangel. Durch die Identifikation mit dem Heros, die vor allem durch die Emotion des Mitleids gesteuert werden soll, wird ein neuer (bürgerlicher) Heldentypus und eine neue Form des Verhältnisses zwischen Rezipient und Held konzipiert. Paradigmatisch ist es Schillers Theorie des »Pa­ thetisch-Erhabenen«,8 die Gotthold Ephraim Lessings Konzeption des Bürgerlichen Trauerspiels mit dem Ideal des erhabenen Heldentums ­versöhnt und so einen Darstellungsmodus für heroische Sujets in bürgerlichen Zeiten findet. Der Held, so Schiller, dürfe sich nicht durch die Kälte der corneillschen Helden auszeichnen. Er müsse sich vielmehr durch deutlich sichtbares Leiden zunächst als menschlich erweisen, um dann dem Leiden einen heroischen Widerstand entgegenzusetzen und auf diese Weise seine heroische Selbstbeherrschung und Freiheit unter Beweis zu stellen.9 Diese neue Akzentuierung des Erhabenen zielt auf eine deutlich andere Affektmodulation als die barocke Bewunderungsdramaturgie. Der Held löst nun durch sein Leiden Mitleid und hierdurch stärkere Affizierung aus, zugleich aber ermöglicht seine Fähigkeit zur Selbstkontrolle dem Zuschauer, sich nicht von den Gefühlen überwältigen zu lassen, sondern letztendlich die Kontrolle über seine Emo­ tionen zu wahren. Auf diese Weise erfährt sich das Individuum – wie schon in Immanuel Kants Konzeption des »Dynamisch-Erhabenen« – als frei, auch im Angesicht einer gewaltsamen Darstellung.10 II Doch nicht nur die Konzeption des Erhabenen ist dazu angetan, die darstellungstechnischen und poetologischen Probleme zu lösen, welche die Inszenierung des Heroischen in den Parametern der bürgerlichen Ästhetik mit sich bringt. In meiner Dissertation »Gewalt und Anmut«11 habe 8 Die Konzeption des »Pathetisch-Erhabenen« entwickelt Schiller in den Schriften: Vom Erhabenen. Zur weitern Ausführung einiger Kantischen Ideen, in: Schillers Werke, Nationalausgabe, hrsg. von Norbert Oellers, CD-ROM, Cambridge 1998-2000, Bd. 20, Weimar 1962, S. 171-195, und Ueber das Pathetische, in: ebd., S. 196-221. Zum pathetisch-erhabenen Heroismus bei Schiller siehe u. a.: Nikolas Immer, Der inszenierte Held. Schillers dramenpoetische Anthropologie, Heidelberg 2008, S. 175 ff., und Paul Barone, Schiller und die Tradition des Erhabenen, Berlin 2004, S. 164 ff. 9 Friedrich Schiller, Ueber das Pathetische, a.a.O., S. 196. 10 Nikolas Immer, Held, a.a.O., S. 437 ff. 11 Mareen van Marwyck, Gewalt und Anmut. Weiblicher Heroismus in der Literatur und Ästhetik um 1800, Bielefeld 2010.

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ich gezeigt, dass sich mit der Anmut eine zweite, weiblich codierte ­Helden- und Gewaltästhetik etabliert. Ich möchte im Folgenden meine Thesen aus emotionstheoretischer Perspektive weiterentwickeln und zeigen, dass der anmutige Heroismus sich auch in emotionstheoretischer Hinsicht als alternatives Konzept zum Erhabenen erweist, dass die ­Anmutstheorien auf die affektmodulatorischen Probleme der Heldeninszenierung mit alternativen Strategien reagieren. Hierzu möchte ich zunächst das Phänomen anmutigen Heldentums in der Literatur und Ästhetik um 1800 kurz skizzieren. In Darstellungen kriegerischer Heldinnen um 1800 finden sich immer wieder erstaunliche Synthesen von weiblichem Reiz und kriegerischer Gewalt. So etabliert sich in Bilddarstellungen der Französischen Revolution mit der Liberté eine Frauendarstellung, in der weibliche Anmut und martialische Elemente miteinander verschränkt sind.12 Ebenso werden die Protagonistinnen aus Schillers »Jungfrau von Orleans«13 (1801), Heinrich von Kleists »Penthesilea«14 (1808), Zacharias Werners »Wanda«15 (1808) und Caroline de la Motte Fouqués »Das Heldenmädchen aus der Vendée«16 (1816) mit  typischen Merkmalen des Anmutig-Weiblichen ausgestattet. Die Kämpfe werden mit Bildern des Fliegens, des Tanzens und der Schwerelosigkeit geschildert, die bei Schiller und Kleist Metaphern der Grazie sind. Auch und vor allem in ihren Kämpfen gewinnen die Heldinnen einen anmutig-femininen Reiz. Zurückgreifen kann diese Heldinnenund Gewaltinszenierung auf die Ästhetik der europäischen Fechtkunst, für die seit der Antike die Grazie die leitende ästhetische Kategorie ist.17 Anmut als Gewaltästhetik ist in zweifacher Hinsicht ein erstaunliches Phänomen: Zum einen ist sie in den Theorien des 18. Jahrhunderts so konzipiert, dass sie Gewalt in die Sphäre des Schönen zu integrieren vermag – eine anmutige Gewalt unterläuft damit die im 18. Jahrhundert

12 Ebd., S. 70 ff. 13 Friedrich Schiller, Die Jungfrau von Orleans, in: Schillers Werke, National­ ausgabe, hrsg. von Norbert Oellers, CD-ROM, Cambridge 1998-2000, Bd. 9, Weimar 1948, S. 165-315. 14 Heinrich von Kleist, Penthesilea, in: Ders.: Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden, hrsg. von Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Stefan Ormanns und Hinrich C. Seeba, Bd. 2, Frankfurt am Main 1987, S. 143-256. 15 Zacharias Werner, Wanda, Königin der Sarmaten, in: Dramen von Zacharias Werner, bearbeitet von Paul Kluckhohn, Darmstadt 1964, S. 208-274. 16 Caroline de la Motte Fouqué, Das Heldenmädchen aus der Vendée, Teil I und II, Leipzig 1816. 17 Mareen van Marwyck, Anmut, a.a.O., S. 103 ff.

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gängige »doppelte Ästhetik«18 eines harmonischen Schönen und eines ­gewaltsamen Erhabenen. Zum anderen gibt sie dem ästhetischen Dis­ kurs  auch hinsichtlich des Verhältnisses von Gender und Gewalt eine entscheidende Wendung. In der gendercodierten »doppelten Ästhetik« wurde nicht nur das Schöne, sondern auch die mit dem Schönen asso­ ziierte Frau als gewaltlos und passiv gedacht und von einem aktiv-gewaltsamen männlich codierten Erhabenen abgegrenzt.19 Mit der Integration von Gewalt in die Sphäre des Schönen lässt sich jedoch auch eine kämpfende Frau so inszenieren, dass ihre als geschlechtsspezifisch gedachte schöne Körperlichkeit und Bewegung nicht verloren geht. Nicht nur auf ästhetischer, auch auf ethischer Ebene erweist sich die anmutige Kriegerin als ein Phänomen, welches der Verschleierung und Rechtfertigung von Gewalt dient. Denn der Anmut als Bewegungsschönheit wird in den Theorien des 18. Jahrhunderts eine moralische Aussagekraft zugewiesen.20 Die anmutigen Bewegungen werden als unmittelbarer Ausdruck der »schönen Seele«21 verstanden. So wird die ­Heldin in ihrer anmutigen Gewalt selbst zum Garanten der ethischen ­Legitimität ihrer Mission, eine Wendung, die in den Darstellungen weiblicher Heldinnen um 1800 ideologisch genutzt wurde.22 Wie unterscheidet sich nun die emotionale Codierung der anmutigen Gewalt- und Heldenästhetik von der Konzeption des Erhabenen? Johann Joachim Winckelmann ist einer der führenden Theoretiker, die 18 Carsten Zelle, Die doppelte Ästhetik der Moderne. Revisionen des Schönen von Boileau bis Nietzsche, Stuttgart/Weimar 1995. 19 Mary Ann Snyder-Körber, Das weiblich Erhabene. Sappho bis Baudelaire, München 2007. 20 Siehe u. a.: Janina Knab, Ästhetik der Anmut. Studien zur »Schönheit der Be­ wegung« im 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main u. a. 1996, S. 115 ff., und Gerd Kleiner, Die verschwundene Anmut, Frankfurt am Main u. a. 1994, S. 216 ff. und S. 243. 21 Siehe u. a. Inge Stephan, Das Konzept der »schönen Seele«. Zur geschlechtlichen Codierung einer philosophisch-religiösen Figuration im Gender-Diskurs um 1800 – am Beispiel der Bekenntnisse einer schönen Seele von Goethe (1795/96) und Unger (1806), in: Dies., Inszenierte Weiblichkeit. Codierung der Geschlechter in der Literatur des 18. Jahrhunderts, Weimar/Wien 2004, S. 189-204, und Christine Lubkoll, Moralität und Modernität. Schillers Konzept der »schönen Seele« im Kontext der literaturhistorischen Diskussion, in: Walter Hinderer (Hrsg.), Friedrich Schiller und der Weg in die Moderne, Würzburg 2006, S. 8399. Zur »schönen Seele« als Form weiblichen Heroismus vgl. auch Oliver Jahraus, Held(innen) der deutschen Klassik, in: Rolf Selbmann (Hrsg.), Deutsche Klassik. Epoche – Autoren – Werke, Darmstadt 2005, S. 208-230. 22 Mareen van Marwyck, Anmut, a.a.O., S. 94 ff.

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Anmut als Helden- und Gewaltästhetik konzipieren. In der griechischen Kunst unterscheidet er zwischen einer erhabenen Heldendarstellung des hohen Stils und einer anmutigen Heldendarstellung des schönen Stils. Im hohen Stil zeichnet sich der Held innerlich durch Ruhe im Leiden, äußerlich durch Monumentalität und Bewegungslosigkeit aus.23 Im schönen Stil kann vermittels der Anmut auch innere und äußere Bewegung heroisch erscheinen. Figuren wie der gegen die Schlangen kämpfende Laokoon oder sogar eine Bacchante in ihrem Rausch können in diesem Darstellungsmodus Inhalt einer heroischen Inszenierung in der bildenden Kunst werden. Dem winckelmannschen Konzept wohnt eine emo­ tionstheoretische Codierung in doppelter Hinsicht inne. Zum einen setzt die anmutige Heldeninszenierung eine bestimmte innere Situation des Helden voraus: nämlich eine Balance aus emotionaler Erregung und vernunftbestimmter Fassung. Denn die innere und äußere Bewegung kann im schönen Stil nur deshalb heroisch erscheinen, weil sie so ge­ mäßigt ist, dass nur eine Andeutung des Gefühls, nicht aber seine ganze Intensität zum Ausdruck kommt. In der »Geschichte der Kunst des Altertums« (1767) heißt es: [D]ie Seele äußerte sich nur wie unter einer stillen Fläche des Wassers und trat niemals mit Ungestüm hervor. In Vorstellung des Leidens bleibt die größte Pein verschlossen wie im Laokoon, und die Freude schwebt wie eine sanfte Luft, die kaum die Blätter rührt, auf dem Gesicht der Bacchante […].24 Diese exakte Balance zwischen Ausdruck von Emotionen und Mäßigung derselben ist also die erste Voraussetzung für die anmutige Helden­ darstellung des schönen Stils. Winckelmann bezeichnet diese als hohe Grazie. Sie hat Ähnlichkeiten mit dem Erhabenen in Schillers Theorie, ist aber für Winckelmann Inszenierungsmodus sowohl des hohen als auch des schönen Stils. Grazie und Erhabenes werden hier also nicht ­dualistisch gedacht.25 Im Gegenteil ist es so, dass die hohe Grazie, der kontrollierte Ausdruck der Emotionen des Helden, im schönen Stil die 23 Johann Joachim Winckelmann, Geschichte der Kunst des Altertums, Weimar 1964, S. 188 ff. 24 Ebd., S. 195. 25 Vgl. hierzu: Sylvie Hurstel, Zur Entstehung des Problems des Erhabenen in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts. J. J. Winckelmann und G. E. Lessing, in: Gérard Raulet (Hrsg.), Von der Rhetorik zur Ästhetik. Studien zur Entstehung der ­modernen Ästhetik im 18. Jahrhundert, Rennes 1995, S. 111-149, hier: S. 115, und Gert Ueding, Winckelmanns Begriff des Schönen, in: ebd., S. 41-66, hier S. 58.

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gefällige Grazie ermöglicht, die den emotionalen Rezeptionsprozess des Betrachters steuert. Die gefällige Grazie konzipiert Winckelmann im Sinne der Ästhetik der Schlangenlinie:26 Sie manifestiert sich in dem harmonisch wellenförmigen Umriss der Skulptur, aus dem dank der inneren Mäßigung des Helden keine der Bewegungen ausbricht. Diese ornamentale Grazie eröffnet den Raum für die Inszenierung heroischer Emotionalität und Gewalt, indem sie sowohl den Ausdruck starker Emotionen als auch äußere Gewalt visuell so mildert, dass sie ästhetisch rezipierbar werden. Denn das Zusammenspiel aus hoher und gefälliger Grazie ermöglicht eine spezifisch anmutsästhetische Form der Affektmodulation. Im Medium der Grazie nimmt der Betrachter das gewaltsame Sujet nicht als abstoßend oder erschreckend wahr. Ganz im Gegenteil werden die Emotionen des Betrachters so gesteuert, dass er das Gesehene als schön, also mit dem Gefühl der Lust erleben kann. So heißt es etwa im Zusammenhang mit der Niobe-Gruppe, die den Tod von Niobes gesamter Familie thematisiert: »Durch dieselbe [die hohe Grazie, MvM] wagte sich der Meister der Niobe in das Reich unkörperlicher Ideen und erreichte das Geheimnis, die Todesangst mit der höchsten Schönheit zu vereinigen.«27 Nicht Abstoßung und Anziehung wie in der emotional-intellektuellen Dynamik des Erhabenen bei Kant und Schiller, sondern eine unmittelbare Aufhebung des Gewaltsamen im Schönen ist Ziel der anmutigen Gewaltdarstellung, die durch die beschriebenen emotionalen Inszenierungen und affektmodulatorischen Strategien ermöglicht wird. Auch Goethe konzipiert Anmut als Gewaltästhetik, die gewaltsame Sujets im Medium des Schönen vermittelbar werden lässt. Im Anschluss an Winckelmann definiert er die ornamentale Grazie der Schlangenlinie als ästhetische Strategie der optischen Milderung von Gewalt. Noch über Winckelmann hinausgehend lässt er auch verzerrte Gesichtszüge und den Ausdruck von Leidenschaft zu, den dieser aus der klassizistischen Kunst auszuschließen versucht hatte: »Die alten, wie ich anders wo zu beweisen gesucht habe, scheuten nicht so sehr das hässliche als das fal26 Zur Ästhetik der Schlangenlinie und dem Konzept der ornamentalen Grazie siehe Sabine Mainberger, Einfach (und) verwickelt. Zu Schillers Linienästhetik. Mit einem Exkurs zum Tanz in Hogarths »Analysis of Beauty«, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 79, 2. Heft, 2005, S. 196-251; Gabriele Brandstetter, Konjunkturen von Bewegung und Tanz, in: Hans Feger (Hrsg.), Friedrich Schiller. Die Realität des Idealisten, Heidelberg 2006, S. 151-176; Janina Knab, Ästhetik der Anmut, a.a.O. S. 164 ff. 27 Johann Joachim Winckelmann, Geschichte, a.a.O., S. 194.

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sche, und verstunden auch die schröcklichsten Verzerrungen, in schönen Gesichtern, zu Schönheit zu machen.«28 Aus emotionstheoretischer Perspektive heißt dies, dass anders als bei Winckelmann nicht mehr die Fähigkeit des Helden, seine Affekte zu mäßigen, sondern vielmehr das künstlerische Arrangement darüber bestimmt, ob eine Gewaltdarstellung als schön empfunden werden kann. Als Beispiel für die gewaltästhetisierende Funktion der Anmut führt auch Goethe eine Niobe-Darstellung an. In »Der Sammler und die Seinigen« (1798) äußert sich der Oheim29 wie folgt zu einem Sarkophag, auf dem der Tod der Niobiden dargestellt ist: Das Anmuthige, das gewiß nicht unmittelbar mit dem Charakteristischen verbunden werden kann, fällt bei diesem Sarkophagen in die Augen. Sind die todten Töchter und Söhne der Niobe nicht hier als Zierrathen geordnet? Es ist die höchste Schwelgerei der Kunst ! Sie verziert nicht mehr mit Blumen und Früchten, sie verziert mit mensch­ lichen Leichnamen […].30 Allein die Anordnung der Leichen führt zu einer optischen Milderung der Darstellung, die so weit geht, dass der Erzähler die Leichen gar als Verzierung interpretiert. Diese Rezeption wird in dem Text explizit emotionstheoretisch begründet: Von allem Entsetzlichen, aufrichtig gesagt, sehe ich […] nicht das mindeste. Wo wüthen Schrecken und Tod? Hier sehe ich nur Figuren mit solcher Kunst durch einander bewegt, so glücklich gegen einander gestellt, oder gestreckt, daß sie, indem sie mich an ein trauriges Schicksal erinnern, mir zugleich die angenehmste Empfindung geben.31 Keine negativen Emotionen, die wie im Erhabenen zugunsten von positiven Emotionen überwunden werden, sondern die mit der Anmut ­verbundenen angenehmen Empfindungen steuern die Rezeption der 28 Johann Wolfgang von Goethe, Ephemerides. 1770, in: Goethes Werke, Weimarer Ausgabe, hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen, Abt. I, Bd. 37, Weimar/Böhlau 1896; fotomechanischer Nachdruck, München 1987, S. 90. 29 Der Dialog des Oheims mit dem Gast im 5. Brief gilt in der Forschungsliteratur als fiktive Auseinandersetzung mit den Thesen Alois Hirts (vgl. Martin Dönike, Pathos, a.a.O., S. 217 ff.) und als Schlüsseltext der goetheschen Anmutskonzeption, in der Anmut in Rezeption der winckelmannschen Theorie zu einem formalen Prinzip radikalisiert wird. Janina Knab, Ästhetik der Anmut, a.a.O. S. 194. 30 Johann Wolfgang von Goethe, Der Sammler und die Seinigen, in: Goethes Werke, a.a.O., Abt. I, Bd. 47, S. 163. 31 Ebd., S. 162 f.

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Darstellung. Das Gefühl des Schreckens schließt der Oheim ganz aus der Rezeption des Kunstwerks aus, das »Traurige« der Inszenierung scheint nur als »Erinnerung« in dem beschriebenen Rezeptionsprozess auf, nur verbunden mit der nachträglichen Reflexion über das Schicksal der ­Niobiden. Die unmittelbare Wahrnehmung des Kunstwerks hingegen verursacht ein positives Gefühl. Die gewaltlegitimierenden und -verschleiernden Funktionen der Anmut als Gewaltästhetik werden hier deutlich, genau wie die emotionstheoretische Codierung der Konzeption: Weder eine erhabene Dynamik im Bewusstsein des Betrachters noch im Bewusstsein der Heldin sind notwendig, um die Gewalt der Darstellung ästhetisch rezipierbar werden zu lassen. Das Gewaltsame ist durch das anmutige Arrangement vielmehr optisch so gemildert, dass auch die Darstellung des Leichenberges unmittelbar als schön wahr­ genommen werden kann. Schiller entwickelt Anmut als alternatives Konzept der Heroendarstellung auf der Bühne. Unter Rückgriff auf den Anmutsdiskurs des 18. Jahrhunderts definiert er Anmut als moralisch-sprechende Körpersprache, also als unmittelbaren körperlichen Ausdruck moralischer Subjektivität.32 Wie mit dem Erhabenen reagiert Schiller auch mit der Anmuts­ konzeption auf die ästhetischen Probleme, die in der Weimarer Klassik mit der Inszenierung des Heroischen verbunden sind. So bietet auch die Anmut die für die bürgerliche Ästhetik entscheidende Möglichkeit, heroisches Handeln als moralisches Handeln zu inszenieren. Hierbei ist die Konzeption der Anmut der erhabenen Inszenierung sogar überlegen, denn während der erhabene Held seine moralische Integrität und die moralische Beschaffenheit seines Handelns durch seine Ruhe und Standhaftigkeit im Leiden unter Beweis stellt, sie also nur in einer eingeschränkten Situation sichtbar wird, zeigt sich die Integrität der anmutigen Heldin in jedweder Handlung. In »Ueber Anmuth und Würde« (1793) äußert sich Schiller zwar nicht explizit zu einer Verschränkung von Anmut und Gewalt. Er erklärt jedoch, dass die Art der Handlung für die Konstituierung von Anmut irrelevant sei. Die moralischen Impulse der »schönen Seele« können sich – so Schiller – in jeder Form von Handlung visualisieren.33 Dementsprechend konzipiert Schiller in den »Ästhetischen Briefen« (1793) eine Ästhetisierung des Kampfes im Zeichen der Anmut und deutet diese als Schritt im

32 Vgl. Janina Knab, Ästhetik der Anmut, a.a.O., S. 232 ff. 33 Friedrich Schiller, Ueber Anmuth und Würde, in: Schillers Werke, a.a.O., Bd. 20, Weimar 1962, S. 267.

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Prozess der Veredelung des Menschen durch das Schöne.34 So führt er im 27. Brief als Beispiel für einen ersten Schritt solcher Veredelung neben dem Tanz als einer »anmuthigen […] Gebärdensprache«35 auch den Kampf der Griechen an, in welchen diese »still und mit edlem Schritt«36 ziehen und sich so von der rohen Gewalt des trojanischen Heeres ab­ grenzen. Auch Schillers Konzeption des anmutig-weiblichen Heroismus ist sowohl auf der Ebene des Figurenbewusstseins als auch wirkungsästhetisch eine alternative Gewalt- und Heldenästhetik zum männlich codierten Erhabenen. Die emotionale Situation des anmutigen Subjekts ist ein ­Zustand der Balance und der Harmonie. Die anmutige Person ist eine empfindende Person, die sogar durch ein Gefühl geleitet wird, durch ein Gefühl aber, das so geläutert ist, dass es jederzeit mit dem moralischen Gesetz übereinstimmt: Eine schöne Seele nennt man es, wenn sich das sittliche Gefühl aller Empfindungen des Menschen endlich bis zu dem Grad versichert hat, daß es dem Affekt die Leitung des Willens ohne Scheu überlassen darf, und nie Gefahr läuft, mit den Entscheidungen desselben im Widerspruch zu stehen.37 Die Handlungen der Personen gewinnen ihre anmutsspezifische Leichtigkeit, weil die Handlungen wie instinktgesteuert vollzogen werden. Hierdurch übt die schöne Seele auch mit Leichtigkeit »der Menschheit peinlichste Pflichten aus, und das heldenmüthigste Opfer, das sie dem Naturtriebe abgewinnt, fällt, wie eine freiwillige Wirkung eben dieses Triebes, in die Augen«.38 Die moralische Pflichterfüllung, die der er­ habene Held als leidvoll erfährt, jedoch mithilfe seiner geistigen Kräfte bewältigen kann, wird also von der anmutigen Heldin mit Freude, mit geistiger wie körperlich-affektiver Bejahung ihrer Aufgabe ausgeführt. Erst mit der Konzeption anmutigen Heldentums vollzieht Schiller die »gefühlsethische Wende«39 in der Emotionstheorie, also die Neubewertung 34 Mareen van Marwyck, Anmut, a.a.O., S. 134 ff. 35 Friedrich Schiller, Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, in: Schillers Werke, a.a.O., Bd. 20, Weimar 1962, S. 409. 36 Ebd. 37 Friedrich Schiller, Anmuth und Würde, a.a.O., S. 287. 38 Ebd. 39 Gerhard Vowinckel, Von politischen Köpfen und schönen Seelen. Ein soziologischer Versuch über die Zivilisation der Affekte und ihres Ausdrucks, München 1983, S. 138. Zitiert nach Burkhard Meyer-Sickendiek, Affektpoetik, a.a.O., S. 13.

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des Verhältnisses von Vernunft und Emotion, die aus der Kon­zeption des moralischen Gefühls bei Lessing, Hutcheson, Hume und Shaftesbury folgte und die auch Schillers Theorie entscheidend prägte.40 Zwar hatte Schiller das Gefühl schon in seiner Erhabenheitskonzeption gegenüber dem Barock aufgewertet, indem er deutlich machte, dass sich der Held durch sein deutlich sichtbares Leiden zunächst als menschlich erfahrbar machen muss, um dann in einem ­zweiten Schritt diesem Leiden vorbildlich standzuhalten. Zuletzt bleibt Schiller mit seiner Konzeption jedoch der traditionellen Abwertung des Gefühls gegenüber der Vernunft treu. Denn heroisch bleibt auch im ­Pathetisch-Erhabenen zuletzt der Sieg der Vernunft über den Affekt. ­Anders ist die Anmut konzipiert: Hier handelt das Individuum in Übereinstimmung von Natur und Vernunft und nähert sich so dem Ideal des »ganzen Menschen«,41 allerdings mit der Einschränkung, dass die Natur eine durch die Vernunft geläuterte sein muss.42 Die dem Erhabenen entgegengesetzte emotional-geistige Konstellation der anmutigen Heldin führt wiederum zu einer alternativen Affektmodulation. Anmut, so Schiller, löse Anziehung, Wohlwollen, Bezauberung, ja Liebe zu der Person aus: Diese unerwartete Zusammenstimmung des Zufälligen der Natur mit dem Nothwendigen der Vernunft, erweckt ein Gefühl frohen Beyfalls, (Wohlgefallen) […] und eine Anziehung des sinnlichen Objekts muß erfolgen. Diese Anziehung nennen wir Wohlwollen – Liebe […].43 Da aber die Anziehung durch das Anmutige aus dem Erkennen der Freiheit eines selbstbestimmt handelnden Subjekts resultiert, handelt es sich um einen Zustand der Identifikation, die den Betrachter nicht überwältigt, sondern seine Freiheit erfahrbar werden lässt. Anders als die Begierde ist die Liebe kein Gefühl, das die Kräfte der Vernunft beherrscht: »Die Liebe allein ist also eine freye Empfindung, denn ihre reine Quelle strömt hervor aus dem Sitz der Freyheit, aus unsrer göttlichen Natur.«44 40 Burkhard Meyer-Sickendiek, Affektpoetik, a.a.O., S. 16 f. 41 Vgl. Paul Barone, Tradition, a.a.O., S. 173. 42 Dass Schiller sein Konzept der Harmonie von Vernunft und Sinnlichkeit in ­seiner Theorie letztendlich nicht einzulösen vermag, hat vor allem Carsten Zelle gezeigt. Vgl. Carsten Zelle, Ästhetik, a.a.O., S. 166 f. 43 Friedrich Schiller, Anmuth und Würde, a.a.O., S. 302. 44 Ebd., S. 303. Im Unterschied zu Kant, der eine solche von Begierde befreite Form der Erfahrung des Schönen (»pulchritudo vaga«) nur für die Naturschönheit oder die ornamentale Schönheit, nicht aber für menschliche Schönheit für denkbar hält, die Kant als »anhängende Schönheit« (»pulchritudo adhaerens«) konzipiert,

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Damit löst die Anmut eben jenes darstellungstechnische Problem, das Schiller auch in »Über das Pathetische« beschäftigt: eine ästhetische Strategie zu entwickeln, welche die emotionale Identifikation des Zuschauers mit dem Helden ermöglicht und ihm zugleich die eigene Freiheit vor Augen führt. Ein solches emotional berührendes und die Freiheit des Betrachters gewährleistendes Heldentum liegt also nicht nur im PathetischErhabenen, sondern auch in der Anmut vor. III Betrachtet man nun die literarischen Texte, in denen, so meine These, ein anmutiges weibliches Heldentum gestaltet ist, so fällt auf, dass die Texte den emotionstheoretischen Vorgaben der Anmutskonzeptionen entsprechen. Alle Figuren zeichnen sich durch eine Einheit von emotionalem Wollen und moralischem Gesetz aus. So kämpft die Jungfrau von Orleans aus moralischer Pflicht gegenüber ihrem Vaterland, aber auch aus Liebe zum Vaterland und aus Lust an ihrer Mission. Immer wieder wird die emotionale Verbundenheit mit ihrer Sendung betont.45 Ins Kriegsgewühl hinein will es mich reißen, Es treibt mich fort mit Sturmes Ungestüm, Den Feldruf hör ich mächtig zu mir dringen, Das Schlachtroß steigt und die Trompeten klingen.46 Die Einheit von Vernunft und Emotionen zerbricht erst, als Johanna durch andere Gefühle, nämlich die Nächstenliebe gegenüber Mont­

entwickelt Schiller mit seinem Konzept der Anmut die Wahrnehmung eines menschlichen Subjekts im Medium des Schönen, die von keiner Begierde geprägt ist. Vgl. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in: Immanuel Kant. Werkausgabe, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Bd. 10, Frankfurt am Main 1974, § 16, S. 146 ff. Diese Wendung ist entscheidend für die Darstellung weiblichen Heldentums in der bürgerlichen Dramenästhetik, da sie ermöglicht, die Heldin in der weiblich codierten Sphäre des Schönen zu inszenieren, ohne die moralische Rezeption ihres Handelns zu gefährden. 45 Vgl. Julie D. Prandi, Spirited Women Heroes. Major Female Characters in the Dramas of Goethe, Schiller und Kleist, New York u. a. 1983, S. 80 f., und Thomas Clasen, »Nicht mein Geschlecht beschwöre ! Nenne mich nicht Weib?« Zur Darstellung der Frau in Schillers »Frauen-Dramen«, in: Dirk Grathoff und Erwin Leibfried (Hrsg.), Schiller. Vorträge aus Anlaß seines 225. Geburtstages, Frankfurt am Main u. a. 1991, S. 89-111, hier: S. 106 f. 46 Friedrich Schiller, Jungfrau, a.a.O., V. 429-432.

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gomery und die erotische Liebe gegenüber Lionel in einen inneren Konflikt zwischen Tötungsgebot und Liebe gerät.47 Auch die Wirkung der Johanna entspricht der schillerschen Anmutskonzeption. Es ist eine zauberhafte Anziehung, die das Heer dazu führt, ihr bedingungslos in den Kampf zu folgen, es ist tief empfundene Liebe, die Dunois und La Hire dazu führt, die Kriegerin Johanna hei­ raten zu wollen. Mehrere Figuren führen die bezaubernde Wirkung der Heldin auf ihre Körpersprache der Unschuld zurück, in der Anmut wesentlich besteht. So sagt etwa Dunois: Sie eine Lügnerin ! Wenn sich die Wahrheit Verkörpern will in sichtbarer Gestalt, So muß sie ihre Züge an sich tragen ! Wenn Unschuld, Treue, Herzensreinigkeit, Auf Erden irgend wohnt – auf ihren Lippen, In ihren klaren Augen muß sie wohnen !48 Selbst der Feind, den Sie zum Kampf herausfordert, kann sich Johannas Liebreiz nicht entziehen. So sagt Montgomery, als Johanna ihm verkündet, dass er durch ihr Schwert sterben wird: »Furchtbar ist deine Rede, doch dein Blick ist sanft, / Nicht schrecklich bist du in der Nähe anzuschaun, / Es zieht das Herz mich zu der lieblichen Gestalt.«49 Auch Kleists »Penthesilea« greift die anmutige Heldenästhetik mit ihren inszenatorischen, körpersprachlichen und emotionalen Codierungen auf. Allerdings überlagert sich in der Figurenkonstruktion der höfische, kokette Grazien-Begriff50 mit dem bürgerlich-moralischen Begriff, der von Schiller entscheidend geprägt wurde. Durch verschiedene Anspielungen 47 Die Entwicklung Johannas nach den Begegnungen mit Montgomery und Lionel wird in der Forschungsliteratur häufig als endgültiges Zerbrechen der naiven ­Einheit Johannas gedeutet. Siehe u. a. Gerhard Kaiser, Johannas Sendung. Eine These zu Schillers »Jungfrau von Orleans«, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 10, 1966, S, 205-236, hier: S. 226 ff. Ich vertrete in meiner Arbeit die These, dass Johannas naive Einheit bereits in ihrer Kindheit zerbricht, in der sie immer wieder Zeichen für ihre spätere Berufung erhält. Mareen van Marwyck, Anmut, a.a.O., S. 177 ff. Den Zustand während der frühen Kämpfe Johannas deute ich im Sinne der Schiller’schen Konzeption als Anmut, die nach den Begegnungen mit Montgomery und Lionel ins Erhabene umschlägt. Ebd., S. 194 ff. 48 Friedrich Schiller, Jungfrau, a.a.O., V. 3274-3279. 49 Ebd., V. 1603-1605. 50 Vgl. Walter Hinderer, »Vom giftigsten der Pfeile Amors sei, / Heisst es, ihr jugendliches Herz Getroffen«. Schillers »Jungfrau von Orleans« und Kleists »Penthe­ silea«, in: Beiträge zur Kleist-Forschung 17, 2003, S. 45-68, hier: S. 61.

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markiert der Text jedoch seinen Bezug zum Anmutsdiskurs und spezifisch zum Diskurs der anmutig-weiblichen Helden- und Gewalt­ästhetik, die in dem Drama ad absurdum geführt wird.51 Auch Penthesilea zeichnet sich in ihren Kämpfen zu Beginn des Dramas durch eine Übereinstimmung von kriegerischer Mission und Empfindung aus. Als Amazonenkönigin ist es ihre Aufgabe, die Amazonen in den Krieg zu führen und Männer für das Rosenfest zu erobern. Auf der anderen Seite liebt sie den griechischen Helden Achill und ist davon überzeugt, dass sie diese Liebe nur im Kampf ausdrücken kann:52 […] Sie ist mir nicht, Die Kunst vergönnt, die sanftere, der Frauen ! Nicht bei dem Fest, wie deines Landes Töchter, Wenn zu wetteifernd frohen Übungen Die ganze Jugendpracht zusammenströmt, Darf ich mir den Geliebten ausersehn; […] Im blut’gen Feld der Schlacht muß ich ihn suchen53 Während die höheren Töchter in Tänzen und Spielen ihre Grazie gewinnen, findet Penthesilea nur in der Kunst des Kampfes den performativen Raum, das Repertoire an Bewegungen, die sie reizend und anmutig erscheinen lassen. Empfindung und Mission stimmen also in ihren Kämpfen zusammen. Ein erhabenes Heldentum als Selbstüberwindung im Leiden lehnt Penthesilea sogar explizit ab: »Der Mensch kann groß, ein Held, im Leiden sein, / Doch göttlich ist er, wenn er selig ist !«54 Die Übereinstimmung von sinnlichem Wollen und Mission ge­ währleistet die Anmut ihrer Kämpfe, die etwa in Bildern des Fliegens und des Tanzes betont wird. »An aller Jungfrau’n Spitze ! / Seht, wie sie in dem goldnen Kriegsschmuck funkelnd, / Voll Kampflust ihm entgegen tanzt!«55 Auch Wanda aus Zacharias Werners Drama »Wanda. Königin der Sarmaten« und Elisabeth aus Caroline de la Motte-Fouqués Roman »Das 51 Mareen van Marwyck, Anmut, a.a.O., S. 205 ff. 52 Vgl. Jürgen Wertheimer: »Penthesilea, aufgewachsen in einer allein auf Funk­ tionalität gerichteten Kultur, verfügt über keine andere Ausdrucksform als die des Kampfes.« Jürgen Wertheimer (Hrsg.), Ästhetik der Gewalt. Ihre Darstellung in Literatur und Kunst, Frankfurt am Main 1986, S. 79 f. 53 Heinrich von Kleist, Penthesilea, a.a.O., V. 1887-1897. 54 Ebd., V. 1696/1697. 55 Ebd., V. 1057-1059.

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Heldenmädchen aus der Vendée« zeichnen sich in ihren Kämpfen durch die emotionstheoretische Doppelung von innerer Versöhnung und bezaubernder Wirkung aus. Wanda kämpft zunächst in der inneren Einheit von Liebe zu ihrem Volk und moralischer Pflicht als Herrscherin.56 ­Später, im Kampf gegen Rüdiger, sind ihre Kämpfe wie in der »Pen­ thesilea« zugleich Ausdruck ihrer Liebe. Einem Beobachter erscheint sie bei ihrer Rückkehr aus der Schlacht als Inbegriff der Anmut: Sie eilt »geflügelt […] durch den grünen Raum« und erscheint ihm »lieblich wie ein holder Frühlingstraum«.57 Sie löst in dem Betrachter ein »sehnsuchtsvolles Grauen«58 aus. Hier findet sich die Konzeption eines gemischten Gefühls, aber nicht wie im Erhabenen als unmittelbare Abstoßung durch das Objekt und anschließende Lusterfahrung aufgrund der eigenen ­Sicherheit oder der Überlegenheit der eigenen Vernunft. Vielmehr ist das Grauen so abgemildert, dass es im Angezogensein, in der Sehnsucht aufgehoben ist. Elisabeth wird immer wieder als empfindsame, intuitiv handelnde Heldin vorgestellt, deren Handlungsimpulse aus der Liebe zum Prinzen Talmont, an dessen Seite sie in den Krieg zieht, und aus der Liebe zum Vaterland resultieren. Ihre betont keuschen Gefühle stimmen im Sinne der Anmutskonzeption mit den Geboten der Moral überein.59 Auch hier liegt also eine Harmonie von Empfinden und moralischem Gesetz vor. Wie Penthesilea lehnt Elisabeth ein erhabenes Heldentum als Größe im Leiden ab: »[D]iese Helden großer Systeme mögen besser zu sterben verstehen, als sie zu leben wissen. Ihre rohe Erhabenheit preßt alles warme Herzblut aus dem Leben, und macht die menschliche Größe sehr zweideutig.«60

56 Auch Paul Hankamer betont, dass es sich bei Wanda nicht um eine erhabene Heldin handelt, die auf ihr persönliches Glück zugunsten ihrer Sendung verzichtet, sondern um eine Heldin, die nach Versöhnung von Emotion und Aufgabe strebt. Vgl. Paul Hankamer, Zacharias Werner. Ein Beitrag zur Darstellung des Problems der Persönlichkeit in der Romantik, Bonn 1920, S. 181. 57 Zacharias Werner, Wanda, a.a.O., S. 212. 58 Ebd. 59 Karin Baumgartner weist darauf hin, dass Elisabeth trotz ihrer Teilnahme am Kriegsgeschehen immer »ein Beispiel weiblicher Tugend« bleibt. Vgl. Karin Baumgartner, Möglichkeiten weiblicher Geschichtsschreibung? Einige Gedanken zu Caroline de la Motte Fouqués »Das Heldenmädchen aus der Vendée« (1816), in: Julia Bertschik und Katja Diegmann-Hornig (Hrsg.), Jahrbuch der Fouqué-Gesellschaft Berlin-Brandenburg, 1999, S. 78-97, hier: S. 83. 60 Caroline de la Motte Fouqué, Heldenmädchen, a.a.O., Bd. I, S. 83.

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Aus ihrer anmutigen Verfassung resultiert wiederum ihr feminin-­ anmutiges Kampfverhalten: »Das rothe Tuch war ihr seitwärts von der Stirn gegleitet, wallend flossen die blonden Locken über Schläfe und Wangen, Rosenlichter der Begeisterung spielten um das zarte Ge­sicht.«61 IV Die emotionstheoretische Analyse der Texte zur anmutigen Gewaltästhetik hat gezeigt, dass mit der Anmut nicht nur auf visueller, sondern auch auf affektiver Ebene ein alternativer Modus der Inszenierung von Gewalt vorliegt. Auch die anmutige Gewalt erzeugt ein gemischtes Gefühl, aber in einer anderen Dynamik als das Erhabene. Dem Zurückgestoßensein und neuerlichen Angezogensein durch die erhabene Affektmodulation steht die grundsätzliche Anziehungskraft der anmutigen Heldin gegenüber, deren Gewalt durch die Anmut so gemildert wird, dass sie nur noch als leichtes, als »sehnsuchtsvolles Grauen«62 die lustvolle Rezeption der schönen Bewegungen und der schönen Seele durchzieht. Anders als in Kants und Schillers Konzeptionen des Erhabenen, denen zufolge Gewalt als ästhetisches Phänomen deshalb gerechtfertigt ist, weil sie den Rezi­ pienten die Überlegenheit seiner Vernunft im Angesicht des Schreckens erfahren lässt, braucht die anmutige Gewaltinszenierung eine solche Rechtfertigung nicht mehr. Das Anstößige und Grausame der Gewalt bleibt in der Leichtigkeit und Eleganz der anmutigen Kämpferin verborgen. Auch die emotionale Ausgangssituation der anmutigen Heldin ist anders konzipiert als im Erhabenen. Ist der erhabene Held einem un­ ermesslichen Leid ausgesetzt, dem er dank des vernunftgeleiteten Willens standhält, befinden sich also Vernunft und Gefühl im Konflikt miteinander, so zeichnet sich die anmutige Heldin durch das Zusammenstimmen von Vernunft und Emotionen aus. Die anmutige Heldin wird durch Empfindungen geleitet, die aber mit dem moralischen Gesetz zusammenstimmen, sie kann also in innerer Harmonie handeln. Durch die doppelte emotionstheoretische Codierung einer auf An­ ziehung, Bezauberung und Lust zielenden Affektsteuerung sowie der emotionalen Bejahung der Mission durch die Heldin, deren moralische Motivation durch die Bewegungsschönheit selbst garantiert ist, bewirken die anmutigen Heldeninszenierungen gerade mittels der Feminisierung und Ästhetisierung der Kampfinszenierungen eine ästhetische und moralische Rechtfertigung von Gewalt. 61 Ebd., S. 132. 62 Zacharias Werner, Wanda, a.a.O., S. 212.

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7. Zur Erzeugung von Hass und Empathie in der Kriegsliteratur

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Freunde und Feinde Kulturtechniken der Sympathielenkung und ihre emotionalen Effekte in literarischen Kriegsdarstellungen Kriegsszenarien als emotionalisierende Reizkonfigurationen Kulturtechniken der Sympathie- und Antipathielenkung sind fundamental in allen Bereichen sozialer Interaktion und Kommunikation. An literarischen Texten lassen sie sich in exemplarischer Weise deshalb besonders gut untersuchen, weil diese im Umgang mit solchen Techniken auf elaborierte und auch in außerliterarischen Kommunikationsprozessen verbreitete Muster zurückgreifen. In Kriegszenarien wiederum, nicht nur in literarisch dargestellten, haben Kulturtechniken der Sympathielenkung und ihre emotionalen Effekte einen herausragenden Stellenwert. Weil es in den dargestellten Kämpfen um Leben und Tod geht, sind die Beteiligten und die an ihnen Anteil nehmenden Beobachter besonders herausgefordert, Partei zu ergreifen. Kriegsdarstellungen sind dominant Darstellungen von Todesszenarien, deren unterschiedliche Emotionalisierungspotentiale in hohem Maße von Techniken der Sympathielenkung abhängen. Kritische Beobachtungen dazu, an die sich literaturwissenschaftlich gut anknüpfen lässt, hat unlängst die US-amerikanische Kulturwissenschaftlerin Judith Butler in ihrem Bändchen »Krieg und Affekt« vorgelegt. Butler geht hier der Frage nach, wie Texte und Bilder über gegenwärtiges Kriegsgeschehen Affekte regulieren und uns nahelegen, »um welche Leben wir trauern und um welche nicht«.1 Der Krieg, so Butler weiter, »lässt sich als ein Geschehen verstehen, das Bevölkerungen aufteilt in einerseits diejenigen, um die getrauert werden kann, und andererseits diejenigen, um die nicht getrauert werden kann«.2 Der Zusammenhang mit dem Thema meines Beitrages ist offensichtlich: Die Aufteilung der Bevölkerung, die Butler im Blick hat, entspricht vielfach der zwischen Freunden und Feinden. 1 Judith Butler, Krieg und Affekt, hrsg. von Judith Mohrmann u. a., Zürich 2009, S. 18. Vgl. auch Judith Butler, Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen, Frankfurt am Main 2010. 2 Judith Butler, Krieg und Affekt, a.a.O., S. 18.

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Unter Bedingungen des Krieges ist das Töten oder der Tod von »Feinden« ein Anlass eher zur Genugtuung oder Freude als zu Skrupeln. Die emotionalen Reaktionsmuster in Zeiten des Krieges scheinen archaischen, reflexartig verlaufenden Prozessen zu folgen. Einige davon werden in unseren Fantasien nicht zuletzt durch Literatur und Kunst seit Jahrhunderten immer wieder durchgespielt, eingeübt, geringfügig modifiziert, reflektiert und gelegentlich auch auf dann allerdings auffällige, wenn nicht anstößige Art unterlaufen. Als Prinzipien der »poetischen Gerechtigkeit«, nach denen die Bösen sterben müssen, weil sie nichts anderes verdienen, haben sie bis heute ihre Wirksamkeit nicht verloren. Schon Aristoteles bezog sich auf sie und integrierte sie in seine kom­ plexere »Poetik« der Tragödie. Diese »Poetik« formuliert bekanntlich mit einer viele Jahrhunderte überdauernden Plausibilität die Bedingungen, unter denen die Präsentation von Unglücks- und Todesszenarien dazu geeignet ist, beim Zuschauer Mitleid hervorzurufen, und unter welchen Bedingungen dies nicht der Fall ist. Demnach darf der Tragödiendichter nicht zeigen, wie (nach einer neuen Übersetzung von Arbogast Schmitt) »der ganz und gar Verkommene vom Glück ins Unglück stürzt«. Denn Mitleid »empfinden wir nur mit dem, der es nicht verdient hat, im Unglück zu sein«.3 Literatur, Film, massenmediale Berichterstattung und Spiele, insbesondere Kriegsspiele, suchen Szenarien, in denen guten Gewissens getötet werden darf oder sogar getötet werden muss, ständig auf und evozieren sie in der Fantasie von Rezipienten, die geradezu süchtig danach verlangen. Leser, Zuschauer und Spieler, die dazu angehalten werden, mit den Guten zu sympathisieren und mit ihnen einen imaginären Kampf gegen die Bösen zu führen, haben die ziemlich zuverlässig funktionierenden Mechanismen der Emotionalisierung in sich dauerhaft gespeichert und neigen dazu, sie auch in der Wahrnehmung realer Todes- und Gewalt­ szenarien wirksam werden zu lassen. Das von Franz Kafka erträumte »Hinausspringen aus der Totschlägerreihe«4 wird ihnen wahrhaft schwer gemacht. Szenarien, in denen jemand tötet oder getötet wird, um sein Leben oder um das Leben anderer fürchten muss, einen Toten betrauert oder auch erleichtert ist, wenn andere sterben, sind in literarischen Texten an der Tagesordnung. Gründe dafür, warum Autoren ihre Figuren so oft sterben lassen und warum Leser sich das gerne gefallen lassen, gibt es 3 Aristoteles, Poetik. Übers. u. erl. von Arbogast Schmitt, Berlin 2008, S. 17. 4 Franz Kafka, Tagebücher. Kritische Ausgabe, hrsg. von Hans-Gerd Koch u. a., Frankfurt am Main 1990, S. 892.

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viele. Einer der wichtigsten dürfte sein, dass der Tod in literarischen ­Texten – neben und oft zusammen mit der Liebe – ein Ereignis mit kaum zu überbietender, sozusagen todsicherer Emotionalisierungskraft ist.5 Kriegsdarstellungen beziehen daraus einen großen Teil ihrer An­ ziehungskraft. Die von Butler exponierte Frage, wie textuelle oder bildliche Repräsentationen des Krieges Affekte regulieren und uns nahelegen, »um welche Leben wir trauern und um welche nicht«,6 ist in diesem Zusammenhang eminent wichtig, doch bei weitem nicht die einzige Frage, die sich emotionstheoretisch fundierte Analysen von Kriegsdarstellungen zu stellen haben. Butler selbst thematisiert diverse andere Emotionen im Kontext ihrer Leitfrage. Sie sucht nach Erklärungen, »warum wir einigen Formen der Gewalt mit Entsetzen und anderen mit einem Anflug von Akzeptanz, vielleicht sogar einer gewissen Genugtuung oder gar einem Gefühl des Triumphs gegenüberstehen« oder »warum der Affekt des Abscheus so unterschiedlich erfahren wird«.7 Kriege, so erklärt Butler weiterhin, bilden die Sinne dazu aus, »die Welt selektiv wahrzunehmen. Sie töten die affektive Reaktionen auf bestimmte Bilder und Klänge ab und beleben die auf andere.« Der Krieg »beschränkt, was wir fühlen können; er ­veranlasst uns, Schrecken und Wut angesichts einer Ausdrucksform von Gewalt und eine selbstgerechte Kälte angesichts einer anderen zu emp­ finden.«8 Im Blick auf den 11. September 2001 spricht sie von dem Bemühen, ein »beschädigtes Gefühl von Unverwundbarkeit und Über­ legenheit ›wiederherzustellen‹«.9 Eine Fülle von unterschiedlichen, aber oft kombiniert oder in dichter Abfolge evozierten Emotionen ist hier angesprochen. Aber emotionstheoretisch fundiert sind sie nicht. Die gesamte neuere Emotionspsycho­ logie ist ihren auf ältere Traditionen der Philosophie, Sozialpsychologie oder auch Psychoanalyse zurückgreifenden Reflexionen ebenso fremd wie die literatur- und filmwissenschaftliche Emotionsforschung der letzten Jahrzehnte. Die Debatten zur Abgrenzung von Begriffen wie Iden­ tifikation, Empathie und Sympathie scheint sie nicht zu kennen, die Psychologie der Personen- und Figurenwahrnehmung ebenfalls nicht. Ihre interpretierenden Kommentare zur Lyrik der Guantánamo-Häftlinge 5 Vgl. Thomas Anz, Tod im Text. Regeln der literarischen Emotionalisierung, in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 54 (H. 3), 2007, S. 306-327. 6 Judith Butler, Krieg und Affekt, a.a.O., S. 18. 7 Ebd., S. 34. 8 Ebd., S. 37. 9 Ebd., S. 70.

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bleiben in ihrer text- und emotionsanalytischen Begrifflichkeit hilflos. Für eine emotionstheoretisch fundierte Analyse von Kriegsdarstellungen liefert Butler allerdings viele Anregungen. Und manche Überlegungen sind mit Einsichten jüngerer Emotionsforschung durchaus kompatibel oder partiell sogar dazu geeignet, sie zu korrigieren und weiterzuführen. Nachdrücklich und plausibel legt Butler in impliziter Übereinstimmung mit kognitionspsychologischen Einsichten der Emotionsforschung dar, dass Kriegsszenarien nicht gleichsam natürliche Reizkonfigurationen sind, die reflexartig bestimmte Emotionen hervorrufen, sondern dass sie als künstlich inszenierte und mit der Art der Inszenierung bestimmte ­Interpretationen des Kriegsgeschehens und erst mit diesen Interpretationen bestimmte Emotionen nahelegende Reize sind. Die Emotionalisierungstechniken in der Darstellung von Kriegsereignissen sind, wie Butler überzeugend darlegt, Bestandteile von politischen Strategien mentaler Mobilmachung oder auch der Demobilisierung befriedender Völkerverständigung. Dass es dabei um mehr als um die Frage des Trauerns oder des Nicht-Trauerns geht, wissen wir. Insbesondere Emotionen, die in starkem Maße individuelle und kollektive Handlungsbereitschaft ini­tiieren, sind Ziel emotionalisierender Einübungen zur erhöhten Wehrhaftigkeit – so etwa Angst (soweit sie aktiviert und nicht lähmt), Wut oder Hass. Feindbilder und ihre emotionalen Effekte Lange vor Butler, doch mit ähnlichen Anliegen, hat in Deutschland die sozialpsychologische »Feindbildforschung« auf mentale Voraussetzungen militärischer Mobilmachung aufmerksam gemacht. Sie entstand Ende der 1960er-Jahre und analysierte kritisch die psychopolitischen Strategien zur Legitimation der Aufrüstung im »Kalten Krieg«. In englischer Sprache verwendete Leo Löwenthal den Begriff »Feindbild« (»enemy image«) schon 1949, das deutsche Wort wurde 1967 von Dieter Senghaas als wissenschaftlicher Terminus eingeführt und bezeichnet, wie der instruktive Artikel von Martin Reisigl im »Historischen Wörterbuch der Rhetorik« zusammenfasst, »die soziale (vor allem massenmedial) vermittelte, auf extremer emotionaler Ablehnung beruhende, negativ bewertende, häufig erfahrungsunabhängig verfestigte und verzerrende, hyperbolisch entstellende oder imaginäre Repräsentation eines Gegners als bedrohlichen und aktiv zu bekämpfenden Widersacher.«10 10 Martin Reisigl, Feindbild, in: Gert Ueding (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Darmstadt 1992 ff., Bd. 10 (2011), Sp. 291-304, hier Sp. 291.

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Die mit dem Begriff bezeichneten Phänomene sind selbstverständlich schon sehr viel älter. In literarischen Thematisierungen und Darstellungen des Ersten Weltkriegs, auf deren exemplarische Analyse sich mein Beitrag beschränkt, sind sie omnipräsent und werden gelegentlich auch kritisch reflektiert. Im Oktober 1914 veröffentlichte in Deutschland Ernst Lissauer mit seinem »Haßgesang gegen England«11 eines der markantesten Beispiele mentaler Mobilmachung durch die Generierung eines dominanten Feindbildes: Was schiert uns Russe und Franzos’, Schuß wider Schuß und Stoß um Stoß, Wir lieben sie nicht, Wir hassen sie nicht, Wir schützen Weichsel und Wasgaupaß, – Wir haben nur einen einzigen Haß, Wir lieben vereint, wir hassen vereint, Wir haben nur einen einzigen Feind: Den ihr alle wißt, den ihr alle wißt, Er sitzt geduckt hinter der grauen Flut, Voll Neid, voll Mut, voll Schläue, voll List, Durch Wasser getrennt, die sind dicker als Blut, Wir wollen treten in ein Gericht, Einen Schwur zu schwören, Gesicht in Gesicht, Einen Schwur von Erz, den verbläst kein Wind, Einen Schwur für Kind und für Kindeskind, Vernehmt das Wort, sagt nach das Wort, Es wälze sich durch ganz Deutschland fort: Wir wollen nicht lassen von unserem Haß Wir haben alle nur einen Haß, Wir lieben vereint, wir hassen vereint, Wir haben alle nur einen Feind: England! […] Die emotionale Wirkung des Gedichts auf heutige Leser lässt sich vermutlich mit Vokabeln wie Ärger, Abscheu oder Verachtung gegenüber 11 Zitiert nach dem Abdruck in Thomas Anz/Joseph Vogl (Hrsg.), Die Dichter und der Krieg. Deutsche Lyrik 1914-1918, München/Wien 1982, S. 185.

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diesen nationalistischen Hassbekundungen angemessen bezeichnen. Das Gedicht ist aber zur Veranschaulichung einiger keineswegs trivialer Sachverhalte, mit denen literaturwissenschaftliche Text- und Emotionsana­ lysen sowie die Emotionsforschung generell konfrontiert und die für die folgenden Ausführungen grundlegend sind, gut geeignet: a) Die emotionalen Reaktionen realer Leser (zum Beispiel Ihre oder meine heute) auf einen Text unterscheiden sich von den Emotionen, die mit einem Text bei den Adressaten bzw. intendierten Lesern hervorgerufen werden wollten, oft erheblich. Literaturwissenschaftliche Aussagen über emotionale Wirkungen von Texten müssen also zwi­ schen intendierten und faktischen Wirkungen unterscheiden. b) Emotionen sind nicht nur Reaktionen auf bestimmte Reizkonfigurationen (zum Beispiel Texte), sondern in ihren wahrnehmbaren Manifestationen (hier vor allem Hass-, aber auch Liebesbekundungen) selbst Aktionen, die bei anderen emotionale Reaktionen hervorrufen (wollen). c) Einzelne Emotionen (hier dominant Hass) sind oft kombiniert mit anderen Emotionen (hier mit dem Wort Liebe bezeichnet). d) Mit anderen geteilte Emotionen, auch negative wie Hass, sind kombiniert mit positiven Gemeinschaftsgefühlen. Wie Trauer und Liebe hat der Hass gegen Feinde hier, als unter Freunden kollektiv geteilte Emotion, eine sozialintegrative Funktion, ist eine Art Bindungsemotion, die trotz aller Negativität das positive Erleben von Gemeinschaft ermöglicht. Zugleich hat sie jedoch eine die aggressive Handlungsbereitschaft gegenüber »Feinden« mobilisierende Funktion. Mit dieser Doppelwertigkeit eignen sich die nach 1914 massenhaft publizierten Hassgesänge gegen Feinde auch dazu, das christliche, im Namen der Nächstenliebe auferlegte Hassverbot zu unterlaufen. Ebenfalls 1914 publizierte Will Vesper, später einer der repräsentativsten Nazi-Dichter und -Ideologen, das Gedicht »Liebe oder Haß?«12 Ich sah am Kreuze Jesu Christ, Der aller Liebe Vater ist Und noch in Kreuz- und Todesnot Den Feinden seine Liebe bot.

12 Ebd., S. 187.

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Es sprach zu mir sein mild Gesicht: Nun singe Liebe! hasse nicht ! Ich aber hab mich abgewandt, Nahm hier die Feder in die Hand Und schreibe her: Ich hasse, Herr ! Aus tiefster Seele haß ich, Herr ! Und blick dir doch klar ins Gesicht: Mein Haß weicht deiner Liebe nicht ! Weil dieser Haß, Herr Jesu Christ, Die Frucht der höchsten Liebe ist. Mein Vaterland in tiefer Not: Haß allen Feinden bis in den Tod ! Wie der »Haßgesang« Lissauers thematisiert das Gedicht Vespers und evoziert versuchsweise zwei konträre Emotionen: Hass gegenüber Feinden und Liebe gegenüber Freunden. Nach einer von zahllosen psychologischen Definitionen des Begriffs13 sind »Emotionen […] körperlich-seelische Reaktionen, durch die ein Umweltereignis aufgenommen, verarbeitet, klassifiziert und interpretiert wird, wobei eine Bewertung stattfindet«.14 Beim Lesen ist das »Umwelt­ ereignis« der literarische Text bzw. eine einzelne Textpassage im Kontext des vorher Gelesenen, im Kino oder vor dem Bildschirm der Film.15 Texte als Umweltereignisse sind Artefakte, deren künstliche bzw. künstlerische Machart darauf angelegt ist, beim wahrnehmenden Subjekt bestimmte Emotionen hervorzurufen, und denen sich der Wahrnehmende 13 Solche Definitionen sind inzwischen selbst zum Gegenstand umfangreicher Untersuchungen geworden. Vgl. dazu den Überblick der Herausgeber in Jürgen H. Otto/Harald A. Euler/Heinz Mandl, Begriffsbestimmungen, in: Dies. (Hrsg.), Emotionspsychologie. Ein Handbuch, Weinheim 2000, S. 11-18. 14 Thomas Hülshoff, Emotionen. Eine Einführung für beratende, therapeutische, pädagogische und soziale Berufe, München 1999, S. 14. 15 Vgl. dazu und zu den folgenden Ausführungen zur Emotionsforschung Thomas Anz, Kulturtechniken der Emotionalisierung. Beobachtungen, Reflexionen und Vorschläge zur literaturwissenschaftlichen Gefühlsforschung, in: Karl Eibl/Katja Mellmann/Rüdiger Zymner (Hrsg.), Im Rücken der Kulturen (Poetogenesis 5), Paderborn 2007, S. 207-239.

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willentlich aussetzt oder entzieht. Texte sind mehr oder weniger bewusst vorgenommene Inszenierungen eines Spiels mit den Emotionen der ­Leser, die ihrerseits die Emotionalisierungsabsichten der Inszenierungen erkennen, ihnen entsprechen oder sich ihnen verweigern können. Bei so einfach strukturierten Feind- und Hass-Gedichten wie denen von Lissauer und Vesper ist scheinbar leicht zu erkennen, welche Emo­ tionalisierungsabsichten sie haben. Und Hypothesen zu formulieren, welche Emotionen sie bei ihren Lesern damals tatsächlich hervorgerufen haben oder gegenwärtig hervorrufen, scheint ebenfalls kaum Probleme zu bereiten. Wenn man allerdings bedenkt, dass literarische Texte nicht nur eine Zielgruppe, sondern unter Umständen unterschiedliche Gruppen von Adressaten und realen Lesern haben, werden Formulierungen über Emotionalisierungsabsichten und emotionale Wirkungen schwie­ riger. Die Hassgesänge gegen Feinde sind zwar dominant an die Freunde und an Gleichgesinnte adressiert und appellieren an sie, die ausgedrückten Hassgefühle zu teilen, sich in ihrem schon vorhandenen Hass bestätigt oder bestärkt zu sehen und im gemeinsamen Hass die Gefühle der Verbundenheit und Liebe unter Freunden zu intensivieren. Mögliche Adressaten sind aber auch die Feinde. Welche Emotionen kann der Ausdruck starker Hassgefühle bei ihnen hervorrufen oder hervorzurufen versuchen? Hassartikulationen signalisieren nicht zuletzt eine aggressive, kompromisslose Handlungsbereitschaft, die den Feind zu ängstigen und einzuschüchtern versuchen. In den beiden zitierten Gedichten stehen die Thematisierung und der Ausdruck von Emotionen in Kontexten von Kriegsszenarien, über die ­jedoch explizit kaum etwas ausgesagt wird. Und auch die Kennzeichnungen der Sympathie- und Antipathieträger bleiben vage. Bloß angedeutet sind Bedrohungsszenarien (»Wir schützen Weichsel und Wasgaupaß«. Und: »Mein Vaterland in tiefer Not«.) Zu Feinden werden in Kriegs­ szenarien Figuren allein schon dadurch, dass von ihnen eine lebens­ bedrohliche Gefahr ausgeht, zu Freunden diejenigen, die bei der Abwehr der Gefahr helfen. Zu den prototypischen Kennzeichen der Darstellung von Kriegsszenarien gehört weiterhin, dass sie Rezipienten dazu anhalten, Partei zu ergreifen für die eine oder die andere Gruppe der sich bekriegenden Figuren.16 Neben Techniken der Perspektivierung (in den Gedichten zentriert auf das lyrische »Wir« oder »Ich«) sind dabei die literari­ schen Möglichkeiten der Figurendarstellung von eminenter Bedeutung. In den beiden Gedichten nehmen sie allerdings nur einen marginalen Raum ein. Die Feinde werden als solche bezeichnet, ansonsten aber nur 16 Vgl. Fritz Breithaupt, Kulturen der Empathie, Frankfurt am Main 2009.

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einer Nation (»England«) oder einer Position außerhalb des Vaterlandes zugeordnet und darüber hinaus lediglich in einem einzigen Vers mit ­Attributen gekennzeichnet, die neben ihrer Gefährlichkeit charakterliche Defizite benennen: »voll Neid, voll Mut, voll Schläue, voll List«. Kriegs- und Todesszenarien Erzähltexte und Dramen haben mehr Raum zur Darstellung von Kriegsszenarien und der in sie involvierten Figuren. Kriegsszenarien sind ­dominant Todesszenarien mit unterschiedlichem Emotionalisierungs­ potential. In ihnen ist der Tod (1) als zukünftige Möglichkeit, (2) als gegenwärtiger Vorgang des Sterbens oder (3) als vergangenes, irreversibles, nur im Gedächtnis gegenwärtiges Ereignis, repräsentiert.17 Alle drei Szenarien sind für Kriegsdarstellungen relevant. Das Szenario 1 (Tod als zukünftige Möglichkeit) ist in der Regel ein Bedrohungsszenario, in dem (unter noch genauer zu klärenden Voraussetzungen) bei den Bedrohten die Emotion ›Angst‹ dominiert. In Kriegsszenarien geht dabei die Bedrohung dominant von Figuren aus, die als »Feinde« eingeschätzt werden. Als »Freunde« gelten hingegen diejenigen, die als Helfer in Situationen der Gefahr fungieren. In Szenarien dieses Typs bleibt noch ungewiss, ob die bedrohten Figuren sterben oder überleben. Insofern ist die dominante Emotion ›Angst‹ gemischt mit Hoffnung. Diese Mischung ist charakteristisch für das emotionale Phänomen ›Spannung‹, die in der Tradition der Rhetorik als eine Kombination von metus und spes, Furcht und Hoffnung, beschrieben wird.18 Das Szenario 2 (Tod als gegenwärtiger Vorgang), also das Szenario des Sterbens, ist häufig ein Trennungs- und Abschiedsszenario und unterscheidet sich tendenziell von Szenario 1 dadurch, dass der Tod nicht mehr abzuwenden ist und nur noch die emotionale Einstellung der in die ­Szenerie involvierten Figuren und der Leser dazu variieren kann. In ­Abhängigkeit von den dargestellten Todesarten und den Arten ihrer ­Darstellung ist das Szenario offen für ganz unterschiedliche Arten von Emotionen. Szenario 3 (Tod als vergangenes Ereignis) ist vielfach ein Erinnerungsund Verlustszenario, verbunden dominant mit Trauer, zuweilen auch mit Schuldgefühlen, wenn die Überlebenden sich für den Tod einer Person mitverantwortlich fühlen, oder mit Wut auf andere, denen die Schuld an 17 Vgl. dazu Thomas Anz, Tod im Text, a.a.O., S. 306-327. 18 Vgl. Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik: Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, München 1973, S. 950.

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dem Tod zugeschrieben wird. Zu dem Szenario 3 gehören vielfach Reizkonfigurationen und Ereignisse, die an eine ehemals lebende und inzwischen tote Person erinnern, eine Leiche etwa, ein Schädel, ein Begräbnis oder ein Grab. Ludwig Uhlands in der Zeit des Freiheitskampfes gegen die Napoleonische Gewaltherrschaft entstandenes Lied vom guten Kameraden wurde zu einem Paradigma der emotionalen Ambivalenzen ­zwischen einer die Gemeinschaft festigenden Trauer um Freunde, angedeutetem Hass und Rachegefühl gegenüber den Feinden und dem die Trauer abschwächend modellierenden Trost der Aussicht auf ein Leben nach dem Tod.19 Ich hatt’ einen Kameraden, Einen bessern findst du nit. Die Trommel schlug zum Streite, Er ging an meiner Seite In gleichem Schritt und Tritt. Eine Kugel kam geflogen, Gilt’s mir oder gilt es dir? Ihn hat es weggerissen, Er liegt mir vor den Füßen, Als wär’s ein Stück von mir. Will mir die Hand noch reichen, Derweil ich eben lad. Kann dir die Hand nicht geben, Bleib du im ew’gen Leben Mein guter Kamerad !20 Alle drei Szenarien haben ein zwar begrenztes, aber innerhalb dieser Grenzen immer noch vielfältiges Emotionalisierungspotenzial. Autoren setzen es mehr oder weniger bewusst und kalkuliert auf eine Weise ein, die dieses Potenzial durch narrative Konkretisierungen weiter einschränkt und durchaus gezielt bestimmte Emotionen zu evozieren versucht und vielfach ›mit Erfolg‹ evoziert. Die vom Text intendierten und oft auch faktischen Emotionen des Lesers gleichen dabei häufig, aber keineswegs immer den Emotionen, die ein Text jenen Figuren zuschreibt, die in ihm als Sympathieträger fungieren. 19 Vgl. Uli Otto/Eginhard König, »Ich hatt’ einen Kameraden …«, Mainz 1999. 20 Ludwig Uhland, Der gute Kamerad, in: Ders., Gedichte, Stuttgart/Tübingen 1815, S. 219.

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Figuren als Sympathie- und Antipathieträger Welche Emotionen mit Darstellungen von Kriegs- und Todesszenarien dominant hervorgerufen werden, hängt nicht zuletzt davon ab, wer vom Tod bedroht ist, stirbt oder betrauert wird, und in welchen Beziehungen die betreffende Figur zu anderen Figuren steht. Im Fall von Kriegsdarstellungen erhalten dabei Freund-Feind-Schemata und die mit ihnen verbundenen Techniken der Sympathielenkung ein erhebliches Gewicht. In jedem Fall aber hat die Darstellung von Figuren, die in die dar­ gestellten Kriegs- und Todesszenarien involviert sind, maßgeblichen Anteil an der Modulation der Emotionen beim Lesen. In der empirischen Rezeptions- und Emotionsforschung hat man sich lange und intensiv ­damit auseinandergesetzt und dabei die Frage nach der affektiven Be­ ziehung des Lesers zu den literarischen Figuren, insbesondere zu den ­Protagonisten gestellt. Eines der maßgeblichen Bücher zur Figurenanalyse, das diese Auseinandersetzungen umfassend verarbeitet hat, stammt von dem Filmwissenschaftler Jens Eder.21 Ausführlich setzt er sich mit den Begriffen Identifikation, Empathie, Anteilnahme, Sympathie und Antipathie auseinander. Identifikation definiert er so: »Zuschauer identifizieren sich mit einer F­igur, wenn sie sich in mindestens einer relevanten Hinsicht vorstellen, sich in der Situation des fiktiven Wesens zu befinden oder dessen Eigenschaften zu haben.«22 Empathie begreift er als einen Sonderfall der Identifikation: als »Perspektivenübernahme in emotionaler Hinsicht«. »Sympathie« als »emotionale Parteinahme für eine Figur« könne zwar durch Identifikation und Empathie unterstützt werden, »hängt aber nicht grundsätzlich von ihnen ab, sondern manifestiert sich in einer Vielfalt von psychischen Vorgängen: um eine Figur fürchten, für sie wütend werden, sie bemitleiden, sich über ihre Erfolge freuen usw. Im Gegensatz zur Empathie sind diese Vorgänge unabhängig von jeglicher Identifikation mit den Gefühlen der Figur«.23 Wir können um eine Figur fürchten, wenn diese gar nicht weiß, dass sie in Gefahr ist. Es sind bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen der Figuren, die als Emotionsauslöser fungieren: »Wir bewerten Körperlichkeit, Persönlichkeit, Sozialität und Verhalten der Figuren nach moralischen und anderen intersubjektiven Kriterien und reagieren mit moralischen und 21 Jens Eder, Die Figur im Film. Grundlagen der Figurenanalyse, Marburg 2008. Hier besonders »Teil VII: Figuren und Zuschauer: Imaginative Nähe und emo­ tionale Anteilnahme« (S. 561-706). 22 Ebd., S. 600. 23 Ebd., S. 601.

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anderen wertenden Gefühlen.«24 Diese emotionalen Reaktionen bilden die Grundlage dafür, dass wir Figuren gegenüber längerfristige Dispositionen der Anteilnahme ausbilden, vor allem Sympathie und Antipathie. Diese Haltungen sind nicht selbst Gefühle, sondern »Formen der Bereitschaft, jeweils spezifische positive oder negative Gefühle in einer bestimmten Situation zu haben. Wenn eine Figur uns sympathisch ist, reagieren wir auf Situationen, die sie betreffen, mit ›Pro-Emotionen‹: Wir fürchten für die Figur, wenn sie in Gefahr ist; freuen uns für sie, wenn sie entkommt; sind traurig, wenn ihr etwas zustößt. Bei Figuren, die uns unsympathisch sind, hoffen wir dagegen eher, dass ihre Unternehmungen nicht gelingen, begegnen ihnen mit Schadenfreude oder triumphieren sogar über ihren Untergang.«25 Die Pro- und Anti-Einstellungen führen die Rezipienten zur emotionalen Parteinahme für Freunde und gegen Feinde. Wie die affektive Beziehung des Lesers zu den literarischen Figuren beschaffen ist, hängt dabei nicht nur von individuellen oder kollektiv verankerten Dispositionen des Rezipienten ab, sondern von Techniken der Sympathie- und Antipathielenkung, die mit solchen Dispositionen rechnen. Empirische Rezeptionsforschung, die die emotionalen Reaktionen von Probanden auf textuelles oder filmisches Stimulusmaterial untersucht, führt daher zu einem nur begrenzten Erkenntnisgewinn. Autoren und ihre Leser haben ein geteiltes Wissen über Regeln und Mechanismen, denen Emotionalisierungsprozesse beim Schreiben und Lesen folgen, auch wenn sie nicht immer funktionieren. Kommunikation, auch emotionale, kann eben misslingen. Die Regeln, denen sie folgt, gelten trotzdem. Sie zu formulieren erlaubt Hypothesenbildungen darüber, auf welcher Basis Leser die Emotionalisierungsabsichten von Autoren bzw. ihren Texten erkennen und ihnen oft auch folgen oder denen sie sich widersetzen. Regeln der Emotionalisierung Einige Regeln, denen Autoren und ihre Leser mehr oder weniger bewusst meist folgen, könnten etwa so formuliert werden:26

24 Ebd., S. 681. 25 Ebd. 26 Vgl. die im Anschluss an die »Poetik« des Aristoteles ausführlicher vorgenommenen Regelformulierungen in Thomas Anz, Kulturtechniken der Emotionalisierung, a.a.O., S. 229-233.

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1. Literarische Kriegsdarstellungen evozieren Angst, wenn Figuren, die sie zu Sympathieträgern machen, vom Tod bedroht sind, Angst mit den Figuren oder Angst/Sorge um die Figuren. 2. Literarische Kriegsdarstellungen evozieren Mitleid oder Trauer, wenn Figuren, die sie zu Sympathieträgern machen, sterben, und sie evozieren Empörung gegenüber Figuren oder Umständen, die für ihren Tod ver­ antwortlich sind. 3. Literarische Kriegsdarstellungen evozieren Genugtuung, Erleichte­rung oder Freude, wenn Figuren, die sie zu Antipathieträgern machen, sterben. 4. Literarische Kriegsdarstellungen evozieren Empörung, wenn Sym­ pathieträger sterben und Antipathieträger nicht sterben. Analysen literarischer Emotionalisierungstechniken, in deren Regelformulierungen die Begriffe ›Sympathieträger‹ und ›Antipathieträger‹ enthalten sind, brauchen wiederum zusätzliche Regelformulierungen zu ­literarischen Techniken der Sympathie- und Antipathielenkung. In den Formulierungen der »Poetik« des Aristoteles sind zum Beispiel Merkmale benannt, durch die Figuren von literarischen Texten zu Antipathieträgern gemacht werden können: »Schlechtigkeit und Gemeinheit«. Eine Regelformulierung, die dieser Poetik entspricht, könnte also lauten: 5. Literarische Texte evozieren Antipathien gegenüber einer Figur, wenn sie diese mit Merkmalen kennzeichnen, die von den unter Autoren und ihren Adressaten geteilten ethischen Werten deutlich abweichen. Emotionale Reaktionen auf fiktive Welten Die Emotionen gegenüber Todesszenarien in der fiktiven Welt von literarischen Texten bzw. in der durch Texte beim Lesen imaginierten Welt unterscheiden sich nicht grundlegend von den Emotionen, die in der ›natürlichen‹ oder ›realen‹ Welt an die Wahrnehmung von Todesszenarien gebunden sind. Aber einige wichtige Unterschiede sind doch zu beachten. a) Die Position des Lesers gegenüber den literarisch dargestellten bzw. durch literarische Texte imaginierten Todesszenarien ist die eines teilnehmenden Beobachters. Einerseits ist er in die Welt des Textes involviert, ›lebt‹ also gleichsam in ihr und identifiziert sich unter bestimmten Voraussetzungen empathetisch mit den in die Todesszenarien involvierten Figuren, andererseits kann er bei Bedarf in die Rolle des distanzierten ­Beobachters wechseln, die Szenarien von sich fernhalten, sich bewusst machen, dass sie nur fiktiv sind oder dass sie ihn selbst nicht unmittelbar betreffen. Gegenüber allen Varianten von Todesszenarien ist der Leser so 347

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immer in der gesicherten Position des von den dargestellten Bedro­ hungen und Leiden nicht unmittelbar Betroffenen. Die Effekte der Erleichterung, die mit dem Bewusstwerden dieser gesicherten Position verbunden sind, wurden seit der Antike immer wieder als hochrangige Lustquellen beschrieben.27 b) Im Anschluss an den Emotionspsychologen Klaus Scherer hat Katja Mellmann Emotionen als Verlaufsprogramme mit unterschiedlichen Phasen beschrieben und gezeigt, dass emotionale Reaktionen auf litera­ rische Texte partiell anders verlaufen als emotionale Reaktionen auf ›natürliche‹ Reizkonfigurationen.28 Als Reaktionen auf auslösende Reize versetzen Emotionen die Wahrnehmenden mit reflexartiger Schnelligkeit in den Zustand von Handlungsbereitschaft, aktivieren jedoch vor der ­Initiierung bestimmter Handlungen Programme, die die Umwelt nach relevanten Informationen absuchen und die Ergebnisse im Hinblick auf situationsangemessenes Handeln überprüfen. Die adaptive Leistung von Emotionen besteht in evolutionsbiologischer Perspektive darin, dass sie gegenüber einfachen Reiz-Reaktionsmechanismen menschliche Verhaltensreaktionen auf Reize flexibilisieren. Kennzeichnend für den Emo­ tionsverlauf bei der Wahrnehmung literarisch induzierter Reizkonfigurationen ist es, dass Handlungsreaktionen, die bestimmten Emotionen in der Regel folgen, unterbleiben. Die literarisch vermittelte Wahrnehmung lebensbedrohlicher Szenarien initiiert beim Leser keine Fluchtreaktionen, das Mitleid mit Figuren initiiert keine Hilfsaktionen, der Hass auf Feinde keine Tötungsakte. Ganz folgenlos für das Handeln der Leser müssen die durch litera­ rische Reizquellen ausgelösten Emotionen jedoch längerfristig nicht bleiben. Emotionale Kommunikation im Medium literarischer Texte kann als Möglichkeit zur spielerischen Erprobung und Ausbildung emotionaler Kompetenzen begriffen werden, die in risikoreicheren Interaktionen mit sozialen und natürlichen Umwelten ständig verlangt werden. Gotthold Ephraim Lessing hatte im 18. Jahrhundert die Rezeption von Trauer­ spielen als Einübung in Mitleidsfähigkeit konzipiert. Genauso können ­literarische Texte im Umgang mit Todesszenarien in Mitleidlosigkeit einüben. Nicht nur in Kriegszeiten kann beides handlungsrelevante Folgen haben. Judith Butlers Argumentationen knüpfen an solche Traditionen 27 Vgl. Thomas Anz, Literatur und Lust. Glück und Unglück beim Lesen, München 1998, S. 146-149. 28 Vgl. Katja Mellmann, Emotionalisierung – Von der Nebenstundenpoesie zum Buch als Freund. Eine emotionspsychologische Analyse der Literatur der Auf­ klärungsepoche, Paderborn 2006, S. 23-41.

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und Einsichten an. Ihre argumentativ vorgehenden Versuche, gängige Freund-Feind-Schemata aufzubrechen, steht nicht zuletzt in pazifistischen Traditionen, deren literarische Repräsentanten in ihren Kriegs­ darstellungen solche Schemata wiederholt aufgegriffen und hochgradig emotionalisierend außer Kraft zu setzen versuchten. Das gilt auch für die  »Feindbildforschung«, die sich in der Zeit des Kalten Krieges als »Friedensforschung« verstand.29 Sie hat in literarischen Darstellungen des Ersten Weltkrieges, die in den 1920er- und 1930er-Jahre entstanden sind, etliche Vorläufer. Pazifistische Reflexionen und Auflösungen von Freund-Feind-Schemata »Am ersten Weihnachtstag 1914 kam es vor allem an Frontabschnitten in Flandern rund um Ypern zu massenweisen Verbrüderungen von deutschen mit englischen, französischen sowie belgischen Soldaten: es wurde vereinbart, nicht aufeinander zu schießen, gemeinsam wurden Weihnachtslieder gesungen, die Toten im Niemandsland beerdigt, Zigaretten, Lebensmittel und Militärandenken getauscht, Fotos vom Zusammentreffen mit dem Feind gemacht und es wurde sogar Fußball gespielt.«30 Über diesen »Weihnachtsfrieden« wurde damals in etlichen Zeitungsartikeln, vor allem in Großbritannien, aber auch in Deutschland, in­ formiert. Doch Jahrzehnte später erst wurde er in großem Stil von der populären Geschichtsschreibung wiederentdeckt. »Die Geschichte hat ein hohes Emotionalisierungspotenzial, in der die Menschlichkeit der ›kleinen Leute‹ triumphiere und die sich als Fabel für die Begegnung unterschiedlicher Nationen im Leid und als Baustein einer gemeinsamen europäischen Verständigungsgeschichte gut eignet.«31 Höhepunkt in der Popularisierung des Weihnachtsfriedens war der Film »Merry Christmas« (Deutschland, Großbritannien, Belgien, Norwegen, Regie: Christian Carion), der Weihnachten 2005 in die Kinos kam. Wenig bekannt ist, dass Erich Maria Remarque nach seinem Roman »Im Westen nichts Neues« 1930 eine Erzählung schrieb, die unverkenn29 Vgl. Christoph Weller, Feindbilder. Ansätze und Probleme ihrer Erforschung (InIIS-Arbeitspapier 22), Bremen 2001. Online abruf bar unter: http://www. philso.uni-augsburg.de/lehrstuehle/politik/politik1/mitarbeiter/weller/pdf_buecher_ forschungsberichte/Weller_Feindbilder_01.pdf (letzter Zugriff: 15.02.2012). 30 Sylvia Paletschek, Der Weihnachtsfrieden 1914 und der Erste Weltkrieg als neuer (west-)europäischer Erinnerungsort – Epilog, in: Barbara Korte (Hrsg.), Der erste Weltkrieg in der populären Erinnerungskultur, Essen 2008, S. 213-221, hier S. 213. 31 Ebd., 215 f.

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bar auf diesen Weihnachtsfrieden 1914 zurückgreift. Er schrieb sie für eine amerikanische Zeitschrift, und sie wurde erst in den 1990er-Jahren erstmals in deutscher Sprache veröffentlicht. Ihr Titel: »Der Feind«. Der Erzähler fragt seinen Schulkameraden Ludwig Breyer, »welches Kriegs­ erlebnis ihm am lebhaftesten in Erinnerung wäre«.32 Er bekommt eine Geschichte zu hören, in der Feinde zu Freunden werden. Es wird von einem Gefangenenlager erzählt, in dem einige hundert Franzosen untergebracht waren: Sie saßen oder lagen herum, rauchten, redeten und dösten. Das öffnete mir die Augen. Bis dahin hatte ich nur kurze, flüchtige Eindrücke – vereinzelt, schemenhaft – von den Männern gehabt, die die feind­ lichen Gräben hielten. Ein Helm vielleicht, der einen Augenblick über den Rand der Brustwehr ragte; einen Arm, der etwas warf und wieder verschwand; ein Stück graublauen Stoffs, eine Gestalt, die in die Luft sprang – fast abstrakte Dinge, die hinter Gewehrfeuer lauerten, hinter Handgranaten und Stacheldraht. Hier sah ich zum ersten mal Gefangene, und zwar viele, sitzend, liegend, rauchend – Franzosen ohne Waffen. Ein plötzlicher Schock traf mich – gleich darauf musste ich über mich selbst lachen. Mich hatte schockiert, daß sie Menschen waren wie wir selbst. Aber die Tatsache war – weiß Gott merkwürdig genug – , daß ich einfach noch nie darüber nachgedacht hatte. Franzosen? Das waren Feinde, die getötet werden mußten, weil sie Deutschland zerstören wollten. Aber an jenem Augustabend wurde mir jenes unheilvolle Geheimnis klar, die Magie der Waffen. Waffen verwandeln die Menschen. Und diese harmlosen Kameraden, diese Fabrikarbeiter, Hilfs­ arbeiter, Geschäftsleute, Schuljungen, die da so still und resigniert herumsaßen, würden, wenn sie nur Waffen hätten, augenblicklich wieder zu Feinden werden. Ursprünglich waren sie keine Feinde; erst als sie Waffen bekamen.33 Die Merkmale des Antipathieträgers Feind werden in diesem Text auf eine dominante Eigenschaft reduziert: die Absicht und die durch Waffen gegebene Fähigkeit zu töten. Nur das aktiviert affektive Reaktionen wie Angst, Wut oder Hass, aus denen wiederum Tötungsakte hervorgehen, generiert die ›Totschlägerreihe‹, der im Krieg und in der literarischen 32 Erich Maria Remarque, Der Feind, in: Ders., Der Feind. Erzählungen. Heraus­ gegeben und mit einem Nachwort von Thomas F. Schneider, Köln 2007, S. 9-17, hier S. 9. 33 Ebd., S. 11.

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Kommunikation über ihn so schwer zu entkommen ist. Feinde werden nicht als Menschen wahrgenommen, suggeriert die Erzählung, und Menschen nicht als Feinde: »Und zum ersten mal begriff ich, daß ich gegen Menschen kämpfte; Menschen, die wie wir von starken Worten und Waffen verhext waren; Menschen, die Frauen und Kinder, Eltern und Beruf hatten«.34 Und noch von einer zweiten Kriegsepisode erzählt der Freund. Sie ist es, die an die Geschichte vom Weihnachtsfrieden 1914 anknüpft. Hier kommt es zu einer plötzlichen Annäherung zwischen den verfeindeten Deutschen und Franzosen. Man tauscht Zigaretten und Nahrung, bis ein Major an der Front auftaucht, der davon nichts weiß und einen Franzosen erschießt. »Von da an wurden die Feindseligkeiten ordnungsgemäß fortgesetzt; Zigaretten gingen nicht mehr hin und her; und die Verlustzahlen nahmen zu. Viele Dinge sind mir seither passiert. Ich sah viele Männer sterben; ich selbst habe mehr als einen getötet; ich wurde hart und gefühllos. Die Jahre gingen vorüber. Aber die ganz lange Zeit habe ich nicht gewagt, an diesen dünnen Schrei [des erschossenen Franzosen] im Regen zu denken.«35 Drei Jahre nach Remarques Erzählung, 1933, erschien Ernst Tollers ­Autobiografie »Eine Jugend in Deutschland«. Sie erzählt von seiner Wandlung von der Kriegsbegeisterung zur Kriegsgegnerschaft und zum Pazifismus. Mit typisch expressionistischem Pathos beschreibt Toller rückblickend sein Wandlungserlebnis. Die Beschreibung folgt dem gleichen Muster jenes Perspektivenwechsels, dem schon Remarque folgte: der Rückverwandlung eines reduktionistischen Feindbildes in ein komplexeres Menschenbild. Ich stehe im Graben, mit dem Pickel schürfe ich die Erde. Die stählerne Spitze bleibt hängen, ich zerre und ziehe sie mit einem Ruck heraus. An ihr hängt ein schleimiger Knoten, und wie ich mich beuge, sehe ich, es ist menschliches Gedärm. Ein toter Mensch ist hier begraben. Ein – toter – Mensch. […] Und plötzlich, als teile sich die Finsternis vom Licht, das Wort vom Sinn, erfasse ich die einfache Wahrheit Mensch, die ich vergessen hatte, die vergraben und verschüttet lag, die Gemeinsamkeit, das Eine und Einende. 34 Ebd., S. 12. 35 Ebd., S. 17.

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Ein toter Mensch. Nicht: Ein toter Franzose. Nicht: Ein toter Deutscher. Ein toter Mensch. Alle diese Toten sind Menschen, alle diese Toten haben geatmet wie ich, alle diese Toten hatten einen Vater, eine Mutter, Frauen, die sie liebten, ein Stück Land, in dem sie wurzelten, Gesichter, die von ihren Freuden und ihren Leiden sagten, Augen, die das Licht sahen und den Himmel. In dieser Stunde weiß ich, daß ich blind war, weil ich mich geblendet hatte, in dieser Stunde weiß ich endlich, daß alle diese Toten, Franzosen und Deutsche, Brüder waren, und daß ich ihr Bruder bin.36 Eine Schlüsselszene in Remarques Roman »Im Westen nichts Neues«, der die Emotionen der am Krieg beteiligten Soldaten immer wieder reflektiert, beschreibt einen Tötungsakt und die anschließende Reue. Der Protagonist befindet sich in einem Schützengraben. Ein Körper fällt zu ihm hinab, reflexartig sticht er auf ihn ein und verbringt dann Stunden mit dem sterbenden Mann zusammen. Er hilft ihm, verbindet ihn und führt mit ihm, auch noch als er tot ist, Gespräche. Kamerad, ich wollte Dich nicht töten. Springst Du noch einmal hier hinein, ich täte es nicht, wenn auch Du vernünftig wärst. Aber Du warst mir vorher nur ein Gedanke, eine Kombination, die in meinem Gehirn lebte und einen Entschluss hervorrief – diese Kombination habe ich erstochen. Jetzt sehe ich erst, dass Du ein Mensch bist wie ich. Ich habe gedacht an Deine Handgranaten, an Dein Bajonett und Deine Waffen – jetzt sehe ich Deine Frau und Dein Gesicht und das Gemeinsame. Vergib mir, Kamerad ! Wir sehen es immer zu spät. Warum sagt man uns nicht immer wieder, dass Ihr ebenso arme Hunde seid wie wir, dass Eure Mütter sich ebenso ängstigen wie unsere und dass wir die gleiche Furcht vor dem Tode haben und das gleiche Sterben und den gleichen Schmerz –. Vergib mir Kamerad, wie konntest Du mein Feind sein. Wenn wir diese Waffen und diese Uniform fortwerfen, könntest Du ebenso mein Bruder sein wie Kat und Albert.37

36 Ernst Toller, Gesammelte Werke. Hrsg. von John M. Spalek und Wolfgang Frühwald, Band 4, Eine Jugend in Deutschland, München 1978, S. 69 f. 37 Erich Maria Remarque, Im Westen nicht Neues. Roman. Mit einem Nachwort von Tilman Westphalen, Köln 2009, S. 154.

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Er findet die Brieftasche des Mannes, Bilder von Frau und Kind und entdeckt den Namen des Mannes und erkennt: »ich habe den Buchdrucker Gerard Duval getötet.« Und dann spricht er den Toten noch einmal an: »›Heute Du, morgen ich. Aber wenn ich davonkomme, Kamerad, will ich kämpfen gegen dieses, das uns beide zerschlug: Dir das Leben – und mir – ? Auch das Leben. Ich verspreche es Dir, Kamerad, es darf nie wieder geschehen.‹«38 Remarque und Toller reflektieren hier im Zusammenhang mit Kriegsszenarien Mechanismen, wie sie später auch von der Feindbildforschung oder auch von Judith Butler beobachtet und analysiert wurden und die für die literatur- und filmwissenschaftliche Figuren- und Emotions­ forschung generell von Bedeutung sind. Feindbilder und die mit ihnen verbundenen Emotionen werden durch mehrere miteinander verbundene Formen der Informationsvergabe generiert: a) Über Repräsentanten bestimmter Personen- bzw. Figurengruppen wird in der Regel nur sehr reduziert informiert. Insbesondere Informa­ tionen über Merkmale, die denen vieler anderer Menschen ähnlich sind, werden weitgehend vorenthalten. Feind-Figuren erscheinen deshalb als fremd und dehumanisiert.39 b) Die wenigen Merkmale, die diesen Personen bzw. Figuren zu­ geschrieben werden, entsprechen nicht den (vor allem ethischen) Maßstäben, mit den Personen bzw. Figuren bewertet werden. c) Das dominante Merkmal der Personen bzw. Figuren ist ihre Gefährlichkeit. Feinde sind also keine Menschen, ethisch minderwertig und ge­ fährlich. Ihr Erscheinen ist gekoppelt an Bedrohungsszenarien. Diese erzeugen Angst bei den Freund-Figuren und bei den mit ihnen sympathisierenden Rezipienten und mobilisieren Wut mit dem entsprechend aggressiven Wunsch, dass der Feind getötet und damit unschädlich gemacht und bestraft wird. Der Tod des Feindes evoziert Genugtuung, Erleichterung oder Freude. Da der tote Feind aber nicht mehr gefährlich ist, ist er potentiell kein Objekt feindschaftlicher Emotionen mehr. Der Tod des Feindes eröffnet die Möglichkeit zu unterschiedlichen emotionalen Reaktionen. Nicht zufällig sind die von Remarque und Toller literarisch dargestellten Refle38 Ebd., S. 156. 39 In der bislang nur in Ansätzen existenten Sympathie-Foschung wird wiederholt auf die Wahrnehmung von Ähnlichkeiten mit Personen oder Figuren als Voraussetzung für Sympathiebildung hingewiesen. Vgl. Katja Mellmann, Emotionalisierung, a.a.O., S. 137-143.

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xionen und Auflösungen von Feindbildern an Szenarien gebunden, in denen ehemalige Feinde waffenlos, in einer Ausnahmesituation (Weihnachtsfriede) gerade nicht gefährlich oder tot sind. Es sind Situationen, die bei den beteiligten Figuren und bei den Lesern Raum zur Rührung und ethisch hochgeschätzten Emotionen wie Mitleid und Reue über eigene Fehleinschätzungen zulassen. In Remarques Roman geht die Auflösung eines alten Feindbildes allerdings, vage angedeutet, mit der Etablierung eines neuen einher: »Aber wenn ich davonkomme, Kamerad, will ich kämpfen gegen dieses, das uns beide zerschlug: Dir das Leben – und mir – ? Auch das Leben. Ich verspreche es Dir, Kamerad, es darf nie wieder geschehen.« Auch pazifistische Bewegungen, die in ihre Gemeinschaft ehemalige Feinde integrieren, kommen ohne Gegner kaum aus. Dass es Feindbilder gibt, die unter Umständen ihre Berechtigung haben, macht die Reflexion über sie nicht eben einfach.

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After the Battle Complexities of emotional post-war reactions Will it never stop? On May 26, 2011, Ratko Mladić was arrested near Belgrade by Serbian police forces, and after a short court hearing he was transferred to the prison of the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY) in Scheveningen near the Hague. In another cell in the same complex resides Radovan Karadžić, brought to the Hague a few days ­after his arrest July 21, 2008. Already in 2006 Slobodan Milošević, in­ carcerated in 2001, died in the same prison during his trial but before his final verdict. The three most conspicuous actors involved in the violent disruption of the former Yugoslavia in the 1990s have now been captured and brought to trial together with a host of smaller fish from all parties, also accused and to a certain extent found guilty of war crimes and crimes against humanity. Taken together with the endless reports in all kinds of news media around the world as well as in films, novels, poems, biographical accounts, documentaries, testimonies, interviews etc. the possibility of actually ending the latest – who dares say the last? – war in the region should be within reach, opening a new beginning for the ­troubled peoples and war torn countries in cooperation with Europe and the world at large. However, it does not take much effort to find out in the same news media and magazines around the world that this hope sounds like wishful thinking. Doubts about the sincerety of Serbia during the search for Mladić, the visible intransigence of Serbian nationalists, a mutual hatred and revengeful nationalisms still nurtured in all quarters and transferred to new generations, the ethnic divides in Bosnia and the silence and ­repression among war veterans, victims and survivors in all camps and ­refusal of tolerance and forgiveness, all such attitudes have re-surfaced immediately after the seisure of Mladić and tell another story about the difficulties of washing away the cultural and emotional tarnish produced by the ethnic cleansing, although the will to bring an end to the self-­ destructive workings of such animosities is equally widespread. Beyond the political, economic and judicial agenda that works to end the war and stop the bleeding of the wounds from Srebenica once and for all, the negative emotional pressure and the lack of will and capacity to 355

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forget or forgive, both on a individual and a collective level, are strong and unbroken undercurrents as vivid as in the beginning of the war. On that level the war does not end, but is only transformed and ­redirected. The question is what ending means, and what it takes to realize it. This doubt prompts us to focus on the forces involved in the subcutaneous processes that may create or impede the sense of a shared future that keeps a culture alive and turns an agenda into a viable political practice. To grasp such intricate and delicate, but infinitely real and powerful processes more complex media of expressions are called for than the ­numerous reports from the warzones around the world. We need imaginative and imaginary media which within the same framework are able to comprise individual and collective lives, conscious and unconscious dimensions of the mind, emotions, cultural visions and experiences. ­Literature is one such medium. In this paper I will explore some literary expressions of the questionable ending of wars centered on the two interconnected themes of emotion and forgiveness. The open-ended war The definition of beginning and ending has become diffuse in modern warfare.1 Is World War I still being fought out in the Middle East and the Balkans? Cleaning up both the ground and the minds after a war is therefore a difficult task, both conceptual and practical. While the international awareness is mostly preoccupied with what happens on the ground, local concerns mostly depend on the minds. Literature and other imaginary cultural products never lose sight of this local complexity. That is why it plays an important role in the post-war processes. Real atonements that make people cope are complex acts of comparison. Coping is a project of de-individualizing traumas of whatever origin and of whatever magnitude enabling people to share experiences which ­nobody can really share. When we go beyond a certain scale – to what Immanuel Kant called Das Erhabene – nobody can claim to have the monopoly of the worst cataclysmic event ever. Is Holocaust worse than Pol Pot’s atrocities because the first implied 6 million people and the last 2-3 million? If so, we should be able to say ›only‹ 2-3 million, but we can not. Not even ›only‹ 8000 slaughtered in Screbenica after Ratko Mladić’s ­orders. In short: the quantitative comparison is self-defeating in its absurdity. Nevertheless, comparisons form a necessary framing although 1 Svend Erik Larsen, Landscape, Identity and War, in: New Literary History 35/3, 2004, pp. 469-490.

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comparisons themselves then become objects of passionate dispute. And rightly so. The passionate debate is part of the painful cultural acceptance of the fact that the unbearable happened, but still in its ungraspability ­exceeds attempts to wrap it in causal and other explanations. But once this debate begins the issue is no longer the unforgettable uniqueness of the event ­in itself. The issue is instead: how to contextualize it in such a way that we may share a continuous reflexion on it with others? How do we find a context that allows for a reflexive comparison? This paper is a modest attempt to answer that question. When Germany had to pay war indemnities after World War I the constitutive comparison was constructed in economical and thus quantitative terms as a kind of compensation to the winners for the damage they suffered. Literally, the account was settled and the treaty signed in Versailles, taking into account war as an event that can be finalized. This procedure had nothing do with the reality of war, its effects, its afterlife and its possible ending. World War II followed, and the consequences of World War I are still causing unrest in the Middle East, the Balkans and elsewhere. Comparisons that grasp the real complexity of war have to work with the emotions involved in the war, also when they resist the comparative strategy itself. Such strategies are acts of translation from unbearable experiences into understandable meaning structures, and literary images, plots, motifs, characters, myths, themes, genres etc. carry a long tradition for this aesthetic and discursive process. Literature has always given shape to what is beyond our comprehension without pretending that its objects lose their ungraspable and conflictual magnitude. But nevertheless, they acquire a shared meaning we can work with in the language we use to communicate about everything else. Literature enables us to reflect on all levels of this translation process that takes into account: 1) Media: we must find relevant media of expression to communicate what we want to bring to an end or just use to reorient our life. 2) Emotional complexity: we must express ourselves in terms that match the emotional complexity of the issue. 3) Outreach: our expression has to generate a public attention in order to be understood and accepted as relevant. 4) Continuity: when we are facing events of the magnitude of war, there is no once-and-for-all. We have to convey the recognition that even after such an outreaching, understandable and accepted communication, this communication is an ongoing process. 357

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Therefore, the crux of the matter is to launch an intersubjective process that is repeatable and transforms the unique and unbearable into a communicable and shareable expression we can work with collectively in memory, emotions and arguments. The last point is, as we know, unbearable for many survivors from war atrocities. The very repeatability, which is a precondition for the collective communication, goes against the uniqueness and enormousness of their experience, legitimizing their attempt to protect it in a more and more monumentalized and unchangeable, maybe petrified memory or as a permanently unspoken or unspeakable state of affairs, for ever left in the heart of darkness. This problem is discussed by Imre Kertész and Jean Améry. Between the openness of fiction and the closure of resentment Imre Kertész is uncompromisingly succinct in his essay »Who Owns Auschwitz?«:2 Holocaust survivors will have to face the facts: as they grow weaker with age, Auschwitz is slipping out of their hands. But to whom will it belong? Obviously, to the next generation, and to one after that – as long as they continue to lay claim to it, of course.3 The essay is a review of the film »La vita è bella« by Roberto Benigni, a representative of the next generation. It is a kind of slapstick comedy on life in Auschwitz. Although provocative in its genre compared to the traumatic event, to Kertész it is more apt to make the memory on Auschwitz continue as a public concern than a meticulous care for minute ­detail, as professed by the custodians who, as he says, jealously »insist on their exclusive rights to the Holocaust«.4 Precisely as a fairy tale the film is authentic in its comprehension of camp life because its emotional appeal grasps the very »sense of the camp«.5 Camp life was a necessary daily denial, so Kertész, of death and cruelty, turned into an utterly unrealistic hope simply in order to survive physically and mentally. This is the message that can and ought to be carried on to the next generation beyond the cruel details: the power of human imagination 2 Imre Kertész, Who Owns Auschwitz?, in: The Yale Journal of Criticism 14/01, 2001, pp. 267-272. 3 Ibid., p. 267. 4 Ibid., p. 271. 5 Ibid.

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that makes people survive against all odds. With a statement already ­anticepated in the novel »Fiasco« (1988)6 he observes that »The concentration camp is imaginable only and exclusively as literature, never reality«.7 Obsession with details, he claims, only creates sentimentality and kitsch whereas imaginative acts equal »civilization, humanity, freedom – everything that humans ever regard as valuable.«8 Fiction articulates a recognizable state of emotion, not of detail, painfully confirming basic facts of human reality. The Belgian-Austrian Jean Améry, born Hans Mayer, is another survivor who in a contrasting but equally adamant way defends the exact ­opposite position. After participation in the resistance he was taken by Gestapo in Belgium, tortured and sent to the concentration camps. Confronted with the possibility to forgive and thereby to get on with life he refuses.9 In his »Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten« (1966)10 he expresses his strong emotional aversion to forgiving, but also with a resigned sense of the aimlessness of his attitude. The intransigence, which can only be shared with other victims, will inevitably die with him and other survivors11 and so will the memory of the event in its unsettling singularity. It is important for Améry to keep up his »Ressentiments«, as he names a chapter of the book. Here he states that he is repelled by »Die in dieser Stunde bereits von Vergebens- und Versöhnungspathos vibrierenden Juden«12 and by any invitation to forget: »Das Verbrechen verursacht Unruhe in der Gesellschaft; sobald aber das öffentliche Bewußtsein die Erinnerung an das Verbrechen verliert, verschwindet auch die Unruhe«.13 Forgiveness means for him to cave in to the appeal to get over with it, »fertigmachen«. To avoid the glossing over through »fertigmachen« and to keep the »Unruhe« alive is a permanent necessity, here as »Selbstmisstrauen«: »Nun denn, ausgetragen könnte dadurch werden, daß in einem Lager das Ressentiment bestehen bleibt, und, hierdurch geweckt, 6 7 8 9 10 11 12 13

Imre Kertész, Fiasco, New York 2011, pp. 52-53, 74-75. Ibid., p. 268. Ibid., p. 272. Cf. the debate in Simon Wiesenthal (ed.), The Sunflower. On the Possibilities and Limits of Forgiveness, New York 1997, and: Peter A. French, The Virtues of ­Vengeance, Albany 1983. Jean Améry, Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten, Stuttgart 1977. Cf. ibid., p. 128. Ibid., p. 106. Ibid., p. 115.

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im anderen das Selbstmißtrauen.«14 Améry presents a quasi-rational ­argument floating on a sea of emotions which, in contrast to Kertész, ­remains hidden inside his own individuality. To be true to his unique ­experience is forever an essential part of his identity and therefore never to be forgotten, not even through an act of forgiveness. But then the ­experience is only true »im Innenraum«15 and cannot be communicated. The choice between the two positions as right or wrong or as more or less convincingly argued, is impossible. Kertész points to the future, Améry to the past, each of them equally provocative, evoking emotions in us based on their own irreducible emotional honesty. Taking together, they indicate the complexity of the emotional post-war reaction, a complexity that can not be solved by suggesting a new and more adequate emotional reaction or a rational choice between the two positions, but only by a both aesthetic and rational reshaping of the complexity as a whole in an ongoing communicative process. In this context, Kertész and Améry exemplify two strategies based on an emotional investment. Kertész proceeds by a radical reinterpretation of personal experiences to enlarge and redirect their meanings in a future oriented perspective focusing on the universal emotional value of survival against all odds; Améry insists on a refusal of forgiveness, knowing full well that his refusal dies with him and stays in his »Innenraum« without generalizing perspectives. He sees the ongoing change of the cultural position of the war, propelled by some sort of forgiveness, as a magnificent lie in spite of its broader outreach and acceptability. Améry only wants to reach out in order to mark the incomprehensible, the unacceptable, the unspeakable. But, paradoxically in a sense, he has to keep on writing about it, and he has to form his argument by evoking the forgiveness he despises. In the following analyses of two texts I will explore each of these two extreme positions in relation to war and post-war experiences: an example of radical emotional reinterpretation which tend to make forgiveness irrelevant and another focusing on the complexity of forgiveness in a context that nevertheless forces it to be indirect. The first text is the ­autobiographical account by the South African writer Jacob Dlamini: »Native Nostalgia«16 from 2009, a black author now reevaluating his township childhood under apartheid. With nostalgia the title already suggests the emotional focus. The second text is the South Korean author 14 Ibid., p. 124. 15 Ibid., p. 140. 16 Jacob Dlamini, Native Nostalgia, Auckland Park 2009.

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Yi Mun-Yol’s short novel »An Appointment with my Brother«17 from 1994, dealing with to half-brothers, one from the North, the other from the South, who meet for the first time after their father’s death and face the complex process of forgiveness. Although the two books have a ­different emphasis, they also show how emotions and forgiveness are different but intimately interconnected mental processes, and seen together they shed an important light on this complexity and the capacity of litera­ture to unfold it. Nostalgia and forgiveness Already the title of Dlamini’s autobiographical account, »Native Nostalgia«, indicates the radical reinterpretation it suggests. In post-apartheid South Africa, the Rainbow state where Desmond Tutu’s Truth and Reconciliation Commission has been at work, he longs back to his native black township, Katlehong near Johannesburg, normally seen as an un­ livable slum habitation under constant surveillance, persecution and raids by the white police and military. Like Kertész’ recollection of camp life in the last chapter of »Fateless« (1975)18 also Dlamini’s focus is a sort of happiness. It is part of his life, and so he must, even there, find an identity creating his personal resources that make him go on. Nostalgia is the most appropriate word he can find for the emotional return to the past. He is what he is, not inspite of his background, but because of it. If he thinks he has a resourceful life with a future perspective, although difficult, this resourcefulness also comes from his childhood township even when shaped by apartheid. Whatever the determining warlike situation is, this particular type of happiness in spite of apartheid is what he tries to unearth in order to cast his upbringing in nostalgic terms, something worth longing for. Provocative it is: a black man confessing a longing for certain aspects of the apartheid. Like Kertész he practices a radical reinterpretation channeled through emotions. With Martha Nussbaum’s theory of emotions as my guideline19 Dlamini’s emotional reaction to his past can be seen as an attempt to go 17 Yi Mun-Yol, An Appointment with My Brother, Engl. transl. Seoul 2002. 18 Imre Kertész, Fateless, Evanston 1996. 19 There are numerous encyclopedia and handbooks on emotion and psychology, e. g.: Michael Lewis/Jeanette Haviland-Jones (eds.), A Handbook of Emotions, New York 2000. On appraisal theories in particular, see Klaus R. Scherer/Angela Schorr/Tom Johnstone (eds.), Appraisal Processes in Emotion. Theory, Methods, Research, Oxford 2004. The book by Amélie Oksenberg Rorty (ed.), Explaining

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beyond the otherwise paralyzing dichotomized divisions of life in terms of war. In her »Upheavals of Thought« (2001)20 she is inspired by the ­Stoics and reminds us that the notion of ›eudaimonia‹ refers to a sense of happiness that is defined by its fullness, not by its merriness. This is also the point of gravity in Dlamini’s account which also reflects a second ­important point in Nussbaum: emotions are rational, not necessary in terms of formal logic, but in the sense of being systematic, repeatable and subject to argumentation and reflexive evaluation – in the same way as language, literature and art works are rational. Emotions, in this context, work as deictical phenomena – they point to things we cannot resist to Emotions, Berkeley 1980 on philosophy is useful, but on the phenomenological approach see Robert C. Solomon, True to Our Feelings. What Our Emotions Are Really Telling Us, Oxford 2007 and Jan Slaby, Gefühl und Weltbezug, Paderborn 2008. According to relation to memory see Paul Ricœur, La mémoire, l’histoire, l’oubli, Paris 2000 and Svend Erik Larsen, Forgiving and Forgetting, in: Fernanda Mota Alves e.a. (eds.), Filologia, Memória e Esquecimento, Lissabon 2010, pp. 2949. When literature and the arts come into the picture, more weight is often put on the psychological effects than on particular aesthetic and cultural issues (Derek Matravers, Art and Emotion, Oxford 1998, Jenefer Robinson, Deeper Than Reason. Emotion and its Role in Literature, Music, and Art, Oxford 2005, Paul J. Silvia, Emotional Responses to Art: From Collation and Arousal to Cognition and Emotion, Review of General Psychology 9/4, 2005, pp. 342-357), although the role of narration is discussed (Peter Goldie, The Emotions. A Philosophical Exploration, Oxford 2002, Christiane Voss, Narrative Emotionen, Berlin/New York 2004, Jan Slaby, Gefühl und Weltbezug, op. cit.) and visuality by Susan Sontag (Regarding the Pain of Others, London 2003). The books of Martha Nussbaum (Love’s Knowledge. Essays on Philosophy and Literature, New York 1990) and Klaus Herding/Bernhard Stumpfhaus (eds.), Pathos, Affekt, Gefühl, Berlin 2004 are stimulating exceptions with an interart perspective. For a historical approach, see e. g. Keith Cameron (ed.), The Literary Portrayal of Passion through the Ages, Lewistown 1996, Svend Erik Larsen, Passions of Realism, in: Orbis Litterarum 55/6 (2000). Special Issue: Balzac. Ed. Svend Erik Larsen, pp. 418-433, Susan Neiman, Evil in Modern Thoughts, Princeton 2002, Carole Talon-Hugon, Les passions rêvées par la raison. Essais sur la théorie des passions de Descartes et de quelque-uns de ses contemporains, Paris 2002, Thomas Dixon, Emotions. The Invention of a Psychological Category, Cambridge 2004, Lynn Hunt, Inventing Human Rights, New York 2007, Grégoire Chamayou, Les corps vils. Expérimenter sur les êtres humains aux XVIIIe et XIXe siècles, Paris 2008. See also the anthology by Robert C. Solomon (ed.), What is an Emotion? Oxford 2003 and the essays in Martin Harbsmeier/Sebastian Möckel (eds.), Pathos, Affekt, Emotion, Frankfurt am Main 2009. 20 Martha Nussbaum, Upheavals of Thought. The Intelligence of Emotions, Cambridge 2001.

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involve ourselves with in view of further consideration: »To feel means to be involved in something«.21 Furthermore, for Nussbaum emotions are intentional and inseparably interlinked with systematic thinking. The intended object of emotions enters our life in this double imposing-rational sense: 1) it entails evaluation because it has deep positive or negative relevance to us; 2) it involves our identity or our total self; 3) it reminds us that neither identity nor a sense of value are possible without external objects and subjects. In this sense, the township is a complex emotionally intended object, releasing emotionally channeled reflections necessary for Dlamini’s self-understanding given the fact that township-life is a cornerstone in his life, outside himself in a world of shared experience, but at the same time part of himself. Compassion and communicability is part of the emotional complex. Emotions proper are »cognitive, situational feeling«22 – cognitive because they entail systematization in view of some kind of recognition, and ­situational because both the emotional moment and the intended object as a whole form a situation in which the subject partakes. Dlamini’s radical reinterpretation of the past begins in the township Thandukukhanya 300 km south of Jo’burg. Protesters had in 2009, right after the election of Jacob Zuma, vehemently opposed the municipality governed by a black ANC majority involving both casualties and destruction of public property. He speaks to the 84 years old militant Mrs. ­Nkabinde, a school teacher and activist in the municipality way back during apartheid. She is definitely not sentimental. Today she misses some of the internal discipline and mutual respect for people and things in the midst of apartheid, but »To be fair to her, Mrs. Nkabinde did not say she missed apartheid. But she did miss something of the past«.23 Then he goes through the tough but real and formative years of his life through a set of themes like money, friendship, family, honour, school, alcoholism, rivalries, social misery etc. This is not happiness in any banal sense, but a real life which is his. When he uses the emotional term nostalgia, he relies on Svetlana Boym’s »The Future of Nostalgia«,24 but in conformity with Nussbaum’s thinking. He subscribes to Boym’s distinction between two types of nostalgia: on the one hand restorative nostalgia, emphasizing the root word nostos, home, and on the other reflective nostalgia, underlining the root word algia, pain. The first sentimentalizes 21 Agnes Heller, A Theory of Feelings, Lanham 2009, p. 11. 22 Ibid., pp. 63, 85 ff. 23 Jacob Dlamini, Native Nostalgia, op. cit., p. 4. 24 Svetlana Boym, The Future of Nostalgia, New York 2001.

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the past, the second uses the undigested but real dimensions of the past as a necessary starting point for a critical reflection on the present and for a formation of one’s life and identity. The goal is to »rescue the South African history and the telling of it from […] the distorting master ­narrative of black dispossession that dominates the historiography of the struggle«.25 Black dispossession was not experienced the same way everywhere. It was simply not a unified and homogeneous fact, an idea that only ­supports the restorative nostalgia of the whites about a time when all blacks, as an undifferentiated mass, were kept in their place where any black person exemplifies all black persons. There are regional differences, class oppositions, gender problems, age and internal ethnic differences and conflicts that contributed to a differentiated picture of apartheid seen in the black perspective, including the township as a place appealing to all your senses – sight, smell etc. which is the topic of several chapters. »The master narrative blinds us to a richness, a complexity of life among black South Africans, that not even colonialism and apartheid at their worst could destroy«.26 The goal of the book is to give townships a permanent and complex place in history, not just an exception produced by white suppression and now to be forgotten, but a place for social competence in dealing with conflicts and diversities, as a place for imagination of a better future, of concrete sensual life.27 Like Chris van Wyk with a coloured background,28 Dlamini wants to avoid identifying black identity exclusively with either hatred or forgiveness toward the whites. His reflective nostalgia is an attempt to come to terms with the ambiguities of black life itself and, like Kertész, to find a focus point and an aesthetic form that make the apartheid camplife of the townships understandable based on its ambiguous, but rich sensual and emotional content, here narrated in a series of autobiographical essays. To point first of all to that painfull but authentic ambiguity is the radical reinterpretation that brings life after apartheid one step ahead as an active part of the formation of post-apartheid identity. But forgiveness never enters the picture as a necessary way to get on in life, only the complex individual nostalgic reflection that brings him beyond the point where foregiveness is an important issue. 25 Jacob Dlamini, Native Nostalgia, op. cit., p. 18. 26 Ibid., p. 19. 27 Ibid., p. 163. 28 Chris van Wyk, Shirley, Goodness and Mercy. A Childhood in Africa, London 2006.

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Overcoming the refusal to forgive My second novel, Yi Mun-Yol’s »An Appointment with My Brother«, is different. The frame is the still ongoing war between North and South Korea, only brought to a provisional stand still in 1953 by a cease fire, and the effects of this ambiguous situation of war projects onto the lives of most families, the North being the enemy of southerners and vice-versa. This dead-lock is embodied in two brothers when they finally meet for the first time, the narrator Yi Hyeonseop, about 50 from Seoul and his brother, Yi Hyeok, around 40, from the North. Here, to confront the enemy is to encounter your brother; they have to take it on themselves to understand and transgress this role. Mutual forgiveness ­comes to play a decisive role, although the word forgiveness is not mentioned, but enacted in words, action and emotional involvement. Quite a number of people think that forgiveness is an easy feel-good attitude.29 This is not the case: 1) Forgiveness is not about forgetting, but about remembering, often a very painful remembering. 2) Forgiveness is not an act that once and for all settles a case like a verdict after the last appeal or a peace treaty, but the opening of a continuous process of a fragile repeated confirmation maybe without reaching ­f inal reconciliation. 3) Forgiveness occurs as an individual act, but is a manifestation of the ­limits of collective norms. Some conflicts, like genocide, are of a magnitude that no legal system can contain in their entirety. That’s why emotions are important in relation to forgiveness, both as a point of departure and as a sense of justice. 4) Forgiveness is always a verbal act or conditioned by verbal acts. Here it comes close to literature. It is evident that literature is predominantly verbal, a set of performative speech acts. Performative speech acts have the capacity to establish a real event that materializes in language ­without at the same time presenting a truth claim. If the utterer has a formalized or collectively acknowledged authority in relation to particular speech acts, then a truth claim, or other claims beyond discussion, can be part of the performance. This is what happens when a judge utters a verdict. In contrast, in literature, as part of the very ­nature of its performative acts, authority and truth are always questioned. The same holds for forgiveness whether you give it or ask for it. 29 Cf. Paul W. Coleman, The Forgiving Marriage. Resolving Anger and Resentment and Rediscovering Each Other, Chicago 1989.

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It has to be uttered, maybe indirectly and there is not always a formal authority to guarantee the seriousness of the utterer. That is why repetition is part of the unfolding of forgiveness, unlike a verdict, but like the continuous questioning of the truth value of literature. And that is why forgiveness has to be confirmed emotionally, in a zone where the real but hardly definable ›sense of justice‹ exists. But forgiveness in it­ self is not an emotion. It is a verbal act, released, fanned or impeded by emotions, and it may result in an emotional transformation.30 Although verbal, forgiveness is not always explicit as in Western individualized cultures where forgiveness is related to responsible individual or collective subjects. In cultures where the emotional glue is of another kind, for instance honour and shame, forgiveness is basically not an issue and other more indirect aspects of atonement are forgrounded.31 Japan 30 Forgiveness is not subject to cross-disciplinary anthologization, but is mostly dealt with in disciplinary confinements: Hannah Arendt, The Human Condition, Chicago 1998, Paul Ricœur, La mémoire, l’histoire, l’oubli, Paris 2000, ­Jacques Derrida, Foi et Savoir, suivi de Le Siècle et le Pardon, Paris 2001, Trudy Govier, Forgiveness and Revenge, London 2002, Charles L. Griswold, Forgiveness, A Philosophical Exploration, Cambridge 2007 (philosophy), Richard Holloway, On Forgiveness. How Can We Forgive the Unforgivable?, Edinburgh 2002 (theology), Jeffrey G. Murphy and Jean Hampton, Forgiveness and Mercy, New York 1988. Jeffrey G. Murphy, Getting Even, Forgiveness and its Limits, Oxford 2003. Tzvetan Todorov, Les limites de la justice. La signature humaine, Essais 1983-2008, Paris 2009, pp. 231-250 (law), Donald W. Shriver, An Ethic for Enemies. Forgiveness in Politics, New York 1995 (politics) or in relation to specific historical situations like holocaust, Thomas Brudholm, Rensentment’s Virtue. Jean Améry and the Refusal to Forgive, Philadelphia 2008, rights of indigenous ­people: Janna Thompson, Taking Responsibility for the Past. Reparation and Historical Justice, Cambridge 2002, or post-apartheid reconciliation:Michael Battle, Reconciliation. The ubuntu Theology of Desmond Tutu, Cleveland 1997, Desmond Tutu, No Future Without Forgiveness, London 1999, Pumla GobodoMadikizela, A Human Being Died That Night, Boston 2004. 31 For the culture-specific nature of emotions, see Richard Schweder/A. Levine (eds.), Culture Theory, Cambridge 1984. For honor and shame in particular in a historical and cross-cultural perspective, see on Antiquity N. R. E. Fisher, Hybris. A Study of Values of Honour and Shame in Ancient Greece, Warminster 1992, and: Bernard Williams, Shame and Necessity, Berkeley 1993. On more recent history see J. G. Peristiany (ed.), Honor and Shame. The Values of Mediterranean Society, London 1965; Gabrielle Taylor, Pride, Shame, and Guilt. Emotions of Self-Assessment, Oxford 1985; William Ian Miller, Humiliation. And Other Essays on Honor, Social Discomfort, and Violence, Ithaca 1993; Martha Nussbaum, Hiding from Humanity. Disgust, Shame, and the Law, Princeton 2004.

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never asked for forgiveness toward the violated Korean »comfort girls«, to take one example. Another case from the same cultural region shows that in spite of international tribunals emotions – as cognitive, situational feelings – are never universal and the sense of justice also not. In April 2009, the global media circulated a story on the return of South Korean NGOs from a Presbyterian community on a humanitarian mission in Afghanistan where they had been taken hostages by the Taliban. After secret negotiations between the Korean government and the guerillas the group returned after six weeks of captivity where two of them were executed. But they did not jubilate at the airport and were not triumphantly welcomed home as in Western countries on similar occasions. Heads low, in a well prepared collective statement they asked for forgiveness from the public because they, although innocently, had let themselves be captured and made the country lose face in the international limelight by being forced to negotiate with the capturers against the code of honor, shared by the hostages. They carried the real burden of guilt for the death of the two missing people. This story indicates a suitable cultural and emotional context of the meeting between the two brothers in a small Korean enclave in China, neither North nor South and not a unified Korea either. The theme of collective unification runs through the text as the invisible space surrounding the brothers. What unites them is their recently deceased father to whose spirit they both want to pay respect by traditional offerings of food and some alcohol from his area home in the South. They do so from the Chinese side, on neutral ground, facing North Korea. This is a matter of honor for the eldest son, who – as it is becoming – took the initiative to the encounter. But both want to use the occasion to reconcile the broken family ties: back in the 1950’ies the father defected from the South as a militant communist, leaving wife and two children behind in poverty, remarried in the North and fathered three younger children. Both feel partly cheated by the father because of the other: the family in the North took the father physically away; but the eldest son he had left was always mentally first in the father’s mind. Now he has died from ­cancer. Atonement, if any, also in view of the national division, is left to the survivors. Both are full of stories about their respective homes and past lives and know they cannot reveal everything in order not to lose face and honor, including the honor of the family and of the country, or alternatively make the brother lose face. A Catch 22 that may prevent them from eventually performing the act of forgiveness. To perform the simple act 367

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and thus transform their emotional state is not available to them in the cultural setting they belong to. But gradually the masks fall, helped a lot by heavy drinking; emotionally they begin to feel like brothers, beyond their preconceived attitudes to each other and more and more honestly they reveal the complexity of their family lives in the two parts of Korea and their prejudices about the opposite Korean region: »Now I have bowed to Father and wept for him together with my younger brother, I felt more at home with the latter«.32 The mutual compassion is stronger than honor and shame. They depart and meet again the next day, not yet sobered up. The verbalization of forgiveness is still difficult and norm-breaking, and therefore courageous, and cannot be finalized. But it keeps their memories alive and allows them to continue the reconciliation when they return home. At this turning point the first person discourse shifts. There is now a shift between an inner monologue by the narrator, the southern brother, centered on unsurmountable honor and shame, and the two brothers’ ­direct speech narrowing the distance between them. The final atonement is indirect: an exchange of a gift, a mutual bow, and words of greeting. My italics in the next quotation will show the steps of the process which mark that both the shared contexts of classical Korean thinking and of modernized rationality, contradictorily as it were, determine the emotional investment of the cultural dichotomies of the war: »Please give my love to my brothers and sisters.« Then I added, like one who has made a grave decision. »And our mother, too.« One of my anxious uncertainties after I decided to meet my brother was how to call my brother’s mother. Should I call her »mother in the North?« Or »my stepmother?« But none of them seemed appropriate. So, I had been making do with »your mother.« But she became »our mother« in my mind at the moment of parting from my brother. In ancient Oriental law, there were exceptional cases where a second legal wife was authorized by law. To my modern rational sensibility, too, my brother’s mother was fully entitled to be regarded as my mother. But I was surprised that »our mother« rolled out of my mouth so naturally, and started. My brother was visibly affected, too. His alcohol-clouded face sobering up at once, he gazed at me for a moment and bowed. »Please, give my love to my sister and my nephews and nieces. And to our mother, too.« »Our mother« seemed to roll out of his mouth quite naturally, too.33 32 Yi Mun-Yol, An Appointment with My Brother, op. cit., p. 73. 33 Ibid., pp. 81 f., italics mine.

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Combined with the inner monologue, we know that the mutual act of saying »our mother« in this cultural context equals an act of forgiveness toward the father and then including themselves and the entire family. But due to the necessary indirectness it is not a finalized act but the beginning of a learning process. Its emotional, ethical and existential complexity can only be rendered by a literary discourse. After the battle The radical reinterpretations in Kertész and Dlamini as well as the challenges of forgiveness in Améry and Yol are emotionally grounded post-war strategies. They only work when expressed in media that match the complexity of the experiences they are dealing with and allow for repetition and continuation of the post-war process. That is why we can talk about une éducation sentimentale, a process that works on the level of sense experience, integrating verbal and other symbolic acts. Literature repeats systematically the same motifs, plot, images etc., but in doing so it constantly opens new vistas for an emotional and interpretative approach to unbearable experiences in the changing contexts where they emerge and re-emerge.

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Autorinnen und Autoren Prof. Dr. Thomas Anz ist Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Marburg. 2004-2007 war er Erster Vorsitzender des Deutschen Germanistenverbandes, im Wintersemester 2009/10 Gastprofessor am Exzellenzcluster Languages of Emotion der FU Berlin. Zu seinen Veröffentlichungen gehören: Die Dichter und der Krieg. Deutsche Lyrik 1914-1918 (1982, hg. mit Joseph Vogl); Literatur und Lust. Glück und Unglück beim Lesen (1998); Handbuch Literaturwissenschaft, 3 Bde. (Hrsg. 2007); Kulturtechniken der Emotionalisierung. Beobachtungen, Reflexionen und Vorschläge zur literaturwissenschaftlichen Gefühlsforschung (2007); Literatur des Expressionismus (2. Aufl. 2010). Dr. Bernd Blaschke, von 2001-2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften der FU Berlin, seit 2010 Co-Leiter des Forschungs­ projekts ›Wie produzieren komische Texte positive Emotionen‹ im ­Exzellenzcluster Languages of Emotion an der FU Berlin. Forschungsschwerpunkte: Komödien, komische Gedichte sowie Theorien des Lachens, Wissenschaftssatiren, Literatur und Ökonomie, Interkulturalität und Globalisierung, ästhetische Theorie. Veröffentlichungen, neben zahlreichen Aufsätzen, Lexikonartikeln und Rezensionen: Der homo oeconomicus und sein Kredit bei Musil, Joyce, Svevo, Unamuno und Céline (2004). Als Mit-Herausgeber: Grenzen des Ökonomischen. Grenzgänge. Beiträge zu einer modernen Romanistik 23 (2005), sowie Umwege, Ästhetik und Poetik exzentrischer Reisen (2008). PD Dr. Jürgen Brokoff vertritt den Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Bonn. 1999 Promotion, 2008/2009 Habilitation mit der Arbeit Geschichte der reinen Poesie. Von der Weimarer Klassik bis zur historischen Avantgarde (2010). Zahlreiche Aufsätze zur deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Derzeitige Arbeitsschwerpunkte: Gegenwartsliteratur und Medien seit der Wende; Jugoslawienkrieg in Literatur und Film; Thomas Manns Frühwerk. Dr. Anders Engberg-Pedersen, derzeit Harvard University, promovierte an der Humboldt-Universität Berlin mit einer Dissertation zum Krieg um 1800: The Empire of Chance: War, Literature, and the Epistemic Order of Modernity. Als Mit-Herausgeber: Das Geständnis und seine Instanzen (2010). 371

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Prof. Dr. Søren R. Fauth, geboren 1971, Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft in Kopenhagen; Professor für deutsche Literatur Universität Aarhus, seit 2010 Inhaber einer Sonderprofessur für deutsch-skandinavische Kulturbeziehungen um 1900 und Mitglied der Academia Europaea (Literary and Theatrical Studies). Dr. Christoph Jürgensen, Akademischer Rat auf Zeit am Institut für Allgemeine Literaturwissenschaft/Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Bergischen Universität Wuppertal. Als Hg., zusammen mit Ingo Irsigler: Nine Eleven – Ästhetische Verarbeitungen des 11. September 2001 (2011); Sturm und Drang (Hg. zusammen mit Ingo Irsigler, 2010); Schriftstellerische Inszenierungspraktiken – Typologie und Geschichte (als Hg. zusammen mit Gerhard Kaiser, 2011). Prof. Dr. Hermann Kappelhoff, geboren 1959, ist seit 2003 Professor am Seminar für Filmwissenschaft der FU Berlin. Er promovierte 1993 mit einer Dissertation zur Poetologie des Weimarer Autorenkinos und habilitierte sich 2001 mit einer Arbeit über das Melodramatische des ­Kinos als Paradigma einer Theorie der künstlichen Emotionalität. Er ist Sprecher des Exzellenzcluster Languages of Emotion, zudem Vorstandsmitglied der Graduate School of North American Studies und des Dahlem Humanities Center sowie Fachvertreter der Medienwissenschaft im Fachkollegium der DFG. Prof. Dr. Debra Kelly is Professor of French and Francophone Literary and Cultural Studies, University of Westminster, London. She is Director of an international research network, the Group for War and Culture Studies and an Editor of the Journal of War and Culture Studies. Her publications in the field include: France at War in the Twentieth Century: Propaganda, Myth and Metaphor (2000) and Remembering and Representing the Experience of War in Twentieth Century France (2000). Lars Koch, geboren 1973, Studium der Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie an der Universität Siegen und der Rijksuniversiteit Groningen; wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Siegen; Leiter des DFG-Netzwerks Spielformen der Angst. Zuletzt erschienen ist: Zeitschrift für Kulturwissenschaft 2 (2011): Störfälle (als Hg. zusammen mit Christer Petersen und Joseph Vogl). Als Hg. (im Druck): Angst. Ein interdisziplinäres Handbuch (2012).

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Prof. Dr. Linda Maria Koldau is Professor of Musicology at Aarhus University (Denmark) and focuses in her research on a broad cultural historical contextualization of musical and non-musical issues. Besides numerous scholarly essays she has published books on Monteverdi’s sacred music (2001, 2nd ed. 2005), women in the music culture of the early modern period (2005), Smetana’s political cycle My Fatherland (2007), the submarine myth (2009), the cultural historical phenomenon of the Titanic myth (2012) and in the Titanic on film (2012). A book on tsunamis is in preparation. PD Dr. Manuel Köppen, geboren 1952 in Bochum, lehrt am Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin. Arbeitsschwerpunkte im Bereich von Literatur, Medien und Wahrnehmungs­ geschichte. Neben zahlreichen Aufsätzen erschien folgende Monografie: Das Entsetzen des Beobachters. Krieg und Medien im 19. und 20. Jahrhundert (2005). Als Hrsg.: Kunst und Literatur nach Auschwitz (1993); Bilder des Holocaust. Literatur – Film – Malerei (1997, zusammen mit Klaus Scherpe); Die andere Stimme. Das Fremde in der Kultur der Moderne (1999, zusammen mit Alexander Honold); Passagen. Literatur – Theorie – Medien (2001, zusammen mit Rüdiger Steinlein); Kunst der Propaganda. Der Film im Dritten Reich (2007, zweite Auflage: 2008, zusammen mit Erhard Schütz). Dr. Kasper Green Krejberg, Research Assistant, Comparative Literature, Aarhus University. PhD-dissertation on modern war literature, Poetic Potentials of War: Jünger, Sebald, and Combat and Body in Modern War Literature (2011), as well as a number of articles and essays on cultural and literary memories of war, especially in the work of W. G. Sebald. Editor of the Danish Literary Magazine Standart. Prof. Dr. Svend Erik Larsen, Professor of Comparative Literature, Aarhus University. Chair of the Section for Literature and Theater, Academia Europaea, board member of the Danish National Research Foundation, co-editor of Orbis Litterarum. Books and articles on Literature and cultural history, among others Landscape, Identity and War (New Literary History 2004), The Lisbon Earthquake and the Scientific Turn in Kant’s Philosophy (European Review 2006), Memory Constructions and Their Limits (Orbis Litterarum 2011).

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Dr. Gerhard Jens Lüdeker, geboren 1975. Mitarbeiter am Institut für kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien (ifkud) der Universität Bremen. Mitherausgeber des Online-Magazins Rabbit Eye – Zeitschrift für Filmforschung (www.rabbiteye.de). Veröffentlichungen u. a. zu: Emotionen und Medien, Ethik und Medien. In Vorbereitung: Kollektive Erinnerung und nationale Identität: Nationalsozialismus, DDR und Wiedervereinigung im deutschen Spielfilm nach 1989. Dr. Mareen van Marwyck promovierte mit der Studie Gewalt und Anmut. Weiblicher Heroismus in der Literatur und Ästhetik um 1800 (2010). Lehr- und Forschungsaufenthalt an der University of Pune 2009-2010. Seit 2010 Lektorin bei der Frankfurter Verlagsanstalt. Forschungsschwerpunkte: Literatur und Ästhetik des 18. Jahrhunderts, Gender Studies und Performativitätsforschung. PD Dr. Thomas F. Schneider, geboren 1960, Literaturwissenschaftler. Studium Kommunikation/Ästhetik mit den Schwerpunkten Literatur-, Kunstwissenschaft und Philosophie. 2001 Habilitation mit einer Arbeit zur Entstehung und Rezeption von Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues. Leiter des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums und Dozent für Neuere deutsche Literatur an der Universität Osnabrück. Zahlreiche Veröffent­lichungen zur Repräsentation des modernen Krieges in den Medien; mit Claudia Glunz Herausgeber des Periodikums Krieg und Literatur / War and Literature. Dr. Andrea Schütte, geboren 1972, studierte Germanistik und Ev. Theologie in Bonn und Oxford und promovierte 2003 mit einer kulturwissenschaftlichen Arbeit über Jacob Burckhardt. Nach dreijähriger Schulpraxis seit 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Bonn. Arbeitsschwerpunkte: Körpertheorie, Texttheorie, Gegenwarts­ literatur. PD Dr. Jan Süselbeck, geboren 1972 in Viersen. Habilitation im Jahr 2012 mit der Studie Im Angesicht der Grausamkeit. Emotionale Effekte literarischer und audiovisueller Kriegsdarstellungen vom 19. bis zum 21. Jahrhundert (Publikation in Vorbereitung). Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Philipps-Universität Marburg und der Universität Siegen. Im Sommersemester 2012 Gastwissenschaftler des DFG-Graduiertenkollegs »Generationengeschichte« in Göttingen. Redaktions­leiter der Zeitschrift ­literaturkritik.de. Forschungsschwerpunkte u. a.: Emotionswissenschaft, 374

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Gegenwartsliteratur, Postcolonial Studies, Literarischer Antisemitismus. Schreibt u. a. für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, den Deutschlandfunk, die taz, die Jungle World und konkret. Dr. Klaus Theweleit, Lehrauftrag am Institut für Soziologie an der Universität Freiburg. Professor für Kunst und Theorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe (bis 2008). Studium der Germanistik, Anglistik und Musikwissenschaft in Kiel und Freiburg. Von 1969 bis 1972 freier Mitarbeiter für den Südwestfunk. Die Dissertation Freikorpsliteratur. Vom deutschen Nachkrieg 1918-1923 von 1977 war die Grundlage für das zweibändige, extensiv und ungewöhnlich bebilderte Buch Männerphantasien (1977/1978). ������������������������������������������������� Lebt seit 1966 in Freiburg; Lehraufträge in Deutschland, den USA, der Schweiz und Österreich. Prof. Dr. Mikkel Bruun Zangenberg, Associate Professor, Department of ­Literature, Culture, and Media, University of Southern Denmark. His publications in the field include ›Unimagined institutions: On segregations and convergences at the crossroads of war and aesthetics‹ in Journal of War and Culture Studies (2007) and ›Witnessing at War: The Belligerent Gaze‹ in Witness: Memory, Representation, and the Media in Question (2008).

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