Repetitorium Notfallmedizin: Zur Vorbereitung auf die Prüfung "Notfallmedizin" [3. Aufl. 2020] 978-3-642-20814-0, 978-3-642-20815-7

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Repetitorium Notfallmedizin: Zur Vorbereitung auf die Prüfung "Notfallmedizin" [3. Aufl. 2020]
 978-3-642-20814-0, 978-3-642-20815-7

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIV
Front Matter ....Pages 1-1
Organisation und Struktur (S. Beckers)....Pages 3-50
Hygiene und Arbeitsschutz (S. Beckers)....Pages 51-72
Diagnostik und Überwachung (J. C. Brokmann)....Pages 73-83
Einsatztaktik (J. C. Brokmann, W. Huckenbeck*)....Pages 85-114
Medizinische Maßnahmen (J. C. Brokmann)....Pages 115-142
Kardiopulmonale Reanimation (J. C. Brokmann, S. Bergrath)....Pages 143-159
Front Matter ....Pages 161-162
Kardiozirkulatorische Notfälle (J. C. Scherr, B. F. Scherr)....Pages 163-211
Respiratorische Notfälle (J. C. Brokmann)....Pages 213-222
Stoffwechselnotfälle (J. R. Müller)....Pages 223-240
Abdominelle Notfälle (B. Bouillon, M. Münzberg)....Pages 241-247
Gefäßnotfälle (B. Bouillon, M. Münzberg)....Pages 249-252
Traumatologische Notfälle (B. Bouillon, M. Münzberg)....Pages 253-268
Neurologische Notfälle (O. Matz)....Pages 269-284
Psychiatrische Notfälle (T. Messer, F.-G. Pajonk)....Pages 285-300
Pädiatrische Notfälle (S. Wiese)....Pages 301-332
Gynäkologische Notfälle (J. C. Brokmann)....Pages 333-341
Intoxikationen (J. C. Brokmann)....Pages 343-355
Thermische Verletzungen (J. C. Brokmann)....Pages 357-366
Physikalisch-chemische Notfälle (S. Wiese)....Pages 367-380
Sonstige Notfälle (J. C. Brokmann)....Pages 381-390
Medikamente in der Notfallmedizin (J. C. Brokmann)....Pages 391-406
Back Matter ....Pages 407-417

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Jörg Christian Brokmann Rolf Rossaint Hrsg.

Repetitorium Notfallmedizin Zur Vorbereitung auf die Prüfung „Notfallmedizin“ 3. Auflage

Repetitorium Notfallmedizin

Jörg Christian Brokmann Rolf Rossaint (Hrsg.)

Repetitorium Notfallmedizin Zur Vorbereitung auf die Prüfung „Notfallmedizin“ 3. Auflage

Hrsg.

Jörg Christian Brokmann Zentrale Notaufnahme Uniklinik RWTH Aachen Aachen, Deutschland

Rolf Rossaint Klinik für Anästhesiologie Uniklinik RWTH Aachen Aachen, Deutschland

ISBN 978-3-642-20814-0 ISBN 978-3-642-20815-7  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2008, 2010, 2012, 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Umschlaggestaltung: deblik Berlin Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

V

Vorwort 3. Auflage Auch die Notfallmedizin unterliegt einer ständigen Fort- und Weiterentwicklung, weshalb wir das Werk überarbeitet und um wichtige Inhalte erweitert haben. Sie finden nun Inhalte zu taktischer Medizin, Telemedizin und vielem mehr. Manche Kapitel sind gänzlich neu erstellt und andere grundlegend überarbeitet worden. An unserem Konzept der Interdisziplinarität haben wir dabei festgehalten. Unter diesen Gesichtspunkten soll Ihnen das vorliegende Buch in kurzer und prägnanter Weise notfallmedizinisches Wissen vermitteln. Ob Sie es für die Vorbereitung auf die Prüfung nutzen möchten, es für die Patientenversorgung benötigen oder zum Nachschlagen nach Einsätzen: Das vorliegende Buch soll Ihnen eine adäquate Behandlung und Therapie des Notfallpatienten ermöglichen. Sie erhalten somit die Möglichkeit, Ihr Wissen auf den aktuellen Stand bringen zu können. Selbstverständlich führt die dritte Auflage das didaktische Konzept weiter. Prägnant und wohl geordnet erhalten Sie Informationen in festgelegter Reihenfolge: Definition, Allgemeines, ätiologischer und pathophysiologischer Hintergrund, Symptomatik, Diagnostik, Differenzialdiagnostik sowie Hinweise zu Therapie und Maßnahmen. Sie finden sich schnell und zuverlässig zurecht. Insbesondere mit Blick auf unsere Patienten wünschen wir Ihnen erfolgreiche Einsätze. J. C. Brokmann R. Rossaint

Aachen im September 2019

VII

Inhaltsverzeichnis I

Allgemeine Notfallmedizin

1

Organisation und Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

S. Beckers 1.1 Rettungskette. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.2 Notarzt- und Rettungsdienst in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.3 Rettungsdienstpersonal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.4 Rettungsdienstfahrzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.5 Luftrettung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1.6 Länderspezifische Besonderheiten der Landesrettungsdienstgesetze . . . . . . . . . . . . 28 1.7 Aufgaben und Pflichten der Funktionsbereiche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.8 Leitstelle, Kommunikation, Funk. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.9 Zusammenarbeit mit Behörden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1.10 Qualitätsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Hygiene und Arbeitsschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 S. Beckers Hygiene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Impfungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Arbeitsschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Meldepflichtige Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Infektionstransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

3

Diagnostik und Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

2

J. C. Brokmann 3.1 Untersuchung von Notfallpatienten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.2 EKG, 12-Kanal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.3 Defibrillator. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.4 Blutdruckmessung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.5 Pulsoxymetrie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.6 Kapnometrie/Kapnographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3.7 Sonographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3.8 Spritzenpumpen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3.9 Medizinproduktegesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4

Einsatztaktik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

4.1 4.2 4.3 4.4

J. C. Brokmann und W. Huckenbeck Einsatzablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Gefahren an der Einsatzstelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Luftrettungseinsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Technische Rettung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

VIII

Inhaltsverzeichnis

4.5 4.6 4.7 4.8 4.9 4.10 4.11 4.12 4.13

Sekundär- bzw. Intensivtransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Übergabe und Übernahme von Patienten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Gefahrstoffeinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Sichtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Einsatzeinheiten/SEG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Transportverweigerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Taktische Medizin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Leichenschau im Rettungsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Anhang: Notärztlicher Einsatz und klinische Rechtsmedizin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

5

Medizinische Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

J. C. Brokmann 5.1 Sicherung der Atemwege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5.2 Freimachen der Atemwege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5.3 Intubation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 5.4 Beatmung in der Notfallmedizin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 5.5 Thoraxdrainage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 5.6 Zugänge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 5.7 Volumentherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 5.8 Immobilisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 5.9 Narkose im Rettungsdienst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5.10 Schmerztherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Kardiopulmonale Reanimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 J. C. Brokmann und S. Bergrath 6.1 Leitlinien: Entstehung und Bedeutung (Guidelines). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 6.2 Herz-Kreislauf-Stillstand: Erwachsene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 6.3 Kinderreanimation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 6.4 Spezielle Fragestellungen rund um die Reanimation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 6

II

Spezielle Notfallmedizin

7

Kardiozirkulatorische Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 7.7 7.8 7.9

J. C. Scherr und B. F. Scherr Akutes Koronarsyndrom („acute coronary syndrome“, ACS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Herzinsuffizienz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Lungenödem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Herzrhythmusstörungen (HRST). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Synkope. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Patient mit Schrittmacher-/ICD. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Venöse Thromboembolie, Lungenarterienembolie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Hypertensive Entgleisung und hypertensiver Notfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Schock. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

IX Inhaltsverzeichnis



7.10 Anaphylaxie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 8

Respiratorische Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7

J. C. Brokmann Asthma bronchiale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 „Chronic obstructive pulmonary disease“ (COPD). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Fremdkörperaspiration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Pneumonie und Bronchitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Lungenödem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Inhalationstrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Hyperventilation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

9

Stoffwechselnotfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7

J. R. Müller Diabetes mellitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Urämie, Niereninsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Phäochromozytom. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Addison-Krise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Myxödemkoma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Thyreotoxische Krise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Hyperkalzämische Krise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

10

Abdominelle Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

10.1 10.2

B. Bouillon und M. Münzberg Akutes Abdomen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Gastrointestinale Blutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

11

Gefäßnotfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

11.1 11.2 11.3 11.4

B. Bouillon und M. Münzberg Aortendissektion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Bauchaortenaneurysma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Arterielle Embolie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Venöse Thrombose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

12

Traumatologische Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6 12.7

B. Bouillon und M. Münzberg Grundsätzliches Vorgehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Wunden und Blutungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Abdominaltrauma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Thoraxtrauma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Extremitätentrauma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Schädel-Hirn-Trauma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Wirbelsäulentrauma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

X

Inhaltsverzeichnis

12.8 12.9

Polytrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Amputationsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

13

Neurologische Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

13.1 13.2 13.3 13.4

O. Matz Schlaganfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Epileptische Anfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Unklare Bewusstseinsstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Meningitis/Enzephalitis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

14

Psychiatrische Notfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

T. Messer und F.-G. Pajonk Häufigkeit, Definition, Diagnostik, allgemeine Therapieprinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . 286 Häufige psychiatrische Syndrome im Notarzt- und Rettungswesen und deren Behandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 14.3 Spezielle psychiatrische Krankheitsbilder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 14.4 Rechtliche Aspekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 14.1 14.2

15

Pädiatrische Notfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

15.1 15.2 15.3 15.4 15.5 15.6 15.7

S. Wiese Anatomische und physiologische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Krampfanfall (Fieberkrampf). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Verlegungen der oberen Atemwege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Obstruktion der unteren Atemwege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Obstruktive Bronchitis und Bronchiolitis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Plötzlicher Kindstod – „sudden infant death“ (SID). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Kindesmisshandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

16

Gynäkologische Notfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

J. C. Brokmann 16.1 Geburt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 16.2 Vena-Cava-Kompressionssyndrom. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 16.3 Eklampsie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 16.4 Vaginale Blutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 16.5 Vergewaltigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 17

Intoxikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

17.1 17.2 17.3 17.4 17.5

J. C. Brokmann Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Alkohol (C2-Intox). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Alkylphosphate. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Blausäure. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Cannabis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348

XI Inhaltsverzeichnis



17.6 17.7 17.8 17.9 17.10 17.11 17.12 17.13 17.14 17.15

Kokain. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 Opiate. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Lysergsäurediethylamid (LSD). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Amphetaminderivate (MDMA, MDA, MDE). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Kohlenmonoxid (CO). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Kohlendioxid (CO2). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 Lösungsmittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 Säuren- und Laugenverätzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 Flusssäure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Ausgewählte Medikamentenintoxikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

18

Thermische Verletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

J. C. Brokmann 18.1 Unterkühlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 18.2 Erfrierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 18.3 Sonnenstich, Hitzeerschöpfung, Hitzschlag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 18.4 Verbrennungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 19

Physikalisch-chemische Notfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367

19.1 19.2 19.3 19.4

S. Wiese Stromunfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Ertrinkungsnotfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Tauch- und Überdruckunfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Säuren-Laugen-Verätzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380

20

Sonstige Notfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

20.1 20.2 20.3

J. C. Brokmann Urologische Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 Ophthalmologische Notfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 HNO-Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390

21 21.1 21.2 21.3

Medikamente in der Notfallmedizin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 J. C. Brokmann Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Applikationsformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Wirkstoffe der Notfallmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Serviceteil Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409

XIII

Herausgeber‐ und Autorenverzeichnis Über die Herausgeber Privatdozent Dr. med. Jörg Christian Brokmann 1991–1995 - Studium der Humanmedizin an der Universität Rostock 1995–1996 - Studium der Humanmedizin an der RWTH Aachen 1997–1999 - Assistenzarzt Klinik für Anästhesie im St. Antonius Hospital, Eschweiler 1999–2003 - Ausbildung zum Facharzt für Anästhesiologie im Medizinischen Zentrum Kreis Aachen 2003–2004 - Ausbildung spezielle Schmerztherapie, Klinik für Schmerztherapie im Medizinischen Zentrum Kreis Aachen 2004–2005 - Facharzt in der Klinik für Anästhesiologie, Uniklinik RWTH Aachen 2005 - Ernennung zum Oberarzt in der Klinik für operative Intensivmedizin, Uniklinik RWTH Aachen 2007–2012 - Oberarzt in der Klinik für Anästhesiologie und ärztlicher Leiter Rettungsdienst der Stadt Aachen 2012 - Leitender Arzt der Zentralen Notaufnahme der Uniklinik RWTH Aachen 2017 - Habilitation seit 2002 - Instruktor für Advanced Cardiac Life Support- Kurse des European Resuscitation Council (ERC) seit 2004 - Kursdirektor in Provider- und Generic Instruktor-Kursen des ERC seit 2014 - Mitglied Exekutivkomitee des German Resuscitation Council (GRC) seit 2014 - Diözesanarzt (Diözese Aachen) Malteser Hilfsdienst

Professor Dr. med. Rolf Rossaint Direktor der Klinik für Anästhesiologie der RWTH Aachen bis 1983 - Studium der Humanmedizin bis 1983 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 1983–1988 - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Anästhesiologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 1987 - Anerkennung als Arzt für Anästhesiologie 1988–1997 - Leitender Oberarzt an der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin am Universitätsklinikum Rudolf Virchow der Freien Universität Berlin 1990 - European Diploma on Intensive Care Medicine 1993 - Habilitation 1993 - „E.-K.FreyPreis“, u. a. seit 1997 - Direktor der Klinik für Anästhesiologie an der RWTH Aachen seit 2010 - Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina

XIV

Herausgeber‐ und Autorenverzeichnis

Autorenverzeichnis PD Dr. med. Stefan Beckers, MME

Dr. med. Jan Robert Müller

Klinik für Anästhesiologie Uniklinik RWTH Aachen Aachen, Deutschland

Zentrale Notaufnahme Uniklinik RWTH Aachen Aachen, Deutschland

PD Dr. med. Sebastian Bergrath

Dr. med. Matthias Münzberg

Zentrale Notaufnahme Kliniken Maria Hilf GmbH Mönchengladbach, Deutschland

Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie BG Klinik Ludwigshafen Ludwigshafen, Deutschland

Prof. Dr. med. Bertil Bouillon

Prof. Dr. med. Frank Gerald Pajonk

Klinik für Unfallchirurgie Orthopädie und Sporttraumatologie Klinikum Köln-Merheim Köln, Deutschland

Praxis Isartal für Erkrankungen der Psyche Schäftlarn, Deutschland

PD Dr. med. Jörg Christian Brokmann Zentrale Notaufnahme Uniklinik RWTH Aachen Aachen, Deutschland

Prof. Dr. med. Wolfgang Huckenbeck Institut für Rechtsmedizin Universitätsklinik Düsseldorf Düsseldorf, Deutschland

Dr. med. Benedikt Florian Scherr Institut für Anästhesiologie UniversitätsSpital Zürich Zürich, Schweiz

Prof. Dr. med. Johannes Christof Scherr Universitäres Zentrum für Prävention und Sportmedizin, Universitätsklinik Balgrist Universität Zürich Zürich, Schweiz

Dr. med. Stefan Wiese Dr. med. Oliver Matz Zentrale Notaufnahme Uniklinik RWTH Aachen Aachen, Deutschland

Prof. Dr. med. Thomas Messer Danuvius Klinik Pfaffenhofen, Deutschland

Maastricht University Medical Centre Afdeling anesthesie en pijnbestrijding Maastricht, The Netherlands

1

Allgemeine ­Notfallmedizin Inhaltsverzeichnis Kapitel 1

Organisation und Struktur – 3 S. Beckers

Kapitel 2

Hygiene und Arbeitsschutz – 51 S. Beckers

Kapitel 3

Diagnostik und Überwachung – 73 J. C. Brokmann

Kapitel 4

Einsatztaktik – 85 J. C. Brokmann und W. Huckenbeck

Kapitel 5

Medizinische Maßnahmen – 115 J. C. Brokmann

Kapitel 6

Kardiopulmonale Reanimation – 143 J. C. Brokmann und S. Bergrath

I

3

Organisation und Struktur S. Beckers

1.1 Rettungskette – 5 1.1.1 Sofortmaßnahmen – 5 1.1.2 Notruf – 6 1.1.3 Erste Hilfe – 7 1.1.4 Rettungsdienst – 7 1.1.5 Klinische Versorgung – 7

1.2 Notarzt- und Rettungsdienst in Deutschland – 8 1.2.1 Definition Rettungsdienst – 8 1.2.2 Definition Notfallmedizin – 9 1.2.3 Definition Notfallpatient – 9 1.2.4 Kassenärztlicher Notdienst und kassenärztliche Notdienstpraxen – 9 1.2.5 Notarztsysteme – 10 1.2.6 Einsatzformen – 11 1.2.7 Prinzipien prähospitaler Notfallversorgung – 12 1.2.8 Telenotfallmedizin – 13 1.2.9 Rettungsdienstgesetze der Länder – 14

1.3 Rettungsdienstpersonal – 14 1.3.1 Notfallsanitäter (NFS) – 15 1.3.2 Rettungsassistent (RA) – 17 1.3.3 Rettungssanitäter (RS) – 17 1.3.4 Rettungshelfer (RH) – 18 1.3.5 Delegation ärztlicher Aufgaben – 18 1.3.6 Weisungsrecht – 18 1.3.7 Notkompetenz – 18 1.3.8 Regelkompetenz – 20 1.3.9 Weiterbildung, Fortbildung – 21

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_1

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1.4 Rettungsdienstfahrzeuge – 21 1.4.1 Rettungswagen (RTW) – 23 Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) – 24 1.4.2 1.4.3 Notarztwagen (NAW) – 24 1.4.4 Weitere im Rettungsdienst eingesetzte Fahrzeuge – 24 1.4.5  Rüstwagen – 26

1.5 Luftrettung – 26 1.6 Länderspezifische Besonderheiten der Landesrettungsdienstgesetze – 28 1.7 Aufgaben und Pflichten der Funktionsbereiche – 28 1.7.1 Notarzt (NA) – 28 1.7.2 Leitender Notarzt (LNA) – 34 1.7.3 Organisatorischer Leiter Rettungsdienst (OrgL) – 37

1.8 Leitstelle, Kommunikation, Funk – 38 1.8.1 Rettungsleitstelle – 38 1.8.2 Kommunikation und Funk – 39 1.8.3 Digitaler BOS-Funk – 40 1.8.4 Funkrufnamen im Rettungsdienst – 41 1.8.5 Unbefugtes Abhören des BOS-Funks – 41

1.9 Zusammenarbeit mit Behörden – 41 1.9.1 Feuerwehr und Rettungsdienst – 41 1.9.2 Erweiterter Rettungsdienst und Katastrophenschutz – 43 1.9.3 Polizei – 44

1.10 Qualitätsmanagement – 44 1.10.1 Strukturqualität – 44 1.10.2 Prozessqualität – 44 1.10.3 Ergebnisqualität – 44 1.10.4 Dokumentation – 44 1.10.5  Scoring-Systeme – 45

Literatur – 50

5 Organisation und Struktur

1.1  Rettungskette

Der Begriff der sog. „Rettungskette“ beschreibt die prähospitale Versorgung von Notfallpatienten als ein zeitliches, idealerweise reibungsloses Ineinandergreifen von Einzelschritten, sodass damit eine bestmögliche Versorgung gewährleistet werden kann. Insgesamt hängt die Qualität der Versorgung dabei von der „Stärke“ jedes einzelnen Glieds der Rettungskette ab (. Abb. 1.1). Darüber hinaus hat sich im Bereich der Versorgung von Patienten im Herz-Kreislauf-Stillstand der Begriff „Überlebenskette“ etabliert. 1.1.1  Sofortmaßnahmen

Jeder der in einer Notfallsituation – im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung oder Verletzung, bei einem Unfall oder einer Vergiftung – Hilfe von seinen Mitmenschen erwartet, sollte selbst fähig sein, Hilfe zu leisten und dies als seine menschliche Pflicht ansehen. In Not- und Unglücksfällen Hilfe zu leisten, ist nicht nur sittliche, sondern auch eine rechtliche und damit gesetzlich festgeschriebene Pflicht.

. Abb. 1.1 Rettungskette

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> Wichtig

Gemäß § 323c Strafgesetzbuch ist in Deutschland jeder gesetzlich verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten, insofern 5 ihm die Hilfeleistung den Umständen entsprechend zumutbar ist, 5 er durch die Hilfeleistung nicht andere wichtige Pflichten verletzt, 5 sich der Helfer durch die Hilfeleistung nicht selbst in Gefahr bringen muss. Wer dementsprechend bei Unglücksoder Notfällen keine Hilfe leistet, kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder mit einer Geldstrafe bestraft werden.

Handelt es sich bei dem Hilfeleistenden um einen Arzt, so muss er nach aktuellster Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München mindestens in der Lage sein, die Regeln des Basic Life Support (BLS) anwenden zu können. Eingeschränkt wird die gesetzliche Verpflichtung zur Hilfeleistung allerdings durch die Zumutbarkeit der Hilfeleistung. So ist man z. B. nicht verpflichtet, an einem Notfallort Hilfe zu leisten, wenn man sich dadurch als Helfer selbst in Gefahr bringt. Als Beispiel gilt hier, dass man von einem Nichtschwimmer

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1

S. Beckers

nicht erwarten kann, einen Ertrinkenden zu retten. Zudem ist die Verpflichtung zur unmittelbaren Hilfe eingeschränkt, wenn dadurch andere wichtige Pflichten verletzt würden (z. B. Aufsichtspflicht bei Lehrern). Lebensrettende Sofortmaßnahmen (LSM) 5 Absicherung eines Unfallorts und ggf. Rettung eines Betroffenen aus einem Gefahrenbereich 5 Maßnahmen der Herz-Lungen-Wiederbelebung, einschließlich Defibrillation 5 Stillung einer lebensbedrohlichen Blutung 5 Maßnahmen zur Schockbekämpfung 5 Stabile Seitenlage 5 Abnahme des Schutzhelms bei Zweiradfahrern

Die Hilfsorganisationen (ASB, DRK, MHD, JUH und DLRG) sowie verschiedene private Anbieter bieten Kurse in „Lebensrettende Sofortmaßnahmen am Unfallort“ (LSM) an. Der Umfang beträgt vier Doppelstunden. Diese sind für den Erwerb des PKW- oder Motorradführerscheins (Führerscheinklassen AM, A1, A2, A, B, BE, L oder T) Pflicht. 1.1.2  Notruf

Jedem ist es aber jederzeit möglich und zumutbar, den Rettungsdienst zu verständigen: Ein Absetzen des Notrufs, um fachliche Hilfe anzufordern, ist für das weitere Ineinandergreifen der Rettungskette und somit für die Einleitung weiterer Maßnahmen elementar (Notrufnummern: . Tab. 1.1 und 1.2). Die fünf „W’s“ des Notrufs 5 Wo ist der Notfall passiert? 5 Was ist passiert? 5 Wie viele Personen sind betroffen?

. Tab. 1.1  Notrufnummern in der Bundesrepublik Deutschland Polizei

110

Feuerwehr

112

Rettungsdienst: Baden-Württemberg

19222

Bayern

112/19222

Berlin

112

Brandenburg

112

Bremen

112/19222

Hamburg

112

Hessen

112

MecklenburgVorpommern

112

Niedersachsen

112/19222

Nordrhein-Westfalen

112

Rheinland-Pfalz

112/19222

Saarland

110/19222

Sachsen

112

Sachsen-Anhalt

112

Schleswig-Holstein

112/19222

Thüringen

112

5 Welche Arten von Verletzungen/ Erkrankungen liegen vor? 5 Warten auf Rückfragen!

Gemäß den internationalen Leitlinien für die Herz-Lungen-Wiederbelebung gilt für den Zeitpunkt des Notrufs: 5 Notruf zuerst (sog. „phone first“) bei Erwachsenen, ausgenommen Trauma, Ertrinken, Kinder 5 Schneller Notruf (sog. „phone fast“) bei Notfällen mit Kindern, Trauma oder Ertrinken nach Durchführung lebensrettender Sofortmaßnahmen Eine ausführliche Darstellung findet sich in 7 Kap. 6.

7 Organisation und Struktur

. Tab. 1.2  Notrufnummern in angrenzenden Staaten/Europaweit Europaweit

117

112

Feuerwehr

118

Rettungsdienst

144

REGA-Rettung

1414

Feuerwehr

122

Rettungsdienst

144

Feuerwehr

100

Rettungsdienst

100

Feuerwehr

112

Rettungsdienst

112

Feuerwehr

112

Rettungsdienst

112

Feuerwehr

112

Rettungsdienst

112

Feuerwehr

18

Rettungsdienst

17

1.1.4  Rettungsdienst

Feuerwehr

998

Rettungsdienst

999

Mit der Ankunft des Rettungsdienstes wird eine notfallmedizinische Erstversorgung eingeleitet, mit dem Ziel, die Vitalfunktionen Bewusstsein, Atmung und Kreislauf aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen und den Patienten unter Aufrechterhaltung dieser Transportfähigkeit in ein geeignetes Krankenhaus zu bringen (s. unten).

Österreich Polizei

133

Belgien Polizei

101

Niederlande Polizei

112

Luxemburg Polizei

113

Dänemark Polizei

112

Frankreich Polizei

17

Polen Polizei

997

Tschechische Republik Polizei

158

5 Maßnahmen zur Wundversorgung 5 Erstmaßnahmen bei akuten Erkrankungen (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall, Asthma, Krampfanfall) 5 Erstmaßnahmen bei thermischen Schädigungen (z. B. Verbrennung, Verbrühung, Unterkühlung, Erfrierung, Sonnenstich) 5 Erstmaßnahmen bei Verletzungen und besonderen Notfällen (z. B. Knochenbrüche, Stromunfall, Verätzung, Vergiftungen)

Notruf

Schweiz Polizei

1

Feuerwehr

150

Rettungsdienst

155

1.1.3  Erste Hilfe

Über die lebensrettenden Sofortmaßnahmen hinaus zählen zur sog. „Ersten Hilfe“ folgende Maßnahmen, die sowohl von Laien als auch von ausgebildeten Ersthelfern oder sog. „first respondern“ durchgeführt werden können:

Durch Besuch eines von einer der Hilfsorganisationen (ASB, DRK, MHD, JUH) oder eines privaten Anbieters angebotenen Kurses können sich Laien das Wissen hierzu aneignen, um für eine Vielzahl von Notfällen, die sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld vorkommen können, vorbereitet zu sein. > Ein Erste-Hilfe-Kurs ist in Deutschland

Pflicht für den Erwerb der LKW-und Busführerscheinklassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE oder D1E, für den Erwerb eines Personenbeförderungsscheins sowie für alle Segel- und Motorbootführerscheine. Im Rahmen einer berufsgenossenschaftlichen Erste-HilfeAusbildung ist eine Wiederholung im Zwei-Jahres-Abstand vorgeschrieben.

1.1.5  Klinische Versorgung

In der Zielklinik können nach Übergabe an eine Notaufnahme (lokal unterschiedlich organisiert als interdisziplinäre Einheit

8

1

S. Beckers

oder fachspezifisch gegliedert) oder eine Intensivstation umfangreiche diagnostische und therapeutische Möglichkeiten genutzt werden, um eine endgültige Versorgung einzuleiten. Die Weitergabe aller im Laufe der präklinischen Versorgung dokumentierten Daten ist hierbei essenziell. 1.2  Notarzt- und Rettungsdienst

in Deutschland

1.2.1  Definition Rettungsdienst

Der Rettungsdienst stellt durch eine Vorhaltung „24 h am Tag und 365 Tage im Jahr“ und den Einsatz von qualifiziertem Rettungsfachpersonal (7 Abschn. 1.3) sowie geeigneten Rettungsmitteln schnellstmögliche und fachgerechte Hilfe bei medizinischen Notfällen aller Art zur Verfügung. In der Schweiz wird der Terminus „Sanität“ und in Österreich der Begriff „Rettung“ synonym verwendet. Bereiche des Rettungsdienstes 5 Bodengebundener Rettungsdienst, d. h. Notfallrettung und qualifizierter Krankentransport 5 Luftrettung 5 Bergrettungsdienst 5 Wasserrettungsdienst

Die Berg- und Wasserrettung übergeben die Patienten nach ihrem Rettungseinsatz zur weiteren Versorgung in der Regel an den bodengebundenen Rettungsdienst. In Deutschland wird der Rettungsdienst nach dem Förderalismusprinzip organisiert und somit durch Landesgesetze geregelt. Durch landesrechtliche Regelungen wiederum werden die Landkreise oder kreisfreien ­ Städte als Träger des Rettungsdienstes beauftragt. Der jeweilige Rettungsdienstträger kann diese Aufgabe entweder eigenständig sicherstellen, indem er Ausstattung und Personal stellt. Er kann die Aufgabe aber auch an die

im Rettungsdienst und Katastrophenschutz tätigen Wohlfahrtsverbände (ASB, DRK, JUH, MHD), die hauptberuflichen Kräften der jeweiligen Feuerwehr oder private Rettungsdienstunternehmen übertragen. Eine Besonderheit stellt die Luftrettung dar. Sie wird an den meisten Standorten gemeinsam von den Betreibern der Rettungshubschrauber in Zusammenarbeit mit den beteiligten Krankenhäusern und Hilfsorganisationen betrieben. Von der individualmedizinischen Patientenversorgung des Regelrettungsdienstes muss man die Versorgungsstrukturen beim Massenanfall von Verletzten (MANV) oder bei einem Großschadensereignis abgrenzen. Grundlage für diese Vorkehrungen ist die Tatsache, dass in der Initialphase eines MANV die für eine individualmedizinische Patientenversorgung erforderlichen Einsatzkräfte nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Die medizinische Einsatzleitung übernehmen in einem solchen Fall ein Leitender Notarzt (LNA, 7 Abschn. 1.7.2) in Zusammenarbeit mit einem Organisatorischen Leiter Rettungsdienst (Orgl/OLRD, 7 Abschn. 1.7.3). Die Einsatzkräfte des Regelrettungsdienstes werden zudem vor Ort bei Bedarf durch Helfer sog. Einsatzeinheiten (EE) oder Schnelleinsatzgruppen (SEG) unterstützt, deren Vorhaltung regional unterschiedlich organisiert sein kann. In weniger dicht bevölkerten oder infrastrukturell weniger gut versorgten Gebieten werden zunehmend Strukturen, sog. „first responder“, etabliert: Helfer von vor Ort ansässigen Hilfsorganisationen oder freiwilliger Feuerwehren werden parallel zum erforderlichen Rettungsmittel alarmiert und übernehmen eine Erstversorgung des Notfallpatienten (u. a. mit Frühdefibrillation) bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes. Neben den First-Responder-Systemen werden derzeit noch in wenigen Bereichen (u. a. Kreis Gütersloh, Stadt Aachen, Landkreis Greifswald-Vorpommern, Lübeck, Freiburg) App-basierte Ersthelfer-Alarmierungssysteme

9 Organisation und Struktur

genutzt, um das therapiefreie Intervall insbesondere beim Kreislaufstillstand zu reduzieren. Die aktuell verfügbaren Systeme (7 http:// www.mobile-retter.de; 7 http://corhelp3r. de; 7 http://firstaed.com/de/; 7 https://www. meine-stadt-rettet.de) nutzen dasselbe Prinzip: Der Nutzer ist als qualifizierter Ersthelfer freigeschaltet und im Einsatzfall meldet die ­ App dem System und somit der Leitstelle, welcher registrierte Ersthelfer mit seinem Mobiltelefon in der Nähe erreichbar wäre. Nach Bestätigung der Verfügbarkeit bekommen die registrierten Ersthelfer den Einsatzort übermittelt und können im Idealfall mehrere Minuten vor dem Rettungsdienst mit Maßnahmen beginnen. 1.2.2  Definition Notfallmedizin

Notfallmedizin ist die Einleitung einer Intensivtherapie mit eingeschränkten diagnostischen, therapeutischen und personellen Möglichkeiten unter erschwerten äußeren Bedingungen. Sie sollte möglichst kurzfristig nach Eintritt des Geschehens eingeleitet werden mit dem Ziel: 5 Das Überleben des Notfallpatienten zu sichern 5 Irreversible Schäden zu vermeiden 5 Voraussetzungen für eine auf das Grundleiden ausgerichtete klinische Behandlung und Rehabilitation zu schaffen Indikationen für eine notfallmedizinische Behandlung 5 Manifeste oder drohende Störungen der Vitalfunktionen (Atmung, Kreislauf, Bewusstsein) 5 Manifeste oder drohende Schädigungen von Organen, Organsystemen oder Körperteilen unabhängig von der auslösenden Ursache (Trauma, Erkrankung etc.) 5 Akute Schmerz- und Erregungszustände

1

1.2.3  Definition Notfallpatient

Notfallpatienten werden wie folgt definiert:

» Personen, die sich infolge von Verletzung, Krankheit oder sonstiger Umstände in Lebensgefahr befinden oder deren Gesundheitszustand in kurzer Zeit eine wesentliche Verschlechterung vermuten lässt, sofern nicht unverzüglich medizinische Hilfe eingreift.

Im Unterschied zur Situation in der hausärztlichen Praxis zeichnet sich die notfallmedizinische Versorgung dadurch aus, dass der Arzt bzw. das Rettungsdienstpersonal zum Patienten kommt und nicht umgekehrt. Charakteristisch ist neben den erschwerten Arbeitsbedingungen (z.  B. störende Schaulustige oder Angehörige, enge Treppenhäuser, eingeklemmte Patienten, schlechte Lichtverhältnisse), dass in den meisten Fällen der Patient und seine Krankengeschichte unbekannt sind, aber dennoch Entscheidungen über das therapeutische Vorgehen zeitkritisch getroffen werden müssen. Eine konsiliarische Beratung mit Fachkollegen über behandlungsspezifische oder diagnostische Optionen sowie eine ausführliche Literaturrecherche vor Ort sind nicht möglich, sodass mit den verfügbaren Mitteln oft eine definitive Diagnosestellung nicht zu erreichen ist. Es ergibt sich daher meist eine Arbeitsdiagnose. In deren Mittelpunkt steht eine adäquate Stabilisierung der Vitalfunktionen. Alle weiteren notwendigen diagnostischen und krankheitsspezifischen Maßnahmen sind in der präklinischen Notfallversorgung sekundär und müssen der Klinik vorbehalten bleiben. 1.2.4  Kassenärztlicher Notdienst

und kassenärztliche Notdienstpraxen

Die 17  kassenärztlichen Vereinigungen in Deutsch­land stellen die bedarfsgerechte kassen­ ärztliche Versorgung rund um die Uhr sicher.

10

1

S. Beckers

Sie sind für die regional gleichmäßige Verteilung der niedergelassenen Ärzte zuständig und organisieren die Notfall- und Bereitschaftsdienste in den sprechstundenfreien Zeiten. Am kassenärztlichen Notfalldienst müssen alle niedergelassenen Ärzte teilnehmen. Eine Freistellung, ganz, teil- oder zeitweise, ist nur aus schwerwiegenden Gründen möglich, z. B.: 5 Körperlicher Behinderung 5 Besondere familiäre Verpflichtungen 5 Teilnahme an einem klinischen Bereitschaftsdienst mit Notfallversorgung In breiten Bevölkerungsanteilen kommt es zu Verwechslungen aufgrund mangelnder Kenntnis der begrifflichen Unterschiede zwischen Notarztdienst als Teil des Rettungsdienstes und dem (kassenärztlichen) Notdienst. In Rettungsdienstbereichen mit sog. integrierter Leitstelle, d. h. wo beide Strukturen an einer Stelle organisiert werden, spielt dieses Problem eine untergeordnete Rolle. Andernfalls ist es natürlich unbestritten Aufgabe des kassenärztlichen Notdienstes, im Falle einer lebensbedrohlichen Situation des Patienten eine Erstversorgung bis zum Eintreffen des nachgeforderten Notarztes durchzuführen. Zunehmend existieren zudem in vielen KV-Bezirken oft an Krankenhäuser angegliederte Notdienstpraxen, die eine hausärztliche Versorgung auch außerhalb der Praxisöffnungszeiten für die Behandlung nichtlebensbedrohlicher Erkrankungen und Verletzungen sicherstellt (. Tab. 1.3).

Aufgrund regional unterschiedlicher Strukturen kann der kassenärztliche Bereitschaftsdienst aber durchaus auch in das Notarztkonzept des jeweiligen Rettungsdienstbereichs eingebunden sein. In diesem Fall wird für die eingesetzten Ärzte dann der Nachweis der erforderlichen Qualifikationen erforderlich. 1.2.5  Notarztsysteme

Bei den bodengebundenen Notarztsystemen unterscheidet man zwischen dem sog. Rendezvous- und dem Stationssystem. Stationssystem  Ein

mit zwei Rettungsassistenten und einem Notarzt besetzter Notarztwagen (NAW) – meist an einem Krankenhaus stationiert – fährt die Einsatzstelle an. Zeitgleich wird ein Rettungswagen (RTW) alarmiert, wenn dieser den Patienten schneller erreichen kann. Nach notfallmedizinischer Erstversorgung wird der Patient mit dem Notarztwagen bei gegebener Indikation zur notärztlichen Versorgung und Betreuung in die entsprechende Zielklinik transportiert. Das Stationssystem ist aufgrund seiner Inflexibilität nur noch vereinzelt in einzelnen Regionen in Deutschland existent.

Rendezvous-System  Die Rettungsleitstelle entsendet bei gegebener Indikation parallel ein Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) und einen

. Tab. 1.3  Vergleich von Notarztdienst und Kassenärztlichem Notdienst Notarztdienst

Kassenärztlicher Notdienst

Lebensbedrohliche Erkrankungen

Nichtlebensbedrohliche Erkrankungen

24 h täglich über 112

Wenn der Hausarzt nicht erreichbar ist 116117

Fährt mit Einsatzfahrzeug

Ergänzt durch Notdienstpraxen oder Portalpraxen an Krankenhäusern

Unterstützt meist durch Rettungsassistent

Fährt mit Taxi, ggf. mit Einsatzfahrzeug

Kann an kassenärztlichen Notdienst verweisen

Ruft Notarzt bei lebensbedrohlichen Erkrankungen

11 Organisation und Struktur

Rettungswagen zum Einsatzort. Der Patient kann ggf. im Rettungswagen vom Notarzt auf der Fahrt in die Klinik betreut werden. Ein großer Vorteil des RendezvousSystems ist die höhere Flexibilität, da der Notarzt für andere Einsätze zur Verfügung steht, sofern keine Transportbegleitung erforderlich ist. Aus diesem und auch aus Kostengründen verliert das Stationssystem im bundesdeutschen Rettungsdienst zunehmend an Bedeutung. Demgegenüber steht der Vorteil des oft eingespielten Teams im Rahmen des Stationssystems. Denn das hat zudem die besseren Möglichkeiten der retrospektiven Einsatzanalyse. Telenotarzt-System  Als weiteres Strukturelement etabliert sich in verschiedenen Regionen das Telenotarzt-System. Dabei kann bei speziell dafür ausgestatteten RTW ein Telenotarzt an der Einsatzstelle (außerhalb- als auch innerhalb des RTW) durch das

1

Rettungsfachpersonal virtuell dazu geschaltet werden und das Team vor Ort unterstützen. (7 Abschn. 1.2.8) Welches der vorgenannten Systeme letztendlich umgesetzt wird, ist von infrastrukturellen Rahmenbedingungen, wie Lage der Krankenhäuser, der Feuer- und/oder Rettungswachen, abhängig. 1.2.6  Einsatzformen

Im Rahmen des bodengebundenen Rettungsdienstes, genauso wie in der Luftrettung, kann zwischen dem Primär- und dem Sekundäreinsatz unterschieden werden (. Abb. 1.2). Primäreinsatz  Der Primäreinsatz gilt nach

Mitteilung der Einsatzdaten bis zum Eintreffen am Notfallort als dringlich, da aufgrund der eingegangenen Notfallmeldung von einer vitalen Bedrohung des Patienten

. Abb. 1.2  Einsatzformen. (Aus: Gorgaß et al. (2007) Das Rettungsdienst-Lehrbuch. 8. Aufl. Springer, Heidelberg Berlin)

12

1

S. Beckers

auszugehen ist. Damit legitimiert sich auch die Inanspruchnahme von Sonder- bzw. Wegerechten („Blaulicht und Martinshorn“) durch die Rettungsmittel. Über eine Verwendung von Sonder- bzw. Wegerechten bei dem Transport des Notfallpatienten auf dem Weg zum Krankenhaus wird dann indikationsabhängig individuell durch das Rettungsdienstpersonal entschieden. Sekundäreinsatz  Der

Sekundäreinsatz ist definiert als Transport eines Notfallpatienten von Krankenhaus zu Krankenhaus, wobei dieser dringlich oder nicht dringlich sein kann. Um eine dringliche Transportindikation handelt es sich immer dann, wenn eine vitale Bedrohung für den Patienten besteht und dieser aber nach der Primärversorgung im nächstgelegenen Krankenhaus einer Spezialabteilung zugeführt werden muss (z. B. Polytraumatisierte mit Schädel-Hirn-Trauma).

1.2.7  Prinzipien prähospitaler

Notfallversorgung

z „Stay and play“

Prinzip der Rettungsdienstsysteme in Deutschland und Österreich ist eine notärztliche Versorgung und Stabilisierung vor Ort. Falls notwendig wird ein Transport unter Begleitung eines Notarztes in ein geeignetes Krankenhaus vorgenommen. z „Load and go“ (= „Scoop and run“)

Vor allem im angloamerikanischen Raum sowie in den Niederlanden existiert das System der Erstversorgung durch qualifiziertes Rettungsdienstpersonal mit anschließendem, schnellstmöglichem Transport in ein Krankenhaus zur ärztlichen Versorgung. z „Treat and run“ (= „Treat in street“)

Als weiteres Konzept hat sich quasi als Kombination der anderen die „Versorgung unterwegs“ als Strategie etabliert. Ziel ist hierbei das schnellstmögliche Erreichen der

klinischen Versorgungseinrichtung, wobei die Zeit an der Einsatzstelle zwar so kurz wie möglich gehalten wird, weiterführende Maßnahmen nicht ausgeschlossen sind, aber während des Transports stattfinden sollen. z Struktur, gesetzliche Grundlagen

In Deutschland werden pro Jahr ca. 15 Mio. Einsätze in der Notfallrettung und im Krankentransport abgewickelt. Aufgabe des Rettungsdienstes ist die prähospitale Erstversorgung von Notfallpatienten, mit dem Ziel der Herstellung einer Transportfähigkeit des Patienten. Unter Aufrechterhaltung dieser Transportfähigkeit soll der Notfallpatient unter fachgerechter Überwachung in das nächste geeignete Krankenhaus verbracht werden. Auch der Transport von Nichtnotfallpatienten, z. B. Kranke, Verletzte oder andere hilfebedürftige Personen, gehört im weiteren Sinn zum Rettungsdienst. In Deutschland ist der Rettungsdienst eine staatliche Aufgabe, wobei die gesetzlichen Grundlagen in den Rettungsdienst- oder Feuerwehrgesetzen der einzelnen Bundesländer festgeschrieben sind (7 Abschn. 1.2.9). Die Ausstattung der eingesetzten Rettungsmittel ist in Normen (z. B. DIN oder ISO) festgelegt. Diese werden dem Stand der Medizintechnik fortlaufend angepasst (7 Abschn. 1.4). > Wichtig

Aufgabe des Rettungsdienstes ist die prähospitale Erstversorgung von Notfallpatienten, d. h. 5 Herstellung einer Transportfähigkeit 5 Transport unter fachgerechter Überwachung und Aufrechterhaltung dieser Transportfähigkeit in das nächste, geeignete Krankenhaus

Der Rettungsdienst wird als Teil der kommunalen Selbstverwaltung von den Kreisen und kreisfreien Städten oder in gebietsübergreifenden Zweckverbänden organisiert. Diese sind als jeweilige Rettungsdienstträger für

13 Organisation und Struktur

die Einrichtung, den Unterhalt und Aufrechterhaltung der Rettungsleitstelle, sowie der Rettungswachen zuständig. Zurzeit existieren in Deutschland ca. 400 Rettungsdienstbereiche mit einem durchschnittlichen Einzugsgebiet von ca. 900 km2 und ca. 200.000 Einwohnern. Gemäß den jeweiligen Landesrettungsdienstgesetzen sind die zuständigen Träger des Rettungsdienstes dazu verpflichtet, durchschnittliche Hilfsfristen bei Hilfeersuchen einzuhalten, wobei diese dann regional von den jeweiligen Bedingungen der Infrastruktur abhängig gemacht werden. Wo welche Rettungsmittel innerhalb eines Landkreises oder einer Stadt stationiert sind, hängt u. a. ab von: 5 Bevölkerungsdichte 5 Einsatzaufkommen nach Häufigkeit und Dringlichkeit 5 Bebauung 5 Infrastrukturellen Gegebenheiten Dies findet Niederschlag in den jeweiligen Rettungsdienstbedarfsplänen, die die nötige Anzahl von Notarztstandorten, Rettungswagen, Krankenwagen etc. festlegen. Die einsatzbereiten Fahrzeuge sind an Rettungswachen, kombinierten Rettungs- und Feuerwachen oder an Krankenhäusern stationiert. 1.2.8  Telenotfallmedizin

In verschiedenen Rettungsdienstbereichen sind inzwischen eine Vielzahl unterschiedlicher telemetrischer Systeme für einzelne Tracerdiagnosen etabliert, z. B. Übermittlung des 12-Kanal-EKG oder Unterstützung bei der Befunderhebung und Vorabinformation beim Schlaganfall mit dem Ergebnis outcomerelevanter Optimierungen in der Versorgung. Als Weiterentwicklung der bisherigen telemetrischen Systeme ist die Telenotfallmedizin zu verstehen. Da in den meisten Rettungsdiensteinsätzen nicht die ärztlich-manuellen Fertigkeiten, sondern vielmehr ärztliche Einschätzung und Entscheidung notwendig sind, rechnet man der sog. Telenotfallmedizin ein

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noch viel größeres Potenzial zu. So stellt das in Aachen entwickelte holistische Telenotarztsystem dem Telenotarzt räumlich unabhängig alle relevanten Informationen einer Einsatzstelle mittels Übertragung von Ton, Bild und Echtzeitvitalparametern zur Verfügung. Dieser kann damit das Rettungsteam vor Ort suffizient unterstützen, Maßnahmen rechtssicher delegieren oder im Sinne einer Konsultation zur Zweitmeinung ärztliche Kollegen beraten oder supervidieren. Ein solches System existiert seit 2014 in der Regelrettung im Rettungsdienstbereich der Stadt Aachen, Teilen des Kreises Euskirchen und des Kreises Heinsberg. Zudem laufen im Landkreis Vorpommern-Greifswald und im Bereich Straubing derzeit (Stand 03/2019) zwei über den Innovationsfonds der Krankenkassen finanzierte Projekte, die diese neue Versorgungsform evaluieren sollen. Dezidierte Strukturempfehlungen zur Telemedizin in der prähospitalen Notfallmedizin von der DGAI bereits publiziert, so definiert man als mögliche Indikationen für den Telenotarzt: 5 Hypertensive Entgleisung 5 Schmerztherapie bei nichtlebensbedrohlichen Verletzungen/Erkrankungen (z. B. Schlaganfall ohne Bewusstlosigkeit) 5 Hypoglykämie 5 Hilfestellung bei unklaren Notfällen 5 Hilfestellung bei EKG-Interpretation 5 Transportverweigerung (u. a. rechtliche Absicherung für NFS, 7 Abschn. 1.3.1, RA, 7 Abschn. 1.3.2, und RS, 7 Abschn. 1.3.3) 5 Sekundärverlegungen nach definierten Kriterien 5 Zur Überbrückung bis zum Eintreffen des Notarztes grundsätzlich, sofern die Notfallsituation eine Konsultation erlaubt Darüber hinaus werden technische Mindeststandards der mobilen und stationären Übertragungseinheiten sowie der Telenotarztzentrale zusammengestellt: 5 Verfügbarkeit einer bidirektionalen, zuverlässigen Audioübertragung sowie einer verlässlichen, zumindest unidirektionalen Videoübertragung in Echtzeit

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S. Beckers

5 Kontinuierliche Vitaldatenübertragung in Echtzeit bzw. mit geringen, klinisch irrelevanten zeitlichen Latenzen 5 Sicherer Datentransfer mit Verfügbarkeit einer adäquaten Datenübertragung bei mindestens 95 % aller Einsätze 5 Datenverschlüsselung nach dem Stand der Technik 5 Redundante Kommunikationsstruktur als Rückfallebene, z. B. über verschlüsseltes Zusatzmobiltelefon 5 Datenschutzkonformes Datenmanagement und Langzeitdatenspeicherung 5 Zugriff auf aktuellste Diagnose- oder Behandlungsalgorithmen bzw. Verfahrensanweisungen in digitaler Form für die häufigsten Krankheitsbilder am Telenotarztarbeitsplatz 5 Anbindung an die Leitstelle des Rettungsdienstträgers 5 GPS-Daten des Rettungsteams und Notarztwagens sowie einsatzrelevante Leitstellendaten zur Unterstützung des Einsatzmanagements bzw. adäquaten Wahl des bestgeeigneten Zielkrankenhauses 5 Forensisch sichere und MIND3-kompatible digitale Dokumentationsmöglichkeit der Telenotarztkonsultation 5 Mindestens ein redundanter Telenotarztarbeitsplatz Daneben wurden allgemeine Kriterien zum Betreiben eines telenotfallmedizinischen Zentrums definiert: 5 Besetzung der Telenotarztzentrale mit einem Facharzt in einem notfallmedizinisch relevanten Fachgebiet mit Zusatzbezeichnung Notfallmedizin 5 Telenotarzt sollte zusätzlich einen zertifizierten Reanimationskurs, zertifizierte Traumakurse sowie mindestens 400–500 konventionelle Notarzteinsätze vorweisen können 5 Schulung zum Telenotarzt inkl. Kommunikationsausbildung (3–4 Tage) 5 Qualifikation zum LNA

5 Schulungskonzepte für Leitstelle, Rettungsassistenten und konventionell fahrende Notärzte 5 Organisatorische und medizinische Verfahrensanweisungen für Leitstelle, Rettungsassistent/Notfallsanitäter, Telenotarzt. Ab 2020 ist mit der weiteren Etablierung von Telenotarztzentralen z. B. in Niedersachsen und Hessen zu rechnen. 1.2.9  Rettungsdienstgesetze der

Länder

Da der Rettungsdienst in Deutschland nach dem Föderalismusprinzip organisiert ist, geben Rettungsdienst- oder Feuerwehrgesetze der einzelnen Bundesländer die strukturellen Rahmenbedingungen vor. Das jeweilige Landesrecht stellt die Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes sicher und definiert zudem organisatorische Gegebenheiten z.  B. der Schnittstellen zur klinischen Versorgung oder ambulanten Versorgung. Die einzelnen landesrechtlichen Gesetzesgrundlagen unterscheiden sich deutlich hinsichtlich struktureller Gegebenheiten, sodass die Kenntnis über besondere Regelungen und wichtiger Inhalte innerhalb des jeweiligen Einsatzgebiets für jeden tätigen Notarzt von Bedeutung ist. 1.3  Rettungsdienstpersonal

Seit Beginn der 1970er Jahre setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass in der Notfallmedizin bereits am Notfallort wichtige medizinische Maßnahmen eingeleitet werden sollten, um einen vital bedrohten Notfallpatienten zu stabilisieren und in einen für den Transport ins Krankenhaus akzeptablen Zustand zu versetzen. Ziel war es auch damals schon, eine optimale Folgebehandlung sicherzustellen. Bis zu dieser

15 Organisation und Struktur

Zeit war es allerdings üblich, Notfallpatienten einfach „einzuladen“ und ohne wesentliche weitere Versorgung schnellstmöglich in ein Krankenhaus zu verbringen. Vor allen Dingen im angloamerikanischen Raum wurde dafür nichtärztliches Personal mit einer fundierten Ausbildung, z. B. im sog. „Paramedic-System“ (USA oder Großbritannien), qualifiziert. Im Gegensatz dazu entschied man sich in Deutschland, Österreich und anderen europäischen Staaten (u. a. Frankreich) dafür, mit der ärztlichen Hilfe direkt am Notfallort zu beginnen. Aktuell existiert in Deutschland ein Rettungsdienstmodell, bei dem mit qualifiziertem nichtärztlichem Personal (Notfallsanitäter, 7 Abschn. 1.3.1, Rettungsassistenten, 7 Abschn. 1.3.2, Rettungssanitäter, 7 Abschn. 1.3.3) zusammen mit Notärzten auf alle gestellten Anforderungen reagiert werden kann. Das Rettungsdienstsystem in Österreich ist dem deutschen System insgesamt sehr ähnlich. In den neuen Bundesländern wurde zu DDR-Zeiten der Notarztdienst auch als sog. „Schnelle Medizinische Hilfe“ (SMH) bezeichnet. Der Begriff wurde vom russischen „skoraja medizinskaja pomoschtsch“ abgeleitet. Die Aufgabe des nichtärztlichen Personals im bundesdeutschen Rettungsdienst besteht bei gleichzeitiger Alarmierung eines Notarztes im Wesentlichen darin, diesem zu assistieren bzw. bis zu seinem Eintreffen lebensrettende Maßnahmen durchzuführen und für eine Stabilisierung der Vitalfunktionen des Patienten zu sorgen (→ im Gegensatz zu den Paramedics/Emergency Medical Technicians (EMT) in den USA oder Niederlanden, die auch invasiv tätig werden). Etwa 47.000 hauptberuflich Beschäftigte gibt es derzeit im bundesdeutschen Rettungsdienst, wobei es sich hierbei größtenteils um Angehörige des anerkannten Ausbildungsberufs „Rettungsassistenten/ Rettungsassistentin“ handelt.

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1.3.1  Notfallsanitäter (NFS)

Mit Wirkung zum 01.01.2014 wurde das Berufsbild des Notfallsanitäters in Deutschland eingeführt, es löst den bisherigen Rettungsassistenten als höchste nichtärztliche Qualifikation im Rettungsdienst ab und zählt zu den Gesundheitsfachberufen. Grundsätzlich unterscheidet sich die Ausbildung zum Notfallsanitäter dadurch, dass sie drei statt zwei Jahre dauert und somit den gestiegenen Anforderungen in diesem Tätigkeitsbereich Rechnung trägt. Das Notfallsanitätergesetz (NotSanG) und die zugehörige Ausbildungs- und Prüfungsverordnung sind am 01.01.2014 in Kraft getreten, das bisherige Rettungsassistentengesetz trat am 31.12.2014 außer Kraft. Umfangreiche Übergangsregelungen sollen den Übergang vom bisherigen Rettungsassistenten zum Notfallsanitäter sicherstellen, wobei dies nur bis zum 31.12.2020 durch Bestehen der staatlichen Ergänzungsprüfung möglich ist. Die Besetzung der Rettungsmittel ist unabhängig davon durch landesweite Regelungen durch Übergangsregelungen z. T. bis 2027 definiert. Als übergeordnetes Ausbildungsziel des Notfallsanitäters ist definiert, dass entsprechend dem allgemein anerkannten Stand rettungsdienstlicher, medizinischer und weiterer bezugswissenschaftlicher Erkenntnisse fachliche, personale, soziale und methodische Kompetenzen zur eigenverantwortlichen Durchführung und teamorientierten Mitwirkung insbesondere bei der notfallmedizinischen Versorgung und dem Transport von Patientinnen und Patienten vermittelt werden sollen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 NotSanG). Folgende Ausbildungsziele sind im Notfallsanitätergesetz konkreter dargelegt: 1. Folgenden Aufgaben eigenverantwortlich auszuführen: a) Feststellen und Erfassen der Lage am Einsatzort und unverzügliche Einleitung notwendiger allgemeiner Maßnahmen zur Gefahrenabwehr

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b) Beurteilen des Gesundheitszustands von erkrankten und verletzten Personen, insbesondere Erkennen einer vitalen Bedrohung, Entscheiden über die Notwendigkeit eine Notärztin oder einen Notarzt, weiteres Personal, weitere Rettungsmittel oder sonstige ärztliche Hilfe nachzufordern sowie Umsetzen der erforderlichen Maßnahmen c) Durchführen medizinischer Maßnahmen der Erstversorgung bei Patienten im Notfalleinsatz und dabei Anwenden von in der Ausbildung erlernten und beherrschten auch invasiven Maßnahmen, um einer Verschlechterung der Situation der Patienten bis zum Eintreffen des Notarztes oder dem Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung vorzubeugen, wenn ein lebensgefährlicher Zustand vorliegt oder wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind d) Angemessenes Umgehen mit Menschen in Notfall- und Krisensituationen e) Herstellen und Sichern der Transportfähigkeit der Patienten im Notfalleinsatz f) Auswählen des geeigneten Transportzielorts sowie Überwachen des medizinischen Zustands der Patienten und seiner Entwicklung während des Transports g) Sachgerechtes Übergeben der Patienten in die ärztliche Weiterbehandlung einschließlich Beschreiben und Dokumentieren ihres medizinischen Zustands und seiner Entwicklung h) Kommunizieren mit am Einsatz beteiligten oder zu beteiligenden Personen, Institutionen oder Behörden i) Durchführen von qualitätssichernden und organisatorischen Maßnahmen im Rettungsdienst sowie Dokumentieren der angewendeten notfallmedizinischen und einsatztaktischen Maßnahmen j) Sicherstellen der Einsatz- und Betriebsfähigkeit der Rettungsmittel einschließlich Beachten sowie Einhalten der Hygienevorschriften und rechtlichen Arbeits- und Unfallschutzvorschriften

2. Folgende Aufgaben im Rahmen der Mitwirkung auszuführen: a) Assistieren bei der ärztlichen Notfallund Akutversorgung von Patienten im Notfalleinsatz b) Eigenständiges Durchführen ärztlich veranlasster Maßnahmen bei Patienten im Notfalleinsatz c) Eigenständiges Durchführen von heilkundlichen Maßnahmen, die vom Ärztlichen Leiter Rettungsdienst oder entsprechend verantwortlichen Ärzten bei bestimmten notfallmedizinischen Zustandsbildern und -situationen standardmäßig vorgegeben, überprüft und verantwortet werden 3. Mit anderen Berufsgruppen und Menschen am Einsatzort, beim Transport und bei der Übergabe unter angemessener Berücksichtigung der Gesamtlage vom individual-medizinischen Einzelfall bis zum Großschadens- und Katastrophenfall patientenorientiert zusammenzuarbeiten Die praktische Ausbildung findet zum einen in einer staatlich anerkannten Lehrrettungswache im Umfang von 1960 h und zum anderen in einem geeigneten Krankenhaus im Umfang von 720 h statt. Sie umfasst im Einzelnen: 5 Rettungswache 5 Dienst an einer Rettungswache 5 Durchführung und Organisation von Krankentransporten 5 Durchführung und Organisation von Einsätzen in der Notfallrettung 5 Krankenhaus 5 Pflegeabteilung 5 Interdisziplinäre Notfallaufnahme 5 Anästhesie- und OP-Abteilung 5 Intensivmedizinische Abteilung 5 Geburtshilfliche, pädiatrische oder kinderchirurgische Fachabteilung/ Intensivstation oder Station mit entsprechenden Patienten 5 Psychiatrische, gerontopsychiatrische oder gerontologische Fachabteilung

17 Organisation und Struktur

Die NFS-Ausbildung schließt mit einer staatlichen Prüfung ab, die einen schriftlichen, mündlichen und praktischen Teil umfasst. Im angelsächsischen Raum entspricht dem Berufsbild des NFS in etwa der sog. „Emergency Medical Technician“. In der Schweiz ist der diplomierte Rettungssanitäter mit 3-jähriger Ausbildung äquivalent anzusehen. 1.3.2  Rettungsassistent (RA)

„Rettungsassistent/Rettungsassistentin“ (RA) ist die Berufsbezeichnung des in Deutschland anerkannten Ausbildungsberufs im Rettungsdienst. Ein RA absolviert eine 2-jährige, 2800 h dauernde anerkannte Berufsausbildung. Sie umfasst: 5 Theorie 5 Klinikpraktikum 5 Rettungswachenpraktikum

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5 Im 2. Ausbildungsjahr wurden die theoretischen Kenntnisse bei der Tätigkeit auf einer Lehrrettungswache vertieft. Examinierte Krankenpfleger oder Rettungssanitäter hatten die Möglichkeit, den theoretischen Ausbildungsteil zu verkürzen bzw. ihre bisherige rettungsdienstliche Tätigkeit anrechnen zu lassen. Im Rahmen der sog. „Notkompetenz“ dürfen Rettungsassistenten unter bestimmten Umständen ärztliche Maßnahmen ergreifen (7 Abschn. 1.3.7). Dies gilt für den Fall, dass einfache Maßnahmen nicht zu einer Verbesserung des Zustands des Patienten führen und ein (Not)arzt nicht in adäquater Zeit zur Verfügung steht. Voraussetzung hierfür ist aber generell, dass der Rettungsassistent diese ärztlichen Maßnahmen auch fachgerecht durchführen kann. 1.3.3  Rettungssanitäter (RS)

Aufgaben eines Rettungsassistenten 5 Versorgung von Notfallpatienten bis zum Eintreffen des Notarztes 5 Assistenz bei Maßnahmen des Arztes oder Notarztes 5 Eigenverantwortliche Abwicklung von Rettungsdiensteinsätzen, bei denen bis zum Eintreffen im Krankenhaus eine ärztliche Anwesenheit nicht erforderlich, aber dennoch eine qualifizierte Betreuung nötig ist 5 Fachgerechte Durchführung von Krankentransporten

Die 2-jährige Ausbildung wurde durch das Rettungsassistentengesetz vom 10.07.1989 geregelt und war zusammengesetzt aus der Vermittlung theoretischer Grundlagen an einer Rettungsassistentenschule sowie einem Klinikpraktikum in verschiedenen Fachabteilungen. 5 Das 1. Ausbildungsjahr wurde mit einer staatlichen Prüfung abgeschlossen.

Als Rettungssanitäter bezeichnet man Personen, die für den Rettungsdienst, (Notfallrettung und qualifizierten Krankentransport) mit einer 520  h umfassenden Ausbildung qualifiziert werden. Sie beinhaltet: 5 160 h theoretische Grundlagenausbildung 5 160 h Krankenhauspraktikum, überwiegend auf Intensiv- oder Wachstation, im Ambulanzbereich oder in der Anästhesie, wobei folgende Maßnahmen im Mittelpunkt stehen: 5 Vorbereitung von Medikamenten und Infusionen 5 Assistenz bei der endotrachealen Intubation 5 Umgang mit Medikamenten 5 Überwachung und Dokumentation von Patienten 5 160 h Praktikum auf Krankentransportwagen (KTW), Rettungswagen (RTW) und Notarztwagen (NAW)/Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) 5 Abgeschlossen wird die Ausbildung mit einem 40-stündigen Abschlusslehrgang, an

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dessen Ende eine staatliche Prüfung mit schriftlichen, mündlichen und praktischen Anteilen steht Das Aufgabenspektrum des Rettungssanitäters ist dem des Rettungsassistenten grundsätzlich ähnlich. Allerdings ist der Einsatzbereich je nach Landesrecht unterschiedlich gestaltet. So werden Rettungssanitäter überwiegend im qualifizierten Krankentransport eingesetzt, im Rettungsdienst stellen sie überwiegend die Besatzung neben dem Rettungsassistenten von RTW und NAW. > Der Terminus „Rettungssanitäter“ wird

oft fälschlicherweise als Synonym für nichtärztliches Personal im Rettungsdienst verwendet. Wie auch beim Begriff „Sanitäter“ wird damit keine Aussage über die Qualifikation getroffen. Landläufig ist zudem unbekannt, dass der Rettungsassistent von seinen Kompetenzen höher gestellt ist als der Rettungssanitäter.

z­ usätzlich 80  h Rettungswachenpraktikum und schließt mit einer staatlichen Prüfung ab. 1.3.5  Delegation ärztlicher

Aufgaben

Der vor Ort anwesende Notarzt kann die Durchführung ansonsten ärztlicher Maßnahmen an Rettungsdienstpersonal übertragen, jedoch bleibt die korrekte Indikationsstellung in der Verantwortung des Notarztes. Zudem muss er sich sicher sein, dass die mit der Aufgabe betraute Person hierfür ausreichend qualifiziert und für die Durchführung dieser Maßnahme geeignet ist. Lehnt der Notfallsanitäter/Rettungsassistent/Rettungssanitäter die Übernahme der Maßnahme im Vorfeld nicht ab, so ist er dann auch für die korrekte Durchführung verantwortlich. Eine Delegation ärztlicher Maßnahmen setzt die Anwesenheit des entsprechenden Arztes voraus. > Generell nicht delegationsfähig und

1.3.4  Rettungshelfer (RH)

Rettungshelfer besitzen eine rettungsdienstliche Minimalausbildung, die 2  Wochen Theorie und 100 h Praktikum im Krankentransport und Rettungsdienst umfasst. Diese Ausbildung lässt je nach Landesrecht einen Einsatz auf verschiedenen Rettungsmitteln zu, ist aber im Regelrettungsdienst überwiegend auf Aufgaben des qualifizierten Krankentransports beschränkt. ­ „Rettungshelfer/ Rettungshelferin“ wird als Basisqualifikation für Aufgaben des erweiterten Rettungsdienstes bzw. des Katastrophenschutzes gefordert. In Nordrhein-Westfalen wird zudem die sog. „Rettungshelfer NRW“ (RH-NRW) -Ausbildung angeboten, die mit der Sanitätsdienstausbildung der Hilfsorganisationen vergleichbar ist. Sie erfordert jedoch

immer dem Arzt vorbehalten sind die Diagnosestellung sowie die letztendliche therapeutische Entscheidung.

1.3.6  Weisungsrecht

Generell ist jeder behandelnde Arzt rechtlich dazu in der Lage, dem vor Ort anwesenden Rettungsdienstpersonal Weisungen zu erteilen. Dies gilt aber nur, wenn er vor Ort anwesend ist und bezieht sich auf Patienten, die dieser Arzt behandelt. 1.3.7  Notkompetenz

Da bereits die Ausbildung den Rettungsassistenten gemäß § 3 des RettAssG in die Lage versetzen soll, am Einsatzort als Helfer des Arztes fungieren und bis zum Eintreffen

19 Organisation und Struktur

des Arztes lebensrettende Maßnahmen bei Notfallpatienten durchzuführen zu können, wird er gemäß Lernzielkatalog seiner Ausbildung auch hierfür vorbereitet. Dies gilt in demselben Maße für den Notfallsanitäter. Für den Fall, dass ein Rettungsassistent oder Notfallsanitäter an einem Notfallort alleine tätig werden muss und ärztliche Hilfe nicht rechtzeitig zur Verfügung steht, darf und muss dieser, basierend auf seiner Erhebung der aktuellen Befunde, Entscheidungen treffen, die für eine unmittelbare Abwehr von Gefahren für das Leben oder die Gesundheit des Notfallpatienten dringend erforderlich sind. Er handelt in diesem Fall im Rahmen des sog. „rechtfertigenden Notstands“. Entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel ist dabei das am wenigsten invasive Mittel zu wählen, das für die dringend erforderliche Behandlung ausreichend ist. Die Alarmierung eines Notarztes ist in jedem Fall obligat. Bislang hat die Bundesärztekammer für diese sog. Notkompetenz durch den Ausschuss „Notfall-, Katastrophenmedizin und Sanitätswesen“ eine Zusammenstellung (Stand: 20.10.2003) und Erläuterungen (Stand: 11.03.2004) des Maßnahmenkatalogs herausgegeben, der es Rettungsassistenten erlaubt, in diesem Rahmen auch invasive Maßnahmen durchzuführen. Voraussetzung hierfür ist allerdings die Teilnahme an entsprechenden, jährlichen Fortbildungsveranstaltungen. Benannt sind zudem ausgewählte Notfallmedikamente, deren Applikation in diesem Rahmen vorgenommen werden kann. Voraussetzungen für die „Notkompetenz“ 5 Wenn der Rettungsassistent am Notfallort auf sich alleine gestellt ist und rechtzeitig ärztliche Hilfe, etwa durch An- oder Nachforderung des Notarztes, nicht erreichbar ist 5 Wenn die Maßnahmen, die er aufgrund eigener Diagnosestellung

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und therapeutischer Entscheidung durchführt, zur unmittelbaren Abwehr von Gefahren für das Leben oder die Gesundheit des Notfallpatienten dringend erforderlich sind 5 Wenn das gleiche Ziel durch weniger eingreifende Maßnahmen nicht erreicht werden kann (Prinzip der Verhältnismäßigkeit bei der Wahl der Mittel) 5 Wenn die Hilfeleistung nach den besonderen Umständen des Einzelfalls für den Rettungsassistenten zumutbar ist

Neben der Infusion von Elektrolytlösungen im Volumenmangelschock werden derzeit folgende Medikamente für die entsprechenden Indikationsbereiche genannt: Adrenalin:

Reanimation und anaphylaktischer Schock

Glukose 40 %:

Hypoglykämischer Schock

β2-Sympathomimetikum als Spray:

Obstruktive Atemwegszustände

Benzodiazepin als Rectiole:

Krampfanfall

Nitrat-Spray/-Kapseln:

Akutes Koronarsyndrom

Analgetikum:

Verletzungen und ausgewählte Schmerzsymptome

Welches Notfallmedikament der Rettungsassistent aufgrund seines Befunds verabreichen darf, wird vom jeweiligen ärztlichen Leiter des Rettungsdienstbereiches (ÄLRD) festgelegt, da dies den regionalen Erfordernissen angepasst werden muss. Aus diesem Grund kann insbesondere keine generelle Empfehlung zu einem Analgetikum gegeben werden, weil jeder „Ärztliche Leiter Rettungsdienst“ die Auswahl

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für seinen Verantwortungsbereich bestimmt vornehmen muss. Allerdings existieren hinsichtlich Medikamentenauswahl, -dosierung und Applikationsformen Empfehlungen medizinischer Fachgesellschaften (z. B. Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin – DIVI, Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands e. V. – BAND), die zu Rate gezogen werden können. Der „Ärztliche Leiter Rettungsdienst“ wird von dem zuständigen Träger beauftragt, die individuelle Qualifikation der in dem jeweiligen Bereich tätigen Rettungsassistenten kontinuierlich zu überprüfen und somit die Beherrschung der im Rahmen der Notkompetenz erforderlichen Maßnahmen qualitativ sicherzustellen. Nur so kann einem etwaigen Vorwurf des Organisationsverschuldens vorgebeugt werden, wenn es zu einer Schädigung von Patienten durch Rettungsdienstpersonal unter Berufung auf die Notkompetenz kommt. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft sowie aktuellen Empfehlungen kommen die in der Übersicht dargestellten ärztlichen Maßnahmen in Betracht, die im Rahmen der Notkompetenz durch Rettungsassistenten angewendet werden können. Maßnahmen im Rahmen der Notkompetenz (gemäß Bundesärztekammer) 5 O2-Gabe 5 Punktion peripherer Venen 5 Gabe von kristalloiden Infusionslösungen 5 Endotracheale Intubation ohne Relaxierung 5 (Früh)defibrillation 5 Gabe folgender Medikamente: – Adrenalin – Glukose 40 % – β2-Sympathomimetikum als Spray – Benzodiazepin als Rectiole – Nitrat-Spray/-Kapseln

Zusammenfassend betrachtet ist das Konstrukt der Notkompetenz nicht nur bei rettungsdienstlichen Berufsverbänden umstritten. Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass verschiedene Fachgremien oder Landesregelungen die Notkompetenz sowie die fachgerechte Überwachung unterschiedlich interpretieren. 1.3.8  Regelkompetenz

Das Berufsbild Notfallsanitäter unterscheidet sich nun insofern vom Rettungsassistenten, da im Notfallsanitätergesetz im § 4 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c) als Ausbildungsziel ausgeführt ist:

» Durchführen medizinischer Maßnahmen

der Erstversorgung bei Patientinnen und Patienten im Notfalleinsatz und dabei Anwenden von in der Ausbildung erlernten und beherrschten, auch invasiven Maßnahmen, um einer Verschlechterung der Situation der Patientinnen und Patienten bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder dem Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung vorzubeugen, wenn ein lebensgefährlicher Zustand vorliegt oder wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind.

Somit existiert für den Notfallsanitäter eine andere rechtliche Grundlage für die Erlangung seiner Kompetenzen und sein Handeln kann und muss sich nicht auf den Rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB allein begründen. Unter dem Begriff Pyramidenprozess wird ein kontinuierlicher Abstimmungsprozess zur Ausgestaltung des Notfallsanitätergesetzes durch den Bundesverband der Ärztlichen Leiter für den Rettungsdienst (BVÄLRD) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Berufsverband Rettungsdienst sowie unter Beteiligung der medizinischen Fachgesellschaften verstanden, der entsprechende Maßnahmen und Medikamentengaben in standardisierte Arbeitsanweisungen und Behandlungspfade überführt.

21 Organisation und Struktur

Darüber hinaus haben die ärztlichen Leiter eines Rettungsdienstbereiches vor Ort nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c) NotSanG die Möglichkeit, dem Notfallsanitäter, auch außerhalb von Situationen in denen schwere Gesundheitsgefahr oder Lebensgefahr für den Patienten vorliegen, heilkundliche Maßnahmen zu übertragen. 1.3.9  Weiterbildung, Fortbildung

Gesetzlich ist hinsichtlich der Fort- und Weiterbildung festgeschrieben, dass das nichtärztliche Personal im Rettungsdienst entsprechend der Vorgaben der jeweiligen Landesgesetze einer jährlichen Fortbildungspflicht unterliegt. Der Zeitumfang dieser jährlichen Fortbildungspflicht beträgt in der Regel 30 Zeitstunden entsprechend 40 Unterrichtsstunden. Für ärztliches Personal gibt es Sonderregelungen in den verschiedenen Ländern entsprechend der Vorgaben der jeweiligen Landesärztekammern. In einigen Bundesländern ist zudem die Aufteilung dieser Unterrichtsanteile auf notfallmedizinische, einsatztaktische oder berufsrechtliche Themen festgelegt. 1.4  Rettungsdienstfahrzeuge

Bislang ist es in Deutschland nicht gelungen, eine einheitliche Ausstattung oder auch farbliche Gestaltung der Rettungsdienstfahrzeuge zu etablieren. Selbst in den einzelnen Bundesländern ist dies aufgrund der organisatorischen Gegebenheiten schwierig. Allerdings ist europaweit das sog. „Eurogelb“ als einheitliche Grundfarbe für den Rettungsdienst vorgesehen. Generell können im bundesdeutschen Rettungsdienst arztbesetzte (Notarzteinsatzfahrzeuge, Notarztwagen) von nichtarztbesetzten Rettungsmitteln (Krankentransportwagen, Rettungswagen) unterschieden werden.

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> Wichtig

Im eigentlichen Sinne ist mit „Krankenwagen“ ein Krankentransportwagen (KTW) gemeint. Der Begriff wird aber von Laien, der Presse, aber auch von Ärzten oft missverständlicherweise als Synonym für jede Art von Rettungsdienstfahrzeug verwendet. Die Gefahr hierbei: 5 Entsendung eines nichtadäquaten Rettungsmittels zum Einsatzort 5 Unnötige sowie evtl. gefährliche Zeitverzögerung in der Behandlung von Notfallpatienten Aus diesem Grund sollte der Begriff „Krankenwagen“ in dieser Form keine Anwendung finden!

Bisher regelte die DIN 75080 die Ausstattung und Klassifizierung der Rettungsdienstfahrzeuge. Diese wird nun durch die neue DIN EN 1789 ersetzt, wobei die bestehenden Fahrzeugtypen eingeordnet werden können. In der als Richtlinie anzusehenden Euronorm DIN EN 1789 werden als Rettungsmittel mit Transportfunktion insgesamt vier Typen von Krankenkraftwagen definiert, die sich in ihrer Minimalausstattung unterscheiden. Krankenkraftwagen-Typen 5 A1: Patient Transport Ambulance (für einen Patienten) – Krankentransportwagen 5 A2: Patient Transport Ambulance (für einen oder mehrere Patienten) – Krankentransportwagen 5 B: Emergency Ambulance – Mehrzweckfahrzeug/ Notfallkrankenwagen 5 C: Mobile Intensive Care Unit – Rettungswagen

Auf den deutschsprachigen Raum übertragen handelt es sich bei Typ A1 um ein Rettungsmittel, das im qualifizierten Krankentransport

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wegen zu geringer Ausstattung praktisch nicht zum Einsatz kommt. z Krankentransportwagen

Ein Krankentransportwagen (KTW) ist im ursprünglichen Sinne ein im Rettungsdienst und Sanitätsdienst eingesetztes Transportfahrzeug für nichtakute Transporte von verletzten oder erkrankten Personen, die aber einer Betreuung durch qualifiziertes Personal bedürfen. Hierzu zählen auch Personen, die an einer ansteckenden Krankheit leiden oder der Verdacht darauf besteht. Zu den häufigsten Arten von Krankentransporten gehören: 5 Nach Einweisung durch den Hausarzt Transport ins Krankenhaus oder zu einem Facharzt 5 Rücktransport von einem Facharzt oder Krankenhaus nach Hause 5 Interhospitalverlegungen 5 Sog. Ambulanzfahrten, z. B. zur ambulanten Dialysebehandlung; Hin- und Rücktransport nach entsprechender Behandlung Aufgrund ihrer Bauart (räumliche Enge, geringe apparative Ausstattung) sind diese Fahrzeuge generell nicht zum Transport von Notfallpatienten geeignet. In folgenden Situationen ist es jedoch denkbar, dass ein KTW, der ja auch mit qualifiziertem Rettungsdienstpersonal besetzt ist, in der Notfallrettung eingesetzt werden kann: 5 KTW ist das nächste Rettungsmittel zum Notfallort und wird als sog. „first responder“ bei paralleler Alarmierung eines arztbesetzten Rettungsmittels eingesetzt 5 Es steht kein Rettungswagen oder arztbesetztes Rettungsmittel mehr aufgrund der Einsatzlage zur Verfügung 5 Im Falle eines Massenanfalls von Verletzten oder bei einem Großschadensereignis Die bislang gültige DIN 75080 legte aber bereits einen Minimalstandard der Ausstattung u. a. die Bestückung mit einer

Sauerstoffbehandlungsanlage und einer Notfalltasche fest. Die oben erwähnte Euro-Norm DIN EN 1789 unterteilt nun in drei Klassen und Ausstattungsvarianten: Klassen von Krankentransportwagen 5 Typ A1: Patient Transport Ambulance (PTA): Vorgesehen für den Transport eines einzelnen Nichtnotfallpatienten, (bisher in Deutschland nicht eingesetzt) – Meist Kombi oder Großraumlimousine – Ausstattung: Trage, Tragestuhl, Tragetuch, tragbares Sauerstoffinhalationsgerät, manuelles Absauggerät, Feuerlöscher, Verbandmittel, Hygieneartikel, Kommunikationsmedium – Zusätzlich empfohlen, aber nicht verpflichtend sind: Beatmungsbeutel, Defibrillator 5 Typ A2: Patient Transport Ambulance (PTA): Vorgesehen für den Transport eines oder mehrerer Nichtnotfallpatienten mit Krankentrage und/oder Tragestuhl – Ausstattung: Wie in Typ A1; vergleichbar der bisherigen KTW-Ausstattung nach DIN 75080, aber ohne Blutdruckmessgerät, Vakuummatratze, Infusionen 5 Typ B: Emergency Ambulance (EA): Vorgesehen für die Erstversorgung, den Transport sowie die Überwachung von Patienten – Vergleichbar dem bisherigen KTW nach DIN 75080 – Verwendung als „Notfallkrankenwagen“, wobei durch den kleineren Innenraum auch z. B. MB „hoch-lang“ und MB Sprinter ohne Hochdach in diese Gruppe fallen

23 Organisation und Struktur

– Ausstattung: Trage, Tragestuhl, Schaufeltrage, Vakuummatratze, Immobilisationsmaterial für HWS und Extremitäten, stationäre Sauerstoffanlage im Fahrzeug und tragbare Sauerstoffinhalationseinheit, Beatmungsbeutel, Absauggerät, Blutdruckmessmanschette, Pulsoxymeter, Infusionen und Zubehör sowie Wärmebox für Infusionen, EKG, Defibrillator, transportable Notfallausrüstung (u. a. mit Beatmungsbeutel, Absaugung etc.), Magenspülset, Verbandmittel, tragbare und stationäre Kommunikationsmedien

Ausstattung und Aufgaben des Krankentransportwagens Ausstattung (nach DIN 75080 bzw. EN 1789) u. a.: 5 Sauerstoffbehandlungsanlage 5 Notfalltasche mit Beatmungsbeutel 5 Regional unterschiedlich

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DIN EN 1789) existiert, werden die Fahrzeuge entsprechend für die jeweiligen Rettungsdienstträger teilweise auch über die Norm hinaus bestückt. Der nach der Euro-Norm DIN EN 1789 definierte Typ C – Mobile Intensive Care Unit (MICU) entspricht im Wesentlichen dem Rettungswagen bzw. Notarztwagen. Ein Rettungswagen wird bei allen Notfallsituationen eingesetzt, bei denen Rettungsdienstpersonal vor Ort erforderlich ist, das mit der Fahrzeugausstattung unter Verwendung ihres notfallmedizinischen Wissens und Könnens vitale Bedrohungen abwenden oder die Vitalfunktionen wiederherstellen oder sichern kann. Generell ist ein Rettungswagen für die optimale individualmedizinische Versorgung eines Notfallpatienten ausgelegt. Zu den Aufgaben, die mit dem Material eines Rettungswagens zu bewältigen sind, gehören: 5 Wiederherstellung bzw. Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen sowie der Transport von Notfallpatienten 5 Verlegungstransporte von Patienten, bei denen eine intensivmedizinische Betreuung beim Transport erforderlich ist

1.4.1  Rettungswagen (RTW)

Zur medizinischen Ausstattung gehören zusätzlich zu den Merkmalen der Kategorie Typ B: 5 Erweiterte tragbare Notfallausrüstung, u. a. mit Infusionen und Zubehör, Material zur Atemwegsicherung sowie Medikamente 5 Spezielle Notfallausrüstung, wie externer Herzschrittmacher, Thoraxdrainageset, Perikardpunktionsset, ZVK, automatisches Beatmungsgerät mit PEEP-Ventil, Spritzenpumpe, Set für Vergiftungsnotfälle, Material zur Amputatversorgung, Koniotomieset, Rettungskorsett

Obwohl eine einheitliche Normung schon seit geraumer Zeit für die Ausstattung von Rettungswagen (bisher DIN  75080, jetzt

Darüber hinaus werden Kapnometer und Spineboard empfohlen, sind aber nicht verpflichtend vorgeschrieben.

Aufgaben: 5 Transport von Nichtnotfallpatienten, aber aufgrund ihrer Erkrankung (z. B. ansteckende Krankheit) oder Hilfsbedürftigkeit (z. B. Beförderung nur im Liegen möglich) fachliche Betreuung erforderlich 5 Nicht zum Transport von Notfallpatienten geeignet

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Ausstattung und Aufgaben eines Rettungswagens Ausstattung (nach DIN 75080 bzw. EN 1789) u. a.: 5 EKG-Defibrillator-Einheit 5 Pulsoxymeter 5 Sauerstoffbehandlungsanlage 5 Notarztkoffer für Erwachsene, Kleinkinder und Säuglinge 5 Notfallmedikamente, Material zur Infusionstherapie 5 Vakuummatratze, Schaufeltrage, Immobilisationsgeräte Aufgaben: 5 Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen 5 Transport von Notfallpatienten nach Erstversorgung 5 Traumatologische Stabilisierung

1.4.2 Notarzteinsatzfahrzeug

(NEF)

Ein Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) ist als Fahrzeug des Rettungsdienstes im Wesentlichen dazu bestimmt, den Notarzt und sein erforderliches Equipment zum Notfallort zu transportieren. Hierfür sind laut DIN 75079 Kraftfahrzeuge mit einem Gesamtgewicht bis 3,5 t zulässig, denen jedoch die Möglichkeit zum Patiententransport fehlt. Aus diesem Grund kann eine NEF nur in Verbindung mit einem RTW im sog. Rendezvous-System eingesetzt werden. Neben den Anforderungen an die Fahrzeugtechnik (Beschleunigung, maximale Beladung) wird auch die notfallmedizinische Ausstattung in dieser DIN geregelt, eine europaweite Normung ist nicht vorgesehen, da in den meisten Ländern keine arztbesetzten Rettungsmittel eingesetzt werden. Das NEF wird in den meisten Bundesländern von einem Rettungsassistenten gefahren. In einigen Rettungsdienstbereichen

mit geringem Einsatzaufkommen fährt der Notarzt u. U. aber auch selbst. Ausstattung und Aufgaben eines Notarzteinsatzfahrzeugs (NEF) Ausstattung (nach DIN 75079) u. a.: 5 EKG-Defibrillator-Schrittmacher-Einheit 5 Pulsoxymeter 5 Beatmungsgerät 5 Kapnographie 5 Notarztkoffer für Erwachsene, Kleinkinder und Säuglinge 5 Notfallmedikamente, ausgewählte Antidote 5 Sets für Thoraxdrainage, Notamputation etc. Aufgaben: 5 Transport des Notarztes und der medizinischen Ausrüstung zur Einsatzstelle bzw. zum Patienten 5 Einsatz nur in Verbindung mit einem RTW im sog. Rendezvous-System, da es selber keine Patienten transportieren kann

1.4.3  Notarztwagen (NAW)

Als Notarztwagen (NAW) werden Rettungswagen bezeichnet, die mit einem Notarzt besetzt sind und im Rahmen des sog. Stationssystems (7 Abschn. 1.2.5) eingesetzt werden. Diese notarztbesetzten RTW sind um die zusätzlichen Ausstattungsmerkmale des NEF erweitert ausgestattet. 1.4.4  Weitere im Rettungsdienst

eingesetzte Fahrzeuge

Neben den oben bereits dargestellten Rettungsmitteln gibt es weitere Fahrzeuge, die je nach Einsatzlage im Rettungsdienst zum Einsatz kommen können. Hierzu gehören

25 Organisation und Struktur

z. B. KTW, die auf verschiedene Einsatzzwecke spezialisiert sind. z 4-Tragen-KTW des Katastrophenschutzes

Der sog. 4-Tragen-KTW (KTW-4) ist ein KTW (eingesetzt im Katastrophenschutz sowie von der Bundeswehr) mit je zwei übereinander angeordneten Tragen links und rechts. Er ist ausgelegt für den Transport von Nichtnotfallpatienten im Rahmen eines MANV oder einer Großschadenslage. Aufgrund der räumlichen Enge ist eine individualmedizinische Versorgung der Patienten bei voller Beladung nicht mehr möglich. Allenfalls können so Leichtverletzte betreut und zur Entlastung der Transportkapazität des Regelrettungsdienstes zu weiter entfernt gelegenen Behandlungsplätzen oder Krankenhäusern transportiert werden. z Infektions-KTW oder -RTW

Krankenkraftwagen, der in einigen Rettungsdienstbereichen speziell für Patienten mit ansteckenden Krankheiten wie z. B. Meningitis oder Tuberkulose vorgehalten wird. Um eine erforderliche Desinfektion nach dem Transport zu erleichtern, ist die Ausstattung auf das Notwendigste beschränkt und der Patientenraum dementsprechend gestaltet, z. B. möglichst glatte Oberflächen etc. z Großraum-KTW oder -RTW

Sog. Großraum-KTW (GKTW) oder Großraum-RTW sind für den Transport von mehr als vier leichtverletzten Patienten meist im Rahmen eines MANV oder einer Großschadenslage vorgesehen und werden überwiegend in Ballungsräumen vorgehalten. Zudem kann ein GKTW bei einem Betreuungseinsatz als Sammelstelle oder Transportmöglichkeit für unverletzte Betroffene dienen. z Baby-Kinder-KTW oder Baby-KinderRTW

An verschiedenen Standorten, eher in Ballungsräumen, werden diese speziell für die Versorgung und den Transport von

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Neugeborenen, Säuglingen und Kindern ausgestatteten Fahrzeuge mit erfahrenem Personal wie z. B. Kinderkrankenschwester und/oder Kinderarzt besetzt. Zur Ausstattung gehören z.  B. ein Transportinkubator für die Neugeborenenversorgung sowie entsprechende Baby-Kinder-Notfallausrüstung. Steht für die Neugeborenenversorgung kein eigenes Rettungsmittel in dem jeweiligen Rettungsdienstbereich zur Verfügung, können ggf. RTW oder KTW auch für den Inkubatortransport durch Ersatz der fahrzeugeigenen Trage durch einen Inkubator mit passendem Fahrgestell umgerüstet werden. z Intensivtransportwagen (ITW)

Intensivtransportwagen (ITW) oder Intensivmobile werden überregional speziell für den Transport von intensivpflichtigen Patienten beim Interhospitaltransfer (Transport von Intensivstation zu Intensivstation verschiedener Krankhäuser) vorgehalten. Die meist erheblich größeren Fahrzeuge bieten neben dem größeren Patientenraum, in dem teils ganze Krankenbetten befördert werden können, umfangreiche Möglichkeiten zur Mitnahme intensivmedizinischer Ausstattung. Der größten Bedeutung kommen hier sicherlich Intensivbeatmungsgeräten unterschiedlichster Bauart (Dräger Evita, Siemens Servo etc.) zu, die eine differenzierte Beatmungstherapie auch während des Transports zulassen. Darüber hinaus verfügen ITW über eine umfangreiche Monitorausstattung, die die in einem RTW oder NAW übliche Ausrüstung ergänzt. Je nach Transportindikation gibt es auch die Möglichkeit, ECMO oder NO-Inhalation transportabel anzuwenden. Für den begleitenden Arzt gibt die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) einen Empfehlungskatalog vor, der seinen Niederschlag in einem 3-tägigen Zusatzkurs findet. z Drehleiter oder Hubarbeitsbühne

Als Drehleiter (DL, nach DIN EN 14043 und 14044) werden sog. Hubrettungsfahrzeuge

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der Feuerwehr bezeichnet, die über einen am sog. Leiterpark fest montierten Korb verfügen. Zu den Aufgaben der Drehleiter können gehören: 5 Verletztenrettung: Durch Anbringung einer Halterung für eine Krankentrage am Leiterkorb können liegend Patienten schonend aus einer hochgelegenen Wohnung (z. B. bei extrem engen Treppenhäusern) gerettet werden. Darüber hinaus kann die DL auch zur Rettung von Verletzten aus Tiefen oder aus unwegsamem Gelände unter Zuhilfenahme sog. Höhenrettungsgruppen eingesetzt werden 5 Löschangriff von außen: Vom Leiterkorb aus kann Feuer direkt von außen bekämpft werden oder ein Angriffstrupp von dort aus über Fenster oder Balkone ins Gebäude eindringen 5 Beleuchtung: Am Leiterkorb können im Bedarfsfall Scheinwerfer zur Ausleuchtung von größeren oder unübersichtlichen Einsatzstellen befestigt werden Im Rahmen des rettungsdienstlichen Einsatzspektrums wird die Drehleiter am Einsatzort jedoch meist für die Menschenrettung eingesetzt. Regional kommen alternativ zunehmend auch Hubrettungsfahrzeuge mit Teleskopmast zum Einsatz.

1.5  Luftrettung

Rettungshubschrauber (RTH) sind speziell für die Notfallrettung ausgerüstete Hubschrauber, die entweder als Notarztzubringer im Rahmen des Rendezvous-Systems für den Primäreinsatz oder/und für den Interhospitaltransfer von Notfall- oder Klinikpatienten im Sekundäreinsatz vorgesehen sind. Je nach infrastruktureller Organisation kann der RTH generell für den Primäreinsatz eingebunden werden oder von der zuständigen Rettungsleitstelle nur dann eingesetzt werden, wenn kein bodengebundenes arztbesetztes Rettungsmittel zur Verfügung steht oder spezielle Vorteile des RTH genutzt werden können. Vorteile des Rettungshubschraubers 5 Einsatzfähigkeit in schwer zugänglichen Gegenden 5 Unabhängigkeit von Verkehrssituation (z. B. Stau) und Fahrbahnzustand (z. B. Eisglätte) 5 Zügiger und schonender Transport mit medizinischer Betreuung und umfassender Überwachungsmöglichkeit auch in weiter entfernte Spezialkliniken

Jedoch besteht bei RTH eine Abhängigkeit von Witterungs- und Sichtbedingungen. > Auch wenn generell nächtliche

1.4.5  Rüstwagen

Rüstwagen (RW, gemäß DIN  EN  14555) sind Feuerwehrfahrzeuge, die bei der technischen Hilfeleistung eingesetzt werden. Hierfür steht eine umfangreiche Ausrüstung zur Verfügung, die es z. B. ermöglicht, bei Verkehrsunfällen eingeklemmte Personen mit pneumatischen Hebesätzen und hydraulischen Rettungssätzen zu befreien, ggf. umweltschädigende Substanzen aufzufangen oder unübersichtliche Einsatzstellen auszuleuchten.

Einsätze möglich sind, so besteht für den Rettungshubschrauber (RTH) bei unbekanntem Gelände in der Dunkelheit ein sehr hohes Risiko für Landungen außerhalb von ausgeleuchteten Landeplätzen. Aus diesem Grund ist die einsatzbereite Zeit der meisten RTH auf die Zeit zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang beschränkt.

Für den Interhospitaltransfer stehen jedoch mehrere Intensivtransporthubschrauber (ITH) an verschiedenen Standorten rund um die Uhr zur Verfügung (. Tab. 1.4).

1

27 Organisation und Struktur

. Tab. 1.4  Standorte von Intensivtransporthubschraubern Rufname

Stadt

Standort

Betreiber

Besonderes

Christoph Berlin

Berlin

Flughafen Tempelhof

DRF

24-StundenBereitschaft

Christoph Brandenburg

Senftenberg

Luftrettungszentrum Senftenberg

ADAC

24-StundenBereitschaft

Christoph  Dortmund

Dortmund

Flughafen Dortmund

DRF

24-StundenBereitschaft

Christoph Gießen

Gießen

LRZ Gießen

JUH

24-StundenBereitschaft

Christoph Halle

Halle

Flugplatz Halle-Oppin – Saalkreis

DRF

Christoph Hansa

Hamburg

Berufsgenossenschaftl. Unfallklinik

ADAC

Christoph Leipzig

Leipzig

Flughafen Leipzig-Halle International

ADAC

Christoph Mittelhessen

Reichelsheim (Wetterau)

Flugplatz Reichelsheim

JUH

Christoph  München

MünchenGroßhadern

Klinikum München-Großhadern

DRF

Christoph Murnau

Murnau am Staffelsee

Berufsgenossenschaftl. Unfallklinik

ADAC

Christoph  Niedersachsen

Hannover

Flughafen Hannover-Langenhagen International

DRF

24-StundenBereitschaft

Christoph  Nürnberg

Nürnberg

Flughafen Nürnberg

DRF

24-StundenBereitschaft

Christoph  Regensburg

Regensburg

Universitätsklinikum

DRF

24-StundenBereitschaft

Christoph  Rheinland

Köln

Konrad-Adenauer-Flughafen KölnBonn International

ADAC

Christoph  Sachsen-Anhalt

Halle

Flugplatz Halle-Oppin – Saalkreis

DRF

24-StundenBereitschaft

Christoph  Thüringen

Bad Berka bei Erfurt

Zentralklinik Bad Berka

DRF

24-StundenBereitschaft

Christoph Weser

Bremen

Flughafen Bremen

DRF

Christoph  Westfalen

Greven

Flughafen Münster-Osnabrück

ADAC

Die Mindestausstattung eines RTH (nach DIN  13230-3) orientiert sich an der Ausrüstung bodengebundener arztbesetzter Rettungsmittel wie NEF oder NAW (7 Abschn. 1.4.2 und 1.4.3). Teilweise ist die Ausstattung noch zusätzlich erweitert, z. B. durch die Möglichkeit der transportablen präklinischen Sonografie.

24-StundenBereitschaft

24-StundenBereitschaft

Ausstattung und Aufgaben eines Rettungshubschraubers Ausstattung (vergleichbar NEF, nach DIN 13230-3): 5 Pulsoxymeter, Beatmungsgerät 5 EKG-Defibrillator-Einheit 5 Notarztkoffer für Erwachsene, Kleinkinder und Säuglinge

28

1

S. Beckers

5 Notfallmedikamente, ausgewählte Antidote 5 Vakuummatratze, weitere Rettungsund Immobilisationsgeräte Aufgaben: 5 Transport des Notarztes und medizinischer Ausrüstung zur Einsatzstelle (v. a. in dünn besiedelten Gebieten und über größere Entfernungen) 5 Schonungsvoller Transport von Patienten über weite Strecken 5 Suchflüge, Organ- und Materialtransporte

Je nach regionalen Bedingungen und Einsatzspektrum (z. B. Küstennähe oder Gebirge) sind verschiedene RTH mit einer seitlich angebrachten Seilwinde ausgerüstet, um im Bedarfsfall Notfallpatienten auf einer Trage im Flug aufnehmen zu können. In Deutschland gibt es verschiedene Betreiber der nahezu flächendeckend existierenden Rettungshubschrauberstationen: ADAC (30), Deutsche Rettungsflugwacht (19), Bundesministerium des Inneren (12) sowie derzeit 7 private Anbieter (. Tab. 1.5). 1.6  Länderspezifische

Besonderheiten der Landesrettungsdienstgesetze

Aufgrund der föderalistischen Struktur des Rettungsdienstes in Deutschland werden in der Tat die regionalen Gegebenheiten nicht nur durch 16  Landesrettungsdienstgesetze, sondern zudem durch die Bestimmungen des jeweiligen Rettungsdienstträgers bestimmt. Die geforderte Qualifikation von Rettungsdienstpersonal für die Besetzung von Rettungsmitteln ist jeweils landesweit geregelt, lässt aber auch dem Träger Handlungsspielraum. Darüber hinaus können im Einzelnen folgende Bereiche regional unterschiedlich strukturiert, ausgestattet oder mit

Kompetenzen und Aufgabenbereichen belegt sein: 5 Rettungsmittelausstattung (landeseinheitliche Beschaffung vs. kommunale Zuständigkeit) 5 Rechte und Pflichten folgender Personen: 5 Ärztlicher Leiter Rettungsdienst 5 Leitender Notarzt 5 Organisatorischer Leiter Rettungsdienst 5 Vorsorgemaßnahmen und Strukturen beim Massenanfall von Verletzten oder beim Großschadensfall 1.7  Aufgaben und Pflichten der

Funktionsbereiche

1.7.1  Notarzt (NA)

Als Notarzt bezeichnet man nach DIN 13050 „einen im Rettungsdienst tätigen Arzt, der über eine besondere Qualifikation (‚Fachkundenachweis Rettungsdienst’) verfügen muss“. Nach bundeseinheitlicher Regelung muss hierfür eine 18-monatige klinische Tätigkeit nachgewiesen werden, wovon mindestens 3  Monate im Bereich der klinischen Anästhesiologie, Intensivmedizin oder einer Notaufnahmestation gewesen sein müssen. Außerdem sind der Besuch einer speziellen 80-stündigen Fortbildung sowie die Teilnahme an 10 lebensrettenden Einsätzen auf einem arztbesetzten Rettungsmittel unter Leitung eines erfahrenen Notarztes nachzuweisen. Vor den meisten Landesärztekammern müssen mittlerweile mündliche Prüfungen für die „Zusatzbezeichnung Notfallmedizin“ abgelegt werden. Voraussetzung hierfür ist eine mindestens 24-monatige klinische Tätigkeit in einem Akutkrankenhaus sowie 6 Monate in der Intensivmedizin, der Anästhesiologie oder der Notfallaufnahme unter Anleitung eines Weiterbildungsbefugten. Darüber hinaus müssen für den Erwerb der Zusatzbezeichnung „Notfallmedizin“ 50–100  Einsätze unter Anleitung eines erfahrenen Notarztes abgeleistet werden, wobei es in diesem Fall keine Vorgabe des NACA-Scores gibt.

1

29 Organisation und Struktur

. Tab. 1.5  Standorte von Rettungshubschraubern Rufname

Stadt

Standort

Betreiber

Christoph 1

München

Harlaching

ADAC

Christoph 2

Frankfurt (Main)

Berufsgenossenschaftl. Unfallklinik

BMI

Christoph 3

Köln

Kliniken Merheim

BMI

Christoph 4

Hannover

Medizinische Hochschule

BMI

Christoph 5

Ludwigshafen

Berufsgenossenschaftl. Unfallklinik

ADAC

Christoph 6

Bremen

Klinikum Links der Weser

ADAC

Christoph 7

Kassel

Rotkreuz-Krankenhaus

BMI

Christoph 8

Lünen

St.-Marien-Hospital

ADAC

Christoph 9

Duisburg

Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik

BMI

Christoph 10

Wittlich

St. Elisabeth-Krankenhaus

ADAC

Christoph 11

VillingenSchwenningen

Klinikum Schwenningen

DRF

Christoph 12

Eutin

Luftrettungszentrum Eutin, Elisabethenstraße

BMI

Christoph 13

BielefeldRosenhöhe

Städtische Kliniken Bielefeld-Rosenhöhe

BMI

Christoph 14

Traunstein

Klinikum Traunstein

BMI

Christoph 15

Straubing

Klinikum St. Elisabeth Straubing

ADAC

Christoph 16

Saarbrücken

Winterbergkliniken

ADAC

Christoph 17

Kempten (Allgäu)

Klinikum Kempten-Oberallgäu

BMI

Christoph 18

Ochsenfurt

Main Klinik

ADAC

Christoph 19

Uelzen

Kliniken Uelzen und Bad Bevensen

ADAC

Christoph 20

Bayreuth

Klinikum Bayreuth

ADAC

Christoph Europa 1

Würselen

Flugplatz Merzbrück

ADAC

Christoph 22

Ulm

Bundeswehrkrankenhaus Oberer Eselsberg

ADAC

Christoph 23

Koblenz

Bundeswehrzentralkrankenhaus

ADAC

Christoph Europa 2

Rheine

Luftrettungszentrum Rheine

ADAC

Christoph 25

Siegen

Evang. Jung-Stilling-Krankenhaus

ADAC

Christoph 26

Sande

Nordwest-Krankenhaus Sanderbusch

ADAC

Christoph 27

Nürnberg

Flughafen Nürnberg

DRF

Besonderes

24-StundenBereitschaft

(Fortsetzung)

30

1

S. Beckers

. Tab. 1.5  (Fortsetzung) Rufname

Stadt

Standort

Betreiber

Christoph 28

Fulda

Klinikum Fulda

ADAC

Christoph 29

Hamburg

Bundeswehrkrankenhaus Hamburg

BMI

Christoph 30

Wolfenbüttel

Städtisches Klinikum Wolfenbüttel

ADAC

Christoph 31

Berlin

Universitätsklinikum Benjamin-Franklin

ADAC

Christoph 32

Ingolstadt

Klinikum Ingolstadt

ADAC

Christoph 33

Senftenberg

Luftrettungszentrum Senftenberg

ADAC

Christoph 34

Güstrow

Krankenhaus Güstrow

BMI

Christoph 35

Brandenburg (Havel)

Luftrettungszentrum Brandenburg, Triglafweg

BMI

Christoph 36

Magdeburg

Städtisches Klinikum Magdeburg Olvenstedt

DRF

Christoph 37

Nordhausen

Südharz-Krankenhaus

DRF

Christoph 38

Dresden

Flughafen Dresden-Klotzsche

DRF

Christoph 39

Perleberg

Krankenhaus Perleberg

ADAC

Christoph 40

Augsburg

Klinikum Augsburg

ADAC

Christoph 41

Leonberg

Kreiskrankenhaus Leonberg

DRF

Christoph 42

Rendsburg

Kreiskrankenhaus Rendsburg

DRF

Christoph 43

Karlsruhe

St.-Vincentius-Kliniken

DRF

Christoph 44

Göttingen

Kliniken der Georg-August-Universität

DRF

Christoph 45

Friedrichshafen

Städtisches Krankenhaus

DRF

Christoph 46

Zwickau

Städtisches Klinikum HeinrichBraun-Krankenhaus

DRF

Christoph 47

Greifswald

Klinikum der Ernst-Moritz-ArndtUniversität

DRF

Christoph 48

Neustrelitz

Luftrettungszentrum Neustrelitz

ADAC

Christoph 49

Bad Saarow

Humaine Klinikum

DRF

Christoph 51

Stuttgart

Flughafen Stuttgart International

DRF

Christoph Europa 5

Niebüll

Klinik Niebüll

DRF

Christoph 53

Mannheim

City Airport

DRF

Christoph 54

Freiburg (Breisgau)

Aerodrome Freiburg

DRF

Christoph 60

Suhl

Zentralklinikum

DRF

Besonderes

24-StundenBereitschaft

(Fortsetzung)

1

31 Organisation und Struktur

. Tab. 1.5  (Fortsetzung) Rufname

Stadt

Standort

Betreiber

Christoph 61

SchkeuditzDölzig

LRZ Dölzig

ADAC

Christoph 62

Bautzen

LRZ Bautzen am dortigen Flugplatz

ADAC

Christoph 63

SchkeuditzDölzig

LRZ Dölzig

ADAC

Christoph 64

Angermünde

Angermünde

DRF

Christoph 65

Dinkelsbühl

Flugplatz Dinkelsbühl

ADAC

Christoph 70

Jena

Flugplatz Schöngleina

ADAC

Christoph 77

Mainz

Johannes-Gutenberg-Universitätsklinikum Mainz

ADAC

Christoph 80

Weiden

Flugplatz Latsch

DRF

Aufgaben eines Notarztes 5 Durchführung akut lebensrettender medizinischer Maßnahmen 5 Herstellung der Transportfähigkeit des Patienten 5 Begleitung und Überwachung des Patienten beim Transport in ein geeignetes Krankenhaus 5 Ggf. Todesfeststellung und Entscheidung über Abbruch der Hilfemaßnahmen sowie das Ausfüllen einer Todesbescheinigung (vorläufige oder endgültige, entsprechend landesgesetzlicher Regelung)

Der Notarzt ist dem ausgebildeten Rettungsdienstpersonal (Notfallsanitäter, Rettungsassistenten und -sanitäter) in medizinischer Hinsicht weisungsbefugt. z Einsatzindikationen für den Notarzt

Die Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands e.  V. (BAND) und der Bundesärztekammer (November 2013) haben für den Notarzteinsatz eine Handlungsleitlinie für

Besonderes

24-StundenBereitschaft

Rettungsleitstellen oder andere Notdienstzentralen zusammengestellt (. Tab. 1.6). Weiterhin gibt es notfallbezogene Indi­ kationen, bei denen die Alarmierung eines Notarztes als absolut notwendig erachtet wird (7 Übersicht). Notfallbezogene Einsatzindikationen für den Notarzt 5 Schwerer Verkehrsunfall mit V. a. Personenschaden 5 Unfall mit Kindern 5 Brände/Rauchgasentwicklung mit V. a. Personenschaden 5 Explosions-, thermische oder chemische Unfälle, Strom- oder Blitzunfälle mit V. a. Personenschaden 5 Wasserunfälle, Ertrinkungsunfälle, Eiseinbruch 5 Maschinenunfall mit Einklemmung 5 Verschüttung 5 Drohender Suizid 5 Sturz aus Höhe (>3 m) 5 Schuss-/Stich-/Hiebverletzungen im Kopf-, Hals- oder Rumpfbereich

32

1

S. Beckers

Definition „Ärztlicher Leiter Rettungsdienst“ (ÄLR, nach DIN 13050)

5 Geiselnahme und sonstige Verbrechen mit unmittelbarer Gefahr für Menschenleben 5 Unmittelbar einsetzende oder stattgefundene Geburt 5 Vergiftungen mit vitaler Gefährdung 5 Jede unklare Situation, bei der eine vitale Gefährdung nicht auszuschließen ist

5 Ein im Rettungsdienst tätiger Arzt, der auf regionaler bzw. überregionaler Ebene die medizinische Kontrolle über den entsprechenden Rettungsdienstbereich wahrnimmt 5 Verantwortlich für Effektivität und Effizienz der präklinischen notfallmedizinischen Patientenversorgung und -betreuung 5 Verfügt über die entsprechende Qualifikation und wird von der zuständigen öffentlichen Stelle berufen

z Ärztlicher Leiter Rettungsdienst (ÄLRD)

Der „Ärztliche Leiter Rettungsdienst“ ist ein im Rettungsdienst tätiger Arzt, der auf regionaler bzw. überregionaler Ebene die medizinische Kontrolle über den Rettungsdienst wahrnimmt und für Effektivität und Effizienz der präklinischen notfallmedizinischen Patientenversorgung und -betreuung verantwortlich ist. Er ist bei der Festlegung der hierfür erforderlichen Voraussetzungen sowie dem Aufbau und der Kontrolle der im Rettungsdienst notwendigen Strukturen und Prozesse beteiligt.

Der dargestellte Aufgabenkatalog orientiert sich an den Empfehlungen der Bundesärztekammer zum Ärztlichen Leiter Rettungsdienst aus dem Jahr 2013, kann aufgrund regionaler Regelungen dennoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.

. Tab. 1.6  Einsatzindikationen für den Notarzt Zustand

Beispiele

Bewusstsein

Reagiert nicht oder nicht adäquat auf Ansprechen und Rütteln

Schädel-Hirn-Trauma (SHT), intrazerebrale Blutung, Vergiftungen, Koma

Atmung

Keine normale Atmung, ausgeprägte oder zunehmende Atemnot, Atemstillstand

Asthmaanfall, Lungenödem, Aspiration

Herz/Kreislauf

Akuter Brustschmerz, ausgeprägte oder zunehmende Kreislaufinsuffizienz, Herz-Kreislauf-Stillstand

Myokardinfarkt, Angina pectoris, Herzrhythmusstörungen, hypertone Krise, Schock

Sonstige Beeinträchtigung der Vitalfunktionen

Schwere Verletzung, schwere Blutung, starke akute Schmerzen, akute Lähmungen

Thorax-/Bauchtrauma, SHT, größere Amputationen, Ösophagusvarizenblutung, Verbrennungen, Frakturen mit deutlicher Fehlstellung, Pfählungsverletzungen, Vergiftungen, Schlaganfall

Schmerz

Akute starke und/oder zunehmende Schmerzen

Trauma, Herzinfarkt, Kolik

33 Organisation und Struktur

Aufgaben eines „Ärztlichen Leiters Rettungsdienst“ 1. Einsatzplanung und -bewältigung 5 Mitwirkung – bei der Erstellung von rettungsdienstlichen Bedarfsanalysen – bei der Koordination der Aktivitäten der am Rettungsdienst beteiligten Organisation – bei besonderen Schadenslagen 5 Festlegung – der medizinischen Behandlungsstandards für das nichtärztliche Personal im Rettungsdienst – der medizinisch-organisatorischen Versorgungsstandards für arztbesetzte Rettungsmittel – der pharmakologischen und medizinisch-technischen Ausrüstung und Ausstattung im Rettungsdienst – der Strategie der Disposition rettungsdienstlicher Einsatzmittel in der Leitstelle – von Strategien für die Bearbeitung von medizinischen Hilfeersuchen durch die Leitstelle – von medizintaktischen Konzepten für die Bewältigung von besonderen Schadenslagen 5 Entscheidung in strittigen rettungsdienstlichen Schutzgüterfragen 2. Qualitätsmanagement 5 Mitwirkung – bei der kontinuierlichen Schwachstellenanalyse – bei der Planentwicklung für evtl. notwendige Korrekturmaßnahmen – bei der Identifikation der zu untersuchenden Systemkomponenten – bei der Beurteilung der Wirksamkeit durchgeführter Korrekturmaßnahmen

5 Festlegung – der Dokumentationsinstrumente für den Rettungsdienst – der Methodenauswahl für die Datenanalyse – der medizinischen Bewertung der Datenanalyse und Berichtfertigung – der Qualitätsanforderungen im Rettungsdienst – der notwendigen Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung 3. Aus-/Fortbildung 5 Richtlinienkompetenz für die notfallmedizinischen Fortbildungsinhalte für nichtärztliches Personal im Rettungsdienst (inkl. Leitstellenpersonal) 5 Erarbeitung von Roh- und Feinzielen für die ärztlichen Unterrichte der Fortbildung für nichtärztliches Personal im Rettungsdienst 5 Auswahl und Einweisung von ärztlichen Referenten 5 Mitwirkung bei ärztlichen Unterrichtsthemen in der Aus- und Fortbildung von nichtärztlichem Rettungsdienstpersonal 5 Planung und Koordination der klinischen Fortbildung von nichtärztlichem Rettungsdienstpersonal 5 Mitwirkung bei der Planung und Koordination der ärztlichen notfallmedizinische Fortbildung 4. Arbeitsmedizin und Hygiene 5 Mitwirkung bei der Anwendung von Einsatztauglichkeitskriterien 5 Mitwirkung bei der Auswahl geeigneter persönlicher Schutzausrüstung 5 Überwachung der Einhaltung von Hygienevorschriften 5 Festlegung der Desinfektionspläne

1

34

1

S. Beckers

5. Gremienarbeit 5 Vertretung des Trägers des Rettungsdienstes in medizinischen Fragen in regionalen und überregionalen Gremien 6. Forschung 5 Initiierung, Durchführung und Mitwirkung bei notfallmedizinischen Forschungsprojekten

Für die Durchführung seiner ihm zugeteilten Aufgaben ist es erforderlich, dass der „Ärztliche Leiter Rettungsdienst“ mit der notwendigen Handlungs- und Weisungskompetenz ausgestattet ist. Daher wird er von der jeweiligen für den Rettungsdienstbereich zuständigen Behörde bestellt und ist in allen medizinischen Belangen der Durchführung des Rettungsdienstes entscheidungs- und weisungsbefugt. Darüber hinaus berät er die zuständige Behörde in allen medizinischen Fragestellungen und Angelegenheiten des Rettungsdienstes. Im Einzelnen ist er also entscheidungsund weisungsbefugt für folgende Belange: 5 Medizinische Fragestellungen gegenüber den beteiligten Organisationen und dem nichtärztlichen Personal 5 Medizinisch-organisatorische Belange gegenüber dem ärztlichen Personal im Rettungsdienst Die herausragende Bedeutung dieser Stellung sowie das umfangreiche Aufgabengebiet des „Ärztlichen Leiters Rettungsdienst“ setzen ein hohes Maß an Kompetenz sowohl auf medizinischem als auch auf organisatorischadministrativem Gebiet voraus. Daraus ergibt sich ein besonderes Anforderungsprofil ­(7 Übersicht).

Anforderungsprofil eines „Ärztlichen Leiters Rettungsdienst“ 5 Abgeschlossene Weiterbildung in einem Gebiet mit Bezug zur Notfallund Intensivmedizin 5 Fachkundenachweis „Rettungsdienst“ oder eine von der zuständigen Ärztekammer als vergleichbar anerkannte Qualifikation 5 Qualifikation als „Leitender Notarzt“ entsprechend den Empfehlungen der Bundesärztekammer 5 Langjährige und anhaltende Tätigkeit in der präklinischen und klinischen Notfallmedizin 5 Kenntnisse in der Systemanalyse, Konzeptentwicklung und Problemlösung im Rettungsdienst 5 Detailkenntnisse der Infrastruktur des Rettungsdienstes und des Gesundheitswesens 5 Teilnahme an einer Fortbildungsmaßnahme „Ärztlicher Leiter Rettungsdienst“ entsprechend den Empfehlungen der Bundesärztekammer 5 Kontinuierliche Fortbildung in den Fachfragen des Aufgabengebiets, z. B. Verwaltungslehre, Rechtskunde, Qualitätsmanagement

1.7.2  Leitender Notarzt (LNA)

Als „Leitender Notarzt“ (LNA) wird ein Funktionsträger des Rettungsdienstes bezeich­ net, der für den jeweiligen Rettungsdienstbereich vom zuständigen Rettungsdienstträger

35 Organisation und Struktur

namentlich benannt und bestellt wird und aktive Führungsaufgaben an einem Schadensort im Alarmierungsfall wahrnimmt. Die LNA-Vorhaltung wird im jeweiligen Rettungsdienstbereich meist von einer LNA-Gruppe sichergestellt, die durch einen Beauftragten der LNA-Gruppe (BLNG) organisiert wird. Definition „Leitender Notarzt“ (LNA, nach DIN 13050) 5 Ein im Rettungsdienst tätiger Arzt, der am Notfallort bei einer größeren Anzahl Verletzter, Erkrankter sowie auch bei anderen Geschädigten oder Betroffenen oder bei außergewöhnlichen Ereignissen alle medizinischen Maßnahmen zu leiten hat 5 Der Leitende Notarzt übernimmt medizinische Führungs- und Koordinationsaufgaben 5 Er verfügt über die entsprechende Qualifikation und wird von der zuständigen öffentlichen Stelle berufen

Der „Leitende Notarzt“ (LNA) ist zuständig für die medizinische Leitung eines Einsatzes bei einem Massenanfall von Verletzten (MANV), einem sog. Großschadensfall oder anderen besonderen Gefahrenlagen. Der in der Übersicht dargestellte Aufgabenkatalog erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, verdeutlicht aber sehr wohl die Komplexität der Aufgabenstellung. Über den Einsatz bei einer Schadenslage hinaus sollte die für den Rettungsdienstbereich zuständige LNAGruppe zudem präventiv im Sinne einer vorbeugenden Gefahrenabwehr tätig werden, d. h. im Einzelnen sollte für die LNA-Gruppe Folgendes gelten:

1

5 Einbindung in alle organisatorischen Vorbereitungs- und Planungsmaßnahmen zur Bewältigung von Großschadensereignissen 5 Kontrolle von Vorsorgemaßnahmen bei genehmigungspflichtigen Großveranstaltungen im Hinblick auf die Möglichkeit der Entwicklung eines Großschadensereignisses 5 Aus- und Weiterbildung der bei der Großschadensbewältigung unterstellten Rettungsdienstkräfte Der Einsatz eines LNA ist immer dann indiziert, wenn aufgrund eines Missverhältnisses zwischen notfallmedizinischem Leistungsbedarf und der Kapazität des Regelrettungsdienstes eine individualmedizinische Versorgung von Notfallpatienten nicht mehr zu gewährleisten ist. Neben regional unterschiedlichen Alarmierungsstichworten und Versorgungskapazitäten ist hiervon für folgende Einsatzindikationen in den meisten Rettungsdienstbereichen auszugehen: 5 Einsatz von mindestens drei arztbesetzten Rettungsmitteln an einem Schadensort 5 10 oder mehr Notfallpatienten 5 Schadensereignissen, bei denen mit einem Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten jederzeit aufgrund der Schadensentwicklung gerechnet werden muss (Gefahrstoffunfälle, Busunfälle usw.) 5 Rettungsdiensteinsätze mit zeitaufwendiger technischer Rettung 5 Zusätzliche Anforderung durch Rettungsdienstpersonal bzw. Notärzte am Schadensort Die jeweilige Rettungsleitstelle alarmiert den diensthabenden LNA bei gegebener Einsatzindikation aufgrund der Notfallmeldung oder der Rückmeldung so früh wie möglich. Darüber hinaus ist eine vorsorgliche Alarmierung des LNA bei unklarer Lage oder Gefährdungssituation möglich.

36

1

S. Beckers

Aufgaben eines „Leitenden Notarztes“ 5 Beurteilung der vorliegenden Schadens- und Gefahrenlage – Art des Schadens und Ausmaß des Schadensumfangs – Art der Verletzungen und/oder Erkrankungen – Anzahl Verletzter und/oder Erkrankter – Bestehende oder zu erwartende Zusatzgefährdungen – Schadensentwicklung 5 Beurteilung der eigenen Lage – Personalkapazität – Materialkapazität – Transportkapazität – Stationäre und ambulante Behandlungskapazitäten 5 Bestimmung des Schwerpunkts und der Art des medizinischen Einsatzes – Sichtung – Medizinische Versorgung – Transport 5 Durchführung und Koordination des medizinischen Einsatzes – Festlegung der Behandlungs- und Transportkapazitäten – Festlegung der medizinischen Versorgung – Delegation medizinischer (auch ärztlicher) Aufgaben – Festlegung der Transportmittel und Transportziele (Fachabteilungen) – Festlegung von medizinischem Material und Materialbedarf – Sicherstellung der medizinischen Dokumentation – Koordination des Einsatzes in Abstimmung mit der (Gesamt) einsatzleitung – Beratung der (Gesamt) einsatzleitung in medizinischen Fragen

In dem jeweiligen Einsatzfall ist der LNA zur Erfüllung seiner Aufgaben gegenüber dem gesamten medizinischen Personal am Einsatzort (Notärzte, Ärzte, Rettungsdienstpersonal, Einsatzkräfte des Katastrophenschutzes, d. h. Sanitäts- und Betreuungsdienst) sowie der Rettungsleitstelle in medizinisch-organisatorischer Hinsicht weisungsbefugt. Dem LNA ist – landesrechtlich unterschiedlich geregelt – eine definierte Organisationsstruktur für den Einsatzfall zugeordnet, in den meisten Bundesländern auch gesetzlich festgeschrieben als organisatorischer Leiter Rettungsdienst (7 Abschn. 1.7.3). Auch wenn an einer Schadenstelle mehrere Notärzte mit der Qualifikation oder Bestellung zum LNA tätig sind, so kann und darf nur der von der Rettungsleitstelle alarmierte LNA die originären Aufgaben wahrnehmen. > Es kann an einer Schadensstelle per

definitionem immer nur einen Leitenden Notarzt geben!

Als Voraussetzungen für die Bestellung zu einem LNA – neben etwaiger regional zusätzlicher Anforderungen – gelten allgemein (Achtung: bundesweiter Standard bisher nicht etabliert!): 5 Ärzte mit einer Gebietsanerkennung in einem der Intensivmedizin nahe stehenden Fachbereich 5 Fachkundenachweis „Rettungsdienst“ oder eine von der zuständigen Ärztekammer als vergleichbar anerkannte Qualifikation 5 Langjährige notärztliche Einsatzerfahrung und Führungskompetenz 5 Sehr gute Kenntnisse der regionalen Rettungsdienststrukturen (Organisation und Leistungsfähigkeit der rettungs-/sanitätsdienstlichen Strukturen) 5 Fachspezifische Fortbildung, z. B. angeboten bei Aus- und Fortbildungsstätten der Ärztekammern oder Rettungsdienstschulen

37 Organisation und Struktur

1.7.3  Organisatorischer Leiter

Rettungsdienst (OrgL)

Definition „Organisatorischer Leiter Rettungsdienst“ (OrgL, nach DIN 13050) 5 Eine im Rettungsdienst erfahrene Person, die den Leitenden Notarzt beim Einsatz unterstützt 5 Ein OrgL übernimmt zudem organisationstechnische Führungs- und Koordinationsaufgaben 5 Er verfügt über die entsprechende Qualifikation mit dem Schwerpunkt der Führung 5 Er wird von der zuständigen öffentlichen Stelle berufen

Als Organisatorischer Leiter (Rettungsdienst) (Abkürzung meist „OrgL“, „Org.Leiter“ oder „OrgEL“, in Niedersachsen „Technischer Leiter Rettungsdienst“) bezeichnet man den nichtärztlichen Einsatzleiter in der Notfallrettung. Die OrgL üben ihre Tätigkeit häufig ehrenamtlich oder im Rahmen ihres rettungsdienstlichen Hauptberufs aus. Gemeinsam mit dem Leitenden Notarzt (LNA) koordiniert er im Rahmen von Massenanfällen von Verletzten (MANV) oder Großschadensereignissen alle Einsatzkräfte des Rettungsdienstes. Diese Sanitätseinsatzleitung (SanEL) hat das Ziel, in diesen Situationen für alle Betroffenen eine Patientenversorgung möglichst nah an der individualmedizinischen Versorgung des Regelrettungsdienstes zu gewährleisten. Der Organisatorische Leiter (Rettungsdienst) wird im Rahmen der Gefahrenabwehr und nicht präventiv eingesetzt.

Aufgaben und Voraussetzungen eines „Organisatorischen Leiters“ Aufgaben: 5 Feststellung und Beurteilung der Schadenslage aus taktisch-organisatorischer Sicht: – Art des Schadens, Anzahl der Betroffenen sowie Art der Verletzungen bzw. Erkrankungen, evtl. bestehende Zusatzgefährdungen, Schadensentwicklung, eingesetzte und zur Verfügung stehende Einsatzkräfte, Rettungsmittel und Transportkapazitäten 5 Standortfestlegung und Einrichtung von Verletztenablagen, Behandlungsplätzen, Verletztensammelstellen, Rettungsmittelhalteplätzen, Bereitstellungsräumen sowie Hubschrauberlandeplätzen 5 Leitung des Einsatzes und aller eingesetzten Rettungsmittel und Einsatzkräfte 5 Sicherstellung der Registrierung und Erfassung aller Betroffenen 5 Organisation des Verletztenabtransports (in Abstimmung mit der Rettungsleitstelle und unter Berücksichtigung der Transportprioritäten des LNA) 5 Sicherstellung der Kommunikation zur Rettungsleitstelle und ggf. zur übergeordneten Führung (z. B. Anforderungen oder Lagemeldungen) 5 Ggf. weitere Anforderung oder Nachforderung von Einsatzkräften oder Rettungsmittel bei der Rettungsleitstelle in Abstimmung mit dem LNA Voraussetzungen: 5 Rettungsassistent bzw. Notfallsanitäter mit mehrjähriger Einsatzerfahrung und Führungskompetenz

1

38

1

S. Beckers

5 Sehr gute Kenntnisse der regionalen Rettungsdienststrukturen (Organisation und Leistungsfähigkeit der rettungs-/sanitätsdienstlichen Strukturen) 5 Einsatztaktische Ausbildung, d. h. Führungsausbildung einer Hilfsorganisation oder Feuerwehr sowie zusätzliche Qualifizierungsmaßnahme mit speziellem Schwerpunkt OrgL (angeboten von Rettungsdienst- oder Feuerwehrschulen)

Neben regional unterschiedlichen Alarmie­ rungsstichworten können folgende Einsatzindikationen für die Alarmierung eines OrgL als allgemeingültig gelten: 5 Massenanfälle von Verletzten oder Erkrankten oder Großschadensereignisse mit zehn und mehr Verletzten 5 Schadensereignisse, bei denen mehr als drei Rettungsmittel zum Einsatz kommen 5 Sonstige Schadenslagen, bei denen es nach einer besonderen Koordinierung bedarf, z. B. Betreuung einer großen Anzahl von Unverletzten Im Detail sind die Aufgaben des OrgL, seine Befugnisse und Unterstellungsverhältnisse sowie die Voraussetzungen, Alarmierungsindikationen je nach Bundesland bzw. dem zuständigen Rettungsdienstträger unterschiedlich definiert. Ebenso ist die Kennzeichnung und Benennung als „Organisatorischer Leiter Rettungsdienst“ in Deutschland bisher nicht einheitlich geregelt. 1.8  Leitstelle, Kommunikation,

Funk

1.8.1  Rettungsleitstelle

Der Rettungsleitstelle in einem jeweiligen Bereich des Rettungsdienstes kommt im

Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge in folgenden Bereichen eine entscheidende Rolle zu: 5 Medizinische Versorgung und technische Rettung von Menschenleben 5 Erhaltung bedeutender Sachwerte und Kulturgüter 5 Brandbekämpfung 5 Katastrophenschutz 5 Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Aufgaben einer Rettungsleitstelle 5 Zuständig für den jeweiligen Rettungsdienstbereich 5 24 h täglich erreichbar 5 Über Notruf 112 oder 19222 erreichbar 5 Oft kombinierte Feuerwehr- und Rettungsleitstelle 5 Entgegennahme der eingehenden Notrufe 5 Ggf. Entgegennahme einer Alarmmeldung von Brandmeldeanlagen (im Falle einer integrierten Leitstelle mit der Feuerwehr) 5 Entscheidung über die Entsendung eines geeigneten Rettungsmittels abhängig von der jeweiligen Alarmund Ausrückeordnung 5 Alarmierung der geeigneten Rettungsmittel anhand der nächsten Standortstrategie 5 Ggf. Übermittlung umfangreicher Einsatzaufträge oder Einsatzbefehle, ggf. auch Anfahrtshinweise oder besondere Warnungen, z. B. vor gefährlichen Stoffen 5 Unterstützung und Koordination laufender Einsätze durch z. B. Nachforderung eines Notarztes, Voranmeldung in Zielkliniken, Anforderung von Luftrettungsmitteln beim Sekundärtransport, Nachfrage bei Giftinformationszentralen 5 Ggf. Sicherstellung der Vorsorge bei Auslastung des ­Regelrettungsdienstes

39 Organisation und Struktur

durch Alarmierung weiterer Reservekräfte 5 Information der Bevölkerung bei besonderen Gefahrenlagen 5 Sicherstellung der Dokumentation aller Einsatzinformationen beginnend beim Notruf (Sprachaufzeichnung) über die ausrückenden Rettungsmittel, Eintreffzeiten am Notfallort und Krankenhaus

1.8.2  Kommunikation und Funk

Die sog. Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) verwenden in Deutschland den sog. BOS-Funk (entspricht einem nichtöffentlichen mobilen UKW-Landfunkdienst). Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) 5 Träger und Leistungserbringer der öffentlichen Notfallrettung 5 Öffentliche Feuerwehren und staatlich anerkannte Werkfeuerwehren 5 Katastrophenschutzbehörden sowie am Katastrophenschutz beteiligte Organisationen je nach Landesrecht 5 Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) 5 Polizeien der Länder 5 Polizeien des Bundes 5 Bundeszollverwaltung 5 Andere durch die Bundesministerien des Inneren und für Finanzen mit Sicherheits- und Vollzugsaufgaben beauftragte Behörden

Nichtöffentliche Organisationen bekommen nur dann eine BOS-Zulassung, solange sie in den kommunalen Katastrophenschutz oder Rettungsdienst eingebunden werden und damit eine Zusammenarbeit und

1

Kommunikation mit anderen BOS bzw. der zuständigen Leitstelle notwendig ist. Dieser Sprechfunk ist in Deutschland zuletzt im Jahre 2000 durch die vom Bundesinnenministerium erlassene BOS-Funkrichtlinie geregelt, die einen störungsfreien und vor allen Dingen sicheren Funkbetrieb aller Beteiligten sicherstellen soll. Hierzu werden den jeweiligen Behörden oder Organisationen Frequenzen für den internen Sprechfunkbetrieb zugewiesen. Überwiegend werden von Beteiligten des BOS-Funks das 4-Meter- (meist Fahrzeugfunkgeräte) und das 2-Meter-Band (meist Handfunkgeräte) eingesetzt. Die Längenangabe bezieht sich dabei auf die jeweilige Wellenlänge. Jeder Kanal besitzt ein sog. Unterband (UB) sowie ein Oberband (OB) und kann in den Betriebsarten Wechselsprechen oder Gegensprechen betrieben werden. Beim Wechselsprechen wird dabei nur ein Band des Kanals belegt, beim Gegensprechen hingegen der komplette Kanal. Seit dem Jahr 2000 gibt es über diese analoge Übertragungskanäle hinaus Bestrebungen, für die BOS ein digitales Funksystem unter dem Namen TETRA („terrestrial trunked radio“) einzuführen. TETRA zeichnet sich als volldigitales System im Gegensatz zu den herkömmlichen Mobilfunkstandards (z. B. GSM) durch bessere Frequenzökonomie und vor allen Dingen hoher Übertragungsqualität aus. Zudem können neben der Übertragung von Sprache und Daten auch selbst große Datenmengen gebündelt übertragen werden. TETRA wird bereits in mehreren europäischen Ländern genutzt, derzeit laufen verschiedene Pilotprojekte deutschlandweit und im grenzüberschreitenden Testbetrieb (Modellregionen Aachen und Berlin). Im Einsatzfall muss jeder Beteiligte im BOS-Funk, d.  h. jede Feststation und jedes Fahrzeug, eindeutig identifizierbar sein (. Tab. 1.7). Aus diesem Grund ist die Zusammensetzung der jeweiligen Rufnamen festgelegt.

40

1

S. Beckers

. Tab. 1.7  Funkrufnamen im BOS-Funk BOS

4-Meter-Band

2-Meter-Band

Arbeiter-Samariter-Bund (ASB)

Sama

Samuel

Bergwacht des DRK

Bergwacht

Bergwacht

Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS)

Triton



Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG)

Pelikan

Pelikan (Adler)

Deutsches Rotes Kreuz (DRK)

Rotkreuz

Äskulap

Feuerwehr

Florian

Florentine

Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH)

Akkon

Jonas

Katastrophenschutzbehörden und -einheiten, Deichverbände

Leopold Kater Hydra

Leopoldine Katharina Hydra

Malteser Hilfsdienst (MHD)

Johannes

Malta

Rettungshubschrauber Verlegungs- Ambulanzhubschrauber Hubschrauber des „Search and Rescue“-Dienstes der Bundeswehr

Christoph Ambulanz SAR



Rettungsleitstellen der Landkreise bzw. kreisfreien Städte

Leitstelle



Technisches Hilfswerk (THW)

Heros

Heros

Wasserwacht des BRK

Wasserwacht

Wasserwacht

Wasserwacht des DRK

Neptun

Neptun

Zusammensetzung von Rufnamen im BOS-Funk 5 Organisationskennwort 5 Ortsbezeichnung 5 Standortkennzahl 5 Fahrzeugkennzahl 5 Laufende Nummer

(Kann je nach Bundesland variieren.) Verdeutlicht am Beispiel des Rufnamens „Florian Aachen 1/82/2“ heißt dies für die Regelungen in Nordrhein-Westfalen: 5 Organisationskennwort – „Florian“ (Funkkennung der Feuerwehr) 5 Ortsbezeichnung – „Aachen“ (Name der Ortschaft, in der das Fahrzeug stationiert ist) 5 Standortkennzahl – „1“ (Jede Wache im Rettungsdienstgebiet erhält eine eigene Nummer)

5 Fahrzeugkennzahl – „82“ (Jedem Fahrzeugtyp ist eine spezielle Nummer zugeordnet; 82 steht für ein Notarzteinsatzfahrzeug) 5 Laufende Nummer – „2“ (Werden im Gebiet derselben Wache mehrere Fahrzeuge desselben Typs vorgehalten, bekommt jedes Fahrzeug eine eigene laufende Nummer). 1.8.3  Digitaler BOS-Funk

Im digitalen BOS-Sprechfunk erhält jedes Endgerät eine eindeutige operativ-taktische Adresse (OPTA), die auch an alle empfangenden Geräte übertragen wird. Die OPTA [Richtlinie für die operativ-taktische Adresse (OPT A) im Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben 2010-04-08 OPTA-Richtlinie,

41 Organisation und Struktur

Stand 03.2010.doc vom 08.03.2010 16:45] wird nach einem bundesweit einheitlichen Schema für Polizei und nichtpolizeiliche BOS vergeben und besteht aus 24 Stellen, die durch Ziffern, Buchstaben oder auch Leerzeichen belegt werden können. 5 Stellen 1 und 2: Bund/Bundesland (z. B. „BU“ für „Bund“, „SH“ für „SchleswigHolstein“) 5 Stellen 3–5: Behörden- und Organisationskennzeichnung (z. B. „POL“ für „Polizei“, „FW␣“ für „Feuerwehr“) 5 Stellen 6–8: Regionale Zuordnung (Stadtund Landkreis) (anhand des Kraftfahrzeugkennzeichens) 5 Stellen 9–13: Örtliche Zuordnung 5 Stellen 14–21: Funktionszuordnung (z. B. Fahrzeugtyp, Funktion, Aufgabe) 5 Stellen 22 und 23: Ordnungskennung (bei gleicher örtlicher Zuordnung und Funktion) 5 Stelle 24: Ergänzung Beispiel der Funkrufnamenbildung anhand der OPTA (gleiche örtliche Zuordnung): 5 Funkrufname im analogen System: „Florian Aachen 01/82/2“ 5 Funkrufname im digitalen System: „Florian Aachen 01-NEF-02“ 1.8.4  Funkrufnamen im

Rettungsdienst

Die taktischen Kennungen für Feuerwehr und Rettungsdienst sind in landesrechtlichen Richtlinien geregelt, sodass eine durch die Innenministerkonferenz 1994 herausgegebene Empfehlung bislang nicht bundesweit umgesetzt wurde. Aufgrund der unterschiedlichen Landesrettungsdienst- und Landesfeuerwehrgesetze existiert weiterhin eine Vielfalt unterschiedlicher Kennungen (. Tab. 1.8). Auch die Empfehlungen der „Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in Deutschland“ 2003 konnten bisher nicht bundesweit durchgesetzt werden.

1

1.8.5  Unbefugtes Abhören des

BOS-Funks

> Das Abhören dieses Funkverkehrs ist strafbar mit Freiheitsstrafen bis zu 5 Jahren neben zivilrechtlichen Schadenersatzforderungen (vgl. § 88 und § 89 TKG). Entsprechende Frequenztabellen dürfen nicht zum Abhören dieser Frequenzen benutzt werden.

Einheiten, die in einem BOS-Funkkreis mithören wollen, müssen sich vorher regulär im Funkkreis bzw. bei der Leitstelle anmelden. 1.9  Zusammenarbeit mit

Behörden

1.9.1  Feuerwehr und

Rettungsdienst

Abhängig von der Bevölkerungsdichte sind die Strukturen der Feuerwehrorganisationen in freiwillige oder Berufsfeuerwehren organisiert, wobei die Freiwilligen den flächenmäßig größten Teil abdecken. Darüber hinaus werden je nach Gefährdungslage oder Größe eines Betriebs Werk- oder Betriebsfeuerwehren als betriebliche Einrichtung vorgehalten. Insgesamt hat sich das Aufgabenspektrum der Feuerwehren in den vergangenen Jahren verlagert. So ist die Anzahl der Brandbekämpfungen rückläufig, wobei mehr technische Hilfeleistungen verzeichnet werden. Dies ist wohl auch Folge konsequenter Maßnahmen als Teil des vorbeugenden Brandschutzes, der u. a. durch sog. Brandsicherheitswachen bei öffentlichen Veranstaltungen sowie zunehmender Brandschutzerziehung in der Bevölkerung. Zudem wird die Feuerwehr im Rahmen behördlicher Baugenehmigungsverfahren häufig hinzugezogen und um Stellungnahme gebeten. Sie leistet darüber hinaus einen aktiven Beitrag zum Umweltschutz, wenn z. B. bei Unfällen unterschiedlichster Art Gefahr für die Umwelt durch chemische, biologische oder atomare Gefahren besteht.

42

1

S. Beckers

. Tab. 1.8  Funkrufnamen im Rettungsdienst [Richtlinie für die operativ-taktische Adresse (OPT A) im Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben 2010-04-08 OPTA-Richtlinie, Stand 03.2010.doc vom 08.03.2010 16:45] Kennung

Funktion

1–9

Leitungs- und Führungskräfte

10–19

Einsatzleitwagen und Mannschaftstransportfahrzeuge

11

Einsatzleitwagen 1/Kommandowagen

12

Einsatzleitwagen 2

13

Einsatzleitwagen 3

19

Mannschaftskraftwagen/Mannschaftstransportfahrzeug

20–29

Tank- und Pulverlöschfahrzeuge

30–39

Hubrettungsfahrzeuge

33

Drehleiter

40–49

Löschgruppen- und Tragkraftspritzenfahrzeuge

44–49

Löschgruppenfahrzeuge

47

Tragkraftspritzenfahrzeug

50–59

Rüst- und Gerätewagen

51–53

Rüstwagen

54

Gerätewagen-Gefahrstoff

56

Gerätewagen-Atemschutz

57

Gerätewagen-Strahlenschutz

59

Strahlenmesstrupp-Fahrzeug

60–69

Schlauch- und Wechsellader-Fahrzeuge

70–79

Sonstige Feuerwehrfahrzeuge

80–89

Rettungsdienstfahrzeuge

81

Notarztwagen

82

Notarzteinsatzfahrzeug

83

Rettungswagen

84

Rettungshubschrauber (Kennzahl nur für FMS-Übertragung)

85

Krankentransportwagen

86

Hilfs-Krankentransportwagen, z. B. 4-KTW

87

Großraum-Krankentransportwagen (GKTW)

88

Rettungsboot

89

Gerätewagen-Rettungsdienst (GW-RD)

90–99

Gefahrgutfahrzeuge/Fahrzeuge zur besonderen Verwendung

43 Organisation und Struktur

Aufgaben der Feuerwehr 5 Brandbekämpfung 5 Technische Hilfeleistung 5 Rettung und Bergung von Menschen, Tieren und Sach- oder Kulturgütern 5 Vorbeugender Brandschutz 5 Eindämmung von Umweltgefahren

1.9.2  Erweiterter Rettungsdienst

und Katastrophenschutz

Abhängig von der kommunalen Infrastruktur ist auch der sog. erweiterte Rettungsdienst oder Katastrophenschutz organisiert. Die entsprechenden Vorsorgemaßnahmen kommen zum Tragen beim 5 Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten 5 Großschadensereignissen 5 Katastrophen Die gültigen Begriffs- und Alarmierungsdefinitionen sind auch von der Kapazität des jeweiligen Rettungsdienstbereichs abhängig (Landkreis vs. Großstadt). In diesem Bereich werden im Wesentlichen die Fachdienste Sanitätsdienst, Betreuungsdienst und technischer Dienst zusammengefasst. Der Sanitätsdienst ist als Fachdienst des Katastrophenschutzes dafür zuständig, im Falle eines Großschadensereignisses oder einer besonderen Gefährdungssituation, die für eine medizinische Versorgung von betroffenen Personen notwendige Infrastruktur durch Aufbau von Behandlungsplätzen und Vorhaltung von Rettungsmittelhalteplätzen möglichst kurzfristig sicherzustellen. Die Betreuung und Versorgung unverletzter Betroffener ist hingegen Aufgabe des Fachdienstes Betreuungsdienst. In beiden Fällen handelt es sich um Einheiten der Hilfsorganisationen, die durch ehrenamtliche Helfer gestellt werden und für diese Tätigkeit eine entsprechende Fachdienstausbildung absolviert haben.

1

Aufgaben des Sanitätsdienstes im Rahmen von Großschadensereignissen 5 Heranführung von medizinischem Material (u. a. Tragen, Decken, Infusionen, O2-Geräten, Verbandsmaterial etc.) in ausreichender Menge an die Einsatzstelle 5 Schaffung infrastruktureller Voraussetzungen für die Patientenversorgung vor Ort durch Einrichtung von Behandlungsplätzen sowie Einrichtung von Rettungsmittelhalteplätzen 5 Erstversorgung von Verletzten 5 Ggf. Transport von Verletzten von etwaigen Verletztenablagen zum Behandlungsplatz 5 Versorgung und Betreuung von Verletzten und Kranken am Behandlungsplatz 5 Herstellung und Aufrechterhaltung der Transportfähigkeit von Verletzten 5 Transport in ein geeignetes Krankenhaus 5 Durchführung der Registrierung und Dokumentation 5 Ggf. Suche von Verletzten 5 Ggf. Durchführung einer behelfsmäßigen Dekontamination

z Einsatzeinheit

Anstelle der früher existierenden Sanitäts- und Betreuungszüge wurde in vielen Bundesländern eine sog. Einsatzeinheit konzipiert. Diese vereint die Fachdienste Sanitäts- und Betreuungsdienst, unterstützt durch eine technische Minimalunterstützung in einer multifunktionalen Einheit mit entsprechender Ausbildung der Einsatzkräfte. Insgesamt können 33 Einsatzkräfte sowohl sanitätsdienstliche als auch betreuungsdienstliche Einsatzlagen bewältigen, zudem Transportkapazitäten für den erweiterten Rettungsdienst zur Verfügung stellen.

44

1

S. Beckers

1.9.3  Polizei

Organisatorisch ist die Polizei in den meisten Bundesländern nach Schutzpolizei, Kriminalpolizei, Bereitschaftspolizei und Wasserschutzpolizei aufgegliedert. Im Rahmen einer Zusammenarbeit im Rettungsdienst kann die Polizei durch Rettungsdienstpersonal um Amtshilfe, z. B. bei Gefährdung der Einsatzkräfte oder Absicherung von Unfall- oder Einsatzstellen, gebeten werden. Bei Großschadensereignissen ist zu bedenken, dass die Polizeibehörden in solchen Einsatzlagen einer anderen Organisationsstruktur unterliegen, als dies im Rettungs- und Sanitätsdienst oder der Feuerwehr der Fall ist. So gibt es bei der Polizei eine sog. rückwärtige Führung im Gegensatz zur technischen Einsatzleitung vor Ort bei der Feuerwehr. Aufgaben der Polizei 5 Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit 5 Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit 5 Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung 5 Maßnahmen im Rahmen der Strafverfolgung

1.10  Qualitätsmanagement

Die rettungsdienstliche Versorgung von Notfallpatienten steht unter dem Druck, eine optimale Betreuung durch optimal qualifiziertes Personal innerhalb kürzester Zeit gewährleisten zu können. In einem Spannungsfeld von Ängsten und Erwartungen der Betroffenen auf der einen und Forderung nach Kostensenkung ohne Leistungseinbuße auf der anderen Seite hielt der Begriff „Qualitätsmanagement“ Einzug in die präklinische Notfallversorgung. Mit dem Ziel, Möglichkeiten der Verbesserung aufzudecken und

letzten Endes eine Steigerung der Effektivität und Effizienz zu erreichen, werden zunehmend qualitätssichernde Maßnahmen eingeführt. Hierbei betrachtet man im Einzelnen die Teilaspekte Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität (nach Donabedian). 1.10.1  Strukturqualität

Hierunter versteht man strukturelle Voraussetzungen des jeweiligen Umfelds (räumlich, apparativ, personell, logistisch), d. h. im Falle des Rettungsdienstes u. a.: 5 Stationierung der Rettungsmittel 5 Materielle und personelle Ausstattung 5 Aus- und Fortbildungsstand des Personals 1.10.2  Prozessqualität

Bei optimaler Prozessqualität werden alle erforderlichen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt hinsichtlich optimaler Effizienz und Relevanz, z. B. mit dem adäquaten Rettungsmittel, durchgeführt. Berücksichtigt werden hierbei auch organisatorische Aspekte wie Einsatztaktik oder Verwendung von Therapieschemata bei der Versorgung. 1.10.3  Ergebnisqualität

Der Aspekt der Ergebnisqualität beschreibt die letztendliche Qualität der notfallmedizinischen Therapie, z. B. in Bezug auf das Outcome des Patienten hinsichtlich: 5 Beeinflussung von Lebensqualität 5 Verweildauer im Krankenhaus/ Intensivstation 5 Morbidität oder Letalität 1.10.4  Dokumentation z DIVI-Protokoll

Die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin legte einen

45 Organisation und Struktur

Minimaldatensatz für die Dokumentation von Notarzteinsätzen fest. Als Beispiel für eine Notarzteinsatzdokumentation ist auf der folgenden Seite das zurzeit gängige Notarztprotokoll (gemäß aktuellster DIVI-Empfehlung, Version 4.2, (. Abb. 1.3) aus dem Rettungsdienst der Stadt Aachen gezeigt. z Besonderheit kardiopulmonale Reanimation

Da präklinische Reanimationen nicht nur für den Rettungsdienst sondern auch für die weiterbehandelnde Klinik eine besondere Herausforderung in der Patientenversorgung darstellen, wurde im Rahmen eines Symposiums der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI) bereits 2002 die Notwendigkeit einer strukturierten Datenerfassung zur Reanimation postuliert. Mit der Definition eines Reanimationsdatensatzes „Erstversorgung“ schuf der Arbeitskreis Notfallmedizin der DGAI die Basis für ein einheitliches, vergleichbares, nationales Reanimationsregister, welches auf den Vorgaben des Utstein-Styles aufbaut. Nach einer Anpassung des Datensatzes wird man zukünftig auch in der Lage sein, innerklinische Reanimationen national zu dokumentieren und zu analysieren. Die Eingabe kann mittels standardisierten Protokolls oder per Web-Eingabe erfolgen. Weitere Informationen finden sich unter 7 http://www.reanimationsregister.de. Auf der Website wird über Entstehung, Struktur und aktuelle Umsetzung des Reanimationsregisters berichtet. Generell steht allen in der präklinischen und klinischen Versorgung von Notfallpatienten beteiligten Institutionen die Teilnahme am Reanimationsregister offen, genaue Teilnahmebedingungen können in der entsprechenden Geschäftsordnung nachgelesen werden. In jedem Fall ist jedoch eine schriftliche Anmeldung an die Koordinationszentrale des Reanimationsregisters erforderlich. Im Anschluss entscheidet ein vonseiten der DGAI eingesetzter wissenschaftlicher Beirat über die Aufnahme in das Register.

1

1.10.5  Scoring-Systeme

Sog. Scores oder Scoring-Systeme versuchen eine annähernd objektive Beurteilung des Patientenzustands anhand von Punktwerten vorzunehmen. Abhängig vom jeweiligen Score können so anatomische oder physiologische Parameter des Notfallpatienten eingeschätzt werden. Neben den nicht nur in der Notfallmedizin gebräuchlichen Scores wie der Glasgow-Koma-Skala (GCS), dem APGAR-Schema können hier Bewertungssysteme Anwendung finden, die zum einen eine Patientenkategorisierung im Sinne einer Triage und zum anderen eine Prognoseabschätzung vornehmen können. Darüber hinaus gibt es Scores, die das Monitoring der Behandlungsqualität erlauben sollen (z. B. Mainz Emergency Evaluation Score). z NACA-Schema

Das sog. NACA-Schema ist ein ScoringSystem, welches die Schwere von Verletzungen, Erkrankungen oder Vergift­ ungen in der (Notfall)medizin beschreibt. Ursprünglich wurde es vom National Advisory Committee for Aeronautics für Unfälle in der Luft- und Raumfahrt entwickelt. Das NACA-Schema gliedert sich in mit römischen Ziffern bezeichnete Schweregrade (. Tab. 1.9). Üblicherweise besteht im Rettungsdienst ab der Bewertung NACA III, spätestens aber ab NACA IV eine Notarztindikation. z Injury Severity Score (ISS)

Speziell für die Klassifizierung sowie statistische Erfassung von polytraumatisierten Notfallpatienten ist der Injury Severity Score (ISS) vorgesehen. Hierbei erhobene Daten sollen im Verlauf eine Aussage über Prognosen sowie eine Kontrolle des Therapieerfolgs dieser Gruppe von Patienten erlauben. Der Erhebung des ISS setzt eine komplette körperliche Untersuchung des Patienten und eine entsprechende Diagnosestellung voraus.

. Abb. 1.3  Notarztprotokoll des Rettungsdienstes der Stadt Aachen

46 S. Beckers

1

47 Organisation und Struktur

1

. Tab. 1.9 NACA-Score Schweregrad

Definition

Beispiel

0

Keine Verletzung/Erkrankung

1

Geringfügige Störung

Schürfwunde/Prellung

2

Leichte bis mäßig schwere Störung, ambulante Abklärung

Periphere geschlossene Fraktur, mäßige Schnittverletzungen, Exsikkose

3

Mäßige bis schwere, aber nicht lebensbedrohliche Störung, stationäre Abklärung

Stammnahe geschlossene Fraktur, SHT 1°

4

Akute Lebensgefahr nicht auszuschließen

Wirbelverletzung mit neurologischen Ausfällen; schwerer Asthmaanfall; dekompensierte Herzinsuffizienz, offene Fraktur, SHT 2°

5

Akute Lebensgefahr

SHT 3°, Beckenfraktur, große Verbrennungen, akuter Herzinfarkt

6

Reanimation



7

Tod



Die erhobenen Befunde der Einzelverletzungen werden in sechs Körperregionen eingeteilt: 1. Kopf und Hals 2. Gesicht 3. Abdomen 4. Extremitäten und Beckengürtel 5. Thorax 6. Haut und Weichteile Jeder Verletzung wird dabei in der entsprechenden Region ein Schweregrad („Abbreviated Injury Scale“, AIS) von 0 bis 6 zugeordnet (. Tab. 1.10). Für die weitere Berechnung werden dann die drei am stärksten betroffenen . Tab. 1.10  Einteilung der Schweregrade beim Injury Severity Score (ISS) Schweregrad

Punkte

Harmlos

0

Leicht

1

Mäßig

2

Ernst

3

Schwer

4

Lebensbedrohlich

5

Tödlich

6

Körperregionen ausgewählt und die jeweils schwerste Einzelverletzung einer Region quadriert und letztendlich diese drei Quadrate zusammengerechnet. Die errechneten Werte für den ISS können zwischen 0 und 75 Punkten ergeben. Sollte eine Verletzung mit einem Schweregrad von 6 (tödlich, nicht überlebbar) in einer der Körperregionen kategorisiert werden, so ist keine weitere Rechnung erforderlich, da dann ein ISS von 75 vorgesehen ist. Zusammenfassend lässt sich anmerken, dass die korrekte Erhebung eine detaillierte Einschätzung und Bewertung der Verletzungsmuster voraussetzt und somit einer erheblichen Übung bedarf. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass der letztendlich errechnete ISS-Wert isoliert keine Auskunft mehr über die betroffenen Körperregionen an sich gibt. Eine angemessene statistische Vergleichbarkeit von Polytraumapatienten ist somit eher zu bezweifeln. z Revised Trauma Score (RTS)

Der Revised Trauma Score (RTS) ist eine Traumaklassifikation, die sich an physiologischen Variablen orientiert und die in den USA häufig bei der Einschätzung von

48

1

S. Beckers

Zuweisungen an spezielle Traumazentren verwendet wird. In der Erhebung des RTS entspricht jeder Kategorie (. Tab. 1.11) ein entsprechender RTS-Punktwert. Anschließend werden diese mit den angegebenen Koeffizienten multipliziert und am Ende ­ addiert. z Mainz Emergency Evaluation Score (MEES)

Der sog. Mainz Emergency Evaluation Score (MEES) wurde als Scoring-System entwickelt, um die Effektivität des Rettungsdienstes im Rahmen der präklinischen Versorgung von Notfallpatienten zu dokumentieren und nachhaltig zu verbessern. Als Grundlage für den MEES dienen neben der Glasgow-Koma-Skala (GCS) insgesamt sechs weitere Vitalparameter (. Tab. 1.12), die zu Beginn der präklinischen Versorgung sowie bei Übergabe in der Notaufnahme erhoben werden. Die insgesamt 7  betrachteten Kategorien können jeweils mit maximal 4 Punkten (=  physiologischer Zustand) und mindestens 1  Punkt (= lebensbedrohlicher Zustand) belegt werden. Somit ergibt sich eine Punkteskala für den MEES zwischen 7 und 28 Punkten.

Um eine lebensbedrohliche Situation nicht durch einen hohen Punktwert zu verfälschen, wird der Score mit einem „*“ gekennzeichnet, wenn allein einer der Parameter mit einer 1 bewertet wurde. Eine Aussage über die Behandlungsqualität soll dann die errechnete Differenz Δ MEES der beiden erhobenen Werte (MEES  1 [Eintreffen des Notarztes] und MEES 2 [Übergabe in der Notaufnahme]) geben können. Dabei gilt: 5 Δ MEES ≥+2: Verbesserung des Patientenzustands 5 Δ MEES 0±1: Keine nachweisliche Veränderung 5 Δ MEES ≤−2: Verschlechterung des Patientenzustands Wie . Tab. 1.12 zeigt, ist die Erhebung dieses Scores eher zeitaufwendig als simpel. Eine Datenerhebung innerhalb des regelhaften Einsatzgeschehens ist schwierig, allerdings greifen viele rettungsdienstliche Dokumentationssysteme auf die Einzelparameter zurück und erlauben somit die Errechnung des MEES im Nachhinein. Der MEES kann keine prognostischen oder therapeutischen Vorhersagen treffen, er ist lediglich als Medium zur Qualitätssicherung und -steigerung konzipiert ­worden.

. Tab. 1.11  Revised Trauma Score (RTS) Parameter

Glasgow-Koma-Skala

Blutdruck systolisch

Atemfrequenz

RTS-Punktwert

Koeffizient

0,9368

0,7326

0,2908



13–15

>89

10–29

4

9–12

76–89

>29

3

6–8

50–75

6–9

2

4–5

1–49

1–5

1

3

0

0

0

Anmerkung: Aufgrund der recht umständlichen Berechnungen ist eine Erhebung am Notfallort kaum durchführbar oder nur mit erheblichem Zeitverlust zu vereinbaren

49 Organisation und Struktur

. Tab. 1.12  Mainz Emergency Evaluation Score (MEES) Parameter

Bewertung

Wertegrenzen Erwachsener

Wertegrenzen Kleinkind

GCS

4

15

15–13

3

14–12

12–11

2

11–8

10–8

1

≤7

≤8

4

60–100

≥110

3

50–59; 101–130

110–90

2

40–49; 131–160

89–60

Herzfrequenz

Atemfrequenz

Herzrhythmus

Schmerz

Blutdruck [mm/Hg]

SpO2 [%]

1

≤39; ≥160

≤60

4

12–18

Ungestörter Spontanatmung

3

8–11; 19–24

Nasenflügeln

2

5–7; 25–30

Einziehungen/Stridor

1

≤4; ≥31

Schnappatmung/Apnoe

4

Sinusrhythmus

3

SVES, VESmono

2

Arrhythmia absoluta, VESpoly

1

Ventrikuläre Tachykardie, Vorhofflimmern, Asystolie

4

Kein Schmerz

3

Leichter Schmerz

2

Starker Schmerz

1

Entfällt

4

120/80–140/90

Kräftiger Radialis- bzw Brachialispuls

3

100/70–119/79; 141/91–159/94

Gerade tastbarer Radialispuls

2

80/60–99/69; 160/95–229/119

Kräftiger Karotis- bzw. Femoralispuls

1

≤79/59; ≥ 230/120

Gerade tastbarer oder fehlender Karotis- oder Femoralispuls

4

100–96

3

95–91

2

90–86

1

≤85

1

50

1

S. Beckers

Literatur Bundesärztekammer, bundesweiter Überblick über Notarztqualifikation. 7 http://www.bundesaerzteka­ mmer.de/fileadmin/user_upload/downloads/ Bundesweiter_Ueberblick_ueber_die_Notarztqualifikation.pdf. Zugegriffen: 18. Juni 2018 Gorgaß B, Ahnefeld FW, Rossi R et al (2007) Das Rettungsdienst-Lehrbuch, 8. Aufl. Springer, Heidelberg Weiterführende Literatur BAND, DIVI, Bundesärztekammer (1988) BAND-Empfehlung und Empfehlungen der Bundesärztekammer und der DIVI zum Leitenden Notarzt. Deutsches Ärztebl 85:349 Brokmann JC, Czaplik M, Bergrath S et al (2014) Telemedizin - Perspektiven für die ländliche Notfallversorgung. Notf Rettungsmedizin 17:209–216 Brokmann JC, Felzen M, Beckers SK et al (2017) Telemedizin: Potenziale in der Notfallmedizin. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 52:107–117 Bundesärztekammer (1992) Stellungnahme zur Notkompetenz von Rettungsassistenten und zur Delegation ärztlicher Leistungen im Rettungsdienst. 7 http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/ user_upload/downloads/BAEK_Stellungnahme_ Rettungsassistenten.pdf. Zugegriffen: 18. Juni 2018 Bundesärztekammer, Indikationskatalog für den Notarzteinsatz, Handreichung für Telefondisponenten in Notdienstzentralen und Rettungsleitstellen, Stand: 22.02.2013 7 http://www.bundesaerztekammer.de/aerzte/versorgung/notfallmedizin/notarzt/. Zugegriffen: 18. Juni 2018 Bundesärztekammer, Empfehlung der Bundesärztekammer zum Ärztlichen Leiter Rettungsdienst, Stand: 26.03.2013. 7 http://www.bundes­ aerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/Empf_BAeK_Rettungsdienst_26052013.pdf. Zugegriffen: 18. Juni 2018 DGAI (2016) S1-Leitlinie Telemedizin in der prähospitalen Notfallmedizin: Strukturempfehlungen der DGAI. AWMF Registernummer 001–037. Anästh Intensivmed 57:2–8

DIN (2000) Rettungsdienst Normen 257, 2. Aufl. Beuth, Berlin DIN (2003) Rettungsdienstfahrzeuge und deren Ausrüstung – Krankenkraftwagen (enthält Änderung A1:2003); Deutsche Fassung EN 1789:1999 + A1:2003 German Resuscitation Council (2015) Weißbuch Reanimationsversorgung: Empfehlungen zu Struktur, Organisation, Ausbildung und Qualitätssicherung der Reanimationsversorgung in Deutschland. Deutscher Ärzte, Köln Gräsner JT, Fischer M (2005) AG-Reanimationregister der DGAI. Das DGAI-Reanimationsregister: Strukturierte Reanimationsdatenerfassung – Datensatz „Erstversorgung“. Anästhesiol Intensivmed 1:42–45 Gräsner JT, Messelken M, Scholz J, Fischer M (2006) Das Reanimationsregister der DGAI. Anästhesiol Intensivmed 10:630–631 Oberlandesgericht München (2006) Urteil vom 200604-06: Vorschriften: § 680 BGB, 2006-04-06, Aktenzeichen 1 U 4142/05 Weiterführende Internetadressen Arbeiter-Samariter-Bund. 7 www.asb-online.de Berufsverband für den Rettungsdienst. 7 www.bvrd.org Bundesarbeitskreis der Notärzte Deutschlands. 7 www. band-online.de Deutscher Beirat für Wiederbelebung – German Resuscitation Council. 7 www.grc-org.de Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. 7 www.dgai.de Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensivund Notfallmedizin. 7 www.divi.de Deutsche-Lebens-Rettungs-Gesellschaft. 7 www.dlrg.de Deutsches Rotes Kreuz. 7 www.rot-kreuz.de Johanniter-Unfall-Hilfe. 7 www.diejohanniter.de Malteser Hilfsdienst. 7 www.malteser.de Schweizer Luftrettungsdienst Verbände. 7 www.rega.ch Stelle zur trägerübergreifenden Qualitätssicherung im Rettungsdienst Baden-Württemberg. 7 https:// www.sqrbw.de/

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Hygiene und Arbeitsschutz S. Beckers 2.1 Hygiene – 52 2.1.1 Persönliche Hygiene des Rettungsdienstpersonals – 53 2.1.2 Standardhygienemaßnahmen im Umgang mit Patienten – 55 2.1.3 Nadelstichverletzungen – 56 2.1.4 Hygiene im Umgang mit Medizingeräten und Verbrauchsmaterial – 60 2.1.5 Hygiene der Rettungsmittel – 60

2.2 Impfungen – 60 2.3 Arbeitsschutz – 61 2.3.1 Persönliche Schutzausrüstung (PSA) – 61

2.4 Meldepflichtige Erkrankungen – 67 2.5 Infektionstransport – 68 Weiterführende Literatur – 72

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_2

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2.1  Hygiene

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Im Rettungsdienst werden unter dem Begriff „Hygiene“ alle Vorkehrungen und Maßnahmen zusammengefasst, die alle im Krankentransport und Rettungsdienst Tätigen sowie die zu betreuenden Patienten vor schädlichen und krankmachenden Einflüssen durch Mikroorganismen schützen sollen. Ziel der Maßnahmen muss generell sein, im Idealfall eine Übertragung von Krankheitserregern auf den Patienten, das beteiligte Personal sowie deren Kontaktpersonen wie z. B. Familienangehörige zu verhindern oder dies zu minimieren. Jeder Patient im Geltungsbereich des Rettungsdienstes kann erwarten, dass er durch einen Transport nicht einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt wird. Insbesondere gilt dies für infektionsgefährdete Patienten, z. B. im Rahmen einer Immunsuppression. Als Grundlage für die Hygiene im Rettungsdienst dienen Rechtsgrundlagen und Empfehlungen (7 Übersicht). Rechtsgrundlagen und Empfehlungen 5 Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert-KochInstituts 5 Empfehlungen des Arbeitskreises „Krankenhaushygiene“ der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) 5 Infektionsschutzgesetz (IfSG) 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) 5 Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) 5 Biostoffverordnung (BioStoffV) 5 Unfallverhütungsvorschriften „Grundsätze der Prävention“ (BGV A 1), „Gesundheitsdienst“ (BGV C 8) sowie dazugehörige BG-Regeln und technische Regeln, z. B. Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA 250) 5 Bestimmungen verschiedener Landesrettungsdienstgesetze

Diese Leitlinien, Richtlinien und Empfehlungen sind grundsätzlich nicht rechtsverbindlich. Es kann in begründeten Fällen von ihnen abgewichen werden. Jedoch kann sich eine Verbindlichkeit von Richtlinien aus einem Gesetz oder aus Verträgen ergeben. Verstöße gegen Hygienevorschriften können als Behandlungsfehler gewertet werden, wie Urteile der Vergangenheit zeigen, für die dann Rettungsdienstträger und ggf. behandelnde Ärzte Rechenschaft ablegen müssen. Analog gilt dies für erforderliche Organisationspflichten im Hygienebereich. Gleichwohl gibt es im Hinblick auf die Hygienemaßnahmen im Rettungsdienst einige Problemfelder. Problemfelder bei rettungsdienstlichen Hygienemaßnahmen 5 Patiententransport bei unerkannter infektiöser Gefährdung 5 Patiententransport bei bekanntem infektiösem Krankheitsbild 5 Schnellstmögliche Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft nach Transportbeendigung 5 Aufbewahrung und Pflege der rettungstechnischen, pflegerischen und medizinischen Ausstattung auf begrenztem Raum und unter schwierigen hygienischen Bedingungen 5 Spannungsfeld zwischen Priorisierung vitaler Funktionen gegenüber elementaren Grundregeln der Hygiene

z Allgemeine Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen

Für alle Mitarbeiter im Krankentransport und Rettungsdienst gilt, wie allgemein für medizinisches Personal, dass im Rahmen der Dispositionsprophylaxe alle Möglichkeiten der aktiven Immunisierung ausgeschöpft werden, um prinzipiell vermeidbare Infektionsrisiken

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auszuschalten (Aktuelle Empfehlungen nach STIKO, 7 Abschn. 2.2). Um den Anforderungen an Hygiene im Rettungsdienstalltag gerecht zu werden, sind folgende Ausstattungsmerkmale auf den Rettungsmitteln generell vorzuhalten: 5 Händedesinfektionsmittel, alkoholische Lösung (nach Möglichkeit über einen Wandspender) 5 Sterile und unsterile Einmalhandschuhe sowie robuste Arbeitshandschuhe (schnittund bissfest) 5 Augenschutzbrille und Gesichtsmaske, ggf. mit Schutzschild 5 Hilfsmittel bei Beatmung (z. B. für Mund-Gesichts-Maskenbeatmung) 5 Abwurfbehälter für verletzende Gegenstände (Kanülen, Skalpell, Ampullen etc.) 5 Papierhandtücher, Flächendesinfektionsmittel, saugfähiges Material (z. B. Zellstoff) 5 Infektionsschutzset: Einmalschutzkittel, Einmalhandschuhe, Mund-Nasen-Schutz, Haarschutz Weiterhin ist es hilfreich, auch folgende Materialien jederzeit im Notfallkoffer bereitzuhalten: 5 Händedesinfektionsmittel, alkoholische Lösung, ggf. einzeln verpackte Händedesinfektionstücher 5 Sterile und unsterile Einmalhandschuhe 5 Augenschutzbrille und Gesichtsmaske, ggf. mit Schutzschild 5 Abwurfbehälter für verletzende Gegenstände (Kanülen, Skalpell, Ampullen etc.) 2.1.1  Persönliche Hygiene des

Rettungsdienstpersonals

Unter persönlicher Hygiene werden alle Maßnahmen zusammengefasst, die dem Schutz der eigenen Person dienen sowie im Rahmen der allgemeinen Körperpflege und täglichen Hygiene außerhalb des Arbeitsbereichs vorausgesetzt werden. Hierfür gilt es, folgende Maßnahmen generell oder situationsbedingt zu berücksichtigen:

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5 Tägliches Waschen oder Duschen 5 Mehrmalige Haarwäsche und Haarpflege pro Woche 5 Regelmäßige Pflege der Hände (z. B. durch spezielle Handpflegemittel), um eine erhöhte Übertragungsgefahr durch Risse zu verhindern 5 Fingernägel kurz und rund schneiden und nicht lackieren 5 Kein Tragen von Schmuck (auch Armbanduhren) und Fingerringe wegen Verletzungsgefahr und drohender Keimübertragung Für die tägliche Arbeit sind folgende Maßnahmen unerlässlich, wobei auf die entsprechende Einhaltung im Sinne einer gegenseitigen kollegialen Fürsorgepflicht geachtet werden sollte: 5 Obligates Tragen von Berufs- bzw. Schutzkleidung (7 Abschn. 2.3.1) 5 Regelmäßiger Wechsel der Dienstkleidung bzw. nach jeder Kontamination im Sinne einer sichtbaren Verunreinigung 5 Schuhe müssen den Sicherheitsvorschriften der UVV entsprechen und sollen leicht zu reinigen und an ihrer Oberfläche zu desinfizieren sein 5 Bei Tätigkeiten, bei denen eine Kontamination möglich ist, d. h. bei jedem Patientenkontakt, sind zum Eigenschutz Einmalhandschuhe zu tragen 5 Regelmäßige Anwendung der hygienischen Händedesinfektion 5 Verwendung flüssigkeitsdichter Schutzbezüge für Tragen, Vakuummatratzen etc. 5 Desinfektion der Standardgeräte Staubinde, Blutdruckmanschette sowie Stethoskop 5 Verwendung von Einmalartikeln 5 Regelmäßige Fahrzeugreinigung z Hygienische Händedesinfektion > Die hygienische Händedesinfektion

dient sowohl dem Schutz des Patienten als auch dem Eigenschutz und ist die wichtigste Maßnahme, um eine Übertragung von Infektionserregern zu verhindern.

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Die hygienische Händedesinfektion bewirkt, dass die sog. transiente Hautflora (= nicht hauteigene Flora, vorübergehende Besiedelung mit z. B. pathogenen Keimen) gezielt reduziert wird. So können sich Patienten und Helfer sicher vor einer Übertragung von Infektionserregern über die Hände schützen. Vorgehen bei der hygienischen Händedesinfektion 5 Alkoholisches Händedesinfektionsmittel (ca. 3 ml = 2–3 Hübe aus Wandspender, entspricht einer Hohlhand voll) in die komplett trockene und seifenfreie Hohlhand geben. Einwirkzeit von mindestens 60 s einhalten (Herstellerangaben einhalten!) 1. Verteilen des Desinfektionsmittels auf beiden Handflächen 2. Rechte Handfläche über linken Handrücken mit gespreizten Fingern reiben, dann umgekehrt 3. Handinnenflächen aufeinander legen und mit verschränkten, gespreizten Fingern verreiben 4. Handinnenflächen aufeinander legen, Finger miteinander verschränken und Fingerendglieder aneinander reiben 5. Umgreifen und kreisendes Reiben des Daumen mit der jeweils anderen Hand 6. Aneinanderlegen der Fingerkuppen und kreisendes Reiben hin und her in der jeweils anderen Hohlhand 5 Wiederholung der Schritte 1–6 insgesamt 5-mal, solange bis die Einwirkzeit erreicht ist. Diesbezüglich unbedingt Herstellerangaben beachten!

Eine ordnungsgemäße Händedesinfektion und anschließende Waschung ist zu folgenden Zeiten erforderlich:

5 Vor Arbeitsbeginn und nach Arbeitsende 5 Nach jedem WC-Besuch 5 Vor invasiven Eingriffen (z. B. Legen eines i.v.-Zugangs, Blasenkatheters, Thoraxdrainage). Beachte: Gilt auch dann, wenn beim Eingriff an sich sterile Handschuhe getragen werden müssen! 5 Vor Kontakt mit immunschwachen oder immunsupprimierten Patienten (z. B. bei Leukämie, Bestrahlungs- oder Intensivpatienten o. ä.) 5 Vor dem Betreten von Intensiv-, Infektionsoder Isolierstationen sowie OP-Bereichen 5 Vor und nach jeder pflegerischen ­Versorgung 5 Vor und nach jedem Anlegen eines Verbands 5 Vor und nach Kontakt mit Eintrittsstellen von Kathetern, Drainagen o. Ä. 5 Nach Schmutzarbeiten bzw. nach Kontakt mit Blut, Urin, Stuhl, Schleim etc. 5 Nach Kontakt mit Patienten, die als potenziell infektiös gelten 5 Nach Kontakt mit kontaminierten Flächen oder Gegenständen (z. B. Beatmungszubehör, Steckbecken, Arbeitsflächen) z Waschen der Hände

Das Waschen der Hände ist generell indiziert 5 Vor Arbeitsbeginn und nach Arbeitsende 5 Nach längeren Pausen 5 Bei sichtbarer Verschmutzung ohne bestehende Infektionsgefahr Im Falle einer sichtbaren Verschmutzung mit potenziell möglicher Infektionsgefahr sollte erst eine hygienische Händedesinfektion (s. oben) erfolgen, dann die Handwaschung (unbedingt Hände abtrocknen!) und ggf. eine erneute Desinfektion durchgeführt werden. Wenn möglich sollten die Hände jeweils zur Vorbereitung einer hygienischen Händedesinfektion mit Flüssigseifen gewaschen werden. Zum Abtrocknen dürfen ausschließlich Einmalhandtücher verwendet werden. Allerdings kann durch zu häufiges Händewaschen die Haut sehr trocken und spröde werden. Auch Hautrisse können auftreten.

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z Pflege der Hände

Die Pflege der Hände sollte als selbstverständlich gelten, sodass auf eine regelmäßige und bedarfsgerechte Pflege, z. B. vor längeren Pausen und nach Arbeitsende, unter Verwendung von entsprechenden Pflegeprodukten zu achten ist. > Kleinste Hautrisse sind Reservoire für

Infektionserreger und somit potenzielle Infektionsquellen! Adäquate Hautpflege ist daher unerlässlich und beugt Hautschäden und Infektionen vor!

Neben dem konsequenten Tragen von Schutzhandschuhen beim Umgang mit Patienten bietet die Erhaltung einer intakten und gesunden Haut einen optimalen Infektionsschutz. Um dies zu erreichen, sollten regelmäßig Hautschutz- und Pflegeprodukte angewendet werden. Weitere Empfehlungen: 5 Hautpflegemittel aus Tube oder Spender entnehmen und wegen erhöhter Kontaminationsgefahr nicht aus Dosen oder Salbentöpfen. 5 Schutzhandschuhe nur auf trockener Haut tragen. 5 Alkoholische Händedesinfektion nur auf trockener Haut anwenden. 5 Vermischung von Desinfektionsmittel und Seife vermeiden. Die entsprechenden Maßnahmen und zur Verfügung stehenden Pflegemittel müssen in jeder Rettungswache, d. h. an jedem Handwaschplatz, in einem Hautpflegeplan zusammengestellt sein. Ratschläge für die persönliche Hygiene 5 Während der Händedesinfektion das Desinfektionsmittel nicht auf die nassen Hände geben! 5 Sichtbare Verschmutzungen der Hände sind durch Waschen zu entfernen (Wasser nicht zu warm, Seifenreste komplett abspülen, Haut sorgfältig trocknen)

5 Mindesteinwirkzeit von 30 s reicht nicht aus, um einige Erreger (z. B. Pseudomonas, unbehüllte Viren) auszuschalten! 5 An Händen und Unterarmen dürfen keine Schmuckstücke (z. B. Eheringe) und Uhren getragen werden. Sie behindern die hygienische Händedesinfektion, weil Handgelenke ebenfalls desinfiziert werden müssen. Außerdem können sie bei der Versorgung von Patienten zu Verletzungen führen! 5 Nagellack, lange sowie künstliche Fingernägel beeinträchtigen die Wirkung der Händedesinfektion und sind nach TRBA 250 verboten!

2.1.2  Standardhygienemaßnahmen

im Umgang mit Patienten

Hierunter versteht man alle Maßnahmen der Infektionskontrolle, die im Umgang mit allen Patienten berücksichtigt werden sollen. Dies geschieht unabhängig davon, ob tatsächlich eine Infektion vorliegt bzw. bekannt ist oder nicht. Diese Hygienemaßnahmen bieten zudem bei den meisten Infektionen einen ausreichenden Schutz: 5 Händehygiene, Händewaschen/Händedesinfektion nach Kontamination bzw. vor Tätigkeiten, bei denen der Patient vor Kontamination zu schützen ist (z. B. invasiven Maßnahmen) 5 Tragen von Einmalhandschuhen bei jedem Patientenkontakt sowie bei Kontakt mit Sekreten, Exkreten, Blut, Stuhl etc. 5 Verwendung von Schutzkleidung zusätzlich zur Arbeitskleidung, wenn eine Kontamination mit potenziell infektiösem Material möglich ist 5 Schutz der Schleimhäute (Mund-/Nasenschutz ggf. Augenschutz), um Kontakt mit potenziell infektiösem Material (z. B. Blut, respiratorisches Sekret etc.) zu vermeiden

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5 Reinigung sowie Desinfektion und ggf. Sterilisation von Instrumenten und Gegenständen der Patientenversorgung (z. B. Blutdruckmanschette, Staubinde etc.) 5 Gezielte Flächendesinfektion (im Wischverfahren) nach Kontamination sowie bei ausgedehnter Kontamination des gesamten Rettungsmittels 5 Entsorgung potenziell verletzender Gegenstände unmittelbar nach Gebrauch in Sicherheitsabwurfbehälter

5 Unzureichende Entsorgung gebrauchter Kanülen oder Instrumente 5 Manuelles Entfernen der Kanüle von einer Spritze 5 Fremdverschulden (z. B. durch Bewegung der Patienten oder Fahrzeugbewegung)

> Wichtig

z Exposition mit potenziell HIV-haltigem Material

Folgende Überlegungen zu Hygienemaßnahmen sind besonders hervorzuheben und in den jeweiligen Situationen zu berücksichtigen: 5 Korrekte Hautdesinfektion vor Injektionen oder Anlage von i.v.-Zugängen 5 Sterile Hautabdeckung vor invasiven Eingriffen (z. B. Bülau-Drainage) mit Klebefolien 5 Steriles Abwaschen vor der Anlage von Harnblasenkathetern 5 Sterile Abdeckung von Verbrennungen, offenen Frakturen oder anderen Wunden 5 Verwendung steriler Handschuhe und Mund-Nasen-Schutz bei Patienten mit bekannter Immunschwäche oder bei Immunsuppression

2.1.3  Nadelstichverletzungen

Um Arbeitsunfällen vorzubeugen, ist die Entsorgung potenziell verletzender Gebrauchsgegenstände unmittelbar nach Verwendung in dafür vorgesehene Sicherheitsabwurfbehälter sehr wichtig. Folgende Umstände oder Verhaltensweisen sind im rettungsdienstlichen Alltag zudem als äußerst riskant einzustufen: 5 Mangelhafte oder überfüllte Entsorgungsbehälter

> Die häufigsten Arbeitsunfälle im

medizinischen Bereich sind Nadelstichverletzungen, vor allen Dingen durch Zurückstecken einer Kanüle in die Hülle, dem sog. „recapping“.

Im Falle einer Nadelstichverletzung bei unklarem Infektionsstatus des Patienten, insbesondere nach HIV-Exposition, empfiehlt die Deutsch-Österreichische Leitlinie zur Postexpositionellen Prophylaxe der HIV-Infektion, sog. HIV-Postexpositionsprophylaxe (HIV-PEP) folgende Sofortmaßnahmen unverzüglich (in Sekunden) in der nachfolgenden Reihenfolge durchzuführen (. Abb. 2.1) 5 Stich-/Schnittverletzung 5 Spontanen Blutfluss nicht sofort unterbinden, da potenziell infektiöses Material dadurch ausgespült wird. Sonstige Manipulationen an der Wunde nach Möglichkeit vermeiden, insbesondere Quetschen und Ausdrücken direkt im Einstichbereich, um keine Erregerverschleppung in tiefere Gewebsschichten zu begünstigen 5 Nach der spontanen oder induzierten Blutung ggf. Stichkanal bzw. Schnittverletzung spreizen und Spülung mit Wasser/Seife oder Antiseptikum (z. B. Betaseptic oder anderes Händedesinfektionsmittel oder Hautantiseptikum auf Basis von Ethanol) durchführen 5 Kontamination von Auge oder Mundhöhle 5 Spülung mit nächst erreichbarer geeigneter Flüssigkeit, d. h. in der Regel Leitungswasser oder Ringer- bzw. Kochsalzlösung

57 Hygiene und Arbeitsschutz

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. Abb. 2.1  Abb. aus Deutsch-Österreichische Leitlinie zur Postexpositionellen Prophylaxe der HIV-Infektion

5 Hautexposition (geschädigte oder entzündlich veränderte Haut) 5 Gründliches Waschen mit Wasser und Seife 5 Danach, falls verfügbar, Abreiben der Hautoberfläche mit großzügiger Einbeziehung des Umfelds um das kontaminierte Areal mit einem mit Hautantiseptikum satt getränkten ­Tupfer 5 Im Anschluss an die dargestellten ­Sofortmaßnahmen legt der D-Arzt das weitere Prozedere bzgl. Schutzimpfung (Tetanus- und HBV-Impfschutz, ggf. weitere), HIV-PEP und serologischer Untersuchungen (AK gegen HIV und HCV,

ggf. weitere) im Einverständnis mit dem Betroffenen fest. Gemäß aktueller Leitlinie wird das durchschnittliche Risiko einer HIV-Infektion nach perkutaner Exposition mit Blut von HIV-Infizierten (mit messbarer Viruslast) auf etwa 0,3 % geschätzt; d. h. im Mittel führt eine von 330 Expositionen zu einer HIV-Infektion. Ein gegenüber dem durchschnittlichen Risiko erhöhtes Infektionsrisiko ergibt sich aus der Art der Verletzung bzw. der Expositionsart gemäß der in . Tab. 2.1 genannten Faktoren. Dahingegen liegt das durchschnittliche Infektionsrisiko bei Schleimhautexposition

. Tab. 2.1  Risiko für eine HIV-Übertragung nach Art der Exposition (dargestellt im Verhältnis zum Durchschnitt) Art der HIV Exposition

Expositionsrisiko in Relation zum mittleren Risiko

Tiefe Stich- oder Schnittverletzungen

16:1

Sichtbare, frische Blutspuren auf dem verletzenden Instrument

5:1

Verletzende Kanüle oder Nadel war zuvor in einer Vene oder Arterie platziert

5:1

Indexperson hat hohe Viruslast (akute HIV-Infektion, AIDS ohne ART)

6:1

Exposition von Schleimhaut

1:10

Exposition von entzündlich veränderten Hautpartien

1:10

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sowie bei Exposition entzündlich veränderter Hautpartien bei 0,03 % (im Mittel führt eine von 3300 Expositionen zu einer HIV-Infektion). In allen genannten Situationen müssen die individuellen Rahmenbedingungen im Hinblick auf die infektiöse Blutmenge, die Viruskonzentration und die Expositionsdauer berücksichtigt werden. Eine spezielle HIV-PEP sollte frühestmöglich in die Wege geleitet werden, d. h. gemäß den Empfehlungen des RKI innerhalb von 24 h nach Exposition; innerhalb von 2 h nach Exposition ist mit den besten Ergebnissen zu rechnen. Nach einem Zeitraum von mehr als 72 h wird die Durchführung einer HIV-PEP nicht mehr empfohlen. Aufgrund des zeitlich sehr eingeschränkten Behandlungskorridors ist es vonseiten jeder Ärztlichen Leitung Rettungsdienst sinnvoll, eine für diesen Fall ausgearbeitete Handlungsanweisung mit Angabe der Indikationen, praktischer Vorgehensweise für die medikamentöse PEP sowie jederzeit erreichbare Ansprechpartner zu erstellen und allgemein zugänglich zu hinterlegen. Weiterhin sollte wegen der zeitkritischen Komponente eine zentrale

Vorhaltung – abhängig von der Struktur des Rettungsdienstes, z. B. Rettungswache, Notaufnahme etc. – aktuell empfohlener Medikamente organisiert sein sowie eine regelmäßige Schulung aller Rettungsdienstmitarbeiter zu diesem Themenkomplex stattfinden. Zudem wird bereits häufig im Rettungsdienst ein „Nadelstich-Sofortmaßnahmen-Set“ als Ergänzung der RTW-Ausstattung vorgehalten, damit umgehend erforderliche Maßnahmen wie etwa Augen- oder Mundspülung, Erweitern des Stichkanals etc. durchgeführt werden können. Inhalt des „Nadelstich-­ Sofortmaßnahmen-Set“: 5 Zusammenfassung der Empfehlungen gemäß RKI und Darstellung der lokalen Vorgehensweise 5 50-ml-Spritze 5 Einmalskalpell 5 (Mess)becher 5 Ethanol- und jodhaltiges Desinfektionsmittel 5 Wasser zur Verdünnung Einen Überblick über die Indikationen zur HIV-PEP bei beruflicher HIV-Exposition gemäß RKI gibt . Abb. 2.2.

. Abb. 2.2  Indikation zur HIV-PEP bei beruflicher HIV-Exposition (Indexperson HIV-positiv) gemäß RKI

59 Hygiene und Arbeitsschutz

z Hepatitis-B-Immunprophylaxe bei Exposition mit HBV-haltigem Material

Als HBV-haltig wird HBsAg-positives Material bezeichnet bzw. wahrscheinlich kontaminiertes Material, bei dem eine Testung nicht möglich ist, z. B. eine mit Blut kontaminierte Punktionskanüle im Abwurfbehälter. Für geimpfte Personen wird folgendes, angepasstes Vorgehen empfohlen: 5 Keine Maßnahmen erforderlich bei 5 Nicht länger als 5 Jahre zurückliegender Impfung und einem Anti-HBs von ≥100 IE/l nach Grundimmunisierung bei der exponierten Person 5 Einem Anti-HBs-Wert ≥100 IE/l innerhalb der letzten 12 Monate unabhängig vom Zeitpunkt der ­Grundimmunisierung 5 Umgehende Verabreichung von HepatitisB-Impfstoff (ohne weitere Maßnahmen) bei 5 Einer bereits 5–10 Jahre zurückliegenden Impfung 5 Auch wenn der initiale AntiHBs ≥100 IE/l nach Grundimmunisierung war 5 Umgehende Testung der exponierten ­Person („Empfänger“) bei 5 Nicht bzw. nicht vollständig geimpftem Empfänger 5 „Low respondern“, d. h. Personen mit einem Anti-HBs  Die Weiterverbreitung von MRSA wird

hauptsächlich durch Missachtung von Standardhygienemaßnahmen, z. B. nicht

ausreichende hygienische Händedesinfektion, verursacht!

Da es gerade an dieser Schnittstelle oft zu großen Irritationen über die beim Transport von MRE-Patienten erforderlichen Maßnahmen kommt, hier einige Anmerkungen: 5 Rettungsdienstpersonal ist beim Transport von MRE-besiedelten Patienten nicht stärker infektionsgefährdet als beim Transport anderer Patienten, solange die Standardhygiene- und -vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden 5 Ein spezielles Einsatzfahrzeug für Infektionstransporte sowie die Verwendung eines sog. Vollschutzanzuges ist nicht erforderlich 5 Rettungsdienstpersonal und Zieleinrichtung sind über die MRE-Besiedelung zu informieren 5 Übertragung ist über Hautkontakt und aerogen möglich 5 Etwaige Wunden sollten vor dem Transport frisch verbunden und abgedeckt werden 5 Bei Besiedlung der Atemwege trägt der Patient einen Mund-Nasen-Schutz 5 Wenn möglich sollte der Patient vor Transportbeginn eine hygienische Händedesinfektion durchführen 5 Das Tragen von Einmalhandschuhen und eines zusätzlichen Schutzkittels zur Verhinderung einer Kontamination der Arbeitskleidung bei allen Versorgungsmaßnahmen ist ausreichend 5 Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ist im Krankentransport und Rettungsdienst sinnvoll, da hier auf engstem Raum gearbeitet wird: In jedem Fall ist dieser bei endotrachealem Absaugen oder notwendigem Verbandswechsel zu tragen, um eine aerogene Übertragung zu vermeiden 5 Nach Transportbeendigung ist eine hygienische Händedesinfektion durchzuführen 5 Desinfektionsmaßnahmen nach dem Transport können grundsätzlich mit einem Desinfektionsmittel zur „laufenden Desinfektion“ laut Hygieneplan in Form einer Scheuer-Wisch-Desinfektion durchgeführt werden

Orale Aufnahme des Erregers, kein Risiko ohne Stuhlkontakt!

Kein Risiko für gesundes Personal Kein Risiko durch infizierte Wunde ohne Wundkontakt

Respiratorisches Sekret

Aerosole

Stuhl

Kolonisation mit multiresistenten Keimen

Meningokokken-Meningitis, Diphtherie, Scharlach, Windpocken, Masern, Röteln

Offene Lungentuberkulose

Gastro-/Enteritis durch Salmonellen, Shigellen, Hepatitis A und E, Norwalk-like-Virus

Multiresistente Erreger/MRE wie z. B. methicillinresistente S. aureus/ MRSA, vancomycinresistente Enterokokken/VRE, multiresistente gramnegative Bakterien/MRGN

Abhängig vom Ausmaß des Aerosolkontakts, kein Risiko bei geschlossener Beatmung!

Naher Kontakt notwendig (Tröpfchen/ und Schleimhautkontakt)

Parenteraler Kontakt (Verletzung)

Blut bzw. Körperflüssigkeiten

Hepatitis B und C, HIV

Übertragungsweg

Infektiosität durch

Mögliche Erkrankung/Erreger

. Tab. 2.6  Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen bezogen auf Herkunft des infektiösen Materials

–Standardhygiene- und Vorsichtsmaßnahmen –Bei nasaler Besiedelung Gesichtsmaske für den Patienten!

–Standardhygiene- und Vorsichtsmaßnahmen –Schutz vor direktem und indirektem Kontakt mit infektiösem Material wie Stuhl, ggf. Erbrochenes

–Standardhygiene- und Vorsichtsmaßnahmen –Schutz vor Inhalation infektiöser Aerosole –TB-Maske für Patienten ggf. für Personal

–Standardhygiene- und Vorsichtsmaßnahmen –Schutz vor direktem/indirektem Kontakt mit infektiösem Material (z. B. Schleim und Sekret der oberen Atemwege) –Mund-Nasen-Schutz für Patienten und Personal

–Standardhygiene- und Vorsichtsmaßnahmen –Schutz vor parenteralem Kontakt mit infektiösem Material (z. B. blutkontaminierte Gegenstände)

Schutzmaßnahmen

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Weiterführende Literatur

2

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Robert-Koch-Institut (2000) Epidemiologisches Bulletin, 1/2000. 7 https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/ EpidBull/Archiv/2000/Ausgabenlinks/01_00.pdf?__ blob = publicationFile. Zugegriffen: 11. März 2019 Robert-Koch-Institut (2013) Deutsch-Österreichische Leitlinien zur Postexpositionellen Prophylaxe der HIV-Infektion. (HIV-PEP). 7 https://www.awmf. org/uploads/tx_szleitlinien/055-004l_S2k_Postexpositionelle_Prophylaxe_PEP_nach_HIV_ Infektion_2013-05-abgelaufen.pdf. Zugegriffen: 11. März 2019 Robert-Koch-Institut (2017a) Epidemiologisches Bulletin, 41/2017. 7 https://www.rki.de/DE/Content/ Infekt/EpidBull/Archiv/2017/Ausgaben/41_17.pdf?__ blob = publicationFile. Zugegriffen: 11. März 2019 Robert-Koch-Institut (2017b) Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) 7 https://www.rki. de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Empfehlungen/Aktuelles/Impfkalender.pdf?__blob = publicationFile. Zugegriffen: 11. März 2019 Robert-Koch-Institut (2018) Epidemiologisches Bulletin, 5/2018. 7 https://www.rki.de/DE/Content/ Infekt/EpidBull/Archiv/2018/Ausgaben/05_18. pdf?__blob = publicationFile. Zugegriffen: 11. März 2019 Schnelle R (2006) Nadelstich-Sofortmaßnahmen-Set: Eine Ergänzung der RTW-Ausstattung. Rettungsdienst 29:113 Weiterführende Internetadressen Arbeitskreis „Krankenhaus- & Praxishygiene“ der AWMF. 7 http://www.AWMF-online.de Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, gesetzliche Unfallversicherung für nichtstaatliche Einrichtungen im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). 7 http://www.baua.de Informationen über MRSA. 7 http://www.mrsa-net.org Robert-Koch-Institut. 7 http://www.rki.de 7 http://www.bgw-online.de 7 http://www.desinfektor.net 7 http://www.unfallkassen.de 7 http://www.nadelstichverletzung.de

73

Diagnostik und Überwachung J. C. Brokmann 3.1 Untersuchung von Notfallpatienten – 74 3.2 EKG, 12-Kanal – 74 3.2.1 Indikationen zum EKG-Monitoring – 74 3.2.2 Ableitungen – 75 3.2.3  Was wird abgeleitet? – 76 3.2.4 Lesen des EKG – 77

3.3 Defibrillator – 77 3.3.1 Kardioversion – 78 3.3.2 Defibrillation bei AICD und implantierten Herzschrittmachern – 79 3.3.3 Externer Schrittmacher – 79

3.4 Blutdruckmessung – 79 3.5 Pulsoxymetrie – 80 3.6 Kapnometrie/Kapnographie – 81 3.7 Sonographie – 82 3.8 Spritzenpumpen – 82 3.9 Medizinproduktegesetz – 83 Literatur – 83

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_3

3

74

J. C. Brokmann

3.1  Untersuchung von

Notfallpatienten

3

Die Notfallmedizin wird durch Kollegen unterschiedlicher Fachgebiete sichergestellt. Dennoch ist in der Notfallmedizin nicht der Spezialist sondern der „Allrounder“ und „Generalist“ gefragt. Somit muss dieser auch die unterschiedlichen Untersuchungstechniken anderer Fachgebiete kennen und sicher beherrschen. Die Erhebung einer Anamnese erfordert neben individueller Anpassung an den Patienten ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit für die Notfallsituation. Neben der Eigensicherung muss der Notarzt auf die Umgebung, die äußeren Umstände und jedes Detail achten, welches ihm seitens des Patienten geboten wird. > Ziel der Erstuntersuchung ist,

lebensbedrohliche Zustände zu erkennen und unverzüglich eine adäquate Therapie einzuleiten.

Ist der Patient auskunftsfähig, werden persönliche Daten erfragt und noch folgende wichtige Punkte: 5 Aktuelle Beschwerden, Grund der Alarmierung 5 Beginn der Beschwerden 5 Verlauf (Dauer, freies Intervall, Dynamik mit Zunahme der Beschwerden) 5 Sind diese Art von Beschwerden bekannt oder erstmalig 5 Bisherige Maßnahmen 5 Vorerkrankungen 5 Aktuelle Medikation 5 Allergien 5 Unverträglichkeiten 5 Impfungen 5 Kinderkrankheiten 5 Fernreisen 5 Letzter Aufenthalt beim Hausarzt oder im Krankenhaus Der Verlauf der Befragung ist individuell. Dennoch sollte, falls möglich, auf eine vollständige Befragung geachtet werden.

> Der Arzt ist auch verantwortlich für das,

was der Patient verschweigt; er hätte danach fragen müssen. (Hippokrates)

In die Anamneseerhebung fallen viele Faktoren, die der Notarzt berücksichtigen muss, um in Kürze ein ungestörtes Arzt-Patienten-Verhältnis aufbauen zu können: 5 Begrüßung 5 Vorstellung 5 Menschliche Beziehung 5 Sachliche Beziehung 5 Äußere Umgebung 5 Technik der Befragung 5 Ablauf der Befragung 5 Formulierung von Fragen 5 Frage nach Hauptbeschwerden 5 Bewertung der Antworten 5 Interpretation der Angaben > Die Interpretation der Angaben ergibt

eine erste Arbeitshypothese und eine Verdachtsdiagnose, die dann durch eine körperliche Untersuchung bestätigt werden kann.

3.2  EKG, 12-Kanal 3.2.1  Indikationen zum

EKG-Monitoring

Im Rettungsdienst ist das Anlegen eines EKG und dessen Diagnostik der Bestandteil eines fast jeden Einsatzes. Die Indikationen der EKG-Diagnostik im Rettungsdienst sind: 5 Erkennen von Herzfrequenz, Herzrhythmus 5 Erkennen von Herzrhythmusstörungen 5 Herzinfarktdiagnostik 5 Ursachenerkennung bei Herz-Kreislauf-Stillstand Die meisten Geräte haben eine 3-Pol-Ableitung (I-, II-, und III-Ableitung). Die 4-Pol-Ableitung mit einer schwarzen Neutralableitung ist ebenfalls verbreitet.

75 Diagnostik und Überwachung

Des Weiteren verfügen moderne Geräte gleichzeitig über eine digitalisierte Rhythmusanalyse. > Grundsätzlich gilt: Behandle den

Patienten, nicht den Monitor!

3.2.2  Ableitungen

Die EKG-Ableitungen sind zweidimensionale Darstellungen von dreidimensional verlaufenden elektrischen Aktivitäten im Herzmuskel. Die Elektrodenpositionierung der modifizierten Extremitätenableitungen am Patienten ist wie folgt:

ableitungen auch an den distalen Extremitäten abgeleitet. Diese Methode ist im Rettungsdienst nicht verbreitet. Deshalb werden die Elektroden körperstammnah angebracht. Hierbei spricht man von der modifizierten Extremitätenableitung (. Abb. 3.1). Beide Faktoren können die Diagnostik erheblich beeinflussen. Je näher die Elektroden am Körper angebracht werden, desto mehr ist auf eine Veränderung der Herzachse und der Amplitudenhöhe zu achten, und je näher am Herz, desto größer ist die Amplitude. Die einzelnen Ableitungen werden nach einem festgelegten Muster abgeleitet:

Rote Elektrode:

Rechte Schulter

Ableitungen nach Einthoven:

Gelbe Elektrode:

Linke Schulter

Ableitung I:

Rot und gelb

Grüne Elektrode:

Linke Flanke (Verlängerung linkes Bein)

Ableitung II:

Rot und grün

Schwarze Elektrode:

Rechte Flanke (Verlängerung rechtes Bein)

Ableitung III:

Gelb und grün

Ableitungen nach Goldberger:

Nicht zu Unrecht werden die Ableitungen I, II und III als Extremitätenableitungen benannt. Klassischerweise werden die Extremitäten-

3

Ableitung aVL:

Gelb und rot/grün

Ableitung aVF:

Grün und rot/gelb

Ableitung aVR:

Rot und grün/gelb

. Abb. 3.1  Extremitätenableitungen am Patienten und am Modell. (Aus: Gorgaß et al. (2007) Das Rettungsdienst-Lehrbuch. 8. Aufl., Springer, Berlin Heidelberg)

76

J. C. Brokmann

> Elektroden sollten, wenn möglich, über

knöchernen Gebieten (z. B. Akromion) angebracht werden, um Artefakte wie Muskelzittern zu verringern.

3

Brustwandableitungen ermöglichen die dreidimensionale Interpretation der elektrischen Aktivität im Herzmuskel (. Tab. 3.1, . Abb. 3.2).

V1

4. Interkostalraum parasternal rechts

(Rot)

V2

4. Interkostalraum parasternal links

(Gelb)

V3

Zwischen V2 und V4

(Grün)

V4

5. Interkostalraum medioklavikular links

(Braun)

V5

Zwischen V4 und V6

(Schwarz)

V6

5. Interkostalraum mittlere Axilarlinie links

(Violett)

Eine weitere Möglichkeit ist die Verwendung einer Paddle-Ableitung (Schnellableitung) durch zwei selbstklebende Elektroden oder die

Defibrillatorelektroden. Diese können sowohl für eine grobe Notfalldiagnostik als auch für eine Schockabgabe benutzt werden und sind bei einer Reanimationssituation die Methode der 1. Wahl. Positionierung: 5 Unter dem rechten Schlüsselbein und an der linken unteren Brustwand 5 Alternative bei rechtspektoralem Schrittmacher oder linksseitigem Brustwandtrauma: Anterior-posterior Ableitung 3.2.3  Was wird abgeleitet?

Zellen des Herzreizleitungssystems sind polarisiert geladen. Eine Verschiebung der Natriumund Kalziumionen führt zu einer Veränderung der normalen Spannungsdifferenz von ca. 90 mV, die zwischen dem Intra- und Extrazellulärraum besteht. Durch diese Depolarisation entstehen elektrische Signale, die über das Reizleitungssystem weitergeleitet werden und die Kontraktion der Herzmuskelzellen entstehen lassen (. Tab. 3.2).

. Tab. 3.1 EKG-Anatomie Ableitung

Arterielle Versorgung

Bereich

Herzwand

(V3), V4, V5, (V6)

A. coronaria sinistra R. interventricularis anterior

Spitze, anteroapikal

Vorderwand

(V1), V2, V3

A. coronaria sinistra R. interventricularis anterior

Septum, anteroseptal, supraapikal

Vorderwand

(V4), V5, V6, I, (II), (III), aVL

A. coronaria sinistra R. circumflexus

Lateral

Seitenwand

V4, V5, (V6), (II), (III), (aVF)

A. coronaria dextra A. coronaria sinistra R. circumflexus

Inferolateral

Hinterwand

II, III, aVF, (V3), (V4)

A. coronaria dextra R. interventricularis posterior

Posterioinferor diaphragmal

Hinterwand

(III), aVF, Spiegelverkehrt: V1–V3

A. coronaria sinistra R. circumflexus

Posterior posterobasal

Hinterwand

V4, V5, V6 II, III, aVF

A. coronaria sinistra R. circumflexus

Posterolateral

Hinterwand

77 Diagnostik und Überwachung

3

. Abb. 3.2 Brustwandableitungen. a Elektrodenanlegepunkte und Vektorrichtungen; b Projektion der Extremitätenableitungen auf die Frontalebene des Körpers. (Aus: Gorgaß et al. (2007) Das Rettungsdienst-Lehrbuch. 8. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg)

. Tab. 3.2 EKG-Normgrößen EKG-Abschnitt

Dauer (in s)

Amplitude (in mV)

P-Welle

0,05–0,10

0,1–0,3

PQ-Zeit

0,12–0,2

Q-Zacke

Zur Unterscheidung werden jetzt auch

Geräte von der Industrie angeboten, die sowohl COHb als auch MetHb durch eine erweiterte Messmethodik bestimmen können.

Die Sensoren werden am besten an Mittel- oder Ringfinger, Zehen, Ohrläppchen oder an der Nase angebracht. Das je nach Gerätetyp ebenfalls dargestellte Plethysmogramm gibt eine orientierende hämodynamische Überwachung wieder. z O2-Bindungskurve

Die O2-Bindungskurve hat einen S-förmigen Verlauf. Dies bedeutet, dass bei einem stark abfallenden O2-Angebot das Pulsoxymeter noch Werte oberhalb 95 % anzeigt. Anschließend kommt es zu einem steilen und schnell erfolgenden Abfall, sodass bei einem SpO2Wert von 90 % der pO2 bereits unterhalb der Norm (60 mmHg) liegt. > Die Pulsoxymetrie gibt wesentlich früher

Hinweise auf einen O2-Mangel als die Hautfarbe im Sinne einer Zyanose.

3.6  Kapnometrie/Kapnographie

Die Messung des CO2-Gehalts (Kapnometrie) in der Ausatemluft ist ein obligates Messverfahren, das neben der Sicherheit des Patienten auch der Steuerung einer Beatmung dient. Die graphische Darstellung (Kapnographie) dient der Analyse einer Ventilation und hat eine höhere diagnostische Aussagekraft. Bisher wird die Kapnometrie/ -graphie zur Überwachung und Steuerung einer Beatmung eingesetzt. Da es seit geraumer Zeit auch die Möglichkeit gibt, spontan atmende Patienten kapnometrisch und kapnographisch zu überwachen, sollte diese Monitorfunktion auch zunehmend bei sedierten und analgosedierten Patienten in der Notfallmedizin Einzug finden, um die Patientensicherheit zu erhöhen. Erfasst wird der endexspiratorische CO2-Partialdruck. 5 Wird in mmHg oder Prozent angegeben

3

Messverfahren: 5 Infrarotabsorptionskapnometer 5 Asymmetrisches CO2-Molekül verursacht eine Absorption vom infraroten Spektrum, die nicht durch O2 oder N2 stattfindet, da es sich um ein symmetrisch aufgebautes Molekül handelt 5 Wasserdampf absorbiert bei einer anderen Wellenlänge 5 Hauptstromkapnometrie – Platzierung des Sensors im Atemstrom des Patienten (zwischen Tubus und Filter) – Nachteil: Der Sensor ist empfindlich und kostenintensiv, das Gerät eicht sich gegenüber Umgebungsluft und kann somit evtl. einen erhöhten Anteil in der Inspirationsluft (Grubenunglück) nicht erkennen 5 Nebenstromkapnometrie 5 Sensor befindet sich im Hauptgerät – Zu untersuchende Atemluft wird mittels Ansaugschlauch aus dem Beatmungsfilter kontinuierlich angesaugt – Nachteil: Verringerung des Atemminutenvolumens um den angesaugten Anteil (je nach Gerät 20–200 ml/min) (Cave: Kinderbeatmung) > Die Kapnographie ist bei jeder

kontrollierten Beatmung indiziert und obligat anzuwenden.

5 Der endexspiratorische CO2-Gehalt (etCO2) entspricht dem CO2-Partialdruck im Blut (pCO2) 5 Der etCO2 ist abhängig von der Atmung des Patienten und korreliert mit dem Atemminutenvolumen 5 Der etCO2 ist abhängig vom Herzzeitvolumen 5 Der etCO2 dient der Kontrolle der Tubuslage 5 Mit Beginn eines Kreislaufstillstands sinkt der etCO2 5 Durch eine suffiziente CPR steigt der etCO2 langsam wieder an

82

J. C. Brokmann

3.7  Sonographie

3

Die präklinische Sonographie ist eine sich entwickelnde Form der Diagnostik in der präklinischen Notfallmedizin. Diese Form der Diagnostik wird zunehmend zur präklinischen Entscheidungsfindung eingesetzt. Sie hat den Anspruch, die Verdachtsdiagnose zu härten bzw. zu unterbauen, ohne dass eine Verlängerung der Versorgungszeit resultiert. Die primäre Indikation besteht z. B. in der Entscheidung, ob ein Patient freie Flüssigkeit im Abdomen hat, er also als kritisch einzustufen ist und ggf. daraus resultierend Entscheidungen für die Rettung (Crash-Rettung vs. patientengerechter Rettung) getroffen werden müssen. Dies setzt eine adäquate Sicherheit in der Anwendung voraus, was durch spezielle Kurse auch für in dieser Diagnostik Ungeübte schnell erlernt werden kann. Ein abdominales Trauma kann auch mithilfe der Sonographie nicht ausgeschlossen werden. Die Sonographie dient nicht der speziellen Organdiagnostik. Vielmehr dient sie z. B. der Aussage: Freie Flüssigkeit im Abdomen oder nicht. Darüber hinaus kann durch die präklinische Anwendung ein Zeitvorsprung erreicht werden. Entscheidungshilfen durch präklinische Sonographie: 5 Patientengerechte Rettung vs. Crash-Rettung 5 Wahl des Zielkrankenhauses Konsequenzen aus der präklinischen Sonographie: 5 Veränderung der Therapie am Unfallort 5 Änderung des Zielkrankenhauses 5 Änderung des Schockraummanagements Mögliche erweiterte Indikationen der präklinischen Sonographie: 5 Perikarderguss 5 Pleuraerguss 5 Myokardfunktion bei PEA 5 Pneumothorax

5 Akutes Abdomen (abdominelles Aortenaneurysma?) 5 Nierenbeckenstau > Der Einsatz der Sonographie während

der Reanimation darf die No-flow-time nicht verlängern.

3.8  Spritzenpumpen

Spritzenpumpen oder Perfusoren haben im Rettungsdienst inzwischen eine zunehmend stärkere Bedeutung erlangt. Sie sollten, wenn notwendig, als Standard in den Notfallverlegungen und Intensivtransporten verwendet werden. Die Gerätschaften dienen durch die kontinuierliche Applikation von Notfallmedikamenten der optimierten Therapie von Notfallpatienten. Sie können somit eine optimierte Versorgung des Patienten sicherstellen. Durch die Anwendung kann auf die bolusweise Applikation von potenten und kurzwirksamen Medikamenten verzichtet werden. Das dient in hohem Maße der Patientensicherheit. Die Hauptindikation besteht bei: 5 Akutes Koronarsyndrom mit ausgeprägter Symptomatik und unzureichender Reaktion auf Nitro s.l. 5 In der Postreanimationsphase eines kreislaufinstabilen Patienten 5 Sekundärtransport Bei der Anwendung ist zu berücksichtigen: 5 Perfusorspritzen sind generell luftleer aufzuziehen 5 Bei den häufigen Umlagerungen und Perfusorbewegungen kann es schnell zu einer Dislokation der Luft in den Spritzenansatz und dann in die Perfusorleitung kommen 5 Perfusoren mit kreislaufwirksamen Medikamenten sollen immer auf Herzhöhe fixiert und transportiert werden 5 Durch Höhenänderung des Perfusors kommt es im Vergleich zur Patientenhöhe zu signifikanten Veränderungen der Flussrate

83 Diagnostik und Überwachung

5 Der Perfusor sollte u. a. deshalb an einem Festpunkt am Tragesystem angebracht sein 5 Perfusorleitungen dürfen ausschließlich mit Rückschlagventil an einem System mit gleichzeitiger Verwendung einer Schwerkraftinfusion verwendet werden 5 Ansonsten besteht die Gefahr der Bolusgabe 3.9  Medizinproduktegesetz

Unter Medizinprodukten versteht man alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände einschließlich der für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzten Software. Diese Software erfüllt folgende Aufgaben: 5 Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten 5 Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen 5 Untersuchung, Ersetzung oder Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs Das Medizinproduktegesetz (MPG) ist seit dem 01.01.1995 in Kraft; zuletzt wurde es durch Artikel 7 des Gesetzes vom 18.07.2017 (BGBl. I S. 2757) geändert. Weitere Einzelheiten zum Errichten, Betreiben, Anwenden und Instandhalten von Medizinprodukten regelt die Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV). Einteilung von Medizinprodukten 5 Unkritische Medizinprodukte: Medizinprodukte, die nur mit intakter Haut in Berührung kommen

3

5 Semikritische Medizinprodukte: Medizinprodukte, die mit Schleimhaut oder krankhaft veränderter Haut in Berührung kommen a) ohne besondere Anforderungen an die Aufbereitung b) mit erhöhten Anforderungen an die Aufbereitung 5 Kritische Medizinprodukte: Medizinprodukte zur Anwendung von Blut, Blutprodukten und anderen sterilen Arzneimitteln und Medizinprodukte, die die Haut oder Schleimhaut durchdringen und dabei in Kontakt mit Blut, inneren Geweben oder Organen kommen, einschließlich Wunden a) ohne besondere Anforderungen an die Aufbereitung b) mit erhöhten Anforderungen an die Aufbereitung c) mit besonders hohen Anforderungen an die Aufbereitung.

Literatur Gorgaß B, Ahnefeld FW, Rossi R et al (2007) Das Rettungsdienst-Lehrbuch, 8. Aufl. Springer, Heidelberg Weiterführende Literatur ERC (2010) ALS-provider manual, 6. Aufl. 7 https:// www.hlr.nu/wp-content/uploads/2018/02/ERC-­ guidelines-2010.pdf. Zugegriffen: 11. März 2019 Kern H, Kuring A, Redlich U et al (2001) Downward movement of syringe pumps reduces syringe ­output. Br J Anaesth 86:821–831 Krauskopf KH, Rauscher J, Brandt L (1996) Influence of hydrostatic pressure on continuous application of cardiovascular drugs with syringe pumps. Anaesthesist 45:449–452 Timmermann A, Brokmann JC, Fitzka R (2012) Kohlendioxidmessung in der Notfallmedizin. Anaesthesist 61:148–155

85

Einsatztaktik J. C. Brokmann und W. Huckenbeck* 4.1 Einsatzablauf – 87 4.1.1 Führung – 87 4.1.2 Führungsvorgang – 87

4.2 Gefahren an der Einsatzstelle – 88 4.2.1 Hauptgefahren – 89 4.2.2 Gefahren – 89

4.3 Luftrettungseinsatz – 90 4.3.1 Grundsätzliches – 90 4.3.2 Einsätze – 92 4.3.3 Hubschraubertypen – 93

4.4 Technische Rettung – 94 4.5 Sekundär- bzw. Intensivtransport – 96 4.6 Übergabe und Übernahme von Patienten – 98 4.7 Gefahrstoffeinsatz – 99 4.7.1 Kennzeichnung gefährlicher Güter – 99

4.8 Sichtung – 101 4.8.1 Dokumentation – 102

4.9 Einsatzeinheiten/SEG – 102 4.10 Transportverweigerung – 102

*Autor des Abschnitts „Leichenschau im Rettungsdienst“.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_4

4

4.11 Taktische Medizin – 103 4.12 Leichenschau im Rettungsdienst – 107 4.12.1 Feststellung des Todes – 107 4.12.2 Aufgaben des Arztes bei der Leichenschau – 111

4.13 Anhang: Notärztlicher Einsatz und klinische Rechtsmedizin – 114 Weiterführende Literatur – 114

87 Einsatztaktik

4.1  Einsatzablauf

Einsätze im Rettungsdienst sind vielfältig und inhomogen. Dennoch ist ihnen eine Struktur eigen: 5 Alarmierung 5 Einsatzfahrt 5 Finden der Einsatzstelle 5 Ankunft an der Einsatzstelle 5 Übersicht verschaffen (Erkundung und Rückmeldung, Anforderung weiterer Kräfte) 5 Sofortmaßnahmen 5 Erweiterte Maßnahmen 5 Transportvorbereitung (Zielklinik) 5 Transport 5 Übergabe des Patienten 5 Debriefing mit Einsatzpersonal Das Debriefing oder die Einsatznachbesprechung sind essenziell. Neben dem Aufarbeiten einsatzspezifischer Besonderheiten kann hier die Motivation des Personals maßgeblich gefördert werden. Besonders gut abgearbeitete Abläufe können eingangs hervorgehoben und im weiteren Gesprächsverlauf Optimierungsvorschläge so angesprochen werden, dass sie nicht als Vorwurf empfunden oder verstanden werden. Durch diese Vorgehensweise können beim nächsten Einsatz Fehler vermieden werden. 4.1.1  Führung

Die Führung ist ein wichtiger Bestandteil eines erfolgreichen Rettungsdiensteinsatzes. Das Führungssystem besteht aus: 5 Führungsorganisation 5 Führungsmittel 5 Führungsvorgang 4.1.2  Führungsvorgang

Der Rettungsdienst ist entweder Teil der Feuerwehr oder er arbeitet in enger Zusammenarbeit mit der Feuerwehr. Hierfür ist eine

4

gegenseitige Kenntnis von Führungsstrukturen und Vorgängen wichtig. Im Folgenden ist der Führungsvorgang der Feuerwehr schematisch dargestellt. Grundlage für die Führung ist Dienstvorschrift der Feuerwehr (DV 100). 5 Phase 1: 5 Lagefeststellung – Erkundung/Kontrolle 5 Phase 2: 5 Planung – Beurteilung der Lagefeststellung – Entschluss 5 Phase 3: 5 Befehlsgebung z z Lagefeststellung

5 Ort 5 Zeit 5 Wetter 5 Verkehrslage z z Schadenereignis/Gefahrenlage 5 Schaden:

5 Schadenart 5 Schadenursache

5 Schadenobjekt: 5 Art 5 Größe 5 Material 5 Konstruktion 5 Umgebung 5 Schadenumfang: 5 Menschen 5 Tiere 5 Sachwerte

z z Schadenabwehr/Gefahrenabwehr 5 Führung:

5 Führungsorganisation 5 Führungsmittel

5 Einsatzkräfte: 5 Stärke 5 Gliederung 5 Verfügbarkeit 5 Ausbildung 5 Leistungsvermögen 5 Einsatzmittel: 5 Fahrzeuge

88

J. C. Brokmann und W. Huckenbeck

5 Geräte 5 Löschmittel 5 Verbrauchsmaterial z z Planung 5 Beurteilung:

4

5 Welche Gefahren sind für Mensch, Tiere, Umwelt und Sachwerte erkannt? 5 Welche Gefahr muss zuerst und an welcher Stelle bekämpft werden? 5 Welche Möglichkeiten bestehen für die Gefahrenabwehr? 5 Vor welchen Gefahren müssen sich die Einsatzkräfte hierbei schützen? 5 Welche Vor- und Nachteile haben die verschiedenen Möglichkeiten? 5 Welche Möglichkeit ist die Beste?

5 Entschluss: 5 Ziele 5 Einsatzschwerpunkte 5 Einteilung der Kräfte 5 Bewegungsabläufe 5 Ordnung des Raums 5 Fernmeldeverbindung 5 Versorgung z z Befehl 5 Allgemeine Inhalte:

5 Einsatzform (Zugverband, Einsatz mehrerer Einheiten)

5 Befehl an einzelne Mannschaftsteile: 5 Einsatz 5 Auftrag 5 Mittel 5 Ziel 5 Weg

4.2  Gefahren an der Einsatzstelle

Grundsätzlich gilt: 5 Erkennen von Gefahren 5 Taktisch richtiges Vorgehen

5 Verwendung notwendiger Schutzausrüstung 5 Beachtung der Unfallverhütungsvorschriften Der Notfallmediziner und sein Team sind nicht erst an der Einsatzstelle sondern bereits ab dem Zeitpunkt der Alarmierung einer erhöhten Gefahr ausgesetzt (z. B. Einsatzstichwort). Bereits die Fahrt zur Einsatzstelle birgt viele potenzielle Gefahren. Der Notarzt als Beifahrer kann hier entscheidend zur Sicherheit beitragen (z. B. Orientierung, Anfahrtshilfe etc.). Beeinflussende Faktoren: 5 Meldebild 5 Dringlichkeit 5 Psychischer und physischer Momentzustand 5 Verkehrssituation 5 Wetter 5 Straßenzustand 5 Art und technischer Zustand des Fahrzeugs 5 Möglichkeit der Stressbewältigung > Eigenschutz geht vor!

Auf ausreichende Sicherheitsabstände bei Strom-, Gefahrgut- und Strahlenunfällen sowie Feuer und Gasgeruch ist zu achten. Ein Sicherheitsabstand ist auch dann wichtig, wenn es am Unfallort zu Gewalttätigkeiten kommen sollte. Evtl. erforderliche Fachdienste und deren Eintreffen können abgewartet werden, ohne den Eigenschutz zu vernachlässigen. Die persönliche Schutzausrüstung sollte den jeweiligen Einsatzstellen entsprechend angepasst werden, z. B. Feuerwehrhelm bei Einsätzen auf Baustellen, Verkehrsunfällen etc. Gefahren an der Einsatzstelle bestehen für: 5 Menschen 5 Eigene Kräfte 5 Fremde Personen

89 Einsatztaktik

z z Absicherung der Einsatzstelle

5 Tiere 5 Sachwerte 5 Umwelt 5 Gerätschaften (Equipment) 4.2.1  Hauptgefahren

Die Hauptgefahren an der Einsatzstelle sind in einer sog. Gefahrenmatrix zusammengefasst: Gefahrenmatrix 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5 5

Trifft eines der potenziellen Gefahren auf den jeweiligen Einsatz zu, ist weiterhin die Intensität und die Wahrscheinlichkeit in Hinblick auf die Gefährdung zu unterscheiden in: 5 Erhebliche Gefährdung 5 Mittlere Gefährdung 5 Geringe Gefährdung aus

Jeder Rettungsdiensteinsatz an einer Einsatzstelle, die sich im Verkehrsbereich oder nah eines Verkehrsbereichs befindet, ist gefährlich. Selbst abgestellte Rettungsdienstfahrzeuge sind für andere Verkehrsteilnehmer ein Blickpunkt und lenken sie vom restlichen Verkehrsgeschehen ab. Die Absicherung ist abhängig von der Straßenart (Ortsstraße, Landstraße, Bundesautobahn). Richtwerte zur Absicherung an der Einsatzstelle

Atemgifte Ausbreitung Angst- und Panikreaktion Atomare Gefahren Chemische Gefahren Biologische Gefahren Explosion Einsturz Erkrankung/Verletzung Elektrizität + Allgemeine Gefahren (Zusatzgefahren)

Die Gefahr besteht komponenten: 1. Ereignis 2. Gefährdetes Objekt 3. Gefahrenwirkung

4

drei

Einzel-

4.2.2  Gefahren 4.2.2.1  Gefahren im Straßenverkehr

Einsatzstellen im Straßenverkehr sind in beide Verkehrsrichtungen abzusichern.

5 Straßen innerhalb geschlossener Ortschaften: 100 m entgegen der Fahrtrichtung 5 Bundesstraßen, Landstraßen: 200 m entgegen der Fahrtrichtung 5 Autobahnen: 800 m entgegen der Fahrtrichtung 5 Einsatzstellen mit unübersichtlichem Straßenverlauf (Kurven oder Kuppen) erfordern ggf. der Situation angepasste größere Abstände 5 Berücksichtigen Sie nicht nur die rückwärtige eigene Fahrbahn, sondern auch den Ihnen entgegenkommenden Verkehr, gerade innerhalb oder außerhalb geschlossener Ortschaften

> Eine Absicherung sollte mindestens am

Anhalteweg beginnen.

5 Bei der Absicherung kommt Folgendes zum Einsatz: 5 Warndreieck 5 Warnleuchten 5 Blitzleuchten 5 An den Einsatzfahrzeugen sind die Rundumkennleuchten, Front- und Heckblitzer sowie Warnblinker einzuschalten 5 Ist durch eine Absicherung keine ausreichende Sicherheit herzustellen, ist eine Vollsperrung notwendig. Einsatzkräfte sind dazu ermächtigt

90

4

J. C. Brokmann und W. Huckenbeck

5 Fahrzeuge können auch so aufgestellt werden, dass sie zwischen dem herannahenden Verkehr und den arbeitenden Einsatzkräften stehen (Prellbock) 5 Dennoch muss ein Nachrücken weiterer Kräfte möglich sein 5 Fahrzeuge mit dem höchsten Einsatzwert stehen als nächstes zum Schadensort 5 Eine Umleitung in oder eine Sperrung von der Einsatzstelle vorgelagerten Abschnitten ist ausschließlich Aufgabe der Polizei 4.2.2.2  Gefahren im

Schienenverkehr

Bahnanlagen sind v.  a. wegen der hohen Geschwindigkeit von Zügen und den langen Anhaltewegen gefährlich; besonders zu berücksichtigen ist auch die Elektrizität in diesem Bereich. Die Bahn muss sofort, d. h. bereits bei der Notfallmeldung durch die Leitstelle benachrichtigt werden. Hier ist eine jeweilige Rückversicherung notwendig. Der Schienenverkehr ist soweit notwendig einzustellen. Sicherungsmaßnahmen gegen elektrische Gefahren müssen getroffen werden. > Vor dem Betreten eines Gleiskörpers ist

die Bestätigung des Bahnmanagers über die stillgelegte Strecke einzuholen.

4.2.2.3  Gefahren in elektrischen

Anlagen

Unterscheidung: a) Niederspannung 5 1000 V Wechselspannung oder 1500 V Gleichstrom 5 Bis zur Bestätigung der Spannungsfreiheit Mindestabstand von 5 m einhalten

5 Ausnahme spannungsführende Teile bei der Bahn: Hier beträgt der Mindestabstand 1,5 m 5 Sicherheitsabstand so lange einhalten, bis feststeht, dass die Anlage abgeschaltet, geerdet und spannungsfrei ist Ist eine Hochspannungsleitung gerissen und berührt sie den Boden, bildet sich ein Spannungstrichter. Bei gut leitenden Böden wie Lehm ist der Trichter klein, bei schlecht leitenden wie trockenen Böden ist er groß. Dringt man mit großen Schritten in einen Spannungstrichter ein, so berührt man mit seinen Füßen unterschiedliche Spannungsbereiche. Es kommt zu einem Stromfluss im menschlichen Körper mit gefährlicher Stromstärke. Eine Annäherung bis 20 m ist zulässig, jedoch nur mit kleinen Schritten. > Wenn Strom abgeschaltet wird: Gegen

ein Wiedereinschalten sichern!

Bei Annäherung an stromführende Teile besteht besonders bei Hochspannung die Gefahr des Stromüberschlags (Lichtbogen), was zu erheblichen Brandverletzungen führen kann. 4.3  Luftrettungseinsatz 4.3.1  Grundsätzliches

Am 01.11.1970 wurde der erste Rettungshubschrauber in München-Harlaching durch den ADAC in Betrieb genommen. Seitdem hat sich in Deutschland ein flächendeckendes öffentlich-rechtliches Luftrettungssystem für Primär- /Notfalleinsätze entwickelt. Die Luftrettungsstationen werden von unterschiedlichen Betreibern vorgehalten: 5 ADAC Luftrettung 5 Deutsche Rettungsflugwacht (DRF) 5 Bundesministerium des Inneren (Verwaltung durch ADAC Luftrettung) 5 Sonstige Neben den klassischen Rettungshubschraubern gibt es noch Intensivtransporthubschrauber

91 Einsatztaktik

und welche, die beides im Sinne von „DualUse“ kombinieren. z z Was ist Luftrettung?

5 Die Luftrettung – die schnelle medizinische Hilfe aus der Luft per Hubschrauber – ist integrierter und ergänzender Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Rettungsdienstes 5 Geregelt wird dies in den jeweiligen Rettungsdienstgesetzen der Bundesländer 5 Die Hubschrauber werden von den Standortleitstellen bzw. von überregionalen Koordinierungsleitstellen eingesetzt z z Was leistet Luftrettung?

5 Schnelles Heranführen des Notarztes, dadurch besteht die Möglichkeit, Hilfsfristen einzuhalten 5 Unabhängigkeit von schlechten Straßenverhältnissen wie Stau, Eis oder Überschwemmung 5 Unabhängigkeit von topografischen Hindernissen 5 Rettung aus unwegsamem Gelände 5 Schonender, schneller Transport in die nächste geeignete Klinik Aufgaben: 5 Notfallrettung/Primärtransporte 5 Intensivtransporte/Sekundärtransporte 5 Suchflüge 5 Organtransporte 5 Heranführen von Spezialkräften

5 Koordinierung/Überblick bei Großschadenslagen 5 Transport von mehreren Verletzten Grenzen der Luftrettung: 5 Schlechte Wetterbedingungen (Nebel, Sturm, Vereisung) 5 Landungen in unbekanntem Gelände bei Nacht (. Tab. 4.1) z z Allgemeines

Zudem existieren noch weitere private Anbieter, die in das öffentlich-rechtliche System integriert sind, sowie eine flächendeckende Vorhaltung von Intensivtransporthubschraubern (ITH). Die Luftrettung ist hoheitliche Aufgabe des Landes. Für die Festlegung der Stationierung sind die Innenministerien zuständig. Aufsichts- und entscheidungsbefugt sind die Innenministerien und Krankenkassen. Die Luftrettungsstationen werden Kernträgern (Kreise, kreisfreie Städte) zugeordnet, die wiederum den Rettungshubschrauber (RTH) einer Trägergemeinschaft (benachbarte Kreise und kreisfreie Städte) zur Verfügung stellen. Die RTH werden über die Notrufnummer 112 angefordert. Die tägliche Einsatzzeit beginnt um 7 Uhr bzw. bei Sonnenaufgang und endet bei Sonnenuntergang. Der reguläre Einsatz von Primärrettungshubschraubern in der Nacht ist nicht vorhanden und wird zurzeit

. Tab. 4.1  Gegenüberstellung Luftrettung/Bodenrettung Luftgebundener Rettungsdienst

Bodengebundener Rettungsdienst

Positiv Schneller, flexibler Einsatz

Gute räumliche und technische Voraussetzung für Behandlung und Überwachung

Negativ Eingeschränkte Behandlungsmöglichkeit

Lange Transportzeiten

Eingeschränkte Lagerungsmöglichkeit

Starke Erschütterungen

Tageszeit- und wetterabhängig

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an einigen Standorten getestet. Aufgrund der notwendigen hohen Sicherheitsstandards und einem damit verbundenen Zeitverlust ist in Zukunft nicht mit einem flächendeckenden Ausbau zu rechnen. Die RTH müssen spätestens 2 min nach Alarmierung gestartet sein und sich auf dem Anflug zum Notfallort befinden. Der Einsatzradius beträgt in der Regel ca. 50 km. Doch können auch 60–70 km entfernte Ziele in ca. 15 min erreicht werden. Der Luftrettungseinsatz wird durch den öffentlichen Rettungsdienst finanziert und steht jedem Menschen zur Verfügung. Die entstehenden Kosten werden anteilig von den Krankenkassen, den Trägern der Rettungsdienste, dem Bund oder privaten Betreibern übernommen. z z Besatzung

Die Besatzung besteht aus einem Piloten, der ein hohes Maß an Flugerfahrung besitzen muss. Bei Nachtflügen sind bei den öffentlich-rechtlichen Luftrettungsunternehmen zwei Piloten vorgeschrieben. Je nach Maschinentyp und Institution wird ein Bordtechniker vorgehalten, der sowohl für den technischen Zustand der Maschine als auch für Sonderaufgaben (Windenführung etc.) zuständig ist. Hinzu kommt ein Rettungsassistent, der über eine zusätzliche Ausbildung zum Luftrettungshelfer (HEMS-Crew Member) nach JAR-OPS 3 ausgebildet sein muss. In dieser Ausbildung werden ihm neben technischen Grundlagen und Wetterkunde auch navigatorische Grundlagen vermittelt. Der Luftrettungshelfer ist für die technische Einsatzbereitschaft der medizinisch-technischen Ausrüstung verantwortlich. Der Notarzt muss (länderspezifisch) die Zusatzbezeichnung Notfall/Rettungsmedizin besitzen. Die meisten Betreiber verlangen jedoch einen Facharztstandard und die weitere Qualifikation „Kurs Intensivtransport“ der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin (DIVI).

z z Ausstattung

Die medizinische Ausstattung ist in der DIN EN 13230 vorgeschrieben. Darüber hinaus sind auf den jeweiligen Stationen jedoch meistens je nach Zuladekapazität weitere Mittel vorhanden. Die Ausstattung muss den aktuellen Erkenntnissen der Notfallmedizin sowie dem notwendigen Ausbildungsstand des Personals angepasst sein. Hierbei ist ein Gleichgewicht zwischen medizinischen Erfordernissen, technischen Möglichkeiten, praktischer Nutzbarkeit und wirtschaftlichen Grenzen anzustreben. z z Platzangebot

Der vorhandene Platz in Rettungshubschraubern und Intensivtransporthubschraubern ist deutlich eingeschränkter als bei einem RTW/ITW. Dies ist einsatztaktisch bei der Versorgung der Patienten zu berücksichtigen. 4.3.2  Einsätze

Die Einsatzverteilung von Rettungshubschraubern ist regionalen Unterschieden vorbehalten (. Abb. 4.1). > Der luftgebundene Rettungsdienst

hat die Aufgabe, die Mittel des bodengebundenen Rettungsdienstes zu unterstützen und zu ergänzen, nicht jedoch sie zu ersetzen.

. Abb. 4.1  Einsatzverteilung von Rettungshubschraubern

93 Einsatztaktik

z z Einsatztaktik z Primärversorgung

5 Das schnelle Heranführen des Notarztes, um den Patienten zu versorgen z Primärtransport

5 Versorgung durch den RTH-Notarzt und schonender Transport in die nächste geeignete Klinik z Sekundärtransport (Interhospitaltransfer)

5 Medizinisch indizierte Verlegung eines Patienten von einer Klinik in eine andere z Sonstige Einsätze

5 Suchflug, Organ-, Team- oder Bluttransport, Einsätze im Katastrophenfall. z z Landeplatzkriterien

5 Größe für EC/H 135: ca. 30 × 30  m Verhalten bei Landung eines Rettungshubschraubers (RTH) 5 An der Landestelle niemals Tücher oder sonstige Zeichen auslegen 5 Immer Sichtkontakt zum Piloten halten 5 Niemals von hinten an den RTH herantreten (Heckrotor) 5 Bei Annäherung an den RTH nicht laufen 5 Hände unten halten 5 Immer vorne um den Hubschrauber herumgehen 5 Unterschiedlichen Abstand zum Rotor bei schrägen Gelände beachten 5 Absperrung gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern und Personen 5 RTH auf mögliche Hindernisse (Leitungen) hinweisen

Bei der Landung auf eng begrenzten Landeplätzen kann die Beeinträchtigung durch den sog. Downwash der Rotorblätter nicht immer

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verhindert werden. Das bedeutet für das Rettungspersonal am Boden, diesen Umstand rechtzeitig vor der Landung des RTH zu berücksichtigen, indem: 5 Die Notfallpatienten unbedingt geschützt werden 5 Türen und Fenster der Einsatzfahrzeuge geschlossen sind 5 Decken, Kissen oder andere Ausrüstungsgegenstände entsprechend gesichert werden z z Durchführung des Einsatzes z Flight Crew

5 Vorflugkontrolle 5 Flugdurchführung 5 Durchführung des Rückflugs 5 Unter Umsetzung der medizinischen Anforderungen an das Flugprofil 5 Kommunikation 5 Leitstelle/Luftaufsicht z Medical Crew

5 Equipmentkontrolle 5 Unterstützung im Anflug 5 Optimierung des Bodentransports 5 Patientenversorgung 5 Patientenbetreuung an Bord 5 Kommunikation mit der Leitstelle z Navigation

5 System nach Grad/Kilometer 5 Angaben aus dem Stadtatlas 5 Angaben markanter Punkte in der Nähe 5 Planquadratesystem 5 Geografische Koordinaten GPS („global positioning system“) 4.3.3  Hubschraubertypen

5 BK 117: 5 Der leistungsstarke, 2-motorige „Allrounder“ für Windenoperation über schwer zugänglichem Gelände, im Gebirge, über See und für Intensivtransporte 5 Reisegeschwindigkeit: 241 km/h

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5 EC 135 oder H 135: 5 Die moderne, wendige, schnelle und leise Maschine als Nachfolgetyp für die BO 105 5 Reisegeschwindigkeit: 241 km/h 5 EC 145 oder H 145: 5 Nachfolgemuster der BK 117 mit neuer Zelle 5 Bewährte Komponenten aus der EC-135-Serie übernommen 5 Moderne mit starker Turbinenleistung ausgestattete Maschine 5 Idealer Intensivtransporthubschrauber aber auch in der Primärrettung von Betreibern eingesetzt 5 MD 902: 5 Durch den ersetzten Heckrotor (Notar-System) ein leiser Hubschrauber mit großem Innenraum 5 Reisegeschwindigkeit: 241 km/h 5 Bell 222: 5 Einer von 2 typischen Intensivtransportern mit 2 Turbinen, großem Innenraum, großer Reichweite und hoher Zuladungsmöglichkeit 5 Bell 412: 5 Typischer Intensivtransporthubschrauber 5 Gute Zugangsmöglichkeiten zum Patienten 5 Große Reichweite 5 Augusta 109: 5 Primär- und Sekundärrettung 5 Hohe Leistungsfähigkeit 5 Hauptsächlich von der REGA eingesetzt 4.4  Technische Rettung

Die technische Rettung ist für die Versorgung von Patienten bei Verkehrsunfällen sehr wichtig. Ferner kann aber auch die Rettung von Patienten auf Baustellen oder Industrieanlagen nur unter Zuhilfenahme technischer Unterstützung möglich sein. Die technische Rettung wird in Deutschland durch die Feuerwehren

gewährleistet, in einigen Bereichen auch durch das technische Hilfswerk. Eine technische Rettung ist notwendig, wenn der Patient aus eigener Kraft oder durch das Rettungsdienstpersonal nicht aus einer Zwangslage befreit werden kann. Die Versorgung ist dann nur mit dem Einsatz technischer Mittel möglich. Das Rettungsdienstpersonal muss über die Möglichkeiten und die Gefahren der eingesetzten Gerätschaften Kenntnis haben, um eine zielgerichtete und patientenorientierte Versorgung zu gewährleisten. Nur durch die Kenntnis kann das Rettungsdienstpersonal effiziente Maßnahmen zur Stabilisierung der Vitalfunktionen durchführen, ohne die technische Rettung zu behindern. Technische Rettung bedeutet auch die Kombination von technischer Hilfeleistung mit medizinischer Hilfe. An der Unfallstelle müssen nach Sichtung und Erkundung der Lage schnell Entscheidungen getroffen werden. Bei der Befreiung eines Patienten aus seiner Zwangslage muss unterschieden werden zwischen: 5 Crash-Rettung oder Sofortrettung 5 Patientengerechte schnelle Rettung 5 Patientengerechte schonende Rettung Zunächst muss die Gefährdung des Patienten und der Einsatzkräfte beurteilt werden. Es schließen sich der erste Eindruck und lebensrettende Sofortmaßnahmen an, sofern eine akute Gefährdung ausgeschlossen wurde. Die Rettung wird unter medizinischer Überwachung und Unterstützung der Vitalfunk­tionen durchgeführt. Im Anschluss wird der Patient aus seiner Lage befreit, dann folgt die weitere medizinische Versorgung des Patienten. Der Notarzt entscheidet in enger Absprache mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr, ob eine Crash-Rettung oder eine patientengerechte Rettung in der jeweiligen Situation sinnvoll ist; dabei werden alle aktuellen Gegebenheiten berücksichtigt. Der Notarzt legt somit die Dringlichkeit und Reihenfolge fest, der Einsatzleiter bestimmt die Art der technischen

95 Einsatztaktik

­ ettung. Ist eine medizinische Betreuung wähR rend der Befreiung notwendig, so geschieht dies in Absprache mit dem Einsatzleiter. Gegebenenfalls notwendig werdende Unterbrechungen der technischen Rettung zur Durchführung weiterer medizinischer Maßnahmen müssen klar formuliert werden. Der Patient muss regelmäßig bzgl. seiner Vitalfunktionen (ABCDE) reevaluiert werden. Wird eine akute Verschlechterung festgestellt, muss ggf. eine andere Taktik zugunsten eines beschleunigten Vorgehens gewählt werden. Die Aufteilung des Raums bei einer technischen Rettung: 5 Bereitstellungsraum: (10-m-Radius) 5 Gerät für die technische Rettung 5 Rettungsdienst 5 Arbeitsraum: 5-m-Radius 5 Unfall: 1- bis 2-m-Radius Außerhalb des Bereitstellungsraums ebenfalls notwendig sind: 5 Abladehaufen 5 Schrottplatz Bei der patientenorientierten Rettung unterscheidet man: 5 Zugangsöffnung 5 Betreuungsöffnung 5 Rettungsöffnung 5 Rettung und Befreiung z z Zugangsöffnung

5 Um eine Zugangsmöglichkeit in den Innenraum des Fahrzeugs zu schaffen 5 durch das Seitenfenster o. Ä. 5 Feststellung: 5 Wie viele Personen? 5 Verletzungsmuster? 5 Kritisch/nichtkritisch? z z Betreuungsöffnung

5 Um eine Betreuung des Patienten zu gewährleisten 5 Um evtl. erste medizinische Maßnahmen durchzuführen 5 Um die Befreiung aus dem Fahrzeug vorzubereiten

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z z Rettungsöffnung

5 Nach der medizinischen Versorgung und Betreuung kann der Patient aus dem Fahrzeug befreit werden z z Gerätschaften z Schere/Spreizer

Die Rettungsschere und der Rettungsspreizer werden auch als schweres Gerät bezeichnet. Sie existieren einzeln oder auch als Kombinationsgeräte. Diese Geräte sind schwer und unhandlich, deshalb sind sie in ihrer Beweglichkeit und ihrem Bewegungsumfang deutlich eingeschränkt. Der Spreizer muss ab einer bestimmten Gewichtsklasse von 2 Einsatzkräften geführt werden. Dabei kann die Rettungsschere in der Regel von einer Person eingesetzt werden. Beide Gerätschaften werden hydraulisch betrieben. Hierfür ist ein Hydraulikkompressor notwendig. Diese Kompressoren werden elektrisch oder durch einen Verbrennungsmotor angetrieben. Die Geräte können abhängig vom Aggregattyp und der Hydraulikschlauchlänge ortsveränderlich eingesetzt werden. Einige Aggregate verfügen mittlerweile über einen Akku und werden nicht mehr mit Hydraulikschläuchen betrieben. Dadurch ist flexiblerer Einsatz möglich. Moderne Fahrzeuge verfügen über aktive (Airbags) und passive Sicherheitssysteme. Diese erhöhen teilweise den Aufwand für eine technische Rettung sehr. Kraftfahrzeughersteller veröffentlichen zu ihren Fahrzeugen entsprechende „Rettungsdatenblätter“ bzw. „Rettungskarten“, um durch die zur Verfügung gestellten Informationen den Einsatzkräften die technische Rettung zu erleichtern. 7 www.rescuesheet.info z Hebekissen

Ein Hebekissen ist ein ca. 5–10 cm dickes Kunststoffkissen, das mit Pressluft aufgeblasen werden kann und somit seine Höhe auf 30–60 cm verändern kann. An Pressluft sind Drücke zwischen 1–7 bar notwendig. Damit können Lasten bis zu 40 t angehoben oder auseinandergedrückt werden.

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Die Rettung von Verletzten unter der Last darf erst nach einer ausreichenden Absicherung und nach Abschluss des Hebevorgangs durchgeführt werden. z Plasmaschneidgerät

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Es handelt sich dabei um ein Lichtbogenschweißverfahren, bei dem ein Plasmastrahl, d. h. ein in Elektronen und Ionen zerlegtes Gas (meist Argon, Stickstoff oder Wasserstoff), und ein überlagertes Schutzgas, gewöhnlich Argon mit Wasserstoffzusatz, zugeführt werden. Im Plasmastrahl schmelzen Werkstück- und Zusatzwerkstoff. Beim Luftplasmaschneidverfahren werden weder Argon, Stickstoff noch Wasserstoff, sondern Druckluft und Drehstrom benötigt. z z Rettung aus Höhen und Tiefen

Das Retten von Patienten aus hohen und tiefen Einsatzstellen ist ein schwieriges Unterfangen. Wo bei dem einen Einsatz die Drehleiter oder die Hubrettungsbühne der Feuerwehr eine große Hilfe sein kann, ist sie beim nächsten Einsatz nur von geringem Einsatzwert. Hierfür werden Spezialkräfte notwendig, die in Deutschland noch nicht flächendeckend vorhanden sind, jedoch an bestimmten Schwerpunkten von Organisationen (z. B. Feuerwehr) vorgehalten ­werden. Um hohe Vorlaufzeiten zu verhindern, müssen derartig notwendige Maßnahmen bereits durch ersteintreffende Kräfte des Rettungsdienstes veranlasst werden.

um kritische Patienten handelt, ist hierfür neben einer besonders hohen Motivation auch intensivmedizinisches Fachwissen notwendig. Der 40-Stunden-Kurs „Intensivtransport“ der DIVI vermittelt die wichtigsten Inhalte. Bei Sekundäreinsätzen ist zu unterscheiden: 5 Nichtdisponibler Transport 5 Transport  Ab jetzt gilt umso mehr: Klares und

strukturiertes Denken und Handeln.

Eine Hilfestellung hierbei ist die GAMS-Regel. 5 Gefahr erkennen 5 Absperren 5 Menschenrettung, wenn ohne Vernachlässigung des Eigenschutzes möglich 5 Spezialkräfte anfordern

101 Einsatztaktik

Folgende Inhalte sind für die Rückmeldung an die Leitstelle notwendig: 5 Ausmaß des Schadens 5 Beteiligte Personen 5 Wie viele und wie viele unmittelbar gefährdet? 5 Größe des Lecks 5 Austritt und Aggregatzustand des austretenden Stoffes 5 Stoffnummer Fahrzeuge für den Gefahrstoffeinsatz sind bei den Feuerwehren in unterschiedlichen Bauvarianten vorhanden. Die Inhalte sind in der DIN 14555 Teil 12–14 genormt aufgeführt. In diesen Gerätewagen sind neben der persönlichen Schutzausrüstung auch Messgeräte, Pumpen, Abdichtmaterialien und Auffangbehälter verschiedenster Bauart enthalten. > Wichtige Regeln für einen Notarzt bei

Gefahrstoffunfällen: 5 Kennzeichnung wissen 5 Nachschlagewerke benutzen 5 Einsatzpotenzial der Feuerwehr kennen 5 Erstmaßnahmen beherrschen

4.8  Sichtung

Bei einer Großschadenlage hat der medizinische Verantwortliche die Aufgabe, die individualmedizinische Versorgung der Patienten zu gewährleisten. Um dieser Vorgabe gerecht zu werden, muss er sich einen schnellen Überblick über die Anzahl der Verletzten, deren Verletzungen und der jeweiligen Verletzungsschwere machen. Dies geschieht mit der Sichtung (Triage). Der für die Sichtung verantwortliche Arzt hat – unter Einschränkung diagnostischer Möglichkeiten für die Vitalparameter – nach einer kraniokaudalen Übersichtsuntersuchung das Sichtungsergebnis festzuhalten. Dass je nach

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Größe der Lage und Anzahl der Patienten nur 30–60 s pro Patient für die erste Sichtung zur Verfügung stehen, muss dabei berücksichtigt werden. In einer von der Schutzkommission beim Bundesminister einberufenen Konsensuskonferenz wurden an der Akademie für Notfallplanung und Zivilschutz am 15.03.2002 von erfahrenen (Leitenden) Notärzten, Repräsentanten verschiedener Organisationen und Institutionen folgende gemeinsame Grundlagen für die Anwendung von Sichtungskategorien bei Großschadensereignissen und Katastrophen erarbeitet: 5 Rot = Sichtungsgruppe  I 5 Gelb = Sichtungsgruppe  II 5 Grün = Sichtungsgruppe  III 5 Grau oder blau oder schwarz = Sichtungsgruppe IV Die quantitative und qualitative Intensität der einzelnen Sichtungskategorien sind von der Art und der Größe des Schadensereignisses abhängig. Die durchschnittliche Verteilung der einzelnen Sichtungskategorien ist: 5 T1: 20 % 5 T2: 20 % 5 T3: 40 % 5 T4: 20 %

Sichtungskategorien 5 T1: Unmittelbar vitale Bedrohung, die einer sofortigen Behandlung bedarf 5 T2: Schwerverletzter Patient, der nicht vital gefährdet ist 5 T3: Leichtverletzte oder unverletzte Patienten 5 T4: Patienten, die aufgrund ihrer Verletzungsschwere unter Beachtung der Gesamtlage ihre Verletzung nicht überleben werden

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4.8.1  Dokumentation

4.9  Einsatzeinheiten/SEG

Die Dokumentation der Sichtung ist Bestandteil der Sichtung. Deshalb muss das Ergebnis der Sichtung auf einheitlichen Sichtungskarten und Protokollen dokumentiert werden. Voraussetzungen: 5 Nummern-Code 5 Eindeutige Zuordnung zu einem Patienten 5 Quittierungsmöglichkeit

Bei der Bewältigung von Großschadensereignissen ist der Regelrettungsdienst mit seinen Kapazitäten schnell ausgeschöpft. Hierzu benötigt man weitere leistungsfähige Kräfte. Einsatzeinheiten oder Schnelleinsatzgruppen sind kleine und flexible, multifunktionale Einheiten, die von den am Rettungsdienst beteiligten Hilfsorganisationen im sog. „erweiterten Rettungsdienst“ vorgehalten werden. Sie können bestimmte Aufgaben entsprechend ihrer Qualifikation abarbeiten. Exemplarisch sei hier der Aufbau der Einsatzeinheiten NRW aufgeführt: 5 Führungstrupp 5 Sanitätsgruppe 5 Betreuungsgruppe 5 Trupp Technik und Sicherheit

z z Sichtungskarten

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es kein einheitliches System zur Dokumentation des Sichtungsereignisses. 5 Das Material der Karten muss wind- und wasserfest sein und die Möglichkeit der variablen farblichen Kennzeichnung erfüllen 5 Es muss eine höchstmögliche Materialstabilität, auch bei extremen Temperaturen und Wettereinflüssen, besitzen 5 Gute Beschreibbarkeit mit handelsüblichen Stiften sollte möglich sein 5 Auf der Karte muss neben den Personalien, dem Geschlecht, Allergien usw. das Verletzungsmuster dokumentiert werden 5 Gute Erkennbarkeit des Sichtungsergebnisses sollte auch aus größerer Entfernung möglich sein 5 Die Möglichkeit der Nachsichtung und ggf. der Veränderung der Sichtung ist notwendig 5 Gute Befestigungs- bzw. Umhängemöglichkeit an der zu sichtenden Person sind notwendig In der Sichtungskarte sollten sich Aufkleber mit der einheitlichen, dann diesem Patienten zugeordneten, Nummer befinden. z z Behandlungsprotokoll

Des Weiteren sollte ein Behandlungsprotokoll vorhanden sein. Auf diesem werden die im Verlaufe der Behandlung und Betreuung erhobenen Vitalparameter, erhobenen Befunde und verabreichten Medikamente festgehalten.

4.10  Transportverweigerung

Es kommt häufig vor, dass ein Patient die Untersuchung, Behandlung oder den Transport verweigert. Das ist eine alltägliche Herausforderung für das Rettungsdienstpersonal und den Notarzt. Ist ein Patient therapie-, transport- und/oder behandlungsunwillig, ist seinem Willen Folge zu leisten. > Die Anwendung körperlicher Gewalt ist

unzulässig.

Dennoch ist hierbei zu beachten: z z Suizid

5 Ist ein Patient suizidgefährdet, so ist der Suizidwille für den Rettungsdienst grundsätzlich unbeachtlich 5 Hierzu gibt es eine klare Haltung der Strafgerichte, nach der ein Selbstmord stets zu verhindern ist, weil der Suizident nicht über sein Leben verfügen darf 5 Es besteht eine Behandlungsverpflichtung für den Rettungsdienst

103 Einsatztaktik

z z Therapieunwillige

5 Die Weigerung ist auch dann zu respektieren,wenn der Patient die Behandlungwider alle medizinische Vernunft ablehnt 5 Die Verweigerung ist zu dokumentierenund ggf. vom Patienten zu unterschreiben 5 Eine Behandlungsverweigerung ist ebensowie eine Transportverweigerung zu akzeptierenund zu dokumentieren 5 Bei vital indizierter Indikation besteht dieVerpflichtung, Angehörige oder Verwandtesowie den Hausarzt zu informieren,damit diese ggf. auf den Patienteneinwirken können. Der Patient darf indiesem Fall nicht allein am Einsatzortzurückgelassen werden, selbst wenn ereine entsprechende Erklärung über dieVerweigerung unterschreibt 5 Die Schweigepflicht tritt bei Fällen vitalerBedrohung zurück 5 Beruht die Willensbekundung desPatienten nicht auf einer freien Willensbekundung,ist seine einer Behandlungentgegenstehende Haltung unbeachtlich 5 Der Notarzt kann zunächst die Polizei umIngewahrsamnahme ersuchen 5 Bei Vorliegen der Voraussetzungen desjeweilig zuständigen Unterbringungsgesetzesist die Unterbringung in einegeeignete Einrichtung vorzunehmen 5 Wird der Patient im Anschluss an dieAussage der Verweigerung bewusstlos,ist ihm unmittelbar zu helfen und eineBehandlung bzw. ein Transport indiziert 4.11  Taktische Medizin

Unter Taktische Medizin versteht man das Vorgehen, welches sowohl der Gefährdung des eingesetzten Personals, der Patienten durch einen Täter, wie auch der Art und Häufigkeit der bedrohungsspezifischen Verletzungsmuster Rechnung trägt. Die notfallmedizinische Versorgung in bedrohlichen Lagen orientiert sich am Tactical Combat Casualty Care (TCCC) des Militärs bzw. dem Tactical Emergency Medical

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Support (TEMS) der Polizei. Beide Konzepte folgen dem Konzept des Prehospital Trauma Life Support (PHTLS), welches diese im Tactical Emergency Casualty Care (TECC) zusammengefasst hat und lehrt. Als Grundlage für die Ausbildung werden im deutschsprachigen Raum die Empfehlungen der Tactical Rescue and Emergency Medical ­Association (TREMA) umgesetzt. Die notfallmedizinischen Maßnahmen sind von der taktischen Lage und der damit verbundenen Bedrohung abhängig zu machen. z z Einsatztaktik

Bisher war der deutsche Rettungsdienst häufig außergewöhnlichen Schadenslagen ausgesetzt, welche in den örtlichen MANV-Konzepten Berücksichtigung fanden. Gegenstand waren Gefahrgutunfälle, ein chemischer, biologischer, radiologischer und nuklearer (CBRN) Notfall oder die Instabilität betroffener Infrastruktur, welche dann durch die Einsatzleitung bei der Feuerwehr verantwortet wurden. Dies hat sich in den letzten Jahren geändert und auch Bedrohungslagen tangieren zunehmend die notfallmedizinischen Strukturen. > Sobald Sie sich in einer bedrohlichen

Lage befinden (Amoklage, Explosionsanschlag, ...) liegt die Führung bei der Polizei und es handelt sich um eine sog. Polizeilage. Handeln Sie nicht eigenständig, sondern nur in Rücksprache und auf ausdrückliche Anordnung der Polizei.

Bei terroristischen Anschlägen oder Amoklagen liegt die Verantwortung bei der Polizei. Für Einsatzlagen, welche primär durch die Polizei geführt werden (sog. Polizeilage), sind folgende Gefahrenbereiche vorgesehen: 5 Unsicher 5 Teilsicher 5 Sicher > Das Rettungsdienstpersonal muss

sich bei einer Polizeilage jederzeit auf die Anweisung der Polizei hin flexibel verhalten und das Verhalten entsprechend

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anpassen, reagieren und sich ggf. auch zurückziehen können. Die Zuteilung der Räume wird durch die Polzeiführung definiert und nicht eigenständig durch das Rettungsdienstpersonal.

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Abhängig von der Gesamtlage können diese Lagen ortsfest und somit statisch oder auch dynamisch sein, bis hin zu multiplen Szenarien. Unterschieden werden: 5 Stationäre Lage 5 Ortsfestes Ereignis 5 Täterwirkung ist z. B. durch stattgefundene Explosion fixiert oder die Täter sind durch die Polizei bereits an einen Ort gebunden (Geiselnahme in Gebäude) 5 Hierbei sind die Gefahrenbereiche häufig gut einteilbar 5 Dynamische Lage 5 Der oder die Täter sind mobil und in dem weiteren Verlauf schlecht kalkulierbar 5 Ziel der Polizei wird es dann sein, die Täter in eine stationäre Lage zu zwingen 5 Solange dies nicht erreicht ist, können sich die Gefährdungsbereiche verschieben 5 Multiple Lagen

5 Mehrere zeitgleiche oder zeitversetzte (stationäre oder auch dynamische) Lagen werden als multiple Lagen bezeichnet 5 Sie werden von Tätern verwendet, um eine möglichst große Unruhe zu verbreiten und die Einsatzkräfte zu überlasten Die Entwicklung von bedrohlichen Lagen ist nie vorhersehbar und somit ist die Bildung von ausreichenden Einsatzreserven sowohl prähospital als auch in den nachgeordneten Kliniken eine entscheidende Maßnahme der einsatztaktischen Führung. z z Sicherheitszonen

Unverletzte Betroffene als auch teilweise gehfähige Patienten werden sich eigenständig aus dem Gefahrenbereich entfernen (. Abb. 4.2). Weder Ausbildung noch Ausrüstung erlauben dem Rettungsdienstpersonal einen Aufenthalt in dem von der Polizei definierten unsicheren Bereich. 5 Ausschließlich die Polizei ist für den Anschlagsort als auch den unsicheren Bereich zutrittsberechtigt

Geschütze Patientenablage

Geschützte

Patientenablage

RTW Ladezone

Klinik

Anschlag Bereitstellungsräume

Unsicher Teilsicher Sicher

. Abb. 4.2 Sicherheitszonen

105 Einsatztaktik

5 Die Patienten werden dem Rettungsdienst aus dem unsicheren in den teilsicheren Bereich durch Polizeikräfte verbracht 5 Der teilsichere Bereich erfordert eine ständige Aufmerksamkeit aller dort eingesetzten Kräfte im Hinblick auf die eigene Sicherheit 5 Ggf. ist die kurzfristige Einrichtung einer geschützten Patientenablage im teilsicheren Bereich notwendig. Dies wird erforderlich, wenn der Weg aus dem unsicheren in den sicheren Bereich eine zu lange Transportstrecke oder andere Unwegbarkeiten aufweist > Je größer und unkalkulierbarer die

Bedrohung ist, desto geringer ist die Möglichkeit der individualmedizinischen Versorgung.

z z Sammelpunkte und Bereitstellungsräume

5 Denken Sie an eine frühzeitige Alarmierung überregionaler Einheiten von Rettungsdienst, Feuerwehr aber auch des Katastrophenschutzes 5 Die Polizei wird ihre Einheiten ebenfalls frühzeitig erweitern 5 Richten Sie für überregionale Einheiten entsprechende Sammelpunkte ein 5 Von dort können diese in Bereitstellungsräume abgerufen werden 5 Bedenken Sie, dass Ansammlungen von logistischen Strukturen des Rettungsdienstes wie Personal und Fahrzeuge ein Ziel für einen weiteren Anschlag darstellen können 5 Bedienen Sie sich deshalb bekannter und sicherer Strukturen wie Feuerwachen usw., welche etwas besser gesichert werden können als eine vollständig öffentliche Örtlichkeit 5 Ferner haben Sie an Feuer- und Rettungswachen entsprechende Infrastruktur wie Sozialräume, Verpflegungsmöglichkeiten usw., da der Aufenthalt unbestimmt lange andauern kann

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z z Führung

5 Die Kommunikation zwischen Einheiten des Rettungsdienstes und der Polzei ist in bedrohlichen Lagen eine absolute Herausforderung 5 Da die Polizei aus der Polizeieinsatzzentrale (PEZ) geführt wird und der Rettungsdienst durch eine Sanitätseinsatzleitung (SanEL) mit LNA und OrgL, müssen diese die Möglichkeit haben, vor Ort zu kommunizieren. 5 Ein Kontaktbeamter (Beispiel Hessen: EinsatzLeiterOrt) der Polizei kann hier eine sehr gute Verbindung darstellen 5 Versuchen Sie auch im Vorfeld gemeinsame Übungen mit der Polizei anzuregen 5 Es liegt in der Verantwortung der Einsatzkräfte die eigene Erreichbarkeit sicherzustellen 5 Die Kommunikationsstrukturen vor Ort können überlastet oder vom Anschlag betroffen sein 5 Ihre einsatztaktische Ausbildung muss daher soweit reichen, dass Sie als Einsatzkraft bis zur Etablierung von Führungsstrukturen autark arbeiten und sicher handeln können 5 Erkennen Sie Gefahrenbereiche und meiden Sie diese 5 Nutzen Sie geeignete Örtlichkeiten für eine geschützte Patientenablage z z Triage/Sichtung

5 Rechnen Sie bei bedrohliche Lagen mit einer erhöhten Anzahl an schwer bzw. lebensbedrohlich verletzten Patienten 5 Aktuelle Literatur welche die letzten Anschläge ausgewertet hat geht von ca. 20% der Kategorie rot (Triage 1) aus 5 Hämorrhagie ist bei penetrierenden Verletzungen die häufigste vermeidbare Todesursache 5 Es gilt Blutungen frühzeitig zu kontrollieren und den Schadensort so schnell wie möglich zu räumen 5 „stop the bleeding and clear the scene“

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5 In Anlehnung an den Field Triage Score kann im unsicheren Bereich eine Einteilung der Patienten nur in „mit Lebenszeichen“ und „ohne Lebenszeichen“ durchgeführt werden 5 Der Rettungsdienst übernimmt diese Patienten in sog. „geschützten Patientenablagen“ im teilsicheren Bereich 5 Diese sollten durch die Polizei zugewiesen und von ihnen abgesichert sein 5 Hier kann eine notfallmedizinische (Vor) sichtung sowie der erste Bodycheck mit erweiterter Versorgung erfolgen 5 Da diese geschützten Patientenablagen jederzeit durch eine Änderung der Gesamtlage seitens der Polizei aufgelöst werden können, sollte man sich hier auf das absolute Mindestmaß der Versorgung konzentrieren und die Patienten alsbald möglich über den sicheren Bereich weiter transportieren > Ihre Einsatzstrategie in diesen Lagen ist:

„Stop the bleeding and clear the scene“.

z z Transport ins Krankenhaus

5 Geschützte Patientenablagen müssen zeitnah entlastet werden 5 Dazu werden Patienten nach erfolgter (Vor)sichtung an die Transportmittel übergeben, welche aus den Bereitstellungsräumen abgerufen werden 5 Um die Handlungsfähigkeit in den geschützten Patientenablagen weiter zu ermöglichen, sollten die Transportteams mit jeder Patientenübernahme die verbrauchten Medikamente, Infusionen, Verbandsmittel usw. ersetzen 5 Primäres Transportziel ist ein erstversorgendes Krankenhaus, welches durch den OrgL organisiert und durch den LNA zugewiesen wird 5 Für dieses besteht die Aufgabe die Blutstillung, Schienung, Stabilisierung und Analgesie sicherzustellen 5 Krankenhäuser in der Nähe von Anschlägen werden häufig durch Leichtverletzte und Selbstzuweiser in Anspruch genommen,

deshalb sollten sie nicht als erstversorgende Krankenhäuser vom Rettungsdienst in Anspruch genommen werden 5 Gehen Sie davon aus, dass aus der erstversorgenden Klinik auch Patienten in weiter entfernte Häuser verbracht werden 5 Nutzen Sie auch Länderkonzepte, welche es ermöglichen, Patienten in geeignete Einrichtungen zu transportieren (z. B. Patiententransportzug PTZ 10 in Nordrhein-Westfalen) z z Wiederausstattung des Rettungsdienstes

5 In komplexeren Lagen ist es notwendig, den Rettungsdienst umgehend wieder einsatzbereit zu bekommen 5 Die Wiederausstattung des Rettungsdienstes mit Materialien ist hierfür essenziell 5 Da die Einsatzteams nicht die Möglichkeit haben, zunächst ihr Einsatzfahrzeug in der Rettungswache wieder einsatzbereit zu machen, wird eine ausreichende Materialvorhaltung an Krankenhäusern empfohlen. Da dieses in vielen Regionen im deutschsprachigen Raum aktuell nicht durchgeführt wird, sollten diese Szenarien vorbesprochen und durch die zuständigen Rettungsdienstbetreiber im Vorfeld organisiert werden 5 Materialien wie z. B. Infusionen, Tourniquets und Verbände sollten dafür in den Notaufnahmen bereitstehen > Bedrohliche Lagen haben in den

vergangenen Jahren zunehmende Bedeutung für den Rettungsdienst erlangt. Bitte unterscheiden Sie stationäre, dynamische und multiple Lagen und beachten Sie die Strategie: „Stop the bleeding an clear the scene“. Die Führung einer solchen Lage unterliegt der Polizei. Da die polizeiliche und nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr unterschiedlich agieren, sind Absprachen im Vorfeld zu treffen, um in der kritischen Lage ein hohes Maß an gegenseitigem Verständnis zu haben! Gemeinsame Übungen sind ebenso empfehlenswert.

107 Einsatztaktik

4.12  Leichenschau im

Rettungsdienst

W. Huckenbeck

Jeder Arzt ist nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften verpflichtet, den Tod eines Menschen festzustellen. Damit stellt er fest, dass die Behandlung des Patienten nicht mehr möglich ist und nimmt eine öffentliche Verpflichtung im Gesundheitswesen (Todesfeststellung) wahr. Da das Leichenwesen landesrechtlich geregelt ist, gibt es eine Fülle unterschiedlich formulierter Vorschriften für ein- und denselben Sachverhalt. 5 Jeder Arzt ist verpflichtet, eine Leichenschau durchzuführen, wenn ihm ein Todesfall angezeigt wird 5 Angezeigt ist der Tod einem Arzt auch, wenn ein Mensch unter seiner betreuenden Anwesenheit verstirbt oder der herbeigerufene Arzt Anzeichen eines bereits vorher eingetretenen Todes ärztlich feststellt Es liegt in der Natur des Notarztdienstes, dass der Diensthabende häufiger damit konfrontiert wird, als andere ärztlich Tätige. Andererseits muss der Notarzt stets damit rechnen, zu einem neuen lebensrettenden Einsatz aufgefordert zu werden. 5 „Übergesetzlicher Notstand“: Dieser Fall ist durch den Begriff des „übergesetzlichen Notstands“ geregelt bzw. über eine Güterabwägung zwischen der Bedeutung der vollständigen Leichenschau und dem möglicherweise lebensrettenden neuen Einsatz 5 Unverzügliche Leichenschau: Natürlich steht die Verpflichtung des Notarztes, Leben zu retten, über der Verpflichtung zur vollständigen Leichenschau. Soweit er nicht sogleich sichere Todeszeichen feststellen konnte, muss er ohnehin später zurückkehren. Dies ist durch den Grundsatz abgedeckt, dass die Leichenschau unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) wahrzunehmen ist

4

Das neue Bestattungsgesetz Nordrhein-Westfalen nimmt den Notarzt von der Verpflichtung zur vollständigen Leichenschau generell aus. In einigen Bundesländern – wie Rheinland-Pfalz, Hamburg, Mecklenburg und Brandenburg – wird speziell für den Notarzt die Verwendung eines vorläufigen Leichenschauscheins praktiziert. Für Hamburg erscheint dies plausibel, da der vorläufige Leichenschauschein sozusagen als Transportschein ins Leichenschauhaus (Rechtsmedizin) verwendet wird. Die offizielle Leichenschau kann also sehr schnell nachgeholt werden. Es empfiehlt sich folglich ein kurzes Studium des jeweils gültigen Bestattungsgesetzes. > Eines muss im Grundsatz klar sein:

Entschließt sich der Notarzt zur Durchführung einer vollständigen Leichenschau, so muss er diese sorgfältig und umfassend durchführen.

Auch die notärztliche Leichenschau endet also nicht mit der Feststellung, dass keine klinischen Maßnahmen mehr erforderlich sind, sondern umfasst grob geordnet die folgenden Tätigkeiten: 4.12.1  Feststellung des Todes

Auch wenn der erfahrene Notarzt meint, vom klinischen Bild her die Sinnlosigkeit von Reanimationsmaßnahmen und den bereits eingetretenen Tod beurteilen zu können, für einen rechtsgültig ausgefüllten Leichenschauschein ist die Registrierung von mindestens einem sicheren Todeszeichen notwendig. 4.12.1.1  Sichere Todeszeichen

5 Livores (Totenflecken) 5 Rigor mortis (Totenstarre) 5 Fäulnis 5 Nicht mit dem Leben zu vereinbarende Körperverletzungen 5 Hirntod

108

J. C. Brokmann und W. Huckenbeck

4

. Abb. 4.3  Normale Ablassungen innerhalb der Leichenflecke bei Rückenlage

z z Livores (Totenflecke)

Totenflecken entstehen durch die Hypostase, das Blut sackt in die abhängigen Körperpartien ab. 5 Zarte Anfänge sind mitunter bereits beim Sterbenden sichtbar, eine Beobachtung, die zu der alten Bezeichnung Kirchhof-Rosen führte 5 In der Regel zeichnen sich Totenflecken 20–30 min nach dem Kreislaufstillstand ab 5 Aussparungen entstehen an aufliegenden Körperpartien sowie durch Kompression, beispielsweise durch enge Kleidung 5 Bei abnormen Lageverhältnissen der Leiche kann es zu verwirrenden Anordnungen und Verteilungsmustern kommen 5 Der Leichenschauer muss darauf achten, dass die Abblassungen mit der Unterlage in Einklang zu bringen sind. Ansonsten muss die Entstehung erklärbar sein 5 Im Zweifelsfall sollte die Todesart „nicht aufgeklärt“ angekreuzt werden. Normale Abblassungen an typischer Stelle bei Rückenlage auf einer harten, ebenen Unterlage zeigt . Abb. 4.3 5 In den ersten Stunden nach dem Tod füllen sich die Kapillargebiete der Haut in den abhängigen Körperteilen. Damit erklärt sich die vollständige Umlagerbarkeit innerhalb der ersten Stunden 5 Da später die Kapillarwände permeabel werden, es zudem zum Austritt von

Körperwasser kommt (Eindickung des Blutes), wird das Gewebe miterfasst. Dann ist keine vollständige Umlagerbarkeit mehr möglich. Somit verschwindet die Wegdrückbarkeit der Totenflecken – etwa durch Daumendruck – zunehmend Nachfolgend stehen einige groborientierende Daten zum Entstehen und Verschwinden der Totenflecken: Nach ca. 1 h:

Deutliche Ausprägung

Nach ca. 2 h:

Beginn des Konfluierens

Bis max. 12 h:

Vollständige Wegdrückbarkeit

Bis max. 36 h:

Teilweise wegdrückbar mit großem Druck

Bis 6 h:

Vollständige Umlagerbarkeit

Bis 12 h:

Unvollständige Umlagerbarkeit

Aus der Umlagerbarkeit ergeben sich vier interessante Varianten, die in . Abb. 4.4 dargestellt sind. 5 Zunächst bilden sich die Leichenflecke an den abhängigen Körperpartien aus (. Abb. 4.4a) 5 Bei Umlagerung fließt das Blut in die gegenüberliegende Körperseite (. Abb. 4.4b). Zu einem bestimmten

109 Einsatztaktik

. Abb. 4.4 

4

Veränderungen und Fixierung der Leichenflecken in Abhängigkeit von der Zeit

Zeitpunkt ist dieser Vorgang nicht mehr vollständig reversibel, nach Umdrehen findet man die Leichenflecke an beiden Körperpartien (. Abb. 4.4c) 5 Nach Lagerung von über 12 h sind die Leichenflecke fixiert 5 Die Leichenflecken finden sich „schwerkraftswidrig“ an der falschen Körperpartie (. Abb. 4.4d) Bei Erhängten finden sich die Leichenflecke hauptsächlich in den unteren Extremitäten ausgeprägt. Ein ähnliches Bild kann auch bei Lagerung im Sitzen entstehen. 5 Beidseitige Leichenflecken, also beispielsweise an Rücken und Brust sind unbedingt zu dokumentieren, denn die Leiche muss in einem ­einigermaßen eingrenzbaren Zeitraum nach dem Tod noch einmal umgelagert worden sein

5 Findet sich keine einleuchtende Erklärung, so sollte die Todesart „ungeklärt“ angekreuzt werden Bedeutsam ist auch die Farbe der Leichenflecke. 5 Normalerweise ist sie düsterrot bis livide violett 5 Hellrote Totenflecken können in der Kälte durch Reoxygenierung des Kapillarblutes entstehen. Sie können aber auch der entscheidende Hinweis auf eine Zyankali- oder (wesentlich häufiger) Kohlenmonoxidvergiftung sein 5 Letztere Todesursachen können als „innere Erstickung“ häufig über die Färbung der Nagelbetten abgegrenzt werden: Die Kapillaren des Nagelbetts sind durch den Nagelfalz gegen eine Kältereoxygenierung geschützt

110

J. C. Brokmann und W. Huckenbeck

5 Im Zweifelsfall muss allerdings der Verdacht auf eine Kohlenmonoxidvergiftung ausgesprochen werden

dann nach unten aus und verschwindet in umgekehrter Richtung 5 Diese Regel trifft häufig zu

> Bei Todesfällen in Kraftfahrzeugen,

> Festgestellte Leichenstarre in nur einem

Garagen, in geschlossenen Räumen mit offenen Flammen sollte stets an eine Kohlenmonoxidvergiftung gedacht werden!

4

Körpergelenk kann auch auf Arthrose beruhen!

z z Autolyse, Fäulnis, Verwesung z z Rigor mortis (Totenstarre)

Das Auftreten der Totenstarre beginnt wenige Stunden nach dem Tod. 5 In aller Regel ist sie zwischen 6–12 h nach dem Tod vollständig ausgeprägt. Innerhalb der ersten Stunden kann sie gebrochen werden und bildet sich dann erneut aus. Als Maximum werden hier 6–10 h genannt 5 Nach ca. 48–60 h beginnt sich die Starre zu lösen Die Ausbildung der Totenstarre ist auf einen Mangel energiereicher Phosphate (ATP) zurückzuführen. Damit entfällt die „Weichmacherwirkung“ und es kommt zur Versteifung. Später überlagern Autolyse und Fäulnis diesen Effekt. 5 Eine Überprüfung der Ausprägung sollte an mindestens 2 großen Körpergelenken erfolgen 5 Nach der Nysten-Regel beginnt die Totenstarre im Kiefergelenk, breitet sich

. Abb. 4.5 

5 Unter Autolyse versteht man eine Selbstzerstörung der Zellen und Gewebe 5 Bei der Fäulnis handelt es sich um eine bakteriell bedingte Reduktion: Verflüssigung der Gewebe und Gasbildung 5 Im Anschluss daran kommt die Verwesung, bei der überwiegend oxydative Prozesse ablaufen 5 Bei deutlichen Fäulniszeichen sollte der Notarzt als Todesart grundsätzlich „ungeklärt“ wählen 5 Die Todesursache und -art ist in der Regel nur durch eine Obduktion zu klären 5 Die Fäulnis beginnt in der Regel im Bauchraum (Darmnähe!) und zeigt sich zunächst durch die sog. Grünfäule, also eine flächenhafte grünliche Verfärbung 5 Schon bald durchwandern die Bakterien die Gefäße und es kommt zum sog. Durchschlagen des Venennetzes (. Abb. 4.5) 5 Die Verfärbung der oberflächlichen Hautgefäße kann von Grün über Brauntöne bis

Durchschlagen des oberflächlichen „Venennetzes“ bei Fäulnis

111 Einsatztaktik

hin zu Schwarz reichen. Es handelt sich um Abbauprodukte des Blutfarbstoffs 5 Nachfolgende Fäulniszeichen bestehen in flächenhaften Oberhautablösungen und Bildung von flüssigkeitsgefüllten Fäulnisblasen (Cave: Barbituratblasen) 5 Schließlich kommt es zur flächenhaften Verfärbung nahezu sämtlicher Körperoberflächen 5 In Abhängigkeit von Bekleidung und Temperatur können sehr unterschiedliche Fäulnisstadien an ein und derselben Leiche vorliegen z z Nicht mit dem Leben zu vereinbarende Körperverletzungen

Dieses sichere Todeszeichen sollte auch nur bei tatsächlichem Vorliegen angekreuzt werden. Es macht durchaus Sinn, denn beispielsweise bei zerstückelten Leichen – durch Verkehrs- und Eisenbahnunfall – kann die Feststellung von Leichenflecken und Totenstarre unmöglich sein. z z Hirntod

Durch größere Tiere (Ratten etc.) kann es zu großen Substanzdefekten kommen, Hunde und andere Tiere können ganze Extremitätenteile verschleppen. Kommt massiver Tierfraß ins Spiel, wird die Leichenliegezeitbestimmung zum Rätselraten. Der Notarzt sollte sich hier auf keinen Fall festlegen lassen. z z Scheintod

Viel häufiger als allgemein angenommen kommt es zu falscher Todesfeststellung. Der Scheintod ist definiert als komatöser Zustand mit: 5 Bewusstlosigkeit 5 Areflexie 5 Muskelatonie 5 Scheinbarem Fehlen von Atmung und Puls Bei Unterkühlung und Intoxikation (Alkohol, Schlafmittel) liegen gefährliche Grundvoraussetzungen für einen solchen Zustand vor. Man muss jedoch prinzipiell mit einer solchen Vita reducta rechnen. > Es hat sich bewährt, dass der Notarzt

bis zum Fertigstellen der Dokumente das EKG weiterlaufen lässt. Haben sich während dieser Zeitspanne keine Herzaktionen mehr gezeigt, dürfte der Tod tatsächlich eingetreten sein.

Die Feststellung des Hirntodes ist in der Transplantationsmedizin definiert und daher dem Kliniker vorbehalten z z Tierfraß

Der häufigste und ubiquitär vorkommende Tierfraß besteht in der Eiablage durch Fliegen und das nachfolgende Madenwachstum. Maden ernähren sich von der Leiche und können innerhalb von wenigen Tagen massive Gewebsdefekte setzen. Der Notarzt sollte hier grundsätzlich die Polizei alarmieren, sofern diese nicht bereits vor Ort ist. Über das Maden- und Larvenstadium sind wichtige Schlüsse auf die Leichenliegezeit möglich, hierfür sollten aber Spezialisten herangezogen werden. Auch Ameisen können oberflächliche Gewebsdefekte und nachfolgende Vertrocknungen verursachen, die bei flächenhaftem Auftreten die Folgen stumpfer Gewalteinwirkung vortäuschen können. Diese Abgrenzung kann aber nicht Aufgabe des Notarztes sein.

4

4.12.2  Aufgaben des Arztes bei

der Leichenschau

Feststellung des Todes Sicherstellung der Identität Feststellung der Todeszeit Feststellung von Todesursache und Grundleiden 5 Feststellung der Todesart 5 5 5 5

z z Feststellung der Identität (Personalien)

Die Feststellung der Identität gehört ebenfalls zu den Aufgaben des leichenschauenden Arztes. Dies kann mit Schwierigkeiten verbunden sein. Hat der Notarzt Zweifel an den Aussagen der Angehörigen, kann er keine

112

4

J. C. Brokmann und W. Huckenbeck

überzeugende Ähnlichkeit zwischen Ausweisdokument und Leiche feststellen oder ist die Leiche durch Verletzungen oder Fäulnis nicht mehr identifizierbar, so vermerkt er: „Identität nicht feststellbar“. Der Notarzt muss – nach der Strafprozessordnung – in diesem Fall die Ermittlungsbehörden verständigen. > Nicht eindeutig zu identifizierende

Leichen sind der Polizei zu melden!

z z Feststellung der Todeszeit

Im Leichenschauschein muss der Arzt seine Einschätzung der Leichenliegezeit eintragen. Er kann sich hierbei an der Ausprägung von Totenflecken und Leichenstarre orientieren. Zudem kann er die Aussagen Dritter verwenden, sollte aber die Herkunft der Informationen eindeutig im Leichenschauschein vermerken. Alternativ zum Sterbezeitpunkt kann auch der Zeitpunkt der Leichenauffindung angegeben werden. Auch hier sollte der Notarzt mit eigenen Feststellungen vorsichtig sein und Fremdauskünfte als solche deutlich machen. Auch Angaben der evtl. vor Ort anwesenden Ermittlungsbeamten sollten eindeutig als solche dokumentiert werden. z z Feststellung der Todesursache und des Grundleidens

Im vertraulichen Teil des Leichenschauscheins werden explizite Aussagen zur Todesursache erwartet. Letztendlich soll eine Kausalkette ausgearbeitet werden, die unter Angabe des Grundleidens Vorgeschichte und Ablauf des Sterbevorgangs dokumentiert. In aller Regel ist der Notarzt hier überfordert, weil er weder den Patienten noch das Umfeld kennt. Obwohl von den Gesundheitsbehörden nicht gerne gesehen, sollte man in einem solchen Fall deutlich machen, dass es sich nur um eine Verdachtsdiagnose handelt. z z Feststellung der Todesart

Während es sich bei der Feststellung der Todesursache um eine ärztliche Einschätzung

handelt, wird hier vom Arzt eine rechtliche Würdigung des Sterbefalls verlangt. Wird ein natürlicher Tod bescheinigt, werden Ermittlungsbehörden nicht von dem Ableben informiert. Der ausgefüllte Leichenschauschein wird den Totensorgeberechtigten, beispielsweise anwesende Angehörige, übergeben. Diese überreichen ihn dem Bestatter, damit er die Leiche abtransportieren kann. Der nichtvertrauliche Teil gelangt zum Standesamt und der vertrauliche Teil mit Zeitverzug zur Gesundheitsbehörde. Hier muss sich der Arzt über seine Schlüsselstellung bewusst sein. Vom Arzt kann kein kriminalistisches Denken verlangt werden. Erwartet wird aber, dass er das Leichenumfeld in seine Beurteilung der Todesart miteinbezieht. Da dem Notarzt meist Angaben zur Todesursache fehlen, sollte er hier bereits bei leichtesten Zweifeln an einen natürlichen Tod die Kategorie „ungeklärt, ob natürlicher oder nichtnatürlicher Tod“ wählen. Sehr viele Notärzte kreuzen aus den genannten Gründen grundsätzlich diese Kategorie an. Bei der Qualifikation der Todesart sollte sich der Arzt an den von der Äquivalenztheorie des Strafrechts angelehnten naturwissenschaftlichen Definitionen orientieren. So kann er vermeiden, bei der Qualifikation eine Wertung vorzunehmen, die zu leisten er nicht in der Lage ist und die ihm nicht zusteht. Gegen eine Wertung der Todesart nach kriminalistischer oder juristischer Definition, die bei nichtnatürlichem Tod ein mögliches Fremdverschulden impliziert, sollte sich der Arzt verwahren. Der Arzt sollte den natürlichen Tod als einen Tod aus krankhafter, innerer Ursache definieren, alle Einwirkungen von Außen hingegen als nichtnatürlichen Tod einordnen. Hierzu zählen: 5 Gewalteinwirkung 5 Unfall 5 Suizid 5 Vergiftung 5 Behandlungsfehler (Extremfall: Mors in tabula)

113 Einsatztaktik

Die Aufklärung eines Fremdverschuldens, also die Beteiligung Dritter, legt er mit der Verständigung der Ermittlungsbehörden in deren Hände. In den meisten Bundesländern wird dem Arzt die Möglichkeit gelassen, bei verbal schwierig zu begründenden Zweifeln, die Kategorie „ungeklärt, ob natürlicher oder nichtnatürlicher Tod“ zu wählen. Jeder Fall von ungeklärter und nichtnatürlicher Todesart ist den Ermittlungsbehörden unverzüglich zu melden. Auch der Notarzt muss sich in bestimmten Fällen mit dem von Ärzten oft missverstandenen Kausalitätsprinzip beschäftigen. Findet er bei der Leichenschau Spuren einer stattgehabten Operation oder wird er von Dritten auf einen zurückliegenden Krankenhausaufenthalt aufmerksam gemacht, muss er dies bei seiner Fallbeurteilung berücksichtigen. Spuren älterer Verletzungen sind ebenso einzuordnen. Die Klärung der Kausalitätsfrage (im Strafrecht) ist eigentlich relativ einfach. > Die Klärung der Kausalitätsfrage (im

Strafrecht): Kann man das mutmaßlich schädigende Ereignis (Operation, Verletzung) hinwegdenken, und der Erfolg (das Ableben) wäre zum gleichen Zeitpunkt eingetreten? Wenn nein, besteht der dringende Verdacht auf eine Kausalität. Bestehen Zweifel, so ist der Verdacht auf Kausalität gegeben und die Kategorie „ungeklärte Todesart“ zu wählen.

z z Ablauf der Leichenschau

Der Arzt ist verpflichtet, die Leiche während der Leichenschau persönlich zu besichtigen und zu untersuchen. Diese Verpflichtung setzt folgende Maßnahmen voraus: 5 Vollständige Entkleidung 5 Allseitige Besichtigung 5 Inaugenscheinnahme aller Körperöffnungen Nur durch ein solches Vorgehen können sichere Todeszeichen erkannt und Fehlentscheidungen vermieden werden, insbesondere bei der Frage, ob Anhaltspunkte für einen nichtnatürlichen Tod vorliegen.

4

Der Notarzt nimmt bei der ärztlichen Leichenschau auch insofern eine Sonderstellung ein, als er im Regelfall auf unbekannte Personen mit unbekannter Krankengeschichte in unbekannter Umgebung trifft. 5 Nach der Feststellung des Todes (sichere Todeszeichen) muss der Arzt die Leiche entkleiden 5 Körpervorderseite und -rückseite sind sorgfältig auf Auffälligkeiten zu untersuchen. Hierbei sind auch behaarte Körperpartien und alle Körperöffnungen einzubeziehen 5 Auffällige Gerüche und Verfärbungen können auf Vergiftungen hinweisen 5 Besonderes Augenmerk ist auf die Atemöffnungen, den Halsbereich und die Augenregion zu legen 5 Grundsätzlich müssen die Augenbindehäute untersucht werden, um Stauungsblutungen auszuschließen. Letztere können zwar auch bei oberer Einflussstauung oder Kopftieflage auftreten, sie sind aber auch Kardinalsymptome beim Erwürgen und Ersticken (Zweifelsfall = ungeklärte Todesart!) > Sämtliche Verbände und Pflaster sind zu

entfernen. Es können sich Verletzungen darunter verbergen, die auf einen nichtnatürlichen Tod hinweisen. 5 Findet der Notarzt Hinweise oder ergibt sich für ihn der Verdacht auf einen nichtnatürlichen Tod, so soll er die Leichenschau abbrechen und die Polizei darüber in Kenntnis setzen. Dadurch sichert er Spuren, die für die Ermittlung der Todesursache von Bedeutung sind. 5 Gemeinsam mit der Polizei – sofern er die Zeit hat – sollte der Notarzt dann die Leichenschau vollständig zu Ende führen. Letzteres Vorgehen findet sich in Nordrhein-Westfalen. Es ist beispielsweise im Bestattungsgesetz bzw. in der Anleitung zum Leichenschauschein geregelt.

In seine Beurteilung des Todesfalles fließen folgen Informationen ein:

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4

J. C. Brokmann und W. Huckenbeck

5 Lage der Leiche (Auffälligkeiten und Widersprüche) 5 Umfeld der Leiche (Medikamente, Alkohol, Verwahrlosung) 5 Zustand der Bekleidung (geordnet, auffällig, Kampfspuren) 5 Sichere Todeszeichen (Ausprägung, Farbe) 5 Abtasten der behaarten Kopfhaut 5 Untersuchung der Augenbindehäute 5 Mund und Nase (Abrinnspuren, Fremdkörper, Zungenbiss) 5 Hals (Würgemale, Strangfurchen, Vertrocknungen) 5 Stabilität und Verletzungen des Thorax 5 Extremitäten (Verletzungen, Hämatome, Injektionsstellen) 5 Körperrückseite 5 Sämtliche Körperöffnungen (Fremdkörper, Geruch, Abrinnspuren) 4.13  Anhang: Notärztlicher

Einsatz und klinische Rechtsmedizin

Nicht nur bei der Leichenschau wird der Notarzt mit rechtsmedizinischer Thematik konfrontiert. Die notärztliche Versorgung betrifft in nicht geringem Maße Gewaltopfer. Selbstverständlich besteht hier die primäre Aufgabe in der ärztlichen Versorgung, der zivil- oder strafrechtliche Aspekt sollte aber auch berücksichtigt werden. Insbesondere in Fällen, bei denen eine Klinikeinweisung nicht notwendig ist, kann dem Notarzt wiederum eine Schlüsselstellung für das weitere Schicksal des Patienten zukommen. 5 Misshandlung/Vernachlässigung: Entdeckt der Notarzt Spuren von Misshandlung, aber auch von Vernachlässigung, so ist er aufgefordert, von sich aus tätig zu werden. Im Extremfall sollte er die Ermittlungsbehörden alarmieren. Probleme mit der Schweigepflicht bestehen in der Regel nicht. Der Arzt ist gegenüber seinem Patienten vertraglich gebunden, nicht der Person gegenüber, die ihn angefordert hat. 5 Gewalt an Kindern: Handelt es sich bei den Gewaltopfern um Kinder oder

möglicherweise nicht geschäftsfähige Erwachsene, so kann der Notarzt sich auf eine Geschäftsführung ohne Auftrag berufen, sofern er im Sinne des Patienten zu handeln meint. Möglicherweise kommt auch eine Information an die Jugend- oder Ordnungsbehörde in Betracht. 5 Selbstverletzungen: Besteht zudem der Verdacht, dass sich der Patient die Verletzungen selbst beigebracht hat, sollte über eine psychiatrische Betreuung nachgedacht werden. 5 Sicherlich ist die photographische Befunddokumentation nicht als notärztliche Aufgabe zu verstehen, er sollte aber dennoch die weiterbehandelnden Kollegen oder aber die alarmierten Polizeibeamten auf diese Notwendigkeit aufmerksam machen.

Weiterführende Literatur Crespin U, Neff G (2000) Handbuch der Sichtung. Stumpf & Kossendey, Edewecht Ellinger K, Denz C, Genzwürker H, Krieter H (2005) Intensivtransport, orientiert am Curriculum der DIVI. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Gabriel F, Huckenbeck W (1999) Grundlagen des Arztrechts – ein praxisorientierter Leitfaden unter besonderer Berücksichtigung der ärztlichen Leichenschau. Köster, Berlin Gabriel F, Huckenbeck W (2004) Grundlagen der Rechtsmedizin für die Praxis. Fachverlag des Deutschen Bestattungswesens, Düsseldorf Huckenbeck W (2007) Grundlagen der Rechtsmedizin. Verlag Deutsche Polizeiliteratur, Hilden Luxem J, Kremer M (1995) Praxisleitfaden Luftrettung – Ratgeber für Ärzte und Rettungsassistenten. Stumpf & Kossendey, Edewecht Madea B (Hrsg) (1999) Die Ärztliche Leichenschau – Rechtsgrundlagen, Praktische Durchführung, Problemlösungen. Springer, Berlin Wiss. Arbeitskreis Notfallmedizin (Arbeitsgruppe "Taktische Medizin") (2017) Zusammenarbeit von Rettungskräften und Sicherheitsbehörden bei bedrohlichen Lagen. Anästh Intensivmed 58: 573–583 Weiterführende Internetadressen Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung der Intensivund Notfallmedizin. 7 http://www.divi-org.de Interdisziplinäres Expertennetzwerk Biologische Gefahrenlagen. 7 http://www.bevoelkerungsschutz.de 7 www.rescuesheet.info

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Medizinische Maßnahmen J. C. Brokmann

5.1 Sicherung der Atemwege – 116 5.2 Freimachen der Atemwege – 116 5.2.1 Techniken – 116 5.2.2 Hilfsmittel zum Offenhalten der Atemwege – 118 5.2.3 O2-Applikation – 119 5.2.4 Beatmung – 119

5.3 Intubation – 121 5.3.1 Schwierige Intubation – 123 5.3.2 Alternativen zur Atemwegssicherung – 125

5.4 Beatmung in der Notfallmedizin – 126 5.4.1 Nichtinvasive Beatmung – 127 5.4.2 Invasive Beatmung – 129

5.5 Thoraxdrainage – 130 5.6 Zugänge – 130 5.6.1 Periphervenös – 130 5.6.2 Zentralvenös – 132 5.6.3 Intraossärer Zugang – 133 5.6.4 Nabelvene – 134

5.7 Volumentherapie – 134 5.7.1 Verwendete Lösungen – 134

5.8 Immobilisation – 137 5.9 Narkose im Rettungsdienst – 140 5.10 Schmerztherapie – 141 Literatur – 141 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_5

5

116

J. C. Brokmann

5.1  Sicherung der Atemwege

5

Die Sicherung der Atemwege ist neben der Aufrechterhaltung des Kreislaufs eines der Hauptaufgaben des Notfallmediziners. 5 Eine Atemstörung ist die häufigste Ursache einer lebensbedrohlichen Situation für den Patienten 5 Eine Unterversorgung des Patienten führt bereits nach wenigen Minuten beim Erwachsenen und nach noch geringerer Zeit beim Kind zur Bewusstlosigkeit und weiteren pathophysiologischen Störungen > Die wichtigste Aufgabe ist, eine Hypoxie

zu erkennen, sie zu vermeiden oder sie adäquat zu therapieren.

5.2  Freimachen der Atemwege

5 Mund des bewusstlosen Patienten mit dem Kreuzgriff oder dem Daumen und Mittelfinger öffnen 5 Grobe Bestandteile der Mundhöhle mit Zeige- und Mittelfinger ausräumen 5 Erbrochenes, Blut oder sonstige Flüssigkeiten mit der Vakuumpumpe absaugen Atemwegsprobleme lassen sich am besten erkennen durch: 5 Sehen 5 Hören 5 Fühlen Leitsymptome sind: 5 Zyanose 5 Dyspnoe 5 Erhöhte Atemarbeit 5 Inspiratorischer/exspiratorischer Stridor 5 Gurgeln 5 Obstruktion 5 Schaukelatmung 5 Starker Einsatz der Atemhilfsmuskulatur

> Sind freie Atemwege wieder hergestellt,

erholt sich die Sättigung des Blutes schneller mit erhöhtem inspiratorischem O2-Anteil.

Ursachen einer Atemwegsstörung: 5 Verlegung der Atemwege 5 Störung des zentralen Atemzentrums 5 Atemmechanik 5 Gasaustausch 5 Störung des O2-Transports 5.2.1  Techniken

1. Überstrecken des Kopfs (kontraindiziert bei V. a. Wirbelsäulenverletzung) 2. Anheben des Kopfs 3. Esmarch-Handgriff (Vorschieben des Unterkiefers, . Abb. 5.1) Ablauf beim Überstrecken des Kopfs und Anheben des Kinns: 5 Der Helfer steht seitlich vom Patienten 5 Der Kopf des Patienten sollte leicht erhöht liegen 5 Eine Hand an der Stirn des Patienten rekliniert den Kopf des Patienten 5 Die andere Hand am Unterkiefer des Patienten unterstützt diese Bewegung 5 Diese übt einen leichten Zug am Kinn aus, um die Zunge mitanzuheben Esmarch-Handgriff (. Abb. 5.1): 5 Der Helfer befindet sich am Kopf des Patienten 5 Hinter dem Kieferwinkel werden der Zeigefinger und die anderen Finger platziert 5 Der Daumen befindet sich am Vorderrand des Unterkiefers 5 Es wird eine gleichmäßige Bewegung nach oben und vorne durchgeführt 5 Der Mund wird durch eine gleichzeitige Krafteinwirkung durch den Daumen auf den Unterkiefer geöffnet

117 Medizinische Maßnahmen

5

. Abb. 5.1  a Esmarch-Handgriff, b Freimachen der Atemwege. (Aus: Gorgaß et al. 2007 Das Rettungsdienst-Lehrbuch. 8. Aufl. Springer, Heidelberg Berlin)

Nach diesem Manöver sollte der Effekt erneut durch Sehen, Hören und Fühlen überprüft werden. 5.2.1.1  Entfernung von

Fremdkörpern

Sollten nach Durchführung des Esmarch-Handgriffs die Atemwege noch nicht frei sein, ist das Vorhandensein von enoralen Fremdkörpern wahrscheinlich. 5 Ein im Mund sichtbarer Fremdkörper sollte mit den Fingern entfernt werden (Kein Patientenkontakt ohne Handschuhe!) 5 Gebissteile (gebrochen oder verschoben) sollten entfernt werden 5 Gut sitzende Prothesen bis auf Weiteres belassen (erleichtert die Beatmung mittels Maske) 5 Schleim und Sekret müssen durch einen starken Sauger entfernt werden > Bei Neugeborenen sollten Schleim und

Fruchtwasser mit einem Oro-Sauger entfernt werden, um eine Schleimhautschädigung zu vermeiden. Bei Gebissträgern: Lockere Prothese vorsichtig aus dem Mund entfernen und

asservieren. Fest sitzende Prothesen können im Mund verbleiben.

5.2.1.2  Bei Verdacht auf

Halswirbelsäulenverletzung

Bei Patienten, die gestürzt, auf den Hals oder Kopf gefallen oder in diesem Bereich geschlagen worden sind, ist eine Verletzung der Halswirbelsäule sehr wahrscheinlich. In diesem Fall sollten der Kopf und die Halswirbelsäule in einer neutralen Position gehalten werden. z z Inline-Stabilisierung

Gemeint ist damit die Linie von der Lumbalregion des Patienten über den Brustkorb und die Halswirbelregion bis zum Kopf. 5 Über eine tatsächliche Schädigung des Rückenmarks durch eine Überstreckung des Kopfs gibt es keine aktuellen Daten 5 Die Inline-Stabilisierung resultiert aus rein theoretischen Überlegungen 5 Es empfiehlt sich, die Inline-Stabilisierung des Kopfs von einer weiteren Hilfsperson durchführen zu lassen und gleichzeitig den Esmarch-Handgriff anzuwenden, ggf. auch mit Anheben des Kinns

118

J. C. Brokmann

5.2.1.3  Fremdkörperentfernung

mit Absaugung oder MagillZange

5

Um Speichel, Magensekret, Blut o. Ä. aus dem Mundraum abzusaugen, stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung: 5 Manuelles Absaugen mittels z. B. Manuvac 5 Elektrische Absaugung (sehr leistungsstark) 5 Stationäre Absaugungseinheiten in RTW, RTH Bei somnolenten oder soporösen Patienten kann durch das Einführen des Absaugkatheters ein Würgen oder Erbrechen ausgelöst werden. Bei bewusstlosen Patienten ist dies nicht der Fall. Durchführung:

5 Patient in Rückenlage bei festem Fremdkörper oder in Seitenlage bei flüssigem Material 5 Hypopharynx einstellen (evtl. unter Zuhilfenahme eines Laryngoskops) 5 Unter Verwendung eines großlumigen Katheters wird das Material abgesaugt 5 Entfernung von festem Material mit einer Magill-Zange 5.2.2  Hilfsmittel zum Offenhalten

der Atemwege

Zur Verfügung stehen: 5 Oropharyngeltubus (Guedel-Tubus) 5 Nasopharyngealtubus (Wendl-Tubus) 5.2.2.1  Guedel-Tubus

5 In verschiedenen Größen erhältlich 5 Von Neugeborenengröße 000 bis zur größten Größe 5 für Erwachsene 5 Abschätzung der Größe 5 Vertikale Distanz zwischen Schneidezähnen (Zahnansatz) und Kieferwinkel 5 Sollte nur bei bewusstlosen Patienten angewendet werden, bei denen glossopharyngeale und laryngale Reflexe erloschen sind

5 Ansonsten kommt es zu Erbrechen oder Laryngospasmus 5 Korrekte Einführtechnik beachten: 5 Öffnen des Mundes 5 Überprüfen, dass sich kein Fremdkörper in der Mundhöhle befindet 5 Einführen des Guedel-Tubus mit der konvexen Seite nach ventral bis zum Übergang vom harten zum weichen Gaumen 5 Beim weiteren Vorschieben Drehung um 180° 5 Hierbei wird das Risiko minimiert, dass die Zunge nach unten und hinten gedrückt wird 5 Lageüberprüfung: – Das verstärke und abgeflachte Teilstück liegt zwischen den Zähnen oder Zahnansätzen des Patienten – Der Atemwegsstrom ist deutlich zu hören und zu fühlen 5 Nach dem Einführen ist die Überstreckung des Kopfs, die Inline-Stabilisierung oder der Esmarch-Handgriff beizubehalten 5 Das Absaugen durch den Guedel-Tubus ist möglich 5.2.2.2  Wendl-Tubus

5 In verschiedenen Größen erhältlich 5 Wird von nichtbewusstlosen, aber somnolenten oder soporösen Patienten besser toleriert 5 Abschätzung der Größe: 5 Vertikale Distanz zwischen Nasenloch und Ohrläppchen 5 Die Länge kann bei einigen Modellen durch einen „Gummireiter“ verstellt werden. Der Gummireiter verhindert, dass der Wendl-Tubus „versenkt“ wird 5 Korrekte Einführtechnik beachten 5 Durchgängigkeit beider Nasenlöcher kontrollieren 5 Das vermeintlich größere Nasenloch ist zu verwenden 5 Je nach Modell ist ein Gummireiter oder eine Sicherheitsnadel vorhanden, um ein Versenken des Wendl-Tubus zu verhindern

5

119 Medizinische Maßnahmen

5 Befeuchtung des Tubus 5 Das abgeschrägte Tubusende soll vertikal unter leichten Drehbewegungen auf dem Nasenboden entlang (unterste Nasenmuschel) vorgeschoben werden 5 Die konvexe Biegung sollte rostral ausgerichtet sein 5 Kommt es beim Vorschieben zum Widerstand, sollte der Vorgang abgebrochen und das andere Nasenloch benutzt werden 5 Nach dem korrekten Einführen ist die Durchgängigkeit durch Sehen, Hören und Fühlen zu kontrollieren 5 Nach dem Einführen ist die Überstreckung des Kopfs, die Inline-Stabilisierung oder der Esmarch-Handgriff beizubehalten 5 Ein Absaugen durch den Wendl-Tubus ist möglich ! Cave

Vorsicht bei Patienten mit Mittelgesichtsverletzung oder Schädel-Hirn-Trauma: Der Wendl-Tubus könnte in die Schädelhöhle eingeführt werden. Deshalb ist hier eine orale Atemwegssicherung zu favorisieren.

5.2.3  O2-Applikation > Eine O2-Applikation ist bei allen Notfallpatienten indiziert.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, O2 zu applizieren: 5 Nasensonde mit und ohne Schaumstoffschutz 5 O2-Brille 5 Maske 5 Maske mit Reservoir 5 Maske mit Reservoir und Nichtrückatemventil 5 Demand-Ventil über Maskenbeutel Der inspiratorische O2-Anteil, der in der Einatemluft mit diesen Hilfsmitteln erreicht

werden kann, ist sehr unterschiedlich (. Tab. 5.1). Bei der O2-Applikation ist eine kontinuierliche Kontrolle der O2-Sättigung verpflichtend. ! Cave

Bei Patienten mit V. a. CO-Intoxikation kann die O2-Sättigung nicht mit allen Geräten korrekt angezeigt werden.

Überprüfungen des O2-Gehalts im Blut können in manchen Rettungsdienstbereichen auch mithilfe präklinischer BGA-Geräte durchgeführt werden. 5.2.4  Beatmung

5 Ist die Spontanatmung des Patienten trotz oben angegebener Maßnahmen nicht ausreichend, muss diese durch eine MaskenBeutel-Beatmung assistiert werden 5 Ist die Spontanatmung nicht vorhanden, muss der Patient beatmet werden 5.2.4.1  Masken-Beutel-Beatmung

5 Der Beatmungsbeutel kann über ein genormtes Ansatzstück mit einer Maske, Tubus o. Ä. Luft in die Lungen des Patienten abgeben 5 Die ausgeatmete Luft gelangt, gesteuert durch ein Ventil, nicht wieder in den Beutel, sondern in die Umgebung

. Tab. 5.1  Inspiratorischer O2-Anteil bei verschiedenen Applikationshilfen Gerät

Flow [l/min]

FiO2

Nasensonde

2–6

0,3–0,4

Maske

4–8

0,4–0,5

Maske mit Reservoir

5–10

0,5–0,8

Maske mit Reservoir und Nichtrückatemventil

13–15

0,9–1,0

Demand-Ventil

Nach Verbrauch

0,9–1,0

120

5

J. C. Brokmann

5 Wird eine O2-Leitung mit einem Flow von 5–6 l/min an den Beutel angeschlossen, kann der inspiratorische O2-Anteil auf 45 % erhöht werden 5 Eine Erhöhung des Flows erhöht den FiO2 nicht signifikant 5 Wird an den Beatmungsbeutel ein Reservoir angeschlossen, kann der FiO2 bei einem O2-Flow von 10 l auf eine FiO2 von 85 % erhöht werden 5 Sobald sich der Beutel nach der Beatmung wieder ausdehnt, wird er mit dem im Reservoir angesammelten O2 gefüllt 5 Wird anstatt des Reservoirs ein Demand-Ventil angeschlossen, kann eine FiO2 von 0,9–1,0 erreicht werden 5 Der Vorteil liegt in einem deutlich geringeren O2-Verbrauch 5 Es wird nur derjenige O2-Anteil in den Beutel verabreicht, der vorher verbraucht wurde z z Gesichtsmasken

Die Masken-Beutel-Beatmung ist eine anspruchsvolle und nicht leicht zu erlernende Tätigkeit. Die Qualität der Beatmung hängt sowohl von der Dichtigkeit der verwendeten Maske als auch von der persönlichen Erfahrung des Anwenders ab. Bei Patienten mit noch verbliebener, aber nicht mehr ausreichender Spontanatmung muss eine assistierte, d. h. unterstützende Beatmung an den Atemrhythmus des Patienten angepasst werden. Bei bewusstlosen Patienten ist eine assistierte Beatmung nicht möglich. Hier muss eine kontrollierte Beatmung durchgeführt werden. Es stehen unterschiedliche Maskentypen zur Verfügung: 5 Die Masken sollen sowohl den Mund als auch die Nase komplett umschließen und abdichten 5 Die Masken haben eine unterschiedliche Form und unterschiedliche Wülste, um sich an die jeweilige Gesichtsform des Patienten anzupassen

5 Für Neonaten, Säuglinge und Kleinkinder stehen unterschiedliche Maskentypen zur Verfügung (z. B. Rendal-Baker-Maske) 5 Ein dichter Verschluss der Maske mit dem Gesicht ist wichtig 5 Jede Undichtigkeit hat eine Hypoventilation des Patienten zur Folge ! Cave

Versucht man die Maske durch verstärktes Zusammendrücken des Beatmungsbeutels abzudichten, erzeugt man einen erhöhten Beatmungsdruck.

5 Bei einem zu hohen Beatmungsdruck kann die Luft nicht nur in die Lunge geraten, sondern über die Speiseröhre in den Magen 5 Eine signifikant erhöhte Aspirationsgefahr bei Überblähung des Magens ist die Folge 5 Es werden von der Industrie Beatmungsbeutel mit Flussbegrenzern angeboten. Diese sollen den Spitzendruck limitieren (wenig effektiv) z z Korrekter Griff

Die Maske wird von der Nasenwurzel aus angesetzt und muss bis zum Unterkiefer des Patienten reichen. Hierbei muss sie die Nase und den Mund komplett umschließen und abdichten. Dies sollte nach einem vorher durchgeführten Esmarch-Handgriff geschehen, um eine korrekte und gute Ausgangsposition zu erreichen. 5 Mittels Daumen und Zeigefinger, die den Ansatz der Maske am Beatmungsbeutel umschließen, wird die Maske unter sanftem Druck auf das Gesicht des Patienten gehalten 5 Gleichzeitig wird der Unterkiefer mit den restlichen Fingern derselben Hand leicht nach vorne und oben gezogen 5 Eine Verwendung von Guedel- oder Wendl-Tubus erleichtert die Applikation eines Beatmungshubs 5 Die andere freie Hand wird zur Kompression des Beutels benötigt

121 Medizinische Maßnahmen

5.2.4.2  Maskenbeatmung durch die

Zwei-Helfer-Methode

Sollte unter Zuhilfenahme der oben angegebenen Methoden keine ausreichende Ventilation des Patienten möglich sein, ist die Zwei-Helfer-Methode anzuwenden. Diese ermöglicht ein besseres Abdichten der Maske. 5 Ein Helfer hält die Gesichtsmaske mit beiden Händen unter gleichzeitiger Anwendung des Esmarch-Handgriffs 5 Der andere Helfer komprimiert den Beatmungsbeutel 5.3  Intubation

Durch die Intubation eines Notfallpatienten ist die optimale Sicherung der Atemwege mit der Möglichkeit einer Überdruckbeatmung gewährleistet. Bedingt durch den geblockten Cuff ist eine kontrollierte Abgabe eines definierten Beatmungsvolumens möglich. Die Aspiration am Cuff vorbei ist so gut wie unmöglich. Vorteile der Intubation gegenüber der Beutel-Masken-Beatmung: 5 Sicherstellung eines freien Atemwegs 5 Sicherer Schutz vor Aspiration 5 Abgabe definierter Tidalvolumina 5 Absaugung von Bronchialsekret 5 Ggf. Medikamentenapplikation Indikationen:

5 (Mögliche) Atemwegsverlegung beim bewusstlosen Patienten 5 Aspirationsgefahr 5 Notwendigkeit einer positiven Überdruckbeatmung 5 Sekretabsaugung Kontraindikation:

5 Fehlende Erfahrung und Ausrüstung ! Cave

In einigen Fällen kann sich die Laryngoskopie und der Versuch der

5

Intubation als schwierig oder sogar unmöglich erweisen. Dies kann zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen.

Intubationen im Rettungsdienst sind grundsätzlich schwierig. Mögliche Gründe: 5 Zeitnot 5 Nicht nüchterner Patient 5 Indikationen: 5 Trauma 5 Erkrankung 5 Lagerung 5 Umfeldbedingungen 5 Equipment 5 Erfahrung > Jeder Intubationsversuch sollte

wohlüberlegt sein. Alternativen der Atemwegssicherung bei einem nicht geglückten Intubationsversuch sollten vorhanden sein und beherrscht werden.

z z Notwendige Standardausrüstung

5 Laryngoskop/Videolaryngoskop 5 Tubus (nächste kleinere und größere Größe in Reichweite) 5 Führungsstab 5 Absaugung 5 Blockerspritze 5 Stethoskop 5 Magill-Zange 5 NaCl 0,9 % oder wasserlösliches Gleitmittel 5 O2 5 Fixierungsmaterial 5 Maske 5 Beatmungsbeutel 5 Guedel-Tubus 5 Beatmungsgerät 5 O2-Sättigungsmessung 5 Kapnometrie/ -graphie 5 Möglichkeit der Sedierung, Anästhesie und Muskelrelaxierung

122

J. C. Brokmann

z z Durchführung der Intubation

5 Bei bewusstlosen Patienten (GCS 0–3) kann die Intubation ggf. ohne Sedierung oder einer kompletten Allgemeinanästhesie erfolgen 5 Bei einem Patienten mit einer GCS >3 ist die Applikation eines Analgetikums/Hypnotikums und ggf. eines Muskelrelaxans obligat

5

> Wichtig

Eine Präoxygenierung ist auch bei Notfallpatienten obligat! Die Verwendung eines Muskelrelaxans bei einer Allgemeinanästhesie erleichtert die Intubationsbedingungen erheblich, setzt jedoch eine regelmäßige Anwendung in der täglichen Praxis voraus.

5 Sämtliches Equipment muss überprüft und funktionsfähig sein 5 Der bewusstlose oder anästhesierte Patient liegt mit leicht erhöhtem und überstrecktem (nicht bei V. a. Halswirbelsäulenverletzung) Kopf auf dem Rücken 5 Laryngoskop wird mit linker Hand gefasst und führt den Spatel vom rechten Mundwinkel des Patienten (auf Zähne und Lippenschutz achten) 5 Vorführen des Laryngoskopspatels in Richtung auf die Mittellinie des Hypopharynx unter Verdrängung der Zunge nach links 5 Sobald die Spatelspitze den Larynx erreicht, muss ein Zug am Laryngoskopgriff nach ventral und oben ausgeübt werden, ohne dabei Druck auf die obere Zahnreihe auszuüben 5 Vorschieben des Spatels zwischen Zunge und Epiglottis in den epiglottischen Spalt 5 Bei Verwendung eines geraden Spatels wird die Epiglottis aufgeladen 5 Wenn die Stimmlippen sichtbar werden, in dieser Position verharren 5 Unter Sicht den Endotrachealtubus vom rechten Mundwinkel kommend zwischen den Stimmbändern hindurch in die Trachea vorschieben

5 Der Tubus muss bis über den Cuff hinaus durch die Stimmritze geschoben werden 5 Weiche Tuben sollten mit einem Führungsstab, der nicht über das Tubuslumen hinausragt, vorgeformt werden (Hockeyschläger) 5 Blocken des Cuffs 5 Überprüfung der korrekten Tubuslage durch Kapnometrie oder besser Kapnographie 5 Sicherung der Tubuslage durch Fixierung (z. B. Thomas-Klemme) 5 O2-Beatmung > Es zählt nicht der Ehrgeiz des

Intubateurs, sondern die sichere O2-Versorgung des Patienten.

Ein Intubationsversuch sollte nicht länger als 30 s dauern (unter Reanimation  „Patients don’t die from failure to

intubate, they rather die from a failure to stop trying to intubate.“

5.3.1  Schwierige Intubation

Eine schwierige Laryngoskopie ist definiert als die Unmöglichkeit, die Glottis mithilfe direkter Laryngoskopie zu visualisieren. Dies entspricht einem Laryngoskopiebefund gemäß Cormack u. Lehane Grad III oder IV. Eine schwierige endotracheale Intubation liegt vor, wenn mehrere Intubationsversuche notwendig sind. Liegt eine schwierige Intubation vor, ist die Lage des Patienten (Kopf und Oberkörper) zu optimieren 5 z. B. verbesserte Jackson-Position (leicht erhöhter Kopf) 5 Andere Spatelgröße 5 Anderer Spateltyp (gerader Spatel oder McCoy-Spatel) 5 Verwendung Bougie-, Eschmann-Stab oder sog. Zauberstab 5 Flexibler langer Führungsstab wird mittels Laryngoskopie unter Sicht in die Trachea eingeführt 5 Über diesen kann mithilfe der Seldinger-Technik der Tubus vorgeschoben werden 5.3.1.1  Videolaryngoskopie

Die Videolaryngoskopie erfreut sich einer zunehmenden Verbreitung. Dies ist auf die mögliche verbesserte Sicht auf die

5

Stimmbandebene zurückzuführen und wird in der S1- Leitlinie „Prähospitales Atemwegsmanagement“ eingefordert. z z Vorteile der Videolaryngoskopie

5 Geringere HWS-Reklination im Vergleich zur konventionellen Laryngoskopie 5 Verwendung stärkere gebogener, sog. angulierte, Spatel, mit denen eine indirekte Sicht ermöglicht wird 5 Bei der Nutzung von Macintosh oder ähnlichen Spateln ist jederzeit parallel zur indirekten auch die direkte Darstellung der Stimmbandebene möglich > Bei stark gekrümmten Videolaryngosko-

piespateln ohne Führungskanal, sollten Führungsstäbe verwendet werden, deren Krümmung an die Hyperangulation des Spatels angepasst wurde.

Verwenden Sie Videolaryngoskope nicht ausschließlich beim schwierigen Atemweg, sondern setzen Sie sie auch in der täglichen Praxis ein, da Sie ansonsten nicht über ein ausreichendes Training für die Anwendung verfügen können (. Abb. 5.2). 5.3.1.2  BURP-Manöver

Sind während der Laryngoskopie die Stimmbänder nicht sichtbar, kann die Sicht mittels BURP-Manöver verbessert werden (. Abb. 5.3). 5 Backward 5 Upward 5 Right 5 Pressure Mit einem leichten Druck auf den Adamsapfel nach hinten oben und rechts, kann der Intubateur seine Sicht evtl. deutlich ver­ bessern. Führen alle diese oben angegebenen Methoden nicht zum Erfolg, sollte spätestens jetzt ein alternatives Atemwegsmittel zur Sicherung der Atemwege herangezogen ­werden.

124

J. C. Brokmann

Algorithmus Bolusgeschehen

Respiratorische Insuffizienz Bolus ?

NEIN

Invasive Massnahmen notwendig ?

JA

O2 Gabe ggf. Atemwege öffnen ggf. Atemwegshilfen

NEIN

Narkose notwendig ?

JA

Präoxygenierung ggf. nichtinvasive Ventilation

bei Stridor/Spastik: O2-Gabe mit Salbutamol/Adrenalin

5

Auswahl Anästhesieverfahren

NEIN

Erfolgsaussicht Intubation?

JA

erfolglos

EGA (≤2 Versuche) Kinder: Larynxmaske

Video-ETI ( ≤2 Versuche) Maskenbeatmung

Maskenbeatmung Kinder: Rachentubus EGA = extraglottische Atemwegshilfe

NICHT bei KINDERN ! Koniotomie

ETI = endotracheale Intubation erfolgreich Atmungskontrolle Pulsoxymetrie und ggf.Kapnographie

erfolgreich

erfolgreich

erfolgreich

Beatmungskontrolle Pulsoxymetrie und Kapnographie

. Abb. 5.2  Algorithmus zum prähospitalen Atemwegsmanagement entsprechend der Handlungsempfehlung für das präklinische Atemwegsmanagement der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI)

. Abb. 5.3  a BURP-Manöver, b Sellick-Manöver

125 Medizinische Maßnahmen

5.3.2  Alternativen zur

Atemwegssicherung

Unter dem Begriff extraglottische Atemwege werden Ventilationshilfen zusammengefasst, die ein Offenhalten der Atemwege des Oropharynx gewährleisten aber außerhalb der Glottis liegen. Die extraglottischen Atemwegshilfen unterscheidet man in die Gruppe vom Larynxmaskentyp mit aufblasbarem oder festem Typ und die Gruppe der ösophagealen Verschlusstuben. 5 Larynxmaske 5 Larynxtubus 5 Kombitubus (hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung verloren) > Atemwegsalternativen sind in jedem

Rettungsmittel vorzuhalten, um eine „Cannot-intubate-cannot–ventilate“Situation zu meistern.

5.3.2.1  Larynxmaske

Eine Larynxmaske ist ein großlumiger Tubus, der am Ende einen elliptisch geformten Cuff besitzt. Dieser stellt eine ringförmige Abdichtung im Hypopharynx sicher. Die Larynxmaske ist als Einmalprodukt oder als wieder verwendbar erhältlich. 5 Kann auch von in der Intubation nicht erfahrenen Personen zur Sicherung der Atemwege eingesetzt werden 5 Ist in allen Größen für Neugeborene bis Erwachsene verfügbar 5 Wird wie ein Stift in der Hand gehalten und entlang des harten Gaumens blind eingeführt, bis ein federnder Widerstand spürbar ist 5 Der Cuff wird dann entsprechend den Herstellerangaben mit Luft gefüllt 5 Beim Blocken wird die Larynxmaske nicht fixiert. Hierbei optimales Anpassen an die Pharynxstruktur 5 Korrekte Lage, wenn die Thoraxhälften sich seitengleich heben und keine Luft durch ein pharyngeales Leck entweicht

5

Es sind mittlerweile unterschiedliche Larynxmasken im Angebot, bei denen eine geringe Abweichung von dem oben angegebenen Prozedere notwendig wird. Auch sind mehrlumige Larynxmasken im Einsatz, bei denen über einen Drainagekanal mittels Magensonde der Magen entlastet werden kann. 5.3.2.2  Larynxtubus

Der Larynxtubus besitzt eine tubusähnliche Form mit zwei unterschiedlich großlumigen Cuffs. Zwischen den Cuffs befinden sich seitliche Öffnungen, über die eine supraglottische Beatmung möglich ist. Der distale Cuff verhindert das Entweichen der applizierten Luft in den Ösophagus, der proximale dient neben der Abdichtung der Fixierung. Beide Cuffs werden entsprechend der Herstellerangaben über eine gemeinsame Leitung geblockt. 5 Kann auch von in der Intubation nicht erfahrenen Personen zur Sicherung der Atemwege eingesetzt werden 5 Ist in allen Größen für Neugeborene bis Erwachsene verfügbar 5 Tubus wird ebenfalls wie ein Stift gefasst und entlang des harten Gaumens blind eingeführt bis eine Markierung am Tubus in Höhe des Schneidezahnansatzes liegt 5 Blocken der Cuffs über gemeinsame Leitung 5 Auch hier keine Fixierung des Tubus während der Blockung 5 Korrekte Lage, wenn die Thoraxhälften sich seitengleich heben und keine Luft durch ein pharyngeales Leck entweicht > Nach Platzierung eines supraglottischen

Atemwegs sollte der Cuffdruck überprüft und ggf. angepasst werden. Berücksichtigen Sie die Herstellerangaben. Im Allgemeinen sollte der Druck von 60 cmH2O nicht überschritten werden.

5.3.2.3  Kombitubus

Der Kombitubus ist ein doppellumiger Tubus mit einem kleinen distalen und einem

126

5

J. C. Brokmann

großlumigen proximalen Cuff zur Blindeinführung. Entweder wird er im überwiegenden Prozentsatz im Ösophagus platziert oder direkt in der Trachea. Ein Lumen besitzt eine distale Öffnung (Tracheallumen), das andere Lumen (Ösophaguslumen) ist distal geschlossen und besitzt seitliche Öffnungen, die nach korrekter Einführung oberhalb der Glottis liegen. Nach Einführung in den Ösophagus ist eine Beatmung der Trachea durch die seitlichen Öffnungen möglich, sobald beide Cuffs geblockt sind. Bei Einführung und direkter Lage in der Trachea ist eine normale endotracheale Beatmung möglich. Die Cuffs sind entsprechend den Herstellerangaben zu füllen. Nachteil: 5 Nur in zwei Größen für Erwachsene erhältlich 5 Keine Größen für Kinder 5 Starre Form, wenig flexibel > Der Einsatz extraglottischer Atemwege

soll als primäre Strategie Verwendung finden, wenn der Anwender keine ausreichende Erfahrung in der endotrachealen Intubation besitzt.

5.3.2.4  Airtraq

Starres Einmalprodukt aus Kunststoff, das unter Verwendung einer Spiegeloptik unter Sicht in die Mundhöhle vorgeschoben wird, bis die Stimmritzenöffnung sichtbar wird. Dann kann der vorher seitlich am Airtraq installierte Tubus unter Sicht vorgeschoben werden. 5.3.2.5  Koniotomie

Perkutane Koniotomie durch verschiedene Geräte. Von der Industrie werden unterschiedliche Geräte zur Krikothyreotomie angeboten z. B.:

5 Catheter over needle technique 5 Seldinger-Technik 5 Chirurgische Koniotomie Chirurgischer Zugang: Die Koniotomie ist weniger komplikationsbehaftet und im Notfall schneller und leichter durchzuführen als eine elektive Tracheotomie. Durchführung:

5 Identifikation der Strukturen 5 Desinfektion und Abdeckung der Halsregion 5 Palpation des Ligamentum conicum 5 Haut- und Subkutaninfiltration mittels Lokalanästhetikum beim wachen Patienten 5 Mediane Hautinzision von 2–3 cm Länge oberhalb der Krikothyreoidmembran 5 Stumpfes Präparieren durch eine Präparierschere 5 Quere ca. 1 cm lange Querinzision des Ligamentum conicum 5 Spreizen der Öffnung durch 90°-Rotation des Skalpellgriffs 5 Erhaltung der Öffnung durch einen OroSpreizer 5 Einführen des Tubus 5 Blockung des Cuffs 5.4  Beatmung in der

Notfallmedizin

Eine Beatmung in der Notfallmedizin ist mit einem erhöhten Risiko verbunden. Dieses Risiko resultiert aus dem eingesetzten Personal, den verwendeten Geräten und den äußeren Umständen des Einsatzes. Folgende Beatmungstypen werden unterschieden: 5 Nichtinvasive Beatmung 5 Invasive Beatmung

127 Medizinische Maßnahmen

5.4.1  Nichtinvasive Beatmung

Unter nichtinvasiver Ventilation (NIV) versteht man die Atemunterstützung oder die Beatmung unter Umgehung eines endotrachealen Tubus. Typische Unterstützungs-/Beatmungsformen sind das CPAP („continuous positive airway pressure“) und BIPAP („biphasic positive airway pressure“). Diese beiden können jeweils noch mit ASB („assisted spontaneous breathing“) kombiniert werden. Man spricht dann von CPAP/ASB bzw. BIPAP/ASB. ASB bedeutet, dass der Versuch des Patienten einzuatmen bis zu einem eingestellten Druckwert unterstützt wird. BIPAP arbeitet mit zwei verschiedenen Druckniveaus (ist also eine druckkontrollierte Beatmung), auf denen der Patient spontan mitatmen kann. Dieses ist ein wesentlicher Aspekt für den Patientenkomfort. BIPAP ist aber auch zugleich ein Beatmungsmuster, das beim intubierten Patienten (das ist dann kein NIV) zur kontrollierten Beatmung in der Intensivmedizin häufig verwendet wird. Die NIV ist für das eingesetzte Rettungsdienstpersonal eine aufwendige Beatmungsform. Der Patient muss ständig beobachtet und reevaluiert werden, ob das angewendete Verfahren auch noch indiziert ist und keine Kontraindikationen aufgetreten sind. Um solche Patienten zu erkennen, ist neben gut geschultem und erfahrenem Personal ein umfassendes Monitoring (O2-Sättigung, Herzfrequenz, Blutdruck) und eine klinische Beobachtung (Agitation, Dyspnoe, Atemfrequenz, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur) im Verlauf wichtig. Weiterhin benötigt man ein geeignetes Beatmungsgerät. In zahlreichen Untersuchungen wurde während der letzten Jahre die Gleichwertigkeit oder sogar Überlegenheit dieses Verfahrens gegenüber der invasiven Beatmung durch einen Endotrachealtubus in der Intensivmedizin dargestellt. Dies jedoch nur bei bestimmten Krankheitsbildern und unter Beachtung der Kontraindikationen und ergänzenden Kriterien, die nachfolgend erläutert werden. Der Stellenwert der NIV konnte in verschiedensten Patienten-

5

populationen mit akuter respiratorischer Ineffizienz belegt werden. Der Patientenauswahl kommt eine initial hohe Bedeutung zu. NIV bei verschiedenen Krankheitsbildern 5 Akute Exazerbation einer chronisch

obstruktiven Lungenerkrankung

Hier konnten durch NIV nicht nur der pulmonale Gasaustausch und subjektive Anzeichen der Dyspnoe verbessert werden, sondern es wurde auch verglichen zu einer Kontrollgruppe ohne Atemunterstützung eine geringere Intubationshäufigkeit bei den mit NIV behandelten Patienten beobachtet

5 Akute respiratorische Insuffizienz (ARI) Bei nicht vorbestehender COPD und bei hypoxämischer ARI wurde in einer Studie kein Einfluss der NIV auf die Intubationshäufigkeit, die Dauer des Intensivaufenthalts oder gar die Letalität gefunden. Während in einer Untersuchung von Patienten mit nosokomial erworbener Pneumonie sowohl die Intubationshäufigkeit als auch der Intensivaufenthalt durch NIV reduziert wurde, allerdings ohne Einfluss auf die Letalität. Untersuchungen mit größeren Patientenkollektiven stehen noch aus. Hingegen gibt es einen positiven Effekt bei immunsupprimierten und organtransplantierten Patienten 5 Kardiogenes Lungenödem Grundlage für diese Indikation bilden eine Reihe von Untersuchungen, die belegen, dass der Gasaustausch und damit auch die Kreislauffunktion durch NIV positiv beeinflusst werden; folgerichtig mussten die Patienten seltener intubiert werden. Eine Senkung der Letalität ließ sich dadurch jedoch nicht nachweisen. Bei zusätzlich bestehender Hyperkapnie im Sinne einer Überlastung der Atemmuskulatur wirkte sich eine inspiratorische Druckunterstützung (d. h. „pressure support ventilation“, PSV) günstig aus Bei einem kardiogenen Lungenödem in Kombination mit einem akuten Myokardinfarkt wird durch die „Task force“ zu „Vorsicht“ geraten

128

J. C. Brokmann

! Cave

5

Kontraindikationen sind: 5 Koma oder nichtbeherrschbarer Verwirrtheitszustand, wenn nicht durch Hyperkapnie bedingt 5 Schwere Kooperationsprobleme 5 Akute lebensbedrohliche Hypoxie 5 Herz- oder Kreislaufstillstand 5 Hämodynamische Instabilität 5 Erhöhte Gefahr von Regurgitation und Aspiration (Schluckstörung, Ileus, GI-Blutung, kürzlich stattgehabte abdominelle Operation) 5 Hindernisse in den oberen Atemwegen (Tumor, Gesichtsverletzung)

Erfolgskriterien der NIV 5 Zunahme der alveolären Ventilation (Abnahme des paCO2) 5 Zunahme der Oxygenierung (SaCO2 >90 %) 5 Entlastung der Atempumpe (Abnahme von Atem- und Herzfrequenz) 5 pH  ≥7,35 5 paCO2-Abfall ≥15–20 % 5 SaCO2 ≥90 % 5 Abfall der Atemfrequenz ≥20 % 5 Normale Bewusstseinslage 5 Subjektive Besserung

Abbruchkriterien der NIV 5 Trotz O2-Insufflation (FiO2 >0,5) SaCO2  Die Verwendung einer IPPV

(„intermittent positive airway pressure ventilation“) garantiert bei Notfallpatienten die Applikation eines eingestellten Atemzugvolumens mit einer bestimmten Frequenz.

Als weitere Möglichkeit kommt die Anwendung einer druckkontrollierten Beatmungsform (BIPAP) hinzu. Bei der BIPAP-Anwendung wird das Tidalvolumen über den Druck gesteuert erreicht. Es kann bei sich verändernden Zuständen hinsichtlich der Dehnbarkeit der Lunge (Compliance) dazu führen, dass niedrigere Tidalvolumen erreicht werden. Hier sei auf das enge Einstellen von Grenzen des Atemminutenvolumens hingewiesen.

z z Basiseinstellungen für Erwachsene IPPV Frequenz

10/min

Atemzugvolumen

6 ml/kgKG

Atemminutenvolumen

Frequenz × AZV

I:E-Verhältnis

1:1,5 bis 1:1,75

O2-Gehalt

100 %

PEEP

>5 mbar

BIPAP Frequenz

10/min

Oberes Druckniveau

20 mbar

Unteres Druckniveau

5 mbar

O2-Gehalt

100 %

I:E-Verhältnis

1:1,5 bis 1:1,75

Das obere Druckniveau muss so gewählt werden, dass ein Atemzugvolumen von 6 ml/ kgKG erreicht wird. z z Steuerung der Beatmung

Eine Beatmung wird durch eine Kapnometrie/-graphie gesteuert. Zielwert ist hier ein etCO2 von 35–45 mmHg. z z Probleme bei der Beatmung

Treten während der Beatmung Komplikationen auf, sind folgende Ursachen umgehend auszuschließen: 5 Dislokation 5 Obstruktion 5 Pneumothorax 5 Equipment 5 Stomach (Magen) z z O2-Flaschen

Im Rettungsdienst werden unterschiedlich große Sauerstoffflaschen vorgehalten. Während an den Beatmungsgeräten kleine 2-Liter-Flaschen angebracht sind, werden

130

J. C. Brokmann

in den Fahrzeugen 10-Liter-Flaschen vorgehalten. Der am Manometer ablesbare Wert gibt Rückschluss auf den Füllungszustand der Flaschen. 5 z. B. 10-Liter-Flasche mit 180 bar Druck 5 180 bar × 10  l × 10 ergibt 1800 l O2

5

Bei der Berechnung, wie lange der jeweilige O2-Vorrat bei einem bestimmten Atemminutenvolumen ausreicht, ist der O2-Verbrauch des Beatmungsgeräts zu berücksichtigen. Die Ausnahme sind hier Beatmungsgeräte mit einer eingebauten Druckturbine. 5.5  Thoraxdrainage

Als Folge eines stumpfen oder penetrierenden Thoraxtraumas oder nach dem Platzen einer Emphysembulla kann die Durchführung einer Thoraxdrainage lebensrettend sein. Ein Pneumothorax tritt häufiger bei Patienten mit Rippenfrakturen auf. Ein primär nicht interventionsbedürftiger Pneumothorax kann unter invasiver Beatmung mit PEEP schnell lebensbedrohlich werden. Indikationen:

5 Dekompression eines Spannungspneumothorax 5 Drainage eines Hämatothorax Komplikationen:

5 Blutungen oder Verletzungen interkostaler oder anderer Blutgefäße 5 Die Punktion soll am Oberrand der Rippe erfolgen (Schutz des am Unterrand gelegenen Gefäß-Nerven-Bündels) 5 Fehllage der Drainage außerhalb der Pleurahöhle 5 Lage der Drainage in einer durch Adhäsionen abgekapselten Pleuraregion 5 Subkutanes Emphysem bei zu großer Thoraxinzision oder bei Lage einer Drainageöffnung innerhalb der Thoraxwand 5 Infektion

5 Bestehende intrapleurale Adhäsionen mit/ ohne Kammerung des Pleuraraums Punktionsorte (. Abb. 5.4): 5 Monaldi: 2.–3. ICR Medioklavikularlinie 5 Bülau: 3.–5. ICR vordere Axillarlinie Durchführung (. Abb. 5.4): 5 Lagerung 5 Steriles Equipment 5 Desinfektion und sterile Abdeckung 5 Bei bewusstseinsklaren/bewusstseinsgetrübten Patienten Infiltrationsanästhesie 5 3-cm-Inzision mittels Skalpell am Oberrand der Rippe 5 Stumpfe Präparation mittels stumpfer Schere und digitaler Palpation 5 Orientierung am Oberrand der Rippe 5 Durchtrennung der Pleura parietalis 5 Digitales Austasten der Pleurahöhle, um evtl. Verwachsungen auszuschließen 5 Sicherung des Präparationserfolgs mit dem Zeigefinger 5 Die Thoraxdrainage wird am Zeigefinger entlang in den Pleuraraum vorgeschoben 5 Fixierung der Drainage mittels Tabaksbeutelnaht 5 Fixierung des Drainageschlauchs mittels zweiter Naht 5 Sterile Abdeckung 5 An die Thoraxdrainage wird ein Heimlich-Ventil angeschlossen, über das Sekret und Blut in den nachgeschalteten Auffangbeutel abfließen kann 5.6  Zugänge 5.6.1  Periphervenös

Die Punktion peripherer Venen gehört zu den häufigsten Maßnahmen in der präklinischen Notfallmedizin. Der periphervenöse Zugang ist der sicherste in der Notfallmedizin. Indikationen:

5 Infusion von Flüssigkeit 5 Medikamentenapplikation

131 Medizinische Maßnahmen

5

. Abb. 5.4  Punktionsorte und Anlage einer Thoraxdrainage. a Punktionsorte: 1 2. ICR in der Medioklavikularlinie zur Entlastung eines Spannungspneumothorax, 2 4. ICR vordere Axillarlinie zur Anlage einer Pleuradrainage. b Anlagetechnik: 1 Spreizen des ICRs am Rippenoberrand, 2 Einlegen der Drainage auf dem Finger. (Aus: Gorgaß et al. 2007 Das Rettungsdienst-Lehrbuch. 8. Aufl. Springer, Heidelberg Berlin)

Die Maßnahme sollte relativ großzügig durchgeführt werden, um somit im Notfall kurzfristig therapieren zu können. Die Punktionsstelle hängt vom Patienten und vom Durchführenden ab. Ideal ist die Mündungsstelle zweier Venen, die nicht gelenknah verlaufen. Es sollte der größtmögliche, aber noch sicher zu platzierende Zugang gewählt werden. Mit der ersten Punktion ist distal zu beginnen, um bei Fehlpunktionen den Abfluss noch gewährleisten zu können. Zwei Punktionsweisen: 5 Direkt 5 Indirekt Nach einer Punktion ist die sichere Lage des Zugangs zu kontrollieren (Rückfluss der Infusion unter Herzniveau, kein Paravasat). Die Punktion der V. jugularis externa ist in Situationen wie Schock oder Reanimation

zu bevorzugen und sollte, wenn möglich, dem Geübten überlassen werden. 5 Die Punktion wird in Rückenlage durchgeführt, wenn möglich kopftief → Gefahr der Luftaspiration bei niedrigem ZVD 5 Ein zweiter Helfer kann durch Kompression der Vene an der V. subclavia eine Stauung verursachen und dadurch die Punktion erleichtern Punktionsstellen:

5 Neugeborenes: Fußrücken, Palmarseite Handgelenk, Kopf, Handrücken, V. jugularis externa 5 Kind: Handrücken, V. saphena magna am Knöchel, Fußrücken, Ellenbeuge, V. jugularis externa 5 Erwachsener: Handrücken, V. cephalica, basilica, V. cubitalis, V. saphena magna am Knöchel

132

J. C. Brokmann

. Tab. 5.2  Flussrate und Farbcodierung bei intravenösen Verweilkanülen

5

Durchmesser [mm]

G

Flussrate [ml/min]

Farbcode

0,5 × 0,8

22

25

Blau

0,7 × 1,0

20

55

Rosa

0,9 × 1,2

18

90

Grün

1,1 × 1,4

17

135

Weiß

1,3 × 1,7

16

170

Grau

1,6 × 2,1

14

265

Orange

Die Flussrate und die Farbcodierung bei intravenösen Verweilkanülen sind in . Tab. 5.2 aufgeführt. 5.6.1.1  Zugänge bei Neugeborenen

und Kindern

Die Punktionsstellen sind hier nicht der übliche Handrücken, sondern auch der Fußrücken, der Fußknöchel, die Palmarseite des Handgelenks sowie der Kopf. Für die Stauung am Kopf empfiehlt es sich, ein „normales“ Gummiband vorzuhalten. Der Zugang sollte sorgfältig fixiert werden; mithilfe einer Mullbinde oder einer Schiene in diesem Bereich (SAM-SPLINT) kann erfolgreich fixiert werden! Ist ein periphervenöser Zugang nicht unmittelbar möglich, aber notwendig, sollte der intraossäre Zugang favorisiert werden, insofern die Medikamentenapplikation nicht auch nasal (mittels „mucosal atomization device“, MAD) appliziert werden kann. (7 Abschn. 5.6.3).

5 Ungünstige Punktionsbedingungen 5 Sterile Anlage nur bedingt möglich und hygienisch bedenklich (äußere Umstände) 5 Enge Verhältnisse 5 Ungeübtes Personal Komplikationen:

5 Pneumothorax 5 Hämatothorax 5 Luftembolie 5 Organperforation Unterschiedliche ZVK-Typen: 5 Mehrlumig 5 Großlumig/Shaldon-Katheter 5 Steril umhüllt (hygienisch vorteilhaft, jedoch einlumig und geringer Flow/min) Präklinisch angelegte zentrale Zugänge sollten zu Beginn des klinischen Aufenthalts sobald als möglich entfernt werden (Sepsisquelle). Zugangsorte:

5 V. jugularis interna 5 V. subclavia 5 V. anonyma 5 V. femoralis In die V. basilica ist die Anlage eines großlumigen oder mehrlumigen Katheters nicht möglich und somit für die Präklinik nicht angebracht. Anlage:

5 Bereitstellung des Materials 5 Schocklage (kopftief) > Gute Lagerung des Patienten

5.6.2  Zentralvenös

Eine zentralvenöse Punktion und die Anlage eines Katheters sind in der Notfallmedizin nur sehr selten indiziert und sollten auf ein Minimum beschränkt werden. Begründung: 5 Zeitintensiv 5 Erhöhter technischer Aufwand

5 Orientierung anatomische Bezugspunkte 5 Bei bewusstseinsklaren Patienten →  Infiltrationsanästhesie 5 Desinfektion und Abdeckung 5 Punktion unter kontinuierlicher Aspiration 5 Einführen des Seldinger-Drahts oder Vorschub des flexiblen Mandrins des umhüllten ZVK-Sets

133 Medizinische Maßnahmen

5 Bei Extrasystolen etwas zurückziehen 5 Einführen des Katheters (Seldinger-Technik) 5 Entfernung des Seldinger-Drahts oder des Mandrins des umhüllten Katheters 5 Überprüfung der Durchgängigkeit jedes ZVK-Schenkels und Spülung mit NaCl 0,9 % oder Vollelektrolytlösung 5 Fixierung des Katheters (Annaht) 5 Steriles Abkleben der Einstichstelle 5 Dreiwegehähne und kontinuierliche Vollelektrolytlösung an jeden Schenkel 5.6.3  Intraossärer Zugang

Bei Schwierigkeiten der Anlage eines periphervenösen Zugangs ist der intraössäre Zugang sowohl bei pädiatrischen Patienten als auch bei Erwachsenen in ausgewählten Situationen eine gute Alternative. Das Durchflussvolumen und die Möglichkeit, sämtliche Medikamente hierüber zu applizieren, sind dem periphervenösen Zugang gleichwertig. Ein Flüssigkeitsbolus kann bei Neugeborenen und Kindern auch über eine intraossäre Nadel appliziert werden. Bei Erwachsenen gibt es noch Hinweise über einen unzureichenden Effekt. Es sind verschiedene Systeme zur Punktion erhältlich: 5 SUR-Fast-Kanüle 5 Bone Injectun Gun B.I.G. 5 Easy IO Kontraindikationen:

5 Infektion an Punktionsstelle 5 Fraktur im Knochen der Punktionsstelle Bei Kindern und Erwachsenen sollte primär die proximale Tibia zur Anlage gewählt werden. Bei Erwachsenen ist auch eine Punktion im Bereich der distalen Tibia (Innenknöchel) sowie des Humerus durch den Geübten möglich.

Durchführung:

5

5 Lagerung: Unterpolsterung des Kniegelenks und der Tibia 5 Aufsuchen von anatomischen Bezugspunkten: Kniegelenkspalt, Tuberositas tibiae, medialer Knochenanteil (flach) 5 Desinfektion und sterile Abdeckung 5 Bei bewusstseinsklarem Patient → Infiltrationsanästhesie 5 Punktionsstelle liegt ca. 2 cm distal der Tuberositas tibiae an der Innenseite der Tibia 5 Bei Kindern  Liegt ein hoher Substitutionsbedarf

Das Blutvolumen beträgt ca. 61–70 ml/kgKG. Hiervon sind 3 l dem Extrazellulärraum zuzuordnen. Der Extrazellulärraum unterteilt sich

vor, ist zur Mengenkontrolle eine Beschriftung der Infusionen im Verlauf notwendig.

5.7.1.1  Kristalloide Lösungen

Kristalloide Lösungen müssen einen ausreichenden Anteil an Na+ besitzen, um eine Fixierung im Extrazellularraum auf Zeit zu gewährleisten und um ein Zellödem zu verhindern. 5 Vollelektrolytlösung (VEL) 5 Ringer-Laktat-Lösung (RLL) Beide, sowohl VEL als auch RLL, enthalten keine Makromoleküle und werden daher nicht

135 Medizinische Maßnahmen

onkotisch in der Blutbahn fixiert. Sie verteilen sich innerhalb von Minuten auf den Intravasalraum und den interstitiellen Raum. Um einen volumenanalogen Effekt wie bei kolloidalen Lösungen zu erreichen, wird ca. die 4fache Infusionsmenge benötigt. Nachteil ist die interstitielle Überwässerung. Zu berücksichtigen sind eine verdünnungsbedingte Abnahme des kolloidonkotischen Drucks im Intravasalraum und die daraus bedingten unerwünschten Nebenwirkungen auf die Darmperfusion, die Gewebeoxygenierung und den pulmonalen Gasaustausch. Alle heutzutage erhältlichen Infusionslösungen enthalten kein Bikarbonat als physiologische Pufferbase. Dadurch wird bei hohen Infusionsraten die HCO3-Konzentration im gesamten Extrazellularraum verdünnt, während der CO2-Partialdruck (Puffersäure) konstant gehalten wird. Es entsteht eine Dilutionsazidose. z z Ringer-Laktat-Lösung

Ringer-Laktat-Lösungen haben ein metabolisiertes Anion, um bei größeren Infusionsmengen eine Dilutionsazidose zu verhindern. Ringer-Laktat-Lösungen haben jedoch einen Anteil freien Wassers, welcher die Bildung eines Ödems unterstützt. > Bei einer gestörten Mikrozirkulation

sollte auf Lösungen mit Azetat oder Laktat verzichtet werden, um die Menge des durch den ohnehin erhöhten anaeroben Stoffwechsel anfallenden Laktats nicht noch zu erhöhen. Die O2-Schuld würde dadurch unnötig gesteigert werden.

5

5 Maximale Volumenwirkung (MVW) ist der initiale maximale Volumeneffekt in Prozent des infundierten Volumens ohne Berücksichtigung von Zeiteffekten 5 Volumenwirkdauer (VWD) ist die Zeitspanne, in der das infundierte Volumen zu mindestens 100 % intravasal wirksam ist 5 Halbwertszeit der Volumenwirkdauer (HVW) ist die Zeitspanne, in der das infundierte Volumen zu mindestens 50 % intravasal wirksam ist z z Gelatine

5 Polypeptid, das aus Kollagenmaterial von Rindern hergestellt wird 5 Herstellung durch Spaltung in einzelne Peptidbruchtücke und anschließende Quervernetzung mittels unterschiedlicher Vernetzungsmittel 5 Gefahr der Übertragung der bovinen spongiösen Enzephalopathie liegt im Rahmen der spontanen Inzidenz (1:1.000.000) 5 Unterschiedliche Konzentrationen (3–5,5 %) und Molekülgrößen (30–35 kD) werden angeboten 5 MVW liegt bei 80–100 % 5 Obwohl die Molekülgröße unterhalb der Nierenschwelle liegt, wird eine renale Rückresorption diskutiert 5 VWD: 1,5 h 5 HVW: 5 h 5 Überwiegende renale Elimination, geringer Teil durch Darm und Peptidasen 5 Histaminliberation durch unterschiedliche Vernetzungsmittel → Häufigkeit: 0,345 % 5 Keine oder nur vernachlässigbar geringe Beeinflussung der Blutgerinnung 5 Kein Einfluss auf die Nierenfunktion z z Hydroxyethylstärke (HES)

z z Vollelektrolytlösung > Balancierte Vollelektrolytlösungen sind in der Notfallmedizin zu bevorzugen.

5.7.1.3  Kolloidale Lösungen

Bei künstlichen Kolloiden muss unterschieden werden zwischen:

5 HES ist ein Polysaccharid aus unterschiedlich vernetzten Glukoseeinheiten (. Tab. 5.3) 5 Stärke stammt aus Kartoffeln oder Mais 5 Durch den Einbau von Hydroxethylgruppen an C2, C3 oder C6 wird die Substanz vor dem raschen Abbau durch α-Amylase des Serums geschützt

136

J. C. Brokmann

. Tab. 5.3  Eigenschaften HES-Kolloidallösung 6 % HES 130/0,4

5

MVW [%]

120

VWD [h]

4

HVW [h]

7

Maximaldosis [ml/kgKG/ Tag]

30

MVW maximale Volumenwirkung, VWD Volumenwirkdauer, HVW Halbwertszeit der Volumenwirkdauer

5 Ab einem Molekulargewicht von 60.000 kD werden die Moleküle renal eliminiert 5 Als Substitutionsgrad wird der Anteil der mit einer oder mehreren Hydroxethylgruppen versehenen Glukoseeinheiten im Stärkemolekül bezeichnet 5 Der Substitutionsgrad wird hinter der Konzentration und dem Molekulargewicht angegeben (z. B. 6 % HES 130/0,4) 5 Je höher der Substitutionsgrad, desto langsamer ist der Abbau durch α-Amylase und desto langsamer ist die renale Elimination 5 Neben dem Substitutionsgrad ist auch der Ort der Substitution, d. h. an welchem C-Atom (C2 oder C6) substituiert ist, wichtig. Am stabilsten ist die C2-Position. Je höher das C2:C6-Verhältnis, desto länger benötigt die α-Amylase > Bei jeder Applikation von HES, die einen

Volumeneffekt >100 % hat, muss das im Interstitium entstehende Defizit ausgeglichen werden.

5 HES-Präparate haben mit 0,058 % eine geringe Inzidenz an Unverträglichkeitsreaktionen 5 Langfristige Speicherungsphänomene im retikuloendothelialen System sind vorhanden und haben bis jetzt ungeklärte Effekte auf die Immunkompetenz eines Menschen Auswirkung auf die Blutgerinnung: 5 Je nach HES-Einfluss auf Thrombozyten, Faktor-VIII und den von-WillebrandFaktor (vWF, FVIIIA)

5 Verlängerung der Blutungszeit und PTT nur, wenn die oben angegebenen Maximaldosen überschritten werden 5 Unterschiedliche Gerinnungswirkungen nehmen mit dem Molekulargewicht und dem Substitutionsgrad zu und sind zudem vom Substitutionsmuster abhängig Die Zulassungsinhaber von HES-haltigen Arzneimitteln zur Infusion weisen darauf hin, dass diese weiterhin nicht bei Patienten mit Kontraindikationen angewendet werden dürfen, insbesondere nicht bei Patienten mit Sepsis, Nierenfunktionsstörung oder kritisch kranken Patienten. Kontraindikationen:

5 Sepsis 5 Kritisch kranke Patienten 5 Nierenfunktionsstörung oder Nierenersatztherapie 5 Dehydrierte Patienten 5 Verbrennungen 5 Intrakranielle oder zerebrale Blutung 5 Hyperhydrierte Patienten einschließlich Patienten mit Lungenödem 5 Schwere Gerinnungsstörungen 5 Schwere Leberfunktionsstörungen > Wenn Sie nicht auf HAES verzichten

können, verwenden Sie nach Möglichkeit HAES 130/04. > HAES unterliegt aktuell einer Schulungs-

verpflichtung für Anwender.

z z Dextran

5 Ein aus Glukosemolekülen aufgebautes Polysaccharid, das durch bakterielle Synthese aus Zuckersaft gewonnen wird 5 Der Einsatz von Dextran ist in Deutschland stark rückläufig 5 Dextranlösungen sind mit unterschiedlichem Molekulargewicht verfügbar (40, 60, 70 kD)

137 Medizinische Maßnahmen

5 Nach enzymatischer Spaltung wird Dextran bei einem Molekulargewicht ab 50 kD renal eliminiert 5 6 % Dextran 60 hat eine MVW von 130 % und eine VWD von 4–6 h Dosierung

5 Die empfohlene Maximaldosierung von Dextran liegt bei 1,5 g/kgKG/Tag 5 Zur Prophylaxe von allergischen Reaktionen muss jeder Dextrananwendung mindestens 20 min vorweg ein monovalentes Hapten-Dextran (MG 1000) verabreicht werden (Promit)

5 Ursache bei 70 % aller Erwachsenen sind vorhandene dextranreaktive Antikörper 5 Dextran hat von allen künstlichen Kolloiden die gravierendste Auswirkung auf die Blutgerinnung 5 Dextran beeinträchtigt durch „coating“ die Thrombozyten und darüber hinaus die Aktivität der Gerinnungsfaktoren II, V und VIII 5.7.1.4  Small volume resucitation

5 Unter „small volume resucitation“ versteht man die Zufuhr einer hyperosmolaren bzw. hyperosmolar-hyperonkotischen Lösung 5 Der hypertone Anteil wird durch eine hochprozentige z. B. 7–10 %ige NaCl-Lösung erreicht 5 Die Lösung muss im Bolus innerhalb von max. 5 min über einen großen Zugang appliziert werden, um den osmotisch-onkotischen Druck aufzubauen und somit eine Flüssigkeitsverschiebung aus dem Interstitium, aus Erythrozyten und dem Gefäßendothel nach intravasal zu erreichen 5 Der Bolus beträgt 4 ml/kgKG, ca. 250 ml beim Erwachsenen 5 Der vorübergehenden Normalisierung der Mikro- und Makrozirkulation muss eine unverzügliche Substitution des mobilisierten Volumens durch eine weitergehende konventionelle Volumenersatztherapie folgen

5

> Die Anwendung ist darauf

angewiesen, ob ein interstitiell mobilisierbares Volumen verfügbar ist. Der Volumeneffekt auf Kredit ist zu berücksichtigen.

5.8  Immobilisation

Im Rettungsdienst werden verschiedene Materialien zur Immobilisation von verletzten Extremitäten oder bestimmter Körperteile bis zum Gesamtkörper vorgehalten. > Vor und nach Anlage der Immobilisation

ist die Kontrolle von Durchblutung, Motorik und Sensibilität obligat.

z z Halswirbelsäulen-Immobilisation

Die Immobilisation der Halswirbelsäule (HWS) erfolgt bei bloßem Verdacht auf eine HWS-Schädigung oder einem Trauma, bei dem eine Verletzung der HWS wahrscheinlich ist. Es sind verschiedenste Modelle erhältlich wie z. B.: 5 Stifneck 5 Nec-Lock Es gibt Systeme unterschiedlicher Größen oder auch Systeme, bei denen die Größe flexibel angepasst werden kann. Indikationen:

5 V. a. HWS-Verletzung 5 Schädel-Hirn-Trauma 5 Polytrauma 5 Bewusstloses Trauma 5 Intubierte Notfallpatienten während des Transports, zur Stabilisierung des Übergangs Kopf-Rumpf und somit zur Vermeidung einer akzidentellen Extubation ! Cave

Eine falsche Auswahl der Größe oder eine unkorrekte Anlage kann zu Hyperflexion, ungewollter Extension oder venöser Stauung führen.

138

J. C. Brokmann

Durchführung:

5

5 Anlage durch zwei Helfer 5 Entfernung von Hals- oder Ohrenschmuck, störende Kleidung entfernen 5 Kopf wird ohne Zug durch einen Helfer in Neutralposition gehalten 5 Zweiter Helfer bestimmt Größe des HWSSchiene 5 Abstand zwischen Schulter und Unterkiefervorderkante 5 Auswahl oder Anpassung des Materials 5 Kinnstütze von der Brustseite aus anbringen 5 Anschließend wird der rückwärtige Teil um den Nacken gelegt und mit dem Klettverschluss befestigt > Bei einer angelegten HWS-Schiene

sind die Intubationsbedingungen deutlich erschwert. Es muss dann eine manuelle Inline-Stabilisierung durch einen zweiten Helfer gewährleistet sein, wenn die HWS-Schienung zur Intubation vorübergehend gelöst wird.

z z Kopffixierungssets

Ein sog. Head-lock-System wird zum Einsatz auf Spineboards, Tragen oder Schaufeltragen angeboten. Es wird zusätzlich zur Stabilisierung des Kopfs während des Transports mittels Schaumstoffblöcken angewendet. Diese werden beidseits des Kopfs mittels Klettverschlüssen und Spanngurten auf der Unterlage fixiert. z z SAM-SPLINT

Ein röntgenstrahlendurchlässiges Ruhigstellungsmittel aus einer ummantelten Metallschiene, die an Körper und Extremitätenstrukturen angepasst werden kann. Es werden unterschiedliche Größen des Schienenmaterials hergestellt. Indikationen – speziell bei Kindern:

5 Hand- und Fingerfrakturen 5 Unterarmfrakturen 5 Oberarmfrakturen 5 Unterschenkelfrakturen 5 Oberschenkelfrakturen 5 Stabilisierung von Gelenkfrakturen

Durchführung:

5 Anpassung des Schienenmaterials an Extremität und erwünschte Stellung 5 Die jeweils nach proximal und distal beteiligten Gelenke sind in die Schienung mit einzubeziehen, um eine ausreichende Stabilität zu erreichen z z Vakuumschienen

Vakuumschienen bestehen aus einer luftdichten Kunststoffhülle, die mit Styroporkügelchen gefüllt ist. Die Schienen sind aus einer oder mehreren Kammern zusammengesetzt. Die Schiene ist einflächig und wird mittels Klettbändern fixiert. Sie werden primär luftgefüllt angebracht. Anschließend wird die in der Kammer/ den Kammern enthaltene Luft abgesaugt. Dadurch ergibt sich eine starre und verwindungssteife Schiene, die die verletzte Extremität fixiert und stabilisiert. Indikationen:

5 Unterschenkelfrakturen 5 Sprunggelenksfrakturen 5 Unterarmfrakturen 5 Distale Oberarmfrakturen Nachteile:

5 Extension kann nicht angelegt werden 5 Ungenügende Ruhigstellung von: 5 Proximalen Oberarmfrakturen 5 Proximalen Oberschenkelfrakturen 5 Längenveränderung der Schiene beim Luftabsaugen 5 Bei einkammrigen Systemen kommt es zu einer ungleichen Verteilung der Styroporkügelchen und dadurch zu unzureichenden Ergebnissen der Ruhigstellung 5 Faltenbildung kann zu einseitigem Druck auf das Weichteilgewebe führen z z Vakuummatratze

Die Vakuummatratze wird zur Immobilisierung einzelner Körperteile genauso eingesetzt wie zur Stabilisierung des gesamten Körpers. Sie besteht aus einer luftdichten Kunststoffhülle, die mit Styroporkügelchen gefüllt

139 Medizinische Maßnahmen

5

ist. Die eingeschlossene Luft kann über ein eingebautes Ventil abgesaugt werden. Dadurch passt sich die Vakuummatratze an den Körper an und wird steinhart. Des Weiteren sind im Einsatz: 5 Vakuumkissen 5 Vakuummatratze für Kinder mit integriertem Gurtsystem

kann es auch zur Rettung aus dem Wasser eingesetzt werden. Indikationen: s. Vakuummatratze

Indikationen:

Indikationen:

5 V. a. Wirbelsäulenverletzung 5 Beckenverletzung 5 Oberschenkelfraktur 5 Oberschenkelhalsfraktur Durchführung:

5 Vor der Anmodelation wird die Matratze mit der Patientenseite nach unten glatt gestrichen und abgesaugt, um eine ebene Fläche zur erzeugen 5 Anschließend wird die Vakuummatratze umgedreht 5 Ein auf die Matratze gelegtes Tragetuch erleichtert eine spätere Umlagerung 5 Der Patient wird mittels Schaufeltrage auf die Vakuummatratze gelagert 5 Anschließend wird das Ventil geöffnet, die Matratze füllt sich mit Luft und der Patient versinkt in der Vakuummatratze 5 Durch mindestens zwei Helfer wird dann die Matratze an den Körper anmodelliert 5 Die Absaugpumpe wird an das Ventil angeschlossen und ein neues Vakuum erzeugt 5 Zwei Helfer formen beim Absaugen auf einer Seite mit den Knien und auf der anderen Seite mit den Händen die Matratze an den Körper an 5 Im Bereich des Kopfs und der Füße sollte möglichst wenig Füllmaterial sein, um eine Stauchung des Körpers beim Absaugen zu vermeiden z z Spineboard

Das Spineboard ist ein Hilfsmittel zur Rettung und Immobilisierung eines Patienten. Da das Spineboard schwimmfähig sein sollte,

z z Schaufeltrage

Die Trage besitzt ein Metallgestell, das durch eine Längenadaption an die Größe des Patienten angepasst werden kann. 5 Räumliche Enge 5 Umlagerung eines Patienten auf Vakuummatratze 5 Rettung aus PKW 5 Rettung aus LKW-Kabine Durchführung:

5 Die ungeteilte Trage wird neben dem Patienten auf die erforderliche Länge eingestellt 5 Anschließend wird die Trage geteilt 5 Der Patient wird durch mehrere Helfer einseitig angehoben und die Hälfte der Schaufeltrage unter den Patienten geschoben 5 Anschließend erfolgt die selbe Prozedur auf der Gegenseite 5 Es muss darauf geachtet werden, dass keine Körperteile, Kleidungsstücke o. Ä. eingeklemmt sind 5 Zuerst wird der Verschlussmechanismus am Kopfteil fixiert und anschließend am Fußteil 5 Eine optimale Fixierung des Patienten durch Gurte ist bei längeren oder unwegsamen Strecken zu gewährleisten z z Streckschienen

Diese Art des Schienenmaterials ist in Deutschland weniger verbreitet. Die am häufigsten verwendeten Systeme sind: Kendrick Traction Device und Sager Traction Splint. Diese Schienen erhalten nach Anlage eine angelegte Extension von frakturierten Extremitäten und sollen somit posttraumatische Durchblutungsstörungen und sekundäre Weichteilverletzungen vermeiden.

140

J. C. Brokmann

Indikationen:

5 Unterschenkelfrakturen 5 Oberschenkelfrakturen Kontraindikationen:

5

5 Instabile Beckenfrakturen 5 Symphysensprengung 5 Sprunggelenksfrakturen 5 Kniegelenksdislokation 5 Hüftgelenksluxationen Als knöcherner Gegenpunkt zum Herstellen und Aufrechterhalten der Extension wird die Symphyse des Patienten verwendet. Danach wird der distale Anteil am Sprunggelenk fixiert. Nach Anlage und Verschluss der weiteren Verschlüsse erfolgt die Extension. z z KED-System „Kendrick extrication device“

Das KED-System ist ein Rumpfkorsett und dient der Rettung aus Fahrzeugen oder anderen beengten Verhältnissen. Mit je einem Stirn- und Kinngurt, drei Rumpfgurten sowie zwei Gurten, die an den Leisten angebracht werden, wird dieses Kunststoffkorsett am Körper befestigt. Es hat in den letzten Jahren sehr an Bedeutung verloren, da die Anwendung sowohl aufwendig als auch fehlerbehaftet ist. Indikationen:

5 5 5 5

Fixierung der Hals- und Brustwirbelsäule V. a. Wirbelsäulenfraktur Rettung aus Höhen und Tiefen Kann auch zur Stabilisierung bei einer Hüftluxation oder Oberschenkelhalsfraktur angewendet werden

Durchführung:

5 HWS-Immobilisation durch HWS-Schienung (Stifneck) 5 Fixierung des Oberkörpers durch einen Helfer 5 Zurückdrehen der Rückenlehne des Sitzes 5 Positionierung des KED-Systems hinter dem Patienten

5 Anpassung des Systems durch Anlage des mittleren und unteren Brustgurtes mittels Zug und Gegenzug 5 Der obere Gurt wird geschlossen, aber noch nicht angezogen (Behinderung der freien Atmung) 5 Beingurte werden unter das Gesäß geschoben, im Schritt gekreuzt und angezogen 5 Die Kopfpolsterung wird zusammengelegt, um Raum zwischen Hals und KED-System auszufüllen 5 Der Kopf wird mithilfe eines Stirn- und Kinngurtes fixiert 5 Der obere Brustgurt wird festgezogen 5 Patient kann in toto auf dem Sitz gedreht werden 5 Vier Helfer retten den Patienten aus dem Fahrzeug 5 Hierbei sind die Beine achsengerecht zu halten, um ein Abknicken der Lendenwirbelsäule (LWS) an der unteren KED-Systemkante zu vermeiden > Beim Anlegen und Retten des Patienten

durch das KED-System ist der erhöhte Zeitaufwand taktisch zu berücksichtigen.

z z Luftkammerschienen

Diese sollten nach aktuellem Kenntnisstand nicht mehr im rettungsdienstlichen Alltag Anwendung finden. Unzureichende Stabilisierung des Repositionsergebnisses, verminderte Durchblutung mit Kompartmentgefahr, suboptimale Beurteilung der Extremität nach Anlage sprechen gegen die Anwendung. 5.9  Narkose im Rettungsdienst

Ziele der Anästhesie im Rettungsdienst sind: 5 Analgesie 5 Erreichen einer Toleranz der Intubation 5 Erreichen einer kontrollierten Beatmung Regionalanästhesieverfahren der Notfallmedizin keine

spielen in Rolle. Auch

141 Medizinische Maßnahmen

Lokalanästhesien werden sehr selten durchgeführt. Indikation zur Narkose: 5 Störung der Schutzreflexe (GCS ≤8) Komponenten der Narkose: 5 Analgesie 5 Hypnose 5 Relaxation Narkosestadien nach Guedel (1920) 5 Stadium 1: Amnesie und Analgesie – Patient ist noch ansprechbar, tolerante Einstellung gegenüber Schmerz 5 Stadium 2: Exzitationsstadium (Erregung) – Unregelmäßige Atmung, erhöhter Muskeltonus, erhöhte sympathische Aktivität – Stadium 2 sollte schnell überwunden werden, da sie die instabilste Phase ist und die höchste Rate an Komplikationen wie Laryngo- und Bronchospasmus sowie Erbrechen aufweist – In dieser Phase sollte keine Manipulation am Patienten durchgeführt werden 5 Stadium 3: Chirurgische Toleranz – Zielstadium – Patient mit reduziertem Muskeltonus 5 Stadium 4: Vergiftung – Herz-Kreislauf-Insuffizienz

Eine Kombination von Medikamenten beeinflusst und modifiziert die Stadien nach Guedel. Eine Analgesie und der schleichende Übergang in eine Narkose sind für Ungeübte schwierig. Für den Patienten birgt es zugleich ein hohes Risikopotenzial. Hat man sich in der präklinischen Phase für eine Narkose entschieden, bedeutet dies: 5 Intubation 5 Kontrollierte Beatmung

5

Assistierte Beatmungsformen sind in der Notfallmedizin aufgrund des unzureichenden Monitorings sehr selten indiziert. Das Vorgehen bei einer Narkose ist abhängig vom Vigilanzzustand des Patienten →  Unterschied zwischen bewusstlosem (GCS 3) oder bewusstseinsklarem Patient. > Grundsätzlich gilt, dass kein Patient

in der Notfallmedizin nüchtern ist. Es ist immer eine Crush-Einleitung („Rapid Sequence Induction“, RSI) durchzuführen.

Wurde die Indikation zur Narkoseeinleitung getroffen, ist Folgendes vorzubereiten: 5 Bereitstellung und Prüfung des Materials 5 Lagerung des Patienten (7 Abschn. 5.3) 5 Komplettes Monitoring (EKG, SaO2, RR) 5 Präoxygenierung 5 Beatmungsbeutel 5 Absaugbereitschaft 5 Laryngoskop 5 Tubus, Führungsstab 5 Blockerspritze 5 Magill-Zange 5 Medikamente 5.10  Schmerztherapie

Neben dem ethischen Aspekt bewirkt die Schmerztherapie eine Dämpfung bzw. Blockierung der reaktiven übersteigerten Sympathikusaktivität und reduziert sekundär den O2-Bedarf. Eine präklinische Schmerztherapie ist bei nahezu allen Krankheitsbildern möglich. Eine unterlassene Schmerztherapie aus Gründen der Verschleierung von Symptomen ist durch kein Argument zu halten. Es setzt jedoch eine intensive präklinische Untersuchung und Dokumentation der Befunde voraus.

Literatur Gorgaß et al (2007) Das Rettungsdienst-Lehrbuch, 8. Aufl. Springer, Berlin

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J. C. Brokmann

Weiterführende Literatur

5

American Society of Anaesthesiologists Task Force on Management of the Difficult Airway (2013) Practice guidelines for management of the difficult airway – update. 7 http://anesthesiology. pubs.asahq.org/article.aspx?articleid=1918684. Zugegriffen: 12. Dez. 2018 Bensberg R, Kuhlen R (2005) Nichtinvasive Beatmung. Intensivmed up2date 1:133–142 Bernhard M, Bein B, Böttiger BW et al (2015) Handlungsempfehlung zur prähospitalen Notfallnarkose beim Erwachsenen. 7 https://www.awmf. org/uploads/tx_szleitlinien/001-030l_S1_Praehospitale_Notfallnarkose_Erwachsene_2015-03.pdf. Zugegriffen: 12. Dez. 2018 Burchardi H, Kuhlen R, Schönhofer B et  al (2001) Konsensus-Statement zu Indikation, Möglichkeiten und Durchführung der nicht-invasiven Beatmung bei der akuten respiratorischen Insuffizienz. Intensivmed Notfallmed 38:611–621

Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin (2004) Leitlinie airway management. Anaesth Intensivmed 45:302–306 Piepho T, Cavus E, Noppens R et al (2015) S-Leitlinie: Atemwegsmanagement. 7 https://www.awmf. org/uploads/tx_szleitlinien/001-028l_S1_Atemwegsmanagement_2015-04_01.pdf. Zugegriffen: 12. Dez. 2018 Timmermann A, Böttiger BW, Byhahn C et al (2019) AWMF Leitlinie „Prähospitales Atemwegsmanagement“. 7  https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/001-040l_S1_Praehospitales-Atemwegsmanagement_2019-03_1.pdf. Zugegriffen: 26. März 2019 7  https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RV_STP/g-l/ hes-neu2017.html

143

Kardiopulmonale Reanimation J. C. Brokmann und S. Bergrath

6.1 Leitlinien: Entstehung und Bedeutung (Guidelines) – 144 6.2 Herz-Kreislauf-Stillstand: Erwachsene – 144 6.2.1 Ersthelfermaßnahmen – 144 6.2.2 Basic Life Support (BLS) – 145 6.2.3 Advanced Life Support bei Erwachsenen (ALS) – erweiterte Reanimationsmaßnahmen – 147

6.3 Kinderreanimation – 154 6.3.1 Paediatric Basic Life Support (PBLS) – 155 6.3.2 Paediatric Advanced Life Support (PALS) – 156 6.3.3 Neugeborenenreanimation (Newly Born Life Support; NBLS) – 157 6.3.4 Atemwegsfremdkörper – 158

6.4 Spezielle Fragestellungen rund um die Reanimation – 158 6.4.1 Sonographie unter CPR – 158 6.4.2 Postreanimationsphase – 158

Literatur – 159

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_6

6

144

J. C. Brokmann und S. Bergrath

6.1  Leitlinien: Entstehung und

Bedeutung (Guidelines)

6

Leitlinien werden seitens des European Resuscitation Council (ERC) und der American Heart Association (AHA) in regelmäßigen Abständen veröffentlicht. Im Jahre 2000 wurde das erste Mal vom International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR) ein gemeinsames Statement vieler an der Reanimationsforschung beteiligter Fachgesellschaften nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin veröffentlicht. Das ERC und die AHA verwenden diesen regelmäßig angepassten Konsens für ihre Guidelines, welche dann an die jeweiligen regionalen Bedürfnisse angepasst und alle fünf Jahre veröffentlicht werden. Die letzten internationalen Guidelines wurden im Oktober 2015 veröffentlicht und im deutschsprachigen Raum durch Kollegen des German Resuscitation Council (GRC) übersetzt und veröffentlicht (kostenfreier download unter 7 www.grc-org.de). 5 Erscheinen zwischenzeitlich maßgebliche wissenschaftliche Erkenntnisse werden diese als „advisory statements“ veröffentlicht 5 Die Veröffentlichungen des GRC als auch der „advisory statements“ werden durch die medizinischen Fachgesellschaften, welche sich mit dem Thema der Reanimation beschäftigen, unterstützt 5 Die Veröffentlichungen haben für Deutschland den Charakter von Leitlinien > Wir alle in der Notfallmedizin

Tätigen sollten uns dafür einsetzen, grundsätzlich unser Handeln nach den Leitlinien auszurichten und alle Kollegen auch nach den Leitlinien zu schulen.

Nur wer die Leitlinien kennt, kann davon im Sinne des Patientenwohls bei berechtigten medizinischen Gründen in Ausnahmen abweichen. Leitlinien sind

5 Systematisch entwickelte Entscheidungshilfen

5 Sollen die Transparenz medizinischer Entscheidungsfindung fördern 5 Entbinden den Anwender nicht von der Überprüfung der individuellen Anwendbarkeit im konkreten Fall 5 Sind im Sinne von „Handlungs- und Entscheidungskorridoren“ zu sehen 6.2  Herz-Kreislauf-Stillstand:

Erwachsene

z z Ursachen

5 >80 % der meisten Herz-Kreislauf-Stillstände sind kardial bedingt 5 Häufigste Ursache ist die kardiale Ischämie 5 Ca. 10 % internistische Krankheitsbilder ursächlich 5 Ca. 10 % Trauma, Suizid, Intoxikationen z z Rettungskette

Von der Laienhilfe bis zur intensivmedizinischen Therapie stellt die Rettungskette („chain of survival“) alle wichtigen Elemente symbolisch dar. Denn nur bei starken miteinander verknüpften Kettengliedern ist ein optimales Outcome für den Patienten möglich. Jede Kette ist nur so stark, wie ihr schwächstes Kettenglied (. Tab. 6.1). > If you loose time, you will loose your

Patient!

6.2.1  Ersthelfermaßnahmen

Mit jeder Minute in der nach Eintritt eines Kreislaufstillstands keine Wiederbelebungsmaßnahmen ergriffen werden, sinkt die Chance zu überleben drastisch. Nach 5 minütigem Kreislaufstillstand sterben Nervenzellen irreversibel ab. Kein professionelles Rettungssystem kann in den ersten Minuten nach dem Ereignis zugegen sein, sodass die Laienreanimation ein entscheidendes Element der Rettungskette ist. Ohne Laienhilfe werden nur wenige Patienten

145 Kardiopulmonale Reanimation

6

. Tab. 6.1 Rettungskette Kettenglied

Bedeutung

1.  Frühes Erkennen/früher Notruf

Im Optimalfall Herz-Kreislauf-Stillstand vermeiden/frühzeitige professionelle Hilfe und Defibrillation ermöglichen

2.  Frühe Basismaßnahmen

Zeitgewinn durch O2-Versorgung der vitalen Organe

3.  Frühe Defibrillation

Einzige kausale Therapie bei VF/VT, im Optimalfall innerhalb der ersten 5 min nach Herzstillstand, evtl. dadurch Wiederkehr eines Eigenkreislaufs

4.  Standardisierte Postreanimationstherapie

Frühe erweiterte Maßnahmen und die weitere Versorgung nach Wiederherstellung des Kreislaufs haben entscheidenden Einfluss auf das (neurologische) Outcome des Patienten (therapeutische Hypothermie!)

mit gutem neurologischem Ergebnis einen Kreislaufstillstand überleben. Auch für den professionellen Retter sind die (erweiterten) Basismaßnahmen die unverzichtbare Grundlage für einen Reanimationserfolg. Ohne bestmögliche und unterbrechungsfreie Basismaßnahmen kann keine Perfusion der Zielorgane erfolgen. Daher sollte bei der Reanimation durch Profihelfer möglichst ein Feedbacksystem eingesetzt werden, welches dem Helfer die Qualität der Thoraxkompressionen rückmeldet. 6.2.2  Basic Life Support (BLS)

5 Eigenschutz: Beim Nähern an den Betroffenen auf potenzielle Eigengefährdung achten sowie erkunden, ob der Patient, bevor man mit anderen Maßnahmen startet, zunächst aus einer Gefährdungssituation gerettet werden muss 5 Reaktion auf Ansprache: Patienten ansprechen und bei fehlenden Hinweis auf Trauma z. B. vorsichtig an den Schultern schütteln und die Reaktion ermitteln 5 Wenn keine Reaktion auf Ansprache: „Hilfe rufen“ und Patienten auf den Rücken drehen und die Atemwege freimachen. Sollte man vor Ort alleine

sein, laut um Hilfe rufen, damit andere Anwesende aufmerksam gemacht werden und unterstützen können. Kopf überstrecken, Mund öffnen, ggf. Unterkiefer vorziehen 5 Bei freigehaltenem Atemweg für ca. 10 s mittels Sehen, Hören und Fühlen überprüfen, ob der Patient normal atmet 5 Ist keine normale Atmung vorhanden, umgehend Notruf veranlassen (ggf. durch eine andere Person absetzen lassen: NOTRUF 112 oder lokale Notrufnummer) und sofort mit der Herzdruckmassage beginnen 5 Achtung bei bis zu 40 % der Patienten liegt in der ersten Phase des Herz-KreislaufStillstands eine Schnappatmung vor, welche häufig fehlinterpretiert wird 5 Parallel zur Atemkontrolle kann ein professioneller Helfer noch eine Kontrolle der Zirkulation mittels Tasten des Karotispulses durchführen, welche aber auch für den geübten Helfer häufig nicht einfach in dieser Situation ist 5 Liegt in 10-s-Überprüfung weder eine normale Atmung vor noch sind andere Kreislaufzeichen eruierbar, ist unmittelbar mit den Thoraxkompressionen zu beginnen 5 Herzdruckmassage oder Thoraxkompressionen werden seitlich neben dem Patienten befindlich durchgeführt

146

6

J. C. Brokmann und S. Bergrath

5 Liegt der Patient auf dem Boden, kniet der Helfer daneben und legt die Handballen übereinander (Finger ineinander verschränkt) in der Mitte des Thorax auf der unteren Sternumhälfte 5 30 Thoraxkompressionen mit einer Frequenz von 100–120/min mit einer Drucktiefe von mindestens 5 aber nicht mehr als 6 cm durchführen 5 Eine andere Orientierung ist, das der Thorax ca. um 1/3 seiner seitlichen Thoraxhöhe eingedrückt werden sollte. Nach der Kompression den Thorax wieder vollständig entlasten, den Druckpunkt aber beibehalten 5 Der Helfer, welcher die Thoraxkompressionen durchführt, sollte nach 2 min abgewechselt werden, da er ansonsten schnell ermüdet und die Thoraxkompressionen nicht mehr in der ursprünglichen Qualität durchgeführt werden können 5 Beatmung: Nach 30 Thoraxkompressionen sind unmittelbar 2 Beatmungen durchzuführen. Die Inspirationszeit sollte ca. 1–2 s betragen, bis sich der Thorax hebt. Dies entspricht einem verwendeten Tidalvolumen von 6–7 ml/kgKG 5 Das Verhältnis Thoraxkompression zu Atmung von 30:2 wird so lange beibehalten, bis die Atemwege des Patienten gesichert sind. Eine Atemwegssicherung ist optimal durch eine endotracheale Intubation oder dicht sitzende supraglottische Atemwegshilfe durchzuführen. Bei gesicherten Atemwege sollen 100– 120 Kompressionen/min parallel mit 10 Beatmungen/min ohne Unterbrechung der Thoraxkompressionen kombiniert durchgeführt werden 5 Eine Mund-zu-Mund-Beatmung oder Masken-Beutel-Beatmung führt häufig zur Mageninsufflation. Folge sind Magenüberblähung, Zwerchfellhochstand und Regurgitation, Aspiration und Hypoxie. Supraglottische Atemwegshilfen sind daher einer Masken-Beutel-Beatmung unbedingt vorzuziehen

Kurz und knackig 5 Druckpunkt in der Mitte des Thorax, untere Sternumhälfte 5 Frequenz: 100–120/min 5 Tiefe: 5–6 cm (oder 1/3 der Thoraxhöhe) 5 Verhältnis Druck:Entlastung = 1:1 5 Dekompression vollständig 5 Alle 2 min Helferwechsel bei Thoraxkompression 5 Wenn möglich Feedbacksystem nutzen 5 Verhältnis Thoraxkompressionen:Beatmung = 30:2

> Feedbacksysteme, welche eine direkte

Rückmeldung über die Qualität der Herzdruckmassage in Echtzeit geben, sind wenn immer möglich zu verwenden. Dadurch wird eine optimale Qualität der Thoraxkompressionen erreicht. > Auch professionelle Helfer haben

Schwierigkeiten das Vorhandensein eines Pulses sicher zu identifizieren. Nur wenn professionelle Helfer das Tasten des Karotispulses geübt sind, kann dies parallel zur Atemkontrolle durchgeführt werden (keine Verpflichtung).

z z Kompressionen ohne Beatmung? Compression-only-CPR

Unmittelbar nach dem Eintreten eines Herz-Kreislauf-Stillstands kann der Oxygenierungsgrad des Blutes noch ausreichend sein. Die alleinige Durchführung von Thoraxkompressionen soll daher durchgeführt werden, wenn eine Beatmung aufgrund fehlender Möglichkeiten, fehlender Schulung, Ekel usw. nicht durchgeführt werden kann. Die alleinigen Thoraxkompressionen führen immer noch zu einem besseren Outcome als nicht durchgeführte Basismaßnahmen. Bei einem primär kardial bedingten HerzKreislauf-Stillstand erschöpfen sich die

147 Kardiopulmonale Reanimation

O2-Vorräte im Blut bei der „Compression only CPR“ innerhalb der ersten 4 min. z z Telefonreanimation

Häufig finden Kreislaufstillstände im häuslichen Umfeld statt und nur eine weitere Person ist anwesend und es bestehen Unsicherheiten aufgrund emotionaler Überforderung oder ein Unwissen über die Wichtigkeit bzw. auch die Einfachheit der Wiederbelebungsmaßnahmen. Die Anleitung von Laienhelfern durch Leitstellenpersonal (Dispatcher-assisted-CPR) führte in großen randomisierten Studien zu einer signifikant höheren Anzahl an Patienten mit gutem neurologischem Ergebnis, im Vergleich zur reinen Alarmierung der Rettungsmittel ohne Anleitung durch den Leitstellendisponenten. Im Rahmen der Dispatcher-assisted-CPR muss nach speziellen und wissenschaftlich evaluierten Protokollen vorgegangen werden, damit die verbale Anleitung in einer Ausnahmesituation auch suffizient umgesetzt wird. Im Rahmen dieser Anleitung soll nur die Compression-only-CPR angewiesen werden. z z Anwendung von automatisiertenexternen Defibrillatoren (AED)

Liegt bei Patienten mit einem Herz-KreislaufStillstand primär ein ventrikuläres Flimmern (VF) oder eine ventrikuläre Tachykardie (VT) vor, verschlechtert sich mit jeder Minute die Überlebenswahrscheinlichkeit um 10–12 %. Deshalb sollte diese Herzrhythmusstörung so schnell als möglich mittels Anwendung einer Defibrillation beendet werden. Die Anwendung eines automatisierten externen Defibrillators durch Laien oder entsprechend geschulte Helfer hat daher eine hohe Bedeutung. AED sind einfach zu verwendende Geräte unterschiedlicher Hersteller, die eine automatische Herzrhythmusanalyse durchführen. Über Klebepads, welche auf dem Thorax des Notfallpatienten angebracht werden, wird zum einen das Rhythmus-EKG abgeleitet und zum anderen, falls notwendig, der Schock appliziert. Der AED analysiert innerhalb weniger Sekunden

6

den vorhandenen Herzrhythmus und empfiehlt mit hoher Spezifität und Sensitivität die Notwendigkeit einer Schockabgabe. Der Anwender wird mittels lauter Sprachanweisungen – teilweise auch optische Hinweise auf einem Display – in der Durchführung der zu treffenden Maßnahmen angeleitet, was auch beim nichtdefibrillationsfähigen Rhythmus für eher untrainierte Helfer hilfreich ist. Den Anweisungen der Geräte sollten Laienhelfer unbedingt Folge leisten. Kommen professionelle Helfer zu einem Notfallort, bei dem bereits ein AED verwendet wird, sollte der zunächst weiter verwendet werden, um die Gefahr der Verzögerung eines Schocks mit einen manuellem Defibrillator zu verhindern. Erst werden durch die professionellen Helfer die Atemwege gesichert und ein i.v.-Zugang angelegt, nach den aktuellen Leitlinien soll erst danach auf den manuellen Defibrillator gewechselt werden. > Handelsübliche AED können bei Kindern

ab dem 2. Lebensjahr verwendet werden. Bis zum 8. Lebensjahr sollten – wenn möglich – spezielle Kinderelektroden verwendet werden. Damit werden geringere Defibrillationsenergien (ca. 50–75 J) abgegeben. Bei Kindern im ersten Lebensjahr ist die Verwendung eines AED nicht empfohlen, kann jedoch erwogen werden, wenn keine Alternative zur Verfügung steht.

6.2.3  Advanced Life Support

bei Erwachsenen (ALS) – erweiterte Reanimationsmaßnahmen

Die Durchführung erweiterter Reanimationsmaßnahmen wird als Advanced Life Support (ALS) bezeichnet. Darunter versteht man folgende Maßnahmen: 5 Thoraxkompressionen 5 Beatmung 5 Defibrillation 5 Atemwegssicherung

148

J. C. Brokmann und S. Bergrath

5 Gefäßzugang 5 Applikation ausgewählter Medikamente 5 Maßnahmen zur Therapie bei besonderen Ursachen aus Auslöser des Herz-KreislaufStillstands 5 Maßnahmen in der Postreanimationsphase nach der Wiederkehr eines Spontankreislaufs (ROSC) z z Maßnahmen im Advanced Life Support (. Abb. 6.1)

6

Beginn der Maßnahmen im ALS: 5 Umgehende Durchführung der Basismaßnahmen (7 Abschn. 6.2.2)

. Abb. 6.1  Universeller ALS-Algorithmus

5 Umgehende Durchführung einer Rhythmusanalyse mittels Defibrillatormonitoreinheit 5 Wenn mit einem ventrikulärem Flimmern (VF) oder einer ventrikulären Tachykardie (VT) ein defibrillierbarer Rhythmus vorliegt → unmittelbare Durchführung einer Defibrillation. Danach sofortige Fortführung der Thoraxkompression ohne weitere Erfolgskontrolle (linker Schenkel des Algorithmus) 5 Wenn eine Asystolie oder pulslose elektrische Aktivität (PEA), also ein nichtdefibrillierbarer Rhythmus, vorliegt, dann

149 Kardiopulmonale Reanimation

umgehend die Thoraxkompression weiter durchführen, einen Gefäßzugang schaffen und 1 mg Adrenalin applizieren (rechter Schenkel des Algorithmus) z Detailliertere Darstellung des Ablaufs

5 Umgehender Beginn und Durchführung BLS (7 Abschn. 6.2.2) 5 30 Thoraxkompressionen:2 Beatmungen 5 Unterbrechungen zur Durchführung erweiterter Maßnahmen sind vorher zu planen, seinen Teammitgliedern klar und unmissverständlich mitzuteilen und möglichst kurz durchzuführen 5 Erste Rhythmusanalyse 5 Nach EKG-Ableitung und Rhythmusanalyse erfolgt die unmittelbare Wiederaufnahme der Thoraxkompressionen und die Mitteilung an das Team, ob ein defibrillierbarer oder nichtdefibrillierbarer Rhythmus vorliegt 5 Somit entweder dem linken oder rechten Schenkel folgen bis zu nächsten Rhythmusanalyse nach 2 min 5 Sicherste und effektivste Art zur Rhythmusableitung und Defibrillation ist die Verwendung einer kombinierten Defibrillator-Monitor-Einheit und die Verwendung von Klebepads zur Applikation der Defibrillationsenergie 5 EKG-Ableitung 5 Kann durch die Klebepads erzielt werden, ist jedoch ggf. genauer bei der zusätzlichen Verwendung eines 3- bis 4-poligen EKG. Klebepads sollen den herkömmlichen Hard-Paddles gegenüber bevorzugt werden, da sie sicherer in der Anwendung und durch niedrigere Impedanz eine bessere Energieübertragung stattfindet → Defibrillationserfolg wahrscheinlicher 5 Falls jedoch doch Hard-Paddles verwendet werden, sollten diese aus Sicherheitsgründen nur auf der Patientenbrust geladen und entladen werden 5 Defibrillation

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5 Alle in den letzten Jahren produzierten Defibrillatoren und AED verwenden eine biphasische Defibrillation 5 Die biphasische Defibrillation ist der monophasischen gegenüber überlegen, da sie mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zum Defibrillationserfolg führt und ggf. auch niedrigere Energiedosen appliziert werden können, was den Myokardschaden reduziert. Dies ist jedoch geräte- bzw. herstellerabhängig 5 Bei Verwendung eines älteren monophasischen Geräts beträgt die abzugebende Energie beim ersten Schock 360 J. Da die biphasischen Schockformen geräte- und herstellerspezifisch sind, empfiehlt das ERC, dass der 1. Schock mindestens 150 J beträgt. Danach soll eine Steigerung auf die Maximalenergie erfolgen. Ist das Gerät unbekannt, ist auch direkt die Abgabe der Maximalenergie erlaubt 5 STOP-GO-Strategie – Alle Maßnahmen sind gut zu planen, dem Team mitzuteilen und so kurz wie möglich durchzuführen, um die No-Flow-Phase so gering wie möglich zu halten – Die Thoraxkompressionen sind daher für maximal 5 s für eine Defibrillation zu unterbrechen. Dafür wird bei einem defibrillierbaren Rhythmus der Defibrillator bei applizierten Klebepads auf die vorhereingestellte Energie geladen – unter Fortführung der Thoraxkompressionen! – und sobald der Defibrillator geladen ist, das gesamte Team mit den Worten „STOP“ gewarnt. Alle helfenden Hände werden von dem Patienten entfernt und die Schockabgabe laut verkündet; anschließend werden nach dem Wort „Go“ unmittelbar die Thoraxkompressionen wieder begonnen – Die Kontrolle eines möglichen Defibrillationserfolgs – Tasten von Puls oder Rhythmusanalyse – soll

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J. C. Brokmann und S. Bergrath

zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgen, sondern erst mit der nächsten Rhythmusanalyse nach 2 min > Wichtig

6

5 Während der Ladephase des Defibrillators sind weiter Thoraxkom­ pressionen durchzuführen, um die myokardiale Perfusion bis kurz vor den Schock zu gewährleisten. Nur so kann eine Defibrillation erfolgreich sein! 5 Alle Helfer sollen Einmalhandschuhe tragen!

5 Selbst bei erfolgreicher Defibrillation ist die kardiale Pumpfunktion meist noch nicht sofort wieder hergestellt („stunning heart“), sodass der Patient von der Fortführung der Thoraxkompressionen profitiert. Nur wenn der Patient unter laufender Thoraxkompression Lebenszeichen zeigt (wie z. B. Atmung, Husten, Spontanbewegungen usw.) sollte eine unmittelbare Rhythmuskontrolle erfolgen 5 Zweite Rhythmusanalyse 5 Die Rhythmusanalyse soll alle 2 min unmittelbar nach der Thoraxkompression erfolgen und auch nur kurz andauern. Parallel sollte der Puls getastet werden, um einen wiederkehrenden Kreislauf zu erkennen, falls ein Rhythmus zu erkennen ist, der mit einem Puls einhergehen kann 5 Die Rhythmusanalyse sollte auch zu einem Helferwechsel für die Thoraxkompressionen genutzt werden. Ermüdung und damit unzureichende Qualität der Herzdruckmassage führen zu einem schlechteren Ergebnis 5 Zur Beurteilung eines wiederkehrenden Spontankreislaufs ist unbedingt die Kapnographie heranzuziehen. Wenn der gemessene und visualisierte exspira­ torische CO2-Wert in kurzer Zeit deut­lich ansteigt, ist dies ein Indikator für einen wiedereingetretenen Spontankreislauf

5 Atemwegssicherung 5 Die endotracheale Intubation sollte durch den Geübten stattfinden. Ist sie nicht möglich, dann Atemwegssicherung mittels supraglottischer Atemwegshilfen (Larynxmaske oder Larynxtubus) 5 Wenn möglich Thoraxkompressionen unter Laryngoskopie fortführen. Wenn unter Thoraxkompression keine Intubation möglich, dann gute Vorbereitung und nur kurze maximal 10 s andauernde Unterbrechung 5 Larynxmaske oder Larynxtubus sind Alternativen zur endotrachealen Intubation, wenn diese nicht möglich ist oder keine Expertise zur Durchführung vorhanden ist. Ist eine supraglottische Atemwegshilfe etabliert und leckagefrei, dann ist auch hier, wie bei der Intubation, eine kontinuierliche Durchführung der Thoraxkompressionen empfohlen 5 Kapnographie 5 Zur Überprüfung der Atemwegssicherung soll die Kapnographie Anwendung finden. Diese ermöglicht ebenfalls die Überprüfung eines wiederkehrenden Spontankreislaufs („return of spontaneous circulation“, ROSC). – Anstieg exspiratorisches CO2 → ROSC – Initial niedriges exspiratorisches CO2 trotz kurzer Latenz → Lungenarterienembolie? – Abfallendes exspiratorisches CO2 → sich vermindernder Gasaustausch bzw. Hyperventilation – Kombination aus geringem exspiratorischen CO2, keiner Laienreanimation und Asystolie als Intialrhythmus: Kombination ungünstiger Parameter in die Entscheidung der Reanimationsdauer durch den Notarzt miteinbeziehen

151 Kardiopulmonale Reanimation

> Eine Hyperventilation während

Reanimation ist zu vermeiden, da bei beibehaltener Autoregulation der zerebralen Gefäße dies zu einer zerebralen Minderperfusion führen kann. Eine Hyperventilation steigert zudem den intrathorakalen Druck und vermindert dadurch den venösen Rückstrom zum Herz!

5 Gefäßzugang 5 Zur Applikation ausgewählter Medikamente während der Reanimationsmaßnahmen sollte ein i.v.-Zugang gelegt werden. Bevorzugt werden sollten herznahe großlumige Gefäße wie eine Cubitalvene oder die V. jugularis externa (andere peripheren Venen sind möglich) 5 Ist kein i.v.-Zugang zu legen, intraossären Zugang etablieren 5 Flüssigkeitsbolus nach jeder Medikamentengabe, um das Medikament in den zentralen Kreislauf zu spülen 5 Medikamente intraossär in der gleichen Dosierung wie bei i.v.-Gabe applizieren. Auch hier Flüssigkeitsbolus im

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Anschluss an die Medikamentengabe. Ggf. ist ein Druckbeutel zu verwenden. 5 Medikamente bei der Reanimation (. Tab. 6.2) 5 1 mg Adrenalin alle 3–5 min bei jedem Erwachsenen im Herz-Kreislauf-Stillstand 5 Bei einer VF/VT (linker Schenkel . Abb. 6.1) sollte Adrenalin jedoch erst nach der 3. Schockabgabe appliziert werden, da Adrenalin selbst Kammerflimmern begünstigen kann 5 Bei Asystolie/PEA soll Adrenalin jedoch so zeitnah als möglich appliziert werden 5 Zur besseren Übersicht empfehlen die Autoren Adrenalin bei jedem 2. Reanimationszyklus zu geben (alle 4 min) 5 Ist ein therapierefraktäres VF/VT vorhanden (drei erfolglose Defibrillationen), dann ist Amiodaron 300 mg nach dem 3. Schock zu applizieren, nach dem 4. Schock weitere 150 mg Amiodaron 5 Magnesiumsulfat (2 g i.v.) bei der Torsade-de-pointes-Tachykardie,

. Tab. 6.2  Medikamente im Advanced Life Support Medikament 

Indikation

Bolusgabe i.v. oder i.o

Adrenalin

Jeder Herz-Kreislauf-Stillstand Bei VF/VT erst nach 3 erfolglosen Defibrillationen

1 mg alle 3–5 min (→ bei jeder 2. Rhythmusanalyse), verdünnt auf mind. 10 ml

Amiodaron

1. Wahl bei therapierefraktärem VF/VT, d. h. nach 3 erfolglosen Defibrillationen

300 mg, evtl. Wiederholung mit 150 mg, danach kontinuierlich 900 mg/24 h

Magnesium

Therapierefraktäres VF/VT bei (vermuteter) Hypomagnesiämie Torsade de pointes (vermutete) Digoxintoxizität

8 mmol (entspr. 2 g bzw. 4 ml Mg-Sulfat 50 %)

Kalzium

Hypokalzämie Hyperkaliämie Intoxikation mit Kalziumantagonisten

Initial 1 g (entspr. 10 ml CaCl 10 %)

Natriumbikarbonat

Kreislaufstillstand mit Hyperkaliämie Intoxikation mit trizyklischen Antidepressiva Keine routinemäßige Applikation empfohlen

Initial 50 mmol

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J. C. Brokmann und S. Bergrath

therapierefraktärer VF/VT bei vermuteter Hypomagnesiämie sowie vermuteter Digoxintoxizität 5 Was soll NICHT appliziert werden: – Atropin soll in der Phase des Kreislaufstillstands NICHT appliziert werden; nach ROSC kann Atropin hingegen selbstverständlich zur Behandlung einer Bradykardie eingesetzt werden – Keine routinemäßige Applikation von Natriumbikarbonat! Einzige Ausnahme ist die Blindpufferung mit 50 ml NaBi 8,4 % bei Kreislaufstillstand durch Intoxikation mit trizyklischen Antidepressiva – KEINE Kombination von Lidocain und Amiodaron z z Reversible Ursachen des Kreislaufstillstands

5 Während der CPR sollen im Team Überlegungen zur Ursache des Herz-Kreislauf-Stillstands als auch zu den erweiterten Maßnahmen erfolgen 5 Grundsätzlich ist die Einordnung in den linken oder rechten Schenkel zu evaluieren 5 Regelmäßige Überprüfung der Ableitung und etwaige technische Fehler (fehlender Kontakt zwischen Elektroden und Patient oder die Ableitung am Monitor), welche zu einer fehlerhaften Rhythmusanalyse führen, ausschließen – insbesondere bei Asystolie 5 Ursachen für den Herz-Kreislauf-Stillstand sind vielfältig, aber auch systematisch eingrenzbar. Im Team sollten die häufigsten Ursachen 4 H’s und HITS während der Reanimation, am besten durch den Teamleader laut evaluiert und diskutiert werden 5 4 H’s – Hypoxie – Hypovolämie – Hypo-/Hyperkaliämie/andere metabolische Störung – Hypothermie

5 HITS – Herzbeuteltamponade – Intoxikation – Thromboembolie – Spannungspneumothorax 5 Ohne Behandlung einer potenziell reversiblen Ursache ist ein Reanimationserfolg sehr unwahrscheinlich! Umgehend sind entsprechende Maßnahmen wie z. B. Entlastungspunktion/Minithorakotomie bei Spannungspneumothorax usw. durchzuführen, wenn diese festgestellt wurden z z Spezielle Maßnahmen/spezielle Fragen z Präkordialer Faustschlag

5 Impulsartiger Schlag mit Faust aus ca. 20 cm Höhe auf die Mitte des Sternums 5 Diese Maßnahme entspricht ungefähr einer Defibrillation mit 50 J (monophasisches Äquivalent) 5 Erfolgsaussichten gering und am ehesten noch bei VT sinnvoll 5 Die Defibrillation und Thoraxkompression sollte durch diese Maßnahmen nicht verzögert werden 5 Indikation besteht nur im Einzelfall, wenn folgende Bedingungen vorliegen: 5 Patient am Monitor mit EKG-­ Überwachung 5 VF/VT beobachtet innerhalb der letzten 30 s 5 Kein Defibrillator sofort verfügbar und anwendbar z 3-er-Schock-Serie

5 Serie von unmittelbar aufeinanderfolgenden Schocks möglich: 5 VF/VT bei Herzkatheteruntersuchung 5 VF/VT bei oder direkt nach herzchirurgischen Eingriffen 5 Beobachtete VF/VT im Rettungsdienst unter EKG-Monitoring 5 Bei allen drei Möglichkeiten gilt, dass bei Erfolglosigkeit der 3 Schocks der universelle ALS-Algorithmus . Abb. 6.1 Anwendung findet

153 Kardiopulmonale Reanimation

z Schrittmacheranwendung

5 Jede Asystolie sollte auf Präsenz von P-Wellen innerhalb der Analysephase untersucht werden. Liegt eine P-Wellen-Asystolie vor (totaler AV-Block bei dem kein Kammersatzrhythmus vorliegt), muss im Rettungsdienst ein transthorakaler Schrittmacher Anwendung finden 5 Dabei sollte eine normale Herzfrequenz (z. B. 70/min) eingestellt werden und die Energie langsam gesteigert werden, bis sowohl elektrisch (Kammerkomplex) als auch mechanisch (Puls) eine Antwort erfolgt (i. d. R. mind. 50–70 mA Energie erforderlich) 5 Kommt es nicht zu einer mechanischen Antwort → sofortige Fortführung der Thoraxkompressionen! z Feines Kammerflimmern oder Asystolie?

5 Feines Kammerflimmern bei niedriger Amplitude ist von einer Asystolie nur schwer zu unterscheiden. Ist der Rhythmus innerhalb der maximal 10-s-Analysephase nicht eindeutig als Kammerflimmern zu identifizieren, sind unverzüglich die Thoraxkompressionen wieder aufzunehmen und die Defibrillation zu unterlassen 5 Bei einem feinen Kammerflimmern ist der Defibrillationserfolg unwahrscheinlich und eine Verzögerung der Thoraxkompressionen verschlechtert die Prognose > Feines Kammerflimmern oder Asystolie?

– Im Zweifel kein Schock, sondern umgehend Thoraxkompressionen durchführen!

z Feedbacksysteme/Systeme zur Benutzerführung

5 Die qualitative hochwertige Durchführung von Thoraxkompressionen ist essenziell für die Erfolgsaussichten einer Reanimation. Die Verwendung von

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Feedbacksystemen zur Steigerung der Qualität der Thoraxkompressionen ist sinnvoll und durch die Leitlinien empfohlen. Rückmeldung über Drucktiefe und Frequenz werden in Echtzeit dem Durchführenden rückgemeldet und können somit unmittelbar angepasst und verbessert durchgeführt werden z Automatisierte Thoraxkompressionsgeräte

5 Die Durchführung von Thoraxkompressionen mittels automatisierter Thoraxkompressionsgeräte ist nach dem aktuellen Stand der (hochwertigen) manuellen Thoraxkompression nicht überlegen. Bei besonderen Umständen, wie Reanimation unter Transport oder Herzkatheterintervention oder prolongierten Reanimationsmaßnahmen mit hohem Erschöpfungsgrad der Helfer kann der Einsatz sinnvoll sein 5 Beispiele: Reanimation bei Hypothermie oder unter Thrombolyse bei Lungenarterienembolie z Thrombolyse

5 Bei Verdacht und klinischen Hinweisen auf eine Lungenarterienembolie kann die Durchführung einer Lysetherapie erwogen werden. Nach Applikation des Thrombolytikums müssen die Reanimationsmaßnahmen für mindestens 60–90 min fortgeführt werden, bevor die Wiederbelebungsversuche abgebrochen werden 5 Dies ist bei sonstigen guten prognostischen Umständen (z. B. kurze Latenz) eine der wenigen Situationen, bei denen ein Transport unter CPR frühzeitig erwogen werden sollte z Extrakorporale Kreislaufersatzverfahren (ECLS/ECMO)

5 Ein routinemäßiger Einsatz ist weder empfohlen noch klinisch derzeitig routinemäßig etabliert

154

J. C. Brokmann und S. Bergrath

5 Derzeit gibt es immer mehr „Cardiac-arrest-Zentren“, die dieses Verfahren für ein sehr ausgewähltes Patientenkollektiv anwenden Beispiel: Junger Patient, ST-Hebungsinfarkt bei Eintreffen, therapieresistentes Kammerflimmern im Beisein des RTW/NEF, keine Latenz bis zum Beginn der CPR 5 Es bedarf lokaler Protokolle/SOPs und einer frühzeitigen telefonischen Abstimmung zwischen Notarzt und Zentrum, ob ein Patient dafür geeignet ist

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5 Geräte zur Benutzerführung/Feedback nutzen 5 Verhältnis 30 Thoraxkompressionen zu 2 Beatmungen gilt weiterhin 5 Kompressionen während Ladephase zur Defibrillation 5 Direkt nach Schock 2 min CPR und erst dann Rhythmuskontrolle

> Alle Maßnahmen fokussieren immer auf

die Reduktion der No-flow-time!

z Reanimation bei Trauma

5 Bis zu den Leitlinien 2015 wurde die Reanimation bei Polytrauma als faktisch nicht sinnvoll eingeschätzt 5 In Post-mortem-Untersuchungen in der Rechtsmedizin fiel jedoch in den letzten Jahren auf, dass polytraumatisierte Patienten zu einem nicht unerheblichen Teil aufgrund präklinisch therapierbarer Umstände versterben 5 Bei kurzer Latenz und keinen primär als tödlich eingeschätzten Verletzungen wird daher eine Reanimation empfohlen 5 Dabei soll jedoch auch schon in den ersten Minuten eine beidseitige Minithorakatomie zur Thoraxentlastung erfolgen. Ein Spannungspneumothorax ist häufig und leider durch Auskultation nicht sicher auszuschließen. Sekundär sollen auch Thoraxdrainagen eingelegt werden 5 Blutungskontrolle (z. B. Beckenschlinge, Tourniquet, Gabe von Tranexamsäure) ist in dieser Situation essenziell Essentials der Leitlinien 5 Schulung von Leitstellenpersonal zur Verwendung vorgegebener Abfrageprotokolle 5 Telefonische Aufforderung und Anleitung untrainierter Helfer zur Herzdruckmassage (Compressiononly-CPR)

6.3  Kinderreanimation

Zu unterscheiden sind Leitlinien für: 5 Neugeborene: 5 NBLS (Newly Born Life Support) 5 Säuglinge und Kinder: 5 PBLS (Paediatric Basic Life Support) 5 PALS (Pediatric Advanced Life Support) Grundsätzlich festzuhalten ist, dass im Gegensatz zum Erwachsenen die Hypoxie am häufigsten als Ursache zu eruieren ist. Die Hypoxie führt bei Kindern im Gegensatz zum Erwachsenen zu einer Bradykardie und kann dann in eine Asystolie münden. Dagegen ist ein Kammerflimmern bei Kindern eher selten. Kammerflimmern kommt bei einem kindlichen Stromunfall, Herzfehlern oder Ionenkanalerkrankungen, wie einem LongQT-Syndrom, vor. Der Evidenzgrad der empfohlenen Maßnahmen in den Leitlinien für die Kinderreanimation ist im Verhältnis zu den Erwachsenen aufgrund der deutlich reduzierteren wissenschaftlichen Evidenz geringer. z z Altersklassen im Rahmen der ERCLeitlinien

5 Neugeborenes: Unmittelbar in den ersten Minuten nach der Geburt 5 Säugling: 1. Lebensjahr 5 Kind: Beginn 2. Lebensjahr bis zur Pubertät

155 Kardiopulmonale Reanimation

6.3.1  Paediatric Basic Life Support

(PBLS)

5 Eigenschutz: Beim Nähern an den Betroffenen auf potenzielle Eigengefährdung achten sowie erkunden, ob der pädiatrische Patient, bevor man mit anderen Maßnahmen startet, aus einer Gefährdungssituation gerettet werden muss 5 Reaktion auf Ansprache testen: Kind ansprechen und bei fehlenden Hinweis auf Trauma z. B. vorsichtig an den Schultern schütteln und die Reaktion ermitteln 5 Wenn keine Reaktion auf Ansprache: „Hilfe rufen“ und Kind auf den Rücken drehen und die Atemwege freimachen. Sollte man vor Ort alleine sein, laut um Hilfe rufen, damit andere Anwesende aufmerksam gemacht werden und unterstützen können 5 Säugling: Achsengerechte Neutralposition des Kopfs und Vorziehen des Unterkiefers 5 Kind: Vorsichtiges Überstrecken des Kopfs und Vorziehen des Unterkiefers > Bei Verdacht auf ein Trauma der

HWS ist der Versuch die Atemwege freizumachen zunächst ohne Reklination durchzuführen. Hierfür kann ggf. das Vorziehen des Unterkiefers ausreichend sein oder der Esmarch-Griff ist durchzuführen.

5 Atemkontrolle 5 Bei freigehaltenem Atemweg für ca. 10 s mittels Sehen, Hören und Fühlen überprüfen, ob das Kind normal atmet. Ist keine normale Atmung vorhanden (Atemstillstand oder Schnappatmung) müssen 5 initiale Beatmungen erfolgen 5 Initiale Beatmungen 5 Zur Beatmung werden die Atemwege freigehalten. Während der Beatmung wird auf Lebenszeichen wie Husten, Einsetzen der normalen Atmung oder Spontanbewegungen geachtet 5 Kind: Mund-zu-Mund- oder Gesichtsmaskenbeatmung mit einer

6

Inspirationszeit von ca. 1–1,5 s, auf Thoraxhebungen achten 5 Säugling: Mund-zu-Mund-und-Naseoder Gesichtsmaskenbeatmung mit einer Inspirationszeit von ca. 1–1,5 s, auf Thoraxhebungen achten 5 Suche nach Lebenszeichen 5 Für maximal 10 s nach Lebenszeichen wie Husten, normale Atmung oder Spontanbewegungen suchen. Professionelle Helfer können (müssen aber nicht) eine zusätzliche Pulskontrolle durchführen – Kind: A. carotis oder A. femoralis – Säugling: A. brachialis oder A. femoralis > Liegt eine Bradykardie  Die Defibrillationsenergie bei Kindern ist

bei mono- als auch biphasischen Geräten einheitlich mit 4 J/kgKG einzustellen.

5 Verwendung von Sauerstoff 5 Während der Reanimation ist auch bei Kindern (nicht bei Neonaten!) zunächst die O2-Konzentration auf einen FiO2 von 1,0 einzustellen 5 Atemwegssicherung und Beatmung 5 Zunächst kann eine Masken-BeutelBeatmung zur Anwendung kommen, dennoch sind auch hier supraglottische Atemwegshilfen (Larynxmaske) adäquate und sinnvolle Alternativen, wenn in geeigneter Größe verfügbar 5 Zur definitiven Atemwegssicherung ist die endotracheale Intubation die Methode der Wahl. Diese soll primär oral erfolgen und ist durch Anwender durchzuführen, die darin geübt sind. Eine nasale Intubation hat Vorteile bzgl. der Dislokationsgefahr, ist jedoch

157 Kardiopulmonale Reanimation

nur durch den darin Geübten sinnvoll. Auch im Kindesalter können blockbare Tuben verwendet werden. Eine regelmäßige Cuffdruckkontrolle ist erforderlich 5 Kapnographie ist auch bei PALS und NBLS anzuwenden > Keine Beatmungsfilter für Erwachsene,

da sonst reine Totraumventilation droht!

5 Gefäßzugang 5 Wenn nicht innerhalb von 60 s eine i.v.-Punktion erfolgreich ist, soll ein intraossärer Zugang etabliert werden 5 Medikamente 5 Adrenalin 10 μg/kgKG i.v. oder i.o. 5 Diese Adrenalindosis alle 3–5 min wiederholen (Applikation alle 4 min – bei jeder 2. Rhythmuskontrolle – ist etabliertes Konzept) 5 Amiodaron nach der 3 erfolglosen Defibrillation indiziert (therapierefraktäre VT/VF), Dosis: 5 mg/kgKG. Falls dies nicht zum Erfolg führt ist nach dem 5. Schock eine weitere Dosis von 5 mg/kgKG empfohlen. Essentials-PALS 5 Verhältnis Säuglinge und Kinder 15:2 für professionelle Helfer 5 Inspirationsdauer des Atemhubs für Säuglinge und Kinder 1 s 5 Drucktiefe 4 cm bei Säuglingen, 5 cm bei Kindern oder 1/3 der Brustkorbhöhe 5 Volumengaben sollen im Notfall restriktiver gehandhabt werden 5 Die Kardioversion bei Kindern mit mindestens 1 J/kgKG 5 Normothermie oder milde Hypothermie nach ROSC 5 Mit Start der Pubertät gelten die Leitlinien für Erwachsene (7 Abschn. 6.2)

6

6.3.3  Neugeborenenreanimation

(Newly Born Life Support; NBLS)

Nur bei wenigen Neugeborenen sind Reanimationsmaßnahmen notwendig. Eher sind es Anpassungsstörungen, welche in den ersten Minuten nach der Geburt vorliegen. Diese Anpassungsstörungen resultieren aus den nicht zu vernachlässigenden Veränderungen der Zirkulation beim Neugeborenen (Umstellung im kleinen Kreislauf sowie Belüftungsstörungen der Lunge). Folgende Besonderheiten müssen bei einer Reanimation von Neugeborenen berücksichtigt werden: 5 Warme Räumlichkeiten und vor Auskühlen schützen 5 Heizstrahler, vorgewärmte Unterlage 5 Keine Zugluft 5 Transparente Folie, um vor Auskühlung zu schützen, dabei Gesicht freilassen, restlichen Kopf- und Rumpf bedecken 5 Im Vergleich zum Erwachsenen können zu Beginn deutlich niedrigere O2-Sättingswerte akzeptiert werden. Akzeptable präduktale SpO2-Werte (präduktal = RECHTE Hand!) 5 2 min: 60 % 5 3 min: 70 % 5 4 min: 80 % 5 5 min: 85 % 5 10 min: 90 % 5 Absaugung 5 Cave: Nur minimalsten Unterdruck verwenden, um Schleimhautschädigungen zu vermeiden. Manipulation mit Absaugkatheter kann zu Vagusreflex mit Bradykardie/Asystolie führen 5 Beatmung 5 Bei fehlender oder unzureichender Spontanatmung 5 initiale Beatmungen mit 2–3 s Inspirationsdauer (inspira­ torisches Plateau zur Lungenentfaltung) unter Verwendung eines kleinen (125 ml) Beutels zur Masken-Beutel-Beatmung

158

J. C. Brokmann und S. Bergrath

5 Zunächst Gesichtsmaskenbeatmung nur mit Raumluft (FiO2 0,21). Nur wenn sich der Neonat unter Beatmung und PEEP-Anwendung (5 mbar) nicht erholt, dann sukzessive vorsichtigere Steigerung auf zunächst FiO2 0,3 5 Optimale Lagerung des Kopfs zur Beatmung beachten: Keine Überstreckung und ggf. leichte Unterpolsterung zwischen den Schulterblättern

6

5 Thoraxkompressionen 5 Bei Herzfrequenz  Die Kompressionen auf das Abdomen

sollen bei ineffektivem Hustenstoß nur bei Kindern durch professionelle Helfer erfolgen. Bei Säuglingen soll dies aufgrund der horizontaler stehenden Rippen und den damit noch zu ungeschützten viszeralen Oberbauchorganen nicht durchgeführt werden.

6.4  Spezielle Fragestellungen

rund um die Reanimation

6.4.1  Sonographie unter CPR

5 Erfahrene Untersucher können einige reversible Ursachen erkennen 5 Ermöglicht Bildgebung während der Rhythmuskontrollen > Keine Unterbrechung der

Thoraxkompressionen durch Sonographie!

6.4.2  Postreanimationsphase

Nach Wiedereintritt eines Spontankreislaufs unmittelbar orientierendes ABCDE-Konzept: A) Atemwege beurteilen B) Belüftung beurteilen und optimieren C) Zirkulation (Circulation) beurteilen und optimieren D) Defizite im neurologischen Bereich beurteilen E) Exposure + weitere Untersuchungen 5 Atemwege, Ziel-SpO2, Normokapnie, 12-Kanal-EKG, Ursache des Herz-Kreislauf-Stillstands nachhaltig behandeln, zielgerichtetes Temperaturmanagement 5 Inspiratorische Sauerstoffkonzentration anpassen, um Hyperoxie zu vermeiden, Ziel-SpO2 94–98 % 5 Transport des Patienten 5 Kontaktaufnahme mit Klinik

159 Kardiopulmonale Reanimation

5 Sichere Fixierung der Zugänge, Atemwegssicherung, ggf. Drainagen, kontinuierliches Monitoring, Dokumentation, regelmäßige Reevaluierung 5 Angehörigeninformation! 5 Verwendung eines strukturierten Postreanimationsprotokolls oder -algorithmus 5 Versorgung wenn möglich nur in zertifiziertem „Cardiac Arrest Centrum“ z z Hypothermie

5 Die Hypothermie in der Postreanimationsphase soll nach aktuellem Erkenntnisstand dazu dienen, den Reperfusionsschaden einzudämmen. Der Evidenzgrad für eine definierte Zieltemperatur ist genauso Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchungen, wie der Weg dorthin. Nach dem aktuellen Kenntnisstand ist eine therapeutische Hypothermie für Patienten sowohl nach VF/VT als auch nach Asystolie/PEA in der Postreanimationsphase angezeigt, obwohl es mehr Hinweise der Evidenz für die Patienten mit VF/VT gibt 5 Zurzeit besteht noch keine Evidenz für die optimale Zieltemperatur in der Postreanimationsbehandlung. Jedoch konnte auch keine bisherige Studie einen Effekt

6

der präklinischen Kühlung auf Mortalität oder das neurologische Outcome nachweisen 5 Sicher ist nur, dass eine größere Menge gekühlter Infusionslösung nicht mehr empfohlen wird > Wichtig

5 Eine konstante Zieltemperatur zwischen 32° und 36 °C soll für Patienten eingehalten werden, bei denen ein kontrolliertes Temperaturmanagement durchgeführt wird. 5 Fieber soll vermieden werden.

Literatur German Resuscitation Council (2015) Reanimation 2015. Leitlinien kompakt. 7 https://www.grc-org. de/downloads/GRC-Leitlinien-2015-Kompakt.pdf. Zugegriffen: 11. März 2019 Perkins GD et al (2017) European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation: 2017 update. 7 https://www.resuscitationjournal.com/article/ S0300-9572(17)30776-1/fulltext. Zugegriffen: 11. März 2019 Internetadressen 7 www.grc-org.de

161

Spezielle ­Notfallmedizin Inhaltsverzeichnis Kapitel 7

Kardiozirkulatorische Notfälle – 163 J. C. Scherr und B. F. Scherr

Kapitel 8

Respiratorische Notfälle – 213 J. C. Brokmann

Kapitel 9

Stoffwechselnotfälle – 223 J. R. Müller

Kapitel 10

Abdominelle Notfälle – 241 B. Bouillon und M. Münzberg

Kapitel 11

Gefäßnotfälle – 249 B. Bouillon und M. Münzberg

Kapitel 12

Traumatologische Notfälle – 253 B. Bouillon und M. Münzberg

Kapitel 13

Neurologische Notfälle – 269 O. Matz

Kapitel 14

Psychiatrische Notfälle – 285 T. Messer und F.-G. Pajonk

Kapitel 15

Pädiatrische Notfälle – 301 S. Wiese

Kapitel 16

Gynäkologische Notfälle – 333 J. C. Brokmann

II

Kapitel 17

Intoxikationen – 343 J. C. Brokmann

Kapitel 18

Thermische Verletzungen – 357 J. C. Brokmann

Kapitel 19

Physikalisch-chemische Notfälle – 367 S. Wiese

Kapitel 20

Sonstige Notfälle – 381 J. C. Brokmann

Kapitel 21

Medikamente in der Notfallmedizin – 391 J. C. Brokmann

163

Kardiozirkulatorische Notfälle J. C. Scherr und B. F. Scherr

7.1 Akutes Koronarsyndrom („acute coronary syndrome“, ACS) – 164 7.2 Herzinsuffizienz – 168 7.3 Lungenödem – 174 7.4 Herzrhythmusstörungen (HRST) – 176 7.4.1 Vorgehen bei Tachykardien (HF >100/min; . Abb. 7.7) – 178 7.4.2 Vorgehen bei Bradykardien (HF 20 min) – Allgemein mit einem akuten vollständigen Koronarverschluss Zeitrechnung für Entscheidung, welches Prozedere eingeschlagen wird, startet mit dem Erstkontakt mit medizinischem Fachpersonal, (z. B. Arzt, Krankenschwester, Rettungsdienst), welches ein EKG aufzeichnen und interpretieren und auch erste Maßnahmen (wie z. B. Defibrillation) einleiten kann. z z Klinik/Symptomatik

5 Typische pektanginöse Schmerzen thorakal (linksthorakal/retrosternal) mit Ausstrahlung in den Hals, Unterkiefer oder linken Arm 5 Sowie manchmal: 5 Luftnot 5 Übelkeit/Erbrechen 5 Müdigkeit/Leistungsabfall 5 Palpitationen 5 Blässe und Kaltschweißigkeit 5 Angst/Todesangst 5 Synkopen 5 Zeichen der Herzinsuffizienz: – Linker Ventrikel (LV) betroffen: V. a. Dyspnoe bei pulmonaler Stauung bis zu Lungenödem – Rechter Ventrikel (RV) betroffen: V. a. periphere Stauung (Halsvenen), Hypotension, Bradykardie

165 Kardiozirkulatorische Notfälle

! Cave

Insbesondere bei Frauen und Patienten mit Diabetes mellitus zeigt sich häufig nicht die oben geschilderte Schmerzsymptomatik sondern Dyspnoe als Anginaäquivalent. STEMI

5 Entsprechende Symptome einer myokardialen Ischämie (s. o.) 5 Zusammen mit diagnostischen Zeichen: 5 ST-Segment-Erhöhung 5 Sollte es nach Nitro-Gabe s.l. (welche nicht als vorrangiges diagnostisches Tool zu sehen ist!) zu einer Besserung der Beschwerden sowie einer Rückbildung der ST-Hebung kommen, kann von einem Koronarspasmus mit oder ohne Infarzierung ausgegangen werden → Koronarangiographie innerhalb von 24 h z z Diagnostik z Anamnese

5 Nur gezielte Kurzanamnese. Hilfreich:

SAMPLER-Schema 5 Symptoms (Symptome) 5 Allergies (Allergien) 5 Medication (Medikation) 5 Past Medical History (medizinische

Vorgeschichte des Patienten) 5 Last Oral Intake (letzte Nahrungsaufnahme) 5 Events Prior to Incident (dem Vorfall vorangegangene Ereignisse) 5 Risk Factors (Risikofaktoren) z Körperliche Untersuchung

5 Ebenfalls gezielt und kurz (nach o. g. Symp­tomen) 5 Inspektion 5 Auskultation kardial und pulmonal 5 Vitalparameter: Bewusstsein, Atmung, Hämodynamik (HF und RR) z EKG-Diagnostik

5 So früh wie möglich (innerhalb der ersten 10 min!) EKG anlegen, zu Dokumentation

7

von Herzrhythmusstörungen (HRST) sowie Bereitschaft zur Defibrillation 5 So früh wie möglich 12-Kanal-EKG ableiten 5 Sollte die Diagnose eines STEMI aufgrund eines fragwürdigen Befunds nicht direkt gestellt werden können, sollte das EKG wiederholt und mit Vorbefund(en) verglichen werden 5 EKG-Diagnosekriterien: 5 In 2 nebeneinanderliegenden Ableitungen: ST-Hebung ≥2,5 mm (Männer 110 mmHg) – Fortgeschrittene Lebererkrankung – Infektiöse Endokarditis – Florides Magengeschwür – Prolongierte oder traumatische CPR z z Prognose

Faktoren, die mit einer schlechten Prognose (v. a. bzgl. neurologischem Outcome) vergesellschaftet sind: 5 Unbeobachteter Herz-Kreislauf-Stillstand 5 Spätes Eintreffen des Rettungsdienstes und fehlende Laien-BLS (>10  min) 5 Vorhandensein eines initial nicht defibrillationswürdigen Rhythmus 5 ALS länger als 20 min ohne ROSC

7.2  Herzinsuffizienz z z Definition

5 Unter Herzinsuffizienz versteht man ein klinisches Syndrom, was durch strukturelle und/oder funktionelle kardiale Anomalitäten hervorgerufen wird und in einem reduzierten kardialen Auswurf (Herzminutenvolumen) und/oder erhöhten intrakardialen Drücken in Ruhe oder unter Belastung resultiert 5 Hierdurch kommt es in den zu versorgenden Organen zu einem Missverhältnis zwischen O2-Angebot und O2-Bedarf, was sich dann auch in den klinischen Symptomen widerspiegelt 5 Per definitionem beschränkt sich der Terminus „Herzinsuffizienz“ auf klinisch symptomatische Verlaufsformen. Bevor klinische Symptome auftreten, kann es jedoch bereits zu asymptomatischen strukturellen oder funktionellen kardialen Anomalitäten kommen (links- oder rechtsventrikuläre Dysfunktion), die durch den frühzeitigen Beginn einer entsprechenden Therapie die Prognose entscheidend beeinflussen können 5 Je nach zeitlichem Verlauf kann zwischen einer akuten und chronischen Form unterschieden werden kann. In der präklinischen Notfallmedizin ist nahezu ausschließliche die akute Form von Bedeutung, sodass sich hier auf diese Form beschränkt werden soll 5 Die akute Herzinsuffizienz (AHI) ist ein akut lebensbedrohlicher Zustand, der durch einen raschen Beginn oder Verschlechterung der Symptome oder Zeichen der Herzinsuffizienz charakterisiert ist. Hierbei kann es die Erstmanifestation einer Herzinsuffizienz sein oder (häufiger) eine akute Dekompensation einer bekannten chronischen Herzinsuffizienz 5 Folgende zugrunde liegende Pathologien erfordern ein rasches medizinisches Eingreifen, welches dann auch prognoseentscheidend ist:

169 Kardiozirkulatorische Notfälle

5 ACS (7 Abschn. 7.1) 5 Hypertensiver Notfall (7 Abschn. 7.8) 5 Tachyarrhythmien oder schwere Bradykardien/Überleitungsstörungen (7 Abschn. 7.4) 5 Akute mechanische Störungen (z. B. schwere Klappenvitien oder Herzbeuteltamponade) 5 Akute Lungenarterienembolie (7 Abschn. 7.7) z z Pathogenese

Das oben beschriebene Missverhältnis zwischen O2-Angebot und O2-Bedarf kann durch folgende Pathologien hervorgerufen werden: 5 ACS 5 Tachyarrhythmien (z. B. Vorhofflimmern, ventrikuläre Tachykardien) 5 Exzessiver Blutdruckanstieg 5 Infektionen (z. B. Pneumonie, Endokarditis, Sepsis) 5 Fehlende Medikamenten-Compliance 5 Bradyarrhythmien 5 Intoxikation (z. B. Alkohol, Drogen) 5 Medikamente (z. B. NSAR, Chemotherapeutika) 5 COPD-Exazerbation 5 Lungenarterienembolie 5 Operation oder perioperative Komplikationen 5 Erhöhte Sympathikusaktivierung (z. B. Stress-Kardiomyopathie) 5 Metabolische/hormonelle Pathologien (z. B. Schilddrüsendysfunktion, diabetische Ketoazidose, adrenerge Dysfunktion, schwangerschaftassoziierte Pathologien) 5 Zerebrovaskulärer Insult 5 Akute mechanische Pathologien, z. B. ACS-getriggerte Myokardruptur, Thoraxtrauma, kardiale Intervention, akute Klappenundichtigkeit, Aortendissektion, Thrombose z z Klinik/Symptomatik

Da sowohl das initiale klinische Vorgehen als auch die Prognose wesentlich vom Vorliegen

7

einer Flussbehinderung und/oder Hypoperfusion abhängen, ist diese Kenntnis äußerst relevant und therapieentscheidend (. Abb. 7.2) Patienten mit AHI aufgrund von einem akuten Myokardinfarkt werden gemäß Killip u. Kimball eingeteilt: 5 Klasse I: Keine klinische Zeichen 5 Klasse II: AHI mit feinblasigen pulmonalen Rasselgeräuschen und 3. Herzton (S3-Gallop) 5 Klasse III: Akutes Lungenödem 5 Klasse IV: Kardiogener Schock, Hypotension (RRsys 5 µg/kgKG/min: (β +), vasopressorisch (α +)

Milrinon a,b Levosimedan

25–75 µg/kgKG über 10–20 min a,c

12 μg/kgKG über 10 min

c

0,375–0,75 µg/kgKG/min 0,1 μg/kgKG/min; Reduktion auf 0,05 μg/kgKG/ min oder Steigerung auf 0,2 μg/kgKG/min (je nach Wirkung)

Noradrenalin

Push-Dose-Pressor: Noradrenalin 5–20 μg

0,2–1,0 μg/kgKG/min

Adrenalin

Push-Dose-Pressor: Adrenalin 5–20 μg Bei Reanimation: 1 mg alle 3–5 min

0,05–0,5 μg/kgKG/min

a

ebenfalls Vasodilatator nicht empfohlen bei akut verschlechterter ischämischer Herzinsuffizienz c Bolus nicht empfohlen bei hypotensiven Patienten b

. Abb. 7.3  Entscheidungsalgorithmus: Management der medikamentösen Therapie von Patienten mit AHI. (Mod. nach Ponikowski et al. 2016 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure: The Task Force for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure of the European Society of Cardiology [ESC] Developed with the special contribution of the Heart Failure Association [HFA] of the ESC. Europ Heart J 37: 2129–2200)

Kardiozirkulatorische Notfälle 173

7

174

J. C. Scherr und B. F. Scherr

5 Gemäß zugrunde liegender Pathologie (z. B. ACS, hypertensiver Notfall, Herzrhythmusstörungen, Lungenarterienembolie) z z Prognose

7

Faktoren, die mit einer schlechten Prognose vergesellschaftet sind: 5 Niedriger Blutdruck (z. B. RRsys 25/min – SpO2 48 h – Ggf. Frequenzkontrolle β-Blocker: Z. B. Esmolol 10-mg-weise i.v. über 1 min, Metoprolol i.v. 1-mg-weise, beachte Kontraindikationen: Asthma, COPD,

höhergradiger AV-Block, Bradykardie, Herzinsuffizienz Ca2+-Antagonisten: Z. B. Verapamil 5 mg i.v. über 1 min, beachte Kontraindikationen: WPW, höhergradiger AV-Block, Bradykardie, Herzinsuffizienz – Ggf. Rhythmuskontrolle nach Ausschluss von Thromben oder sicherer Antikoagulation oder sicherer Dauer 3:1 erkennbar) und daher schwierig von AVNRT oder AVRT zu unterscheiden; Vorhofaktivität typischerweise um 250–350/min und daher im Ergebnis Kammerfrequenz meist um 150/min (2:1-Block) oder 100/min (3:1-Block; . Abb. 7.6); typisches VHFla („counterclockwise“) mit negativen Sägezahnwellen in II, III, aVF und positiven Sägezahnwellen in V1; atypisches VHFla („clockwise“) spiegelbildlich mit positiven Sägezahnwellen in II, III, aVF und negativen Sägezahnwellen in V1 oder ungeordnet 5 Unifokale atriale Arrhythmie: Meist 150–200/min; P-Welle vor QRS, welche sich von der P-Welle des Sinusrhythmus unterscheidet; oft „Warm-up-“ bzw. „Cool-down-Phänomen“ 5 Multifokale atriale Arrhythmie: Meist 150–200/min; P-Welle vor QRS in mindestens drei unterschiedlichen Kon­figurationen (oft von P-Welle zu P-Welle unterschiedliches Aussehen); oft „Warm-up-“ bzw. „Cool-down-Phänomen“ 5 Therapie: Kontinuierliche EKG-Aufzeichnung während Therapieversuch (ggf. Identifizierung von Flatterwellen durch Verlangsamung der HF möglich) – Valsalva-Manöver: Forcierte Exspiration gegen geschlossene Glottis, praktikabler Ansatz: Patient soll versuchen, den Stempel einer 20-ml-Spritze herauszupusten

181 Kardiozirkulatorische Notfälle

7

. Abb. 7.6  Atypisches Vorhofflattern mit 3:1-Überleitung

– Erfolg meist nur bei AVNRT und AVRT – Karotismassage: 5 s kräftige Massage nach Ausschluss von Strömungsgeräuschen – Erfolg meist nur bei AVNRT und AVRT; Cave: Bei älteren Patienten und V. a. Arteriosklerose → Plaqueruptur → Apoplex – Adenosin 6 mg i.v. (schnelle Gabe über möglichst großlumigen, möglichst körpernahen Zugang mit Nachspülen, vorherige Instruktion des Patienten, da häufig unangenehmes Gefühl durch transienten kompletten AV-Block), evtl. Identifizieren von Flatterwellen möglich, zweimalige Wiederholung mit Adenosin 12 mg i.v. bei Erfolglosigkeit, beachte Kontraindikationen: Asthma, COPD,

höhergradiger AV-Block, Bradykardie, Herzinsuffizienz Termination von 90 % der AVNRT und AVRT – Ggf. Frequenzkontrolle mit β-Blockern, z. B. Esmolol 10-mg-weise i.v. über 1 min, Metoprolol i.v. 1-mg-weise beachte Kontraindikationen: Asthma, COPD, höhergradiger AV-Block, Bradykardie, Herzinsuffizienz – Ggf. Frequenzkontrolle mit Ca2+ -Antagonisten, z. B. Verapamil 5 mg i.v. über 1 min, beachte Kontraindikationen: WPW, höhergradiger AV-Block, Bradykardie, Herzinsuffizienz z Unregelmäßig

5 VHFli, gelegentlich VHFla mit variabler Überleitung

182

J. C. Scherr und B. F. Scherr

. Abb. 7.7 Tachykardiealgorithmus

7

183 Kardiozirkulatorische Notfälle

5 Therapeutische Möglichkeiten: Frequenzkontrolle, Rhythmuskontrolle (elektrische oder pharmakologische Kardioversion), Antikoagulation 5 Expertenhilfe (Kardiologie) bei stabilen Patienten, welche die Tachyarrhythmie klinisch tolerieren, da bei unklarer Dauer eines VHFli ohne sicher vorbestehende Antikoagulation immer Gefahr der Thrombenbildung und Embolisation der Thromben durch Kardioversion (elektrisch oder chemisch) → Ausschluss von Thromben mittels Echokardiographie oder Antikoagulation bei VHFli >48 h 5 Ggf. Frequenzkontrolle mit β-Blockern, Z. B. Esmolol 10-mg-weise i.v. über 1 min, Metoprolol i.v. 1-mg-weise, beachte Kontraindikationen: Asthma, COPD, höhergradiger AV-Block, Bradykardie, Herzinsuffizienz 5 Ggf. Frequenzkontrolle mit Ca2+-Antagonisten, Z. B. Verapamil 5 mg i.v. über

. Abb. 7.8 Bradykardiealgorithmus

7

1 min, beachte Kontraindikationen: WPW, höhergradiger AV-Block, Bradykardie, Herzinsuffizienz 5 Ggf. Rhythmuskontrolle nach Ausschluss von Thromben oder sicherer Antikoagulation oder sicherer Dauer 6 Hz, erkennt unphysiologische Aktivierung des asynchronen Modus als Schutz vor einer Asystolie, z. B. DDD in D00 z Elektromagentische Interferenz

5 Wahrnehmung erratischer externer elektrischer Signale mit Vielzahl möglicher Antworten des Schrittmachers, starke elektrische Felder notwendig, z. B. Elektrokauter, MRI, Kardioversion, Defibrillation, Sicherheitsschleusen mit Detektoren, transkutane elektrische Nervenstimulaturen (TENS) 5 Therapeutische Strahlung: Reset oder Reprogrammierung möglich, Defekt in der Halbleiterisolierung 5 Externe Kardioversion, Defibrillation, Elektrokauter (Ableitung der Energie über Schrittmacherelektrode mit endokardialer

192

J. C. Scherr und B. F. Scherr

Verbrennung, inadäquate Inhibition des Pacing bei Sensing durch ventrikuläre Elektrode, inadäquat schnelle ventrikuläre Überleitung bei Sensing durch atriale Elektrode bei Zwei-Kammer-Schrittmacher) 5 MRI: Programmierungsänderung, asynchrones Pacing, Aktivierung von Tachyarrhythmietherapien, Inhibition des Pacings, Erhitzen der Elektroden z Fehlender Pacing-Stimulus

5 Längeres Fehlen von Pacing-Stimuli trotz Pause im Herzrhythmus

7

z z Klinik

tachycardia“, Schrittmacher mit antegrader Leitung (A → V) und AV-Knoten als retrograder Schenkel (V → A), VES mit Triggerung einer PMT wenn retrograde Leitung und atriale Depolarisation zeitlich nach programmierter postventrikulärer atrialer Refraktärzeit (PVARP) und vor nächstem atrial-gepacetem Schlag 5 Frequenzadaptationeinstellung zu sensibel 5 Weitergabe von „electrical noise“ 5 Schrittmachermanipulation mit eingeschalteter Frequenzadaptation 5 Weitergabe von atrialen Tachyarrhythmien

5 Palpitationen, Synkope, Angina pectoris, Dyspnoe, Herz-Kreislauf-Stillstand

z z Klinik

z Diagnostik

5 Palpitationen, Synkope, Angina pectoris, Dyspnoe

> Wichtig

5 EKG: Fehlen von Schrittmacherspikes

5 Oversensing: Inadäquate Wahrnehmung von Signalen mit folgender Inhibition, z. B. Registrierung ventrikulärer Stimuli durch Vorhofelektrode („fairfield sensing“) und Fehlwahrnehmung von Vorhofstimulation als Kammeraktion („AV-crosstalk“) 5 Offener Stromkreis, meist Leiterbruch 5 Kurzschluss durch Isolationsversagen: Kontakt der Leiter und Kurzschluss vor dem Erreichen der Elektrodenspitze 7.6.2  Schrittmacherinduzierte

Rhythmusstörungen

z Schrittmacherinduzierte Tachykardie („pacemaker-mediated tachycardia“, PMT) z z Ursache

5 Zwei-Kammer-Schrittmacher: DDD-, VAT-Modus und retrograde Leitungseigenschaft des AV-Knotens oder akzessorische Leistungsbahn, „endless-loop

z z Diagnostik

5 Anamnese nach SAMPLER (7 Abschn. 7.1), Schrittmacherausweis 5 ABCDE-Maßnahmen, körperliche Untersuchung > Wichtig

5 EKG: Schmalkomplextachykardie, maximale Frequenz entspricht programmierter oberer Grundfrequenz des Schrittmachers

z z Differenzialdiagnose

5 Atriale Tachykardie, Tachyarrhythmie z Schrittmachersyndrom z z Ursache

5 Meist ältere Ein-Kammer-Schrittmacher (z. B. VVI-Modus) aber auch bei ZweiKammer-Schrittmachern (z. B. VDD-Modus mit atrialem Eigenrhythmus unterhalb der programmierten unteren Grundfrequenz, DDI-Modus mit Sinusknotenrate oberhalb der programmierten unterer Grundfrequenz)

193 Kardiozirkulatorische Notfälle

5 Verlust der AV-Synchronität, retrograde ventrikuloatriale Überleitung, fehlende Frequenzadaptation, Verlust des „atrial kick“, atriale Kontraktion gegen geschlossene Trikuspidalklappe (bei gleichzeitiger ventrikulärer Kontraktion) z z Klinik

5 Schwindel, Verwirrtheit, Kopfschmerz Synkope, Dyspnoe, Ödem 5 Hypotonie, Schock, Palpitationen, Erstickungsgefühl, Pulsationen in Hals und Abdomen, Angina pectoris, Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern z z Diagnostik

5 Anamnese nach SAMPLER (7 Abschn. 7.1), Schrittmacherausweis 5 ABCDE-Maßnahmen, körperliche Untersuchung > Wichtig

5 EKG: Ventrikulärer Schrittmacherrhythmus mit retrograden P-Wellen

z z Differenzialdiagnose

5 PMT, paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie, akute Herzinsuffizienz 7.6.3  ICD-bedingte Störungen z Elektrischer Sturm z z Ursache

5 Repetitive adäquate Entladungen des ICD bei multiplen VT-Episoden durch Progression der Grunderkrankung 5 Elektrolytstörungen, proarrhythmogene Medikamente, Intoxikation, Myokardischämie, Thyreotoxikose 5 LQT-Syndrom, ≥3 VT/24 h mit Termination durch ICD z z Klinik

5 Multiple Tachyarrhythmie-Therapien durch ICD

7

z z Diagnostik

5 Anamnese nach SAMPLER (7 Abschn. 7.1), Schrittmacherausweis 5 ABCDE-Maßnahmen, körperliche Untersuchung (7 Abschn. 7.4) > Wichtig

5 EKG: Ventrikuläre Tachykardie

z Inadäquate Schockabgabe z z Ursache

5 Inadäquate Entladungen des ICD bei Fehlinterpretation von EKG-Signalen, z. B. Interpretation von SVT als VT z z Klinik

5 Inadäquate Tachyarrhythmietherapien durch ICD z z Diagnostik

5 Anamnese nach SAMPLER (7 Abschn. 7.1), Schrittmacherausweis 5 ABCDE-Maßnahmen, körperliche Untersuchung (7 Abschn. 7.4) 7.6.4  Therapie von

Fehlfunktionen

Therapie nur bei symptomatischen Patienten und bei der Gefahr der Induktion schwerwiegender Rhythmusstörungen indiziert. z Schrittmacherfehlfunktionen, schrittmacherinduzierte Rhythmusstörungen und inadäquate Schockabgabe

5 Magnetauflage auf Generator 5 Asynchrone starrfrequente Stimulation in V00- oder D00-Modus mit 60–100/ min (meist 85–90/min, herstellerabhängig) durch den Schrittmacher 5 Differenzialdiagnose beim fehlenden SM-Stimulus zwischen Oversensing und offenem Stromkreis bzw. Kurzschluss: Wiederaufnahme des Pacings mit einem Schrittmacherspike ist wahrscheinlich Oversensing

194

7

J. C. Scherr und B. F. Scherr

5 Ausschaltung der antitachykarden Funktion beim ICD 5 Transkutanes externes Pacing bei symptomatischer Bradykardie (7 Abschn. 7.4.2): Analgosedierung (z. B. Propofol, Midazolam, Morphin), da externe Stimulation schmerzhaft, Pads anterior-posterior, Pacing mit Frequenz 50–70/min und Steigerung des Outputs um 10–20 mA (Capture meist bei 50–100 mA Output), bei schneller Verschlechterung des Patient ggf. Output direkt auf Maximum, Kontrolle elektrischer Capture (QRS nach jedem Schrittmacher-Spike) und elektromechanische Kopplung (peripherer Puls gleich wie elektrische Simulation), Fixed-Modus bei instabilen Patienten, Demand-Modus bei stabiler werdenden Patienten 5 Ggf. medikamentöse Therapie: Atropin, Adrenalin (7 Abschn. 7.4) z z Elektrischer Sturm

5 Ggf. kardiopulmonale Reanimation 5 Analgosedierung 5 Amiodaron 300 mg i.v. über 20–60 min 5 Schneller Transport in die Klinik z z Prävention von Problemen

5 Defibrillatorpads für externe Kardioversion oder externe Defibrillation möglichst weit vom Pulsgenerator entfernt und möglichst im rechten Winkel zum System (also meist anterior-posteriore Positionierung) 5 Bipolares Elektrokautern bei Patienten mit Schrittmachern (geringer ausgeprägtes elektrisches Feld), möglichst geringer Fluss durch Schrittmachersystem (Platzierung Neutralelektrode!) 7.7  Venöse Thromboembolie,

Lungenarterienembolie

z z Definition

Unter dem Begriff „venöse Thromboembolie“ (VTE) versteht man 2 Krankheitsbilder, die eng miteinander verbunden sind:

5 Zum einen die tiefe Beinvenenthrombose (TVT) 5 Zum andern die Lungen(arterien)embolie (L(A)E) Für die Entstehung sind das gleichzeitige Auftreten sowohl patienten- (d. h. permanent vorhanden) als auch situationsbezogener (d.  h. temporärer) Risikokonstellationen. Bei Vorliegen einer entsprechenden Risikokonstellation mit Virchow-Trias 5 Veränderungen an der Gefäßwand (z. B. Endothelschädigung), 5 Veränderungen der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes (z. B. Stase) oder 5 Veränderung der Zusammensetzung des Blutes (Hyperkoagulabilität) kann es zur Bildung eines Thrombus im venösen System (vornehmlich der tiefen Beinvenen) kommen. Von dort kann sich der Thrombus lösen und über das venöse System und die rechtskardialen Abschnitt in die Lungenstrombahn gelangen. Je nach Größe und Anzahl der Thromben kommt es dann zum Verschluss eines oder mehrerer arterieller Lungengefäße. Klinisch relevant wird diese Okklusion nur, wenn mehr als 30–50 % des gesamten Gefäßbettquerschnitts des pulmonal-arteriellen Systems verschlossen sind. Da v. a. die LAE die schwerwiegendste Form der VTE mit potenziell letalem Ausgang darstellt und somit den Hauptgrund für die Alarmierung des Rettungsdienstes, soll diese im Weiteren behandelt werden. z z Pathogenese

Pathophysiologisch kommt es bei der LAE zu folgendem Ablauf in Bezug auf den linken (LV) und rechten (RV) Ventrikel: Thrombus →  RV-Nachlast  ↑  →  RVDilatation und RV-Wandspannung  ↑ → O2Bedarf des RV  ↑ → RV-Kontraktilität ↓ und RV-Auswurf  ↓ → LV-Vorlast ↓ → Herzeit­ volumen ↓ → systemischer Blutdruck ↓ → Kor­ onarperfusion ↓ → Myokardperfusion  ↓ →   LV- und RV-Kontraktilität  ↓↓ → kardiogener Schock (7 Abschn. 7.9) → Tod.

195 Kardiozirkulatorische Notfälle

Zur Risikoeinschätzung haben sich somit v. a. das Vorliegen einer Hypotension (d. h. RRsys 3 Tage 5 Aktive Neoplasie 5 Andere Diagnosen unwahrscheinlich z z Klinik/Symptomatik

Aufgrund der teilweise unspezifischen ­Symptome und klinischer Zeichen kann die klinische Diagnosestellung schwierig sein. Somit sollte bei hinreichendem klinischem Verdacht dieser durch objektive Tests immer abgeklärt werden. Auch sollte immer auf Hinweise für eine TVT gesucht werden. Aufgrund der Okklusion der arteriellen Lungenstrombahn kommt es auch zu einer vermehrten funktionellen Totraumventilation. Hierdurch fällt durch die Embolie und den hieraus resultierenden Shunt mit konsekutiver Hypoxämie der paO2 und damit der SpO2 ab. Durch diese Hypoxämie kommt es durch den gesteigerten Atemantrieb mit Hyperventilation kompensatorisch zu einem Abfall des paCO2 und damit sowie durch die Totraumventilation zum Abfall der etCO2. Häufige klinische Symptome, die für eine LAE sprechen können:

7

5 Dyspnoe, Tachypnoe 5 Pleuritischer oder atemabhängigger Thoraxschmerz 5 Husten 5 Zeichen einer TVT (einseitige Schwellung einer Extremität) 5 Retrosternaler Thoraxschmerz (durch Myokardischämie, v. a. RV) 5 Hämoptysen 5 Synkope Seltenere klinische Symptome: 5 Kaltschweißigkeit 5 Zyanose 5 Agitation, Angst z z Diagnostik z Anamnese

5 Nur gezielte Kurzanamnese. Hilfreich: SAMPLER-Schema 5 Symptoms (Symptome) 5 Allergies (Allergien) 5 Medication (Medikation) 5 Past Medical History (medizinische Vorgeschichte des Patienten): Immobilisation oder Operationen in den letzten Wochen, Neoplasien, Z. n. VTE 5 Last Oral Intake (letzte Nahrungsaufnahme) 5 Events Prior to Incident (dem Vorfall vorangegangene Ereignisse) 5 Risk Factors (Risikofaktoren) z Körperliche Untersuchung

Ebenfalls gezielt und kurz nach o. g. Symp­ tomen: 5 Inspektion: 5 Halsvenenstauung 5 Zeichen für TVT (Meyer-, Homansbzw. Payr-Zeichen, allerdings sehr unsicher; einseitige Beinschwellung; livide Verfärbung sowie evtl. Überwärmung der betroffenen Gliedmaße) 5 Auskultation: 5 Kardial: Gespaltener 2. Herzton (als Hinweis auf verspäteten Schluss der Pulmonalklappe)

196

7

J. C. Scherr und B. F. Scherr

5 Pulmonal: Rasselgeräusche (trocken oder feucht) 5 Vitalparameter: Bewusstsein, Atmung (Atemfrequenz und etCO2), Hämodynamik (HF, RR, SpO2) 5 Zeichen für rechtsventrikuläre Abflussbehinderung: 5 Jugularvenendilatation 5 Hepatojugulärer Reflux 5 Periphere Ödeme 5 Stauungsbedingte Hepatomegalie 5 Zeichen für Hypoperfusion/Schock: 5 Kaltschweißige Extremitäten 5 Oligurie 5 Verwirrtheit 5 Benommenheit 5 Schwindel 5 Geringer Pulsdruck z EKG-Diagnostik

5 Sinustachykardie 5 Herzrhythmusstörungen ↑, v. a. Extrasystolen aus RV 5 Typische Rechtsherzbelastungszeichen 5 Sagittale Herzachse – SIQIII-Typ (. Abb. 7.11) oder SISIISIII-Typ – seltener Rechtstyp oder überdrehter Rechtstyp 5 P-dextroatriale (. Abb. 7.12) 5 (In)kompletter Rechtsschenkelblock 5 T-Negativierung in III und rechts präkordial (V1–V3) 5 Veränderungen der ST-Strecke (u. a. durch Ischämie; auch ST-StreckenHebungen möglich, v. a. in den Ableitungen III, V1 und V2) z Weitere Diagnostik 5 Blutgasanalyse:

5 paO2 30 % vom Ausgangswert 5 Erwachsene: RRsys 30 % vom Ausgangswert

Somit ergibt sich folgender diagnostischer Pfad: z Anamnese

5 Gezielte Kurzanamnese. Hilfreich: SAMPLER-Schema 5 SAMPLER-Schema 1. Symptoms (Symptome): Verwirrtheit, Durchfall, Erbrechen, Juckreiz, Urtikaria, Rötung 2. Allergies (Allergien): Nahrungsmittel, Tierhaare, NSAR, Antibiotika, Kontrastmittel, Meeresfrüchte, Insektengifte, Atopie, allergisches Asthma bronchiale 3. Medication (Medikation): v. a. Antibiotika, ACE-Hemmer, β-Blocker 4. Past Medical History (medizinische Vorgeschichte des Patienten): V. a. Asthma oder andere IgE-abhängige Erkrankungen, kardiovaskuläre Erkrankungen, Mastozytose und/ oder basale Tryptase ↑ 5. Last Oral Intake (letzte Nahrungsaufnahme) 6. Events Prior to Incident (dem Vorfall vorangegangene Ereignisse): v. a. Infektionen 7. Risk Factors (Risikofaktoren), v. a. kardiovaskulär z Körperliche Untersuchung

5 Gezielt und kurz (nach o. g. Symptomen) 5 Frühzeitig Vitalparameter: Bewusstsein, Atmung (Atemfrequenz), Hämodynamik (HF, RR, SpO2) 5 Sofortiges Anlegen von EKG, nichtinvasiven Blutdruckmessung (NIBD) und SpO2 → Sinustachykardie z z Wichtigste Differenzialdiagnosen

5 (Schleim)haut 5 Bekannte Urtikaria oder Angioödem 5 Orales Allergiesyndrom 5 Atemwege 5 Akute Laryngotracheitis 5 Tracheal- oder Bronchialobstruktion (z. B. Fremdkörper, „vocal cord dysfunction“)

209 Kardiozirkulatorische Notfälle

7

. Abb. 7.13  Behandlungsalgorithmus bei Anapyhlaxie. (Mod. nach Muraro A et al. 2014 Anaphylaxis. Guidelines from the European Academy of Allergy and Clinical Immunology. Allergy 69: 1026–1045)

5 Status asthmaticus 5 Kardiovaskulär 5 Vasovagale Synkope 5 LAE 5 Myokardinfarkt 5 Arrhythmien 5 Neuropsychiatrische Erkrankung 5 Hyperventilationssyndrom 5 Angst- oder Panikstörungen z z Therapie z Allgemein

5 Lagerung gemäß Kreislauf- und Atemwegssituation 5 Kreislaufinstabilität: Liegend mit/ohne Beinhochlagerung 5 Atemwegsbehinderung: Sitzend 5 Entfernen des Allergens – geht dies nicht direkt, darf die weitere Behandlung nicht verzögert werden 5 O2-Gabe über O2-Maske (>5–10 l/min); ggf. Beatmung/Intubation 5 Die Indikation zur Intubation sollte eher frühzeitig gestellt werden, bevor

diese durch Schwellung der Luftwege erschwert wird 5 Bei Unmöglichkeit der Intubation aufgrund Schwellung der oberen Atemwege: Therapieeskalation mit Koniotomie z Medikamentös

5 Behandlungsalgorithmus: . Abb. 7.13 5 Adrenalin > Wichtig

5 Aufgrund des Pathomechanismus stellt die sofortige intramuskuläre Adrenalinapplikation die entscheidende therapeutische Intervention dar!

5 α-Rezeptoragonist: Vasodilatation ↓, Ödem ↓ 5 β-Rezeptoragonist: Bronchodilatation, Inotropie ↑, Histamin-/Leukotrien-Freisetzung ↓, Mastezellaktivierung ↓ → Schwere der IgE-vermittelten allergischen Reaktion ↓

210

7

J. C. Scherr und B. F. Scherr

5 Applikationsort: Anterolaterale Seite des mittleren Oberschenkeldrittels i.m.; s.c. oder p.i. ist Wirksamkeit wesentlich schlechter 5 Adrenalin i.m. 5 Kinder >12. Lj. und Erwachsene: 500 µg 5 Kinder 6–12. Lj.: 300 µg 5 Kinder  12. Lj. und Erwachsene: 0,1 mg/kgKG 5 Clemastin 2 mg i.v. 5 Wirkung: Histamininduzierte Vasodilatation ↓, Bronchokonstriktion ↓, Hautsymptome ↓ 5 H2-Antihistaminika 5 Ranitidin 50 mg i.v. 5 Glukokortikoide 5 Prednisolon i.v. – Erwachsene: 500–1000 mg – Kinder: 250 mg 5 Bei Überwiegen der asthmoiden Komponente: 7 Kap. 8 – Cave: Einige der dort eingesetzten Medikamente (z. B. Mg i.v.) können Hypotension verschlimmern 5 Bei Überwiegen der GI-Komponente: – Spasmolytika i.v. (z. B. Butylscopolamin 20–40 mg) → Cave: Hypotension – Antiemetika i.v. (z. B. Dimenhydrinat; >14. Lj.: 62–186 mg/Tag) z z Prognose

5 Bei Patienten mit vorbestehendem Asthma ist aufgrund der bronchialen Komplikationen mit einem verzögerten Behandlungserfolg zu rechnen

5 In Abhängigkeit des Allergens tritt bei fatalen Verläufen der Tod meist rasch ein (5 min bei i.v.-Medikamentengabe bis 35 min bei Nahrungsmittelallergie) 5 Nach mehr als 6–8 (selten 12) h nach Allergenexposition kommt es hingegen nur in Ausnahmefällen zu letalen Verläufen → Beobachtung sollte mindestens über diesen Zeitraum erfolgen (bei Auftreten von Hypotension über 12–24 h)

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211 Kardiozirkulatorische Notfälle

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7

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213

Respiratorische Notfälle J. C. Brokmann

8.1 Asthma bronchiale – 214 8.2 „Chronic obstructive pulmonary disease“ (COPD) – 216 8.3 Fremdkörperaspiration – 217 8.4 Pneumonie und Bronchitis – 219 8.5 Lungenödem – 220 8.6 Inhalationstrauma – 220 8.7 Hyperventilation – 221 Weiterführende Literatur – 222

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_8

8

214

J. C. Brokmann

Respiratorische Störungen sind nur eine Form der Atemstörung. So treten bei Schlaganfällen, intrakraniellen Blutungen, Traumata oder anderen Erkrankungen und Verletzungen auch Atmungsstörungen ein, welche nicht primär respiratorisch bedingt sind. Dennoch ist die Beurteilung und die Behebung von Atemstörungen eine der wichtigsten Aufgaben in der Notfallmedizin. Entsprechende Basismaßnahmen werden 7 Kap. 5 behandelt. > Bei unklarer Klinik mit Atemstörungen

sind umgehend Basismaßnahmen zur Behebung der Atemstörung einzuleiten.

8.1  Asthma bronchiale

8

z z Einleitung/Definition

Obstruktion der Bronchien welche variabel anfallsartig reversibel auftritt oder aber auch chronischen Charakter haben kann. Diese beruht auf einer Hyperreagibilität der Bronchien oder einer chronischen Entzündung dieser. Einteilung: 5 Allergisches Asthma (extrinsisches Asthma) 5 Hyperreaktives Bronchialsystem mit Reaktion vom Soforttyp auf verschiedenste Allergene (Atopie) 5 Nichtallergisches Asthma (intrinsisches Asthma) 5 Bedingt durch Infektionen (respiratorische Infekte) oder chemische oder toxische Reizstoffe, kalte Luft oder auch Anstrengung oder Stress (psychogenes Asthma) oder Analgetika Es können auch Mischformen zwischen den einzelnen Erscheinungsformen bestehen. z z Ätiologie

5 Ca. 5 % der Erwachsenen und bis zu 10 % der Kinder mit einer Geschlechterverteilung von 2:1 5 Das allergische Asthma beginnt häufig im Kindesalter

5 Das nichtallergische Asthma beginnt häufig erst in der Lebensmitte mit ca. 40 Jahren z z Pathophysiologie

5 Eine zentrale Bedeutung der Pathogenese des Asthmas ist die Entzündungsreaktion der Bronchialschleimhaut, welche entweder durch Infekte oder Allergene ausgelöst wird 5 Wichtig in diesem Zusammenspiel sind eosinophile Granulozyten, Lymphozyten und Mediatoren wie Histamin, Leukotriene usw. 5 Asthma besteht aus: 5 Bronchialer Entzündung 5 Bronchialer Hyperreaktivität 5 Endobronchialer Obstruktion 5 Allergisches Asthma (extrinsisches Asthma) 5 IgE-vermittelte Soforttyp-Reaktion 5 Nach Antigenkontakt (vorher muss eine Sensibilisierung bereits stattgefunden haben!) kommt es zur Degranulation von Mastzellen 5 Mastzellen setzen Mediatoren wie Histamin, Leukotriene, Bradykinin frei 5 Die Mediatorstoffe verursachen die endobronchiale Obstruktion 5 IgG-vermittelte Spätreaktion nach ca. 6–12 h 5 Diese wird auch als zellvermittelte Immunantwort gewertet 5 Die Ausprägung der beiden Formen ist individuell unterschiedlich 5 Drei Hauptwirkungen: 5 Bronchospasmus 5 Bronchialschleimhautödem 5 Hypersekretion von zähem Schleim (Dyskrinie) 5 Dies führt zu: 5 Erhöhung des Strömungswiederstands im Bronchialsystem Der Patient hat das Gefühl keine Luft zu bekommen, das Problem besteht jedoch in: 5 Verhinderung der Expiration mit Kollaps des Bronchialsystems

215 Respiratorische Notfälle

5 Erhöhung des Residualvolumens, unzureichende Belüftung der Alveolen mit konsekutiver alveolärer Hypoventilation 5 Inhalativ: Gemeinsame Gabe von 5 pO2 sinkt, pCO2 steigt 5 Hypoxämie führt zu Erschöpfung der Atemmuskulatur 5 Diffusionsstörung durch Ödem und Dyskrinie verstärken dies 5 Perfusionsstörung kommt durch Kompression der kleinen Gefäße durch den Alveolardruck zu Stande, welcher wiederum zu der hypoxischen Vasokonstriktion (Euler-Liljestrand-Reflex) führt z z Symptome

5 Anfallsweise auftretende Atemnot 5 Zyanose 5 Exspiratorischer Stridor 5 Dyspnoe bis Orthopnoe mit verlängertem Exspirium 5 Einsetzen der Atemhilfsmuskulatur 5 Exspiratorisches Pfeifen 5 Auskultatorisches Giemen und Brummen 5 Unruhe, Angst 5 Schwitzen z z Differenzialdiagnosen

Die akute Exazerbation der COPD (. Tab. 8.2) stellt neben dem Asthma cardiale die häufigste differenzialdiagnostische Möglichkeit dar (. Tab. 8.1).

z z Therapie

5 Sitzende Position als Lagerung 5 O2-Gabe über Nasenbrille oder Maske nach SaO2 5 Ziel-SaO2 > 92  % 5 Beruhigung und Ruhe in der unmittelbaren Umgebung 5 Einsetzen der Atemhilfsmuskulatur erklären 5 Inhalativ: Über „Düsenvernebler“, welcher an O2 angeschlossen wird und dann für feine Zerstäubung sorgt. Wirkt deutlich besser als Dosieraerosole in Phasen mit einer hohen Atemfrequenz Dosierung

5 Inhalativ: Gemeinsame Gabe von – β2-Sympathomimetika: Salbutamol 1,25–5 mg mit Vernebler (1,25 mg/2,5 ml-Ampulle) – Ipratrobiumbromid: Atrovent 0,5 mg (2-ml-Fertiginhalat) 5 Intravenös: – Reproterol 0,09 mg titriert langsam i.v. – Solu-Decortin 50–100 mg i.v. – Magnesiumsulfat 1–2 g i.v. langsam appliziert

5 Ist der Asthmaanfall nicht mit den oben beschriebenen Mitteln in den Griff zu bekommen, ist die Unterstützung mittels CPAP-Therapie möglich

. Tab. 8.1  Differenzialdiagnosen des Asthma bronchiale Asthma cardiale

COPD

Bronchokonstriktion und akutes Ödem der Bronchialschleimhaut bei peribronchialer pulmonalvenöser Stauung aufgrund einer Linksherzdekompensation

Häufiger „silent chest“

Asthma cardiale kann einem Lungenödem vorgeschaltet sein oder tritt direkt zusammen auf

Sekretion, Schleimhautödem sind nicht entsprechend stark ausgebildet

Häufig vergesellschaftet mit Herzinsuffizienz, Vitium, Arrhythmie, Myokardinfarkt

8

216

J. C. Brokmann

5 Kommt es zu einer Erschöpfung des Patienten mit zunehmender Hypoxie ist die Intubationsnarkose und die kontrollierte Ventilation letztes Mittel der Wahl > Notfallnarkose mittels hochdosiertem

Ketamin beim Asthma bronchiale kann erfolgsversprechend sein. Zu Berücksichtigen ist die Hypersalivation bei Ketamin.

z Beatmungsparameter

5 Druckkontrollierte Beatmung 5 Plateaudruck Das klinische Erscheinungsbild der

akuten COPD-Exazerbation ähnelt der des Asthmaanfalls. Bei der Beurteilung der Symptomatik muss auch immer die Komorbidität mit eingeschlossen werden.

Schweregrade der COPD nach der Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD): . Tab. 8.3. z z Therapie

5 Oberkörperhochlagerung, beengte Kleidung öffnen 5 Beruhigendes und sicheres Auftreten des Therapeuten 5 Oxygenierung sichern: O2-Gabe 2–6 l/min oder ggf. auch mehr; Ziel-SaO2-Wert >90 % 5 Medikamentenapplikation über konstanten Vernebler

Dosierung

5 Inhalativ: – β2-Sympathomimetika: Salbutamol 1,25–5 mg mit Vernebler (1,25 mg/2,5 ml-Ampulle) – Ipratrobiumbromid: Atrovent 0,5 mg (2-ml-Fertiginhalat) 5 Intravenös: – Reproterol 0,09 mg titriert langsam i.v. – Solu-Decortin 50–100 mg i.v. > Der Therapieversuch mittels

Dosieraerosol ist in der akuten Exazerbation häufig nicht mehr erfolgreich! Es gilt die Medikamentenapplikation kontinuierlich via Vernebler zu applizieren.

8.3  Fremdkörperaspiration z z Einleitung/Definition

5 Transglottisches Eindringen von Fremdmaterial in das Tracheobronchialsystem 5 Z. B. Blut, Erbrochenes, Wasser oder kleine korpuskuläre Bestandteile 5 Bis hin zur vollständigen Verlegung der oberen Atemwege durch größere Fremdkörper (Bolusgeschehen)

8

218

J. C. Brokmann

z z Ätiologie

5 Kinder häufiger als Erwachsene 5 Am häufigsten bei Kindern im 2. Lebensjahr 5 Prädelektionsalter bei Erwachsenen > sechste Lebensdekade z z Pathophysiologie

8

5 Verminderte bis aufgehobene Schutzreflexe bei bewusstseinsgetrübten oder bewusstlosen Patienten (Apoplex, Krampfanfall, SHT, Intoxikation,…) 5 Dysphagie 5 Am häufigsten kommt es zur Regurgitation von Mageninhalt 5 Auch eine unsachgemäß durchgeführte Maskenbeatmung oder ein dabei aufzuwendender hoher Beatmungsdruck kann ursächlich sein 5 Maskenbeatmung und Thoraxkompression (z. B. im Rahmen von Reanimation) 5 Blutungen im Mund-Rachen-Raum sowie Respirationstrakt > Das akute Bolusgeschehen differenziert

sich pathophysiologisch von der Fremdkörperaspiration.

z Bolusgeschehen

5 Vollständige Verlegung der oberen Atemwege durch große Fremdkörper 5 Führt im Rachenraum zur Stimulation des N. vagus oder vagaler Fasern des N. glossopharyngeus mit reflektorischem Herz-Kreislauf-Stillstand 5 Vorwiegend bei älteren Menschen, welche bei mangelnder Kaufähigkeit oder hastiger Nahrungsaufnahme unzureichend zerkaute Nahrungsstücke aufnehmen z z Symptomatik

Die Symptomatik ist abhängig von der Art, Größe und Menge des Fremdkörpers 5 Plötzlicher Husten 5 Reizhusten 5 Dyspnoe 5 Flache hochfrequente Atmung 5 Rasselnde oder pfeifende RGs 5 Zyanose

5 Stridor 5 Bronchospasmus 5 Häufig auch bei unbeobachtetem Spiel von Kindern z z Differenzialdiagnostik

5 Akute obere Atemwegsschwellung (Allergie oder heriditäres Angioödem) z z Therapie

5 Lagerung abhängig von Bewusstseinszustand und Auffindesituation z Bewusstloser Patient

5 ABCDE und kontinuierliche Reevaluierung 5 Sofortige Inspektion der oberen Atemwege und Instruktion weiterer Maßnahmen an das Team 5 Ausräumung der oberen Atemwege (digital häufig bei festen Bestandteilen schon hilfreich) 5 Absaugen zunächst der oberen Atemwege (ggf. später tiefer gelegene Areale) 5 Zuhilfenahme Magill-Zange, falls Fremdkörper nicht flüssig 5 Zuhilfenahme Laryngoskop sinnvoll 5 Bei Massenaspiration absaugen auch unter Verwendung großlumiger Endotrachealtuben mit anschließender Atemwegssicherung ! Cave

Rezidivierende und nicht erfolgreiche Manipulationen führen durch Reizung und Verletzung der Schleimhäute zu Schwellung und Aggravierung der Gesamtsituation.

z Ansprechbarer Patient mit leichter Atemwegsverlegung

5 ABCDE und kontinuierliche Reevaluierung 5 Zum kräftigen Husten auffordern 5 Zügiger Transport in geeignete Zielklinik 5 Erweitertes Atemwegsmanagement immer in Bereitschaft haben

219 Respiratorische Notfälle

8

z Ansprechbarer Patient mit schwerer Atemwegsverlegung

z z Pathophysiologie z Pneumonie

5 ABCDE und kontinuierliche Reevaluierung 5 Vorn übergebeugter Oberkörper 5 5 feste Schläge zwischen die Schulterblätter 5 Oberbauchkompressionen (HeimlichManöver)

5 Gasaustausch- bzw. Diffusionsstörung führen zu einer respiratorischen Partialinsuffizienz (Hypoxämie mit normalem oder erniedrigtem paCO2 durch kompensatorische Hyperventilation) und im weiteren Verlauf zu einer respiratorischen Globalinsuffizienz (Hypoxämie mit Hyperkapnie) 5 Bei schwergradigen Pneumonien liegt eine ausgeprägte Ventilations-PerfusionsStörung bis zur septischen Komponente vor

! Cave

Erkunden Sie immer wenn möglich die Art des Fremdkörpers. Dies ist im weiteren klinischen Setting für die Diagnostik und die Therapieoptionen entscheidend!

Besonderheiten bei Patienten im Säuglingsund Kleinkindesalter: 7 Kap. 15.

z Bronchitis

5 Meist viraler Befall der Schleimhäute des respiratorischen Epithels 5 Häufig anschließende bakterielle Superinfektion z z Symptomatik

5 Die Pneumonie ist eine akute oder chronische inflammatorische Reaktion des Lungengewebes und die Bronchitis eine des Tracheobronchialsystems 5 Häufigste zum Tode führende Infektionserkrankung in den Industrieländern 5 Die Hospitalisierungsrate liegt bei ca. 50 %

5 Gemeinsame Symptome: 5 Dyspnoe 5 Zyanose 5 Myalgien 5 Rhinitis 5 Kopfschmerzen 5 Pneumonie 5 Fieber und Husten 5 Bronchitis 5 Trockener, schmerzhafter Husten, nur gelegentlich Fieber

z z Ätiologie

z z Differenzialdiagnostik

8.4  Pneumonie und Bronchitis z z Einleitung/Definition

5 Akute Pneumonie wird unterschieden entweder in infektiöse und nichtinfektiöse Form oder nach Art des Entstehungsorts, also entweder ambulant („community-acquired pneuminia“, CAP) oder nosokomial erworbene Pneumonie („hospital acquired pneuminias“, HAP) 5 Die akute Pneumonie und die akute Bronchitis können in eine infektiöse oder eine nichtinfektöse Form eingeteilt werden 5 Infektiöse Ursachen häufig viral (90 %) und bakteriell (10 %) 5 Nichtinfektiöse Ursachen: Allergien, Rauchen, Umweltnoxen, …

5 Normale Erkältungskrankheit („common cold“), grippaler Infekt 5 Lungenembolie, Lungeninfarkt, Lungentumor z z Therapie

5 Aufrechterhaltung und Stabilisierung Vitalfunktionen 5 ABCDE-Maßnahmen 5 Oberkörperhochlagerung 5 Oxygenierung mittels O2-Brille oder -Maske 5 i.v.-Zugang 5 β2-Sympathomimetika bei spastischer Komponente

220

J. C. Brokmann

8.5  Lungenödem

Beim Lungenödem ist zu unterscheiden zwischen einem Lungenödem kardialer Ursache im Rahmen einer akuten Herzinsuffizienz (7 Kap. 7) oder einem toxischen Lungenödem im Rahmen einer Intoxikation z. B. eines Inhalationstraumas (7 Abschn. 8.6). z z Definition: Kardiales Lungenödem

8

5 Bedingt durch eine akute Minderung der Leistungsfähigkeit des Myokards werden die Endorgane vermindert mit Blut und dadurch auch mit Sauerstoff versorgt 5 Im Rahmen eines sog. Rückwärtsversagens kommt es zu einer venösen Stauung, Ödembildung und einem Lungenödem z z Pathophysiologie

5 Myokardiale Leistungsminderung führt zu Rückwärtsversagen mit Lungenstauung mit Druckerhöhung in den Lungenkapillaren 5 Austritt von Flüssigkeit aus der Lungenstrombahn zunächst ins Interstitium (meist erst asymptomatisch mit nur leichter funktioneller Einschränkung) 5 Dann Austritt der Flüssigkeit aus Interstitium in die Alveolarräume mit Schaumbildung und Asphyxie 5 Durch die Verlängerung der Diffusionsstrecke für O2 und CO2 kommt es dann zu Hypoxie und auch ggf. einer Hyperkapnie z z Symptomatik

5 Dyspnoe, Orthopnoe 5 Tachypnoe 5 Unruhe, Angst, Schwächegefühl 5 Blässe und Kaltschweißigkeit 5 Zyanose 5 Rasselgeräusche (häufig schon ohne Auskultation hörbar) 5 Ggf. Bewusstseinsstörungen aufgrund Hypoxie und zerebraler Minderperfusion bei „Low Output“ (7 Kap. 7)

5 Bei „High Output“ hoher Blutdruck z. B. im Rahmen einer hypertensiven Entgleisung 5 Evtl. auch spastische Geräusche mit Giemen, weshalb es auch als Asthma cardiale bezeichnet wird z z Differenzialdiagnostik

5 Toxisches Lungenödem bei Inhalationstrauma (7 Abschn. 8.6) 5 Reduzierter onkotischer Druck aufgrund Überwässerung, Dialyse 5 Höhenlungenödem durch verminderten alveolären Gasdruck z z Therapie

5 Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen 5 ABCDE-Maßnahmen 5 Oberkörperhochlagerung, wenn möglich Beine tief lagern 5 O2-Gabe über Maske >8 l/min 5 Ggf. unblutiger Aderlass 5 Furosemid 20–40 mg i.v. ggf. wiederholen 5 Ggf. Analgosedierung mittels Morphin 2–5 mg fraktioniert, nimmt die Angst der Luftnot und bewirkt eine dezente Vorlastsenkung 5 Vasodilatatoren z. B. Glyceroltrinitrat, Ziel-RR sollte 90 mmHg nicht unterschreiten, entweder 1–2 Hübe s.l. oder mittels Perfusor 0,03–0,18 mg/kgKG/h i.v. 5 Bei „Low Output“ ggf. Katecholamine wie Dobutamin 2–10 μg/kgKG/min i.v. oder Arterenol 0,9–6 μg/kgKG/h 5 Ggf. nichtinvasive Ventilationsunterstützung mittels CPAP-Therapie 8.6  Inhalationstrauma z z Einleitung/Definition

5 Thermische oder chemisch-toxische Schädigung der oberen und/oder unteren Atemwege sowie des Lungenparenchyms 5 Oft verursacht durch das Einatmen von Hitze, Rauch, Gasen

221 Respiratorische Notfälle

5 Häufig in Zusammenhang mit Wohnungsbränden 5 Mortalität des Inhalationstraumas ca. 10 % z z Ätiologie

5 Inhalation der Gase, Rauchpartikelchen 5 Reizgase (CS-Gas usw.) oder Erstickungsgase wie CO, Zyanide z z Pathophysiologie

Abhängig von: 5 Dauer der Einwirkung (Expositionszeit) 5 Temperatur 5 Konzentration 5 Löslichkeit der beteiligten Substanzen z z Symptome

5 Bronchospasmus 5 Dyspnoe bis Orthopnoe 5 Tachypnoe 5 Zyanose 5 Ggf. Begleitsymptome wie Ruß im Gesicht, perioral oder im Nasen-Rachen-Raum 5 Toxisches Lungenödem mit Rasselgeräuschen ! Cave

5 Bei bestimmten Gasen kann es zu verzögerten Reaktionen mit einem symptomfreien Intervall kommen 5 Das Pulsoxymeter kann normale SaO2-Werte anzeigen obwohl z. B. auch eine Kohlenmonoxidbeteiligung der Fall sein kann. Es gibt Pulsoxymeter, welche eine entsprechende Differenzierung zwischen O2-Hb und CO-Hb abbilden

z z Therapie

5 Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Vitalfunktionen 5 ABCDE-Maßnahmen 5 Oberkörperhochlagerung 5 Oxygenierung >8 l O2/min, am besten über Maske oder Maske mit Reservoir

8

5 Symptomorientiertes Vorgehen: 5 Bei Spastik: – β2-Sympathomimetika (Salbutamol) 1,25–5 mg mit Vernebler (1,25 mg/2,5 ml-Ampulle) – Reproterol 0,09 mg titriert langsam i.v. 5 Bei Lungenödem: – Furosemid 20–40 mg i.v. ! Cave

Bei Inhalationstraumen kann es im Verlauf zu toxischen Lungenödemen kommen, bei denen die Applikation von Diuretika notwendig ist. Die Applikation von Kortison i.v. ist nicht evident und umstritten. Absolute Individualentscheidung!

8.7  Hyperventilation z z Einleitung/Definition

Gesteigerte Ventilation durch Erhöhung der Atemfrequenz und/oder Atemtiefe mit folgender Hypokapnie. z z Ätiologie

5 Häufig kommt es durch aktuelle psychogene Faktoren wie Ängste, Panik und/oder Erregungszustände zu Hyperventilationen 5 Somatoforme autonome Funktionsstörung 5 Häufig im Erwachsenenalter ≤2. Lebensdekade z z Pathophysiologie

5 Hyperventilation mit erhöhter Atemfrequenz und/oder verstärkter Atemtiefe führt zu Hypokapnie 5 Über gesteigerte CO2-Abatmung kommt es durch den Abfall des paCO2-Werts zu einer respiratorischen Alkalose mit pH-Wert-Anstieg und sekundär zu einem Abfall des Plasmabikarbonats (Hemmung respiratorischen Bikarbonat­ rückresorption)

222

8

J. C. Brokmann

5 Die Kompensation der Alkalose erfolgt durch Abgabe von Protonen durch Albumin und andere Plasmaproteine. Die Negativierung der Plasmaproteine führt zu verstärkter Ca2+- und Mg2+-Ionen-Bindung 5 Dies führt zur Abnahme der freien Ca2+und Mg2+-Ionen bei normalem Gesamtkalzium und Magnesiumspiegel 5 Die Hyperventilation führt zu Abnahme der Konzentration von K+- und Phosphationen 5 Hauptsächlich werden die pH-WertVeränderung als auch die Elektrolytverschiebungen von Phosphat-, Ca2+- und Mg2+-Ionen für die Symptomatik gemacht und nicht alleine die zerebrale und systemische Ca2+-Ionenkonzentration 5 Die Abnahme der freien Ca2+- und Mg2+-Ionen führt zu einer Erhöhung der negativen Ladungen auf der extrazellulären Membranseite mit der Folge, dass das elektrische Feld innerhalb der Membran kleiner wird 5 Durch den Abfall des transmembranösen Potenzials kommt es zur Aktivierung spannungsabhängiger Ionenkanäle, welches einer Membrandepolarisierung entspricht z z Symptomatik

5 Angst und Unruhe 5 Gefühl der Luftnot 5 Tachykardie, Palpitationen 5 Schwindel, Verwirrtheit 5 Parästhesien

z z Therapie

5 Beruhigung 5 Down talking 5 Versuch der Beutelrückatmung, diese muss vor Anwendung einmal gut und eindringlich vermittelt werden 5 Insofern die SaO2 nicht durch andere Komorbiditäten verringert ist, bedarf es keiner O2-Gabe 5 Nur wenn andere Maßnahmen nicht wirksam sind, dann Applikation von Benzodiazepinen erwägen 5 Keine Ca2+-Substitution, da Gesamtkalzium normal.

Weiterführende Literatur Lindvig KP, Brøchner AC, Lassen AT, Mikkelsen S (2017) Prehospital prognosis is difficult in patients with acute exacerbation of chronic obstructive pulmonary disease. Scand J Trauma Resusc Emerg Med 25:106. 7 https://doi.org/10.1186/s13049017-0451-4 Nielsen VM, Madsen J, Aasen A et al (2016) Prehospital treatment with continuous positive airway pressure in patients with acute respiratory failure: a regional observational study. Scand J Trauma Resusc Emerg Med 24:121 Snyder SR, Kivlehan SM, Collopy KT (2015) COPD exacerbation. What are the keys to treating it in the prehospital setting? EMS World 44:54–60 Vogelmeier C, Buhl R, Burghuber O et al (2018) S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem (COPD) (Registernummer 020-006). 7  https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020-006l_S2k_COPD_chronisch-obstruktiveLungenerkrankung_2018-01.pdf. Zugegriffen: 11. März 2019 7 www.goldcopd.org

223

Stoffwechselnotfälle J. R. Müller 9.1 Diabetes mellitus – 224 9.1.1 Hypoglykämie – 224 9.1.2 Hyperglykämie und diabetische Ketoazidose – 227

9.2 Urämie, Niereninsuffizienz – 230 9.3 Phäochromozytom – 234 9.4 Addison-Krise – 234 9.5 Myxödemkoma – 236 9.6 Thyreotoxische Krise – 237 9.7 Hyperkalzämische Krise – 238 Weiterführende Literatur – 240

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_9

9

224

J. R. Müller

9.1  Diabetes mellitus

z z Allgemeines/Epidemiologie

9

5 Diabetes mellitus ist eine relativ häufige Erkrankung. Die Gesamtprävalenz ist binnen der letzten Jahre von 8,9 % in 2009 auf 9,5 % in 2015 gestiegen, dies ist v. a. dem Anstieg der Prävalenz des Typ-2-Diabetes geschuldet (von 8,6 % auf 9,2 %) 5 Bei Unter-40-Jährigen tritt der Typ-2-Diabetes nur selten auf. Ab dem 50. Lebensjahr steigt die Prävalenz des Typ-2-Diabetes mellitus auf ca. 20 % an und erreicht bei männlichen Patienten ab 80 Jahren mit 35 % ihren höchsten Wert. Die Ursachen liegen v. a. in veränderten Lebensgewohnheiten, u. a. auch einer zunehmenden Adipositas, aber auch der zunehmenden Lebenserwartung 5 Die Prävalenz des Typ-1-Diabetes mellitus sank im Zeitraum von 2009–2015 von 0,33 % auf 0,28 % 5 Bei rund 500.000 Patienten wird jedes Jahr zum ersten Mal die Diagnose Diabetes mellitus Typ 2 gestellt. Die Inzidenz des Typ-1-Diabetes liegt in Deutschland verglichen mit der restlichen Welt im mittleren Bereich, nimmt aber innerhalb der letzten 20 Jahre ebenfalls stetig zu. Inzidenz 4,8 und 13,4 pro 100.000 Personenjahre, ca. 2000–3000 Neuerkrankungen eines Typ-1-Diabetes/Jahr in Deutschland 9.1.1  Hypoglykämie z z Definition

5 Absenkung der Blutglukosekonzentration unter den physiologischen Normwert in Verbindung mit klinischen Symptomen eine Hypoglykämie, die sich nach Glukosegabe bessert 5 Es gibt keine einheitliche Definition als Schwellenwert 5 Blutzuckerwert  Unterschieden wird eine

„asymptomatische Hypoglykämie“ von einer „symptomatische Hypoglykämie“.

Die symptomatische Hypoglykämie ist in zwei Schweregrade eingeteilt: a) Der Betroffene kann sich selbst helfen b) Der Betroffen ist auf fremde Hilfe angewiesen (schwere Hypoglykämie) ! Cave

Eine unbehandelte schwere und andauernde Hypoglykämie kann tödlich enden.

Pseudohyperglykämie: Bei chronisch hyperglykämischen Patienten können bereits normwertige Glukosewerte zu hypoglykämischen Symptomen führen. z z Ätiologie

Häufige Ursachen: 5 Überdosierung von Insulin 5 Überdosierung von oralen Antidiabetika (Sulfonylharnstoffe, Glinide, Metformin) 5 Inadäquate Nahrungsaufnahme nach Insulinapplikation 5 Alkoholkonsum im Rahmen eines Diabetes mellitus 5 Alkoholkonsum vergesellschaftet mit Nahrungskarenz/Kachexie (Alkohol hemmt die hepatische Glukoneogenese) Seltene Ursachen: 5 Insulinome, Nesidioblastose, IGF-II-produzierende Tumore 5 Autoimmun-Insulin-Syndrom (AIS) 5 Medikamente (z. B. Pentamidin, Chinin, Chinidin)

225 Stoffwechselnotfälle

5 Zustand nach Gastrektomie (Spätdumping) 5 Terminale Niereninsuffizienz (Beteiligung an der Glukoneogenese) 5 Endokrinopathien 5 Hypophyseninsuffizienz 5 Nebenniereninsuffizienz 5 Hypothyreose 5 Anorexie 5 Hypoglycaemia factitia z z Glukosehömoostase

5 Das Gehirn ist für seinen Stoffwechsel auf Glukose angewiesen, nur in einer katabolen „Hungersituation“ sind Neurone zusätzlich in der Lage Ketonkörper zu verstoffwechseln 5 Der Körper versucht daher möglichst eine Glukosekonzentration innerhalb der „physiologischen“ Grenzen aufrecht zu erhalten 5 Zentrales Organ ist die Leber, die neben der Muskulatur den größten Glykogenspeicher darstellt 5 Bei niedrigem Blutzuckerspiegel wird Glykogen in Glukose umgewandelt 5 Glukoneogenese erfolgt vorwiegend in der Leber, in geringem Umfang auch in der Niere Substrat der Glukoneogenese sind v. a. Produkte der Lipolyse und Proteolyse wie Aminosäuren, Laktat und Triglyceride 5 Die Glukosehömeostase wird hauptsächlich durch die Insulin- und Glukagonausschüttung reguliert Insulin vermindert die hepatische Glykogenolyse und Glukoneogenese und erhöht über die Aktivierung von Glukosetransportern die intrazelluläre Glukoseaufnahme in Muskel- und Fettzellen Insulin hemmt die Glukagonsekretion aus den A-Zellen des Pankreas Als Gegenspieler stimuliert Glukagon die Glykogenolyse und Glukoneogenese und führt zu einer vermehrten Glukoseproduktion

9

z z Pathophysiologie der Hypoglykämie

5 Hypoglykämie führt zur verminderter Insulinausschüttung und vermehrter Glukagonsekretion 5 Hemmung der Glukoneogenese und Steigerung der Glykogenolyse mit gesteigerter Glukosebereitstellung 5 Vermehrte Epinephrin- und Kortisonausschüttung 5 Epinephrin führt β2-rezeptorvermittelt zu einer vermehrten Glykogenolyse und Glukoneogenese 5 Kortison senkt die Glukoseaufnahme der peripheren Zellen z z Symptomatik/Klinik

Autonome unspezifische Zeichen: 5 Zittern 5 Schwitzen 5 Palpitationen (Herzklopfen) 5 Tachykardien (Herzrasen) 5 Heißhunger 5 Blässe 5 Übelkeit Neuroglykopenische Zeichen: 5 Schwindel, Benommenheit 5 Verwirrtheit 5 Sprachstörungen (Aphasie) 5 Sehstörungen (verschwommenes Sehen, Doppelbilder) 5 Atypisches Verhalten bis Psychose oder Delir 5 Parästhesien 5 Transiente Hemiplegie 5 Kopfschmerzen ! Cave

5 Diabetespatienten habe häufig eine gestörte Hypoglykämiewahrnehmung 5 Beachtung der Begleitmedikation: β-Blockertherapie kann eine Hypoglykämiesymptomatik kaschieren 5 Immer Blutzuckerkontrolle bei alkoholisierten Patienten (häufige unbemerkte Hypoglykämien)

226

J. R. Müller

9.1.1.1  Hypoglykämie und Herz

9

Es besteht möglicherweise ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko durch maligne Herzrhythmusstörungen im Rahmen von Hypoglykämien, jedoch sind die Studienergebnisse diesbezüglich uneinheitlich (ACCORD, VADT ADVANCE NICE-SUGAR). 5 Aktuell ist nicht klar ob eine weitere telemetrische Überwachung nach stattgehabter Hypoglykämie sinnvoll erscheint 5 Möglicherweise stellen besonders junge Typ-1-Diabetespatienten eine Risikogruppe dar, weshalb in diesem Fall eine Vorstellung in einer Klinik erfolgen sollte 5 Bei schweren Hypoglykämien kommt es zu diversen Veränderungen im Körper, die das Herz beeinflussen können u. a. vermehrte Ausschüttung von Katecholaminen und Kortisol → Zunahme von Kontraktilität und Herzminutenvolumen → steigender Sauerstoffbedarf der Herzmuskulatur 5 Zusätzlich besteht häufig z. B. durch eine Insulintherapie eine Hypokaliämie 5 Infolge der o. g. Faktoren kommt es zu einer Veränderung der Reizleitung mit möglicher Induktion von Arrhythmien und ST-Senkungen sowie Verlängerung der QT-Zeit z z Diagnostik

5 EKG, Blutdruck-, Atemfrequenz-, SpO2-Monitoring 5 Blutzuckerkontrolle bei jedem Patienten mit veränderter Vigilanz 5 Anamnese 5 Bekannter Diabetes mellitus, insulinpflichtig 5 Weniger gegessen, Insulinschema umgestellt 5 Infekt (Hypoglykämie häufig bei Infekt, da wenig gegessen, Insulinschema unverändert) 5 Versehentliche/suizidale Insulinüberdosierung 5 Alkoholintoxikation

z z Therapie 5 Allgemeine Maßnahmen

5 Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Vitalfunktion 5 Blutdruck-/Puls-, Atemfrequenz-, SpO2-Monitoring 5 Anlage eines pVK 5 Wärmeerhalt 5 Ggf. Sauerstoffgabe 5 Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution mit balancierter kaliumhaltiger kristalloider Flüssigkeit

5 Glukosegabe 5 Faustregel: 10 g Glukose können den Blutzuckerspiegel um ca. 100 mg/dl anheben 5 Bei wachem Patienten orale Gabe von 20–25 g Traubenzucker oder äquivalente Menge durch zuckerhaltige Getränke 5 Bei Vigilanzminderung: 10 ml Glukose 40 % i.v. 10 ml Glukose 40 % nach Möglichkeit mit 10 ml NaCl 0,9 % verdünnen und durch einen vorher überprüften i.v.-Zugang langsam applizieren 5 Ggf. repetitive Dosis notwendig ! Cave

Paravasate mit glukosehaltiger Lösung können zu schweren Weichteilnekrosen führen! Gabe nur über einen sicheren Zugangsweg mit Lagekontrolle des i.v.-Zugang (Rücklaufprobe!).

5 Alternative und im Rettungsdienst eher unüblich: Glukagon 0,5–1 mg i.m. oder s.c. 5 Kinder-Glukosedosierung 5 Glukose 40 % 1:1 mit NaCl 0,9 % verdünnen Gabe von 0,2 g Glukose/kgKG (0,5 ml G40% je kgKG) Dann kontinuierliche Glukoseinfusion mit 6–9 mg Glukose/kgKG/min 5 Glukagon 0,03 mg/kgKG bis max 1 mg i.m.

227 Stoffwechselnotfälle

9.1.2  Hyperglykämie und

diabetische Ketoazidose

. Tab. 9.1.

z z Definition

5 Schwere Stoffwechselentgleisung mit erhöhten Blutzuckerwerten 5 Potenziell lebensbedrohliche Erkrankung (Letalität insgesamt bis 5 %, häufigste Todesursache bei Patienten 15  % > Im Vordergrund steht die Dehydratation

bzw. Hypovolämie!

z Hyperglykämische hyperosmolare ­Entgleisung z z Ätiologie 5 Insulinresistenz

z Diabetische Ketoazidose (DKA) z z Ätiologie 5 Insulinmangel







Trotz erhöhter Insulinspiegel haben die Zellen eine verminderte Fähigkeit zur Glukoseaufnahme Pathologie: Hyperglykämie → Hyper­ osmolarität → intrazelluläre Dehydration, gesteigerte osmotische



Zerstörung des Inselzellapparats führt zur fehlenden Insulinausschüttung. Durch den Insulinmangel erfolgt eine verminderte Glukoseaufnahme in die Zelle Pathologie: Insulinmangel → gesteigerte Lipolyse → Ketose → metabolische Azidose, Erbrechen

. Tab. 9.1  Diabetisches Koma Ketoazidotisches Koma

Hyperosmolares Koma

Typ-1-Diabetes

Typ-2-Diabetes

Häufigkeit

Um Faktor 5–8 häufiger als hyperosmolares Koma

Seltener als ketoazidotisches Koma

Lebensalter

40 Jahre

Symptome

Polyurie, Polydipsie, Hypotonie, Tachykardie, Pseudoperitonitis diabetica, Nausea

Polyurie, Polydipsie, Hypotonie, Tachykardie, Adynamie

Atemtyp

Kussmaul-Atmung

Normal bis leicht erhöhte Atemfrequenz

Muskeltonus

Eher vermindert

Eher gesteigert

Blutzucker

600 mg/dl

pH-Wert

pH-Wert 350 mosm/kgKG erhöht

Ketonkörper im Urin

Vorhanden

Nicht vorhanden

Exsikkose Mortalität

Stark Geringer als 20 %

9

Höher als 20 %

228



5 5 5 5 5 5

J. R. Müller

Erbrechen und Hyperosmolarität → intrazelluläre Dehydration, gesteigerte osmotische Diurese → Hypovolämie, Elektrolytentgleisung Typ-1-Diabetes, häufig junge Patienten Häufig Erstmanifestation Diabetes mellitus Typ 1 Inadäquate Dosierung, Vergessen der Insulintherapie Rasche Entwicklung binnen 24 h Inzidenz 8/1000/Jahr Mortalität  Im Vordergrund steht die Lipidstoff-

wechselstörung mit metabolischer Ketoazidose.

z z Pathophysiologie

9

Vermehrter Anfall freie Fettsäuren durch Blockade der Fettsäuresynthese und gesteigerte Lipolyse. 5 Blockade der Fettsäuresynthese 5 Verminderter Glukoseumsatz im Pentosephosphatzyklus → Mangel an NADPH/H+ → Blockade der Fettsäuresynthese 5 Erhöhte Konzentration freier Acetylverbindungen → zusätzlich Blockade der Acetyl-CoA-Carboxylase (Enzym der Fettsäuresynthese) 5 Steigerung der Lipolyse 5 Intrazellulärer Glukosemangel → Abbau freier Fettsäuren über die β-Oxidation zu Acetyl-CoA-Verbindungen → Vermehrt anfallendes Acetyl-CoA kann infolge eines relativen Mangels an Oxalacetat nicht vollständig in den Zitratzyklus verstoffwechselt werden → Verstoffwechselung über alternative Wege zu Ketonkörpern und Cholesterin → Ketonämie, Hyperlipoproteinämie und Hypercholesterinämie 5 Vermehrtes Anfallen von Ketonkörper wie Azetessigsäure und β-Hydroxybuttersäure, die durch Abgabe von H+-Ionen das Bikarbonat des Körpers verbrauchen → Verbrauch

des Puffers führt zur metabolischen Azidose 5 Fehlendes Insulin → Erhöhung der Kortisol-, Wachstumshormon-, Glukagon- und Katecholaminspiegel → Verstärkung der Hyperglykämie durch Kortisolausschüttung → a) Verminderung der peripheren zellulären Glukoseaufnahme/Verwertung b) Steigerung der hepatischen und renalen Glukosebereitstellung 5 Alkoholische Ketoazidose 5 Verstoffwechselung von Alkohol durch Oxidation (Verbrauch von NADPH/H+ und NADH/H+) 5 Alkohol → Acetaldehyd → Acetat → Acetyl-CoA (vermehrtes Substrat) 5 Hemmung der Glukoneogenese und Fettsäureoxidation durch Mangel an NADPH/H+ → vermehrter Anfall β-Hydroxybuttersäure z Sonderfall euglykämische diabetische Ketoazidose unter SGLT2-Inhibitoren

5 Durch die zunehmende Verwendung zukünftig häufiger zu erwarten 5 Meist unspezifische Symptome der DKA 5 Häufig normo- bis leicht hyperglykämische Blutzuckerwerte 5 Pathomechanismus bisher nicht geklärt 5 Durch spätes Erkennen jedoch häufig mit schwerem Verlauf z z Ursachen

5 Vergessene Insulintherapie, schlechte Compliance (v. a. Jugendliche) 5 Erstmanifestation eines Typ-1-Diabetes 5 Infektionen (v. a. Pneumonien, Harnwegsinfektion) 5 Akute schwere Erkrankungen: Myokardinfarkt, Apoplex, Sepsis, Trauma, Pankreatitis 5 Medikamente: Kortikosteroide, Thiaziddiuretika, Sympathikomimetika, SGLT2-Inhibitoren 5 Akoholabusus 5 Drogenabusus (Kokain)

229 Stoffwechselnotfälle

5 Ess(verhaltens)störungen meist bei Typ-1-Diabetikern 5 Extreme „Low-Carb-Diäten“ bei gesteigertem Glukosebedarf (meist milde Hyperglykämie) z z Symptomatik

5 Polyurie (Serumglukose ≥10 mmol/l) 5 Dehydratation 5 Gewichtsverlust 5 Übelkeit, Erbrechen 5 Trockene Haut, verminderter Hauttugor 5 Mundtrockenheit 5 Starker Durst (Poldipsie) 5 Tachykardie, Hypotonie 5 Hypothermie 5 Bewusstseinsstörungen bis Koma (Koma selten,  Präklinisch sollte ohne Kenntnis

des Säure-Basen-Haushalts und Elektrolytstatus keine Insulintherapie, Kalium- oder Bikarbonatherapie erfolgen.

230

J. R. Müller

9.2  Urämie, Niereninsuffizienz z z Definition

9

5 Urämie beschreibt einen Symptomkomplex auf dem Boden einer fortgeschrittenen terminalen Nierenerkrankung infolge einer gestörten Ausscheidung von Stoffwechselabbauprodukten, Elektrolyten und Wasser sowie der gestörten Freisetzung von Hormonen wie Erythropoetin, Renin, Prostaglandinen und Calcitriol (Vitamin D) 5 Häufig wird hier von einer „Vergiftung“ durch die toxische Wirkung harnpflichtiger Substanzen oder dem Auftreten von harnpflichtigen Substanzen im Blut gesprochen (lateinisch urina „Urin“ und altgriechisch αἷμα haĩma „Blut“) 5 Das urämische Koma bildet den Endpunkt des akuten oder chronischen Nierenversagens vor dem Tod z Akute Niereninsuffizienz

Akute Niereninsuffizienz (syn. akutes Nierenversagen) ist gekennzeichnet durch einen plötzlichen Funktionsverlust innerhalb weniger (5–10) Tage

Die Einteilung erfolgt nach dem Grad des Funktionsverlusts sowie der Genese: 5 Prärenales akutes Nierenversagen 5 Renales akutes Nierenversagen 5 Postrenales akutes Nierenversagen Verwendung findet v. a. die RIFLE- und AKIN-Klassifikation: . Tab. 9.2 und 9.3 Einteilung der ADQI (Consensus Report Acute Disease Quality Initiative) 5 Akutes Nierenversagen (AKI, acute kidney injury) Dauer 7 Tage 5 Akute Nierenerkrankung (AKD, acute kidney disease) ab Tag 7 bis 3 Monate 5 Chronische Niereninsuffizient (CKD, chronic kidney disease) ab Tag 90

z Chronische Niereninsuffizienz

5 Chronische irreversible verminderte Nierenfunktion oder strukturelle Veränderung mit negativen Auswirkungen auf den Gesundheitszustand, die länger als 3 Monate besteht

. Tab. 9.2 RIFLE-Klassifikation Stadium

Serumkreatinin

Urinausscheidung

Risk

1,5-fach erhöhtes Serumkreatinin oder GFR-Abfall >25 %

50 %

75 % oder wenn Basisserumkreatinin  ≥353,6 μmol/l (≥4 mg/dl) Serumkreatininanstieg >44,2 μmol/l (>0,5 mg/dl)

4 Wochen

End-stage kidney disease

Kompletter Verlust der Nierenfunktion >3 Monate

231 Stoffwechselnotfälle

9

. Tab. 9.3  AKIN KDIGO-Kriterien Stadium

Serumkreatinin

Urinausscheidung

1

Serumkreatininanstieg ≥26,5 μmol/l (≥0,3 mg/dl) binnen 48 h oder 1,5- bis 2-facher Serumkreatininanstieg binnen 7 Tagen

0,5 mg/dl)

15 ml/min z z Ätiologie z Ursache des akuten Nierenversagens Prärenale Genese (ca. 60 %): renale Hypoperfusion

5 Ursachen: 5 Intravasaler Volumenmangel (Blutverlust, hämorrhagischer Schock) 5 Mangelnde Flüssigkeitszufuhr 5 Extrazellulärer Flüssigkeitsverlust (Erbrechen, Schwitzen) 5 Distributiver Schock, Flüssigkeitsverlust „in den dritten Raum“ (Sepsis) 5 Vermindertes Herzzeitvolumen (kardiogenen Schock, Herzinsuffizienz) 5 Pathomechanismus: 5 Vermindertes effektives Blutvolumen führt zur Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems, zur vermehrten Ausschüttung von Katecholaminen und ADH 5 Ziel: Natrium- und Wasserretention zur Volumenstabilisierung Renale Genese (ca. 35 %)

5 Tubulär: Akute Tubulusnekrose, ischämisch oder toxisch bedingt 5 Ursachen:

– Makro- oder Mikrozirkulationsstörungen – Kontrastmittelnephropathie 5 Pathomechanismus: Ischämie oder Toxine → Hypoxie → Nekrose 5 Interstitiell: Interstitielle Nephritis 5 Entzündung, die das Bindegewebe der Niere (Interstitium) mit den Lymphund Blutgefäßen und Nerven betrifft 5 Ursachen: – Medikamenteninduziert: Antibiotika, Diuretika, NSAR, Allopurinol – Bakterielle Infektionen (Pyelonephritis) aber auch Protozoen, Viren – Elektrolytstörungen: Hyperkalzämie, Hypokaliämie, Uratnephropathie – Andere: Sarkoidose 5 Glomerulär: Glomerulonephritis 5 Ursachen: – Goodpasture-Syndrom – Anti-GBM-Glomerulonephritis – Poststreptokokken-Glomerulonephritis – Lupus-Nephritis – IgA-Glomerulonephritis – Henoch-Schönlein-Purpura – Membranoproliferative Glomerulonephritis – Wegener-Granulomatose – Panarteritis nodosa – Idiopathische rapid progressive Glomerulonephritis 5 Vaskulär: 5 Ursachen:

232

J. R. Müller

– Embolien, Nierenarterienstenose, Nierenvenenthrombose – Vaskulitiden, thrombotische Mikroangiopathien (HUS, TTP, HELLP/ Präeklamsie), Kollagenosen Postrenale Genese (ca. 5 %)

5 Ursachen: 5 Mechanische Abflussbehinderung durch Steine, Koagel, Zelldetritus 5 Tumore: Prostata-, Blasen- oder Zervixkarzinom 5 Traumatische entzündliche Läsionen/ Strikturen des Ureters, Blasenhalsobstruktion, Prostatahypertrophie 5 Autonome Neuropathie (neurogene Blasenentleerungsstörung)

9

z Ursachen des chronischen Nierenversagen

5 Diabetische Nephropathie 5 Vaskuläre Nephropathie 5 Primäre und sekundäre Glomerulonephritiden 5 Polyzystische Nierenerkrankungen 5 Chronisch tubulointerstitielle Erkrankungen z z Klinische Symptome der Urämie

5 Allgemeine Symptome: Foetor uraemicus (Uringeruch in der Atemluft sowie Schweißsekretion durch ureasehaltige Bakterien), Kraftlosigkeit, Müdigkeit, Singultus 5 Haut: Pruritus mit trockener schuppender (Abnahme der Talg- und Schweißdrüsensekretion), blasser (Anämie), meist hellbräunliche bis gelber Haut (Hyperpigmentierung), häufig Wundheilungsstörungen 5 Sinnesorgane: Retinopathien, Hör-, Geschmacks-, Geruchsstörungen 5 Magen/Darm: Übelkeit, Erbrechen Diarrhöen, urämische Gastritis/Kolitis, urämische Pankreatitis, Leberfunktionsstörungen 5 Herz: Hypertrophe Kardiomyopathie mit diastolischer Dysfunktion,

Herzinsuffizienz, Thoraxschmerzen, Perikarditis (Perikardreiben nur bei geringem Erguss), Herzrhythmusstörungen (häufig durch Hyperkaliämie getriggert) 5 Lunge: Dyspnoe, Pleuritis, Pleuraerguss Lungenöden, Azidoseatmung 5 Volumenstatus: Überwässerung, oder Dehydratation 5 Ausscheidung: Oligurie, Anurie oder Polyurie 5 ZNS: Schlafstörung, Konzentrationsschwäche, Verlangsamung, Verwirrtheit bis zur Bewusstlosigkeit (Koma), Enzephalopathie, Hirnödem, Krampfanfall, Meningismus Muskelfaszikulationen, Hyperreflexie, grobschlägiger Tremor („flapping tremor“), Polyneuropathie 5 Blut: Anämie (Blässe), Hämolyse, gestörte Immunabwehr, Immunsuppression Thrombozytenfunktionsstörung, hämorrhagische Diathesen (Epistaxis, Schleimhaublutungen, Hämatome) 5 Skelett: Osteoporose, Osteomalazie, häufig Knochen- und Gelenkschmerzen 5 Muskulatur: Atrophie, Dystrophie, Verkalkung, Schwäche z z Diagnostik

5 Anamnese und Familienanamnese: 5 Vorerkrankungen: KHK, pAVK, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Apoplex, Plasmozytom 5 Schwangerschaft? 5 Frühere Nierenerkrankungen, Hinweis auf erhöhte Kreatininwerte 5 Medikamentenanamnese: NSAR, Diuretika, AT1-Blocker, ACE-Hemmer, Antibiotika, atypische Neuroleptika, Kontrastmittel 5 Gewichtszunahme, Ödeme, Miktionsunregelmäßigkeiten (Dysurie, Algurie, Pollakisurie, Strangurie, Harnverhalt) 5 Körperliche Untersuchung: 5 RR, Puls (Vorhofflimmern?) 5 O2-Sättigung, Atemfrequenz (Azidose, Hypoxie) 5 Blutzuckerbestimmung 5 Herztöne, Perikarderguss

233 Stoffwechselnotfälle

5 Flüssigkeitsstatus bestimmen: Ödeme, Pleuraergüsse, Hauttugor, Schleimhäute, verlangsamte Kapillarfüllung? 5 Hautveränderungen 5 Klopfschmerz im Nierenlager 5 Neurologischer Status: Vigilanz, Tremor, Hyperreflexie 5 Dialysezugänge (Shunt, Shaldon-, Demers-, Hickmann-Katheter) z z Therapie

5 Ziel: Sicherstellung ausreichende Hämodynamik (MAP >60 mmHg), Euvolamämie, Korrektur einer Elektrolytstörung z Allgemeine Maßnahmen

5 Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Vitalfunktion 5 Anlage eines pVK > Vermeiden einer Punktion am Shuntarm!

Wenn ein Shunt geplant ist, Schonung des entsprechenden Arms. Im Zweifel ist jedoch die Schaffung eines sicheren pVK vorrangig!

5 Bei Hypoxie: Sauerstoffgabe 2–6 l/min nasal, ab 6 l/min via Maske 5 Oberkörperhochlagerung oder Schocklagerung in Abhängigkeit des klinischen Befunds (Hyperhdydration oder Hypovolämie) > Auswahl eines geeigneten

Zielkrankenhaus mit der Möglichkeit einer Akutdialyse

z Spezielle Maßnahmen Flüssigkeitsmangel → Volumentherapie:

5 Bei Zeichen der Hypovolämie (prärenalem Nierenversagen) 5 Vorzugsweise eine nicht kaliumhaltige kristalloide Flüssigkeit z. B. NaCl 0,9 % 5 Optimale Infusionsrate ist abhängig von den Komorbiditäten und den klinischen Symptome des Patienten Faustregel: 500–1000 ml in 1–2 h

9

5 Beachte: 5 Eingeschränkte Fähigkeit der Kaliumelimination im akuten Nierenversagen 5 Gefahr der kardialen Dekompensation (Lungenödem) durch aggressive Volumentherapie 5 Gefahr der hyperchlorämischen metabolischen Azidose (bei übermäßiger NaCl-Therapie) 5 Gabe einer kristalloiden ist einer kolloidalen Flüssigkeit vorzuziehen 5 Keine Hydroxyethylstärke (HES)-Gabe Flüssigkeitsüberschuss → diuretische Therapie:

5 Gabe von Schleifendiuretika: Furosemid initial 40 mg i.v. als Bolus (1 mg/kgKG) 5 Bei Dialysepatienten mit Restausscheidung ggf. höhere Dosierung 5 Alternativ empfiehlt sich eine kontinuierliche Gabe mittels Furosemidperfusor: 500–1000 mg/24 h, Furosemid pur aufziehen ! Cave

Gefahr der Ototoxität durch zu schnelle Verabreichung von Furosemid, daher maximal 80 mg als Bolus mit maximaler Infusionsgeschwindigkeit von 6 mg/min. > Dopamin und Diuretika beeinflussen die

Prognose des ANV nicht.

5 Niedrig dosiertes Dopamin steigert zwar die Nierendurchblutung, glomeruläre Filtration und Natriurese, jedoch führt dies zu keiner Verbesserung der Mortalität oder langfristigen nephroprotektiven Effekt 5 Schleifendiuretika führen zu einer Hemmung der Natriumresorption im Bereich der Henle-Schleife und könnten primär über einen verminderten Sauerstoffverbrauch nephroprotektiv wirken. Jedoch findet sich bei der Konversion eines oligurischen in ein polyurisches Nierenversagen durch Diuretika sogar ein deutlicher Anstieg der Mortalität, dies wird durch die zusätzliche Triggerung bzw. Aktivierung des RAAS durch Diuretika erklärt

234

J. R. Müller

5 Diuretika haben dennoch ihren Stellenwert in der symptomatischen Therapie der Elektrolytentgleisung und der Überwässerung 5 Mannitol 5 Osmotisch wirksames Diuretikum 5 Kein Stellenwert mehr in der Therapie des ANV 5 Bei höherer Dosierung: Nephrotoxizität, zusätzlich Gefahr der Hyponatriämie, Hyperkaliämie und metabolischen Azidose 9.3  Phäochromozytom z z Definition

9

5 Katecholaminproduzierender Tumor der chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks oder der sympathischen Paraganglien 5 Pathologie: Unkontrollierte meist phasenweise gesteigerten Freisetzung von Katecholaminen z z Klinische Symptomatik

5 Anfallartige, teilweise dauerhafte Hypertonie 5 Tachykardie, Palpitationen 5 Blässe 5 Vermehrtes Schwitzen, Kaltschweißigkeit 5 Kopfschmerzen 5 Unruhe 5 Hyperglykämie 5 Gewichtsverlust z z Diagnostik

5 EKG-, RR, AF-, SpO2-Monitoring 5 Blutzuckerkontrolle 5 (Familien)anamnese: 5 Hinweise auf (genetische) Erkrankungen in der Familie 5 V. a. MEN-Syndrom (Multiple endokrine Neoplasien) MEN-assoziierte Erkrankungen: – Phakomatosen: Neurofibromatose Typ 1 (Neurofibrome, Café au lait-Flecken), Von-Hippel-Lindau-Syndrom

(Gefäßmissbildungen in ZNS und Auge) – Medulläres Schilddrüsenkarzinom – Hyperparathyreoidismus Die eigentliche Diagnostik kann nur innerklinisch erfolgen, umfasst Katecholamine und Abbauprodukte im Sammelurin, Metanephrin im Plasma, Clonidinhemmtest, bildgebende Verfahren etc. z z Therapie

5 Allgemeine Maßnahmen 5 RR-, Puls-, AF-, SpO2-Kontrolle 5 Anlage eines pVK 5 Ggf. Sauerstoffgabe 5 Lagerung sitzend, Oberkörperhochlagerung 5 Antihypertensive Therapie 5 Urapidil titriert 20–50 mg i.v. 5 Nitredipin 5 mg s.l., ggf. wiederholen 5 Nitroglycerin (Nitro-Spray) 2–4 Hübe s.l. (1 Hub = 0,4  mg) 5 α-Blocker (Phentolamin und Phenoxybenzamin) sind primäre Therapie aber präklinisch nicht verfügbar! ! Cave

5 Keine β-Blockertherapie bei Verdacht auf ein Phäochromozytom 5 Verstärkung der peripheren Vasokonstriktion mit zusätzlichem Blutdruckanstieg und verminderter Organgewebsperfusion 5 Unselektive β-Blocker frühestens 48 h nach Beginn einer α-Blockertherapie

9.4  Addison-Krise z z Definition

5 Zu niedriges Verhältnis von Angebot an NNR-Hormonen zum Bedarf des Körpers 5 Ursächlich ist eine insuffiziente Produktion von Glukokortikoiden (Kortisol) und Mineralokortikoiden (Aldosteron) sowie Androgenen in der Nebennierenrinde meist mit einem gesteigerter Bedarf des Körpers in Stresssituationen

235 Stoffwechselnotfälle

! Cave

Die akute Nebenniereninsuffizienz ist ein medizinischer Notfall und verläuft unbehandelt tödlich.

9

ist bei Stressereignissen wie z. B. Trauma, Operation, Infektion und Fieber eine Dekompensation häufig z z Symptome

z z Ätiologie

Unterschieden wird zwischen primärer und sekundärer NNRI. z  Primärer Nebenniereninsuffizienz > Ursache liegt in der NNR

5 In den meisten Fällen (70–90 %) autoimmune Genese 5 Weitere Ursachen: 5 Bakterielle Infektionskrankheiten, meist im Rahmen einer Sepsis 5 Hämorrhagische Infarzierung im Rahmen einer Hyperkoagulopathien oder disseminierten Gerinnung wie z. B. bei einer Menigokokkenmeningitis 5 Früher war die Tuberkulose die häufigste Ursache für eine primäre NNR-Insuffizienz, heute ist es die Autoimmunadrenalitis z Sekundäre Nebenniereninsuffizienz > Ursachen auf hypophysäre Ebene

5 Sekundäre Form der Nebenniereninsuffizienz ist deutliche häufiger 5 Ursächlich sind meist hypophysäre Raumforderungen (Hypophysenadenome oder Kraniopharyngeome) oder entsprechende Operationen oder Bestrahlungen dieses Bereichs, aber auch Schädel-Hirn-Trauma, Durchblutungsstörungen, hämorrhagische Infarzierung (bei schwere Sepsis, v. a. durch Meningokokken) oder Hyperkoagulopathien 5 Plötzliches Weglassen einer länger andauernden Steroidtherapie kann ursächlich für eine akute NNRI sein. V. a. bei Patienten mit einer bekannten latenten nichtsubstitutionspflichtigen oder substitutionspflichtigen Nebenniereninsuffizienz ohne Dosisanpassung,

5 Müdigkeit, Schwäche, schnelle Erschöpfung, Antrieblosigkeit (Adynamie), Übelkeit, Erbrechen, Salzhunger, ein generelles Hungergefühl, Tachykardie, Dyspnoe, Zittern und Schwitzen 5 Klinisch steht v. a. ein Schock mit Hypovolämie, Dehydratation und Hypotonie im Vordergrund 5 Im Rahmen einer primären NNRI findet sich häufig eine Hyperpigmentierung (typische Bronzefärbung der Haut durch vermehrte Produktion von Proopiomelanocortin, POMC) 5 Laborchemisch: Hyperkaliämie, Hyponatriämie und selten auch Hypoglykämie z z Therapie z Basismaßnahmen

5 Anlage eines großlumigen i.v.-Zugangs 5 Hämodynamisches Monitoring (HF, RR, SpO2, AF), Blutzuckermessung, 12-KanalEKG z Flüssigkeitstherapie

5 Zügige Infusion von 1–3 l isotoner NaCl-Lösung 0,9 % (für initiale Volumentherapie generell NaCl-Lösung 0,9 % empfohlen). Im Rahmen des weiteren Volumenmanagement sollte dann eine balancierte kristalloide Vollelektrolytlösung in Kenntnis der Serumelektrolytkonzentrationen gegeben werden 5 Präklinisch ist die Gefahr einer hyperchlorämischen Azidose durch Gabe von NaCl 0,9 % geringer zu bewerten, als die Gefahr einer weiteren Kaliumsubstitution bei vermuteter Hyperkaliämie. Dies sind jedoch nur pathophysiologische Überlegungen, eine durch Studien belegte Evidenz besteht nicht

236

J. R. Müller

! Cave

Verzichtet werden sollte aber auf die Gabe hypertoner NaCl-Lösungen infolge der Gefahr des schnellen NaCl-Anstiegs mit möglicher pontiner Myelinolyse.

z Glukosegabe

5 Ggf. zusätzlich bei Hypoglykämien: Gabe von Glukoselösung 5 % z Glukokortikoidtherapie

9

5 Generell sollte bei dem Verdacht einer akuten Nebenniereninsuffizienz eine sofortige Therapie mit Glukokortikoiden erfolgen 5 Gabe eines zusätzlichen Mineralkortikoid ist in der akuten Situation nicht notwendig, da bis auf Dexamethason die meisten Glukokortikoide wie Hydrokortison und Prednisolon auch eine mineralkortikoide Wirksamkeit besitzen 5 Primär sollte die i.v.-Gabe von 100 mg Hydrokortison als Bolus erfolgen, eine i.m.-Gabe ist auch möglich. Hydrokortison bietet den Vorteil eines schnellen Wirkungseintritts. Eine s.c.-Gabe ist nicht indiziert 5 Alternativ ist aber die Gabe jedes anderen Glukokortikoid in einer entsprechenden Äquivalenzdosis möglich 5 Im Falle eines vermuteten, aber noch nicht gesicherten Hypokortisolismus kann der Einsatz von 4 mg Dexamethason (Forte­ cortin) erwogen werden, da dies keinen Einfluss auf die innerklinisch veranlasste Bestimmung des Plasmakortisols hat 5 Dosierung für Erwachsene: 100 mg Hydrokortison, 50 mg Prednisolon, 4 mg Dexamethason > Der Hinweis des Patienten auf

NNR-Erkrankung, eine Kortikosteroidmedikation oder das Vorhandensein eines Notfallausweises sollte immer die Frage nach Zeichen einer beginnenden Notfallsituation nach sich ziehen. Hat der Patient im Falle einer gesteigerten körperlichen Belastung die Dosis

bereits angepasst? Falls nicht, sollte eine Dosisanpassung bzw. zusätzliche Steroidgabe erfolgen.

9.5  Myxödemkoma z z Definition

5 Lebensbedrohlicher Mangel an Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3) 5 Leitsymptome: Verminderte Vigilanz und Hypothermie, häufig zusätzlich Hypotonie, Bradykardie, Hypoventilation mit respiratorischer Insuffizienz (Hypoxie, Hyperkapnie) und Hypoglykämie 5 Als Myxödem selbst bezeichnet man eine lokalisierte, infiltrative Hauterkrankung aufgrund einer Bindegewebsproliferation mit Einlagerung von Glukosaminglykanen (Hyaluronsäure). Klinisch findet sich eine derbe teigige, raue Schwellung mit Einziehungen (apfelsinenschalartig), einem nicht wegdrückbaren Ödem entsprechend z z Ätiologie

5 Meist Autoimmunthyreopathien (z. B. Hashimoto-Thyreoiditis), Schilddrüsenoperationen, Radiojodtherapie 5 Sekundäre Ursachen durch hypophysäre hypothalame Störungen z z Klinische Symptomatik

5 Verwirrtheit, Stupor, Koma 5 Hypothermie 5 Hypotonie 5 Bradykardie 5 Hypoventilation mit respiratorischer Insuffizienz (Hypoxie, Hyperkapnie) 5 Hypoglykämie z Symptome der Hypothyreose

5 Leistungsminderung, Kraftlosigkeit, Konzentrationsschwäche, Müdigkeit 5 Teigige kühle, trockenen schuppende Haut 5 Häufig Gelbfärbung der Haut ohne Sklerenikterus 5 Trockenes, brüchiges Haar

237 Stoffwechselnotfälle

5 Obstipation 5 Kälteempfindlichkeit 5 Gewichtszunahme z z Anamnese

5 Schilddrüsenoperation, Radiojodtherapie, Schilddrüsenmedikation z z Therapie

5 Bei der Verdachtsdiagnose sollte auch ohne eine laborchemische Bestätigung eine Therapie unmittelbar erfolgen 5 Geeignetes Zielkrankenhaus mit Möglichkeit der weiteren intensivmedizinischen Versorgung z Allgemeine Maßnahmen

5 Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Vitalfunktion 5 RR-, Puls-, AF-, SpO2-Kontrolle 5 Blutzuckerkontrolle: Bei jedem Patienten mit Vigilanzminderung! 5 Anlage eines pVK 5 Sicherung des Atemweg 5 Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution mit balancierter kristalloider Flüssigkeit 5 Langsames Erwärmen des Patienten (Wärmedecke, erwärmte Infusionen), weitere wärmeerhaltende Maßnahmen 5 Ggf. Sauerstoffgabe, Beatmung z Medikamentöse Therapie

5 L-Thyroxin-Gabe: Thyroxin 500 μg i.v. 5 Hydrokortison 100 mg i.v. als Bolus alle 6 h bis zum Ausschluss einer NNR-Insuffizienz ! Cave

Katecholamintherapie führt vermehrt zu Herzrhythmusstörungen. Deutlich eingeschränkte Kompensationsfähigkeit des Patienten. Vorsichtige Volumentherapie aufgrund der Gefahr der Volumenüberladung bzw. kardialer Dekompensation.

9

9.6  Thyreotoxische Krise z z Definition

5 Überversorgung des Körpers mit Schilddrüsenhormonen Thyroxin (T4) und Triiodthyronin (T3), die zu einer lebensbedrohlichen Situation mit v. a. neurologischen und kardialen Symptomen führt 5 Letalität 20–30 % z z Symptomatik

Stadieneinteilung der thyreotoxischen Krise nach Herrmann: 5 Stadium 1: 5 Cor/Pulmo: Tachykardie, Arrhythmien (TAA bei Vorhofflimmern), Dyspnoe 5 Hyperthermie, Flush-Symptomatik 5 Gastro: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöen, Dehydratation 5 Neuro: Tremor, Unruhe, Agitation, Adynamie, Hyperkinesie 5 Stadium 2: 5 Symptome des Stadiums 1, zusätzlich Desorientierung, Somnolenz, Stupor oder Psychose 5 Stadium 3: 5 Symptome des Stadiums 1 und Koma 5 Stadium 1–3a = Alter ≤50 Jahre 5 Stadium 1–3b = Alter >50  Jahre z z Ätiologie

5 Thyreotoxicosis factitia: Überdosierung von Schilddrüsenhormonen 5 Autoimmunthyreopathie (M. Basedow = Struma und endokrine Orbitopathie) 5 Autonome Schilddrüsenadenome 5 Thyreoiditiden (subakute Thyreoiditis de Quervain, Silent-Thyreoiditis, Post-partum-Thyreoiditis) 5 Amiodaroninduzierte Hyperthyreose (AIH) Typ 2: Schädigung der Follikel mit vermehrter Freisetzung 5 Jodexzess: z. B. nach Amiodarongabe (AIH Typ 1), Röntgenkontrastmittel

238

J. R. Müller

z z Symptome

5 Risikostratifizierung für die Wahrscheinlichkeit einer thyreotoxischen Krise mittels Burch-Wartofsky-Score: . Tab. 9.4 5 Akamizu-Kriterien: Benötigen neben den klinischen Symptomen die Kenntnis des T3-/T4-Spiegel – präklinisch daher keine Relevanz z z Therapie > Bei der Verdachtsdiagnose sollte auch ohne eine laborchemische Bestätigung eine Therapie unmittelbar erfolgen!

9

5 Präklinisch steht v. a. die symptomatische supportive Therapie im Vordergrund 5 Geeignetes Zielkrankenhaus mit Möglichkeit der weiteren intensivmedizinischen Versorgung z Allgemeine Maßnahmen

5 Aufrechterhaltung und Stabilisierung der Vitalfunktion 5 RR-, Puls-, AF-, SpO2-Kontrolle 5 Anlage eines pVK 5 Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution mit balancierter kristalloider Flüssigkeit 5 Fiebersenkung mit Paracetamol 1 g, alternativ NSAR, ggf. kühlende Maßnahmen 5 Ggf. Sauerstoffgabe 5 Thromboembolieprophylaxe bei Vorhofflimmern (Heparin 5000 IE bzw. FullDose-Antikoagulation) z Spezielle medikamentöse Therapie

5 Thyreostatische Therapie: Thiamazol, Carbimazol, Propylthiouracil, Natriumperchlorat, Lugol-Lösung, Lithium etc. (präklinisch nicht verfügbar!) 5 β-Blocker: 5 Propranolol (z. B. 4 × 80  mg/Tag p.o.): 1. Wahl, da zusätzlich neben der Blockade der Jodthyroninwirkung die T3-T4-Konversion gehemmt wird

5 Alternativ selektiver β-Blocker (z. B. Metoprolol 100–400 mg/Tag) – Propranolol 0,5–1 mg als Bolus titriert über 10 min, dann 1–3 mg alle 10–15 min – Metoprolol 2,5–5 mg als Bolus titriert alle 2–5 min maximal 15 mg in 10–15 min 5 Bei schwerem Asthma, β-BlockerUnverträglichkeit kann ein Kalziumkanalblocker als Alternative erwogen werden 5 Glukokortikoide: 5 Hemmung der T3-T4-Konversion 5 Therapie der meist vorliegenden Nebenniereninsuffizienz sowie im Falle einer Autoimmunthyreopathie auch direkten Einfluss u. a. über die antiinflammatorische Wirkung (z. B. 100–250 mg Prednisolon/Tag p.o./i.v.) 5 Dosierung: – Prednisolon initial 50 mg Bolus i.v. alle 6–8 h – Hydrokortison 100 mg i.v. alle 6–8 h 9.7  Hyperkalzämische Krise z z Definition

5 Schwere Hyperkalzämie (Serumkalzium >3,5 mmol/l) mit klinischen Symptomen 5 Normalwerte: 2,2–2,5 mmol/l z z Klinische Symptomatik

5 Knochenschmerzen 5 Nephrolithiasis 5 Übelkeit, Erbrechen, Inappetenz 5 Verwirrtheit, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Depression 5 Arrhythmien: QT-Zeit-Verkürzungen > Merksatz: „Bones, stones, abdominal

moans, and psychic groans.“

239 Stoffwechselnotfälle

. Tab. 9.4 Burch-Wartofsky-Score Symptomatik

Punkte

Körpertemperatur 50.000  IE/d, Vitamin-A-Intoxikation) 5 Hyperthyreose, NNR-Insuffizienz z z Pathogenese

5 Veränderter Knochenstoffwechsel →  vermehrter Knochenabbau 5 PTH → aktiviert Osteoklasten →  Kalziumfreisetzung

9

z z Therapie

5 Präklinisch kann eine Hydratation und forcierte Diurese erfolgen 5 Flüssigkeitsgabe mit NaCl 0,9 % 5 Verdünnung und Erhöhung der Ausscheidung durch vermehrten Umsatz 5 Schleifendiuretika 5 Furosemid 40 mg 5 Cave: Keine Thiaziddiuretika (Aggravierung der Hyperkalzämie) 5 Weitere Therapien in der Klinik: 5 Bisphosphonate, Calcitonin, Steroide

Weiterführende Literatur Chatterjee S, Khunti K, Davies MJ (2017) Type 2 diabetes. The Lancet 389(10085): 2239–2251 Cryer PE, Axelrod L, Grossman AB, Heller SR, Montori VM, Seaquist ER, Service FJ (2009) Evaluation and management of adult hypoglycemic disorders: an Endocrine Society Clinical Practice Guideline. J Clin Endocrinol Metab 94(3): 709–728

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241

Abdominelle Notfälle B. Bouillon und M. Münzberg

10.1 Akutes Abdomen – 242 10.1.1 Akutes Abdomen im Kindesalter – 245

10.2 Gastrointestinale Blutung – 246 Weiterführende Literatur – 247

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_10

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242

10

B. Bouillon und M. Münzberg

10.1  Akutes Abdomen

5 Tumoren 5 Ischämie, z. B. Mesenterialinfarkt

z z Definition

Seltenere Ursachen, aber differenzialdiagnostisch wichtig für ein akutes Abdomen, sind: 5 Akutes Koronarsyndrom 5 Angina pectoris 5 Herzinfarkt (Hinterwand) 5 Intoxikationen 5 Gynäkologisch 5 Adnexitis 5 Extrauteringravidität 5 Stielgedrehte Ovarialzyste 5 Tuboovarialabszess 5 Hodentorsion 5 Bei Kindern: Invagination

5 Das „akute Abdomen“ definiert einen Symptomkomplex, der unabhängig von der zugrunde liegenden Ursache durch akut einsetzende, heftige Bauchschmerzen gekennzeichnet ist 5 Es kann von schwerwiegenden Krankheitszeichen bis hin zum generalisierten Schockzustand begleitet werden 5 Meist liegen intraabdominelle Erkrankungen zugrunde, aber auch thorakale oder retroperitoneale Prozesse können das klinische Bild des akuten Abdomens hervorrufen 5 Die Häufigkeit des akuten Abdomens beträgt jährlich 500–750 pro 100.000 Einwohner 5 Dabei ist der Anteil an allen Notfalleinsätzen mit unter 1 % eher selten z z Ursachen

Häufigste Ursachen für ein akutes Abdomen sind: 5 Perforationen 5 Ulkus 5 Appendizitis 5 Sigmadivertikulitis 5 Bauchaortenaneurysma 5 Koliken 5 Cholezystolithiasis 5 Choledocholithiasis 5 Nephrolithiasis 5 Uretrolithiasis 5 Entzündungen 5 Appendizitis 5 Kolon-, Sigmadivertikulitis 5 Cholezystitis 5 Gastroenteritis 5 Pankreatitis 5 Nephritis 5 Mechanischer Ileus 5 Briden, Verwachsungen 5 Eingeklemmte Hernien (Leisten-, Bauchwandhernie)

z z Symptome

5 Das akute Abdomen ist charakterisiert durch mehrere Leitsymptome: Den akut einsetzenden, heftigen Schmerz, die gastrointestinale Motilitätsstörung, einhergehend mit der Abwehrspannung 5 Je nach Ursache des Krankheitsbilds (z. B. Organperforation, Entzündung, Blutung, Obstruktion) entwickeln sich zusätzlich weitere Symptome 5 In Abhängigkeit von zugrunde liegender Ursache, Intensität und Verlauf kann es zu einem Schockzustand kommen 5 Wichtig zur weiteren Abklärung der Ursache sind der Schmerzbeginn, die Schmerzlokalisation und der Schmerzcharakter sowie das Ereignis, das zu der Symptomatik geführt hat, z. B. Abdominaltrauma 5 Der schlagartig einsetzende Schmerz spricht für eine Perforation (Ulkusperforation, perforierte Divertikulitis) oder eine Ischämie (Mesenterialinfarkt, Strangulation/Bride, Herzinfarkt). Häufig können die Patienten eine exakte Uhrzeit angeben 5 Während bei der Perforation eine Persistenz des Schmerzes vorliegt, kommt es bei Durchblutungsstörungen häufig zu einem mehrere Stunden anhaltenden

243 Abdominelle Notfälle

„freien Intervall“ relativer Beschwerdefreiheit („fauler Frieden“), bevor sich dann eine Peritonitis manifestiert 5 Der kontinuierlich zunehmende Schmerz ist typisch für eine entzündlich bedingte Ursache wie eine Appendizitis, Cholezystitis oder Sigmadivertikulitis 5 Kolikartige Schmerzen mit schmerzfreien Intervallen treten bei Gallen- und Harnleitersteinkoliken sowie in der Frühphase des mechanischen Ileus auf > Wichtig

5 Ein Hinterwandinfarkt kann sich klinisch als akutes Abdomen äußern. Daher sollte differenzialdiagnostisch immer auch an diese Ursache gedacht werden. 5 Beim akuten Abdomen besteht keine Korrelation zwischen der subjektiv empfundenen Schmerzintensität und der objektiven Bedrohung des Patienten.

z z Diagnostik z Spezifische Anamnese

Eine zielgerichtete Anamnese ist auch bei Patienten in reduziertem Allgemeinzustand unerlässlich und kann wichtige Hinweise auf die Grunderkrankung und damit auf das betroffene Organ geben. Falls der Patient selbst aufgrund eines fortgeschrittenen Schockzustands nicht mehr auskunftsfähig ist, sollte eine Fremdanamnese über Angehörige oder Begleitpersonen versucht werden. 5 Schmerzanamnese 5 Schmerzbeginn und Schmerzverlauf 5 Schmerzlokalisation 5 Schmerzausstrahlung 5 Schmerzcharakter 5 Sonstige Symptome 5 Erbrechen 5 Durchfall 5 Fieber 5 Stuhl- und Windverhalt 5 Weitere Informationen 5 Erstmaliges Auftreten oder ähnliche Episode bereits erlebt

10

5 Voroperationen 5 Abdominelle Vorerkrankungen 5 Gewichtsabnahme 5 Medikamenteneinnahme: Spezifisch sind Analgetika, Antiphlogistika, Steroide 5 Bei Frauen: Letzte Menstruation, mögliche Schwangerschaft z Prüfung der Vitalfunktionen

5 Entsprechend dem standardisierten ABCDE-Vorgehen (7 Kap. 12) 5 Hinweis auf Blutung (klinischer Aspekt, Blutdruck, Atemfrequenz, Rekapillarisierungszeit, Puls) 5 Hinweis auf Infektion, Sepsis z Klinische Untersuchung des Abdomen

Die klinische Untersuchung umfasst die Inspektion, Perkussion, Palpation und Auskultation und stellt die Weichen für die Beurteilung der Dringlichkeit und das weitere Vorgehen. Entscheidend ist die Einschätzung, ob ein akut bedrohlicher Zustand vorliegt und welches ursächliche Krankheitsbild wahrscheinlich ist. Daraus leiten sich dann die Dringlichkeit und auch die Wahl der Zielklinik (Regelkrankenhaus oder Zentrum) ab. Inspektion 

5 Bereits während der Untersuchung gewinnt der Untersucher einen Gesamteindruck über den klinischen Zustand des Patienten 5 Allgemeine Zeichen wie Exsikkose, Ikterus, blasses Hautkolorit, Zyanose, Kaltschweißigkeit oder Ruhedyspnoe fallen sofort auf 5 Am Abdomen ist auf Narben, Prellmarken, Hautveränderungen (z. B. Spider-Nävi), Umfang zu achten Palpation 

5 Die bimanuelle Palpation der Bauchdecke dient der Beurteilung der lokalen Schmerzen und der Einschätzung des Tonus der vorderen Bauchmuskulatur. Dazu lässt

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10

B. Bouillon und M. Münzberg

man sich zunächst die Stelle des größten Schmerzes zeigen, um dann in einer Region weit entfernt vom Hauptschmerzpunkt zu beginnen 5 Manchmal sind bei ängstlichen Patienten Ablenkungsmaßnahmen hilfreich, um zwischen reflektorischer und willkürlicher Abwehrspannung unterscheiden zu können 5 Klinische Untersuchung des Abdomens (4 Quadranten) und beider Flanken 5 Schmerzlokalisation 5 Abwehrspannung (lokalisiert vs. generalisiert) 5 Peritonismus („bretthartes Abdomen“) 5 Die reflektorische Abwehrspannung ist pathognomonisch für eine lokalisierte oder generalisierte Peritonitis 5 Das brettharte Abdomen ist typisch für eine chemische Peritonitis nach Magenoder Duodenalperforation 5 Neben der Bewertung von Druckschmerz und Abwehrspannung werden die Bruchlücken sorgfältig palpiert sowie nach tastbaren Resistenzen (Tumoren, Gallenblasenhydrops, Hepatosplenomegalie, Aortenaneurysma) gesucht 5 Die rektal-digitale Untersuchung bringt für den Rettungsdienst in der Regel keine handlungsrelevanten Informationen und sollte daher in der Regel erst in der Klinik durchgeführt werden. Eine Ausnahme bilden gastrointestinale Blutungen, bei denen die rektal-digitale Untersuchung (frisches Blut vs. Teerstuhl) hilfreich sein kann Auskultation 

5 Dient der Beurteilung der Darmperistaltik 5 Motilitätsstörungen des Gastrointestinaltrakts können sich in verschiedenen Erscheinungsformen manifestieren 5 Am häufigsten kommt es bei akuten abdominellen oder retroperitonealen Erkrankungsprozessen zu einer Hypoperistaltik bis hin zum paralytischen Ileus 5 Auslöser jede Form der Reizung des Peritoneums (Blut, Luft/Gas, MagenDarm-Inhalt, entzündliches Exsudat)

5 Aber auch Koliken und retroperitoneale Krankheitsursachen (Pankreatitis, retroperitoneale Hämatome, Wirbelkörperfrakturen) führen zu einer reflektorischen Hypoperistaltik 5 Eine Hyperperistaltik tritt entweder als Folge einer mechanischen Darmobstruktion oder im Rahmen von Magen-Darm-Infekten auf 5 Die vermehrte Darmmotilität geht meist mit starken, krampfartigen Bauchschmerzen einher. Auskultatorisch sind kräftige, wellenförmig auftretende, klingende oder plätschernde Darmgeräusche hörbar 5 Bei mechanischen Stenosen mit minimalem Restlumen können spritzende Stenosegeräusche auskultiert werden 5 Auskultation 5 „Totenstille“ (spricht für Perforation, Entzündung) 5 Hyperperistaltik generalisiert (spricht für Gastroenteritis) 5 Hyperperistaltik hochgestellt (spricht für frühen mechanischen Ileus) z z Therapie

Allgemeine Maßnahmen 5 Peripherer i.v.-Zugang 5 Infusion, z. B. Ringerlösung 5 Schmerztherapie 5 Vorher abdominellen Untersuchungsbefund erheben und dokumentieren, wenn es die Schmerzen zulassen! 5 Schmerzmittel nicht aus Prinzip, sondern wenn notwendig geben (. Tab. 10.1) 5 Patienten in Entscheidung einbeziehen 5 Bei Perforationen/Peritonismus: Opiate 5 Bei Koliken: Metamizol, Buscopan 5 Sauerstoff 5 Monitoring von Atmung, Kreislauf und Schmerzverlauf 5 Lagerung mit angezogenen Knien (z. B. Rolle bzw. Kissen unter die Knie) Die präklinische Schmerztherapie bei einem akuten Abdomen wird immer wieder kontrovers diskutiert. Befürworter einer

245 Abdominelle Notfälle

10

. Tab. 10.1  Analgetika und ihre i.v.-Dosierungen für Erwachsene

. Tab. 10.2  Typische Ursachen für ein akutes Abdomen im Kindesalter

Analgetikum

Dosierung [mg]

Alter

Häufige Ursachen

Morphin

2–10

Neugeborene

Fentanyl

0,05–0,1

Piritramid (Dipidolor)

3,75–7,5

Ileus durch angeborene Atresien oder Stenosen Mekoniumileus Enterocolitis necroticans

Metamizol (Novalgin)

1000–2500

Säuglinge

Invagination Hypertrophe Pylorusstenose Inkarzerierte Leistenhernie Megacolon congenitum (Morbus Hirschsprung)

Klein- und Schulkinder

Akute Appendizitis Gastroenteritis, Lymphadenitis Koprostase Hodentorsion, Epidydimitis Tumoren

Schmerztherapie begründen diese mit dem Leidensdruck der Patienten und der ärztlichen Pflicht Schmerzen zu lindern. Gegner argumentieren, eine effektive Schmerztherapie beeinträchtige dadurch die klinische Untersuchung im Krankenhaus und nehme dem potenziellen Operateur ein wichtiges Kriterium zur Indikationsstellung einer Operation. Unter Experten ist heute unstrittig, dass bei relevanten Schmerzen eine suffiziente präklinische Schmerztherapie indiziert ist, um einerseits dem Patienten unmittelbar zu helfen und andererseits den Schmerz als Promotor eines Schocks frühzeitig zu unterbrechen. Voraussetzung ist, wenn die Schmerzen es zulassen, den klinischen Befund am Einsatzort sorgfältig zu dokumentieren. Für die weitere klinische Diagnostik stehen heute Sonographie und Computertomographie zur Verfügung, um eine mögliche Indikation zu einem operativen Vorgehen zu stützen oder zu verwerfen. 10.1.1  Akutes Abdomen im

Kindesalter

Beim akuten Abdomen im Kindesalter können prinzipiell die gleichen Ursachen wie beim Erwachsenen vorliegen. Es existieren jedoch einige jeweils für einen bestimmten Lebensabschnitt typische Krankheitsbilder (. Tab. 10.2). Die Beurteilung eines akuten Abdomens beim Neugeborenen und Kleinkind kann sehr schwierig sein. Verwertbare anamnestische Angaben zum Krankheitsverlauf und zur Schmerzlokalisation sind erst ab dem Schulalter zu erwarten. Auch die

anamnestischen Angaben der Eltern sind nicht immer richtungsweisend. Die Untersuchung eines Kleinkindes ist aufgrund fehlender Kooperation und heftiger Abwehrreaktion erschwert und erfordert ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Geduld. 5 Im Neugeborenenalter stellen die angeborenen Atresien und Stenosen die Hauptursachen akuter Abdominalerkrankungen dar 5 Im Säuglingsalter ist die inkarzerierte Leistenhernie, v. a. bei Jungen, eine häufige Ursache des akuten Abdomens. Ebenfalls typisch für diese Altersgruppe ist die Invagination, die sich nach schlagartigem Schmerzbeginn als mechanischer Ileus präsentiert 5 Im Kleinkindes- und Schulalter stellt die akute Appendizitis die häufigste abdominelle Erkrankung dar. > Präklinisch müssen wir eine Diagnose

nicht erzwingen, sondern „nur“ das Grundproblem erkennen, eine symptomatische Therapie einleiten und schnellstmöglich in eine geeignete Klinik bringen. Daher keine Zeit verlieren durch diagnostische Maßnahmen, die präklinisch keine Handlungsrelevanz haben.

246

B. Bouillon und M. Münzberg

10.2  Gastrointestinale Blutung z z Definition

Akute gastrointestinale Blutungen stellen potenziell lebensbedrohliche Notfallsituationen dar. In der Regel führt das Leitsymptom „Blutverlust“, z. B. erkennbar am Bluterbrechen bzw. Absetzen von blutigem Stuhl zur Alarmierung des Rettungsdiensts und damit direkt und rasch zur Diagnose „gastrointestinale Blutung“. z z Ursachen

10

Die häufigsten Ursachen einer gastrointestinalen Blutung sind: 5 Obere gastrointestinale Blutungen: 5 Ösophagus-/Fundusvarizenblutung 5 Ulkusblutung (Ulcus ventriculi oder Ulcus duodeni) 5 Blutungen aus Tumoren 5 Blutungen nach endoskopischen Interventionen (ÖGD) 5 Untere gastrointestinale Blutungen: 5 Blutung aus Hämorrhoiden 5 Blutung aus Divertikeln 5 Blutung aus Tumoren 5 Blutungen nach endoskopischen Interventionen (Koloskopie) ! Cave

Bei einer akuten Blutung aus Ösophagus- oder Fundusvarizen besteht wege des hohen Drucks in den Venen akute Lebensgefahr. Die meist grenzwertige Leberfunktion und die zusätzliche Koagulopathie führen zu einer Progredienz der Situation.

Die Ulkusblutung stellt die gefährlichste Komplikation des Ulkusleidens dar. Ihre Inzidenz beträgt 3–5 % bezogen auf alle Ulzera. Arrodiert der ulzeröse Prozess ein größeres Gefäß wie die A. gastroduodenalis, resultiert eine lebensbedrohliche Situation. Die Blutung aus Hämorrhoiden kann klinisch sehr eindrücklich sein. Sie ist durch lokalen Druck in der präklinischen Phase gut beherrschbar und daher in der Regel nicht akut

bedrohlich. Lediglich ist dies für den Patienten eine sehr unangenehme Situation und erfordert eine gute Aufklärung und Sensibilität. z z Symptome

5 Leitsymptom der gastrointestinalen Blutung ist der Schock 5 Das Blut wird in den Gastrointestinaltrakt verschoben 5 Fakultativ kann das Bluterbrechen oder das Absetzen frischen bzw. alten Blutes peranal auftreten z z Diagnostik

5 Strukturierte Behandlung nach ABCDE-Konzept 5 Mit einer kurzen Anamnese kann man feststellen, ob es sich um ein Erstereignis handelt oder ähnliche Blutungsepisoden bereits früher aufgetreten sind 5 Des Weiteren sollten die Vitalfunktionen geprüft und insbesondere auf Schockzeichen geachtet werden 5 Aufgrund des drohenden hämorrhagischen Schocks mit Lebensgefahr sollte der zügige Transport in nächste geeignete Klinik nicht zugunsten einer Diagnostik und symptomatischen Therapie verzögert werden 5 Die Zielklinik sollte dringend über die Blutung informiert werden, um eine unnötige Verzögerung der innerklinischen Blutstillung und ggf. Bluttransfusion zu vermeiden z z Therapie

5 Bei gastrointestinaler Blutung werden als therapeutische Maßnahme ausreichende i.v.-Zugänge gelegt 5 Durch Infusionen soll zudem der Blutdruck bei 90 mmHg systolisch gehalten werden 5 Der Patient sollte mit O2 versorgt und ohne weitere Verzögerung in eine Klinik transportiert werden > Gastrointestinale Blutungen haben

Transportpriorität.

247 Abdominelle Notfälle

Immer wieder wird bei Ösophagusvarizenblutungen das Legen einer Senkstaken-Sonde diskutiert. Experten sind sich einig, dass der zeitliche Aufwand für eine solche Sonde den blutenden Patienten eher gefährdet und weitere Komplikationen nach sich ziehen kann. Daher steht der rasche Transport im Vordergrund.

10

Weiterführende Literatur Berchtold R, Bruch HP, Trentz O (2006) Chirurgie. Elsevier und Urban & Fischer, München Siewert JR (2006) Chirurgie. Springer, Heidelberg Strohm PC, Bannasch H, Goos M, Hammer TO, Südkamp NP (2006) Präklinische Erstversorgung chirurgischer Notfälle. MMW Fortschr Med 148:27–28

249

Gefäßnotfälle B. Bouillon und M. Münzberg

11.1 Aortendissektion – 250 11.2 Bauchaortenaneurysma – 250 11.3 Arterielle Embolie – 251 11.4 Venöse Thrombose – 252 Weiterführende Literatur – 252

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_11

11

250

B. Bouillon und M. Münzberg

Es gibt vier wesentliche Gefäßnotfälle, mit denen der Rettungsdienst konfrontiert wird: 5 Aortendissektion 5 Ruptur eines Aortenaneurysmas (TAA/ BAA) 5 Arterieller Gefäßverschluss im Sinne einer akuten Embolie 5 Thrombose tiefer Venen (TVT) 11.1  Aortendissektion z z Einleitung/Definition

5 Aortendissektion ist eine der dringendsten gefäßchirurgischen Notfälle 5 Häufigkeit 5200 Fällen pro 1.000.000 Einwohner 5 Damit häufiger als die akute Ruptur von abdominellen und thorakalen Aortenaneurysmen zusammengenommen z z Pathophysiologie

11

5 Die Aortendissektion entsteht durch einen Riss der Intima 5 Dadurch kann Blut zwischen die innere und äußere Schicht der Lamina media der Aortenwand fließen. Es bildet sich ein falsches Lumen 5 Häufigste Ursache ist die Degeneration der Media bedingt durch die Arteriosklerose. Häufigste Einrissstelle ist die A. ascendens in der Nähe der Aortenklappe 5 Seltener befinden sich die Einrisse im Aortenbogen oder der A. descendens z z Einteilung

Es gibt zwei mögliche Einteilungen: 5 Stanford Typ A und Typ B 5 DeBakey (Typ I–III) z z Symptomatik

5 Schmerzfreier Verlauf der Dissektion möglich 5 Häufiger: Reißender Thoraxschmerz poststernal oder zwischen den Schulterblättern begleitet von Todesangst – bei zunehmendem Einriss mit typischer Wanderung

5 Häufig irrtümlich als akutes Koronarsyndrom (ACS) diagnostiziert 5 Kann von einem akuten Einriss der Aortenklappe mit typischen Insuffizienzzeichen begleitet sein: 5 Schwacher Puls 5 Hohe systolische und niedrige diastolische Blutdruckwerte 5 Akutes Lungenödem mit Dyspnoe z z Therapie

Basismaßnahmen: 5 Schockbehandlung 5 Senkung des systolischen Blutdrucks auf 100–120 mmHg 5 Adäquate Schmerztherapie 5 Zügiger Transport/Verlegung in Klinik mit Herz-Thorax-Chirurgie nach Vorankündigung 11.2  Bauchaortenaneurysma z z Einleitung/Definition

5 Die Aneurysmen gehören zu den eher selteneren präklinischen Notfällen 5 Die freie Ruptur eines Bauchaortenaneurysmas ist in der Regel nicht zu überleben (Überlebensrate ca. 10 %) 5 Meist gedeckte Perforationen, die jedoch häufig ebenfalls foudroyant verlaufen können z z Pathophysiologie

5 Ein Aneurysma ist eine umschriebene Erweiterung von arteriellen Blutgefäßen 5 Einteilung: 5 Aneurysma verum („echt“) 5 Aneurysma dissecans (intramurale Wühlblutung durch Riss der Intima) 5 Aneurysma spurium (perivaskulärer Blutverlust über eine Verletzung der Gefäßwand) 5 Häufigste Ursache der Aneurysmen ist die Arteriosklerose 5 Seltene Ursachen hingegen sind die zystische Medianekrose oder Traumen

251 Gefäßnotfälle

11

z z Symptome

z z Pathophysiologie

5 Bei der Ruptur eines Bauchaortenaneurysmas setzen die Symptome in aller Regel schlagartig ein 5 Beginn meist mit heftigsten Rücken- oder auch Bauchschmerzen, den Zeichen eines akuten Volumenmangelschocks und eines Kraftverlusts der Beine Cave: Fehldiagnose einer akuten Lumboischalgie 5 Es handelt sich meist um ein akutes und schnell progredientes Ereignis

5 Es kommt zur Verschleppung körpereigener oder -fremder Substanzen: 5 Blutgerinnsel 5 Gewebe 5 Fett 5 Durch die fehlende Gewebeperfusion kommt es außerdem nach einiger Zeit in den nachgeschalteten Körperregionen zum Zelltod 5 Maximale Ischämietoleranz bei kompletter Ischämie beträgt ca. 6–8 h 5 Arterielle Embolien betreffen meistens die Extremitäten

z z Therapie

5 Bei der Ruptur eines Bauchaortenaneurysmas steht der rasche Transport in eine Klinik mit gefäßchirurgischer Versorgungsmöglichkeit nach Voranmeldung im Vordergrund 5 Am Notfallort sollten mehrere i.v.-Zugänge gelegt und eine Infusionstherapie mit einem Zieldruck von 90 mmHg systolisch initiiert werden 5 Dabei dürfen keine großen Volumenmengen appliziert werden („Small Volume Resuscitation“), da sie den Blutverlust durch die Druckerhöhung und die Derangierung der Gerinnungsphysiologie verstärken 5 Adäquate Gerinnungstherapie bereits präklinisch (z. B. TXA) > Einzig die rasche operative Versorgung

kann den Patienten retten.

5 Sollte aufgrund des schlechten Vitalstatus eine Intubation zwingend notwendig sein, sollten keine Relaxanzien verwendet werden, da sie die Blutung durch Verlust des abdominellen Gegendrucks verstärken können 11.3  Arterielle Embolie z z Einleitung/Definition

Als „arterielle Embolie“ wird eine plötzlich einsetzende schwere Durchblutungsstörung bezeichnet, die durch einen Embolus (70–90 %) oder einen Thrombus (10–30 %) entsteht.

> Nicht übersehen werden sollte die

arterielle Embolie im Rahmen eines Vorhofflimmerns. Es kommt zur Verschleppung des Embolus in das Stromgebiet der A. mesenterica superior oder der A. mesenterica inferior. Daraus resultiert ein Mesenterialinfarkt („fauler Friede“).

z z Symptomatik/Klinik

5 Der akute arterielle Gefäßverschluss setzt plötzlich ein und ist durch heftige Schmerzen in der betroffenen Extremität distal des Verschlusses gekennzeichnet 5 Des Weiteren ist die Extremität blass, pulslos und weist Sensibilitätsstörungen sowie im fortgeschrittenen Stadium eine Funktionseinschränkung auf 5 Bei Verschlüssen in kleineren Gefäßen zeigt sich durch die vorhandenen Kollateralkreisläufe eine abgeschwächte Symptomatik 5 Zur Symptomatik: „Sechs P’s“ (7 Übersicht) Sechs P’s 5 5 5 5 5 5

Pain Paleness Paralysis Pulselessness Paresthesia Prostration

252

B. Bouillon und M. Münzberg

z z Therapie

5 Die betroffene Extremität muss tief gelagert und zum Schutz vor Druckstellen abgepolstert werden (Trage) 5 Beim akuten arteriellen Gefäßverschluss sollte ein i.v.-Zugang gelegt werden 5 Bei starken Schmerzen empfiehlt sich eine Schmerzmedikation 5 Weitere Maßnahmen vor Ort, sind in der Regel nicht sinnvoll (auch die Gabe von Heparin) 5 Nach entsprechender Vorankündigung zügiger Transport in eine Klinik mit einer Gefäßchirurgie 11.4  Venöse Thrombose z z Einleitung/Definition

Venöse Thrombosen sind durch einen Thrombus verursachte Gefäßverschlüsse. z z Pathophysiologie

11

Neben den Venen der oberen Extremität sind besonders die tiefen Bein- und Beckenvenen betroffen. Die Ursache liegt in der sog. Virchow-Trias: 1. Verlangsamte/gestörte Blutfließgeschwindigkeit, z. B. bei a) Herzinsuffizienz b) Lähmung c) Schock d) Ruhigstellung (Gips- und Schienenverbände) e) Exsikkose f) Venöse Stase bei Gravidität (Schwangerschaft) g) Stehberufe (Verkäufer) 2. Gefäßwandschäden (Intimaschäden), z. B. a) Traumatisch: – Quetschungen – Verletzungen – Operationen b) Degenerativ: – Varikosis (Krampfadern)

– Arteriosklerose – Veränderung der Beinvenen c) Entzündlich: – Venenentzündungen 3. Erhöhte Gerinnungsneigung, z. B. bei: a) Medikamenteneinnahme b) Vermehrten Gerinnungsfaktoren (Operationen, Verbrennung) c) Lungenembolie (7 Kap. 7) z z Symptomatik/Klinik

5 Die venöse Thrombose ist meist gekennzeichnet durch eine schmerzhafte Schwellung der betroffenen Extremität, begleitet von einer Rötung und einer Erwärmung 5 Bei einer länger bestehenden Thrombose ist die Haut evtl. warm und bläulich – livide – verfärbt z z Therapie ! Cave

Der Patient sollte keinen Schritt mehr gehen! Strikte Immobilisation!

5 Bei der akuten venösen Thrombose sollte ebenfalls ein i.v.-Zugang gelegt und eine i.v.-Schmerzmedikation initiiert werden 5 Zum Transport muss der Oberkörper hoch gelagert werden, um das Risiko einer Lungenembolie zu reduzieren 5 Auch die betroffene Extremität wird hoch gelagert 5 Dabei hat jede vermeintliche Manipulation an der betroffenen Extremität zu unterbleiben

Weiterführende Literatur Berchtold R, Bruch HP, Trentz O (2006) Chirurgie. Elsevier, Urban & Fischer, München Strohm PC, Bannasch H, Goos M, Hammer TO, Südkamp NP (2006) Präklinische Erstversorgung chirurgischer Notfälle. MMW Fortschr Med 148:27–28 7  http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/065-002l_S2k_VTE_2016-01.pdf

253

Traumatologische Notfälle B. Bouillon und M. Münzberg

12.1 Grundsätzliches Vorgehen – 254 12.1.1 Primärcheck („primary survey”) – 255 12.1.2 Sekundärcheck („secondary survey“) – 257 12.1.3 Wahl der Zielklinik – 258

12.2 Wunden und Blutungen – 258 12.3 Abdominaltrauma – 259 12.4 Thoraxtrauma – 260 12.5 Extremitätentrauma – 262 12.6 Schädel-Hirn-Trauma – 263 12.7 Wirbelsäulentrauma – 264 12.8 Polytrauma – 266 12.9 Amputationsverletzungen – 268 Weiterführende Literatur – 268

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_12

12

254

B. Bouillon und M. Münzberg

12.1  Grundsätzliches Vorgehen

Traumatologische Notfälle machen etwa 20 % aller Notfalleinsätze aus. Darunter fallen einfache Schnittverletzungen im Haushalt ebenso wie Frakturen im Rahmen eines Arbeitsunfalls oder das Polytrauma nach einem Motorradsturz. Die Rettung des Verletzten aus der Gefahrensituation ist die erste Maßnahme am Unfallort. Vor der Rettung muss nach einem kurzen Check (erster Eindruck) des Patienten entschieden werden, ob zunächst erste Maßnahmen durchgeführt werden müssen oder ob unverzüglich mit der Rettung des Patienten begonnen werden kann. Hat der Patient Schmerzen, so sollte vor der Rettung ein Zugang gelegt und eine Schmerzmedikation verabreicht werden. > Bei Unfällen von Zweiradfahrern wird

der Schutzhelm immer im Rahmen der Rettung entfernt. Denn bei einem angelegten Helm ist zum einen die Atmung behindert, zum anderen ist bei Bewusstlosen die Gefahr der Aspiration groß.

12

Helme werden in der Regel nach der Zwei-Helfer-Methode entfernt. Während eine Person mit zwei Händen von kaudal die Halswirbelsäule (HWS) extendiert, öffnet die zweite Person den Halsriemen und entfernt unter Minimalbewegungen ohne Rotation und Flexion den Helm. Des Weiteren ist es möglich, die HWS mit einer auf dem Boden abgestützten Hand zu stützen und den HWS-Kopfbereich durch eine Hand am Unterkiefer zu stabilisieren. Manche Verletzungen sind offensichtlich und rasch zu diagnostizieren (z. B. Handverletzung mit einem Küchenmesser). Manchmal rechtfertigt der Unfallmechanismus allein, z. B. Motorradsturz bei hoher Geschwindigkeit eine aufwendige Diagnostik in der Klinik einschließlich CT-Polytraumaspirale, auch wenn sich am Ende herausstellt, dass der Patient „nur“ Prellungen und Abschürfungen erlitten hat.

Bei der Versorgung von Traumapatienten erfolgt nach einem standardisierten und prioritätenorientierten Vorgehen (ABCDESchema). Sie finden bei allen Traumapatienten Anwendung, um relevante und v. a. zeitkritische Probleme zu erkennen und nach Priorität zu behandeln („Treat first what kills first“). Weiterhin wird bei Traumapatienten in der präklinischen Diagnostik grundsätzlich deeskalierend vorgegangen. Das bedeutet, dass man grundsätzlich bis zum Beweis des Gegenteils vom „Schlimmeren“ ausgeht. Der Umfang der präklinischen Diagnostik wird durch die Behandlungskonsequenz bestimmt. Ist durch diagnostische Maßnahme keine Veränderung der präklinischen Therapie zu erwarten, wird sie auch nicht durchgeführt. Eines der weltweit erfolgreichsten präklinischen Ausbildungsprogramme in der Traumaversorgung ist z. B. PHTLS („prehospital trauma life support“) oder ITLS-Konzept. Dabei werden klare diagnostische und therapeutische Maßnahmen in priorisierter Reihenfolge für die präklinische Phase der Traumaversorgung definiert. Zunächst hat die Sicherheit des eingesetzten Personals oberste Priorität: 5 Einschätzung der Lage: 5 Szene: – Einschätzung der Lage – Wetter- und Lichtbedingungen – Tages- oder Nachtzeit 5 Sicherheit: – Überblick verschaffen – Gefahren erkennen – Gefahren beseitigen 5 Situation: – Ressourcen (personell, materiell) – Kinematik 5 Erster Eindruck: Ca. 15–20 s 5 Erste Einschätzung: Kritisch/nichtkritisch Grundsätzlich werden zwei Untersuchungsschleifen durchgeführt: 5 Primärcheck („primary survey“): Prioritätenorientierte und standardisierte Behandlung nach ABCDE (7 Abschn. 12.1.1)

12

255 Traumatologische Notfälle

5 Sekundärcheck („secondary survey“): Bodycheck, Fokus Verletzungsmuster sowie kurze und strukturierte Anamnese, z. B. SAMPLER-System (7 Abschn. 12.1.2)

. Tab. 12.1 Glasgow-Koma-Skala Parameter

Reaktion

Punkte

Augen öffnen

Spontan

4

Auf Ansprache

3

Auf Schmerzreiz

2

Kein Öffnen

1

Orientiert

5

Desorientiert, konfus

4

Inadäquate Äußerungen

3

Unverständliche Laute

2

Keine verbale Antwort

1

Adäquat

6

Gezielte Abwehr

5

Ungezielte Abwehr

4

Beugesynergismen

3

Strecksynergismen

2

Keine motorische Reaktion

1

12.1.1  Primärcheck („primary

survey”)

Durch die Erstuntersuchung sollen die akut bedrohlichen Verletzungen rasch erfasst werden. Dazu werden die Vitalfunktionen nach ABCDE (Airway, Breathing, Circulation, Disability, Exposure) evaluiert. Das wichtigste Ziel in den ersten Minuten ist es, die lebenswichtigen Zellen ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen. Dazu sind O2-Aufnahme und -Transport notwendig. Parallel zur Untersuchung werden, falls notwendig, die Vitalfunktionen stabilisiert. Die Abläufe werden hier aufeinander folgend nach ihrer zeitlichen und inhaltlichen Priorität dargestellt.

Beste verbale Antwort

Beste motorische Reaktion

ABCDE-Konzept 5 Airway with cervical spine protection 5 Breathing 5 Circulation and control of external bleeding 5 Disability or neurologic status 5 Exposure (undress) and Environment (temperature control)

z z Airway

Zur O2-Aufnahme braucht der Patient einen freien Atemweg (A) und eine intakte Atmung (B). Diese werden als erstes überprüft. Wenn der Atemweg nicht frei ist, muss die Ursache umgehend behoben werden. Ist das Freimachen durch einfache Maßnahmen (Wendl-Tubus, Guedel-Tubus usw.) nicht möglich, muss der Atemweg durch Intubation gesichert werden. Dies gilt auch für bewusstlose Patienten (GCS  ≤8; . Tab. 12.1). Dabei muss auf mögliche HWS-Verletzungen geachtet werden. Daher sollte die Halswirbelsäule grundsätzlich bis

Der Schweregrad wird durch Addition festgelegt: – leichtes SHT 13–15 Punkte – mittelschweres SHT 9–12 Punkte – schweres SHT 3–8 Punkte Zusätzlich immer Pupillen und Reflexstatus überprüfen!

zu ihrer Abklärung provisorisch durch eine Halskrause stabilisiert werden (Cave: Bei schweren SHT ggf. kontraindiziert). Ist eine Intubation indiziert aber nicht möglich, muss die Indikation für einen chirurgischen Atemweg geprüft werden. Die Verwendung alternativer Atemwegsmittel (Larynxmaske, Larynxtubus) ist vorher zu überprüfen. z z Breathing

Die Atmung kann mithilfe einer klinischen Untersuchung mit Auskultation des Brustkorbs im Seitenvergleich und Kalkulation

256

B. Bouillon und M. Münzberg

der Atemfrequenz beurteilt werden. Die Pulsoxymetrie kann weitere wertvolle Informationen liefern. Eine schnelle oder langsame Atemfrequenz, der Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, asymmetrische Atemexkursionen, obere Einflussstauung oder ein abgeschwächtes Atemgeräusch können Hinweis für ein Atemproblem sein. Ein Spannungspneumothorax muss sofort entlastet werden. Dabei kann zunächst durch eine ausreichend lange Kanüle in Monaldi-Position (2–3. ICR) die akute Bedrohung abgewendet werden, bis eine definitive Thoraxdrainage gelegt werden kann. z z Circulation

12

Eine schwere Blutung ist eine der wesentlichen Ursachen für das Versterben nach einem Trauma. Daher muss eine relevante Blutung frühzeitig diagnostiziert oder behandelt werden („Stop the Bleeding“). Komprimierbare Blutungen sollen durch sofortigen äußeren Druck gestillt werden. Die Perfusion ist durch Pulstasten nach folgenden Qualitäten zu untersuchen: 5 Frequenz 5 Rhythmus 5 Intensität Dabei wird auch festgehalten, wie die Hauttemperatur und die Hautfeuchtigkeit des Patienten sind. Ein weiterer Indikator für eine Volumenmangel ist neben einer offensichtlichen Blutung nach außen eine Hypotension (RR 2 s, ist von einem Schockgeschehen auszugehen. Relevante Blutungen treten bei abdominellem Trauma, bei Thoraxtraumata oder bei Frakturen großer Röhrenknochen (Oberschenkel) und des Beckens auf. Die Frakturen der großen Röhrenknochen und des Beckens können ggf. klinisch gesichert werden. Das Becken sollte nach neuesten Erkenntnissen nicht mehr klinisch untersucht werden. Es gilt hier das KISS-Schema

(Kinematik, Inspektion, Schmerz) – bei vorliegen einer dieser Items hat eine sofortige Stabilisierung des Beckens mittels Beckenschlinge zu erfolgen. Weiterhin sollten bei vorliegendem Schock zur Volumentherapie mindestens zwei großlumige i.v.-Zugänge gelegt und Infusionslösungen (Small Volume Resuscitation) appliziert werden. Eine erste Gerinnungstherapie sollte eingeleitet werden (z. B. TXA). Eine Verzögerung des Transports sollte generell vermieden werden. Der Transport sollte je nach Zustand des Patienten – nach Voranmeldung – in ein zertifiziertes überregionales Traumazentrum erfolgen. Sollte der Zustand des Patienten dies nicht zulassen, ist zunächst zur Stabilisierung des Zustands auch ein regionales oder lokales Traumazentrum anzufahren. z z Disability

In der ersten grob neurologischen Untersuchung sollen sowohl der Bewusstseinszustand des Patienten als auch die Pupillen überprüft werden. Ziel ist es, nach Hinweisen für eine relevante intrakranielle Druckerhöhung zu suchen. Wenn es der Zustand des Patienten erlaubt, kann bereits zu diesem Zeitpunkt die Glasgow-Koma-Skala erhoben werden (. Tab. 12.1). Wenn nicht, sollte dies beim Sekundärcheck im Rahmen einer ausführlicheren neurologischen Untersuchung nachgeholt werden. Veränderungen des Bewusstseins können auf eine Perfusionsminderung mit zerebraler Hypoxie hinweisen, als Folge einer Hirnverletzung. Ein veränderter Bewusstseinszustand sollte zu einer sofortigen Reevaluation von Atemweg (A), Atmung (B) und Kreislauf (C) führen. Auch Alkohol und andere Drogen können das Bewusstsein verändern. Dies sollte erst erwogen werden, wenn zentrale Ursachen ausgeschlossen werden konnten. Es sollte immer berücksichtigt werden, dass auch das Bewusstsein nach einem Unfall einer Dynamik unterliegen kann. Ein primär intaktes Bewusstsein

257 Traumatologische Notfälle

schließt ein Schädel-Hirn-Trauma nicht grundsätzlich aus. Ein primär bewusstseinsklarer Patient kann bei Entwicklung eines epiduralen Hämatoms erst sekundär eintrüben („talk and die“). Daher muss das Bewusstsein regelmäßig reevaluiert werden. Bei einem schweren SHT mit Zeichen eine Einklemmung ist von dem Anlegen eines HWS-Kragens abzusehen und andere alternative Immobilisationsmöglichkeiten anzustreben (z. B. Spine Board mit HeadBlockfixierung) z z Exposure, Environment

Die Hypothermie ist ein negativer Prognosefaktor auf Grund der Auswirkungen auf das Gerinnungssystem. Daher ist eine Unterkühlung unbedingt zu vermeiden. Der Patient sollte kurz von Kopf bis Fuß untersucht werden, um relevante, schwere Verletzungen mit möglichem kurzfristigem Einfluss auf die Vitalfunktionen frühzeitig zu entdecken. Dabei können instabile Frakturen der großen Röhrenknochen oder eine instabile Beckenfraktur als mögliche Blutungsursache mit Auswirkung auf das Kreislaufsystem frühzeitig entdeckt und provisorisch stabilisiert werden. Eine ausführliche körperliche Untersuchung zur Erkennung aller anatomischen Verletzungen erfolgt im Rahmen des Sekundärchecks. Als ergänzende Maßnahmen werden die Vitalfunktionen kontinuierlich kontrolliert (Reevaluation/Monitoring). Lebensrettende Erstmaßnahmen werden eingeleitet, sobald das Problem erkannt wird und nicht erst nach Abschluss der Erstuntersuchung. > Spätestens nach dem Primärcheck muss

eine Entscheidung getroffen werden, ob der Zustand des Patienten kritisch oder nichtkritisch ist.

5 Kritisch: 5 Je nach Situation komplette Immobilisation der Wirbelsäule inkl. HWS-Kragen, falls indiziert 5 Transport innerhalb 10 min

12

5 Infusionstherapie während des Transports. Isotone Kochsalzlösung soll nicht mehr verwendet werden 5 Transport ins Traumazentrum mit Voranmeldung

5 Nichtkritisch: 5 Vitalparameter/Monitoring 5 Sekundärcheck

12.1.2  Sekundärcheck („secondary

survey“)

Der Sekundärcheck beginnt erst, nachdem die Erstuntersuchung (ABCDE) abgeschlossen, die notwendigen Erstmaßnahmen durchgeführt und die Vitalfunktionen stabilisiert wurden. Es werden der Unfallmechanismus eruiert und eine kurze Anamnese des Patienten im Hinblick auf relevante Vorerkrankungen bewertet (SAMPLER). SAMPLER-Konzept Symptome Allergien Medikamente Persönliche Anamnese/ Vorerkrankungen 5 Letzte Mahlzeit/Tetanus 5 Ereignisse, die zum Unfall führten 5 Risikofaktoren 5 5 5 5

Das Ziel der Zweituntersuchung ist die Untersuchung des Patienten von Kopf bis Fuß mit dem Ziel, alle anatomischen Verletzungen zu erkennen. Sie beinhaltet auch eine Reevaluation der Vitalfunktionen einschließlich einer Erhebung des Bewusstseinszustands nach der Glasgow-Koma-Skala (GCS, . Tab. 12.1). Die Ergebnisse der Erst- und Zweituntersuchung müssen sorgfältig dokumentiert werden. Die erhobenen Befunde müssen dann bewertet und die vor Ort notwendig durchzuführende Therapie erstellt werden. Verändert

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B. Bouillon und M. Münzberg

sich der Zustand des Patienten zu irgendeinem Zeitpunkt, wird der Patient sofort nach ABCDE reevaluiert, um die Ursache für die Veränderung zu erkennen und zu therapieren.

5 Äußere Verletzungszeichen 5 Blutung 5 Ggf. Zeichen eines Volumenmangels z z Diagnostik

12.1.3  Wahl der Zielklinik

12

Die Wahl der Zielklinik ist eine wichtige Aufgabe im Rettungsdienst. Grundsätzlich sollte ein Notfallpatient in das nächste geeignete Krankenhaus gebracht werden, das die erforderlichen diagnostischen und therapeutischen Schritte durchführen kann. 5 Patienten mit Polytrauma oder SchädelHirn-Trauma sollten primär in ein überregionales Traumazentrum transportiert werden 5 Bei Stich-, Schuss- oder Pfählungsverletzungen mit Beeinträchtigung der Vitalfunktionen (kritischer Patient) empfiehlt sich der Transport in das nächstgelegene Traumazentrum zur Stabilisierung 5 Bei großen, kosmetisch relevanten Wunden sollte der Transport in eine Klinik mit Rekonstruktionschirurgie erwogen werden 5 Bei relevanten Gefäßverletzungen ist ein Transport in eine Klinik mit Gefäßchirurgie angezeigt 5 Bei Verletzungen von Nerven sollte ein Transport in eine Klinik mit mikrochirurgischen Rekonstruktionsmöglichkeiten erfolgen 5 Verletzte mit großflächigen bzw. drittgradigen Verbrennungen sollten primär in ein Schwerbrandverletztenzentrum transportiert werden 5 Bei thermomechanischen Kombinationsverletzungen ist das Polytrauma die führende Diagnose! 12.2  Wunden und Blutungen z Symptome

Die Leitsymptome sind: 5 Schmerzen 5 Bewegungseinschränkung

Die Diagnostik umfasst: 5 Inspektion des Patienten nach Entkleiden (Unterkühlung vermeiden, den Umgebungsbedingungen und der Symptomatik angepasst) 5 Erfassung der Vitalparameter 5 Prüfung von Durchblutung, Motorik und Sensibilität distal der Verletzung > Die äußerlich sichtbaren Verletzungen

können in krassem Missverhältnis zum tatsächlichen Verletzungsausmaß stehen (z. B. Stich-, Schuss- und Pfählungsverletzungen).

z z Therapie

5 Wunden werden präklinisch nicht chi­ rurgisch gesäubert oder revidiert, sondern lediglich steril abgedeckt und verbunden 5 Sowohl bei großflächigen Blutungen als auch bei punktuellen Gefäßverletzungen wird ein Stoppen der Blutung primär durch äußeren Druck (Druckverband) erreicht – gilt auch für arterielle Gefäßverletzungen 5 Nach der Leitlinie Polytraumversorgung sollen aktive Blutungen durch folgendes Stufenschema behandelt werden: 1. Manuelle Kompression 2. Kompressionsverband 3. Tourniquet 5 Bei einer Benutzung des Tourniquets muss der Druck bis zum Sistieren der Blutung gesteigert werden. Der Zeitpunkt muss zur Überwachung der Ischämiezeit dokumentiert werden 5 Bei rumpfnahen Gefäßverletzungen ohne die Möglichkeit eines Druckverbands muss die Blutung durch manuellen Druck gestoppt werden 5 Ein Abklemmen von Gefäßen ist nicht zu empfehlen, weil es bei Anwendung durch einen Unerfahrenen selten erfolgreich ist.

259 Traumatologische Notfälle

Darüber hinaus ist durch das Klemmen die Gefahr einer Nervenverletzung sehr groß 5 Ein sofortiger Gebrauch eines Tourniquets sollte bei folgenden Situation angedacht werden: 5 Lebensgefährlichen Blutungen/multiplen Blutungsquellen an einer Extremität 5 Nichterreichbarkeit der eigentlichen Verletzung 5 Mehrere Verletzte mit Blutungen 5 Schwere Blutung der Extremitäten bei gleichzeitig kritischem A-, B- oder C-Problem 5 Unmöglichkeit der Blutstillung durch andere Maßnahmen 5 Schweren Blutungen an Extremitäten bei Zeitdruck unter Gefahrensituationen 12.3  Abdominaltrauma z z Einleitung

Etwa 20 % aller polytraumatisierten Patienten erleiden ein stumpfes Bauchtrauma. Am häufigsten werden dabei Milz und Leber verletzt. Der Anteil penetrierender Traumata ist in Deutschland weiterhin gering (70 mmHg anzustreben

12

Eine Infusion großer Volumenmengen (>2000  ml), wie früher als Standard gefordert, ist nicht sinnvoll. Die verfügbare Literatur einschließlich randomisierter Studien belegt, dass eine Volumentherapie die Blutung durch Druckerhöhung und Verschlechterung der Gerinnungsphysiologie verstärken kann und damit einen negativen Effekt auf das Outcome des Patienten hat. Für offene Verletzungen gilt grundsätzlich das gleiche Vorgehen. 5 Wunden werden steril abgedeckt. 5 In situ befindliche Gegenstände wie Messer o. A. dürfen nicht entfernt werden. Patienten mit einem abdominellen Trauma, die über Schmerzen klagen, sollten eine adäquate Schmerztherapie erhalten. Die „alte Sorge“, durch eine suffiziente Schmerztherapie den klinischen Befund für den Operateur in der Klinik zu kaschieren, gilt heute nicht mehr. Falls der klinische Befund für eine therapeutische Entscheidungsfindung nicht eindeutig ist, bestehen in der Klinik mittels apparativer Diagnostik mit Ultraschall oder CT weitere diagnostische Möglichkeiten, sodass ein Aushalten der Schmerzen ungerechtfertigt ist. Zur Anwendung kommen i.v.-applizierbare, stark wirksame Analgetika. In der

Regel werden Opiate streng nach Wirkung titriert. 5 O2-Gabe 5 i.v.-Zugänge 5 Volumengabe 5 Analgetika 5 Steriles Abdecken offener Wunden > Wichtig

5 Bewusstlose haben bis zum Beweis des Gegenteils ein Bauchtrauma. 5 Penetrierende Fremdkörper sind zu belassen.

12.4  Thoraxtrauma z z Einleitung

In etwa 50 % der Fälle geht ein Polytrauma mit einem relevanten Thoraxtrauma (Pneumothorax, Hämatothorax, Lungenkontusion) einher. Alle Thoraxverletzungen haben potenziell Auswirkungen auf: A. Atemweg B. Atmung C. Kreislauf

Daher sind sie potenziell vital bedrohlich. z z Symptome

Leitsymptom des Thoraxtraumas ist die Dyspnoe. Ansprechbare Patienten können meist Angaben zum Unfallmechanismus, Schmerzlokalisation und Luftnot machen. Wichtig ist zu realisieren, dass ein Spannungspneumothorax aber auch ausgedehnte Lungenverletzungen hämodynamisch relevant sein können. 5 Dyspnoe, Tachypnoe, Orthopnoe 5 Thorakale Schmerzen 5 Angst, Vernichtungsgefühl 5 Heiserkeit z z Diagnostik

Bei ansprechbaren Patienten weisen der Schmerz über dem Thorax und die Dyspnoe

261 Traumatologische Notfälle

auf eine Thoraxverletzung hin. Während der Inspektion sollten die Atemexkursionen beobachtet werden. 5 Die Auskultation liefert weitere Hinweise auf die Verletzung. 5 Ein einfacher Pneumothorax zeigt ein abgeschwächtes Atemgeräusch auf der betroffenen Seite und eine eingeschränkte Atembeweglichkeit. Häufig müssen Patienten spontan husten 5 Beim Spannungspneumothorax haben die Patienten Todesangst. Das Atemgeräusch ist auf der betroffenen Seite meist aufgehoben, die Halsvenen können gestaut sein. Im fortgeschrittenen Stadium zeigt sich ein Schockzustand mit niedrigem Blutdruck und einer begleitenden Tachykardie und einer starken Tachypnoe 5 Ein Hämatothorax imponiert klinisch ähnlich wie ein einfacher Pneumothorax mit abgeschwächtem Atemgeräusch 5 Beim bewusstlosen Patienten muss ein relevanter Pneumothorax bzw. Spannungspneumothorax durch die Auskultation ausgeschlossen werden 5 Beim intubierten Patienten muss die einseitige Intubation ausgeschlossen werden, bevor therapeutische Maßnahmen im Sinne einer Entlastung eingeleitet werden. Ein erhöhter Beatmungsdruck bei korrekter Intubation ist ebenfalls ein Hinweis auf einen Pneumothorax, Spannungspneumothorax oder einen Hämatothorax Akut lebensbedrohlich ist der Spannungspneumothorax. Aufgrund des vorliegenden Ventilmechanismus gelangt Luft in den Pleuraspalt, aber nicht wieder heraus. Daher muss ein Spannungspneumothorax präklinisch diagnostiziert und sofort entlastet werden. 5 Primärcheck (Primary Surevey) 5 Puls, Blutdruck, Sättigung, EKG 5 Atembewegungen 5 Auskultation 5 Gestaute Halsvenen 5 Hautemphysem

12

z z Therapie

Ein Pneumothorax oder Hämatothorax muss präklinisch nur entlastet werden, wenn er respiratorisch oder hämodynamisch relevant ist. Daher ist der Spannungspneumothorax in der Regel die wesentliche Indikation zur Entlastung des Thoraxraums. 5 Akut ist es wichtig, die betroffene Seite sicher zu identifizieren und z. B. durch eine Punktion mit einer großlumigen und langen Nadel zu entlasten. Je nach Situation kann im Verlauf mittels Minithorakotomie eine Drainage eingelegt werden 5 Die o. g. Punktion erfolgt in der Regel im 2. oder 3. Interkostalraum (ICR) medioklavikular direkt am Oberrand der Rippe, um die am unteren Rippenrand liegenden Gefäße und Nerven zu schonen 5 Die Thoraxdrainage wird in der Regel im 4.–5. ICR in der vorderen Axillarlinie gelegt 5 Eine Thoraxdrainage sollte mittels Minithorakotomie unter digitaler Kontrolle stumpf eingeführt werden. Diese Technik birgt die geringsten Komplikationsrisiken: 7 Abschn. 5.5 5 Ein klinisch relevanter Hämatothorax kann nicht durch eine Punktion therapiert werden! Begleitend sollte bei einem Thoraxtrauma immer eine O2-Therapie und eine suffiziente Schmerztherapie durchgeführt werden. 5 i.v.-Zugang 5 Analgesie 5 O2-Gabe 5 Falls Spannungspneumothorax: Sofortige Entlastung! > Wichtig

5 Jeder Pneumothorax kann zum Spannungspneumothorax werden. 5 Bei intubierten Patienten mit einem aufgehobenen Atemgeräusch muss erst die einseitige Intubation ausgeschlossen werden, bevor eine Entlastung durchgeführt wird.

262

B. Bouillon und M. Münzberg

12.5  Extremitätentrauma z z Einleitung

Die häufigsten Extremitätenverletzungen, mit denen ein Notarzt konfrontiert wird, sind Frakturen, Luxationen oder Amputationen. Wichtig dabei ist, relevante Begleitverletzungen wie Gefäß- oder Nervenschäden zu erkennen, da sie die Wahl des Zielkrankenhauses beeinflussen können. z z Symptome

Leitsymptome aller Extremitätenverletzungen bei bewusstseinsklaren Patienten sind der Schmerz und die Funktionsstörung. Bei grob dislozierten Frakturen imponiert weiterhin die Achsfehlstellung. z z Diagnostik

12

5 Bei isolierten Extremitätenverletzungen wird neben der Erhebung des Unfallmechanismus eine kurze klinische Untersuchung der schmerzhaften und angrenzenden Regionen durchgeführt 5 Jeder Schmerz im Bereich des knöchernen Skeletts gilt bis zum Beweis des Gegenteils als Hinweis auf eine Fraktur und wird entsprechend behandelt 5 Sichere Frakturzeichen sind der sichtbar durchspießende Knochen bei offenen Frakturen, die Fehlstellung, pathologische Beweglichkeit und die Krepitation 5 Im Bereich der Gelenke können weiterhin Luxationen auftreten 5 Bei allen Frakturen und Luxationen ist besonders auf die Untersuchung des Gefäß- und Nervenstatus distal der Verletzung zu achten 5 Ein Kompartmentsyndrom sollte ausgeschlossen werden 5 Frakturen des Unterschenkels, des Sprunggelenks und Kniegelenkluxationen sind häufiger mit Gefäßläsionen assoziiert 5 Bei Amputationsverletzungen ist die Diagnose offensichtlich. Wichtig hierbei ist, die abgetrennte Gliedmaße zu asservieren

und eine aktive Blutung zu stoppen (z. B. mittels Tourniquet) z z Therapie

5 Alle offenen Verletzungen werden zunächst steril abgedeckt und, soweit sie bluten, mit einem Druckverband versorgt. Der sterile Verband sollte bis zur endgültigen Versorgung belassen werden 5 Bei Amputationsverletzungen sollte soweit möglich proximal der Amputation prophylaktisch eine Blutdruckmanschette bzw. ein Tourniquet angelegt werden, die im Falle einer relevanten Blutung als Blutsperre genutzt werden kann. Die Dokumentation der Ischämiezeit ist wichtig 5 Bei Amputationsverletzungen muss entschieden werden, ob eine Replantation grundsätzlich infrage kommt. Wenn ja, sollte ein Replantationszentrum als Zielklinik gewählt werden 5 In der Regel kommen Makroamputationen (Oberschenkel, Unterschenkel, Oberarm, Unterarm) bei Erwachsenen selten für eine Replantation infrage, da die Erfolgsaussichten sehr gering sind. Daher sollte frühzeitig der Kontakt zur adäquaten Zielklinik gesucht werden 5 Patienten mit Fingeramputationen, Amputationen in Höhe der Handgelenke oder Kinder mit Amputationsverletzungen hingegen sollten umgehend in ein Replantationszentrum transportiert werden 5 Im Zweifel kann über die Rettungsleitstelle telefonisch Rücksprache mit einem Replantationszentrum gehalten werden 5 Alle Frakturen werden nach einer Schmerzmedikation in der Achse reponiert und die Extremität in einer Schiene ruhig gestellt 5 Frakturen des Oberschenkels sowie alle Mehrfachverletzten sollten auf einer Vakuummatratze gelagert werden 5 Durch die Reposition werden Weichteil, Gefäße und Nerven entlastet und dadurch die Schmerzen reduziert. Daher werden

263 Traumatologische Notfälle

grob dislozierte Frakturen unter adäquater Schmerztherapie bzw. Analgosedierung grundsätzlich reponiert. Typische Beispiele sind: 5 Sprunggelenksfrakturen 5 Unterschenkelfrakturen 5 Unterarmfrakturen 5 Zur Gelenkreposition ist meist eine Analgosedierung notwendig. Es besteht die Gefahr, eine nicht erkennbare Fraktur im Bereich der Luxation zu dislozieren. Dadurch kann das Weichteil einschließlich Gefäße und Nerven ggf. zusätzlich geschädigt werden. Typisches Beispiel ist die Schulter oder die Hüfte. Kann eine Fraktur mit größter Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden und/oder ist ein längerer Transport in eine Zielklinik notwendig ist eine präklinische Reposition anzudenken 5 Grundsätzlich sollten alle Patienten mit Frakturen, Luxationen oder Amputationen einen i.v.-Zugang und eine Schmerztherapie/Analgosedierung vor den Manipulationen erhalten 5 Der Gefäß- und Nervenstatus sollte unbedingt vor und nach der Maßnahme dokumentiert werden. Das kann insbesondere bei Patienten, die wegen Mehrfachverletzungen narkotisiert werden, für die weitere Behandlung relevant sein, um einen primären von einem sekundären Nervenschaden unterscheiden zu können > Wichtig

5 Alle Extremitätenverletzungen sollten in Vakuumschienen oder auf der Vakuummatratze ruhig gestellt werden. 5 Dislozierte Frakturen sollten grundsätzlich in der Achse reponiert werden. 5 Gelenkluxationen sollte nur nach Ausschluss von Frakturzeichen reponiert werden, da ggf. zusätzliche Schäden resultieren können. 5 Eine Schmerzmedikation/ Analgosedierung sollte vor einer Manipulation gegeben werden.

12

12.6  Schädel-Hirn-Trauma z z Einleitung

Traumaregister zeigen, dass 50 % aller polytraumatisierten Patienten auch ein relevantes Schädel-Hirn-Trauma erleiden. Aber auch die isolierten Schädel-HirnTraumata, insbesondere nach einem Sturz, sind im Rettungsdienst zahlenmäßig relevant. z z Symptome

5 Leitsymptom ist die Bewusstseinsstörung jeglicher Ausprägung 5 Ferner treten Veränderungen des neurologischen Status mit Pupillenveränderungen, Veränderungen des Reflexstatus und motorische Symptome auf 5 Jede posttraumatische diagnostizierte Anisokorie bei bewusstseinsgetrübten Patienten ist bis zum Beweis des Gegenteils ein Hinweis auf eine Hirndruckerhöhung 5 Äußere Verletzungszeichen sind nicht obligat 5 Das Spektrum der Schädel-Hirn-Verletzungen reicht von der einfachen Schädelprellung bis zur intrazerebralen Blutung. Insbesondere Letztere hat eine schlechte Prognose für das Outcome der Patienten (. Tab. 12.2) z z Diagnostik

Die Diagnostik umfasst: 5 Primäre Untersuchung (Primary Survey) 5 Prüfung der Reaktion auf abgestufte Reize nach der Glasgow-Koma-Skala (. Tab. 12.1) 5 Prüfung der Vitalfunktionen 5 Orientierende neurologische Untersuchung mit Prüfung auf Amnesie und Erfragen einer aufgetretenen Bewusstlosigkeit 5 Erfassung des Verletzungsmechanismus Die leichteste Form des Schädel-Hirn-Traumas ist die Schädelprellung, gefolgt von der

264

B. Bouillon und M. Münzberg

. Tab. 12.2  Blutungen bei Schädel-Hirn-Traumata. (7 Abschn. 13.1.2) Lokalisation der Blutung

Häufige Symptome

Epidural (zwischen Dura und Kalotte) 7 Abschn. 13.1.2.4

Kurze Bewusstlosigkeit Symptomfreies Intervall Hemiparese

Subdural (zwischen Dura und Arachnoidea) 7 Abschn. 13.1.2.2

Primär anhaltende Bewusstlosigkeit Frühe Anisokorie Hemiparese

Intrazerebral 7 Abschn. 13.1.2.1

Commotio cerebri, der Contusio cerebri und den intrazerebralen Blutungen. Präklinisch ist eine morphologische Differenzierung allein aufgrund der Bewusstseinslage und des Pupillenstatus nicht möglich. Dies ist einer detaillierten neurologischen Untersuchung und, nach Indikation, einer Computertomographie in der Klinik vorbehalten. z z Therapie

12

5 Die Therapie umfasst bei jeder Form der Bewusstseinstrübung obligat einen i.v.-Zugang mit Infusion sowie fakultativ die Intubation und Beatmung in Abhängigkeit der Vitalfunktionen 5 Bewusstlose Patienten (GCS ≤8) sollten immer intubiert und beatmet werden, da der Atemweg nicht sicher ist 5 Patienten, die bewusstseinsgetrübt sind (GCS 9–13), sollten in Abhängigkeit von ihren Schutzreflexen und der peripheren O2-Sättigung intubiert werden 5 Patienten mit einem leichten SchädelHirn-Trauma (GCS 14–15) brauchen in der Regel keine Intubation 5 Nach der Intubation wird in aller Regel die Normoventilation angestrebt. Hier dient die Kapnometrie als zielführender Parameter. Anzustreben ist ein CO2-Wert von 35 mmHg 5 Die früher geübte Praxis einer „prophylaktischen“ Hyperventilation kann

Sekundäre Eintrübung Kontralaterale Halbseitensymptomatik

nach neueren Erkenntnissen eine zerebrale Ischämie verstärken. Bei einem schweren SHT mit den Anzeichen einer intrazerebralen Einklemmung sollten alternative Immobilisation der HWS in Betracht gezogen werden (keine HWSKrause) > Wichtig

5 Bei intrazerebralen Raumforderungen (Blutungen) ist die Zeit ein wichtiger Prognosefaktor. 5 Die sekundäre Eintrübung des Patienten und die Mydriasis bzw. Anisokorie sind wichtige klinische Hirndruckzeichen. 5 Zielklinik bei mittlerem und schwerem SHT (GCS ≤13) sollte ein geeignetes Zentrum mit Computertomographie und Neurochirurgie sein. 5 Kortikosteroide sind präklinisch nicht indiziert.

12.7  Wirbelsäulentrauma z z Einleitung

Wirbelsäulenverletzungen werden meist durch Hochrasanztraumata (Motorradunfall, Verkehrsunfall), Stürze aus großer Höhe (>3 m) oder im Rahmen von Auffahrunfällen („HWS-Schleudertrauma“)

265 Traumatologische Notfälle

verursacht. Die Patienten klagen meist über Rückenschmerzen in Ruhe und Bewegung. Seltener imponiert die Wirbelsäulenverletzung durch eine primäre neurologische Symptomatik.

12

. Tab. 12.3  Neurologische Untersuchung bei Wirbelsäulentraumata Höhe des Schadens

Motorik erhalten

Sensibilität erhalten

C3

Zwerchfellatmung

Hals

Leitsymptom ist der Rückenschmerz und/ oder der neurologisch auffällige Befund im Sinn einer Querschnittssymptomatik (Paraoder Tetraplegie). Bewusstlose Patienten haben grundsätzlich bis zum Beweis des Gegenteils eine instabile Wirbelsäulenverletzung und müssen präklinisch auch so behandelt werden. 5 Schmerzen 5 Neurologische Ausfälle 5 Ggf. zusätzlicher hypovolämischer Schock (Hypotonie, Tachykardie)

C4

Schulterzucken

Hals

C5

Beugung des Ellbogens

Arm beugeseitig

C6

Drehung des Unterarms

Daumen

C7

Fingerstreckung

Zeigefinger

T1

Fingerbeugung

Kleinfinger

T4

Thorax

Brustwarzen

T10

Abdomen

Nabel

z z Diagnostik

L1

Hüftbeugung

Leiste

L2

Kniestreckung

Oberschenkelinnenseite

z z Symptome

Wichtig ist, initial eine sorgfältige neurologische Untersuchung durchzuführen und zu dokumentieren (. Tab. 12.3). 5 Primärcheck 5 Puls, Blutdruck, O2-Sättigung, EKG 5 Hämatome 5 Untersuchung der Extremitäten auf Durchblutung, Motorik, Sensibilität

L3 L4

Fußhebung

Unterschenkelinnenseite

L5

Großzehenhebung

Großzehe

S1

Zehenkrallung

Perianal

z z Therapie

Die präklinische Therapie einer Wirbelsäulenverletzung zielt darauf ab, sekundäre Schäden zu vermeiden. Um weitere Schäden zu verhindern, ist v. a. bei Verdacht eine Immobilisation indiziert. Daher sollten alle bewusstseinsklaren Patienten mit Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule immobilisiert werden. Alle bewusstlosen Patienten haben bis zum Beweis des Gegenteils eine Wirbelsäulenverletzung und sollten daher grundsätzlich immobilisiert werden. In der Regel sollte ein i.v.-Zugang gelegt und bei Schmerzen eine i.v.-Analgesie durchgeführt werden. Wichtig ist die Dokumentation des initialen neurologischen Befunds,

Knieinnenseite

bevor eine Schmerztherapie durchgeführt wird. 5 Anlage eines Stifneck (Cave: Schweres SHT) 5 Lagerung auf Vakuummatratze/ Spineboard 5 O2-Gabe > Wichtig

5 Patienten mit leichtem axialem Zug und ohne Torsion lagern bzw. bewegen (En-Block) 5 Intubation bei V. a. HWS-Verletzung unter „Inline-Immobilisation“

266

B. Bouillon und M. Münzberg

12.8  Polytrauma z z Einleitung

12

In Deutschland werden jährlich über 18.000 Polytraumata behandelt. Die Daten des Traumaregisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie zeigen, dass v. a. junge Menschen betroffen sind, mit einem Gipfel in der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen. Zunehmend lässt sich ein zweiter kleinerer Altersgipfel in der Gruppe der 50- bis 59-Jährigen beobachten. Männer werden doppelt so häufig schwer verletzt wie Frauen. Zwei Drittel der Polytraumata werden durch Verkehrsunfälle verursacht, gefolgt von Arbeits-, Haus- und Sportunfällen. 15 % der schweren Verletzungen gehen auf Stürze aus großer Höhe zurück. Ein relevanter Anteil davon entsteht aus suizidaler Absicht. Inzwischen entstehen 5 % aufgrund penetrierender Schuss- und Stichverletzungen. Die Klinikmortalität nach schwerer Verletzung hat sich in den vergangenen Jahren stetig verbessert. Neuere Untersuchungen zur Lebensqualität nach Polytrauma zeigen, dass 2 Jahre nach dem Unfall 60 % der Patienten über relevante Funktionseinschränkungen klagen. Nur 50  % kehren an ihren alten Arbeitsplatz zurück und 40 % haben regelmäßige Schmerzen. Eine Schweizer Studie bezifferte die direkten und indirekten Kosten eines Polytraumas in den ersten 5 Jahren nach dem Unfall mit 500.000 €. Dabei entfielen 10 % auf die medizinische Akutbehandlung, 20  % auf Rehabilitation und medizinische Folgekosten und 70 % auf den Produktivitätsausfall. z z Definition

Unter Polytrauma versteht man die gleichzeitige Verletzung mehrerer Körperregionen oder Organsysteme, die in ihrer Kombination systemische Funktionsstörungen bis hin zum Tod nach sich ziehen können. In wissenschaftlichen Arbeiten werden Polytraumata meist mit Score-Systemen klassifiziert. ­ Die gebräuchlichste

internationale Definition ist ein ISS („injury severity score“) ≥16. Dieser kann aber erst nach Abschluss der radiologischen Diagnostik in der Klinik ermittelt werden und hat daher für die Präklinik keine Bedeutung. z z Pathophysiologie z Konzept der Primär- und Sekundärschäden

Wenn eine schwere Verletzung eintritt, wird die „Rettungskette“ in Gang gesetzt. Nach Alarmierung der Rettungsleitstelle wird in der Regel das Rettungs- bzw. Notarztsystem aktiviert, das den Patienten am Unfallort erstversorgt und rasch in das nächstgeeignete Krankenhaus transportiert. Dort erfolgen: 5 Schockraumdiagnostik 5 Initiale Stabilisierung des Patienten 5 Operative Erstversorgung 5 Versorgung auf der Intensivstation 5 Weitere Operationen 5 Versorgung auf der Normalstation 5 Rehabilitation Um die Bedeutung der Rettungskette für das Erreichen des Behandlungsziels zu verstehen, ist das Konzept der Primär- und Sekundärschaden zum Verständnis der pathophysiologischen Vorgänge nach einem Polytrauma hilfreich (. Abb. 12.1). Durch den Unfall wird ein Primärschaden (z. B. Milzruptur, Bronchusabriss, Femurfraktur, Extremitätenamputation, epidurales Hämatom) verursacht. Dieser Primärschaden ist nicht rückgängig zu machen und bestimmt bei optimaler Therapie das potenziell erreichbare Outcome des Patienten. Nach Eintritt der Verletzung kommt es jedoch zu weiteren Sekundärschäden. Diese können durch die Verletzung selbst (z. B. Milzruptur blutet weiter und verstärkt den Schock), durch logistische Faktoren (z. B. Patient ist eingeklemmt und muss erst aus seinem Fahrzeug befreit werden), aber auch durch eine suboptimale, verspätete oder falsche Therapie

267 Traumatologische Notfälle

12

. Abb. 12.1  Rettungskette nach einem Polytrauma

(z. B. Fehlintubation bei Ateminsuffizienz) begründet sein. Primär- und Sekundärschaden bestimmen schon sehr viel mehr das real erreichbare Outcome. Der dritte Faktor, der das Outcome beeinflusst, ist die individuelle biologische Antwort des Patienten auf das Trauma. Der gesunde 20-Jährige wird bei identischer Verletzung (= Primärschaden) in der Regel ein besseres Outcome haben als ein 70-jähriger Hypertoniker, der 4 Monaten zuvor einen Herzinfarkt erlitten hat. Der Primärschaden und die individuelle biologische Antwort des Patienten sind in der Regel nicht beeinflussbar. Daher ist das wesentliche Ziel der Behandlung schwer verletzter Patienten, den Sekundärschaden so klein wie möglich zu halten. Dieses gilt für die Präklinik ebenso wie für die klinische Versorgung. Das Konzept, mögliche Sekundärschäden zu minimieren, wird auch mit dem Schlagwort „damage control“ umschrieben, das in den letzten Jahren zunehmend in der Literatur diskutiert und in der praktischen Versorgung von Polytraumata umgesetzt wird. „Damage control“ beschreibt eine Strategie mit dem Ziel, die zusätzliche Belastung des Organismus durch insbesondere therapeutische Verfahren zu reduzieren. Die Idee hinter dieser Strategie reflektiert das Vermögen

des individuellen Patienten, eine bestimmte Traumabelastung zu bewältigen. z z Therapie/Maßnahmen

Die präklinische als auch die innerklinische Versorgung von Traumapatienten erfolgt nach einem standardisierten und prioritätenorientierten Vorgehen. In Deutschland hat sich das bereits erklärte ABCDE-Schema (7 Abschn.  12.1.1) durchgesetzt. Diese Versor­ gungsstrategie findet bei allen Traumapati­enten Anwendung, um relevante und v. a. zeitkritische Probleme zu erkennen und nach Priorität zu behandeln („Treat first what kills first“). Der Umfang der präklinischen Diagnostik wird durch die Behandlungskonsequenz bestimmt. Es sind jedoch somit auch alle nötigen Interventionen vor Ort durchzuführen. Dabei sind die präklinische Behandlungszeit und der Ausbildungsstand des Behandlers immer im Auge zu behalten. Die Zeit steht somit neben der richtigen Behandlung im Mittelpunkt der Versorgung. Eine wichtige Aufgabe des Rettungsdienstes ist es, den „richtigen Patienten“ in das „richtige Krankenhaus“ zu transportieren. Ziel ist es – nach dem Weißbuch der DGU – Schwerverletzte in ein überregionales bzw. regionales „Traumazentrum“ zu bringen. Kann das Ziel nicht erreicht werden, muss der Notarzt entscheiden, ob die vermuteten

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Verletzungen eine längere Transportzeit tolerieren oder ob wie z. B. bei unkontrollierten Blutungen zunächst eine nähergelegene Klinik angefahren werden sollte, um die akut lebensbedrohlichen Verletzungen z. B. mit einer „Damage control“-Laparotomie zu beherrschen und damit das Überleben des Patienten zu sichern. > Bei penetrierendem Trauma des Thorax

und/oder Abdomens sollte nach der S3-Leitlinie der schnellstmögliche Transport in das nächstgelegene Traumazentrum erfolgen.

Neben einem standardisierten Versorgungsalgorithmus ist ein Training der einzelnen Fertigkeiten unerlässlich. Ebenfalls steigt der Focus auf die sog. „Non Technical Skills“. Daher sind die interpersonellen Kompetenzen (IC) gerade in einer solchen Stresssituation von großer Bedeutung und müssen gelernt und trainiert werden. 12.9  Amputationsverletzungen

12

Amputationsverletzungen sind eine seltene Form der Traumata. > Grundsätzliche Verhaltensregel bei

Amputationsverletzungen: „Life before limb“.

z z Therapie

5 An erster Stelle steht die Blutstillung durch Druckverbände oder das Abbinden (Tourniquet) vor der Amputationsstelle

5 Das Amputat ist sicherzustellen und möglichst keimarm zu verpacken und zu transportieren 5 Am besten in einem Amputationsset mit einem Beutel, in dem das Amputat gelagert werden kann 5 Dieser Beutel wiederum wird in einen Beutel mit einer ca. 4–8 °C kühlen Flüssigkeit gelegt. Das Amputat muss gekühlt werden. Es darf aber nicht mit Eis in Kontakt kommen 5 Der Patient und das Amputat werden in einem gemeinsamen Rettungsmittel transportiert

Weiterführende Literatur Berchtold R, Bruch HP, Trentz O (2006) Chirurgie. Elsevier, Urban & Fischer, München Debus F, Lefering R, Frink M et al (2015) Anzahl der Schwerverletzten in Deutschland. Dtsch Arztebl Int 112:823–829 NAEMT, PHTLS Deutschland und Schweiz (2016) Präklinisches Traumamanagement. Elsevier, München Spahn DR, Rossaint R (2007) Management of bleeding following major trauma. Crit care 11:R17. 7  https://ccforum.biomedcentral.com/articles/10.1186/cc5686 Strohm PC, Bannasch H, Goos M, Hammer TO, Südkamp NP (2006) Präklinische Erstversorgung chirurgischer Notfälle. MMW Fortschr Med 148:27–28 Internet 7 www.trauma.org 7 www.dgu.de 7 http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/ 012-019l_S3_Polytrauma_Schwerverletzten-Behandlung_2017-08.pdf

269

Neurologische Notfälle O. Matz 13.1 Schlaganfall – 270 13.1.1 Ischämischer Hirninfarkt – 270 13.1.2 Intrakranielle Blutung – 272 13.2 Epileptische Anfälle – 277

13.3 Unklare Bewusstseinsstörungen – 280 13.4 Meningitis/Enzephalitis – 282 Weiterführende Literatur – 284

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_13

13

270

O. Matz

13.1  Schlaganfall

Der Überbegriff Schlaganfall beschreibt eine schlagartig einsetzende neurologische Funktionsstörung aufgrund einer Erkrankung des zerebrovaskulären Systems. Hierzu zählen die ischämischen Hirninfarkte, die intrazerebralen Blutungen sowie die Subarachnoidalblutungen (SAB). Weltweit ist der Schlaganfall die zweithäufigste Todesursache. 13.1.1  Ischämischer Hirninfarkt z z Definition

Beim ischämischen Hirninfarkt kommt es zu einer umschriebenen Hirnparenchymnekrose durch eine arterielle Durchblutungsstörung. z z Allgemeines

Ungefähr 80–85 % der Schlaganfälle sind durch ischämische Hirninfarkte bedingt. z z Ätiologie 5 Kardiale Embolien (ca. 25 %): Z. B. Vor-

13

hofflimmern, Endokarditis, persistierendes Foramen ovale 5 Makroangiopathie (ca. 20 %): Thrombenbildung an arteriosklerotischen Hirngefäßen mit direktem Verschluss oder distal durch arterioarterielle Embolie 5 Mikroangiopathie (ca. 20 %): Verschluss kleiner Arterien und Arteriolen 5 Andere identifizierbare Ursachen (ca. 10 %): Z. B. Dissektionen, Vaskulitis, zerebrale Sinus- und Venenthrombosen 5 Kryptogen (ca. 25 %): Unklar, wahrscheinlich oft kardioembolisch

z z Pathophysiologie

Arterielle Durchblutungsstörung eines hirnversorgendes Gefäßes → Unterversorgung des entsprechenden Hirnareals mit Glukose und Sauerstoff → Unterschreiten einer kritischen Schwelle → noch reversibler Funktionsausfall → weiterhin anhaltende

Ischämie → irreversibler Hirnparenchymschaden > Penumbra (Hirngewebe im Infarktrand-

zonengebiet) minderperfundiert, aber nicht vollständig irreversibel geschädigt → wesentliches Ziel der Akuttherapie (Thrombolyse, mechanische Thrombektomie): Penumbrazellen retten!

z z Klassifikationen

Ein ischämischer Hirninfarkt ist ein akut fokal-neurologisches Defizit aufgrund einer regionalen Durchblutungsstörung mit Hirnparenchymnekrose. > Eine transitorisch-ischämische Attacke

(TIA) ist auch ein akutes fokal-neurologisches Defizit aufgrund einer regionalen Durchblutungsstörung, das auf eine Symptomdauer  Zerebrale Ischämien sind ohne bildgebende Diagnostik (cCT, cMRT) klinisch nicht von einer zerebralen Blutung zu unterscheiden!

Klinische Symptomatik ist abhängig vom betroffenen Versorgungsgebiet: 5 A.-cerebri-media-Syndrom: Kontralateral armbetonte Hemiparese, sensible Halbseitensymptomatik, Kopf- und Blickwendung zur betroffenen Seite. Infarkte der zumeist dominanten linken Hemisphäre führen zu Aphasien (Sprachstörungen), Infarkte der rechten Hemisphäre zum kontralateralen Neglect (Wahrnehmungsstörung und Vernachlässigung der Körperseite) 5 A.-cerebri-anterior-Syndrom: Kontralaterale Parese des Beines oder beinbetonte Hemiparese, Blasenstörungen 5 A.-cerebri-posterior-Syndrom: Sehstörungen, Sensibilitätsstörungen, neuropsychologische Auffälligkeiten 5 Hirnstammsyndrome (vertebrobasiläres Stromgebiet): Vigilanzstörungen, Schwindel, Koordinationsstörungen, Halbseitensymptomatik, Hirnnervenausfälle: Okulomotorikstörungen mit Doppelbildern, Dysarthrie (verwaschene Sprache), Dysphagie (Schluckstörung) ! Cave

Sonderform Basilaristhrombose (Thrombose der A. basilaris) ohne Behandlung Mortalität 80–90 %, häufig „stotternde“ oder progrediente neurologische Ausfälle, häufig schwere Vigilanzstörungen, Tetraparese. > Untypische Symptome wie epileptische

Anfälle, Kopfschmerzen, Desorientierung und Verwirrung, Bewegungsstörungen, isolierte Dysphagie oder Dysarthrie können ebenfalls Zeichen einer zerebralen Ischämie sein!

13

z z Diagnostik Anamnese

5 Symptombeginn wann? 5 Kontraindikationen für Thrombolyse? 5 Antikoagulation (wann zuletzt eingenommen?) 5 Andere Gerinnungsstörungen 5 Kürzlich zurückliegende schwere Blutung 5 Intrakranielle oder intraspinale OPs in den letzten 3 Monaten 5 Ulzera im Gastrointestinaltrakt, Ösophagusvarizen 5 Bakterielle Endokarditis 5 Intrakranielles Aneurysma, AV-Malformation z z Differenzialdiagnosen

5 Intrakranielle Blutungen 5 Migräne mit Aura 5 Todd’sche Parese (passagere neurologische Defizite) nach epileptischen Anfall 5 Hirntumore 5 Funktionelle Störungen z z Therapie > Ziel einer jeden Therapie eines ischämischen Hirninfarkts ist die Lysetherapie und/oder Thrombektomie abhängig vom Zeitpunkt der Erstmanifestation der neurologischen Defizite (sog. Zeitfenster). Time-is-brain-Konzept  Effektivität der The-

rapie ist extrem zeitabhängig! Abhängig vom Zeitfenster erfolgt Therapie des akuten Hirninfarkts in der Klinik durch rekanalisierende Maßnahmen wie i.v.-Thrombolyse und/oder mechanische Thrombektomie. Thrombolyse ist prinzipiell bis 4,5 h nach Symptombeginn zugelassen, aber jeder Zeitverlust verschlechtert die Prognose. Daher: am Einsatzort bereits Kontaktaufnahme zur Klinik, jeden Zeitverlust vermeiden.

> Beim Schlaganfall zählt jede Minute!!

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O. Matz

Stroke Unit  Stationäre Behandlung erfolgt auf Stroke Unit, eine auf Schlaganfälle spezialisierte Überwachungsstation. Betreuung der Patienten erfolgt durch multidisziplinäres Team aus Ärzten, Pflegepersonal, Physiound Ergotherapeuten sowie Logopäden und Sozialarbeitern. Stationen sind in der Regel neurologisch geführt, jedoch sind enge Kooperationen mit anderen Fachabteilungen wie Neuroradiologie, Kardiologie, Neuround Gefäßchirurgie erforderlich. Neurovaskuläre Netzwerke  Spezielle Thera-

piemaßnahmen wie z.  B. mechanische Thrombektomien nur in speziellen Kliniken möglich. Bildung neurovaskulärer Netzwerke: Zusammenschluss mehrerer Kliniken einschließlich eines koordinierenden Zentrums mit Stroke Unit und weiterer Spezialeinheiten wie Neurochirurgie, Neuroradiologie mit Hirnkatheterlabor und Gefäßchirurgie. Dadurch Verbesserung der Schlaganfallversorgung bei spezifischen Indikationsstellungen.

z Allgemeine Maßnahmen

13

5 Überwachung und Sicherung der Vitalfunktionen 5 Anlage periphervenöser Zugänge, möglichst nicht an der paretischen Extremität 5 Hyperglykämie in Akutphase vermeiden: Bei BZ > 200 mg/dl z. B. mit Altinsulin s.c. 5 Bei Temperaturen > 37,5  °C → Körpertemperatur senken, z. B. mit Paracetamol 5 Exsikkose begünstigt thrombotische Prozesse, daher ausreichende Flüssigkeitssubstitution z Atemwegsmanagement

5 Adäquate Oxygenierung, Ziel-O2-Sättigung > 94  % 5 Indikation für endotracheale Intubation: respiratorische Insuffizienz, schwere Vigilanzstörungen und/oder schwerer Dysphagie mit Aspiration (häufig bei großen Hemisphären- oder Hirnstamminfarkten)

z Blutdruckmanagement

Zerebrale Hirngefäßautoregulation beim akuten Hirninfarkt gestört  → Gefahr der zerebralen Minderperfusion bei raschen systemischen Blutdruckabfällen  → Gefahr der Hirnschädigung > Typischerweise reaktiver Hypertonus

in Akutphase, reguliert sich meist nach 2–3 Tagen spontan!

5 Ziel-RR in Akutphase: 160–180 mmHg systolisch, 100 mmHg diastolisch 5 Ziel-RR bei Patienten mit Thrombolysetherapie oder Antikoagulation  Ausmaß des initialen Blutaustritts ist

prognoseentscheidend.

5 Im Verlauf häufig schwerwiegende Komplikationen: Hydrozephalus durch Liquorresorptionsstörung, Nachblutungen, Vasospasmen der Hirngefäße (ca. 4. bis 14. Tag nach dem Initialereignis) mit ggf. zerebralen Ischämien 5 Traumatische SAB 5 Rhexisblutung aus kortikalen Gefäß z z Klinische Symptomatik 5 Sehr variabel: Von fast asymptomatisch

bis schwerstgradige neurologische Ausfälle 5 Typisch: Schlagartiger Vernichtungskopfschmerz wie „noch nie dagewesen“, häufig vorausgehende geringere Kopfschmerzereignisse (sog. „Warning leak“-Ereignisse: Geringere Blutaustritte aus Aneurysma als Vorboten) 5 Meningismus (schmerzhafte Nackensteifigkeit beim Beugen des Kopfs nach vorne) 5 Begleitsymptome: Übelkeit, Erbrechen, transiente oder persistierende

Vigilanzstörung, epileptische Anfälle, Hirnnervenausfälle, Sprachstörung, Halbseitensymptomatik 5 Klinischer Zustand von SAB-Patienten wird nach Schweregrad graduiert → zur Abschätzung der Prognose und adäquater Therapieschritte 5 Hunt-Hess-Skala und World Federation of Neurosurgical Societies Score (WFNS) werden häufig verwendet (. Tab. 13.1). Der WFNS bewertet den Glasgow-Koma-Score (7 Abschn. 13.3) zusammen mit dem Vorhandensein einer Hemiparese oder Aphasie. z z Differenzialdiagnostik

5 Meningitis (Fieber?) 5 Gutartige Kopfschmerzsyndrome (z. B. Migräne) 5 Andere intrakraniellen Blutungen 5 HWS-Syndrom 13.1.2.3  Subduralblutung z z Definition

Eine subdurale Blutung ist eine Blutung zwischen der Dura mater und Arachnoidea mater, die der Hirnoberfläche direkt aufliegt. Im klinischen Alltag wird häufiger vom Subduralhämatom gesprochen.

13 . Tab. 13.1  SAB-Klassifikation nach Hunt-u.-Hess und WFNS Hunt-u.-Hess-Klassifikation

WFNS-Score

Grad

Symptomatik

GCS (Punktwert)

Hemiparese/Aphasie

Grad I

Keine Symptome oder leichte Kopfschmerzen und leichter Meningismus

15

Nein

Grad II

Schwere Kopfschmerzen, Meningismus, Hirnnervenausfälle

13–14

Nein

Grad III

Somnolenz, Verwirrtheit, leichte fokal-neurologische Defizite

13–14

Ja

Grad IV

Sopor, moderate bis schwere Hemiparese, vegetative Störungen

7–12

Ja/nein

Grad V

Koma, Einklemmungszeichen

3–6

Ja/nein

GCS Glasgow-Koma-Skala; WFNS World Federation of Neurosurgical Societies

275 Neurologische Notfälle

z z Ätiologie/Pathophysiologie

Unterscheidung zwischen akuten und chronischen Subduralhämatom: 5 Traumatisch: 5 Akutes Subduralhämatom (aSDH): Akute Blutung aus Brückenvenen oder Kortexarterien, bei ca. 11 % der SHT-Patienten, häufig assoziiert mit schweren Hirnverletzungen, schlechte Prognose 5 Chronisches Subduralhämatom (cSDH): Bei älteren Patienten nach Bagatelltrauma → Sickerblutung durch Brückenvenenriss über Tage bis Wochen, meist gute Prognose 5 Nichttraumatisch: 5 Sehr selten, z. B. bei Gerinnungsstörungen, Blutungen aus Gefäßmissbildungen z z Klinische Symptomatik 5 Akutes Subduralhämatom



Akute Symptomatik mit häufig progredienter Verschlechterung: Vigilanzstörungen, epileptische Anfälle, Sprachstörungen, Halbseitensymptomatik

5 Chronisches Subduralhämatom Meist langsam progrediente Symptomatik über Tage bis Wochen: Kopfschmerzen, Verwirrtheit, epileptische Anfälle, Schwindel, Sprachstörung, Halbseitensymptomatik 13.1.2.4  Epiduralblutung z z Definition

Epidurale Blutungen bzw. Hämatome (EDH) sind arterielle oder seltener venöse Blutungen zwischen Dura mater und Schädelknochen. z z Ätiologie/Pathophysiologie

5 Traumatisch: 5 Isoliert oder beim SHT, in 95 % mit einer Kalottenfraktur einhergehend 5 Blutungen aus frakturiertem Knochen, häufig Verletzung der A. meningea media 5 Prognose bei isoliertem EDH häufig gut (kein primärer Hirnschaden), aber

13

Gefahr der zerebralen Herniation (Einklemmung) bei Ausdehnung der Blutung z z Klinische Symptomatik 5 Luzides Intervall typisch: Nach initialer

kurzer Bewusstlosigkeit Patient wach, trübt sekundär durch Blutungsexpansion wieder ein 5 Aber einige Patienten durchgehend wach, einige Patienten sofort komatös 5 Vigilanzstörung, Kopfschmerzen, epileptische Anfälle, Hirnnervenausfälle, Sprachstörung, Halbseitensymptomatik

z z Allgemeine Diagnostik bei intrakraniellen Blutungen z Anamnese

5 Trauma: Unfallhergang? Bewusstlosigkeit? Amnesie (anterograd/retrograd)? Begleitverletzungen 5 Nichttraumatisch: Risikofaktoren (arterieller Hypertonus, Diabetes mellitus, Substanzabusus) 5 Medikation (v. a. Antikoagulanzien, Thrombozytenaggregationshemmer) z Körperliche Untersuchung

5 Inspektion des Kopfs: Prellmarken, Hämatome, Frakturhinweise, Blut- oder Liquoraustritt 5 Neurologischer Status: Vigilanzstörung? Anisokorie (Hinweis auf zerebrale Einklemmung)? Meningismus z Vitalparameter z z Allgemeine Therapie bei intrakraniellen Blutungen

Der intrakranielle Druck (intracranial pressure, ICP, Normwert: 15 mmHg) ist der Druck, der im Schädelinneren herrscht. Bei raumfordernden Prozessen wie einer Blutung oder eines Infarkts kann es zum akuten intrakraniellen Druckanstieg kommen. Folge davon kann die untere Einklemmung (Herniation) sein, bei der Teile des Hirnstamms komprimiert werden, sodass der Tod durch Atemstillstand einsetzen kann.

276

O. Matz

> Ziel therapeutischer Maßnahmen ist,

den intrakraniellen Druck auf den Normalwert zu senken.

Hirndrucksymptomatik: Neben ICP-Höhe ist

Schnelligkeit des Anstiegs und Lokalisation des ursächlichen Prozesses entscheidend für klinische Ausprägung. 5 ICP >20 mmHg → Kopfschmerzen, Übelkeit/Erbrechen, Somnolenz, Verwirrtheit 5 ICP 30–40 mmHg → Sopor, Koma 5 ICP 40–50 mmHg → Koma mit Cheyne-Stokes-Atmung, Strecksynergismen, weite lichtstarre Pupillen 5 ICP > 50 mmHg → zügiges Eintreten des Hirntods

> Die Anisokorie ist eine Seitendifferenz

der Pupillendurchmesser mit einseitiger lichtstarrer Pupillenerweiterung durch ipsilaterale Druckschädigung des N. oculomotorius bei Erhöhung des intrakraniellen Drucks, z. B. bei großer Hemisphärenraumforderung.

Bei bewusstseinsgetrübten Patienten ist die Überprüfung des Pupillenstatus und ggf. Feststellung einer Anisokorie ein wichtiger klinische Parameter für einen lebensbedrohlichen intrazerebralen Prozess.

13

z Allgemeine Maßnahmen

5 Überwachung und Sicherung der Vitalfunktionen 5 Fieber und Hyperglykämie behandeln 5 Schmerzen und Unruhe des Patienten vermeiden 5 Maßnahmen beim Transport (umlagern, absaugen) vorsichtig 5 Anlage periphervenöser Zugänge möglichst nicht in paretischer Extremität 5 Oberkörperhochlagerung um 15–30 % kann sich günstig auf ICP auswirken 5 Abknicken des Kopfs vermeiden wegen venösen Abflusses und Vermeidung ICPErhöhung

z Atemwegsmanagement und Beatmung

5 Indikationen zur endotrachealen Intubation: Respiratorische Insuffizienz, schwergradig gestörte Schutzreflexe, GCS  Einhalten der Zielblutdruckwerte reduziert die Nachblutungsgefahr z. B. bei SAB mit unversorgtem Aneurysma oder ICB.

5 ICB: Ziel-RR syst. ≤ 140  mmHg (7 Abschn. 13.1.2.1) 5 SAB: MAP 60–90 mmHg, Blutdruckspitzen vermeiden (7 Abschn. 13.1.2.2) z z Therapie

5 1. Wahl Urapidil 5–10 mg titriert i.v. 5 2. Wahl Clonidin i.v./s.c.

277 Neurologische Notfälle

Bei traumatischen Blutungen mit anderen Begleitverletzungen steht häufiger die Behandlung der Hypotension im Vordergrund. > Bei allen Prozessen mit erhöhtem

Hirndruck sollte eine Hypotension zur Gewährleistung der ausreichenden zerebralen Perfusion vermieden werden.

Daher: arterielle Normotonie anstreben durch Volumensubstitution und Katecholamintherapie! 13.2  Epileptische Anfälle z z Definition

Ein epileptischer Anfall ist eine vorübergehende Funktionsstörung des Gehirns aufgrund einer pathologischen exzessiven oder synchronen neuronalen Aktivität. > Ein einmaliger epileptischer Anfall ist

zunächst eine unspezifische Reaktion des zentralen Nervensystems auf einen internen oder externen Stimulus.

Von einer Epilepsie spricht man erst bei Vorliegen epileptischer Anfälle und zusätzlichen Befunden, die für eine erhöhte Prädisposition sprechen. z z Allgemeines

5 Lebenszeitinzidenz für einen epileptischen Anfall von >10 % 5 Prävalenz für Epilepsie von ca. 0,6–0,9 % z z Ätiologie/Klassifikation

Epileptische Anfälle können provoziert werden durch allgemeine Krankheitszustände, ohne dass von einer Epilepsie gesprochen wird z Akut-symptomatische Anfälle (ASA)

Häufige Auslöser: Infekte/Fieber, metabolische Entgleisungen (z. B. Hypoglykämie, Elektrolytstörungen, Urämie), Einnahme anfallsförd­ ernder Medikamente (z.  B. Neuroleptika, Opiate, Antidepressiva, bestimmte Antibiotika), Alkohol- und Drogenentzugssyndrome

Klassifikation der Ursache, Lokalisation Erscheinungsbild:

13

Epilepsien nach und klinischen

Klassifikation nach Ursache

5 Strukturelle Epilepsien: Vorliegen einer strukturellen Veränderung im ZNS, Z. n. Hirninfarkt, Z. n. SHT, Hirntumor 5 Infektiöse Epilepsien: Direkte Folge einer Infektion, z. B. bei zerebraler Toxoplasmose, Z. n. viraler oder bakterieller Enzephalitis 5 Autoimmune Epilepsien: Durch Störungen des Immunsystems, z. B. Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis 5 Metabolische Epilepsien: Im Rahmen von Stoffwechselerkrankungen, z. B. Porphyrie 5 Genetische Epilepsien: Vorliegen eines genetischen Defekts, z. B. AbsenceEpilepsie, oft im Kindesalter 5 Unbekannt: Ursache unklar, wahrscheinlich meist strukturell Klassifikation nach Lokalisation

5 Fokale Epilepsien: Generierung von Anfällen in definierten Gehirnregionen 5 Generalisierte Epilepsien: Bihemisphärische Generierung der Anfälle 5 Kombinierte fokale und generalisierte Epilepsien 5 Unklassifizierbar Klassifikation nach Anfallsart Sehr variabel, abhängig von der Entstehungslokalisation im Gehirn: von isolierten Zuckungen einer Extremität, kurzen Aussetzern (Absencen) bis hin zu komplexen Bewegungsstörungen oder generalisierten tonisch-klonischen Anfällen

Epileptische Anfälle müssen nicht mit einer Bewusstseinsstörung einhergehen! Verschiedene Anfallsformen (klinische Symptomatik), u. a.: 5 Einfach-fokale Anfälle (ohne Beeinträchtigung des Bewusstseins) 5 Komplex-fokale Anfälle (mit Beeinträchtigung des Bewusstseins)

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13

O. Matz

5 Generalisierte Anfälle (konvulsiv und nicht-konvulsiv) 5 Z. B. Absencen oder generalisierte tonisch-klonische Anfälle

> Anfälle sistieren zumeist spontan inner-

z z Klinische Symptomatik z Häufigste Anfallformen

5 Tatsächlich epileptischer Anfall (DD Synkope oder psychogener Anfall) 5 Vorbekanntes Anfallsleiden 5 Hinweise für akute zerebrale Erkrankung (z. B. Hirninfarkt, Hirnblutung, Meningitis), wie z. B. Kopfschmerzen, Meningismus, Hemiparese, Aphasie 5 Bekannte Gehirnerkrankung als Ursache einer Epilepsie (Z. n. ICB) 5 Antikonvulsive Medikation 5 Vorliegen akuter systemischer Krankheitsbilder (z. B. durch Hypoglykämie) 5 Hinweise für anfallsbedingte Traumafolgen

5 Generalisierter tonisch-klonischer Anfall (= Grand Mal): 5 Initial tonische Phase (Verkrampfung der Muskulatur und Zyanose) → klonische Phase (Zuckungen der Muskulatur) → Anfall sistiert → sog. postiktale Phase mit Vigilanzstörung und Verwirrtheit (dauert häufig mehrere Stunden) 5 Todd’sche Parese: vorübergehende neurologische Ausfälle (Hemiparese, Sprachstörung) nach epileptischem Anfall, häufig bei symptomatischen Epilepsien 5 Einfach-fokaler Anfall: 5 Ohne Bewusstseinsstörung, häufig isolierte motorische oder sensible Symptome (z. B. Zuckungen in einer Extremität, Kribbeln- und Taubheitsgefühl) 5 Komplex-fokaler Anfall: 5 Mit Bewusstseinsstörung, variable Symptomatik (z. B. leichte Verwirrtheit bis Koma, häufig motorische Automatismen wie Schmatzen, Schlucken, Nesteln) 5 Ggf. Übergang in generalisierten Anfall z Status epilepticus

Ein Status epilepticus liegt vor, wenn eine bestimme Anfallsdauer (> 5 min) überschritten wird oder bei einer Anfallsserie ohne zwischenzeitlichem Wiedererlangen des Bewusstseins. 5 Ein Grand-Mal-Status ist immer ein absoluter Notfall!! 5 Komplikationen: Irreversible Hirnschädigung, Ateminsuffizienz, metabolische Azidose, Rhabdomyolyse und Nierenversagen

halb von 2–3 min.

z z Diagnostik z Anamnese

z Körperliche Untersuchung

5 Vigilanz, Orientierung (z. B. fortbestehende Verwirrtheit als Hinweis für Enzephalitis) 5 Pupillenstatus (Anisokorie?) 5 Meningismus (SAB, Meningitis?) 5 Traumahinweise (Prellmarken, Schmerzen?) 5 Fokal-neurologische Defizite, z. B. Sprachstörungen, Hemiparese (ICB, Hirninfarkt?) 5 Zungenbiss (nicht spezifisch für epileptischen Anfall) 5 Einnässen/Einkoten (nicht spezifisch für epileptischen Anfall) z z Differenzialdiagnosen

5 Synkopen Klinik: Im Anschluss innerhalb kurzer Zeit ( Häufig ist keine spezifische Therapie notwendig, da die meisten Anfälle innerhalb von 2–3 min spontan sistieren

z Allgemeine Maßnahmen

5 Patientenschutz, z. B. Schutz vor gefährlichen Gegenständen 5 Freihalten der Atemwege (kein Beißkeil, da wenn Zungenbiss, dann initial) 5 I.v.-Zugang (nicht in der Ellenbeuge → Abknickgefahr) 5 Pulsoxymetrie, Blutdrucküberwachung, O2-Insufflation (via Maske, ggf. Intubation und Beatmung) 5 Symptomatische Temperatursenkung bei Körpertemperatur über 37,5 °C Im weiteren Verlauf in der Notaufnahme sollte appliziert werden: 5 100 mg Thiamin i.v. bei alkoholassoziierten Anfällen (zur Vermeidung Wernicke-Enzephalopathie) z z Antikonvulsive Therapie > Ein Status epilepticus ist eine absolute Therapieindikation!

In der Regel wird bereits nach ca. 3 min bei generalisierten tonisch-klonischen Anfällen eine Therapie eingeleitet. Hierfür gilt folgendes:

13

5 Bei generalisierten tonisch-klonischen Anfällen Therapie der ersten Wahl: Benzodiazepine → kein Erfolg: Endotracheale Intubation und i.v.-Anästhesie. 5 Bei anderen Anfallsformen (z. B. komplex-fokaler Status) Therapie der ersten Wahl: Benzodiazepine: Dosierung (geringeres Gefahrenpotenzial für den Patienten!) in Hinblick auf Therapiekomplikationen (Atemdepression und Vigilanzstörungen mit Aspiration) anpassen! Anästhesie selten i.v. erforderlich Nach Ankunft in Klinik Gabe von konventionellen Antikonvulsiva 1. Stufe: Benzodiazepine: 5 1. Wahl Lorazepam 0,05 mg/kgKG i.v., ggf. nach 5 min wiederholen, max. 0,1 mg/kgKG, nie unverdünnt applizieren, vor Gebrauch mit physiologischer NaCl-Lsg. oder Wasser für Injektionszwecke mischen 5 Alternativen: – Clonazepam 0,015 mg/kgKG, ggf. nach 5 min wiederholen, max. 3 mg – Diazepam 0,15 mg/kgKG, ggf. nach 5 min wiederholen, max. 30 mg – Diazepam 10–20 mg rektal, max. 30 mg – Midazolam 5–10 mg buccal bzw. nasal, max. 20 mg ! Cave

Die Dosierungen gelten für die Behandlung des generalisierten tonisch-klonischen Anfallsstatus. Bei anderen Statusformen Dosierung nach Nutzen-Risiko-Abwägung wählen.

2. Stufe: I.v.-Anästhesie:   Kann präklinisch durch Gabe von Benzodiazepinen ein generalisierter tonisch-klonischer Anfallsstatus nicht durchbrochen werden oder treten anfallsassoziiert vitalbedrohliche Komplikationen auf, muss die Indikation für die Gabe von i.v. Anästhetika mit endotrachealer Intubation erwogen werden.

280

O. Matz

5 Eingesetzt werden Thiopental, Propofol und Midazolam. 1. Thiopental 3–5 mg/kgKG Bolus, dann 3–7 mg/kgKG/h 2. Propofol 1–3 mg/kgKG Bolus, dann 4–10 mg/kgKG/h 3. Midazolam 0,2 mg/kgKG Bolus, dann 0,1–0,5 mg/kgKG/h. 13.3  Unklare

Bewusstseinsstörungen

z z Definition

5 Bewusstsein setzt sich aus den Komponenten Wachheit und Wahrnehmung zusammen 5 Bei einer Störung der Wachheit spricht man von einer quantitativen Bewusstseinsstörung 5 Bei einer Störung der Wahrnehmung spricht man von einer qualitativen Bewusstseinsstörung z z Einteilung z Störung der Wachheit = Quantitative Bewusstseinsstörungen

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Störungen der Wachheit werden in unterschiedliche Stadien unterteilt: 5 Somnolenz: Patient ist inadäquat schläfrig, jedoch erweckbar, zu gerichteten Reaktionen und kurzen Gesprächen in der Lage, dann wieder wegdämmern 5 Sopor: Patient nur durch starke Reize erweckbar, dann wieder wegdämmern. Durch Schmerzreiz zu gezielten Abwehrreaktionen und Augenöffnen in der Lage 5 Koma: Patient durch Schmerzreiz nicht erweckbar und es ist keine Kontaktaufnahme möglich. Die Augen des Patienten sind geschlossen Das Koma wird nach Schweregrad in 4 Stadien unterteilt: 5 Stadium I: Gezielte Abwehr auf Schmerzreiz, Pupillenreaktion vorhanden

5 Stadium II: Ungezielte Abwehr auf Schmerzreiz, Pupillenreaktion vorhanden 5 Stadium III: Keine Abwehr auf Schmerzreiz oder Beuge-/Strecksynergismen, Pupillenreaktion abgeschwächt 5 Stadium IV: Keine Schmerzreaktion, Streckautomatismen, Ausfall von Hirnstammreflexen z Störung der Wahrnehmung = Qualitative Bewusstseinsstörungen

Es besteht eine Störung der Wahrnehmung im Sinne einer Verschiebung und/oder Einengung des Bewusstseins, Denken und Handeln sind verwirrt. Häufig liegen psychotische, halluzinatorische und wahnhafte Symptome vor. z z Pathophysiologie

Für eine normale Bewusstseinslage müssen die dafür zuständigen Hirnareale (z. B. Großhirnhemisphären, der Hirnstamm mit der Formatio reticularis) sowie deren Verbindungen untereinander intakt sein. Liegt eine Beeinträchtigung oder Schädigung in einem oder mehreren der genannten Bereiche vor, kommt es zu einer Bewusstseinsstörung. z z Ätiologie 5 Primär zerebrale Ursachen:

5 Vaskulär: Schlaganfall 5 Infektiös: Meningitis, Enzephalitis 5 Traumatisch: SHT, Hirnblutung 5 Epileptisch: Anfall, postiktaler Zustand (nach Anfall) 5 Intrakranielle Raumforderung: Tumor, Abszess, Hydrocephalus 5 Psychiatrisch: Delir, Psychose, Demenz, Depression, psychogene Anfälle

5 Sekundär zerebrale Ursachen: 5 Toxisch: Alkohol, Drogen, Psychopharmaka, Antikonvulsiva, Anticholinergika, Digitalis, Clonidin, bestimmte Antibiotika, Antihistaminika 5 Metabolisch: Elektrolytentgleisung, Hypoxie, Hyperkapnie,

281 Neurologische Notfälle

Wernicke-Enzephalopathie, hepatisch, urämisch, De- und Hyperhydration, zentrale pontine Myelinolyse 5 Infektiös: Fieber, Sepsis 5 Endokrin: Hypoglykämie, Hyperglykämie mit hyperosmolaren diabetischen Koma oder diabetischer Ketoazidose, Hypothyreose, Hyperthyreose mit thyreotoxischer Krise, Addison-Krise z z Klinische Symptomatik > Jede Bewusstseinsstörung ist prinzipiell ein lebensbedrohlicher Notfall!

Die schnelle Einleitung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen ist deshalb von großer Bedeutung. ! Cave

Zusätzliche klinische Symptome wie ein Meningismus oder eine Hemiparese sind Hinweise für eine primär zerebrale Genese.

Zur einfacheren Zuordnung erfolgt eine syndromale Einteilung von Bewusstseinsstörungen („Vom Symptom zum Syndrom zur Diagnose“): 5 Bewusstseinsstörung mit fokal-neurologischen Defizit 5 Ätiologie: Schlaganfall, Tumor, entzündlich, traumatisch, epileptisch 5 Bewusstseinsstörung ohne fokal-neurologisches Defizit 5 Ätiologie: Toxische, metabolische oder endokrine Störung, traumatisch, epileptisch (sog. non-konvulsiver Anfallsstatus: Koma als klinische Anfallsmanifestation), psychogen 5 Bewusstseinsstörung mit Meningismus 5 Ätiologie: Meningitis, SAB, intrakranielle Raumforderung Zur Einschätzung des Bewusstseinsniveaus ist in der Praxis die Glasgow-Koma-Skala (GCS) weit verbreitet. Bei 15 Punkten ist der Patient vollständig wach, 3 Punkte zeigen ein tiefes Koma an (7 Kap. 12, . Tab. 12.1).

13

z z Diagnostik z Anamnese

5 Beginn der Symptomatik: Schleichend oder rapide? 5 Zusätzliche Beschwerden: Kopfschmerzen (SAB?), Unwohlsein, Fieber (Meningitis?), depressiv (Intoxikation in suizidaler Absicht?) 5 Vorerkrankungen: Neurologische (z. B. Epilepsie, Aneurysma, Demenz), psychiatrische (z. B. Depression, Z. n. Suizidversuch), Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Leberzirrhose 5 Vormedikation 5 Drogen- oder Alkohol 5 Trauma (z. B. chronisches Subduralhämatom) z Körperliche Untersuchung Allgemein

5 Hautkolorit? Zyanose? Puls? Temperatur 5 Traumahinweise: Prellmarken 5 Foetor ex ore: Alkohol? Urämisch? Hepatisch? Diabetisch Neurologischer Befund

5 Meningismus: SAB oder Meningitis? (Cave: Nur prüfen, wenn Trauma ausgeschlossen ist, Gefahr bestehender HWS-Verletzung!) 5 Desorientiert, verwirrt, halluzinierend, agitiert: Delir? psychiatrische Erkrankung? Enzephalitis 5 Pupillenstatus: Isokor? Lichtreagibel? Anisokorie mit einseitigen weiten und lichtstarren Pupillen als Hinweis auf zerebrale Herniation (7 Abschn. 13.1.2) 5 Fokal-neurologische Defizite wie Sprachstörungen, Halbseitensymptomatik (einseitige Parese, Sensibilitätsstörung, Muskeltonus schlaff oder erhöht): Primär zerebrale Ursachen wie Schlaganfall, Tumor 5 Augenbewegungsstörungen wie Doppelbilder, „skew deviation“ (= Augenbulbi stehen in unterschiedlicher Höhe) und Nystagmus: Hirnstammprozesse

282

O. Matz

5 Asterixis („flapping tremor“ = bei Extremitätenhalteversuch plötzlicher kurz dauernder Tonusverlust) bei metabolischen Enzephalopathien 5 Hirnstammreflexe: Kornealreflex, okulozephaler Reflex, Würgereflex, Hustenreflex erhältlich 5 Atmung 5 Hypoventilation (z. B. bei Intoxikationen) oder Hyperventilation 5 Cheyne-Stokes-Atmung (= periodisch zu- und abnehmendes Atemzugvolumen) 5 Kussmaul-Atmung (= großes und tiefes Atemzugvolumen) z z Vitalparameter > Bei bewusstseinsgestörten Patienten muss immer eine Blutzuckerkontrolle erfolgen!

Der sog. Cushing-Reflex1 kann Hinweis auf einen erhöhten Hirndruck und somit primär zerebrale Ursache einer Bewusstseinsstörung sein. z z Therapie

13

5 Sicherung der Vitalfunktionen, O2-Gabe, ggf. Intubation und Beatmung 5 Anlage eines periphervenösen Zugangs 5 Traumatische Genese: (HWS)-Immobilisation 5 Hypoglykämie: Glukose i.v. mit 100 mg Thiamin i.v. (Cave: Glukoseapplikation kann Wernicke-Enzephalopathie bei alkoholabhängigen oder mangelernährten Patienten auslösen; daher bei V.a. Wernicke-Enzephalopathie: 100 mg Thiamin i.v. in Notaufnahme) 5 Opiatintoxikation: Naloxon i.v. 5 Benzodiazepinintoxikation: Flumazenil i.v. (Cave: Nur bei sicherer Anamnese und nach Nutzen-Risiko-Abwägung, da Antagonisierung epileptische Anfälle auslösen kann) 1

Cushing-Reflex: Blutdruckanstieg + und ggf. Herzfrequenzabfall bei erhöhtem Hirndruck

13.4  Meningitis/Enzephalitis z z Definition

Entzündung der Hirnhäute (Meningitis) und/oder des Gehirns (Enzephalitis) durch Bakterien, Viren, Parasiten, Pilze oder immunvermittelt z z Allgemeines

5 Prävalenz für virale höher als für bakterielle Meningitiden 5 Bakterielle Meningitiden weiterhin mit hoher Letalität, z. B. bei ca. 15–20 % der Pneumokokkeninfektionen 5 Virale Meningitiden oft mit milden Verlauf, virale (Meningo)enzephalitiden dagegen meist mit schweren Verlauf z z Ätiologie

5 Bakterien: 5 Erregerspektrum altersabhängig: – Neugeborene: B-Streptokokken, gramnegative Enterobakterien – Kindesalter: Pneumokokken, Meningokokken – Erwachsenenalter: Pneumokokken, Meningokokken, Listerien – Nosokomial: Staphylokokken, gramnegative Enterobakterien 5 Viren 5 Meningitiden: Coxsackievirus, Herpes-simplex-Virus (HSV) 2, Varizella-zoster-Virus (VZV), FSME, Mumps 5 Meningoenzephalitiden: HSV, VZV, FSME, Enterovirus 71, CMV 5 Weitere Erreger sind Parasiten (z. B. Toxoplasmose) und Pilze (in Mitteleuropa häufig Candida albicans, Cryptococcus neoformans, Aspergillus fumigatus) Immunvermittelte nicht erregerbedingte Enzephalitiden meist chronisch, manchmal aber mit fulminantem akutem Beginn. z z Pathophysiologie

5 Verschiedene Infektionswege bei bakteriellen Meningitiden: 5 Hämatogen (z. B. Pneumonie)

283 Neurologische Notfälle

5 Per continuitatem (Otitis media, Nasennebenhöhleninfektion, Schädel-HirnTrauma) 5 Iatrogen 5 Prädisponierende Faktoren: 5 Immunsuppression, Z. n. Splenektomie oder Tumorerkrankung 5 Diabetes mellitus 5 Alkoholabhängigkeit 5 Virale Entzündungen gehäuft bei Immundefizienten, meist besteht systemischer Infekt mit hämatogener Ausbreitung in ZNS z z Klinische Symptomatik

5 Leitsymptomatik der akuten Meningitis besteht aus Kopfschmerzen, Fieber und Meningismus (schmerzhafte Nackensteifigkeit beim Beugen des Kopfs nach vorne) 5 Fehlen eines der Symptome schließt Meningitis nicht aus (komatöse, ältere Patienten und Säuglinge haben häufig keinen Meningismus) 5 Übelkeit, Erbrechen, Lichtscheu 5 Klinische Zeichen der Enzephalitis sind epileptische Anfälle, Vigilanzstörungen, Verwirrtheit, fokal-neurologische Ausfälle 5 Cave: Petechien (stecknadelkopfgroße Blutungen in die Haut) wichtiger Hinweis auf eine Meningokokkenmeningitis! z z Diagnostik z Anamnese

5 Prädisponierende Faktoren? Alkoholabhängigkeit, Diabetes mellitus, Immundefekte, Z. n. Splenektomie 5 Infektionen der oberen Atemwege? Otitis media? Sinusitis? Mastoiditis z Körperliche Untersuchung

5 Inspektion: Petechien an Extremitäten und Körperstamm als Hinweis auf Meningokokkenerkrankung 5 Retroaurikuläre Schwellung als Hinweis auf eine Mastoiditis 5 Meningismus (Nackensteifigkeit)

13

5 Brudzinski-Zeichen: Hüft- und Kniegelenk werden bei Beugung des Kopfs schmerzbedingt zur Entlastung gebeugt 5 Kernig-Zeichen: Bei Beugung der Hüfte in Rückenlage löst Streckung des Kniegelenks starke Schmerzen aus 5 Neurologischer Status: HSV-Enzephalitis häufig mit fokal-neurologischen Defiziten, Verwirrtheit z Vitalparameter

5 Blutdruck, HF, O2-Sättigung: Septischer Schock? z z Therapie/allgemeine Maßnahmen

5 Stabilisierung der Vitalparameter 5 Ggf. Volumensubstitution bei Sepsis 5 Hygienische Maßnahmen: Jede Meningokokkeninfektion geht mit hoher Ansteckungsgefahr einher 5 Isolation für 24 h nach Beginn einer wirksamen Antibiotikatherapie bei jedem Verdacht auf bakterielle Meningitis bis eine Meningokokkeninfektion ausgeschlossen ist 5 Adäquate Infektionsprävention (Schutzkittel, Atemschutzmaske, Handschuhe, hygienische Händedesinfektion) 5 Bei Verdacht auf Meningokokkeninfektion: Meldung an das Gesundheitsamt 5 Empfehlung Chemoprophylaxe für enge Kontaktpersonen (indiziert bis max. 10 Tagen nach dem letzten Kontakt mit Erkrankten) z Dosierung

Mögliche Chemoprophylaxe (Postexpositionsprohylaxe): 5 1 × 500 mg Ciprofloxacin p.o. bei Erwachsenen (KI: Schwangere und stillende Frauen,  Da es bei schweren Manien schnell zu

einer Eigen- und Fremdgefährdung kommt, ist eine sofortige notfallmäßige Intervention nötig. Diese muss in Einzelfällen auch gegen den Willen des Patienten durchgeführt werden.

z Maßnahmen und Therapie

Wegen der häufig hohen Dynamik des manischen Syndroms sind differenzierte diagnostische Maßnahmen in der Akutsituation kaum möglich, sodass vorrangig versucht werden sollte, durch geduldige verbale Intervention eine Eskalation der Situation zu verhindern und die Motivation des Patienten für eine freiwillige Diagnostik und Therapie zu fördern.

295 Psychiatrische Notfälle

Pharmakologisch können in Abhängigkeit von der Schwere der Symptomatik Antipsychotika, Benzodiazepine oder eine Kombinationsbehandlung eingesetzt werden. 14.3.3  Angst- und Panikstörung

Angstsyndrome stellen die häufigsten psychischen Störungen dar. Die Lebenszeitprävalenz beträgt ca. 15–25 %. Frauen sind etwa 2- bis 3-mal häufiger betroffen als Männer. Da die Symptomatik häufig u. a. mit thorakalen Schmerzen, Atemnot, Schwindel und Herzrasen einhergeht, werden von den besorgten Betroffenen und Angehörigen häufig Notärzte oder Notfallambulanzen in Anspruch genommen. Für den Notarzt präsentieren sich Angststörungen oft auch in Form einer Hyperventilation. Vordringlichste Aufgabe eines notärztlichen Einsatzes ist der Ausschluss einer somatischen Ursache, da sich hinter einer „psychogen“ anmutenden Angstsymptomatik eine schwerwiegende körperliche Erkrankung verbergen kann. Symptome von Angststörungen 5 Vegetative Symptome – Hypertonie – Tachykardie – Palpitationen – Schweißausbrüche – Tremor – Mundtrockenheit 5 Thorakale/abdominelle Symptome – Atembeschwerden – Beklemmungsgefühl – Thoraxschmerzen – Nausea oder abdominelle Missempfindungen 5 Psychische Symptome – Unsicherheit, Schwäche, Benommenheit – Derealisationserleben

14

– Depersonalisationserleben – Angst vor Kontrollverlust – Angst zu sterben 5 Symptome der Anspannung – Muskelverspannung – Ruhelosigkeit – Nervosität 5 Unspezifische Symptome – Konzentrationsstörungen – Reizbarkeit – Einschlafstörungen – Schreckhaftigkeit

Zur Gruppe der Angsterkrankungen (Übersicht) zählen u. a. 5 Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie 5 Generalisierte Angststörung 5 (Soziale) Phobie z Kriterien der Panikattacken

5 Plötzlicher Beginn 5 Ohne spezifische Auslöser 5 Intensitätsmaximum innerhalb weniger Minuten 5 Dauer ca. 10–25 min 5 Vielfältige vegetative Symptome 5 Gelegentlich Übergang der psychomotorischen Unruhe in einen Erregungszustand

Kriterien der Agoraphobie nach ICD-10 Die Angst muss in mindestens 2 der folgenden umschriebenen Situationen auftreten: 5 In Menschenmengen 5 Auf öffentlichen Plätzen 5 Bei Reisen in weiter Entfernung von zu Hause 5 Bei Reisen allein Eine Vermeidung der phobischen Situation ist ein entscheidendes Symptom.

296

T. Messer und F.-G. Pajonk

Kriterien der generalisierten Angststörung 5 Situationsunabhängiges Auftreten 5 Über Wochen bis Monate anhaltende Angst 5 Zusätzlich Anspannung, Besorgnis und Befürchtungen 5 Auslöser sind häufig alltägliche Ereignisse und Probleme

Kriterien der Phobie 5 Begrenzung der Angst auf die Anwesenheit eines bestimmten phobischen Objekts oder einer spezifischen Situation 5 Meist Vermeidung der phobischen Situation 5 Zusätzlich Anspannung, Besorgnis und Befürchtungen 5 Keine Änderung der Intensität der Furcht vor dem phobischen Objekt

14.3.4  Depression

14

Die Depression stellt nach den Angsterkrankungen die häufigste psychiatrische Erkrankung dar. Sie tritt klinisch mit einer Vielzahl unterschiedlich ausgeprägter Symptome (7 Übersicht) in Erscheinung und ist mitunter nur schwer von einer längeren Trauerreaktion oder alltäglichen Verstimmungen abzugrenzen. Daher ist die Orientierung an den Kriterien des ICD-10 hilfreich. Symptome der Depression 5 Hauptsymptome einer leichten, mittelgradigen oder schweren depressiven Episode: – Gedrückte Stimmung – Interessenverlust und Freudlosigkeit

– Antriebsminderung, erhöhte Ermüdbarkeit und Aktivitätseinschränkung 5 Zusatzsymptome: – Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit – Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen – Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit – Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven – Suizidgedanken, -pläne, erfolgte Selbstverletzung oder Suizidhandlungen (7 Abschn. 14.2.3) – Schlafstörungen – Verminderter Appetit

Häufig wird ein Notarzteinsatz erforderlich, wenn das depressive Syndrom zusätzlich von somatischen Beschwerden begleitet ist ­(7 Übersicht). Typische Merkmale des somatischen Syndroms 5 Interessenverlust oder Verlust der Freude an normalerweise angenehmen Aktivitäten 5 Mangelnde Fähigkeit, auf eine freundliche Umgebung oder freudige Ereignisse emotional zu reagieren 5 Frühmorgendliches Erwachen; zwei oder mehr Stunden vor der gewohnten Zeit 5 Morgentief 5 Objektiver Befund einer psychomotorischen Hemmung oder Agitiertheit 5 Deutlicher Appetitverlust 5 Gewichtsverlust, häufig mehr als 5 % des Körpergewichts im vergangenen Monat 5 Deutlicher Libidoverlust

297 Psychiatrische Notfälle

z Maßnahmen und Therapie

Primäres Ziel einer ärztlichen Notfallbehandlung von Depressionen ist eine rasche Stabilisierung von Angst und innerer Anspannung sowie eine Entaktualisierung von Suizidalität. Sollte der Patient einen Transport oder eine stationäre Behandlung ablehnen, muss er, nach Möglichkeit in Anwesenheit von Angehörigen, über die Dringlichkeit eines baldigen Besuchs beim Hausarzt oder Psychiater aufgeklärt werden. Vor allem bei akuter Suizidalität ist immer eine stationär-psychiatrische Behandlung erforderlich, notfalls auch gegen den Willen des Patienten. 14.3.5  Stupor und Katatonie

Katatone und stuporöse Syndrome sind nosologisch völlig unspezifisch, da sie sowohl bei organischen und funktionellen Psychosen als auch bei internistischen und neurologischen Erkrankungen auftreten können. Da kataton-stuporöse Syndrome auch lebensbedrohliche Zustände sein können, ist primär eine klare differenzialdiagnostische Beurteilung des klinischen Bildes erforderlich. In vielen Fällen sind die Patienten nicht kommunikationsfähig und weisen ausgeprägte Verhaltensstörungen auf. Daher sollten so bald als möglich eine körperliche und neurologische Untersuchung einschließlich einer Laboruntersuchung erfolgen und auch fremdanamnestische Angaben herangezogen werden. z Symptome

Beim stuporösen Patienten liegt meist keine Bewusstseins-, sondern eine Kommunikationsstörung vor. Dabei erfolgt keine Reaktion auf Versuche der Kontaktaufnahme, der Gesichtsausdruck ist starr, Spontanbewegungen fehlen und der Patient wirkt abwesend. Es handelt sich um einen Zustand fehlender körperlicher Aktivität, der sich in folgendermaßen äußert: 5 Mimische Ausdruckslosigkeit 5 Aspontanität

14

5 Fehlende Reaktion auf Außenreize, ­einschließlich Schmerzreize 5 Extreme Antwortlatenzen bis hin zum Mutismus Zu beachten ist, dass stuporöse Patienten zwar nicht reagieren, deren Wahrnehmung aber ungestört ist. Das katatone Syndrom kann sowohl durch Hyper- als auch Hypophänomene gekennzeichnet sein, gelegentlich lässt sich aber auch ein rascher Wechsel („Raptus“) zwischen Negativismus und extremer psychomotorischer Erregung beobachten. Darüber hinaus kann auch eine akute Verwirrtheit den Beginn einer Katatonie ankündigen. Dominantes motorisches Symptom der Katatonie ist das Haltungsverharren, welches dem Patienten unbewusst bleibt und bei dem die Extremitäten Stunden bis Tage in bizarren Positionen verbleiben können. Verhaltensauffälligkeiten spiegeln sich u. a. in negativistischem Verhalten oder in Form von Handlungsstereotypien, Perseverationen oder Echolalie/ Echopraxie wider. z Maßnahmen und Therapie

Ein akuter Erregungszustand im Rahmen einer Katatonie erfordert prinzipiell eine notfallmäßige syndromorientierte Initialtherapie. Dosierung

Initialtherapie vorzugsweise mit Benzodiazepinen (z. B. Lorazepam 2–5 mg)

Zur Behandlung des stuporösen oder katatonen Patienten ist eine umfassende psychiatrische und organische Untersuchung indiziert. Hierzu zählen die internistisch-neurologische Untersuchung, Labordiagnostik und eine (Fremd)anamnese, sodass in der Regel eine stationäre Aufnahme erfolgen sollte.

298

T. Messer und F.-G. Pajonk

14.3.6  Belastungsreaktionen und

Anpassungsstörungen

14

Bei einer Krise handelt es sich um eine Situation, in der ein Individuum eine Lebensveränderung nicht adäquat verarbeiten kann und sich deshalb einer für ihn zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu bewältigenden Lebenseinengung ausgesetzt sieht. Aufgrund der nicht zur Verfügung stehenden Bewältigungsstrategien kommt es zu einer pathologischen Entwicklung im Sinne einer akuten depressiven oder auch suizidalen Reaktion oder eines Erregungszustands. Obwohl auch weniger schwere psychosoziale Belastungen bzw. Lebensereignisse (sog. „life-events“) eine soziale Krise auslösen und beeinflussen können, ist ihre ätiologische Bedeutung nicht immer eindeutig. Sie hängt in jedem Fall mit der individuellen Vulnerabilität der Patienten zusammen, d. h., die Auslösefaktoren sind weder nötig noch ausreichend, um das Auftreten, das Ausmaß oder die Art der Erkrankung zu erklären. Als mögliche Auslöser kommen in Betracht: 5 Partnerschaftsprobleme oder Partnerschaftsverlust 5 Verlust anderer wichtiger Bezugspersonen oder auch eines Haustieres 5 Berufliche Probleme 5 Finanzielle Sorgen 5 Schwere Erkrankungen 5 Veränderung der Lebensumstände (besonders bei alten Menschen) 5 Vorliegen einer anderen psychiatrischen Störung (v. a. Depression oder Schizophrenie) z Maßnahmen und Therapie

Die Behandlungsindikation für den Notarzt richtet sich danach, ob Eigen- oder Fremdgefährdung im Rahmen einer psychosozialen Krise nicht auszuschließen ist und/oder eine Komorbidität mit einer weiteren psychiatrischen Erkrankung vorliegt. Des Weiteren ist zu prüfen, ob der Patient in ein stabiles soziales Netz eingebettet ist.

5 In einem ersten Schritt sollte eine nichtmedikamentöse Krisenintervention versucht werden, in der die psychosoziale Situation und das vorhandene Verhaltensrepertoire des Patienten geklärt werden sollten. Dies erfordert ein ausführliches therapeutisches Gespräch in einer ruhigen Umgebung, in dem mit dem Patienten die Schritte der möglichen Selbst- und/oder Fremdhilfe genau zu beleuchten sind 5 Eine medikamentöse Behandlung ist bei depressiven, ängstlichen oder agitierten Zustandsbildern indiziert 5 Bei nicht auszuschließender Eigen- oder Fremdgefährdung muss eine stationäre Einweisung erfolgen 14.4  Rechtliche Aspekte

Selbstverständlich gelten die Regeln der ärztlichen Schweigepflicht auch in psychiatrischen Notfall- und Krisensituationen. > Therapeutische Maßnahmen sind

immer nur dann gerechtfertigt, wenn die Einwilligung des Betroffenen nach ordnungsgemäßer Aufklärung vorliegt.

14.4.1  Einwilligungsfähigkeit

5 Zur rechtsgültigen Einwilligung ist die Einwilligungsfähigkeit erforderlich. 5 Dies ist nur dann gegeben, 5 wenn der Patient seine gegenwärtige Situation und die sich aus ihr ergebenden Folgen einschätzen kann und 5 wenn er die für die Behandlung relevanten Informationen versteht, sie rational verarbeiten und seine Wahl verständlich mitteilen kann. 5 Diese Voraussetzungen sind im psychiatrischen Notfall oft nicht oder nicht ausreichend gegeben. Therapeutische Maßnahmen sind dann nur unter besonderen rechtlichen Voraussetzungen möglich.

299 Psychiatrische Notfälle

5 Neben den schutzwürdigen Interessen des jeweils betroffenen Patienten sind in einem psychiatrischen Notfall häufig noch die berechtigten Interessen Dritter bzw. der Allgemeinheit zu berücksichtigen. 14.4.2  Mutmaßliche Einwilligung

oder rechtfertigender Notstand

Unaufschiebbare ärztliche Handlungen, die nicht zuvor durch einen Richter oder eine dazu berechtigte Behörde genehmigt werden können, sind evtl. aus dem Gesichtspunkt der mutmaßlichen Einwilligung oder des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) heraus möglich und straffrei. Der Arzt kann dann von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgehen, wenn er annehmen kann, dass ein verständiger Kranker in dieser Lage bei angemessener Aufklärung eingewilligt hätte. Hier ist es ebenso wie bei der Annahme eines rechtfertigenden Notstands dringend notwendig, eine sorgfältige Abwägung der möglicherweise widerstreitenden Interessen bzw. Rechtsgüter vorzunehmen. Eine möglichst sorgfältige Dokumentation des Vorgehens ist in jedem Fall erforderlich. 14.4.3  Unterbringung

5 Die Einweisung in eine geschlossene Station einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie kann zur Sicherheit des Patienten oder seiner Umgebung erforderlich sein 5 Nach den Bestimmungen der Unterbringungsgesetze der Länder (PsychKG oder LUG) kann eine Unterbringung auch ohne die Zustimmung des Patienten erfolgen 5 Wesentliche Voraussetzungen für eine Unterbringung ist die unmittelbare

14

Selbst- oder Fremdgefährdung durch eine psychische Erkrankung 5 Der Antrag auf Unterbringung kann durch jeden approbierten Arzt gestellt werden 5 Die Anordnung der Unterbringung kann im Notfall durch die Ordnungsbehörde erfolgen, eine richterliche Entscheidung muss in der Regel bis zum Ablauf des nächsten Tages stattfinden (unterschiedliche Regelungen in den jeweiligen Ländergesetzen) Wenn möglich ist zu erfragen, ob für den Patienten eine gesetzliche Betreuung besteht. In diesem Fall muss zumindest veranlasst werden, dass der gesetzliche Betreuer über die Unterbringung informiert wird. 14.4.4  Dokumentation

Gerade in Notfallsituationen ist die Pflicht zur Dokumentation der äußeren Umstände der erhobenen Befunde und der durchgeführten bzw. eingeleiteten Therapiemaßnahmen genau zu beachten. Die nachvollziehbare Dokumentation zumindest folgender Sachverhalte wird empfohlen: 5 Äußere Situation des Notfalls (Art der Benachrichtigung, vorgefundene Situation etc.) 5 Ausführlicher psychopathologischer Befund 5 Ausführlicher somatischer Befund 5 Angaben zu bisherigen psychischen Erkrankungen 5 Angaben aus der Fremdanamnese 5 Angaben zu rechtlichen Schritten (Freiheitsbeschränkungen, Fixierung, Informationen an Patienten, Ordnungsamt, Polizei etc. mit Uhrzeit) 5 Namen und Telefonnummern von Bezugspersonen

300

T. Messer und F.-G. Pajonk

Literatur

14

Bronisch T (2002) Suizidalität. In: Möller H-J, Laux G, Kapfhammer HP (Hrsg) Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, Berlin Brunnhuber S (2005) Psychiatrische Notfälle. In: Brunnhuber S, Frauenknecht S, Lieb K (Hrsg) Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie. Elsevier, München D’Amelio R, Archonti C, Falkai P, Pajonk FG (2006) Psychologische Konzepte und Möglichkeiten der Krisenintervention in der Notfallmedizin. Notf Rettungsmed 9:194–204 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (2018) S3-Leitlinie „Verhinderung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen“. 7  https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/038-022l_S3_Verhinderung-von-Zwang-Praevention-Therapie-aggressiven-Verhaltens_2018-11.pdf. Zugegriffen: 11. März 2019 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (2019) S2k-Leilinie „Notfallpsychiatrie“. 7  https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/038-023l_S2k_Notfallpsychiatrie_2019-05_1. pdf. Zugegriffen: 07. Juni 2019 Kapfhammer HP (2009) Der suizidale Patient – Suizidalität in der modernen Gesellschaft. In: Madler C, Jauch KW, Werdan K, Siegrist J, Pajonk FG (Hrsg) Akutmedizin – Die ersten 24 Stunden. Das NAW-Buch. Urban & Fischer, München Kardels B, Beine KH (2003) Teilnahme von Psychiatern am Notarztdienst. Notfallmed 29:526–527 Messer T, Pajonk FG (2016) Psychose und Manie – Wie erkennen und wie im Notfall handeln? Notf Rettungsmed 19:180–184 Messer T, Schmauß M (2006) Katatonie, Malignes Neuroleptisches Syndrom und Stupor. In: Riederer P, Laux G (Hrsg) Neuropsychopharmaka, ein

Therapiebuch. Band 6: Notfalltherapie, Antiepileptika, Psychostimulanzien, Suchttherapeutika und sonstige Psychopharmaka. Springer, Berlin Pajonk FG (2015) Die allgemeine notfall- und akutpsychiatrische Situation in Deutschland. Nervenarzt 86:1081–1090 Pajonk FG, D’Amelio R (2009) Suizidalität und Suizid in der Rettungsmedizin. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 44:720–727 Pajonk FG, D’Amelio R (2016) Agitation und Aggression – Eine Herausforderung in der Notfallmedizin. Notf Rettungsmed 19:163–171 Pajonk FG, Moecke HP (2005) Psychiatrische Notfälle in der Notfallmedizin – Definition, Häufigkeit, Epidemiologie. In: Madler C, Werdan KW, Jauch K, Siegrist J, Pajonk FG (Hrsg) Das Akut-Medizin Buch. Elsevier, München 751–756 Pajonk FG, Poloczek S, Schmitt TK (2000) Der psychiatrische Notfall – Abgrenzung zu Psychotraumatologie und Krise. Notf Rettungsmed 3:363–370 Schmiedel R, Behrendt H (2015) Leistungen des Rettungsdienstes 2012/13. Analyse des Leistungsniveaus im Rettungsdienst für die Jahre 2012 und 2013. In: Bundesanstalt für Straßenwesen (Hrsg) Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Mensch und Sicherheit, Heft M 260. Fachverlag NW & Bergisch Gladbach, Bremen Schmitt TK, Luiz T, Poloczek S, Huber T, Kumpch M, Madler C (2002) Sozialepidemiologie einer neuen Einsatzkategorie – Notfälle mit primär psychischen und sozialen Problemstellungen. Notf Rettungsmed 5:102–109 Sefrin P (2003) Der Notarztdienst als interdisziplinäre Aufgabe. Notfallmed 29:528–529 Wolf A, Müller MJ, Pajonk FG (2013) Psychopharmakotherapie im Notarztdienst. Notf Rettungsmed 16:477–491 Wolfersdorf M (2016) Notfallpsychiatrische Suizidprävention. Notf Rettungsmed 19:172–179

301

Pädiatrische Notfälle S. Wiese

15.1 Anatomische und physiologische Besonderheiten – 302 15.1.1 Gewicht – 302 15.1.2 Anatomische Besonderheiten – 302 15.1.3 Physiologische Besonderheiten – 306 15.1.4 Psychologische Aspekte – 308 15.1.5 Fazit – 308

15.2 Krampfanfall (Fieberkrampf) – 308 15.3 Verlegungen der oberen Atemwege – 310 15.3.1 Krupp – 310 15.3.2 Epiglottitis – 313 15.3.3 Fremdkörperaspiration – 315 15.3.4 Sonderfall: Aspiration oder Ingestion von Knopfbatterien – 318

15.4 Obstruktion der unteren Atemwege – 320 15.4.1 Anaphylaxie – 320 15.4.2 Asthma bronchiale – 320

15.5 Obstruktive Bronchitis und Bronchiolitis – 324 15.6 Plötzlicher Kindstod – „sudden infant death“ (SID) – 326 15.6.1 Umgang mit Eltern und Geschwistern – 328

15.7  Kindesmisshandlung – 329 15.7.1 Praktisches Vorgehen – 330

Weiterführende Literatur – 332

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_15

15

302

S. Wiese

15.1  Anatomische und

physiologische Besonderheiten

Kinder sind eine anspruchsvolle Patientengruppe, die besonders im Notfall das Rettungsdienstpersonal fachlich, aber auch emotional fordert. Im Kindesalter variieren die folgenden Größen in weiten Grenzen: 5 Gewicht 5 Größe 5 Physiognomie 5 Intellektuellen Fähigkeiten 5 Emotionaler Schwingungsfähigkeit

15

Ein Baby ist bei der Geburt ca. 50 cm lang und wiegt ca. 3,5 kg. 14 Jahre oder mehr Jahre später, am Ende der Kindheit, ist der Jugendliche ca. 160 cm groß, wiegt etwa 50 kg und sieht aus wie ein Erwachsener. Ein krankes oder verletztes Kind ist zwischen diesen Extremen angesiedelt und es ist notwendig, die anatomischen, physiologischen und emotionellen Unterschiede zu einem Erwachsenen zu kennen und eine Strategie zu haben, angepasst auf diese Besonderheiten zu reagieren. Einsatztaktisch sollte der Helfer bereits bei der Anfahrt, das Körpergewicht und die gebräuchlichen Dosierungen von Notfallmedikamenten, Tubusgrößen, etc. auf der Grundlage des ggf. im Einsatzstichwort genannten Alters zu berechnen und zu notieren. Auch ein Satz plastifizierter Notfallkarten mit den genannten Größen kann eingesetzt werden. Solche visuellen Hilfsmittel können dann in der Notfallsituation die notwendige Ruhe geben, da eine Berechnung unter dem emotionalen Druck der Einsatzsituation eher fehlerbehaftet sein wird. 15.1.1  Gewicht

Den größten Gewichtszuwachs erfährt ein Kind in seinem 1. Lebensjahr. Von einem durchschnittlichen Geburtsgewicht von 3,5 kg

steigt das Gewicht bis zum Alter von 1 Jahr auf durchschnittlich 10,3  kg. Nach dieser Zeit nimmt das Gewicht bis zum pubertären Wachstumsschub langsamer zu. Weil die meisten Medikamente und Flüssigkeitsersatz in Bezug auf das Körpergewicht dosiert werden, ist es notwendig, das Gewicht des betroffenen Kindes abzuschätzen. Die genaueste Methode ist es, das Kind auf einer Waage zu wiegen. Dies wird in einer Notfallsituation präklinisch jedoch nur selten praktikabel sein, sodass das Körpergewicht häufig geschätzt werden muss. > Wenn das Kind zwischen 1 und

10 Jahren ist, kann das Gewicht mit folgender Formel abgeschätzt werden: Gewicht [in kg] = 2 × (Alter [in Jahren] + 4)

Diese Formel hat den Vorteil, dass man das Gewicht, ggf. schon vor Erreichen des Einsatzorts, abschätzen kann und so angepasste Medikamentendosen ausrechnen und geeignete Ausrüstung vorsehen kann. Ist man am Einsatzort angelangt, wissen auch die Eltern häufig das Körpergewicht ihres Kindes recht genau. In manchen rettungsdienstlichen Organisationen hat man gute Erfahrungen mit einer Farbcodierung der Hilfsmittel nach unterschiedlichen Gewichtsklassen gemacht, insbesondere im angloamerikanischen Sprachraum (z. B. Broselow-Tape). Noch genauere Ergebnisse erzielt das südafrikanische PAWPER-System. Auf jeden Fall sollte der Helfer mit der jeweiligen Methode zur Abschätzung des Gewichts vertraut sein. . Tab. 15.1 gibt pädiatrische Berechnungen und Dosierungen von ausgewählten Notfallmedikamenten wieder. 15.1.2  Anatomische

Besonderheiten

15.1.2.1  Atemwege

Die Atemwege des Kindes weisen gegenüber dem Erwachsenen einige Besonderheiten auf. Die Anatomie des Luftwegs ändert sich im

303 Pädiatrische Notfälle

15

. Tab. 15.1  Gewichts- und Blutdruckabschätzung (1.–10. Lebensjahr) sowie Dosierungen ausgewählter Notfallmedikamente Physiologische Daten Gewicht des Kindes [kg]

2 × (Alter in Jahren + 4)

Normaler systolischer Blutdruck [mmHg]

(Alter in Jahren × 2) + 80

Abschätzung des Blutvolumens

75 ml/kgKG (1–10 Jahre) 70 ml/kgKG (>10 Jahre)

Atemwegsicherung Tubusinnendurchmesser (ID) [mm]

(Alter in Jahren × ¼) + 4

Tubusmarkierung an den Lippen [cm]

(Alter in Jahren × ½) + 12 oder 3 × Tubus ID

Tubusmarkierung an der Nase [cm]

(Alter in Jahren × ½) + 15

LMA #1 (cuff volume 4 ml)

Niedrigschwellig einen intraossässen

Zugang anlegen, wenn der venöser Zugang im Notfall schwierig zu etablieren ist.

15.1.2.5  Körperoberfläche

Das Verhältnis von Körperoberfläche zu Körpergewicht nimmt mit zunehmendem Alter ab. Deshalb kühlen Kleinkinder auch schnell aus und sind im Notfall stark durch eine Hypothermie gefährdet. 15.1.3  Physiologische

Besonderheiten

15.1.3.1  Atmung

5 Kinder haben einen vergleichsweise hohen Stoffwechselumsatz und folglich eine hohe O2-Aufnahme. Deshalb beobachtet man eine höhere Atemfrequenz, während das Tidalvolumen im Laufe der Entwicklung relativ konstant bleibt (5–7 ml/kgKG, . Tab. 15.2). 5 Auch die Atemarbeit bleibt relativ konstant und beträgt ca. 1 % des Gesamtumsatzes, lediglich beim Frühgeborenen ist sie höher 5 Beim Erwachsenen tragen Thoraxwand und Lunge gleichermaßen zur Lungencompliance bei. Beim Neugeborenen hingegen ist der Atemwiderstand durch die Lunge begründet und hängt in großem Maße von der Anwesenheit des Surfactant ab 5 Die Compliance nimmt in den ersten Lebenswochen zu, da Flüssigkeit aus der Lunge eliminiert wird

. Tab. 15.2  Atemfrequenz in Ruhe nach Lebensalter Alter [Jahre]

Atemfrequenz [Atemzüge/ min]

12

15–20

307 Pädiatrische Notfälle

15

. Tab. 15.3  Herzfrequenz und systolischer Blutdruck nach Lebensalter Alter [Jahre]

Herzfrequenz [Schläge pro min]

Systolischer arterieller Blutdruck [mmHg]

1

110–160

70–90

1–2

100–150

80–95

2–5

95–140

80–100

5–12

80–120

90–110

>12

60–100

100–120

5 Da die Thoraxwand des Kindes vergleichsweise elastisch ist, wird das Einziehen des Sternums und der Interkostalräume deutlich, wenn der Atemweg verlegt ist oder die Lungencompliance abnimmt. Dadurch wird außerdem der intrathorakale Unterdruck verringert, sodass das endexspiratorische Lungenvolumen des Kindes nur wenig über dem „closing volume“ liegt 5 Bei der Geburt ist die O2-Dissoziationskurve nach links verschoben und P50 (PO2 bei 50 % SpO2) ist deutlich erniedrigt. Dies liegt an dem Gehalt von ca. 70 % HbF, was bis zum Alter von 6 Monaten abnimmt, bis es praktisch nicht mehr vorhanden ist 5 Neugeborene sind stets polyzythämisch im Vergleich zum Erwachsenen mit einem Hämatokrit von ca. 60 % bis zum 3. Lebensmonat 5 Die unreife Lunge ist gegenüber Lungenschäden eher verletzlich. Die prolongierte Beatmung mit einem erhöhten FiO2 eines Frühgeborenen kann zur bronchopulmonalen Dysplasie und damit zu respiratorischen Komplikationen führen 15.1.3.2  Herz-Kreislauf-System

Kleinkinder haben zwar ein geringes Schlagvolumen (ca. 1,5 ml/kgKG bei der Geburt), aber auch das höchste Cardiac Output im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht (300 ml/ min/kgKG). Dieses nimmt im Laufe des Lebens ab und erreicht etwa 100 ml/min/ kgKG zu Beginn der Pubertät und 70–80 ml/ min/kgKG beim Erwachsenen. Gleichzeitig nimmt das Schlagvolumen zu, während das

Herz größer wird. Diese Veränderungen liegen den Herzfrequenzveränderungen ­ während der Kindesentwicklung zugrunde, da das Herzzeitvolumen das Produkt von Schlagvolumen und Herzfrequenz ist (. Tab. 15.3). Da das Schlagvolumen klein und nahezu nicht steigerbar ist, hängt das Herzzeitvolumen nahezu linear von der Herzfrequenz ab. Daher ist die Volumengabe bei Kleinkindern nicht in gleichem Maß wie bei Erwachsenen mit einer Zunahme des Herzzeitvolumens verbunden. Erst ab dem Alter von etwa 2 Jahren nehmen das Schlagvolumen und damit das Herzzeitvolumen unter der Volumentherapie zu. Der systemische Widerstand steigt kurz nach der Geburt und nimmt bis zum Erwachsenenalter weiter zu, was mit einer Zunahme des systolischen arteriellen Blutdrucks einhergeht. 15.1.3.3  Immunfunktion

Bei der Geburt ist das kindliche Immunsystem noch unreif und wird in erster Linie unterstützt durch plazentagängige mütterliche Antikörper. Die Antikörper werden aber innerhalb der ersten 6 Monate zunehmend weniger. Dadurch sind Säuglinge und Kleinkinder anfälliger als ältere Kinder für Bronchiolitis, Septikämie, Meningitis und Harnwegsinfektionen, bis eigene Antikörper einen ausreichenden Schutz vermitteln. Das Stillen des Säuglings vermittelt einen gewissen Schutz vor Atemwegs- und gastrointestinalen Infektionen.

308

S. Wiese

15.1.4  Psychologische Aspekte

Kinder sind sehr unterschiedlich hinsichtlich ihrer intellektuellen Auffassungsgabe und emotionalen Schwingungsfähigkeit. Kenntnisse der Kindesentwicklung sind hilfreich, um Kinderverhalten zu würdigen und einzuschätzen. Eine besondere Herausforderung liegt in der Kommunikation mit verängstigten Kindern in Notfallsituationen. 15.1.4.1  Kommunikation

Säuglinge und Kleinkinder haben noch keine oder nur geringe sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten. Das erschwert die Anamnese z. B. hinsichtlich einer Schmerzlokalisation oder eines Unfallhergangs. Selbst Kinder, die sonst in der Lage sind, sich zu äußern, können angesichts einer als bedrohlich empfundenen Situation schweigen. Dann müssen notwendige Informationen aus nonverbalen Hinweisen wie Körperhaltung, Grimassieren oder Schmerzlauten geschlossen werden. Ältere Kinder verstehen zumeist die Bedeutung ihrer Krankheit oder ihres Notfalls und der notwendigen Behandlung und können so kindgerecht unterstützt werden. 15.1.4.2  Furcht

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Nahezu alle Notfälle, aber auch Situationen, die für einen Erwachsenen gar nicht als Notfall imponieren, können Furcht in Kindern hervorrufen. Das bedeutet einen zusätzlichen Stress für die betroffenen Kinder und führt auch zu erheblicher Beunruhigung der Eltern. Da auch Vitalparameter wie Herz- und Atemfrequenz durch emotionale Ausnahmesituationen verändert sind, kann die klinische Bewertung erschwert sein. Da Wissen einer irrationalen Furcht entgegensteht, sollte dem Kind so klar wie möglich erklärt werden, was mit ihm vorgeht und welche Maßnahmen es zu erwarten hat. Wenngleich dies kindgerecht erfolgen kann und durch spielerische Elemente unterstützt werden kann (z. B. kann auch der Teddy einen Verband erhalten), sollte dies immer wahrhaft und für das Kind nachvollziehbar

bleiben, damit der kranke Patient nicht das Vertrauen verliert und unkooperativ wird. Außerdem erzeugt dies eine gewisse Normalität innerhalb einer stressbeladenen Situation. Eltern sollte der Zugang zum Kind bei der Behandlung vor Ort oder im Rettungswagen stets erlaubt sein. Ihre Abwesenheit führt unweigerlich zur Verunsicherung sowohl des Kindes als auch der Eltern selber (Ausnahme: 7 Abschn. 15.7). 15.1.5  Fazit

Anatomische Besonderheiten im Kindesalter 5 Absolute Größe und relative Körperproportionen verändern sich mit zunehmendem Alter 5 Die Interpretation von Vitalparametern und anderen Beobachtungen an Kindern muss deren Alter einbeziehen 5 Die Therapiemaßnahmen bei Kindern sind abhängig von Alter und Entwicklungsstatus 5 Eine kindgerechte Kommunikation muss die spezifischen psychologischen Bedürfnisse von Kindern berücksichtigen

Im Folgenden wird auf spezifische Aspekte ausgewählter pädiatrischer Notfälle eingegangen. Vorgehen bei der Reanimation von Kindern: 7 Abschn. 6.3. 15.2  Krampfanfall (Fieberkrampf) z z Definition

Fieberkrämpfe sind epileptische Gelegenheitsanfälle, die im Säuglings- und Kleinkindesalter in Verbindung mit Fieber (ab 38,5 °C) auftreten, ohne dass ein Hinweis auf eine intrakranielle Infektion oder eine andere definierte zerebrale Ursache vorliegt. Fieberkrämpfe sind von Epilepsien abzugrenzen.

309 Pädiatrische Notfälle

Diese sind durch das wiederholte Auftreten afebriler Krampfanfälle gekennzeichnet. Fieberkrämpfe treten in der Regel im Alter zwischen 6 Monaten und 5 Jahren auf. Eine familiäre Belastung mit Fieberkrämpfen liegt bei bis zu 40 % der Kinder vor. > Wichtig

Unterscheide: 5 „Einfache“ oder „unkomplizierte“ Fieberkrämpfe: 5 Kurzandauernd 5 Generalisiert 5 Isoliert während einer Fieberperiode 5 „Komplexe“ oder „komplizierte“ Fieberkrämpfe: 5 Länger als 15 min anhaltend 5 Fokal 5 Wiederholt während einer Fieberperiode

Das Risiko eines Kindes, durch einen Fieberkrampf zu versterben oder bleibende neurologische und mentale Folgeschäden zu erleiden, ist sehr gering. Bei einem stundenlangen Status epilepticus muss dagegen mit Schäden gerechnet werden. z z Diagnostik

Die Diagnostik umfasst eine gezielte Anamnese: 5 Familiäre Anfallsbelastung 5 Anfallssymptomatik 5 Psychomotorischer Entwicklung 5 Vorerkrankungen 5 Fieberursache 5 Eingehende Untersuchung Nicht immer müssen die kleinen Patienten zur weiteren Diagnostik ins Krankenhaus gebracht werden. Eine Einweisung hängt davon ab, wie alt das Kind ist und welche Ursachen für den Krampfanfall infrage kommen. Die möglichen und meist schwerwiegenden Differenzialdiagnosen (sog. komplizierte Fieberkrämpfe) umfassen: 5 Infektion des ZNS

15

5 Epilepsie 5 Stoffwechselstörungen 5 Tumoren Deshalb sollte man eher großzügig mit der Einweisung umgehen. Bei sehr besorgten Eltern ist sie eher grundsätzlich anzuraten. Dringend notwendig ist die Klinikeinweisung in folgenden Fällen: 5 Bei Kindern Die besorgten Eltern sollten auf

die meist günstige Prognose eines Fieberkrampfs hingewiesen werden.

Wenn der epileptische Anfall nicht spontan oder mit den oben angegebenen Maßnahmen vorüber geht und sich ein Status epilepticus entwickelt, so empfiehlt sich ein algorithmisches Vorgehen (. Abb. 15.1). 15.3  Verlegungen der oberen

Atemwege

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Im Folgenden werden pädiatrische Notfallsituationen beschrieben, in denen Atemnotsymptome im Vordergrund stehen. > In allen Fällen von Atemnotsyndromen

gilt es, präklinisch eine (noch) vorhandene ausreichende Spontanatmung zu erhalten. Deshalb muss unbedingt eine Verängstigung oder andersartige Traumatisierung des Kindes vermieden werden. Wenn ein Kind weint oder verängstigt oder sogar in Panik ist, kann ein schon kompromittierter Luftweg wohlmöglich vollständig verlegt werden. Eltern sollten

deshalb, wenn irgend möglich, sinnvoll in die Behandlung eingebunden werden.

5 Die meisten Verlegungen der oberen Luftwege im Kindesalter entstehen auf dem Boden einer Infektion 5 Aber auch die Inhalation eines Fremdkörpers oder heißer Gase (Zimmerbrände), angioneurotische Ödeme und Trauma können eine Obstruktion der oberen Luftwege mit sich bringen 15.3.1  Krupp z z Definition

5 Der Begriff „Krupp“ wurde ursprünglich ausschließlich zur Beschreibung der membranösen Laryngotracheitis bei Diphtherie verwendet 5 Alle anderen Formen „kruppösen“ Hustens, wie bei der viralen subglottischen Laryngitis, wurden unter dem Begriff„Pseudokrupp“ subsumiert 5 Mit dem nahezu vollständigen Verschwinden der Diphtherie in den westlichen Industrienationen werden nunmehr akute Erkrankungen mit den folgenden klinisch definierten Symptomen unter dem Begriff „Krupp“ bzw. „Krupp-Syndrom“ zusammengefasst: 5 Bellender Husten 5 Heiserkeit 5 Inspiratorischer Stridor mit je nach Schwere der Luftwegsobstruktion auftretenden jugulären, inter- und subkostalen Einziehungen 5 Pathophysiologisches Substrat ist eine entzündliche Schwellung der Luftwegsschleimhaut, die von den Stimmbändern unterschiedlich weit in die Trachea reicht 5 Das Punctum maximum der Luftwegsobstruktion liegt im Bereich des Ringknorpels 5 Neben dem kaum mehr vorkommenden diphtherischen Krupp werden dem Begriff Krupp-Syndrom im Wesentlichen 3 Erkrankungen zugeordnet:

311 Pädiatrische Notfälle

15

. Abb. 15.1  Algorithmus für das klinische Management eines kindlichen epileptischen Anfalls

5 Viraler Krupp (akute subglottische Laryngitis, akute virale Laryngotracheitis) 5 Rezidivierender Krupp (spasmodischer Krupp) 5 Maligne Laryngotracheobronchitis (bakterielle Tracheitis, pseudomembranöse Laryngotracheobronchitis)

z Viraler Krupp

5 Diese mit 95 % häufigste Krupp-Form tritt bevorzugt zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 5. Lebensjahr mit einem Altersgipfel bei 18 Monaten vermehrt bei Jungen auf 5 Ursache ist eine Virusinfektion, wobei in etwa 70 % der Fälle Parainfluenzaviren Typ 1–3 nachweisbar sind; RS-Viren finden

312

S. Wiese

sich in etwa 10 %, seltener auch Rhino-, Influenza-, Masern- bzw. Adenoviren

5 Die Erkrankung geht anfangs meist mit Allgemeinsymptomen eines respiratorischen Infekts wie Fieber, Rhinopharyngitis und Abgeschlagenheit einher 5 Die klassischen Symptome des viralen Krupps beginnen typischerweise plötzlich in den Nachtstunden. Im Vordergrund stehen die o. g. typischen Manifestationen des Syndroms 5 Häufig bessern sich die Symptome über Tag, um in der folgenden Nacht wieder neu aufzutreten 5 Die gesamte Erkrankung dauert zwischen 3 und 7 Tagen 5 Etwa 10–15 % aller Kinder erkranken einmal in ihrem Leben an einem viralen Krupp z Spasmodischer Krupp

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5 Diese seltener beobachtete Krupp-Form ist charakterisiert durch ein rezidivierendes Auftreten (von 3 bis zu 50 Attacken), fehlende Zeichen eines Virusinfekts, besonders nächtliches Auftreten und kurze Dauer der Luftwegsobstruktion (von etwa 1 bis zu 6 h) 5 Diese Form der Erkrankung ist assoziiert mit einem hyperreagiblen Luftwegssystem, einer Allergiedisposition sowie Übergängen in ein Asthma bronchiale 5 Aus diesen Gründen wurde diese KruppForm auch gelegentlich als Kehlkopfasthma bezeichnet z Maligne Laryngotracheobronchitis

5 Die maligne Laryngotracheobronchitis entsteht durch Bakterien 5 Sie ist charakterisiert durch eine massive entzündliche Schleimhautschwellung mit mukopurulentem Exsudat, das pseudomembranöse Beläge an der Trachealschleimhaut bilden kann 5 Häufigste Erreger sind Staphylococcus aureus, Hämophilus influenzae, aber auch seltener Pneumokokken und Streptokokken

5 Die Erkrankung kann in etwa 5–10 % der Fälle einen letalen Verlauf nehmen z z Therapie

5 Das Therapieprinzip besteht in einer akuten Abschwellung der entzündlich geschwollenen Schleimhäute der oberen Luftwege 5 Bereits die Rettungsleitstelle kann telefonisch das Einatmen von Kaltluft im Freien empfehlen 5 Bei Eintreffen am Notfallort sollte umgehend eine Einschätzung des Schweregrads der Atemnot erfolgen 5 Krupp-Patienten haben häufig eine Hypoxämie, die durch eine alveoläre Minderbelüftung und einem reduzierten Ventilations-Perfusions-Verhältnis entsteht > Bei schwerer Atemnot muss dem Kind

unmittelbar O2 verabreicht werden.

5 Während die Atemfrequenz und das Ausmaß der sternalen Einziehung Aufschluss über den Grad der Obstruktion gibt, erlaubt die Überwachung des SpO2 eine Einschätzung des Schweregrads der ­Atemnot 5 Deshalb sollte, wenn dies möglich ist, ohne den Patienten zu gefährden, vor Therapiebeginn SpO2 ohne O2 dokumentiert ­werden, um den Erfolg der Therapie bewerten zu können Adrenalin  Adrenalin (3–5  mg) mit 7–5  ml NaCl  0,9  % verdünnt, vernebelt über die Inhalationsmaske, erzeugt zuverlässig eine Besserung der klinischen Symptome der Atemnot für 30–60 min. Allerdings wird der Langzeitverlauf der Erkrankung nicht beeinflusst. Da eine ausgeprägte Tachykardie durch die Inhalation von Adrenalin hervorgerufen werden kann, muss das Kind mit EKG und SpO2-Monitoring überwacht werden. Andere Nebenwirkungen der Inhalation sind selten. Die Adrenalingabe sollte möglichst auf die Behandlung von schweren klinischen Symptomen beschränkt bleiben, um Zeit z. B. bis zum Eintritt der Wirkung von Steroiden zu gewinnen.

313 Pädiatrische Notfälle

Steroide  Steroide verbessern die klinischen Symptome des Kruppanfalls innerhalb von 30–60 min. Seit der Einführung einer Routineapplikation von Steroiden in der Krupptherapie konnte die Anzahl von Verlegungen auf die Intensivstation sowie von Intubationen signifikant reduziert werden. Dosierung

5 Am häufigsten wird Dexamethason für die systemische Behandlung verwendet. Praktische Empfehlungen gehen daher von einer Einzeldosis von 0,15–0,2 mg/ kgKG Dexamethason p.o. aus 5 Alternativ werden Prednison/ Prednisolon 100 mg rektal gegeben (alle Alterstufen) 5 Eine i.v.-Gabe ist auch möglich. Hierbei sollte aber dringend eine Traumatisierung des Kindes durch die Anlage des Zugangs verhindert werden, um die Atemnotsymptome nicht zu verschlimmern

Im deutschsprachigen Raum hat sich in den letzten Jahren die Verwendung von steroidhaltigen Suppositorien (z. B. Rectodelt Supp) weit verbreitet. Adjuvante Maßnahmen  Als weitere adjuvante Maßnahmen wird in manchen populären Behandlungskonzepten wie Luftbefeuchtung oder die Applikation von kalter Luft bzw. der Vorschlag, mit dem Kind ins Badezimmer zu gehen und durch Aufdrehen von Wasserhähnen einen dichten Dampf zu erzeugen, empfohlen. Sedierung > Eine routinemäßige Sedierung von Kindern mit akutem Krupp ist nicht indiziert.

Durch eine Sedierung kann eine Hypoventilation auftreten, sodass die inspi­ ratorische Strömung vermindert und die

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Stenosesymptomatik scheinbar abgeschwächt wird. Der Schweregrad der Erkrankung wird aber so verschleiert. Unter Umständen wird somit der Einsatz wirksamer Behandlungen verzögert. Eine Sedierung bei akutem Krupp sollte deshalb die Ausnahme bleiben. Intubation  Weniger als 5  % der im Krankenhaus aufgenommenen Kinder mit Krupp müssen intubiert werden. Respiratorische Erschöpfung, zunehmender Tachypnoe und Brustwandeinziehung machen jedoch eine Intubation wahrscheinlich. Eine Notfallintubation sollte vermieden werden. Stattdessen sollte die Intubation unter kontrollierten Bedingungen durch einen möglichst pädiatrisch erfahrenen Anästhesisten durchgeführt werden. Tuben mit deutlich geringerem Innendurchmesser als rechnerisch notwendig sollten bereit liegen. Sollte auch nur geringer Zweifel an der Diagnose bestehen, muss zur Intubation Tracheotomiebereitschaft bestehen. Die durchschnittliche Beatmungsdauer bei der Krupperkrankung liegt bei 3 Tagen, bei jüngeren Kindern länger als bei älteren. Bei einer malignen Tracheobronchitis müssen über 80 % der Kinder intubiert werden. > Obwohl die klinische Symptomatik oft

eindrucksvoll ist, müssen nur wenige Patienten mit Krupp intubiert werden.

15.3.2  Epiglottitis z z Definition

5 Obwohl die klinische Präsentation zuweilen dem Krupp ähnelt, ist die Epiglottitis ein völlig anderes Krankheitsbild 5 Bei der Epiglottitis handelt es sich um eine lebensbedrohliche, bakterielle Infektion des Kehldeckels 5 Die akute Epiglottitis wird fast ausschließlich durch Haemophilus influenzae Typ B (HiB) verursacht 5 Sehr selten können auch Streptokokken beteiligt sein

314

S. Wiese

5 Die Häufigkeit einer Epiglottitis ist bei Kindern im Alter von 2–5 Jahren am größten. Sie kann aber in jedem Alter und sogar bei Erwachsenen auftreten 5 Zumeist beginnt sie mit einer Nasopharyngitis, der deszendierend dann die Entzündung der Epiglottis und des unteren Tracheobronchialbaumes folgen kann 5 Häufig besteht eine Bakteriämie, die in der Blutkultur nachweisbar ist 5 Neben allgemeinen akut auftretenden Krankheitssymptomen wie Fieber, Abgeschlagenheit und Lymphknotenschwellung am Hals kommt es in kürzester Zeit zu starken Halsschmerzen, kloßiger Sprache und Speichelfluss 5 Die rasch zunehmende entzündliche Schwellung insbesondere des Kehldeckels und der umgebenden Schleimhäute führt innerhalb weniger Stunden zu Atemwegsobstruktion und Atemnot bis hin zu drohender Erstickung z z Diagnose

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Gerade weil die Erkrankung durch zunehmende Durchimpfung der deutschen Bevölkerung gegen HiB selten geworden ist, ist es notwendig, dass die Diagnose schnell und korrekt gestellt wird, da die vollständige Atemwegsverlegung droht. 5 Im Gegensatz zum Krupp gibt es üblicherweise keinen Husten 5 Typischerweise sitzt das Kind regungslos mit angehobenem Kinn und offenem Mund 5 Häufig kommt es zum Speichelfluss, da der Hypopharynx so schmerzhaft ist, das Schlucken und Sprechen vermeiden ­werden 5 Das Kind hat typischerweise Zeichen einer Sepsis: Es ist häufig blass, hat hohes Fieber (>39 °C) und eine schlechte Kapillarfüllung und zuweilen auch eine Eintrübung des Bewusstseins meist aufgrund einer Bakteriämie

z z Therapie

5 Eine Intubation ist fast immer notwendig. Dennoch sollte besonders präklinisch bedacht werden, dass die Intubation außerordentlich schwierig sein kann 5 Durch eine plötzliche vollständige Verlegung des Atemwegs durch die entzündete Epiglottis kann schnell eine iatrogen herbeigeführte„cannot intubate, cannot ventilate“-Situation entstehen > Präklinisch die Spontanatmung erhalten!

5 Eine Beunruhigung des Kindes und insbesondere der Versuch, das Kind hinzulegen, eine Racheninspektion vorzunehmen oder einen i.v.-Zugang zu legen, kann eine komplette Atemwegsverlegung hervorrufen > Bei der Auswahl der Zielklinik muss

bedacht werden, dass hier Experten für die Luftwegsicherung, d. h. auch eine pädiatrisch fiberoptische Intubation sowie für eine im Notfall notwendige pädiatrische Tracheotomie vorhanden sein müssen (Kinderchirurgen, erfahrene HNO-Ärzte, Kinderanästhesisten).

5 Der Transport des Kindes sollte deshalb möglichst atraumatisch in sitzender Position durchgeführt werden, z. B. auf dem Schoß eines Elternteils > Es gibt keine Hinweise, dass inhalative

Steroide oder Adrenalin therapeutisch hilfreich sind.

5 Eine Narkoseeinleitung zur Intubation sollte in der Klinik aus der sitzenden Position möglichst inhalativ erfolgen 5 Die Intubation kann durch die extrem geschwollene Epiglottis sehr schwierig sein und erfordert häufig einen kleineren als den errechneten Tubus 5 Tracheotomie und Koniotomiebereitschaft ist obligat. Der HNO-Arzt/Kinderchirurg muss im OP anwesend sein und es muss

315 Pädiatrische Notfälle

5 5

5 5 5 5

ein für die Altersgruppe passendes Instrumentarium bereitgelegt sein. Die Möglichkeit einer Jetventilation zum Bridging kann erwogen werden (Jetventilator und -tuben in Bereitschaft) Nach Sicherung der Atemwege muss eine Blutkultur angelegt und unmittelbar eine i.v.-Antibiosetherapie begonnen werden Eine antibiotische Therapie sollte mit einem β-laktamasefesten Antibiotikum erfolgen, da die zumeist nachzuweisenden Haemophilus-influenzae-Bakterien häufig ampicillinresistent sind Empfohlen werden Ampicillin/Sulbactam, Amoxicillin/Clavulansäure bzw. Cefuroxim, Cefotaxim oder Ceftriaxon Unter Antibiosetherapie können die meisten Kinder nach 24–26 h extubiert werden Komplikationen wie hypoxischer Hirnschaden, Lungenödem oder Hämophilus-Sepsis sind selten Sollte ein Kind trotz Impfung erkrankt sein, sollte nach Ursachen für das Therapieversagen der Impfung gefahndet werden.

> Intubation immer in Tracheotomie-

bereitschaft!

15.3.3  Fremdkörperaspiration z z Definition

5 Das Eindringen von Fremdkörpern distal der Glottis wird als Aspiration bezeichnet 5 Häufig sind Kleinkinder im Alter von 3–4 Jahren betroffen 5 Bei Säuglingen kann auch eine sog. Babypuderaspiration auftreten 5 Die häufigsten vom Kleinkind eingeatmeten Objekte sind Nahrungsmittel 5 Bei älteren Kindern sind häufiger kleinere Gegenstände oder Spielzeug in die Hauptbronchien, wobei hier etwas häufiger der rechte Hauptbronchus als der linke betroffen ist

15

5 Bei älteren Kindern und Jugendlichen werden Stiftkappen, Spielzeugteile, Grashalme oder Nadeln aspiriert 5 Lebensbedrohliche Situationen ergeben sich bei laryngealer oder trachealer Lage z z Epidemiologie

5 Für Kinder unter 4 Jahren wird das Risiko einer tödlichen Fremdkörperaspiration auf 0,7/100.000 Einwohner und Jahr geschätzt 5 Die meisten Fremdkörperaspirationen enden nicht letal 5 In nur etwa 40 % d. F. haben sich die Erstickungsfälle bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes noch nicht von selbst oder durch Intervention von Laien verbessert z z Diagnose

5 Häufig berichten Eltern von einer plötzlichen Hustenattacke, ggf. mit plötzlicher Atemnot und zeitweise Zyanose. Zuweilen müssen Eltern aber auch direkt nach einer möglichen Aspiration befragt werden, da sie diese nicht bei der Anamneseerhebung nicht von selbst erwähnen 5 Häufig bleibt nach einer Aspiration ein erheblicher Hustenreiz oder eine auffällige Atmung mit giemender Exspiration oder Stridor bestehen 5 Begleitend und die Aspiration begünstigend kann ein Infekt der oberen Atemwege mit obstruierter Nasenatmung sein, da die Atmung dann vermehrt durch den Mund erfolgt 5 Eine chronische obstruktive Bronchitis, die bei einem zuvor gesunden Kind plötzlich begonnen hat und nicht wieder abklingt, kann ein Zeichen für eine übersehene Aspiration sein 5 Andere Spätkomplikationen der verschleppten Fremdkörperaspiration umfassen: 5 Rezidivierende Pneumonien 5 Lungenabszesse

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S. Wiese

5 Hämoptysen 5 Progrediente respiratorische Insuffizienz > Besteht der Verdacht auf eine akute

Fremdkörperaspiration, darf ein Kliniktransport zur Sicherung der Diagnose mittels Bronchoskopie nur mit Arztbegleitung durchgeführt werden.

5 Differenzialdiagnostisch muss die Aspiration am häufigsten von Asthma oder beim Säugling von der Bronchiolitis abgegrenzt werden 5 Die Symptome der laryngealen und trachealen Fremdkörperlagen können manchmal dem Krupp, der Epiglottitis oder der bakteriellen Tracheitis ähneln z z Therapie

Den Algorithmus bei Verlegung der Atemwege durch einen Fremdkörper zeigt . Abb. 15.2. z Milde Obstruktion durch Fremdkörper

Husten erzeugt einen hohen Atemwegsdruck und kann den Fremdkörper ausstoßen. Das

Kind sollte deshalb zum effektiven Husten angehalten werden. Eine aggressive Behandlung mit Rückenschlägen, abdominellen und Thoraxkompressionen kann hingegen potenziell schwere Komplikationen hervorrufen und die Atemwegsverlegung verschlimmern. Dies sollte deshalb nur bei Patienten angewendet werden, die Zeichen einer schweren Atemwegsverlegung aufweisen. Patienten mit einer milden Verlegung des Atemwegs sollten unter kontinuierlicher Beobachtung bleiben, bis es ihnen besser geht, weil sich auch eine schwere Verlegung entwickeln kann (. Tab. 15.4). z Atemwegsverlegung mit schwerer Obstruktion

Thoraxkompressionen können im Vergleich zu abdominellen Kompressionen höhere Atemwegsdrücke erzeugen. Weil diese Thoraxkompressionen tatsächlich identisch mit der Herzdruckmassage sind, sollten Helfer unterrichtet werden, mit einer kardiopulmonalen Reanimation zu beginnen, wenn ein Opfer mit bekannter oder vermuteter Atemwegsverlegung durch Fremdkörper

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. Abb. 15.2  Algorithmus bei Obstruktion der Atemwege durch Fremdkörper

317 Pädiatrische Notfälle

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. Tab. 15.4  Unterschiede zwischen milder und schwerer Obstruktion Symptome

Milde Obstruktion

Schwere Obstruktion

Frage: „Hast du dich verschluckt? Hast du einen Erstickungsanfall?“

„Ja“ – kann sprechen

Unfähig zu sprechen, kann evtl. nicken

Andere Zeichen

– Hustet – Kann vor dem Husten einatmen –V  ollkommen wach und bewusstseinsklar – Atmung hörbar

– Keuchende Atmung – „Stumme“ Hustenversuche – Zunehmende Eintrübung – Zyanose – Bewusstlosigkeit

bewusstlos wird. Während der Reanimationsmaßnahmen sollte jedes Mal wenn der Atemweg frei gemacht wird, der Mund des Opfers schnell nach irgendeinem Fremdkörper inspiziert werden, der teilweise ausgestoßen worden sein könnte (. Tab. 15.4). Beim noch nicht bewusstlosen Patienten mit schwerer Obstruktion sollten zuerst Rückenschläge durchgeführt werden.

5 Falls dies nicht möglich ist, das Kind in eine vornübergebeugte Position bringen und die Rückenschläge von hinten verabreichen 5 Falls es nicht gelingt, den Fremdkörper mit den Rückenschlägen zu entfernen, sollten bei Säuglingen Thoraxkompressionen und bei Kindern abdominelle Kompressionen angewendet werden

Rückenschläge beim Säugling 1 Jahr

5 Die Rückenschläge sind effektiver, wenn das Kind in eine Kopftieflage gebracht wird 5 Ein kleines Kind kann wie ein Säugling auf dem Schoß des Helfers gelagert werden

5 Abdominelle Kompressionen (Heimlich-Manöver) dürfen nicht bei Säuglingen durchgeführt werden 5 Hinter dem Kind stehen oder knien, die Arme unter die des Kindes legen und seinen Rumpf umfassen

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S. Wiese

5 Faust ballen und diese zwischen Nabel und Ende des Brustbeins platzieren 5 Die Faust mit der anderen Hand greifen und kräftig nach innen und oben gerichtet ziehen 5 Bis zu 5-mal wiederholen 5 Der Druck darf nicht auf das Xiphoid oder den unteren Brustkorb ausgeübt werden: Dies könnte abdominelle Verletzungen verursachen 5 Bleibt die Entfernung des Fremdkörpers auf diese Weise ohne Erfolg, sollten Mund und Rachen inspiziert werden. Wenn der Fremdkörper hier nicht entfernt werden kann, muss die Beatmung und/oder Intubation erfolgen 5 Es muss auch an eine supraglottische Lage des Fremdkörpers gedacht werden > Beim bewusstlosen Patienten

kann während der Inspektion des Hypopharynx mittels Laryngoskopie die Extraktion des Fremdkörpers aus pharyngealer oder laryngealer Lage mit einer Magill-Zange erfolgen.

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5 Falls eine Maskenbeatmung ineffektiv bleibt, wird der Patient intubiert. Zuweilen gelingt es, während der Intubation, den Fremdkörper aus der Trachea tiefer zu schieben, um so zumindest eine Lunge beatmen zu können 5 Der Versuch der Beatmung kann evtl. hohe Beatmungsdrücke und evtl. eine Exspirationsunterstützung durch Thoraxkompression erfordern 5 Auf eine forcierte Beatmung müssen stets eine stationäre Bronchoskopie und der Ausschluss eines Pneumothorax folgen 5 Ein bewusstloses Kind wird 5-mal beatmet, bevor mit der Herzdruckmassage begonnen wird 5 Anschließend werden übliche Basiclife-support-Maßnahmen durchgeführt (7 Kap. 6)

15.3.4  Sonderfall: Aspiration

oder Ingestion von Knopfbatterien

Die zunehmende Verbreitung von Knopfbatterien in allerlei elektrischen Geräten wie z.  B. Fernbedienungen, Hörgeräten, Funkthermometern etc. macht diese leicht zugänglich für Kinder. Durch ihre geringe Größe und Form können Kinder diese dann leicht in den Mund nehmen und sie so aspirieren oder verschlucken. Für die Akutbehandlung der Aspiration von Batterien gilt das oben Genannte für den Fall einer akuten Atemwegverlegung. Allerdings ist es auch dringend anzuraten, das Kind stationär mittels einer Röntgenaufnahme zu untersuchen, um die Lage des Fremdkörpers zu bestimmen oder auch die Aspiration auszuschließen, wenn die Anamnese eine Aspiration oder Ingestion wahrscheinlich macht. Auch bei symptomlosem Verlauf neigen Knopfbatterien in kurzer Zeit dazu, eine Kolliquationsnekrose des Tracheal-, Bronchial- oder Ösophagealgewebes hervorzurufen (7 Abschn. 19.4). Dies wird durch die Bildung von NaOH an der Anode der Batterie hervorgerufen. Wenn die Batterie bereits den Ösophagus passiert hat, besteht selten die Notwendigkeit unmittelbar einzugreifen und es ist ausreichend, die Magen-Darm-Passage mittels Röntgenbildgebung im Intervall zu dokumentieren. Nur in Ausnahmefällen wird die Batterie im Magen-Darm-Trakt beschädigt, was zum Austritt von Schwermetall (Quecksilber, Lithium, Blei) führen kann und ggf. ein chirurgisches Eingreifen erforderlich macht. Forciertes Erbrechen sollte vermieden werden, weil die Gefahr besteht, dass die Batterie im Ösophagus stecken bleiben könnte. Ein Flussdiagramm für das Vorgehen bei einer vermuteten Ingestion einer Knopfbatterie zeigt . Abb. 15.3.

319 Pädiatrische Notfälle

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. Abb. 15.3  Flussdiagramm für das Vorgehen bei vermuteter Ingestion einer Knopfbatterie

> Besteht der Verdacht auf Aspiration

oder Ingestion einer Knopfbatterie sollte umgehend eine Klinikeinweisung erfolgen, um Komplikationen durch inwendige Verätzungsnekrosen der jeweiligen Schleimhäute zu vermeiden.

Ist die Batterie im Ösophagus, muss sie so schnell wie möglich entfernt werden, da es sonst zur Verätzung der Schleimhäute, Perforation und einer Mediastinitis führen kann.

Der Versuch der Extraktion mittels eines Foley-Katheters sollte unterbleiben, wenn vermutet wird, dass die Batterie länger als 2 h im Ösophagus festsitzt, da die Schleimhaut bereits beschädigt sein kann und der Versuch der Extraktion zur Perforation führen kann. Befindet sich die Batterie bereits distal des Ösophagus, ist meistens keine Intervention erforderlich und die Batterie geht auf natürlichem Weg ab. Lediglich bei Symptomatik,

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S. Wiese

z. B. der Entwicklung eines akuten Abdomens, dem Auftreten von Melena oder blutigem Stuhl oder Vomitus ist eine chirurgische Intervention erforderlich. Ansonsten kann durch sequenzielle Röntgenuntersuchungen (ca. 1-mal wöchentlich) die Passage der Batterie durch den Magen-Darm-Trakt dokumentiert werden. > Das Kind mit einer verschluckten

Batterie sollte in einem Zentrum aufgenommen werden, wo Expertise in der pädiatrischen Endoskopie vorhanden ist.

15.4  Obstruktion der unteren

Atemwege

Die zwei häufigsten Gründe für eine untere Atemwegsobstruktion beim Kind umfassen den akuten schweren Asthmaanfall und die obstruktive Bronchitis/Bronchiolitis. Dabei tritt die obstruktive Bronchitis/Bronchiolitis überwiegend bei unter 1-jährigen Kindern auf, während Asthma üblicherweise ältere Kinder betrifft. Weiterhin können lebensbedrohliche anaphylaktische Reaktionen auch im Kindesalter auftreten, auch gerade bei einer Behandlung beim Hausarzt (z. B. bei der Desensibilisierungstherapie beim atopischen Kind). Außer einer (iatrogenen) Allergenexposition können auch Insektengifte eine Auslöser für Anaphylaxie sein.

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15.4.1  Anaphylaxie

Die anaphylaktische Reaktion im Kindesalter geht sowohl mit Symptomen der Verlegung des unteren und ggf. oberen Atemwegs als auch mit einem distributiven Schock einher. Symptome umfassen Stridor, Bronchospasmus, Hypoxie, Tachykardie, Hypotension und Erythem sowie evtl. Urtikaria. Die wichtigste Intervention ist, die weitere Zufuhr des vermuteten Allergens zu verhindern. Hierzu kann es z. B. nötig sein, einen Insektenstachel zu entfernen, den Hautkontakt mit dem

Allergen zu unterbinden oder den Patient in eine allergenfreie Umgebung zu transferieren (z.  B. bei Tierhaarallergie). Sollte die anaphylaktische Reaktion auf eine Medikamentengabe erfolgt sein (z. B. in einer Hausarztpraxis), so empfiehlt es sich, einen evtl. i.v.-Zugang für weitere Medikamentengabe zu belassen. Die Behandlung sollte nach dem abgebildeten Flussdiagramm erfolgen (. Abb. 15.4). 15.4.2  Asthma bronchiale z z Definition

5 Asthma ist eine chronisch entzündliche Erkrankung der Atemwege, charakterisiert durch eine bronchiale Hyperreagibilität und eine variable Atemwegsobstruktion 5 Asthma bronchiale ist durch eine akut auftretende Atemwegsobstruktion gekennzeichnet, die ohne strukturelle Veränderung über viele Jahre hinweg komplett reversibel ist 5 Die Atemwegsobstruktion im Rahmen der chronisch obstruktiven Bronchitis und des Lungenemphysems hingegen ist durch eine progrediente Zerstörung von Lungengewebe mit Elastizitätsverlust und instabilen Bronchien gekennzeichnet. Diese führen zu einer nur teilweise reversiblen persistierenden Atemwegsobstruktion 5 Die akute Obstruktion des Asthma bronchiale ist bedingt durch eine aktive Konstriktion der Bronchien durch hypertrophierte glatte Muskulatur, ein Ödem der bronchialen Schleimhaut und die übermäßige Bildung zähen Sekrets. Dazu ist eine gesteigerte Reagibilität des Bronchialsystems obligat, die allerdings auch bei anderen entzündlichen Lungenerkrankungen auftritt z Allergisches Asthma

Allergien sind der stärkste prädisponierende Faktor bei der Entwicklung von Asthma im Kindesalter. Es besteht eine genetisch bedingte Bereitschaft, gegen Umweltallergene

321 Pädiatrische Notfälle

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. Abb. 15.4  Flussdiagramm für das Vorgehen bei einer vermuteten anaphylaktischen Reaktion

(z. B. Pollen, Hausstaubmilben oder Tierproteine) gerichtete IgE-Antikörper zu produzieren. Allergene können allerdings auch im Erwachsenenalter eine Rolle spielen. z Intrinsisches oder nichtallergisches Asthma

5 Bei 30–50 % der Erwachsenen mit Asthma sind Allergie- bzw. IgE-Antikörper gegen Umweltallergene nicht nachweisbar. Diese

Form des Asthmas wird häufig durch Infektionen der Atemwege getriggert. Hier bestehen oft nebeneinander eine Sinusitis, eine nasale Polyposis und eine Intoleranz gegen Acetylsalicylsäure oder nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR). 5 Mischformen sind möglich, insbesondere kann auch bei einem initial allergischen Asthma im Verlauf die intrinsische

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S. Wiese

. Tab. 15.5  Schweregrade des Asthmaanfalls Moderat

Mittelschwer

Schwer

SaO2 >92 %

Unfähig einen längeren Satz in einem Atemzug zu vollenden

Unfähig zu sprechen oder Nahrung aufzunehmen

Keine klinischen Zeichen des schweren oder lebensbedrohenden Asthmaanfalls

Einziehung des Thorax, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur

Orthopnoe, Arme seitlich abgestützt

Atemfrequenz 5 Jahre) Atemfrequenz 5 Jahre) Puls >130/min (2–5 Jahre) SaO2 80 %a des Bestwerts

Peak-Flow Sexuell übertragene Infektionen und

charakteristische Verletzungen im Genital- und Analbereich können wichtige Leitsymptome für sexuellen Missbrauch darstellen. Bei Schwangerschaften von sehr jungen Mädchen muss ebenfalls an sexuellen Missbrauch gedacht werden.

z Psychopathologische Symptome

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5 Auffälligkeiten in der Interaktion wie z. B. ein eingefrorenes Lächeln 5 Störung der Nähe-Distanz-Regulation und eine Distanzlosigkeit der betroffenen Kinder 5 Bei stark deprivierten Kindern: Polydipsie oder andere massive Störungen im Bereich der Ernährung, Versorgung oder des Schlafs 5 Angst in Situationen, die an den Misshandlungskontext erinnern, z. B. gebadet oder abgeduscht werden etc. 5 Altersinadäquate Ängste bei körperlicher Untersuchung oder ihre Verweigerung, insbesondere bei Anwendung von Instrumenten, z. B. Reflexhammer 5 Sexualisiertes Verhalten (z. B. ein altersunangemessenes Sexualwissen, eine sexualisierte Sprache, insbesondere dann auffällig, wenn die sonstige Sprachentwicklung hinter dem Altersstand zurückbleibt; sexuelle Handlungen an Gleichaltrigen

z Schütteltrauma – „shaken baby syndrome“ (SBS)

5 Bei einem unerklärten plötzlichen Kindstod (7 Abschn. 15.6) kann auch ein Schütteltrauma, häufig durch überforderte Eltern, ursächlich sein 5 Ursache eines Schütteltraumas ist ein massives heftiges gewaltsames Hin- und Herschütteln eines Säuglings (meist Der Schutz des Kindes und die Wahrung

seiner Rechte auf eine gesunde Entwicklung sowie auf körperliche und seelische Unversehrtheit sind ein

15

höheres Rechtsgut als die ärztliche Verschwiegenheitspflicht und die Zustimmung der Sorgeberechtigten.

5 Eine Inobhutnahme durch das Jugendamt nach § 42 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes gibt den rechtlichen Rahmen für eine stationäre Aufnahme bei akuter Gefährdung auch gegen den Willen der Eltern 5 Eine Anhörung beim Familiengericht zur Klärung der Gefährdung findet vor einem neutralen Dritten statt und schafft in strittigen Situationen für Familien und Fachleute Verbindlichkeit 5 Eine vorläufige Einschränkung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für das Kind ohne Zustimmung der Eltern, z. B. für einen Klinikaufenthalt, muss beim Familiengericht beantragt und begründet werden. Es handelt sich dabei um eine vorläufige Einschränkung des elterlichen Aufenthaltsbestimmungsrechts (§§ 1666 und 1666a BGB, familiengerichtliche Maßnahmen). Bei diesen Interessenkollisionen soll ein Verfahrenspfleger (§ 50 FGG) eingesetzt werden 5 Alle Formen von Kindesmisshandlung und schwerer Vernachlässigung sind Straftatbestände, eine Anzeigepflicht besteht aber nicht

Situationen für eine Strafanzeige 5 Wenn ein akutes Eingreifen der Polizei zum Schutz des Kindes erforderlich wird 5 Wenn eine unmittelbare Gefährdung Dritter (z. B. anderer Kinder) möglich ist 5 Wenn schwere akute Verletzungen und damit schwere Körperverletzung vorliegen 5 Wenn pornographische Ausbeutung, Menschenhandel oder Prostitution zu vermuten sind

332

S. Wiese

Weiterführende Literatur Bundesärztekammer (2018) Nationale VersorgungsLeitlinie Asthma. 7 https://www.awmf. org/uploads/tx_szleitlinien/nvl-002l_S3_ Asthma_2018-09.pdf. Zugegriffen: 11. März 2019 Flake F, Scheinichen F (2019) Kindernotfälle im Rettungsdienst, 6. Aufl. Springer, Heidelberg Franke I (2019) Kindesmisshandlung, -missbrauch, -vernachlässigung unter Einbindung der Jugendhilfe und Pädagogik (Kinderschutzleitlinie). 7 https:// www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/027-069l_ S3_Kindesmisshandlung-missbrauch-vernachlaessigung-Kinderschutzleitlinie_2019-02_1.pdf. Zugegriffen: 11. März 2019

15

Maconochie IK, Bingham R, Eich C et al (2015) Lebensrettende Maßnahmen bei Kindern („paediatric life support“). Notf Rettungsmed 18:932–963 Poest CF, Krichhoff F, Kramre A et al (2018) Prävention des plötzlichen Säuglingstods. 7 https:// www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/063-002l_ S1_Pravention-des-ploetzlichen-Saeuglingstodes_2018-07.pdf. Zugegriffen: 11. März 2019

333

Gynäkologische Notfälle J. C. Brokmann

16.1 Geburt – 334 16.1.1 Normale Geburt bei vorderer Hinterhauptslage – 334

16.2 Vena-Cava-Kompressionssyndrom – 339 16.3 Eklampsie – 339 16.4 Vaginale Blutung – 340 16.5 Vergewaltigung – 341 Literatur – 341

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_16

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334

J. C. Brokmann

Gynäkologische Notfälle beinhalten neben der Geburtshilfe und den sich daraus ergebenden Komplikationen auch die Erkrankungen und Verletzungen der weiblichen Genitalorgane. Jedoch machen diese Notfälle nur einen geringen Anteil an der Gesamteinsatzzahl aus. Der Anteil der gynäkologischen Notfälle am Gesamtkollektiv liegt bei ca. 1 %.

5 Frühgeborene oder übertragende Neugeborene sind wegen einer postnatalen Anpassungsstörung besonders gefährdet 5 Man geht von einer Lebensfähigkeit des Frühgeborenen von ca. 500 g Geburtsgewicht aus > Schwangerschaftswehen sind ab der

20. SSW auftretende schmerzlose Kontraktionen.

16.1  Geburt z z Einleitung/Definition

Unter einer Geburt versteht man den Vorgang, bei dem das Ungeborene mittels Wehentätigkeit seinem vorgezeichneten Weg aus dem Mutterleib folgt. Eine Geburt, die außerhalb der Klinik ohne begleitende Hebamme stattfindet, wird als Notgeburt bezeichnet. In einer solchen Situation sollte der Umgang mit der Schwangeren so behutsam wie möglich sein. Gleichzeitig sollte unverzüglich nach dem Mutterpass gefragt werden. Einsatztaktisch ist die Beurteilung der aktuellen Situation zu den nächstgelegenen Krankenhäusern (mit geburtshilflichen Abteilungen) als auch das nächsterreichbare Perinatalzentrum (Level-1-Zentrum) zu eruieren. Der Geburtsvorgang beinhaltet drei Phasen: 5 Eröffnungsphase 5 Austreibungsphase 5 Nachgeburtsphase

16

> Der Mutterpass sollte nach

Inaugenscheinnahme mit der eigenen Dokumentation in der Klinik abgegeben werden.

z z Physiologie

5 Schwangerschaftsdauer vom 1. Tag der letzten Menstruation ca. 38–40 Wochen (auch 38–42 Wochen) 5 Frühgeburt: Geburt vor der 38. SSW 5 Übertragung: Geburt nach der 42. SSW

16.1.1  Normale Geburt bei

vorderer Hinterhauptslage

z Eröffnungsphase

5 Regelmäßige Wehentätigkeit max. alle 10 min 5 Platzen der Fruchtblase 5 Ausstoßen des Schleimpfropfs (sog. „Zeichnen“) 5 Kopf des Ungeborenen tritt tiefer in das Becken ein 5 Gleichzeitige Muttermunderweiterung z Austreibungsphase

5 Kindlicher Kopf tritt durch das Becken 5 Beim Druck des Kopfs auf den Beckenboden verspürt die Gebärende „Stuhldrang“ 5 Eintrittsmechanismus: Pfeilnaht verläuft quer 5 Durchtrittsmechanismus: Flexion des Kopfs mit Tiefertreten und weiterer Drehung 5 Austrittsmechanismus: Beginnende Deflexion des Kopfs 5 Einschneiden: Durchtreten des Kopfs durch den Damm (Pfeilnaht quer) 5 Nach Entwicklung des Kopfs kommt es zu einer Rückdrehung 5 Es folgen die Schultern und der Körper ! Cave

Beim „Einschneiden“ (Durchtreten des Kopfs durch den Damm) ist besonders auf einen ausreichenden Dammschutz zu achten!

335 Gynäkologische Notfälle

z Nachgeburtsphase

5 Die Nachgeburtsphase beginnt unmittelbar nach der vollständigen Entwicklung des Kindes 5 Sie endet nach der Ausstoßung der Plazenta und der Eihäute ! Cave

Die Nachgeburtsphase ist eine kritische Phase der Geburt. Hierbei tritt häufig der größte Blutverlust auf. Eine atone Uterusblutung ist lebensgefährlich!

z z Symptomatik/Klinik

5 Wehen 5 Presswehen 5 Schwangerschaftswehen z z Therapie/Maßnahmen

Diese sind während des Geburtsverlaufs abhängig von: 5 Kopf des Kindes ist nicht sichtbar 5 Transportweg 5 Zustand der Mutter und des Ungeborenen Wenn es die Zeit bis zur Entbindung erlaubt, sollte versucht werden, eine Klinik mit gynäkologischer Abteilung zu erreichen. Dabei sollte aber der Geburtsverlauf berücksichtigt werden. Bei Verdacht auf eine Frühgeburt oder einem komplikationsreichen Schwangerschaftsverlauf sollte, wenn möglich, ein Perinatalzentrum vorinformiert und angefahren werden. z Eröffnungsphase

5 Während der Eröffnungsphase wird die Patientin in Linksseitenlage schonend und unter Kontrolle der Vitalparameter in die Klinik transportiert 5 Der Transport der Schwangeren im RTW erfolgt dabei mit dem Gesicht der Patientin in Fahrtrichtung. Dies ist notwendig, um ein Umlagern der Patientin bei Notfällen oder einer Geburt im RTW zu umgehen

16

5 Das Becken wird hochgelagert (Decke unter das Becken legen) 5 Wehen können veratmet werden, um ein Tiefertreten des Kindes in das Becken zu verzögern z Austreibungsphase

5 Kommt es während der Fahrt zur Austreibungsphase, ist der RTW sofort anzuhalten und alles für die Geburt vorzubereiten 5 Entfernung störender Kleidung 5 Halbsitzende Lagerung der Gebärenden auf einer sterilen Unterlage mit erhöhtem Oberkörper und angezogenen Beinen 5 Beim Pressen sollte die Schwangere das Kinn auf die Brust drücken 5 Während einer Presswehe soll die Gebärende 3-mal tief Luft holen und dann pressen 5 Hierbei Mund und Augen schließen 5 Anschließend soll die Gebärende tief in den Bauch atmen 5 Beim Durchtreten des Kopfs soll die Patientin nicht mehr pressen, sondern hecheln 5 Auf einen Dammschutz achten! 5 Nach der Geburt des Kopfs wird erst die vordere Schulter (zum Schambein hin) und dann die hintere Schulter des Kindes geboren. Dieser Vorgang kann durch Heben und Senken des kindlichen Kopfs unterstützt werden 5 Für das Kind: 5 Sterile Tücher und Absaugutensilien für das Kind vorbereiten 5 Materialien zum Abnabeln: 2–3 Abnabelungsklemmen, sterile Schere 5 Abnabelung erfolgt 1 Handbreit oberhalb des Nabelansatzes des Neugeborenen 5 Durchtrennen der Nabelschnur zwischen zwei Klemmen mit einer sterilen Schere 5 Bei unauffälligem Neugeborenen kann mit dem Setzen der

336

J. C. Brokmann

Abnabelungsklemmen und dem Durchtrennen bis zum Sistieren der Nabelschnurpulsationen gewartet werden 5 Das Neugeborene mit möglichst vorgewärmtem Tuch (ggf. warmer Infusionsschrank RTW) trocknen 5 Absaugung: – Unauffällige Neugeborene müssen nicht routinemäßig abgesaugt werden – Wenn doch notwendig sollte ein Oro-Sauger verwendet werden – Zunächst Mund, dann Nasen-Rachen-Raum 5 Alle Erstversorgungsmaßnahmen sollten in einer für das Neugeborene thermoneutralen Umgebung durchgeführt werden 5 Durch ALU-Windeln kann Wärmeverlust vermieden werden 5 Grimassieren, Zappeln, Schreien, Abwehrbewegungen und Strampeln sind sehr gute Zeichen der Lebensfähigkeit ! Cave

Das Absauggerät des RTW sollte nicht zum Absaugen des Neugborenen verwendet werden, weil es eine starke Sogwirkung hat. Es drohen Schleimhautverletzungen des Kindes.

Eine Überprüfung des Neugeborenenstatus wird nach dem APGAR-Schema (. Tab. 16.1) durchgeführt. 5 APGAR-Index 8–10: Komplikationslos 5 APGAR-Index 5–7: Leichte Asphyxie

5 APGAR-Index 3–4: Mittelschwere Asphyxie 5 APGAR-Index 0–2: Schwere Asphyxie > Allgemeine Entspannung ist angesagt,

wenn die Herzfrequenz nach dem Absaugen und Abtrocknen über 100/min liegt, das Kind rosig ist und schreit.

z Nachgeburtsphase

5 Die Mutter auf Blutungen untersuchen! 5 Riss- und Schürfwunden am Genitale sind zu komprimieren 5 Die ca. 20-minütige Phase der Plazentalösung kann durch i.v.-Injektion von 3 I.E. Orasthin (Syntocinon) durch den erfahrenen Geburtshelfer unterstützt werden. Dies bewirkt u. a. einen verringerten Blutverlust 5 Die sich entwickelnde Plazenta ist bis zur Beurteilung durch einen erfahrenen Geburtshelfer zu asservieren und mit in die Klinik zu transportieren 5 Löst sich die Plazenta nicht spontan, darf kein Zug auf die Nabelschnur ausgeübt werden 5 Als Zeichen, dass sich die Plazenta löst, gilt die Lösungsblutung und das Küstner-Zeichen (Druck mit der Handkante auf das untere Uterinsegment oberhalb der Symphyse: Retrahiert sich die Nabelschnur unter dem Druck, ist die Plazenta noch nicht gelöst) 5 Ist nach 30 min die Plazenta noch nicht voll entwickelt (inzwischen sollte man in der Klinik sein), ist der Handgriff nach Crede indiziert

16 . Tab. 16.1 APGAR-Schema 0 Punkte

1 Punkt

2 Punkte

Kolorit

Blass

Zyanotisch

Rosig

Atmung

Keine

Schwach

Kräftig

Tonus

Schlaff

Vermindert

Gute Spontanbewegung

Reaktion auf Reize

Keine

Gering

Lebhaft

Herzschlag

Keine

Gering

Lebhaft

Beurteilung nach 1, 5, 10 min

337 Gynäkologische Notfälle

16

z z Besonderheiten z Vorzeitiger Blasensprung

5 Fruchtwasserabgang am wehenlosen Uterus 5 Beckenhochlagerung 5 Patientin darf nicht mehr aufstehen 5 Gefahr: 5 Aszendierende Infektion: Amnioninfektsyndrom 5 Nabelschnurvorfall z Komplikationen/Fehllagen

5 Querlage 5 Armvorfall 5 Längslage 5 Steißlage/Beckenendlage 5 Schädellage 5 Nabelschnurvorfall 5 Uterusatonie Querlage 

5 Ungeborene in Querlage können unmöglich auf normalem Weg geboren werden 5 Entwicklung des Kindes nur durch Sectio möglich 5 Transport der Mutter in Beckenhochlage (Schocklage des Tragetischs) 5 Auf Linksseitenlage ist ebenfalls zu achten 5 Manchmal wird auch eine Hockstellung empfohlen 5 Ggf. Tokolyse (s. unten) Steißlage/Beckenendlage 

5 Kind liegt verkehrt herum im Geburtskanal 5 Transport der Mutter in Beckenhochlage (Schocklage des Tragetischs) 5 Auf Linksseitenlage ist ebenfalls zu achten 5 Ggf. Tokolyse (s. unten) 5 Ist die Geburt des Kindes weit fortgeschritten, besteht die Gefahr einer Nabelschnureinklemmung Manualhilfe nach Bracht oder Veit-Smelli (. Abb. 16.1 und 16.2): 5 Helfer drückt mit der Faust durch die Bauchdecke der Mutter auf den Kopf des Kindes, der somit in Richtung Becken gedrückt wird

. Abb. 16.1  Manualhilfe nach Bracht. (Aus: Distler und Riehn 2006 Notfälle in Gynäkologie und Geburtshilfe. Springer, Heidelberg)

5 Zweiter Helfer nimmt Beine und Becken des Kindes in Klappmesserhaltung und führt sie in einer bogenförmigen Bewegung in Richtung Abdomen der Mutter 5 Dabei dürfen keine Zugbewegungen ausgeführt werden 5 Die Mutter sollte zur Unterstützung mitpressen Nabelschnurvorfall 

5 Eine Entbindung ist nur durch Sectio in Klinik möglich

338

J. C. Brokmann

um ein Tiefertreten des Kopfs und ein Abdrücken der Nabelschnur zu verhindern 5 Ggf. Tokolyse (s. unten) Uterusatonie  Nach dem Ausstoßen der Plazenta und der Eihäute fehlt bei der Uterusatonie die Kontraktion des Uterus. Eine normalerweise mit der Kontraktion des Uterus verbundene Blutstillung bleibt aus. 5 Manuelle Komprimierung des Uterus durch die Bauchdecke auf das Schambein 5 Ggf. Hamilton-Handgriff: Handgriff wie oben mit zusätzlichem Einführen der Faust in die Vagina, um einen Gegendruck zu erzeugen (. Abb. 16.3) 5 3 IE Oxytocin i.v. als Bolus + 9 IE in 500 ml Ringerlösung 5 Umgehender Transport unter Voranmeldung in Gynäkologie

. Abb. 16.2  Veit-Smelli-Handgriff. (Aus: Distler und Riehn 2006 Notfälle in Gynäkologie und Geburtshilfe. Springer, Heidelberg)

16

5 Die Nabelschnur ist nach einem Fruchtwasserabgang im Geburtskanal vor dem Kopf sichtbar 5 Es besteht die Gefahr der Einklemmung bei fortschreitendem Geburtsvorgang mit drohender Unterversorgung des Kindes 5 Transport der Mutter in Beckenhochlage (Schocklage des Tragetischs) 5 Auf Linksseitenlage ist ebenfalls zu achten 5 Der Kopf des Kindes sollte, wenn möglich, mithilfe von zwei Fingern im Geburtskanal sanft zurückgedrängt werden,

. Abb. 16.3  Manuelle Komprimierung des Uterus bei Uterusatonie. (Aus: Distler und Riehn 2006 Notfälle in Gynäkologie und Geburtshilfe. Springer, Heidelberg)

339 Gynäkologische Notfälle

z Tokolyse

Medikamentöse Unterbrechung der Wehentätigkeit mit β2-Mimetika Dosierung

5 Fenoterol (Partusisten) 5 Fenoterol Amp à 0,5 mg ad 50 ml = 10 µg/ml 5 Boli à 20 µg oder Perfusor mit 3–15 ml/h i.v. nach HF und RR 5 β-mimetische Nebenwirkungen wie Tachykardie und RR-Abfall limitieren die Wirkung

16.2  Vena-Cava-

Kompressionssyndrom

z z Einleitung/Definition

Kompression der V. cava durch Gewicht des Uterus während der Schwangerschaft. z z Pathophysiologie

5 Ab der 20. SSW ist durch das zunehmende Gewicht des Uterus mit einer Kompression der V. cava zu rechnen 5 Verminderter Preload des Herzens 5 Erhöhter Venendruck in den unteren Extremitäten 5 Varizenbildung z z Symptomatik/Klinik

5 Hypotonie bei Rückenlage 5 Synkopenneigung 5 Tachykardie 5 RR-Abfall 5 Kaltschweißige Haut 5 Atemnot z z Therapie/Maßnahmen

5 Linksseitenlage und Unterstützung durch Unterlage, z. B. mit Decke oder Kissen, unter die rechte Körperseite 5 Die untere Hohlvene wird entlastet und ein venöser Rückstrom ist gegeben

16

Dosierung

5 Ggf. Volumengabe 5 Ggf. Theodrenalin/Cafedrin (Akrinor) 1 Amp. à 2 ml + 8 ml NaCl 0,9 % 5 Boli à 2 ml bis RRsys > 100 mmHg

16.3  Eklampsie z z Einleitung/Definition

5 Schwangerschaftsbedingte Komplikation, die im 2. Trimenon, meist aber im 3. Trimenon auftritt 5 Sie ist in der Symptomatik und Klinik vielfältig 5 Vorkommen: Ca. 1:2500 Geburten 5 Häufig bei Erstgebärenden 5 6-mal häufiger bei Mehrlingsschwangerschaften 5 Vorbote ist die Präeklampsie oder EPH-Gestose z z Pathophysiologie

5 Als Ursache wird eine vermehrte Bildung von Thromboxan angenommen 5 Thromboxan führt zu: 5 Arteriolenspasmus (Verminderung der uteroplazentaren Durchblutung) 5 Plättchenaggregation 5 Gesteigerte Uterusaktivität 5 Freisetzung von Renin aus dem Uterus führt zu Aktivierung des Renin-Angiotensin-Systems 5 Hierdurch Aldosteronausschüttung, was zu vermehrter Natriumrückresorption in der Niere führt 5 Dadurch vermehrte Wassereinlagerung im Körper (Ödem), da das Wasser nicht intravasal bleibt, sondern in das Interstitium diffundiert 5 Der Arteriolenspasmus im Uterus führt zu Freisetzung von Material aus der Blastozyste, das dann zu Fibrinablagerungen in den Nierenglomeruli führt 5 Renale Gefäßspasmen sowie intraglomeruläre Fibrinablagerungen führen

340

16

J. C. Brokmann

zur Abnahme der renalen Perfusion und glomerulären Filtrationsleistung 5 Der durch Thromboxan induzierte Artetiolenspasmus wird durch das aktivierte Renin-Angiotensin-System unterstützt 5 In der Leber führen die Gefäßspasmen zu einer zellulären Schädigung mit konsekutivem Anstieg der Leberenzyme (HELLP-Syndrom) 5 HELLP: Hemolysis; elevated liver enzymes, low plateled count 5 Die Reihenfolge der Symptome ist irreführend

5 Bewusstseinsgetrübte ausschließlich in Linksseitenlage

z z Symptomatik/Klinik

! Cave

5 Häufig steht die Hypertonie im Vordergrund und ist das primäre Symptom 5 EPH-Gestose 5 Edema (Ödeme) 5 Proteinurie 5 Hypertonie 5 Klinische Zeichen: 5 Hypertonie 5 Kopfschmerzen 5 Ohrensausen 5 Sehstörungen (Augenflimmern) 5 Niereninsuffizienz 5 Ödeme 5 Hypereflexie 5 Respiratorische Insuffizienz 5 Erbrechen 5 Krämpfe 5 Schwere Form des Krankheitsbilds (Präeklampsie) tritt mit zerebralen, gastrointestinalen und Visussymptomen auf 5 Der epileptische Krampfanfall zeigt tonische und klonische Krämpfe z z Therapie/Maßnahmen

5 Symptomatische Therapie 5 Sauerstoff 5 Engmaschiges Monitoring 5 Bewusstseinsklare Patienten werden in Oberkörperhoch- und Linksseitenlage transportiert

Dosierung

5 Medikamentöse Therapie 5 Dihydralazin (Nepresol) 10–25 mg i.v. (im Rettungsdienst selten vorhanden) 5 Diazepam (Valium) 5–10 mg i.v. 5 Furosemid (Lasix) 10–20 mg i.v. 5 Magnesium 1–2 g i.v. titriert

Auf eine initiale Absenkung des RRsys unter 150 mmHg sollte verzichtet werden.

z z Besonderheiten

Je nach Schweregrad der Erkrankung wird die Schwangere über die Notwendigkeit einer frühzeitigen Entbindung aufgeklärt. 16.4  Vaginale Blutung z z Einleitung/Definition

Genitale Blutungen können vielfältige Ursachen haben. Blutungen vor oder nach der Menses sind fast immer pathologisch. In der reproduktiven Phase kann die genaue Erhebung der Anamnese Hinweise auf die funktionelle Störung geben. Von einer gezielten gynäkologischen Untersuchung sollte in der Präklinik jedoch aufgrund der unzureichenden Umstände verzichtet werden. Blutungen aus der Harnröhre oder dem Analbereich sind von den vaginalen Blutungen zu differenzieren. z z Pathophysiologie

5 Blutung abhängig vom Alter und der Geschlechtsreife 5 Ein wesentlicher Teil der Blutungen ist schwangerschaftsbedingt

341 Gynäkologische Notfälle

5 Genitale Blutungen im Kindesalter 5 Infektion 5 Fremdkörper 5 Verletzungen 5 Defloration 5 Sexueller Missbrauch 5 Menarche 5 Tumoren (sehr selten) 5 Genitale Blutungen im Erwachsenenalter 5 Ohne Schwangerschaft – Dysfunktionelle Blutung – Zwischenblutung, Schmierblutung – Myome – Erythroplakie (Kontaktblutung) – Kohabitationsverletzung – Vergewaltigung – Pfählungsverletzung – Malignome – Zervixkarzinom, Endometriumkarzinom, Vulvakarzinom 5 Mit Schwangerschaft – Abort – Extrauteringravidität – Nachgeburtsperiode – Wochenbett 5 In der Postmenopause – Endometriumkarzinom – Zervixkarzinom – Vulvakarzinom z z Symptomatik/Klinik

5 Vaginale Blutungen sind bereits durch eine differenzierte Anamnese gut zu eruieren z z Therapie/Maßnahmen

5 Blutstillung 5 Vorlage (keine Tamponade) 5 Fritsche-Lagerung 5 Stabilisierung der Vitalfunktionen

16

16.5  Vergewaltigung

Vergewaltigungen gehören zu den seltensten Einsätzen im Rettungsdienst. Bedingt durch die Verletzung der körperlichen und seelischen Integrität der Opfer, muss hier von den üblichen Vorgehensweisen abgewichen werden. 5 Neben der Stabilisierung der Vitalfunktionen bei lebensbedrohlichen Verletzungen steht die psychische Komponente im Vordergrund, da die Patientinnen unter Angst leiden 5 In diesen Fällen muss vom üblichen Zeitmanagement abgewichen werden 5 Vom Einsatzpersonal wird ein maximales Einfühlungsvermögen erwartet > Eine Vergewaltigung ist eine kriminelle

Handlung. Für eine mögliche Strafverfolgung ist die Polizei sofort zu alarmieren, auch um weitere mögliche Straftaten des Täters zu verhindern.

Deshalb: 5 Das Opfer sollte die Kleidung nicht wechseln 5 Das Reinigen des Körpers (Haare kämmen, Duschen usw.) sollte bis zur gynäkologischen Untersuchung unterbleiben 5 Die Fingernägel sollten ebenfalls nicht gereinigt werden 5 Mit Sekret oder Blut verschmierte Gegenstände sollten asserviert werden

Literatur Distler W, Riehn A (2006) Notfälle in Gynäkologie und Geburtshilfe. Springer, Heidelberg Weiterführende Literatur Diedrich K, Holzgreve W, Jonat W (2007) Gynäkologie und Geburtshilfe, 2. Aufl. Springer, Berlin Dudenhausen JW, Schneider HPG, Bastert G (Hrsg) (2003) Frauenheilkunde und Geburtshilfe. De Gruyter, Berlin

343

Intoxikationen J. C. Brokmann

17.1 Allgemeines – 344 17.1.1 Giftelimination – 345

17.2 Alkohol (C2-Intox) – 345 17.3 Alkylphosphate – 346 17.4 Blausäure – 347 17.5 Cannabis – 348 17.6 Kokain – 348 17.7 Opiate – 349 17.8 Lysergsäurediethylamid (LSD) – 350 17.9 Amphetaminderivate (MDMA, MDA, MDE) – 350 17.10 Kohlenmonoxid (CO) – 351 17.11 Kohlendioxid (CO2) – 352 17.12 Lösungsmittel – 352 17.13 Säuren- und Laugenverätzungen – 352 17.14 Flusssäure – 353 17.15 Ausgewählte Medikamentenintoxikationen – 353 17.15.1 Benzodiazepine – 353 17.15.2 Tri- und tretrazyklische Antidepressiva – 354 17.15.3 Paracetamol – 354

Weiterführende Literatur – 355

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_17

17

344

J. C. Brokmann

17.1  Allgemeines z z Umfeldanalyse

5 Intoxikationen sind keine alltäglichen Notfälle und v. a. sie sind nicht immer offensichtlich. Die Symptome sind sehr unterschiedlich und nicht immer direkt auf eine Vergiftung hindeutend. So zieht der Notfallmediziner durch die unterschiedlichsten Symptome vielleicht erst ganz andere Ursachen, welche auch häufiger vorkommen, in Betracht als eine Intoxikation 5 Auch hier gilt: Zunächst an die eigene Sicherheit denken und dann eine gute und sorgfältige aber schnelle Umfeldanalyse an der Einsatzstelle durchführen → manche Substanz ist vielleicht noch in der Umgebung, manchmal hat der Patient diese vielleicht an einem ganz anderen Ort aufgenommen > Bei unklarer Klinik mit Bewusstseins-

störungen, Krampfanfällen, Speichelfluss, auffälligem Foeter ex ore, Pupillomotorik, unklarer Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen, Zeichen einer Kreislauiínstabilität fahnden Sie nach Intoxikationen, da deren Symptomatik so vielfältig und häufig erst im Nachhinein für uns Kliniker charakteristisch wird.

5 Denken Sie auch bei primär vielleicht offensichtlichen Symptomen in Ihren Differenzialdiagnosen auch an eine Vergiftung – gerade bei unklaren und schnell zunehmenden Symptomen wie z. B. Bewusstseinsstörungen

17

> Intoxikationen werden durch Giftstoffe

verursacht, die in der verabreichten Dosis durch den Körper als Gift identifiziert werden.

» Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne

Gift, allein die Dosis macht, das ein Ding Gift ist. (Paracelsus 1493–154)

Erkunden Sie immer, wenn möglich 5 Womit? Definition des Stoffs, Produktname, Bestandteile, Firma, Verpackungsgröße 5 Wann? Zeit der Einnahme und Auftreten der ersten Symptome 5 Wie viel? Möglichst genaue Mengenangabe 5 Wer? Alter, Geschlecht, Gewicht, Vorerkrankungen des Patienten 5 Wie? Aufnahmeweg: Oral, inhalativ, parenteral, transkutan 5 Weshalb? Bestand Suizidabsicht, Sucht, irrtümliche Einnahme, aktiv durch andere Person (an Kripo denken) 5 Klinische Symptome? Ansprechbar, kreislaufstabil, Komorbiditäten (normalen ABCDE-Ablauf durchgehen)

z z Ätiologie

5 Erwachsene: Häufig suizidal oder im Rahmen von Abhängigkeit (Sucht), weniger akzidentell 5 Kinder: Häufiger akzidentell, meist Kinder Die Indikation zur prähospitalen Magenspülung ist in den vergangenen Jahren weit nach hinten gerückt.

Voraussetzung: 5 Giftaufnahme nicht länger als vor 1–2 h 5 Wach, ansprechbarer Patient, ansonsten ist die Intubation und ggf. damit verbundene Narkoseeinleitung notwendig 5 Indikation ist immer Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung der Voraussetzung und Kontraindikationen > Cave

Vermeiden Sie Magenspülungen bei Vergiftungen mit Säuren und Laugen, Flusssäure da Perforationsgefahr!

17.1.1  Giftelimination

17.2  Alkohol (C2-Intox)

z z Medikamentös

z z Allgemeines

5 Versuchen Sie, die Giftaufnahme zu vermeiden. Dies gelingt – wenn innerhalb der ersten Stunde nach oraler Aufnahme – am besten mittels der Applikation medizinischer Kohle Dosierung

Aktivkohle (Carbo medicinalis) 5 Erwachsene: 1–2 g/kgKG oral 5 Kinder >1 Jahr: 1 g/kgKG oral 5 Kinder 4 → Asphyxie: Koma, Areflexie, Schock 5 ‰-unabhängig: 5 Hypoglykamiegefahr 5 Unterkühlung ! Cave

5 Die Promillewerte sind immer nur relativ zu betrachten und interindividuell unterschiedlich 5 Alkoholungewöhnte Patienten sind bereits bei ca. 2 ‰ lebensbedrohlich erkrankt 5 Alkoholgewöhnte können teilweise noch bei 3–4 ‰ ansprechbar sein! 5 Alkohol besitzt einen zentralnervösen Effekt. Er erzeugt Veränderungen des glutamatergen, dopaminergen, serotoninergen, opiodergen und GABAergen Systems. Es zeigt sich auch eine verstärkte Endorphinfreisetzung 5 Hypoglykämiegefahr durch Hemmung der hepatischen Glukoneogenese 5 Hemmung der ADH-Sekretion mit verstärktem Harndrang → dadurch Dehydratation 5 Dämpfung des Temperaturregulationszentrums im Hypothalamus z z Symptomatik/Klinik

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5 0,3–1 ‰ → Euphorie: Enthemmung, verringerte Reaktionszeit, Konzentrationsschwäche 5 1–2 ‰ → Exzitation: Störungen der Muskelkoordination, Störung Gleichgewichtssinn, zunehmende undeutliche Sprache, Sehstörungen, zunehmende Enthemmung, Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, aber auch Aggressionsneigung

Bewusstseinsstörungen erst als alkoholbedingt gelten lassen, wenn andere Ursachen wie neuropsychiatrische Symptome oder Hypoglykämie oder auch eine ICB ausgeschlossen wurden. (Hierfür muss nicht immer ein CCT angefertigt werden!)

z z Therapie/Maßnahmen

5 ABCDE 5 Symptomorientiertes Vorgehen 5 Kontrolle: Blutzucker 5 Bei Krampfanfällen: Benzodiazepin (7 Kap. 21) 5 Alkoholentzugsdelir: Haldol i.m. 5 Schutz vor Unterkühlung 5 In der Klinik ggf. Clonidin, Thiamin bei Alkoholentzugsdelir: Clomethiazol oder Diazepam nach einem strengen Protokoll ! Cave

Haldol sollte nur noch i.m. appliziert werden, da es unter i.v.-Gabe zu QT-Zeit-Verlängerungen und lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen gekommen ist.

17.3  Alkylphosphate z z Allgemeines

5 Organophosphate, Alkylphosphate 5 Hochtoxische Verbindungen, welche als Kampfstoffe verwendet wurden oder seit vielen Jahren in der Landwirtschaft als Insektizide/Pflanzenschutzmittel verboten

347 Intoxikationen

sind, wobei noch Restbestände verfügbar sein sollen 5 Bekannt als E 605, Parathion, Rubitox, Phosalon, Ultracid, Metasystox 5 Aktuell gefürchtet als Substanz von „dreckigen Bomben“ (Terrorgefahr) ! Cave

Organosphosphate sind Kontaktgifte, welche oral aber auch dermal resorbiert werden! Deshalb Eigenschutz beachten!

z z Pathophysiologie

5 Acetylcholin (ACh) führt über Interaktion mit nikotinergen und muskarinergen ACh-Rezeptoren zu entsprechenden Folgeerscheinungen→ Alkylphosphate führen zur Phosphorylierung der Aminosäure Serin im esteratischen Zentrum der Acetylcholinesterase 5 Phosphorylierung hat nichtkompetitive und irreversible Inhibierung der Acetylcholinesterase und Serumcholinetsrease (Pseudocholinesterase) mit endogener Acteylcholin-Intoxikation als Folge z z Symptomatik/Klinik 5 Muskarinerg: Bradykardie, Hypotonie

(bei hoher endogener Katecholaminkonzentration auch Tachykardie und Hypertonie möglich), Miosis, Tränen- und Speichelfluss (kann blaugefärbt sein), Schwitzen, Bronchialsekretion, Bronchospasmus 5 Nikotinerg: Erhöhter Muskeltonus, Fibrillationen, Fazikulationen, Myoklonien, später Muskelschwäche bis Lähmung, da Depolarisationblock bis Atemstillstand 5 Zentralnervös: Kopfschmerz, Angst, Unruhe, Bewusstseinsstörungen bis Koma und Krampfanfälle

z z Therapie 5 Selbstschutz beachten! Handschuhe (am

besten doppelt), direkten Patientenkontakt mit Schutzanzug vermeiden, RTW lüften, Nachalarmierung Feuerwehr (CBRN-Zug) 5 Symptomorientiertes Vorgehen 5 ABCDE

17

5 Patient entkleiden, Haut waschen, um weitere Resorption zu vermeiden 5 Atropinsulfat nach Wirkung titrieren, mit 2 mg beginnen und bis zu 15 mg initial langsam i.v. → an Herzfrequenz und Bronchialverschleimung orientieren 5 Intubationsindikation großzügig stellen, da Atropin nicht die Atemlähmung aufheben kann ! Cave

Atropin kann nur die muskarinerge Giftwirkung antagonisieren!

17.4  Blausäure z z Allgemeines

5 Blausäure oder Zyanwasserstoff und die dazugehörigen Salze (Zyanide) werden industriell und gewerblich in Galvanisierbetrieben, Laboren und zur Faserherstellung eingesetzt 5 Sie entstehen auch bei unvollständigen Verbrennungen (Schwelbränden) oder Verbrennungen von stickstoffhaltigen Materialien, wie Kunststoffen, aber auch Naturmaterialien, wie Baumwolle z z Pathophysiologie

5 CN-Ionen gehen reversible Komplexbildung mit dem dreiwertigen Eisen der oxidativen Cytochromoxidase der inneren Mitochondrienmembran ein und führen dann zur Hemmung der Atmungskette. Es kann in der Folge kein Sauerstoff mehr aufgenommen werden. Die Folge ist das sog. innere Ersticken 5 Ist HCN bei der Inhalation sehr schnell verfügbar, werden hingegen die Salze im sauren Milieu des Magens erst zu Zyanwaserstoff umgewandelt z z Symptome

5 Kopfschmerz, Übelkeit, Krämpfe, Bewusstlosigkeit 5 Hypotonie, Brady-/Tachykardie, Tachypnoe 5 Ggf. Bittermandelgeruch

348

J. C. Brokmann

z z Therapie

z z Symptome

5 Dimethylainophenol (4-DMAP) und Natriumthiosulfat bei Monointoxikation 5 DMAP bewirkt eine Umwandlung von Hämoglobin in Methämoglobin, welches die Zyanidionen binden kann. Die Zyanidionen werden dann mittels körpereigener Rhodanase in ungiftiges Rhodanid umgewandelt, wobei dann Natriumthiosulfat appliziert werden muss, um als Schwefeldonor zu dienen 5 Durch das DMAP wird die O2-Transportkapazität um ca. 30 % verringert! Eine begleitende CO-Intoxikation oder ein niedriger Hämoglobingehalt können die benötigte O2-Transportkapazität bedrohlich reduzieren! 5 Hydroxacobalamin (Cyano-Kit; Vitamin B12) wirkt als Cyanidfänger. Es bindet Cyanid im Plasma, das dabei entstandene Cyanocobalamin wird rasch im Urin ausgeschieden

5 Variable Stimmungsveränderungen von stark beglückt bis beruhigt, depressiv oder heiter und lachend 5 Herabgesetzte Hemmschwelle 5 Realitätsverkennung 5 Entfremdung 5 Verwirrtheit 5 Gelegentlich auch Neigung zu Fremdaggression 5 Körperlich: Mydriasis, Tränenfluss, Durstgefühl, Mundtrockenheit, Übelkeit, Tachykardie, Hypertonie, motorische Koordinationsstörungen

17.5  Cannabis z z Allgemeines

17

5 Blüten und Deckblätter des Hanfs enthalten Tetrahydrocannabinol. Diese werden entweder als „joint“ geraucht oder auch als Tee getrunken, können aber auch in „Haschkeksen“ verarbeitet sein 5 Das getrocknete Harz der Pflanze enthält ca. 3- bis 5-mal mehr Tetrahydrocannabinol. Dieses meist dunkelfarbige Harz wird zerbröselt und mit Tabak vermischt geraucht 5 Andere Bezeichnungen: Marihuana, Gras, Heu, Mary Jane z z Pathophysiologie

5 Einfluss auf Serotonin-Noradrenalin-Stoffwechsel über CBR-1- und -2-Rezeptoren 5 Erregung des limbischen Systems 5 Verlangsamung zentralnervöser Abläufe 5 Wirkungseintritt nach wenigen Minuten 5 Wirkdauer 30–180 min

z z Therapie

5 Symptomorientiertes Vorgehen 5 ABCDE 5 Psychische Betreuung (emotionalen Zugang zum Patienten finden) 5 Therapeutische Intervention weniger bei körperlicher Symptomatik, sondern meist bei psychischen Ursachen wie der Eigenoder Fremdgefährdung. 17.6  Kokain z z Allgemeines

5 Durch die Zubereitung von Blättern des Kokastrauchs entsteht ein helles, weiß schimmerndes, kristallines und teilweise flockiges Pulver oder kleine Klümpchen, weshalb auch schnell die Bezeichnungen: Schnee, Koks, Rocks, Puder … usw. entstanden 5 Häufig ist der angebotene Koks nicht rein, sondern verlängert mit Amphetaminen, Koffein oder Lokalanästhetika 5 Mischungen werden auch als Speed Ball, wie z. B. mit Heroin angeboten z z Pathophysiologie

5 Freisetzung von Noradrenalin und Reuptake-Hemmung, dadurch erhöhte Präsenz im synaptischen Spalt an adrenergen Nervenendigungen mit folgender Wirkung:

349 Intoxikationen

5 Gesteigerte Muskelaktivität 5 Gesteigerter Sympathikotonus 5 Stimulation Temperaturzentrum 5 Proarrhythmoge Wirkung 5 Negative Inotropie 5 Konsum führt zu starker psychischer Abhängigkeit z z Symptome

5 Euphorisierende Wirkung, Halluzinationen, Agitiertheit, gesteigerte Libido, Taten- und Rededrang, Überheblichkeit, mit Selbstüberschätzung 5 Mit abnehmender Wirkung: Neigung zu Verstimmung mit Angst und depressiver Stimmung sowie Schuldgefühlen 5 Körperlich: 5 Tachykardie 5 Hypertonie 5 Hyperthermie, Schwitzen 5 Blässe, Hyperreflexie 5 Tachypnoe 5 Mydriasis 5 Parästhesien (Koks-Bugs) 5 Pektanginöse Beschwerden bis Myokardinfarkt z z Therapie

5 Symptomorientiertes Vorgehen 5 Psychischen Zugang zum Patienten bekommen 5 Ggf. Sedierung und Anxiolyse mittels Benzodiazepinen 5 Bei pektanginösen Beschwerden: Gyceroltrinitrat-Spray 5 Bei Hypertonie: Urapidil i.v. ! Cave

Bei Kokainintoxikation ist die Gabe von β-Blockern komplikationsreich. Diese kann zu schwer beherrschbaren Hypotonien und einer Verstärkung des Koronarspasmus führen!

17

17.7  Opiate z z Allgemeines

5 Die Isolierung und Reindarstellung gelang Adam Sertürner 1806 5 Die Gewinnung erfolgt aus dem Rohopium des Schlafmohns 5 Es existieren mehr als 20 Alkaloide des Opiums, wie Morphin, Kodein, Methadon/Levomethadon 5 Die Anwendung erfolgt häufig i.v., alternativ auch inhalativ mittels verdampfender Substanzen (Drachen jagen) oder nasal (Schnupfen, sniefen) sowie oral bis hin zur s.c.- oder i.m.-Injektion z z Pathophysiologie

5 Die endogenen Opiodpeptide wirken als körpereigene Agonisten, wie: 5 Endorphine 5 Dynoprphine 5 Enkephaline 5 Durch die Bindung des Opiods am G-Protein des Opiodrezeptors kommt es zur Hemmung der membrangebundenen Adenylatcyclasen mit konsekutiver Reduktion der cAMP-Konzentration. Diese führt wiederum mittels Inaktivierung der Proteinkinase zur Öffnung von K- und Schließung von Ca-Ionenkanälen 5 Es kommt zur Hyperpolarisation mit Reduktion der Erregbarkeit z z Symptome

5 Bewusstseinsstörung 5 Miosis 5 Atemdepression Diese typische Trias kann in ihren einzelnen Bestandteilen unterschiedlichst ausgeprägt sein. Zudem kommen vor: 5 Euphorie, Glücksgefühl, Trance 5 Apathie, psychomotorische Verlangsamung

350

J. C. Brokmann

5 Hypotonie 5 Hypothermie 5 Übelkeit, Erbrechen 5 Ggf. Ödeme als aber auch Lungenödem z z Therapie

5 Symptomorientiertes Vorgehen 5 ABCDE 5 Freihaltung der Atemwege 5 Naloxon entweder s.c., i.m. oder i.v. Praxistipp

0,4 mg (Ampulle) auf 10 ml NaCl 0,9 % verdünnen und titriert nach Wirkung applizieren. Achtung Patient kann sehr schnell „unruhig und aggressiv“ werden.

5 Nicht jeder Patient mit einer derartigen Intoxikation sollte oder muss antagonisiert werden. Auch das beobachtete Abklingen der Symptome kann eine erfolgreiche Therapie sein 5 Bei Lungenödem: Diuretika wie Lasix 5 Cave: Nierenfunktionsstörungen bei längeren Liegezeiten als auch Lagerungsschäden sind möglich! ! Cave

17

Opiate werden zur Profitsteigerung sehr häufig gestreckt! Die Reinheit kann durch den Konsumenten nur eingeschränkt bis gar nicht überprüft werden. Die Kointoxikation mit anderen Substanzen, wie z. B. Strychnin, Koffein oder Kokain ist möglich.

17.8  Lysergsäurediethylamid

(LSD)

5 Die Aufnahme erfolgt aufgebracht oral über Zucker oder andere Träger bis hin zu „Mikrotrips“ 5 Wird auch bezeichnet als sunshine, yellows und shine, pink wedge, Drachencocktail, Ticket oder Trips z z Pathophysiologie

5 LSD ist ein α-Rezeptorenblocker, welcher über die Veränderung im Serotoninstoffwechsel zu psychischen Symptomen führt 5 Wirkeintritt nach ca. 20–40 min z z Symptome

5 Halluzinationen 5 Derealisation 5 Dysphorie/Euphorie 5 Synästhesien (Wahrnehmungsverschiebungen) 5 Orientierungsveränderungen 5 Mydriasis 5 Tachykardie 5 Horrortrip mit Panik, Aggression, Suizidalität z z Therapie

5 Symptomorientiertes Vorgehen 5 ABCDE 5 Psychischen Zugang zum Patienten finden 5 „Talk down“ 5 Ggf. Benzodiazepine 17.9  Amphetaminderivate

(MDMA, MDA, MDE)

z z Allgemeines

5 Die Amphetaminderivate haben unterschiedlichste Bezeichnungen wie z. B. Ecstasy, XTC, Speed, Ice, Cristal, Shabu 5 Sie entstammen den β-Phenylalkylaminen oder Weckaminen

z z Allgemeines

z z Pathophysiologie

5 Früher wurde LSD als Alakloid aus dem Mutterkorn hergestellt. Mittlerweile ist die synthetische Herstellung weit verbreitet

5 Amphetamine wirken sowohl durch eine gesteigerte Freisetzung als auch Wiederaufnahmehemmung biogener Amine wie

351 Intoxikationen

Noradrenalin und Dopamin im synaptischen Spalt 5 Zudem wirken sie über die Inhibition der für die Serotoninsynthese wichtigen Tryptophanhydroxylase z z Symptome

5 Verstärken die innere Wahrnehmung und Empfindung 5 Rede- und Bewegungsdrang 5 Lustbetontes Erleben 5 Gesteigerter Sexualtrieb 5 Euphorie 5 Psychosen 5 Vermindertes Trinkempfinden 5 Körperlich: 5 Hyperventilation 5 Tachykardie 5 Hypertonie 5 Pektanginöse Beschwerden 5 Hyperthermie z z Therapie

5 Symptomorientiertes Vorgehen 5 ABCDE 5 „Talk-down“ 5 Flüssigkeitsersatz 5 Bei maximaler Exzitation auch Sedierung mittels Benzodiazepinen möglich 17.10  Kohlenmonoxid (CO) z z Allgemeines

5 CO entsteht bei einer unvollständigen Verbrennung (Schwelbrände) 5 Es ist ein farb-, geruch-, geschmackloses sowie explosives Gas 5 Durch die zunehmende Ausbreitung von Sishabars kommt es bei unzureichender Belüftung der Räumlichkeiten häufiger zu CO-Intoxikationen z z Pathophysiologie

5 CO hat eine 200- bis 300fach höhere Affinität als O2 zum Hämoglobin 5 Es blockiert somit die O2-Bindungsstellen des Hämoglobins

17

5 Durch die Zunahme der CO-Hb-Konzentration am Gesamthämoglobingehalt nimmt die O2-Transportkapazität ab 5 Es kommt zur Linksverschiebung der O2-Dissoziationskurve mit erschwerter O2-Abgabe ans Gewebe (Bohr-Effekt) 5 Zunahme der zerebralen Perfusion mit Gefahr eines Hirnödems 5 Hemmung der inneren Atmung (Blockade der oxidativen Phophorylierung) z z Symptomatik

5 Hauptsächlich neurologische Symptome (. Tab. 17.1) z z Therapie

5 Rettung unter Eigenschutz 5 Ggf. Nachalarmierung Feuerwehr, je nach Einsatzlage 5 ABCDE 5 O2-Gabe hochdosiert 5 Bei Bewusstlosigkeit mit aufgehobenen Schutzreflexen ist die Intubation indiziert, dann Beatmung mit 100 % O2 und erhöhtem PEEP 5 Zur Akuttherapie als auch zur Vermeidung von Spätschäden ist nach „Expertenmeinung“ die Indikation zu einer hyperbaren Sauerstoffoxygenierung (HBO-Therapie) bei neurologischen Symptomen und CO-Hb-Wert >10 indiziert → nehmen Sie daher bei einem CO-Hb-Gehalt >10 % und/oder neurologischen Symptomen umgehend über . Tab. 17.1  Symptome der CO-Intoxikation nach CO-Hb-Anteil in % 0–10 %

Sehr selten Symptome

10–20 %

Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Müdigkeit, Unruhe

20–40 %

Schwindel, Palpitationen, Tachypnoe, Sehstörungen, Apathie

40–60 %

Rausch, Unruhe, Krämpfe, Schock, Bewusstlosigkeit

>60 %

Schwerste Vergiftung

352

J. C. Brokmann

Ihre Leitstelle Kontakt zu einem HBO-Zentrum auf! ! Cave

Verwenden Sie, wenn immer möglich, CO-Warnmelder bei Ihren Einsätzen! CO ist häufiger als angenommen ein Grund für unklare Bewusstseinsstörungen.

17.11  Kohlendioxid (CO2) z z Allgemeines

5 CO2 ist ein geruch,- farb- und geschmackloses Gas, welches schwerer ist als Luft und sich deshalb bodennah sammelt → Es sammelt sich daher häufig in Kellern, Schächten, Höhlen oder unzureichend belüfteten Räumen an 5 Es entsteht bei Gär- und Verbrennungsprozessen, gerade in Siloanlagen, Weinkellern und Sickergruben z z Pathophysiologie

5 Es kommt zu einer Erhöhung des arteriellen CO2-Partialdrucks mit einer konsekutiven CO2-Narkose (bei nicht vorerkrankten Patienten bei einem pCO2 >70 mmHg) 5 Ausbildung einer respiratorischen und später metabolischen Azidose

17.12  Lösungsmittel z z Allgemeines

Als Lösungsmittel kann man verschiedenste Kohlenwasserstoffe verwenden. Am häufigsten sind Lösungsmittel in Farben und Lacken oder auch in Haushaltsmitteln enthalten: 5 Polituren (Hexan, Benzin, Xylol, Toluol) 5 Fettlöser, Fleckenwasser, aliphatische Kohlenwasserstoffe (Benzol) 5 Aromatische Kohlenwasserstoffe 5 Farbverdünner z z Pathophysiologie

5 Zentralnervös: Schädigung der zentralen wie auch peripheren Neurone 5 Atemwege: Schleimhautschäden 5 Nephro-/hepatotoxisch: Urämie oder Hepatitis 5 Kardial: Myokardsensibilisierung für Arrhythmien z z Symptomatik

5 Zentralnervös, wie Kopfschmerz, Rausch, Unruhe, Übelkeit, Palpitationen, Dyspnoe z z Therapie

5 Symptomorientiertes Vorgehen 5 ABCDE 5 O2-Gabe

z z Symptome

17

5 Agitiert, Kopfschmerzen, Ohrensausen 5 Übelkeit 5 Mydriasis, Sehstörungen 5 Tachykardie 5 Tachypnoe 5 Ggf. toxisches Lungenödem z z Therapie

5 Symptomorientiertes Vorgehen 5 ABCDE 5 O2-Gabe hochdosiert

17.13  Säuren- und

Laugenverätzungen

z z Allgemeines

5 Laugen, z. B. Natronlauge, Salmiakgeist, Kalilauge 5 Säure, z. B. Schwefelsäure, Ameisensäure, Essigsäure, Salzsäure 5 Verätzungen im Kindesalter häufig akzidentell

353 Intoxikationen

17

5 Bei Erwachsenen akzidentell oder suizidal 5 Anteil bei den BG-Fällen durch verbesserte Schutzmaßnahmen rückläufig

z z Symptome

z z Pathophysiologie

z z Therapie

5 Laugen → Kolliquationsnekrose: Bei einer Kolliquationsnekrose kommt es nach initialer Zellschwellung zu einer Verflüssigung der Nekrose. Dadurch dann Tiefenwirkung mit Perforationsgefahr 5 Säuren → Koagulationsnekrose: Durch die Proteindenaturierung kommt es eher zu oberflächlichen Verätzungen mit Bildung eines Ätzschorfs, welcher das tiefere Eindringen in das Gewebe verhindert

5 Eigenschutz 5 Entfernung der kontaminierten Kleidung 5 Spülung mit Kalziumglukonatlösung oder Kalziumglukonatgel 5 Ggf. kann auch eine Unterspritzung mit Kalziumglukonat das tiefere Eindringen der Flusssäure verhindern

z z Symptomatik

5 Schmerzen 5 Schweren Verätzungen im Haut- und Schleimhautbereich mit Perforationsgefahr 5 Tiefe der Einwirkung nicht initial ersichtlich z z Therapie

5 Eigenschutz beachten 5 Symptomorientiertes Vorgehen 5 ABCDE 5 Kontaminierte Kleidung entfernen, Spülung 5 Differenzierte Therapie nach Auskunft der Giftnotrufzentrale oder auch des Unfalldatenblatts des Herstellers oder der BG 17.14  Flusssäure z z Allgemeines

5 Flusssäure wird in der Glas- und Metallindustrie, in chemischen Reinigung sowie als Lösungsmittel eingesetzt 5 Sie ist eine farblose, stechend riechende, hochtoxische Flüssigkeit z z Pathophysiologie

5 Flusssäure ist ein hochpotentes Kontaktgift 5 Aufgrund der Lipdlöslichkeit wird sie rasch resorbiert

5 Verätzungen der Weichteile oder auch Atemwege bei inhalativer Aufnahme

17.15  Ausgewählte Medika-

mentenintoxikationen

17.15.1  Benzodiazepine z z Allgemeines

5 Eine Monointoxikation mit Benzodiazepinen ist aufgrund ihrer großen therapeutischen Breite besser zu therapieren als eine Mischintoxikation 5 Bei einer Mischintoxikation mit Benzodiazepinbeteiligung sind weder die Wechselwirkungen noch die Gewichtung der einzelnen Substanzen abschätzbar 5 Benzodiazepine sind teilweise kurz aber auch länger anhaltend wirksam z z Pathophysiologie

5 Benzodiazepine wirken am GABA-Rezeptor → Verstärkung der inhibitorischen Funktion von GABA 5 Affinitätserhöhung von GABA am GABAA-Rezeptor → Hyperpolarisation durch erhöhte Öffnungswahrscheinlichkeit mit verminderter Erregbarkeit 5 Erhöhung der Krampfschwelle 5 Wirkprofile: 5 α1: Sedativ, antikonvulsiv, hypnotisch, anterograd amnestisch 5 α2: Zentral muskelrelaxierend, anxiolytisch 5 Ceiling-Effekt: Dosissteigerung führt nicht zur Zunahme der Wirkung

354

J. C. Brokmann

z z Symptome

z z Therapie

5 Bewusstseinsstörungen bis Koma 5 Ataxie 5 Nystagmus 5 Muskelschwäche 5 Tachykardie, Hypotonie 5 Nausea, Emesis

5 Symptomorientiertes Vorgehen 5 ABCDE 5 Wenn möglich primäre Detoxikation mittels medizinischer Kohle → Applikation innerhalb der ersten Stunde nach Aufnahme 5 Bei Krampfanfällen: Benzodiazepin 5 Bei Herzrhythmusstörungen: NaHCO3 8,4 %

z z Therapie

5 Symptomorientiertes Vorgehen 5 ABCDE 5 Titrierte Antagonisierung mittels Flumazenil (Anexate) → Verdrängung der Benzodiazepine aus der Rezeptorbindung 5 Flumazenil besitzt keine intrinsische Aktivität 5 Flumazenil initial 0,2 mg i.v. und dann repetitiv 0,1 mg i.v. nach Wirkung 5 Maximale Gesamtdosis 1–3 mg i.v. Die Halbwertszeit von Flumazenil ist kürzer als die der Benzodiazepine!

17.15.2  Tri- und tretrazyklische

Antidepressiva

z z Allgemeines

5 Häufig im Zusammenhang mit Suiziden verwendete Substanzen 5 Auch als Mischintoxikationen mit anderen Substanzen z z Pathophysiologie

5 Monoamin-Reuptake-Hemmung, welche zu kompetitiver Hemmung an m-Acetylcholinrezeptoren führen und somit zu einer anticholinergen Wirkung z z Symptomatik

5 5 5 5

z z Allgemeines

5 Paracetamol ist aufgrund der Freiverkäuflichkeit ein Medikament, welches für viele Patientengruppen schnell und unkompliziert zugänglich ist z z Pathophysiologie

! Cave

17

17.15.3  Paracetamol

Vigilanzminderung und Atemdepression Ggf. Enthemmung Tachyarrhythmien, QT-Zeit-Verlängerung Anticholinerges Syndrom mit Halluzinationen, Delir, Desorientiertheit, Koma, Krämpfen

5 Substanz wir zu 95 % hepatisch metabolisiert 5 Paracetamol wird durch CytochromP450-System zu hochreaktivem N-Acetylp-Benzochinonimin (NAPQI) oxidiert 5 Bindung von NAPQI führt zu Leberzellnekrosen 5 Paracetamolmetabolite werden durch Glutathion unter Bindung ungiftiger Cystein-Merkapat-Konjugate abgefangen 5 Durch Gabe von Thiolen, welche die Bildung von Glutathion fördern (N-Acetylcystein), kann der durch die Intoxikation erschöpfte Glutathionspeicher wieder aufgefüllt werden z z Symptomatik

5 Oberbauchbeschwerden 5 Erythem, Schweißausbrüche 5 Hypotonie 5 Nausea, Emesis z z Therapie

5 Symptomorientiertes Vorgehen 5 ABCDE 5 Medizinische Kohle, wenn perorale Aufnahme nicht länger als 1 h vorbei

355 Intoxikationen

5 N-Acetylcystein 5 Initial 150 mg/kgKG in 200 ml Glukose 5 % über 15 min 5 Dann 50 mg/kgKG in 500 ml Glukose 5 % über 4 h 5 Dann 100 mg/kgKG in 1000 ml Glukose 5 % über 16 h

17

Weiterführende Literatur 7 https://www.bvl.bund.de/DE/01_Lebensmittel/03_ Verbraucher/09_InfektionenIntoxikationen/lm_ LMVergiftung_node.html Müller D, Desel H (2013) Ursachen, Diagnostik und Therapie häufiger Vergiftungen. Dtsch Arztebl Int 110:690–700

357

Thermische Verletzungen J. C. Brokmann 18.1 Unterkühlung – 358 18.2 Erfrierung – 359 18.3 Sonnenstich, Hitzeerschöpfung, Hitzschlag – 359 18.3.1 Sonnenstich – 359 18.3.2 Hitzeerschöpfung – 360 18.3.3 Hitzschlag – 360

18.4 Verbrennungen – 361 18.4.1 Inhalationstrauma – 366

Literatur – 366

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_18

18

358

J. C. Brokmann

18.1  Unterkühlung z z Einleitung/Definition

Unter Hypothermie versteht man die Absenkung der Körperkerntemperatur 35 °C gilt die normale Medikamentendosierung.

Der Patient sollte maximal immobilisiert werden, um ein After-drop-Phänomen zu vermeiden: Einstrom kalten Blutes aus der Peripherie (Bergungstod). z z Symptomatik/Klinik

5 Stoffwechselsteigerung 5 Muskelzittern 5 Gestörte Vigilanz 5 Arrhythmie 5 Herz-Kreislauf-Stillstand Bei der EKG-Ableitung durch Elektroden kann es aufgrund der Hypothermie zu Ableitungsschwierigkeiten kommen. Die Verwendung von Nadelelektroden ist zu erwägen. z z Therapie/Maßnahmen

5 Bei Herz-Kreislauf-Stillstand: BLS-, ALS-Maßnahmen 5 Kalte oder nasse Kleidung sollte entfernt werden 5 Wärmung sollte passiv mittels Decken und Aufenthalt in einem warmen Raum erfolgen 5 Bei schwerer Hypothermie oder im Kreislaufstillstand sind aktive Erwärmungsmaßnahmen notwendig. Hier sind warme Infusionslösungen oder eine Konvektion warmer Luft sehr effektiv 5 Eine weitere invasive Erwärmung ist nur innerklinisch möglich. (Gastrische, peritoneale oder Blasenlavage mittels warmer Flüssigkeit, nur wenn keine andere Möglichkeit vorhanden, eruieren) 5 Bei Patienten mit Hypothermie und Herz-Kreislauf-Stillstand ist ein extrakorporaler Bypass die einzig sinnvolle

359 Thermische Verletzungen

Möglichkeit. Dies sollte bei der Auswahl der Zielklinik berücksichtigt werden 5 Während der Erwärmung wird aufgrund der sich ausdehnenden Kapazitätsgefäße eine große Menge an Volumen benötigt > Nobody is dead until he is warm and

dead.

z z Besonderheiten

Eine Hyperthermie sollte während und nach der Aufwärmphase vermieden werden. Auch für einen Patienten nach hypothermisch bedingtem Kreislaufstillstand besteht bei einem ROSC die Indikation für eine milde Hypothermie. 18.2  Erfrierung z z Einleitung/Definition

Wenn einzelne Körperteile oder Körperregionen intensiver Kälte ausgesetzt werden, kann es zu lokalen Erfrierungen kommen. z z Pathophysiologie

Anhängig von: 5 Außentemperatur 5 Art der Einwirkung 5 Geschwindigkeit der Einwirkung 5 Dauer der Kälteeinwirkung z z Symptome/Klinik

5 Bei Wiedererwärmung tritt Plasma in die Blasen ein 5 Es bilden sich schmerzhafte Frostbeulen und Gewebeschwellungen Erfrierung III. Grads: 

5 Die Haut ist blass-bläulich verfärbt und bildet schwarze Nekrosen aus 5 Es bilden sich ausgedehnte Blutblasen 5 Die Hautnerven in der Subkutis sind geschädigt und es wird eine Gefühllosigkeit und Schmerzfreiheit beschrieben 5 Bei Wiedererwärmung können sich die Gefäßspasmen aufgrund Thrombosen, Intima- sowie Medianekrosen nicht mehr lösen. Es kommt zum Absterben der entsprechenden Region

z z Therapie/Maßnahmen

5 Langsame und behutsame Wiedererwärmung der betroffenen Körperregion 5 Da häufig der Körperstamm auch hypotherm geworden ist, erreicht man mit einer Wiedererwärmung des Körperstammes auch eine Erwärmung der erfrorenen Region 5 Analgesie 18.3  Sonnenstich,

Hitzeerschöpfung, Hitzschlag

Von Erfrierungen besonders betroffen sind: 5 Akren (Finger, Zehen, Nase, Ohren)

18.3.1  Sonnenstich

Erfrierung I. Grads: 

z z Einleitung/Definition

5 Weiß-bläulich marmorierte Haut, bedingt durch die Vasokonstriktion 5 Bei Wiedererwärmung tritt durch die vermehrte Durchblutung eine Rötung und Schwellung ein Erfrierung II. Grads: 

5 Haut ist blau-rötlich verfärbt 5 Schädigung der Kutis und Subkutis mit Blasenbildung

18

Länger andauernde direkte Sonneneinstrahlung auf den ungeschützten Kopf. z z Pathophysiologie

5 Die direkte Einstrahlung führt zur Hirnhautreizung und Störung der Blut-HirnSchranke 5 Betroffen sind Säuglinge, Kinder, Schulkinder und Menschen mit wenig Kopfbehaarung

360

J. C. Brokmann

z z Symptome/Klinik

5 Hochroter, heißer Kopf 5 Unruhe 5 Kopfschmerz 5 Übelkeit 5 Erbrechen 5 Evtl. Meningismus z z Therapie/Maßnahmen

5 Erhöhter Oberkörper 5 Kühle Umgebung 5 Kalt-feuchte Kompressen oder Coolpack für den Nacken 18.3.2  Hitzeerschöpfung z z Einleitung/Definition

Die Hitzeerschöpfung ist ein Versagen der Kreislaufregulation infolge hitzebedingten Volumenverlusts durch Schweiß. z z Pathophysiologie

5 Durch Wasser und Elektrolytverluste kommt es zu einer Dehydratation 5 Vorwiegend ist hier eine extrazelluläre Dehydratation mit Kochsalzmangel 5 Hypotone oder hypertone Dehydratation 5 Begünstigend können diuretische Medikamente der Regelmedikation sein 5 Erbrechen und Diarrhö z z Symptome/Klinik

18

5 Zunächst feuchte, gerötete Haut 5 Später blasse und kaltschweißige Haut 5 Verminderter Hautturgor 5 Kopfschmerzen 5 Erbrechen 5 Durstgefühl 5 Somnolenz z z Therapie/Maßnahmen

5 Oberkörperhochlagerung 5 Sicherung der Vitalfunktionen 5 Kühle Umgebung (Schatten)

5 Wenn bewusstseinsklar → ausreichend Trinken lassen 5 Wenn bewusstseinsgetrübt → i.v.-Zugang und kristalloide Flüssigkeit 18.3.3  Hitzschlag z z Einleitung/Definition

Eine seltene und ausgesprochen gefährliche Erkrankung, bei der es durch Versagen der körpereigenen Temperaturregulation zu einem lebensbedrohlichen Anstieg der Körpertemperatur kommt. z z Pathophysiologie

5 Betroffen sind überwiegend ältere Patienten, Säuglinge und Kinder nach längerer körperlicher Anstrengung in feuchtwarmer Umgebung 5 Die Wärmeproduktion übersteigt bei körperlicher Anstrengung die Möglichkeit der Wärmeabgabe bei feuchtschwülem Klima 5 Erkrankungen (Diabetes oder Psychopharmaka) verursachen entweder selber ein Flüssigkeitsdefizit oder verhindern das Schwitzen zum Temperaturausgleich z z Symptome/Klinik

5 Hitzschlag oder Sonnenstich 5 Haut ist warm, gerötet durch periphere Vasodilatation 5 Atemfrequenz erhöht, aber flach 5 Bewusstseinseintrübung 5 Krampfanfall 5 Eine Schweißbildung findet nicht mehr statt z z Therapie/Maßnahmen

5 Lagerung in schattiger, kühler Umgebung 5 Kleidung entfernen 5 O2-Gabe 5 Aktiv mit kalten Tüchern oder Coolpacks abkühlen 5 i.v.-Zugang mit Applikation kühler Infusionen 5 Das Befeuchten der Haut mit Alkohol beschleunigt die Abkühlung

361 Thermische Verletzungen

18.4  Verbrennungen z z Einleitung/Definition

Verbrennungen entstehen durch thermische, chemische oder physikalische Einwirkungen, durch Strom oder auch durch eine Kombination dieser Ursachen. Ihr Anteil an allen Notfalleinsätzen liegt unter 2 %. Etwa 75 % der Verbrennungen ereignen sich im häuslichen und im Freizeitbereich, etwa 20 % sind Arbeitsunfälle. Rund 5 % aller Brandverletzungen entstehen bei Suizidversuchen. Durch Vorbeugung und eine konsequente Aufklärung von Bevölkerung und Beschäftigten ist die Zahl schwerer Verbrennungen in den vergangenen Jahren rückläufig. Weil insgesamt wenige Verbrennungen vorkommen und sie zu dramatischen Krankheitsbildern führen können, ist ein klar gegliedertes Behandlungskonzept für den Notfallmediziner dennoch unabdingbar. z z Pathophysiologie

Ab der kritischen Körpertemperatur von rund 41 °C werden die Haut und die Hautanhangsgebilde zerstört. Es entstehen irreversible Schädigungen. Steigt die Temperatur auf mehr als 50 °C, koagulieren die in der Haut und in den Hautanhangsgebilden enthaltenen Proteine. Durch den Integritätsverlust der Haut kommt es zu einem Flüssigkeitsverlust und zu einer Freisetzung körpereigener Substanzen, die das Gesamtbild des Schocks initiieren (. Tab. 18.1). . Tab. 18.1 Verbrennungsgrade Stufe

Temperatur (°C)

Hautabschnitt

Grad I

45

Epidermal

Grad IIa

45–55

Oberflächlich dermal

Grad IIb

>55

Tief dermal

Grad III

>100

Subdermal

Grad IV

Muskeln, Knochen

18

Für den akuten Notfall ist der Verbrennungsschock von besonderer Bedeutung. Im weiteren Verlauf kann sich daraus die Verbrennungskrankheit entwickeln. > Die Verbrennungskrankheit ist eine

Sekundärkrankheit.

5 Die Ausschüttung von Mediatoren wie Kininen, Prostaglandinen und Histamin nach einer Gewebsschädigung führt durch die Permeabilitätsstörung („capillary leak“) zur Ausbildung eines Ödems 5 Als Besonderheit gelten tiefergradige Verbrennungen durch Flammen bzw. durch längeren Kontakt mit heißen Flächen. Es entstehen geringer ausgeprägte Ödeme und Exsudationen als bei oberflächlichen intradermalen Brandwunden. Dies lässt sich durch die Koagulationsnekrose und die Unterbrechung der Mikrozirkulation bei tiefer Gewebezerstörung begründen 5 Erhebliche Mengen an Körperwasser gehen dem zentralen Kreislauf über das „capillary leak“ verloren, ebenso wie über die Wundfläche. Der Prozess führt zu einer Verminderung des Wasseranteils im Blut 5 Hypovolämie durch massive Elektrolytund Flüssigkeitsverschiebung erzeugt eine Hämkonzentration (Viskositätsanstieg) mit Sludge-Bildung 5 Die onkotische Kraft der ausgetretenen Proteine bringt einen weiteren intravasalen Flüssigkeitsverlust in Richtung Interstitium mit sich 5 Der Flüssigkeitsverlust im zentralen Blutkreislauf hat Hypovolämie und Hypotonie im Organismus zur Folge 5 Hierdurch entstehen eine massive Einschränkung der Mikrozirkulation und eine konsekutive Abnahme der Organperfusion 5 Unterstützt wird dieser Vorgang durch die Ausschüttung körpereigener Katecholamine 5 Auf zellulärer Ebene entsteht eine metabolische Azidose 5 Multiorganversagen und Sepsis sind primäre Folgen

362

J. C. Brokmann

z z Symptomatik/Klinik

Wichtig ist die Abschätzung der verbrannten Körperoberfläche (KOF). Davon hängt nicht nur der Umfang der präklinischen Infusionstherapie ab, sondern auch die Auswahl der Zielklinik. Für diese Entscheidungen ist auch die Tiefe der thermischen Einwirkung von Bedeutung. z z Schätzung des Verbrennungsausmaßes

Abhängigkeitsparameter für das Ausmaß einer Verbrennung 5 Flächenausdehnung 5 Eindringtiefe 5 Temperatur 5 Einwirkdauer

Die Beteiligung des verbrannten Gewebes wird in % KOF angegeben. Nach der Neuner-Regel von Wallace (. Abb. 18.1) ist eine schnelle und orientierende Einschätzung der Verletzung möglich. > Die Ausdehnung der Verbrennung

wird präklinisch meist überschätzt, die Verbrennungstiefe meist unterschätzt!

Sind nur Teile des Körpers beteiligt, gilt: 5 Handfläche des Patienten ohne Finger = 1 % der Körperoberfläche Bei Kindern werden Verbrennungen wegen der veränderten Körperproportionen nach dem Lund-Browder-Schema eingeteilt (. Tab. 18.2). z Klinische Einteilung der Verbrennungstiefe

18

Am Unfallort kann die Verbrennungstiefe nur orientierend eingeschätzt werden. Grad 1:

Rötung, Schwellung, trockene Wundverhältnisse

Grad 2a:

Rötung, Blasenbildung, feuchter, hyperämischer Wundgrund

. Abb. 18.1  Neuner-Regel nach Wallace. (Aus: Gorgaß et al. (2007) Das Rettungsdienst-Lehrbuch, 8. Auflage. Springer-Verlag, Heidelberg)

Grad 2b:

Blasenbildung, Epidermolyse, feuchter und blasser Wundgrund

Grad 3:

Lederartig, weiße/bräunliche Wunde, Nadelstichtest negativ

Grad 4:

Verkohlung, Beteiligung von Sehnen, Muskeln und Knochen

> Patienten haben selten einen

Verbrennungsgrad allein. Übergangszonen beachten!

Die Prognose ist im Wesentlichen von drei Faktoren abhängig: 5 Ausmaß und Tiefe der verbrannten Körperoberfläche sowie Begleitverletzungen

18

363 Thermische Verletzungen

. Tab. 18.2  Lund-Browder-Schema bei Kindern Körperteil

Neugeborene (%)

1 Jahr (%)

5 Jahre (%)

10 Jahre (%)

15 Jahre (%)

Erwachsene (%)

Kopf

19

17

13

11

9

7

Hals

2

2

2

2

2

2

Rumpf vorn

13

13

13

3

13

13

Rumpf hinten

13

13

13

13

13

13

Beide Oberarme

8

8

8

8

8

8

Beide Unterarme

6

6

6

6

6

6

Beide Hände

5

5

5

5

5

5

Genital

1

1

1

1

1

1

Gesäß

5

5

5

5

5

5

Beide Oberschenkel

11

13

16

17

18

19

Beide Unterschenkel

10

10

11

12

13

14

7

7

7

7

7

7

Beide Füße

5 Komorbiditäten 5 Qualität der medizinischen Versorgung z z Weitere Scores

5 ABSI: Alter, Geschlecht, % KOF, IHT, Verbren­nung III 5 APACHE II: Akuter physiolog. Sco­re, Alter, Begleiterkran­kung 5 Revised Beaux: Alter, % KOF, IHT 5 BOBI: Alter, % KOF, IHT 5 Flames: % KOF, Alter, Ge­schlecht, APACHE II Score 5 Ryan: Alter, % KOF, IHT z z Therapie/Maßnahmen

5 Sofortige Rettung der Person aus dem Gefahrenbereich 5 Löschen brennender Kleidung 5 Kurzzeitige Kaltwassertherapie (Temperatur 10–20 °C) ist nur als Maßnahme der Selbst- und Laienhilfe zu verstehen (Schmerztherapie und Ableitung der primär vorhandenen Überwärmung) 5 Durch Laienhelfer begonnene Kaltwasserbehandlung ist nach Eintreffen des Rettungsdienstes beendet (maximale Dauer

10 min seit Beginn durch Ersthelfer, da sonst die Gefahr der Unterkühlung besteht) 5 Protrahierte Kaltwasserbehandlung führt zu kältebedingter Vasokonstriktion (Verschlechterung der Gewebsperfusion) und zu einem erhöhtem O2-Bedarf durch kompensatorisches Muskelzittern. Prognoseverschlechterung ! Cave

Die Senkung der Körperkerntemperatur durch Kühlungsmaßnahmen korreliert mit der Prognoseverschlechterung.

5 Entfernung der verbrannten und leicht lösbaren Kleidung, mit der Haut verklebten Stoff belassen und rundherum wegschneiden 5 Keine präklinische Reinigung der Wundfläche! 5 Zügige und vollständige Untersuchung auf Begleitverletzungen! (Gefahr des Fixierungsfehlers) 5 Abschätzung des Verbrennungsausmaßes und der Tiefe (entscheidend für Therapie und Logistik) 5 Sterile Wundabdeckung

364

J. C. Brokmann

5 Das Auskühlen des Patienten muss verhindert werden 5 Verwenden Sie ggf. eine Gold-/Silberfolie 5 Sorgen Sie für eine warme Umgebungstemperatur! (RTW-Heizung) 5 Sicherung der Atemwege und eine adäquate Oxygenierung (O2-Gabe) sind obligat (Gefahr der CO-Intoxikation berücksichtigen) 5 Keine Neutralisationsversuche bei Unfällen mit chemischen Substanzen, weil dadurch Reaktionswärme entstehen kann! z Volumentherapie

Zur Flüssigkeitstherapie bei Verbrennung werden dem Patienten, wenn möglich, großlumige Zugänge angelegt, am besten in nicht verbrannten Zonen. Ansonsten müssen die Zugänge mit einer Annaht fixiert werden (Löcher in den Flügelchen der i.v.-Zugänge nutzen). Auf einen i.v.-Zugang distal einer zirkulären Verbrennung an einer Extremität sollte wegen des verminderten venösen Abstroms verzichtet werden. Für einen zentralen Venenzugang besteht präklinisch keine Indikation (Infektionsrisiko). Er sollte Ultima Ratio sein. Die Versorgung des Patienten erfolgt mittels: Dosierung

18

5 Baxter-Zellner-Schema: 5 1 ml Ringer-Laktat × kgKG × % KOF in den ersten 4 h oder: 5 Parkland-Baxter-Schema: 5 4 ml/% verbrannte Körperoberfläche/kgKG/24 h 5 50 % davon in den ersten 8 h, die weiteren 50 % in den restlichen 16 h

Die ideale Lösung zur Infusionstherapie wird derzeit noch kontrovers diskutiert.

5 Zunächst sollte gemäß den gültigen Empfehlungen Ringer-Laktat oder jede andere Vollelektrolytlösung innerhalb der ersten 24 h appliziert werden 5 Kolloide sind nicht empfehlenswert. Sie strömen wegen des „capillary leak“ aus dem Kapillarbett in das Gewebe und können das ohnehin entstehende Verbrennungsödem somit verstärken! Zielgrößen für die Volumentherapie beim Erwachsenen: 5 HF 80 mmHg Faustregel: Ein 75 kg schwerer Erwachsener mit 50 % Verbrennungsausmaß erhält 1000 ml Ringer/h 5 Vorsicht bei Kindern! Hier neigt man eher zu Volumenüberlastung 5 Der tatsächliche Volumenbedarf ist meist etwas höher als der errechnete, da der Grundumsatz nicht berücksichtigt wird 5 Bei einer Kombination aus Verbrennung und mechanischem Trauma ist evtl. der Einsatz kolloidaler Lösungen notwendig z Analgesie/Anästhesie

5 Stärkste Schmerzen werden durch großflächige Verbrennungen 2. Grads verursacht 5 Bei Verbrennungen 3. Grads werden auch nozizeptive Strukturen zerstört, daher tun sie häufig weniger weh 5 Schnelle und adäquate Analgesie durch bedarfsadaptierte Titration eines Opioids Dosierung

5 Morphin: 5–10 mg i.v. 5 Piritramid: 7,5–15 mg i.v. 5 Fentanyl: 0,05–0,1 mg i.v. 5 Ketamin-Midazolam-Kombination: 5 Ketamin: 30–100 mg i.v. + 5 Midazolam: 2–5 mg i.v.

365 Thermische Verletzungen

Neben dem Atemstillstand oder der Schnappatmung ist eine anhaltende Bewusstseinsstörung (GCS Vom Ausmaß der Verbrennung allein

kann nicht auf die Notwendigkeit einer Intubationsnarkose geschlossen werden!

z Logistik

5 Transport in Klinik mit RTW/NAW/RTH 5 Vorwärmen des Transportraums bei schweren Verbrennungen Ist keine Verbrennungschirurgie in der erreichbaren Nähe, ist ein geeignetes Transportmittel rechtzeitig anzufordern. Nach welchen Kriterien Brandverletzte den spezialisierten Zentren zugewiesen werden, geht aus . Tab. 18.3 hervor. Die Verlegung des Patienten in eine Klinik für Schwerstbrandverletzte kann dann im Anschluss an die Primärversorgung erfolgen (7 Kap. 4).

Zentrale Anlaufstelle für die Vermittlung von Krankenhausbetten für Schwerstbrandverletzte in Deutschland: > Berufsfeuerwehr Hamburg: Tel.

040/42851-4950.

Deren Aufgabe ist, auf telefonische Nachfrage, die dem Schadenort am nächsten gelegene, geeignete Einrichtung mit freien Kapazitäten und den dortigen Ansprechpartnern zu benennen. Die Einzelheiten bezüglich Transport, Aufnahme usw. sind dann zwischen den beteiligten Ärzten/Krankenhäusern abzusprechen. z Besonderheiten

Maßnahmen in der Akutphase Vermieden werden sollten: 5 Kolloidale Lösungen 5 Salben oder andere Oberflächentherapeutika vor der klinischen Aufnahme 5 Antibiotikum 5 Systemische/inhalative Kortikoide 5 Zugänge (venös/arteriell) im geschädigten Gebiet

. Tab. 18.3  Indikation zum Transport in ein Zentrum für Brandverletzte

Erwachsene

Kinder 20 % und > 10 % bei Über-50-Jährigen oder bei Verbrennungen von Gesicht, Hand, Fuß, Genital, Gelenke

Drittgradig

>10 %

Zweit- bis drittgradig

>10 % oder bei Verbrennungen von Gesicht, Hand, Fuß, Genital, Gelenke

Sowie bei Inhalationstrauma, Begleitverletzungen und signifikanten Vorerkrankungen, wenn die Verbrennung das größte Trauma ist

366

J. C. Brokmann

18.4.1  Inhalationstrauma > Bei Unfällen mit heißen und toxischen Stoffen, mit Rauch, Gas oder Aerosol, bei Explosionen sowie bei Unglücken in geschlossenen Räumen immer an ein Inhalationstrauma denken!

Die Schwere des Inhalationstraumas hängt dabei von dem verbrannten Material, der Dauer der Exposition sowie der Konzentration und der Löslichkeit der Substanzen ab (hierzu mehr in 7 Abschn. 8.6).

Literatur Gorgaß et al (2007) Das Rettungsdienst-Lehrbuch, 8. Aufl. Springer, Heidelberg

18

Weiterführende Literatur Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin (DGV). 7 http://www.verbrennungsmedizin.de Ellerkamp V, Lieber J, Königs I et al. (2017) Behandlung thermischer Verletzungen im Kindesalter (Verbrennung, Verbrühung). 7 https://www.awmf.org/ uploads/tx_szleitlinien/006-128l_S2K_Thermische_ Verletzungen_Kinder_2015-04-verlangert.pdf ERC-Manual Advanced Life Support (2015) 6. Aufl. Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Verbrennungschirurgie Rennekampff H.-O. für die Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin (2018) Behandlung thermischer Verletzungen des Erwachsenen. 7 https:// www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/044-001l_ S2k_Thermische__Verletzunge

367

Physikalisch-chemische Notfälle S. Wiese

19.1 Stromunfälle – 368 19.2 Ertrinkungsnotfall – 370 19.2.1 Lungenschaden – 374

19.3 Tauch- und Überdruckunfall – 374 19.4 Säuren-Laugen-Verätzungen – 377 19.4.1 Augenverätzung – 379 19.4.2 Gastrointestinale Verätzung – 379

Weiterführende Literatur – 380

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_19

19

368

S. Wiese

19.1  Stromunfälle

Verletzungen durch elektrischen Strom sind relativ selten, stellen aber potenziell lebensgefährliche Multisystemverletzungen mit hoher Morbidität und Mortalität dar. z z Definition

Stromverletzungen werden durch direkte Wirkungen des Stroms auf Zellmembranen und die glatte Gefäßmuskulatur verursacht. Die thermische Energie, die mit Hochspannungsverletzungen einhergeht, verursacht zudem Verbrennungen. Faktoren, die die Schwere von Stromverletzungen bestimmen, sind: 5 Art des Stroms (Wechsel- oder Gleichstrom) 5 Einwirkende Energie 5 Widerstand 5 Weg des Stroms durch den Patienten 5 Fläche und Dauer des Kontakts

19

Der Hautwiderstand wird durch Feuchtigkeit herabgesetzt und so das Verletzungsrisiko erhöht. Der elektrische Strom folgt dem Weg des geringsten Widerstands: Stromleitende neurovaskuläre Stränge in den Extremitäten sind besonders gefährdet. Traditionell werden Unfälle in Stromunfälle mit Nieder- und solche mit Hochspannung eingeteilt. Dabei werden als Niederspannung alle Stromspannungen unter 1000 V bezeichnet, als Hochspannung alle höheren Spannungen. Unfälle mit Niederspannung können durch eine Vielzahl von Mechanismen den Organismus schädigen: 5 Der Kontakt mit Wechselstrom kann eine tetanische Kontraktion der Skelettmuskulatur hervorrufen, die die Lösung von der Stromquelle verhindern kann 5 Myokardiales oder respiratorisches Versagen kann unmittelbar zum Tode führen 5 Ein Atemstillstand kann durch Lähmung zentraler Steuerungssysteme der Atmung und der Atemmuskulatur hervorgerufen werden

5 Elektrischer Strom kann Kammerflimmern (VF) hervorrufen, wenn er das Myokard während der vulnerablen Phase des Herzzyklus durchläuft (analog zum R-auf-T-Phänomen) 5 Elektrischer Strom kann durch Auslösen eines Koronararterienspasmus auch eine myokardiale Ischämie induzieren 5 Eine Asystolie kann primär oder sekundär als Folge eines Atemstillstands auftreten Demgegenüber stehen bei Hochspannungsunfällen thermische Schäden im Vordergrund: 5 Sowohl bei industriellen Unfällen als auch beim Blitzschlag werden oft mehrere hundert Kilovolt in wenigen Millisekunden durch den Organismus abgeleitet. Der Hauptanteil des Stroms beim Blitzschlag fließt über die Körperoberfläche als sog. „external flashover“

5 Schäden am Bewegungsapparat werden durch Stromeinwirkung und durch Sturz verursacht. Massive Muskelkontrakturen können zu Frakturen und Dislokationen führen. Muskelnekrosen, Thrombosen und Kompartmentsyndrom sind möglich 5 Massiver Gewebsuntergang kann eine akute tubuläre Nekrose mit Nierenversagen zur Folge haben 5 Hochspannungsentladungen verursachen am Kontaktpunkt tief reichende Verbrennungen. Bei industriell bedingtem Lichtbogen sind üblicherweise die oberen Extremitäten betroffen, während der Blitzschlag vorwiegend Kopf, Nacken und Schultern trifft. Verletzungen können auch durch Strom über den Erdboden oder durch „Stromspritzer“ von einem Baum oder einem anderen vom Blitz getroffenen Objekt ausgelöst werden 5 Großflächige, schwere Verbrennungen sind typisch für den Unfall mit Hochvoltstrom, kommen aber beim Blitzunfall aufgrund der extrem kurzen Einwirkzeit nur selten vor 5 Eine Explosion kann auch ein stumpfes Trauma mit inneren Blutungen verursachen

369 Physikalisch-chemische Notfälle

z z Epidemiologie

Stromunfälle verursachen jährlich 0,54 Todesfälle pro 100.000  Personen. Die meisten Elektrounfälle ereignen sich am Arbeitsplatz und sind in der Regel Unfälle mit höherer Spannung. Kinder hingegen sind vorwiegend zu Hause gefährdet, wo die Spannung niedriger ist (220 V in Europa, Australien und Asien, 110 V in den USA und Kanada). Stromunfälle durch Blitzschlag sind selten, obwohl weltweit jährlich 1000 Todesfälle auf diese Weise verursacht werden. Unfälle mit Niederspannung enden in etwa 3 % tödlich, während bei Hochspannungsunfällen in bis zu 30 % der Fälle mit einem tödlichen Ausgang zu rechnen ist. Epidemiologische Angaben zur Häufigkeit von nichttödlichen Stromunfällen sind vermutlich weit niedriger, als es dem tatsächlichen Stand entspricht, da nicht jeder Patient erfasst wird und epidemiologische Daten in vielen Ländern uneinheitlich erhoben werden. Ihre Inzidenz wird auf mehr als 70 Stromunfälle pro 100.000 Einwohner und Jahr geschätzt. In den USA werden ungefähr 5 % aller Verbrennungsfälle auf die Einwirkung von elektrischer Energie zurückgeführt. Verletzungen durch technischen Strom und Blitzschlag betreffen in erster Linie Männer im 3. Lebensjahrzehnt; ein großer Teil der Verletzungen ereignet sich während der Arbeit. Etwa 60–70  % der Stromunfälle ereignen sich durch Haushaltsstrom. In ca. 20 % der Elektrounfälle sind Kinder betroffen. z z Therapie

Beim Einsatzstichwort „Stromunfall“ steht der größtmögliche Eigenschutz der Helfer anfänglich im Vordergrund. Bei Niederstromunfällen kann meistens der sichere Zugang zum Patienten durch das Rettungsdienstpersonal selbst bewerkstelligt werden.

19

Dabei hat stets die eigene Sicherheit oberste Priorität. Beim Niederspannungsunfall wird wie folgt vorgegangen: 5 Abschalten der Sicherung 5 Ausstecken von Elektrogeräten 5 Entfernen des Patienten vom Stromkontakt Dazu muss der Helfer von einem Erdschluss gesichert sein. Er kann mithilfe eines trockenen Nichtmetallgegenstands (z. B. Holzstock) versuchen, die Stromquelle (z.  B. Niedervoltstromkabel) vom direkten Kontakt zum Patienten zu entfernen. Auch wenn die Höhe der Spannung häufig durch Warnhinweise kenntlich gemacht ist, muss im Zweifel bei unbekannter Spannungsquelle davon ausgegangen werden, dass es sich um Hochspannung handelt. Hier und beim definitiven Hochspannungsunfall ist in der Regel Fachpersonal der Stromversorger erforderlich, um den Strom sicher abzuschalten. Bis dahin ist ein Sicherheitsabstand von 10 m einzuhalten. Es wird oft empfohlen, sich kleinschrittig oder durch Hüpfen fortzubewegen, wenn die Gefahr eines Stromunfalls besteht, um so eine gefährliche Schrittspannung zu vermeiden. Diese Maßnahmen sollten allenfalls nur zum Vergrößern des Sicherheitsabstands genutzt werden. > Keinesfalls sollten sich Helfer der

Unfallstelle nähern, bevor diese nicht sicher spannungsfrei ist.

Bei der Hochspannungsunterbrechung müssen folgende Maßnahmen durch Fachleute garantiert werden: 5 Abschalten der Stromzufuhr (Freischaltung) 5 Rückmeldung 5 Sicherung vor Wiedereinschaltung 5 Überprüfung auf Spannungsfreiheit 5 Sichtbare Erdung

370

19

S. Wiese

Nach stattgehabtem Blitzunfall ist das Berühren des Patienten ungefährlich. Es ist aber weiterhin das Gewitter als mögliche Gefahrenquelle zu berücksichtigen. Die Behandlung und Sicherung der Vitalfunktionen muss unmittelbar nach der Rettung beginnen. Im Allgemeinen ist dabei den bekannten Richtlinien des ALS zu folgen (7 Kap. 6). Insbesondere bei Hochspannungsopfern kann die Behandlung von Verbrennungen im Vordergrund stehen (7 Kap. 18). Spezifische Aspekte der Stromopferbehandlung umfassen: 5 Das Atemwegsmanagement kann beim Vorliegen von Verbrennungen im Gesichts- und Halsbereich schwierig sein. In diesen Fällen ist eine frühzeitige endotracheale Intubation angezeigt, da sich ausgedehnte Weichteilödeme entwickeln können, die zur Atemwegsobstruktion führen 5 Nach Elektroverletzungen können Schädel-Hirn- und Wirbelsäulentraumata auftreten. Die Wirbelsäule muss bis zur weiteren Abklärung immobilisiert werden 5 Insbesondere nach Hochspannungsunfällen kann für mehrere Stunden eine Lähmung der Muskulatur vorliegen. Während dieser Phase kann eine Atemunterstützung notwendig sein 5 Kammerflimmern ist die häufigste initiale Arrhythmie nach Stromunfall mit Wechselstrom. Eine Asystolie tritt häufiger nach Stromunfällen mit Gleichstrom auf. Auch diese Rhythmusstörungen sollen unmittelbar nach den bekannten Algorithmen therapiert werden 5 Schwelende Kleidungsstücke und Schuhe müssen zur Vermeidung zusätzlicher thermischer Verletzungen entfernt werden 5 Eine aggressive Volumentherapie ist bei größeren Gewebezerstörungen indiziert. Eine ausreichende Urinproduktion muss aufrecht erhalten werden, um die Ausscheidung von Myoglobin, Kalium und anderen Produkten der Gewebeschädigung zu fördern

5 Bei Patienten mit schweren thermischen Verletzungen sollte eine frühzeitige operative Intervention in Betracht gezogen werden 5 Es muss ein Sekundärcheck (7 Kap. 12) vorgenommen werden, um Verletzungen, die durch tetanische Muskelkontraktionen oder Stürze hervorgerufen sein können, zu entdecken 5 Stromschläge können schwere tief reichende Weichteilverletzungen bei relativ geringfügigen Hautwunden hervorrufen, da der Strom den neurovaskulären Bündeln folgt. Sorgfältig nach Zeichen eines Kompartmentsyndroms suchen, das eine Faszienspaltung erfordert 5 Insbesondere bei Arbeitsunfällen mit Strom, aber auch beim Blitzschlag kann es zu mehreren Verletzten gleichzeitig kommen. In diesem Fall ist die Triage indiziert und frühzeitige Nachalarmierung von Rettungskräften notwendig, um die zur Verfügung stehenden Ressourcen möglichst effektiv einsetzen zu können Ein Algorithmus für das klinische Management eines Stromunfalls ist in . Abb. 19.1 dargestellt. 19.2  Ertrinkungsnotfall

In Europa ist Ertrinken als unfallbedingte Todesursache häufig. Die wichtigste und schwerwiegendste Folge des Ertrinkens ist die Hypoxie. Die Hypoxiedauer ist der entscheidende Faktor für das Outcome des Betroffenen. Aus diesem Grund sollten Oxygenierung, Ventilation und Kreislauf so schnell wie möglich wieder hergestellt werden. z z Definition

Um eine Vergleichbarkeit von wissenschaftlichen und epidemiologischen Studien zu gewährleisten, wurde durch das International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR) folgende Definition für das Ertrinken vorgeschlagen:

371 Physikalisch-chemische Notfälle

19

. Abb. 19.1  Algorithmus für das klinische Management eines Stromunfalls

» Prozess, der in einer primären

respiratorischen Verschlechterung durch Submersion/Immersion in einem flüssigen Medium resultiert. Voraussetzung für diese Definition ist eine FlüssigkeitsLuft-Barriere am Eingang der Atemwege des Opfers, welche ein Luftholen verhindert. Nach diesem Ereignis kann das Opfer lebendig oder tot sein, war aber unabhängig vom Outcome in einen Ertrinkungsvorfall involviert.

Es wird empfohlen, die folgenden, bisher gebräuchlichen Begriffe nicht länger zu verwenden: Trockenes und nasses Ertrinken, aktives und passives Ertrinken, stilles Ertrinken, sekundäres Ertrinken und Ertrunken sein vs. Beinahe-Ertrunken sein.

Dabei wird Immersion als das Eintauchen des Körpers bezeichnet. Damit Ertrinken auftreten kann, müssen auch Gesicht und Atemwege untergetaucht sein. Ist der gesamte Körper inklusive Atemwege untergetaucht, wird dies als Submersion bezeichnet. Beim kompletten Untertauchen des Menschen in Wasser kann der Atemreiz von untrainierten Personen in der Regel nicht länger als 2 min unterdrückt werden. Als Panikfolge kommt es zu Wasseraspiration und Laryngospasmus. Bei fortbestehender Hypoxämie setzt Bewusstlosigkeit ein. Der Laryngospasmus löst sich bei einer Mehrzahl von Ertrunkenen wieder (85–90 %). Es kommt zur Aspiration von größeren Mengen Wasser oder Erbrochenem. Bei 10–15 %

372

S. Wiese

der Ertrunkenen bleibt der Laryngospasmus auch unter Bewusstlosigkeit bestehen. Traditionell wurde pathophysiologisch zwischen Süßwasser- und Salzwasser-Ertrinken unterschieden. Neuere Untersuchungen zeigen allerdings kaum klinisch relevante Unterschiede im Elektrolythaushalt. Das kann damit zusammenhängen, dass bei echten Ertrinkungsunfällen im Vergleich zu den tierexperimentellen Daten die Aspiratmengen deutlich geringer sind. Das plötzliche Eintauchen in kaltes Wasser kann einen sog. Tauchreflex mit extremer vagaler Reaktion bis zum Herzstillstand zur Folge haben. Bradykardien oder ventrikuläre Arrhythmien als Folge der Hypothermie sind weitere Todesursachen beim Ertrinken. Kardiomyopathien und angeborene bzw. erworbene QT-Zeit-Verlängerung spielen dabei bei einigen Patienten die entscheidende Rolle. z z Epidemiologie

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben weltweit jährlich ungefähr 450.000  Menschen durch Ertrinken. Rund 97 % aller Todesfälle durch Ertrinken finden sich Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen. In Deutschland sind im Jahr 2018 504 Menschen ertrunken. Tod durch Ertrinken findet sich häufiger bei jungen Männern und ist in Europa in dieser Gruppe die häufigste Ursache für einen Unfalltod. Bei bis zu 70 % aller Ertrinkungstode ist Alkoholkonsum beteiligt. Eine weitere Hauptrisikogruppe bilden Kinder im Alter zwischen 1–5 Jahren (ca. 10 % aller Ertrunkenen) und Männer allgemein (ca. 70 % aller Ertrunkenen). > Ertrinken ist bei jungen Männern und

Kindern die häufigste Ursache für einen Unfalltod.

19

Die Dunkelziffer dürfte bei den Geretteten aber noch wesentlich höher liegen. In den USA wird die Zahl der Überlebenden im Vergleich zu den Ertrunkenen mit tödlichem Ausgang auf bis zu 500- bis 600-mal höher geschätzt.

z z Rettung

5 Alle Ertrinkungsopfer müssen auf dem schnellstmöglichen und sichersten Weg an einen geeigneten Versorgungsplatz (Ufer, Boot etc.) gebracht werden, damit Wiederbelebungsmaßnahmen so schnell wie möglich begonnen können werden 5 Die Rettung aus dem Wasser erfolgt mit geeignetem Gerät, in der Regel durch die Feuerwehr oder andere in der Wasserrettung tätige Organisationen (DLRG, Wasserwacht, Wasserschutzpolizei etc.) 5 Wenngleich in den neuen ERC-Richtlinien die Beatmung während des Transports im Wasser beschrieben wird, so führen solche Maßnahmen in der Regel nur zu einer Verzögerung der Rettung und sollten im Zweifel daher unterbleiben 5 Sollte die Rettung zum Ufer mehr als 5 min benötigen, so kann eine 1-minütige Atemspende erwogen werden 5 Danach sollten keinerlei weitere Beatmungsversuche mehr erfolgen zugunsten eines möglichst zügigen Transports 5 Eine Thoraxkompression ist im Wasser stets ineffektiv Die Inzidenz von Halswirbelsäulenverletzungen bei Ertrinkungsopfern ist gering (ca. 0,5 %). Der Versuch die Wirbelsäule im Wasser zu immobilisieren ist schwierig und wird wahrscheinlich lediglich die Rettung des Opfers verzögern. Schlecht angebrachte Halskrausen können bei bewusstlosen Patienten ebenfalls zu einer Verlegung der Atemwege führen. Pulslose, nicht atmende Opfer sollten trotz potenzieller Rückenmarkverletzungen so schnell wie möglich aus dem Wasser gerettet werden. Selbst dann, wenn keine rückenstützende Gerätschaft (Spineboard) zur Verfügung steht. Dabei kann versucht werden, die zervikale Wirbelsäule zu stablisieren, wenn dies den Rettungsprozess nicht verzögert. Gibt es keine Anzeichen für eine traumatische Begleitverletzung oder lässt der

373 Physikalisch-chemische Notfälle

Unfallhergang eine solche nicht wahrscheinlich erscheinen, ist eine Halswirbelsäulenimmobilisation nicht indiziert. Vorsicht jedoch bei einem vorangegangenem Sprung ins Wasser, Traumazeichen oder Hinweisen auf eine Alkoholintoxikation. z z Therapie

Die erste klinische Beurteilung läuft parallel zu den therapeutischen Erstmaßnahmen. Neben der Erfassung der Vitalfunktionen und dem Ausschluss möglicher Begleitverletzungen erfolgt die orientierende neuro­ logische Unter­ suchung und die Dokumentation des Glasgow-Koma-Skala (GCS)-Werts. Im weiteren Verlauf schließt sich, ohne Maßnahmen höherer Priorität zu verzögern, eine Messung der Körpertemperatur an. Mit dem Ziel, die bestehende Hypoxie zu beseitigen, ist grundsätzlich die frühzeitige Gabe von 100 % O2 indiziert. > Der erste und wichtigste Schritt bei der

Behandlung von Ertrinkungsopfern ist die Beseitigung der Hypoxie.

Die Atemwege müssen präklinisch nicht von aspiriertem Wasser befreit werden. Die Mehrzahl aller Ertrinkungsopfer aspiriert nur eine moderate Menge Wasser, die zudem recht schnell vom zentralen Kreislauf absorbiert wird. Außer gründlichem Absaugen sollte deshalb jeder Versuch, das Wasser aus den Atemwegen zu entfernen, unterbleiben. Besonders Stöße in den Bauch, mit dem Ziel das Wasser zu entfernen, führen regelmäßig zu Regurgitationen von Mageninhalt oder zu Verletzungen. Sie sind deshalb nur dann indiziert, wenn eine Verlegung der Atemwege eine Atemspende unmöglich macht. 5 Zur Atemwegssicherung muss die endotracheale Intubation als Standardverfahren gefordert werden, da unter Masken- bzw. Mund-zu-Mund-Beatmung 68 % und unter Herzdruckmassage 86 % der Patienten nach Beinahe-Ertrinken ­aspirieren 5 Eine elektive Intubation muss unter den Bedingungen einer „rapid sequence

19

induction“ erfolgen. Ein Krikoiddruck ist nicht indiziert 5 Im Fall einer Regurgitation sollte der Kopf des Opfers zur Seite gedreht und das Sekret möglichst unter direkter Absaugung entfernt werden 5 Bei Verdacht auf eine Wirbelsäulenverletzung ist es erforderlich, den Patienten mit mehreren Helfern unter achsengerechter Haltung „wie einen Baumstamm“ auf die Seite zu rollen 5 Bei bewusstseinsgetrübten Patienten oder bei bestehender Dyspnoe erfolgt die kontrollierte Beatmung mit PEEP. Die Beatmung kann allerdings aufgrund einer relevant gestörten pulmonalen Compliance deutlich erschwert sein. Vor allen Dingen auch der Einsatz von alternativen Beatmungsmöglichkeiten wie der Larynxmaske kann dadurch limitiert sein 5 Insbesondere bei pädiatrischen Patienten kann ein durch verschlucktes Wasser prall gefüllter Magen über einen Zwerchfellhochstand die Beatmung erschweren. Um die Beatmung zu erleichtern, sollte nach endotrachealer Intubation eine Magensonde eingelegt werden 5 Bei Herz-Kreislauf-Stillstand nach Ertrinkungsunfällen gelten die aktuellen Richtlinien zur kardiopulmonalen Reanimation (7 Kap. 6) 5 Besondere Modifikationen sowohl der Basismaßnahmen („basic life support“, BLS) als auch der erweiterten Maßnahmen („advanced life support“, ALS) werden allenfalls hinsichtlich der häufig bestehenden Hypothermie gefordert (7 Kap. 6) 5 Auch bei einem primär respiratorischen Kreislaufstillstand ist darauf zu achten, dass die Herzdruckmassage möglichst mit wenig Unterbrechungen durchgeführt wird 5 Bei einem nicht reagierenden, nicht atmenden Patienten muss ein Defibrillator angeschlossen werden 5 Bevor die Elektroden aufgeklebt oder aufgepresst werden, muss die Haut des

374

S. Wiese

Thorax so weit abgetrocknet werden, dass kein Feuchtigkeitsfilm zwischen den Elektroden verbleibt, worüber der Strom unkontrolliert und wirkungslos abgeleitet werden könnte 5 Wenn das Opfer eine Hypothermie mit einer Körperkerntemperatur von 37 °C) aktiv entgegenzuwirken. Wenngleich ein erhöhter intrakranieller Druck (ICP) nach einem Ertrinkungsunfall auf eine schlechte Prognose hinweist, gibt es keinerlei Hinweise, dass die medikamentöse Senkung des ICP (z. B. durch Hyperventilation oder Barbiturate) sinnvoll ist. 19.2.1  Lungenschaden

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Ertrinkungsopfer haben ein hohes Risiko, bis zu 72 h nach der Submersion ein akutes Lungenversagen („adult respiratory distress syndrome“, ARDS) zu entwickeln. Protektive Beatmungsstrategien verbessern die Überlebensrate bei ARDS-Patienten. Die erhöhte Neigung zum Alveolarkollaps durch das Auswaschen von Surfactant kann den Einsatz von PEEP oder von anderen

Rekruitmentmanövern notwendig machen, um eine schwere Hypoxie rückgängig zu machen. Nach einem Ertrinkungsunfall entwickelt sich häufig eine Pneumonie. Eine prophylaktische Antibiotikagabe hat sich nicht als vorteilhaft erwiesen, kann jedoch bei einer Submersion in schwerst verunreinigten Gewässern, wie in der Kanalisation, erwogen werden. Antibiotika können nach Antibiogramm oder kalkuliert gegeben werden, wenn sich in der Folge Zeichen einer Infektion entwickeln. 19.3  Tauch- und Überdruckunfall

Tauchunfälle können beim Tauchen mit Pressluft oder beim Arbeiten unter Überdruck in einer Caisson-Baustelle, wie sie z. B. dem Tunnelvortrieb oder Brückenpfeilerbau dient, auftreten. Der schwere Tauchunfall (Dekompressionserkrankung, „decompression illness“, DCI) ist ein lebensbedrohliches Ereignis mit zwei unterschiedlichen Pathomechanismen: 5 Bildung freier Gasblasen in Blut und Gewebe nach längerem Aufenthalt in Überdruck und entsprechender Inertgasaufsättigung (Dekompressionskrankheit, „decompression sickness“, DCS) 5 Arterielle Gasembolie („arterial gas embolism“, AGE), meist auf dem Boden eines pulmonalen Barotraumas Dabei stehen neurologische Funktionsausfälle oftmals im Vordergrund. Während schwere Tauchunfälle derzeit bei Berufstauchern und Druckluftarbeitern äußerst seltene Notfälle geworden sind, erhöht sich dagegen die Gefahr von Tauchunfällen durch die zunehmende Popularität des Sporttauchens. Im deutschsprachigen Raum wird vornehmlich in Seen, Stauseen und Bergseen getaucht. Deshalb können Notärzte und Rettungsdienstpersonal, die in der Nähe von Gewässern mit einer hohen Unterwasseraktivität tätig sind, jederzeit mit Erkrankungen

375 Physikalisch-chemische Notfälle

konfrontiert werden, die mit dem Sporttauchen ursächlich in Zusammenhang zu bringen sind. Dabei entscheidet das sofortige korrekte Handeln am Unfallort, insbesondere die kontinuierliche Gabe von normobarem Sauerstoff, über die Prognose und künftige Lebensqualität des verunglückten Tauchers. Weiterführende Maßnahmen sind die schnellstmögliche Rekompression in einer Therapiekammer mit hyperbarem Sauerstoff sowie die Rehydratation. Die medikamentöse Therapie ist demgegenüber untergeordnet und wird uneinheitlich bewertet. z z Definition > Tauchunfälle beruhen im Wesentlichen auf der Veränderung des auf den menschlichen Organismus einwirkenden Umgebungsdrucks.

Der Mensch ist an eine Luftatmosphäre mit einem absoluten Umgebungsdruck von etwa 1  bar adaptiert. Beim Tauchen oder während Caisson-Arbeiten kommt es dagegen zu einer unphysiologischen Überdruckexposition, wo­ durch unter bestimmten Voraussetzungen gesundheitliche Schäden für den Organismus bis hin zum lebensbedrohlichen Notfall auftreten können. Dabei können bei einem schnellen Wechsel von einem höheren zu einem niedrigeren Umgebungsdruck Dekompressionserkrankungen („decompression illness“, DCI) auftreten. Beim Tauchen findet dieser Wechsel während der Auftauchphase statt, die daher auch als Dekompressionsphase bezeichnet wird. Ein schneller Druckabfall während des Auftauchens kann die Dekompressionskrankheit („decompression sickness“, DCS) oder ein pulmonales Barotrauma mit oder ohne arterieller Gasembolie (AGE) zur Folge haben, wobei eine Kombination der Krankheitsbilder möglich ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden Begriffe wie Dekompressionsunfall, Dekompressionskrankheit, Caisson-Krankheit, Taucherkrankheit oder Bläschenkrankheit häufig unpräzise synonym verwendet.

19

. Abb. 19.2 gibt eine Übersicht über die Systematik der Tauchunfälle. Die Auslöser für einen schweren Tauchunfall sind vielfältig: 5 Erschöpfung 5 Hypothermie 5 Hypoxie durch eine aufgebrauchte Atemgasreserve 5 Verletzungen durch Meerestiere 5 Bewusstseinseintrübungen bis hin zum Bewusstseinsverlust aufgrund von Vorerkrankungen oder aufgrund von Atemgasintoxikationen durch Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Stickstoff oder Sauerstoff 5 Oftmals auch Panik und Orientierungsverlust

z z Epidemiologie

Schwere Tauchunfälle sind bei Berufstauchern und Druckluftarbeitern äußerst selten. Dafür dürften weitreichende Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften und der Gewerbeaufsicht verantwortlich sein. Durch die zunehmende Popularität des Sporttauchens erhöht sich dagegen die Gefahr von Tauchunfällen während der Freizeit. Statistiken über die Häufigkeit von Unfällen beim Sporttauchen sind nur unzureichend vorhanden, da es keine zentrale Erfassung der Unfälle gibt. In der Bundesrepublik Deutschland haben schätzungsweise 1 Mio. Bürger eine Sporttauchausbildung absolviert. Statistiken der Organisation „Divers Alert Network“ (DAN) beziffern die Inzidenz für einen schweren Tauchunfall bei Sporttauchern in Europa auf rund 1 Zwischenfall pro 10.000 Tauchgänge. Angesichts dieses Risikos und in der Annahme, dass jeder Sporttaucher in Deutschland nur 5–10 Tauchgänge pro Jahr durchführt, muss mit 500 bis 1000 Tauchunfällen jährlich gerechnet werden. z z Therapie

Der zeitliche Zusammenhang von neurologischen Symptomen, die auch mehrere Stunden nach einem stattgehabten

376

S. Wiese

. Abb. 19.2  Systematik von Tauchunfällen

19

Tauchgang auftreten, sollte immer die Verdachtsdiagnose eines Tauchunfalls nach sich ziehen. 5 Die wichtigste Erstmaßnahme ist die sofortige konsequente Gabe von normobaren reinem Sauerstoff 5 Die hyperbare Oxygenation als wirksames Behandlungsregime sollte schnellstmöglich eingeleitet werden, wenngleich auch eine verzögerte Therapie wirksam sein kann 5 Die Therapie des schweren Tauchunfalls umfasst zunächst die Sicherung der Vitalfunktionen des lebensbedrohten Tauchers nach den derzeitigen Richtlinien des European Resucitation Councils 5 Die frühestmögliche Defibrillation bei entsprechender Indikation sowie die üblichen Notfallmedikamente der Wiederbelebung finden hier Verwendung 5 Handelt es sich bei dem Tauchunfall um eine DCS, sind die Betroffenen in den

meisten Fällen ansprechbar und können in Grenzen kooperieren. Dennoch muss gerade bei milden Erscheinungen mit einer Symptomprogredienz gerechnet werden, weshalb eine Nachalarmierung des Notarztes insbesondere bei unklaren neurologischen Beschwerden ratsam scheint 5 Es muss besonders auf die schnellstmögliche Sicherung des Atemwegs und der nachfolgenden O2-Gabe mit einer FiO2 von 1,0 geachtet werden. Dies kann beim spontanatmenden Patienten nur über eine dichtsitzende Atemmaske (z. B. „non rebreathing-mask“) oder im Idealfall mit einem Demand-System erreicht werden. Häufig verfügen Tauchvereine oder -schulen über O2-Liefersysteme, die den im Rettungsdienst üblichen Constant-flow-Systemen für diese Indikation überlegen sind

377 Physikalisch-chemische Notfälle

5 Die normobare O2-Applikation stellt die wichtigste Sofortmaßnahme beim Tauchunfall dar, die sofort und ohne Zeitverlust initiiert werden sollte. Bei dieser Maßnahme steht nicht eine mögliche Hypoxie im Vordergrund, sondern die Verkleinerung der krankheitsursächlichen Gasblasen. Es ist hierzu die Schaffung eines möglichst hohen Diffusionsgradienten sowohl für Sauerstoff als auch die eines entgegengerichteten Diffusionsgradienten für Stickstoff, der in den meisten Fällen zur Bildung der Blase geführt hat, notwendig 5 Durch die O2-Gabe mit einem FiO2 nahe 1,0 wird Stickstoff bei der Exspiration abgegeben, bei der Inspiration jedoch nicht erneut aufgenommen, sodass die Inertgaselimination gefördert wird 5 Bei bewusstlosen oder -getrübten Patienten muss ein i.v.-Zugang etabliert werden 5 Zum Volumenausgleich eignen sich bei einer DCS sowohl kolloidale als auch kristalloide Infusionslösungen. Bei hochgradigem Verdacht auf eine zerebrale AGE ist auch eine gewisse Zurückhaltung bei kristalloiden Lösungen geboten 5 Der empfohlene Flüssigkeitsersatz beträgt initial 1000–2000 ml in der 1. h, gefolgt von einer Dauerinfusion von ca. 500 ml/h unter sorgfältiger Bewertung von Diurese, Blutdruckverhalten und anderen klinischen Parametern 5 Eine orale Rehydrierung ist nur bei zweifelsfreiem Vorhandensein von Schutzreflexen empfehlenswert 5 Für die spezifische Behandlung des Tauchunfalls ist kein Medikament, außer den üblichen im Falle einer Reanimation eingesetzten Substanzen, bewiesenermaßen wirksam. Ihre Gabe sollte deshalb unterbleiben und stattdessen ein Transport zu einer Druckkammer zur hyperbaren O2-Therapie (HBO) imitiert werden 5 Hierbei sollte möglichst frühzeitig (möglichst noch an der Unfallstelle) Kontakt mit der nächstgelegenen Druckkammer aufgenommen werden, um eine Verzögerung der Behandlung zu vermeiden

19

5 Es kann hierbei sinnvoll sein, in Absprache mit dem behandelnden Druckkammerzentrum, zunächst die Notaufnahme eines Krankenhauses anzufahren, um den Patienten für die weitere Behandlung vorzubereiten z Hyperbare O2-Therapie (HBO)

Die Therapie mit hyperbarem Sauerstoff stellt die einzig sinnvolle weiterführende Therapiemaßnahme dar. Das Wirkprinzip besteht darin, einen möglichst hohen Gehalt an physikalisch im Blut gelöstem Sauerstoff zu schaffen. Auf diese Weise entsteht ein maximal hoher Konzentrationsgradient zwischen Blut und Gasblase, der die Elimination des Inertgases fördert, sodass die HBO-Therapie letztlich die Optimierung der als Erstmaßnahme notwendigen O2-Gabe bedeutet. Alle Patienten mit der klinischen Symptomatik einer DCI sollten deshalb schnellstmöglich einer Rekompressionsbehandlung mit reinem Sauerstoff zugeführt werden. 19.4  Säuren-Laugen-Verätzungen

Eine Verätzung bezeichnet eine Verletzung von Haut oder Schleimhäuten durch chemische Stoffe, in der Regel starke Säuren oder Laugen. Der Grad der Schädigung hängt von der Art und Konzentration der ätzenden Stoffe, aber auch von der Menge und Dauer der Einwirkung ab. z z Definition

Säuren führen zu Koagulationsnekrosen der benetzten Haut oder Schleimhaut, wobei Zelleiweiße denaturieren. Durch die Verklumpung der Eiweißmoleküle wird die ätzende Flüssigkeit daran gehindert, tiefer in das Gewebe einzudringen. Dagegen verursachen Laugen Kolliquationsnekrosen, bei denen das geschädigte Gewebe verflüssigt wird. Hierdurch bahnt sich die ätzende Flüssigkeit einen Weg in die Tiefe, sodass Verätzungen durch Laugen zu ausgedehnteren Schädigungen führen können.

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S. Wiese

Im Rahmen von Verätzungen steht, ähnlich wie bei Verbrennungen, der Flüssigkeitsverlust im Bereich der Kontaktstelle im Vordergrund. Außerdem sind viele ätzende Substanzen zusätzlich für den menschlichen Organismus giftig. Der Flüssigkeitsverlust und starke Schmerzen können zum Schock führen (hypovolämischer Schock). Bei Verätzungen im Bereich des Mundoder Rachenraums kann es zu Schwellungen und damit zur Verlegung der Atemwege kommen. Zusätzlich können beim Schlucken von Säuren oder Laugen Speiseröhrenvenen verletzt werden und zu starkem Blutverlust in den Magen führen. Verätzungen im Augenbereich (insbesondere durch Brandkalk) führen oft innerhalb kürzester Zeit zur Trübung der Hornhaut und damit zu Erblindung. z z Epidemiologie

Die Ingestion von ätzenden Substanzen und Fremdkörpern ist ein häufiges Problem bei Kindern im Alter von 1–4 Jahren. Führende Symptome sind: 5 Nahrungsverweigerung 5 Speicheln 5 Unruhe 5 Erbrechen

19

Die Verätzung durch Säuren und Laugen zieht oft schwere Folgen wie Motilitätsstörungen, Strikturenbildung oder gar Perforation nach sich. 5 Eine endoskopische Evaluation sollte 6–24 h nach dem Ereignis erfolgen 5 Ab einer zweitgradigen Verätzung muss mit evtl. notwendigen Dilatationen von narbigen Strikturen gerechnet werden. Der Effekt einer Steroidtherapie auf die Narbenbildung ist umstritten 5 Der orale Nahrungsaufbau sollte nach Wiedereinsetzen der Schluckfunktion begonnen werden, ggf. kann auch über ein Gastrostoma eine enterale Ernährung erfolgen

Während das Verschlucken von Fremdkörpern meist keine dauerhaften Probleme nach sich zieht, verursacht die Aufnahme von Säuren und Laugen oft schwere Verätzungen mit Langzeitfolgen. Die Auswirkungen hängen dabei von der Art der aufgenommenen Substanz, der Menge und der Kontaktzeit ab. In den USA allein werden jährlich etwa 100.000 gefährliche Reinigungsmittelkontakte von Kindern unter 6 Jahren an das Poison Control Center gemeldet. Zahlen für Deutschland liegen leider nicht vor. Im Kleinkindesalter werden oft nur geringe Mengen aufgenommen, da ein unangenehmer Geschmack oder Brennen abschreckend wirken. Zu den am häufigsten im Kindesalter ingestierten Substanzen gehören Haushaltsreiniger, anorganische Säuren und Laugen für den Handwerksgebrauch und im gewerblichen Betrieb Kalk, Maschinenreiniger und Unkrautvernichtungsmittel. Demgegenüber erfolgt die Ingestion ätzender Substanzen (oft Säuren) im Jugendlichen- und Erwachsenenalter meist in suizidaler Absicht, weshalb sehr viel größere Mengen der Noxe aufgenommen werden und auch mögliche systemische Wirkungen durch Resorption der Substanz beachtet werden müssen. Mittlerweile werden Reinigungsmittel mit Sicherheitsverschlüssen versehen. Es kommt allerdings immer wieder vor, dass Reinigungsmaterialen in gebräuchliche Getränkeflaschen, z. B. auch in Limonadenflaschen, umgefüllt werden, die für Kinder somit leichter zugänglich sind und gerade älteren Kindern suggerieren, es handle sich um ein Getränk. Daher sollte immer wieder darauf hingewiesen werden, dass eine derartige Lagerung äußerst gefährlich ist. Ein Sonderfall ist die Ingestion von Knopfbatterien besonders im Kindesalter. Wenn die Batterie in Kontakt mit Schleimhäuten bleibt, z. B. durch Steckenbleiben im Ösophagus, führt dies in kurzer Zeit zur mittelbare Verätzung durch NaOH, das

379 Physikalisch-chemische Notfälle

an der Anode durch Elektrolyse entsteht (7 Abschn. 15.3.4). z z Therapie

5 Bei der Therapie hat zunächst der Eigenschutz absoluten Vorrang. Besonders wenn Unfallursache und -hergang unklar sind, ist zunächst ein Sicherheitsabstand zu wahren, bis die Unfallstelle sachkundig freigegeben worden ist. Dabei kann das Tragen von Schutzausrüstung beim Umgang mit dem Patienten noch weiterhin notwendig sein (Schutzhandschuhe, Schutzkleidung, Schutzbrille etc.) 5 Kann die Zufuhr der Noxe nicht gestoppt werden, muss der Patient umgehend aus dem Gefahrenbereich gerettet werden 5 Insbesondere bei unklarem Unfallhergang empfiehlt es sich, eine Probe des Schadstoffs für eine spätere Analyse zu asservieren 5 Zunächst müssen die Vitalfunktionen gesichert werden (ABCD-Herangehensweise) 5 Im Falle einer Kehlkopfverätzung oder Säureaspiration kann eine Intubation oder Koniotomie notwendig sein 5 Im Fall einer drohenden Atemwegsbeteiligung wird allgemein die Gabe von Prednisolon (3–5 mg/kgKG i.v.) empfohlen. Die Effizienz dieser Maßnahme ist jedoch nicht gesichert 5 Der Patient sollte nüchtern belassen und bis zur endoskopischen Abklärung hydriert bzw. parenteral ernährt werden 5 Bei jeglichem Verdacht auf Ingestion einer stark ätzenden Substanz besteht die Indikation zur endoskopischen Evaluation. Bei wenig aggressiven Substanzen kann auf eine Endoskopie verzichtet werden, wenn es keine weiteren Symptome der Verätzung oder Ätzspuren im Mund bzw. Pharynx gibt 5 Das Legen einer Magensonde, z. B. um eine Lavage durchzuführen, ist ohne endoskopische Sicht kontraindiziert, da ein erhöhtes Perforationsrisiko des Ösophagus besteht

19

5 Das weitere Vorgehen richtet sich weitgehend nach dem Schweregrad der Verätzung, welche durch eine Ösophagogastroskopie innerhalb von 6–24 h bestimmt wird. Zu einem früheren Zeitpunkt kann das Ausmaß der Schädigung meist noch nicht festgelegt werden 19.4.1  Augenverätzung

Bei Verätzungen des Auges hat die sofortige, ausgiebige Spülung und Entfernung der Ätzsubstanz am Unfallort vor allen anderen Maßnahmen Vorrang, möglichst unter Ektropionieren der Lider, auch wenn das Ausmaß der Verätzung zunächst nicht bedrohlich erscheint. Dabei kann man sich spezieller Augenduschen bedienen, doch auch Ringerlösung z. B. über ein abgeschnittenes Infusionssystem kann gute Dienste leisten. Die meisten Verätzungen und für den Erhalt des Auges gefährlichsten geschehen durch Laugen oder Substanzen wie Zement, die mit der Tränenflüssigkeit alkalisch reagieren. Es kommt zur Kolliquationsnekrose des Gewebes. Laugenbestandteile dringen dabei über längere Zeit in das Gewebe ein und verursachen tiefe Hornhautnekrosen, Iritis, Cataracta complicata, Sekundärglaukom. Daher besteht die Notwendigkeit einer sofortigen, über Stunden dauernden Spülung und u. U. frühzeitiger operativer Intervention. Säureverätzungen bilden einen oberflächlichen Schorf und entwickeln sich nicht weiter in die Tiefe. Ihre Prognose ist im Allgemeinen besser als die der Laugenverätzungen. 19.4.2  Gastrointestinale

Verätzung

Während Erwachsene, die akzidentell oder suizidal ätzende Substanzen oral aufgenommen haben, darüber selbst berichten können, wird der Unfallhergang einer gastrointestinalen Verätzung bei Kindern selten

380

S. Wiese

beobachtet. Allenfalls wird ein Kind mit dem geöffneten Behälter und umgebenden Spuren vorgefunden. 5 Es sollte daher eine umgehende Mundinspektion erfolgen, um anhand evtl. Spuren im Mundbereich eine orale Aufnahme zu verifizieren. Allerdings schließen fehlende Ätzspuren im Mund eine Ingestion nicht aus 5 In der Anamnese muss genau erhoben werden, welche Substanz wann und in welcher Menge aufgenommen wurde 5 Informationen über die Situation bei Auffinden eines vergifteten Kindes und dessen bereits bestehende Symptomen sind wichtig, um die Wahrscheinlichkeit einer Ingestion abzuschätzen 5 Es darf weiterhin nicht vergessen werden, nach bereits eingeleiteten Maßnahmen zu fragen 5 Der Behälter mit der verschluckten Substanz sollte asserviert und in die Klinik mitgenommen werden 5 Eine Indikation zur stationären Aufnahme besteht bei allen gesicherten Säuren- oder Laugeningestionen und bei unsicherer Ingestion mit Symptomen wie Salivation, Nahrungsverweigerung, Würgen/Erbrechen und schmerzbedingter Unruhe sowie in Zweifelsfällen

19

5 Bei gesicherter Ingestion und in allen Zweifelsfällen sollte der bewusstseinsklare Patient, bei dem kein Verdacht auf Perforation besteht, so schnell wie möglich kohlensäurefreie klare Flüssigkeit trinken. Das kann vor allem bei im Ösophagus festsitzenden Trockensubstanzen hilfreich sein 5 Es ist kontraindiziert, den Patienten zum Erbrechen zu bringen oder mittels Gabe weiterer Substanzen eine Neutralisation durchführen zu wollen 5 Weiterhin muss geprüft werden, ob auch andere Körperteile, insbesondere Haut und Auge, mit der Substanz in Kontakt gekommen sind. Diese Stellen sollten umgehend mit viel Wasser abgespült werden (7 Abschn. 19.4.1)

Weiterführende Literatur statista (2019) Anzahl der Todesfälle durch Ertrinken in Deutschland von 1993 bis 2018. 7 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/5256/umfrage/ anzahl-der-jaehrlichen-todesfaelle-durch-ertrinken/. Zugegriffen: 11. März 2019 Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (2014) S2k-Leitlinie Tauchunfall 2014–2017, AWMF-Nr. 072001. 7 https://www.gtuem.org/files/319/072-001lS2k-tauchunfall-2014-10.pdf. Zugegriffen: 11. März 2019

381

Sonstige Notfälle J. C. Brokmann 20.1 Urologische Notfälle – 382 20.1.1 Leitsymptom: Urethrale Blutung – 382 20.1.2 Harnverhalt – 383 20.1.3 Anurie – 383 20.1.4 Nierenkolik – 384 20.1.5 Paraphimose – 384 20.1.6 Priapismus – 385 20.1.7 Penisfraktur – 385 20.1.8 Akutes Skrotum – 385 20.1.9 Hodentorsion – 386 20.1.10 Epidymitis – 386 20.1.11 Nierenstielabriss – 386 20.1.12 Urosepsis – 386

20.2 Ophthalmologische Notfälle – 387 20.2.1 Glaukomanfall – 387

20.3 HNO-Notfälle – 388 20.3.1 Akute Blutung – 388 20.3.2 Epistaxis – 388 20.3.3 Blutung aus dem Ohr – 389 20.3.4 Blutung aus dem Mund – 389 20.3.5 Akuter Hörverlust – 389

Weiterführende Literatur – 390

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_20

20

382

J. C. Brokmann

20.1  Urologische Notfälle

z z Einleitung

Urologische Notfälle haben in der präklinischen Notfallmedizin einen geringen prozentualen Anteil des Einsatzaufkommens. Dennoch gibt es einige Indikationen für den Notarzt, die pathophysiologische Grundkenntnisse und Untersuchungstechniken voraussetzen. Damit können Therapiemöglichkeiten besser erschlossen werden. 20.1.1  Leitsymptom: Urethrale

Blutung

Blutbeimengungen im Urin werden als Makrohämaturie bezeichnet. Es sollte zwischen der schmerzhaften und der nichtschmerzhaften Makrohämaturie unterschieden werden. Hierfür kommen verschiedene Ursachen in Betracht (. Tab. 20.1). z z Pathophysiologie

Eine isolierte Makrohämaturie stellt einen Befund dar, der abgeklärt werden sollte. In Verbindung mit einem kolikartigen Schmerz, als Hinweis auf einen Harnleiterstein, bei Gefahr einer Blasentamponade oder dem gleichzeitigen Auftreten von Temperaturen ist eine gezielte urologische Therapie ­sinnvoll.

z z Symptomatik/Klinik

Wichtig ist die Erhebung einer ausführlichen Anamnese: 5 Anamnese 5 Körperliche Untersuchung/Inspektion 5 Wann kommt Blut? 5 Beginn des Urinstrahls? 5 Komplette Beimischung oder nur partiell? 5 Harnprobe in Klinik 5 Sediment oder Blutkoagel? Blutungen 5 Aus dem oberen Harntrakt: Urin ist jederzeit mit Blut vermischt 5 In der Harnröhre: Erst Hämaturie, dann gelber Urin 5 Distal des Sphincter externus: Tropfende Blutung aus Meatus externus

z z Therapie

5 Starke Blutung: 5 Stabilisierung der Vitalfunktionen 5 Anlage eines Spülkatheters in der Klinik Dosierung

Eine begleitende Harnleiterkolik durch einen Blutkoagelabgang erfordert evtl. eine spasmoanalgetische Behandlung mit: 5 Metamizol (Novalgin) 1–2,5 g i.v. 5 Butylscopolamin (Buscopan) 20 mg i.v.

. Tab. 20.1  Ursachen der Makrohämaturie

20

Schmerzhaft

Schmerzlos

Entzündungen (Zystitis, Prostatitis, Pyelonephritis)

Tumor (Nieren, Nierenbecken, Harnleiter, Blase, Prostata, Urethra)

Kolik

Nierenzysten

Fremdkörper

Zystennieren

Embolie

Antikoagulanzien

Traumatisch Blasensteine

383 Sonstige Notfälle

20.1.2  Harnverhalt z z Definition

Der Harnverhalt ist durch eine unmögliche Miktion bei normaler Urinproduktion gekennzeichnet. Man unterscheidet: 5 Akut 5 Chronisch z z Pathophysiologie

Die häufigsten Ursachen: 5 Prostatahyperplasie 5 Prostatitis 5 Harnröhrenstriktur 5 Blasenventilstein 5 Blasenhalsstenose 5 Neurogen 5 Medikamenteninduziert 5 Reflektorisch bei Schmerzen 5 Alkoholgenuss z z Symptomatik

Extreme schmerzhafte Situation bei imperativem Harndrang 5 Harndrang 5 Schmerzen (supra-, infrapubisch) 5 Urin kommt tröpfchenweise 5 Palpable und druckempfindliche Harnblase 5 Unruhe 20.1.2.1  Chronischer Harnverhalt

Der chronische Harnverhalt ist von einer deutlich abgeschwächten Symptomatik begleitet. Die Blase ist sehr stark gefüllt und meistens im Unterbauch gut palpabel.

20

z z Pathophysiologie

Man unterscheidet: 5 Prärenales Nierenversagen 5 Renales Nierenversagen 5 Postrenales Nierenversagen Als prärenale Ursachen kommen in Betracht: 5 Hypovolämie 5 Exsikkose 5 Schock 5 Herzinsuffizienz 5 Elektrolytstörungen und -entgleisungen 5 Akuter Nierengefäßverschluss 5 Tumor Bedingt durch einen gesunkenen systolischen Blutdruck kommt es zu einem verminderten Filtrationsdruck in den Glomeruli und dadurch zu einer verminderten Primärharnbildung. Als renale Ursachen kommen in Betracht: 5 Glomerulonephritis 5 Interstitielle Nephritis 5 Niereninsuffizienz 5 Tumoren 5 Infektionen: Sepsis, Pyelonephritis 5 Hepatorenales Syndrom 5 Zystennieren 5 Vergiftungen Als postrenale Ursachen kommen in Betracht: 5 Steine 5 Tumoren 5 Harnleiterverengung 5 Harnröhrenstriktur 5 Peritonealkarzinose z z Symptomatik/Klinik z Prärenales Nierenversagen

20.1.3  Anurie

Eine akute Anurie muss vom akuten Harnverhalt diagnostisch abgegrenzt werden.

z z Definition

z Renales Nierenversagen

Unter Anurie versteht man eine geringere Ausscheidung als 100 ml über 24 h.

5 Meist beginnend mit Oligurie 5 Gefolgt von Urämie

384

J. C. Brokmann

5 Geblähtes obstipiertes Abdomen 5 Trockene Schleimhäute 5 Foetor ex ore: Azeton-/Ammoniumgeruch 5 Vigilanzverminderung z Postrenales Nierenversagen

Je nachdem, ob der Patient eine Radiatio hinter sich hat oder ein retroperitoneales Hämatom zur Abflussbehinderung führen kann, muss nach chronischen oder akuten Störungen gesucht werden. 5 Klopfschmerzhaftigkeit der Niere z z Therapie

Da das postrenale Nierenversagen vielschichtige Ursachen hat, muss auch hier der Anamnese und der körperlichen Untersuchung eine hohe Aufmerksamkeit gewidmet werden. Hieraus ergeben sich unterschiedliche Therapieschritte. 5 Ist die Blase leer und es ergeben sich Hinweise auf ein prärenales Nierenversagen, muss eine adäquate Volumentherapie initiiert werden. 5 Ist hingegen, bedingt durch einen Harnleiterstein, die Blase leer, muss hier dringend von einer Volumengabe bis zur definitiven Therapie abgeraten werden. 20.1.4  Nierenkolik

z z Symptomatik/Klinik

Akut und heftig einsetzender Schmerz, der meist einseitig, aber auch beidseitig vorkommen kann. Der Schmerz kann über die Flanke bis in die Leiste oder auch das Genitale ausstrahlen. Vegetative Begleitsymptomatik: 5 Schweißausbruch 5 Brechreiz 5 Übelkeit 5 Erbrechen 5 Synkope 5 Verminderte Darmgeräusche Vorgeschichte: 5 Urolithiasis bekannt 5 Vitamin-D- oder Kalziumpräparate 5 Alkalisierende Substanzen z z Therapie

5 Lagerung Dosierung

5 Analgetika: 1 g Metamizol langsam i.v., Butylscopolamin 20 mg titriert oder bis zu 80 mg/24 h 5 3,75–7,5 mg Pritramid (z. B. Dipidolor)

5 Zügige Einweisung in die nächste urologische Klinik

z z Definition

Bei der Nierenkolik kommt es zu einem intermittierenden krampfartigen Schmerz in der Flankenregion. z z Pathophysiologie

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5 Der kolikartige Schmerz wird nicht durch die Niere, sondern vielmehr durch den Ureter verursacht. Es handelt sich um eine intermittierende spastische Kontraktion des Ureters. 5 Bedingt durch den evtl. Zug am Mesenterium und/oder die Reizung von sensiblen Nerven kommt es zur vegetativen Begleitsymptomatik.

20.1.5  Paraphimose z z Einleitung/Definition

Unter Paraphimose, dem sog. Spanischen Kragen, versteht man die ödematöse Schwellung und/oder Durchblutungsstörung der Glans penis durch eine zu enge und eingeklemmte Vorhaut hinter dem Eichelkranz. z z Pathophysiologie

Verursacht wird dies durch eine relative Phimose oder einen liegenden Katheter. Es kann durch die verminderte Durchblutung

385 Sonstige Notfälle

zur Nekrose der Glans penis und zum Vorhautgangrän mit deformierender Narbenschrumpfung kommen. z z Symptomatik/Klinik

5 Angeschwollene Glans penis 5 Präputialödem 5 Schnürring im Sulcus coronarius 5 Livide Verfärbung 5 Starker Schmerz z z Therapie

Die schnellstmögliche manuelle Reposition der Vorhaut ist durchzuführen. Ansonsten kann es zu einer Durchblutungsstörung mit Gangrän der Glans penis führen. Für die manuelle Reposition gibt es verschiedene Möglichkeiten: 1. Zirkuläre Kompression des gesamten Penis mit einer Hand zum Abschwellen und anschließendes Vorschieben der Vorhaut. 2. Zeige- und Mittelfinger befinden sich jeweils seitlich des Penisschafts. Durch manuellen Druck der Daumen wird die Glans penis durch den Schnürring der Vorhaut zurückgedrückt.

20.1.6  Priapismus z z Einleitung/Definition

Hierbei handelt es sich um eine schmerzhafte Dauererektion des Penis ohne sexuelle Erregung. z z Pathophysiologie

Häufig liegt eine anhaltende Blutfüllung der Corpora cavernosa durch eine Blutzirkulationsstörung vor. In 2/3 der Fälle liegt keine erkennbare Ursache vor. Ursachen: 5 Leukämie 5 Sichelzellanämie

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5 Schwellkörperinjektion 5 Selten: Beckenvenenthrombose, Tumoren z z Therapie

Unter Analgesie sollte der Patient in eine urologische Fachklinik transportiert werden. Dort erfolgt die diagnostische Punktion und evtl. eine anschließende operative Versorgung. 20.1.7  Penisfraktur z z Einleitung/Definition

Ruptur des Corpus cavernosum durch Quetschung oder Abknickung des erigierten Penis. z z Pathophysiologie

Ein Zerreißen des Corpus cavernosum überwiegend im erigierten, selten im schlaffen Zustand z z Symptomatik/Klinik

5 Penis-/Skrotalhämatom z z Therapie

5 Analgesie 5 Umgehende Diagnostik und ggf. operative Therapie in urologischer Fachklinik 20.1.8  Akutes Skrotum

Bei Schmerzen und/oder Schwellung des Skrotals im Leistenbereich Ursachen: 5 Epidymitis 5 Hodentorsion 5 Hydatidentorsion 5 Orchitis 5 Tumoren 5 Trauma 5 Hernien

386

J. C. Brokmann

20.1.9  Hodentorsion z z Einleitung/Definition

Verdrehung des Samenstrangs. Am häufigsten tritt eine Hodentorsion zwischen dem 15.–20. Lebensjahr auf. z z Pathophysiologie

Durch die Drehung des Samenstrangs (medial oder lateral) kommt es zu einem gestörten venösen Abstrom und/oder zu einem gestörten arteriellen Zustrom und damit zu einer hämorrhagischen Infarzierung. z z Symptomatik/Klinik

5 Plötzlicher Schmerz, der über die Leiste bis in das Abdomen ausstrahlt (Mesenterium) und mit Übelkeit und Erbrechen auftreten kann 5 Der Hodensack ist meist geschwollen und verfärbt, wobei der betroffene Hoden fixiert und hochstehend erscheint. Deutliche Druckdolenz des Hodens > Prehn-Zeichen: Schmerzerhöhung beim

Anheben des Hodens. Das Prehn-Zeichen kann auf die Diagnose hinweisen, ist jedoch kein Beweis dafür.

z z Symptomatik/Klinik

5 Schwellung und Rötung des Hodens mit druckdolentem und vergrößertem Nebenhoden 5 Im Spätstadium kommt eine schmerzhafte Skrotalhaut hinzu 20.1.11  Nierenstielabriss z z Einleitung/Definition

Die Niere ist bei stumpfen und penetrierenden Verletzungen des Abdomens und der Flanke häufig mitbetroffen. 20.1.12  Urosepsis z z Einleitung/Definition

5 Septikämie mit Erregern aus dem Urogenitaltrakt 5 Häufig gramnegatives Erregerspektrum

z z Therapie

z z Pathophysiologie

Die häufigste Drehrichtung der Torsion soll nach medial sein, sodass die therapeutische Drehrichtung nach lateral wäre. Da die Drehrichtung der Torsion präklinisch nicht eruiert werden kann, sollte eine sofortige Einweisung zur sonographischen Diagnostik und anschließenden operativen Therapie erfolgen.

z z Symptomatik/Klinik

Medikamentöse Therapie:

5 Metamizol, Pritramid 20.1.10  Epidymitis

z z Einleitung/Definition

20

Sphinkterverschlussdefizit oder eine neurogene Blasenentleerungsstörung. Vorwiegendes Auftreten im mittleren bis höheren Lebensalter.

Häufig hodens

eine Entzündung des Nebendurch infravesikale Obstruktion,

Ursachen: 5 Abszess 5 Nephritis 5 Prostatitis 5 Epididymitis 5 Rasche Verschlechterung des Allgemeinzustands 5 Hypotonie, Tachykardie, Oligurie, Anurie, Temp. >39,0°C, Schüttelfrost, Unruhe, bis zum Schock 5 Klopfschmerzhaftigkeit oder Druckschmerz des Nierenlagers, der Blase oder des Genitale 5 Prostata ist bei der digitalen Untersuchung druckschmerzhaft

387 Sonstige Notfälle

20

z z Therapie

z z Therapie/Maßnahmen

5 Stabilisierung der Vitalorgane 5 Analgesie 5 Umgehender Transport in eine Fachklinik 5 Entfernung evtl. auslösender Katheter in der Klinik

5 Bei Fremdkörper: 5 Fremdkörper belassen 5 Doppelseitiger Verband (Vermeidung von Augenbewegungen der Gegenseite) 5 Bei stumpfer Gewalt 5 Schutzverband 5 Ggf. Kühlung 5 Bei Säuren-Laugen 5 Ausreichende Analgesie

20.2  Ophthalmologische Notfälle z z Einleitung/Definition

Ophthalmologische Notfälle gehören mit zu den seltensten Einsätzen. Beim bloßen Verdacht auf eine Schädigung der Augen sollte der Patient einem Ophthalmologen vorgestellt werden. Zu unterscheiden sind folgende Verletzungen: 5 Bindehaut- oder Hornhauterosion 5 Perforierende Augenverletzung 5 Stumpfe Augenverletzung (Contusio bulbi, Bulbusruptur) 5 Lid- und Tränenwegsverletzung 5 Orbitaverletzung 5 Säuren-Laugen-Unfälle (7 Kap. 19)

Dosierung

5 Metamizol (Novalgin) 0,5–1 g i.v. 5 Morphin 4–8 mg i.v.

5 Ektropiunierung der Augenlider 5 Kontinuierliche Spülung des Bindehautsackes mit isotonischer Ringer- oder Kochsalzlösung von innen nach außen, auch während des Transports in die Augenklinik

Verletzungen können alleine, jedoch auch in Kombination auftreten (Läuse und Flöhe).

20.2.1  Glaukomanfall

z z Pathophysiologie

Aufgrund der Komplexität wird diese hier nicht ausgeführt.

Durch Erhöhung des Augeninnendrucks kommt es zu einer progressiven Zerstörung des Sehnervs.

z z Symptomatik/Klinik

z z Pathophysiologie

5 Visusveränderung 5 Motilitätsstörung 5 Fremdkörpergefühl 5 Doppelbilder 5 Lidverletzungen 5 Ex-/Enophthalmus 5 Uveaprolaps 5 Vorderkammerblutung 5 Veränderung an der Linse 5 Pupillen 5 Anisokorie, Entrundung 5 Veränderte Konvergenzreaktion

Missverhältnis zwischen Kammerwasserproduktion und Abfluss mit akuter Steigerung des Augeninnendrucks. Dadurch entsteht ggf. eine verminderte bis unterbrochene Perfusion (Zentralarterie/-vene) mit daraus folgendem irreversiblem Sehverlust.

z z Einleitung/Definition

z z Symptomatik/Klinik

5 Gerötetes Auge 5 Visusminderung 5 Sehen von Regenbogenfarben 5 Augenschmerzen, Kopf- bis Zahnschmerzen

388

J. C. Brokmann

5 Übelkeit/Erbrechen 5 Verhärteter Bulbus 5 Weite Pupille mit verzögerter oder erloschener Lichtreaktion z Therapie/Maßnahmen

5 Symptomatisch Dosierung

5 Metamizol (Novalgin) 0,5–1 g i.v. 5 Morphin 4–8 mg i.v. 5 Acetazolamid (Diamox) 500 mg i.v. (nur in wenigen Notarztstandorten verfügbar)

20.3  HNO-Notfälle 20.3.1  Akute Blutung z z Einleitung/Definition

Die akute perorale Blutung ist nicht immer sofort von einer ZMK-Ursache zu differenzieren. 5 Häufiges Auftreten von Blutungen im Bereich Mund, Nase und/oder den umgebenden Weichteilen 5 Seltener aus Ohr und Tracheostoma 20.3.2  Epistaxis z z Einleitung/Definition

5 Bei Kindern ist die häufigste Ursache die mechanische Irritation 5 Bei Erwachsenen wird sie eher auch mal durch eine hypertone Entgleisung verursacht

20

z z Pathophysiologie

5 Bei Kindern ist die häufigste Lokalisation im vorderen Septumabschnitt. 5 Dünnkalibrige, dicht unter der Schleimhaut gelegene Gefäßgeflechte (Kiesselbach) 5 Bei Kindern häufig durch Manipulationen 5 Bei Erwachsenen mehr im hinteren Nasenabschnitt gelegene Gefäßgeflechte 5 Hierbei ist die akute Hypertonie die häufigste Ursache 5 Auch als Ursache zu berücksichtigen: 5 Lymphome 5 Morbus Wegener (Wegener-Granulomatose) 5 Vitamin-K-Antagonisten (Marcumar) 5 Lebererkrankungen z z Symptomatik/Klinik

5 Blutung aus ein oder beiden Nasenlöchern z z Therapie/Maßnahmen

5 Aufrechte Position 5 Oberkörperhochlage 5 Anpressen der Nasenflügel an die Nasenscheidewand und Coolpack in den Nacken 5 Sollte hierbei weiterhin Blut in den Rachenraum fließen, ist die Lokalisation der Blutung im hinteren Bereich 5 Bei erhöhtem RR 5 RR-Senkung (Ebrantil) 5 Kein Glyceroltrinitrat 5 Mit Xylometazolin oder Suprarenin (1:10.000) getränkte Watte oder Kompresse in den vorderen Nasenabschnitt einführen 5 Bei Lokalisation der Blutung im Übergangsbereich Nasen-Rachen-Raum kann evtl. eine Bellocq-Tamponade notwendig

389 Sonstige Notfälle

sein. (Nicht in allen RD-Bereichen ­verfügbar) 5 Bei erhöhtem Volumenverlust an Volumenersatz denken!

20

20.3.4  Blutung aus dem Mund z z Einleitung/Definition

20.3.3  Blutung aus dem Ohr

Blutungen aus dem Mund können unterschiedlicher Ursache sein. Die Anamnese mit Voroperationen, Vorerkrankungen oder Verletzungen ist notwendig.

z z Einleitung/Definition

z z Pathophysiologie

Blutungen aus dem Ohr kommen isoliert äußerst selten vor. z z Pathophysiologie

5 Isoliert 5 Reinigungsversuch (Wattestäbchen) 5 Entzündung des äußeren Gehörgangs 5 Mitverletzung des Trommelfells 5 Kombiniert 5 Schädel-Hirn-Trauma 5 Schädelbasisfraktur 5 Mittelgesichtsverletzung 5 Mandibulakopffraktur z z Symptomatik/Klinik

5 Venöse oder arterielle Blutung aus dem Ohr z z Therapie/Maßnahmen

5 Ausschließlich „oberflächige“ Untersuchung/Inspektion des Gehörgangs 5 Abdecken des äußeren Gehörgangs 5 Keine Tamponade 5 Keine präklinischen Säuberungsversuche z z Besonderheiten

Bei Kombinationsverletzungen ist auf den ggf. gleichzeitigen Austritt von Liquor aus dem äußeren Gehörgang zu achten. Dieser kann in Kombination mit Blut auftreten und somit unentdeckt bleiben. Der isolierte Austritt einer klaren Flüssigkeit aus dem äußeren Gehörgang sollte unbedingt abgeklärt werden. Hierbei: 5 BZ-Messung der Flüssigkeit (Liquor hat geringeren BZ als Blut) 5 Sterile Abdeckung

5 Entfernung der Rachen-/Gaumenmandeln 5 Mittelgesichtsverletzung 5 Unter- oder Oberkieferbruch 5 Tumorblutung z z Symptomatik/Klinik

5 5 5 5

Abnorme Beweglichkeit Eingeschränkte Mundöffnung Stufenbildung der Zahnreihe Verletzungen der Zähne oder des Zahnhalteapparats

! Cave

Um die Blutungsmenge im Nasen-Mund-Rachen-Raum genau einschätzen zu können, sollte ein möglicher unentdeckter Verlust im Magen-Darm-Trakt berücksichtigt werden.

20.3.5  Akuter Hörverlust z z Einleitung/Definition

5 Idiopathische, plötzlich aus voller Gesundheit meist einseitig auftretende Schwerhörigkeit, die bis zum Hörverlust führen kann 5 Diese kann auch in Verbindung mit einem Knalltrauma vorkommen z z Pathophysiologie

Mögliche Ursachen sind: 5 Stress als psychosomatische Reaktion 5 Durchblutungsstörung im Innenohr 5 Virusinfekt 5 Antibiose

390

J. C. Brokmann

5 Bei Knalltrauma 5 Gebrauch einer Schusswaffe 5 Bei Überreizung des Trommelfells ist die Hörminderung nach Tagen rückläufig 5 Ein zerrissenes Trommelfell führt zu kontinuierlicher Hörstörung

z z Therapie/Maßnahmen

5 Abdeckung des betroffenen Ohres mit Mullkompresse 5 Transport des Patienten in HNO-Fachklinik 5 Betreuung des Patienten

Weiterführende Literatur

z z Symptomatik/Klinik

5 Plötzlich auftretende Schwerhörigkeit 5 Meist einseitig 5 Druckgefühl im Ohr

20

Bernd HE, Mlynski RA (2017) Notfall Rettungsmed 20: 165. 7 https://doi.org/10.1007/s10049-016-0263-5 Gasser T, Rutishauser G (2005) Basiswissen Urologie, 3. Aufl. Springer, Berlin Strutz J, Mann W (2001) Praxis der HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Thieme, Stuttgart

391

Medikamente in der Notfallmedizin J.C. Brokmann 21.1 Grundlagen – 392 21.2 Applikationsformen – 392 21.3 Wirkstoffe der Notfallmedizin – 392

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. C. Brokmann, R. Rossaint (Hrsg.), Repetitorium Notfallmedizin, https://doi.org/10.1007/978-3-642-20815-7_21

21

392

21

J. C. Brokmann

21.1  Grundlagen

Eine Voraussetzung für die Verwendung von Medikamenten in der Notfallmedizin ist die umfassende Kenntnis des Medikaments. Um eine maximal hohe Patientensicherheit zu gewährleisten, müssen neben dem Anwendungsgebiet die Wirkung und die Nebenwirkungen bekannt sein. Folgende Eigenschaften sollte ein Notfallmedikament besitzen: 5 Schneller Wirkeintritt 5 Kurze Wirkdauer 5 Gute Steuerbarkeit 5 Keine anaphylaktische Potenz 5 Keine Interaktion mit anderen Medikamenten 5 Große therapeutische Breite z Pharmakodynamik

5 Einfluss des Arzneimittels auf den Organismus: Wirkung und Nebenwirkung 5 Beschreibt, wie sich Konzentration des Pharmakons in Blut oder Plasma infolge von Absorption, Verteilung und Elimination verändert z Pharmakokinetik

5 Einfluss des Organismus auf das Arzneimittel 5 Pharmakokinetische Grundvorgange sind: 5 Resorption 5 Metabolisierung 5 Verteilung 5 Ausscheidung z Bioverfügbarkeit

5 Parameter zur Beschreibung der „Resorptionskinetik“ eines Pharmakons 5 Beschreibt den Anteil einer applizierten Medikamentendosis, welche die systemische Zirkulation erreicht hat 5 Sie wird in Prozent angegeben z Verteilungsvolumen

5 Entspricht nur in seltenen Fällen einem anatomischen Raum 5 Entspricht unter der Annahme eines „steady state“ dem Quotienten aus Arzneistoffmenge

(D) des Medikaments im Körper und der Plasmakonzentration (c): V = D/c z Proteinbindung

5 Prozentualer Anteil des Pharmakons, der an Plasmaproteine gebunden ist 5 Nur der ungebundene Anteil nimmt an der Verteilung zum Wirkort teil z Elimination

5 Beschreibt die Entfernung des Medikaments aus dem Körper, dies geschieht entweder durch 5 Exkretion (Niere, Galle) oder 5 Metabolisierung (Leber, Niere, Lunge) z Plasmahalbwertszeit

5 Beschreibt die Zeit, in der die Plasmakonzentration eines Wirkstoffs auf die Hälfte abgefallen ist 5 Nach ca. 4 Halbwertszeiten ist ein Pharmakon zu über 90 % eliminiert Die oben angegebenen Eigenschaften und Wirkungen eines Medikaments erfordern bei jedem Patienten eine individuelle Therapieanpassung. 21.2  Applikationsformen

5 Intravenös 5 Intramuskulär 5 Subkutan 5 Sublingual 5 Inhalativ 5 Intraossär 5 Oral 5 Rektal 5 Nasal Die intravenöse (i.v.) Applikationsform ist die gebräuchlichste Applikationsform in der Notfallmedizin, da sie eine schnelle Resorption sicherstellt, die ansonsten nur noch bei der intraossären (i.o.) Applikation gewährleistet ist. 21.3  Wirkstoffe der Notfallmedizin . Tab. 21.1

Handels­namen

Aspirin

Adrekar

Suprarenin

Wirkstoff

Acetylsalicylsäure (ASS)

Adenosin

Adrenalin

Herzkreislaufstillstand (VF/VT/ Asystolie/PEA); anaphylaktischer Schock; kardiales Low-Output-Syndrom

Schmalkomplextachykardie; regelmäßige Breitkomplextachykardie unbekannten Ursprungs; Reentrytachykardien

Antiphlogistisch, analgetisch, antipyretisch, Plättchenaggregationshemmer durch Hemmung der Thromboxanbildung, Hemmung der Cyclooxygenase

Indikation

. Tab. 21.1  Wirkstoffe in der Notfallmedizin

6 mg/2-mlAmpulle

1 mg/1-mlAmpulle

CPR Asystolie/PEA: 1 mg i.v. sofort, dann alle 3–5 min CPR VF/VT: nach der 3 erfolglosen Defibrillation 1 mg i.v. alle 3–5 min Anaphylaxie: 0,5 mg i.m.

Ampulle: 500 mg/5 ml Pulver

Darreichung

Initial 6 mg schnell i.v. mit anschließendem Flüssigkeits-Flush, ggf. Wiederholung mit 12 mg (entsprechend ERC-Empfehlungen)

AKS: 150 mg i.v. Akuter Migräneanfall: 1 g i.v. (Cave: ICB)

Dosierung

Wirkung

Kammerflimmern, Extrasystolen, thorakale Beschwerden, Hypertonie, Hyperglykämie, Kopfschmerz, Cave bei Aortenklappenstenose, obstruktiver Kardiomyopathie

Flush, thorakaler Schmerz, Bradykardie, Asystolie, Extrasystolen, Dyspnoe, Kopfschmerz, Bronchospasmus, Blutdruckabfall

Allergische Hautreaktionen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Sodbrennen, Bronchospasmus, Blutungszeit verlängert, Nierenfunktionsstörungen

Neben­wirkungen

AV-Block II–III°; schweres Asthma, auf QT-Zeit achten

Überempfindlichkeit gegen Salicylate, akute gastrointestinale Ulzera; hämorrhagische Diathesen (Blutungsneigung); Schwangerschaft (3. Trimenon) u. Stillzeit; Kinder 6 kgKG 60 mg; Kinder >12,5 kgKG 125 mg Tagesgesamtdosis: 20–30 mg/kgKG

Max. Tageshöchstdosis: 50 ml/kgKG Kinder 16 ml/kgKG

Anfangsdosis Erw: 5 G (200 ml, Gesamtvolumen der rekonstituierten Lösung); Maximaldosis 10 G Anfangsdosis bei Kindern 0–18 Jahre: 70 mg/kgKG, max.5 G

Dosierung

Suppositorium 60 mg oder 125 mg

500-ml-Infusion

5-G-Pulver + 200 ml NaCl 0,9 %

Darreichung

Dosisabhängige schmerzlindernde, fiebersenkende Wirkung

Volumenersatz durch Zusatz von osmotisch wirksamen Substanzen

Hydroxycobalamin (Vitamin B12) wirkt als Cyanidfänger. Es bindet Cyanid im Plasma, das dabei entstandene Cyanocobalamin wird rasch im Urin ausgeschieden

Wirkung

Gastrointestinale Beschwerden, Übelkeit

Anaphylaktoide Reaktion, Schmerzen, Gerinnungsstörungen

Rotfärbung des Urins, Rotfärbung der Haut, Chromaturie

Neben­wirkungen

Allergien, schwere Nierenfunktionsstörungen

Sepsis, kritisch kranke Patienten, Nierenfunktionsstörungen oder Nierenersatztherapie, dehydrierte Patienten, Verbrennungen, intrakranielle oder zerebrale Blutungen, schwere Gerinnungsstörung, schwere Leberfunktionsstörung

Im Notfall keine

Kontrain­ dikationen

(Fortsetzung)

Mischung nur mit NaCl 0,9 %

Hinweise

Medikamente in der Notfallmedizin 399

21

Handels­namen

Atrovent

Ketanest

Xylocain

Tavor

Wirkstoff

Ipratropiumbromid

Ketamin

Lidocain

Lorazepam

. Tab. 21.1  (Fortsetzung)

Spannungszustände 0,5–2,5 mg p.o. Krampfanfall 2 mg i.v.

Analgesie: 0,25–0,5 mg kgKG i.v. im.; intranasale Applikation möglich, dann Dosis verdoppeln Narkose: 1–2 mg/ kgKG i.v.

Schulkinder >20 kgKG und Erw: 0,5 mg p.i. Kinder 180 mmHg; Hirndruck ohne Beatmungsmöglichkeit, instabile Angina pectoris, akuter Herzinfarkt

Engwinkelglaukom

Kontrain­ dikationen

(Fortsetzung)

Ampulle muss gekühlt gelagert werden, deshalb im Rettungsdienst als i.v.-Ampulle wenig verbreitet

Hinweise

21

Angst-, Spannungs- und Erregungszustände, Status epilepticus

Lokalanästhesie, ventrikuläre Herzrhythmusstörungen

Analgosedierung, Allgemeinanästhesie, therapieresistenter Status asthmaticus

COPD, Asthma

Indikation

400 J. C. Brokmann

Handels­namen

Magnesiocard

Ultra Carbon

Novalgin

Beloc

Dormicum

MSI

Wirkstoff

Magnesiumaspartat

Medizinische Kohle

Metamizol

Metoprolol

Midazolam

Morphin

. Tab. 21.1  (Fortsetzung)

Analgesie; Sedierung, Anxiolyse bei Lungenödem

Anxiolyse, Sedierung, Sedativum, Krampfanfall, Status epilepticus

Tachykardien, Schmalkomplextachykardie

Akute oder chronische Schmerzen

Intoxikationen

Eklampsie, Tetanie, Torsades des pointes, Asthma

Indikation

Analgesie: 2–10 mg i.v. oder 5–30 mg s.c. Kinder 0,05–0,1 mg/ kgKG

Sedierung: schrittweise 0,03–0,1 mg/ kgKG i.v. bis erwünschte Wirkung; Cave: Große interindividuelle Unterschiede Kinder bis 5 Jahre: 0,05–0,1 mg/kgKG

1 mg i.v., langsam, ggf. wiederholen

Koliken, Fieber

10 mg/1-mlAmpulle

15 mg/3ml-Ampulle; 5 mg/1-mlAmpulle

5 mg/5-mlAmpulle

2,5 mg/5-mlAmpulle

61,5 g Granulat = 50 g Kohle/Flasche

3 mmol/10ml-Ampulle

Torsades des pointes: 2 G i.v. Asthma: Erw: 1–2 g über 10 min i.v. Kinder: 50 mg/kgKG über 20 min i.v. Initial 0,5–1 g/kgKG p.o.

Darreichung

Dosierung

Bindung an zentralen Opioidrezeptor (μ-Rezeptor), zentrale Analgesie und Sedierung

Anxiolytisch, sedierend, antikonvulsiv, relaxierend

Sympatholyse durch Blockade der β1Rezeptoren; negativ chronotrop, inotrop,

Analgetisch, spasmolytisch, antipyretisch; reversible Hemmung der Cyclooxygenase

Bindung wasserlöslicher Toxine im Magen-DarmTrakt

Physiologischer Kalziumantagonist, krampflösend, Unterdrückung der neuromuskulären Übererregbarkeit

Wirkung

Bradypnoe, Miosis, Obstipation, Euphorie/ Dysphorie; Verwirrtheit

Im Notfall keine

Myasthenia gravis

Dekompensierte Herzinsuffizienz, Bradykardie, AV Block II–III°

Hypotonie, allergische Hautreaktion, Bronchospastik, Arrhythmien Paradoxe Reaktion, Hypotonie, Ateminsuffizienz

Porphyrie

Im Notfall keine

Myasthenia gravis

Kontrain­ dikationen

Überempfindlichkeit, Hypotonie, Agranulozytose

Obstipation, Schwarzfärbung des Stuhlgangs

Bradykardie, Überleitungsstörungen, Diarrhö

Neben­wirkungen

(Fortsetzung)

Hinweise

Medikamente in der Notfallmedizin 401

21

Handels­namen

Narcanti

Natriumbicarbonat 8,4 %

Natriumthiosulfat

Bayotensin akut

Arterenol

Zofran

Wirkstoff

Naloxon

Natriumbikarbonat

Natriumthiosulfat

Nitrendipin

Noradrenalin

Ondansetron

. Tab. 21.1  (Fortsetzung)

Übelkeit und Erbrechen

Hypotonie, Schock

Hypertensiver Notfall

Vergiftung mit Cyaniden, Blausäure, Nitrilen und Alkylanzien

2–4 mg i.v. (Erw)

0,01–0,3 μg/kgKG/min über Perfusor oder 5–10 μg als Bolus i.v.

5 mg s.l.

Intoxikation mit Cyaniden, Nitrilen, Blausäure: Sofort 4-DMAP 3–4 mg/kgKG i.v. und anschließend durch die gleiche Kanüle Natriumthiosulfat 50–100 mg/kgKG i.v.

1–1,5 mval/kgKG i.v.

0,4 mg titriert nach Wirkung i.v.; auch i.m. oder s.c. oder nasal applizierbar

Dosierung

4 mg/2-mlAmpulle

1 mg/1-mlAmpulle

5-mg-Phiole

25 g/100-mlAmpulle

8,4 %/100ml-Infusion

0,4 mg/1-mlAmpulle

Darreichung

Kopfschmerz, Flush, Wärmegefühl

Reflexbradykardie, Ruhelosigkeit

α-Sympathomimetikum (α1 > α2), geringe β-mimetische Wirkung, Nachlaststeigerung Antagonist am Serotonin-5-HT3-Rezeptor

Hypotonie, Kopfschmerzen, Tachykardien

Blockade des Kalziumkanals mit Hemmung des Kalziumeinstroms, Nachlastsenkung

Brechreiz, Diarrhö, Asthma, Bewusstseinsstörung

Alkalose, Hypernatriämie, Hyperosmolalität, Nekrosen bei Paravasat

Bindung saurer H+-Ionen zur Anhebung des pH-Werts

Bindung des CN-Ions an Schwefel; Thiocyanat ist weniger toxisch als Cyanid und kann renal ausgeschieden werden

Übelkeit, Erbrechen, Hypertonie, akutes Entzugssyndrom, Schwitzen, Tachykardie

Neben­wirkungen

Kompetitive Verdrängung der Opiate und Morphinanaloga an Opioidrezeptoren ohne intrinsische Aktivität

Wirkung

Bekannte Überempfindlichkeit

Im Notfall keine

Instabile Angina pectoris, Hypotonie, hochgradige Aortenstenose

Sulfitüberempfindlichkeit

Alkalose, Hyponatriämie; Hypokaliämie

Relativ: Opioidabhängigkeit

Kontrain­ dikationen

(Fortsetzung)

Keine parallele Applikation von Katecholaminen über denselben Zugang, da ansonsten diese inaktiviert werden

Hinweise

21

Metabolische Azidose, Intoxikation mit trizyklischen Antidepressiva, CPR

Opioidintoxikation

Indikation

402 J. C. Brokmann

Handels­namen

Alupent

Oxytocin

Dipidolor

Rectodelt

Solu-Decortin H

Propofol

Wirkstoff

Orciprenalin

Oxytocin

Piritramid

Prednison

Prednisolon

Propofol

. Tab. 21.1  (Fortsetzung)

1,5–2,5 mg kgKG i.v. zur Narkoseeinleitung 100–500 mg/h zur Aufrechterhaltung

250 mg/5-ml-Pulverampulle

Asthma bronchiale, exazerbierte COPD, Status asthmaticus,

Allgemeinanästhesie, Sedierung

5–20 mg/kgKG rektal

0,1 mg/kgKG i.v.

3–6 IE langsam i.v.

0,1–0,5 mg i.v.

Dosierung

Pseudo-Krupp-Syndrom, Diphterie, spastische Bronchitis, Asthma bronchiale

Analgesie

Atonische Nachblutung

Bradykardie

Indikation

200 mg/20ml-Ampulle

Asthma/ COPD: 50–100 mg i.v. Anaphylaxie 250–500 mg i.v.

100-mg-Suppositorium

15 mg/2-mlAmpulle

3 IE/1-ml-Ampulle

0,5 mg/1-mlAmpulle

Darreichung

Kurzwirksames Hypnotikum

Antiallergisch, entzündungshemmend, Zellmemembranstabilisierend

Antiallergisch, entzündungshemmend, Zellmemembranstabilisierend

Bindung an zentralen Opioidrezeptor (μ-Rezeptor), zentrale Analgesie und Sedierung, längere Wirkung als Morphin

Atemdepression, Hypotonie, allergische Reaktion

Bei Daueranwendung, aber nicht im Notfall

Bei Daueranwendung, aber nicht im Notfall

Atemdepression, Übelkeit, Erbrechen, erhöhter Muskeltonus

Erbrechen, Übelkeit,

Tachykarde Herzrhythmusstörung, Angina pectoris, Hyperglykämieneigung

β1-mimetische Wirkung, positiv chronotrop und inotrop, auch dromotrop Kontraktion der Uterusmuskulatur, synthetisches Hypophysenhormon

Neben­wirkungen

Wirkung

Schwangerschaft, Hypotonie

Im Notfall keine

Im Notfall keine

Opioidabhängigkeit

Schwere Schwangerschaftstoxikose, vorzeitige Plazentalösung, Plazenta praevia

Tachykardie, Hypertonie, Angina pectoris

Kontrain­ dikationen

(Fortsetzung)

Hinweise

Medikamente in der Notfallmedizin 403

21

Handels­namen

Ranitic

Bronchospasmin

Ringer-Lösung

Salbutamol

Lysthenon

Wirkstoff

Ranitidin

Reproterol

Ringerlösung

Salbutamolsulfat

Succinylcholin

. Tab. 21.1  (Fortsetzung)

Depolarisierendes Muskelrelaxans

1–1,5 mg/kgKG i.v.

2,5–5 mg p.i. Kinder 2–10 Jahre: 1,25 mg p.i. Kinder