Religiöse Vernunft: Glauben und Wissen in interkultureller Perspektive 9783495817339, 9783495489680

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Religiöse Vernunft: Glauben und Wissen in interkultureller Perspektive
 9783495817339, 9783495489680

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Erster Teil: Zur Fundierung einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie
I. Aufriss des Problemhorizonts: Die doppelte Konkurrenzsituation zwischen den Religionen sowie zwischen Religion und Philosophie
1. Das Andere im eigenen Diskurs – zwei Voraussetzungen
1.1 Die philosophische Auseinandersetzung mit religiösen Positionen
1.2 Die Einbeziehung außereuropäischer Philosophien
2. Die Pluralität religiöser Weltbilder und Wahrheitsansprüche als philosophisches Thema
2.1 Interreligiöse Begegnungsformen
2.2 Primäre und sekundäre Komponenten von Religion
3. Das Problem des religiösen Pluralismus in der zeitgenössischen Religionsphilosophie
II. Konturen interkultureller Religionsphilosophie
1. Interkulturelle Philosophie als Grundlagenreflexion interkultureller Begegnungen und als Polylog der Weltphilosophien
1.1 Interkulturelle Philosophie – philosophische Disziplin, Methode oder Perspektive?
1.2 Zum Kulturbegriff der Interkulturellen Philosophie
2. Interkulturelle Religionsphilosophie als philosophische Reflexion interreligiöser Diskurse und als Wissenschaft der Grenzbestimmungen zwischen Religionen und Philosophien
2.1 Zum Religionsbegriff interkultureller Religionsphilosophie
2.2 Historische Vorläufertheorien und Ansätze zu einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie
3. Religiöse Pluralität aus der Perspektive interkultureller Religionsphilosophie
4. Methodische Leitlinien interkultureller Religionsphilosophie
4.1 Hermeneutische, phänomenologische und analytische Ansätze
4.2 Abgrenzung der religionsphilosophischen Methodik von nicht-philosophischen Erforschungen religiöser Systeme
Zweiter Teil: Relationsbestimmungen zwischen Glauben und Wissen in der kantischen und nachkantischen Philosophie
I. Konvergenz oder Divergenz von »Glauben« und »Wissen«?
1. Putatives Glauben, kreditives Glauben und Wissen
2. Ein exponierter Sonderfall der allgemeinen Beziehung von Glauben und Wissen: das Verhältnis zwischen Religion und Philosophie
II. Religion diesseits und jenseits der reinen Vernunft: Potentiale der kantischen Religionsphilosophie
1. Der rationale Ausschluss religiösen Gedankenguts aus der Philosophie
1.1 Die Widerlegung der Gottesbeweise
1.2 Die autonome Begründung der Moralphilosophie
1.3 Religionskritik aus der Perspektive reiner Vernunft
2. Der Einschluss religiöser Motive in die Grenzen reiner Vernunft
2.1 Das Ideal der reinen Vernunft, das Postulat Gottes und die Ethikotheologie
2.2 Reiner Vernunftglaube und ethisches Gemeinwesen
2.3 Die interpretative Anverwandlung christlicher Lehren
3. Inter- und transkulturelle Potentiale der kantischen Religionsphilosophie
III. Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen
1. Integrationsmodelle im Deutschen Idealismus
1.1 Desiderate der kantischen Religionsphilosophie
1.2 Absolutes Wissen oder positive Philosophie? – Vernünftige Zugänge zum Kern des Religiösen nach Hegel und Schelling
1.3 Inter- und transkulturelle Potentiale der idealistischen Religionsphilosophien
2. Die philosophische Herausforderung des Religiösen im postsäkularen Zeitalter: Nachmetaphysisches Denken und Dekonstruktion
2.1 Die Versprachlichung des Sakralen – Habermas’ Modell einer Kooperation zwischen Religion und säkularer Vernunft
2.2 Gemeinsame Quellen des Glaubens und des Wissens in den Lesarten von Habermas und Derrida
2.3 Inter- und transkulturelle Potentiale der postmetaphysischen philosophischen Auseinandersetzung mit Religion
Dritter Teil: Interkulturelle Divergenzen und transkulturelle Konvergenzen zwischen den Weltreligionen
I. Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken
1. Aspekte philosophischer Reflexion im Buddhismus
2. Aspekte philosophischer Reflexion im Christentum
3. Aspekte philosophischer Reflexion im Islam
II. Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive
1. Die Perspektive der theoretischen Vernunft: Widerspruch und Komplementarität konstativer Aussagen der Weltreligionen
2. Die Perspektive der praktischen Vernunft: Interkulturelle Kompatibilität normativer Aussagen der Weltreligionen
3. Die Perspektive der Urteilskraft
Resümee
Literaturverzeichnis

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Markus Wirtz

Religiöse Vernunft Glauben und Wissen in interkultureller Perspektive

VERLAG KARL ALBER

https://doi.org/10.5771/9783495817339

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Markus Wirtz Religiöse Vernunft

VERLAG KARL ALBER

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https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Markus Wirtz

Religiöse Vernunft Glauben und Wissen in interkultureller Perspektive

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Markus Wirtz Religious Reason Faith and knowledge in an intercultural perspective The manifold, often conflictual, relations between different world religions, as well as between religion and philosophy, go far back in history to the tense relationship between faith and knowledge. Due to globalization, migration and digital technologies they have reached a new level in the 21st century. Religious fundamentalism and secular atheism only represent the extreme positions in a large field generally characterized by religious plurality and diversity. A philosophically sound investigation of the potentials and limits of interreligious as well as religious-secular disagreement is not only of scientific but also of socio-political interest. In connection with Kant’s philosophy of religion as well as idealistic and post-metaphysical positions, the present study seeks to explore perspectives for an interculturally oriented philosophy of religion which sees itself as a rational forum for interreligious and religious-secular understanding. In dealing with famous philosophies of religion from modern Europe, but also with the philosophies of Buddhism, Christianity and Islam, exemplary moments of complementarity, compatibility and convergence of ontological, ethical and mystical dimensions from the great world religions are identified and philosophically interpreted. The Author: Markus Wirtz (b. 1974) teaches philosophy as a private lecturer at the University of Cologne and as a teacher at the Kaiserin Augusta high school in Cologne. After studying philosophy, music, musicology, medieval and modern history, he completed his doctorate in philosophy in 2006 and his habilitation thesis based on the present work in 2017. Markus Wirtz lives in Cologne and Paris. Also published at Karl Alber: Geschichten des Nichts. Hegel, Nietzsche, Heidegger und das Problem der philosophischen Pluralität (2006; paperback edition 2015) (Stories of Nothingness. Hegel, Nietzsche, Heidegger and the problem of philosophical plurality).

https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Markus Wirtz Religiöse Vernunft Glauben und Wissen in interkultureller Perspektive Die mannigfaltigen, oftmals konfliktträchtigen Beziehungen zwischen unterschiedlichen Weltreligionen sowie zwischen Religion und Philosophie reichen weit in die Geschichte des spannungsreichen Verhältnisses von Glauben und Wissen zurück. Zugleich haben sie im 21. Jahrhundert durch Globalisierung, Migration und Digitalisierung ein neues Niveau erreicht: Religiöser Fundamentalismus und säkulare Areligiosität bezeichnen dabei nur die äußersten Pole eines Feldes, das in seiner breiten Mitte von religiöser und weltanschaulicher Pluralität und Diversität gekennzeichnet ist. Eine philosophisch fundierte Untersuchung der Potenziale und Grenzen interreligiöser sowie religiös-säkularer Dissense ist vor diesem Hintergrund nicht nur von wissenschaftlichem, sondern auch von gesellschaftspolitischem Interesse. Die vorliegende Studie sucht in Anknüpfung an die Religionsphilosophie Kants sowie an idealistische und nachmetaphysische Positionen Perspektiven für eine interkulturell orientierte Religionsphilosophie auszuloten, die sich als rationales Forum interreligiöser sowie religiös-säkularer Verständigung versteht. In der Auseinandersetzung mit namhaften Religionsphilosophien der europäischen Moderne sowie mit den »Philosophien« des Buddhismus, des Christentums und des Islam werden exemplarische Momente der Komplementarität, der Kompatibilität und der Konvergenz ontologischer, ethischer und mystischer Dimensionen des Religiösen ermittelt und philosophisch gedeutet. Der Autor: Markus Wirtz (geb. 1974) lehrt Philosophie als Privatdozent an der Universität zu Köln und als Oberstudienrat an der Kaiserin-AugustaSchule. Nach dem Studium der Musikwissenschaft, Mittleren und Neueren Geschichte, Philosophie sowie einem Schulmusikstudium erfolgte 2006 die Promotion in Philosophie und 2017 die Habilitation mit der vorliegenden Arbeit. Markus Wirtz lebt in Köln und Paris. Ebenfalls im Verlag Karl Alber erschienen: Geschichten des Nichts. Hegel, Nietzsche, Heidegger und das Problem der philosophischen Pluralität. (2006; kartonierte Ausgabe 2015).

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Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2018 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise, Bad Wünnenberg Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN (Buch) 978-3-495-48968-0 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-81733-9

https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

dem Andenken von Frau Prof. Dr. Claudia Bickmann

für Nathalie Baillon-Wirtz & Lucas Wirtz

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Inhalt

Vorwort

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Erster Teil: Zur Fundierung einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie I.

1.

2.

3. II. 1.

Aufriss des Problemhorizonts: Die doppelte Konkurrenzsituation zwischen den Religionen sowie zwischen Religion und Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Andere im eigenen Diskurs – zwei Voraussetzungen . 1.1 Die philosophische Auseinandersetzung mit religiösen Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Einbeziehung außereuropäischer Philosophien . Die Pluralität religiöser Weltbilder und Wahrheitsansprüche als philosophisches Thema . . . . . . . . . . 2.1 Interreligiöse Begegnungsformen . . . . . . . . . . 2.2 Primäre und sekundäre Komponenten von Religion . Das Problem des religiösen Pluralismus in der zeitgenössischen Religionsphilosophie . . . . . . . . . . Konturen interkultureller Religionsphilosophie . . . . . Interkulturelle Philosophie als Grundlagenreflexion interkultureller Begegnungen und als Polylog der Weltphilosophien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Interkulturelle Philosophie – philosophische Disziplin, Methode oder Perspektive? . . . . . . . 1.2 Zum Kulturbegriff der Interkulturellen Philosophie

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Inhalt

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3. 4.

Interkulturelle Religionsphilosophie als philosophische Reflexion interreligiöser Diskurse und als Wissenschaft der Grenzbestimmungen zwischen Religionen und Philosophien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Zum Religionsbegriff interkultureller Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Historische Vorläufertheorien und Ansätze zu einer interkulturellen Religionsphilosophie . . . . . . . . Religiöse Pluralität aus der Perspektive interkultureller Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodische Leitlinien interkultureller Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Hermeneutische, phänomenologische und analytische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Abgrenzung der religionsphilosophischen Methodik von nicht-philosophischen Erforschungen religiöser Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zweiter Teil: Relationsbestimmungen zwischen Glauben und Wissen in der kantischen und nachkantischen Religionsphilosophie I. 1. 2.

II. 1.

Konvergenz oder Divergenz von »Glauben« und »Wissen«? Putatives Glauben, kreditives Glauben und Wissen . . . Ein exponierter Sonderfall der allgemeinen Beziehung von Glauben und Wissen: das Verhältnis zwischen Religion und Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . Religion diesseits und jenseits der reinen Vernunft: Potentiale der kantischen Religionsphilosophie . . . . . . Der rationale Ausschluss religiösen Gedankenguts aus der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die Widerlegung der Gottesbeweise . . . . . . . . 1.2 Die autonome Begründung der Moralphilosophie . 1.3 Religionskritik aus der Perspektive reiner Vernunft .

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161 167 169 173 192 197

Inhalt

2.

3. III. 1.

2.

Der Einschluss religiöser Motive in die Grenzen reiner Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Das Ideal der reinen Vernunft, das Postulat Gottes und die Ethikotheologie . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Reiner Vernunftglaube und ethisches Gemeinwesen . 2.3 Die interpretative Anverwandlung christlicher Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inter- und transkulturelle Potentiale der kantischen Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Integrationsmodelle im Deutschen Idealismus . . . . . . 1.1 Desiderate der kantischen Religionsphilosophie . . 1.2 Absolutes Wissen oder positive Philosophie? – Vernünftige Zugänge zum Kern des Religiösen nach Hegel und Schelling . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Inter- und transkulturelle Potentiale der idealistischen Religionsphilosophien . . . . . . . . Die philosophische Herausforderung des Religiösen im postsäkularen Zeitalter: Nachmetaphysisches Denken und Dekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Versprachlichung des Sakralen – Habermas’ Modell einer Kooperation zwischen Religion und säkularer Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Gemeinsame Quellen des Glaubens und des Wissens in den Lesarten von Habermas und Derrida . . . . 2.3 Inter- und transkulturelle Potentiale der postmetaphysischen philosophischen Auseinandersetzung mit Religion . . . . . . . . . . . . . . . .

206 208 223 240 257 272 274 277

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Inhalt

Dritter Teil: Interkulturelle Divergenzen und transkulturelle Konvergenzen zwischen den Weltreligionen . . . I.

Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken . . . . . . . . . . . . . . Aspekte philosophischer Reflexion im Buddhismus Aspekte philosophischer Reflexion im Christentum Aspekte philosophischer Reflexion im Islam . . . .

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Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive . . Die Perspektive der theoretischen Vernunft: Widerspruch und Komplementarität konstativer Aussagen der Weltreligionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Perspektive der praktischen Vernunft: Interkulturelle Kompatibilität normativer Aussagen der Weltreligionen . Die Perspektive der Urteilskraft: Transkulturelle Konvergenz expressiver Aussagen der Weltreligionen . .

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Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Die hiermit veröffentlichte Habilitationsschrift ist innerhalb einer Dekade – von 2007 bis 2017 – entstanden. Dieser relativ lange Entstehungszeitraum ist einerseits auf die innere Komplexität des Themas zurückzuführen, die eine Einbeziehung unterschiedlicher philosophischer und religiöser Diskurse erforderte, andererseits auf den äußeren Umstand, dass meine Habilitation parallel zu einer hauptberuflichen Tätigkeit als Gymnasiallehrer sowie weiteren nebenberuflichen Dozententätigkeiten erfolgte. Die vielfältigen Lehrverpflichtungen, so gerne ich sie auch übernommen habe, nahmen gleichwohl viel Zeit und Energie in Anspruch. Ohne die verlässliche Unterstützung durch ein akademisches und privates Umfeld, das mir immer wieder die Konzentration auf ein weitgehend freies, von Sachzwängen nicht unnötig belastetes Forschen erlaubte, wäre die Vollendung des vorliegenden Buches nicht möglich gewesen. Keiner Person bin ich, was die Konzeption und Abfassung der Habilitationsschrift betrifft, so sehr zu Dank verpflichtet wie der am 30. April 2017 viel zu früh verstorbenen Betreuerin meines Habilitationsvorhabens, Frau Prof. Dr. Claudia Bickmann. Ihr unerwarteter Tod wenige Wochen nach meinem Habilitationskolloquium, an dem Sie – trotz schwerer Erkrankung – noch aktiv teilnehmen konnte, hat alle, die Claudia Bickmann als inspirierende Philosophin und überaus engagierte Professorin, vor allem aber auch als beeindruckende Persönlichkeit und wunderbaren Menschen kennen gelernt und geschätzt haben, in tiefe Trauer versetzt. Die Lücke, die ihr Verlust hinterlässt, ist unschließbar. Die philosophischen Schwerpunkte von Claudia Bickmann haben die inhaltlichen und methodischen Weichenstellungen der vorliegenden Arbeit ganz entscheidend beeinflusst. Darüber hinaus hat es das von Claudia Bickmann geleitete »Forschungskolloqium Inter-/ Transkulturelle Philosophie« am Philosophischen Seminar der Universität zu Köln durch die Organisation von Tagungen und Publika13 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Vorwort

tionen ermöglicht, die eigenen Ansätze und Überlegungen mehrfach zur Diskussion zu stellen. Im Juli 2013 sowie im Februar 2016 hatte ich darüber hinaus Gelegenheit, Thesen und Struktur meines Habilitationsvorhabens den Vorstandsmitgliedern des Philosophischen Seminars der Universität zu Köln vorzutragen. Inspirierende Anlässe zum philosophischen Austausch boten im Verlauf der Arbeit am Habilitationsprojekt ferner zahlreiche nationale und internationale Fachtagungen, Kongresse und Einladungen zu Vorträgen. Insbesondere auf den Weltkongressen der Philosophie 2008 in Seoul und 2013 in Athen wurde die interkulturell und interreligiös differenzierte und gleichwohl im rationalen Dialog gesprächsfähige Weltgesellschaft, die sich in unserem Jahrhundert zusehends herausbildet, in faszinierender Weise sinnfällig. Während der langen Arbeit an der »Religiösen Vernunft« habe ich mit so vielen Menschen Gespräche über die religionsphilosophische Thematik des Projekts führen dürfen, dass ich an dieser Stelle darauf verzichten möchte, sie alle namentlich aufzuführen; zu groß wäre die Gefahr, dass ich die eine oder den anderen von ihnen unabsichtlich unterschlagen könnte. Alle, mit denen ich in den letzten Jahren philosophiert habe, mögen sich daher persönlich angesprochen fühlen, wenn ich ihnen hiermit meinen Dank ausspreche – dies gilt auch und nicht zuletzt für die Studierenden meiner Pro- und Hauptseminare, aus deren Beiträgen ich viele Anregungen empfangen habe. Am 14. Dezember 2016 wurde die vorliegende Arbeit vom Habilitationskollegium der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als schriftliche Habilitationsleistung angenommen. Am 1. Februar 2017 wurden mit Habilitationsvortrag und -kolloquium auch die mündlichen Habilitationsleistungen erbracht. Mit der Einführungsvorlesung und der Verleihung der venia legendi am 26. Juli 2017 war das Habilitationsverfahren abgeschlossen. Die longue durée des Habilitationsprojektes konnte ich nicht nur an der allmählich ansteigenden Seitenzahl des Buches ermessen, sondern auch am kontinuierlichen Größerwerden meines Sohnes Lucas, dem ich dieses Buch gerne widmen möchte, ebenso wie seiner Mutter, meiner Frau Nathalie Baillon-Wirtz, und meiner ›Habilitationsmutter‹ Frau Prof. Dr. Claudia Bickmann. Markus Wirtz, im Mai 2018

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Einleitung

In der vorliegenden Studie sollen die Konturen einer interkulturellen Religionsphilosophie als Antwort auf die doppelte Problematik religiöser Diversität und religiös-säkularer Divergenz sowohl programmatisch als auch exemplarisch herausgearbeitet werden. Die theoretischen und praktischen Chancen und Probleme, die sich aus religiöser Pluralität sowie aus der kontroversen Beziehung zwischen säkularen und religiösen Weltsichten ergeben, sind nicht nur gesellschaftspolitisch im Hinblick auf das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen in einer globalisierten Welt von enormer Relevanz. Längst sind sie auch ein vieldiskutiertes Thema innerhalb der zeitgenössischen Religionsphilosophie. In den philosophischen Debatten um ›religious diversity‹ und ›religious disagreement‹ 1 geht es vorwiegend darum, Kriterien für einen rationalen Umgang mit religiöser Vielfalt zu entwickeln, die sowohl in philosophischer Hinsicht fundiert als auch für die Träger religiöser Überzeugungen akzeptabel sind. Es fällt jedoch auf, dass in der Diskussion vielfach eine stark 1 Siehe D. Basinger: »Religious Diversity (Pluralism)«. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2015 Edition). Hrsg. v. E. N. Zalta (http://plato.stanford.edu/ archives/fall2015/entries/religious-pluralism; letzter Zugriff: 25. 5. 2018); ders.: Religious diversity. A philosophical assessment. Aldershot 2002; B. Frances: »Religious Disagreement«. In: The Routledge Handbook of Contemporary Philosophy of Religon. Hrsg. v. G. Oppy. London/New York 2015, S. 180–191; V. S. Harrison: »Religious Pluralism«. In: Oppy 2015, S. 257–269; dies.: »Religious Diversity«. In: The Routledge Companion to Theism. Hrsg. v. C. Taliaferro, V. S. Harrisson u. S. Goetz. London/New York 2013, S. 477–490; J. Hick: »Religious Pluralism«. In: A Companion to Philosophy of Religion. Hrsg. v. C. Taliaferro, P. Draper u. P. L. Quinn. Malden, USA/Oxford, UK 2010, S. 710–717; P. J. Griffiths: »Comparative Philosophy of Religion«. In: Taliaferro/Draper/Quinn 2010, S. 718–723; R. Feldman: »Reasonable Religious Disagrement«. In: Philosophers without Gods. Meditations on atheism and the secular life. Hrsg. v. L. M. Antony. Oxford 2007, S. S. 194–214. Siehe ferner die Untersuchung von A. Renusch: Der eigene Glaube und der Glaube der anderen. Philosophische Herausforderungen religiöser Vielfalt. Freiburg/München 2014, sowie The Oxford Handbook of Religious Diversity. Hrsg. v. C. Meister. Oxford 2011.

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Einleitung

abstrahierende Redeweise von religiösen Wahrheitsansprüchen (religious truth claims) verwendet wird, die weder den verschiedenen religiösen Bereichen, für die überhaupt Geltungsansprüche erhoben werden, noch den durchaus unterschiedlichen Wahrheitsbeanspruchungen verschiedener Religionen bzw. religiöser Strömungen genügend Rechnung trägt. Ein weiterer, mit dem ersten zusammenhängender problematischer Punkt der Debatte um religiöse Diversität liegt in ihrer nicht ausreichend reflektierten kulturellen Vorprägung durch die christliche Religion, die oftmals unterschwellig als Maßstab für die philosophische Thematisierung religiöser Diversität fungiert. Beiden Defiziten der zeitgenössischen Debatte um religiöse Diversität sucht die interkulturelle Erweiterung der Religionsphilosophie, die in der vorliegenden Arbeit vorgeschlagen und exemplarisch ausgearbeitet wird, abzuhelfen. Eine interkulturell orientierte Philosophie der Religion muss glücklicherweise nicht bei einem abstrakt konstruierten Nullpunkt ansetzen, sie beginnt gleichsam nicht im luftleeren Raum, sondern sie geht aus einer reichhaltigen und facettenreichen Diskussion hervor, die seit der Entstehung der religionsphilosophischen Disziplin in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geführt worden ist. 2 Die philosophische Reflexion des Verhältnisses von Glauben und Wissen reicht in ihrer historischen Dimension freilich noch wesentlich tiefer in antike und mittelalterliche Debatten hinein; und sie ist überdies keineswegs nur auf den europäisch-christlichen Horizont beschränkt. Auch wenn es nicht das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist, philosophische Diskussionsverläufe primär historisch nachzuvollziehen, so kommt eine interkulturell-religionsphilosophische Untersuchung gleichwohl nicht umhin, aus dem umfangreichen Fundus religionsphilosophischer Ansätze einige paradigmatische Positionen herauszugreifen und ihre systematische Relevanz für die rationale Behandlung des Problems interreligiöser sowie religiös-säkularer Dissense darzulegen. Die Auswahl an philosophischen Positionen, Der Titel dieser philosophischen Disziplin erscheint erstmals bei S. v. Storchenau: Die Philosophie der Religion. Augsburg 1773. Allerdings bezeichnet der Titel ›Philosophie der Religion‹ hier noch im Kern eine philosophische Apologetik des Katholizismus. Siehe dazu auch W. Jaeschke: »Einleitung«. In: Ders. (Hrsg.): Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 1: Einleitung in die Philosophie der Religion. Der Begriff der Religion. Hamburg 1993, S. XI–XLVIII, hier S. XII. Die Einführung des Begriffs ›Religionsphilosophie‹ in die Diskussion um Kants Ethikotheologie schreibt Jaeschke E. C. L. Reinold zu.

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Einleitung

die im Kontext dieser Studie eingehender analysiert und interpretiert werden sollen, hat sich vor allem an den folgenden drei inhaltlichen Kriterien orientiert: 1) an der jeweils geleisteten Reflexion über die systematische Grenzziehung zwischen den Domänen der Philosophie und der Religion; 2) an der philosophischen Behandlung des Phänomenkomplexes religiöser Diversität; 3) an den inter- und transkulturellen Potentialen des jeweiligen religionsphilosophischen Ansatzes. Philosophische Positionen, die in diesen drei Hinsichten wegweisende Argumente und Modelle entwickelt haben, eignen sich aus unserer Sicht besonders gut zu einer produktiven Anknüpfung im Kontext einer interkulturell ausgerichteten Religionsphilosophie. Für die vorliegende Untersuchung wurde vor diesem Hintergrund entschieden, den Fokus auf eine Strömung innerhalb der modernen Reflexionsgeschichte der Beziehung von »Glauben« und »Wissen« zu richten, die ihren Ausgang von Kants Überlegungen zur Religion im Kontext der transzendentalen Selbstkritik der Vernunft genommen hat und die sodann in der komplexen Verhältnisbestimmung von Philosophie und Religion im Deutschen Idealismus, insbesondere bei G. W. F. Hegel und F. W. J. Schelling, weiter entwickelt und beträchtlich modifiziert wurde, um schließlich im Zusammenhang mit einem neuerlich erwachten philosophischen Interesse an Religion im postsäkularen Ansatz des nachmetaphysischen Denkens bei J. Habermas sowie in der dekonstruierenden Auslegung der Beziehung von Glauben und Wissen im Denken J. Derridas eine wiederum deutlich an der Religionsphilosophie Kants orientierte Fortsetzung zu finden. 3 Siehe dazu U. Barth: »Kant und Habermas. Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft aus der Sicht der Diskurstheorie«. In: Der Endzweck der Schöpfung. Zu den Schlussparagraphen (§§ 84–91) in Kants Kritik der Urteilskraft. Hrsg. v. M. Hofer, C. Meiller, H. Schelkshorn u. K. Appel. Freiburg/München 2013, S. 114– 137. In den Eingangsbemerkungen seines Aufsatzes weist Barth auf die relativ marginale Stellung der Religionsphilosophie innerhalb der zeitgenössischen Kant-Rezeption hin: »Kants Religionstheorie erscheint zum einen als individuelle Modifikation vergleichbarer Bestrebungen der Aufklärung, zum andern als Ausgangspunkt der dann in ganz andere Richtung weisenden Entwürfe des deutschen Idealismus. Innerhalb der Theologie steht es um die Aufmerksamkeit nicht viel besser […].« (Ebd., S. 114 f.) Um so bemerkenswerter sei vor diesem Hintergrund die Auseinandersetzung von J. Habermas mit Kants Religionsphilosophie. – Demgegenüber hat S. R. Palmquist zu einem an Kant orientierten Umdenken innerhalb der Religionsphilo-

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Einleitung

Mit der Auswahl dieser thematisch zusammenhängenden Traditionslinie soll keinesfalls suggeriert werden, dass nicht auch die Analyse und Interpretation anderer religionsphilosophisch relevanter Ansätze – beispielsweise die Theorien von Autoren wie Hobbes, Spinoza, Locke, Leibniz, Hume, Fichte, Schleiermacher, Kierkegaard, James, Jaspers, Wittgenstein, Heidegger oder Levinas 4 – für die Ausgestaltung einer interkulturellen Religionsphilosophie außerordentlich ergiebig sein können. Doch bezogen auf die oben genannten drei Eignungskriterien kommt der philosophischen Auseinandersetzung mit religiösen Gehalten in der von Kant inaugurierten und fortwährend inspirierten Strömung insofern eine exemplarische Bedeutung für die Ausgestaltung einer interkulturellen Religionsphilosophie zu, als sich anhand dieser Strömung grundsätzliche systematische Konstellationsmöglichkeiten zwischen Religion und Philosophie, Glauben und Wissen auf den Begriff bringen lassen. Zentral für die kantische und nachkantische Religionsphilosophie ist ferner der Bezug auf die Problematik der Übersetzung, Translation und Transposition religiös formulierter Vorstellungen in eine philosophische Sprache – ein Problemkomplex, der nicht nur hermeneutische Aspekte der Interpretation religiöser Texte aus einer philosophisch-säkularen Perspektive betrifft, sondern darüber hinaus die prinzipielle epistemische Frage nach den philosophischen Aneignungsmöglichkeiten religiöser ›Wahrheit‹ aufwirft. Im Hinblick auf die Problematik der philosophischen Translation religiöser Positionen repräsentieren die religionsphilosophischen Überlegungen Kants den bahnbrechenden Versuch, Religion ›innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft‹ zu evaluieren, wobei die systematische Andockstelle für die vernünftige Übersetzung religiöser Inhalte in der praktischen Vernunft situiert wird. Die Deutschen Idealisten Hegel und Schelling nehmen demgegenüber auch den spekulativen Gehalt religiöser Vorstellungen ernst, die freilich bei Hegel erst im Medium ihrer begrifflichen Reformulierung ihren adäquaten sophie aufgerufen: »Time is ripe for a revolution – in Kant studies as in the academic (and, if possible, the popular) understanding of the nature of religion.« (S. R. Palmquist: Comprehensive Commentary on Kant’s Religion within the Bounds of Bare Reason. Malden, MA/Oxford 2016, »Preface: Why a commentary on Kant’s Religion, now?«) 4 Überblickshafte Zusammenfassungen des religionsphilosophischen Denkens dieser und zahlreicher weiterer Autoren finden sich in der fünfbändigen History of Western Philosophy of Religion. Hrsg. v. G. Oppy u. N. Trakakis. New York 2009.

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Ort innerhalb der Selbsterkenntnis des absoluten Geistes finden. Insbesondere an der spekulativen Dialektik Hegels, aber etwa auch an Schellings theogonischer Potenzenlehre charakterisierenden trinitarischen Denkstruktur lässt sich das Übersetzungsproblem religiöser in philosophische Gehalte (und umgekehrt) aufzeigen: Stellt die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und dessen Auferstehung von den Toten – das Herzstück des christlichen Dogmas – aus der Perspektive des hegelschen Denkens eine geschichtlich situierte religiöse Vorstellung dar, die letztlich nur einen Teilaspekt der Universalität des logischen Dreischritts repräsentiert, so ließe sich umgekehrt aus einer christlich-theologischen Perspektive die hegelsche Philosophie als eine vom christlichen Trinitätsdogma inspirierte Heilsgeschichte des Geistes interpretieren. Beide Perspektiven weisen einander ihre Plätze im jeweiligen Bezugssystem religiöser Vernunft zu. Von einer strikten Getrenntheit der religiösen und der philosophischen Sphäre geht demgegenüber das postsäkulare Denken von J. Habermas aus, der gleichwohl – in ausdrücklicher Bezugnahme auf die kantische Religionsphilosophie – den Gedanken einer Übersetzung religiöser Inhalte in philosophische Begriffe angesichts des von ihm konstatierten Defätismus der Vernunft reaktualisiert. 5 Auch J. Derridas verstreute Äußerungen zur Thematik des Religiösen greifen auf Kant zurück, sind aber – im Unterschied zu Habermas – nicht so sehr an einer definitiven Festschreibung als vielmehr an einer Transposition und Destabilisierung absoluter Grenzziehungen zwischen Glauben und Wissen, Religion und Philosophie ausgerichtet. Im Kern ist es für Derrida keine historische, in die Vorgeschichte der Achsenzeit zurückreichende Gemeinsamkeit von Religion und Metaphysik/Philosophie, die das Verbindende beider Sphären ausmacht (wie es Habermas beschreibt), sondern eine fundamentale, auf die Zukünftigkeit des Zu-Kommenden ausgerichtete Einstellung des Glaubens und Vertrauens, die eine der beiden von Derrida unterschiedenen Quellen des Religiösen speist; die andere beruht Derrida zufolge in der Figur des Sakralen, Immunen, Unversehrten. 6 Doch nicht nur zu der zentralen Problematik wechselseitiger Translationen zwischen Religion und Philosophie, sondern auch zu den vielfältigen Fragen, die sich aus religiöser Diversität ergeben, ha5 6

Siehe Kap. III.2. des Zweiten Teils der vorliegenden Untersuchung. Siehe Kap. III.2.2 des Zweien Teils dieser Arbeit.

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ben die Strömungen der Transzendentalphilosopie, des Deutschen Idealismus, der Diskurstheorie sowie der Dekonstruktion Ansätze geliefert, die für die Epistemologie religiöser Dissense sowie für die Ausgestaltung einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie fruchtbar gemacht werden können. Bezogen auf die kantische Philosophie ist in diesem Zusammenhang die Postulierung einer universellen, Kulturen übergreifenden, vernunftmoralisch fundierten Religion, die sich historisch in doktrinal unterschiedliche Glaubensformen ausdifferenziert, von besonderem Interesse. Das Verhältnis von religiöser Einheit und Vielfalt, wie es Kant konzipiert hat, reflektiert zugleich das Verhältnis von praktischem und theoretisch-spekulativem Vernunftgebrauch: Während dieser über die kulturell divergierenden religiösen Doktrinen kein abschließendes Urteil zu fällen vermag, verbürgt jener im moralischen Prinzip das wahre Fundament aller Religion. Die Deutschen Idealisten, insbesondere Hegel und Schelling, haben gegenüber der transzendentalen Systematik des kantischen Ansatzes den Weg einer begrifflichen Genesis im Kontext einer universalgeschichtlichen Philosophie des Geistes favorisiert, um das Auseinander-Hervorgehen religiöser Formationen systematisch einsichtig zu machen. Dass mit der philosophischen Rekonstruktion religiöser Entwicklungsschritte zugleich eine teleologische Hierarchisierung geschichtlicher Religionen verbunden ist, bei der das Christentum nicht zufällig die ausgereifteste und die dem Geist entsprechendste Religionsform repräsentiert, stellt die Crux des idealistischen Ansatzes dar, der gleichwohl fruchtbar genug ist, um für interkulturelle Erweiterungen der Religionsphilosophie inspirierend zu bleiben. Habermas’ Auseinandersetzung mit dem Problem des religiösen Pluralismus zeichnet sich wiederum dadurch aus, dass sie unter den Bedingungen nachmetaphysischen Denkens auf die inhaltliche Beschäftigung mit religiösen Aussagen und Doktrinen weitestgehend verzichtet und zunächst nur einen allgemeinen gesellschaftstheoretischen Rahmen skizziert, innerhalb dessen religiöse Überzeugungen in öffentliche Diskurse eingespeist werden können. Diese inhaltliche Abstinenz gegenüber dem genuinen Wahrheitsanspruch religiöser Weltanschauungen scheint jedoch im postsäkularen Denken insoweit aufgebrochen zu werden, als nun die bereits angesprochenen Übersetzungsleistungen aus der religiösen in die philosophisch-säkulare Sphäre aus Sicht der säkularen Vernunft geradezu geboten erscheinen. 20 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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Die dekonstruierende Annäherung an die Problematik interreligiöser und religiös-säkularer Dissense schließlich ist, soweit sie das Denken Derridas betrifft, auffällig auf die gegenseitigen Beziehungen der monotheistischen bzw. abrahamitischen Religionen konzentriert. Eine interkulturelle Öffnung des religionsphilosophischen Diskurses auf nicht-theistische Religiositätsformen wie den Buddhismus böte sich zwar von den Prämissen der Dekonstruktion her durchaus an, ist aber von Derrida selbst allenfalls in Ansätzen geleistet worden. Die genannten transzendentalphilosophischen, idealistischen und postmetaphysischen Auseinandersetzungen mit Religion kommen – bei aller Unterschiedlichkeit der zu Grunde liegenden philosophischen Ansätze – darin überein, dass sie sowohl religionskritische als auch religionsaffirmative Momente beinhalten, die beide aus der jeweiligen philosophischen Bezugnahme auf den monotheistischen Glauben und auf monotheistische Theologien zu verstehen sind. Insofern ist die philosophische Thematisierung von Religion innerhalb der europäischen Moderne zwar einerseits einem ganz bestimmten kulturellen und religionsgeschichtlichen Kontext verhaftet, andererseits sind aber in den Grenzen dieses Kontextes grundlegende systematische Modelle für die Verhältnisbestimmung von Glauben und Vernunft entwickelt worden, die von einer interkulturell ausgerichteten Religionsphilosophie mit Gewinn aufgenommen und weiter entwickelt werden können. Die Tragfähigkeit transzendentalphilosophischer, idealistischer und nachmetaphysischer Zugangsweisen bezogen auf einen philosophisch fundierten Umgang mit der Vielfalt religiöser Wahrheitsansprüche lässt sich am besten anhand einer diskursiven Auseinandersetzung mit religiösen Positionen selbst überprüfen. Es wird daher notwendig sein, neben den genannten religionsphilosophischen Positionen in einem weiteren Schritt exemplarisch auch genuin religiöse bzw. philosophisch imprägnierte religiöse Aussagen und Positionen als Untersuchungsgegenstände einzubeziehen. Angesichts der unübersehbaren Fülle an religiösen Zeugnissen aus den Weltreligionen müssen hierbei einige repräsentative Beispiele genügen, um sicher zu stellen, dass in die religionsphilosophische Untersuchung der Verhältnisbestimmung von religiöser Vielfalt und säkularer Vernunft auch explizit religiöse Perspektiven einfließen. Bei den religiösen Formationen, aus denen charakteristische Stimmen herangezogen werden, sollte es sich möglichst um solche handeln, die einen universellen, nicht zwingenderweise jedoch einen exklusivistischen Wahrheits21 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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anspruch für ihre Botschaft vertreten. In Frage kommen somit all diejenigen Religionen, deren zentrale Anliegen – etwa eine bestimmte Auffassung von der Bedeutung der Welt im Ganzen, der Stellung des Menschen in ihr oder spezifische moralische Einstellungen – sich über einen je eingeschränkten kulturellen Kontext hinaus letztlich an jeden Menschen richten. Unter den üblicherweise als solche klassifizierten ›Weltreligionen‹ werden wir als diejenigen, die bereits in der fundamentalen Adressierung ihrer Botschaft ein solches transkulturelles Moment religiöser Vernunft beinhalten, insbesondere den Buddhismus, das Christentum und den Islam einbeziehen. 7 Diese drei ReligioDieselbe Auswahl trifft auch G. Donnadieu in der komparativen religionswissenschaftlichen Studie Bouddhisme, Christianisme, Islam à la lumière de la raison moderne. Chouzé-sur-Loire 2015. Ein Vergleich dieser drei Weltreligionen findet sich bereits früh bei dem protestantischen Geistlichen R. Falke: Zum Kampfe der drei Weltreligionen (Buddhismus, Islam, Christentum). Ein Katechismus für wahrheitssuchende Leute. Gütersloh 1902; ders.: Buddha, Mohammed, Christus: Ein Vergleich der drei Persönlichkeiten und ihrer Religionen. Gütersloh 1896/97. Allerdings sind Falkes Studien durchsetzt mit negativen Bewertungen und unreflektierten kulturellen Vorurteilen, ja Verunglimpfungen nicht-christlicher Religiosität; über den Islam heißt es etwa in Buddha, Mohammed, Christus (S. 86 f.): »Der Islam bleibt eine Religion für den äußeren Wandel, aber nicht für das innere Leben. Rechnet man noch dazu das schlechte Vorbild der unsittlichen Persönlichkeit des unwahren Propheten, die langweilige Öde des Koran mit seinen tausend Wiederholungen, die zur Heuchelei oder zur religiösen Abstumpfung treibende Fülle gesetzlicher Vorschriften, die Intoleranz der Theokratie, welche die freie Entwicklung unmöglich macht, und schließlich die Erlaubnis der die Sittlichkeit und das Familienleben untergrabenden Vielweiberei, und die furchtbare Schmach der Sklaverei, – dann wird es schwer zu entscheiden, welche der beiden Religionen [Buddhismus oder Islam; Anm. d. Verf.] den höheren Wert beansprucht. Denn niedrig stehen sie alle beide, und keine vermag das in den Menschen hineingeschaffene Ebenbild Gottes zur Gestaltung zu bringen.« – Derartige undifferenzierte eurozentristische Projektionen sind bei der religionsphilosophischen Reflexion buddhistischer und muslimischer Positionen selbstverständlich zu überwinden. Mit der Konzentration auf den Buddhismus, das Christentum und den Islam soll im Übrigen keineswegs suggeriert werden, dass nicht auch Religionen wie der Hinduismus oder das Judentum religiöse Lehren beinhalten, die über die Verwurzelung in einer bestimmten Kultur hinaus reichen, indem sie sich an die Menscheit insgesamt richten und beispielsweise fundamentale ethische Intuitionen formulieren. Die Auswahl der drei Weltreligionen Buddhismus, Christentum und Islam ist zum einen der pragmatischen Notwendigkeit geschuldet, sich auf eine beschränkte Anzahl möglichst repräsentativer Beispiele zu konzentrieren; zum anderen ist der Hinduismus als historische Ausgangs- und Abstoßungsposition des Buddhismus zumindest implizit präsent, und das Gleiche gilt auch für die jüdische Religion, die sowohl als notwendige Voraussetzung und integraler Bestandteil des Christentums Berücksichtigung finden wird als auch im Hinblick auf den Islam, mit dem sie in einigen religionsphilosophisch relevanten Hinsichten bestimmte religiöse Merkmale teilt (wie 7

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nen eignen sich deswegen besonders gut als Untersuchungsgegenstände für die philosophische Untersuchung religiöser sowie religiössäkularer Dissense, weil es sich um bei ihnen um Bekenntnisreligionen handelt, denen man nicht nur durch Geburt oder verwandtschaftliche Beziehungen, sondern auch und bestenfalls aus Überzeugung beitreten kann. Darüber hinaus gelten Buddhismus, Christentum und Islam als Stifterreligionen, deren religiöse Gründer – Siddharta Gautama, Jesus Christus und Mohammed – jeweils mit dem Ziel aufgetreten sind, bereits bestehende religiöse Traditionen als irrtümliche, falsche Überzeugungen und Praktiken zu entlarven. Sie traten dabei mit einem starken Anspruch auf Wahrheit auf, der von den älteren religiösen Traditionen nicht oder jedenfalls nicht mehr eingelöst werden konnte: Im Falle Buddhas bezog sich dies auf den Brahmanismus, im Falle Jesu auf das orthodoxe Judentum und im Falle Mohameds auf die in der völligen Unwahrheit lebenden Ungläubigen sowie auf die in partieller Unwahrheit lebenden Schriftbesitzer, d. h. Juden und Christen. Im Zuge der philosophischen Analyse religiöser Positionen aus den genannten drei Weltreligionen gilt es zum einen, der jeweiligen religiösen Binnenperspektive gerecht zu werden, indem die religionsinterne Einstellung gegenüber der philosophischen Reflexion in den genannten drei Weltreligionen exemplarisch rekonstruiert wird. Zum anderen ist es für eine interkulturell ausgerichtete Religionsphilosophie notwendig, eine rational zu rechtfertigende Außenperspektive auf die einsehbaren Konvergenzen und Divergenzen der Weltreligionen einzunehmen und somit eine gleichsam transkulturelle Reflexionsinstanz zu konstituieren, welche die religiösen Antworten auf die Fragen nach dem Grund der Welt, nach dem richtigen menschlichen Leben und nach dem angemessenen Verhalten gegenüber den Grenzen von ›Glauben‹ und ›Wissen‹ nachzuvollziehen und zu bedenken versucht. Einer solchen philosophischen Perspektivierung religiöser Vielfalt liegt die Annahme zu Grunde, dass jede Religion eine spezifische, in sich differenzierte Weltbildkonfiguration ausprägt, die einer be-

etwa die Ablehnung eines trinitarisch verstandenen Gottes oder die hohe Bedeutung des göttlichen Gesetzes und Rechts). Auch bei der Untersuchung der auf Religion bezogenen Überlegungen Derridas wird der Aspekt der jüdischen Kultur und Religion implizit eine Rolle spielen.

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grifflichen Reformulierung nicht prinzipiell unzugänglich sein muss. 8 Die pauschale Auffassung, dass religiös Erfahrenes und Geglaubtes das Fassungsvermögen menschlicher Vernunft per se übersteige und eine philosophische Reflexion religiöser Gehalte deshalb notwendigerweise den Kern des Religiösen verfehlen müsse, greift in mehrfacher Hinsicht zu kurz: Zum einen übersieht sie, dass auch das der Vernunft angeblich vollkommen Unzugängliche immerhin als Unzugängliches zugänglich sein muss, und zum anderen setzt sie den Anteil kognitiver Verstehensleistungen zu niedrig an, der bei der Integration religiöser Erfahrungen in die individuelle und kollektive Generierung einer stimmigen, identitätsstiftenden Weltsicht erforderlich ist. Weil rationale Verarbeitungsprozesse und begriffliche Konzepte eine ganz entscheidende Rolle sowohl bei der individuellen biographischen Integration religiöser Erfahrungen als auch bei der kulturellen Ausprägung religiöser ›Groß-Systeme‹ spielen, ist eine zentrale Aufgabe religionsphilosophischer Forschung darin zu sehen, ontologische, erkenntnistheoretische, ethische, ästhetische sowie weitere rationalisierungsfähige Implikate religiöser Auffassungen herauszuarbeiten und kritisch zu hinterfragen: solche Implikate, die im religiösen Vollzug selbst zumeist unbefragt akzeptiert, eben ›geglaubt‹ werden. Die philosophische Rekonstruktion ontologischer und ethischer Hintergrundannahmen religöser Weltsichten stellt die konzeptionelle Basis für eine mögliche Klärung der doppelten Problematik religiös-säkularer sowie interreligiöser Dissense dar. Allerdings hängen die je spezifischen Ideen und Konzepte einer Religion bezogen auf die theoretische Interpretation des Weltganzen, die praktische Regelung der menschlichen Lebensführung und die symbolische Kodifikation von Transzendenzerfahrung zu einem wesentlichen Teil davon ab, wie innerhalb einer Religion die interne Beziehung transzendenter bzw. spiritueller Erfahrung zum Bereich des rationalen Denkens aufgefasst wird. Geht eine Religion beispielsweise davon aus, dass der Siehe dazu J. Habermas: »Kulturelle Gleichbehandlung – und die Grenzen des Postmodernen Liberalismus«. In: Ders.: Philosophische Texte. Studienausgabe in fünf Bänden. Bd. 4: Politische Theorie. Frankfurt a. M. 2009, S. 209–258, hier S. 253: »Jede Religion ist ursprünglich ›Weltbild‹ oder ›comprehensive doctrine‹ auch in dem Sinne, dass sie die Autorität beansprucht, eine Lebensform im Ganzen zu strukturieren.« (Vgl. gleichlautend ders.: »Vorpolitische Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates?« In: Ders./J. Ratzinger: Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft und Religion. Freiburg 2005, S. 16–37, hier S. 34.)

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letzte Grund der Welt selber ein vernünftiger ist, der sich in seinen Willenskundgebungen an die Vernunft des Menschen richtet, dann wird der Vernunft höchstwahrscheinlich auch ein höheres Gewicht bei der Religionsausübung zukommen als einem blinden Glaubensgehorsam. Hält man hingegen den letzten Grund der Welt für prinzipiell a-rational oder über-rational, absolut unerfassbar für den menschlichen Geist, dann wird das Vernunftvermögen vermutlich nicht das adäquate und beste Medium der religiösen Hingabe an diesen Weltgrund darstellen; meditative Versenkungen und rituelle Praxen des Gebets und der kollektiven Zelebrierung könnten in diesem Fall angemessenere Formen darstellen, um dem das menschliche Fassungsvermögen übersteigenden Absoluten zu entsprechen. Die philosophischen Implikate religiöser Überzeugungen werfen ferner ein Licht auf die externe Relation, in der sich eine Religion zu konkurrierenden religiösen und säkularen Weltsichten situiert. Ob sie eher zu aggressiver Missionierung, zu negativen Stilisierungen von Anders- oder Nichtgläubigen als »Ungläubigen« oder aber zu friedfertiger Toleranz und interessierter Dialogbereitschaft neigt, hängt zu einem beträchtlichen Anteil von den einer Religion inhärenten basalen Auffassungen ab. Gerade weil diese aber in der religiösen Praxis des Glaubens, Betens, Meditierens etc. in der Regel nicht eigens reflektiert, sondern vielmehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden, kann es als eine genuin philosophische Aufgabe beschrieben werden, die zumeist stillschweigend akzeptierten Prämissen des religiösen Lebens in ontologische, ethische, sprachphilosophische u. a. Konzepte zu übersetzen. Erst auf dieser philosophisch generierten, vom Glaubensstreit über sekundäre Aspekte dispensierten Ebene können divergente religiöse Auffassungen in einen fruchtbaren interkulturellen Dialog miteinander gebracht werden. Eine so verstandene Religionsphilosophie wäre folglich das adäquate Medium, in dem religiöse und säkulare Positionen ihre wechselseitigen Konvergenz- und Divergenzpunkte ausloten könnten. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Kategorie der Interkulturalität nicht erst in der Begegnung unterschiedlicher Weltreligionen wirksam wird. Vielmehr repräsentieren die einzelnen Religionen bereits je für sich interkulturelle Gebilde, in denen sich unterschiedlichste kulturelle Einflüsse, Erfahrungen und Auffassungsweisen amalgamiert haben. Auch und gerade innerhalb einer einzelnen Religion können Fragen wie die nach dem angemessen Verhältnis zwischen rationalem Denken und spirituellem Erleben überaus strittig 25 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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sein, sodass es bisweilen schwierig ist, aus dem vielstimmigen Chor des Meinungsspektrums eine vorherrschende Position zu extrahieren, der nicht nur aus machtpolitischen Gründen, sondern aus inneren Plausibilitätserwägungen heraus ein größeres Gewicht zukommt als anderen. Dem Religionsphilosophen fällt in diesem Zusammenhang die verantwortungsvolle Aufgabe zu, das für eine Religion – bei aller Divergenz intrareligiöser Auffassungen – philosophisch Charakteristische herauszuarbeiten, dieses mit dem Charakteristischen anderer Religionen in Beziehung zu setzen, interkulturelle Konvergenzen und Divergenzen aufzuzeigen und schließlich die Potentiale einer transkulturellen religiösen Vernunft sichtbar zu machen. Sofern die vorliegende Arbeit einen Beitrag zur Konstituierung einer in diesem Sinne interkulturell orientierten Religionsphilosophie leisten möchte, wird in ihr die These vertreten, dass sich die Weltreligionen Buddhismus, Christentum und Islam in ontologischmetaphysischer Hinsicht komplementär verhalten, dass sie in ethischer Hinsicht zumindest partiell kompatibel sind und dass sie unter einem symbolisch-mystischen Aspekt sogar konvergieren.

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Erster Teil: Zur Fundierung einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie

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I. Aufriss des Problemhorizonts: Die doppelte Konkurrenzsituation zwischen den Religionen sowie zwischen Religion und Philosophie

Die in dieser Arbeit beabsichtigte Untersuchung interreligiöser Dissense sowie religiös-säkularer Relationsbestimmungen soll einen systematischen Beitrag zur Fundierung und Ausgestaltung einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie leisten. Einer in diesem Sinne ausgerichteten Philosophie der Religion geht es nicht primär um die deutende Beschreibung religiöser Phänomene in den verschiedenen Weltkulturen, sondern vor allem um die rationale Analyse und Interpretation philosophisch relevanter Intuitionen, Überzeugungen und Weltsichten, die sich aus den Weltreligionen extrahieren und in einer begrifflichen Form rekonstruieren lassen, d. h. um die inter- und transkulturell wahrheitsfähigen Formen und Gehalte religiös inkarnierter Vernunft. Unter ›Vernunft‹ soll in diesem Zusammenhang zunächst nur das menschliche Vermögen verstanden werden, Erkenntnisse und Handlungen durch intersubjektiv nachvollziehbare Gründe rechtfertigen zu können. Dass und wie sich der Begriff der Vernunft gerade auch in seiner Beziehung zur religiösen Sphäre mehrfach gewandelt hat, wird die Rekonstruktion relevanter Positionen der kantischen und nachkantischen Philosophie im Einzelnen demonstrieren. 1 Von zentraler Bedeutung für die interkulturelle Ausrichtung religionsphilosophischer Untersuchungen ist zunächst die heuristische Intention, den Rahmen einer einseitig okzidental-theozentrisch geprägten Religionsbetrachtung zu verlassen und zu überschreiten. Denn anders dürfte es kaum möglich sein, den philosophischen Implikationen solcher religiöser Traditionen wie dem Buddhismus gerecht zu werden, die von völlig anderen metaphysisch-ontologischen Voraussetzungen ausgehen als denjenigen, auf denen die onto-theologische Argumentationsapparatur der abendländischen Metaphysik

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Siehe dazu die Kap. II und III des Zweiten Teils der vorliegenden Untersuchung.

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Aufriss des Problemhorizonts

und Theologie über lange Zeiträume hinweg basiert hat – möglicherweise sogar auf Voraussetzungen, auf die der Ausdruck ›metaphysisch-ontologisch‹ nur begrenzt zutrifft. 2 Den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung bildet die Feststellung der doppelten Konkurrenzsituation religiös-säkularer und interreligiöser Dissense. Zum einen handelt es sich hierbei um das spannungsreiche Verhältnis, das zwischen Religion und säkularer Philosophie (bzw. zwischen Glauben und Wissen, religiöser Erfahrung und intellektueller Erkenntnis, Spiritualität und Rationalität) besteht; zum anderen geht es um das Konkurrenzverhältnis, in dem sich die Weltreligionen untereinander befinden, also um das Problem religiöser Diversität, das jenseits aller machtpolitischen Instrumentalisierungen von Religion im Kern als ein Streit konfligierender Wahrheitsansprüche und Überzeugungen aufzufassen ist und das aus diesem Grund zweifellos in den Zuständigkeitsbereich der (Religions-) Philosophie fällt. Beide Problemkomplexe sind in einer Weise aufeinander bezogen, die eine interkulturell erweiterte Neubestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Religion erforderlich macht. So ist J. Habermas beizupflichten, wenn er schreibt: »Der in Gang gekommene interkulturelle Diskurs über Menschenrechte und Konzeptionen der Gerechtigkeit muß nicht nur den Streit zwischen den religiösen Weltanschauungen überwinden, sondern auch die Gegensätze zwischen religiösen Parteien auf der einen, Säkularisten auf der anderen Seite. Daran schließt sich unmittelbar die philosophische Frage an, wie sich ein nachmetaphysisches Denken, das sich als Hüter einer von religiöser Vormundschaft befreiten Philosophie versteht, zu einer in zeitgenössischer Gestalt auftretenden Religion verhält.« 3

N. Smart benennt drei wesentliche Hinsichten, in denen sich religiöse Philosophien von der abendländischen Substanzmetaphysik unterscheiden können: »First, some religious philosophies are not substance-bound, such as Theravāda Buddhism, which does not make out that nibbāna is some kind of thing. Second, there are forms of cosmology which are hooked to the notion of events or processes rather than substances, such as Whitehead’s metaphysics. Since these event-philosophies can be used to express religious ideas, they postulate non-substantial religious absolutes. Third, there are languages such as Chinese where the difference, at least in classical forms, between substances and processes is fluid.« (N. Smart: »A Contemplation of Absolutes«. In: The Philosophical Challenge of Religious Diversity. Hrsg. v. P. L. Quinn u. K. Meeker. New York 2000, S. 99–108, hier S. 101.) 3 J. Habermas: Philosophische Texte. Studienausgabe in fünf Bänden. Bd. 5: Kritik der Vernunft. Frankfurt a. M. 2009, »Einleitung«, S. 9–32, hier S. 29 f. 2

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Das Andere im eigenen Diskurs – zwei Voraussetzungen

Die religionsphilosophische Beschäftigung mit der doppelten Problematik interreligiöser sowie religiös-säkularer Divergenz impliziert eine Reihe nicht-trivialer Voraussetzungen, von denen die beiden wichtigsten – die philosophische Auseinandersetzung mit religiösen Positionen sowie die Einbeziehung außereuropäischer Philosophien – zunächst explizit gemacht werden sollen (I.1.). Im Anschluss daran wird es erforderlich sein, die Pluralität religiöser Weltbilder und Wahrheitsansprüche als genuin philosophische Thematik herauszustellen (I.2.) und die Diskussion religiöser Diversität in der zeitgenössischen Religionsphilosophie anhand einer Auseinandersetzung mit seinem wichtigsten Repräsentanten, dem Pluralismus John Hicks, zu skizzieren (I.3.).

1. 1.1

Das Andere im eigenen Diskurs – zwei Voraussetzungen Die philosophische Auseinandersetzung mit religiösen Positionen

Eine interkulturell ausgerichtete philosophische Auseinandersetzung mit den Weltreligionen geht von der Prämisse aus, dass Religionen angesichts ihrer Orientierungsleistungen für den Weltaufenthalt von Menschen und Menschengruppen, aber über diese sozialpsychologische Funktion hinaus auch in dem, was sie inhaltlich über die letzten Gründe des Weltgeschehens sowie über die ethischen Maßstäbe menschlichen Zusammenlebens aussagen, in philosophischer Hinsicht ernst genommen werden sollten. Das philosophische Ernstnehmen religiöser Gehalte bedeutet, dass in einem religiösen Kontext formulierte Ansichten über die Bedeutung des Seienden im Ganzen, über die fundierende Struktur und die letzten Gründe der Welt, die Aufgaben des Menschen in ihr, die Ideen von Gut und Böse etc. aufmerksam und kritisch rezipiert sowie in ihren gedanklichen Gehalten, ihrer argumentativen Plausibilität und systematischen Kohärenz sorgfältig erwogen werden sollten. Die Überzeugung, dass eine solche Übersetzungsleistung seitens der Philosophie im Hinblick auf religiöse Aussagen und Deutungssysteme prinzipiell möglich, ja sogar dringend geboten sei, schließt an die Vermutung von Jürgen Habermas an, »dass die großen Weltreligionen vernünftige Intuitionen und

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Aufriss des Problemhorizonts

lehrreiche Momente unabgegoltener, aber legitimer Forderungen mit sich führen könnten.« 4 Der von Habermas kursiv gesetzte Konjunktiv indiziert eine Aufforderung zur methodischen Vorsicht im Umgang mit den Weltreligionen, deren Beachtung sowohl der religiösen als auch der philosophischen Seite nur dienlich sein kann. Denn die Gefahr einer philosophisch begründeten Instrumentalisierung von Religion(en) für normative Anliegen, seien diese moralisch, rechtlich oder politisch ausgerichtet, bedroht nicht nur den Eigensinn spiritueller Traditionen. Eine derartige Instrumentalisierung erlegt vielmehr der Philosophie eine Begründungslast für das angeeignete Religiöse auf, die sie auch in einem als ›postsäkular‹ gekennzeicheten Zeitalter kaum überzeugend einzulösen vermag. Aus diesem Grund sollte für die philosophische Auseinandersetzung mit Religionen die methodische Grundregel bzw. Vorsichtsmaßnahme gelten, dass die Philosophie von der Religion schlechterdings keine Gedankengehalte übernehmen kann und darf, die sie nicht letztlich auch mit eigenen argumentativen Mitteln einzuholen vermöchte. In diesem Sinne mag sich philosophisches Nachdenken und Forschen zwar durchaus von religiösen Vorstellungen und Ideen inspirieren und zu Fortentwicklungen von Begriffen, Argumentationsgängen und Gedankensystemen verführen lassen: Aber derartige von religiöser Seite angeregte Innovationen lassen sich philosophisch nur dann legitimieren, wenn sie retrospektiv argumentativ-rational nachvollziehbar sind – wenn sie also letztlich ihre Herkunft aus religiösen Quellen abstreifen können und gleichsam aus eigener Kraft plausibel werden. Auf der anderen Seite enthalten die Weltreligionen zweifellos einige Facetten, die philosophischem Denken per se unzugänglich bleiben müssen. Die innerhalb eines Glaubenssystems nicht weiter hinterfragbaren Geheimnisse göttlicher Offenbarungen und spiritueller Erleuchtungserlebnisse, die individual- und sozialpsychologischen Funktionen der regelmäßigen Beachtung ritueller Praxen, das Wesen des verehrten Göttlichen selbst sowie sein Widerschein in den Ders.: Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze. Frankfurt a. M. 2005, S. 12. Vgl. Habermas’ entsprechende Formulierungen in dem Aufsatz »Ein Bewußtsein von dem, was fehlt«. In: Ein Bewußtsein von dem, was fehlt. Eine Diskussion mit Jürgen Habermas. Hrsg. v. M. Reder u. J. Schmidt. Frankfurt a. M. 2008, S. 26–36, hier S. 29, sowie in der »Replik auf Einwände, Reaktion auf Anregungen«. In: Glauben und Wissen. Ein Symposium mit Jürgen Habermas. Hrsg. v. R. Langthaler u. H. Nagl-Docekal. Wien 2007, S. 366–414, hier S. 370.

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Das Andere im eigenen Diskurs – zwei Voraussetzungen

bisweilen unerschütterlichen, ja – in ihrer schlechten Variante – fanatischen Glaubensüberzeugungen religiöser Menschen stellen Aspekte der Religion dar, die zwar aus einer religionsphänomenologischen Außenperspektive beschrieben und interpretiert, nicht jedoch in ihren inneren Gehalten philosophisch angeeignet werden können. Allerdings sollte jenes unbestreitbare Inkommensurable der Religionen auch wiederum nicht als Scheinargument dafür herhalten, auf die genuin philosophische Auseinandersetzung mit Religion(en) zu verzichten und den Glauben für eine reine Privatangelegenheit zu erklären, die philosophisches Denken nichts anginge. Denn auch bei der oftmals konstatierten bzw. beschworenen ›Renaissance‹ oder ›Wiederkehr‹ des Religiösen 5 im 21. Jahrhundert handelt es sich keineswegs primär um eine vermeintliche Konjunktur privater, individueller Spiritualität, sondern vor allem um die wieder entdeckte Rolle von Religion als eines eminenten sozialen und politischen Faktors, der in hohem Maße zur Identitätsstiftung bzw. -stabilisierung von Individuen und Gesellschaften beizutragen vermag, vielfach allerdings auch zur fundamentalistischen Legitimation von machtpolitischer Gewaltausübung und Terrorismus. 6 Und selbst 5 J. Derrida: Foi et savoir. Suivi de Le Siècle et le pardon. Paris 2000, Nr. 37, S. 65 f. (dt. Übers.: »Glaube und Wissen. Die beiden Quellen der ›Religion‹ an den Grenzen der bloßen Vernunft«. In: ders/Gianni Vattimo (Hrsg.): Die Religion. Frankfurt a. M. 2001, S. 9–106, hier S. 69 f.). 6 Siehe dazu M. Breul: »Religiöse Überzeugungen und öffentliche Vernunft. Plädoyer für einen Moderaten Exklusivismus.« In: Theologie und Philosophie, 90 (2015), S. 481–503; J. Habermas: »Religion in der Öffentlichkeit. Kognitive Voraussetzungen für den ›öffentlichen Vernunftgebrauch‹ religiöser und säkularer Bürger«. In: Ders.: Politische Theorie. [Philosophische Texte. Studienausgabe in fünf Bänden. Bd. 4.] Frankfurt a. M. 2009, S. 259–297 (ebenfalls erschienen in ders.: Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze. Frankfurt a. M. 2005, S. 119–154); H.-J. Simm (Hrsg.): Die Religionen der Welt. Ein Almanach zur Eröffnung des Verlags der Weltreligionen. Frankfurt a. M./Leipzig 2007, »Zur Konzeption des Verlags der Weltreligionen«, S. 7 ff.; C. Taylor: Ein säkulares Zeitalter. Berlin 2012; sowie U. Tworuschka (Hrsg.): Die Weltreligionen und wie sie sich gegenseitig sehen. Darmstadt 2008, »Rudyard Kipling und ein Missverständnis«, S. 7–12. – Die These einer »Deprivatisierung« der Religion vertritt auch J. Casanova in seiner soziologischen Studie Public Religions in the Modern World. Chicago/London 1994: »By ›deprivatization‹ I mean the fact that religious traditions throughout the world are refusing to accept the marginal and privatized role which theories of modernity as well as theories of secularization had reserved for them.« Casanova macht das wachsende politische Gewicht der Religionen seit dem Ende der 1970er Jahre fest an den simultanen, wenngleich nicht direkt verbundenen Ereignissen und Entwicklungen der islamischen Revolution im Iran, der polnischen Solidarnosc-Bewegung, der Rolle der katholischen Kirche in

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Aufriss des Problemhorizonts

wenn es sich bei der zitierten ›Renaissance des Religiösen‹ zumindest partiell um ein mediales Konstrukt handeln sollte, so ist gleichwohl kaum zu verkennen, dass Religionen in der Gegenwart und voraussehbaren Zukunft für die Selbstauslegung von Individuen und Kulturen, aber eben auch als ein gewichtiger Faktor des politischen und sozialen Lebens viel zu wirkmächtig sind und weiterhin sein werden, als dass es sich die Philosophie leisten könnte, von einer intensiven Beschäftigung mit ihnen abzusehen. Die – in ihrem Entstehungskontext durchaus plausiblen – Voraussagen marxistischer und positivistischer Philosophien hinsichtlich eines bevorstehenden Aussterbens der Religion aufgrund des wissenschaftlichen und sozialen Fortschritts haben sich offenkundig nicht bestätigt. 7 Vielmehr sieht sich die säkulare Philosophie heute mehr denn je dazu genötigt, religiösem Denken innerhalb ihres eigenen Diskurses zu begegnen.

1.2

Die Einbeziehung außereuropäischer Philosophien

Die diskursive Anerkennung eines Anderen, Fremden, Opaken gleichsam in den eigenen Reihen, welche die Philosophie in ihrer

verschiedenen politischen Konflikten in Lateinamerika sowie am wachsenden politischen Einfluss des fundamentalistischen Protestantismus in den USA. 7 Siehe dazu auch S. P. Huntington: The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order. New York 2003, S. 95 ff.; sowie K.-H. Ohlig: Religion in der Geschichte der Menschheit. Die Entwicklung des religiösen Bewusstseins. Darmstadt 2006, S. 12. – Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die berühmten Ausführungen von K. Marx und F. Engels im Manifest der Kommunistischen Partei über das revolutionierende Wirken der Bourgeoisie, deren Herrschaft auch die sozialen Voraussetzungen der Religion zerstört habe. Siehe K. Marx/F. Engels: Werke. Bd. 4. Berlin 1990, S. 464 ff. – Das vermeintliche Aussterben monotheistischer Religiosität konnte freilich nicht verhindern, dass in der Folgezeit säkulare Weltdeutungen wie Kommunismus und Positivismus wiederum religionsähnliche Eigenschaften annahmen. Ausdrücklich als eine »Religion« verstand sich der Positivismus Comte’scher Prägung, wie der ›Positivistische Katechismus‹, ein programmatischer Dialog zwischen einer Frau und einem Priester, deutlich macht. Vgl. A. Comte: Catéchisme positiviste. In: Oeuvres d’Auguste Comte. Tome XI. Paris 1970, insbesondere das erste Gespräch zur »Théorie générale de la religion«, S. 41–60. Der Dialog macht deutlich, dass Comte (bzw. der ›Priester‹, der die frohe Botschaft des Positivismus verkündet) von dem philosophisch inakzeptablen Faktum eines religiösen Pluralismus ausgeht und auf ein menschheitliches Einheitssystem abzielt: »Il n’existe, au fond, qu’une seule religion, à la fois unique et définitive, vers laquelle tendirent de plus en plus les synthèses partielles et provisoires […].« (Ebd., S. 43.)

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Das Andere im eigenen Diskurs – zwei Voraussetzungen

Auseinandersetzung mit religiösen Weltauslegungen zu vollziehen hat, betrifft auf einer philosophisch noch intimeren Ebene die verstärkte Einbeziehung außereuropäischer Denkkulturen in den (akademischen) Philosophiediskurs. Obgleich die realen und virtuellen Begegnungsmöglichkeiten zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturen in den letzten Jahrzehnten rasant zugenommen haben, stößt das Paradigma der Interkulturalität sowie die dezidierte Beschäftigung mit außereuropäischen Philosophien innerhalb der philosophischen Fachdisizplin immer noch auf mentale und institutionelle Widerstände. 8 Hartnäckig behauptet sich das eurozentrische Vorurteil, dass die Philosophie ihren einzigen legitimen Ursprung im antiken Griechenland gehabt habe, sich dann im europäischen Mittelalter mit der christlichen Theologie entnommenen Gedankeninhalten vermischt habe, bevor sie in der europäischen Neuzeit mit den beiden großen Paradigmen des Subjekts und der Sprache zur eigentlichen Wissenschaftlichkeit und Autonomie erwacht sei. 9 Die europäische bzw. euro-amerikanische (»westliche«) Philosophie reklamiert seit dem späten 18. Jahrhundert einen Alleinvertretungsanspruch für sich, der sich angesichts der Vielfalt philosophischen Nachdenkens in außereuropäischen Kulturen (etwa in Indien, China, Japan, Persien oder Ägypten) nicht länger aufrecht erhalten lässt; argumentativ legitimiert war er ohnehin nie. Eingeschränkte eurozentristische Sichtweisen auf die Geschichte des philosophischen Denkens, aber auch zeitgenössische akademische Frontlinien wie diejenige zwischen analytischer und sogenannter »kontinentaler« Phi»Le monde des philosophes donne l’impression de demeurer clos sur lui-même, trop souvent séparé de la diversité des cultures. […] Il faut donc en prendre acte: il existe un étonnant contraste entre l’univers quotidien, de plus en plus multiculturel, et le ghetto monochrome où la pensée philosophique, dans l’ensemble, se tient encore.« (R.-P. Droit: »Introduction. Les autres aussi …« In: Philosophies d’ailleurs. Bd. 1: Les pensées indiennes, chinoises et tibétaines. Hrsg. v. R.-P. Droit. Paris 2009, S. 13.) Zu einem ähnlichen Befund gelangt auch H. Kimmerle in: Interkulturelle Philosophie zur Einführung. Hamburg 2002, S. 8 f. Kimmerle zufolge handelt es sich bei den anhaltenden Reserven gegen außereuropäische Philosophien um Relikte kolonialen Denkens. Vgl. entsprechend ders.: Rückkehr ins Eigene. Die interkulturelle Dimension in der Philosophie. Nordhausen 2006, S. 17 ff. 9 Siehe zu diesem modernen Ursprungsmythos, der große Teile der europäischen Philosophie im 19. und 20. Jahrhundert beherrscht hat, die Ausführungen bei Droit 2009, S. 15 ff. Vgl. zur Problematik der dominierenden Beschränkung der akademischen Philosophie auf okzidentale Rationalität U. Libbrecht: »Comparative Philosophy: A Methodological Approach«. In: Worldviews and Cultures. Philosophical Reflections from an Intercultural Perspective. Dordrecht 2009, S. 31–67. 8

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losophie würden in ihrer Bedeutung und Tragweite deutlich relativiert, wenn nur das enorme, aber größtenteils hartnäckig ignorierte Reservoir an philosophischem Denken, das in außereuropäischen Kulturen entwickelt wurde, angemessen zur Kenntnis genommen würde. Die weitgehende Exklusion außereuropäischer Philosophiekulturen aus dem akademischen Diskurs beruht nicht zuletzt auf dem immer noch grassierenden Vorurteil, dass es in außereuropäischen Kulturen allenfalls Mischformen zwischen philosophischen und religiösen Diskursformen gebe bzw. gegeben habe, dass dort also keine genuin philosophischen Diskurse vorlägen, die sich ausschließlich an den Normen einer sich selbst vollkommen transparenten Rationalität ausrichteten. Mit diesem ›Argument‹ lassen sich Systeme und Argumentationen ganzer philosophischer Schulen bequem aussortieren und dem Bereich der ›Religiosität‹ oder ›Spiritualität‹ zuschlagen. 10 Übersehen wird dabei allerdings, dass Amalgamierungen philosophischer und religiöser Denkweisen keineswegs das Privileg außereuropäischer Kulturen sind, sondern vielmehr auch das europäische Denken über lange Zeiträume – man denke etwa nur an weite Teile der mittelalterlichen Philosophie – sehr stark geprägt haben. 11 Und selbst wenn man einem sehr engen Philosophieverständnis folgt, das nur ganz bestimmte Textsorten, Diskursformationen und methodische Operationen für philosophisch zulässig erklärt, dürfte es in den allermeisten Fällen immer noch möglich sein, die impliziten argumentativen Bestandteile eines als primär ›religiös‹ oder ›literarisch‹ klassifizierten Textes gezielt herauszufiltern und zu untersuchen. Allerdings birgt dieses zuletzt genannte Verfahren den gravierenden Nachteil, bereits mit einem vorgefertigten Begriff von ›Philosophie‹ an Diskurse und Argumentationsgänge heranzutreten, die unter Umständen gerade landläufige okzidentale Vorstellungen und Vorurteile bezüglich dessen, was legitimerweise den Titel ›Philosophie‹ führen dürfe und was nicht, in Frage stellen könnten. 12 Gerade die von einem beVgl. Droit 2009, S. 28, 41 f. Diesen Aspekt unterstreicht R. Elberfeld im Einleitungskapitel (»Gibt es außerhalb Europas Philosophie?«, S. 33 ff.) seines Buches Phänomenologie der Zeit im Buddhismus. Methoden interkulturellen Philosophierens. Stuttgart-Bad Canstatt 2004, anhand mehrerer aussagekräftiger Beispiele. 12 Siehe dazu T. Borsche: »Sprachen der Philosophie. Argumente für die aktuelle Dringlichkeit eines Blicks über die Grenzen europäischer Sprachen hinaus.« In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, 33 (2008), S. 197–217. 10 11

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Das Andere im eigenen Diskurs – zwei Voraussetzungen

stimmten Standpunkt aus gezogene Grenze zwischen Philosophischem und Nicht-Philosophischem kann durch diskursive Formationen destabilisiert werden, welche diese Grenze in anderer Weise ziehen oder in ihrer prinzipiellen Berechtigung in Frage stellen. Die unterstellte Adäquatheit der Grenze, die wir zwischen philosophischen und nicht-philosophischen Anteilen einer Rede ziehen, könnte schließlich auch auf einem allzu verkürzten Verständnis von »Philosophie« beruhen, das ungemein bereichert werden kann, wenn man die eigenen Grenzvorstellungen – oder auch Vorstellungsgrenzen – nicht einfach auf fremdkulturelle Äußerungen appliziert, sondern sie in der hermeneutischen Begegnung zumindest vorübergehend fallen lässt. Die zweite, mit der ersten zusammenhängende Voraussetzung interkultureller Religionsphilosophie wäre hiermit umrissen: Es handelt sich um die prinzipielle Bereitschaft, außerhalb der sogenannten ›westlichen‹ Philosophie entwickelte Begriffe, (indirekte oder direkte) Argumentationen und Gedankensysteme prinzipiell mit dem gleichen Interesse, dem gleichen Respekt, der gleichen Genauigkeit und selbstverständlich auch mit dem gleichen kritischen Impetus zu behandeln wie europäische und nordamerikanische Philosopheme. So selbstverständlich diese Voraussetzung als heuristisches Postulat zu sein scheint, so wenig selbstverständlich ist doch ihre Akzeptanz innerhalb der faktischen philosophischen Forschungspraxis. Denn obwohl der Begriff und die damit bezeichnete Sache einer »komparativen« oder »interkulturellen« Philosophie seit mehreren Jahrzehnten verschiedentlich proklamiert worden sind, obwohl eine komparative und interkulturell ausgerichtete philosophische Forschung bereits auf eine langjährige Diskursgeschichte zurückblicken kann, ist das Anliegen der Interkulturalität – soviel wird man ohne Übertreibung behaupten dürfen – bislang noch nicht in das Zentrum philosophischer Forschungsanstrengungen gerückt. Es scheint vielmehr, als sei der so genannte cultural turn, der die Sozialwissenschaften seit einigen Jahrzehnten zumindest partiell erfasst und in den Geisteswissenschaften insgesamt zu einer wachsenden Bedeutung kulturwissenschaftlicher Forschungsansätze geführt hat, an der Philosophie als akademischer Fachdisziplin weitgehend spurlos vorbei gegangen. Ausgerechnet der Philosophie scheint es schwer zu fallen, sich einer kulurellen Diversität zu öffnen, die in vielen gesellschaftlichen Bereichen und wissenschaftlichen Disziplinen längst anerkannte Realität geworden ist. In ihrer allzu einseitigen Fixierung auf die episte37 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Aufriss des Problemhorizonts

mischen Grundlagen naturwissenschaftlicher Erkenntnis, auf logische Formalisierungstechniken und die Alltagssprache von Menschen in westlichen Industriestaaten hat eine einflussreiche Strömung der zeitgenössischen Philosophie bedauerlicherweise übersehen, dass gerade die naturalistisch-logisch-sprachanalytische Spielart der Philosophie nur eine ganz bestimmte Denkkultur repräsentiert, die sich im Hinblick auf den Reichtum der philosophischen Weltkulturen nur als eine ganz spezielle und hochspezialisierte, keinesfalls aber als die einzig legitime oder rational verantwortbare Form des Philosophierens darstellt. Der in den letzten Jahrzehnten zu beobachtende globale Trend einer analytischen Beschränkung und Einengung des Philosophierens muss um so nachdenklicher stimmen, als die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, die das Zeitalter der digitalen Globalisierung heraufführt, geradezu nach einer Erweiterung des philosophischen Denkrepertoires rufen. Statt einer Verengung des philosophischen Horizontes auf vermeintlich universalwissenschaftliche Standards einer singulären Traditionslinie wäre gerade umgekehrt eine Weitung des Blicks auf den Reichtum der in den Weltkulturen vorliegenden philosophischen Systeme und Positionen geboten, statt einer Reduktion eine Pluralisierung philosophischer Zugangsweisen, Kommunikationsstile und Schreibweisen, statt unkritischer Andockversuche an die davon weitgehend unberührt ihrer Bestimmung folgenden technischen Naturwissenschaften eine philosophisch inspirierte, kooperative Bemühung aller Geistes-, Kulturund Sozialwissenschaften um eine kritische Reflexion auf die Prozesse der Globalisierung und Digitalisierung. Auch und gerade die Rolle der Religionen in der komplexen Weltgesellschaft des dritten Milleniums wird sich philosophisch nur dann angemessen bestimmen und deuten lassen, wenn philosophische Forschung verstärkt Anregungen und Ansätze aus unterschiedlichen Denkkulturen aufgreift und in ihren Diskurs einbezieht.

2. 2.1

Die Pluralität religiöser Weltbilder und Wahrheitsansprüche als philosophisches Thema Interreligiöse Begegnungsformen

Die globale Koexistenz unterschiedlicher religiöser und areligiöser Bekenntnisse hat seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts eine vormals 38 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Die Pluralität religiöser Weltbilder und Wahrheitsansprüche

ungekannte Intensivierung erfahren. 13 Zwar hat es produktive ebenso wie destruktive Zusammentreffen von Angehörigen verschiedener Religionen in nahezu allen Epochen der Menschheitsgeschichte seit der Neolithischen Revolution immer wieder gegeben. Doch die Dimension, die interreligiöse sowie religiös-säkulare Begegnungen im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung erreicht haben, ist sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht neuartigen Charakters. 14 Folgte die Verbreitung religiöser Glaubenssysteme in früheren Epochen in der Regel der physischen Usurpation geographischer und politisch-symbolischer Räume, so ist es heute prinzipiell möglich, spirituelle Erfahrungen und Berichte über diese Erfahrungen aus sämtlichen Weltreligionen jederzeit und an fast jedem bewohnten Ort der Erde zumindest virtuell abzurufen, mit Anhängern verschiedener Religionen in – erwünschten oder unerwünschten, friedlichen oder konfliktträchtigen – Kontakt zu treten. 15 Diese Situation hat zur Folge, dass sich sämtliche Religionen mit dem Faktum religiöser Diversität sowie mit den Ansprüchen einer rein säkularen Weltauslegung auseinandersetzen müssen. 16 Denn das jeweilige Einheitsgebilde aus umfassender, narrativer Deutung des Weltganzen, moralischer Lebensweg-Anweisung und ritueller Praxis, das die Anhänger einer bestimmten Religion als letztgültig und verbindlich beSiehe dazu V. Altglas (Hrsg.): Religion and Globalization. Critical Concepts in Social Studies. 4 Bde. Vol. I: Religion and Space in Global Context. Vol. II: Westernization of Religion and its Counter-Trends. Vol. III: Religious Responses to Globalization. Vol. IV: Religion and Politics in Global Context – New Challenges. London/New York 2011. 14 Siehe dazu Meister 2011; N. Hintersteiner: »Dialog der Religionen«. In: Handbuch Religionswissenschaft. Religion und ihre zentralen Themen. Hrsg. v. J. Figl. Innsbruck/Wien/Göttingen 2003, S. 834–852. 15 J. Derrida hat diesen Befund in folgende Worte gefasst: »(…) toutes les religions, leurs centres d’autorité, les cultures religieuses, les États, nations ou ethnies qu’ils représentent ont un accès inégal certes, mais souvent immédiat et potentiellement sans limite, au même marché mondial.« (J. Derrida: Foi et savoir, op. cit., S. 66.) 16 Siehe dazu H. Nagl-Docekal: »›Many Forms of Non-public Reason‹ ? Religious Diversity in Liberal Democracies«. In: Comparative and Intercultural Philosophy. Proceedings of the IIP Conference Seoul 2008. Hrsg. v. H. Lenk. Berlin 2009, S. 79–92; M. Peterson/W. Hasker/B. Reichenbach/D. Basinger: Reason and Religious Belief. An Introduction to the Philosophy of Religion. New York/Oxford 2003, Kap. 13. »Religious Diversity: How can we understand differences among religions?«, S. 267–288; G. Pickel: »Religiosität in Deutschland und Europa – Religiöse Pluralisierung und Säkularisierung auf sozio-kulturell variierenden Pfaden«. In: Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik, 1 (2017), S. 37–74. 13

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Aufriss des Problemhorizonts

trachten, sieht sich nunmehr einer permanenten Konkurrenzsituation durch andere Einheitsgebilde ausgesetzt, die vielfach die gleiche Letztgültigkeit und Verbindlichkeit für ihre spezifische Bestimmung der Welt, des richtigen Handelns und des rituellen Vollzugs reklamieren. 17 Dass Religionen bereits in sich selbst hochkomplexe und heterogen verfasste Gebilde darstellen, die aufgrund der Diversität interner Strömungen immer wieder den Charakter der Einheitlichkeit zu verlieren drohen und unablässig der Dialektik aus Bestandssicherung und Neuschöpfung unterworfen sind, 18 sei unbestritten, ist aber für die Problematik religiöser Pluralität, wie sie hier fokussiert werden soll, von untergeordneter Relevanz. Bei der hier interessierenden Problementfaltung geht es nicht so sehr um die interne Pluralität und die intrareligiösen Konfliktlinien der Weltreligionen, auch wenn diese historisch immer wieder zu verheerenden Konflikten Anlass gegeben haben – man denke nur an den Dreißigjährigen Krieg in Europa oder an die feindselige Auseinandersetzung zwischen Sunniten und Schiiten innerhalb der islamischen Welt des Nahen und Mittleren Ostens. Thematisch zentral soll in unserem Kontext jedoch das Konfligieren religiöser Gesamtsysteme untereinander und die Frage nach einem rational verantwortbaren Umgang mit dem Faktum religiöser Diversität sein. Das Entscheidende, worauf das Augenmerk gerichtet werden soll, besteht darin, dass Religionen – so in sich divergent sie auch strukturiert sein mögen – als inhaltlich unterscheidbare Gesamtsysteme so sehr voneinander differieren können, dass ihre schiere Koexistenz ein kognitives Konfliktpotential entzündet, weil viele ihrer Doktrinen sich wechselseitig ausschließen und somit nicht simultan wahr sein können. 19 So kann es beispielsweise nicht gleichDen soziologischen Versuch einer empirischen Überprüfung der individuellen Auswirkungen religiöser Pluralität beschreibt J. Stolz: »Wie wirkt Pluralität auf individuelle Religiosität? Eine Konfrontation von Wissenssoziologie und Rational Choice«. In: Religiöser Pluralismus. Empirische Studien und analytische Perspektiven. Hrsg. v. M. Baumann u. S. M. Behloul. Bielefeld 2005, S. 197–222. 18 Ein gutes Beispiel für das Bemühen, das Aufkommen intrareligiöser Pluralität bereits im Keim zu ersticken, liefert der Erste Brief des Paulus an die Korinther, in dem es heißt (1 Kor 1,10): »Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, daß ihr alle mit einer Stimme redet und laßt keine Spaltungen unter euch sein, sondern haltet aneinander fest in einem Sinn und in einer Meinung.« 19 Diese Grundproblematik religiöser Diversität hat bereits D. Hume in seinem Essay Of Miracles formuliert: »To make this better understood, let uns consider, that, in Matters of Religion, whatever is different is contrary, and that ’tis (sic!) impossible 17

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Die Pluralität religiöser Weltbilder und Wahrheitsansprüche

zeitig wahr sein, dass Menschen eine unsterbliche Seele besitzen und dass die Vorstellung einer festen Seelensubstanz eine Illusion sei, die zu Anhaftung und Leiden führt. Die Auffassungen der monotheistischen Religionen und des Buddhismus widersprechen sich in diesem Fall ganz offensichtlich. Ebenso wenig kann es gleichzeitig wahr sein, dass Jesus als Sohn Gottes durch seinen Kreuzestod die Sünden der Menschheit auf sich genommen habe und dass Jesus einer der von Gott beauftragten Propheten vor Mohammed gewesen sei, dessen Botschaft falsch verstanden wurde und der nicht gekreuzigt wurde. Es ist logisch ausgeschlossen, dass Christentum und Islam in diesem Punkt beide die Wahrheit verkünden. Und dieser Dissens ist keineswegs nur theoretisch, sondern er hat durchaus gravierende Implikationen für die religiöse Praxis, weil er faktisch ja bedeutet, dass sich bezogen auf eine ziemlich fundamentale Glaubensüberzeugung entweder ca. 2 Milliarden Christen oder ca. 1,6 Milliarden Muslime im Irrtum befinden müssen – schlimmstenfalls sogar beide religiöse Gruppen, sofern eine dritte Auffassung zutreffend sein sollte, dass nämlich Jesus Christus weder der Sohn Gottes noch ein von Gott beauftragter Prophet gewesen ist. Der Dissens koexistierender Religionen, der in nicht-kompatiblen Glaubensüberzeugungen wie den soeben genannten zum Ausdruck kommt, ist nicht nur von intrareligiöser Pluralität zu unterscheiden, sondern auch von der – wenngleich nicht minder brisanten – Konfrontation religiöser Weltsichten mit einem atheistischen oder agnostischen Säkularismus, der in vielen europäischen Staaten die mehrheitlich geteilte Weltanschauung der Bürgerinnen und Bürger repräsentieren dürfte. 20 In den so genannten westlichen Gesellschaften konnte der schwelende Konflikt zwischen säkularen und religiösen Einstellungen zwar prinzipiell durch die gesetzliche Institutionalisierung liberaler Konzepte von Religionsfreiheit und religiöser Toleranz entschärft werden; gleichwohl entzündet er sich aber immer wieder an strittigen Themen, anhand derer die Demarkationslinien zwischen gewährter Religionsfreiheit und der vorrangigen Beachtung freiheitlich-rechtsstaatlicher Prinzipien im grundsätzlich säkularen,

the Religious of antient (sic!) Rome, of Turkey, of Siam, and of China should all of them be establish’d on any solid Foundation.« (D. Hume: »Of Miracles«. In: Ders.: Philosophical Essays Concerning Human Understanding. Hildesheim/Zürich/New York 1986, S. 173–203, hier S. 190 f.) Siehe dazu auch Renusch 2014, S. 21. 20 Vgl. dazu Taylor 2012.

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aber nicht unbedingt laizistischen Staat genauer definiert werden müssen. 21 Aus der Perspektive einer Religionsgemeinschaft R1 ist die Begegnung mit einer anderen Religion R2 der Begegnung mit einer rein säkularen Weltsicht S strukturell vergleichbar. Denn in beiden Fällen sieht sich der Wahrheitsanspruch des jeweiligen religiösen Weltdeutungs- und Handlungsanweisungsmodells im Kontakt mit einer alternativen Lebens- und Denkweise, die ihr Weltbild auf der Basis anderer Prämissen aufgebaut hat, in Frage gestellt. Gleichwohl handelt es sich bei der Begegnung zwischen unterschiedlichen religiösen Systemen und der Begegnung zwischen religiösen und säkularen Weltsichten um durchaus verschiedene Phänomenkomplexe: Bei der interreligiösen Begegnung liegt ein Kontakt zwischen unterschiedlichen »Glaubensformen« vor (wobei der Ausdruck »Glauben« streng genommen nicht auf alle Religionsformen passt, sodass er nur mit äußerster terminologischer Vorsicht eingesetzt werden darf). Die Anhänger unterschiedlicher Religionen haben zumindest genau dies gemeinsam, dass sie Anhänger einer bestimmten Religion sind, was zugleich impliziert, dass sie einen religiösen Lebensvollzug für prinzipiell bedeutungsvoll und wichtig halten. In dieser grundlegenden Wertschätzung von Religiosität können sie sich wechselseitig erkennen und im günstigen Fall auch anerkennen. 22 Bei der Begegnung zwischen Religion(en) und einer säkularen Weltsicht wird dagegen ein Kontakt zwischen einer Form des Glaubens und einer Form des Nicht-Glaubens hergestellt. Insofern ließe sich auch sagen, dass es sich bei der interreligiösen Konkurrenz um eine potentiell konfliktreiche Koexistenz bzw. Begegnung unterschiedlicher Arten derselben Gattung handelt, bei der Konkurrenz zwischen Religionen und säkuAls Beispiele für derartige Konflikte mögen hier die Stichworte »Kopftuchstreit«, »Burkaverbot« und »Jungenbeschneidung« genügen. Da die Begegnung von religiösen und säkularen Weltauslegungen letztlich das philosophische Problem möglicher Beziehungen zwischen Glauben und Wissen betrifft, wird es in den nachfolgenden Analysen noch eingehender erörtert werden. 22 Siehe dazu J. Runzo: Global Philosophy of Religion. A Short Introduction. Oxford/ New York 2001, Kap. 2: »Worldviews and Religion«, S. 31. Runzo unterscheidet zwei Stufen des Glaubens: »(1) at one level religion involves the meta-belief that the religious life can effectively orient one towards the Transcendent; and (2) at a level below that it involves specific beliefs – including vital core beliefs – about the nature of the Transcendent and/or the way in which the Transcendent gives meaning to life. The first level of meta-belief, (1), is shared by the World Religions. The second level beliefs, (2), are the point of conflict among the World Religions.« 21

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Die Pluralität religiöser Weltbilder und Wahrheitsansprüche

laren Weltsichten (wie der Philosophie) hingegen um eine potentiell konfliktträchtige Koexistenz bzw. Begegnung unterschiedlicher Gattungen. An dieser Stelle soll es zunächst vorrangig um die philosophische Beschreibung der Konkurrenz unterschiedlicher religiöser ›Arten‹ bzw. Formen gehen. Hinsichtlich der genuinen Problematik religiöser Pluralität – d. h. der kognitiv dissonanten Koexistenz inhaltlich divergierender religiöser Weltauslegungssysteme mit starken Verbindlichkeitsansprüchen – ist philosophisch von besonderem Interesse, wie derartig verfasste Religionen (respektive deren Mitglieder) 23 einander begegnen und was innerhalb der interreligiösen Begegnungen jeweils verhandelt wird. 24 Zum einen ist damit also die Frage der prinzipiellen Kontaktformen von Angehörigen unterschiedlicher Glaubensbekenntnisse angesprochen (1), zum anderen die Frage der inhaltlichen Aspekte, um die sich diese Kontaktformen zentrieren (2). 25 (1) Vier grundsätzliche Konstellationsmöglichkeiten interreligiöser Begegnung sind voneinander zu unterscheiden: (1.1.) Die beziehungslose Koexistenz: Diese Variante liegt vor, wenn Anhänger verschiedener Religionen R1, R2, R3 … 26 zwar einen gemeinsamen sozialen Raum miteinander teilen, diesen aber parzelDie subjektivierende Redeweise von »Religionen« ist streng genommen unzulässig; vollständiger und korrekter müsste stattdessen jedes Mal von den »Mitgliedern« bzw. »Anhängern« der betreffenden Religionen gesprochen werden. 24 Siehe dazu auch G. Klinkhammer/A. Satilmis (Hrsg.): Interreligiöser Dialog auf dem Prüfstand. Kriterien und Standards für die interkulturelle und interreligiöse Kommunikation. Berlin 2008. 25 Vgl. dazu Peterson/Hasker/Reichenbach/Basinger 2003, S. 269: »It is sometimes forgotten that evaluating persons’ truth-claims and morally relating to persons are separate issues. Thus, some suggest that unless we adopt the relativist claim that whatever persons think is correct is correct for them and renounce any belief that religious truths can be evaluated intersubjectively and interculturally, we are being intolerant of persons from different religions. […] But we should not mistakenly infer that statements about how we should treat those with whom we disagree follow directly from epistemological claims about the truths or falsehoods they hold.« Dieser Auffassung schließen wir uns an, indem wir die Kontaktformen von den inhaltlichen Aspekten interreligiöser Begegnungen unterscheiden. 26 Die formale Symbolisierung R1, R2 … dient an dieser Stelle nur dazu, die Unterscheidung der vier Kontaktformen transparenter darzustellen. Ansonsten trägt sie – wie übrigens in den allermeisten Fällen der Verwendung formaler Symbole – nichts zur inhaltlichen Bestimmung der Sache bei, zumal faktisch ja gar nicht mit einer unendlichen Anzahl von Religionen (R1, R2 …) zu rechnen ist, sondern vielmehr nur einige wenige kulturell und historisch gewachsene Weltreligionen (die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam sowie Hinduismuis und 23

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Aufriss des Problemhorizonts

liert und abgesondert bewohnen, sodass praktisch keine relevanten Interaktionen der Gruppen, also weder Konflikte noch produktive Beeinflussungen, vorkommen (R1 / R2 / R3 …). Diese Kontaktform ist am Prinzip der Multikulturalität orientiert; ihr zentraler Wert ist die in verschiedenen Varianten auftretende reziproke Toleranz: 27 Die verschiedenen Religionsformen dulden einander, auch wenn sich ihre Wahrheitsansprüche im Dissens befinden, und bringen im besten Fall dem jeweils Anderen Respekt, Anerkennung und Wertschätzung entgegen. (1.2.) Der produktive Austausch: Diese Variante liegt vor, wenn es zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen R1, R2, R3 … zu Kontakten kommt, die von gegenseitigem Interesse und wechselseitiger Wertschätzung der jeweils anderen Religion getragen sind. Ausgehend vom eigenen Standpunkt, den sie nicht aufgeben möchten, sind die Praktizierenden dieser Kontaktform gleichwohl bereit, sich zumindest versuchsweise in die Position des Anderen hineinzuversetzen, von seinem Standpunkt zu lernen und Facetten des eigenen Weltbildes im Zuge der Begegnung möglicherweise in einem anderen Licht zu sehen, kritischer zu bewerten oder gar partiell zu revidieren. Voraussetzung für diese Begegnungsform ist die Akzeptanz einer gemeinsamen formalen Dialoggrundlage, die inhaltlich hinreichend unbestimmt sein muss, um für die Weltbilddifferenzen der Dialogpartner genügend Raum zu lassen. Die interreligiöse Begegnung findet somit in einem Zwischen-Bereich statt, der das Prinzip der Interkulturalität repräsentiert, das für diese Kontaktform Buddhismus) den Ausgangs- und Schwerpunkt religionsphilosophischer Betrachtungen bilden. 27 Siehe dazu R. Forst: Toleranz im Konflikt. Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs. Frankfurt a. M. 2003; ders.: »Religion und Toleranz von der Aufklärung bis zum postsäkularen Zeitalter: Bayle, Kant und Habermas«. In: Postsäkularismus. Zur Diskussion eines umstrittenen Begriffs. Hrsg. v. M. Lutz-Bachmann. Frankfurt a. M. 2015, S. 97–134. Forst leitet den Toleranzbegriff direkt aus der kantischen Religionsphilosophie ab (ebd., S. 129): »So ist Toleranz nach der Respekt-Konzeption, die bei Kant zum ersten Mal voll ausgebildet wird, primär aus moralischen Gründen gefordert, sie ergibt sich aber auch nach dem Grundsatz der Vernunftreligion, dass diese nur auf ›vernünftigem Wege‹, ohne Zwang, sich durchsetzen soll, ferner nach dem Rechtsgrundsatz, dass Freiheitseinschränkungen wechselseitig gerechtfertigt werden müssen und fremde Glückseligkeitsvorstellungen keine legitimen Zwangsgründe bieten, und schließlich nach dem entsprechenden politischen Grundsatz, dass alle Zwangsgesetze der ›öffentlichen Vernunft‹ entstammen müssen, die daher selbst schon pluralistisch verfasst sein muss.« Siehe zur kantischen Vernunftreligion auch II.2.2 des Zweiten Teils der vorliegenden Arbeit.

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Die Pluralität religiöser Weltbilder und Wahrheitsansprüche

maßgeblich ist. Ihr maßgeblicher Wert lässt sich als ein Interesse am Anderen beschreiben: Ausgehend von der eigenen (religiösen) Identität, wird diese mit einem für sie Differenten konfrontiert, sodass sowohl die gemeinsame Grundlage, aufgrund derer überhaupt eine Feststellung von Unterschieden möglich ist, als auch das gegeneinander Verschiedene und Fremde transparent und erfahrbar wird. 28 (1.3.) Der Synkretismus und die Innovation: Interreligiöse Begegnungen können eine solche Dynamik entfalten, dass sich die Angehörigen der beteiligten Religionen dazu genötigt sehen, Modifikationen ihres religiösen Vollzugs vorzunehmen. Daraus können synkretistische Mischformen zweier oder mehrerer Religionen hervorgehen, bei denen die jeweiligen Elemente der ›Ausgangsreligionen‹ noch deutlich unterscheidbar sind, 29 oder sogar eine neue Religionsform, in die einzelne Elemente der Ursprungsreligionen aufgenommen und zu einer neuen Gestalt transformiert worden sind. Aus zwei Religionen R1 und R2 kann somit entweder ein synkretistisches (R1+R2) oder aber ein innovatives Gebilde (R3) entstehen. Insofern bei der Modifikation bzw. Neuschöpfung religiöser Systeme notwendig kulturelle Grenzen zwischen bestehenden Religionen überwunden werden, ist für diese Kontaktform das Prinzip der Transkulturalität leitend. Ihr leitender Wert ist die Fähigkeit zur Integration und Transgression.

Siehe dazu M. Moyaert: »Interreligious dialogue and the value of openness. Taking the vulnerability of religious attachments into account«. In: The Heythrop Journal, 51 (2010), S. 730–740. – Ein ausgezeichnetes Beispiel für die interreligiöse Begegnungsform des produktiven Austauschs stellte das World Parliament of Religions 1893 in Chicago dar. Siehe dazu Hintersteiner (in: Figl 2003), S. 836 ff.; sowie U. Tworuschka: »Rudyard Kipling und ein Missverständnis«. In: Die Weltreligionen und wie sie sich gegenseitig sehen. Hrsg. v. U. Tworuschka. Darmstadt 2008, S. 7–12. Mit Blick auf die Religionswissenschaften hebt Tworuschka hervor, dass der Dialog der Religionen »wechselseitige kommunikative Prozesse auf mehreren Ebenen« betrifft (ebd., S. 10), insbesondere die interdisziplinäre Kooperation von Religionswissenschaftlern, die Relation von Religionswissenschaften und den einzelnen Religionen und das Verhältnis der Religionen (d. h. der Anhänger der jeweiligen Religionen) zueinander. Im Anschluss an Tworuschka ließe sich eine ähnliche triadische Ebenendifferenzierung auch im Hinblick auf die interkulturelle Religionsphilosophie vornehmen, denn auch hier geht es schließlich um die interkulturelle Zusammenarbeit von Religionsphilosophen und -philosophinnen aus unterschiedlichen Traditionen, um die Beziehung zwischen Philosophie(n) und Religion(en) sowie um interreligiöse Begegnungen. 29 Siehe dazu auch U. Berner: Untersuchungen zur Verwendung des SynkretismusBegriffs. Wiesbaden 1982. 28

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Aufriss des Problemhorizonts

(1.4.) Der Konflikt: Diese Kontaktform liegt vor, wenn sich zwei oder mehr Religionen zwar nicht indifferent (wie in der Variante 1.1.), aber auch nicht wohlwollend-interessiert (wie in Variante 1.2.) gegenüber stehen, sondern wenn entweder eine der beteiligten Religionen im Hinblick auf die andere (R1 → R2) oder beide Religionen in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung (R1 ←→ R2) einen Antagonismus ausbilden, der unter Umständen zur Entwicklung verhärteter Feindbilder führen kann. 30 Symptome derartiger Konflikte sind z. B. die aggressive Missionierung bzw. Abwerbung von Anhängern der gegnerischen Religion, die Beschneidung von Rechten der Angehörigen einer Religion R1, sofern sich R2 in einer überlegenen Machtposition befindet (etwa die Einschränkung der freien Ausübung von R1 in einem von R2 dominierten Staat), die gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Anhängern der verfeindeten Religionen bis hin zum blutigen Religionskrieg. Die Kontaktform des Konflikts ist am Prinzip der Monokulturalität orientiert, da es aus der Perspektive der für den Konflikt Verantwortlichen optimal wäre, wenn sich letztlich nur eine einzige Religion – nämlich die je eigene – durchsetzen würde. Ihr leitender Wert ist folglich die Selbstbehauptung. Abb. 1: Interreligiöse Begegnungsformen Interreligiöser Begegnungsmodus

Leitendes Prinzip Zentraler Wert

Beziehungslose Koexistenz

Multikulturalität

Toleranz

Produktiver Austausch

Interkulturalität

Interesse am Anderen

Synkretismus und Innovation

Transkulturalität

Integration; Transgression

Konflikt

Monokulturalität

Selbstbehauptung

Angesichts der angesprochenen Verdichtung interreligiöser Begegnungen und des alltäglich gewordenen religiösen Pluralismus in zahlreichen Gesellschaften wird für die soziale und politische KonturieDas Gewaltpotential insbesondere der monotheistischen Religionen, das in dieser Begegnungsform am deutlichsten hervortritt, ist bekanntermaßen bereits den zentralen heiligen Texten der drei abrahamitischen Religionen (Thora, Neues Testament, Koran) inhärent. Siehe dazu P. Walter (Hrsg.): Das Gewaltpotential des Monotheismus und der dreieine Gott. Freiburg u. a. 2005; C. Bultmann/B. Kranemann/J. Rüpke (Hrsg.): Religion – Gewalt – Gewaltlosigkeit. Probleme – Positionen – Perspektiven. Münster 2004.

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Die Pluralität religiöser Weltbilder und Wahrheitsansprüche

rung eines humanen Zusammenlebens im 21. Jahrhundert viel davon abhängen, welche der vier skizzierten Kontaktformen maßgeblich praktiziert werden wird. 31 Voraussetzungen für ein gegeneinander indifferentes Koexistieren liegen – in regional vielfältig differenzierter Form – ebenso vor wie für einen produktiven Austausch, ein synkretistisches Zusammenwachsen oder konfliktträchtige Auseinandersetzungen der Religionen.

2.2

Primäre und sekundäre Komponenten von Religion

Welche der soeben unterschiedenen interreligiösen Begegnungsformen in einer bestimmten Situation dominieren, hängt neben spezifischen sozialen, politischen und kulturellen Bedingungen auch von der Fähigkeit der interagierenden religiösen Individuen und Gruppen ab, differenziert zu unterscheiden, welche Facetten des Gesamtsystems ›Religion‹ in der konkreten Begegnung überhaupt zur Verhandlung stehen. Damit ist die zweite zentrale Komponente interreligiöser Kontakte angesprochen, nämlich die inhaltlichen Aspekte, die jeweils Gegenstand von Begegnungen zwischen Religionen sein können. Für ihre nähere Differenzierung bietet sich eine Unterscheidung in primäre und sekundäre Eigenschaften religiöser Systeme an. Sekundäre Eigenschaften einer Religion sind in einer Weise kulturell codiert, die Der hier vorgenommene Klassifizierungsversuch interreligiöser Begegnungsformen überschneidet sich teilweise mit einer von M. v. Brück vorgenommenen Differenzierung dreier unterschiedlich konnotierter Toleranzbegriffe (M. v. Brück: »›Toleranz‹ in den Weltreligionen. Ihre Konsequenzen für das Verhältnis von Religionswissenschaft und Theologie bzw. Religionsphilosophie«. In: Wege zur Religionswissenschaft. Eine interkulturelle Orientierung. Aspekte, Grundprobleme, ergänzende Perspektiven. Hrsg. v. H. R. Yousefi, K. Fischer, I. Braun u. W. Gantke. Nordhausen 2007, S. 245–264). Bei den unterschiedenen Toleranzbegriffen handelt es sich 1) um ein gleichgültiges Gewährenlassen, das der 1. Begegnungsform innerhalb des hier vorgeschlagenen Schemas entspricht, 2) um einen politischen Kompromiss, der sich in unserem Schema ebenfalls der Begegnungsform der Koexistenz (Nr. 1), allerdings als Folge eines vorhergegangenen religiösen Konflikts (Nr. 4), zuordnen lässt, und schließlich 3) um die »respektvolle Zuwendung und Wertschätzung des Anderen« (ebd., S. 245), die sich unschwer als die 2. der hier unterschiedenen Begegnungsformen identifizieren lässt. Nur diesen zuletzt genannten Typus der Toleranz hält v. Brück im Kontext interreligiöser Dialoge für sinnvoll. Die 3. Begegnungsform des Synkretismus und der Innovation fehlt naturgemäß in Brücks Unterscheidung, die sich ja auf den Toleranzbegriff bezieht und somit von weitgehend fest stehenden Identitäten ausgeht.

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Aufriss des Problemhorizonts

ihre gewaltlose Universalisierung – durch bloße Überzeugung – als unwahrscheinlich erscheinen lässt. Die primären Eigenschaften einer Religion hingegen bergen Potentiale transkultureller Universalisierbarkeit und sind somit die eigentlichen Träger religiöser Vernunft. Daraus ergibt sich zugleich, dass religiöse Primäreigenschaften von hoher philosophischer Revelanz sind, während die Sekundäreigenschaften ein geringeres philosophisches Interesse für sich beanspruchen können. 32 Zu den philosophisch relevanten Primäreigenschaften einer Religion gehören all diejenigen Komponenten, die Antworten auf grundlegende Fragen des menschlichen Daseins liefern wie z. B.: Worum willen sollen Menschen leben? Was ist der Ursprung und Grund der Welt? Was unterscheidet gutes vom bösen Handeln? Gibt es Grund zur Hoffnung auf eine universelle Gerechtigkeit? Zu den sekundären Eigenschaften von Religionen sind dagegen diejenigen Facetten religiöser Systeme zu zählen, die aus einer philosophischen Perspektive eher ›äußerliche‹ Aspekte wie bestimmte Riten und Rituale, spezifische Gemeinschaftsregeln (etwa Kleiderordnungen, Speisevorschriften, Festtage etc.) oder heilige Personen und Stätten betreffen – allesamt Bereiche, die für die Anhänger einer Religion von außerordentlicher Bedeutung sein können, die aber keine oder allenfalls nur indirekte Auskunft über die grundsätzlichen Fragen geben, die philosophisches Nachdenken bewegen. Selbstverständlich können auch diese Bereiche der Religion philosophisch mit Gewinn untersucht werden, etwa im Rahmen einer religiösen Phänomenologie oder Hermeneutik, die sich gerade die Interpretation nicht explizit formulierter Gehalte, wie sie z. B. in Symbolen und Ritualen zum Ausdruck kommen, zur Aufgabe macht. 33 Doch gemäß der hier durchgeführten Unterscheidung wird es sich auch in diesen Fällen um sekundäre Eigenschaften von Religionen handeln, die zu Objekten des philosophischen Interesses erhoben werden, ohne jedoch von sich aus explizite Antworten auf philosophische Fragen zu repräsentieren. Religiöse Primärkomponenten zeichnen sich demDie an dieser Stelle gewählte terminologische Verwendung von »primär« und »sekundär« ist nicht zu verwechseln mit der von J. Assmann vorgenommenen Unterscheidung in Primär- und Sekundärreligionen anhand des Kriteriums ihrer jeweiligen Nähe zu spirituellen Ausgangserfahrungen. Vgl. dazu J. Assmann: Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus. München/Wien 2003. 33 Vgl. zur näheren Profilierung religionshermeneutischer und -phänomenologischer Ansätze Kap. II.4.1. 32

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Die Pluralität religiöser Weltbilder und Wahrheitsansprüche

gegenüber dadurch aus, dass in ihnen bestimmte Positionen zu ontologischen, ethischen oder anderweitigen philosophischen Fragestellungen artikuliert werden. Auch aus einer religionsinternen Perspektive macht es Sinn, primäre und sekundäre Komponenten eines religiösen Systems voneinander zu unterschieden. Sekundäre Eigenschaften einer Religion hängen nämlich insofern funktional von ihren jeweiligen Primäreigenschaften ab, als die Beachtung äußerlicher Vorschriften einer Religion letztlich nur dann als sinnvolles Handeln beschrieben werden kann, wenn die generelle Weltsicht und das Menschenbild einer Religion vom religiös Handelnden eingesehen, akzeptiert und bejaht werden können. Andernfalls läge eine rituell erstarrte, nur äußerlich befolgte Religionausübung vor, der keine innere Überzeugung korrespondierte. Derartige religiöse Kulte, die allenfalls kultur-, staatsoder gesellschaftsstabilisierende Funktionen erfüllen, hat es zwar im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder gegeben (man denke etwa an die römische Staatsreligion vor der Implementierung des Christentums), aber sie sind in philosophischer Hinsicht relativ unergiebig, da sie größtenteils auf formellen Sekundärkomponenten basieren und kaum universalisierungsfähige Potentiale religiöser Vernunft in sich bergen. Verbindet man das im vorigen Kapitel über die möglichen interreligösen Kontaktformen Gesagte mit der Unterscheidung in primäre und sekundäre Eigenschaften von Religionen, so gewinnt man ein wesentlich klareres Bild von denjenigen Formen religiöser Begegnungen, die das besondere Interesse einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie auf sich ziehen. Entzündet sich ein religiöser Konflikt an sekundären Religionseigenschaften – beispielsweise am Anspruch zweier Religionen R1 und R2 auf dieselbe heilige Stätte oder an der kalendarischen Fixierung eines bestimmten Festes, die zwischen R1 und R2 strittig ist –, so kann ein solcher Konflikt zwar durchaus z. B. im Kontext einer politischen Philosophie unter der allgemeinen Fragestellung thematisiert werden, wie mit religiösem Pluralismus in einem liberalen Rechtsstaat angemessen und gewaltfrei umzugehen sei; er dürfte aber – von Ausnahmen abgesehen – in inhaltlicher Hinsicht als philosophisch weitgehend belanglos einzuschätzen sein. Philosophisch wesentlich ergiebiger sind dagegen solche interreligiösen Begegnungen, in denen religiöse Primärkomponenten verhandelt werden, zumal dann, wenn die Primärkomponenten zweier verschiedener Religionen als logisch inkompatibel 49 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Aufriss des Problemhorizonts

erscheinen. Religionsphilosophisch relevante Fragen, in denen es um konfligierende Primäreigenschaften von Religionen geht, lauten z. B.: 34 Ist die Welt das Produkt eines allmächtigen Schöpfergottes, oder lässt sie sich plausibler als ein apersonales Geschehen auffassen, das in einer Theologie notwendigerweise unzureichend beschrieben wird? Und einmal vorausgesetzt, der Begriff eines absoluten Schöpfergottes wäre konsistent: Hat sich dieser Gott dann in die Welt, also sein eigenes Schöpfungsprodukt, hinein entäußert, oder steht er unendlich fern von ihr, sodass etwa auch das menschliche Vernunftvermögen keinerlei Ähnlichkeit mit dem göttlichen Geist aufwiese? Ist es moralisch geboten, alle Mitmenschen zu lieben wie sich selbst, oder gilt diese moralische Verpflichtung nur für die Anhänger der eignen Glaubensgemeinschaft? Wäre das Liebesgebot möglicherweise sogar auf alle Säugetiere, ja vielleicht auf alle Lebewesen auszudehnen? Man sieht leicht, dass Fragestellungen wie die soeben genannten den Kernbereich dessen betreffen, was zum inhaltlichen Grundbestand einer jeweiligen Religion gehört – insofen erscheint die Rede von religiösen Primäreigenschaften gerechtfertigt. Ferner ist festzustellen, dass Primärkomponenten wie etwa Welt-, Menschen- und Gottesbilder sowie grundlegende ethische Prinzipien einer Religion zugleich auch genuin philosophische Inhalte darstellen. Aus diesem Befund lässt sich weiter folgern, dass die Konkurrenz zwischen verschiedenen Religionen, sofern sie sich auf eben jene Primäreigenschaften bezieht, immer auch gleichzeitig eine Konkurrenz bestimmter philosophisch formulierbarer Positionen darstellt, die in den Religionen gleichsam eingekapselt und in konkrete Lebensvollzüge und ritualisierte Tätigkeiten eingebettet sind. Das Problem des religiösen Pluralismus kann angesichts dieses im Hintergrund schwelenden Konflikts religiöser Primäreigenschaften nicht primär von einer politischen Theorie gelöst werden, welche die Koexistenz unterschiedlicher Weltanschauungen innerhalb einer B. Frances bemerkt über derartige religiöse Dissense (»Religious Disagreement«. In: Handbook of Contemporary Philosophy of Religon. Hrsg. v. G. Oppy. London/ New York 2015, S. 180–191, hier S,. 181 f.): »Even if in some cases apparent disagreement is merely apparent (e. g., so-called disagreements about ›salvation‹ might be artifacts of different understandings of that term), it’s clear that in an enormous number of cases only one group can be right: Jesus either rose from the dead or he didn’t, we either are or are not conscious after the death of our bodies, and either a person created the physical universe or no one did.«

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Die Pluralität religiöser Weltbilder und Wahrheitsansprüche

Gesellschaft auf der Folie vertragstheoretischer Prämissen beschreibt. Theorien wie diejenigen M. Walzers und J. Rawls’, die einen für alle Gesellschaftsmitglieder zustimmungsfähigen Grundbestand an Prinzipien des Zusammenlebens formulieren, 35 sind zwar für die philosophische Fundierung des liberalen Rechtsstaats notwendig und wichtig; aber sie tangieren ganz bewusst nicht den Kern dessen, was in der Konkurrenz religiöser Weltbilder an Gehalten strittig ist. Es sollte in demokratisch verfassten Rechtsstaaten eine – wenngleich historisch in langwierigen Kämpfen errungene und auch zukünftig immer wieder energisch zu verteidigende – Selbstverständlichkeit sein, dass Konflikte zwischen den Anhängern unterschiedlicher Religionen sowie zwischen diesen und säkular eingestellten Diskursbeteiligten auf friedlichem Wege und unter Beachtung der gesetzlich festgeschriebenen Spielregeln ausgetragen werden. 36 Deren Begründung in einer möglichst voraussetzungsfreien minimalistischen Ethik oder einer kontraktualistischen Theorie der Gerechtigkeit, die jeweils auf dem Konsensprinzip basieren, vermag die grundlegenden Werte des Pluralismus und der Toleranz sowohl für die säkular eingestellten als auch für die religiösen Mitglieder eines Gemeinwesens argumentativ transparent zu machen. Unabhängig von dieser zweifellos sehr wichtigen Funktion des politiktheoretischen Diskurses aber kann und sollte sich das philosophische Interesse an den Religionen nicht in der systematischen Entwicklung einer politischen Rahmentheorie für das Zusammenleben verschiedener Glaubensgemeinschaften erschöpfen. Ohne sich dadurch in die unangemessene Rolle eines Schiedsrichters über religiöse Wahrheiten hineinzugeben, 37 muss es philosophischem 35 J. Rawls: Gerechtigkeit als Fairneß. Ein Neuentwurf. Frankfurt a. M. 2003; ders.: A Theory of Justice. Revised Edition. Oxford, N.Y. 1999; M. Walzer: Lokale Kritik – globale Standards. Hamburg 1996; ders.: Sphären der Gerechtigkeit. Frankfurt a. M./New York 1992. Zu nennen wären hier ferner die Positionen von W. Cavanaugh, G. Gutting, A. Kolnai, J. Maritain, A. MacIntyre, J. Stout u. a. Siehe zur Problematik des liberalen Umgangs mit religiösem Pluralismus auch die gegen Rawls u. a. argumentierende Studie von T. J. Kozinski: The political problems of religious pluralism: and why philosophers can’t solve it. Lanham, MD 2010. Ferner sei verwiesen auf H.-M. Schönherr-Mann: Miteinander leben. Die Philosophie und der Kampf der Kulturen. München/Zürich 2008, insbes. Kap. 14 u. 15. 36 Siehe dazu J. Habermas: »Religion in der Öffentlichkeit«, a. a. O., S. 259–297. 37 Vgl. Habermas 2008, S. 27. Für Habermas stellt der philosophische Verzicht auf die Rolle eines »Richter[s] über Glaubenswahrheiten« eine der beiden zentralen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Dialog zwischen säkularer Philosophie und den

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Nachdenken gleichwohl gestattet sein, nicht nur die formalen Rahmenbedingungen einer friedlichen Koexistenz divergierender Weltanschauungen zu reflektieren, sondern auch die im Falle interreligiöser und religiös-säkularer Dissense strittigen Verhältnisbestimmungen von Glauben und Wissen inhaltlich zu untersuchen. Dieses Recht darf die Religionsphilosophie um so mehr für sich beanspruchen, als – wie bereits angesprochen – der Streit um religiöse Primäreigenschaften in vielen Fällen zugleich auch ein Streit um philosophisch reformulierbare Positionen ist. Eine nur tolerante Einstellung, die sich unter Berufung auf die Autonomie des Glaubens allzu schnell der Bemühung des Nachdenkens zu entledigen sucht, ist angesichts massiver religiöser Weltbilderdivergenzen philosophisch ebenso unbefriedigend, wie sie es auch im Hinblick auf ›genuin‹ philosophische Theorien etwa auf den Gebieten der Philosophie des Geistes oder der Ethik wäre. Die bloße Akzeptanz des faktischen religiösen Pluralismus ignoriert die kognitiv dissonante Unvereinbarkeit weltanschaulicher Positionen, die mit einem starken, vielfach sogar universalen und exklusiven Wahrheitsanspruch auftreten. Religionen lassen sich unter dem Aspekt ihrer Wahrheitsbeanspruchungen als holistische Modelle der Weltdeutung und Normenbegründung begreifen, die untereinander sowie mit rein säkularen Modellen der Weltdeutung und Normenbegründung in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Betrachtet eine Religion R1 ihr Modell als exklusivistisch wahr, so muss sie konsequenterweise alle anderen Religionen R2, R3 … (und ebenso eine rein säkulare Weltsicht) als falsch ansehen. Umgekehrt bedeutet dies, dass, sollte sich auf irgendeinem Weg die Wahrheit etwa der Religion R2 erweisen, alle anderen religiösen Weltsichten R1, R3 … notwendigerweise falsch wären. Von einer Außenperspektive aus betrachtet, ist es theoretisch ebenfalls denkbar, dass alle Religionen R1, R2, R3 … partiell wahr und partiell falsch sind. Möglicherweise ist ja das Weltdeutungsmodell Weltreligionen unter den Bedingungen der postsäkularen Konstellation dar; die andere Voraussetzung besteht in der religiösen Akzeptanz der natürlichen Vernunft als maßgeblicher Autorität in den Bereichen der Wissenschaften, der Moral und des Rechts. Allerdings könne die Philosophie letztlich »nur das, was sie in ihre eigenen, im Prinzip allgemein zugänglichen Diskurse übersetzen kann, als vernünftig« akzeptieren (ebd., S. 27). Somit entscheidet die Philosophie im Dialog mit der Religion sehr wohl darüber, welche Komponenten einer Religion als ›vernünftig‹ gelten können und welche nicht. Siehe dazu auch Kap. III.2. des Dritten Teils dieser Untersuchung.

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Das Problem des religiösen Pluralismus

von R1 falsch, während seine Normenbegründung durchaus valide ist. Enthalten aber alle Religionen R1, R2, R3 … wahre Komponenten, so impliziert dies zugleich, dass sie auch falsche Komponenten enthalten müssen, da sie schließlich nicht in allen Beziehungen untereinander kompatibel sind. Die Anhänger sämtlicher Religionen würden in diesem Fall zumindest partiell in der Unwahrheit leben. Zu den religionsphilosophisch brisanten Fragen, die sich angesichts der skizzierten Varianten interreligiöser Konkurrenz aufdrängen, gehören u. a. die folgenden: In welchen philosophisch formulierbaren Positionen unterscheiden sich die Weltreligionen tatsächlich voneinander? Sind die feststellbaren inhaltlichen Differenzen unüberbrückbar? Lässt sich philosophisch entscheiden, welche der unterschiedlichen Positionen ein höheres Maß an Plausibilität beanspruchen kann, oder übersteigen die fraglichen Themen prinzipiell die menschliche Erkenntnisfähigkeit, sodass der Widerstreit rational nicht entschieden werden kann? Handelt es sich möglicherweise um miteinander kompatible, ja sogar um komplementäre Positionen, die sich in einer religionsphilosophischen Theorie vereinigen ließen? Falls ja, wie müsste diese beschaffen sein? Und welche Auffassung religiöser Koexistenz wäre sowohl für den ›neutralen‹ philosophischen Beobachter als auch für den engagierten Anhänger einer Glaubensgemeinschaft zustimmungsfähig?

3.

Das Problem des religiösen Pluralismus in der zeitgenössischen Religionsphilosophie

Wie C. Taliaferro zu Recht bemerkt hat, 38 gehört die Disziplin der Religionsphilosophie zu den faszinierendsten Gebieten der zeitgenössischen Philosophie, da sie die Möglichkeit eröffnet, gleichsam über den Umweg einer Thematisierung religiöser Gehalte grundlegende, ›letzte‹ Fragen bezüglich der Wesensbestimmung des Menschen und der Welt aufzuwerfen – Fragen wie jene, die am Ende des vorigen Unterkapitels exemplarisch gestellt wurden. Freilich herrscht innerhalb der religionsphilosopischen Disziplin – ebenso wie hinsichtlich der Bestimmung des Begriffs der Religion selbst 39 – keineswegs EiC. Taliaferro: Evidence and Faith. Philosophy and Religion since the Seventeenth Century. New York 2005. 39 Siehe dazu Kap. II.2.1 des Ersten Teils dieser Untersuchung. 38

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Aufriss des Problemhorizonts

nigkeit darüber, welche Fragen und Probleme die primären Untersuchungsobjekte der Religionsphilosophie darstellen sollten. 40 Hat sich die moderne Religionsphilosophie bis in die jüngere Gegenwart vorwiegend an theistischer Religiosität orientiert, die in ihrer philosophischen Formulierung als Metaphysik die onto-theologische Ausrichtung der Philosophie des Abendlandes maßgeblich geprägt hat, so setzt sich inzwischen immer mehr die Einsicht durch, dass eine verstärkte Einbeziehung außereuropäischen religiösen Denkens, das nicht zwangsläufig theistisch verfasst ist, in den religionsphilosophischen Diskurs unumgänglich geworden ist. 41 Eine ausschließliche oder überwiegende Ausrichtung der Religionsphilosophie auf Themen und Problemstellungen, die vor allem innerhalb des metaphysisch-theologischen Paradigmas der europäischen Philosophie von Relevanz gewesen sind, reduziert die interkulturelle Vielfalt und Komplexität des Religiösen in unzulässiger Weise. Überdies wird sie dem soziologischen Faktum religiöser Diversität nicht gerecht, dessen unübersehbarer Virulenz in der gegenwärtigen Religionsphilosophie verstärkte Beachtung geschenkt wird. Zwar haben Erfahrungen religiöser Alterität, die sich z. B. an unterschiedlichen Riten, Verhaltensweisen, Handlungen oder Glaubensvorstellungen entzünden konnten, in der Geschichte schon immer eine maßgebliche Rolle für die Konstituierung kultureller Identitäten gespielt. Die systematische Beschäftigung mit interreligiösen Tradierungsvorgängen und dialogischen Konzepten stellt jedoch ein relativ neues religionswissenschaftliches, theologisches und eben auch religionsphilosophisches Forschungsfeld dar. 42 Die philosophische Auseinandersetzung mit religiöser Pluralität wirft im Vorfeld die Frage nach einer interreligiösen Hermeneutik auf, welche die zwischen Religionen stattfindenden Interaktionstypen

Einen Eindruck von der überaus vielfältigen Entwicklung der Religionsphilosophie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermittelt die Bibliographie Fifty Years of Philosophy of Religion. A Select Bibliography (1955–2005). Hrsg. v. A. F. Sanders u. K. de Ridder. Leiden 2007. 41 Siehe dazu J. Hick: »Religious pluralism«. In: A Companion to Philosophy of Religion. Cambridge, Mass. 1997, S. 607–614; E. T. Long: Twentieth-Century Western Philosophy of Religion 1900–2000. Dordrecht/Boston/London 2000 (Kap. 22: »Comparative Philosophy«, S. 474 ff.); C. Meister (Hrsg.): The Philosophy of Religion Reader. London/New York 2008, »General Introduction«, S. 2; Taliaferro 2005, S. 9 f. 42 Vgl. Hintersteiner (in: Figl 2003), S. 834 ff. 40

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Das Problem des religiösen Pluralismus

und Verständigungsprozesse systematisch zu erschließen vermag. 43 Über diese hemeneutische Ebene der Verständigung zwischen unterschiedlichen Religionen hinaus reicht die sowohl in der Theologie als auch in der Religionsphilosophie vieldiskutierte Problematik religiöser Diversität; 44 denn sie führt unmittelbar in den philosophisch relevanten Bereich von Geltungsfragen hinein. Die kontrovers geführten Debatten zur Problematik religiöser Pluralität markieren zweifellos einen Brennpunkt innerhalb der gegenwärtigen Religionsphilosophie. 45 An den dort erreichten Diskussionsstand hat eine interkulturell orientierte Religionsphilosophie anzuschließen. Eine der pointiertesten Konzeptionen zur Problematik religiöser Diversität – und sicherlich die am intensivsten rezipierte und kritisierte – hat der britische Theologe und Religionsphilosoph J. Hick (1922–2012) mit seinem religionstheologischen Pluralismus formuliert. 46 Für Hick teilen die verschiedenen Religionen sowohl den geHintersteiner (in: Figl 2003, S. 835) stellt in diesem Zusammenhang die Überlegung an, ob sich interreligiöse Prozesse letztlich auf einige wenige Grundtypen interreligiöser Hermeneutik zurückführen lassen oder ob es sich jeweils um ganz unterschiedliche Relationierungsmodelle handelt. – Einen Versuch, hermeneutische Grundmodelle des Umgangs mit dem religiös Fremden herauszuarbeiten, hat T. Sundermaier vorgelegt: Den Fremden verstehen. Eine praktische Hermeneutik. Göttingen 1996. 44 In terminologischer Hinsicht ist es sicherlich sinnvoll, zwischen religiöser ›Diversität‹ und ›Pluralität‹ als phänomenalen Tatbeständen und religiösem ›Pluralismus‹ als Theorie zu unterscheiden. K. Meeker und P. L. Quinn definieren ›religious diversity‹ als »the undisputed fact that different religions espouse doctrines that are at least apperently in conflict and offer alternative paths of salvation or liberation« und ›religious pluralism‹ als »the position John Hick adopts in response to the fact of religious diversity.« (K. Meeker/P. L. Quinn: »Introduction. The Philosophical Challenge of Religious Diversity«. In: Quinn/Meeker 2000, S. 1–28, hier S. 3.) 45 Die Relevanz dieser Thematik schätzt V. S. Harrison (in: Oppy 2015, S. 257–269, hier S. 257) folgendermaßen ein: »Religious pluralism is one of the most vibrant topics within current philosophy of religion. This is in part due to the increasingly multi-, or poly-, cultural environment within which philosophy of religion is now practised and taught. More importantly though, it is because thinking about theories of religious pluralism requires that one engage with some of the deepest and most interesting questions lying at the heart of philosophy in general – questions about philosophical methodology and the nature of truth, logic, and language.« 46 Siehe u. a. J. Hick: Dialogues in the Philosophy of Religion. Basingstoke/New York 2001; Faith and Knowledge. London 31988; An Interpretation of Religion. Human Responses to the Transcendent. New Haven/London 22004; ders./P. Knitter (Hrsg.): The Myth of Christian Uniqueness. Maryknoll, N.Y. 1987; God and the Universe of Faiths. Essays in the Philosophy of Religion. London 1973; »Religious pluralism and the pluralistic hypothesis«. In: Meister 2008, S. 9–25. 43

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Aufriss des Problemhorizonts

meinsamen Ausgangspunkt bei der menschlichen Erlösungsbedürftigkeit als auch den gemeinsamen letzten Referenzhorizont aller religiösen Bemühungen, den Hick als »The Real« bezeichnet. 47 Divergent, ja teilweise offenkundig gegensätzlich sind demgegenüber die konkreten Antworten, die verschiedene religiöse Traditionen auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit menschlicher Existenz gegeben haben. Vor allem aber wird das göttliche Reale selbst, das sich Hick zufolge durch seine vollkommene Unerkennbarkeit auszeichnet, in den einzelnen Religionen unterschiedlich ausgelegt: »We […] have to distinguish between the Real an sich and the Real as variously experienced-and-thought by different human communities.« 48 An der Frage, wie mit dieser Vielfalt religiöser Angebote und ihren konfligierenden Wahrheitsansprüchen kognitiv angemessen umzugehen sei, arbeitet sich die von Hick befeuerte Diskussion um den religiösen Pluralismus ab. 49 Im Zuge der vielstimmigen theologischen, religionswissenschaftlichen und religionsphilosophischen Debatten, die sich an Hicks kontroversen Thesen entzündet haben, 50 hat sich innerhalb des potentiellen Lösungsspektrums für das Problem religiöser Pluralität eine Dreiteilung in die grundsätzlichen Positionen des Pluralismus, Siehe etwa Hick 2004, insbesondere Part One (»Epistemological«), Part Four (»Religious Pluralism«) und Part Five (»Criteriological«). Siehe auch Renusch 2014, S. 130–164. 48 Hick 2004, S. 236. 49 Einen eigenständigen, wenngleich an Hicks Position orientierten Ansatz hat P. Byrne vorgelegt: Prolegomena to Religious Pluralism. London 1995. Siehe dazu auch R. T. Lehe: »A critique of Peter Byrne’s religious pluralism«. In: Religious Studies, 50 (2014), S. 505–520. 50 Siehe dazu H. M. Vroom: A Spectrum of Worldviews. An Introduction to Philosophy of Religion in a Pluralistic World. Amsterdam/New York 2006; P. SchmidtLeukel: Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische Theologie der Religionen. Gütersloh 2005; P. R. Eddy: John Hick’s Pluralist Philosophy of World Religions. Aldershot 2002; M. Aebischer-Crettol: Vers un œcuménisme interreligieux. Jalons pour une théologie chrétienne du pluralisme religieux. Paris 2001; Quinn/Meeker 2000; J.-C. Basset: Le dialogue interreligieux. Chance ou déchéance de la foi. Paris 1996; T. Dean (Hrsg.): Religious Pluralism and Truth: Essays on Cross-Cultural Philosophy of Religion. Albany, N.Y. 1995; T. D. Senor (Hrsg.): The Rationality of Belief and the Plurality of Faith. Essays in honor of William P. Alston. Ithaca 1995; H. Hewitt (Hrsg.): Problems in the Philosophy of Religion. Critical Studies of the Work of John Hick. Basingstoke/London 1991; K. Ward: »Truth and the Diversity of Religions«. In: Religious Studies, 26 (1990), S. 1–18; J. Runzo: »God, Commitment, and Other Faiths: Pluralism versus Relativism«. In: Faith and Philosophy, 5 (1988), S. 343–364. 47

56 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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des Exklusivismus und des Inklusivismus zementiert, welche die Fachdiskussion – trotz mancherlei Einwände gegen diese Schematisierung 51 – bis heute bestimmt. Die Position eines prinzipiell religionsfeindlichen Naturalismus, der sämtliche Religionen für falsch hält, lässt sich zwar ebenfalls als eine mögliche Lösung des religiösen Pluralitätsproblems verstehen. Aber weil der Naturalist von seinem szientistischen Standpunkt aus prinzipiell nicht bereit ist, sich kognitiv auf die Gehalte religiöser Überzeugungen einzulassen, repräsentiert seine Position keine religionsphilosophisch weiterführende Auffassung. Während der Pluralismus Hick’scher Provenienz davon ausgeht, dass letztlich alle Weltreligionen Wahrheit implizieren, da sie sich – wenngleich in Form stets kulturell bedingter und damit nur relativ gültiger Antworten – auf die eine ultimative, göttliche Realität beziehen, argumentiert der religiöse Exklusivismus, wie ihn innerhalb der Religionsphilosophie etwa A. Plantinga mit moralischen und epistemologischen Begründungsansätzen verteidigt, 52 für die Gegenthese: Wenn eine bestimmte Religion wahr ist, so sind für den Exklusivisten alle anderen notwendigerweise falsch. Exklusivistische Überzeugungen können sich auf religiöse Dokrinen, Heilswege 53 oder Erfahrungen beziehen; in allen Fällen aber folgt der Exklusivismus einer zweiwertigen Logik, derzufolge gilt: Wenn eine religiöse Lehre RL1, ein spiritueller Heilsweg SH1 oder eine religiöse Erfahrung RE1 wahr ist, dann sind alle religiösen Lehren RL2, spirituellen Heilswege SH2 oder religiösen Erfahrungen RE2, die nicht mit RL1, SH1 oder RE1 übereinstimmen, notwendigerweise falsch. Damit ist gleichzeitig die Überzeugung verbunden, dass für das Erreichen des religiösen Heilsziels (nur) die Bedingungen der je eigenen Religion sowohl epistemologisch als auch ontologisch erfüllt sein müssen.

Siehe dazu die zusammenfassende Darstellung bei C. Danz: Einführung in die Theologie der Religionen. Wien 2005, Kap. 3: »Probleme der religionstheologischen Relationierungsmodelle«, S. 79–117; sowie A. Grünschloß: Der eigene und der fremde Glaube. Studien zur interreligiösen Fremdwahrnehmung in Islam, Hinduismus, Buddhismus und Christentum. Tübingen 1999. 52 Siehe A. Plantinga: »A Defense of Religious Exclusivism«. In: Sennett 1998, S. 187–209. 53 Einen Verteidigungsversuch des traditionellen soteriologischen Exklusivismus des Christentums hat W. L. Craig unternommen: »›No Other Name‹ : A Middle Knowledge Perspective on the Exclusivity of Salvation through Christ«. In: Quinn/ Meeker 2000, S. 38–53. 51

57 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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In der religionsphilosophischen Debatte um die Epistemologie religiöser Dissense ist in Bezug auf den Exklusivismus intensiv diskutiert worden, ob ein/e Exklusivist/in eine epistemische Verpflichtung dazu besitzt, die eigenen Glaubensüberzeugungen angesichts der Konkurrenz, in der diese mit den Glaubensüberzeugungen anderer Religionen steht, zu rechtfertigen. 54 Wenn die Anhängerin einer Religion AR1 davon ausgeht, dass die Anhänger anderer Religionen AR2, AR3 etc. als epistemisch gleichwertig gelten können, und gleichzeitig feststellt, dass AR2, AR3 … andere Glaubensüberzeugungen haben als AR1, dann könnte dieser Befund AR1 dazu veranlassen, ihre eigenen Glaubensüberzeugungen noch einmal zu überprüfen und sie gegegebenfalls in Zweifel zu ziehen. Problematisch dürfte für die meisten Exklusivisten jedoch bereits die Anerkennung der grundlegenden Voraussetzung sein, dass es sich bei den Anhängern anderer Religionen tatsächlich um ›epistemic peers‹ handelt. Wer beispielsweise felsenfest daran glaubt, dass der Koran die authentische Offenbarung des Wortes Gottes sei, der wird alle Andersgläubigen, welche diese fundamentale Prämisse nicht teilen, kaum als ›epistemisch gleichwertig‹ betrachten können, weil er davon ausgehen muss, dass ihnen die entscheidende Quelle zur adäquaten Gotteserkenntnis fehlt. Insofern geht die epistemische Norm, dass AR1 nur dann an ihrem exklusivistischen Wahrheitsanspruch festhalten dürfe, wenn sie ihren Glauben, dass die konkurrierenden Wahrheitsansprüche von AR2, AR3 … allesamt falsch seien, mit guten Grün-

Siehe dazu Basinger 2015, »3. Religious Diversity and Epistemic Obligation«, »4. Religious Diversity and Justified Belief«; sowie M. Brecht: »Meeting the challenge of conflicting religious belief. A naturalized epistemological approach to interreligious dialogue«. In: The Heythrop Journal, 51 (2010), S. 741–752. – Die Problematik der epistemischen Rechtfertigung von Glaubensüberzeugungen ist von der eher psychologischen Frage zu unterscheiden, ob sich ein Gläubiger dazu verpflichtet fühlt, sich angesichts Anders- oder Ungläubiger zu rechtfertigen. Man könnte dies auch so formulieren, dass es nicht um einen subjektiven, sondern um einen objektiven Rechtfertigungsdruck geht, unter dem Gläubige und insbesondere Exklusivisten angesichts religiöser Diversität stehen. Ob die mit der Anerkennung religiöser Diversität eventuell verbundene Schwächung des je eigenen Glaubensstandpunktes zu einem höheren Maß an Toleranz oder im Gegenteil zu höherer Intoleranz führen müsse, scheint mir ebenfalls eine eher empirisch-psychologische Frage zu sein, die aber gleichwohl innerhalb der analytischen Debatte zur Epistemologie religiöser Dissense kontrovers diskutiert worden ist. Siehe dazu Basinger 2015 sowie den Sammelband Religious Tolerance Through Epistemic Humility: Thinking With Philip Quinn. Hrsg. v. J. Kraft u. D. Basinger. Burlington 2008.

54

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den rechtfertigen könne, 55 ins Leere. Den eigenen Glauben für exklusivistisch wahr zu halten, impliziert bereits analytisch, dass konkurrierende Glaubensüberzeugungen aus Gründen, die AR1 selbst für gut halten mag, als falsch angesehen werden. 56 Hätte AR1 Zweifel daran, dass sie für ihr Festhalten an R1 über gute Gründe verfügt, so müsste sie ihren exklusivistischen Standpunkt bereits verlassen haben. Besonders in den monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam) waren und sind bekanntlich prononçiert exklusivistische Einstellungen gegenüber den je eigenen Glaubensinhalten und religiösen Vollzügen weit verbreitet. Innerhalb der (protestantischen) Theologie des 20. Jahrhunderts kann beispielsweise K. Barth als typischer Exklusivist gelten: Barth zufolge sind durch die Offenbarung Gottes in Jesus Christus sämtliche anderen Religionen obsolet geworden; sie haben sich als bloßes Menschenwerk herausgestellt, während sich im Christentum das einzige göttlich autorisierte Wahrheitsgeschehen der Menschheit manifestiert hat. 57 Siehe dazu J. Schellenberg: »Religious Experience and Religious Diversity: A Reply to Alston«. In: Quinn/Meeker 2000, S. 208–217. 56 Demgemäß bestreitet etwa A. Plantinga, dass ein gläubiger Exklusivist die epistemische Gleichwertigkeit Andersgläubiger per se voraussetzen müsse, da er sich beispielsweise durch eine besondere Konversions- oder Offenbarungserfahrung als epistemisch privilegiert betrachten dürfe; siehe A. Plantinga: »Ad Hick«. In: Faith and Philosophy, 14 (1997), S. 295–298. Autoren wie Basinger oder Hasker haben demgegenüber angemerkt, dass religiöse Exklusivisten auch dann nicht zu einer Aufgabe ihres Standpunkts verpflichtet sind, wenn sie Andersgläubige als epistemisch gleichrangig betrachten, ihre eigene Position jedoch nicht als die überlegene demonstrieren können. Siehe dazu Kraft/Basinger 2008. 57 Vgl. K. Barth: Die christliche Dogmatik im Entwurf. Erster Band: Die Lehre vom Worte Gottes. Prolegomena zur christlichen Dogmatik (1927). Zürich 1982. Siehe etwa ebd., S. 417: »Diese göttliche Möglichkeit, nicht die Wirklichkeit der Religion als solche ist die subjektive Möglichkeit der Offenbarung, aber um dieser göttlichen Möglichkeit willen ist die Religion nicht nur das letzte Phänomen der Überheblichkeit und des Elends der Menschen, sondern auch der Hinweis auf die Gnade, die gerade dem ganz großen Sünder verheißen ist, auf den heiligen Geist, der gerade auf alles Fleisch ausgegossen werden soll […].« Barth betrachtet es offenbar als das Hauptproblem einer von der Theologie unterschiedenen Religionswissenschaft oder Religionsphilosophie, dass im Religionsbegriff der Schwerpunkt auf die vom Menschen ausgehende Ehrfurcht gegenüber einem ganz Anderen, Unbekannten gelegt wird, während es bei der einzig wahren Offenbarung doch um eine von Gott an den Menschen ergehende Botschaft geht, die gläubig angenommen werden muss. Dieser Standpunkt ist aus theologischer Sicht nachvollziehbar, sofern man aus der Binnenperspektive der christlichen religiösen Erfahrung heraus argumentiert. Die religions55

59 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Aufriss des Problemhorizonts

Vergleicht man die exklusivistische Position Barths mit den Überlegungen seines niederländischen Zeitgenossen H. Kraemer, der frühzeitig Erkenntnisse der Religionssoziologie und der komparativen Religionswissenschaft in seine Forschungen einbezogen hat, 58 so wird die Differenz zwischen einer ausschließlich aus dem Glauben heraus argumentierenden, letztlich apologetischen Theologie und einer – zumindest methodisch – um komparatistische ›Neutralität‹ bemühten religionsphilosophischen Perspektive sichtbar. Ähnlich wie später Hick kommt Kraemer aufgrund einer phänomenologischen Betrachtung unterschiedlicher Religionen zu der Überzeugung, dass die Annahme eines Kulturen übergreifenden religiösen Bewusstseins der Menschheit notwendig sei. Als exklusivistisch ist freilich auch der Standpunkt Kraemers insofern einzuordnen, als er die Gehalte nicht-christlicher Religionen trotz einer prinzipiell holistischen Annäherung letztlich doch stets am Wahrheitsanspruch der christlichen Offenbarung misst. 59 Der Inklusivismus als die dritte Grundposition innerhalb der Trias argumentativer Umgangsweisen mit religiösen Geltungsansprüchen ist zwar wie der Exklusivismus davon überzeugt, dass letztlich nur eine einzige der vielen faktisch existierenden Religionen wahr sein kann; anderen, ›falschen‹ Religionen wird jedoch insofern philosophische ›Meta‹-Perspektive muss jedoch von der Erkenntnis ausgehen, dass verschiedene Religionen sehr unterschiedliche Aussagen über das Weltganze, das Göttliche, das richtige Leben etc. treffen. Die Vorstellung eines sich offenbarenden Gottes lässt sich insofern als Teilaspekt eines spezifischen Religionstypus begreifen, dessen Universalisierung gerade nicht in die absolute Wahrheit, sondern nur in den religiösen Exklusivismus mündet. An anderer Stelle scheint Barth diesen jedoch im Hinblick auf das Christentum zurückzuweisen, wenn er sagt (ebd., S. 337): »Zur Behauptung der Absolutheit des Christentums besteht kein Anlaß. Absolut ist die Offenbarung.« Doch bereits der Begriff der Offenbarung, den Barth zu Grunde legt, ist nur innerhalb der jüdisch-christlichen Tradition verständlich; und nur an seinem Maßstab sollen sich andere Religionen messen lassen: »Wenn und sofern es wirklich auch noch andere Zeugnisse von Gottes Offenbarung geben sollte […], dann müßte es sich, wenn wir den erkannten Begriff von Gottes Offenbarung nun festhalten wollen, wie im Alten und Neuen Testament um Verweise auf diesen, den so sich offenbarenden Gott handeln.« (Ebd., S. 338.) 58 Siehe H. Kraemer: The Christian Message in a Non-Christian World. Grand Rapids, Mich. 1938, sowie die im Hinblick auf die Zielsetzungen einer interkulturellen Religionsphilosophie bereits sehr weitsichtigen Vorlesungen World Cultures World Religions: The Coming Dialogue. London 1960. 59 Vgl. dazu J. F. Harris: Analytic Philosophy of Religion. Dordrecht/Boston/London 2002, Kap. »IX. The Problem of Religious Pluralism«, S. 377.

60 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Das Problem des religiösen Pluralismus

ein Wahrheitsmoment zugesprochen, als sie teleologisch auf die einzig wahre Religion bezogen werden. 60 Die besondere Heilskraft einer bestimmten Religion ist somit zwar ontologisch, nicht jedoch epistemologisch notwendig für das Erreichen des individuellen Heilsziels. 61 Als paradigmatisch kann in diesem Zusammenhang K. Rahners Rede von den ›anonymen Christen‹ 62 herangezogen werden. Ähnlich wie beim Hick’schen Pluralismus liegt auch bei Rahner der Ausgangspunkt in der festgestellten Diskrepanz zwischen der »Notwendigkeit des christlichen Glaubens« und dem »allgemeinen Heilswillen der göttlichen Liebe und Allmacht« 63, der doch nicht zulassen kann, dass all diejenigen Menschenmassen, die keinem ausdrücklichen christlichen Bekenntnis anhängen, der ewigen Verdammnis anheim fallen. 64 Zwar verbürgt für Rahner nicht schon die Tatsache des bloßen Menschseins die Wirksamkeit der göttlichen Gnade; aber weil Menschen die Möglichkeit haben, in der »Unendlichkeit unserer

Seit dem II. Vatikanischen Konzil hat sich die katholische Kirche eine inklusivistische Lesart der Beziehung des Christentums zu anderen Religionen zu eigen gemacht. Innerhalb der am 21. 11. 1964 verabschiedeten Dogmatischen Konstitution Lumen Gentium kommt diese Auffassung insbesondere im 16. Artikel zum Ausdruck: »Diejenigen endlich, die das Evangelium noch nicht empfangen haben, sind auf das Gottesvolk auf verschiedene Weise hingeordnet […]. In erster Linie jenes Volk, dem der Bund und die Verheißungen gegeben worden sind und aus dem Christus dem Fleische nach geboren ist (vgl. Röm 9,4–5), dieses seiner Erwählung nach um der Väter willen so teure Volk: die Gaben und Berufung Gottes nämlich sind ohne Reue (vgl. Röm 11,28–29). Der Heilswille umfaßt aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird. Aber auch den anderen, die in Schatten und Bildern den unbekannten Gott suchen, auch solchen ist Gott nicht ferne, da er allen Leben und Atem und alles gibt (vgl. Apg 17,25–28) und als Erlöser will, daß alle Menschen gerettet werden (vgl. 1 Tim 2,4).« (In: Das Zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare. Unter dem Protektorat v. J. Kardinal Frings u. Erzbf. H. Schäufele hrsg. v. H. S. Brechter, B. Häring, J. Höfer, H. Jedin, J. A. Jungmann, K. Mörsdorf, K. Rahner, J. Ratzinger, K. Schmidthüs u. J. Wagner. Teil I. Freiburg i. Br. 1966, S. 156–347, hier S. 204– 207.) 61 Vgl. Peterson/Hasker/Reichenbach/Basinger 2003, S. 280. 62 K. Rahner: »Die anonymen Christen«. In: Ders.: Schriften zur Theologie. Bd. VI: Neuere Schriften. Zürich/Köln 1965, S. 545–554. – Siehe dazu auch J. Ratzinger/Benedikt XVI.: Glaube – Wahrheit – Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen. Freiburg/Basel/Wien 2003, S. 42 f. 63 Rahner 1965, S. 546. 64 Ebd. – Rahner zitiert in diesem Zusammenhang 1 Tim 2,4: »Gott will, daß alle Menschen selig werden.« 60

61 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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Transzendenz« 65 die Gnade der Offenbarung zu erfahren, können sie auch ohne die ausdrückliche Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche in der Nähe Gottes leben. 66 Als eine Variante der pluralistischen Position kann schließlich der z. B. von J. Runzo vertretene ›religiöse Relativismus‹ 67 aufgefasst werden, demzufolge religiöse Wahrheiten stets relativ auf kulturelle Weltsichten und menschliche Verständnisschemata sind, innerhalb deren sie überhaupt nur auftreten können. Vom religiösen Pluralismus unterscheidet sich der Relativismus insofern, als dieser die divergierenden Wahrheitsansprüche der Religionen grundsätzlich als gleichberechtigt und gleichwertig anerkennt – und nicht, wie der Pluralismus Hicks, in einem per se unzugänglichen, absoluten ›Realen‹ auflöst. Appliziert man die in Kap. I.2.1. eingeführte Differenzierung in vier interreligiöse Begegnungsformen auf die genannten Positionen, so zeigt sich, dass der Exklusivismus, sofern er auf der ausschließlichen Wahrheit der je eigenen Position beharrt, die Begegnungsform des Konflikts divergierender Religionsformationen nahe legt; dass der Inklusivismus, indem er alterierende Positionen in die eigene einbezieht und sich zugleich mit ihnen verbindet, zum Synkretismus neigt; dass dem religiösen Relativismus eine zwar von Toleranz getragene, aber letztlich beziehungslose Koexistenz der Religionen korrespondiert; und dass der Pluralismus, indem er fordert, dass die Angehörigen verschiedener Religionen sich den gemeinsamen Bezug auf die ultimative göttliche Realität wechselseitig unterstellen sollen, die Begegnungsform des produktiven Austauschs zwischen den Religionen befördern kann. Über die argumentative Qualität des einen geEbd., S. 549. Ebd. – Rahner beschreibt hier den Zustand der Annahme der Offenbarung in Worten, die interessante Parallelen zur kantischen Vernunftreligion (im Unterschied zum statutarischen Kirchenglauben) nahe legen: »Vor der Ausdrücklichkeit des amtlichen kirchlichen Glaubens kann diese Annahme schon in jener Unausdrücklichkeit erfolgen, da einer in der schweigenden Redlichkeit der Geduld die Pflicht seines Alltags übernimmt und lebt, im Dienst an seiner sachlichen Aufgabe und an den Forderungen, die die ihm anvertrauten Menschen an ihn stellen.« – Gegen die Möglichkeit eines ›Heilsersatzes‹ »durch eine rein natürliche Sittlichkeit« (ebd., S. 554) hat sich Rahner freilich ebenso klar ausgesprochen. 67 Siehe J. Runzo: Reason, Relativism and God. New York 1986; Runzo 1988. Mit der Abhandlung Global Philosophy of Religion, op. cit., hat Runzo überdies ein wegweisendes Beispiel für philosophische Religionsvergleiche in interkultureller Orientierung vorgelegt. 65 66

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Das Problem des religiösen Pluralismus

genüber dem anderen Ansatz ist damit freilich noch kein Urteil gesprochen. Abb. 2: Systematik religiöser Wahrheitsansprüche R (= Religion) 1

R2, R3 …

Theorie

w

f

Exklusivismus

w

w im Hinblick auf R1 oder f Inklusivismus

w

w

Relativismus

w oder w oder partiell w / partiell f partiell w / partiell f

(mutaler Inklusivismus) Pluralismus

f

Atheistischer Naturalismus

f

In zweifacher Hinsicht hat Hick seine pluralistische Position mit argumentativen Bausteinen aus der Philosophie Kants untermauert. Zum einen erinnert die ›Goldene Regel‹ des religiösen Pluralismus, die Angehörigen anderer Religionen in ihrer religiösen Identität nicht anders zu behandeln, als man selber im Hinblick auf die eigene religiöse Identität von ihnen behandelt werden möchte, an den kategorischen Imperativ Kants. Gleichwohl besteht ein entscheidender Unterschied zwischen beiden normativen Postulaten darin, dass das Universalisierungsgebot des kategorischen Imperativs gleichsam die Überlegenheit der a priorischen Sphäre gegenüber aller Empirie und damit die Bedingung der Möglichkeit subjektiver Autonomie anzeigt, während Hicks religionspluralistisches Toleranzgebot gerade auf jenen empirischen Beschränkungen basiert, denen die verschiedenen religiösen Traditionen aufgrund ihrer je kulturell-relativen Bezugnahme auf das Göttlich-Reale faktisch unterliegen. Bei der Differenzbildung zwischen dem einen göttlichen ›Realen‹ und den empirisch stets nur im Plural auftretenden religiösen Traditionen, die kulturell variieren, hat ferner, wie Hick selbst ausdrücklich einräumt, Kants Unterscheidung zwischen noumenon und phaenomenon Pate gestanden. 68 Hick hat diese für die Transzendentalphilosophie überaus bedeutsame Trennung der Sphären des a priorischen und des Empirischen ihres ursprünglichen theoretischen Begründungskontextes entkleidet und auf das Feld der ReligionsphiSiehe dazu etwa Hick 2004, S. 240 ff.; ders.: »Religious pluralism and the pluralistic hypothesis«. In: Meister 2008, S. 9–25, hier S. 14 ff.

68

63 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Aufriss des Problemhorizonts

losophie übertragen. Während die Differenz zwischen ›a priori‹ und ›empirisch‹ innerhalb der theoretischen Philosophie Kants eine unverzichtbare Funktion bei der Analyse der spezifischen Leistungseigenarten des subjektiven Erkenntnisapparates (in der praktischen Philosophie darüber hinaus bei der Unterscheidung zwischen autonomen und heteronomen Willensbestimmungen) einnimmt, dient sie bei Hick dazu, das phänomenale ›Wirkliche‹, so wie es in verschiedenen religiösen Kulturen ausgelegt wird, vom noumenalen ›Wirklichen-an-sich‹, das allen kulturellen Zuschreibungen bestimmter Religionen vorausliegt, zu trennen. Hick kann sich dabei auf reiches empirisches Material aus der Religionsgeschichte stützen; u. a. werden Beispiele aus dem Hinduismus, dem Mahāyāna-Buddhismus, dem Buddhismus des Reinen Landes, dem Taoismus, dem Judentum, dem Islam, der christlichen Mystik sowie dem katholischen Christentum herangezogen, die belegen sollen, dass sich auch innerhalb der Religionen selbst vielfach ein Bewusstsein von der Nichtidentität des Göttlichen, wie es an-sich existiert, und dem Göttlichen, wie es den Menschen hienieden begegnet, ausgesprochen hat. 69 Die theologisch und religionsphilosophisch brisante Konsequenz, die Hick aus der Unterscheidung zwischen noumenalem ›Göttlich-Realem an sich‹ und phänomenalem ›Göttlich-Realem für uns‹ zieht, besteht in einer Nivellierung der spezifischen Wahrheitsansprüche singulärer Religionen zu Gunsten ihrer gemeinsamen Bezogenheit auf einen prinzipiell entzogenen Ur-Grund (eben ›das Reale‹). Weil sämtliche Weltreligionen in ihrer stets eingeschränkten Perspektivität auf das unerkennbare Absolute gleichwohl dieselbe soteriologische Funktion erfüllen: nämlich individuell nachvollziehbare religiöse Erfahrungen in einem kulturellen Kontext bereit zu stellen und so auf das Göttliche hinzuleiten, sind sie im Kern gleichwertig und können hinsichtlich kognitiver Geltungsansprüche auch dann nicht weiter evaluiert werden, wenn sich ihre Gehalte auf einer propositionalen Ebene offensichtlich widersprechen. Für Hick wiegt die Begründungslast, die sich der religiöse Pluralismus mit der Nivellierung religiöser Wahrheitsansprüche einhandelt, offensichtlich weniger schwer als das logische Dilemma, in das sich Exklusivismus und Inklusivismus zu verstricken scheinen. Sollte es nämlich wahr sein, dass außerhalb der katholischen Kirche oder der islamischen Gemeinschaft (um nur zwei besonders exponierte Beispiele exklusivistischer 69

Vgl. ebd., S. 11 ff.

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Das Problem des religiösen Pluralismus

Positionen anzuführen) kein endgültiges Heil zu finden sei (extra ecclesiam nulla salus bzw. sine ecclesia nulla salus), 70 dann müsste ein sehr großer, ja sogar der größte Teil der Menschheit zwangsläufig vom endgültigen Heil ausgeschlossen sein – und zwar nicht nur diejenigen Menschen, die sich aufgrund anderer religiöser oder areligiöser Überzeugungen mit vollem Bewusstsein dem Glauben der katholischen oder der islamischen Gemeinschaft nicht anschließen mögen, sondern auch all jene Menschenmassen aus vergangenen Epochen und nicht-theistischen Kulturen, denen eine bewusste Kenntnisnahme des katholischen oder des islamischen Glaubens überhaupt nicht möglich war. Weil der Ausschluss des größten Teils der Menschheit von den Segnungen des Katholizismus oder des Islams aber mit der Idee eines allmächtigen und zugleich barmherzigen Schöpfergottes, der in diesen Religionen proklamiert wird, logisch nicht zu vereinbaren ist, müsste in diesen Religionen entweder auf die Idee eines allmächtigen und barmherzigen Schöpfergottes verzichtet oder aber die Vorstellung eines exklusiven Zugangs zur ›Erlösung‹ über die genannten religiösen Formationen aufgegeben werden. Im ersten Fall einer Aufgabe zentraler göttlicher Attribute würden sich Katholizismus und Islam einen Großteil ihrer eigenen doktrinalen Grundlagen entziehen (abgesehen davon, dass es natürlich aus religiöser Binnenperspektive unmöglich ist, Gott einfach bestimmte Attribute zu- oder abzusprechen), im zweiten Fall könnte zumindest die – gegenüber der dogmatischen Selbstbehauptung einzelner geschichtlicher Religionen wichtigere – Idee eines allmächtigen und allgütigen Gottes aufrecht erhalten werden. Ein zentrales Problem der starken Selbstrelativierung religiöser Positionen, wie sie der Pluralismus Hicks einfordert, 71 ist jedoch, dass ihr motivierender Grund, nämlich der universelle Heilswille eines barmherzigen Schöpfergottes, auch solchen Religionen wie dem TheSiehe zu dem Versuch von katholischer Seite, die Einzigartigkeit des kirchlichen Heilswegs mit den nicht-christlichen religiösen Traditionen über den Gnadenbegriff in Übereinstimmung zu bringen: Congrégation pour la doctrine de la foi (Hrsg.): Seigneur Jésus. Déclaration Dominus Iesus sur l’unicité et l’universalité salvifique de Jesus Christ et de l’église. Paris 2000. – Verwiesen sei ferner auf die Diskussion der theologischen Positionen von J. Dupuis, G. D’Costa und B. Lonergan bei C. Jacobs-Vandegeer: »The Unity of Salvation: Divine Missions, the Church, and World Religions«. In: Theological Studies, 75 (2014), S. 260–283. 71 Einen Überblick über die einschlägigen Einwände gegen den Hick’schen Pluralismus bietet R. McKim: On Religious Diversity. Oxford/New York 2012, S. 110 ff. 70

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ravāda-Buddhismus unterstellt wird, die gar nicht von der Idee eines derartigen Schöpfergottes ausgehen. Der Hick’sche Pluralismus gerät so unter der Hand zu einem verkappten Inklusivismus, den er doch gerade überwinden will: 72 Der Maßstab der letzten Wirklichkeit, an dem alle historischen Religionen ihre Selbstrelativierung vollziehen sollen, ist seinerseits aus den Traditionssträngen theistischer Religiosität extrahiert und taugt somit nicht als Bezugsgröße religiöser Vielfalt im Weltmaßstab. Es handelt sich – anders, als es der religiöse Pluralismus suggerieren möchte – eben nicht um eine mit sich identische und unveränderliche ›letzte Realität‹, die in den Religionen nur in verschiedenen Perspektiven ausgelegt wird, wie es in der von Hick herangezogenen buddhistischen Parabel von den Blinden und dem Elefanten zum Ausdruck kommt, in der die Blinden jeweils nur einen bestimmten Aspekt des einer totalisierten Ansicht entzogenen Ganzen erfasssen können. Vielmehr ist in interkultureller Betrachtung von durch Religionen erzeugten divergenten Weltsichten auszugehen, deren Überlappungen, Konvergenzen, Komplementaritäten und Kompatibilitäten ebenso vielschichtig sind wie ihre unaufhebbaren Differenzen, Gegensätze und Inkompatibilitäten. Sie in einem noumenal-ominösen ›Realen‹ auflösen zu wollen, mag zwar das soteriologische Dilemma des monotheistischen Exklusivismus entschärfen, dies allerdings um den allzu hohen Preis, dass man dieses Dilemma auch religiösen Traditionen (wie dem Buddhismus) unterstellt, in denen es gar nicht erst aufkommt. Überdies widerspricht der Gedanke, dass in den einzelnen Religionen je nur Teilaspekte des Göttlichen erfasst werden können, Hicks eigener These, dass das Reale-an-sich vollkommen unerfassbar sei, denn dies müsste ja zwangsläufig bedeuten, dass kein einziger Aspekt des Göttlichen in irgendeiner Religion begriffen werde. 73 Weitere triftige Argumente gegen den religiösen Pluralismus hat K. Yandell von einer exklusivistischen Position aus geliefert, die von der prinzipiellen Möglichkeit ausgeht, dass nur eine einzige Religion wahr sein könne. Für Yandell ist eine Religion – vergleichbar einer medizinischen Behandlung – genau dann ›wahr‹, wenn ihre Diagnose korrekt und ihre Therapie wirksam ist. 74 Beide Komponenten Diesen Einwand hat auch S. M. Heim vorgebracht; siehe ders.: Salvations: Truth and Difference in Religion. Maryknoll (N.Y.) 1995. 73 Vgl. dazu McKim 2012, S. 117 ff. 74 K. E. Yandell: »How to Sink in Cognitive Quicksand: Nuancing Religious Plural72

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Das Problem des religiösen Pluralismus

setzen eine Beschreibung bzw. Interpretation von Seiendem voraus, die wahr oder falsch sein kann. Die Unmöglichkeit einer ›einzig wahren Religion‹ wäre nur dann bewiesen, wenn sämtliche Religionen nachweislich ein falsches Element beinhalteten. Yandell zufolge verstrickt sich der religiöse Pluralismus in einen Widerspruch, wenn er einerseits behauptet, dass keine Religion wahrer als die andere sein könne, andererseits aber eine nicht-relativistische Auffassung von einer (unerkennbaren) absoluten göttlichen Wirklichkeit und einer dieser entsprechenden ›richtigen‹ Lebensweise des spirituell engagierten Individuums vertritt. Dies bedeutet, anders formuliert, dass sich der Pluralismus als eine konsequent gedachte Auffassung überhaupt nicht widerspruchsfrei vertreten lässt, da er mit der These vom Göttlich-Realen die eigene relativistische Position im Hinblick auf religiöse Pluralität negiert. Würde er die These vom Göttlich-Realen fallen lassen, gäbe es keinen Unterschied mehr zu einem radikalen Relativismus, der Religionen zu bloßen Kulturerscheinungen herabsetzt; hält er dagegen die These vom Göttlich-Realen aufrecht, so gerät er, wie bereits oben gezeigt wurde, in die Nähe eines abstrakten (Meta-) Inklusivismus. Eine ähnliche Argumentationsstrategie verfolgt der Theologe P. Eddy, der das Dilemma des religiösen Pluralismus folgendermaßen beschreibt: Entweder lässt sich über die transzendente Realität überhaupt nichts aussagen, sodass sämtliche Religionen ausschließlich kulturgebundene Perspektiven, jedoch keine auf das Absolute bezogene Wahrheit beinhalten – diese Position ist im Grunde nicht von einem Agnostizismus oder gar einem Atheismus zu unterscheiden –, oder aber man geht davon aus, dass die transzendente Realität die kulturellen Erscheinungsformen der Religion kausal bedingt habe, sodass jede Religion ihren Wahrheitsgehalt aus dieser Teilhabe am Absoluten beziehe. Dies bedeutet aber, gehaltvolle Annahmen über das Absolute zu machen, die über seine rein formale Bestimmung hinausgehen. 75 Von theologischer Seite ist gegen den religiösen Pluralismus überdies angeführt worden, dass eine Anwendung der pluralistischen These auf das Christentum die Doktrin der Gottessohnschaft Jesu ism«. In: Contemporary Debates in Philosophy of Religion. Hrsg. v. M. L. Peterson u. R. J. VanArragon. Malden, USA/Oxford, UK 2004, S. 191–201. 75 P. R. Eddy: »Religious Pluralism and the Divine: Another Look at John Hick’s NeoKantian Proposal«. In: The Philosophical Challenge of Religious Diversity. Hrsg. v. P. L. Quinn u. K. Meeker. New York/Oxford 2000, S. 126–138.

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Aufriss des Problemhorizonts

Christi und damit den in ihrem Selbstverständnis einzigartigen Charakter der christlichen Heilsbotschaft notwendig unterhöhlen müsse. Das Trinitätsdogma, zentrales Alleinstellungsmerkmal der christlichen Glaubenslehre und ihrem doktrinalen Kernbestand zugehörig, verlöre in der religionspluralistischen Einstellung jegliche epistemische Relevanz für die theologische Auslegung des göttlichen Wesens. 76 Dieser christologische Einwand lässt sich dahingehend erweitern, dass – worauf auch Yandell hinweist – durch den religiösen Pluralismus letztlich sämtliche Religionen in ihrem je eigenen Selbstverständnis entwertet werden; denn schließlich handelt es sich aus pluralistsicher Sicht bei allen religiösen Auslegungen Gottes, der Welt und des Menschen nur um perspektivische Projektionen, die ein unerreichbares Absolutes umkreisen, von dem wir nur wissen können, dass wir über es nichts wissen können. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass sich der/die Anhänger/in einer spezifischen Religion die pluralistische Einstellung faktisch nicht zu eigen machen kann, ohne vom eigenen Glauben abzufallen, obwohl Hick mit seiner These gerade die kulturelle Variabilität des Religiösen wert schätzen und aufrecht erhalten will. Aber die Art des geforderten Mentalitätswandels, die der religiöse Pluralismus erheischt, setzt eine Abstraktion von der je eigenen religiösen Tradition voraus, die offensichtlich unvereinbar ist mit dessen bleibender Verwurzelung in ihr. 77 Dem Anhänger einer spezifischen Religion A(Rx) stehen prinzipiell drei Möglichkeiten offen, auf die pluralistische Herausforderung zu reagieren: 1) A(Rx) hält an der Einzigartigkeit des Wahrheitsanspruchs seiner eigenen Religion fest und wendet demnach die pluralistische Relativierung nicht auf seinen eigenen Glauben an. 2) A(Rx) macht sich den pluralistischen Standpunkt zu eigen, relativiert damit den Wahrheitsanspruch seiner eigenen religiösen Tradition und kann somit unter Umständen – je nach der dokSiehe dazu G. D’Costa: Theology and Religious Pluralism. Oxford 1986; ders. (Hrsg.): Christian Uniqueness Reconsidered. Maryknoll, N.Y. 1990; M. Green (Hrsg.): The Truth of God Incarnate. Grand Rapids, Mich. 1977; Harris 2002, S. 383 ff.; J. Hick (Hrsg.): The Myth of God Incarnate. Philadelphia 1977; ders./ P. Knitter (Hsrg.): The Myth of Christian Uniqueness. Maryknoll, N.Y. 1987; P. Knitter: No Other Name? Maryknoll, N.Y. 1985. 77 Vgl. dazu auch Peterson/Hasker/Reichenbach/Basinger 2003, S. 278: »In short, it seems that a pluralist view such as Hick’s is accepted, not only at the extremly high price of skepticism, but in disregard of what believers think they are doing.« 76

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Das Problem des religiösen Pluralismus

trinalen Verfasstheit seiner religiösen Tradition – nicht länger als Anhänger von Rx gelten. 3) A(Rx) nimmt eine interne Spaltung zwischen religiösem Vollzug, der sich innerhalb der vorgebenenen Grenzen einer bestimmten kulturellen Tradition bewegt, und einer philosophisch-pluralistischen Metaperspektive vor, welche die eigene religiöse Praxis auf einer kognitiven Ebene relativiert. Aus der Perspektive des religiösen Pluralisten begibt sich A(Rx) mit Position (1) eindeutig ins Fahrwasser des Exklusivismus, der andere Religionen Ry, Rz usw. als falsch betrachten muss. Position (2), die der Auffassung des Pluralismus entspricht, enthält demgegenüber die Schwierigkeit, die Authentizität sowie den Wahrheitsanspruch der je eigenen religiösen Tradition zu zerstören. Und Position (3) muss insofern zu einer inkonsistenten Lebensführung des Subjekts führen, als die religiöse Praxis von der kognitiven Infragestellung ihres eigenen Rechtfertigungsgrundes kaum unberührt bleiben dürfte: Entweder müsste die religiöse Praxis die kognitive Beurteilungsebene im konkreten Vollzug permanent ignorieren, wodurch sie jedoch leer und zwecklos würde, da ihr ein motivierender Bestimmungsgrund fehlte; oder aber sie müsste die absolute Sinnhaftigkeit ihres Tuns zugleich bejahen und in der pluralistischen Metaperspektive verneinen, was einen offensichtlichen Widerspruch darstellt. Offenbar, so zeigt sich, ist der religiöse Pluralismus letztlich nicht dazu geeignet, der kognitiven Herausforderung, die in der Koexistenz divergierender religiöser Wahrheitsansprüche liegt, angemessen zu begegnen. 78 Es bleibt das Desiderat, eine religionsphilosophische Konzeption zu entwickeln, die weder den Dogmatismen Zu dieser Schlussfolgerung gelangt auch Renusch 2014, S. 28: »Die pluralistische Theorie der Religionen übt auf viele Menschen große Anziehungskraft aus, erlaubt sie doch scheinbar, alle Religionen als gleichermaßen gültig zu betrachten. Bedauerlicherweise erweist sich die Theorie selbst als unhaltbar. Es lässt sich nicht gleichzeitig behaupten, dass in allen Religionen gleichermaßen gültige Erfahrungen einer ultimativen Wirklichkeit gemacht werden können einerseits, und dass diese Wirklichkeit komplett unfassbar ist andererseits.« Zur näheren Diskussion des Hick’schen Pluralismus siehe ebd., S. 130–164. Renusch bearbeitet in ihrer Auseinandersetzung mit dem religiösen Pluralismus zwar eine der vorliegenden Untersuchung sehr nahe stehende Problemstellung, zieht allerdings zur Analyse und Interpretation nahezu ausschließlich analytische religionsphilosophische Positionen aus dem angelsächsischen Kulturraum heran. Weder Hegel noch Schelling, weder Habermas noch Derrida werden als relevante Bezugspositionen überhaupt nur in Erwägung gezogen. Demgegenüber möchte die vorliegende Arbeit gerade die noch unausgeschöpften Potentiale der

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Aufriss des Problemhorizonts

exklusivistischer und inklusivistischer Positionen noch dem inhärenten Widerstreit der pluralistischen Einstellung gegenüber der Vielfalt des Religiösen erliegt. Die vorliegende Untersuchung soll den Nachweis erbringen, dass eine derartige Konzeption am überzeugendsten im Anschluss an kantische und nachkantische Überlegungen im Kontext einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie entwickelt werden kann.

kantischen und nachkantischen Ansätze für eine angemessene Auseinandersetzung mit der Problematik interreligiöser und religiös-säkularer Dissense demonstrieren.

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II. Konturen interkultureller Religionsphilosophie

Bevor im Einzelnen erläutert werden kann, welche programmatischen Intentionen eine interkulturell orientierte Religionsphilosophie leiten, müssen wir vorab präziser eingrenzen, was wir im Allgemeinen unter »Interkultureller Philosophie« verstehen (II.1.). Denn für die Anwendung des interkulturellen Paradigmas auf religiöse Systeme und Argumentationen wird es von entscheidender Bedeutung sein, ob wir mit dem Terminus »Interkulturelle Philosophie« eine eigenständige Disziplin, eine spezifische Methode oder aber eine besondere Perspektive des Philosophierens, die in verschiedenen Disziplinen im Modus unterschiedlicher Methoden wirksam werden kann, bezeichnen. Ferner bedarf der Kulturbegriff, der für interkulturelles Philosophieren maßgeblich ist, einer präzisierenden Erläuterung. Auf dieser Basis können sodann die Prämissen einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie skizziert werden, indem zum einen der hierbei zu Grunde liegende Religionsbegriff erörtert und zum anderen auf wichtige Vorarbeiten hingewiesen wird, aus denen sich Anregungen bzw. direkte Anknüpfungsmöglichkeiten für die Thematisierung der doppelten Problematik religiöser Diversität sowie der Relationen zwischen Glauben und Vernunft gewinnen lassen (II.2.). Die in Kap. I.3. vorgelegte Auseinandersetzung mit dem religiösen Pluralismus J. Hicks soll sodann als Kontrastfolie dienen, um die Potentiale einer interkulturell ausgerichteten Religionsphilosophie für einen adäquaten Umgang mit religiöser Pluralität auszuloten (II.3.). Das methodische Instrumentarium, dessen sich eine interkulturell arbeitende Religionsphilosophie bedienen kann, entstammt zu einem großen Teil dem Repertoire der modernen und zeitgenössischen Religionsphilosophie, das allerdings nunmehr auf interkulturelle Kontexte übertragen und damit partiell transformiert werden muss. Die jeweilige Tragfähigkeit hermeneutischer, phänomenologischer oder analytischer Ansätze ist daher je nach Untersuchungsziel 71 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Konturen interkultureller Religionsphilosophie

und -objekt genau zu überprüfen. In diesem Zusammenhang ist es ferner von großer Wichtigkeit, eine genuin religionsphilosophische Methodik von religionswissenschaften, theologischen und religionssoziologischen Zugängen abzugrenzen (II.4.)

1.

Interkulturelle Philosophie als Grundlagenreflexion interkultureller Begegnungen und als Polylog der Weltphilosophien

1.1

Interkulturelle Philosophie – philosophische Disziplin, Methode oder Perspektive?

Handelt es sich bei »Interkultureller Philosophie« um eine eigenständige philosophische Disziplin? – Wollte man diese Frage bejahen, so müsste interkulturelles Philosophieren einen inhaltlich angebbaren Wirklichkeitsbereich bzw. Wirklichkeitszugang abdecken, der in ihr exklusiv thematisch wird 79 – so wie etwa die Disziplin »Erkenntnistheorie« die Bedingungen theoretischen Erkennens und Wissens behandelt und die »Ethik« die normativen Grundlagen des Handelns. Ein solches inhaltlich bestimmtes Feld lässt sich für die Interkulturelle Philosophie jedoch nicht überzeugend abstecken. Ethiken oder Ontologien außereuropäischer Kulturen beispielsweise, deren Untersuchung zweifellos ein wichtiges Anliegen interkulturellen Philosophierens darstellt, sollten als originäre ethische und ontologische Positionen in den entsprechenden Fachdisziplinen Ethik und Ontologie erörtert werden und nicht etwa in einem separaten ›Sonderforschungsbereich‹ der »Interkulturellen Philosophie«. In seiner 2008 erschienenen Einführung in die Interkulturelle Philosophie vertritt G. Paul die Auffassung, dass Interkulturelle Philosophie eine eigene Disziplin darstelle, indem er hervorhebt, dass Interkulturelle Philosophie »Notwendiges leistet«, was »keine andere und dabei auch keine andere philosophische Disziplin zu leisten vermag.« (Paul 2008, S. 13). Im Gegensatz dazu plädiert H. Kimmerle in seinem Buch Interkulturelle Philosophie zur Einführung (Hamburg 2002, S. 10) dafür, Interkulturelle Philosophie gerade nicht als eine neue Disziplin neben den bereits bestehenden zu verstehen: Interkulturelles Philosophieren solle vielmehr »alle philosophischen Disziplinen und Beschäftigungen durchdringen; diese sollten jeweils die Dimension des Interkulturellen in sich aufnehmen.« G. Stenger spricht in einem ähnlichen Zusammenhang von einem »intercultural turn«; siehe G. Stenger: Philosophie der Interkulturalität. Erfahrung und Welten. Eine phänomenologische Studie. Freiburg/ München 2006, S. 42 ff.

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Interkulturelle Philosophie als Grundlagenreflexion interkultureller Begegnungen

Naheliegend wäre es freilich, als thematische Gegenstände einer eigenständigen Disziplin »Interkulturelle Philosophie« die Kulturen selber und ihre Begegnungsweisen, bzw. – als übergeordnete Kategorie dessen, was sich faktisch nur im Plural entfaltet – die Kultur als eine Art a priorische Kategorie auszuweisen, von der alle denkbaren Zugänge zur Wirklichkeit immer schon geprägt sind. 80 Kultur als Untersuchungsobjekt einer philosophischen Disziplin wird jedoch bereits von der Kulturphilosophie in Anspruch genommen, die all diejenigen Phänomene des Humanen in den Blick nimmt, die aus den kooperativen Leistungen von Menschengruppen hervorgehen und sich als Institutionen des menschlichen Weltaufenthalts bewährt haben (beispielsweise Rechtssysteme, soziale Regeln, Religionen, Sitten und Gebräuche, Künste etc.). Da derartige Kulturphänomene auch von Wissenschaften wie etwa der Ethnologie untersucht werden, erfordert eine genuin philosophische Behandlung des riesigen Themenfeldes »Kultur« nähere Spezifikationen. So ließe sich mit einiger Berechtigung sagen, dass in der Kulturphilosophie kulturelle Phänomene nicht einfach als faktisch vorliegende, empirische Entitäten, sondern im Hinblick auf die zu Grunde liegenden Prinzipien, die in ihnen – oftmals unreflektiert – wirksam sind, untersucht werden. In den Ordnungssystemen des Erkennens und Handelns, die menschliche Gruppen über längere Zeiträume entwickeln, schlagen sich vorbegriffliche Erfahrungen nieder, die ihren Ausdruck in nur partiell expliziten Weltsichten finden. Zu jeder einzelnen dieser kulturell sedimentierten Weltsichten gehört es, dass die Perspektivierung anderer kultureller Weltsichten zunächst nur aus der je eigenen kulturellen Binnenperspektive erfolgen kann. Erst eine explizite Reflexion auf die Andersartigkeit der anderen Weltsicht und eine Relativierung der von Hause aus automatisch verabsolutierten eigenen Weltsicht vermag den Blick für die Differenz der Prinzipien zu öffnen, denen gemäß divergente kulturelle Weltsichten einander wahrnehmen. Und genau an dieser Stelle ergibt sich ein möglicher Einsatzpunkt für interkulturelles Philosophieren als eines internen Korrektivs kulturphilosophischer Forschung: Eine ausdrücklich interkulturell orientierte Verfahrensweise innerhalb der Kulturphilosophie kann dazu beiDementsprechend bestimmt G. Paul als die spezifischen Gegenstände interkulturellen Philosophierens »Kultur, Kulturen, Kulturalität, Interkulturalität und die einzelnen Philosophien in ihren kulturellen Kontexten und universalen Aspekten« (Paul 2008, S. 18.)

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

tragen, die gemeinsamen sowie die unterschiedlichen Prinzipien herauszuarbeiten, anhand derer Kulturen sich selbst sowie fremde Kulturen auslegen. Durch komparative Untersuchungen können komplexe Beziehungen aufgeklärt werden, die zwischen vorbegrifflichem Fundament und begrifflicher Ausformulierung innerhalb einer kulturellen Weltsicht bestehen. 81 Jedoch geht interkulturelles Philosophieren in seinem Anspruch über diese zweifellos wichtige Aufgabe hinaus; und es wäre deswegen als Unterdisziplin einer allgemeinen Kulturphilosophie nicht umfassend genug bestimmt. Wenn Interkulturelle Philosophie dem Gesagten zufolge keine eigenständige philosophische Disziplin (und auch keine Unterdisziplin der Kulturphilosophie) konstituiert, stellt sie dann möglicherweise eine eigene Methode dar? – Als philosophische Methode hätte sie sich neben sprachanalytischen, induktiven, deduktiven, hermeneutischen, dekonstruktiven, phänomenologischen und weiteren philosophischen Verfahrensweisen zu behaupten. M. E. gibt es jedoch keine genuin interkulturelle Methode in der Philosophie, und es kann sie aus Gründen, die gerade die Bedeutung interkulturellen Philosophierens unterstreichen, auch nicht geben. In der Praxis interkulturellen Philosophierens ist oftmals zwar eine deutlich akzentuierte Inanspruchnahme philologischer Methoden zu beobachten, die sich notwendigerweise aus der im interkulturellen Horizont eröffneten Sprachenvielfalt ergibt. Aber diese Methoden sind letztlich aus philologischen Nachbarwissenschaften geborgt und taugen nicht zur methodischen Kennzeichnung philosophischer Interkulturalität. Sie dienen letztlich »nur« dazu, das sprachliche Material zu erschließen und zur Verfügung zu stellen, innerhalb dessen die philosophischen Argumentationen jeweils gedacht sind. 82 Mit der Problematik sprachlicher Übersetzung verwoben, aber in philosophischer Hinsicht darüber hinaus weisend, ist das generelle Problem der Erkenntnis- und Verstehensprozesse, die in der Kommunikation zwischen Kulturen – oftmals implizit und von den Kommunikationsteilnehmern unbeachtet – wirksam sind. Weil von diesem Problem letztlich alle interkulturellen Verständigungsprozesse betroffen sind, liegt es auf der Hand, dass Methoden der philosophiSiehe etwa A. J. Bahm: Comparative Philosophy. Western, Indian and Chinese Philosophies Compared. Albuquerque 21995. 82 Vgl. zu dieser Problematik auch Kap. III.2.2. des Ersten Teils der vorliegenden Untersuchung. 81

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Interkulturelle Philosophie als Grundlagenreflexion interkultureller Begegnungen

schen Hermeneutik bei der Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit interkultureller Verständigung besondere Berücksichtigung finden. In diesem Zusammenhang ist v. a. auf das Konzept einer ›analogischen Hermeneutik‹, das R. A. Mall entwickelt hat, hinzuweisen. 83 Da sich interkulturelles Verstehen primär auf Dialoge bzw. Polyloge bezieht, die zwischen Repräsentanten divergierender Kulturen geführt werden, ist ferner die im weiteren Sinne ebenfalls hermeneutische Frage nach der adäquaten Methodik interkultureller Gesprächsführung innerhalb der Philosophie von großer Bedeutung. 84 Neben der philosophischen Hermeneutik vermag ferner die Dekonstruktion wichtige methodische Impulse für die Interkulturelle Philosophie zu liefern, wenngleich dabei zu beachten ist, dass »Dekonstruktion« ihrem ›Erfinder‹ Jacques Derrida zufolge gerade nicht als eine »Methode« im Sinne eines nach Regeln anwendbaren Verfahrens verstanden werden sollte, da sie in textuellen und kommunikativen Prozessen als ein diesen inhärentes Ereignis gleichsam wie von selbst, mit unvorhersehbaren, nicht kalkulierbaren Ergebnissen, geschieht. 85 Gerade dort aber, wo Dialoge und Polyloge durch asymmetrische Kommunikationsvoraussetzungen, politisch und ökonomisch begründete Machtgefälle und latentes Dominanzverhalten 83 Siehe R. A. Mall: Essays zur interkulturellen Philosophie. Nordhausen 2003; ders.: Intercultural philosophy. New York 2000; ders.: Philosophie im Vergleich der Kulturen. Interkulturelle Philosophie – eine neue Orientierung. Darmstadt 1995; ders.: »Das Konzept einer interkulturellen Philosophie«. In: Polylog, 1 (1998), S. 5–12; H. R. Yousefi/R. A. Mall: Grundpositionen der interkulturellen Philosophie. Nordhausen 2005; R. A. Mall/D. Lohmar (Hrsg.): Philosophische Grundlagen der Interkulturalität. Amsterdam/Atlanta 1993; H. R. Yousefi (Hrsg.): »Orthafte Ortlosigkeit der Philosophie«. Eine interkulturelle Orientierung. Festschrift für Ram Adhar Mall zum 70. Geburtstag. Nordhausen 2007. 84 Zu diesem Themenkomplex haben F. M. Wimmer, der das interkulturelle ›Polylog‹-Konzept systematisch entwickelt hat, und R. Fornet-Betancourt wichtige Beiträge geliefert. Siehe F. M. Wimmer: Interkulturelle Philosophie. Eine Einführung. Wien 2004; ders.: Globalität und Philosophie. Studien zur Interkulturalität. Wien 2003; ders.: Interkulturelle Philosophie. Geschichte und Theorie. Bd. 1. Wien 1990; »Philosophie im Vergleich der Kulturen«. In: Dialektik, 2 (1999), S. 11–22; »Thesen, Bedingungen und Aufgaben interkulturell orientierter Philosophie«. In: Polylog, 1 (1998), S. 5–12; Raúl Fornet-Betancourt: »Philosophische Voraussetzungen des interkulturellen Dialogs«. In: Polylog, 1 (1998), S. 38–53. Siehe ferner W. Schmied-Kowarzik (Hrsg.): Verstehen und Verständigung. Ethnologie – Xenologie – Interkulturelle Philosophie. Justin Stagl zum 60. Geburtstag. Würzburg 2002. 85 Vgl. dazu etwa J. Derrida: »Le presque rien de l’imprésentable« [Interview mit Christian Descamps]. In: Ders.: Points de suspension. Entretiens. Paris 1992, S. 83– 94, insbesondere S. 88 f.

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

eines der am Gespräch Beteiligten verzerrt zu werden drohen, kann es überaus sinnvoll sein, Positionen und Systeme zu de-konstruieren, um ihre unausgesprochenen Voraussetzungen explizit und damit kritisierbar zu machen. Weitere methodische Ansätze, die in interkulturellen philosophischen Verständigungsprozessen zur Anwendung gelangen können, entstammen der Phänomenologie, der analytischen Philosophie, der Dialektik sowie der Transzendentalphilosophie. 86 All diese Methoden stellen jedoch keineswegs Spezifika interkulturellen Philosophierens dar. Vielmehr handelt es sich um philosophische Verfahrensweisen, die ursprünglich in anderen Kontexten entwickelt wurden und nun gleichsam nachträglich auf die spezielle Situation des interkulturellen Polylogs übertragen werden. Wenn es ein besonderes methodisches Charakteristikum interkulturellen Philosophierens geben sollte, dann wäre es gerade dies, keine philosophische Methode a priori zu disqualifizieren oder zu verabsolutieren. Interkulturelle Philosophie kann sogar über die in der ›westlichen‹ Philosophie entwickelten Verfahrensweisen hinaus Methoden der philosophischen Erkenntnisgewinnung neu entdecken und erschließen. Dazu können in der ›westlichen‹ Philosophie oftmals marginalisierte literarische

Hervorzuheben ist dabei, dass die interkulturell anschlussfähigen philosophischen Methoden von ihrer internen Theoriedynamik her eine Affinität zur Interkulturalität entwickelt haben bzw. entwickeln können. In diesem Sinne hat G. Stenger in seinem umfassenden Werk Philosophie der Interkulturalität (2006) Strömungen der europäischen ›kontinentalen‹ Philosophie wie die Transzendentalphilosophie, die Phänomenologie und die Existenzphilosophie so interpretiert, dass sie gleichsam auf ihre interkulturelle Horizonterweiterung zulaufen und sich dem Paradigma der Interkulturalität aus internen systematischen Gründen anschließen. Die theorieinternen Gründe für die interkulturelle Erweiterung einer bestimmten Methode können freilich stark variieren: Geht es bei der Dekonstruktion letztlich um radikale Differenzierung und Kontextualisierung, so haben phänomenologische, analytische, dialektische und transzendentalphilosophische Herangehensweisen eher das Ziel, grundsätzliche (a priorische) Voraussetzungen jeglichen kommunikativen Austauschs, ja jeglichen Selbst- und Weltbezugs herauszuarbeiten. In der Tradition Kants bedeutet dies, die Bedingungen der Möglichkeit der Konstitution von Welt und Ich auszuloten und dabei von einem universellen, Kulturen transzendierenden Vernunftbegriff auszugehen, der jedem lebendigen Vernunftwesen letztlich unabhängig von seiner kulturellen Herkunft grundsätzlich dieselbe Erkenntnisfähigkeit und moralische Verantwortung zuspricht. Vgl. zur transzendentalphilosophischen Methodik auch C. Bickmann: Kants Weltphilosophie. Nordhausen 2006; dies.: Differenz oder das Denken des Denkens. Topologie der Einheitsorte im Verhältnis von Denken und Sein im Horizont der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants. Hamburg 1996.

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Interkulturelle Philosophie als Grundlagenreflexion interkultureller Begegnungen

Textformen wie Lehrgedichte, Anekdoten, Gespräche u. ä. gehören, aber auch mündlich tradierte Weisheitsbekundungen wie etwa Spruchweisheiten. Unter die Methoden und Zugangsweisen, die interkulturelles Philosophieren für die Philosophie neu zu erschließen vermag, können überdies auch nicht-diskursive Praktiken philosophischer Besinnung und Konzentration fallen, wie sie etwa in der buddhistischen Erkenntnislehre entwickelt worden sind. Eine eigene philosophische Methode stellt Interkulturelle Philosophie nach dem zuvor Gesagten jedenfalls nicht dar. Jedoch lässt sich mit einigem Recht sagen, dass sie dazu verhilft, Methoden neu zu erschließen und auf diesem Weg das philosophische Methodenspektrum produktiv zu erweitern. Die dargelegten Gründe lassen es als plausibel erscheinen, Interkulturelle Philosophie weder als eine eigene Disziplin noch als eine spezifische Methode aufzufassen, sondern als eine innovative und notwendige Perspektive des Philosophierens, die im besten Fall in sämtlichen bereits bestehenden Disziplinen der Philosophie wirksam werden sollte 87 – und zwar gerade dadurch, dass sie die etablierten Grenzziehungen jener Disziplinen kritisch befragt. Es sind vor allem zwei zentrale Anliegen, durch welche die interkulturelle Perspektive die Philosophie zu bereichern vermag: Zum einen geht es um eine philosophische Reflexion der Grundlagen interkultureller Begegnungen im weitesten Sinne (also nicht nur, aber selbstverständlich auch zwischen verschiedenen philosophischen Positionen), zum anderen um die Initiierung eines globalen Polylogs philosophischer Kulturen, deren Beiträge für die Auseinandersetzung um philosophische Sachfragen sowie die Gewinnung neuer Fragehorizonte fruchtbar gemacht werden sollen. In beiden Aufgabenbereichen bedient sich Interkulturelle Philosophie einer Vielzahl von Methoden aus unterschiedlichen philosophischen Traditionen. Sie hält sich offen für Fragestellungen und ArDer Ausdruck ›Perspektive‹ hat zwei deutlich unterscheidbare Bedeutungsaspekte, deren einer in die Richtung der philosophischen Methodik weist – dann ist die spezifische Betrachtungsweise gemeint, die einen Inhalt allererst als solchen konstitutiert – und deren anderer die zukünftige Entwicklung bzw. das Ziel (telos) einer Sache bzw. eines Prozesses designiert. Wenn wir von einer »interkulturellen Perspektive« der Philosophie sprechen, so sind hiermit beide Aspekte gemeint: sowohl die Bedeutung der Kulturalität für die Konstitution von Philosophemen als auch die zukünftige Ausrichtung der Philosophie auf dem Weg zu einer in sich differenzierten und pluralen Weltphilosophie.

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

gumentationsweisen, die im abendländischen Philosophiediskurs trotz aller internen Vielfalt nicht aufgetreten oder marginalisiert worden sind. Durch die Integration außereuropäischer Formen und Inhalte des Philosophierens kann so der Begriff dessen, was legitimerweise den Namen ›Philosophie‹ führen darf, erweitert und bereichert werden. Interkulturelles Philosophieren verfügt also nicht bereits selbst über einen a priori feststehenden Philosophiebegriff, sondern sie versucht gerade, kulturell-partikulare Begriffe des Philosophierens miteinander ins Gespräch zu bringen und so zu einer polylogischen Weltphilosophie beizutragen, die von einer grundsätzlichen, universellen Offenheit gegenüber philosophischen Inhalten, Methoden und Traditionen charakterisiert ist. 88

1.2

Zum Kulturbegriff der Interkulturellen Philosophie

»Was ist das eigentlich – Kultur? Wie steht sie zur Religion, und auf welche Weise kann sie mit religiösen Gestalten in Verbindung treten, die ihr ursprünglich fremd waren?« 89 Um diese beiden von Papst Benedikt XVI. aufgeworfenen Fragen beantworten zu können, scheint es zunächst notwendig zu sein, zwischen einem weiten und einem engen Kulturbegriff zu unterscheiden. 90 Ein weiter Begriff von »Kultur« versteht diese als eine symbolisch codierte Lebensform bzw. einen gesellschaftlichen Teilbereich mit spezifischen, kommunikativ verhandelbaren Eigenschaften, wobei unterschiedliche Abgrenzungskriterien wie nationale oder regionale Zugehörigkeit, Berufsgruppe, sozialer Status, Alter, Lebensstile etc. sowie die bewusste Identifikation ihrer ›Mitglieder‹ eine Rolle bei der Definition einer bestimmten Kultur spielen. Ein Individuum kann dem weiten Kulturbegriff zufolge ohne Weiteres mehreren Kulturen Diese grundsätzliche Offenheit gegenüber der Pluralität philosophischer Ansätze und Zugänge zu den Räumen des Denkbaren hat insofern nichts mit Kulturrelativismus zu tun, als sich die Wahrheitsfrage ja immer nur bezogen auf einen bestimmten Inhalt und eine bestimmte Methode stellen kann; diese Inhalte und Methoden müssen aber in vielen Fällen erst einmal interkulturell erschlossen und konstituiert werden, bevor sie überhaupt wahrheitsfähig (im Sinne von: allgemeiner intersubjektiver Beurteilbarkeit zugänglich) werden können. 89 Ratzinger/Benedikt XVI. 2003, S. 49. 90 Vgl. zum Folgenden auch Paul 2008, S. 18 ff., sowie J. Willems: Interkulturalität und Interreligiosität. Nordhausen 2008. 88

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Interkulturelle Philosophie als Grundlagenreflexion interkultureller Begegnungen

angehören, die sich jeweils auf unterschiedliche Aspekte einer Lebensform beziehen. Eine Grundlagenreflexion interkultureller Begegnungen, also eine Reflexion, die sich innerhalb des oben genannten ersten Aufgabenbereichs interkultureller Philosophie bewegt, wird sich bei der Verwendung eines weiten Kulturbegriffs vorwiegend auf Relationen zwischen verschiedenen Kulturen desselben kulturstiftenden Aspekts konzentrieren (z. B. auf religiöse Kulturen). Eine Beschäftigung mit Begegnungen zwischen unterschiedlich aspektierten Kulturen (z. B. zwischen den Anhängern einer religiösen Kultur und den Anhängern einer national definierten Kultur) birgt nämlich allzu leicht die Gefahr, Unvergleichbares miteinander vergleichen zu wollen. Da der weite Begriff von »Kultur« diese nicht im Sinne von Nationalkulturen oder als Repräsentationen geographischer Großräume versteht, ist es legitim, auch im Falle von sozial aspektierten Kulturen (man denke z. B. an eine Unterscheidung zwischen ›bürgerlicher‹ und ›Sub‹-Kultur) von interkulturellen Differenzierungen zu sprechen, nicht etwa von intrakulturellen, die sich auf das Binnengefüge einer zumeist geographisch oder gar ethnisch definierten Kultur beziehen. Dieser Hinweis ist wichtig, wenn es sich bei den Kulturen, deren Begegnungen auf die in ihnen zum Tragen kommenden Prinzipien untersucht werden sollen, um Wissenskulturen, und hier speziell um philosophische, handelt. Auch eine philosophische Kultur muss nicht primär national, geographisch oder ethnisch definiert werden; sie kann – weitgehend unabhängig von derartigen Grenzziehungen – in erster Linie sachlich fundiert sein. In diesem Sinne lässt sich beispielsweise eine ›idealistische‹ mit einer ›materialistischen‹ Philosophiekultur konfrontieren, eine ›analytische‹ mit einer ›dialektischen‹, ›hermeneutischen‹ oder ›dekonstruktiven‹, eine ›dogmatische‹ mit einer ›skeptischen‹ usw. Sofern es innerhalb des ersten Aufgabenbereichs Interkultureller Philosophie um eine Prinzipienreflexion derartiger Konfrontationen geht, gewinnen Untersuchungen in diesem Feld metaphilosophischen Charakter. Sie lösen sich – zumindest vorübergehend – von den unmittelbaren Sachfragen, die philosophisch strittig sind, und suchen die grundsätzlichen Dispositionen der Diskursteilnehmer im Verständigungsprozess sowie die in den Diskursen wirksamen begrifflichen Einsätze und logischen Regeln zu eruieren. Innerhalb des zweiten Aufgabenbereichs Interkultureller Philosophie, der Initiierung eines weltweiten Polylogs philosophischer 79 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Konturen interkultureller Religionsphilosophie

Kulturen, stehen dagegen genuin philosophische Sachfragen zur Debatte, in deren Erörterung idealiter Impulse aus dem gesamten Spektrum philosophischer Weltkulturen einzubringen sind. Diese Weitung des philosophischen Horizonts kann, ja muss sich bereits innerhalb einzelner Forschungsarbeiten ereignen, indem philosophische Sachfragen nicht länger nur aus der Perspektive einer einzelnen Strömung betrachtet werden, die notwendigerweise immer auch von kulturellen Prädispositionen mitbestimmt ist, sondern auf einer breiteren Basis interkultureller Annäherungen an die jeweilige Thematik untersucht werden. Selbstverständlich gehört zu interkulturellem Philosophieren in diesem Sinne auch eine entsprechende, über individuelle Anstrengungen hinausreichende kooperative Forschungspraxis, die reale Begegnungen von Angehörigen unterschiedlicher Philosophiekulturen herbeizuführen und so die der Wahrheitsfindung undienliche Isolation philosophischer Strömungen und Kulturen langfristig aufzuheben vermag. Der in der Interkulturellen Philosophie ebenfalls – und wahrscheinlich sogar häufiger – zum Einsatz kommende engere Kulturbegriff bezeichnet als »Kulturen« relativ großflächige Einheiten von Lebensformen und -interpretationen, die für die in der jeweiligen Kultur beheimateten Menschen identitätsstiftende Funktion haben. In diesem Sinne kann man etwa von einer »europäischen«, einer »chinesischen« oder einer »arabischen« Kultur sprechen, wobei jeweils verschiedene Unterscheidungskriterien für die Definition der betreffenden Kulturen herangezogen werden. Bei der Verwendung dieses engeren Kulturbegriffs, der sich auf kulturelle Großräume bezieht, sind drei Aspekte unbedingt zu beachten, um eine essentialistische Interpretation von Kultur und kulturellen Eigenschaften von vornherein auszuschließen: (1.) Für die Abgrenzung kultureller Großräume (Kulturen in engerem Sinne) lassen sich verschiedene Kriterien anführen, beispielsweise geographische, politische, religiöse oder linguistische. Je nach gewähltem Abgrenzungskriterium fallen die Differenzierungen zwischen kulturellen Einheiten unterschiedlich aus; Kulturen wie die »japanische« oder »islamische« stellen demnach keine absoluten Größen dar, sondern sind ausschließlich relativ auf das gewählte Abgrenzungskriterium aufzufassen, das sie voneinander sondert. (2.) Größere kulturelle Einheiten, die auf der Basis eines bestimmten Abgrenzungskriteriums voneinander unterschieden werden, dürfen nicht als homogene Blöcke missverstanden werden, die 80 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Interkulturelle Philosophie als Grundlagenreflexion interkultureller Begegnungen

einander in starrer Identität gegenüber ständen. 91 Vielmehr sind Kulturen als großflächige Interpretationssysteme von Lebensformen intrinsisch heterogen und kontrovers verfasst – bisweilen in einem solchen Ausmaß, dass Teilgruppen zweier unterschiedener ›Großkulturen‹ größere Schnittmengen aufweisen können als die untereinander verfeindeten oder einander fremden Gruppen innerhalb derselben Kultur. 92 Unter diesem Aspekt lässt sich der engere Kulturbegriff auch als ein vertikaler auffassen, der verschiedene Großkulturen nebeneinander stellt und Binnendifferenzierungen als intrakulturelle Heterogenität interpretiert, während der weitere Begriff von Kultur eben diese intrakulturellen, horizontalen Differenzierungen als eigene Kulturformen würdigt, die aufgrund unterschiedlicher kulturfähiger Abgrenzungskriterien auftreten und wiederum die vertikal getrennten Kulturen in engerem Sinne untereinander verbinden. (3.) Kulturen sind nicht nur hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Abgrenzbarkeit voneinander sowie hinsichtlich ihrer internen Heterogenität und horizontalen Differenzierbarkeit relative Bezugseinheiten, sie sind es auch unter einem temporal-geschichtlichen Aspekt. 93 Historische Entwicklungen können dazu führen, dass sich Kulturen in relevanten Aspekten massiv verändern, dass sie von der geschichtlichen Bildfläche verschwinden, dass sich Kulturen vermischen und neue kulturelle Formationen hervorbringen. 94 Allerdings setzt historische Veränderbarkeit auf der anderen Seite auch wiederum die (relative) Identität einer jeweiligen Kultur voraus: Denn existierte nicht wenigstens das ideelle Konstrukt einer über die wechselnden Zeitläufte hinweg sich behauptenden national, religiös, linguistisch oder anders definierten kulturellen Einheit, so wäre bereits der Versuch einer gegenstandsbezogenen Geschichtsschreibung a priori zum Scheitern verurteilt. Kulturelle Identität darf eben nur Vgl. Paul 2008, S. 18 f. So können sich beispielsweise Mitglieder einer Berufsgruppe untereinander solidarisieren, auch wenn sie unterschiedlichen Nationalitäten angehören. – Die marxistisch-kommunistische Idee einer internationalen Solidarität der arbeitenden Klasse basierte letztlich auf der Hypostasierung eines zwar eng gefassten, aber grundsätzlich weiten Kultur- als eines Klassenbegriffs (Bourgeois versus Proletarier); der engere Begriff von Kultur (im Sinne kultureller Großräume) sollte dagegen durch die Ausbreitung der kapitalistischen Wirtschaftsform obsolet werden. 93 Siehe Paul 2008, S. 20 f. 94 Siehe dazu auch v. Brück 2007, S. 12: »[…] die Identität kultureller Phänomene ist nichts Gegebenes, sondern sie ist im Werden, ja, Kultur ist das Werden von Deutungen und Bedeutungen in symbolischen Formen.« 91 92

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

nicht essentialistisch verstanden werden: Die Identität einer Kultur wird ausschließlich durch die identifikatorische Zuschreibung des jeweiligen Abgrenzungskriteriums gewährleistet (wie etwa einer geographischen Region, einer Sprache, einer Religion oder etwa auch, wie im Falle prähistorischer Kulturen, eines bestimmten Materials, das im Zentrum der Bearbeitungstätigkeit von Menschengruppen gestanden hat), nicht etwa durch ein für alle Mal feststehende Wesenseigenschaften. Unter Berücksichtigung dieser drei einschränkenden Aspekte ist es möglich und sinnvoll, in der Interkulturellen Philosophie von kulturellen Entitäten als großflächigen, identitätsstiftenden Einheiten aus Lebensformen und ihnen zugehörigen symbolischen Interpretationen auszugehen – und zwar sowohl bezogen auf die Grundlagenreflexion der Begegnung derartiger kultureller Großräume in ihren institutionellen und personellen Repräsentanten als auch auf den angestrebten philosophischen Polylog der Weltkulturen. Interkulturelles Philosophieren in beiden skizzierten Bedeutungen ist deswegen zu einer epistemischen Notwendigkeit geworden, weil die Interaktion der Weltkulturen im Zeitalter der Globalisierung eine qualitativ neue Dimension angenommen hat. Wie bereits im Hinblick auf die Verdichtung interreligiöser Kontakte in der Gegenwart festgestellt wurde, ist das Phänomen interkultureller Begegnung zwar keineswegs neu. Anders als in früheren Fällen interkultureller Interaktion hat jedoch die Begegnung zwischen unterschiedlichen Kulturen nicht zuletzt durch die digitale Kommunikation ein weltumspannendes und permanentes Niveau erreicht, welches das Phänomen der Interkulturalität zugleich seiner historischen Kontingenz und seiner für vergangene Epochen typischen Dominanzstruktur entzieht: Es ist nicht länger ein einziger kultureller Großraum (etwa der europäisch-amerikanische »Westen«), der in kolonialistischer oder imperialistischer Manier anderen Kulturen bestimmte Weltbilder und Lebensweisen aufdrängen will; kulturelle Einflusslinien verlaufen vielmehr längst über kontinentale Grenzlinien hinweg in unterschiedliche Richtungen und überkreuzen sich vielfach. 95 Dies ist zumindest die eine Seite eines Befundes, der seine Hoffnung in die Reflexionsfähigkeit der an reziproken interkulturellen Beziehungen Beteiligten setzt; denn es ist die bewusste Reflexion des interkulturel95 Siehe dazu F. Jullien: De l’universel, de l’uniforme, du commun et du dialogue entres les cultures. Paris 2008.

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Interkulturelle Philosophie als Grundlagenreflexion interkultureller Begegnungen

len Dialogs bzw. Polylogs, welche ›Interkulturalität‹ in der Gegenwart von vormaligen kontingenten und einseitigen Kulturbegegnungen unterscheiden könnte. Auf der anderen Seite spricht jedoch die Beobachtung einer globalen Standardisierung und Uniformisierung von Produktions-, Konsumtions- und Kommunikationsverhältnissen – bei freilich beträchtlichen lokalen Differenzierungen – eher gegen die Zukunft reflektierter und fruchtbarer Begegnungen kultureller Großräume, sofern diese im Zuge ökonomistischer Uniformisierung gerade das, was sie als Kulturen auszeichnete, zu verlieren drohen; man könnte angesichts dieser drohenden Entwicklung von einer »schlechten«, uniformisierten Transkulturalität sprechen. Und auch die Zunahme kultureller oder zumindest Kulturdivergenzen in Anspruch nehmender, vielfach auch religiös indizierter Konflikte seit dem Zerfall der bipolaren Weltordnung scheint eher nicht dafür zu sprechen, dass sich weltweit tatsächlich interkulturelle, d. h. an gegenseitigem Austausch interessierte Formen der kulturellen Begegnung durchsetzen werden. Um so wichtiger erscheint vor diesem Hintergrund die doppelte Aufgabe interkulturell orientierter Philosophie, zum einen die logischen und hermeneutischen Grundstrukturen interkultureller Begegnungen und Verstehensprozesse transparent zu machen 96 und zum anderen Diskurse in sämtlichen philosophischen Disziplinen für die Vielfalt der in den Weltkulturen entwickelten Gedankensysteme zu öffnen. In beiden Aufgabenfeldern spielt die Herausarbeitung gemeinsamer, universeller Grundlagen des Denkens und Handelns, die Menschen in allen Kulturen miteinander teilen (oder – in normativer Hinsicht – miteinander teilen sollten), eine ebenso wichtige Rolle wie die Beschäftigung mit relevanten Differenzen, die Kulturen in signifikanten Hinsichten voneinander unterscheiden. Und wie im Falle der Religionen ist es auch im Hinblick auf Kulturen notwendig, die philosophisch bedeutsamen Aspekte von den philosophisch weniger bedeutsamen zu trennen; insbesondere dann natürlich, wenn die interkulturelle Auseinandersetzung um philosophische Sachfragen selbst auf dem Spiel steht. Zu den philosophisch bedeutsamen Aspekten – wir können sie analog zu der zuvor in Bezug auf die Religionen eingeführten Terminologie als »Primäreigenschaften« Siehe dazu J. Seibt/J. Garsdal (Hrsg.): How is Global Dialogue Possible? Foundational Research on Value Conflicts and Perspectives for Global Policy. Berlin/Boston/ München 2015.

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

bezeichnen – sind alle diejenigen expliziten Äußerungen einer Kultur zu zählen, die zu einer begrifflich rekonstruierbaren Interpretation der Welt und des Menschen beitragen können. Durch kulturelle Primäreigenschaften werden kulturspezifische, aber zugleich über eine einzelne Kultur hinausweisende Weltsichten generiert, die sich als Antwort auf jene Fragen von grundsätzlicher existentieller Relevanz begreifen lassen, die zuvor im Hinblick auf religiöse Primäreigenschaften angesprochen worden waren. Kulturphänomene, in denen sich solche Primärkomponenten manifestieren, können z. B. moralische Auffassungen, Rechtsordnungen oder künstlerische Erzeugnisse sein. Als (philosophisch) sekundär sind dagegen solche Phänomene einzustufen, hinsichtlich derer sich Kulturen zwar ebenfalls erheblich voneinander unterscheiden können, die aber keinen direkten Bezug zu philosophisch interessierenden Sachfragen aufweisen, wie z. B. bestimmte Trinkgewohnheiten oder Kleidungsstile. Allerdings fällt die genaue Abgrenzung von Primär- und Sekundärkomponenten im Falle von Kulturen noch wesentlich schwerer als im Falle von Religionen, da Kulturen im Sinne großflächiger Interpretationseinheiten sämtliche humanen Lebensäußerungen prägen, die je nach Perspektive als philosophisch mehr oder weniger bedeutsam eingestuft werden können. Die Einschätzung der philosophischen Relevanz kulturell divergierender Wohnformen oder sozialer Schichtungen beispielsweise dürfte nicht mit völliger Eindeutigkeit zu treffen sein und wird im Zweifelsfall vom Untersuchungsinteresse der jeweiligen philosophischen Fragestellung abhängen. Die Differenzierung in philosophisch bedeutsame und weniger bedeutsame Eigenschaften einer Kultur ist aber trotz dieser Einschränkung hilfreich und wichtig, da sie falsche Rückschlüsse von bloß sekundären Differenzen zwischen Kulturen auf philosophisch relevante Differenzen zu vermeiden hilft und somit zu einer besseren Klärung dessen beiträgt, was unterschiedlichen Kulturen auf einer fundamentalen Ebene tatsächlich gemeinsam ist und was sie voneinander trennt. Für die grundsätzlichen Relationsmöglichkeiten von Kulturen 97 lassen sich im Übrigen die gleichen prinzipiellen Begegnungsmöglichkeiten namhaft machen, die in Kapitel I.2.1. als die hauptsächlichen Formen interreligiöser Kontakte herausgestellt wurden:

Wie im Falle der Religionen müsste man natürlich auch hier jedes Mal präziser von »Angehörigen verschiedener Kulturen« sprechen.

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die beziehungslose Koexistenz verschiedener Kulturen, die am Paradigma der Multikulturalität orientiert ist; • der produktive Austausch zwischen Kulturen, der unter dem leitenden Paradigma der Interkulturalität steht; • der Synkretismus und die Innovation, die dem Paradigma der Transkulturalität, d. h. der Überschreitung kultureller Grenzen folgen; • und schließlich der Konflikt zwischen Kulturen, der zwar von einer nicht direkt in den Konflikt involvierten Beobachterperspektive als eine Variante der interkulturellen Begegnung analysiert werden kann, aber aus der Binnenperspektive der am Konflikt beteiligten Kulturen am Paradigma der (selbstbezüglichen) Monokulturalität orientiert ist. Diese Strukturgleichheit potentieller Begegnungsformen zwischen Kulturen und Religionen stellt eine systematische Anschlussstelle dar, die es erlaubt, die Bereiche der Kultur und der Religion philosophisch zueinander in Beziehung zu setzen. 98 Auch für genuin philosophische Begegnungen verschiedener Kulturen (im engeren Sinne großflächiger Einheiten) gilt, dass die Paradigmen der Monokulturalität sowie der Multikulturalität nicht dazu angetan sind, philosophisch fruchtbare Dialoge und Polyloge zwischen Kulturen auf den Weg zu bringen; stattdessen führen sie zu konfliktträchtiger Rechthaberei, der typischen Verhaltensweise monokultureller Dominanz, oder aber zu gleichgültiger Toleranz, welche andere Positionen neben der eigenen bloß koexistieren lässt, ohne sich für ihren Gehalt zu interessieren oder gar zu begeistern. Stattdessen sollte bei interkulturell orientiertem philosophischen Denken die Bemühung um produktiven Austausch, um wechselseitiges Geben und Nehmen, im Vordergrund stehen; bei einem kulturelle Grenzen überschreitenden transkulturellen Denken ist darüber hinaus die Fähigkeit zur Selbstrelativierung besonders gefordert. Unter dem Paradigma der Interkulturalität wird in der Philosophie – übrigens ebenso wie in der Religion bzw. Theologie – die traditionsreiche wahrheitstheoretische Problematik von »Universalismus und Relativismus« mit einer neuen Akzentsetzung aufgeworfen und das fundamentale Begriffspaar »Identität und Diffe-



Hierzu sei verwiesen auf die Studie von M. Opielka: Kultur versus Religion. Soziologische Analysen zu modernen Wertkonflikten. Bielefeld 2007. Siehe auch die Ausführungen im nachfolgenden Kapitel.

98

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

renz« einer vertieften Reflexion unterworfen. 99 Die Kernfrage ist dabei, wie sich universelle Wahrheitsansprüche legitimerweise begründen lassen, die von einem singulären kulturellen Ort aus in das vielstimmige Gespräch der Weltkulturen eingebracht werden. Der universelle Anspruch der individuell einklagbaren Menschenrechte stellt ein gutes Beispiel für die kognitive Herausforderung dar, historische Genese und normativen Anspruch sauber voneinander zu trennen, ohne damit zugleich das Modell einer spezifischen Kultur zu hypostasieren. Und nicht nur divergierende Positionen und methodische Ansätze, die sich auf denselben Sachbereich und dieselben Themen erstrecken, gilt es, in ihren Ansprüchen zu reflektieren und zu würdigen, sondern bereits die Auswahl und Konstitution dessen, was als zentrale Fragen und Begriffe des Philosophierens fungieren sollte, ist unaufhebbar kulturell geprägt und erhebt doch zugleich den Anspruch, von allen denkfähigen und -willigen Menschen aufgegriffen werden zu können. Womöglich lässt sich das Dilemma zwischen einem Universalismus, der kulturelle Differenzen sowie seine eigene kulturgebundene Herkunft unzulässigerweise vernachlässigt, und einem Kulturrelativismus, welcher für die Rettung des kulturell Besonderen jegliche gemeinsame Basis preisgibt, auf theoretischer Ebene am ehesten durch eine interne Differenzierung des Begriffs der Universaliät überwinden, wie sie François Jullien vorgeschlagen hat: 100 Demzufolge wäre die Kategorie des Universellen als ein hypothetisches a priori aufzufassen, das die geschlossene Universalität einer jeweiligen Kultur aufzubrechen nötigt und somit eine kulturelle Grenzziehungen negierende bzw. – in unserer Terminologie – ›transkulturelle‹ Funktion erfüllt. Das Gemeinsame aller Kulturen repräsentiert demgegenüber einen von sämtlichen Kulturen geteilten Erfahrungsgrund, der all das beinhaltet, was sich unter ›anthropologischen Universalien‹ fassen ließe, und somit auch auf die planetarisch-biologische Umweltgebundenheit des Menschen als empirischer Voraussetzung jeglicher Kulturbildung verweist. Man könnte dieses Gemeinsame insofern als ›präkulturell‹ oder, wenn man wiederum den Aspekt der

Vgl. dazu etwa C. Bickmann: »Identität und Differenz als Kernproblem im Dialog der Kulturen. Vorüberlegungen zu einer Philosophie im Kulturenvergleich«. In: Dialektik 2 (1999), S. 23–46; B. Waldenfels: »Eigenkultur und Fremdkultur. Das Paradox einer Wissenschaft vom Fremden«. In: Studia culturologica, 3 (1994), S. 7–26. 100 Jullien 2008, S. 17 ff. 99

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kulturellen Grenzüberschreitung hervorheben will, ebenfalls als ›transkulturell‹ bezeichnen. Jullien zufolge sind nun sowohl das postulierte ›ideale‹ Universelle als auch das empirische Gemeinsame von der schlechten Universalität des Uniformen bedroht, das im Zuge der Ausweitung standardisierter Produktions-, Konsumtions- und Lebensverhältnisse den normativen Anspruch einer kulturell binnendifferenzierten Menschheit unter universellen ethischen und rechtlichen Regeln ebenso unterminiert wie die unhinterfragte Intaktheit einer sich selbst reproduzierenden Umwelt als lebensweltliche Grundlage kultureller Formationen. Um dem Trend zu einer drohenden Uniformisierung auf globaler Ebene entgegen zu wirken, plädiert Jullien für eine Nutzung der produktiven Ressourcen der verschiedenen Kulturen. Diese sollten also gerade nicht anhand des Differenzparadigmas inventarisiert werden (ein Vorgehen, das man als »multikulturell« kennzeichnen könnte), sondern in einen ›Dia-log‹ eintreten, für dessen Gelingen die durch das ›Dia-‹ signalisierte differentielle Spannung zwischen den Kulturen ebenso maßgeblich ist wie die im ›logos‹ enthaltene Aufforderung zur vernünftigen Klärung bestehender Spannungen. Als Ziel dieses Dialogs benennt Jullien eine ›Selbstreflexion des Humanen‹ (»auto-réfléchissement de l’humain«) 101, die sicherlich auch als das generelle Ziel interkultureller philosophischer Bemühungen namhaft gemacht werden kann. Die philosophische Reflexion interkultureller Begegnungen in den aufgeführten Bedeutungsfacetten wird den Begriff der Philosophie selbst nicht unberührt lassen können. Wie H. Kimmerle in einer hermeneutischen Analyse des Vorgangs der Begegnung mit dem Anderen gezeigt hat, 102 handelt es sich bei der interkulturellen Auseinandersetzung um eine mehrstufige Bewegung des (anfänglichen) Bei-sich-Seins, Aus-sich-Herausgehens und Ins-Eigene-Zurückkehrens, die strukurell zwar stark an die hegelsche Grundfigur der Dialektik erinnert, jedoch nicht deren vollständige Assimilitation des Fremden ans Eigene postuliert. Vielmehr ist das Ergebnis der Aussetzung des Eigenen ans Fremde nicht antizipierbar; 103 was dort geschieht, ist weder im Rahmen einer hermeneutischen HorizontverEbd., S. 15. H. Kimmerle: Rückkehr ins Eigene. Die interkulturelle Dimension in der Philosophie. Nordhausen 2006. 103 Siehe dazu auch die differenzierenden Erwägungen von B. Waldenfels zur Phänomenologie der Fremderfahrung in Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden. Frankfurt a. M. 2006, insbesondere Kap. VI: »Zwischen den Kulturen«, S. 109–132. 101 102

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

schmelzung noch in der Begrifflichkeit einer dialektischen Aufhebung zureichend zu erfassen. Vielmehr ist der Begriff der ›Interkulturalität‹, wie Bernard Waldenfels hervorhebt, auf eine »Zwischensphäre« bezogen, »deren intermedialer Charakter weder auf Eigenes zurückgeführt noch in ein Ganzes integriert, noch universalen Gesetzen unterworfen werden kann.« 104 Übertragen auf die Tätigkeit des Philosophierens selbst, bedeutet diese Kennzeichnung der Begegnung von Eigenem und Fremden, dass nicht präzise vorausgesagt werden kann, welche Wandlungen der überkommene (freilich in sich bereits sehr heterogene) Begriff der Philosophie durch die Auseinandersetzung mit außereuropäischen Denkkulturen erfährt. Es steht aber zu vermuten, dass sich das Spektrum der im Raum des philosophischen Denkens auftretenden Fragen, Inhalte, methodischen Annäherungs- und Thematisierungsweisen, Schreibstile, Textsorten usw. durch interkulturelle Dialoge erweitern wird. Gerade deswegen ist auch im Hinblick auf die Tätigkeit des Philosophierens die Frage virulent, welche kulturellen Ausdrucksformen nachdenklicher Besinnung denn tatsächlich zu einer produktiven Erweiterung des Philosophiebegriffs beitragen können und welche Formen eher seiner Verwässerung und Verunklarung Vorschub leisten. Es bedarf also – trotz der Unvorsehbarkeit konkreter interkulturell-hermeneutischer Prozesse – eines leitenden Vorverständnisses dessen, was »Philosophie« leisten kann und soll, um ihren Begriff einerseits für thematische, methodische und stilistische Erweiterungen offen zu halten und ihn andererseits vor einem Abdriften in unspezifische Beliebigkeit zu bewahren. Ein solcher Philosophiebegriff, der als Gesprächsgrundlage interkulturell-philosophischer Dialoge fungieren kann, sollte sich an der Fähigkeit der menschlichen Vernunft orientieren, die Rahmenbedingungen menschlichen Existierens radikal zu befragen, begriffliche Begründungszusammenhänge mit dem Anspruch auf intersubjektive Nachvollziehbarkeit als Antworten auf die aufgeworfenen Fragen zu entwerfen und dabei zugleich das eigene Vorgehen kritisch zu reflektieren. Überall dort also, wo solche radikalen Befragungen, begrifflichen Systematisierungen und kritischen Reflexionen der Grundlagen des menschlichen Weltaufenthalts auftreten, darf der Begriff »Philosophie« zu Recht verwendet werden. Ein derartiger inklusiver Philosophiebegriff vermag der Verschiedenheit unterschiedlicher Philosophiekulturen Rechnung zu 104

Ebd., S. 110.

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Interkulturelle Philosophie als Grundlagenreflexion interkultureller Begegnungen

tragen, ohne damit jedoch zugleich den Anspruch auf intersubjektive Verbindlichkeit und logische Kohärenz im Philosophieren aufzugeben. Vormals innerhalb einer einzelnen Tradition totalisierte Konzepte (wie diejenigen des ›Subjekts‹ oder des ›Gegenstands‹, des ›Seins‹ oder der ›Vernunft‹) könnten sich im Rahmen einer inklusiven, intern jedoch plural verfassten Weltphilosophie als Aspekte einer höherstufigen Struktur herausstellen, die sich erst dem interkulturellen Blick eröffnet; in anderen Fällen mögen sich unterschiedliche Anwendungsformen gleicher oder ähnlicher Logiken und Konzepte herauskristallisieren. 105 Voraussetzung für die Feststellung struktureller Ähnlichkeiten oder Differenzen zwischen philosophischen Kulturen ist zunächst der methodisch kontrollierte Vergleich verschiedener Traditionen. Komparative Philosophie stellt demnach eine notwendige Vorbedingung und gleichsam ›erste Stufe‹ interkulturellen Philosophierens dar; 106 sie repräsentiert jedoch nicht bereits vollständig die leitende Zielsetzung philosophischer Interkulturalität. Denn ein Denken, das sich tatsächlich zwischen den Kulturen ereignet, kann es nicht bei einem bloßen Konstatieren von Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwi-

105 Vgl. dazu die unterschiedlichen, ja entgegengesetzten methodologischen Konzepte, die Bo Mou anhand der Argumentationsweisen Sokrates’ und Konfuzius’ herausarbeitet: »On some methodological issues concerning Chinese Philosophy«. In: Bo Mou (Hrsg.): History of Chinese Philosophy. London/New York 2009, S. 1–39. Divergierende Gebrauchsformen von Rationalität lassen sich ferner paradigmatisch anhand einer Gegenüberstellung der ›Logiken‹ des Aristoteles und Nāgarjunā nachweisen; vgl. dazu Droit 2009, S. 32 f. Die interkulturelle Divergenz liegt dabei weniger in der Bestimmung und Applikation grundlegender logischer Prinzipien wie des Satzes vom Widerspruch als in der Intention, die mit der Anwendung dieser Prinzipien jeweils verfolgt wird (z. B. die Analyse der formalen Regeln vernünftigen Sprechens mit dem Ziel einer kontrollierten Vermehrung des Wissens wie in der aristotelischen oder die Aufhebung aller Wissensansprüche wie in der buddhistischen Logik). 106 M. Kirloskar-Steinbach, G. Ramana u. J. Maffie definieren ›Komparative Philosophie‹ in ihrem einleitenden Essay zum Online-Journal Confluence folgendermaßen: »Comparative philosophy constitiutes that field in which philosophical positions separated in space and time are compared by relating ideas, texts, etc. with one another.« (»Introducing Confluence: A Thematic Essay«. In: Confluence. Online Journal of World Philosophies. 1 [2014], S. 7–63, hier S. 8 f.) Allerdings betonen die Autor/innen zugleich, dass sie ›comparative philosophy‹, ›intercultural philosophy‹ und ›cross-cultural philosophy‹ als Synonyme verstanden wissen wollen (ebd., S. 9). Demgegenüber vertreten wir die Auffassung, dass es sich bei komparativer Philosophie um eine Vorstufe zu interkulturellem Philosophieren handelt, das selbst wiederum eine Vorstufe zu einer inter- und transkulturellen ›Global Philosophy‹ darstellen könnte.

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

schen Vergleichsobjekten bewenden lassen. 107 Vielmehr sollte ein interkulturell orientiertes Philosophieren stets auch die argumentative Plausibilität der herangezogenen Positionen prüfen und Schlussfolgerungen aus der komparativen Untersuchung ziehen, die über das in den jeweiligen Kulturen Formulierte und Gedachte systematisch hinausgehen. Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass weder die Kriterien zur Beurteilung der verglichenen Theoreme noch die Kriterien, die bereits für ihren Vergleich maßgeblich gewesen sind, ausschließlich aus dem Prämissenvorrat einer einzigen, begrenzten philosophischen Kultur entstammen. Man muss in diesem Punkt zwar nicht so weit gehen wie F. M. Wimmer, der mit der Forderung, nur solche philosophischen Thesen für gut begründet zu halten, an deren Zustandekommen mehrere Kulturen beteiligt waren, geradezu einen ›kategorischen Imperativ‹ für interkulturelles Philosophieren aufgestellt hat. 108 Aber der Hinweis darauf, dass sich die Maßstäbe der jeweiligen komparativen bzw. interkulturellen Untersuchung nicht nur aus einer einzigen Philosophiekultur heraus rechtfertigen lassen sollten, ist gleichwohl von zentraler Bedeutung, sofern man unterschiedlichen philosophischen Kulturen Gerechtigkeit widerfahren lassen will. 109 Bestenfalls werden die Maßstäbe einer komparativen Analyse bzw. einer interkulturellen Sachauseinandersetzung aus der Begegnung der unterschiedlichen Positionen selbst gewonnen; eine andere, freilich stets problematische Möglichkeit besteht darin, einen übergeordneten, vom Anspruch her ›transkulturellen‹ Standpunkt der Betrachtung einzunehmen, der keine a priorischen Affinitäten zu der einen oder der anderen Tradition hat. Problematisch ist daran, dass sich eine derartige neutrale Position wohl nur in den wenigsten Fällen tatsächlich einnehmen lässt; in aller Regel werden kulturelle Präformationen gerade dort am wirksamsten das philosophische Denken beeinflussen, wo sie nicht explizit hinterfragt und bewusst gemacht werden. Transkulturalität ist, dies ist unbedingt zu betonen,

Vgl. dazu entsprechend Paul 2008, S. 23 f. Siehe F. M. Wimmer: Globalität und Philosophie. Studien zur Interkulturalität. Wien 2003, S. 123; sowie ders.: »Thesen, Bedingungen und Aufgaben einer interkulturell orientierten Philosophie«. In: Polylog, 1 (1998), S. 5–12, hier S. 10. 109 Schon F. W. J. Schelling hat diesbezüglich die fundamentale Einsicht formuliert: »Die wahre Philosophie kann aber unmöglich das Eigentum einer einzigen Nation sein.« (Grundlegung der positiven Philosophie. Münchner Vorlesung WS 1832/33 und SS 1833. Hrsg. u. komm. v. H. Fuhrmanns. Turin 1972, S. 268.) 107 108

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Interkulturelle Religionsphilosophie als Reflexion interreligiöser Diskurse

keine gegebene Einstellung, die man gleichsam nach Belieben einnehmen oder nicht einnehmen kann; allenfalls kristallisiert sie sich in fragilen und langwierigen Prozessen interkultureller Verständigungsbemühungen allmählich heraus.

2.

Interkulturelle Religionsphilosophie als philosophische Reflexion interreligiöser Diskurse und als Wissenschaft der Grenzbestimmungen zwischen Religionen und Philosophien

2.1

Zum Religionsbegriff interkultureller Religionsphilosophie

Wenn interkulturelles Philosophieren – wie im vorigen Kapitel dargelegt – bedeutet, sowohl die Grundlagen interkultureller Dialoge philosophisch zu reflektieren als auch einen Polylog der Weltphilosophien zu initiieren, dann lassen sich diese beiden Aufgaben im Hinblick auf die spezielle Disziplin der Religionsphilosophie folgendermaßen konkretisieren: Interkulturelle Religionsphilosophie verfolgt zum einen das Ziel, den Dialog der Weltreligionen philosophisch zu reflektieren, und sie versteht sich zum anderen als Wissenschaft der möglichen Grenzziehungen und Verbindungslinien zwischen Religion(en) und Philosophie(n). Um dieses ambitionierte Aufgabenprofil näher zu bestimmen, sind zunächst einige Bemerkungen zum Verhältnis von Kultur und Religion sowie zum Religionsbegriff, an dem sich eine interkulturelle Religionsphilosophie orientieren kann, erforderlich. Im vorigen Kapitel wurde bereits darauf hingewiesen, dass die prinzipiellen Begegnungsformen zwischen verschiedenen Kulturen die gleichen sind, die sich auch für interreligöses Koexistieren bzw. Kontaktieren geltend machen lassen. Daraus lässt sich schließen, dass die Sphären der Kultur und der Religion strukturelle Gemeinsamkeiten aufweisen, die ihre gemeinsame philosophische Thematisierung zwar nahe legen, zugleich aber auch ihre begrifflich konsistente Trennung erschweren. Diese ist um so problematischer, als sich beide Bereiche faktisch überlappen bzw. gegenseitig involvieren: Religion kann als integraler Bestandteil einer bestimmten Kultur interpretiert werden (beispielsweise das Christentum in Bezug auf die okzidentale Kultur oder der Buddhismus in Bezug auf die ostasiatische Kultur), ebenso wie kulturelle Charakteristika differentielle Elemente einer 91 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Konturen interkultureller Religionsphilosophie

Religion darstellen können (etwa hinsichtlich kulturell geprägter Unterschiede christlicher Religionsausübung in osteuropäischen, nordund südamerikanischen oder afrikanischen Kulturen). Das Verhältnis zwischen Kultur und Religion muss angesichts derartiger wechselseitiger Verflechtungen als komplex und notorisch ungeklärt betrachtet werden; es stellt daher Disziplinen wie die Kultursoziologie, aber auch die Religions- und Politikwissenschaften, die Theologie(in) sowie nicht zuletzt die Philosophie vor eminente konzeptionelle Herausforderungen. 110 Für eine präzisere Klärung des wechselseitigen Beeinflussungszusammenhangs von Kultur und Religion erweist sich wiederum die Unterscheidung in einen weiten und einen engen Begriff von Kultur als nützlich: Legt man einen weiten Kulturbegriff zugrunde, dann lassen sich Religionen selber als kulturelle Formationen auslegen, die sich binnengesellschaftlich von anderen Kulturen als gesellschaftlichen Teilsystemen funktional und strukturell unterscheiden. Diese gleichsam systemische Betrachtungsweise ›religiöser Kultur(en)‹ innerhalb eines gesellschaftlichen Kontextes ist terminologisch relativ schlüssig durchzuhalten. Religion kann, wie es in der Religionswissenschaft durchaus üblich ist, insofern als ein spezifischer kultureller Diskurs verstanden werden, der sich von anderen kulturellen Diskursen insbesondere dadurch abhebt, dass er die Totalität individueller und kollektiver Vorstellungen und Praxen auf einen letzten ›Sinn‹ hin transzendiert. 111 Verwendet man hingegen einen engen Kulturbegriff im Sinne kultureller Großräume, so stößt man auf die vorhin angedeuteten Überlappungen und -kreuzungen beider Bereiche. Deren zentrale Ur-

110 Siehe zum Verhältnis von Religion und Kultur J. Taubes: Vom Kult zur Kultur. Bausteine zu einer Kritik der historischen Vernunft. Gesammelte Aufsätze zur Religions- und Geistesgeschichte. Hrsg. v. A. u. J. Assmann, W.-D. Hartwich u. W. Mennighaus. München 1996. – Zu den Defiziten hinsichtlich der Behandlung religiöser Phänomene innerhalb der Kultursoziologie siehe Opielka 2007, S. 9 ff. Ferner verweise ich auf die Abhandlung von Willems 2008. – Aus einer theologischen, auf P. Vallin zurückgreifenden Perspektive äußert sich P. Thion über das Verhältnis von Kirche, Religionen und Kultur in dem Aufsatz »L’Église, les religions et la culture moderne«. In: Nouvelle revue théologique, 16 (2004), S. 435–445. Kirche wird hier in einen Gegensatz zur stets kulturell geprägten und ihrerseits Kultur prägenden Religion gebracht. 111 Vgl. dazu entsprechend M. v. Brück: Einführung in den Buddhismus. Frankfurt a. M./Leipzig 2007, S. 12.

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sache ist darin zu sehen, dass Religion als ein designatives Kriterium für die Abgrenzung von Kulturräumen fungieren kann – etwa indem man einen »christlichen« von einem »islamischem« oder »hinduistischen« Kulturraum trennt und somit die überwiegende Religionsanhängerschaft in einem geographischen Raum als primäres kulturelles Merkmal identifiziert. Diese Gleichsetzung von Religionen und Kulturräumen geht so weit, dass das spezifische spirituelle Angebot, das eine jeweilige Religion macht, von deren kultureller Einbettung nicht vollständig zu trennen ist: So impliziert das religiöse Angebot des Christentums auch die kulturellen Transfers, welche die christliche Botschaft von ihrem Ursprung im Nahen Osten über die hellenistisch-römische Zivilisation des Mittelmeerraums bis zur globalen Ausbreitung über Europa hinaus in Nord- und Südamerika und großen Teilen des afrikanischen Kontinents erfahren hat. Die islamische Botschaft wiederum repräsentiert einen Kulturraum, der vom westlichen Afrika bis Indonesien vielfältige, nicht nur arabisch geprägte Kulturen des Orients inklusive uralter Kulturräume wie Ägpyten und Persien umgreift. Und die Botschaft des Buddhismus wiederum ist intrinsisch verbunden mit dem Transfer der in Indien entstandenen Lehre Buddhas nach China sowie in zahlreiche weitere Länder Ostasiens. Somit repräsentieren bereits die drei Weltreligionen Christentum, Islam und Buddhismus ein globalhistorisches Panorama kultureller Räume, die durch die in ihnen jeweils vorherrschende Religion geradezu als kartographierbar erscheinen. Diese durchaus gängige und zunächst unproblematische Unterscheidung kultureller Großräume mittels des Kriteriums ›Religion‹ stößt allerdings dort an eine Grenze, wo die internen Wahrheitsund d. h. zugleich: ›Wahrheitsverbreitungs‹-ansprüche von Weltreligionen auf jene kulturellen Großräume eingeschränkt werden. Die inhaltlichen Ansprüche religiöser Vernunft, wie sie sich in den großen (d. h. mitgliederstarken und geographisch weit verbreiteten) Weltreligionen manifestiert, weisen jedoch über ihre kulturellen Ursprungsräume deutlich hinaus; sie implizieren Weltbilder und moralische Gebote, deren Verbindlichkeit gerade nicht vor kulturgeographisch definierten Grenzen Halt macht, sondern sie in einer transkulturellen Erweiterungsbewegung mit dem letzten Ziel einer menschheitlichen Vereinigung aller Gläubigen zu überschreiten sucht. Dies jedenfalls ist das Kennzeichen aller Weltreligionen, die eine universelle Ansicht vom Weltgeschehen, seinen letzten Gründen sowie der ›richtigen‹ menschlichen Lebensführung innerhalb dieses 93 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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Geschehens vertreten. 112 Genau an demjenigen Punkt also, an dem jene religiösen ›Primärkomponenten‹ ernst genommen werden, die den philosophisch relevantesten Teil einer Religion ausmachen, gerät der Kulturen transzendierende Anspruch religiöser Vernunft mit der Identifizierung von Kultur und Religion in Konflikt. Und es ist eben dieser Widerstreit zwischen der unvermeidlichen kulturellen Einbettung einer Religion und dem gleichzeitigen transkulturellen Ausgreifen der in den Religionen verkörperten Vernunft, der in einer interkulturell ausgerichteten Religionsphilosophie an zentraler Stelle thematisiert werden sollte. Der beschriebene Konflikt spiegelt sich auch im faktischen individuellen und kollektiven Umgang mit Religion wider. Da sowohl der Gesamtbereich »Kultur« als auch der Gesamtbereich »Religion« in hohem Maße identitätsstiftend wirken, birgt die Amalgamierung beider Sphären ein beträchtliches Identifikationspotential für orientierungsbedürftige Individuen und soziale Gruppen. Zumal wenn Individuen bereits mit einer derartigen Amalgamierung von Kultur und Religion aufwachsen und lernen, sich in ihren Bahnen zu bewegen, dürfte eine spätere Trennung in kulturelle und transkulturelle Komponenten von Religiosität ausgesprochen schwer fallen, sofern ein Individuum nicht gelernt hat, sich kognitiv zumindest partiell von seiner erlernten Religiosität zu emanzipieren – was in einem primär säkularen Umfeld wesentlich leichter fallen dürfte als ein in einer von Religiosität durchdrungenen soziokulturellen Umgebung, in der Religion als untrennbar mit kulturellen Praxen verbunden wahrgenommen wird, seien dies nun bestimmte Feste und Rituale, moralische Verhaltensnormen, Formen des individuellen und kollektiven Umgangs mit Zeit oder in das alltagssprachliche Handeln eingebettete Verweise auf Transzendentes. Dem Grad der religiösen Imprägniertheit einer Kultur entspricht auf der anderen Seite der Grad der kulturellen Einfärbung einer Religion. Gerade dadurch, dass Religion als konstitutives Merkmal einer Kultur fungiert, gewinnen ihre kulturell konnotierten »Sekundäreigenschaften« (also die symbolischen, »empirischen« Aspekte einer Religion wie etwa mythische Erzählungen und rituelle VerrichtunVgl. C. Geffré: »La Parole de Dieu face aux religions et aux cultures«. In: Bible et Cultures. Hrsg. v. T. P. Osborne et R.-F. Poswick. Paris 2001, S. 15–43, hier S. 15: »L’Évangile comme Bonne Nouvelle du salut en Jésus-Christ s’adresse à tout être humain. Il est proprement universel, c’est-à-dire transculturel.«

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gen) an Bedeutung, während ihre tendenziell Kultur transzendierenden »Primärkomponenten« (d. h. ihre translationsfähigen Aspekte, insbesondere metaphysische Doktrinen, moralische Grundsätze oder mystische Erfahrungen) demgegenüber in den Hintergrund treten können. In dieser Verkehrung der Prioritäten religiöser Vernunft liegt einer der wichtigsten Gründe für das Auftreten von Intoleranz zwischen den Anhängern unerschiedlicher Religionen und damit potentiell auch für die negative Kontaktform des interreligiösen Konflikts bis hin zum Religionskrieg. Das komplexe Wechselverhältnis von Kultur und Religion verweist auf die Notwendigkeit, den Begriff der Religion selbst einer kritischen Reflexion zu unterziehen – zumindest insoweit, als er für eine interkulturell orientierte Religionsphilosophie in Anspruch genommen werden soll. Für deren Belange bedarf es freilich keiner essentialistischen Festlegung dessen, was mit dem Ausdruck »Religion« bezeichnet wird – dafür ist die Religionsgeschichte ohnehin viel zu facetten- und variantenreich –, 113 sondern vielmehr einer heuristischen Bestimmung der Perspektive, unter der bestimmte Phänomene, Diskurs- und Praxisformen als religös und überdies religionsphilosophisch relevant gekennzeichnet werden können. Eine derartige Heuristik des Religionsbegriffs hat zu beachten, dass der moderne Begriff von ›Religion‹ selbst aus einem spezifischen historischen Kontext hervorgegangen ist, nämlich der von interkonfessionellen Streitigkeiten und Religionskriegen geprägten frühen europäischen Neuzeit. 114 In der durch Reformation und Gegenreformation gekennzeichneten Epoche diente der Religionsbegriff zunächst nur dazu, das den christlichen Konfessionen Gemeinsame zu bezeichnen, bevor er in der Folgezeit auch zur Kennzeichnung nicht-christlicher Ausdrucksformen von Religiosität verwendet wurde. Seine lateinisch-okzidentale Herkunft haftet dem Wort, das den allgemeinen Begriff des 113 Siehe dazu Ohlig 2006. Bezogen auf die antike römische Staatsreligion bezeichnete der lateinische Ausdruck religio (bzw. im Plural religiones) die Gesamtheit der rituellen Vorschriften, die bei der Ausübung des römischen Kultes zu beachten waren. Die etymologische Herleitung des Begriffs ist unsicher: Eine auf Cicero zurückgehende Traditionslinie leitet ihn von religere = berücksichtigen, ab, während eine auf Laktanz zurückgehende Tradition ihn auf religare = binden zurückführt. Bis in die frühe Neuzeit wurde auch innerhalb des Christentums der Ausdruck religio zur Bezeichnung ritueller Pflichterfüllung, etwa im Rahmen klösterlichen Ordensgemeinschaften, verwendet. In der vorliegenden Untersuchung ist hingegen der moderne, erweiterte Religionsbegriff von Interesse. 114 Vgl. v. Brück 2007, S. 11 f.

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Religiösen verkörpern soll, gleichwohl unabwendbar an. 115 Für eine interkulturell orientierte Religionsphilosophie kann dieser europäisch-christliche Ursprung des Religionsbegriffs insofern ein Problem darstellen, als es in den Sprachen einiger nicht-okzidentaler Kulturen nicht möglich sein dürfte, in einem Wort genau dasjenige zum Ausdruck zu bringen, was der Begriff »Religion« vor dem Hintergrund der okzidentalen Kultur bezeichnet. 116 Und umgekehrt kann es in nicht-okzidentalen Kulturen Phänomene ritualisierter Sinnstiftung o. ä. geben, deren Integration in den überkommenen Religionsbegriff diesen von seinen ursprünglichen ethymologischen Wurzeln abschneiden müsste. 117 Entweder muss man also den Religionsbegriff seinem christlich-theozentrisch geprägten Ursprungskontext entSiehe dazu J. Derrida: Foi et Savoir. Suivi de Le Siècle et le Pardon. Paris 1996 (dt. Übers.: »Glauben und Wissen. Die beiden Quellen der ›Religion‹ an den Grenzen der bloßen Vernunft«. In: J. Derrida/G. Vattimo: Die Religion. Frankfurt a. M. 2001, S. 9– 106, hier S. 13 f.); M. Enders: »Ist ›Religion‹ wirklich undefinierbar? Überlegungen zu einem interreligiös verwendbaren Religionsbegriff«. In: Phänomenologie der Religion. Zugänge und Grundfragen. Hrsg. v. M. Enders u. H. Zaborowski. Freiburg/ München 2004, S. 49–87. 116 So hat R. Panikkar darauf hingewiesen, dass der Begriff ›Religion‹ im Sanskrit alternativ mit dharma, sampradaya, karma, jati, bhakti, marga, puja, daivakarma, nimayaparam, punyaxila übersetzt werden könnte. Siehe R. Panikkar: »Religion, Philosophie und Kultur«. In: Polylog, 1 (1998), S. 13–37. Siehe im Hinblick auf den chinesischen Begriff zongjiao C. Meyer: »Der moderne chinesische ›Religionsbegriff‹ zongjiao als Beispiel translingualer Praxis. Rezeption westlicher Religionsbegriffe und –vorstellungen im China des frühen 20. Jahrhunderts«. In: Religion in Asien? Studien zur Anwendbarkeit des Religionsbegriffs. Hrsg. v. P. Schalk. Uppsala 2013, S. 351–392. – Ferner sei verwiesen auf die Ausführungen zur buddhistischen Religionsauffassung bei H. Seidl: Über das Verhältnis von Philosophie und Religion. Beiträge zur Religionsphilosophie. Hildesheim 2003, S. 287–340, sowie auf die komparative Untersuchung von H.-M. Haußig: Der Religionsbegriff in den Religionen. Studien zum Selbst- und Religionsverständnis in Hinduismus, Buddhismus, Judentum und Islam. Berlin 1999. 117 Auf die Problematik der Anwendung des Begriffs ›Religion‹ auf außereuropäische Kulturen hat v. a. W. C. Smith aufmerksam gemacht. Für Smith handelt es sich beim Religionsbegriff um eine Erfindung westlicher Gelehrter, die nur um den Preis einer verfälschenden Substantialisierung und Fixierung dynamischer Muster von Glaubensüberzeugungen, Erfahrungen und Praktiken auf andere Kulturen übertragen werden kann; er kommt daher zu dem Ergebnis: »I suggest that the term ›religion‹ is confusing, unnecessary, and distorting […].« (W. C. Smith: The Meaning and End of Religion. Minneapolis 1991, S. 50). Smith schlägt anstelle des Ausdrucks ›Religion‹ das Begriffspaar ›tradition and faith‹ vor, konzediert allerdings, dass der Religionsbegriff wegen seiner gängigen Verwendung im Sprachgebrauch nur schwerlich durch einen anderen Ausdruck ersetzt werden kann. Siehe dazu auch Haußig 1999, S. 10 ff. 115

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fremden und seine Extension ausweiten, wenn man ihn auf Phänomene unterschiedlicher kultureller Provenienz anwenden will, oder man verzichtet – so weit dies überhaupt möglich ist, wenn man verallgemeinert argumentieren will – auf eine Subsumierung aller möglichen kulturellen Ausprägungen von Religiosität unter einen einheitlichen Begriff »Religion« und bedient sich stattdessen ausschließlich derjenigen Ausdrücke, die innerhalb jeweiliger kultureller Selbstzuschreibungen das Feld des fälschlicherweise so genannten allgemeinen »Religiösen« jeweils anders umschreiben. Wie schon im Hinblick auf den Philosophiebegriff, der ja ebenfalls griechisch-europäischen Ursprungs ist – auch wenn die Sache, die er bezeichnet, nicht nur innerhalb einer bestimmten Kultur anzutreffen ist –, so erscheint auch bezogen auf den Begriff der Religion die zuerst genannte Variante einer Extension des begrifflichen Inhalts als plausibler und angemessener, sofern man eine kulturell binnendifferenzierte Religionsphilosophie anstrebt, deren DiskursteilnehmerInnen sich in verschiedenen Sprachen gleichwohl über dieselben Inhalte verständigen können sollen. Insofern darf, ja muss man zwar die ethymologische Herkunft grundlegender Termini wie desjenigen der ›Religion‹ in der je eigenen Argumentation und Reflexion kritisch mitberücksichtigen; ein generelles Übertragungsverbot eines in einer bestimmten Kultur entstandenen Begriffs in einen anderen kulturellen Kontext wäre aber alleine schon deswegen unsinnig, weil – wie etwa die philosophische Dekonstruktion Derridas hinreichend gezeigt hat – die Iterabilität von Wörtern und Begriffen, ihre Implementierbarkeit in unterschiedlichste Kontexte, wodurch sich ihr Bedeutungsfeld verändern kann, grundlegend für das Funktionieren von Sprache überhaupt ist. Auch wenn das Wort ›Religion‹ also europäischen Ursprungs ist, so darf es gleichwohl in Kontexten verwendet werden, die für alle Weltkulturen relevant sind und zu denen sämtliche Weltkulturen Beiträge leisten – zumal der europäische, ursprünglich am Christentum orientierte Religionsbegriff längst in außereuropäischen Kulturen rezipiert und größtenteils adapiert worden ist. Ein pragmatischer Umgang mit dem Religionsbegriff entbindet zugleich von der problematischen Forderung, ein für alle Kulturen geltendes ›Wesen‹ der Religion oder eine universelle Funktion des Religiösen definitorisch festlegen zu müssen. Derartige essentialistische und funktionalistische Definitionsversuche leiden in der Regel darunter, dass sie ein bestimmtes Merkmal (wie etwa den Glauben an Gott oder spirituelle Wesen, Frömmigkeit, rituelle Vollzüge, die Er97 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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fahrung einer sakralen Sphäre usw.) oder eine bestimmte Funktion (wie etwa die Erzeugung existentieller Sicherheit oder die Bewältigung von Kontingenz) besonders hervorheben, während sie andere, ebenfalls relevante Merkmale und Funktionen von Religion demgegenüber abschatten. 118 Unter Umständen handelt es sich bei den herausgestellten Merkmalen sogar um solche, die nur für ganz bestimmte Religionen oder gar nur für eine einzige von Belang sind. Seit dem späten 18. Jahrhundert sind zahlreiche Versuche, ein ›allgemeines Wesen der Religion‹ in substanzieller, funktionaler oder strukturaler Hinsicht zu bestimmen, unternommen worden. 119 Die im Zuge der europäischen Aufklärung vorgenommene Erweiterung des Religionsbegriffs schien eine präzisere Auslegung dessen zu erfordern, was als das verbindende ›Wesen‹ des unter dem Begriff der Religion Subsumierten gelten sollte. Einen Meilenstein stellten in diesem Zusammenhang F. Schleiermachers Reden Über die Religion 120 dar, die das religiöse Gefühl, den »Sinn und Geschmack fürs Unendliche« 121, als eine Sphäre sui generis beschrieben, die sich weder auf Metaphysik noch auf Moral reduzieren lasse. 122 Zu den Versuchen einer allgemeinen Wesensbestimmung des Religiösen sind auch die dezidiert religionskritischen Ansätze des 19. Jahrhunderts zu zählen, denen es primär darum ging, ein seiner118 Siehe dazu O. Krüger: »›Religion‹ definieren. Eine wissenssoziologische Analyse religionsbezogener Enzyklopädistik«. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 69 (2017), S. 1–46; D. Pollack: »Probleme der Definition von Religion«. In: Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik, 1 (2017), S. 7–35; Peterson/Hasker/Reichenbach/Basinger 2013, S. 6 ff. 119 Siehe dazu S. Wendel: Religionsphilosophie. Stuttgart 2010, S. 10 ff. 120 F. Schleiermacher: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799/1806/1821). Studienausgabe. Hrsg. v. N. Peter, F. Bestebreutje u. A. Büsching. Zürich 2012. Siehe dazu auch T. Vial: »Friedrich Schleiermacher«. In: Oppy/Trakakis 2009. Vol. 4: Nineteenth-Century Philosophy of Religion, S. 31–47. 121 Schleiermacher: Über die Religion, op. cit., S. 47. 122 Vgl. dazu auch Schleiermachers spätere Schrift Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhang dargestellt. Berlin 1884, hier zitiert nach: Schleiermachers Werke. Auswahl in vier Bänden. Dritter Band. Hrsg. u. eingel. v. O. Braun u. J. Bauer. Aalen 1981, S. 631–729, hier S. 633: »Die Frömmigkeit, welche die Basis aller kirchlichen Gemeinschaften ausmacht, ist reich (sic!) für sich betrachtet weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins.« In dieser Schrift legt Schleiermacher bei seiner Bestimmung des Religionsbegriffs gegenüber den früheren Reden Über die Religion den Akzent stärker auf »das unmittelbare innere Aussprechen des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls« (ebd., S. 659).

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seits nicht-religiöses ›Wesen‹ des Religiösen zu eruieren. Die in diesem Zusammenhang vorgelegten einflussreichen Deutungen des Religiösen etwa von A. Comte, L. Feuerbach, K. Marx, F. Nietzsche oder S. Freud sind jedoch insofern als problematisch zu betrachten, als sie auf einer relativ schmalen Materialbasis höchst weit reichende Schlussfolgerungen bezüglich des generellen Charakters von Religion ziehen, die jedoch allenfalls hinsichtlich einzelner Phänomene des Christentums, partiell auch des Judentums, plausibel und gerechtfertigt erscheinen. 123 So lässt sich nach heutigem, durch die Forschungsergebnisse der Ethnologie und der vergleichenden Religionswissenschaften angereicherten Kenntnisstand das Phänomen des Religiösen sicherlich nicht mehr innerhalb einer exakt eingrenzbaren Epoche der Menschheitsgeschichte verorten, wie es der Comte’sche Positivismus wahr haben wollte. Im interkulturellen Vergleich erweist sich ferner die Auffassung des Linkshegelianismus als unzureichend, Religion als eine bloße Projektion allgemein-menschlicher Eigenschaften auf eine transzendente Figur aufzufassen. Auch die marxistische Deutung von Religion als eines fehlgeleiteten Produktes ungerechter ökonomischer Daseinsbedingungen – als ›Opium des Volkes‹ –, die genealogische Zurückführung der Religion auf einen lebensfeindlichen ›Willen zum Nichts‹, wie sie Nietzsche vorgenommen hat, oder die freudianische Auflösung religiöser Sehnsüchte in die infantilen Sehnsüchte nach einem übermächtigen Vater können angesichts der interkulturell wahrnehmbaren Bandbreite religiöser Phänomene keine universell gültige Erklärungs- oder Definitionskraft beanspruchen. Stattdessen erweisen sich gerade jene Ansätze einer fundamentalen Religionskritik, die nur auf der Basis eines erweiterten, universalen Religionsbegriffs möglich waren, aus heutiger Sicht als überaus sektoral: Sie haben es nicht in zureichender Weise vermocht, kritisch auf ihre eigene, einseitig auf der Geschichte des Christentums beruhende Positionalität zu reflektieren. 124 In philosophischen und religionswissenschaftlichen Ansätzen des 20. Jahrhunderts, die sich um eine Wesensbestimmung des Religiösen bemüht haben, war oftmals die Tendenz vorherrschend, Religion anhand eines besonders charakteristischen Bestandteils, der am Ursprung von Religiosität überhaupt gestanden habe, zu definieren – 123 124

Vgl. dazu Ohlig 2006, S. 12. Vgl. R. Schaeffler: Religionsphilosophie. Freiburg/München 2002, S. 27 f.

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also nicht mehr anhand eines außerreligiösen Motivs, das gleichsam als Auslöser der ›religiösen Krankheit‹ fungiert haben könnte. Als profilierteste Kandidaten eines solchen ursprünglichen Elements haben sich einerseits der »Mythos«, andererseits das »Ritual« bzw. der »Ritus« herauskristallisiert. Welchem der beiden Kandidaten der Vorzug bei der Bestimmung des religiösen Wesens gegeben wird, hängt nicht zuletzt davon ab, welche geschichtsphilosophische Auffassung über den Hervorgang des Religiösen aus lebensweltlichen Handlungszusammenhängen favorisiert wird: 125 Eine eher idealistischklassizistisch ausgerichtete Position wird den »Mythos« als das zentrale Moment des Religiösen betrachten, während eine eher am Begriff des Kultischen orientierte Rekonstruktion des Altertums den performativen »Ritus« als den grundlegenden und primären Aspekt der Religion favorisieren wird. Sowohl der mythologischen als auch der ritualistischen Deutungsweise ist gemeinsam, dass sie oftmals mit einem problematischen Evolutionismus in der Religionsbetrachtung einhergehen, der den – in den meisten Fällen ohnehin nur schwer greifbaren – historischen Ursprung einer Religion fälschlicherweise mit deren Wesenskern identifiziert. Der religiöse Evolutionismus neigt überdies dazu, bestimmte Religionsformen gegenüber anderen qualitativ auszuzeichnen (etwa monotheistische gegenüber polytheistischen) und die religionsgeschichtliche Entwicklung in hegelscher Manier als einen kontinuierlichen kulturellen Fortschritt zu rekonstruieren. Es muss kaum eigens betont werden, dass eine derartige teleologische Betrachtungsweise der Religionsgeschichte den Intentionen einer interkulturell ausgerichteten Religionsphilosophie nicht angemessen sein kann. 126 Auch eine allgemeine Bestimmung des religiösen Wesens über den Begriff des »Heiligen«, wie sie etwa M. Eliade 127 vorgenommen 125 Siehe dazu J. Habermas: »Eine Hypothese zum gattungsgeschichtlichen Sinn des Ritus«. In: Ders.: Nachmetaphysisches Denken II. Aufsätze und Repliken. Berlin 2012, S. 77–95. Habermas verortetet die Bedeutung des sakralen Komplexes, d. h. der Verbindung von Mythos und Ritus, in der »Erneuerung gesellschaftlicher Solidarität als Antwort auf aktuelle Erschütterungen dieses störanfälligen Resonanzbodens« (ebd., S. 94). 126 Siehe dazu C. Auffahrth/H. Mohr (Hrsg.): Metzler Lexikon Religion. Gegenwart – Alltag – Medien. Bd. 4. Stuttgart/Weimar 2002, S. 5 f. 127 M. Eliade: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. Frankfurt a. M. 1987; ders.: Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte. Frankfurt a. M. 1986.

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hat, des »Numinosen« im Sinne R. Ottos 128 oder des Unbedingten (P. Tillich) 129 orientiert sich noch zu sehr an den Transzendenzideen der jüdisch-christlichen Tradition, als dass sich aus ihr eine universale Kategorie der Religionsphilosophie ableiten ließe. Sakralität bzw. die Numinosität des mysterium fascinosum et tremendum im Unterschied zum Profanen können zwar ohne Zweifel überaus wichtige Komponenten einer Religion darstellen; ihre Konstituierung als exklusives Merkmal von Religion überhaupt würde jedoch bedeutende Phänomene und Formationen aus der Religionsgeschichte ausschließen, die ohne sakrale Bezüge im monotheistischen Sinne auskommen und gleichwohl üblicherweise als »Religionen« bezeichnet werden (wie etwa der Theravāda-Buddhismus). Wenn somit weder die religionskritische Zurückführung des Religiösen auf einen nicht-religiösen Ursprung noch die religionswissenschaftliche Suche nach einem ursprünglichen Phänomen, welches das Fundament alles Religiösen konstituieren soll (der Mythos, das Ritual, das Heilige etc.), den Begriff der Religion zureichend bestimmen können, liegt die Vermutung nahe, dass es in heuristischer Perspektive statthafter sein könnte, auf eine inhaltliche Fundierung des Religionsbegriffs zu verzichten. Stattdessen wäre nach formalen Kriterien zu suchen, welche die verschiedenen Religionen als ebenso viele Antworten auf bestimmte Fragen und Beweggründe begreiflich machen, die sich im Zusammenhang mit den generellen Chancen und Problemen des menschlichen Weltaufenthalts prinzipiell in allen Kulturen stellen. Da Menschen zeitlebens weder in ihrem Selbstbezug noch in ihren kooperativen Interaktionen eine befriedigende Antwort darauf finden, worum willen sie eigentlich auf der Welt sind, erscheint es als durchaus rational, die Frage nach dem ›Sinn‹ menschlichen Daseins aufzuwerfen und nach zufrieden stellenden Antworten zu suchen. Insofern ist das motivierende Fundament einer Religion rational, da es grundsätzlich rational ist, die Frage danach zu stellen, warum wir überhaupt existieren. Die in bestimmten Religionen konkretisierten Antworten auf diese Frage in Form mythischer oder ritualisierter Verehrungen des Numinosen mögen dann zwar

R. Otto: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. München 1991. Vgl. dazu auch die an Otto anschließende soziologische Religionsdefinition bei P. L. Berger: Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft. Elemente einer soziologischen Theorie. Frankfurt a. M. 1988. 129 P. Tillich: Wesen und Wandel des Glaubens. Berlin 1966. 128

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nicht mehr rational (wenn auch nicht unbedingt irrational) sein; aber da ihre Motivation rational ist, bergen auch jene Verhaltensformen und Verbalisierungen religiöser Erfahrungen, die sich einer vollständigen Rationalisierung entziehen, einen vernünftigen Kern. Insofern ließe sich Religion formal als eine kulturell divergierende, das Leben menschlicher Individuen und Gruppen gestaltende Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Daseins begreifen, die sich phänomenal durch mannigfaltige Mythen und Rituale sowie durch zugleich totalisierende und individuell ergreifende Welt- und Lebensdeutungen auszeichnet, die von ihren Anhängern kreditiv geglaubt werden. 130 Fasst man den Religionsbegriff in dieser Weise, so wird auch das besondere Spannungsverhältnis, in dem Religion(en) und Philosophie(n) zueinander stehen, verständlicher, indem beide Sphären als verschiedene – und selbstverständlich auch in sich selbst divergierende – Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Daseins aufgefasst werden. Religionen stellen demnach historisch gestiftete, kulturell tradierte und kollektiv beglaubigte Modelle des Glaubens und SichVerhaltens zur Verfügung, an denen sich die Identität eines Individuums innerhalb eines Kollektivs – affirmativ oder kritisch – ausbilden kann. Diese formelle Charakterisierung von ›Religion(en)‹ ist freilich einer objekivierenden Außenansicht geschuldet, die von den Anhängern einer bestimmten Religion – in deren glaubender Binnenperspektive – keinswegs mitvollzogen werden muss. Vielmehr ist mit W. C. Smith darauf hinzuweisen, dass bereits die Verwendung des Ausdrucks ›Religion‹ im Hinblick auf die eigene Glaubenspraxis bzw. die Mythen und Rituale des jeweiligen Kollektivs ein reflexives Verhältnis zum je eigenen religiösen Vollzug impliziert. 131 ›Religion‹ ist den begriffsgeschichtlichen Erkenntnissen W. C. Smith zufolge immer schon dadurch bestimmt, dass eine Glaubensform in Differenz zu anderen steht; die Problematik religiöser Diversität und Divergenz ist somit bereits dem Religionsbegriff selbst inhärent. Wer die Frage nach dem Sinn des Daseins nicht religiös, sondern philosophierend zu beantworten sucht, nimmt im Prozess des Philosophierens zwangsläufig ein reflektiertes Distanzverhältnis gegenüber religiösen Überzeugungen und Praxen, spirituellen Glaubensund Verhaltensmodellen ein. Insofern ist die Abgrenzung der philosophischen Weisheitssuche von einem genuin religiösen Vollzug 130 131

Siehe dazu auch Ohlig 2006, S. 15 ff. Siehe W. C. Smith: The Meaning and End of Religion. Minneapolis 1991.

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sachlich berechtigt – auch wenn sich in der Nahbetrachtung konkreter Diskursformationen aus unterschiedlichen Epochen und Kulturen immer wieder erweist, dass eine absolute Trennung beider Sphären nicht konsequent durchzuhalten ist. Die scheinbar gleichberechtigte Gegenüberstellung der Bereiche »Philosophie« und »Religion« ist aber auch deswegen problematisch, weil der phänomenale Gesamtbereich dessen, was unter den Religionsbegriff subsumiert werden kann, wesentlich umfassender ist als der Bereich des Philosophischen, sofern dieser im Wesentlichen kognitive Aktivitäten beinhaltet, während jener darüber hinaus auch individuell oder kollektiv vollzogene rituelle Handlungen und mythische Erzählungen beinhaltet. Deswegen sind Philosophie und Religion nicht als Gesamtsysteme miteinander vergleichbar, sondern nur in denjenigen Aspekten, die beide grundsätzlich miteinander teilen – etwa ihrer gemeinsamen Intention, eine befriedigende, umfassende und »wahre« Antwort auf die Frage nach dem Sinn menschlichen Lebens zu geben. Auch in historischer Perspektive haben »Religion« und »Philosophie« nur in eng umgrenzten epochalen Situationen in einer Weise miteinander koexistiert, die ihre konsequente Trennung ebenso wie ihre enge Bezugnahme aufeinander plausibel erscheinen ließ. Über lange Zeiträume der Menschheitsgeschichte hinweg konnte es schlichtweg keine Beziehung zwischen Philosophie und Religon geben, da es Philosophie als ausdrückliche Befragung und Reflexion des menschlichen Weltaufenthalts noch nicht gab. Denn während als religiös qualifizierbare Verhaltensweisen – sofern man ritualisierte Bestattungen hierfür als relevanten Indikator heranzieht – seit dem frühesten prähistorischen Auftreten der Gattung homo sapiens festzustellen sind, ist der historische Ursprung expliziten Philosophierens erst in der von K. Jaspers so genannten ›Achsenzeit‹ (zwischen 800 und 200 v. Chr.) 132 zu verorten, in der die antiken griechischen 132 Siehe K. Jaspers: Vom Ursprung und Ziel der Geschichte. München 1949, insbesondere S. 19–42. Vgl. dazu auch J. Habermas: »Eine Hypothese zum gattungsgeschichtlichen Sinn des Ritus«. In: Habermas 2012, S. 77: »Der Name ›Achsenzeit‹ rührt daher, dass sich Jaspers das Jahr 500 v. Chr. als die ›Achse‹ vorstellt, um die sich die Rotation der Weltgeschichte gleichsam beschleunigt, weil sich in der vergleichsweise kurzen Periode zwischen ungefähr 800 und 200 v. Chr. unabhängig voneinander mentale Revolutionen ereignet haben, aus denen die ›starken‹, bis heute mächtigen religiösen Lehren und metaphysischen Weltbilder hervorgegangen sind.« Die interkulturelle Relevanz dieses Theorems beschreibt Habermas wie folgt (S. 78): »Jaspers lenkt die Aufmerksamkeit auf das welthistorisch bemerkenswerte Faktum der ungefähr gleichzeitigen Entstehung von kosmologischen Weltbildern und Weltreligionen,

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Philosophien, die klassischen chinesischen Weisheitsschulen (Daoismus und Konfuzianismus) sowie die buddhistische Lehre in Indien auftraten. Diesen bedeutsamen Manifestationen menschlicher Selbstreflexivität sind weitere religiöse Entwicklungen innerhalb desselben Zeitraums an die Seite zu stellen, aus denen die Entstehung des talmudischen Judentums sowie des Zoroastrismus in Persien herausragen. Wenn wir Jaspers’ nicht unumstrittenes Konzept der »Achsenzeit« als eine heuristische Folie akzeptieren wollen, die einen aufschlussreichen Überblick über parallele kulturelle Entwicklungen der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr. vermittelt, dann gelangen wir zu dem wichtigen Befund, dass die Fundamente der Weltreligionen und die Fundamente des philosophischen Nachdenkens in unterschiedlichen Kulturen nahezu gleichzeitig gelegt worden sind, wobei die zentrale Innovation beider Entwicklungen in ihrem universalisierungsfähigen Potential liegt: Die grundlegende Reflexion auf die Gründe der Natur sowie des menschlichen Handelns und Denkens, die etwa im klassischen China und im klassischen Griechenland auf völlig unterschiedlichen Wegen und auf je einzigartige Weise entwickelt wurde, die Lehre vom Leidenscharakter des Daseins und seiner Überwindung, die Botschaft des sich offenbarenden und zugleich entziehenden Gottes, der als alleiniger Weltenschöpfer und -beherrscher die unüberschaubare Vielfalt kulturell geprägter Göttergestalten überwindet – all diese divergierenden Universaldeutungen der Welt und des Menschen kommen letztlich in dem entscheidenden Punkt überein, dass sie über den Raum einer einzelnen Kultur hinausweisen und einen im Kern Kulturen transzendierenden, menschheitsübergreifenden Geltungsanspruch formulieren. Aus der achsenzeitlichen Gleichursprünglichkeit von universalisierungsfähiger Religion und Philosophie legitimiert sich ihre Rolle als voneinander lernfähige Diskurspartner ebenso wie als geschwisterlich verfeindete Konkurrenten um die wahre Deutung der Welt und die richtige Weise menschlicher Lebensführung. Da prähistorische Formen von Religiosität sowie die seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. aufgekommenen polytheistischen Hochreligionen dem gemeinsamem achsenzeitlichen Ursprung von Religion und Philosophie voraus gegangen sind, können sie konsequenterweise nicht als gleich-

um der eurozentrischen Sicht auf Jerusalem und Athen die pluralistische These von der Gleichursprünglichkeit der großen eurasischen Zivilisationen entgegenzusetzen.«

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berechtigte Gesprächspartner innerhalb des religionsphilosophischen Diskurses fungieren. 133 Die primären Bezugsobjekte der Religionsphilosophie sind somit die Weltreligionen, die zwar jeweils in einer bestimmten Kultur und Epoche entstanden sind, jedoch in ihrem inhaltlichen und kognitiven Anspruch über ihren kulturellen Ursprungshorizont hinaus auf eine universalisierungsfähige Entfaltung religiöser Vernunft verweisen.

2.2

Historische Vorläufertheorien und Ansätze zu einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie

Im Anschluss an die soeben vorgenommene Erörterung des Religionsbegriffs wird es nun darum gehen, einige historische Vorläufertheorien zu einer interkulturellen Religionsphilosophie zu benennen. Da es sich bei der Religionsphilosophie um eine Disziplin der modernen europäischen Philosophie handelt, deren Hauptinteresse lange Zeit nahezu ausschließlich den theozentrischen Erscheinungsformen von Religiosität gegolten hat, wird sich der folgende Überblick zwangsläufig auf prononçierte Positionen innerhalb der ›westlichen‹ Philosophie konzentrieren, denen Ansätze zu einer interkulturellen Erweiterung der Religionsphilosophie zu entnehmen sind. 134 Fasst man die europäische Vorgeschichte einer interkulturell ausgerichteten Religionsphilosophie hinreichend weit, so steht diese in einer Traditionslinie des rationalen Dialogs zwischen Philosophie und Religion, 135 die von Peter Abaelards Dialogus inter Philosophum,

133 Unbeschadet dieser Einschränkung können vor-achsenzeitliche Formen von Religiosität selbstverständlich Teil des Objektbereichs einer Religionsphänomenologie sein, die sich um die Interpretation religiöser Phänomene bemüht, ohne dabei jedoch das Hauptaugenmerk auf deren inhärente Wahrheitsansprüche zu richten. 134 Dass auch in nicht-westlichen Kontexten wegweisende Überlegungen zum Verhältnis von Religion und Philosophie entstanden sind, die von einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie unbedingt aufgegriffen werden sollten, sei damit unbestritten. Zu nennen sind hier beispielsweise Arbeiten des japanischen Religionsphilosophen Keiji Nishitani, v. a. Was ist Religion? Frankfurt a. M. 1982; ders.: Religion and Nothingness. Berkeley 1982. 135 A. Renusch sieht bereits in Origines’ Schrift Contra Celsum aus dem 3. Jh. Ansätze zu einer Erörterung der Problematik religiöser Diversität. Ferner verweist sie in diesem Zusammenhang auch auf Thomas von Aquins Summa Contra Gentiles. Siehe Renusch 2014, S. 21.

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Judaeum et Christianum 136 über die Schrift De pace fidei des Nikolaus Cusanus 137 bis hin zu Gotthold Ephraim Lessings aufklärerischem Ideendrama Nathan der Weise 138 und darüber hinaus, will man die Linie bis in die Gegenwart weiter ziehen, bis zu Hans Küngs »Projekt Weltethos« 139 reicht. Freilich sind diese und andere europäischen Marksteine einer reflektierten Bemühung um rational und diskursiv begründete Toleranz zwischen den Religionen bzw. zwischen Religionen und Philosophien überwiegend innerhalb eines theozentrischen Paradigmas der Religionsbetrachtung verblieben. Aber unbeschadet dessen verweisen sie auf das leitende Ziel, auf das sich eine interkulturell orientierte Religionsphilosophie verpflichten sollte: nämlich letztlich auf ein menschheitliches ›Weltethos‹ hinzuarbeiten, 140 auf ein rational begründbares Rahmengefüge für den planetarischen Weltaufenthalt von Menschen, auf das sich unter idealen Bedingungen die Angehörigen sämtlicher Weltkulturen einigen könnten und das dabei zugleich genügend Spielraum für kulturelle und religiöse Differenzen belassen würde. Ein solcher Kulturen übergreifender ›Rahmen‹ würde von jenen verbindlichen Spielregeln der Vernunft organisiert, die es ermöglichen, mit kulturspezifischen Divergenzen (beispielsweise im Hinblick auf religiöse Sekundäreigenschaften wie Gebetsrituale oder Ernährungsvorschriften) konstruktiv und rational umzugehen. Kulturelle Divergenzen laufen nämlich allzu leicht Gefahr, gegenüber dem transkulturell-Verbindenden als relevanter eingestuft zu werden, sodass dem Trennenden in der interkulturellen Auseinandersetzung fälschlicherweise ein größeres P. Abaelard: Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen. Frankfurt a. M./Leipzig 2008. 137 Nikolaus von Kues: »De pace fidei. Der Friede im Glauben«. In: Ders.: Philosophisch-theologische Schriften. Hrsg. u. eingef. v. L. Gabriel. Übers. v. D. u. W. Dupré. Bd. III. Wien 1989, S. 705–797. Siehe dazu auch M. Riedenauer: »Aufgeklärte Religion als Bedingung interreligiösen Diskurses nach Nikolaus Cusanus«. In: Polylog, 21 (2009), S. 21–34. – Als weiterer philosophisch-religiöser Dialog aus dem 13. Jahrhundert wäre Ramon Lulls Buch vom Heiden und den drei Weisen (Stuttgart 1998) zu nennen. Siehe dazu F. Körner: Kirche im Angesicht des Islam. Theologie des interreligiösen Zeugnisses. Stuttgart 2008, S. 124 ff. 138 G. E. Lessing: Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen. Stuttgart 1998. 139 H. Küng: Projekt Weltethos. München/Zürich 2008; siehe auch ders. (Hrsg.): Dokumentation zum Weltethos. München 2002; sowie C. Hasselmann: Hans Küngs Projekt Weltethos interkulturell gelesen. Nordhausen 2005. 140 Vgl. dazu auch Schönherr-Mann 2008. 136

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Gewicht zugemessen wird als dem Gemeinsamen. 141 Das Divergierende, Besondere, Trennende zwischen Kulturen scheint gegenüber dem Verbindenden, Allgemeinen und Einigenden tendenziell interessanter und lebendiger zu sein; doch lebendig bleibt es nur dann, wenn es sich auf einer gemeinsam geteilten Grundlage, die das Primäre darstellt, abspielt. Die verabsolutierte Differenz ist nichts anderes als die verabsolutierte Beziehungslosigkeit, der Tod; erst aus der Spannung zwischen primären Gemeinsamkeiten und sekundären Differenzen ergeben sich fruchtbare und lebendige interkulturelle Begegnungen. Eine positive Würdigung von Differenz und Alterität in weltanschaulich-religiösen Belangen konnte sich freilich innerhalb der neuzeitlichen europäischen Geschichte erst in langwierigen und konfliktreichen Auseinandersetzungen allmählich durchsetzen und in der Folge ihren Niederschlag in politischen Verfassungen finden, die den Staatsbürgerinnen und -bürgern das Recht auf freie Religionsausübung garantierten. Die großen geistesgeschichtlichen Bewegungen der europäischen Neuzeit – Renaissance, Humanismus, Reformation, Rationalismus und Aufklärung – haben je das Ihre dazu beigetragen, die Fesseln einer einseitig religiös-dogmatischen, von kirchlichen Institutionen überwachten Weltsicht zu lockern und die Fähigkeiten der menschlichen Vernunft zur Eruierung von intersubjektiv überprüfbarem Weltwissen und intersubjektiv begründbaren Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens frei zu setzen. Zu diesem im Rückblick revolutionären Konstituierungsprozess der Vernunft als eines einheitlichen, geradezu menschheitsverbindenden Mediums, das inhaltliche Vielfalt auf der Basis gemeinsamer formaler Regeln gewährleistet, hatte auch die Erfahrung der grausamen und verheerenden Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts beigetragen, in denen sich die erste bedeutsame Entfaltung religiöser Pluralität in Europa seit der Spätantike gewaltsam entladen hatte. 142 Der Eindruck der blutig ausgetragenen religiösen Dissense veranlasste Denker des 17. Jahrhunderts wie P. Bayle, H. Grotius, J. Locke, S. von Pufendorf und B. de Spinoza dazu, die Fundamente interreligiösen Zusammenlebens auf rationalistischer Basis neu, und zwar unter dem Leitbegriff der religiösen Toleranz, zu entwerfen. 143 In der seit Vgl. Paul 2008, S. 19 f. Siehe dazu auch H. Seubert: Zwischen Religion und Vernunft. Vermessung eines Terrains. Baden-Baden 2013, S. 23 ff. 143 Siehe dazu den Aufsatz von Y. Bizeul: »Bayle – Vordenker des modernen Tole141 142

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dem Ende des 17. Jahrhunderts aufkommenden Strömung des britischen Deismus wurde überdies bereits die theoretische Inkompatibilität der Vorstellung eines allgütigen und gerechten Gottes mit dem exklusiven Wahrheitsanspruch einer einzelnen Religion erkannt 144 – eine Einsicht, die im Kern auch dem religiösen Pluralismus John Hicks zu Grunde liegt. Angesichts der politischen Situation, in deren Kontext die ersten bahnbrechenden Entwürfe zu einer theoretischen Fundierung wechselseitiger Toleranz religiöser Gruppierungen entstanden, ist es nicht überraschend, dass ›Toleranz‹ zunächst nicht viel mehr bedeutete als das bloße Geduldetwerden der Anhänger einer Religion A durch die Anhänger einer Religion B bzw. die Duldung verschiedener Religionsausübungen seitens eines weltanschaulich neutralen Staates. Innerhalb der Systematik potentieller Kontaktformen zwischen unterschiedlichen Religionen, die in Kapitel I.2.1. vorgeschlagen wurde, wäre dieser Toleranzbegriff zwar ›nur‹ als der zentrale Wert einer am Paradigma der Multikulturalität orientierten, beziehungslosen Koexistenz verschiedener Religionssysteme einzuordnen. Aber vor dem Hintergrund der pluralitätsfeindlichen, exklusivistischen Religionsauffassungen, die im politisch und religiös zerklüfteten Europa der frühen Neuzeit vorherrschend gewesen waren, stellten die toleranztheoretischen Überlegungen der frühen Aufklärer ohne Zweifel einen beachtlichen Fortschritt dar. Da der – vielfach kriegerisch ausgetragene – Konflikt zwischen verschiedenen Strömungen innerhalb des Christentums die vorherrschende interreligiöse Kontaktform der frühen europäischen Neuzeit darstellte, lag es nahe, dass als rationale Lösung dieses Problems ein Koexistenzmodus entworfen wurde, der unter den Leitbegriffen der Toleranz und Religionsfreiheit ein weiteres Zusammenprallen der konfligierenden Wahrheitsansprüche religiöser Positionen verhindern sollte. Der (philosophischen) Vernunft oblag es dabei, angesichts des rational nicht zu entscheidenden Streits zwischen religiösen Strömungen einen naturrechtlich begründeten Rahmen auszuarbeiten, der jeder einzelnen religiösen Gruppierung

ranzbegriffs.« In: H.-J. Wendel/W. Bernard/Y. Bizeul (Hrsg.): Toleranz im Wandel. Rostock 2000, S. 67–112; sowie J. Habermas: »Kulturelle Gleichbehandlung – und die Grenzen des Postmodernen Liberalismus«, a. a. O., hier S. 252 ff. 144 Siehe dazu P. Byrne: »The Deists«. In: Oppy/Trakakis 2009. Vol. 3: Early Modern Philosophy of Religion, S. 211–222.

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das Recht zusprach, innerhalb der verfassungsmäßig festgelegten Grenzen ihre je spezifische Form von Religiosität auszuüben. 145 Sowohl die Reichweite als auch die Grenzen des aufklärerischen Toleranzkonzepts lassen sich exemplarisch an der berühmten ›Ringparabel‹ aus Lessings Drama Nathan der Weise aufzeigen. Übersetzt man die Erzählung, mit welcher der Jude Nathan auf die Frage des Sultans Saladin nach der ›einleuchtendsten‹ der drei monotheistischen Religionen antwortet, in ein begriffliches Idiom, so erhält man eine rationale Rechtfertigung religiöser Toleranz, die der Position des Religionspluralismus, wie sie etwa John Hick vertritt, 146 erstaunlich nahe kommt: Die drei monotheistischen Religionen werden hinsichtlich ihres Wahrheitsanspruchs als prinzipiell gleichberechtigt betrachtet, da sie auf eine gemeinsame Quelle religiöser Wahrheit zurückgehen – in der Parabel ist diese Quelle der Vater von drei Söhnen, für die er drei identische Ringe anfertigen ließ –, ohne doch jeweils einen exklusiven Zugang zu dieser Quelle beanspruchen zu können. Dem nahe liegenden Einwand Saladins, dass die Religionen doch ganz offensichtlich – etwa in Bezug auf Kleidungs- oder Essgebräuche – verschieden seien, begegnet Nathan mit dem Hinweis, dass sie sich hinsichtlich ihrer letzten Gründe jedoch gerade nicht voneinander unterschieden. Relevante Differenzen zwischen den Religionen seien ausschließlich historisch zu erklären, woraus sich auch die Anhänglichkeit der Gläubigen an ihre je angestammte kulturelle Tradition leicht erklären ließe. Doch stelle gerade diese jeweilige kulturelle Verwurzeltheit religiöser Gebräuche, welche die Religionen faktisch voneinander unterscheide, zugleich auch eine strukturelle Gemeinsamkeit der Religionen dar. Da die Anhänger einer Religion A aus plausiblen Gründen nicht dazu bereit sind, ihre kulturell eingeübte Tradition aufzugeben, und von den Anhängern der Religion B erwarten, dass sie ihnen dieses Recht nicht streitig machen, können in reziproker Weise auch die Anhänger der Religion B zu Recht erwarten, dass sie von den Anhängern der Religion A ebenfalls nicht an der Pflege ihrer religiös-kulturellen Tradition gehindert werden: »Wie kann ich meinen Vätern weniger / Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt.« 147 145 Vgl. dazu J. Habermas: »Kulturelle Gleichbehandlung – und die Grenzen des Postmodernen Liberalismus«, a. a. O., hier S. 252 f. 146 Vgl. dazu das folgende Unterkapitel II.2.3. 147 Lessing 1998, 3. Aufzug, 7. Auftritt, Verse 1985/1986. – Siehe zur Anwendbarkeit

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So plausibel dieses anhand der Ringparabel Lessings umrissene aufklärerische Toleranzkonzept interreligiöser Beziehungen auch erscheinen mag und so wichtig es für die weitere Konzeptualisierung der politischen Religionsfreiheit auch gewesen ist – es muss doch darauf hingewiesen werden, dass es auf zwei Prämissen basiert, die von einer interkulturell ausgerichteten Religionsphilosophie nicht bedenkenlos akzeptiert werden können. Zum einen nivelliert dieser Ansatz zwischen den Religionen strittige Wahrheitsfragen von fundamentaler Bedeutung (etwa bezüglich unterschiedlicher Gottesbilder, -vorstellungen und -begriffe), indem er die Kulturalität und Traditionsgebundenheit der doktrinalen Aspekte von Religion betont und sie damit zugleich der Sphäre des rationalen Dissenses entzieht. Man könnte auch sagen: Der aufklärerische Ansatz des 18. Jahrhunderts hat philosophisch und theologisch überaus relevante Primäreigenschaften einer Religion auf sekundäre, kulturgebundene Eigenschaften reduziert. Doch mit dieser Kulturalisierung des religiösen Wahrheitsmoments, die den Streit zwischen den Religionen in der Tat zu schlichten vermag, werden gleichzeitig auch die transkulturellen Potentiale religiöser Vernunft ausgeblendet. Dieses Verzichts muss sich zum Mindesten bewusst sein, wer Religionen zu ausschließlich kulturellen Gebilden erklärt, die sich im Bewusstsein ihrer je eigenen Kulturalität wechselseitig tolerieren sollten. Zum anderen funktioniert die Berufung auf eine allen Religionen gemeinsame Quelle der Wahrheit, zu der keine bestimmte Religion einen privilegierten Zugang habe, letztlich nur innerhalb eines monotheistischen Offenbarungsparadigmas. Denn nur wenn die religiöse Wahrheit von einer transzendenten, göttlichen Instanz gleichsam an die Menschen – etwa mittels eines prophetischen Mediums – ›hinabgereicht‹ wird, können sich deren Hüter im Besitz einer exklusiven Wahrheit wähnen. Und nur durch den rationalen Kunstgriff der Annahme einer im Letzten allen Religionen verborgenen transzendenten Quelle, die sich in mindestens dreifacher Gestalt in den monotheistischen Religionen geoffenbart habe, kann dieser exklusive Wahrheitsanspruch noch einmal kulturell relativiert und somit in

der Ringparabel auf interkulturelle Dialog W. Hogrebe: »Spekulative Identität und diskursive Differenz. Gelingensbedingungen des interkulturellen Dialogs in der Philosophie«. In: Tradition und Traditionsbruch zwischen Skepsis und Dogmatik. Interkulturelle philosophische Perspektiven. Hrsg. v. C. Bickmann, H.-J. Scheidgen, T. Voßhenrich u. M. Wirtz. Amsterdam/New York 2006, S. 249–263.

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seinem Konfliktpotential entschärft werden. Eine Konfrontation des religiösen Offenbarungsparadigmas mit Erleuchtungsszenarien, wie sie in ostasiatischer Religiosität häufig anzutreffen sind, müsste den begrifflichen Rahmen des aufgeklärten Toleranzkonzeptes aufsprengen. Die wechselseitige Tolerierung divergenter religiöser Positionen ließe sich dann nämlich nicht länger ausschließlich mit der Idee einer verborgenen, ›göttlichen‹ Quelle rechtfertigen, sofern die Ideen des Göttlichen, der Offenbarung und der Transzendenz selbst bereits einer spezifischen Form von Religiosität – eben der theozentrischen bzw. monotheistischen – angehören. Immanuel Kant, auf dessen bedeutsamen religionsphilosophischen Ansatz wir im Verlauf dieser Untersuchung immer wieder zurückkommen werden, hat die aufgeklärte Konzeption religiöser Toleranz insofern entscheidend modifiziert, als in den Begriff der Religion ›innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft‹ die kritische Unterscheidung zwischen theoretischem und praktischem Vernunftvermögen eingegangen ist – mit dem Ergebnis, dass es zwar, wie Kant bemerkt, »vielerlei Arten des Glaubens« geben könne, aber »nur eine (wahre) Religion« 148. Diese außerordentlich voraussetzungsreiche Position ist nur vor dem Hintergrund der vernunftkritischen Arbeiten Kants nachvollziehbar, in denen eine transzendente Erweiterung des Vernunftgebrauchs zwar in theoretischer Hinsicht ausgeschlossen wird (so das Ergebnis der Kritik der reinen Vernunft), in praktischer Absicht jedoch ausdrücklich nicht (so das Ergebnis der Kritik der praktischen Vernunft). Ein Streit zwischen divergierenden Formen des Glaubens ist der kantischen Auffassung zufolge nicht nur deswegen überflüssig, weil die Anhänger einer jeweiligen religiösen Tradition ihr überliefertes kulturelles Erbe faktisch nicht aufgeben möchten, sondern weil theoretische Glaubensfragen prinzipiell, d. h. aufgrund der Funktionsweise des menschlichen Verstandesapparates, nicht rational entscheidbar sind. Kant greift somit die Forderung der Aufklärung, dass religiöse Traditionen einander tolerieren sollten, zwar eindeutig auf, aber er begründet sie unter transzendentalphilosophischen Prämissen wesentlich anspruchsvoller, indem er die theoretisch-metaphysischen Aspekte des Glaubens aus dem Bereich 148 I. Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft [im Folgenden als ›Religionsschrift‹ bezeichnet]. In: Ders.: Die Metaphysik der Sitten. Werkausgabe Bd. VIII. Hrsg. v. W. Weischedel. Frankfurt a. M. 1977, S. 768 [2. Auflage Königsberg 1794, im Folgenden als ›B‹ bezeichnet: B 154.]

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wahrheitsfähiger Konzepte aussondert und die Religion stattdessen an die Domäne des praktisch-sittlichen Handelns anschließt. In ihr vermag die reine (praktische) Vernunft a priori wirksam zu werden, indem sie den autonomen Willen in der Ausrichtung auf das Sittengesetz bestimmt. Die sich an dieses ›Faktum‹ der praktischen Vernunft anschließende Reflexion auf die letzte Zweckbestimmung guten Handelns führt mit logischer Konsequenz zu einer ›vernünftigen‹ Religion, welche die kulturell divergierenden Glaubensformen überwölbt und alle ›Gutwilligen‹ unabhängig von ihrer kulturellen Verwurzelung unter der Idee des höchsten Gutes zusammenführt. 149 Die Anknüpfung einer interkulturell ausgerichteten Religionsphilosophie an die kantische Position, die im II. Teil dieser Arbeit ausführlich analysiert wird, erweist sich als ambivalent. Denn auf der einen Seite stellt insbesondere die Differenzierung in unterschiedliche Bereiche des Vernunftmögens – theoretische Vernunft, praktische Vernunft, reflektierende Urteilskraft usw. – ein überaus wichtiges Anschlussmoment dar, das bei der philosophischen Betrachtung religiöser Systeme immer dann zum Tragen kommen kann, wenn es darum geht, Religionen nicht pauschal miteinander zu vergleichen, sondern deren Konvergenzen und Divergenzen im Hinblick auf unterschiedliche Geltungs- und Leistungsbereiche unserer Vernunft differenziert herauszuarbeiten. Auf der anderen Seite mag es sich im interkulturellen Vergleich als problematisch herausstellen, dass Kant das Wahrheitsmoment religiöser Standpunkte vorrangig in ihrem Bezug auf die Gesetze und Postulate der reinen praktischen Vernunft verortet. Der gesamte Bereich ontologisch-metaphysischer, im weiteren Sinne bewusstseinsphilosophischer und im engeren Sinne theologischer Streitfragen wird damit dem Bereich erkenntnisbezogener Diskursivität entzogen. Fragwürdig wird eine derartige Beschränkung der religiösen Wahrheitsfähigkeit auf den Bereich der praktischen Vernunft spätestens dann, wenn es sich darum handelt, ostasiatische Religiosität und Spiritualität – beispielsweise die buddhistische Erkenntnislehre – in den interreligiösen Dialog und in die religionsphilosophische Reflexion miteinzubeziehen. Die kantischen Grenzziehungen könnten sich im Lichte einer derartigen Einbeziehung religiöser Konzepte, die von gänzlich anderen Prämissen ausgehen als die theologische Metaphysik des griechisch-jüdisch-christlichen Abendlandes, als Limitationen eben dieser – und nur dieser – spezi149

Siehe dazu das Kapitel II des Zweiten Teils dieser Arbeit.

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fischen Metaphysik Alteuropas herausstellen; dies würde jedoch zugleich bedeuten, dass das kantische Begriffsgerüst zumindest nicht unmodifiziert für interkulturelle religionsphilosophische Untersuchungen übernommen werden kann. G. W. F. Hegel hat die von den Aufklärungsphilosophen bis hin zu Kant vertretene Religionsauffassung zugleich scharf kritisiert und ihr eine eigene, höchst originelle, wenngleich problembehaftete Religionsphilosophie entgegengesetzt. Da seine zugleich zukunftsweisende, in der konkreten Ausführung jedoch kaum aufrecht zu erhaltende Darstellung des Begriffs ›Religion‹ später noch ausführlicher erörtert werden wird, 150 möge an dieser Stelle der Hinweis auf Hegels zentrales Argument gegen die Ausblendung des theoretischen Wahrheitsmoments aus dem Bereich der philosophischen Religionslehre genügen. Ist der wesentliche Inhalt der Religion – das Absolute, Göttliche, Gott – der Vernunft nicht zugänglich und wird dem Denken als ausschließliches Betätigungsfeld die Sphäre des Empirischen und Endlichen zugewiesen, so können sich Hegel zufolge nur noch dem begrifflichen Denken gegenüber niederstufige Bewusstseinstätigkeiten wie Fühlen, Ahnen, Sehnen usw. an die Gehalte des Religiösen heften. Dadurch jedoch kommt es zu einer Diskrepanz zwischen der Dignität der religiösen Gehalte und den Sensorien, die im menschlichen Geist auf diese Gehalte reagieren; der höchste geistige Anspruch des göttlichen Absoluten erfordert es vielmehr, so Hegel, dass sich auch die entsprechenden höchsten geistigen ›Verarbeitungsmedien‹ mit ihm beschäftigen, d. h. die Vernunft, das Denken selbst. 151 In der Konsequenz dieses hegelschen Gedankens, der die kantischen Erkenntnisrestriktionen selbst noch einmal als eine spezifische und zwar defizitäre Geistesgestalt interpretiert, 152 liegt es, religiöse Inhalte – und zwar ausdrücklich auch diejenigen außereuropäischer Kulturen – im Medium des philosophischen Begriffs zu reformulieren und auf diese Weise ihren Wahrheitsgehalt explizit zu machen. Dass die spezifische Einteilung in ›bestimmte‹ und ›absolute‹ bzw. Siehe Kap. III.1. des zweiten Teils dieser Arbeit. Vgl. dazu etwa Hegels »Einleitung« in seine Vorlesung über »Religions-Philosophie« in: G. W. F. Hegel: Vorlesungsmanuskripte I (1816–1831). Hrsg. v. W. Jaeschke. Gesammelte Werke Bd. 17. Hamburg 1987, S. 5–31. 152 Vgl. Hegels Abhandlung »Glauben und Wissen oder Reflexionsphilosophie der Subjectivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichtesche Philosophie«. In: G. W. F. Hegel: Jenaer kritische Schriften. Hrsg. v. H. Buchner u. W. Pöggeler. Gesammelte Werke Bd. 4. Hamburg 1968, S. 313–416. 150 151

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›vollendete‹ Religion sowie die Zuordnung konkreter historischer Religionen zu diesen Oberbegriffen und ihren Unterkategorien, die Hegel in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Religion vorgenommen hat, angesichts des heutigen religionswissenschaftlichen Wissensstandes nicht mehr in Gänze überzeugen kann, dürfte einleuchten. 153 Doch sollte diese Kritik an der spezifischen Ausführung von Hegels Religionsphilosophie nicht darüber hinwegtäuschen, dass die grundsätzliche Idee, religiöse Gehalte – gerade auch in interkultureller Perspektive – philosophisch zu bedenken, ihre Berechtigung hat, ja dass sie für eine interkulturell ausgerichtete Religionsphilosophie geradezu unverzichtbar ist. Eine der hegelschen gleichsam antipodisch entgegengesetzte Position, die aber gleichwohl fruchtbare Anknüpfungspunkte für eine interkulturell ausgerichtete Religionsphilosophie bietet, stellt die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte Religionsphilosophie von William James (1842–1910) dar. Charakteristisch für die Herangehensweise James’ ist neben der intensiven Nutzung empirischen Materials aus den Religionswissenschaften vor allem die Würdigung von Religiosität als einer Einstellungsweise, an deren individuell erfahrbare Bedeutsamkeit (philosophische) Rationalität prinzipiell nicht heranreicht. Weit davon entfernt, das Gemeinsame der Religionen in ihrer jeweiligen Traditionsgebundenheit sowie in universalen ethischen Prinzipien aufzusuchen, wie es einst die europäischen Aufklärer unternahmen, nutzt James gerade die irreduzible Vielfalt der religösen Erfahrung (so der Titel seiner religionsphilosophischen Vorlesungen) 154, um Religiosität und Spiritualität als Phänomene aus eigenem Recht erscheinen zu lassen, die ein rational-philosophischer Diskurs mit Interesse und Sympathie analysieren mag, ohne sich dabei jedoch die Gehalte des Religiösen rationalistisch anverwandeln zu können. Der Unterschied zu Hegels Religionsphilosophie, die sich ja gerade um eine derartige Aneignung des religiös ›nur‹ Geglaubten und Vorgestellten ins philosophisch Begriffene bemüht, ist im Wesentlichen darin begründet, dass es James bei seiner Betrachtung der Religion primär um unverrechenbare individuelle Zeugnisse religiöser Erfahrung zu tun ist, nicht um geistige Gestalten des absoVgl. dazu Kap. III.1.3. des zweiten Teils dieser Arbeit. W. James: The Varieties of Religious Experience. Cambridge, Mass./London 1985. Siehe dazu auch C. Taylor: Varieties of religion today. William James revisited. Cambridge/Mass., U.S. 2002. 153 154

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luten Geistes. Das Wesentliche der Religion(en) verortet James nicht in ihren doktrinalen Inhalten, sondern in der Intensität der Gefühle, die sie im Individuum hervorbringt, sowie an den Handlungen, zu denen sie das Individuum motiviert. 155 James, in diesem Punkt deutlich in der Tradition des amerikanischen Pragmatismus stehend, zeigt sich dementsprechend wesentlich stärker an den Resultaten als an den Wurzeln und Gründen des Religiösen interessiert. Für eine interkulturell orientierte Religionsphilosophie ist insbesondere die Unvoreingenommenheit und Aufgeschlossenheit vorbildlich, mit der sich James in seinen Analysen religiösen Zeugnissen verschiedenster Art nähert. Gleichwohl wäre – mit Hegel – an James die Frage zu richten, ob es die Dignität des Religiösen nicht massiv gefährdet, wenn auf eine kritische Evaluation der kognitiven Gehalte einer Religion weitestgehend verzichtet wird und stattdessen ausschließlich das individuelle psychologische Erleben religiöser Zustände sowie deren praktisch wirksame Resultate im persönlichen Lebensvollzug als Maßstäbe religiöser ›Wahrheit‹ angesetzt werden. Weil James die Frage nach der theoretischen Geltung religiöser Wahrheitsansprüche als irrelevant ausblendet, kommt sein Idealbild einer ›nützlichen‹ Religionsphilosophie eher dem nahe, was heutzutage von den vergleichenden Religionswissenschaften geleistet wird; und tatsächlich hat James von der Philosophie der Religion explizit gefordert, sich von der Theologie in eine Wissenschaft der Religionen zu transformieren. 156 Anschlussfähig für eine interkulturelle Religionsphilosophie ist hingegen James’ Idee eines religionsphilosophischen Kritizismus, der darin besteht, religiös erfahrene Konzeptionen wie Hypothesen zu behandeln, die mehr oder weniger wahrscheinlich sein können. Aus diesem methodischen Ansatz begründet James auch eine mögliche Relevanz der Religionsphilosophie für die interreligiöse Verständigung, die sie u. a. dadurch befördert, dass sie die allgemeinen und wesentlichen von den individuellen und lokalen Elementen religiöser Überzeugungen unterscheidet. 157 Die Notwendigkeit einer Differen155 Sogar die Philosophie Hegels wird von James als rationalisierter Ausdruck mystischer Stimmungen ihres Autors interpretiert; vgl. ebd., S. 308. 156 Ebd., S. 359: »If she [die Philosophie; Anm. v. M. W.] will abandon metaphysics and deduction for criticism and induction, and frankly transform herself from theology into science of religions, she can make herself enormously useful.« 157 Ebd.: »As a result, she can offer mediation between different believers, and help to bring out consensus of opinion.«

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

zierung in primäre und sekundäre Eigenschaften von Religion bzw. Religiosität sowie die auf dieser Grundlage mögliche Herausarbeitung transkultureller Dimensionen religiöser Vernunft hat James also im Prinzip bereits erkannt. Als einer der ersten europäischen Gelehrten des 20. Jahrhunderts, die eine systematische Reflexion auf Fragestellungen des interreligiösen Dialogs initiiert und damit die vergleichende sowie die angewandte Religionswissenschaft mitbegründet haben, ist der protestantische Theologe Gustav Mensching (1901–1978) hervorzuheben. Menschings Ansatz, den er in zahlreichen programmatischen Schriften skizziert sowie in materialreichen Einzelstudien entfaltet hat, 158 impliziert eine deutliche Trennung der Religionsphilosophie von religionspsychologischen und theologisch-dogmatischen Zugängen; denn laut Mensching hat es die Religionsphilosophie »wie ihr Name sagt, mit philosophischen Fragen zu tun, d. h. mit Fragen, die aus der Beziehung des Phänomens Religion und seines inneren Anspruches zu den Kategorien des allgemeinen philosophischen Denkens erwachsen.« 159 Darüber hinaus sei es ihre Aufgabe, »Religion in ihrer entfalteten und abstrakten Gestalt in Beziehung setzen zu den allgemeinen geistigen Erscheinungen und Denkformen der menschlichen Kultur.« 160 Zwei zentrale Komponenten einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie sind in Menschings Aufgabenbeschreibung offensichtlich bereits enthalten: zum einen die geforderte Konzentration auf den begrifflich-rationalen Gehalt der Religionen (diese Fo158 Siehe insbesondere G. Mensching: Die Bedeutung des Leidens im Buddhismus und Christentum. Gießen 1930; Buddha und Christus. Mit einem Nachwort neu hrsg. v. Udo Tworuschka. Freiburg 2001; Das Christentum im Kreise der Weltreligionen. Grundsätzliches über das Verhältnis der Fremdreligionen zum Christentum. Gießen 1928; Geschichte der Religionswissenschaft. Bonn 1948; Das heilige Schweigen. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung. Gießen 1926; Der offene Tempel. Die Weltreligionen im Gespräch miteinander. Stuttgart 1974; Soziologie der großen Religionen. Bonn 1966; Soziologie der Religion. Bonn 1947; Topos und Typos. Motive und Strukturen religiösen Lebens. Gesammelte Beiträge zur vergleichenden Religionswissenschaft. Hrsg. v. H.-J. Klimkeit. Bonn 1971; Zur Metaphysik des Ich. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung über das personale Bewusstsein. Gießen 1934; sowie die Aufsatzsammlung Essays zur Toleranz und Wahrheit in den Weltreligionen. Hrsg. v. H. R. Yousefi u. I. Braun. Nordhausen 2005. 159 G. Mensching: »Religionsphilosophie«. In: Mensching 2005, S. 19–54, hier S. 19. (Erstveröffentlichung in: Einführung in die Philosophie. Hrsg. v. F. Schnaß. Osterwieck 1928, S. 309–340.) 160 Mensching 2005, S. 19.

116 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Interkulturelle Religionsphilosophie als Reflexion interreligiöser Diskurse

kussierung auf den kognitiven Anteil von Religion unterscheidet die Religionsphilosophie etwa von der Religionspsychologie), und zum anderen die Herausarbeitung der inter- und transkulturellen Aspekte von Religiosität, die von der stets innerhalb eines spezifischen religiösen Systems operierenden Theologie nicht in gleicher Weise geleistet werden kann. Der epistemische Vorteil einer dergestalt konzipierten Religionsphilosophie liegt somit darin, dass sie die interkulturelle Vielfalt religiöser Erscheinungen auf der Suche nach transkulturell wahrheitsfähigen Momenten religiöser Vernunft unvoreingenommener und vorurteilsfreier in den Blick nehmen kann, als dies eine je schon parteiische Theologie, der es letztlich um die rationale Verteidigung ›des‹ (d. h.: eines bestimmten) Glaubens zu tun ist, vermöchte. Insofern lässt sich der Unterschied zwischen einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie und einer Theologie der Religionen durch die Differenz zwischen Außen- und Binnenperspektive deutlich machen: Während eine Theologie der Religionen, und zwar auch dann, wenn sie ausdrücklich einen pluralistischen Ansatz favorisiert, stets aus der Beteiligtenperspektive des in einem bestimmten religiösen Bezugssystem Engagierten argumentiert, betrachtet der Religionsphilosoph – und zwar idealiter unabhängig von privaten religiösen Prägungen und Präferenzen – interreligiöse Konvergenzen und Divergenzen aus einer neutralisierten Außenperspektive, die es gestattet, rationale Aspekte des sachlichen Widerstreits und der inhaltlichen Übereinstimmung zwischen den Religionen systematisch herauszuarbeiten. Damit schwingt sich der interkulturell engagierte Religionsphilosoph keineswegs zum allwissenden Richter über Glaubenswahrheiten auf; und auch eine unmittelbare soziale oder politische Wirksamkeit seiner Forschungsergebnisse liegt zweifellos außerhalb eines realistischen Erwartungshorizonts. Gleichwohl muss die rationale Klärung der Kompatibilität oder Inkompatibilität religiöser Inhalte auf Feldern, in denen Religion und Philosophie einander als Diskurspartner auf Augenhöhe begegnen, für die Reflexion auf die Grundlagen interreligiösen Koexistierens in der gesellschaftlichen Praxis nicht völlig folgenlos bleiben. Die Analyse religiöser Wahrheits- und Geltungsansprüche auf dem gleichsam ›neutralen‹ Terrain der Philosophie vermag – sofern derartige Bemühungen von den Anhängern der Religionen zur Kenntnis genommen werden – zu einem vertieften und zugleich rational bereinigten Verständnis der Religionen untereinander beizutragen. 117 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Konturen interkultureller Religionsphilosophie

Als ein weiterer wichtiger Pionier des komparativen Studiums der Weltreligionen ist der kanadische Religionswissenschaftler Wilfred Cantwell Smith (1916–2000) zu nennen, der sowohl mit seinen kritischen Untersuchungen zum Religionsbegriff, den er als europäisches Konstrukt kritisierte, 161 als auch mit seinem besonders dem Islam gewidmeten Studien wesentlich zur Etablierung der komparativen Theologie bzw. Religionswissenschaft beigetragen hat. Überdies hat Smith bereits sehr frühzeitig die problematische Brisanz, aber auch die enormen Chancen religiöser Diversität für Theologie und Philosophie sowie für die Angehörigen unterschiedlicher religiöser Bekenntnisse erkannt. Einen religionshistorisch fundierten Ansatz zur Darstellung religiöser Erfahrung in ihrer kulturellen Vielgestaltigkeit hat sodann Ninian Smart (1927–2001) vorgelegt. 162 Da Smarts Rekonstruktion kulturell divergenter Glaubens- und Spiritualitätserfahrungen letztlich auf religionsphilosophischen Implikaten beruht, gehört auch sie ohne Zweifel in die Vorgeschichte komparativer bzw. interkulturell ausgerichteter Religionsphilosophie. Insbesondere Smarts komparative Untersuchungen religionsinhärenter Grundbegriffe wie Offenbarung, Glauben, Wissen, Konversion – etwa im Vergleich der hinduistischen Atman-Brahman-Doktrin mit der christlichen Lehre 163 – haben nicht nur eine religionswissenschaftlich fundierte Materialbasis bereit gestellt, an die religionsphilosophische Überlegungen anschließen können. Smarts Forschungen sind darüber hinaus auch in methodischer Hinsicht für religionsphilosophische Analysen anknüpfungsfähig, insofern sie spezifische Aspekte religiöser Doktrinen auf ihre logischen und metaphysischen Implikationen hin untersuchen und so dem Bereich rationaler Diskursivität in einer interkulturell-komparativen Perspektive zur Verfügung stellen.

161 Siehe insbesondere Smith 1991; vgl. ferner die Ausführungen in Kap. II.2.1. – Mit G. Parrinder (1910–2005) wäre ein weiterer Forscher angelsächsischer Provenienz zu nennen, der sich bereits früh mit komparativen Religionsstudien beschäftigt hat. Siehe insbesondere G. Parrinder: Comparative Religion. Westport (Connecticut) 1962; sowie ders.: Mysticism in the World’s Religions. Oxford 1995 (1. Aufl. 1976). 162 N. Smart: Choosing a Faith. London/New York 2005; Concept & Empathy. Essays in the Study of Religion. New York 1986; Reasons and Faiths: An Investigation of Religious Discourse, Christian and Non-Christian. London 1958; The Religious Experience. New York 1991; World Philosophies. London 1999; Worldviews: Cross-Cultural Explorations of Human Beliefs. New York 1983. 163 Siehe Smart 1958.

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Religiöse Pluralität aus der Perspektive interkultureller Religionsphilosophie

Anhand von Smarts methodologischer Reflexion der Religious studies lässt sich überdies der zentrale Unterschied zwischen komparativer Religionswissenschaft und interkultureller Religionsphilosophie herausstellen: Während der Religionswissenschaftler im Sinne Smarts das philosophische Instrumentarium der Begriffsanalyse dazu verwenden kann, um fundiertere Einsichten in die Beschaffenheit religiöser Phänomene zu gewinnen, bedarf der Religionsphilosoph, dem es vor allem um die Herausarbeitung der Wahrheitsmomente einer interkulturell differenzierten und zugleich transkulturell verbindenden religiösen Vernunft geht, des von den Religionswissenschaften bereit gestellten empirischen Materials. Dass auch für Smart letztlich beide Disziplinen Hand in Hand arbeiten (bzw. im besten Fall arbeiten sollten), bezeugt seine zustimmungsfähige Umschreibung der Religionsphilosophie als ›komparativer logischer Analyse religiöser Lehren‹. 164

3.

Religiöse Pluralität aus der Perspektive interkultureller Religionsphilosophie

Ninian Smart hat einen auf den ersten Blick viel versprechenden Ansatz vorgelegt, die bereits skizzierten Kohärenzprobleme des religiösen Pluralismus zu überwinden und dabei zugleich an der Hick’schen Idee einer gemeinsamen Bezogenheit der geschichtlich-konkreten Religionen auf einen gemeinsamen Referenzpunkt festzuhalten: 165 Smart zufolge sollte das ›Reale‹ nicht so sehr im monotheistischen Sinne einer unveränderlichen, singulären Substanz als vielmehr im Horizont des buddhistischen Konzeptes der ›Leere‹ gedacht werden. Vor dem Hintergrund eines komparativen Studiums ostasiatischer Religiosität argumentiert Smart dafür, das als ›Leere‹ verstandene ›Reale‹ nicht als einen Gegensatz zu den Konzepten Pluralität und Prozessualität zu konzipieren. Die tendenziell inklusivistische Unterstellung, dass sich alle geschichtlichen Religionen immer schon auf dasselbe Reale bezögen, könnte unter dieser Voraussetzung fallen

Smart 1986, S. 10. Siehe N. Smart: »A Contemplation of Absolutes«. In: Quinn/Meeker 2000, S. 99– 108 (ebenfalls veröffentlicht in: God, Truth and Reality. Hrsg. v. A. Sharma. New York 1993, S. 176–188). 164 165

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

gelassen werden. 166 Die Entsubstantialisierung des ›Realen‹ schüfe zugleich Raum für die Suche nach partiellen Übereinstimmungen und komplementären Komponenten religiöser Botschaften und Aussagen. 167 So attraktiv Smarts Lösungsvorschlag auf den ersten Blick erscheinen mag, so leidet er doch prinzipiell an der gleichen Schwierigkeit wie der Hick’sche Ansatz, nämlich eine aus einer spezifischen religiösen Formation gewonnene Auffassung vom absoluten Seinsgrund – in diesem Fall die buddhistische ›Leere‹ – als Maßstab für das angeblich allen Religionen gemeinsame und zugleich allen entzogene Absolute anzusetzen. Auch in diesem Fall droht also die pluralistische Überwindung von Exklusivismus und Inklusivismus in einen ›Meta-Inklusivismus‹ zu münden. Wendet man sich aus einer interkulturell-religionsphilosophischen Perspektive der Problematik religiöser Divergenz und Pluralität zu, so ist zunächst vor allem die simplifizierende Ansicht aufzugeben, dass sich alle möglichen religiösen Überzeugungen in allen möglichen Hinsichten widersprächen bzw. im Dissens zueinander befänden. Der Ausdruck »Pluralität« könnte fälschlicherweise suggerieren, dass eine unbestimmte Mehrzahl von geschichtlich-kulturell hervorgebildeten religiösen Systemen vorliegt, die allesamt ähnliche Heilsziele verfolgen und gleichzeitig ähnliche Ansprüche auf Wahrheit und Verbindlichkeit vertreten. Doch dies ist mitnichten der Fall. Zu einem in philosophischer Hinsicht relevanten Dissens unterschiedlicher religiöser Überzeugungen kann es vielmehr erst dann kommen, wenn Religionen ihre Erlösungsbotschaft mit einem Geltungsanspruch vetreten, der die Zugehörigkeit ihrer Anhänger zu einer spezifischen kulturellen Tradition transzendiert. Keineswegs alle religiösen Gebilde der Vergangenheit und Gegenwart implizieren jedoch eine derartige kulturelle Transzendierung. So haben sich etwa die Polytheismen der Antike in weiten Teilen als koexistenzfähig erwiesen; sofern kulturelle Integrationen symbolischer Vorstellungen und kultischer Verrichtungen möglich waren, wurden sie vielfach durchgeführt. Ebd., S. 103: »We do not need to suppose that God is really nirvāṇa or that the Tao is brahman. Such equations can, of course, be argued for and could be true. But the Focus of Theravāda Buddhism remains very remarkably different from that of the Hebrew Bible. It is not so easy to see them both pointing to the same Real: and even if they do, many of the divergences stay in place.« 167 Ebd., S. 104 f. 166

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Religiöse Pluralität aus der Perspektive interkultureller Religionsphilosophie

Erst wenn religiöse Riten, moralische Einstellungen und Verhaltensweisen sowie spirituelle Welt- und Menschenbilder mit dem Anspruch auf Wahrheit, gar auf absolute Wahrheit auftreten, wie es insbesondere, aber nicht nur den monotheistischen Religionen zu eigen ist, vermag eine Religion mit divergierenden religiösen Auffassungen in ein potentiell konflikgeladenes Verhältnis zu treten 168 – und zwar auf einer Ebene, die insofern philosophisch bedeutsam ist, als sie sich nicht bloß auf kulturelle Kontingenzen oder empirische Machtfragen erstreckt, sondern vor allem auf in theoretischer Hinsicht strittige und in Bezug auf die Frage nach dem richtigen Leben relevante Konzepte. Ein großer Bereich dessen, was sich unter der Sammelbezeichnung »religiöse Pluralität« verbirgt, ist hingegen für die Frage nach einem angemessenen Umgang mit divergierenden religiösen Wahrheitsansprüchen kaum oder gar nicht relevant. Die philosophische Problematik religiöser Diversität entzündet sich nämlich erst an den Primäreigenschaften solcher Religionen, die (1.) ein sinnstiftendes Angebot zur universellen Ausdeutung von Welt und Menschsein machen, das eine spezifische kulturelle Tradition ausdrücklich überschreitet, sich also letztlich an alle Menschen richtet, (2.) ihre Vorstellungen von den letzten Gründen der Welt und des Menschseins sowie von den leitenden Normen und Werten für ein ›richtiges‹ Leben in symbolischen Formen offenbaren, die vernünftigem, diskursivem bzw. reflexivem Denken nicht vollkommen unzugänglich sind. Nur religiöse Formationen, welche diese beiden Voraussetzungen erfüllen, gelangen überhaupt in den Fokus einer interkulturell ausgerichteten Religionsphilosophie, die daran interessiert ist, die interund transkulturellen Potentiale religiös situierter Vernunft philosophisch herauszuarbeiten. Insofern hat sich die religionsphilosophische Ausgangslage gegenüber einer nivellierenden Auffassung, die eine unbestimmte Anzahl vollkommen gleichwertiger religiöser Positionen annimmt, bereits beträchtlich verbessert. Aber auch die 168 Siehe zum Zusammenhang zwischen Monotheismus und Gewalt S. Amsmus/ M. Schulze (Hrsg.): Wir haben doch alle denselben Gott. Eintracht, Zwietracht und Vielfalt der Religionen. Friedrich Huber zum 65. Geburtstag. Neukirchen-Vluyn 2006; Assmann 2003; A. Fürst (Hrsg.): Friede auf Erden? Die Weltreligionen zwischen Gewaltverzicht und Gewaltbereitschaft. Freiburg 2006; P. Sloterdijk: Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen. Frankfurt a. M. 2007.

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

Bandbreite an fundamentalen Divergenzen, die zwischen philosophisch wahrheitsfähigen religiösen Positionen überhaupt auftreten können, ist keineswegs unbestimmt-unendlich, sondern lässt sich in einer ersten Annäherung anhand dreier Konfliklinien systematisieren. Dabei handelt es sich (1.) um den Konflikt zwischen Religionen, die ein personales Grundprinzip (in der Regel ›Gott‹) annehmen (Rp), und solchen, die von einem apersonalen Grundprinzip ausgehen (Ra); (2.) um den Konflikt zwischen Religionen des Rp-Typs, die unterschiedliche, ja konträre personale Grundprinzipien voraussetzen (etwa einen unitarischen gegenüber einem trinitarischen Gott); (3.) den Konflikt zwischen Religionen des Ra-Typs, die unterschiedliche apersonale Grundprinzipien voraussetzen, deren Eigenschaften inkompatibel sind (z. B. brahman, dem Seinsfülle, Ewigkeit und Unveränderlichkeit zugeschrieben wird, und śūnyatā, das die Abwesenheit von Seinsfülle und Dauerhaftigkeit besagt). 169 Wollte man diese drei theoretischen Grundkonflikte religiöser Prinzipien anhand geschichtlicher Religionen konkretisieren, so ließe sich Variante (1.) als Konflikt zwischen den monotheistisch-abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam) und den ostasiatischen Religionen (Hinduismus und Buddhismus) begreifen, wenngleich hier insbesondere im Hinblick auf den Hinduismus Differenzierungen zwischen personalen und apersonalen Komponenten des religiös vorgestellten Urprinzips vorzunehmen wären. Variante (2.) entspräche den divergierenden Gottesauffassungen in Judentum, Christentum und Islam, wobei der zentrale Scheidepunkt hier die trinitarische Gottesvorstellung des Christentums und – damit einhergehend – die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus darstellt. Die Variante (3.) schließlich reflektiert im Kern den Grundlagenstreit zwischen Hinduismus bzw. Brahmanismus und Buddhismus. Die Grundvoraussetzungen für interkulturelle religionsphilosophische Untersuchungen weichen somit von der Problembeschreibung des religiösen Pluralismus deutlich ab, indem sie nicht von einer unbestimmten Vielheit religiöser Positionen ausgehen, denen eine gemeinsame Referenz auf ein allen entzogenes X unterstellt wird (mit den geschilderten Folgeproblemen), sondern von einer begrenzten Anzahl religiöser Systeme, für welche die Frage divergenter reli169

Siehe dazu Hick 2008, S. 10 f.

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Religiöse Pluralität aus der Perspektive interkultureller Religionsphilosophie

giöser Wahrheitsansprüche überhaupt Relevanz besitzt, sowie einer ebenfalls begrenzten Anzahl fundamentaler Grundbestimmungen, die zwischen derartig verfassten Religionen strittig sein können. Aus einer unbestimmten, für die Religionsphilosophie ungreifbaren Pluralität wird so eine bestimmte, die sich mit philosophischen Mitteln wesentlich besser erschließen lässt. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch nicht als zielführend, die kantische Dichotomie von ›empirisch-phänomenal‹ versus ›a priorisch-noumenal‹ auf das Feld der Religionsphilosophie zu übertragen, wie dies der religiöse Pluralismus unternommen hat. Die Beschreibung, dass eine unbestimmte empirische Mannigfaltigkeit religiöser Kulturen einem identischen, aber absolut unerkennbaren Absoluten gegenüberstände, trifft die Sache nicht. Stattdessen lässt sich aus einem ganz anderen Aspekt der kantischen Philosophie ein fruchtbarer Anknüpfungspunkt für die religionsphilosophische Untersuchung interreligiöser Divergenz gewinnen, nämlich aus der dreifachen internen Differenzierung des Vernunftvermögens in theoretische, auf die Prinzipien der Erkennbarkeit des Seienden ausgerichtete Vernunft, praktische, auf die Prinzipien der Bestimmung des Handelns ausgerichtete Vernunft, und Urteilskraft, die sich auf die Beurteilung von Zweckmäßigkeit, sei es im Bereich ästhetischer oder teleologischer Urteile, richtet. Setzt man religiöse Konzepte jeweils aus der Perspektive eines dieser drei Vernunftvermögen zueinander in Beziehung, so erhält man ein wesentlich konturierteres Bild von den tatsächlichen Konvergenzen und Divergenzen religiöser Positionen, als wenn man religiöse Formationen gleichsam in toto einander gegenüber stellte. Es geht demnach in der interkulturellen Religionsphilosophie, so wie sie hier in Umrissen entworfen wird, nicht darum, Religionen, die philosophisch relevante Wahrheitsansprüche erheben, als kulturell geschlossene Systeme miteinander zu vergleichen, sondern vielmehr darum, interkulturelle Konfliktlinien und Überlappungen verschiedener Religionen in Bezug auf grundlegende Perspektivierungen unseres Vernunftvermögens zu erschließen. So können unter der Perspektive der theoretischen Vernunft, denen traditionell philosophische Disziplinen wie die Ontologie – oder, im weiteren Sinne, Metaphysik – sowie Erkenntnistheorie zugeordnet werden, religiöse Welt-, Gottes- und Menschenbilder in ihren konzeptionellen Gemeinsamkeiten und Unterschieden philosophisch bedacht werden. Moralische Gebote und Verhaltensvorschriften, sofern sie aus einem religiösen Kontext heraus begründet werden, lassen 123 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Konturen interkultureller Religionsphilosophie

sich aus der Perspektive der praktischen Vernunft, die sich philosophisch in den Disziplinen Ethik, Sozialphilosophie, Rechtsphilosophie und politische Philosophie entfaltet, untersuchen. Sprachliche Grenzbereiche religiösen Sagens und Verhaltens schließlich, zu denen insbesondere mystische Aspekte der Religionen zu zählen sind, erfordern eine auch ästhetische Komponenten einbeziehende religionsphilosophische Betrachtungsweise, die auf das Vermögen der Urteilskraft zurückgreifen kann. Auf der Grundlage dieser letztlich auf die kritische Philosophie Kants zurückgehenden Differenzierung von Hinsichten können divergierende religiöse Botschaften auf dem Forum der Religionsphilosophie in ein interkulturelles Gespräch miteinander gebracht werden. Unabdingbare Voraussetzung für die Teilnahme an diesem Gespräch, bei dem es im Kern um die Frage nach der Legitimation religiöser Wahrheiten und Geltungsansprüche geht, ist von philosophischer Seite das prinzipielle Ernstnehmen religiöser Aussagen und Wahrheitsansprüche – in der Form eines vorausgeschickten Vertrauens, welches impliziert, dass in einem religiösen Kontext getätigte Aussagen nicht per se als falsch oder unsinnig angenommen werden –, von religiöser Seite wiederum die Akzeptanz kritischer Vernunft als einer legitimen Beurteilungsinstanz religiöser Inhalte, zumindest in dem Sinne, dass nicht grundsätzlich ausgeschlossen wird, dass religiöse Aussagen durch Argumente und rationale Einwände in ihren Geltungsansprüchen tangiert (d. h. bekräftigt oder gegebenenfalls sogar widerlegt) werden können. Aus der interkulturell-komparativen Analyse religiöser Konzepte in den Dimensionen der theoretischen und praktischen Vernunft sowie der Urteilskraft wäre in weiteren Schritten eine Interpretation interreligöser Konvergenzen und Divergenzen zu entwickeln, die näheren Aufschluss über die zentralen Problemfelder der Religionsphilosophie böte: über die Verhältnisbestimmung von Glauben und Vernunft respektive religiös-spiritueller Erfahrung und intellektuellem Wissen; über die Verhältnisbestimmung der Weltreligionen untereinander; und schließlich auch über die Frage nach fundamentalen Gemeinsamkeiten von Philosophie und Religion in Bezug auf den Ausgangs- und Zielpunkt intellektueller und spiritueller Bemühungen angesichts der von keinem Naturalismus je zu beseitigenden Rätselhaftigkeit des menschlichen Weltaufenthalts. 170 170

M. T. Kapstein ist vollkommen zuzustimmen, wenn er im Hinblick auf A. Shar-

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Methodische Leitlinien interkultureller Religionsphilosophie

Einer interkulturell verfahrenden Religionsphilosophie kommt auf diese Weise eine vermittelnde Funktion sowohl für den Dialog der Religionen als auch für den Dialog zwischen Rationalität und Spiritualität, Vernunft und Glauben zu. 171

4. 4.1

Methodische Leitlinien interkultureller Religionsphilosophie Hermeneutische, phänomenologische und analytische Ansätze

Der Religionsphilosoph Richard Schaeffler hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es die Religionsphilosophie als einheitliche Disziplin mit übereinstimmend geltenden Fragestellungen, Forschungsansätzen und methodischen Verfahren überhaupt nicht gebe; stattdessen liege auf diesem Gebiet »eine verwirrend erscheinende Vielfalt von Fragestellungen, Lösungsansätzen und Methoden« 172 vor. Trotz dieser im Kern zutreffenden Diagnose lässt sich feststellen, dass die Verfahrensweisen der zeitgenössischen Religionsphilosophie grundsätzlich den auch in anderen Disziplinen der Gegenwartsphilosophie virulenten Strömungen entsprechen, nämlich insbesondere der Hermeneutik, der Phänomenologie und der analytischen Philosophie. Als eine vierte Strömung ließen sich ferner jene Weiterentwicklungen der Hermeneutik und Phänomenologie innerhalb der ›kontinentalen‹, insbesondere der französischen Philosophie anführen, die oftmals unter dem Etikett ›poststrukturalistisch‹ zusammengefasst werden. 173 Eine interkulturell ausgerichtete Religionsphilosophie ist gut beraten, aus all diesen unterschiedlichen Ansätzen methodische Immas The Philosophy of Religion: A Buddhist Perspective die Zielsetzung einer um ostasiatische Perspektiven bereicherten Religionsphilosophie wie folgt beschreibt: »The result of the dialogue among differing traditions that begins to unfold in this way should ideally result in a transformation within the discipline of the philosophy of religion itself, leading it to become less a parochial Western field and instead to emerge as one sufficiently expansive so as to embrace the many and varied dimensions of religious reason.« (M. T. Kapstein: »Introduction«. In: The Buddhism Omnibus. New Delhi u. a. 2004, S. xix.) 171 Vgl. dazu C. Bickmann: »Vorwort. Einführung in die Themenstellung«. In: Religion und Philosophie im Widerstreit? Hrsg. v. C. Bickmann, M. Wirtz u. H.-J. Scheidgen. 2 Bde. Nordhausen 2008, S. 11–19. 172 Schaeffler 2002, S. 14. 173 Siehe dazu M. Wirtz: »Strukturalistische und poststrukturalistische Ansätze zwi-

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

pulse aufzunehmen und sie je nach Untersuchungsinteresse flexibel einzusetzen. Eine historisch-systematische Darstellung der wechselnden methodischen Paradigmen innerhalb der modernen Religionsphilosophie bietet die dreibändige Studie Le buisson ardent et les lumières de la raison 174 von Jean Greisch, deren erster Teil sich mit dem spekulativen sowie mit dem kritischen Paradigma des 19. Jahrhunderts beschäftigt, für das stellvertretend die Philosophien Hegels und Kants stehen – innerhalb von Greischs Rekonstruktion tatsächlich in dieser der philosophiegeschichtlichen Entwicklung zuwider laufenden Reihenfolge, sodass die kantische Kritik geradezu als Antwort auf die Vernunftspekulation des Idealismus erscheint. Im zweiten Band erörtert Greisch das phänomenologische und das analytische Paradigma des 20. Jahrhunderts; im dritten Band wird schließlich das Paradigma einer pragmatischen, zugleich aber auch von Heidegger und Ricoeur beeinflussten Hermeneutik entworfen, das nach Greisch auch für die künftige religionsphilosophische Forschung orientierend sein könnte. Die philosophische Hermeneutik, zu der sich auch die Position Greischs zählen lässt, hat seit der Etablierung einer eigenständigen religionsphilosophischen Disziplin gegen Ende des 18. Jahrhunderts stets zu den wichtigsten methodischen Ansätzen innerhalb der Religionsphilosophie gehört. Historisch lässt sich dieser Umstand damit erklären, dass die moderne, von Schlegel und Schleiermacher wesentlich mitinaugurierte Hermeneutik letztlich aus einer Erweiterung der Bibelexegese hervorgegangen ist; religiöse Texte stellen somit gleichsam die ›ursprünglichen‹ Gegenstände der systematischen Auslegungskunst dar. Aber auch in sachlicher Hinsicht ist die enge Beziehung zwischen hermeneutischer Methode und den Gegenständen religionsphilosophischer Forschung insofern plausibel, als die Konstitution und Bestandserhaltung einer Religion selbst eine genuin hermeneutische Aktivität bedeutet und immer schon bedeutet hat, noch bevor ein eigener Begriff von »Hermemeutik« überhaupt ausgebildet schen Philosophie und Literatur(wissenschaft).« In: Handbuch Literatur und Philosophie. Hrsg. v. H. Feger. Stuttgart/Weimar 2012, S. 241–256. 174 J. Greisch: Le buisson ardent et les lumières de la raison. L’invention de la philosophie de la religion. Bd. I: Héritages et héritiers du XIXe siècle. Paris 2002; Bd. II: Les approches phénoménologiques et analytiques. Paris 2002; Bd. III: Vers un pragmatisme herméneutique. Paris 2004. Siehe dazu auch die Rezension von P. Gilbert: »L’invention de la ›philosophie de la religion‹ selon Jean Greisch«. In: Nouvelle revue théologique, 128 (2006), S. 67–74.

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Methodische Leitlinien interkultureller Religionsphilosophie

wurde. Geht man von der ciceronischen Religionsdefinition des ›Wieder-Lesens‹ aus, so konstituiert sich Religion eben darin, eine ursprünglich empfangene Botschaft immer wieder zu lesen (re-legere) und zu deuten und sie im Versuch ihrer Bewahrung durch die Zeiten gerade durch die permanente Relektüre gewollt oder ungewollt zu verändern. Mit Blick auf eine ausdrücklich interkulturelle Orientierung der Philosophie hat R. A. Mall das Konzept einer ›analogischen Hermeneutik‹ 175 entwickelt, die zwar von der prinzipiellen Autonomie kulturell divergierender Weltsichten ausgeht, gleichzeitig aber nach Überlappungen zwischen den Kulturräumen sucht. Dieses Konzept lässt sich auch innerhalb der Religionsphilosophie mit Gewinn anwenden, wenn es sich darum handelt, kulturbedingte Divergenzen zwischen religiösen Systemen ausfindig zu machen und gleichzeitig transkulturelle Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Phänomenologische Ansätze haben insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts maßgeblichen Einfluss auf die Methodik von Religionswissenschaften und Religionsphilosophie ausgebübt. Zum einen ist in diesem Zusammenhang die phänomenologische Beobachtung und Analyse spezifischer religiöser Gegenstände und Akte sowie – unmittelbar aus der phänomenologischen Methode Husserls abgeleitet, dessen eigenes Interesse an genuin religiösen Phänomenen freilich begrenzt war – die Sichtung allgemeiner Wesensstrukturelemente religiöser Phänomenkomplexe zu nennen, zum anderen die Entwicklung phänomenologischer Religionstypologien. 176 Bezeugen diese Entwicklungen in den Religionswissenschaften und in der Religionsphilosophie eine fruchtbare Applikation der im Ansatz religionsneutralen bzw. -indifferenten phänomenologischen Methode auf religiöse Gehalte und Erscheinungen, so ist in den beiden letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts insbesondere im Umfeld der französischen Phänomenologie gleichsam der umgekehrte Weg zu beobachten, nämlich eine Beeinflussung der philosophischen Phänomenologie durch religiöse und theologische Denkfiguren – und zwar in einem Ausmaß, das D. Janicaud dazu veranlasst hat, geradezu von 175 Siehe dazu R. A. Mall: Intercultural Philosophy. New York 2000; ders.: Philosophie im Vergleich der Kulturen. Interkulturelle Philosophie – Eine neue Orientierung. Darmstadt 1995; ders./H. R. Yousefi: Grundpositionen der interkulturellen Philosophie. Nordhausen 2005, S. 119–125. 176 Siehe dazu etwa M. Enders u. H. Zaborowski (Hrsg.): Phänomenologie der Religion. Zugänge und Grundfragen. Freiburg/München 2004.

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

einer ›theologischen Wende‹ innerhalb der französischen Phänomenologie zu sprechen. 177 Die Öffnung religionswissenschaftlicher, religionsphilosophischer und theologischer Forschungen für die phänomenologische Methodik und die komplementäre Öffnung der Phänomenologie für religiöse Themen und Motive haben miteinander gemeinsam, dass sie von einem Transzendenzbegriff ausgehen, welcher phänomenologische Erschließungen zulässt, ohne dass diese dadurch zwangsläufig in den Verdacht metaphysischer Restaurationsbestrebungen geraten müssten. Freilich konzentriert sich das Interesse zeitgenössischer Phänomenologen an religiösen Themen zumeist auf aus christlichem Kontext entlehnte Erscheinungen. Vom systematischen Anspruch der Phänomenologie her spricht jedoch wenig dagegen und sehr vieles dafür, diese Einschränkung auf christliche bzw. theistische Denkfiguren und Phänomene aufzugeben und den phänomenologischen Blick verstärkt auch auf außereuropäische Religionsformen zu richten. Gelänge dies, so könnte die Phänomenologie einen wesentlichen Beitrag zu einer interkulturellen Erweiterung der Religionsphilosophie leisten. Gerade die phänomenologische Abstraktion von empirischen – historischen, kulturellen, sozialen – Bedingungen religiöser Phänomene, die auf den ersten Blick genuin interkulturellen Zugangsweisen zu widersprechen scheint, kann sich bei näherer Betrachtung als hilfreich für die Unterscheidung primärer und sekundärer Eigenschaften von Religionen erweisen. Auf diesem Weg kann sichtbarer werden, in welchen essentiellen Komponenten Religionen tatsächlich Übereinstimmungen und Divergenzen aufweisen. Besonders produktiv dürften phänomenologische Herangehensweisen dabei in den Bereichen der subjektiven Transzendenzerfahrungen und der in ihr enthaltenen »ontologischen« Annahmen, den kulturell geprägten Einstellungen religiös motivierten moralischen Handelns sowie mystischen Erlebnisses und ihrer Versprachlichung sein. Als eine vor allem durch die Philosophie Jacques Derridas angeregte Weiterentwicklung und gleichzeitige Kritik hermeneutischer und phänomenologischer Ansätze lassen sich dekonstruktive Herans177 Diese Charakterisierung bezieht sich vor allem auf Denker wie J.-L. Chrétien, M. Henry, E. Lévinas, J.-L. Marion, J.-F. Marquet M. Richir und P. Ricoeur. Siehe dazu J.-F. Courtine (Hrsg.): Phénoménologie et théologie. Paris 1992; H.-D. Gondek/ L. Tengelyi: Neue Phänomenologie in Frankreich. Berlin 2011, insbesondere S. 11– 15; D. Janicaud: Le tournant théologique de la phénoménologie française. Combas: Éd. de l’eclat 1991.

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Methodische Leitlinien interkultureller Religionsphilosophie

gehensweisen an religiöse Motive und Weltsichten begreifen. Obwohl Derrida sich in seinen Schriften vielfach mit Figuren religiöser Überlieferung beschäftigt hat, 178 kann es aus Gründen, die in der Natur der dekonstruierenden Metaphysikkritik selbst liegen, keine systematische Religionsphilosophie dekonstruktiven Zuschnitts geben. Dementsprechend sind die philosophischen Interventionen Derridas, soweit sie dem Feld der religiösen Sprache galten, nicht nur in der kontinentalen Religionsphilosophie, sondern vor allem auch in der sogenannten ›postmodernen‹ Theologie rezipiert worden. 179 Dessen ungeachtet sind Derridas Annäherungen an die komplexen Beziehungen zwischen Religion und Philosophie herausfordernd genug, um innerhalb der methodischen Ausgestaltung einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie Berücksichtigung zu finden. Dabei ist zu beachten, dass sich Derridas Ausführungen zu religiösen Themen nahezu ausschließlich auf die monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam konzentrieren. Dies ist insofern erstaunlich, als in der Rezeption der Derrida’schen Dekonstruktion mehrfach auf strukturelle Pararellen zu buddhistischen Negationsfiguren hingewiesen wurde. 180 Siehe dazu Kap. III.2. des Zweiten Teils dieser Arbeit. Siehe dazu D.-P. Baker/P. Maxwell (Hrsg.): Explorations in Contemporary Continental Philosophy of Religion. Amsterdam/New York 2003; J. D. Caputo: On religion. London 2001; ders.: The prayers and tears of Jacques Derrida. Religion without religion. Bloomington [u. a.] 1997; ders. (Hrsg.): The religious. Malden (Mass.) 2002; ders./D. Scanlon (Hrsg.): God, the gift, and postmodernism. Bloomington (Ind.) 1999; ders./D. Scanlon (Hrsg.): Religion and Postmodernism. Transcendence and beyond: A Postmodern Inquiry. Bloomington (Ind.) 2007; ders./G. Vattimo (Hrsg.): After the Death of God. New York 2007; P. Hardt/K. v. Stosch (Hrsg.): Für eine schwache Vernunft? Beiträge zu einer Theologie nach der Postmoderne. Ostfildern 2007; K. Hart: The Trespass of the Sign. Deconstruction, Theology and Philosophy. Cambridge 1989; ders./B. Wall (Hrsg.): The Experience of God. Postmodern Response. New York 2005; B. D. Ingraffia: Postmodern Theory and Biblical Theology. Vanquishing God’s Shadow. Cambridge 1995; R. Kearney: Anatheism. Returning to God after God. New York 2010; ders.: The God who may be. A Hermeneutics of Religion. Burlington (Ind.) 2001; G. Ward (Hrsg.): The Blackwell Companion to Postmodern Theology. Oxford, UK/Malden, Mass. 2001; ders. (Hrsg.): The Postmodern God: A Theological Reader. Oxford 1997; M. Westphal: Overcoming onto-theology. Toword a postmodern Christian faith. New York 2001; ders. (Hrsg.): Postmodern Philosophy and Christian Thought. Bloomington (Ind.) 1999. 180 Siehe dazu J. Y. Park (Hrsg.): Buddhisms and Deconstructions. Lanham (Maryland) 2006; Y. Wang: Buddhism and Deconstruction. Towards a Comparative Semiotics. Richmond, Surrey 2001; J. Schlieter: »Nagarjuna – ein buddhistischer Vorläufer der Dekonstruktion?« In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, 24 (1999), S. 155– 178 179

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

Als letzte Strömung der zeitgenössischen Philosophie, die für die Methodik interkultureller Religionsphilosophie von Bedeutung ist, wäre die Analytische Philosophie zu nennen, deren Einfluss innerhalb der religionsphilosophischen Disziplin – so wie in den meisten anderen philosophischen Disziplinen auch – in den letzten Jahrzehnten beständig gestiegen ist. Im Hinblick auf die Religionsphilosophie mag dieser Trend insofern überraschen, als die frühen sprachanalytischen Ansätze der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere der logische Atomismus sowie der logische Positivismus und Empirismus, ausdrücklich mit dem Ziel angetreten waren, alle Sätze als sinnlos zu erweisen, die sich nicht logisch oder empirisch beglaubigen ließen. 181 Unter den empiristischen Sinnlosigkeitsverdacht fallen selbstverständlich alle philosophischen Sätze, sofern sie einen metaphysischen Inhalt transportieren, aber zugleich auch alle theologischen bzw. im weiteren Sinne religiösen Sätze, in denen inhaltsleere Begriffe zu nicht verifizierbaren Urteilen verbunden werden. Einen religionskritischen Meilenstein stellte in diesem Zusammenhang A. J. Ayers Schrift Language, Truth and Logic 182 dar, in dem für den nonkognitivistischen, nicht-propositionalen Charakter religiöser Äußerungen wie etwa ›Gott existiert‹ argumentiert wurde. 183 Ayer glaubte auf diese Weise den vorgeblichen Konflikt zwischen Glauben und Wissen – wobei letzteres mit den modernen Naturwissenschaften identifiziert wurde – beilegen zu können: Wenn es sich bei reli168; Z. Cai: »Derrida and Seng-Zhao: Linguistic and Philosophical Deconstructions«. In: Philosophy East and West, 43 (1993), S. 389–404. 181 Siehe zur Entwicklung analytischer Religionsphilosophie den Überblick bei Harris: »Introduction: The Rise of Analytic Philosophy of Religion«. In: Harris 2002, S. 1–27. Insgesamt kommt Harris in Bezug auf die Aufgeschlossenheit der analytischen Tradition gegenüber dem Thema ›Religion‹ zu dem Ergebnis (ebd., S. 26): »The evolution of the philosophical climate within analytic philosophy has generally been from one of hostility toward the philosophy of religion to one that is much more favorable.« Siehe entsprechend auch das Kap. »19. Analytic Philosophy« in E. T. Long: Twentieth-Century Western Philosophy of Religion 1900–2000. Dordrecht/ Boston/London 2000, S. 390–423; sowie B. Irlenborn/A. Koritensky (Hrsg.): Analytische Religionsphilosophie. Darmstadt 2013; C. Jäger (Hrsg.): Analytische Religionsphilosophie. Paderborn 1998. 182 A. J. Ayer: Language, Truth and Logic (1936). Vol. 1 of the Palgrave Macmillan Archive edition of A. J. Ayer: Writings on Philosophy. Basingstoke/New York 2004. Siehe zur (Un-)Möglichkeit religiösen Wissens ebd., S. 119 ff. 183 Ebd., S. 123: »The point which we wish to establish is that there cannot be any transcendent truths of religion. For the sentences which the theist uses to express such ›truths‹ are not literally significant.«

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Methodische Leitlinien interkultureller Religionsphilosophie

giösen Überzeugungen ohnehin nicht um rationale Propositionen handelt, dann kann hinsichtlich der Wahrheitsfrage auch kein Konflikt, ja nicht einmal eine mögliche logische Beziehung zwischen Wissenschaft und Glauben/Religion auftreten. Die Schockstarre, in die Ayers Thesen Teile der religionsphilosophischen Disziplin versetzt hatte, konnte letztlich erst mit der Herausbildung einer eigenständigen analytischen Religionsphilosophie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelöst werden. Seitdem hat sich – parallel zum gesteigerten Interesse analytisch arbeitender Philosophen an ›traditionellen‹ philosophischen, d. h. auch metaphysischen Fragestellungen – eine differenzierte Diskussion entfaltet, in der theistische ebenso wie atheistische Positionen mit analytischen Instrumentarien wie der logischen Formalisierung überprüft werden. Im Zentrum steht dabei vielfach die Frage nach der epistemischen Rechtfertigung religiösen Glaubens. Philosophen wie R. W. Hepburn oder R. B. Braithwaite haben überdies auf die pragmatische sowie die ethische Bedeutung religiöser Sprache aufmerksam gemacht. Auch von der späten Sprachspiel-Philosophie L. Wittgensteins führt ein Weg zu einer analytischen Religionsphilosophie, welche den Eigensinn sowie den basalen Charakter religiöser Überzeugungen unterstreicht. Freilich überwiegt innerhalb der analytischen Religionsphilosophie die Beschäftigung mit Inhalten der christlichen Religion und Theologie – z. B. der Frage nach der Existenz Gottes – deutlich gegenüber einer dezidierten Auseinandersetzung mit den Inhalten nichtchristlicher Religionen. So werden die verästelten analytischen Debatten zu Argumenten für oder gegen die Existenz Gottes unter der Maßgabe eines Vorbegriffs von ›Gott‹ geführt, der sich »vielleicht am ehesten als Äquivalent der Gottesrede deuten [lässt], wie sie die amerikanische Zivilreligion prägt.« 184 Als exemplarisch für die Interessenschwerpunke und Verfahrensweisen der zeitgenössischen analytischen Religionsphilosophie können etwa Arbeiten von W. P. Alston, 185 Irlenborn/Koritensky 2013, S. 12. Siehe etwa W. P. Alston: Divine nature and human language. Essays in philosophical theology. London 1989; ders.: Perceiving God. The epistemology of religious experience. London 1995 (dt. Übers.: Gott wahrnehmen. Die Erkenntnistheorie religiöser Erfahrung. Frankfurt a. M. u. a. 2006); ders.: »Précis of Perceveing God«. In: Philosophy and Phenomenological Research, 54 (1994), S. 863–868; ders.: »Religious Diversity and the Perceptual Knowledge of God«. In: Faith and Philosophy, 5 (1988), S. 433–448. 184 185

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

A. Kenny, 186 J. L. Mackie, 187 A. Plantinga 188 oder R. Swinburne 189 gelten. Angesichts der vorwiegend ›okzidentalen‹ Ausrichtung der analytischen Religionsphilosophie ist die Frage naheliegend, inwieweit deren Methoden überhaupt auf die Gedankenwelten nicht-theistischer Religionsformen applizierbar sind. Diese Frage lässt sich jedoch nicht pauschal beantworten. Vielmehr muss im Kontext konkreter Einzelfalluntersuchungen jeweils geprüft werden, welche in der analytischen Philosophie gängigen Verfahrensweisen (etwa Begriffsanalysen, logische Formalisierungen oder Gedankenexperimente) für die zu bedenkenden religiösen Gehalte sowie für den philosophischen Zweck der Untersuchung angebracht sind.

4.2

Abgrenzung der religionsphilosophischen Methodik von nichtphilosophischen Erforschungen religiöser Systeme

Die – je nach Untersuchungsgegenstand und -interesse – flexible Applikation hermeneutischer, phänomenologischer, dekonstruktiver oder analytischer Verfahrensweisen auf religiöse Inhalte unterschiedlicher kultureller Provenienz unterscheidet die Methodik interkultureller Religionsphilosophie von Zugängen benachbarter Disziplinen, die zwar ebenfalls Interesse an der interkulturellen Erforschung religiöser Systeme haben, aber entweder aus einer theologischen oder aber aus einer religionswissenschaftlichen bzw. -soziologischen Perspektive vorgehen. Die Religionsphilosophie teilt mit der ReligionsSiehe etwa A. Kenny: Faith and reason. New York u. a. 1983; ders.: The God of the philosophers. Oxford 1979; ders.: Reason and religion. Essays in philosophical theology. Oxford u. a. 1987; ders.: The unknown God. Agnostic essays. London 2004; ders.: What is faith? Essays in the philosophy of religion. Oxford u. a. 1992. 187 Siehe etwa J. L. Mackie: The Miracle of Theism. Arguments for and against the existence of God. Oxford 1986. 188 Siehe etwa A. Plantinga: Does God have a Nature? Milwaukee (Wi./U.S.) 2007; ders.: Warranted Christian Belief. Oxford 2000; ders.: Where the conflict really lies: Science, religion and naturalism. New York 2011; ders.: »On ›Proper Basicality‹«. In: Philosophy and Phenomenological Research, 75 (2007), S. 612–621; ders./M. Tooley: Knowledge of God. Oxford 2008. 189 Siehe etwa R. Swinburne: The Christian God. Oxford 1994; ders.: The Coherence of Theism. Oxford 1977; ders.: The Existence of God. Oxford 22004; Faith and Reason. Oxford 22005 (dt. Übers.: Glaube und Vernunft. Würzburg 2009); ders.: Is there a God? Oxford, N.Y. 2010; ders.: The Resurrection of God incarnate. Oxford 2003; ders.: Was Jesus God? Oxford 2008. 186

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Methodische Leitlinien interkultureller Religionsphilosophie

wissenschaft zunächst das grundsätzliche Anliegen, das Verständnis des Phänomenkomplexes ›Religion‹ durch rationale Aufklärung über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der einzelnen Religionen zu fördern. Im Hinblick auf ihren Gegenstandsbereich nimmt die Religionswissenschaft jedoch einen wesentlich größeren Ausschnitt aus dem Gesamtgefüge dessen, was sich als »Religion« bezeichnen lässt, in den Fokus. So beschäftigt sie sich nicht nur und nicht einmal primär mit den doktrinalen Aspekten religiöser Systeme, sondern insbesondere mit den konkreten Praktiken und Erfahrungen, welche die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft konstituieren und sie von anderen religiösen Gemeinschaften abgrenzen. Die Orientierung am Leitziel interreligiöser Verständigung war bereits bei der Etablierung der Religionswissenschaften als akademisches Fach maßgeblich, wie dies etwa die Arbeiten F. Heilers 190 bezeugen, in denen die Trennlinien zwischen Religionswissenschaft, Theologie und Religionsphilosophie freilich noch nicht trennscharf gezogen sind. In jüngerer Zeit hat vor allem die sogenannte Praktische Religionswissenschaft (U. Tworuschka) in Anknüpfung an R. Otto und G. Mensching die auf interreligiöse Toleranz abzielende Ausrichtung hervorgehoben und u. a. in Kooperation mit der Vorurteilsforschung stereotype Deutungsmuster in der reziproken Wahrnehmung von AnhängerInnen unterschiedlicher Religionen analysiert. 191 Das entscheidende methodische Abgrenzungskriterium (praktischer) Religionswissenschaft von einer interkulturell ausgerichteten Religionsphilosophie ist darin zu sehen, dass diese nicht primär an der empirischen Erforschung faktischer interreligiöser Kontakte, sondern gleichsam an der hypothetischen kognitiven Begegnung religiöser Weltsichten in den Räumen des vernünftigerweise Denkbaren interessiert ist. Religionswissenschaften und Religionsphilosophie können gleichwohl in Teilbereichen miteinander kooperieren und sind auf eine derartige Kooperation sogar angewiesen, insofern die reli190 Siehe F. Heiler: Die buddhistische Versenkung. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung. München 1922; ders.: Erscheinungsformen und Wesen der Religion. Stuttgart 1961; ders.: Das Gebet. Eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische Untersuchung. München/Basel 1969 (1. Aufl. 1918); ders.: »How can Christian and Non-Christian Religions co-operate?« Reprint from the Hibbert Journal, A Quarterly Review of Religion, Theology and Philosophy, edited by L. A. Garrad, Vol. LII, January 1954. 191 Siehe Tworuschka 2008, sowie ders.: »Aufgaben Praktischer Religionswissenschaft«. In: Yousefi/Fischer/Braun/Gantke 2007, S. 95–118.

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

gionswissenschaftliche Forschung der Religionsphilosophie unverzichtbares empirisches Material insbesondere zur kontextuellen Einbettung religiöser Doktrinen und Verhaltensweisen liefert. Umgekehrt kann sich die religionswissenschaftliche Auseinandersetzung mit religiösen Lehren auf methodische Instrumentarien und inhaltliche Erkenntnisse stützen, die in der Religionsphilosophie entwickelt werden. Problematischer erscheint demgegenüber eine mögliche Arbeitsteilung zwischen Theologie und Religionsphilosophie. 192 Historisch ist die Beziehung beider Disziplinen dadurch vorbelastet, dass die Religionsphilosophie im Zuge der Aufklärung und der mit ihr einhergehenden Kritik an der klassischen Metaphysik am Ende des 18. Jahrhunderts letztlich die Nachfolge der einstmaligen philosophischen Theologie, der theologia naturalis als Teil der metaphysica specialis, angetreten hat. Ziel der philosophischen Annäherung an den Phänomenkomplex des Religiösen sollte nun nicht länger die rationale Begründung theologischer Gehalte durch der menschlichen Vernunft vermeintlich zugängliche Beweisfiguren sein, sondern die Aneignung respektive Übersetzung religiös formulierter Intuitionen und Begriffe im Medium diskursiver Vernunft. Einer Theologie, die der ›Offenbarung‹ a priori einen höheren Stellenwert beimisst als den Erkenntnisbemühungen menschlicher Vernunft, musste eine derartige ›feindliche Übernahme‹ ihrer Gehalte von Seiten der Philosophie naturgemäß verdächtig erscheinen. Bereits die auf Aristoteles zurückgehende philosophische Theologie war durch die (spätere) Offenbarungstheologie immer wieder mit der Frage konfrontiert worden, ob denn der mit den Mitteln der natürlichen Vernunft erwiesene ›Gott der Philosophen‹ tatsächlich derselbe sei wie der ›Gott der Religion‹, der Gott Abrahams. 193 Und auch die moderne Religionsphilosophie sollte sich selbstkritisch mit dem Problem auseinandersetzen, in welcher Beziehung die von ihr getroffenen Aussagen eigentlich zu religiös gelebten Identitäten und den Modi, in denen diese sich selber auslegen, stehen. Auf der einen Seite besteht stets die Gefahr, dass die 192 Siehe dazu C. Bickmann: »Das Verhältnis von Philosophie und Theologie als interkulturelle Herausforderung«. In: Religiöser Pluralismus. Wie viele Religionen verträgt eine Gesellschaft? Hrsg. v. d. Wolfgang-Ritter-Stiftung/Universität Bremen (Hrsg.): Bremen 2001, S. 92–97. 193 Siehe dazu R. Schaeffler: Philosophisch von Gott reden. Überlegungen zum Verhältnis einer Philosophischen Theologie zur christlichen Glaubensverkündigung. Freiburg 2006.

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Methodische Leitlinien interkultureller Religionsphilosophie

philosophische Auslegung des Religiösen die Substanz des gelebten religiösen Lebens verfehlt; auf der anderen Seite – so ließe sich einwenden – kann es jedoch gerade zur religiösen Identitätsfindung positiv beitragen, die eigene Glaubensüberzeugung mit religionsphilosophischen Mitteln auf ihre (z. B. ontologischen oder ethischen) Implikationen rational zu überprüfen. 194 Befindet sich die Religionsphilosophie, wenn es um die Gottesfrage geht, zumindest noch in enger thematischer Tuchfühlung mit der (christlichen, jüdischen oder islamischen) Theologie, so wird die Differenz beider Disziplinen umso größer, je mehr sich die Religionsphilosophie interkulturell öffnet und auch solche religiösen Formationen in ihre Betrachtung miteinbezieht, in deren Zentrum kein allmächtiges göttliches Wesen steht. Unabhängigkeit von spezifischen Vorgaben einer einzelnen religiösen Kultur (wie z. B. bestimmten Offenbarungstexten) und Unvoreingenommenheit gegenüber nichttheozentrischen Religionsformationen stellen somit klare Unterscheidungsmerkmale religionsphilosophischer von theologischen Verfahrensweisen dar. Gelten der Theologie die durch Offenbarung zugänglichen religiösen Inhalte prinzipiell als Wahrheiten, um deren Verständnis sich die konfessionell gebundene Theologie zu bemühen hat, so werden die religiösen Inhalte im Kontext der Religionsphilosophie als Weltsichten analysiert, in denen sich einerseits kulturspezifische Erfahrungen sedimentiert haben, die aber andererseits potentiell vernünf-

Siehe dazu ders.: Philosophische Einübung in die Theologie. Bd. 1: Zur Methode und zur theologischen Erkenntnislehre. Bd. 2: Philosophische Einübung in die Gotteslehre. Bd. 3: Philosophische Einübung in die Ekklesiologie und Christologie. Freiburg 2008. – Die Theologie des 20. Jhs. hat sich im Übrigen mit denselben Problemen der angemessenen Verhältnisbestimmung von gelebtem Glauben und seiner Theologisierung unter den Bedingungen der Moderne auseinandersetzen müssen. Siehe dazu H. M. Schmidinger: »Der Streit um die christliche Philosophie in seinem Zusammenhang«. In: Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts. Bd. 3: Moderne Strömungen im 20. Jahrhundert. Hrsg. v. E. Coreth SJ, W. M. Neidl u. G. Pfligersdorffer. Graz/Wien/Köln 1990, S. 23–48, hier S. 30: »Stichwortigartig sei nur einnert an die Entmythologisierungs-Exegese Rudolf Bultmanns, an die dialektische Theologie Karl Barths, an die Religionsphilosophie Paul Tillichs, an den Streit um die Verhältnisbestimmung von ›Humanum‹ und ›Christianum‹, an die katholische Neubesinnung auf das Wesen des ›Abendlandes‹, an die transzendentale Christologie Karl Rahners, an die Diskussion um dessen Theologie des ›anonymen Christentums‹, an die ›Theologie der Welt‹ von Johann Baptist Metz, an die amerikanische ›Gott ist tot-Theologie‹ usw.« 194

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

tige Wahrheitsmomente enthalten können, welche den engeren kulturellen Kontext, dem sie entstammen, transzendieren. 195 Die besondere Betonung der Substanzialität des Seienden in der abendländischen Kultur etwa, die nicht ohne Auswirkungen auf die metaphysisch-theologische Bestimmung Gottes als absoluter, zeitenthobener Substanz gewesen ist, enthält u. a. das Wahrheitsmoment, dass seiende Dinge ontologisch als permanente Substanzen mit bestimmten Eigenschaften beschrieben werden können. Von dieser grundlegenden ontologischen Intuition aus lassen sich dann weitere Ideen ableiten – wie etwa die Hervorhebung der individuellen Einzigartigkeit der Person im Kontext des ethischen oder politischen Denkens –, die für weite Bereiche der europäisch-abendländisch›westlichen‹ Kulturgeschichte kennzeichnend waren und bis heute sind. 196 Werden derartige weltsichtkonstituierende Basisannahmen über die Wirklichkeit sowie über die richtige oder falsche Lebensführung von Menschen über längere Zeiträume kulturell stabilisiert, so kann völlig aus dem Blickfeld der inkulturierten Agenten geraten, dass es auch alternative Weltsichten geben kann, die zu den je eigenen ontologischen und ethischen Grundannahmen in Verhältnissen der Kompatibilität oder Inkompatibilität, Konvergenz oder Divergenz stehen können. Die grundsätzlichen Begegnungsmodi, die wir für die Relation zwischen unterschiedlichen Religionen und Kulturen festgestellt haben, gelten im Übrigen auch für die Kontakte zwischen divergierenden Weltsichten: Sie können in multikultureller Beziehungslosigkeit miteinander koexistieren, einen produktiven interkulturellen Austausch inaugurieren, im Sinne der transkulturellen Innovation neue, integrative Weltsichten ausbilden oder aber in monokultureller Selbstbehauptung Konflikte austragen. Die Differenz zwischen theologischen und religionsphilosophischen Umgangsweisen mit religiöser Pluralität lässt sich nunmehr anhand der ›Weltsichten‹-Kategorie konkretisieren: Während die Theologin, die sich um einen Dialog mit anderen Religionen bemüht, die interreligiöse Auseinandersetzung aus der Perspektive eines spe-

195 Vgl. dazu H. M. Vroom: A Spectrum of Worldviews. An Introduction to Philosophy of Religion in a Pluralistic World. Amsterdam/New York 2006. 196 Siehe zu dieser Interpretation des Begriff ›Weltsichten‹ auch den Sammelband von N. Note/N. Fornet-Betancourt/J. Estermann/D. Aerts (Hrsg.): Worldviews and Cultures. Philosophical Reflections from an Intercultural Perspective. Dordrecht 2009.

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Methodische Leitlinien interkultureller Religionsphilosophie

zifischen Glaubenssystems vornimmt (das sie nicht als ›Weltsicht‹, sondern als ›Wahrheit‹ begreift), sieht sich die Religionsphilosophin dazu genötigt, von ihren eigenen kulturellen und religiösen Vorprägungen und Verständnisprämissen möglichst zu abstrahieren, sie gleichsam in einer eidetischen Reduktion ›einzuklammern‹, um unterschiedlichen Weltsichten philosophisch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Voraussetzung einer derartigen Abstraktion von kulturellen Vorprägungen, die freilich niemals vollständig gelingen kann, ist die Annahme eines letztlich allen Menschen gemeinsamen Vernunftvermögens, das dazu in der Lage ist, zum einen divergierende Standpunkte zu verstehen und sie zum anderen hinsichtlich ihrer Plausibilität und Kohärenz zu beurteilen. Rationalität ermöglicht es, zu eigenen kulturellen Prägungen, ja sogar zu kulturspezifischen Rationalitätsbegriffen auf Distanz zu gehen und ihre Prämissen und Konsequenzen kritisch zu hinterfragen. Sie verschafft aber ebenso die Möglichkeit, kulturelle Fremdheit rational-empathisch zu überwinden, indem sie die Vernünftigkeit zunächst unverständlicher Annahmen und Überzeugungen aufdeckt. Die aufschließende Kraft des Vernunftvermögens selbst ist transkulturell, weil sie den formalen Rahmen darstellt, innerhalb dessen inhaltliche Divergenzen von Weltsichten überhaupt erst erkannt und sodann reflexiv verhandelt werden können. Auf dieser transkulturellen Basis bieten sich der interkulturellen Religionsphilosophie zwei methodische Leitprinzipien an, welche die rationale Auseinandersetzung mit divergierenden religiösen Weltsichten zu orientieren vermögen: Das erste methodische Leitprinzip, das man als ›analytisch‹ bezeichnen kann, zielt auf die Aufdeckung relevanter und rational nicht auflösbarer Differenzen zwischen Weltsichten ab; das zweite Leitprinzip, das man als ›synthetisch‹ bezeichnen kann, sucht nach transkulturellen Gemeinsamkeiten und Überlappungen zwischen den komparativ erschlossenen Weltsichten. 197 Im Kontext einer einzelnen Untersuchung kann – je nach Forschungsinteresse – entweder das analytische oder aber das synthetische Leitprinzip überwiegen. Auch eine systematische Verbindung

197 Vgl. zur metholodigischen Fundierung komparativen und interkulturellen Philosophierens auch U. Libbrecht: »Comparative Philosophy: A Methodological Approach«, in: Note/Fornet-Betancourt/Estermann/Aerts 2009, S. 31–67; sowie Bo Mou: »A Methodological Framework for Cross-Tradition Understanding and Constructive Engagement«, in: ebd., S. 69–85.

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Konturen interkultureller Religionsphilosophie

beider Prinzipien ist möglich, etwa dergestalt, dass zunächst eine Analyse divergierender Aspekte zwischen zwei oder mehr Weltsichten vorgenommen wird, deren verbindende Momente sodann in einem zweiten, synthetisierenden Schritt aufgezeigt werden. – Was die hier vorliegende Studie betrifft, so wird mit Blick auf die philosophische Interpretation interreligiöser sowie religiös-säkularer Konvergenzen und Divergenzen eine methodische Verbindung von analytischer und synthetischer Vorgehensweise angestrebt, die sich an der sachlichen Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit von in Philosophemen übersetzbaren religiösen Gehalten ausrichtet. Eine letzte methodische Bemerkung ist bezüglich des Übersetzungsproblems anzufügen. Gewichtet man die Bedeutung der sprachlichen Diversität in interkulturellen Dialogen sehr stark – und wer wollte sie im Ernst als gering einschätzen? –, so kann man zu der Auffassung gelangen, dass die genaue Kenntnis der sprachlichen Idiome, in denen Positionen aus außereuropäischen Kulturen verfasst sind, eine unabdingbare Voraussetzung auch für die philosophische Auseinandersetzung mit ihnen darstellt. Diese Voraussetzung ist jedoch aus der Sicht einer vorwiegend systematisch interessierten Religionsphilosophie nicht nur nicht zwingend, sie kann vielmehr geradezu ein forschungshemmendes Hindernis für die philosophische Beschäftigung mit Weltsichten aus unterschiedlichen Kulturen bedeuten: Wäre es nämlich für die philosophische Analyse und Interpretation von Positionen etwa aus der arabischen, chinesischen oder indischen Kultur vollkommen unerlässlich, die entsprechenden Idiome zu beherrschen, in denen sich die Positionen ursprünglich geäußert haben, so würde interkulturelles Philosophieren im Weltmaßstab außerordentlich erschwert, ja nahezu verunmöglicht. Demgegenüber ist zu betonen, dass philologische und philosophische Erkenntnisinteressen und Arbeitsfelder keineswegs deckungsgleich sind; weder muss eine Philologin zugleich auch Philosophin noch ein Philosoph zugleich auch Philologe sein. Daher ist eine klare Arbeitsteilung beider Disziplinen unabdingbar. Der interkulturell arbeitende Philosoph ist auf die strengsten wissenschaftlichen Kriterien genügenden Vorarbeiten der philologischen Texterschließung und -übersetzung dringend angewiesen. Für die Kenntnisnahme solcher philosophischer Argumente, die ursprünglich in sprachlichen Idiomen verfasst wurden, die dem rezipierenden Philosophen möglicherweise nicht geläufig sind, sollten nicht nur gute Übersetzungen herangezogen werden, sondern möglichst die jeweils besten. Der für den Philosophen 138 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Methodische Leitlinien interkultureller Religionsphilosophie

mühselige und zeitraubende Versuch, solche Übersetzungen selber zu erstellen, ist hingegen in solchen Fällen, in denen es gute oder sogar sehr gute Übersetzungen gibt, nicht zwingend erforderlich. Ein einfaches Gedankenexperiment vermag sinnfällig zu demonstrieren, warum die Beherrschung eines sprachlichen Idioms noch nicht einmal eine notwendige, geschweige denn eine hinreichende Voraussetzung dafür ist, philosophische Argumente analysieren und interpretieren zu können: Man stelle sich vor, eine komplexe philosophische Argumentation des indischen Philosophen Nāgārjuna werde zwei Personengruppen mit unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen vorgelegt. Die erste Gruppe bestehe aus philosophisch nicht vorgebildeten Personen, die aber des Sanskrit mächtig sind und deswegen Nāgārjunas Text in der Originalsprache erhalten. Die zweite Gruppe bestehe aus philosophisch vorgebildeten Personen, die des Sanskrit nicht mächtig sind und deswegen eine englische Übersetzung des Nāgārjuna-Textes erhalten. Nach einer längeren Arbeitsphase, in der die beiden Personengruppen Gelegenheit haben, sich eingehend mit Nāgārjunas Argument auseinander zu setzen, werden beide Gruppen jeweils mit einer dritten Personengruppe konfrontiert, mit der sie sich über Nāgārjunas Thesen austauschen sollen. Diese dritte Gruppe besteht aus Personen, die sowohl philosophisch vorgebildet als auch des Sanskrit sowie des Englischen mächtig sind. Mit welcher der ersten beiden Personengruppen wird die dritte Gruppe philosophisch adäquater über Nāgārjunas Argument kommunizieren können, der ersten oder der zweiten? – Da die Antwort evidenterweise »Gruppe 2« lautet, beweist das beschriebene Gedankenexperiment, dass nicht die Beherrschung eines spezifischen linguistischen Idioms eine notwendige Voraussetzung für die Diskussion philosophischer Argumente darstellt, sondern vielmehr philosophische Vorbildung. In welcher Sprache diese erfolgt, ist dabei sekundär. Damit soll selbstverständlich nicht behauptet werden, dass es nicht ausgesprochen wünschenswert und vorteilhaft ist, wenn ein interkulturell Philosophierender die Sprache, in der ein philosophisches Argument ursprünglich formuliert wurde, beherrscht. Es sollte nur gezeigt werden, dass die Nichtbeherrschung eines spezifischen Idioms keinen zwingenden Hinderungsgrund für die Beschäftigung mit philosophischen Argumenten, die ursprünglich in diesem spezifischen Idiom verfasst wurden, darstellt. Die Tragweite der Übersetzungsproblematik darf gerade in der Interkulturellen Philosophie keinesfalls unter-, aber eben auch nicht überschätzt werden. Der interkulturell 139 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Konturen interkultureller Religionsphilosophie

Philosophierende muss auf die prinzipielle Möglichkeit der Übersetzung von einer Sprache in eine andere ebenso vertrauen dürfen wie auf die Fähigkeit einer Kulturen überschreitenden Vernunft, übersetzte philosophische Argumentationen verstehen und deuten zu können.

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Zweiter Teil: Relationsbestimmungen zwischen Glauben und Wissen in der kantischen und nachkantischen Philosophie

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I. Konvergenz oder Divergenz von »Glauben« und »Wissen«?

Die variantenreichen Beziehungen zwischen den Sphären des »Wissens« und des »Glaubens« haben das philosophische Nachdenken in Europa von seinen griechischen Anfängen bis in die Gegenwart intensiv beschäftigt. Seit der Emanzipation eines auf dem logos beruhenden Philosophierens von einem in Mythen und Meinungen befangenen Weltverständnis hat sich der Bereich des rational sanktionsfähigen Wissens in Abgrenzung und Konfrontation, aber immer wieder auch in produktiver Auseinandersetzung mit dem Bereich des Religiösen und Spirituellen konstituiert. Das Spektrum an philosophischen Positionierungen gegenüber religiösen Weltauslegungen reichte dabei von engster Kooperation wie in einigen Philosophien des Mittelalters bis hin zur radikalen Religionskritik des 18. und 19. Jahrhunderts. Aber auch in außereuropäischen Denkkulturen hat das Verhältnis von rationalen und spirituellen Weltzugängen immer wieder Anlass zu Reflexionen über die Grenzen der menschlichen Erkenntisfähigkeit gegeben. 1 An die Stelle der Relation »Glauben und Wissen« ließen sich auch die Begriffspaare »religiöse Erfahrung bzw. religiöse Offenbarung und Vernunft« oder »Spiritualität und Rationalität« setzen. Diese terminologischen Verbindungen sind zwar nicht synonym und somit auch nicht beliebig gegeneinander austauschbar. Gleichwohl markieren alle genannten Relationen einen gemeinsamen Problembereich, der durch die Differenz zwischen solchen theoretischen Exemplarisch sei an dieser Stelle verwiesen auf K. Nishitani: Religion and Nothingness. Berkeley/Los Angeles/London 1982; ders.: Was ist Religion? Frankfurt a. M. 2001; S. Radhakrishnan: East and West in religion. London 1954; ders.: Eastern religions and western thought. London 1940; ders.: Religion and society. London 1948; A. Sharma: The Philosophy of Religion. A Buddhist Perspective. In: The Buddhism Omnibus. With an introduction by Matthew T. Kapstein. New Delhi u. a. 2004. Siehe dazu auch M. Hulin: »Quelques traits originaux de la philosophie indienne«. In: Droit 2009, S. 49–65. 1

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Konvergenz oder Divergenz von »Glauben« und »Wissen«?

Überzeugungen und praktischen Normen, die sich ausschließlich durch rationale Begründung legitimieren lassen, und solchen Überzeugungen und Normen, deren Legitimation nicht primär oder nicht ausschließlich auf rationaler Begründung beruht, charakterisiert ist. Alternativen zu rationalen Formen der Weltbildgenerierung und Normenbegründung können beispielsweise als »transzendent« oder »spirituell« erlebte eigene Erfahrungen darstellen, aber etwa auch das vertrauenswürdige Zeugnis von Personen, die transzendente oder spirituelle Erfahrungen gemacht haben bzw. ihrerseits Personen beobachtet oder gekannt haben, die transzendente bzw. spirituelle Erfahrungen gemacht haben. Die in dieser Weise voneinander unterscheidbaren Sphären des Glaubens / der religiösen Erfahrung / der Spiritualität auf der einen und des Wissens / der Vernunft / der Rationalität auf der anderen Seite scheinen auf den ersten Blick in einem deutlichen Gegensatz zueinander zu stehen. Doch ist durch die Konjunktion der beiden Bereiche »Glauben und Wissen« keineswegs nur ein potentieller Widerstreit angezeigt, sondern vielmehr auch und zugleich eine wechselseitige Bezogenheit, ein Aufeinander-Verwiesensein, eine Reziprozität und Komplementarität, die um so fundierter ist, als sie von beiden Seiten – sowohl von der Philosophie als auch von der Religion her – nachgewiesen und begründet werden kann. Im folgenden II. Teil sollen vor diesem Problemhintergrund der Getrenntheit sowie der Wechselbeziehung von »Glauben und Wissen« exemplarische philosophische Positionen zur Relationsbestimmung beider Sphären untersucht werden. Es wird dabei ebensosehr um argumentativ begründete Grenzziehungen gehen, welche die Philosophie gegenüber einem von ihr strikt geschiedenen Bereich des Religiösen vornimmt, wie um produktive Bezugnahmen philosophischer auf religiöse Positionen bis hin zu integrativen Fusions- und Synthesebemühungen beider Bereiche. Die ausgewählten Positionen nehmen ihren Ausgang von der Religionsphilosophie Kants (Kap. II.2.) und zeichnen sodann zentrale Stationen der produktiven Weiterentwicklung kantischer Ansätze im 19. und 20. Jahrhundert nach (Kap. II.3.) Deren Interpretation stellt jedoch keinen Selbstzweck dar, sondern ist von der leitenden Absicht motiviert, Potentiale und Defizite dieser Positionen im Hinblick auf eine interkulturell orientierte Religionsphilosophie herauszuarbeiten. Die Auseinandersetzung mit philosophischen Grenzbestimmungen von »Glauben« und »Wissen« erfordert jedoch zunächst eine sys144 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Putatives Glauben, kreditives Glauben und Wissen

tematisch vorbereitende Klärung der relevanten Bedeutungskomponenten des Begriffspaars »Glauben und Wissen« (Kap. II.1.). In diesem Zusammenhang ist auch auf die Beziehung der allgemeinen Relation von »Glauben und Wissen« zum spezifischen Spannungsverhältnis zwischen Religion(en) und Philosophie(n) einzugehen.

1.

Putatives Glauben, kreditives Glauben und Wissen

Die kogntiven Einstellungen des »Glaubens« und des »Wissens« müssen sich nicht zwangsläufig antagonistisch zueinander verhalten. Beide Ausdrücke designieren offenbar – so lässt sich in einer ersten Annäherung feststellen – mentale Tätigkeiten des Menschen, mit denen er sich jeweils in ein Verhältnis der Annahme zu bestimmten Sachverhalten, Ereignissen, Phänomenen setzt (»ich glaube, dass es regnet« – »ich weiß, dass es regnet«). Das Verhältnis von »Glauben und Wissen« kann dabei als ein Kontinuum im Prozess der Erkenntnisgenerierung beschrieben werden, bei der man von einer ersten Vermutung über einen Sachverhalt (»glauben, dass etwas so und so ist …«) über die Überprüfung der Vermutung mittels intersubjektiv akzeptierter Verfahrensweisen zur gesicherten Überzeugung über den fraglichen Sachverhalt (»wissen, dass etwas so und so ist …«) gelangt. »Glauben« steht in dieser Perspektive nicht im Gegensatz zum »Wissen«, sondern bildet vielmehr eine erste Stufe auf dem Weg zu gesicherter Erkenntnis. 2 Charakteristisch für die kognitive Einstellung des Glaubens ist ferner, dass sie einen inhärenten Bezug zur Wahrscheinlichkeit dessen aufweist, wovon geglaubt wird, dass es sei. 3 Zwar kann, worauf auch R. Swinburne hinweist, 4 keine allgemeine Regel dafür angeSiehe dazu J.-E. Pleines: Glauben oder Wissen. Analyse eines Dilemmas. Darmstadt 2008. – Bereits Nicolaus Cusanus hat in De docta ignorantia unter Berufung auf eine lange Tradition den Ausgang allen Wissens im Glauben betont. Siehe De docta ignorantia/Die wissende Unwissenheit. Drittes Buch, »XI. Mysteria fidei (Die Geheimnisse des Glaubens)«. In: Nikolaus von Kues: Philosophisch-theologische Schriften. Hrsg. u. eingef. v. Leo Gabriel. Wien 1989. Bd. 1, S. 492: »Fides igitur est in se complicans omne intelligibile. Intellectus autem est fidei explicatio. Dirigitur igitur intellectus per fidem, et fides per intellectum extenditur. Ubi igitur non est sana fides, nullus est verus intellectus.« 3 Vgl. dazu R. Swinburne: Faith and Reason [Second Edition]. Oxford 2005, insbesondere die Kapitel »The Nature of Belief« und »Rational Belief«. 4 Vgl. ebd., S. 6. 2

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geben werden, ab welchem Grad von Wahrscheinlichkeit eine Proposition p von einem Subjekt S geglaubt wird, weil dies nicht zuletzt von der individuellen Disposition – etwa der Leichtgläubigkeit oder generellen Skepsis – von S sowie von der Existenz glaubwürdiger Alternativen zu p (im eindeutigsten Fall nicht-p) abhängt. Tendenziell wird man aber davon ausgehen können, dass mit zunehmender Wahrscheinlichkeit von p auch die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass p von S geglaubt wird. Auffassungen von »Wissen«, die diesem nur den Status von sehr wahrscheinlichen Überzeugungen über bestimmte Sachverhalte zubilligen, werden zwischen »Glauben« und »Wissen« keine strikte Trennlinie ziehen und folglich keinen qualitativen Unterschied beider Einstellungen angeben können: Es ist dann nur wesentlich wahrscheinlicher, dass der Gehalt von p zutrifft, wenn p von einem Subjekt gewusst wird, als wenn p nur geglaubt wird; aber völlige Gewissheit über das Zutreffen von p kann es in keinem Fall geben. Davon ist eine Auffassung des Wissens zu unterscheiden, die diesem den Status eines Habens von sicheren bzw. gesicherten – und eben nicht nur wahrscheinlichen – Überzeugungen einräumt. Der Modus des Glaubens ist in dieser Sichtweise als eine unsichere(re) Weise des Fürwahrhaltens oder Überzeugtseins von Etwas qualitativ vom Wissen unterschieden. In beiden beschriebenen Fällen wird ›Glauben‹ als ein kognitiver Akt betrachtet, der letztlich auf Wissen abzielt, der also seine Erfüllung und Vollendung in einem Wissen des vorläufig eben nur Geglaubten findet. Unabhängig davon, ob man »Wissen« in Bezug auf »Glauben« einen nur quantitativ verschiedenen oder aber einen qualitativ verschiedenen Status zuspricht: »Wissen, dass p« stellt gegenüber dem bloßen »glauben, dass p« jedenfalls die höhere Form des Überzeugtseins und Fürwahrhaltens dar; sie ist das telos, dem alles nur provisorische Glauben zustrebt. In Entsprechung zu dieser erkenntnistheoretischen Beschreibung des Verhältnisses von »Glauben« und »Wissen« ist verschiedentlich auch die Relation von Religion und Philosophie als eine Ablösung spirituell beglaubigter Vorstellungskonglomerate durch ein rational verbürgtes, philosophisches Wissen aufgefasst worden. 5 Noch Hegels Versuch – den wir später noch genauer betrachten werden –, das im Medium des absoluten Geistes religiös bloß Vorgestellte ins philosophische Selbstbewusstsein aufzuheben, zehrt von der An5

Siehe Schaeffler 2002, S. 23 ff.

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Putatives Glauben, kreditives Glauben und Wissen

nahme, dass religiöses Gewahrwerden letztlich nur eine Vorstufe zur höchsten Erkenntnis, dem philosophischen Wissen, darstelle. Einer solchen quasi-teleologischen und hierarchisierenden Verhältnisbestimung von »Glauben« und »Wissen« liegt – bei allen problematischen Aspekten – immerhin die wichtige Einsicht zugrunde, dass beide Einstellungen nicht in ihrer fixierten Disjunktion zureichend begriffen werden können, sondern dass es vielmehr darum gehen muss, ihre komplexe und problematische Beziehung zueinander einsichtig zu machen. Dass beide mentalen Einstellungen tatsächlich niemals völlig getrennt voneinander auftreten, macht schon der evidente Umstand deutlich, dass alles Wissbare schließlich auch geglaubt werden muss, um Bestandteil des subjektiven und intersubjektiven Überzeugungsrepertoires werden zu können, und dass umgekehrt auch alles Geglaubte in seinen Inhalten als Geglaubtes gewusst werden muss, da ansonsten überhaupt nichts Bestimmtes geglaubt werden könnte; Glauben ist ebenso wie Wissen propositional verfasst. 6 Jenseits dieser unabweisbaren logischen Aufeinanderbezogenheit von »Glauben« und »Wissen« kann jedoch durchaus ein Gegensatz zwischen den mit diesen Ausdrücken bezeichneten Einstellungen entstehen. Mit »Glauben« wird in diesem Fall ein im Überzeugungshaushalt eines Individuums oder einer Gruppe fest verankertes Ensemble von Annahmen bezeichnet, zu deren Grundkonsitution es gehört, dass sie niemals in den Status sicheren Wissens gelangen können. Ließen sich rationale Verfahrensweisen angeben, durch welche die geglaubten Inhalte zu gewussten werden könnten, dann wäre gerade die Eigenständigkeit des Glaubens zerstört, der eben darauf basiert, dasjenige zu glauben, was den Bereich des prinzipiell Wissbaren übersteigt. »Wissen« designiert demgegenüber einen Bereich des Habens von Überzeugungen, der sich vom »Glauben« durch die Angebbarkeit rationaler Verfahren unterscheidet, durch die subjektive Annahmen in den Status intersubjektiv überprüfbarer Überzeugungen gelangen können. Es wäre jedoch irreführend, die Bereiche des »Glaubens« und des »Wissens« einfach dadurch voneinander unterscheiden zu wollen, Siehe dazu auch F. W. J. Schelling: Grundlegung der positiven Philosophie. Münchner Vorlesung WS 1832/33 und SS 1833. Turin 1972, S. 260: »Jeder Lernende ist ein Suchender; also auch der Philosoph muss glauben. […] Alle Wissenschaft entsteht nur im Glauben. Diejenigen, die Glauben und Wissen trennen, gehören zu der Klasse von Menschen, die selbst nicht wissen, was sie wollen, das Traurigste, was einem mit Vernunft begabten Menschen begegnen kann.«

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dass man dem kognitiven Zustand des Glaubens einen ausschließlich subjektiven Charakter und dem kognitiven Zustand des Wissens einen intersubjektiven, objektiven Charakter zuschriebe. Wäre »Glauben« tatsächlich auf die Sphäre des subjektiven Bewusstseins beschränkt, würde man es also ausschließlich im Sinne privater Meinungen interpretieren, so ließe sich das Phänomen des Religiösen, das sich primär in der Form von Glaubensgemeinschaften, also von sozialen Entitäten, manifestiert, überhaupt nicht verständlich machen. »Glauben« gewinnt seine intersubjektive Bindefähigkeit gerade aus der akkumulierten Überzeugungskraft, die er in seinen voneinander wissenden Anhängern zu wecken versteht. Gläubige, die denselben Glauben miteinander teilen, wissen zumindest dieses sehr genau. Und umgekehrt kann innovatives »Wissen« zunächst durchaus innerhalb eines einzelnen subjektiven Bewusstseins entstehen und verbleiben, wenn beispielsweise eine Theorie so neuartig ist, dass ihre logische und empirische Validität von der Mehrheit der am Forschungsdiskurs Beteiligten noch nicht nachvollzogen wird. Der durch sein Wissen Vereinzelte muss in diesen Fällen umso fester an seine gewonnenen Erkenntnisse glauben, als ihre faktische intersubjektive Akzeptanz noch aussteht. Man sieht also: Weder ist »Wissen« notwendigerweise ein intersubjektiv verbindender Zustand, noch ist sein Auftreten vollkommen unabhängig von der mentalen Einstellung des »Glaubens«. Und betrachtet man die Seite des Glaubens, so zeigt sich, dass dieses ohne ein Wissen – sowohl um das Geglaubte als auch um die Mitgläubigen – kaum bestehen kann. 7 Wie ist es aber plausibel zu machen, dass sich »Glauben« einmal als eine Art Vorstufe zum Wissen darstellt, dann jedoch einer Einlösung durch Wissen überhaupt nicht zu bedürfen scheint? – Diese scheinbar paradoxe Eigenschaft des »Glaubens« verliert ihre Merkwürdigkeit, wenn man folgende für ein differenzierteres Verständnis der Relation zwischen »Glauben« und »Wissen« zentrale Unterscheidung einführt: Es gibt einerseits ein »glauben, dass …« (engl. to believe that; lat. putare), ein ›Meinen‹, welches eine mehr oder weniger gut begründete subjektive Vermutung hinsichtlich eines Sachverhalts zum Ausdruck bringt, und andererseits ein »Glauben an …« (engl. to J. Derrida drückt diese Beziehung in Foi et savoir (op. cit., S. 62; dt. Übers.: S. 66) folgendermaßen aus: »Glaube und Wissen: zwischen dem Glauben, etwas zu wissen, und dem Wissen darum, wie man glaubt, besteht eine Alternative, mit der umzugehen kein bloßes Spiel ist.«

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believe in; lat. credere), bei dem es nicht so sehr um eine theoretische Vermutung als vielmehr um ein affektiv besetztes Vertrauen etwa in eine bestimmte Person, eine bestimmte Heilmethode oder eine bestimmte Ideologie geht, an die sich ein Subjekt mit seiner Persönlichkeit bindet. Es handelt sich also nicht um dieselbe Art des Glaubens, die einerseits durch rationale Verfahrensweisen bestätigt oder widerlegt werden kann und die sich andererseits gegen derartige Rationalisierungsversuche hartnäckig als resistent erweist. Die erste, prinzipiell rationalisierungsfähige Form des Glaubens können wir auch als putatives oder doxastisches, die zweite, nicht restlos rationalisierbare hingegen als kreditives oder fiduzielles Glauben bezeichnen. 8 Die prinzipielle Gemeinsamkeit zwischen »Wissen« und den beiden vorhin unterschiedenen Formen des »Glaubens« besteht darin, dass es sich in allen drei Fällen um – subjektive oder intersubjektiv geteilte – Überzeugungen bzw. Weisen des Für-Wahr-Haltens handelt, die jeweils einen unterschiedlichen epistemischen Status besitzen und verschiedene Modi der Rechtfertigung (und auch der potentiellen Enttäuschung) implizieren: • Die Überzeugung des Wissens erfordert die prinzipiell mögliche Angabe rationaler, intersubjektiv nachvollziehbarer Gründe bzw. Methoden, durch die das Gewusste ermittelt worden ist bzw. werden kann. »Wissen« (in der Form: S weiß, dass p) zeichnet sich auf der Subjektseite S durch einen hohen Überzeugungsgrad bezüglich des gewussten Sachverhalts und auf der Objektseite p durch einen sehr hohen Grad an Wahrscheinlichkeit bzw. Sicherheit des Zutreffens aus. Treten Zweifel am Gewussten auf, dann kann sich dieses bei einer erneuten empirischen oder logischen Überprüfung mit derselben oder einer anderen Methode als ein nur vermeintliches erweisen; es wird dann durch anderes Wissen oder vorübergehendes Nicht-Wissen substituiert. Wissen steht – trotz seiner Gewissheit im Moment des subjektiven Überzeugtseins – prinzipiell rationalen Zweifeln offen und ist dadurch revidierbar. In Sprachen wie dem Englischen und dem Französischen gibt es jeweils eigene Begriffe für kreditives Glauben (engl. faith, frz. foi), während die Verben ›to believe‹ und ›croire‹ ähnlich wie das deutsche ›Glauben‹ sowohl putatives als auch kreditives Glauben bezeichnen. Im Deutschen lässt sich die Differenz zwischen beiden Formen allenfalls durch eine Änderung des Artikels kenntlich machen: ›der Glauben‹ designiert ausschließlich kreditives Glauben, während ›das Glauben‹ beide Glaubensarten bezeichnen kann.

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Die Überzeugung des putativen (doxastischen) Glaubens erfordert zumindest die mögliche Angabe intersubjektiv nachvollziehbarer Gründe für das Vermutete. Dieses stellt eine Art Vorstufe des Wissens dar, durch welches das zunächst ›nur‹ Geglaubte bestätigt oder widerlegt werden kann. Putatives Glauben (S glaubt, dass p) zeichnet sich gegenüber »Wissen« auf der Subjektseite S durch einen niedrigeren Überzeugungsgrad bezogen auf p aus sowie auf der Objektseite p durch einen deutlich niedrigeren Wahrscheinlichkeitsgrad (bzw. Grad des sicheren Zutreffens). Der Zweifel stellt gleichsam die Kehrseite des putativen Glaubens dar. In einer nicht exaxt kakulierbaren, aber maßgeblichen Relation zu der objektiven Komponente »Wahrscheinlichkeit /Unwahrscheinlichkeit von p« und der subjektiven Komponente »Leichtgläubigkeit/Skepsis von S« stehend, ist der Zweifel genau das, wogegen sich S im putativen Glauben entscheidet. Aber eine leichte Verschiebung der genannten Komponenten kann bereits dazu führen, dass die Zweifel an p wieder überwiegen. S ist sich eben nicht sicher – und eben aufgrund dieser schwankenden Ungewissheit bezüglich p repräsentiert die Sicherheit des Wissens gleichsam das telos, dem das putative Glauben zustrebt. Die Überzeugung des kreditiven (fiduziellen) Glaubens (Sm vertraut Sn) 9 kann dagegen in aller Regel zwar durchaus rationale Gründe für das Geglaubte geltend machen (wie etwa die bisherige Integrität einer bestimmten Person, derer man sich aufgrund eines langen und intensiven Kontakts vollkommen sicher ist). Im Unterschied zum putativen Glauben jedoch lassen sich diese Begründungen beim kreditiven Glauben nicht in den Status des Wissens überführen, weil es keine intersubjektiv verbindlichen rationalen Verfahren gibt, durch die das Geglaubte jemals kalkuliert werden könnte. Insofern enthält das kreditive Glauben ein Paradox: Man glaubt fest an die Zuverlässigkeit von etwas, von der man doch weiß, dass sie nicht feststeht – denn stünde sie fest, müsste man ja nicht mehr an sie glauben. Im Unterschied zum putativ Glaubenden befindet sich der kreditiv Glaubende Sm (ebenso wie der Wissende) in einem Zustand der sicheren Überzeugung bezüglich Sn; man spricht bekanntlich in diesem Zu-

Präzisierende Hinweise bezüglich der Unterscheidung von putativem (doxastischem) und kreditivem (fiduziellem) Glauben verdanke ich Rainer Enskat.

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sammenhang auch von Glaubensgewissheit. Etwaige Zweifel, die auch den Zustand des kreditiven Glaubens stets beschleichen können, zielen weniger auf eine Substitution des Geglaubten oder auf dessen Auflösung in Wissen ab, sondern eher auf eine von S persönlich zu entscheidende Lockerung oder Intensivierung der mit dem Glauben eingegangenen Verbindung zu Sn. Offensichtlich gehören also putatives Glauben und Wissen hinsichtlich ihrer Rechtfertigungskriterien derselben Ordnung kognitiver Einstellungen an, während das kreditive Glauben eine vollkommen andere Art des Überzeugtseins und Für-wahr-Haltens von etwas betrifft. Putatives Glauben und Wissen bezeichnen jeweils eine theoretische Einstellung gegenüber einem Sachverhalt, deren Validität von intersubjektiv geteilten Vereinbarungen hinsichtlich der möglichen Überprüfbarkeit der behaupteten Annahmen abhängt. Es liegt also letztlich an mir als behauptendem Subjekt, das eine bestimmte Perspektive auf einen fraglichen Sachverhalt p eingenommen hat, ob mein (putativ) Geglaubtes oder mein Gewusstes zutreffen oder ob sie sich als falsch herausstellen. Habe ich die intersubjektiv geltenden Begründungsregeln korrekt auf p bezogen, so darf ich begründet davon ausgehen, dass das, was ich glaube oder zu wissen glaube, stimmt. Genau dies verhält sich jedoch beim kreditiven Glauben vollkommen anders: Hier hängt es nicht von meinen subjektiven Fähigkeiten ab, eine intersubjektiv geltende Regel auf einen bestimmten Sachverhalt korrekt anzuwenden, weil die Validitätskriterien für die Überzeugungen des kreditiven Glaubens gar nicht aus einer intersubjektiven Regel geschöpft werden können, sondern letztlich nur aus der Instanz, an die sich das glaubende Subjekt in seinem Glauben gebunden hat, sowie aus seiner eigenen Bereitschaft, eben diese Bindung dauerhaft zu vollziehen. Religiöse Überzeugungen wie etwa der kreditive Glaube an ein höchstes Wesen vermögen die persönliche Existenz eines Gläubigen so fest an das Geglaubte zu binden, dass dieses nicht durch einen anderen Glaubens- oder Wissensgehalt substituiert werden kann, ohne die Identität des Gläubigen dadurch massiv zu erschüttern. 10 Das bedeutet: Das im Sinne des kreditiven Glaubens glaubende Freilich können sich auch Weltbildrevisionen, die auf einem Paradigmenwechsel in der Ordnung des Wissens basieren, destabilisierend auf kulturell verankerte Identitätsentwürfe auswirken: Als Beispiele aus der modernen Wissenschaftsgeschichte ließen sich hier etwa Darwins Evolutionstheorie, Einsteins Relativitätstheorie oder auch Freuds ›Entdeckung‹ des Unbewussten aufzählen. Die kulturell zu verarbeitenden Bewusstseinskrisen, zu denen solche Revolutionen des Wissens führen können, resul-

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Subjekt kann sich, so lange es glaubt, in seinem Glauben nicht irren oder sich selber täuschen, es kann allenfalls getäuscht oder enttäuscht werden und aufgrund der Erkenntnis dieser Täuschung seinen Glauben verlieren. 11 Was jedoch die putative mit der kreditiven Einstellung gleichwohl verbindet und es erlaubt, beide mit dem gemeinsamen Begriff des »Glaubens« zu bezeichnen, ist – positiv ausgedrückt – die Entscheidung des Subjekts (oder einer Gemeinschaft von Subjekten), sich affirmativ auf das Geglaubte zu beziehen: putativ, indem p von S hypothetisch als wahrscheinlich angenommen wird, kreditiv, indem Sm eine vertrauensvolle Bindung zu Sn eingeht, wobei es sich bei Sn um eine ebenbürtige, menschliche oder aber um eine übermenschliche Person handeln kann. – Kreditives Glauben und Wissen wiederum haben miteinander gemeinsam, dass beide Einstellungen subjektive bzw. intersubjektive Gewissheiten repräsentieren, die putatives Glauben, das nur auf Wahrscheinlichkeit beruht, nicht im gleichen Maße bereit stellen kann. Die durchgeführte Unterscheidung der drei verschiedenen Typen des Überzeugtseins bzw. Fürwahrhaltens deckt sich partiell mit derjenigen, die Immanuel Kant im dritten Abschnitt des »Kanons der tieren letztlich daraus, dass über einen längeren Zeitraum als ›Wissen‹ akzeptierte Deutungen der Wirklichkeit nicht mehr regelmäßig einer kritischen Revision unterzogen werden, sondern als unhinterfragte Hintergrundannahmen eines sozial verankerten Weltverständnisses gleichsam in den Status kreditiv geglaubter Inhalte gelangen. Blinde Wissenschaftsgläubigkeit hat, vor diesem Hintergrund betrachtet, mit kreditivem Glauben wesentlich mehr zu tun als mit Wissen, zu dessen hervorstechendsten Eigenschaften es schließlich gehört, immer wieder kritisch überprüft und revidiert werden zu können. 11 L. Wittgenstein bestimmt in einer Bemerkung von 1937 das im religiösen Glauben wirksame Für-wahr-Halten, das wir als ›kreditives Glauben‹ bezeichnen, als immun gegenüber wissenschaftlichen Widerlegungen der historischen Wahrheit einer Religion: »So sonderbar es klingt: Die historischen Berichte der Evangelien könnten, im historischen Sinn, erweislich falsch sein, und der Glaube verlöre doch nichts dadurch: aber nicht, weil er sich etwa auf ›allgemeine Vernunftwahrheiten‹ bezöge!, sondern, weil der historische Beweis (das historische Beweis-Spiel) den Glauben gar nichts angeht. Diese Nachricht (die Evangelien) wird glaubend (d. h. liebend) vom Menschen ergriffen. Das ist die Sicherheit dieses Für-wahr-haltens, nicht Anderes.« (L. Wittgenstein: »Vermischte Bemerkungen«. In: Über Gewißheit. Werkausgabe Bd. 8. Frankfurt a. M. 1984, S. 495.) So sehr Wittgenstein in seiner Charakterisierung religiösen (kreditiven) Glaubens auch zuzustimmen ist, so halten wir doch eine Auffassung für plausibler, die eine Einflussnahme von Wissen und rationalen Plausibilitätserwägungen auf die Annahme oder Aufgabe von kreditiv geglaubten Gehalten nicht gänzlich ausschließt.

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reinen Vernunft« unter der Überschrift »Vom Meinen, Wissen und Glauben« vorgenommen hat. 12 Die terminologischen Grenzziehungen, die Kant in diesem Abschnitt präsentiert, differieren jedoch von der hier vorgeschlagenen Sprachregelung insofern, als wir die kognitiven Einstellungen des »Meinens« und des »Glaubens« nicht kategorial voneinander unterscheiden, wobei wir uns am heutzutage gängigen Sprachgebrauch orientieren, der es erlaubt, beide Ausdrücke weitgehend synonym zu verwenden. Sowohl »Meinen« 13 als auch »Glauben«, worunter Kant ein subjektiv zureichendes, objektiv aber unzureichendes Fürwahrhalten versteht, fallen innerhalb der hier vorgeschlagenen Terminologie unter die Rubrik des »putativen Glaubens«. »Wissen« können wir demgegenüber mit Kant als »das sowohl subjektiv als objektiv zureichende Fürwahrhalten« 14 definieren. Kant verzichtet in diesem Zusammenhang – in den Schlusspassagen der Kritik der reinen Vernunft – allerdings darauf, eine Form des Fürwahrhaltens einzuführen, die dem hier verwendeten Begriff des »kreditiven Glaubens« entspräche. Dafür differenziert Kant im Weiteren den Begriff des ›Glaubens‹ in praktischer Beziehung, der entweder auf beliebige und zufällige Zwecke der Geschicklichkeit (als pragmatischer Glaube) oder aber auf schlechthin notwendige Zwecke der Sittlichkeit (als moralischer Glaube) ausgerichtet sein kann. 15 Diese beiden praktischen Glaubensarten wiederum sind von einem doktrinalen Glauben zu unterscheiden, den Kant als ein theoretisches Analogon zu praktischen Glaubensurteilen bezeichnet und zu dem beispielsweise die Lehre vom Dasein Gottes zu zählen ist, sofern diese physikotheologisch begründet wird. 16 Da Kant den doktrinalen Glauben als »Ausdruck der Bescheidenheit in objektiver Absicht, aber doch zugleich der Festigkeit des Zutrauens in subjektiver« 17 Absicht Vgl. I. Kant: Kritik der reinen Vernunft (im Folgenden zitiert als: KrV). Nach der ersten und zweiten Originalausgabe hrsg. v. J. Timmermann. Hamburg 2003, A 820/ B 848-A 831/B 859. Siehe dazu auch C. L. Firestone: Kant and Theology at the Boundaries of Reason. Surrey/Burlington 2009, Kap. 3: »Faith and Cognition in Kant’s Philosophy of Religion«, S. 41–62. 13 »Meinen« definiert Kant als »ein mit Bewußtsein sowohl subjektiv, als objektiv unzureichendes Fürwahrhalten.« KrV, A 822/B 850. M. E. sind jedoch sowohl »Meinen« als auch »Glauben« subjektiv ›unzureichende‹ (eben nur auf Wahrscheinlichkeit rekurrierende) Weisen des Fürwahrhaltens von Sachverhalten. 14 Ebd., A 822/B 850. 15 Ebd., A 824/B 851 ff. 16 Ebd., A 826/B 854 f. 17 Ebd., A 827/B 855. 12

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Konvergenz oder Divergenz von »Glauben« und »Wissen«?

beschreibt, decken sich die Eigenschaften des doktrinalen Glaubens teilweise mit denjenigen des kreditiven Glaubens; doch liegt dessen Besonderheit gerade darin, dass das Fürwahrhalten des Geglaubten in einer vertrauensvollen Bindung, nicht in einer ausschließlich theoretischen Annahme vollzogen wird. Insofern ähnelt das, was wir ›kreditives Glauben‹ nennen, eher dem ›moralischen Glauben‹ Kants, der die Ressourcen seiner Überzeugungskraft aus der begründeten Hoffnung der ethischen, ihre Willensbestimmungen am Sittengesetz ausrichtenden Persönlichkeit bezieht. Allerdings weist der moralische Glaube im kantischen Sinne ein viel höheres Maß an Bestimmtheit und Notwendigkeit auf, als es der kreditive Glaube üblicherweise leisten kann: Hängt es bei diesem von der – bestenfalls gut begründeten – Entscheidung des Subjekts ab, welchen Personen, Gegenständen oder Ideen es Glauben schenken will, so leitet der moralische Glauben mit einer zwar theoretisch indifferenten, aber in praktischer Beziehung umso wirksameren Konsequenz die Notwendigkeit des Gottesglaubens aus dem Faktum des Sittengesetzes und der Idee des höchsten Guts ab. 18 Die gedankliche Ableitungskette, die vom Sittengesetz zur Idee des höchsten Gutes und von dort zur notwendigen Annahme eines gerechten Weltenrichters führt, müsste somit entweder als eine Form des Wissens – nicht des Glaubens – charakterisiert werden, sofern sie intersubjektiv verbindliche Allgemeinheit beansprucht (auch wenn es sich hier nicht um apodiktisch gewisse Aussagen, sondern um notwendige Postulate der Vernunft handelt), oder aber als eine Form des putativen Glaubens, sofern eine Annahme über einen Sachverhalt (»Es gibt einen Gott« bzw. »Es gibt ein Leben nach dem Tod«) gemacht wird, die prinzipiell einem Wissen zustrebt (auch wenn dieses aufgrund der von Kant festgestellten Erkenntnisrestriktionen in dieser Frage niemals erreichbar ist). In religionsphilosophischer Hinsicht sind die kantischen Ausführungen zum Verhältnis von »Meinen, Wissen und Glauben« insofern bedeutsam und anschlussfähig, als sie im Hinblick auf die Religion – wie bereits erwähnt – von zwei grundsätzlich unterschiedenen Glaubensformen ausgehen, nämlich einer doktrinalen, die sich Vgl. ebd., A 828/B 856: »Da aber also die sittliche Vorschrift zugleich meine Maxime ist (wie denn die Vernunft gebietet, daß sie es sein soll), so werde ich unausbleiblich ein Dasein Gottes und ein künftiges Leben glauben, und bin sicher, daß diesen Glauben nichts wankend machen könne, weil dadurch meine sittlichen Grundsätze selbst umgestürzt werden würden, denen ich nicht entsagen kann, ohne in meinen eigenen Augen verabscheuungswürdig zu sein.«

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Putatives Glauben, kreditives Glauben und Wissen

auf (unbeweisbare) theoretische Überzeugungen hinsichtlich der Existenz Gottes und ein Weiterleben nach dem Tod bezieht, und einer moralischen, die dieselben Überzeugungen aufgrund praktisch-moralischer Erwägungen als subjektiv gewisse vertreten kann. Übertragen wir diesen kantischen Gedanken in die hier gewählte Sprechweise, so lässt sich die These aufstellen, dass der Glaube, so wie er sich in den Religionen manifestiert, eine eigentümliche Mischung von putativem und kreditivem Glauben darstellt. 19 Anhand des Gottesglaubens, der bekanntlich in vielen (keineswegs jedoch in allen) Religionen das Zentrum der religiösen Verehrung bildet, soll diese These – in Bezugnahme auf und in gleichzeitiger Absetzung von den kantischen Sprachregelungen – kurz erläutert werden. Zweifellos handelt es sich bei der religiösen Annahme Gottes vor allem um ein »Glauben an …«, das eine persönliche, vertrauensvolle Bindung an das Geglaubte impliziert, also um einen typischen Fall von kreditivem Glauben. Andererseits aber unterscheidet sich der Glaube an Gott insofern von anderen, ›alltäglicheren‹ Fällen kreditiven Glaubens, als die gläubige Bindung sich in vielen – wenngleich keineswegs in allen – Fällen auf etwas bezieht, dessen Existenz sich das glaubende Subjekt bereits sicher sein kann. Der Glaube an eine geliebte Person, an ein bestimmtes Meditationsverfahren, an den Staat, ja selbst an »Wahrsager«, um nur einige Beispiele zu nennen, kann zumindest davon ausgehen, dass es die Entitäten (Personen, Einrichtungen, Praktiken etc.), auf die sich der Glaube bezieht, tatsächlich gibt – auch wenn die Eigenschaften, die ihnen durch den Glauben zugeschrieben werden, vielleicht nicht zutreffen mögen. Im Falle des Gottesglaubens dagegen bezieht sich der kreditive Glaube nicht auf eine bereits vorliegende Entität, an die sich das gläubige Vertrauen anheften kann, sondern auf eine bloße Existenzannahme, also letztlich auf einen Fall putativen Glaubens (»ich glaube, dass es einen Gott gibt …«). 20 Weil die bloß angenommene Existenz Gottes aber für den Gläubigen eine sehr hohe existentielle Siehe zum Glaubensbegriff im Christentum den Artikel von D. A. Campbell: »Faith«. In: The Oxford Encyclopedia of the Bible and Theology. Hrsg. v. S. E. Balentine. Oxford/New York 2015. Vol. 1, S. 327–336. 20 Das putative »glauben, dass …«, das dem Gottesglauben zugrunde liegt, unterscheidet sich hinsichtlich seiner logischen Struktur nicht von Existenzannahmen wie denjenigen extraterristischer Lebewesen oder phantastischer Fabeltiere. Allerdings ist die existentielle Relevanz derartiger Annahmen in aller Regel so gering, dass sich kaum ein ernsthaftes kreditives Glauben an sie anschließen wird. 19

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Konvergenz oder Divergenz von »Glauben« und »Wissen«?

Relevanz besitzt, ist sie für einen besonders intensiven kreditiven Glauben empfänglich, dessen Stärke verschleiert, dass er eigentlich nur auf einer schwachen putativen Grundlage basiert. 21 Will man den Glauben an »Gott« religionsphilosophisch angemessen würdigen, so wird man seinen kreditiven Anteil sicherlich weitaus höher gewichten müssen als seine relativ schmale putative Basis. 22 »Gott« sollte deswegen auch nicht in erster Linie als eine metaphysische ›Hypothese‹ aufgefasst werden, an der die Gläubigen so lange festhalten, bis sie eines Tages durch logische und/oder empirische Prüfung – oder gar durch philosophische »Gottesbeweise« – verifiziert oder falsifiziert werden kann. Kritiker des kreditiven Glaubens neigen dazu, die in dieser Glaubensform vollzogene Bindung an das Geglaubte in ihrem genuinen Charakter zu verkennen; sie interpretieren sie als eine bewusste Aktivität des Subjekts und übersehen dabei, dass aus der Perspektive des glaubenden Subjekts diese Aktivität nur eine Reaktion auf eine Instanz ist, die sich dem Glaubenden so zuspricht, dass dieser sich zum Glauben genötigt sieht. Während also beim putativen Glauben sowie beim Wissen der Einsatz der mentalen Aktivität auf der Seite des Subjekts zu verorten ist, das sich zu einem Sachverhalt in ein wahrheitssensibles Verhältnis setzt, ergeht das Wahrheitsgeschehen beim kreditiven Glauben von der glaubwürdigen Instanz an das Subjekt, das mit seinem Glauben auf den Wahrheitanspruch des Glaub-würdigen antwortet. Der Begriff der ›Annahme‹, den wir vorhin bereits zur allgemeinen Kennzeichnung des Glaubens verwendet hatten, passt angesichts dieser Erwägungen offensichtlich wesentlich besser auf den Bereich des kreditiven als auf den des putativen Glaubens, da das Subjekt beim kreditiven Glauben

Darüber hinaus bieten die Religionen in dem, was zuvor als der Bereich ihrer Sekundäreigenschaften bezeichnet wurde, eine reiche Fülle an empirischem Material (gemeinschaftliche Rituale, Gewänder, Tempel, Musik, Gesten, Formeln, Schmuck, Statuen etc.), das gleichsam als empirischer »Ersatz« für die fehlende Existenzgewissheit dessen dient, worum – zumindest in den theistischen Spielarten – das religiöse Geschehen beständig kreist oder kreisen sollte. 22 Siehe dazu M. Theunissen: »Philosophie der Religion oder religiöse Philosophie?« In: Enders/Zaborowski 2004, S. 89–99, hier S. 94: »Auch in religiösen Überzeugungen steckt ein doxisches Element. Christliche Dogmatik gebietet, für wahr zu halten, daß ein Gott da ist oder daß uns das Jüngste Gericht bevorsteht. Doch überführt die Praxis des Christen das Glauben im Sinne des Für-wahr-Haltens in ein Glauben anderer Art, ein Vertrauen. Die griechische Sprache hat auch für diese Art von Glauben ein eigenes, dem Neuen Testament vermachtes Wort: Pistis.« 21

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Putatives Glauben, kreditives Glauben und Wissen

gleichsam eine Gabe annimmt, die es zuvor vernommen hat. 23 Der im kreditiven Sinne Glaubende nimmt den Glauben an wie ein unverfügbares Geschenk, das man ihm ganz persönlich darreicht; der im putativen Sinne Glaubende nimmt seine Vermutung dagegen an als einen zufälligen Inhalt, der sich in seinem Bewusstsein aufhält und über den er sich eine Meinung bildet, die richtig oder falsch sein kann. Der subjektive Anteil an der jeweiligen Einstellung des Glaubens oder Wissens kann allerdings auch noch unter einem anderen Aspekt betrachtet werden, der sich auf die Entscheidungsfreiheit des Subjekts in seinem Glaubens- und Wissensakt bezieht. Die Annahme des kreditiven Glaubens erfolgt nämlich insofern freiwillig, als das Subjekt – zumindest in Gesellschaften, die nicht zwingend eine bestimmte Religionausübung vorschreiben – die Wahl hat, aus der subjektiv empfundenen Überzeugungskraft des zu-Glaubenden eine persönliche Bindung abzuleiten oder darauf zu verzichten. Beim putativen Glauben und beim Wissen steht es dagegen dem Subjekt nicht frei, einen bestimmten Inhalt für richtig oder falsch zu halten; denn hier ist es an die intersubjektiv geltenden Kriterien der Überprüfung von Propositionen gebunden. Freilich entwickelt und stabilisiert sich auch das kreditive Glauben nicht vollkommen unabhängig von der Sphäre des Wissens. Es zielt zwar nicht auf Wissen ab (wie die putative Variante des Glaubens) und stellt insofern eine eigenständige, von den Kriterien der Wissensgewinnung weitestgehend unabhängige mentale und affektive Disposition dar. Aber das Wissen um bestimmte Sachverhalte, die zum Zeitpunkt der Glaubensannahme noch nicht bekannt waren oder nicht hinreichend beachtet wurden, kann durchaus dazu führen, dass kreditiv geglaubte Inhalte mit einem Male unglaubwürdig werden, sodass der Gläubige den Glauben an sie aufgibt. 24 An dieser Option Auch die ethymologische Herkunft des deutschen Wortes ›Vernunft‹ von ›vernehmen‹ scheint eher auf eine auditiv-passivische Funktion hinzudeuten, die allerdings im Gegensatz zur überwiegenden Strömung der abendländischen Geschichte der Vernunft als eines aktiven Vermögens steht, die vorwiegend in einer visuellen Metaphorik beschrieben wird. 24 Im zwischenmenschlichen Bereich können sich derartige Erfahrungen des enttäuschten kreditiven Glaubens in Bekundungen niederschlagen wie z. B.: »Ich habe an dich geglaubt, aber du hast mich enttäuscht …« – Glaubt man in kreditiver Weise an einen Mitmenschen und wird später durch ihn getäuscht oder verraten, so wird der kreditive Glaube durch das plötzlich auftauchende Wissen um die Zugrundelegung falscher Prämissen, auf denen der Glaube basierte (z. B. die unerschütterliche Loyalität des Anderen), zerstört. 23

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Konvergenz oder Divergenz von »Glauben« und »Wissen«?

lässt sich auch ablesen, dass selbst der blindeste Glaube nicht so blind und irrational ist, dass er nicht prinzipiell durch rational einsehbare Gründe auch wieder aufgegeben werden könnte – freilich unter der Voraussetzung, dass der Gläubige nicht gänzlich die Bereitschaft verloren hat, sich von Gründen beeindrucken zu lassen. 25 Die Loslösung von einem kreditiven Glauben, die durch auf (Erfahrungs-)Wissen rekurrierende Gründe motiviert wird, ist deswegen prinzipiell möglich, weil bereits die kreditive Annahme von Glaubensinhalten nicht gänzlich losgelöst von subjektiv-rationalen Konsistenz- und Plausibilitätserwägungen geschieht. Religiöses Glauben (oder auch der Glaube an eine bestimmte Person oder Ideologie) stellt zwar in vielen Fällen eine kognitive Zumutung dar, die sich durch die Angabe rationaler Gründe nicht restlos verständlich machen lässt. Aber der Zuspruch des zu-Glaubenden, den der Gläubige vernehmen und annehmen soll, darf gleichwohl nicht vollkommen irrational und kognitiv dissonant sein, weil es andernfalls keinerlei Anknüpfungspunkte für die Integration des Glaubens in den mentalen und affektiven Überzeugungshaushalt des gläubigen Individuums gäbe. 26 Je größer die Zumutung an rational Unverdaulichem ist, die ein Glaube für den Gläubigen bereit hält, um so stärker muss auf der anderen Seite die angenommene ›Heilskraft‹ des zu-Glaubenden sein, wobei sich diese – anders als im Falle des putativen Glaubens oder des Wissens – nicht primär auf empirische Beobachtungen, logische Schlussfolgerungen und intersubjektive Zustimmungsfähigkeit stützt, sondern in einem hohen Maße auf affektiv bzw. volitional beAls Beispiel ließe sich die fanatische Begeisterung allzu vieler Deutscher für den Nationalsozialismus und hier speziell für den »Führer« A. Hitler anführen. In diesem Falle bedurfte es leider des Verlustes vieler Millionen Menschenleben, um die Mehrheit der Deutschen von ihrem Wahnglauben an Hitler und das ›Dritte Reich‹ abzubringen. (Viele weitere Fälle derartigen irrationalen Glaubens ließen sich nennen, aber dieser ist besonders bezeichnend.) Die Möglichkeit, einen kreditiven Glauben aufgrund besseren Wissens aufgeben zu können, setzt die grundsätzliche Bereitschaft zur Kritik des eigenen Glaubens voraus – eine Herausforderung, der sich nicht alle kreditiv Glaubenden stellen möchten, da sie in der Kritik bloß ein Instrument des Zweifels sehen, der die Intensität des Glaubens zu untergraben scheint. – Siehe zu diesem Themenkomplex aus religionssoziologischer Perspektive den Aufsatzband Rational Choice Theory and Religion. Summary and Assessment. Hrsg. v. L. A. Young. London/New York 1997. 26 Vgl. entsprechend Swinburne 2005, S. 2: »So you need a rational belief that there is some probability that the creed of a particular religion is true before it is rational to follow its way (to practice that religion) in order to reach its goals.« 25

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Putatives Glauben, kreditives Glauben und Wissen

setzte Kriterien wie die Fähigkeit zur Erfüllung bedeutsamer Wünsche (wie z. B. denjenigen nach einem ewigen, glückserfüllten Leben im Paradies), moralische Vorbildhaftigkeit, Charisma, rhetorisches Talent, außergewöhnliche spontane Heilungskräfte etc. zurückgreift. Die Zumutung des rational Unzugänglichen ist gleichsam die – je nach Sichtweise – heilsame Medizin oder bittere Pille, die der Gläubige einnehmen muss, um in den Genuss der mit dem kreditiv Geglaubten verbundenen positiven Werte und heilenden Kräfte zu kommen. Aus der Sicht des Gläubigen kann es deswegen durchaus rational und gut begründet sein, für die kreditive Bindung an das für gut Erachtete rationale Leerstellen in Kauf zu nehmen, die er mit der Intensität seines Glaubens ausfüllt – dann nämlich, wenn die empfundene Überzeugungskraft des zu-Glaubenden die rationalen Widerstände und Einwände gegen es deutlich überwiegt. Überblicken wir die bisherigen Erläuterungen zu den mentalen Einstellungen des Glaubens und des Wissens, so ist festzustellen, dass sie in vielerlei Hinsicht konvergieren, in anderen relevanten Hinsichten jedoch divergieren. Sie konvergieren darin, dass es sich jeweils um Weisen des Überzeugtseins und des Für-wahr-Haltens handelt, wobei die Gründe für das jeweilige Überzeugtsein sowie die Art der jeweiligen Beteiligung des Subjekts am Glaubens- bzw. Wissensakt divergieren: In den mentalen Einstellungen des putativen Glaubens sowie des Wissens sollten die Gründe für das Geglaubte und Gewusste rational nachvollziehbar, d. h. einer intersubjektiven Nachprüfbarkeit mit empirischen und logischen Mitteln zugänglich sein. In der Einstellung des kreditiven Glaubens ist hingegen eine derartige Überprüfbarkeit des Geglaubten, die den Glaubensakt fundieren und rechtfertigen könnte, weder möglich noch notwendig; denn es handelt sich bei dieser Form des Glaubens um eine – im Idealfall freiwillig vollzogene – persönliche Bindung, die zwar nicht völlig frei von jeglichen rationalen Erwägungen ist, da sie zentrale Interessen und Wünsche der sich bindenden Person berücksichtigt, die aber keine rationalen, intersubjektiv akzeptablen Verfahrensweisen aufzeigen kann, durch welche die geglaubten in gewusste Gehalte transformiert werden könnten. Die Gewissheit des persönlichen Involviertseins in das Geglaubte, die beim bloß putativen Glauben in der Regel nicht gegeben ist, kompensiert gleichsam die fehlende Gewissheit einer intersubjektiven Bestätigung des geglaubten Inhalts nach verbindlich anerkannten Kriterien der Wahrheitsfindung. Zum Abschluss dieser allgemeinen Erwägungen zum Verhältnis 159 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Konvergenz oder Divergenz von »Glauben« und »Wissen«?

von Glauben und Wissen wäre noch zu fragen, ob die beschriebenen Charakteristika des kreditiven Glaubens eine Kennzeichnung von religiösen Propositionen als ›gerechtfertigt basalen Überzeugungen‹ (properly basic beliefs) nahe legen. Die von Vertretern der ›Reformierten Epistemologie‹ wie A. Plantinga vorgebrachte und seitdem breit diskutierte These, dass religiösen Überzeugungen ein epistemisch basaler Status zukomme 27 – nämlich für denjenigen, der sie auf der Basis seines subjektiven Erfahrungshorizontes trifft –, kann jedoch nicht mit der hier vorgeschlagenen Differenzierung unterschiedlicher Glaubens- und Wissensformen in Einklang gebracht werden. Die Behauptung, dass subjektive Glaubenssätze wie ›Gott existiert‹ auf derselben epistemischen Rechtfertigungsebene lägen wie einfache empirische Beobachtungssätze, berücksichtigt auf der einen Seite zu wenig den jeweiligen Stellenwert der Aussagen für das Überzeugungsrepertoire des Subjekts, welches diese Aussagen tätigt; auf der anderen Seite ignoriert sie die kulturelle ›Sättigung‹ religiöser Sätze, die im Unterschied zu empirischen Beobachtungssätzen nicht an die vorzeigbare Präsenz vorhandener Dinge und Ereignisse anschließen, sondern an einen – wenngeich oftmals nicht explizit bewussten – kulturellen Überlieferungshaushalt, der für die Decodierung, ja vielfach auch für die Generierung religiöser Sätze unerlässlich ist. Es ist daher nicht richtig zu sagen, dass für den gläubigen Menschen religiöse Überzeugungen wie z. B. der Beistand Gottes in Notlagen in einer ebenso fundamentalen Weise zu seinem Weltbild gehören würden wie die Überzeugung vom realen Vorhandensein bestimmter Objekte in Raum und Zeit. Vielmehr kann es zum Arsenal einer Religion gehören, einen derartigen Beistand Gottes für unfraglich und unbezweifelbar zu erklären und diese Überzeugung durch soziokulturelle Praxen in den Anhängern der betreffenden Religion so fest zu verankern, dass sie tatsächlich davon überzeugt sind, dass der göttliche Beistand für ihren Wirklichkeitsbezug basal sei. Aber diese Art von Glauben ist letztlich nicht epistemisch basal, sondern Siehe etwa W. P. Alston: Perceiving God. The Epistemology of Religious Experience. Ithaca, N.Y. 1991; A. Plantinga: Warranted Christian Belief. New York 2000; ders.: God and Other Minds. Ithaca, N.Y. 1967; ders.: »Is Belief in God Properly Basic?« In: Nous, 15 (1981), S. 41–51; ders.: »Justification and Theism«. In: The Analytic Theist. An Alvin Plantinga Reader. Hrsg. v. J. F. Sennett. Grand Rapids, Mich./Cambridge, UK 1998, S. 162–186; ders.: »Reason and Belief in God«. In: The Analytic Theist, S. 102–161; ders./N. Wolterstorff (Hrsg.): Faith and Rationality: Reason and Belief in God. Notre Dame 1983.

27

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Ein exponierter Sonderfall: das Verhältnis zwischen Religion und Philosophie

vielmehr eine Form sozial determinierter Autosuggestion, die sich auflöst, sobald man die jeweiligen Glaubensaussagen hinreichend kontextualisiert.

2.

Ein exponierter Sonderfall der allgemeinen Beziehung von Glauben und Wissen: das Verhältnis zwischen Religion und Philosophie

Die im vorigen Unterkapitel skizzierten Beziehungsvarianten zwischen »Glauben« und »Wissen« kommen auch in solchen geistigen Formationen zum Ausdruck, die ganze Gesellschaften und Kulturen langfristig geprägt haben bzw. bis heute maßgeblich prägen. Gemeint sind hiermit zum einen die Weltreligionen, zum anderen die Wissenschaften bzw. die säkulare Philosophie. In diesen Formationen gewinnen die mentalen Einstellungen des Glaubens und des Wissens, die wir zuvor anhand der subjektiven Ebene unterschieden haben, gleichsam eine objektive Gestalt, die es erlaubt, die Beziehungsgeflechte zwischen Glauben und Wissen auf einer höherstufigen Ebene zu untersuchen. Aufgrund der historischen Entwicklung der modernen Wissenschaften werden in den meisten von ihnen nicht (mehr) dieselben Inhalte thematisiert, die in den Religionen Gegenstand des Glaubens sind: solche Inhalte, die im vorigen Kapitel mit religiösen Primärkomponenten verbunden wurden, da sie die zentralen Aussagen einer Religion zu den Fragen nach Ursprung und Sinn der Welt sowie nach einem gelingenden menschlichen Leben betreffen. Letztlich gibt es heute nur noch eine einzige Wissenschaft, die diese Inhalte ebenfalls ausdrücklich zum Thema macht, nämlich die Philosophie, die sich aus eben diesem Grund besonders gut dazu eignet, als exponierte Repräsentatin der Sphäre des »Wissens«, sofern dieses auf die letzten Gründe humaner Weltbezüge bezogen ist, dem durch die Religionen vertretenen Bereich des »Glaubens« gegenübergestellt zu werden. Alle anderen Wissenschaften sind – natürlich mit Ausnahme der ausdrücklich religionsaffinen Disziplinen Theologie und Religionswissenschaften – insofern mit der Religion unvergleichbar, als sie entweder hinsichtlich ihres Gegenstandsbereichs und ihrer Methodik innerhalb einer logifizierbaren Empirie verbleiben (wie die modernen Naturwissenschaften) oder allenfalls Berührungspunkte zu religiösen Sekundäreigenschaften aufweisen (wie die Kunstgeschichte zu reli161 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Konvergenz oder Divergenz von »Glauben« und »Wissen«?

giösen Symbolen und Figuren, die Literaturwissenschaft zu religiösen Textformen, die Musikwissenschaft zur musikalischen Ausdeutung religiöser Ideen etc.). Wir werden daher das Feld der möglichen Anwendungsbereiche, in denen Glauben und Wissen konvergieren oder divergieren können, für die Zwecke dieser Untersuchung deutlich eingrenzen und uns im Folgenden ausschließlich auf das komplizierte Beziehungsgefüge von Religionen und Philosophien konzentrieren. Innerhalb dieses Gefüges finden wir die allgemeine Beziehung zwischen ›Glauben‹ und ›Wissen‹ in historisch und systematisch ausdifferenzierter Form, gleichsam in diskursiven Formationen ›institutionalisiert‹ vor. Paradigmatische Beziehungsmodelle zwischen ›Glauben‹ und ›Wissen‹ können somit in der interpretativen Auseinandersetzung mit kulturell und epochal divergierenden Grenzbestimmungen beider Sphären erschlossen werden, ohne sie einer artifiziellen, aufoktroyierten Systematik unterwerfen zu müssen. Für die folgenden Analysen wird vorausgesetzt, dass »Religion« – ihr Begriff sei an dieser Stelle vorläufig in seiner alltäglichen, unproblematisierten Form verwendet – eine exponierte Form des Glaubens darstellt und »Philosophie« eine exponierte Form des Wissens. Eine exponierte Wissensform stellt die Philosophie deswegen dar, weil sie nicht wie andere Wissenschaften auf eine Akkumulation und theoriegeleitete Verbindung empirischer Kenntnisse ausgeht, sondern auf das Wissen um jene Prinzipien, durch die wir allererst zu validem, intersubjektiv verbindlichem Wissen gelangen können. Ebenso stellt die Religion eine exponierte Form des (kreditiven) Glaubens dar, weil sich der Glaube, den sie erheischt, nicht auf einzelne, sterbliche Menschen oder von Menschen erdachte ideologische Programme bezieht, sondern auf die Grundprinzipien des Menschseins schlechthin, den – um es in einer etwas altertümlichen, aber nur schwer ersetzbaren Sprache zu formulieren – unverfügbaren »Seinsgrund der Welt«, von dem wir abhängig sind, sofern wir Menschen sind. – Inwiefern stehen nun diese beiden exponierten Weisen des Glaubens und Wissens in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, das so brisant ist, dass es eingehende systematische Untersuchungen ihrer reziproken Beziehungen erfordert? 28 Philosophie und Religion vermögen deswegen miteinander zu Siehe dazu auch C. Bickmann: »Philosophie und Religion im Widerstreit. Etappen einer Problementfaltung im Horizont abendländischer Philosophie: Platon, Hegel,

28

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Ein exponierter Sonderfall: das Verhältnis zwischen Religion und Philosophie

konkurrieren, weil sie – lässt man einmal den weiten Bereich der religiösen Sekundäreigenschaften beiseite – von einer Reihe ähnlicher Intuitionen, Fragestellungen und Inhalte ausgehen: so etwa von der Rätselhaftigkeit und Fragwürdigkeit des menschlichen Daseins, von der Frage nach dem Ursprung und dem ›Sinn‹ des Weltgeschehens sowie der angemessenen Rolle des Menschen in ihm, von der Frage nach der Bedeutung des Leidens und des Todes, vom Problem der Gerechtigkeit, von dem Wunsch, ein gelingendes und ›richtiges‹ Leben zu führen etc. – Als existentiell bedeutsam empfundene Problemstellungen, die sich schlicht aus der Art und Weise ergeben, wie Menschen existieren, die aber nicht aus dem bloßen Existieren selbst heraus gelöst werden können, führen zu Fragestellungen, auf welche die Weltreligionen ebenso wie die Philosophie(n) unterschiedliche Antworten zu geben versuchen. Jegliche prägende Erfahrung, die Menschen im Umgang mit sich selbst, mit anderen Menschen oder mit der sie umgebenden Welt machen können – Natureindrücke, Leidens- und Glückserfahrungen, Kreativität, Sexualität etc. – kann zum Anlass philosophischen Nachdenkens oder religiöser Betätigung werden. Das Spektrum an Problemen, Fragestellungen und Lösungsversuchen ist dabei zwar im interkulturellen Maßstab einer großen Variationsbreite unterworfen, es ist aber keineswegs unendlich. Vielmehr werden in den kulturell unterschiedlich konturierten und differenzierten Ausprägungen des Fragens und Antwortens auf die Problematik des Daseins bestimmte Grundtypen immer wieder durchgespielt, die einer systematisch-rationalen Rekonstruktion durchaus zugänglich sind. So erschließen sich dem komparativen Blick beispielsweise zwei grundsätzliche Modelle, anhand derer in den Philosophien und Religionen der Weltkulturen die Existenz des Weltganzen ausgedeutet wird: Im 1. Modell wird davon ausgegangen, dass sich Daseinskomponenten nach bestimmten Regeln zusammenfinden und wieder voneinander trennen, ohne dass den dabei entstehenden Entitäten ontologische Substantialität zukäme; die Welt wird als autonome, aber letztlich ziellose Gesamtheit ineinander verschlungener Prozesse aufgefasst, die das Entstehen und Vergehen von Seiendem hervorrufen. Im 2. Modell wird das Weltganze dagegen als die Schöpfung eines höchsten, allmächtigen Wesens gedeuDerrida«. In: Polylog, 4 (2003), http://them.polylog.org/4/fbc-de.htm [letzter Zugriff: 28. 5. 2016].

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Konvergenz oder Divergenz von »Glauben« und »Wissen«?

tet; die Welt repräsentiert in diesem Modell, insofern sie als vom göttlichen Willen abhängig gedacht wird, eine heteronome, aber zielgerichtete Ganzheit von Dingen in Raum und Zeit. Innerhalb dieser Grundmodelle existieren vielfältigste Variationen und Differenzierungen, die philosophische und religiöse Kulturen untereinander und voneinander unterscheiden 29 – aber es handelt sich gleichwohl um Variationen zweier im Grunde leicht voneinander unterscheidbarer Grundmodelle. Sowohl in der Religion als auch in der Philosophie suchen Menschen ferner nach möglichst tragfähigen Gründen für relevante theoretische und praktische Überzeugungen, die sich auf existentiell bedeutsame Fragestellungen beziehen. Unterschiedlich sind dabei freilich die Mittel, derer sich beide ›Erkenntniswege‹ bedienen: Während der Philosophierende mit den Mitteln der menschlichen ratio nach möglichst unerschütterlichen Prinzipien sucht, hat sich der im religiösen Sinne Glaubende mit seiner Persönlichkeit an einen unerschütterlichen Grund gebunden. 30 Gerade weil also die religiöse und die philosophische Wahrheitssuche zahlreiche für menschliches Existieren bedeutungsvolle Fragestellungen miteinander teilen, konkurrieren sie in Bezug auf die Vollzugsweisen dieser Wahrheitssuche: rationale Bemühung um Prinzipienerkenntnis versus personale Bindung an einen die ratio übersteigenden Grund – so ließe sich die Divergenz der jeweils vorherrschenden ›Methoden‹ verkürzt benennen. Wenn wir im religionsphilosophischen Kontext den Ausdruck »Philosophie« verwenden, dann ist damit also – im Unterschied zur religiösen Wahrheitssuche – eine rein »säkulare« Bemühung um die Erkenntnis der Grundlagen menschlicher Weltzugänge und Weltaufenthalte gemeint, eine rationale Konzentration auf das Wesentliche bestimmter Seinsbereiche sowie des Seins überhaupt, die für ihre Leistungsansprüche aus eigener Kraft aufkommen muss, ohne sich auf eine transzendente Instanz, die mehr wäre als ein allgemeines menschliches Vernunftvermögen, berufen zu dürfen. Die rationale Autonomie der Philosophie und ihre denkerische Unabhängigkeit So ist bezogen auf das zweite Modell insbesondere die Frage strittig, inwieweit der Schöpfergott in das von ihm geschaffene Weltganze involviert ist. 30 G. Paul (Einführung in die Interkulturelle Philosophie. Darmstadt 2008, S. 13 ff.) benennt als das zentrale Merkmal der philosophischen Methodik gegenüber den Sphären der Religion, der Politik und des Rechts die – angestrebte – Freiheit von Vorgaben jeglicher Art: Bestehende Setzungen werden durch die Philosophie gerade einer kritischen Infragestellung unterzogen. 29

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Ein exponierter Sonderfall: das Verhältnis zwischen Religion und Philosophie

von jedweder religiösen oder spirituellen Verankerung stellt somit eine unhintergehbare Voraussetzung dar, von der religionsphilosophisch auszugehen ist. Eine in dieser Weise aufgefasste Philosophie ist aber nicht notwendigerweise atheistisch oder religiös indifferent; sie kann sich durchaus für Phänomene des Religiösen interessieren und sich von ihnen inspirieren und anregen lassen. Aus derartigen religiösen Inspirationen – sowie der kritischen Abgrenzung von ihnen – ist schließlich, wie ein Blick auf die Genealogien philosophischen Denkens in Griechenland, aber etwa auch in Indien zeigt, jene eigentümliche Bemühung um Weisheit und Wahrheit, die wir mit dem griechischen Ausdruck Philosophie bezeichnen, allererst hervorgegangen. 31 Unabhängig jedoch von seiner einstmaligen Herkunft aus Mythos und Religion darf das philosophische Denken in der Moderne nunmehr seine Rechtfertigungskriterien ausschließlich aus den Prinzipien derjenigen menschlichen Fähigkeit ableiten, die Diskursivität im weitesten Sinne, also Verständigung zwischen prinzipiell gleichberechtigten Diskursteilnehmern über fragliche Angelegenheiten des Denkens, ermöglicht. Diese »Beschränkung« der ratio auf das ihr in den Räumen des Logischen und des Empirischen, aber auch des Metaphorischen und Transzendentalen Zugängliche sollte allerdings stets dessen eingedenk sein, dass in vergangenen Epochen des europäischen Philosophierens sowie in außereuropäischen Philosophiekulturen eine derartige Beschränkung eher die Ausnahme von einer vorherrschenden Regel darstellt, die philosophisches Nachdenken immer wieder in einen spirituell-religiösen Kontext gestellt und Beglaubigungsformen zugelassen hat, welche die Mittel der rein rationalen Selbsttransparenz deutlich überschritten haben. 32 Die völlige Freisetzung philosophischer Besinnung von prä- und transrationalen Instanzen ist ein Charakteristikum der modernen abendländischen Philosophie, das sie von ihrer eigenen antiken, mitVgl. dazu C. Taliaferro: Contemporary Philosophy of Religion. Malden, Mass./Oxford 1998, S. 1: »In the ancient Greco-Roman world and in ancient India, beliefs about the gods, or God, or the sacred, played an important role in the philosophical quest to understand human life and the cosmos.« Siehe auch Schaeffler 2002, S. 19 ff. 32 Vielfältige Beispiele für derartige religiös-philosophische Kontextualisierungen der Vernunft finden sich in der zweibändigen Dokumentation des internationalen Kongresses Religion und Philosophie im Widerstreit? Hrsg. v. C. Bickmann, M. Wirtz u. H.-J. Scheidgen. Nordhausen 2008. Siehe v. a. C. Bickmann: »Vorwort. Einführung in die Themenstellung«, S. 11–19. 31

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Konvergenz oder Divergenz von »Glauben« und »Wissen«?

telalterlichen und frühneuzeitlichen Tradition, aber auch von islamischen, buddhistischen oder taoistischen Philosophieformen – um nur einige Beispiele zu nennen – absondert. Die Nähe oder Ferne eines Philosophierens zu ihrer religiösen ›Konkurrenz‹ ist also offenbar zu einem großen Teil vom kulturellen Kontext determiniert, in dem sie sich entfaltet. Es ist daher jeweils genau zu prüfen, bis zu welchem Punkt eine vollständige Trennung zwischen religiöser und philosophischer Diskursivität in einem gegebenen Kontext stringent durchzuhalten ist, an welchen Stellen sich beide Diskursformen aus welchen Gründen überschneiden und welche generellen Strukturen ihnen möglicherweise sogar gemeinsam sind. Eine wichtige Aufgabe interkultureller Religionsphilosophie liegt dementsprechend in der Analyse der systematischen Verflechtungen und Kreuzungspunkte, die Philosophie und Religion zugleich miteinander verbinden und voneinander trennen. Genuin religiöse Positionen sind permanent dazu genötigt, auf rationale Strukturen und kognitive Prozesse zurückzugreifen, um ihre Botschaften zu formulieren, zu verbreiten und durchzusetzen; alleine schon aus diesem Grund können Spiritualität und Rationalität nicht als kontradiktorisch entgegengesetzte Begriffe aufgefasst werden. Und umgekehrt sind Philosophien, denen Rationalität als der letzte, nicht mehr hinterfragbare Horizont jeglichen Weltzugangs gilt, von einem Glauben an die erschließende Kraft der Vernunft getragen, der sich selbst nicht vollständig rational begründen lässt. Durch die folgende Rekonstruktion zentraler Positionen der kantischen und nachkantischen Auseinandersetzung mit Religion wird sich dieser wechselseitige Verweisungszusammenhang von Glauben und Wissen plastisch herausarbeiten lassen.

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II. Religion diesseits und jenseits der reinen Vernunft: Potentiale der kantischen Religionsphilosophie

Betrachtet man die facettenreiche Geschichte der philosophischen Auseinandersetzung mit Religion innerhalb der europäischen Denkkultur(en) aus einem systematischen Blickwinkel, so fallen insbesondere zwei Modelle auf, die für den philosophischen Umgang mit religiösen Motiven und Doktrinen maßgeblich gewesen sind. Den Versuch einer Trennung derjenigen Elemente von Religion, die der diskursiven Vernunft zugänglich sind, von solchen, die sich entweder als unvernünftig oder aber als übervernünftig erweisen – das erste Modell – könnte man als philosophisches Evaluationsmodell bezeichnen, da es Kriterien für die Analyse und Bewertung religiöser Systeme aus der Sicht der autonomen Vernunft entwickelt; den Versuch einer Vermittlung religiöser und philosophischer Gehalte in einem System der Vernunft – das zweite Modell – ließe sich als religionsphilosophisches Integrationsmodell charakterisieren. Wirkmächtige Ansätze zu einem religionsphilosophischen Evalutionsmodell finden sich bereits in der antiken griechischen Philosophie bei Platon, wenn etwa im II. Buch der Politeia mythische Erzählungen über die Götter mittels philosophischer Überlegung kritisiert und als untauglich für die Bildung und Erziehung der Jugend verworfen werden. 33 In diesem Kontext zeigt sich, dass und wie der Philosoph aufgrund seiner Nähe zur Idee des Guten besser als die vorherrschenden, in Mythen überlieferten Glaubensvorstellungen über die göttlichen Dinge zu urteilen beansprucht. Auch Aristoteles’ Metaphysik als Lehre von der prima causa lässt sich als eine kritische Evaluation naturreligiöser, polytheistischer und pantheistischer Auffassungen verstehen. Im Hinblick auf eine interkulturelle Weiterentwicklung der Religionsphilosophie ist jedoch von besonderem Interesse, welche GePlaton: Republic. Books 1–5. Hrsg. u. übers. v. C. Emlyn-Jones u. W. Preddy. Cambridge, Mass./London 2013, S. 192–219 (St. 377a-383c).

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Religion diesseits und jenseits der reinen Vernunft

stalt die philosophische Evaluation des Religiösen im Kontext der modernen Disziplin »Religionsphilosophie« angenommen hat, welche Denkmodelle ihr zu Grunde gelegt werden und mit welchen Argumenten sie vertreten wird. Die Scheidung der rational einsehbaren, d. h. in die Sphären öffentlich-diskursiver Zugänglichkeit überführbaren Anteile der Religion von ihren prärationalen, irrationalen oder transrationalen Komponenten stellt in jedem Fall eine Form der philosophischen Aufklärung dar; und so kann es nicht überraschen, dass die bislang fruchtbarste Periode des religionsphilosophischen Evaluationsmodells im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts zu situieren ist, einer Epoche, in der sich die Philosophie auf der von R. Descartes freigelegten Basis autonomer, subjektiver Vernunft immer stärker von der Theologie emanzipierte und in der produktiven Auseinandersetzung zwischen den Strömungen des Rationalismus und Empirismus zu einem kohärenten, systematischen Weltbild ›aus eigenem Recht‹ zu gelangen suchte. Die rationale Evaluierung der Religion umfasste in dieser Epoche ein außerordentlich breites Spektrum, das von der vermeintlichen Lösung der Theodizeefrage in der Metaphysik Leibniz’ bis zur radikalen Religionskritik eines Voltaire oder eines Marquis de Sade, die der Religion jeglichen Rationalitätsgehalt absprachen, reichte. Für die Herausarbeitung der Charakeristika des religionsphilosophischen Evaluationsmodells dürfte es am ergiebigsten sein, diejenige Philosophie der Religion eingehender zu betrachten, welche die Diskussionen des Aufklärungszeitalters konsequent in einer systematisch eigenständigen Philosophie verarbeitet hat. Das folgende Kapitel II wird sich deswegen auf die Religionsphilosophie I. Kants konzentrieren, indem deren zentrale Gedankenkonstellationen und Argumente im Hinblick auf die Religion in dreierlei Hinsicht analysiert werden sollen: 1) unter dem Aspekt der mit der kantischen Transzendentalphilosophie verbundenen Religionskritik; 2) hinsichtlich der in die kantische Moral- und Religionsphilosophie eingeflossenen religiösen bzw. genuin christlichen Motive; und 3) bezogen auf die interkulturell anschlussfähigen Potentiale, welche die kantische Religionsphilosophie mit Blick auf eine interreligiöse Konstellation bietet, die von einer pluralen Koexistenz unterschiedlicher religiöser und areligiöser Einstellungen ausgeht. Die grundsätzliche Frage, die sich angesichts des religionsphilosophischen Evaluationsmodells stellt und die hier anhand der kantischen Philosophie erörtert werden soll, lautet: Wie ist aus religions168 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Der rationale Ausschluss religiösen Gedankenguts aus der Philosophie

philosophischer Sicht mit dem bereits von G. E. Lessing konstatieren ›garstigen Graben‹ umzugehen, der sich zwischen den als notwendig erkannten Vernunftwahrheiten und den geschichtlichen Offenbarungen der Weltreligionen auftut? 34

1.

Der rationale Ausschluss religiösen Gedankenguts aus der Philosophie

Einem seit dem ersten Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft 1781 aufgekommenen und seitdem hartnäckig immer wieder kolportierten Kantbild zufolge hat die kritische Transzendentalphilosophie vorwiegend negative Konsequenzen für Metaphysik, Theologie und Religion gezeitigt. 35 Die im Modus einer autonomen Selbstkritik der Vernunft durchgeführte Analyse des menschlichen Verstandesgebrauchs und seiner Erkenntnisgrenzen hat nach dieser Lesart die Grundlagen der bisherigen philosophischen Metaphysik zerstört, die Bedeutung philosophischer Gedanken für die Theologie relativiert und überdies das Vertrauen auf all diejenigen Aspekte der Religionsausübung unterminiert, die sich nicht direkt auf moralisches Handeln beziehen. Diese in der Forschung mittlerweile revidierte Interpretation Kants 36 Vgl. Ohlig 2006, S. 235 f. Siehe dazu S. R. Palmquist: Kant’s Critical Religion. Volume Two of Kant’s System of Perspectives. Aldershot u. a. 2000, S. 2 ff. 36 Siehe dazu C. Bickmann: Differenz oder das Denken des Denkens. Topologie der Einheitsorte im Verhältnis von Denken und Sein im Horizont der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants. Hamburg 1996; dies.: Kants Weltphilosophie. Nordhausen 2006; dies.: »Die eingebettete Vernunft in Kants ›Kritik der Urteilskraft‹. Wechselintegration vereint-entgegengesetzter Sphären«. In: Die Vollendung der Transzendentalphilosophie in Kants »Kritik der Urteilskraft«. Hrsg. v. R. Hiltscher, S. Klingner u. D. Süß. Berlin 2006, S. 19–39; D. Henrich: Grundlegung aus dem Ich. Untersuchungen zur Vorgeschichte des Idealismus Tübingen – Jena (1790–1794). 2 Bände. Frankfurt a. M. 2004, insbesondere Kap. »IX. Die Kantischen Religionstheorien von 1792, die Reaktion der Tübinger Dogmatik und der Offenbarungsbegriff«, S. 764–883; N. Fischer (Hrsg.): Kants Metaphysik und Religionsphilosophie. Hamburg 2004; N. Fischer/M. Forschner (Hrsg.): Die Gottesfrage in der Philosophie Immanuel Kants. Freiburg/Basel/Wien 2010, darin u. a. K. Düsing: »Kritik der Theologie und Gottespostulat bei Kant«, S. 57–71; A. Winter: »›Es ist ein Gott denn es ist ein categ. Imperativ‹. Versteckte Ansätze zur Gottesfrage in der ›Kritik der praktischen Vernunft‹«, S. 85–108; M. Forschner: »Kants Gottesbild in der ›Religionsschrift‹«, S. 109–130; C. Böttigheimer: »Trinitätstheologische Ansätze in der Philosophie Kants«, S. 180– 198; R. Theis: La raison et son Dieu. Études sur la théologie kantienne. Paris 2012. – 34 35

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als des aufgeklärten Religionskritikers und philosophischen ›Zermalmers‹ der überkommenen theologischen Metaphysik konnte eine gewisse ideengeschichtliche Stütze in jenem Königlichen Reskript finden, das König Friedrich Wilhelm II. von Preußen 1794 an Kant ergehen ließ und das – inklusive des Antwortschreiben Kants – in der Vorrede zum Streit der Fakultäten abgedruckt ist. Der König brachte in diesem Brief sein Missfallen darüber zum Ausdruck, »wie Ihr [Kant, Anm. d. Verf.] Eure Philosophie zu Entstellung und Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren der heiligen Schrift und des Christentums mißbraucht; wie Ihr dieses namentlich in Eurem Buch: ›Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft‹, desgleichen in anderen kleineren Abhandlungen getan habt.« 37 In seiner Rechtfertigung wies Kant diese Vorwürfe zwar weit von sich, bekräftigte jedoch gleichzeitig die philosophische Errungenschaft einer aus der Vernunft selbst stammenden ›natürlichen Religion‹, »sofern aus ihr allein Allgemeinheit, Einheit und Notwendigkeit der Glaubenslehren hervorgeht, die das Wesentliche einer Religion ausmachen, welches im Moralisch-Praktischen (dem, was wir tun sollen) besteht […].« 38 Diese Selbstcharakterisierung der religionsphilosophischen Überlegungen Kants enthält bereits in nuce zwei wesentliche Komponenten der kantischen Auseinandersetzung mit Religion, deren Anschlussfähigkeit für eine interkulturelle Orientierung der Religionsphilosophie zu diskutieren sein wird: zum einen die Überzeugung, dass die unterschiedlichen Religionen einen vernünftigen Kern aufweisen, der ihnen gemeinsam ist und der durch philosophische Interpretation ans Licht gebracht werden kann; zum anderen die Auffassung, dass die gleichsam transkulturelle Universalität religiöser Vernunft nicht – wie die herkömmliche metaphysische Theologie beanspruchte – im Bereich theoretischer Doktrinen, sondern in der Reflexion auf die Praxis des moralischen Handelns liege. Auch wenn beide Thesen durchaus ein affirmatives Potential im

Zur theologischen Rezeption der kantischen Philosophie siehe R. Mogk: Die Allgemeingültigkeitsbedingung des christlichen Glaubens. Wilhelm Herrmanns KantRezeption in Auseinandersetzung mit dem Marburger Neukantianismus. Berlin/ New York 2000 [Rezension von P. Natterer in: Kant-Studien, 1 (2005), S. 108–112.] 37 I. Kant: Der Streit der Fakultäten. Hrsg. v. H. D. Brandt u. P. Giordanetti. Hamburg 2005, S. 6. 38 Ebd., S. 9.

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Hinblick auf den Stellenwert von Religion im Allgemeinen sowie des Christentums im Besonderen in sich bergen – wie später noch näher gezeigt werden soll –, so überwog in der Rezeption der kritischen Transzendentalphilosophie zunächst gleichwohl der Eindruck einer insgesamt negativen Evaluation religiöser und theologischer Positionen. 39 Schließlich implizieren die oben genannten Überzeugungen Kants im Umkehrschluss, dass sachhaltige theoretische Überzeugungen nicht zum Wesentlichen einer Religion gehören und dass sie demnach aus der philosophischen Metaphysik auszuschließen seien. Theoretisches Wissen kann sich in einem religiösen Kontext, der die Ebene der Erfahrung zu übersteigen versucht und damit kein solides Wissen über empirische Zusammenhänge zu liefern vermag, allenfalls als historische Gelehrsamkeit niederschlagen, die bis zu einem gewissen Grad nützlich und erbaulich sein mag, aber für den moralischen Kern der Religion letztlich irrelevant ist. Diese pointierte Zurückweisung religiöser Doktrinen bedeutete für die metaphyische Theologie, deren Bemühungen ja gerade darauf abzielten, theoretische Erkenntnisse über transzendente Gegenstände zu gewinnen, einen radikalen Affront. Und auch der zweite Aspekt von Kants religionsphilosophischer Überzeugung, dass es nämlich der Philosophie respektive dem vernunftgeleiteten Nachdenken obliege, die Einheit der Glaubenslehren in der natürlichen Religion zu fundieren, musste von einer Theologie, die vom Primat der Offenbarung ausging, als Provokation empfunden werden. Aus dieser Perspektive sind sowohl die religionspolitische Zurechtweisung des Philosophieprofessors Kant durch die preußische Regierung als auch das spätere Übergewicht einer religionskritischen Lesart der kantischen Philosophie in der Rezeptionsgeschichte zumindest nachvollziehbar, wenngleich nicht vollständig sachlich gerechtfertigt. Folgt man aber zunächst dieser religionskritischen Interpretationsrichtung und sucht innerhalb der Architektonik der kantischen Philosophie nach dem zentralen Gedanken, der die Kritik an Metaphysik, Theologie und Religion legitimiert, so stößt man auf allen Ebenen der Vernunftkritik – der theoretischen Vernunft, der praktischen Vernunft und der Urteilskraft – auf das Moment der Autonomie. Die Vernunft selbst gilt als »das Vermögen, nach der Autonomie, d. i. frei (Prinzipien des Denkens überhaupt gemäß) zu

39

Siehe dazu die Hinweise zur Rezeptionsentwicklung bei Palmquist 2000, S. 22 ff.

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urteilen« 40. Dem allgemein-menschlichen Vernunftvermögen wird im Kontext der Transzendentalphilosophie eine universelle Fähigkeit zur Selbstkritik und zur Selbstgesetzgebung zugesprochen, die sich ebenso auf den theoretischen Bereich (im Hinblick auf die Feststellung der Erkenntnisgrenzen des theoretischen Verstandesgebrauchs) wie auf die Sphäre des praktischen Handelns (im Hinblick auf die Fundierung absolut geltender Gesetze für den moralischen Freiheitsgebrauch) erstreckt. Die Freilegung der Fundamente autonomer Vernunft, die in den transzendentalphilosophischen Untersuchungen geleistet wird, trägt im Weiteren zur Ausbildung einer neuen, kritisch ›bereinigten‹ Metaphysik der Natur und der Sitten bei, ohne dass dabei theologische Spekulationen oder religiöse Implikationen ins Spiel kommen müssten. Die Vernunft vermag, so die Essenz der kritischen Philosophie Kants, die leitenden Prinzipien der theoretischen Naturerforschung und der praktischen Normengewinnung vollkommen aus sich selbst heraus zu generieren; sie ist keine religiöse Vernunft mehr. Dabei lassen sich die Zielrichtungen der theoretischen und der praktischen Vernunft im Hinblick auf ihre jeweilige Autonomie als komplementär auffassen: Während die theoretische Vernunft einsieht, dass der menschliche Verstandesgebrauch bei seinen Versuchen, in die transzendente Sphäre vorzustoßen, aufgrund seiner immanenten Beschaffenheit scheitern muss und somit auf das weite Feld der Empirie verwiesen ist, auf dem einzig sachhaltige Erkenntnisse über Naturzusammenhänge zu gewinnen sind, begreift sich die praktische Vernunft mit Blick auf die Gebote moralischen Handelns als unabhängig gegenüber übergeordneten Vorgaben transzendenter Instanzen: Es bedarf nicht (mehr) der Annahme eines Gesetz gebenden Gottes, um zu wissen, worin moralisch gutes Handeln besteht. In beiden Domänen gewinnt die Vernunft ihre Autonomie, indem sie die von religiösen Implikationen durchtränkte vormalige Metaphysik durch eine systematische Analyse der generellen Leistungseigenarten des menschlichen Erkenntnis- und Willensvermögens kritisiert, damit aber zugleich auf eine neue Grundlage stellt, auf der eine transzendentale Metaphysik der Natur und der Moral wiederum möglich werden soll. Die von Kants Zeitgenossen bereits als revolutionär wahrgenommene Emanzipation der Vernunft von religiösen bzw. theologischen Vorgaben kommt in ihrem theoretischen Aspekt besonders 40

I. Kant: Der Streit der Fakultäten, op. cit., S. 27.

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in Kants berühmt gewordener Widerlegung der Gottesbeweise in der Kritik der reinen Vernunft 41 zum Ausdruck, in ihrem praktischen Aspekt dagegen in der Begründung einer deontologischen Autonomieethik, die in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten sowie in der Kritik der praktischen Vernunft 42 geleistet wird. Mit beiden Theoriestücken werden wir uns im Folgenden befassen (Kap. 1.1 und 1.2), da sie die philosophische Grundlage auch für die kantische Kritik religiöser Doktrinen und Phänomene bereit stellen (Kap. 1.3).

1.1

Die Widerlegung der Gottesbeweise

Der Argumentationsgang, den Kant innerhalb der Kritik der Vernunft im dritten Hauptstück der »Transzendentalen Dialektik« mit dem Ziel einer Widerlegung sämtlicher philosophischer Gottesbeweise entfaltet, lässt sich um so plastischer herausarbeiten, wenn man ihn in Bezug zu der Argumentation setzt, die Kant 1763 selbst noch dazu bewogen hatte, in der Schrift Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes 43 einen Gottesbeweis vorzulegen. Die Aussage: ›Es ist ein Gott‹ wird in dieser vorkritischen Abhandlung als »die wichtigste aller unserer Erkenntnisse« 44 charakterisiert, obzwar sie, wie Kant sogleich hinzufügt, der »Beihülfe tiefer metaphysischer Untersuchungen« eigentlich gar nicht bedürftig sei – eine Auffassung, die sich prinzipiell nicht von der späteren der kritischen Phase unterscheidet, derzufolge die moralische Beglaubigung Gottes bereits im ›gemeinen Verstand‹ eines jeden Menschen angelegt sei, sodass komplizierte ontotheologische Spekulationen und ›Vernünfteleien‹ letztlich überflüssig seien. In der Beweisgrund-Schrift wagt sich Kant freilich selbst noch einmal

I. Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. v. Jens Timmermann. Hamburg 2003 [im Folgenden zitiert als: KrV]. 42 I. Kant: Kritik der praktischen Vernunft. Hrsg. v. Horst D. Brandt u. Heiner F. Klemme. Hamburg 2003 [im Folgenden zitiert als: KpV]. 43 I. Kant: Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes. Historisch-kritische Edition. Mit einer Einleitung u. Anmerkungen hrsg. v. L. Kreimendahl u. M. Oberhausen. Hamburg 2011. Ebenfalls veröffentlicht in I. Kant: Vorkritische Schriften bis 1768/2. Werkausgabe Bd. II. Hrsg. v. W. Weischedel. Frankfurt a. M. 1977, S. 617–738. [Im Folgenden nach der Ausgabe von 2011 zitiert als Beweisgrund.] 44 Beweisgrund, S. 5. 41

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»auf den bodenlosen Abgrund der Metaphysik« 45. Rekonstruiert man die konzeptionellen Differenzen zwischen der in der BeweisgrundSchrift vorgelegten Argumentation und der späteren »Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft« 46 in der Kritik der reinen Vernunft, so offenbart sich das metaphysikkritische Moment der Transzendentalphilosophie besonders deutlich. 47 Nach der Kritik der reinen Vernunft gibt es – gemäß der Einteilung des dritten Abschnitts des dritten Hauptstücks der Transzendentalen Dialektik (»Von den Beweisgründen der spekulativen Vernunft, auf das Dasein eines höchsten Wesens zu schließen«) – drei verschiedene Arten von Gottesbeweisen, nämlich den physikotheologischen, den kosmologischen sowie den ontologischen. Da sich der kantischen Analyse zufolge die beiden zuerst genannten Arten – wenngleich nicht unmittelbar ersichtlich – auf das zentrale Argument des ontologischen Gottesbeweises stützen, 48 gilt das Hauptaugenmerk Kants der Widerlegung eben dieses Beweistyps. Der empirische Ausgangspunkt, den der physikotheologische und der kosmologische Gottesbeweis jeweils zu Grunde legen, verdeckt nur, dass beide ebenso wie

Ebd. – Ein noch früherer Versuch Kants, einen ontologischen Gottesbeweis vorzulegen, findet sich in der 1755 entstandenen Schrift Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio (Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis). In: Ders.: Vorkritische Schriften bis 1768. Werkausgabe Bd. I. Hrsg. v. W. Weischedel. Frankfurt a. M. 1977, S. 401–509, hier S. 432 ff. – Zu einem a posteriorischen Beweis für die Existenz Gottes in Kants vorkritischer Phase siehe A. Hahmann: »Die Einheit der Welt im göttlichen Verstand. Ein Gottesbeweis in Kants vorkritischen Schriften und seine kritisch revidierte Fassung«. In: Theologie und Philosophie, 83 (2008), S. 481–495. 46 So lautet die Überschrift des siebten Abschnitts des dritten Hauptstücks der transzendentalen Dialektik; KrV, A 631/B 659 – A 642/B 670. 47 Siehe dazu auch J. Schmucker: Kants vorkritische Kritik der Gottesbeweise. Ein Schlüssel zur Interpretation des theologischen Hauptstücks der transzendentalen Dialektik in der Kritik der reinen Vernunft. Wiesbaden 1983. 48 Siehe dazu KrV, A 606/B 634 ff.; Kant führt hier den kosmologischen auf den ontologischen Gottesbeweis zurück, indem er die argumentative Irrelevanz des empirischen Ausgangspunktes für die weitere Deduktion des kosmologischen Beweises herausstellt. Vgl. die entsprechende Schlussfolgerung ebd., A 609/B 637: »So ist denn der zweite Weg, den die spekulative Vernunft nimmt, um das Dasein des höchsten Wesens zu beweisen, nicht allein mit dem ersten gleich trüglich, sondern hat noch dieses Tadelhafte an sich, daß er eine ignoratio elenchi begeht, indem er uns verheißt, einen neuen Fußsteig zu führen, aber, nach einem kleinen Umschweif, uns wiederum auf den alten zurückbringt, den wir seinetwegen verlassen hatten.« 45

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der ontologische den transzendentalen Begriff eines absolut notwendigen Wesens in unzulässiger Weise verwenden. 49 Der ontologische Gottesbeweis, wie er u. a. von Anselm v. Canterbury (1033–1109) sowie in der Neuzeit von R. Descartes (1596– 1650) und G. W. Leibniz (1646–1716) in unterschiedlichen Varianten vorgelegt wurde, 50 ging stets von einem Begriff Gottes aus, der diesen als dasjenige erste und oberste Seiende definiert, über das hinaus nichts Höheres gedacht werden kann (quo maius cogitari nequit) und das sämtliche Vollkommenheiten enthält – bis heute ist dies der Kerngedanke ›der‹ perfect being theology. Nähme man nun an, Gott existierte nicht wirklich, so würde man einen Begriff Gottes verwenden, über den hinaus noch etwas Höheres gedacht werden kann, nämlich ein Gott, der tatsächlich existiert. Also muss es notwendig zum Begriff eines allerhöchsten Wesens gehören, zu existieren, da der Begriff »allerhöchstes Wesen minus dessen reale Existenz« einen Widerspruch beinhalten würde: Dasjenige Wesen, dem alle Vollkommenheiten zugesprochen werden, besäße im Falle seiner Nichtexistenz eben nicht alle Vollkommenheiten, sofern man Existenz als eine Vollkommenheit bestimmt. Die zentrale Einsicht, die Kant seiner Widerlegung dieser Argumentation zu Grunde gelegt hat, besteht in der Bestimmung von (realer, nicht logischer) ›Existenz‹ als einer raumzeitlichen Position und damit in der Bestreitung der Auffassung, dass es sich beim Dasein um ein ›reales‹ Prädikat handelt, das dem Inhalt eines Begriffs eine sachhaltige Bestimmung hinzufügt – eine Erkenntnis, die im 20. Jahrhundert G. Frege aufgegriffen und ebenfalls, wenngleich nicht in identischer Weise, als Argument gegen den ontologischen

Siehe ebd., A 591/B 619. Zur Entwicklung und systematischen Faktur des ontologischen Gottesbeweises siehe K. J. Harrelson: The Ontological Argument from Descartes to Hegel. Amherst, New York 2009; D. Henrich: Der ontologische Gottesbeweis. Tübingen 21967; G. Oppy: »Das ontologische Argument«. In: Analytische Religionsphilosophie. Hrsg. v. B. Irlenborn u. A. Koritensky. Darmstadt 2013, S. 93–107; W. Röd: Der Gott der reinen Vernunft. Ontologischer Gottesbeweis und rationalistische Philosophie. München 2009; E. & K. Düsing: »Negative und positive Theologie bei Immanuel Kant. Kritik des ontologischen Gottesbeweises und Gottespostulats.« In: Societas rationis. Festschrift für Burkhard Tuschling zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. Dieter Hünning, Gideon Stiening u. Ulrich Vogel. Berlin 2002, S. 85–118. – Zu Gottesbeweisen innerhalb der islamischen Theologie und Philosophie siehe den Artikel von O. Leaman: »Islam«. In: Taliaferro/Harrison/Goetz 2013, S. 66–76. 49 50

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Gottesbeweis verwendet hat. 51 Handelt es sich bei der Existenz nicht um eine Eigenschaft, die den Begriffsinhalt erweitert, sondern um eine Identifizierung dieses Begriffsinhalts mit Dingen im Erfahrungsraum, dann ließe sich Gott erst dann ontologisch beweisen, wenn tatsächlich ein ›Ding‹, ein ›x‹ aufgefunden würde, das den Eigenschaften eines allerhöchsten Wesens entspräche. 52 Da aber die Erfahrbarkeit eines solchen Wesens aufgrund der in der ›Transzendentalen Analytik‹ aufgewiesenen Erkenntnisrestriktionen des menschlichen Verstandesgebrauchs prinzpiell unmöglich ist, kann der ontologische Gottesbeweis nicht halten, was er verspricht: nämlich aus rein a priorischen Begriffen ein absolut notwendiges Dasein beweisen zu wollen. Der Begriff eines absolut notwendigen und vollkommenen Wesens, welcher der ersten Prämisse des ontologischen Gottesbeweises J. Bromand bestreitet in dem von ihm zusammen mit G. Kreis herausgegebenen Sammelband Gottesbeweise. Von Anselm bis Gödel. Berlin 2011, dass Kant und Frege die Formel ›Existenz ist kein Prädikat‹ in derselben Weise gegen den ontologischen Gottesbeweis ins Spiel bringen: Während Frege laut Bromand Existenz als einen Begriff zweiter Stufe auffasst, der nicht Merkmal eines Begriffs erster Stufe sein kann, betrachtet Kant Existenz als einen trivialen Begriff erster Stufe, der Merkmal eines jeden Begriffs erster Stufe ist und somit dessen Inhalt nicht erweitert. Kant werfe damit, so Bromand, Descartes einen Fehlschluss vor, wenn dieser von einer leererweise wahren Prämisse auf die Existenz Gottes schließe; Frege dagegen suche mit seinem syntaktischen Einwand Descartes’ Prämisse, dass Existenz eine Vollkommeneit darstelle, als bedeutungslos darzustellen (vgl. ebd., S. 195–209). 52 Vgl. KrV, A 601/B 629: »[…] für Objekte des reinen Denkens ist ganz und gar kein Mittel, ihr Dasein zu erkennen, weil es gänzlich a priori erkannt werden müßte, unser Bewußtsein aller Existenz aber […] gehöret ganz und gar zur Einheit der Erfahrung, und eine Existenz außer diesem Felde kann zwar nicht schlechterdings für unmöglich erklärt werden, sie ist aber eine Voraussetzung, die wir durch nichts rechtfertigen können.« – A. Plantinga hat bei seiner Rekonstruktion des ontologischen Arguments den kantischen Einwand für irrelevant erklärt (siehe A. Plantinga: »The Ontological Argument«. In: The Analytic Theist. An Alvin Plantinga Reader. Hrsg. v. J. F. Sennett. Grand Rapids, Mich./Cambridge, U.K. 1998, S. 50–71, hier S. 55–60). Aber die Behauptung Plantingas, Kant habe sich konfus ausgedrückt (»Either Kant was confused or else he expressed himself very badly indeed«, ebd., S. 57) oder habe in Wahrheit kein stichhaltiges Argument zu liefern, ließe sich in gleicher Weise auch gegenüber Plantingas polemischer Kant-Analyse geltend machen. Plantinga übersieht völlig Kants zentrales Argument, dass nämlich die Erfüllung der Existenzbehauptung aufgrund der von Kant analysierten Beschaffenheit unseres Erkenntnisapparates letztlich nur empirisch erfolgen kann – deswegen kann das Dasein eines reinen Denkobjekts nicht bewiesen werden. Plantingas Kant-Kritik ist also deswegen fehlgeleitet, weil sie ignoriert, dass Kant den ontologischen Beweis Anselms mit einem erkenntnistheoretischen Argument widerlegt. 51

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zu Grunde liegt, erweist sich als »ein reiner Vernunftbegriff, d. i. eine bloße Idee«. 53 Die Bedeutung dieser Idee für die regulative Grenzbestimmung der reinen Vernunft – als ›transzendentales Ideal‹ – wird von Kant zwar ebenfalls sehr deutlich hervorgehoben, 54 sie spielt aber für die Intention des Gottesbeweises, die Existenz eines absolut notwendigen Wesens theoretisch beweisen zu wollen, keine Rolle. Die Zuschreibung bestimmter Prädikate zu einem Subjekt – wie etwa der Allmacht zum Begriff ›Gott‹ – mag zwar logisch zwingend und damit notwendig sein. Aber diese Notwendigkeit bezieht sich ausschließlich auf die interne Beziehung der Prädikate zum Subjektbegriff, nicht jedoch auf die Notwendigkeit der tatsächlichen Existenz des Subjektbegriffs inklusive seiner Prädikate. 55 Wird also Gott gesetzt, so ist damit zugleich seine Allmächtigkeit gesetzt, es wäre widersprüchlich, sie ihm abzusprechen, weil der Begriff Gottes die Allmächtigkeit als ein notwendiges Prädikat impliziert. Dagegen entsteht, so Kant, überhaupt kein Widerspruch, wenn Gott mitsamt seiner Allmächtigkeit nicht gesetzt bzw. als Subjekt inklusive seiner Prädikate negiert wird. 56 Die analytische Richtigkeit des Urteils verbürgt eben noch nichts über die Existenz der Dinge, über die im Urteil etwas ausgesagt wird. Bemerkenswerterweise hatte Kant dieses Hauptargument gegen den ontologischen – und damit, wie in der Kritik der reinen Vernunft geltend gemacht wird, gegen jeden möglichen – Gottesbeweis schon in seiner Schrift Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes entwickelt: Bereits hier insistiert Kant darauf, dass ›Existenz‹ kein Prädikat sei, das dem Inhalt eines Begriffs eine Bestimmung hinzufüge. Gleichwohl unternimmt es Kant in dieser vorkritischen Abhandlung, einen eigenen Gottesbeweis vorzulegen, der aus dem Begriff des schlechterdings notwendigen Daseins als des »ersten Real-Grund[s]« 57 der Möglichkeit von Denkbarem überhaupt gewonnen wird. Kant geht in seiner Beweisführung allerdings nicht, wie es in den klassischen kosmologischen Gottesbeweisen üblich war, von einem empirisch Gegebenen zu einer ersten Ursache zurück, der dann ein notwendiges Dasein zugeschrieben wird. VielKrV, A 592/B 620. Siehe dazu Kap. II.2. 55 Vgl. KrV A 593 f./B 621 f. 56 Vgl. KrV, A 594 f./B 622 f. Eben dieses Argument wurde bereits in der Beweisgrund-Abhandlung am Beispiel von Gottes Allmacht erläutert; vgl. ebd., S. 15 ff. 57 Beweisgrund, S. 27. 53 54

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mehr sucht er den Beweis aus den analytischen Implikationen des Begriffs einer absolut notwendigen Existenz selbst zu führen. Damit unterscheidet sich sein Gottesbeweis auch von der bis dato vorherrschenden Form des ontologischen Beweises, der vom Begriff des höchsten Daseins ausging, zu dessen Eigenschaften dann auch die notwendige Existenz gezählt wurde. Absolut notwendig, so wird zunächst definiert, sei dasjenige, dessen Nichtsein unmöglich ist. Inhaltlich kann darunter jedoch zweierlei verstanden werden: zum einen – in formaler Hinsicht – der Satz vom Widerspruch, ohne den alles Denkbare vernichtet würde und der nicht bestritten werden kann, ohne dabei zugleich vorausgesetzt zu werden, sodass sich derjenige, der ihn bestreitet, in einen performativen Widerspruch verwickelt, der seine Bestreitung des Satzes als widersinnig erscheinen lässt; zum anderen – in materialer Hinsicht – der »letzte Realgrund alles Denklichen« 58, dessen Negation die Möglichkeit jeglicher Existenz aufheben würde. Absolut notwendige Existenz kommt demzufolge demjenigen zu, dessen Nichtsein die Form oder aber das Material zu jeglichem Gedanken aufheben müsste; da es aber – wie zuvor vorausgesetzt wurde – schlechterdings unmöglich ist, dass überhaupt nichts existiert, so impliziert offenbar die Faktizität des Möglichen bereits die Realität eines absolut notwendigen Daseins. Im weiteren Fortgang des Argumentationsgangs ergeben sich sodann die näheren Bestimmungen dieses absolut notwendigen Daseins, nämlich dass es einig und einfach ist (weil es den letzten Grund zur inneren Möglichkeit aller Dinge enthält und somit nicht aus vielen verschiedenen Substanzen zusammengesetzt sein kann), ferner unveränderlich und ewig (weil die Unmöglichkeit seines Nichtseins auch die Unmöglichkeit von Ursprung und Untergang seines Wesens impliziert). Ferner enthält es die höchste Realität, d. h. »den größesten Grad realer Eigenschaften, der nur immer einem Dinge beiwohnen kann.« 59 In einem weiteren Schritt ist dann nur noch die Übereinstimmung dieses absolut notwendigen Daseins mit jenem Geistwesen darzulegen, das traditionellerweise ›Gott‹ genannt wird, um zu dem Ergebnis zu gelangen: »Es ist ein Gott.« 60 Ebd., S. 31. Ebd., S. 35. 60 Ebd., S. 40. Verstand und Willen müssen dem notwendigen Wesen deswegen zukommen, weil sie auch in der Natur anzutreffen sind, die Folge aber nicht größer als der Grund sein kann, (vgl. ebd., S. 38 f.) 58 59

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Kant weist in der Beweisgrund-Abhandlung explizit darauf hin, dass es sich bei dem dort vorgelegten Argument um einen rein a priorisch geführten Beweis handelt. 61 Er soll somit den Schwierigkeiten, in die sich der kosmologische Gottesbeweis beim Überstieg von der empirischen in die transzendente Sphäre verstrickt, und der falschen Auffassung des Existenzprädikats, die dem klassischen ontologischen Gottesbeweis zu Grunde liegt, entgehen. Angesichts dieser raffinierten Beweisführung stellt sich die Frage, mit welchem Argument aus dem Kontext der Kritik der reinen Vernunft sich auch dieser Beweis aus der Perspektive der kritischen Transzendentalphilosophie letztlich als ungültig erweisen lässt. In dem bereits angesprochenen Abschnitt »Von den Beweisgründen der spekulativen Vernunft, auf das Dasein eines höchsten Wesens zu schließen« wird dem Gedankengang, der von der Zufälligkeit des Existierenden auf das Dasein eines absolut notwendigen Wesens und sodann auf die Existenz Gottes als des Inbegriffs aller Realitäten schließt, also dem kosmologischen Gottesbeweis, immerhin zugestanden, dem »natürliche[n] Gang der menschlichen Vernunft« 62 zu entsprechen. Allerdings verbürgt, so Kant, weder die innere Konsequenz dieses Gedankens noch die empirische Tatsache, dass er sich in vielen verschiedenen Kulturen wiederfindet, 63 die objektive Realität der Gottesidee. Der entscheidende logische Fehler, dem offenbar auch der im Beweisgrund vorgelegte, oftmals als ›ontotheologisch‹ bezeichnete Gottesbeweis unterliegt, besteht in der Verknüpfung der Annahme eines absolut notwendigen Daseins, auf das zufällige Existenzen (sowie die Möglichkeiten dieser Existenzen) schließen lassen, mit der absoluten Notwendigkeit eines Wesens, das die höchste Realität besitzt. Der Schluss, auf den sich Kant hier bezieht, lässt sich in der Form des folgenden Syllogismus darstellen: (P1) Eine zufällig gegebene Existenz (bzw. die Möglichkeit von Existenz überhaupt) lässt auf die Existenz eines absolut notwendigen Wesens schließen. (P2) Ein Wesen, das die höchste Realität besitzt, ist absolut notwendig. Ebd., S. 42. KrV, A 586/B 614. 63 KrV, A 590/B 618: »Daher sehen wir bei allen Völkern durch ihre blindeste Vielgötterei doch einige Funken des Monotheismus durchschimmern, wozu nicht Nachdenken und tiefe Spekulation, sondern nur ein nach und nach verständlich gewordener natürlicher Gang des gemeinen Verstandes geführt hat.« 61 62

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(K) Folglich lässt die Möglichkeit von Existenz überhaupt auf ein Wesen schließen, das die höchste Realität besitzt.

Kant greift diese Argumentation auf der Ebene von P2 an, indem er bestreitet, dass nur ein Wesen, das die höchste Realität besitzt, absolut notwendig sein könne. Der Begriff eines eingeschränkten Wesens, dem nicht alle Realitäten zukommen, widerspricht jedoch nicht per se dem Prädikat der absoluten Notwendigkeit. Zwar ist die Annahme plausibel, dass ein den Inbegriff aller Realitäten enthaltendes Wesen absolut notwendig ist und zugleich die Möglichkeiten aller Existenzen und alles Denkbaren garantieren kann. Aber wenn ein derartiges Wesen nicht der einzige Kandidat für eine solche ›Existenz-Möglichkeits-Garantie‹ sein sollte und es vielmehr widerspruchsfrei denkbar ist, »alle übrige[n] eingeschränkte[n] Wesen eben so wohl für unbedingt notwendig gelten zu lassen« 64, dann ergibt sich aus dem Schluss von der Möglichkeit von ›Etwas überhaupt‹ auf ein absolut notwendiges Wesen nicht zwangsläufig die objektive Existenz eines Wesens von höchster Realität. Diese wäre ausschließlich dann zweifelsfrei erwiesen, wenn tatsächlich nur einem höchsten Wesen absolute Notwendigkeit zukommen könnte. Da dies aber nicht der Fall ist, solange nicht sicher erwiesen ist, ob es tatsächlich ein Wesen von höchster Realität gibt, bleibt das kosmologische Argument zirkulär: Die Eigenschaft der absoluten Notwendigkeit kann nur dann exklusiv einem höchsten Wesen zugeschrieben werden, wenn es dieses Wesen gibt. So lange aber das Dasein eines solchen Wesens nicht erkannt ist, so lange man also nicht sagen kann: ›Dieses x ist ein höchstes Wesen und daher als einziges absolut notwendig‹, darf man auch nicht behaupten, dass nur dieses unbekannte x absolut notwendig sei. 65 Obwohl dieses kritische Argument sicherlich auch den von Kant selbst vorgelegen onto-theologischen Gottesbeweis der BeweisgrundAbhandlung widerlegen soll, so muss doch darauf hingewiesen werden, dass im Rahmen der Kritik der reinen Vernunft keine explizite Auseinandersetzung mit dem spezifischen Argument des Beweisgrundes erfolgt, demzufolge ›absolute Notwendigkeit‹ bedeutet, die innere Möglichkeit zu ›irgendetwas überhaupt‹, d. h. zu irgendetwas Denkbarem zu implizieren. Wendet man nämlich diese spezielle Definition an, so kann das Prädikat der absoluten Notwendigkeit offen64 65

KrV, A 588/B 616. Siehe ebd., S. A 610 f./B 638 f.

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sichtlich nicht auf alle möglichen eingeschränkten Wesen zutreffen, denn diese enthalten schließlich nicht den »letzten Real-Grund aller andern Möglichkeit« 66. In diesem Zusammenhang ist es gleichfalls bezeichnend, dass Kant sowohl in der Beweisgrund-Schrift als auch in der Kritik der reinen Vernunft Einteilungen der prinzipiell möglichen Arten von Gottesbeweisen vornimmt, die zwar hinsichtlich ihres Grundprinzips – der Unterscheidung zwischen Beweisen aus reinen Begriffen und Beweisen auf der Basis von Existenzerfahrung – übereinstimmen, nicht jedoch hinsichtlich der Anzahl möglicher Beweisarten. In der Kritik der reinen Vernunft ist, wie bereits zuvor erwähnt, von »nur drei Beweisarten vom Dasein Gottes aus spekulativer Vernunft« die Rede, im Beweisgrund werden hingegen vier mögliche Formen diskutiert: 1) der ontologische Beweis in der Tradition Descartes’, der vom möglichen Begriff eines vollkommensten Wesens auf dessen absolute Notwendigkeit schließt (und damit den Fehler begeht, Existenz als ein Prädikat aufzufassen, das angeblich zur Vollkommenheit des absolut notwendigen Wesens gehören soll), 2) der ontotheologische Beweis, den Kant in der BeweisgrundSchrift selbst vorlegt und der vom Begriff der »Möglichkeiten der Dinge als Folgen auf das Dasein Gottes als einen Grund« 67 schließt, 3) die von der Erfahrung von Existierendem ausgehende Beweisart, die auf eine erste Ursache, ein absolut notwendiges Dasein zurückgeht, dessen Eigenschaften sodann mittels Begriffsanalyse deduziert werden, 4) der von Kant in der Beweisgrund-Abhandlung als ›kosmologisch‹ bezeichnete Beweis, der von der Erfahrung der existierenden Dinge auf die Existenz und die Eigenschaften Gottes schließt. Die Beweisart 1) scheidet aufgrund des sprachlogischen Arguments, demzufolge ›Existenz‹ kein sachhaltiges Prädikat sei, aus; die Beweisart 3) wiederum unterliegt, obwohl sie von der Existenzerfahrung ausgeht, letztlich demselben Fehler wie die Beweisart 1), weil die Eigenschaften des göttlichen Wesens, sobald auf den Begriff eines absolut notwendigen Wesens geschlossen worden ist, ausschließlich aus 66 67

Beweisgrund, S. 32. Ebd., S. 131.

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diesem Begriff selbst gefolgert werden und somit keinerlei Rückbezug zur ursprünglich dieser Beweisart zu Grunde liegenden Existenzerfahrung aufweisen. Die Beweisart 4) wiederum wird von Kant in der Beweisgrund-Abhandlung zwar als »auf alle Weise würdig« 68 bezeichnet, da sie dem natürlichen Gang des Verstandes entspreche; doch entbehre sie jener »mathematischen Gewißheit und Genauigkeit« 69, die einzig die von Kant selbst entwickelte Beweisart 2) bieten könne. Setzt man diese vierfache Differenzierung der möglichen Arten von Gottesbeweisen mit der dreifachen Unterteilung aus der Kritik der reinen Vernunft in Beziehung, so lässt sich feststellen, dass die Kritik am ontologischen Gottesbeweis in der Tradition Descartes’ (Beweisart 1) in beiden Schriften weitgehend identisch ausfällt. Entgegen der im Beweisgrund vorgenommenen Sprachregelung müsste man hingegen die 3. Beweisart aus der Perspektive der Kritik der reinen Vernunft als die ›kosmologische‹ bezeichnen, während die 4. Beweisart, obwohl sie im Beweisgrund verwirrenderweise als ›kosmologische‹ deklariert wird, der physikotheologischen Variante des Gottesbeweises entspricht. Diese Interpretation findet ihre Stütze in den umfangreichen Ausführungen zur Physikotheologie, die in der zweiten Abteilung der Beweisgrund-Abhandlung die Anwendung des zuvor deduzierten ›einzig möglichen‹ Gottesbeweises im Hinblick auf eine »verbesserte Methode der Physikotheologie« (so der Titel der sechsten Betrachtung) demonstrieren sollen. 70 Obwohl Kant den physikotheologischen Gottesbeweis selbst nicht als exakten Beweis anerkennen mochte, war er offensichtlich im Beweisgrund der Auffassung, dass sein eigener Gottesbeweis eine physikotheologische Perspektive auf die Natur zumindest mit guten Gründen unterstützen könnte. So verweisen die in der Natur zu findende Einheit, Ordnung und Harmonie ihrerseits darauf, dass die Möglichkeiten aller Dinge im Willen Gottes liegen, wie es der kantische Gottesbeweis deduziert hatte; der a posteriori fassbare zweckmäßige Zusammenhang der Naturdinge wird so zum Signum des absolut notwendigen Daseins, das sie schuf. 71 Kant geht in diesen Betrachtungen so weit, zwischen einer moralischen und einer unmoralischen Abhängigkeit 68 69 70 71

Ebd., S. 134. Ebd., S. 135. Ebd., S. 85–104. Ebd., S. 43 f.

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der Dinge von Gott zu differenzieren: Insofern Gott den Grund der inneren Möglichkeit der Dinge enthält, liegt eine unmoralische Abhängigkeit vor; insofern er den Grund der Existenz der Dinge enthält, handelt es sich um eine moralische Abhängigkeit. 72 Schließlich wird in diesem Kontext sogar eine kausale Beziehung zwischen dem moralischen Handeln von Menschen und der natürlichen Ordnung insofern angenommen, als ein dauerhaft unmoralisches Verhalten letztlich von der Natur stets mit persönlichem Unglück bestraft werde 73 – eine Auffassung, deren radikalste literarische Widerlegung in dem ein Vierteljahrhundert nach der Beweisgrund-Schrift entstandenen Doppelroman Justine und Juliette des Marquis de Sade erfolgte, in dem die tugendhafte und fromme Justine entsetzliche Unglücksschläge erleiden muss, während ihre lasterhafte und verbrecherische Schwester permanent vom Glück verwöhnt wird. 74 Aber auch Kant selber konnte in der Phase der Ausarbeitung seiner kritischen Transzendentalphilosophie nicht länger der Überzeugung sein, dass die natürliche und die moralische Ordnung in einer einsehbaren Kausalbeziehung zueinander ständen; den Prämissen der ausgereiften kantischen Ethik, denen zufolge das Glücksstreben des Sinnenwesens und die moralische Pflichtgebundenheit des Vernunftwesens zwei vollkommen unterschiedlichen Ordnungen angehören, liefe eine derartige Auffassung jedenfalls vollkommen zuwider. Und gemäß der in der Kritik der reinen Vernunft festgestellten Erkenntnisschranken kann eine physikotheologische Naturbetrachtung, wie sie in der zweiten Abteilung der Beweisgrund-Schrift ausgeführt wird, nicht als sicheres theoretisches Wissen über Gegenstände gelten. Aus dem Gesichtspunkt der reflektierenden Urteilskraft wird sie freilich in der Kritik der Urteilskraft in einem anderen theoretischen Kontext erneut aufgegriffen. 75 Während also der ontologische, der kosmologische und der physikotheologische Gottesbeweis jeweils ihr Pendant in der BeweisSiehe ebd., S. 55 ff. Ebd., S. 61: »Wilde Wollust und Unmäßigkeit endigen sich in einem siechen und martervollen Leben. Ränke und Arglist scheitern zuletzt, und Ehrlichkeit ist doch am Ende die beste Politik. In allen diesem geschieht die Verknüpfung der Folgen nach den Gesetzen der Natur.« 74 D. A. F. de Sade: Histoire de Juliette ou Les prospérités du vice. Paris 1997; ders.: Justine. Les malheurs de la vertu. Paris 2011. 75 Siehe I. Kant: Kritik der Urteilskraft [im Folgenden zitiert als: KdU], Hamburg 2003, § 85 (»Von der Physikotheologie«), S. 362–369 (B 400-B 410). 72 73

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grund-Abhandlung haben, wird ausgerechnet die 2. Beweisart, also die von Kant selbst entwickelte ›ontotheologische‹ Form des Gottesbeweises, in der Kritik der reinen Vernunft nicht eigens ausgewiesen und kritisiert. Vermutlich ist dies damit zu erklären, dass Kant sein zentrales Argument gegen den traditionellen ontologischen Gottesbeweis nunmehr auch auf seinen eigenen, den angeblich ›einzig möglichen‹ Gottesbeweis der Beweisgrund-Abhandlung anwenden zu können glaubte: Denn auch der dort vollzogene Schritt von der logischen Notwendigkeit eines letzten Realgrundes aller Möglichkeit zu dessen Existenzbehauptung impliziert jenen transzendenten Aufschwung der Vernunft, der gemäß den Prämissen der transzendentalen Vernunftkritik unzulässig ist. 76 Die theoretische Vernunft kann letztlich nicht mehr, als die bloß logische Denkmöglichkeit eines absolut notwendigen Daseins, das zugleich als ens realissimum bestimmt ist, darzutun. Seine reale Existenz kann sie jedoch aus Sicht der kritischen Transzendentalphilosophie deswegen nicht beweisen, weil ›Existenz‹ für das menschliche Erkenntnisvermögen prinzipiell nur innerhalb eines Erfahrungsraums bestimmbar ist. Bei der Behauptung, dass ein höchstes Wesen notwendigerweise existiere, handele es sich daher, so Kant, um »die dreiste Anmaßung einer apodiktischen Gewißheit« 77. Denn es ist grundsätzlich ausgeschlossen, ein ›x‹ angeben zu können, das dem Begriff des höchsten Wesens entspricht. Da diesem Begriff somit kein Erfahrungsgegenstand korrespondiert, der seine Existenzbehauptung wahr machen könnte, da aber auf der anderen Seite ›Existenz‹ auf der logischen Ebene ohne Widerspruch verneinbar ist, kann ein rational zwingender Gottesbeweis nicht geführt werden. Sämtliche »Versuche eines bloßen spekulativen Gebrauchs der Vernunft in Ansehung der Theologie« erweisen sich damit, so Kants vernichtendes Urteil, als »gänzlich fruchtlos und Vgl. dazu auch die Erläuterungen zur Genese des Ideals eines Urwesens in KrV, A 581 ff./B 609 ff. Kant rekonstruiert an dieser Stelle, wie die Vernunft zu der Annahme gelangt, dass »alle Möglichkeit der Dinge« (A 581/B 509) von einer höchsten Realität abgeleitet sei, die »in einem besondern Urwesen enthalten« (ebd.) sein soll. Der Grund dafür besteht darin, dass »das empirische Prinzip unserer Begriffe der Möglichkeit der Dinge, als Erscheinungen, durch Weglassung dieser Einschränkung, für ein transzendentales Prinzip der Möglichkeit der Dinge überhaupt« (A 582/B 610) gehalten wird. Diese Rekonstruktion lässt sich auch auf den Gottesbeweis der Beweisgrund-Abhandlung beziehen. 77 KrV, A 612/B 640. 76

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ihrer inneren Beschaffenheit nach null und nichtig« 78. Die Negationsfähigkeit der spekulativen Vernunft, die Hegel in der Nachfolge Kants so außerordentlich fruchtbar zu machen wusste, vermag sich schließlich auch noch auf den Begriff eines höchsten Wesens, das höchste Ideal der Vernunft selbst, zu richten. Die Vernunft kann sich das höchste Wesen, das doch die Suche nach einem absolut notwendigen Dasein zu einem endgültig befriedigenden Abschluss bringen sollte, nicht anders vorstellen als ein Existierendes, das eben dann, wenn es existiert, auch noch seinen eigenen Existenzgrund zweifelnd befragen könnte. An einer der pathetischsten Stellen der gesamten Kritik der reinen Vernunft führt Kant seinen Gedankengang an den Rand dessen, was ausdrücklich als »der wahre Abgrund für die menschliche Vernunft« 79 bezeichnet wird. Es ist der – theoretisch nicht auszuschließende – Gedanke, dass Gott noch seine eigene absolute Notwendigkeit hinterfragen könne: »Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, man kann ihn aber auch nicht ertragen: daß ein Wesen, welches wir uns auch als das höchste unter allen möglichen vorstellen, gleichsam zu sich selbst sage: Ich bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, außer mir ist nichts, ohne das, was bloß durch meinen Willen etwas ist; aber woher bin ich denn? Hier sinkt alles unter uns, und die größte Vollkommenheit, wie die kleinste, schwebt ohne Haltung bloß vor der spekulativen Vernunft, der es nichts kostet, die eine so wie die andere ohne die mindeste Hindernis verschwinden zu lassen.« 80

In der Beweisgrund-Abhandlung war Kant offensichtlich noch der Auffassung, dass es von der Grundregel der widerspruchsfreien Verneinbarkeit von ›Existenz‹ eine einzige Ausnahme gebe, nämlich ein Ding, ein Wesen, dessen Existenz logisch nicht widerspruchsfrei zu verneinen ist: dasjenige schlechterdings notwendige Dasein, dessen Nichtexistenz die Möglichkeit alles Denkbaren aufheben würde. Die transzendentale Vernunftkritik greift diesen Gedanken zwar im »Ideal der Vernunft« wieder auf; aber es verbietet sich auf der Basis der in der Kritik der reinen Vernunft durchgeführten transzendentalen Analysen des Vernunftgebrauchs, das Verhältnis von Gott zur Welt als das Verhältnis eines erkennbaren, realen Gegenstandes zu anderen Gegenständen zu begreifen. Vielmehr handelt es sich nun-

78 79 80

Ebd., A 636/B 664. Ebd., A 613/B 641. Ebd.

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mehr ausschließlich um die vernunftinterne Beziehung einer Idee zu Begriffen, die es der Vernunft erlaubt, die Totalität der Erscheinungen als ein kohärentes, durchgängig bestimmtes Ganzes zu denken. Letztlich ist es somit die für die kantische Transzendentalphilosophie maßgebliche Differenzierung der empirischen und der a priorischen Sphäre, die den Gottesbeweis der Beweisgrund-Abhandlung als in der vorgelegten Form inakzeptabel erscheinen lässt. Die logische Ableitung eines schlechterdings notwendigen Daseins, das die höchste Realität in sich vereinigt, führt eben nicht zu einem theoretischen Wissen über ein prädikativ bestimmtes Ding, dessen Existenz nachprüfbar wäre, sondern zu einer transzendenten Idee, die sich auf einen rein intelligiblen Gegenstand bezieht. 81 Diese Ebenendifferenzierung war in der vorkritischen Phase der Philosophie Kants noch nicht entwickelt. Dass der Grundgedanke des ontotheologischen Gottesbeweises in verwandelter Form, nämlich als regulative Idee der theoretischen Vernunft, auch in der Kritik der reinen Vernunft auftaucht, kann an dieser Stelle zunächst ausgeblendet werden; hervorzuheben ist vielmehr das Gesamtergebnis der kantischen Vernunftkritik, sämtliche theoretischen Gottesbeweisversuche als unhaltbar aufgewiesen zu haben. Für eine definitive Klärung der Gottesbeweisproblematik wäre es zweifellos hilfreich gewesen, hätte Kant in der Kritik der reinen Vernunft eine explizite, ausführliche Widerlegung seines eigenen, im Beweisgrund vorgelegten Gottesbeweises durchgeführt. Zwar lassen sich, wie vorhin gezeigt wurde, die in der »Transzendentalen Dialektik« vorgebrachten Argumente gegen die prinzipielle Möglichkeit von Gottesbeweisen so rekonstruieren, dass sie auch noch Kants eigenen vorkritischen Beweis widerlegen und somit der menschlichen Vernunft keinerlei Ausweg für eine theoretische Demonstration Gottes mehr zu bieten scheinen. Die Geschichte der nachkantischen Religionsphilosophie – gerade auch die Entwicklung der analytischen Religionsphilosophie in den letzten Jahrzehnten – hat indes gezeigt, dass sich keineswegs alle Philosophen mit der endgültigen Verabschiedung rationaler Theologie zufrieden geben möchten. Die prinzipielle (vormals metaphysische, nunmehr religionsphilosophische) Frage, ob es der menschlichen Vernunft möglich ist, die Existenz Gottes rational zu beweisen, ist trotz der Fundamentalkritik Kants keineswegs für die gesamte religionsphilosophische ›community‹ de81

Vgl. KrV A 565/B 593 ff.

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finitiv geklärt. Von daher kann es nicht überraschen, dass im 20. Jahrhundert erneut zahlreiche Gottesbeweisversuche entwickelt worden sind. 82 Diese greifen entweder auf Mittel der modernen Logik (im Falle des ontologischen Arguments) oder aber auf bestimmte Interpretationen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse (im Falle des kosmologischen und des teleologischen Arguments) zurück. So hat etwa W. L. Craig physikalische Annahmen über die isotropische Expansion des Universums sowie über dessen thermodynamische Eigenschaften bemüht, um eine anhand der ›Big Bang‹-Kosmologie modernisierte Version des kosmologischen Kalām-Arguments vorzulegen, das von christlichen, muslimischen und jüdischen Theologen des Mittelalters entwickelt worden war. 83 Das teleologische Argument für die Existenz Gottes wiederum setzt in seiner aktualisierten Version regelmäßig Plausibilitäten aus dem Umfeld der ›Intelligent Design‹-Theorien ein. Das u. a. von R. Collins und R. Swinburne eingesetzte ›FineTuning-Argument‹ besagt, dass intelligentes Leben im Universum bei einer minimal veränderten Konstellation der physikalischen Konstanten des Universums unmöglich wäre. 84 Daher sei die Annahme, dass ein intelligenter Designer die Naturkonstanten passend eingestellt habe, wahrscheinlicher als die Annahme, dass es keinen intelligenten Designer des Universums gebe. Bemühen sich Swirnburne und andere um ein wissenschaftlich untermauertes, d. h. a posteriorisch begründetes kumulatives Argument für die Existenz Gottes, so

Siehe dazu Bromand/Kreis 2011; R. Hiltscher: Gottesbeweise. Darmstadt 2008; G. Oppy: Arguing about Gods. New York 2006; R. J. Spitzer: New Proofs for the Existence of God. Contributions of Contemporary Physics and Philosophy. Grand Rapids, Mich. 2010. Siehe dazu auch den Review Essay von A. Pinsent: »New Proofs for the Existence of God«. In: Harvard Theological Review, 104 (2011), S. 255–262. 83 Siehe dazu W. L. Craig/J. D. Sinclair: »The kalam cosmological argument«. In: The Blackwell Companion to Natural Theology. Hrsg. v. W. L. Craig u. J. P. Moreland. Malden, Mass. 2009, S. 101–201; P. Copan/W. L. Craig: Creation out of nothing. A biblical, philosophical, and scientific exploration. Grand Rapids (Mich.) 2004; W. L. Craig/Q. Smith: Theism, Atheism and Big Band Cosmology. Oxford 1993; O. Leaman: »Islam«. In: Taliaferro/Harrison/Goetz 2013, S. 66–76. 84 Siehe R. Collins: »The teleological argument: an exploration of the fine-tuning of the universe«. In: Craig/Moreland 2009, S. 202–281; ders.: »A Recent Fine-Tuning Argument«. Meister 2008, S. 267–277; R. Swinburne: Is there a God? New York 2010 (Revised Edition); ders.: The Existence of God. Oxford 22004; R. J. Spitzer: New Proofs for the Existence of God. Contributions of Contemporary Physics and Philosophy. Grand Rapids, Mich. 2010. Vgl. dazu auch die Rezension von A. Pinsent in: Harvard Theological Review, 104 (2011), S. 255–262. 82

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haben etwa C. Hartshorne, K. Gödel oder A. Plantinga in den letzten Jahrzehnten auch den ontologischen Gottesbeweis, etwa in modallogisch aktualisierter Form, wiederbelebt. 85 Die modernen Varianten der Argumente für die Existenz Gottes unterscheiden sich von ihren klassischen Vorläufern u. a. durch eine Abschwächung ihres Geltungsanspruchs. Sie treten in der Regel nicht mit dem Anspruch apodiktischer Gewissheit auf, sondern lassen die Existenz Gottes nur als denkmöglich bzw. akzeptabel gegenüber solchen Auffassungen erscheinen, welche die Existenz Gottes bestreiten. 86 Doch es ist fraglich, ob sie bereits aufgrund dieses bescheideneren Geltungsanspruchs den kritischen Einwänden gegen die prinzipielle Möglichkeit von Gottesbeweisen entgehen. Auch Gödels ontologischer Beweis setzt schließlich als ein Axiom voraus, dass notwendige Existenz eine positive Eigenschaft sei – ein Axiom, das man aus der Perspektive Kants oder Freges bestreiten müsste. Und während das modernisierte kosmologische Argument die notwendige Ursache des Universums mit Gott (einem Wesen von höchster Realität) identifiziert, setzt das teleogische Argument den Intelligent Designer mit einem absolut notwendigen Dasein gleich. Mit Kant ließe sich demgegenüber wie folgt argumentieren: Da ein Intelligent Designer selbst noch keine oberste Ursache der Welt darstellt, muss sich das teleologische Argument auf das kosmologische stützen, welches das absolut notwendige Dasein als Weltursache mit dem allerrealsten Wesen gleichsetzt. Der Schluss von der höchsten Realität eines Wesens auf dessen in jeder möglichen Welt notwendige Existenz wird jedoch wiederum durch das ontologische Argument geleistet. Somit hängen auch die drei modernisierten Argumente für die Existenz Gottes letztlich in einer Weise zusammen, die sich in einer kantischen Begrifflichkeit überzeugend reformulieren lässt. Der transzendentalen Gottesbeweiskritik Kants lässt sich mit Blick auf eine interkulturell erweiterte Religionsphilosophie jedenfalls die gut begründete Empfehlung entnehmen, die philosophische Siehe C. Hartshorne: Anselm’s Discovery: A Re-Examination of the Ontological Proof for God’s Existence. La Salle, Illinois 21991; K. Gödel: »Ontological Proof«. In: Ders.: Collected Works. Hrsg. v. S. Feferman et al. Oxford 1995. Bd. III, S. 403 f., sowie ebd.: »Texts relating to the Ontological Proof«, S. 429–437); A. Plantinga: »The Ontological Argument«, a. a. O. 86 Vgl. dazu Plantinga: »The Ontological Argument«, a. a. O., S. 71: »What I claim for this argument, therefore, is that it establishes, not the truth of theism, but its rational acceptability.« 85

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Auseinandersetzung mit religiösen Gehalten nicht auf die theoretische Frage nach der objektiven Existenz Gottes zu verengen. Die generellen Schwierigkeiten der philosophischen Bemühung, ›Gott‹ mit den Mitteln der Vernunft beweisen zu wollen, liegen dabei jedoch auf einer Ebene, die sogar die bestechende Gottesbeweiskritik Kants möglicherweise nicht in aller Schärfe gesehen hat. Die Diskussion um die Möglichkeit von Gottesbeweisen wird nämlich stets auf der Folie eines Gottesbegriffs geführt, der unter ›Gott‹ a priori – und ohne dass diese ursprüngliche Setzung noch einmal eigens befragt würde – eine Art höchstes Ding, einen allmächtigen Gegenstand versteht, ein Subjekt, dem in einem Urteil Prädikate zugesprochen werden können (x ist p). Der ontologische Gottesbeweis setzt bereits im Begriff ›Gott‹ das Subjekt ›Gott‹ als ein höchstes Wesen, dem bestimmte göttliche Eigenschaften zukommen, und fragt letztlich nur danach, ob es widerspruchsfrei denkbar ist, dass jenes x mit seinen Prädikaten nicht existiert. Und da innerhalb der Argumentation des ontologischen Gottesbeweis Existenz als ein sachhaltiges, positives Prädikat missverstanden wird, wie Kant zu Recht aufgezeigt hat, muss die Antwort selbstverständlich lauten: Nein, es ist nicht denkbar, dass ein solches x nicht existiert, es muss notwendigerweise existieren. Der kosmologische und der physikotheologische Gottesbeweis wiederum setzen das Subjekt ›Gott‹ scheinbar nicht schon voraus, sondern schließen erst von der Beschaffenheit der Natur auf es: Wenn es ›überhaupt etwas‹ gibt, dann muss es auch ein x mit den Eigenschaften p1, p2, p3 … geben, das die Existenzbedingung für ›überhaupt etwas‹ darstellt – so argumentiert der kosmologische Gottesbeweis. Der physikotheologische Gottesbeweis behauptet: Wenn die Natur so und so beschaffen ist, dann muss es ein x mit den Eigenschaften p1, p2, p3 … geben, das die Existenzbedingung für die so und so beschaffene Natur darstellt. Der von Kant im Beweisgrund vorgelegte Gottesbeweis hat auf interessante Weise diese Konditionalbeziehung des kosmologischen bzw. physikotheologischen mit dem a priorischen Begründungsstatus des ontologischen Gottesbeweises verknüpft, indem er folgendermaßen argumentiert: Wenn es die Möglichkeit von ›überhaupt etwas‹ geben soll, dann muss es x geben, das die Möglichkeit von ›überhaupt etwas‹ garantiert. Da es nicht widerspruchsfrei denkbar ist, dass ein solches x nicht existiert, muss es notwendigerweise existieren. Wenn x notwendigerweise existiert, dann müssen ihm die Eigenschaften p1, p2, p3 … zukommen. – Dieser Form des ontologischen Gottesbeweises kann zumindest nicht zum Vorwurf gemacht werden, Gott mit 189 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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seinen Prädikaten bereits vorauszusetzen, noch bevor der Beweis überhaupt entwickelt worden ist. Gleichwohl kann auch diesem Beweis – wie gezeigt – aus der Perspektive der transzendentalen Vernunftkritik eine Verwechslung von logischer und realer Notwendigkeit vorgehalten werden. Vor allem aber basieren sowohl Kants vorkritischer Beweisversuch als auch seine spätere Gottesbeweiskritik auf der unhinterfragten Voraussetzung, dass ›Gott‹ fraglos als ein Satz-Subjekt, ein x, ein ›Ding‹ aufgefasst werden müsse, dem bestimmte Prädikate zukommen. Auf der Basis der ontologischen Unterscheidung zwischen phänomenaler und noumenaler Ebene wird in der Gottesbeweiskritik deutlich, dass alle Gottesbeweise deswegen ins Leere laufen müssen, weil die Existenz eines x stets nur empirisch zu validieren ist. Nur unter Erfahrungsbedingungen wird die Notwendigkeit der Zuschreibung des Prädikats an ein Subjekt real, d. h.: Wenn x existiert, dann kommen ihm die Prädikate p1, p2 etc. notwendig zu. Die Bestimmung Gottes als eines Dinges, dem bestimmte ›göttliche‹ Eigenschaften zukommen, bleibt jedoch auch dann noch bestehen, wenn bestritten wird, dass die Existenz jenes Dinges theoretisch beweisbar ist (weil ›Existenz‹ nun einmal an Erfahrungsbedingungen geknüpft ist, die ein alle Empirie übersteigendes ›Ding‹ per definitionem nicht erfüllen kann.) Noch das Ideal der reinen Vernunft, das Kant als den Grund der vollständigen Bestimmbarkeit eines Einzelnen wie der Ordnung der Dinge insgesamt unterstellt, ist anhand der niemals hinterfragten substantiv-fixierten Ausrichtung aufs Satz-Subjekt gewonnen. Nicht der Ding-Charakter des ›x an sich‹ wird in der kantischen Vernunftkritik in Zweifel gezogen und widerlegt, sondern nur dessen Erkennbarkeit. Weil die vorgängige ontologische Festlegung auf die Kategorien des Dings, der Substanz und des Subjekts, sobald es um die Bestimmung Gottes geht, auch in den analytischen Gottesbeweisversuchen des 20. Jahrhunderts nicht in Frage gestellt wird, gehen diese in philosophischer Hinsicht trotz aller verfeinerten Methoden der modernen Logik-Zeichensprache nicht über die Ergebnisse der kantischen Gottesbeweiskritik hinaus. Exemplarisch lässt sich dies im Hinblick auf den Gottesbeweis K. Gödels verdeutlichen, der eine modallogische Rekonstruktion des ontologischen Gottesbeweises vorgenommen hat. Sobald man einmal davon Abstand genommen hat, sich von der mathematische Präzision suggerierenden Formelpracht der logischen Berechnungen beeindrucken zu lassen, stellt man fest, dass 190 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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Gödels Beweis in inhaltlicher Hinsicht nichts Neues zu bieten hat. Gott wird unterhinterfragt als dasjenige Wesen bestimmt, dem alle positiven Eigenschaften zukommen: Definition 1: G(x) ≣ (φ) [P (φ) � φ (x)] (God) 87 Notwendige Existenz, so wird im 4. Axiom behauptet, ist eine positive Eigenschaft. 88 Wenn es in einer möglichen Welt der Fall sein kann, dass ein System aller positiven Eigenschaften (Gott) kompatibel ist, dann folgt aus der Möglichkeit Gottes notwendigerweise auch die Existenz Gottes, weil schließlich notwendige Existenz eine positive Eigenschaft darstellt. Der modallogische ›Clou‹ dieses Beweises besteht also letztlich nur in der Folgerung von der Möglichkeit der Existenz Gottes (d. h. der inneren Kompatibilität eines Systems aller positiven Eigenschaften) auf dessen notwendige Existenz, weil diese, wie zuvor axiomatisch festgelegt wurde, zu den positiven Eigenschaften gehören müsse. Der problematische Punkt dieses Beweises liegt demnach in den Axiomen 4 und 5, in denen notwendige Existenz als eine positive Eigenschaft festgelegt wird, was sie jedoch – wie Kant bereits 1763 erkannt hatte – nicht ist. 89 Abschließend lässt sich zur religionsphilosophisch nach wie vor strittigen Frage der Gottesbeweise festhalten, dass Kant überzeugend dargelegt hat, warum der apodiktische Beweis der Existenz eines absolut notwendigen Daseins, dem höchste und oberste Realität zukommt und das mit dem in den Religionen verehrten Gott identisch ist, mit den Mitteln der theoretischen Vernunft nicht zu führen ist. Kritisch ließe sich gegenüber der kantischen Widerlegung des ontologischen, des kosmologischen sowie des physikotheologischen Gottesbeweises anführen, dass Kant zwar die möglichen Versuche, ein absolut notwendiges Dasein mit höchster Realität beweisen zu wollen, kritisiert hat, nicht jedoch die diesen Versuchen zu Grunde liegende Definition Gottes als eines derartigen ›Dings‹, das der Vernunft als Ideal weiterhin vorschwebt. Definierte man Gott (um an dieser Stelle nur eine mögliche Alternative zu benennen) demgegenüber nicht als ›höchstes, absolut notwendiges x mit bestimmten Eigen-

K. Gödel: »Ontological proof«, a. a. O., S. 403. Siehe Bromand/Kreis 2011, S. 486. 89 Vgl. dazu Oppy 2006, S. 72: »Kant would not have been happy with Axiom 5; and there is at least some reason to think that whether the property of being God-like is ›positive‹ ought to depend upon whether or not there is a God-like being.« 87 88

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schaften‹, sondern etwa als ›Liebe‹, so hätte zwar der Begriff ›Gott‹ deutlich an ontologischer Präzision verloren, da er nun nicht mehr ohne Umschweife der logisch berechenbaren Kategorie eines ›Dings‹ oder eines ›Subjekts‹ zugeordnet werden könnte. Zugleich aber würde die Bemühung um eine rationale Gotteserkenntnis dadurch von der Hypothek entlastet, die Existenz eines ›höchsten x mit maximal positiven Eigenschaften‹ beweisen zu sollen, dem überhaupt keine ›Existenz‹ im beweisbaren Sinne zukommen kann, und dies nicht nur deswegen, weil jenes ›höchste x‹ in einer dem Menschen unzugänglichen Sphäre beheimatet wäre, sondern weil jenes ›höchste x‹ womöglich gar nicht ›Gott‹ ›ist‹. 90

1.2

Die autonome Begründung der Moralphilosophie

Obgleich Kants eigener Religionsbegriff systematisch an die Moralphilosophie anschließt, bedarf die Begründung der philosophischen Ethik selber nicht des Rückgriffs auf religiöse Vorgaben oder Instanzen. Vielmehr können die Prinzipien der Ethik Kant zufolge gänzlich aus der internen Struktur der autonomen Vernunft selbst gewonnen werden. Wie sowohl in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 91 als auch in der Kritik der praktischen Vernunft demonstriert wird, gelingt nämlich der praktischen Vernunft, was der theoretischen versagt bleiben musste: ihre Reinheit als Vernunft ohne Einmischung empirischer Quellen zu betätigen – aber eben nicht in der Produktion wahrer Propositionen über transzendente Gegenstände, sondern in der praktischen Bestimmung des Willens zu verallgemeinerungsfähigen Maximen. Insofern erbringt die praktische Philosophie Kants den Nachweis, dass eine Erweiterung des Vernunftgebrauchs über die

Vgl. dazu auch die Erwägung Anselms v. Canterbury im XV. Kapitel des Proslogion, dass Gott nicht nur dasjenige sei, über das hinaus nichts Größeres vorgestellt werden könne, sondern dass er auch größer als alles sei, was überhaupt vorgestellt werden könne (»Ergo, Domine, non solum es quo majus cogitari nequit, sed es quiddam majus quam cogitari possit.« – Zitiert nach: Saint Anselme de Cantorbéry: Fides quaeres intellectum id est Proslogion liber gaunilonis pro inspiente atque liber apologeticus contra gaunilonem. Introduction, texte et traduction par A. Koyré. Paris 1992, S. 34.) 91 I. Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. In: Ders.: Kritik der praktischen Vernunft. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Werkausgabe Bd. VII. Hrsg. v. W. Weischedel. Frankfurt a. M. 1974, S. 7–102. 90

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Der rationale Ausschluss religiösen Gedankenguts aus der Philosophie

Grenzen der Sinnlichkeit hinaus durchaus möglich ist, wenngleich eben ›nur‹ in praktischer Absicht. 92 Der Kant zufolge jedem sinnlichen Vernunftwesen unmittelbar einleuchtende kategorische Imperativ, der verlangt, solchen Handlungsgrundsätzen zu folgen, die zugleich als Prinzipien einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnten, beweist a priori, dass reine Vernunft für sich selbst gesetzgebend, d. h. autonom sein kann. Ist sie bei der Eruierung von sachhaltigem theoretischem Wissen stets auf die Kooperation des strukturierenden Verstandes mit empirischem Anschauungsmaterial angewiesen, so besteht ihre Leistung bei der praktischen Willensbestimmung gerade darin, das Diktat empirischer Neigungen zu durchbrechen und in einem Akt der transzendentalen Freiheit, der in der Selbstbindung an das moralische Gesetz besteht und vor dem jede mechanistische Erklärung scheitern muss, die Objektivität reiner Vernunft zu manifestieren. Das unbestechliche Gebot der Universalisierung meiner Maximen besitzt eine absolute Verbindlichkeit, die sich nicht aus der vorgängigen Anerkennung religiöser Quellen speist, sondern aus der internen Verfasstheit des menschlichen Vernunftvermögens selbst hervorgeht. 93 Denn die Einstimmigkeit und Widerspruchsfreiheit, auf die alles Denken abzielt, erfordert es, unserem Wollen und Handeln nur solche Maximen zu Grunde zu legen, die bei einer universellen Geltung ein konsistentes Handeln aller koexistierenden Ver-

Siehe KpV, S. 163 [1. Aufl. Riga 1788, im Folgenden als ›A‹ bezeichnet: 218]: »Allein wenn reine Vernunft für sich praktisch sein kann und es wirklich ist, wie das Bewußtsein des moralischen Gesetzes es ausweist, so ist es doch immer nur einunddieselbe Vernunft, die, es sei in theoretischer oder praktischer Absicht, nach Prinzipien a priori urteilt, und da ist es klar, daß, wenn ihr Vermögen in der ersteren gleich nicht zulangt, gewisse Sätze behauptend festzusetzen, […] sie eben diese Sätze, sobald sie unabtrennlich zum praktischen Interesse der reinen Vernunft gehören, zwar als ein ihr fremdes Angebot, das nicht auf ihrem Boden erwachsen, aber doch hinreichend beglaubigt ist, annehmen und sie mit allem, was sie als spekulative Vernunft in ihrer Macht hat, zu vergleichen und zu verknüpfen suchen müsse; doch sich bescheidend, daß dieses nicht ihre Einsichten, aber doch Erweiterungen ihres Gebrauchs in irgend einer anderen, nämlich praktischen Absicht sind, welches ihrem Interesse, das in der Einschränkung des spekulativen Frevels besteht, ganz und gar nicht zuwider ist.« 93 Siehe dazu auch I. Kant: ›Religionsschrift‹, S. 649 (B III): »Die Moral, so fern sie auf dem Begriffe des Menschen, als eines freien, eben darum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte Gesetze bindenden Wesens gegründet ist, bedarf weder die Idee eines andern Wesens über ihm, um seine Pflicht zu erkennen, noch einer andern Triebfeder als des Gesetzes selbst, um sie zu beobachten.« 92

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nunftwesen ermöglichen würden. Läge der Grund für die absolute Verbindlichkeit des Sittengesetzes nicht in der inneren Kohärenz der Vernunft, sondern in einer transzendenten Instanz wie einem allmächtigen Gott, so wäre die Automomie der Vernunft hinfällig. Sie hätte sich in ethischer Hinsicht nicht zwischen der freien Selbstbindung an die Vernunft des Moralgesetzes und willkürlicher Ausrichtung an egoistischen Neigungen zu entscheiden, sondern zwischen zwei Arten von heteronomen Vorgaben, zum einen dem Gesetz der Natur, das sich in Form von sinnlichen Neigungen äußert, und zum anderen dem Gesetz Gottes, das sich in Form moralischer Vorschriften offenbart. Da aber, so Kant, die Präsenz des kategorischen Imperativs ›ein Faktum der Vernunft‹ darstellt, das von keinem sinnlichen Vernunftwesen geleugnet werden kann, handelt es sich beim Begriff der Freiheit im Sinne von Autonomie um den einzigen metaphysischen Begriff, der innerhalb des Systems der reinen Vernunft begründet werden kann. Nur weil der Begriff der Freiheit durch die Präsenz des kategorischen Imperativs in jedem vernünftigen Wesen erschlossen werden kann, können im Fortgang der Reflexion von den Prinzipien der reinen Moralphilosophie zur Frage nach dem letzten Zweck moralischen Handelns auch die Unsterblichkeit der Seele und das Dasein Gottes als Postulate der reinen praktischen Vernunft neu begründet werden. Das von Kant angestrebte metaphysische System der reinen Vernunft wird somit durch den Begriff der transzendentalen Freiheit vollendet, 94 ohne dass die Autonomie der Vernunft in ihren Begründungsstrukturen Bezug auf ein transzendentes Wesen (›Gott‹) nehmen müsste. Die intersubjektive Geltung des Sittengesetzes beruht auf der präsumierten Einstimmigkeit der allgemeinen Menschenvernunft mit sich selbst; in der Realisierung dieser Einstimmigkeit durch die am kategorischen Imperativ orientierte Willensbestimmung des Individuums manifestiert sich ineins dessen subjektive Freiheit und die Objektivität der reinen Vernunft.

Vgl. KpV, S. 3 f. (A 3 f.): »Der Begriff der Freiheit, so fern dessen Realität durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft bewiesen ist, macht nun den Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der spekulativen, Vernunft aus, und alle andere (sic!) Begriffe (die von Gott und Unsterblichkeit), welche, als bloße Ideen, in dieser ohne Haltung bleiben, schließen sich nun an ihn an, und bekommen mit ihm und durch ihn Bestand und objektive Realität, d. i. die Möglichkeit derselben wird dadurch bewiesen, daß Freiheit wirklich ist; denn diese Idee offenbaret sich durchs moralische Gesetz.«

94

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Der Nachschrift zu Kants Mitte der 1770er Jahre gehaltenen »Vorlesung über allgemeine praktische Philosophie und Ethik« 95 lässt sich darüber hinaus ein empirisches Argument entnehmen, das sich auf einen transkulturellen Primat vernunftinterner ethischer Prinzipien vor jeder theologischen Moralbegründung beruft: Die kulturanthropologische Betrachtung der Moralentwicklung verschiedener Völker zeige schließlich, so Kant, dass Völker ihre moralische Pflichten bereits erkannt hatten, lange bevor sie einen konsistenten Begriff Gottes entwickelten. Kant bestreitet mit diesem Argument nicht nur die historische Genese grundlegender moralischer Prinzipien aus religiösen Offenbarungen (wie dies gelegentlich etwa im Hinblick auf die Zehn Gebote unterstellt wird), sondern auch einen systematischen Zusammenhang von Ethik und Theologie: Jene ist auf diese keinesfalls angewiesen. 96 Religion, verstanden als »Inbegriff aller Pflichten als göttlicher Gebote« 97, gehört nur insofern zur Moralphilosophie, als sie die Nötigung der allgemeinen, Gesetz gebenden Vernunft in der subjektiven Idee Gottes gleichsam personifiziert. Gott wird in diesem Kontext als eine Instanz vorgestellt, die will, dass Menschen ihre wechselseitigen Pflichten beachten, indem sie sich der Forderung des kategorischen Imperativs unterstellen und ihre individuellen Handlungsmaximen universalieren. Aber diese Instanz ist letztlich keine andere als die autonome Vernunft selbst, die eben jene auf den Anderen Rücksicht nehmende Freiheitsausübung des Subjekts verlangt. Die apriorische Reinheit der praktischen Vernunft bedarf nicht der personifizierten Idee eines Gottes, um die objektive Geltung des Sittengesetzes zu gewährleisten. Allenfalls vermag die subjektive Vorstellung Gottes das moralisch handelnde Individuum zu einer noch gründlicheren Beachtung des kategorischen Imperativs zu veranlassen. All dasjenige jedoch, was darüber hinaus essentiell zum Phänomenbestand einer Religion gehört wie der Glaube an bestimmte Texte und Erzählungen, die Verehrung heiliger Personen und Orte, sakrale Rituale und Feste u. dgl. wird von Kant als die materiale und empirische Seite der Religion aus dem Gesichtsfeld der philosophischen I. Kant: Vorlesung zur Moralphilosophie. Hrsg. v. W. Stark. Berlin/New York 2004. 96 Vgl. ebd., S. 61. 97 I. Kant: Die Metaphysik der Sitten. Werkausgabe Bd. VIII. Hrsg. v. W. Weischedel. Frankfurt a. M. 1977, S. 628. Siehe entsprechend auch I. Kant: Der Streit der Fakultäten, op. cit., S. 38. 95

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Ethik bzw. Moralphilosophie ausgeblendet. Da es dieser ausschließlich um die Eruierung der a priorischen Grundlagen vernünftiger Willensbestimmung zu tun ist, kann sie die empirischen Komponenten der Religion – das, was nach der kantischen Dichotomisierung von ›noumenal/transzendental/a priori‹ und ›phänomenal/empirisch/a posterioi‹ in diesen Bereich fällt – außer acht lassen. Denn hierbei geht es nicht länger um die wechselseitigen Pflichten, die sinnliche Vernunftwesen gegen einander haben – und dies allein ist der Gegenstandsbereich der philosophischen Ethik bzw. Moralphilosophie –, sondern um die Pflichten gegenüber Gott, d. h. gegenüber einem Wesen, das in rein rationaler Hinsicht allenfalls als transzendentale Idee und praktisches Postulat aufrecht erhalten werden kann, während es im religiösen Glauben und in der praktischen Religionsausübung als notwendig existierend gesetzt wird. Die reine praktische Philosophie kennt keine ›Pflichten gegenüber Gott‹ – und zwar deswegen nicht, weil diese einer aprorischen, rein vernünftigen Begründung nicht zugänglich sind. 98 Dabei entbehrt es aus religiöser – und ebenso aus religionsphilosophischer und religionswissenschaftlicher – Perspektive nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet diejenigen Erscheinungen, an denen dem religiösen Verständnis zufolge in der Welt Transzendenz und Sakralität aufleuchten sollen, fraglos dem Bereich des Empirischen und Materialen zugeschlagen werden. In diesem Punkt ist die kantische Transzendentalphilosophie offensichtlich unsensibel gegenüber einer religiös inspirierten Ontologie, die es erlaubt, zwischen profanen Gegenständen und solchen Dingen, Personen, Texten oder Orten zu unterscheiden, die durch Ritualisierung und Symbolisierung sakral-numinos aufgeladen werden. Innerhalb der Ontologie, die der kantischen Transzendentalphilosophie zu Grunde liegt, gibt es nur die materiale, empirische Welt der kausal zusammenhängenden Dinge auf der einen und den transzendentalen Bereich der Vernunft auf der anderen Seite. Dass ›Dinge‹ aber je nach ihrer kulturellen und symbolischen Kontextualisierung auf unterschiedlichen ontologischen Niveaus angesiedelt sein können, sodass es einen Unterschied macht, ob z. B. ein Haus oder ein Stück Brot gesegnet wurde oder nicht, ist ein Gedanke, der im Rahmen der kantischen Ontologie schlichtweg unmöglich ist. Der gegenstandsontologische Rigorismus Vgl. Die Metaphysik der Sitten, op. cit., S. 628 f.; sowie Vorlesung zur Moralphilosophie, op. cit., S. 115 f.

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liegt im Kern auch dem religionskritischen Potential der kantischen Philosophie zu Grunde, dem sich das folgende Unterkapitel zuwenden wird.

1.3

Religionskritik aus der Perspektive reiner Vernunft

Religionsphilosophie im Sinne einer Reflexion auf historisch-kulturelle Religionsformen gehört gemäß der kantischen Auffassung dessen, was innerhalb der praktischen Philosophie an apriorischer Begründungsarbeit zu leisten ist, nicht mehr zur reinen Moralphilosophie, sondern vielmehr zur angewandten praktischen Philosophie. Auf diesem Feld konfrontiert die reine Vernunft dasjenige, was sie aus eigener Kraft einzusehen im Stande ist, mit empirisch vorfindlichen Religionslehren und prüft, welche Aspekte der Religion ›innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft‹ akzeptabel sind und welche den durch die Vernunft gesetzten Rahmen überschreiten. 99 Da der Anknüpfungspunkt für die philosophische Betrachtung des Religiösen von Kant in der praktischen Vernunft verortet wird, liegt es nahe, dass all diejenigen Komponenten einer Religion, die in keinem Bezug zur Verbesserung des moralischen Lebenswandels stehen, aus Sicht der Transzendentalphilosophie als problematisch, wenigstens aber als opak erscheinen müssen. Sie können allenfalls eine relative, letztlich stets auf die Optimierung des moralischen Handelns ausgerichtete Würdigung erfahren. Die Problematisierung und Kritik der nicht-moralischen Aspekte gelebter Religiosität erfolgt besonders prägnant in den so genannten vier ›allgemeinen Anmerkungen‹ der Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, die von Kant »gleichsam Parerga der Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft« 100 Vgl. zu dieser Rollenbeschreibung der Philosophie auch I. Kant: Der Streit der Fakultäten, op. cit., S. 34: »Wenn die Quelle gewisser sanktionierter Lehren historisch ist, so mögen diese auch noch so sehr als heilig dem unbedenklichen Gehorsam des Glaubens anempfohlen werden: die philosophische Fakultät ist berechtigt, ja verbunden, diesem Ursprunge mit kritischer Bedenklichkeit nachzuspüren. Ist sie rational, ob sie gleich im Tone einer historischen Erkenntnis (als Offenbarung) aufgestellt worden, so kann ihr (der untern Fakultät) nicht gewehrt werden, die Vernunftgründe der Gesetzgebung aus dem historischen Vortrag herauszusuchen, und überdem, ob sie technisch- oder moralisch-praktisch sind, zu würdigen.« 100 ›Religionsschrift‹, S. 704 (B 63). 99

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genannt werden, denn: »sie gehören nicht innerhalb dieselben, aber stoßen doch an sie an.« 101 In diesen ergänzenden Ausführungen, die am Ende eines jeden Stücks der philosophischen Religionslehre stehen, kommen die vier Themen: 1) Gnadenwirkungen, 2) Wunder, 3) Geheimnisse sowie 4) Gnadenmittel zur Sprache. 102 Es ist ausdrücklich nicht die Intention dieser ›Parerga‹, die Möglichkeit oder Wirklichkeit der transzendenten Gegenstände, auf die sich die genannten Komponenten der Religion beziehen, theoretisch auszuschließen. Vielmehr lässt sich die Position der reinen Vernunft als agnostisch-skeptisch beschreiben: Zwar ist das Bedürfnis, »zu überschwenglichen Ideen« 103 aufzusteigen und nach ihren existierenden Korrelaten zu suchen, angesichts der existentiellen Fragilität und Ungewissheit der menschlichen Existenz durchaus nachvollziehbar; doch hat die Vernunft nicht das Recht, sich derartige Gegenstände als sicheres Wissen anzueignen. Ein dogmatischer Glaube, der die Existenz der in den transzendenten Ideen gedachten Gegenstände für gewiss hält, stellt demnach keine mit der Vernunft vereinbare Position dar; Kant bezeichnet ihn als »unaufrichtig oder vermessen« 104. Ein ›reflektierender Glaube‹ hingegen ist Kant zufolge mit einer rationalen Einstellung durchaus kompatibel, weil dieser Glaube die Annahme transzendenter Objekte nur unter der Bedingung für gerechtfertigt hält, dass sie dem moralischen Handeln zu Gute kommt. Den Chancen einer Optimierung moralischer Einstellungen durch den Glauben an transzendente Ideen oder Gegenstände steht jedoch ihre potentielle Gefährlichkeit gegenüber, sobald sie einmal im Feld der religiösen Vernunft akzeptiert werden. Kant ordnet daher jedem der vier zuvor differenzierten Bereiche eine potentielle religiöse Verirrung zu: So kann der Glaube an vermeinte innere Erfahrungen der Gnade Gottes (1) zu »Schwärmerei« 105 führen; der Glaube an vermeinte äußere Erfahrungen der Gnade Gottes (2) zu Aberglauben; der Glaube an übernatürliche Verstandeserleuchtungen (3) zu »Illuminatismus« bzw. »Adeptenwahn« 106; der Glaube an Gnadenmittel, d. h. an Maßnahmen, die auf das Übernatürliche einzuwirken ver101 102 103 104 105 106

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. – Siehe dazu auch X. Bard: Kant et la folie religieuse. Rouillon 2004.

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mögen, zu »Thaumaturgie« 107. Diesen vier religiösen Verirrungen ist gemeinsam, dass ihre Träger von der Möglichkeit einer direkten kausalen Wechselbeziehung zwischen empirischer und transzendenter Welt überzeugt sind. Sei es, dass Gott sich im Inneren eines Gläubigen oder durch wunderbare Zeichen in der Erscheinungswelt direkt offenbart, sei es, dass der Gläubige seinerseits durch Gebete 108 oder magische Verrichtungen unmittelbaren Einfluss auf das Übernatürliche auszuüben versucht: Die mentalen Einstellungen, die derartigen Aktivitäten und Erlebnissen jeweils zu Grunde liegen, widersprechen diametral einer kritischen Vernunft, die den subjektiven Konstruktionscharakter jeglichen menschlichen Weltbezugs eingesehen hat. Diesem gemäß geschieht alles, was von lebendigen Vernunftwesen erfahren und erkannt werden kann, nach transzendentalen Regeln, die das Zusammenspiel von Sinnlichkeit und Verstand strukturieren und die eine Erweiterung des Vernunftgebrauchs über die Sphäre der Erfahrung hinaus nicht zulassen. Etwas Übernatürliches kann deswegen nicht erfahren werden, weil das Objekt einer Erfahrung immer ein ›natürliches‹ Vorkommnis innerhalb unserer Verstandesgrenzen sein muss. Sofern überhaupt irgendetwas erfahren wird, ist es ausgeschlossen, dass es sich bei diesem ›Etwas‹ um ein Übernatürliches handelt. Auf die Religion übertragen, bedeutet diese erkenntistheoreti107 Vgl. dazu die Terminologie des § 89 der Kritik der Urteilskraft (»Von dem Nutzen des moralischen Arguments«, S. 393 ff., B 439 ff.): Die der Theologie drohende Gefahr, sich »in vernunftverwirrende überschwengliche Begriffe« zu versteigen, wird hier als »Theosophie« bezeichnet, meint aber offensichtlich dasselbe, was in der ›Religionsschrift‹ »Schwärmerei« genannt wird. Das in der ›Religionsschrift‹ als »Illuminatismus« bzw. »Adeptenwahn« deklarierte Phänomen firmiert in der KdU unter der Bezeichnung »Theurgie« und wird dort als »ein schwärmerischer Wahn, von anderen übersinnlichen Wesen Gefühl und auf sie wiederum Einfluss haben zu können«, bestimmt; und an Stelle des Terminus »Thaumaturgie« bedient sich Kant in der KdU des Begriffs der »Idololatrie«, womit »ein abergläubischer Wahn, dem höchsten Wesen sich durch andere Mittel als durch eine moralische Gesinnung wohlgefällig machen zu können«, gemeint ist. 108 Siehe dazu ›Religionsschrift‹, S. 870 (B 302): »Das Beten, als ein innerer förmlicher Gottesdienst und darum als Gnadenmittel gedacht, ist ein abergläubischer Wahn (ein Fetischmachen); denn es ist ein bloß erklärtes Wünschen, gegen ein Wesen, das keiner Erklärung der inneren Gesinnung des Wünschenden bedarf, wodurch also nichts getan, und also keine von den Pflichten, die uns als Gebote Gottes obliegen, ausgeübt, mithin Gott nicht wirklich gedient wird.« Siehe dazu auch B. Nonnenmacher: »Der Begriff sogenannter Gnadenmittel unter der Idee eines reinen Religionsglaubens«. In: Höffe 2011, S. 211–229.

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sche Voraussetzung, dass der ›positive‹ Glaube an persönliche Zuwendungen Gottes, an aktive Eingriffe Gottes in den Lauf der Natur und der Geschichte, an die ›objektiv‹ helfende Kraft von Gebeten und anderen rituellen Verrichtungen wie etwa regelmäßigen Kirchgängen oder Moscheebesuchen sowie an die Möglichkeit einer irgendwie gearteten Beeinflussung des Göttlichen durch menschliche Aktivitäten rational nicht zu rechtfertigen ist; 109 es handelt sich bei all diesen religiösen Praktiken letztlich nur um Formen des »Fetischmachens« 110. Allenfalls kann der reflektierende, mit der Vernunft zu vereinbarende Glaube ›negativ‹ einräumen, dass die prinzipielle Möglichkeit derartiger Phänomene nicht mit absoluter Gewissheit ausgeschlossen werden kann. Aber auch der reflektierende Glaube darf sich keinesfalls von der Annahme natürlich-übernatürlicher Wechselwirkungen leiten lassen, wenn es um die Fundierung moralischer Entscheidungen geht. Vielmehr sollte er im Falle einer vermeintlich übernatürlichen Wirkung stets die skeptische Option einkalkulieren, dass es sich dabei um eine bloße »Selbsttäuschung« 111 handeln könnte. Der Glaube an die Möglichkeit direkter Beeinflussung eines transzendenten Wesens durch fromme Verhaltensweisen liegt auch dem von Kant so bezeichneten »Religionswahn« 112 zu Grunde, der die historisch-zufälligen Vorschriften einer singulären Religion absolut setzt, anstatt durch moralische Verbesserung und Pflichterfüllung Gott wohlgefällig zu werden. 113 Wenn man diese Kritik in Beziehung zu Kants Überlegungen zum radikalen Bösen setzt, das ja in einer grundsätzlichen Verkehrung der moralisch gebotenen Prinzipienord109 Siehe dazu auch B. Dörflinger: »Kant über Vernunft und Unvernunft in Religionen.« In: Recht – Geschichte – Religion. Die Bedeutung Kants für die Gegenwart. Hrsg. v. H. Nagl-Docekal u. R. Langthaler, S. 161–172. 110 ›Religionsschrift‹, S. 850 (B 273). 111 Ebd., S. 867 (B 298). 112 Ebd., S. 838 ff. (B 255 ff.): »Diesen statutarischen Glauben nun (der allenfalls auf ein Volk eingeschränkt ist, und nicht die allgemeine Weltreligion enthalten kann) für wesentlich zum Dienste Gottes überhaupt zu halten, und ihn zur obersten Bedingung des göttlichen Wohlgefallens am Menschen zu machen, ist ein Religionswahn, dessen Befolgung ein Afterdienst, d. i. eine solche vermeintliche Verehrung Gottes ist, wodurch dem wahren, von ihm selbst geforderten Dienste gerade entgegen gehandelt wird.« 113 Siehe ebd., S. 842 (B 261): »alles, was, außer dem guten Lebenswandel, der Mensch noch tun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu werden, ist bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes.«

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nung besteht, d. h. in einer permanenten Präferierung nicht verallgemeinerungsfähiger Maximen, dann könnte man den ›Religionswahn‹ geradezu als das radikale Böse im Bereich des Religiösen auffassen: Denn das fromme Beharren auf den zufälligen Statuten einer Religionsgemeinschaft verhindert nach Kant die Ausbildung der reinen, universalen Weltreligion der Moral. Und insofern die Ersetzung des Bemühens um einen moralisch guten Lebenswandel durch kultische Verrichtungen oder »frommes Spielwerk« 114 Kant zufolge prinzipiell schlecht ist, gibt es zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften auch keine qualitativen Unterschiede etwa hinsichtlich der symbolischen oder spirituellen Effektivität eines Rituals. 115 Diese Auffassung der kantischen Religionsphilosophie zum Status religiöser Vorschriften und Rituale hat durchaus Konsequenzen auch für aktuelle Diskussionen um das Verhältnis von religiösem und säkularem Recht, beispielsweise – aber keineswegs nur – im Islam. Weil für Kant historische (›statutarische‹) Vorschriften einer Religion stets nur als empirische Regeln Geltung beanspruchen können, stehen sie im Falle ethischer Entscheidungssituationen auf einer niedrigeren Begründungsebene als das absolut geltende Gebot der reinen praktischen Vernunft, der kategorische Imperativ. Diese Prioritätensetzung lässt sich plastisch anhand einer der zentralen Schlüsselszenen monotheistischer Religiosität demonstrieren, nämlich an jener im 22. Kapitel des 1. Buchs Mose überlieferten Geschichte, die davon erzählt, wie Gott Abraham befiehlt, Isaak, seinen einzigen Sohn, zu schlachten und zu verbrennen. Diese Geschichte spielt in allen drei monotheistischen Buchreligionen eine wichtige Rolle, weil sie die Gnadenerweisung Gottes gegenüber demjenigen schildert, der auf jeglichen Zweifel verzichtet und Gott bedingungslos gehorcht. Der alttestamentlichen Erzählung zufolge wird der Sohn im Vorfeld nicht über seine Opferung informiert. Im Gegenteil lässt ihn der Vater während der gesamten Opfervorbereitungen über sein schreckliches Los im Unklaren und betraut ihn sogar mit dem Transport des für das Brandopfer erforderlichen Holzes. Erst als Abraham bereits Ebd., S. 845 (B 265). Ebd., S. 844 f. (B 264 f.): »Ob der Andächtler seinen statutenmäßigen Gang zur Kirche, oder ob er eine Wallfahrt nach den Heiligtümern in Loretto oder Palästina anstellt, ob er seine Gebetsformeln mit den Lippen, oder, wie der Tibetaner […], es durch ein Gebet-Rad an die himmlische Behörde bringt, oder was für ein Surrogat des moralischen Dienstes Gottes es auch immer sein mag, das ist alles einerlei und von gleichem Wert.« 114 115

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die tödliche Waffe gegen seinen auf dem Opferalter festgebundenen Sohn richtet, greift der Engel des Herrn ein und gratuliert Abraham dazu, dass er die Probe bestanden habe. Abraham opfert daraufhin einen unschuldigen Widder, der sich gerade zufällig mit seinen Hörnern in einer Hecke nahe beim Opferaltar verfangen hatte. Später bedankt sich Gott durch einen herabgesandten Engel für das Vertrauen Abrahams und verspricht ihm neben reichem Nachwuchs auch den zukünftigen Sieg über seine Feinde. In der alttestamentlichen Erzählung ist weder von einer spontanen Verzweiflung Abrahams über die Forderung seines Gottes noch vom mindesten Zweifel an der Authentizität der göttlichen Stimme die Rede. Mechanisch, in blindem Gehorsam, macht sich Abraham daran, den befohlenen Ritus auszuführen. Für einen gläubigen Juden und einen gläubigen Christen bezeugt diese Geschichte, dass derjenige von Gottes Liebe belohnt wird, der nicht zweifelt, auch wenn ihm Äußerstes abverlangt wird. Der unerschütterliche Glaube wird damit sogar wichtiger als die Erfüllung des Ritus, weil Gott ja letztlich auf das Opfer des Sohnes verzichtet – dieser wichtige Umstand konnte später vom Christentum aufgegriffen werden, in dem sich Gott schließlich selbst als sein eigener Sohn zum Opfer darbringt. Eine noch größere Bedeutung hat die Erzählung von Abrahams Prüfung im Islam, denn sie liegt dem islamischen Opferfest (ʿ Īdu l-Aḍḥā) zu Grunde, dessen Bedeutung im religiösen Festkalender mit dem christlichen Ostern zu vergleichen ist. Am 10. Tag des Pilgermonats soll jede muslimische Familie ein Tier schlachten. 116 Dabei soll ihnen die Kehle so durchgeschnitten werden, dass sie ihr gesamtes Blut vergießen – in Erinnerung an das Opfer, das Abraham (Ibrahim in der islamischen Überlieferung) einst mit seinem Sohn Isaak (Ismael in der islamischen Überlieferung) bringen wollte. 117 Studiert man die islamische Fassung der Erzählung, die in der 37. Sure des Korans überliefert ist, so stößt man auf einen wichtigen Unterschied zur biblischen Version. In der koranischen Geschichte informiert nämlich Ibrahim seinen Sohn vorab darüber, dass er geträumt habe, ihn schlachten zu müssen, und fragt ihn zumindest, ob er damit ein-

116 Meistens handelt es sich hierbei um ein Schaf, aber auch andere Tiere wie etwa Kamele, Rinder, Widder und Gazellen kommen als Todeskandidaten in Frage. 117 Vgl. dazu P. Heine: Art. »Sacrifices«. In: Dictionnaire de l’Islam. Histoire – idées – grandes figures. Hrsg. v. A. T. Koury, L. Hagemann, P. Heine, C. Cannuyer. Turnhout 1995, S. 316 f.

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verstanden sei, worauf der Junge sein Schicksal freiwillig in die Hände des gläubigen Vaters legt. Wenigstens wird hier also das Einverständnis des Betroffenen eingeholt, bevor dieser zum Opferalter geführt wird. Wie im Alten Testament greift Gott bzw. Allah rechtzeitig ein, bevor der Junge abgeschlachtet wird; an seiner Stelle wird wiederum ein Tier geopfert, woran das alljährliche Opferfest der Muslime erinnern soll. Die theologische Bedeutung der Geschichte scheint im Islam wie im Judentum und im Christentum allerdings dieselbe zu sein: Wer nicht an Gottes Willen zweifelt und sogar bereit ist, ihm das Wertvollste zu opfern, der wird Gottes Gnade erfahren und reich belohnt werden. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus allerdings konsequenterweise: Wer an Gott zweifelt und nicht bereit ist, ihm alles zu opfern, der wird Gottes Zorn erfahren und alles verlieren. Für eine aufgeklärt-philosophische Außenperspektive scheint diese religiöse Erzählung nur vom Gehorsam eines Mannes gegenüber seinen eigenen Halluzinationen, von der barbarischen Gefühlskälte und fehlenden Emphatie eines offensichtlich geisteskranken Vaters gegenüber dem eigenen Kind zu berichten. Auch Kant hat in der Schrift Der Streit der Fakultäten 118 den Mythos von der Sohnesschlachtung als Beispiel dafür herangezogen, dass man an einer göttlichen Stimme, die offenkundig Mörderisches befiehlt, besser zweifeln sollte. Kant führt als Argument ins Feld, dass kein Mensch jemals sicher wissen könne, ob es denn wirklich Gott sei, der in einer Offenbarung zu ihm spreche, dass es aber zugleich unbezweifelbar sicher sei, dass man enge Verwandte, ja Menschen schlechthin nicht töten dürfe. 119 Folgen wir den vernünftigen Intuitionen unseres Rechtsund Moralverständnisses, dann sollte der Zweifel an göttlichen Stimmen, die widerrechtliche und unmoralische Handlungen von uns fordern, geradezu verpflichtend sein. 120 Abraham hätte sich demnach, indem er nicht an dem Befehl Gottes zweifelte, moralisch schuldig 118 I. Kant: Der Streit der Fakultäten, op. cit., S. 72 (Anm. 16). Vgl. entsprechend auch die diesbezüglichen Bemerkungen im Zweiten Stück der ›Religionsschrift‹, S. 744 (B 121). 119 Siehe dazu entsprechend auch die Ausführungen in »§ 4. Vom Leitfaden des Gewissens in Glaubenssachen« im Vierten Stück der ›Religionsschrift‹, S. 860 ff. (B 288 ff.). 120 Ebd., S. 861 (B 290): »So ist es nun mit allem Geschichts- und Erscheinungsglauben bewandt: daß nämlich die Möglichkeit immer übrig bleibt, es sei darin ein Irrtum anzutreffen, folglich ist es gewissenlos, ihm bei der Möglichkeit, daß vielleicht dasjenige, was er fordert, oder erlaubt, unrecht sei, d. i. auf die Gefahr der Verletzung einer an sich gewissen Menschenpflicht, Folge zu leisten.«

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gemacht. Hätte Abraham auf die Stimme seiner Vernunft gehört, so hätte er Kant zufolge der vermeintlich göttlichen Stimme Folgendes antworten müssen: »dass ich meinen guten Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiß; daß aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiß, und kann es auch nicht werden, wenn sie auch vom (sichtbaren) Himmel herabschallete.« 121 Die in manchen Kulturen bis heute zu beobachtende stärkere Gewichtung religiöser Vorschriften gegenüber universell gültigen ethischen Prinzipien lässt sich dadurch erklären, dass den religiösen Vorschriften ein göttlich-sakraler Ursprung zugeschrieben wird, während die ethischen Prinzipien nur auf einer unterstellten zwischenmenschlichen Vereinbarung hinsichtlich der wechselseitigen Menschenpflichten zu beruhen scheinen (sofern sie nicht sogar – fälschlicherweise – auf eine rein kulturelle Erfindung reduziert werden). Aber dieser scheinbare Dignitätsvorrang der vermeintlich ›heiligen‹ gegenüber den ›profanen‹ Pflichten entpuppt sich als hinfällig, wenn man in Erwägung zieht, dass zwischenmenschliche Pflichten einer rationalen Begründbarkeit fähig sind, während die ›heiligen‹ Pflichten gegenüber Gott den – hinsichtlich des Begründungsstatus viel schwächeren – putativen Glauben an die historische Authentizität einer spezifischen historisch-kulturellen Überlieferung einfordern. Vermutlich hat Kant genau diesen argumentativen Zusammenhang im Sinn, wenn er konstatiert, dass die Vernunft übernatürliche Wirkungen »weder zum theoretischen noch praktischen Gebrauch, in unsere Maxime aufnehmen« 122 dürfe. In der theoretischen Sphäre bedeutet die Annahme göttlicher Wunder u. dgl. eine unzulässige Überschreitung unserer Erkenntnisgrenzen; im praktischen Bereich besteht die Gefahr einer Vernachlässigung unserer moralischen Pflichten, wenn vermeintlich göttliche Zeichen zum zentralen Objekt der religiösen Zuwendung werden. 123 Ein weiteres Argument gegen die inflationäre Annahme von Wundern, d. h. direkten göttlichen Eingriffen in den Lauf der Natur (was zugleich immer auch bedeutet: partiellen Außerkraftsetzungen von Naturgesetzen), hat Kant bereits in der Beweisgrund-Abhand121 Ebd., S. 333. Vgl. hierzu auch die Interpretation der Figur des Abraham in G. W. F. Hegels Aufsatz »Der Geist des Christentums und sein Schicksal«. In: Ders.: Frühe Schriften. Werke 1. Hrsg. v. E. Moldenhauer u. K. M. Michel. Frankfurt a. M. 1971, S. 274–418, hier S. 274–280. 122 ›Religionsschrift‹, S. 705. 123 Siehe dazu auch ebd., »Allgemeine Anmerkung«, S. 740–747.

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Der rationale Ausschluss religiösen Gedankenguts aus der Philosophie

lung geliefert: Wunder können, so heißt es hier, allenfalls in seltenen Ausnahmefällen vorkommen, da ja bereits die innere Möglichkeit der Dinge und ihr wechselseitiges Zusammenstimmen auf einen göttlichen Urheber zurückgeführt werden kann. Dieser müsste somit bei jeder einzelnen Erwirkung eines Wunders den eigenen Schöpfungsplan partiell revidieren. Es ist jedoch fraglich, ob die Annahme derartiger nachträglicher Revisionen mit den göttlichen Eigenschaften der Allmacht, Allwissenheit und Ewigkeit in Einklang gebracht werden kann. Sollten Wunder gelegentlich notwendig sein, weil beispielsweise die Ausübung der menschlichen Freiheit den Lauf der Geschichte in eine Richtung lenkt, die dem göttlichen Willen zuwider läuft, so würde dies bedeuten, dass die dem Menschen von Gott verliehene Freiheit den ursprünglichen Schöpfungsplan in einer Weise verändern kann, die nachträgliche Korrekturen erforderlich macht. 124 Sind diese Korrekturen von Gott ›ursprünglich‹ vorausgesehen worden oder nicht? Falls ja, so stellt sich die Frage nach dem Wert der menschlichen Freiheit, wenn deren Ausübung in allen Konsequenzen bereits im göttlichen Schöpfungsplan vorausberechnet worden war. Sollte Gott aber nicht von vornherein gewusst haben, dass an bestimmten Stellen der menschlichen Geschichte Wunder erforderlich sein werden, so würde dieses Nichtwissen der göttlichen Eigenschaft der Allwissenheit widerstreiten. Und auch für den Gebrauch der menschlichen Vernunft ist, wie Kant in einer »Allgemeinen Anmerkung« am Ende des zweiten Stücks der Religionsschrift ausführt, 125 die Annahme von Wundern höchst schädlich: Die situative, scheinbar vollkommen unerklärliche Außerkraftsetzung der ansonsten verlässlichen Naturgesetze bietet der Vernunft keinen Anreiz zu weiterer Nachforschung; im Gegenteil untergräbt sie das für jede Naturforschung unerlässliche Vertrauen in die berechenbare Regelmäßigkeit natürlicher Vorgänge. Ist die Vernunft, so Kants Überlegung, aber erst einmal mit der besorgniserregenden Unberechenbarkeit eines Wunders konfrontiert worden, so könnte sie beginnen, auch an den bislang als gültig erkannten Naturgesetzen zu zweifeln, ja sogar – auf praktisch-moralischem Gebiet –

124 Vgl. dazu Beweisgrund, S. 675: »Und um deswillen kann man erwarten, daß übernatürliche Ergänzungen notwendig sein dürften, weil es möglich ist, daß in diesem Betracht der Lauf der Natur mit dem Willen Gottes bisweilen widerstreitend sein könne.« 125 Siehe ›Religionsschrift‹, S. 745 ff., Anm.

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Religion diesseits und jenseits der reinen Vernunft

an der Gültigkeit des Sittengesetzes. Der Wunderglaube erweist sich somit als hinderlich für einen störungsfreien Vernunftgebrauch und ist daher abzulehnen. Abgesehen von dem plausiblen Aufweis der logischen Inkonsistenz des Wunderglaubens lässt sich die von Kant vorgelegte Religionskritik aus der Perspektive reiner Vernunft dahingehend zusammenfassen, dass der gesamte Bereich religiöser Phänomenalität, der sich im Begriff der ›Transzendenzerfahrung‹ kristallisiert, nur insoweit rational akzeptiert werden kann, als er einer Verbesserung der Moralität zu Gute kommt. Aus reiner Vernunft lassen sich hingegen keine direkten Verpflichtungen gegenüber einem »Wesen, was lauter Rechte und keine Pflichten hat (Gott)« 126 ableiten, weil es ein reales Pflichtverhältnis nur gegenüber einem äußeren (erfahrbaren) Subjekt geben kann, nicht aber gegenüber einem »Gedankendinge« 127. Dass es sich bei diesem ›Gedankending‹, dem Ideal des höchsten Wesens, gleichwohl nicht um einen völlig leeren Begriff handelt, sondern um einen solchen, der für die innere Kohärenz der theoretischen und praktischen Vernunft Kant zufolge unverzichtbar ist, wird das folgende Kapitel demonstrieren, in dem die affirmativen Komponenten der kantischen Religionsphilosophie herausgearbeitet werden sollen.

2.

Der Einschluss religiöser Motive in die Grenzen reiner Vernunft

Nachdem Kapitel 1.1 die prinzipielle Berechtigung einer Kant-Interpretation erwiesen hat, welche die Transzendentalphilosophie als eine primär religionskritische Grundlagentheorie rationaler Weltzugänge versteht, werden die folgenden Ausführungen demgegenüber die fundamentale Bedeutung religiöser Ideen insbesondere für die praktische Philosophie Kants, aber – bezogen auf das Ideal der Vernunft – auch für die theoretische Philosophie aufzeigen. Dabei werden zum einen die von Kant selber explizit benannten systematischen Berührungspunkte der religiösen Sphäre mit dem philosophischen Diskurs zur Sprache kommen, zum anderen aber auch eher implizit wirksame religiöse Motive, welche in der kantischen Philosophie wirksam sind

126 127

Metaphysik der Sitten (Werkausgabe Bd. VIII), S. 349. Ebd., S. 350.

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Der Einschluss religiöser Motive in die Grenzen reiner Vernunft

und die selbstverständlich ganz überwiegend der christlichen Tradition entstammen. Der Einbezug bzw. die ›rettende Aneignung‹ 128 religiöser Ideen und Motive innerhalb der durch die Vernunft gezogenen Grenzen steht nicht im Widerspruch zu ihrem zuvor dargestellten Ausschluss aus einem rational verantwortbaren Diskurs – nämlich dann nicht, wenn man den jeweiligen epistemischen Status berücksichtigt, den eine religiöse Idee (vor allem die Idee Gottes) bezogen auf einen bestimmten Aspekt des Vernunftvermögens einnimmt. So hat Kant zwar nachdrücklich herausgestellt, dass eine mit apodiktischer Gewissheit vorgetragene Existenzbehauptung Gottes nur anmaßend und falsch sein kann. Gleichwohl kann weder die theoretische Vernunft auf das Ideal einer höchsten, allumfassenden Realität verzichten noch die praktische Vernunft auf das Postulat eines Weltenrichters, der das höchste Gut, die Harmonie von Glückseligkeit und Glückswürdigkeit, zu bewirken vermag. Denn die praktische Vernunft vermag zwar die Prinzipien richtigen Handelns ohne Rückgriff auf eine transzendente Instanz zu rechtfertigen und ist insofern hinsichtlich der Fundierung moralischer Entscheidungen autonom; aber auf die – für die Beurteilung des moralischen Handelns selber irrelevante – Frage, wozu denn letztlich moralisch gehandelt werden solle, kann sie ohne Bezugnahme auf die Idee eines höchsten Guts keine befriedigende Antwort geben. Die Vernunftkritik Kants hat somit die Trias der metaphysischen Ideen ›Freiheit‹ – ›Gott‹ – ›Unsterblichkeit der Seele‹ nicht gänzlich aus den Räumen des rational zu Rechtfertigenden verbannt, sondern sie vielmehr unter transzendentalphilosophischen Vorzeichen rehabilitiert: Ob es sie ›gibt‹, können wir zwar nicht wissen – weil es innerhalb der Grenzen unserer Vernunft keine Möglichkeit gibt, sie zu verifizieren –; aber wir dürfen, ja müssen sie gleichwohl annehmen, 128 Siehe J. Habermas: »Die Grenze zwischen Glauben und Wissen. Zur Wirkungsgeschichte und aktuellen Bedeutung von Kants Religionsphilosophie«. In: Ders.: Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze. Frankfurt a. M. 2005, S. 216–257, hier S. 217 f.: »Einerseits möchte der Aufklärer Kant gegen eine kirchlich verfestigte Orthodoxie, die ›die natürlichen Grundsätze der Sittlichkeit zur Nebensache macht‹, die Autorität der Vernunft und des individuellen Gewissens zur Geltung bringen. Andererseits wendet sich Kant, der Moralist, aber auch gegen den aufgeklärten Defätismus des Unglaubens. Gegen den Skeptizismus möchte er Glaubensinhalte und Verbindlichkeiten der Religion, die sich innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft rechtfertigen lassen, retten. Die Religionskritik verbindet sich mit dem Motiv der rettenden Aneignung.«

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wenn wir die systematische Kohärenz der Vernunft bewahren wollen. So hat die transzendentale Vernunftkritik nicht nur die apodiktische Beweiskraft des Theismus, sondern zugleich diejenige des Atheismus widerlegt: Beide Theorien können nicht letztgültig bewiesen werden, weil sich die Vernunft bei ihrem Versuch, transzendente Ideen aus apriorischen Begriffen zu ergründen, in unauflösbare Antinomien verstrickt. Hinsichtlich der ›positiven‹ Einbeziehung religiöser Inhalte in das System der kantischen Philosophie lassen sich drei aufeinander aufbauende Argumentationslinien rekonstruieren: (1) die Konstituierung jener metaphysischen Ideen, die Kant zufolge gleichzeitig Gegenstände der Religion sind, als regulative Ideale der theoretischen Vernunft, als praktische Postulate innerhalb der reinen Moralphilosophie sowie als Elemente eines moralischen Arguments für das Dasein Gottes, das eine Ethikotheologie begründet (Kap. 2.1), (2) die Entwicklung eines Religionsbegriffs innerhalb der Grenzen reiner Vernunft, der auf den Prämissen der Vernunftmoral aufbaut und gleichsam die Essenz dessen repräsentiert, was dem Begriff der ›Religion‹ jenseits aller kulturell geprägten Erscheinungsformen des Glaubens inhärent ist (Kap. 2.2), (3) die interpretative Übersetzung religiöser, insbesondere christlicher Gehalte in die allgemeine Sprache der Vernunft (Kap. 2.3).

2.1

Das Ideal der reinen Vernunft, das Postulat Gottes und die Ethikotheologie

Entgegen der Ansicht, dass in der Kritik der reinen Vernunft einer jeglichen metaphysischen Theologie der Boden entzogen werde, wird die Idee Gottes durch die transzendentale Vernunftkritik nicht etwa in Gänze verabschiedet, sondern hinsichtlich ihres Stellenwerts für die theoretische Vernunft in einer neuen Weise bestimmt: Der Unmöglichkeit einer objektiven Erkenntnis des göttlichen Gegenstands korrespondiert die Notwendigkeit, Gott im Sinne der individuierten höchsten Realität als ein notwendiges Ideal der Vernunft zu postulieren. Bevor Kant im 3. Hauptstück (»Das Ideal der reinen Vernunft«) 129 des zweiten Buchs der ›Transzendentalen Dialektik‹ die Unmöglichkeit sämtlicher Gottesbeweise demonstriert, legt er zu129

KrV, A571/B599 ff. – Siehe dazu auch J. Ferrari: »Das Ideal der reinen Vernunft«

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nächst systematisch die Anschlussstelle der theoretischen Vernunft für den Begriff einer höchsten Realität frei, welche »das einzige eigentliche Ideal, dessen die menschliche Vernunft fähig ist«, 130 darstellt. Die theoretische, auf die kohärente Erkenntnis der Welt ausgerichtete Vernunft gelangt aus eigenen Mitteln bis zum Grenzbegriff eines individuierten, durchgängig bestimmten Alls der Realität, dessen Existenz sie zwar nicht erweisen kann, dessen sie aber als eines regulativen Prinzips gleichwohl bedarf, um die Einstimmigkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens mit sich selbst zu gewährleisten. Nur wenn die Vernunft über ein Ideal des Vollständigen verfügt, kann sie, so Kant, das stets Unvollständige der empirischen Realität zutreffend bestimmen. 131 Sofern man diesen Begriff eines Wesens vollständigster Realität mit dem in der Religion verehrten Gott in Beziehung setzt, lässt sich mit Recht behaupten, dass bereits die Kritik der reinen Vernunft in nuce eine Philosophie der Religion beinhaltet, auch wenn der Religionsbegriff selbst in Kants erster Kritik keine Rolle spielt. 132 Der gedankliche Weg, der von der Erkenntnis eines einzelnen Gegenstands zur Annahme eines Ideals der höchsten Realität führt, kann folgendermaßen rekonstruiert werden: Der Verstand geht bei der gegenständlichen Erkenntnis auf die durchgängige Bestimmung eines einzelnen Dings aus. Durchgängig bestimmt ist ein Ding durch die Gesamtheit der Prädikate, die ihm zukommen. Um einem Ding die ihm zukommenden Prädikate zu- oder absprechen zu können, ist es Kant zufolge notwendig, das Ding auf »den Inbegriff aller Prädikate der Dinge überhaupt« 133 zu beziehen, um zu erkennen, ob dem jeweiligen Gegenstand ein bestimmtes Prädikat oder aber sein Gegenteil zukommt. Die vollständige Synthesis aller Prädikate, die den Begriff eines Dinges ausmachen, stellt gleichsam den spezifischen Anteil dar, den ein bestimmtes Ding an der Gesamtmöglichkeit aller (A567/B595-A642/B670). In: Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. v. G. Mohr u. M. Willaschek. Berlin 1998, S. 491–523. 130 KrV, A 576/B604. Siehe dazu S. Andersen: Ideal und Singularität. Über die Funktion des Gottesbegriffes in Kants theoretischer Philosophie. Berlin/New York 1983. 131 KrV, A 569/B 597. 132 Dazu passt auch der von W. Jaeschke hervorgehobene Befund, dass C. L. Reinhold in seinen Briefen über die kantische Philosophie (Basel 2006) den Ausdruck »Religionsphilosophie« in Bezug auf die Kritik der reinen Vernunft verwendet. Siehe W. Jaeschke/A. Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik 1785–1845. München 2012, S. 131. 133 KrV, A572/B600.

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Prädikate der Dinge hat. Weil von allen möglichen entgegengesetzen Prädikaten einem Ding stets eines zukommt, kann durch den Abgleich mit dem Inbegriff sämtlicher Prädikate gleichsam der individuelle Code eines Dinges ermittelt werden, sein ganz bestimmter Ausschnitt aus der Gesamtheit möglicher Prädikate. Die Möglichkeit einer derartigen durchgängigen Bestimmung eines Dings durch die vollständige Zu- oder Absprache sämtlicher Prädikate hat nun ihre Grundlage in einer Vernunftidee, »die dem Verstande die Regel seines vollständigen Gebrauchs vorschreibt« 134: der Idee eines Alls der Realität, das als transzendentales Substrat der Vorstellung eines Inbegriffs sämtlicher Prädikate der Dinge zu Grunde liegt. Dabei handelt es sich um einen durchgängig a priori bestimmten Begriff, der insofern ein tranzendentales Ideal – das einzige Ideal – der reinen theoretischen Vernunft repräsentiert, als er die Idee des Alls der Realität (omnitudo realitatis) individuiert. 135 Weil dieses Ideal das Fundament des gesamten auf Erkenntnis abzielenden Verstandesgebrauchs darstellt, bedeuten alle Negationen, durch die einem Ding ein Prädikat abgesprochen wird, Einschränkungen des zu Grunde liegenden Unbeschränkten. Mit einer ausdrücklich auf die Philosophie Platons Bezug nehmenden Denkfigur lässt sich diese Relation des Ideals zu den einzelnen Dingen auch als das Verhältnis des perfekten Urbildes aller Dinge zu den mangelhaften Nachbildern des Prototypen deuten. 136 Der Unterschied dieser durch die Vernunft selbst gerechtfertigten Annahme eines Alls der Realität zu einem Beweis des Daseins Gottes besteht darin, dass die theoretische Vernunft nicht die Existenz eines in höchstem Maße seienden Urwesens (ens originarium, ens summum, ens entium) demonstrieren, sondern nur dessen Idee voraussetzen kann, ja sogar muss, sofern es die Absicht aller theoretischen Erkenntnis ist, »die notwendige durchgängige Bestimmung der Dinge« 137 einzusehen. Aber die Relation dieses idealen Wesens zu den von ihm abhängigen Dingen ist nicht – wie es etwa der kosmologische Gottesbeweis suggeriert – als eine objektive, etwa kausale Beziehung existenter Gegenstände zueinander zu denken (wie des WeltenschöpEbd., A573/B601. Siehe dazu auch R. Barth: Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußtsein. Das Verhältnis von logischem und theologischem Wahrheitsbegriff – Thomas von Aquin, Kant, Fichte und Frege. Tübingen 2004, S. 182 ff. 136 KrV, A 578/B 606. 137 Ebd., A 577B 605. 134 135

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fers zu den geschaffenen Dingen), sondern als Relation einer Vernunftidee zu Begriffen, welche ohne die Annahme dieser Idee nicht sinnvoll gebildet werden könnten. 138 Gleichwohl entsprechen die Attribute, die sich aus der Annahme eines individuierten Alls der Realität ableiten lassen, den Eigenschaften Gottes, wie sie auch in der überkommenen Metaphysik als spekulativer Theologie bestimmt worden waren: Das ideale Urwesen ist zugleich das höchste Wesen, es ist das Wesen aller Wesen, 139 es ist einig, einfach, allgenügsam und ewig. 140 Somit gelangt die Kritik der reinen Vernunft zu einem transzendentalen Gottesbegriff, der den »Gegenstand einer transzendentalen Theologie« 141 ausmacht. Weitere bestimmende Aussagen über ihren Gegenstand zu treffen, ist der transzendentalen Theologie allerdings verwehrt, weil sie andernfalls die objektive Existenz ihres Gegenstandes annehmen müsste, was auf der Basis der transzendentalen Vernunftkritik prinzipiell nicht möglich ist. Diese vermag allenfalls zu zeigen, wie die Vernunft genetisch zur Bildung des Begriffs eines höchsten Urwesens gelangt, indem »das empirische Prinzip unserer Begriffe der Möglichkeit der Dinge« 142 (ihre durchgängige Bestimmung anhand des Vergleichs mit allen möglichen Prädikaten der Erscheinung) zu einem transzendentalen »Prinzip der Möglichkeit

138 Ebd., A 579/B 607. – In der Abhandlung De mundu sensibilis atque intelligibilis forma et principiis (Von der Form der Sinnen- und Verstandeswelt und ihren Gründen) von 1771 hatte Kant das göttliche Ideal der Vollkommenheit noch als ein real existierendes begriffen. Siehe ders.: Schriften zur Metaphysik und Logik 1. Werkausgabe Bd. V. Hrsg. v. W. Weischedel. Frankfurt a. M. 1977, S. 7–107, hier § 9, S. 41: »Das Größte an Vollkommenheit heißt heutzutage Ideal, bei Plato Idee (wie etwa seine Idee des Staates), und ist der Grund von allem, was unter dem allgemeinen Begriff der Vollkommenheit enthalten ist, sofern die minderen Grade nach allgemeinem Dafürhalten nur durch Einschränkung des Größten bestimmt werden können; Gott aber, während er, als Ideal der Vollkommenheit, der Grund des Erkennens ist, ist, als real existerend, zugleich der Grund des Entstehens von schlechthin aller Vollkommenheit.« 139 KrV, A578 f./B606 f. 140 Ebd., A 580/B608. 141 Ebd. – Siehe dazu F. Ricken: »Von der Unentbehrlichkeit der transzendentalen Theologie. Zum ›Ideal der reinen Vernunft‹«. In: Kants Grundlegung einer kritischen Metaphysik. Einführung in die ›Kritik der reinen Vernunft‹. Hrsg. v. N. Fischer. Hamburg 2010, S. 313–322; C. Asmuth/K. Drilo (Hrsg.): Der Eine oder der Andere. »Gott« in der klassischen deutschen Philosophie und im Denken der Gegenwart. Tübingen 2009; H. Assel: Geheimnis und Sakrament. Die Theologie des göttlichen Namens bei Kant, Cohen und Rosenzweig. Göttingen 2001. 142 KrV, A 582/B 610.

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der Dinge überhaupt« 143 erweitert, dieses Prinzip sodann zu einem Objekt konstituiert und dieses Objekt schließlich personifiziert wird. Bezogen auf den Existenzstatus Gottes bleibt es für die theoretische Vernunft trotz der vernunftinternen Unvermeidlichkeit des transzendentalen Ideals dabei, dass es sich um »ein bloßes Selbstgeschöpf« 144 des Denkens handelt, um ein Gedankending. Die Rekonstruktion der subjektiv notwendigen Genese des Gottesbegriffs innerhalb der Grenzen der theoretischen Vernunft könnte daher durchaus auch als Argument gegen die Existenz Gottes verwendet werden, sofern sie demonstriert, wie die Vernunft zu der Bildung eines Grenzbegriffs gelangt, dem überhaupt kein erkennbarer Gegenstand entspricht. Aufgrund dieser unaufhebbaren Zwiespältigkeit des theoretischen Gottesbegriffs ist es innerhalb des kantischen Systems der Philosophie auch nicht der theoretischen, sondern der praktischen Philosophie vorbehalten, auf dem Weg der Ethikotheologie eine Form des moralischen ›Gottesbeweises‹ aus reiner praktischer Vernunft zu entwickeln, der zwar das theoretische Wissen über objektive Tatsachen nicht erweitern kann, aber die praktische Willensbestimmung von Vernunftwesen auf das notwendige Objekt eines höchsten Guts ausrichtet. 145 Die Idee des höchsten Guts bezieht sich auf die Zusammenstimmung der auf Sittlichkeit und Glückseligkeit bezogenen Endzwecke, also derjenigen letzten Zwecke, die Menschen sich (objektiv) setzen sollen, und derjenigen letzten Zwecke, die sich Menschen von Natur aus (subjektiv) ohnehin setzen, sofern sie glücklich sein wollen. 146 Die empirisch niemals erreichbare und daher nur idealerweise als denkmöglich vorauszusetzende Harmonie von Sittlichkeit resp. Glückswürdigkeit und Glückseligkeit stellt das primäre Objekt der reinen praktischen Vernunft dar, sofern sie sich die Frage nach dem EndEbd. Ebd., A 583/B 611. Vgl. entsprechend KdU, S. 403 (B 453). 145 Vgl. dazu KpV, S. 77 (A 99). Die zentralen Begriffe und Argumente dieses Gedankens sind allerdings bereits in der Kritik der reinen Vernunft vorgeprägt. Siehe ebd., »Des Kanons der reinen Vernunft Zweiter Abschnitt: Von dem Ideal des höchsten Guts, als einem Bestimmungsgrunde des letzten Zwecks der reinen Vernunft«, A 804 ff./B 832 ff. – Siehe zur argumentativen Herleitung des Begriffs des höchsten Guts C. Bowman: »A Deduction of Kant’s Concept of the Highest Good.« In: Journal of Philosophical Research, 28 (2003), S. 45–63; L. Pasternack: »The Development and Scope of Kantian Belief: The Highest Good, the Practical Postulates and The Fact of Reason«. In: Kant-Studien, 102 (2011), S. 290–315. 146 Vgl. ›Religionsschrift‹, S. 651. 143 144

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zweck moralischen Handelns vorlegt. 147 Das Sittengesetz fordert in den Formeln des kategorischen Imperativs dazu auf, den Menschen (bzw. die Menschheit in jeder einzelnen Person) als letzten Zweck moralischen Handelns zu betrachten. 148 Die Übereinstimmung dieser durch die praktische Vernunft vorgegebenen objektiven Zwecksetzung mit dem obersten subjektiven Zweck der Glückseligkeit kann nach Kant jedoch nur so gedacht werden, dass Sittlichkeit die Bedingung für Glückseligkeit sein müsse. Der Mensch könne, so Kant, »nur als moralisches Wesen Endzweck der Schöpfung sein« 149; und nur unter der Voraussetzung, dass er sich durch moralisches Handeln glückswürdig gemacht habe, dürfe er auf einen individuellen Zustand anhaltender Glückseligkeit hoffen. Gemäß der Postulatenlehre aus der Kritik der praktischen Vernunft ist das höchste Gut ferner nur unter der Voraussetzung dreier metaphysischer Konzepte denkbar, die in der Kritik der reinen Vernunft als »problematische (bloß denkbare) Begriffe« 150, als »(transzendente) Gedanken« 151 klassifiziert worden waren, weil ihnen keine theoretisch erkennbaren Objekte entsprechen: »nämlich Freiheit, Unsterblichkeit, und Gott« 152. Dadurch, dass das Sittengesetz, sobald die Zwecksetzung moralischen Handelns in den Blick genommen wird, die Möglichkeit eines höchsten Guts verlangt, müssen zugleich die Freiheit der Person, die Unsterblichkeit der Seele sowie die Existenz Gottes postuliert werden, und zwar aus folgenden Gründen: 153 1.) Ohne die Freiheit der Willensbestimmung wäre eine Befolgung des Sittengesetzes unmöglich; der Mensch wäre ausschließlich durch Neigungen bestimmt und würde sich qualitativ nicht von anderen Naturwesen unterscheiden; das humane Bestimmungsmerkmal der Autonomie würde somit hinfällig. Das Postulat der Freiheit ist daher erforderlich, um die ethische Selbstbestimmung von Personen durch das Sittengesetz überhaupt möglich zu machen. Zugleich KpV, S. 160 (A 214 f.). Siehe etwa ebd., S. 177 (A 131 f.). 149 KdU, S. 362 (Zweite Originalausgabe – im Folgenden als ›B‹ bezeichnet – 400). Siehe auch ebd., S. 370 f. (B 410 ff.) 150 KpV, S. 181 (A 242). 151 Ebd., S. 181 (A 243). 152 Ebd., S. 180 (A 242). Siehe dazu auch F. Ricken: »Die Postulate der reinen praktischen Vernunft«. In: Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft. Hrsg. v. O. Höffe. Berlin 2002, S. 187–202. 153 Vgl. zum Folgenden KpV, S. 178 (A 238 f.). 147 148

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ist der Begriff der Freiheit der einzige ›übersinnliche‹ Begriff, der »seine objektive Realität […] an der Natur durch ihre in derselben mögliche Wirkung beweist« 154 – denn bereits die Tatsache, dass der Mensch seine Willensbestimmung am Faktum des Sittengesetzes ausrichten soll, beweist, dass Freiheit möglich ist; dass er es in moralischen Handlungen auch kann, beweist, dass Freiheit wirklich ist. Freiheit ist daher für Kant gleichsam das Sprungbrett zur Transzendenz, weil dieser Begriff sowohl die Ideen Gottes und der Unsterblichkeit mit der Idee der Natur kompatibel macht als auch alle drei übersinnlichen Begriffe »zu einer Religion« verbindet. 155 2.) Das Ideal eines vollkommen guten, am kategorischen Imperativ ausgerichteten Lebenswandels ist unter empirischen Bedingungen eben so wenig zu erreichen wie ein dauerhaft ungetrübter Glückszustand. Deswegen ist ein Zustand zu postulieren, in dem die ethische Qualifizierung zur Glückseligkeit ohne jegliche raumzeitliche Einschränkungen gewährleistet werden kann: die Unsterblichkeit der Seele. 156 3.) Nur ein allwissender, allmächtiger und allgütiger Weltschöpfer ist dazu in der Lage, Glückswürdigkeit und Glückseligkeit für jedes moralische Vernunftwesen so zu proportionieren, dass die Prinzipien der Gerechtigkeit und der Liebe vollgültig wirksam werden. Allwissenheit ist als göttliches Attribut erforderlich, damit das höchste Wesen die wahren Triebfedern sämtlicher moralisch qualifizierbarer Handlungen, die selbst den handelnden Subjekten oftmals verborgen sind, zu kennen und zu beurteilen vermöge. 157 Aus dem göttlichen Attribut der Allmacht ergibt sich die Kompetenz des Weltenrichters, die moralische Gesinnung mit gerechten Konsequenzen zu verbinden, die in der empirischen, d. h. der physikalischen und sozialen Welt allzu oft ausbleiben, sodass es den Guten (resp. moralisch richtig wollenden und handelnden Menschen) schlecht und den Schlechten (resp. moralisch falsch wollenden und handelnden Menschen) gut geht. Als allgütig kann Gott deswegen charakterisiert werden, weil wir voraussetzen dürfen, dass das höchste Wesen die Realisierung des höchsten Guts will. 158

154 155 156 157 158

KdU, S. 414 (B 467). Ebd. – Vgl. entsprechend auch KpV, S. 3 f. (A 4 f.). Siehe KpV, S. 164 ff. (A 219 ff.). Vgl. Vorlesung zur Moralphilosophie, op. cit., S. 118 f. Vgl. dazu KdU, S. 372 f. (B 413 f.).

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Aus diesen Gründen ist als dritte Bedingung der Möglichkeit des höchsten Gutes die Existenz Gottes zu postulieren, der als oberstes »Prinzip des höchsten Guts in einer intelligiblen Welt, durch gewalthabende moralische Gesetzgebung in derselben« 159 nunmehr eine gegenüber dem transzendentalen Ideal erweiterte Bedeutung erhält. Ausschließlich über das Postulat Gottes, d. h. eines Wesens, das als »oberste Ursache der Natur« zugleich eine »der moralischen Gesinnung gemäße Kausalität« 160 impliziert, kann der Begriff eines Endzwecks aller Dinge fundiert werden, in dem die »Zweckmäßigkeit aus Freiheit mit der Zweckmäßigkeit der Natur« 161 harmonisch verbunden sind. Stellt diese Verbindung das höchste abgeleitete Gut dar, nämlich die beste mögliche Welt, so bedeutet die Bedingung ihrer Möglichkeit das höchste ursprüngliche Gut, die Existenz Gottes. 162 Die praktisch motivierte Postulierung dieser drei metaphysischen Grundbegriffe bleibt indes auch für die theoretische Vernunft nicht ohne Konsequenzen, da diese nunmehr dazu berechtigt ist, diesen Begriffen Objekte zuzuschreiben – wozu sie ohne Hinzuziehung der praktischen Vernunft keine Veranlassung hatte, da sie beim Versuch der theoretischen Auflösung jener Begriffe unausweichlich in Paralogismen (im Falle des Begriffs der Unsterblichkeit), in Antinomien (im Falle des Begriffs der Freiheit) oder aber in begriffliche Unbestimmtheit (im Falle des transzendentalen Ideals) geriet. 163 Die Postulate der praktischen Vernunft, deren sich nunmehr auch die spekulative Vernunft bedienen darf, beziehen sich jedoch nicht auf reale Gegenstände, denen eine theoretisch verwertbare Anschauung entspräche, sondern auf Objekte, die gleichsam deswegen als seiend gesetzt werden müssen, weil ansonsten der universelle Sollensanspruch des Sittengesetzes ohne einen einsehbaren Zweck bliebe. Der kategorische Imperativ würde zwar auch dann noch unhintergehbar fordern, die je eigenen Maximen dem Universalisierungtest zu unterziehen; aber es wäre im Hinblick auf die generelle Zwecksetzung moralischen Handelns nicht einsehbar, zu welchem Zweck man dies überhaupt tun sollte, wenn die Vernunft nicht die Idee eines höchsten Guts annehmen dürfte. 164 Diese Annahme jedoch kann sie 159 160 161 162 163 164

KpV, S. 179 (A 240). Ebd., S. 168. (A 225). ›Religionsschrift‹, S. 651. Siehe auch ebd., S. 655. KpV, S. 168 f. (A 226). Siehe ebd., S. 179 (A 240). Vgl. ebd., S. 191 f. (A 257 f.); sowie KdU, S. 383 f. (B 427 f.): Kant schildert hier in

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– wie gezeigt – nur unter der zugleich immanenten wie konstitutiven 165 Voraussetzung der metaphysischen Begriffe Freiheit, Unsterblichkeit und Gott machen. Synthetische Aussagen, die zu sachhaltigen Erkenntnissen hinsichtlich dieser Begriffe führen könnten, sind gleichwohl nach wie vor ausgeschlossen. 166 Stattdessen wird der transzendentalen Theologie die wichtige Aufgabe zugewiesen, all diejenigen vermeintlichen metaphysischen Erfahrungen und Empfindungen zu kritisieren, die einen direkten Anschauungsbezug zur Idee Gottes suggerieren und dabei letztlich doch nur vom moralischen Endzweck ablenken. 167 Der ›Anthropomorphismus‹ als Quelle des Aberglaubens soll dadurch ebenso verhindert werden wie der ›Fanatismus‹, der sich auf »übersinnliche Anschauung oder dergleichen Gefühle« 168 stützt. Einer Theologie, die als »Zauberlaterne von Hirngespenstern« 169 fungiert, wird damit eine klare und eindeutige Absage erteilt. Nachdem die Vernunftkritik die Wege des ontologischen, des kosmologischen sowie des physikotheologischen Gottesbeweises für ungangbar befunden und einer transzendentalen Theologie eine ausschließlich kritische, falsche Ansprüche zurückweisende Funktion zugeweisen hat, bleibt nunmehr als die einzige Möglichkeit, religiös-

einer Art Gedankenexperiment einen Menschen, der das moralische Gesetz zu befolgen sucht, zugleich aber überzeugter Atheist ist. Mit eindringlichen Worten beschreibt Kant die vollkommene Zwecklosigkeit eines moralischen Handelns, das permanent mitansehen muss, wie alles als wertvoll gesetzte Seiende von der moralisch indifferenten Natur »in den Schlund des zwecklosen Chaos der Materie« (ebd., S. 384/B 428) zurückgeworfen wird. Kant zufolge kann diese hypothetische Sinnlosigkeit nur durch die Annahme des Daseins »eines moralischen Welturhebers, d. i. Gottes« (ebd., S. 384/B 429) überwunden werden. 165 Siehe KpV, S. 182 (A 244). 166 Vgl. ebd., S. 181 ff. (A 242 ff.) 167 Vgl. KrV, A 639 ff./B 667 ff., insbesondere A641/B 669: »Das höchste Wesen bleibt also für den bloß spekulativen Gebrauch der Vernunft ein bloßes, aber doch fehlerfreies Ideal, ein Begriff, welcher die ganze menschliche Erkenntnis schließt und krönt, dessen objektive Realität auf diesem Wege zwar nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden kann, und, wenn es eine Moraltheologie geben sollte, die diesen Mangel ergänzen kann, so beweist alsdann die vorher nur problematische transzendentale Theologie ihre Unentbehrlichkeit, durch Bestimmung ihres Begriffs und unaufhörliche Zensur einer durch Sinnlichkeit oft genug getäuschten und mit ihren eigenen Ideen nicht immer einstimmigen Vernunft.« 168 KpV, S. 182 (A 244 f.); vgl. entsprechend KdU, § 89, S. 393 (B 440): Die anthropomorphistische Vorstellung Gottes wird hier als »Dämonologie« tituliert. 169 Ebd., S. 189 (A 254).

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metaphysisches Gedankengut innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft ›positiv‹ zu rehabilitieren, nur die Ethikotheologie, die sich auf einen moralischen Gottesbeweis stützt. 170 Dieser erfolgt im Kern anhand einer Analyse der notwendigen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit der Endzweck einer Welt, in der moralische Wesen nach Maßgabe ihrer Glückswürdigkeit auch als glücklich gedacht werden können, möglich ist. Unsere reflektierende Urteilskraft muss dabei aus Gründen der internen Kohärenz zu dem Ergebnis gelangen, dass die Möglichkeit des Endzwecks moralischen Handelns »ohne einen Welturheber und Regierer, der zugleich moralischer Gesetzgeber ist« 171, unbegreiflich bleiben muss. Durch diesen Argumentationsgang kann zwar die Existenz eines höchsten, allerrealsten, absolut notwendigen Wesens ebenso wenig mit apodiktischer Gewissheit theoretisch-objektiv bewiesen werden wie durch die anderen von Kant kritisierten Gottesbeweisversuche. Das moralische Argument kann jedoch dem moralisch interessierten Menschen, der seine Willensbestimmung an der reinen praktischen Vernunft ausrichtet, nachweisen, dass er dies subjektiv nur unter der Voraussetzung der Annahme eines moralischen Weltregierers tun kann, wenn moralisches Handeln nicht gänzlich sinn- und zwecklos sein soll. 172 Schematisch dargestellt, lässt sich Kants Argument wie folgt rekonstruieren: P1: Der Endzweck moralischen Wollens und Handelns besteht in der Realisierung des höchsten Guts, d. h. der Übereinstimmung von Glückswürdigkeit und Glückseligkeit. P2: Nur unter der Voraussetzung, dass es einen moralischen Welturheber gibt (= Gott), ist das höchste Gut möglich. K: Nur unter der Voraussetzung der Existenz Gottes gibt es einen Endzweck moralischen Wollens und Handelns.

Da wir moralisch handeln sollen, weil uns dies die reine praktische Vernunft im kategorischen Imperativ unhintergehbar befiehlt, müssen wir auch annehmen, dass es Gott gibt, weil das moralische Wollen und Handeln ohne diese Annahme keinen Endzweck hätte. Insofern ist die Annahme des Daseins Gottes zwar nicht als Voraussetzung für 170 Siehe dazu P. Byrne: »Kant’s Moral Proof of the Existence of God«. In: Scottish Journal of Theology, 3 (1979), S. 333–343. 171 KdU, S. 388 (B 434). 172 Vgl. dazu KdU, S. 381 (B 424 f.), Anm 1.

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moralisches Handeln selbst, wohl aber als Voraussetzung für den Endzweck, auf den alles moralische Handeln abzielt, notwendig. 173 Aus dieser Argumentation lässt sich, wie Kant ausdrücklich betont, nicht die Möglichkeit einer theologischen Ethik aus reiner Vernunft ableiten, 174 weil die Geltung rational einsehbarer moralischer Gesetze nur aus dem Vernunftvermögen selbst, nicht aber aus einem diesem vorgeordneten göttlichen Willen abgeleitet werden kann. Gerade die Unfähigkeit der spekulativen Vernunft, Gott mit eigenen Mitteln theoretisch zu erkennen, bedingt die Autonomie der praktischen Vernunft: Denn wäre für die Begründung moralischer Prinzipien der Rückgriff auf die Idee Gottes bzw. auf theologische ›Erkenntnisse‹ erforderlich, so wäre der gesamte Bereich der Moral mit den konstitutiven Unzulänglichkeiten der menschlichen Gotteserkenntnis behaftet. 175 Und umgekehrt gilt, dass gerade im Falle einer vollkommenen Erkennbarkeit der Wirklichkeit Gottes die Autonomie der freien Willensbestimmung gemäß dem moralischen Gesetz gefährdet wäre: Menschen würden dann nämlich primär aus Furcht vor der mit Sicherheit zu erwartenden Bestrafung Gottes und nicht aus freier moralischer Gesinnung bzw. aus Pflichtbewusstsein heraus handeln. 176 173 Siehe dazu M. Hofer/C. Meiller/H. Schelkshorn/K. Appel (Hrsg.): Der Endzweck der Schöpfung. Zu den Schlussparagraphen (§§ 84–91) in Kants Kritik der Urteilskraft. Freiburg/München 2013. – Auf eine weitere Funktion der Gottesidee, nämlich die Einheit der Moralität gegenüber einem moralischen Pluralismus zu sichern, weist H. T. Engelhardt hin: »Kant, Hegel, and Habermas: Reflections on ›Glauben und Wissen‹.« In: The Review of Metaphysics, 63 (2010), S. 871–903, hier S. 882 f. 174 KdU, S. 429 (B 482). Siehe auch ebd., S. 387 f. (B433 f.). 175 KdU, S. 394 (B 441 f.): »Was aber Religion betrifft, d. i. die Moral in Beziehung auf Gott als Gesetzgeber, so muß, wenn die theoretische Erkenntnis desselben vorhergehen müßte, die Moral sich nach der Theologie richten, und nicht allein statt einer inneren notwendigen Gesetzgebung der Vernunft eine äußere willkürliche eines obersten Wesens eingeführt werden, sondern auch in dieser alles, was unsere Einsicht in die Natur desselben Mangelhaftes hat, sich auf die sittliche Vorschrift erstrecken, und so die Religion unmoralisch machen und verkehren.« 176 Siehe KpV, S. 197 f. (A 264 f.); siehe auch entsprechend KdU, S. 424 (B 477 f.): »Denn wenn wir Allgewalt, Allwissenheit usw. eines Welturhebers als anderwärts her uns gegebene Begriffe voraussetzen müßten, um nachher unsere Begriffe von Pflichten auf unser Verhältnis zu ihm anzuwenden, so müßten diese sehr stark den Anstrich von Zwang und abgenötigter Unterwerfung bei sich führen; statt dessen, wenn die Hochachtung für das sittliche Gesetz uns ganz frei, laut Vorschrift unserer eigenen Vernunft, den Endzweck unserer Bestimmung vorstellt, wir eine damit und zu dessen Ausführung zusammenstimmende Ursache mit der wahrhaftesten Ehrfurcht, die gänzlich von pathologischer Furcht unterschieden ist, in unsere moralischen Absichten mit aufnehmen und uns derselben willig unterwerfen.«

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Um die Autonomie der freien Willensbestimmung zu begründen, müssen Kant zufolge die Prinzipien der Moralphilosophie zunächst vollständig aus reiner Vernunft entwickelt werden; und erst durch die Hinzuziehung der weiteren Frage nach der Endabsicht moralischen Handelns kommt die Idee Gottes als Postulat, das die Bedingung der Möglichkeit des höchsten Guts garantiert, erneut ins Spiel. 177 Folglich lässt sich eine rationale Theologie im Sinne Kants nicht aus dem doktrinalen, sondern nur aus dem moralischen Glauben heraus entwickeln. 178 ›Gott‹ wird dadurch nicht zu einem Gegenstand des theoretischen Wissens, sondern des begründeten Hoffens: »Nur denn [sic], wenn Religion dazu kommt, tritt auch die Hoffnung ein, der Glückseligkeit dereinst in dem Maße teilhaftig zu werden, als wir darauf bedacht gewesen, ihrer nicht unwürdig zu sein.« 179 Bei der vermeintlichen Existenzaussage ›Es ist ein Gott‹, die aus der Postulatenlehre und aus dem moralischen bzw. ethikotheologischen Gottesbeweis folgt, handelt es sich, so Kant, in Wahrheit um einen synthetischen Satz a priori: Als synthetisch ist er zu qualifizieren, weil der Begriff Gottes nicht analytisch aus dem Begriff der moralischen Pflicht ableitbar ist, sondern diesen bezogen auf den finalen Zweck der Pflichterfüllung erweitert. Und um einen apriorischen Satz handelt es sich deswegen, weil alle anderen, auf das je eigene Glück bezogenen subjektiven Zwecke in empirischen praktischen Sätzen ausgedrückt werden können, während das höchste Gut ein von der Vernunft selbst aufgegebener, nicht-empirischer Begriff ist. 180 Kant zufolge lassen sich die Idee eines höchsten Guts sowie der aus ihr folgende moralische Gottesbeweis deswegen auch in allen Kulturen der Menschheit – zumindest implizit – feststellen. 181 177 Vgl. dazu KdU, S. 380 (B 423): »Das moralische Gesetz, als formale Vernunftbedingung des Gebrauchs unserer Freiheit, verbindet uns für sich allein, ohne von irgend einem Zwecke als materialer Bedingung abzuhangen; aber es bestimmt uns doch auch, und zwar a priori, einen Endzweck, welchem nachzustreben es uns verbindlich macht, und dieser ist das höchste durch Freiheit mögliche Gut in der Welt.« 178 In diesem Kontext ist auch die berühmte Passsage aus der ›Religionsschrift‹ (S. 652) zu verstehen, derzufolge die Moral »unumgänglich zur Religion [führt], wodurch sie sich zur Idee eines machthabenden moralischen Gesetzgebers außer dem Menschen erweitert, in dessen Wille dasjenige Endzweck (der Weltschöpfung) ist, was zugleich der Endzweck des Menschen sein kann und soll.« 179 KpV, S. 175 (A 234). 180 ›Religionsschrift‹, S. 654. 181 Siehe KdU, Anm. zu § 88, S. 391 ff. (B 438 f.): Bereits das Urteil, dass es ungerecht sei, wenn der Tugendhafte zu Lebzeiten unglücklich bleibe, der Verbrecher aber

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Ein weiteres Indiz für die Stichhaltigkeit des moralischen Gottesbeweises sieht Kant darin, dass es unter denjenigen Eigenschaften, die dem göttlichen Wesen üblicherweise zugeschrieben werden, drei gibt, die keine ins Unendliche gesteigerte Vergrößerung von Eigenschaften darstellen, die man auch bei Geschöpfen wie dem Menschen antrifft: Wird Gott nämlich als »der allein Heilige, der allein Selige, der allein Weise« 182 bestimmt, so werden moralische Kategorien in Anschlag gebracht, die keine bloß quantitativen Steigerungen menschlicher Eigenschaften bedeuten, wie es etwa bei den göttlichen Attributen der Allmacht oder Allwissenheit der Fall ist. Vielmehr verweisen die genannten Qualitäten auf absolute qualitative Zustände des Göttlichen, aus denen sich auch die dreifache Rollenzuschreibung Gottes als »der heilige Gesetzgeber (und Schöpfer), der gütige Regierer (und Erhalter) und der gerechte Richter« 183 ableiten lässt: »Drei Eigenschaften, die alles in sich enthalten, wodurch Gott der Gegenstand der Religion wird, und denen angemessen die metaphysischen Vollkommenheiten sich von selbst in der Vernunft hinzu fügen.« 184 Diese bedeutsame Stellungnahme Kants aus der Kritik der praktischen Vernunft deckt sich insofern mit der Gottesbeweiskritik aus der Kritik der reinen Vernunft, als hier wie dort jener Ansatz zur Bestimmung Gottes, der von dessen absoluter Größe ausgeht, verworfen wird: Weder lässt sich von der theoretischen Annahme eines absolut großen Wesens auf die Existenz eines solchen Wesens schließen, wie es der ontologische Gottesbeweis wollte, noch kann eine solche Annahme den Projektionsverdacht abwehren, dass im Begriff Gottes nur ins übermenschlich Große gesteigert werde, was sich beglücklich werde, zieht, so Kant, zwangsläufig die Vorstellung eines moralischen Welturhebers nach sich: »Über die innere Beschaffenheit jener Weltursache konnten sie [die Menschen; M. W.] nun manchen Unsinn ausbrüten; jenes moralische Verhältnis in der Weltregierung blieb immer dasselbe, welches für die unangebauteste Vernunft, sofern sie sich als praktisch betrachtet, allgemein faßlich ist, mit welcher hingegen die spekulative bei weitem nicht gleichen Schritt halten kann.« 182 KpV, S. 176, Anm. 1 (A 237). 183 Ebd. – Vgl. entsprechend ›Religionsschrift‹, S. 806 f. (B 210 ff.); sowie Vorlesung zur Moralphilosophie, op. cit., S. 117: »Dieses sind die moralischen Eigenschafften Gottes, die natürlichen Eigenschafften Gottes sind nur in so fern nöthig, als sie den moralischen Eigenschafften eine grössere Vollkommenheit geben und nur in so fern die Religion einen grössern Effect geben könne. Also unter der Bedingung der Allwissenheit, der Allmacht, der Allgegenwart und der Einigkeit des obersten Wesens finden die moralischen Eigenschafften statt.« 184 KpV, S. 176 (A 237).

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reits im Menschen – nur in quantitativ geringerem Ausmaß – an positiven Eigenschaften antreffen lässt. Versucht man, von der anthropomorphistischen Komponente jedes einzelnen göttlichen Attributs zu abstrahieren, so bleibt nach Kant stets »nur das bloße Wort übrig« 185. Bei der moralischen Idee Gottes, die der praktischen Vernunft entstammt, verhält es sich jedoch anders: Hier werden mit einer subjektiven Notwendigkeit, die sich auf die Erreichung eines objektiven Zwecks – das höchste Gut – bezieht, diejenigen göttlichen Eigenschaften angenommen, die erforderlich sind, um das moralische Gesetz sowie die Idee des höchsten Guten denkmöglich zu machen. Die der praktischen Vernunft entstammende Idee eines Gottes, der die drei in der Menschenwelt möglichst getrennten Gewalten der Gesetzgebung, Regierung und Rechtsprechung in einer absoluten Weise in sich vereinigt, geht daher nicht von der – quantitativen – Größe eines höchsten Wesens aus, sondern ausschließlich von dessen moralischer Qualität. 186 Der Begriff des Urwesens, der von der theoretischen Vernunft nicht genauer bestimmt werden kann, wird dadurch in einer Weise präzisiert, die seine Identifikation mit dem in der Religion verehrten Gott allererst erlaubt. 187 Die praktische Philosophie Kants endet damit letztlich ebenso wenig wie die theoretische mit der formalen Autonomie reiner Vernunft, deren Begründung sie freilich selbst geliefert hat. Stattdessen wird sowohl beim Ideal der reinen (theoretischen) Vernunft als auch bei der (praktischen) Idee des höchsten Guten die Angewiesenheit der Vernunft auf Begriffe und Ideen deutlich, die sie einerseits in Anspruch nehmen muss, um ihre eigene innere Kohärenz zu gewährleisten, die sie andererseits aber nicht mit dem Ziel theoretischer Erkenntnisgewinnung in Gebrauch nehmen darf. Die kantische Vernunftkritik mündet so auf unterschiedlichen argumentativen Wegen

Ebd., S. 185 (A 249). Vgl. ebd., S. 185 f. (A 249): »In Ansehung des Praktischen aber bleibt uns von den Eigenschaften eines Verstandes und Willens doch noch der Begriff eines Verhältnisses übrig, welchem das praktische Gesetz (das gerade dieses Verhältnis des Verstandes zum Willen a priori bestimmt) objektive Realität verschafft. Ist dieses nun einmal geschehen, so wird dem Begriffe des Objekts eines moralisch bestimmten Willens (dem des höchsten Guts) und mit ihm den Bedingungen seiner Möglichkeit, den Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, auch Realität, aber immer nur in Beziehung auf die Ausübung des moralischen Gesetzes (zu keinem spekulativen Behuf) gegeben.« 187 Vgl. dazu ebd., S. 186 ff. (A 249 ff.); sowie KdU, S. 423 (B 476 f.). 185 186

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in dasselbe Ziel: 188 nämlich in eine philosophische Begründung des religiösen Motivs, welche die verzichtbaren von den unverzichtbaren Bestandteilen der Religion – oder, anders ausgedrückt: die sekundären von den primären Religionseigenschaften – auf der Basis rationaler Kriterien trennt. Das regulative Prinzip des transzendentalen Ideals, dessen die theoretische Vernunft bedarf, um die durchgängige Bestimmung von Gegenständen in der Welt und damit Welt überhaupt als Totalität sämtlicher Erscheinungen denkbar zu machen; das Postulat Gottes als Bedingung der Möglichkeit, der praktischen Vernunft in der Idee des höchsten Guts einen Endzweck zu geben; schließlich die aus dem moralischen Gottesbeweis folgende Ethikotheologie, zu der die Kritik der Urteilskraft gelangt – all diese hinsichtlich ihrer Begründungsfunktion wohlunterschiedenen, aber gleichwohl systematisch verknüpften Aspektierungen von Religion im Sinne des Gottesglaubens zeigen deutlich, dass Kant keinesfalls ausschließlich als Destrukteur der vormaligen natürlichen Theologie zu betrachten ist, sondern dass er vielmehr die aus seiner Sicht essentiellen Elemente der Religion aus den unterschiedlichen Facetten menschlicher Weltzugänge heraus in einer neuen, am Begriff der menschlichen Freiheit orientierten Weise begründet hat. 189

188 Dass es sich um ein einziges Ziel bzw. Ergebnis handelt, wird auch durch die Feststellung Kants bestätigt, dass es trotz der methodisch notwendigen Trennung in theoretische und praktische Vernunft »doch immer nur eine und dieselbe Vernunft [ist], die, sei es in theoretischer oder praktischer Absicht, nach Prinzipien a priori urteilt« (KpV, S. 163, A 218). 189 Bereits K. L. Reinhold stellte in seinen 1790 veröffentlichten Briefen über die Kantische Philosophie (in: Ders.: Gesammelte Schriften. Kommentierte Ausgabe. Bd. 2/1. Hrsg. v. M. Bondeli. Basel 2007) diesen Aspekt der philosophischen Neubegründung von Religion und Metaphysik eindringlich heraus. Vgl. ebd., Erster Band, Sechster Brief (»Der Kantische Vernunftglauben verglichen mit dem metaphysischen und hyperphysischen Ueberzeugunsgrunde«), S. 112 f.: »Man würde die Kritik der Vernunft sehr mißverstehen, wenn man im Ernste glaubte, sie zermalme alles, sie reiße ohne Unterschied ein, was unsre großen Denker bisher gehaubt haben, und erkläre unsre bisherige Metaphysik ohne Einschränkung für unbrauchbar. Sie thut gerade das Gegentheil. Indem sie dieser Wissenschaft das von ihr so schlecht behauptete Vermögen, das Daseyn Gottes zu demonstriren, abspricht, weiset sie derselben die große Bestimmung an, den moralischen Glauben von den groben und feinen Irrthümern, die ihn bisher verdunkelt haben, zu reinigen, und vor der Ausartung in Aberglauben und Unglauben auf immer zu verwahren […].«

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2.2

Reiner Vernunftglaube und ethisches Gemeinwesen

Die im vorigen Unterkapitel aufgezeigte dreifache Rehabilitierung metaphysisch-theologischen Gedankenguts innerhalb der kritischen Philosophie (durch das Ideal der theoretischen Vernunft bezogen auf die Kritik der reinen Vernunft, durch die Postulate der metaphysischen Ideen bezogen auf die Kritik der praktischen Vernunft und durch die Ethikotheologie bezogen auf die Kritik der Urteilskraft) demonstriert den philosophieimmanenten Stellenwert von metaphysischen Gehalten, die zugleich Kernbestandteile monotheistischer Religiosität sind. Zwischen der rationalen Begründung solcher Gehalte innerhalb eines philosophischen Systems und der gelebten Religiosität kulturell verankerter Glaubensformen klafft jedoch offensichtlich eine Lücke, die Kant in zwei Schritten überbrücken möchte: zum einen durch die Herausarbeitung des transkulturellen, universell gültigen Kerns aller faktisch existierenden Religionen (2.2), zum anderen durch einen Vergleich dieses rationalen Kerns mit der historisch entwickelten Glaubensform des Christentums (2.3). Es ist bereits deutlich geworden, dass die ›natürliche‹ Religion, die für alle Menschen in sämtlichen Epochen und Kulturen auf die Frage ›Was darf ich hoffen?‹ antwortet, für Kant nur aus der praktischen Vernunft heraus entwickelt werden kann. 190 Eine spezifische historisch-kulturelle Religionsform, die den Anspruch erhebt, für die allen Menschen gemeinsame Vernunft zugänglich zu sein, muss daher einen moralischen Kern implizieren, der auch auf die anderen Komponenten des religiösen Systems (wie etwa Rituale und kultische Verrichtungen – also auf die religiösen Sekundäreigenschaften im Sinne Kants) ausstrahlt. Fehlt einer bestimmten Religion dieses für die praktische Vernunft anschlussfähige Moment, so handelt es sich aus kantischer Sicht um bloßen Aberglauben oder aber um ein rein statutarische Gesetzesreligion, die auf die moralische Gesinnung des Menschen keine Rücksicht nimmt, sondern nur äußere Handlungen sanktioniert. Für Kant ist die Berücksichtigung der moralischen Gesinnung innerhalb einer Religion sogar noch wichtiger als eine monotheistische Gottesidee. So könne, wie Kant im Dritten Stück der Religionsschrift ausführt, eine polytheistische Religion einer mo-

190

Vgl. dazu auch I. Kant: Der Streit der Fakultäten, S. 9 f. (A XVIIIf.)

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notheistischen grundsätzlich überlegen sein, sofern jene den Hauptakzent auf die reine Moralität lege. 191 Das Wesentliche einer Religion liegt für Kant somit in demjenigen, wozu die praktische Vernunft aus eigener Anstrengung, ohne Zuhilfenahme einer historischen Offenbarung, gelangen kann: nämlich in der Allgemeinheit, Einheit und Notwendigkeit eines reinen moralischen Vernunftglaubens, 192 der sich – wie gezeigt – auf die Idee des höchsten Guts und ihre Ermöglichung durch einen heiligen, gütigen und gerechten Weltschöpfer bezieht. Moralität als die innere Einstellung zum Guten wird damit selbst zur wahren Religion. 193 Alle religiösen Lehren, die darüber hinausgehen und beispielsweise Wissen über bestimmte religiös relevante Geschehnisse wie z. B. Wunderheilungen transportieren – ein Wissen, das innerhalb einer Religion ›geglaubt‹ werden soll, jedoch so, dass das Geglaubte als Gewusstes geglaubt und als Geglaubtes gewusst wird –, alle so beschaffenen religiösen Lehren haben letztlich eine kompensatorische Funktion, indem sie ein metaphysisches Bedürfnis der theoretischen Vernunft befriedigen, die sich mit der Ungewissheit des bloßen Hoffens – bei gleichzeitiger unbedingter Verpflichtung zum Wollen des Guten – 191 Siehe ›Religionsschrift‹, S. 792 (B 190): »Denn ein Gott, der bloß die Befolgung solcher Gebote will, dazu gar keine gebesserte moralische Gesinnung erfordert wird, ist doch eigentlich nicht dasjenige moralische Wesen, dessen Begriff wir zu einer Religion nötig haben. Diese würde noch eher bei einem Glauben an viele solche mächtige unsichtbare Wesen statt finden, wenn ein Volk sich diese etwa so dächte, daß sie, bei der Verschiedenheit ihrer Departements, doch alle darin übereinkämen, daß sie ihres Wohlgefallens nur den würdigten, der mit ganzem Herzen der Tugend anhinge, als wenn der Glaube nur einem einzigen Wesen gewidmet ist, das aber aus einem mechanischen Kultus das Hauptwerk macht.« 192 Vgl. KpV, S. 196 (A 263). – Siehe dazu auch F. C. Beiser: »Moral faith and the highest good«. In: The Cambridge Companion to Kant and Modern Philosophy. Hrsg. v. P. Guyer. Cambridge 2006, S. 588–629. 193 Vgl. I. Kant: Der Streit der Fakultäten, S. 38 (A 45): »Religion unterscheidet sich nicht der Materie, d. i. dem Objekte nach in irgend einem Stücke von der Moral, denn sie geht auf Pflichten überhaupt, sondern ihr Unterschied von dieser ist bloß formal, d. i. eine Gesetzgebung der Vernunft, um der Moral durch die aus dieser selbst erzeugten Idee von Gott auf den menschlichen Willen zu Erfüllung aller seiner Pflichten Einfluß zu geben. Darum ist sie aber auch nur eine einzige, und es gibt nicht verschiedene Religionen, aber wohl verschiedene Glaubensarten an göttliche Offenbarung und deren statutarische Lehren, die nicht aus der Vernunft entspringen können, d. i. verschiedene Formen der sinnlichen Vorstellungsart des göttlichen Willens, um ihm Einfluß auf die Gemüter zu verschaffen, unter denen das Christentum, so viel wir wissen, die schicklichste Form ist.« Siehe zu Kants Auffassung von der Superiorität des Christentums gegenüber allen anderen Religionen auch das folgende Kap. II.2.3.

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nicht abzufinden vermag. Verstärkt diese theoretische Kompensation den moralischen Impetus, so befindet sich die Offenbarungsreligion mit all ihren sekundären Komponenten zumindest im Einklang mit den Forderungen der natürlichen Religion. Schwächt das vermeinte religiöse ›Wissen‹ (z. B. über die richtige, gottgefällige Praktizierung bestimmter Riten oder über in heiligen Texten tradierte religiöse Geschehnisse) hingegen die Bereitschaft zu moralisch gutem Wollen und Handeln oder ist es gar von diesem vollkommen abgelöst, so ist die Offenbarungsreligion, die derartiges ›Wissen‹ bzw. ›Glauben‹ produziert und transportiert, aus Vernunftgründen abzulehnen. So bestreitet die kantische Religionsphilosophie zwar nicht die prinzipielle Möglichkeit göttlicher Offenbarungen und wendet sich damit gegen eine streng naturalistische Position. 194 Aber im Streit zwischen einem ›reinen Rationalisten‹, der den Offenbarungsglauben nicht als notwendigen Bestandteil einer allgemeinen, transkulturell verbindlichen Religion betrachtet, und einem ›Supernaturalisten‹, der religiöse Offenbarungen als unabdingbar erachtet, würde sich Kant sicherlich der Position des reinen Rationalisten anschließen. 195 Die positive, aus der reinen praktischen Vernunft entwickelte Idee der ›natürlichen‹ Vernunftreligion bestimmt diese – gemäß einer Formulierung, die sich inhaltlich übereinstimmend in der Kritik der praktischen Vernunft, der Kritik der Urteilskraft, in der Religionsschrift sowie im Streit der Fakultäten findet – als die »Erkenntnis unserer Pflichten als göttlicher Gebote« 196. Diese Bestimmung, die kein theoretisches Wissen bezüglich der Existenz Gottes, sondern nur deren hypothetische Annahme sowie einen ›freien assertorischen Glauben‹ voraussetzt, 197 ist für Kant keinesfalls umkehrbar: Die vom religiösen Standpunkt aus durchaus nahe liegende Definition ›Religion ist die Erkenntnis der göttlichen Gebote als unserer Pflichten‹ wäre aus kantischer Perspektive deswegen falsch, weil in dieser Formulierung das moralisch Gebotene nicht aus der Autonomie unserer Vernunft heraus erkannt würde, sondern auf der Basis von historischen Offenbarungen oder privaten Erleuchtungsszenarien, welche den Inhalt der göttlichen Gebote kund gäben. Was unsere Pflichten Siehe dazu ›Religionsschrift‹, S. 822 f. (B 231 f.). Vgl. ebd., S. 823 (B 232). 196 KpV, S. 174 (A 233); KdU, S. 423 f. (B 477); ›Religionsschrift‹, S. 821 f. (B 229 f.); Der Streit der Fakultäten, S. 38 (A 44 f.). Vgl. ebenfalls Metaphysik der Sitten, op. cit., S. 628; sowie Kants Vorlesung zur Moralphilosophie, op. cit., S. 115. 197 Vgl. ›Religionsschrift‹, B 229 f. (Anm.) 194 195

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wären, hinge in diesem Fall von singulären Erlebnissen oder kanonisierten Überlieferungen (etwa heiligen Schriften) ab. Heteronomie der Willensbestimmung wäre die zwangsläufige Folge einer derartigen Unterordnung unter religiös vorgeschriebene Gesetze. 198 Damit würde zugleich der gesamte Argumentationsgang hinfällig, der von der Autonomie des durch praktische Vernunft bestimmten Vernunftswesens auf die Notwendigkeit schließt, sich die Idee des höchsten Guten zum erstrebenswertesten Objekt zu machen, und von dort aus weiter auf die notwendige Annahme der metaphysischen Ideen Freiheit, Gott und Unsterblichkeit. Nur wenn Freiheit aus reiner praktischer Vernunft als Grundlage des Religionsbegriffs fungiert, wenn also die Erkenntnis der Pflichten ihrer Interpretation als göttlicher Gebote vorausgeht, ergibt sich eine vernunftkompatible Beziehung von Moral und Religion: »Alle Religion setzt Moral voraus, demnach kann die Moral nicht aus der Religion abgeleitet werden.« 199 Religion besteht folglich für Kant in einer spezifischen Interpretation der ohnehin – aufgrund des kategorischen Imperativs – unhintergehbar bestehenden Pflichten, die wir als vernünftige Lebewesen uns selbst und unseren Mitmenschen gegenüber haben. Die Deutung dieser Pflichten als göttlicher

198 Siehe dazu auch Vorlesung zur Moralphilosophie, op. cit., S. 61. Zum reinen intellektuellen Prinzip der Moral äußert sich Kant in der »Vorlesung über allgemeine praktische Philosophie und Ethik (Nachschrift Kaehler; I: Philosophie practica universalis, Cap. 2: Obligantia) wie folgt: »Dieses reine intellectuelle principium muß aber nicht ein principium externum seyn, so ferne unsre Handlungen ein Verhältniß haben auf ein fremdes Wesen, also beruhet es nicht auf dem göttlichen Willen: es kann nicht heissen, du sollst nicht lügen, weil es verbothen ist.« 199 Ebd., S. 119. – Dieser Vorordnung der Vernunftmoral vor einer religiös begründeten Moral entspricht auch die in der »Ethischen Didaktik« der Metaphysik der Sitten (Zweiter Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, II. Ethische Methodenlehre, 1. Abschnitt) vorgelegte Skizze eines moralischen Katechismus, der ohne Vermengung mit religiösen Inhalten durchzuarbeiten ist: »Von der größten Wichtigkeit aber in der Erziehung ist es, den moralischen Katechism nicht mit dem Religionskatechism vermischt vorzutragen (zu amalgamieren), noch weniger ihn auf den letzteren folgen zu lassen; sondern jederzeit den ersteren, und zwar mit dem größten Fleiße und Ausführlichkeit, zur klärsten Einsicht zu bringen. Denn ohne dieses wird nachher aus der Religion nicht als Heuchelei, sich aus Furcht zu Prinzipien zu bekennen und eine Teilnahme an denselben, die nicht im Herzen sind, zu lügen.« (Metaphysik der Sitten, op cit., S. 625). Siehe dazu auch M. Schwartz: »Erziehung zur Freiheit. Kants Methodenlehren in KpV und TL als Antwort auf die Frage nach der Gründung eines (moralischen) Charakters«. In: Theologie und Philosophie, 88 (2013), S. 26–46.

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Gebote impliziert, dass wir unsere Pflichten so betrachten, als habe ein heiliger, gütiger und gerechter Weltenrichter sie aufgestellt. Denn nur unter dieser Bedingung ist die Möglichkeit der Realität eines höchsten Guts plausibel zu machen. In der Vernunftreligion wird das höchste Wesen daher nicht in der Weise verehrt, dass seine Gesetze gleichsam ›automatisch‹ – nur kraft Autorisierung durch die göttliche Instanz – die Achtung lebendiger Vernunftwesen einfordern würden. ›Gott‹ wird vielmehr zum personifizierten Gesetzgeber des Sittengesetzes, das uns bereits aus der praktischen Vernunft bekannt ist und dem wir schon aus reinen Vernunftgründen Achtung schuldig sind. Die Gültigkeit des Sittengesetzes wird keineswegs erst durch eine göttliche Signatur beglaubigt; sondern es kann umgekehrt nur deswegen mit der Idee des Göttlichen überhaupt in Verbindung gebracht werden, weil es bereits aus eigener Kraft unbedingt gültig ist. Da die Vernunftreligion ausschließlich die Relation unserer Vernunft zur Idee Gottes thematisiert, 200 die sie genau dann annehmen muss, wenn sie nach der letzten Zweckbestimmung moralisch richtigen Handelns fragt, bezieht sie sich auf die formale Grundlage von Religiosität, die sich unabhängig von spezifischen Offenbarungen und kulturell verwurzelten religiösen Praktiken prinzipiell in allen Religionen der Welt wiederfinden lassen muss, sofern es sich nicht um bloßen Aberglauben handelt. Die formale Bestimmung des Religiösen, die unter Religion die Erkenntnis unserer Pflichten als göttlicher Gebote versteht, zeichnet sich folglich durch ihre transkulturelle, universale Gültigkeit aus. Diese Gültigkeit weist sich daran aus, dass der formale Religionsbegriff vollständig aus Vernunftgründen entwickelt werden kann. Aus diesem Grund kann er innerhalb der Systematik der praktischen Philosophie qua reiner Moralphilosophie entwickelt werden, deren Schlussstein er bildet. 201 Gegenüber der in den einzelnen Weltreligionen verkörperten ›gelebten‹ Religiosität hat der formale Religionsbegriff der Vernunft freilich den Nachteil, jene fundamentale Einstellung des religiösen Menschen zum Gegenstand seiner Verehrung nicht adäquat widerspiegeln zu können, die sich in vielen Religionen darin äußert, mateVgl. dazu I. Kant: Metaphysik der Sitten, op. cit., S. 628. Siehe dazu C. Bickmann: »›Harmonie der Zwecke‹. Immanuel Kant über das Ideal einer ›aufgeklärten Religion‹.« In: The Fate of Reason. Contemporary Understanding of Enlightenment. Hrsg. v. H. Feger. Würzburg 2013, S. 95–105. 200 201

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riale Pflichten gegenüber einem ›außer uns existierenden‹, übermenschlichen Wesen zu haben und diese beispielsweise in Riten oder anderen religiösen Vollzügen wie Beten, Gottesdienstbesuchen, barmherzigen Handlungen, Opfern etc. zu erfüllen. Diese gleichsam ›objektive‹ Beziehung religiös agierender Menschen zu den Gegenständen ihrer Religion wird im formal-rationalen Religionsbegriff ebenso ausgeblendet wie die Mannigfaltigkeit der kulturellen Praktiken und Symbole, die aus dieser als objektiv gesetzten Beziehung resultieren. Für Kant können diese vielfältigen kulturellen Formen religiöser Pluralität deswegen nicht mehr innerhalb einer rein rationalen Philosophie zum Thema gemacht werden, weil es sich dabei ausschließlich um empirische Befunde handelt, die sich allenfalls historisch feststellen und klassifizieren, aber nicht im Rahmen einer transzendentalen Analyse auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit hin untersuchen lassen. Eine solche philosophische Analyse kann schließlich nur an solchen Gegenständen vorgenommen werden, die der subjektiv-logischen Struktur unserer Vernunft inhärent sind (wie etwa fundamentalen Wirklichkeitszugängen anhand der empirischen Anschauungsformen Raum und Zeit, grundlegenden logischen Strukturierungen unseres Erkenntnisvermögens durch Kategorien, aber auch dem Verallgemeinerungsgebot unserer Handlungsgrundsätze). Gegenstände wie ein sich offenbarendes höchstes Wesen, das die Erkenntnisfähigkeit der Vernunft – wie Kant es ja ausführlich demonstriert hat – nicht nur aufs Äußerste strapaziert, sondern absolut überschreitet, können hingegen per definitionem nicht innerhalb der Philosophie als reiner Vernunftwissenschaft reflektiert werden. Die formale Annahme Gottes in der ›natürlichen‹ Vernunftreligion ist deswegen auch keine Verpflichtung gegenüber einem in irgendeiner Weise erfahrbaren Gott, sondern gegenüber unserer eigenen Vernunft, deren Motivation moralisch zu handeln durch eben diese Annahme, die auf eine letztendliche Kompatibilität von Glückseligkeit und Glückswürdigkeit hoffen lässt, gestärkt werden soll. 202 Angebliche religiöse Pflichten gegenüber Gott werden hingegen von Kant als »Hofdienste« 203 bezeichnet, die in einer allgemein gültigen Religion der Vernunft keinen Platz haben können. Selbst ein religiö202 Vgl. ebd., S. 628 f. – Siehe dazu auch M. J. Ferreira: »Hope, virtue, and the postulate of God: a reappraisal of Kant’s pure practical rational belief«. In: Religious Studies, 50 (2014), S. 3–26. 203 ›Religionsschrift‹, S. 822 (B 230); Anm.

228 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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ses ›Grundgefühl‹ wie die Ehrfurcht vor Gott kann sich vernünftigerweise nicht auf eine extramundane, personalisierte Instanz beziehen, sondern ausschließlich jenen Respekt bezeichnen, der unsere Einstellung gegenüber unseren Pflichten ohnehin ständig begleiten soll. 204 Was bedeutet es angesichts dieser aufgeklärten Richtiggstellungen des religiösen Gefühls, im Sinne der natürlichen Vernunftreligion an Gott zu glauben? Der Gott der kantischen Vernunftreligion fungiert letztlich als eine von der Vernunft angenommene Garantie dafür, dass sich die Vernunft auf das sinnvolle Funktionieren der Gesetze (des Gesetzes) in den zwar für uns getrennten, aber in der Idee des höchsten Guts vereinten Sphären der Natur und der Freiheit verlassen kann. Die besondere Form des Fürwahrhaltens indes, durch die der moralische Gottesbeweis ein rationales Individuum überzeugen soll, kann durch rein theoretische Beweisgründe nicht erfüllt werden. In § 90 der Kritik der Urteilskraft unterscheidet Kant vier theoretische Aussagenformen, an die sich ein überzeugtes Fürwahrhalten anschließen kann 205 – 1) den logisch-strengen Vernunftschluss, 2) den Analogieschluss, 3) die wahrscheinliche Meinung, 4) die Hypothese – und kommt zu dem Ergebnis, dass keine dieser Formen letztlich die Überzeugungskraft des moralischen Gottesbeweises zu bewirken vermag. Während die Annahme des Daseins Gottes für die theoretische Vernunft nicht einmal die Minimalanforderungen erfüllt, die an eine Hypothese zu stellen sind, 206 so wird sie, sobald das praktische Interesse an der Realisierung des höchsten Guts hinzutritt, »ein Fürwahrhalten in reiner praktischer Absicht, d. i. ein moralischer Glaube« 207, »und zwar reiner Vernunftglaube« 208. Dessen Aufnahme in das Überzeugungsrepertoire eines rationalen Individuums kann zwar nicht befohlen werden, denn: »Ein Glaube, der geboten wird, ist ein Un204 Vgl. ebd. – Siehe entsprechend auch I. Kant: Vorlesung zur Moralphilosophie, op. cit., S. 64: »Wenn wir also das moralische Gesetz aus Furcht für die Strafe und Gewalt Gottes ausüben sollen, das weiter keinen Grund hat, als weil es Gott befohlen, so thun wir es nicht aus Pflicht und Verbindlichkeit, sondern aus Furcht und Schrekken, dadurch wird aber nicht das Herz gebessert.« 205 KdU, S. 399 (B 447). 206 KdU, S. 403 f. (B 452 f.) 207 Ebd., S. 408 (B 459 f.). 208 KpV, S. 169 (A 227). Siehe dazu auch Vorlesung zur Moralphilosophie, S. 118: »Durch den Glauben versteht man hier in der philosophischen Betrachtung nicht das Zutrauen, das man auf eine Offenbarung widmet, sondern der aus dem Gebrauch der Vernunfft entspringt.«

229 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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ding.« 209 Wohl aber soll das Argument des moralischen Gottesbeweises eine so starke Überzeugungskraft für die reflektierende Urteilskraft entfalten, dass das moralisch interessierte Individuum nur zugleich mit der Preisgabe eines einsehbaren Endzwecks jeglichen guten Wollens und Handelns die Existenz Gottes bestreiten kann. Die Unmöglichkeit, sich die Zusammenfügung eines von Naturgesetzen determinierten Weltlaufs mit einer von Freiheitsgesetzen bestimmten ›sittlichen‹ Welt anders vorzustellen als unter der weisen Regentschaft eines moralischen Welturhebers, betrifft zwar zunächst nur die subjektive Beschaffenheit des menschlichen Vernunftvermögens. Aber weil die aufgrund dieser Konstitution nahe liegende Annahme Gottes das objektiv durch das Sittengesetz Gebotene unterstützt, gibt es aus kantischer Sicht starke Gründe dafür, diese Annahme als eine »Maxime des Fürwahrhaltens in moralischer Absicht« 210 in den individuellen Überzeugungshaushalt aufzunehmen. Der reine praktische Vernunftglaube, in dem die von Kant herausgearbeitete natürliche Religion beruht, äußert sich folglich darin, dass ein Subjekt sich die Überzeugung, dass es einen moralischen Welturheber geben müsse, aus freien Stücken, jedoch nicht willkürlich, sondern gestützt auf gute Gründe, die das moralische Wollen und Handeln motivieren, dauerhaft zu eigen macht. 211 Neben dem Dasein Gottes zählen zu den Gegenständen des Vernunftglaubens ferner das höchste Gut sowie die Unsterblichkeit der Seele, nicht jedoch der Begriff der Freiheit, da dieser als einzige reine Vernunftidee einer beweisbaren Tatsache korrespondiert (wobei der Begriff der Tatsache in § 91 der Kritik der Urteilskraft ausdrücklich mehr umfasst als empirische Sachverhalte) 212. Beweisbar ist der Begriff der Freiheit nämlich durch die an das Sittengesetz geknüpfte Kausalität, die zwar ihrerseits nicht theoretisch einsehbar, aber für moralische Vernunftwesen auch nicht bestreitbar ist. KpV, S. 194 (A 260). Ebd., S. 196 (A 263). 211 Vgl. zur Bestimmung des reinen praktischen Vernunftglaubens ebd.: »Dieser ist also nicht geboten, sondern, als freiwillige, zur moralischen (gebotenen) Absicht zuträgliche, überdem noch mit dem theoretischen Bedürfnisse der Vernunft einstimmige Bestimmung unseres Urteils, jene Existenz anzunehmen und dem Vernunftgebrauch ferner zum Grunde zu legen, selbst aus der moralischen Gesinnung entsprungen; [dieser Glaube] kann also öfters selbst bei Wohlgesinnten bisweilen in Schwanken, niemals aber in Unglauben geraten.« 212 Siehe KdU, S. 405 f. (B 456 f.). 209 210

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Während Tatsachen sich auf Objekte beziehen, deren Realität mittels einer korrespondierenden Anschauung bewiesen werden kann, und Gegenstände der Meinung auf Objekte abzielen, deren Erkenntnis zumindest prinzipiell möglich ist (für konkrete Erkenntnissubjekte im gegebenen Fall allerdings unmöglich sein mag), definiert Kant Glaubenssachen als solche »Gegenstände, die in Beziehung auf den pflichtgemäßen Gebrauch der reinen praktischen Vernunft […] a priori gedacht werden müssen, aber für den theoretischen Gebrauch derselben überschwenglich sind« 213. Auf der Grundlage dieser Definition kann die Menge potentieller Objekte des Glaubens deutlicher bestimmt werden: Im strengen Sinne der Definition zählt zu ihnen nämlich nur die Idee des höchsten Guts inklusive der Bedingungen ihrer Möglichkeit, nämlich des Daseins Gottes und der Unsterblichkeit der Seele. Alle anderen Gegenstände, die in einer konkreten Religion als Glaubensartikel auftreten mögen, fallen gemäß der kantischen Einteilung überhaupt nicht unter die Glaubenssachen, sondern es handelt sich bei ihnen um eine besondere Kategorie von Objekten des Fürwahrhaltens, die als ›indirekte Tatsachen‹ bezeichnet werden könnten: insbesondere Zeugnisse von Personen, welche eine bestimmte Erfahrung gemacht haben, die alsdann historisch-kulturell als Offenbarung überliefert wurde. 214 Der Glaube an derartige Traditionen sollte, wie Kant in bester aufklärerischer Manier bemerkt, jedoch besser als »Leichtgläubigkeit« 215 beschrieben werden. Zu den von der Vernunft sanktionierten Gegenständen des Glaubens gehören ausschließlich solche Ideen der reinen Vernunft, die theoretisch nicht erkannt werden können, aber in praktischer Absicht angenommen werden sollten (sofern wir an der Zweckhaftigkeit moralischen Handelns interessiert sind). 216 Konsequenterweise bestimmt Kant die Haltung – nicht den Vollzugsakt – des Glaubens als »die moralische Denkungsart der Vernunft im Fürwahrhalten desjenigen, was für das theoretische Erkenntnis unzugänglich ist.« 217 Es handelt sich folglich beim Vernunftglauben, bezieht man ihn auf die Differenzierung der zwei grundlegenden Glaubensmodi des putativen und des kreditiven Glaubens, 218 um ein kreditives Vertrauen da213 214 215 216 217 218

KdU, S. 406 (B 457). Vgl. ebd., S. 407 (B 458). Ebd., S. 411 (B 463). Ebd., S. 407 f. (B 458 f.) Ebd., S. 410 (B 462). Siehe Kap. I.1. des vorliegenden II. Teils.

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rauf, dass das moralisch gute Handeln rationaler Subjekte, das durch das Sittengesetz geboten wird, letztendlich mit dem unerkennbaren Endzweck der Schöpfung korrespondiert, in dessen Lichte Freiheit und Notwendigkeit, Glückseligkeit und Pflicht keine Gegensätze mehr darstellen. Ein derartiges Vertrauen mag zwar aus der Perspektive der theoretischen Vernunft angezweifelt werden, weil es keine hinreichenden Beweise für die Existenz der angenommenen Glaubenssachen gibt. Ein »dogmatischer Unglaube« 219 jedoch, der jene Glaubenssachen schlichtweg für nichtexistent erklärte, stellt nach Kant keine aufrechtzuerhaltende Position dar, weil er unterstellt, dass die Vernunft durch den kategorischen Imperativ Volitionen und Handlungen gebietet, die zweifelsfrei nicht auf einen Endzweck bezogen sind. Die moralische Ausübung des Freiheitsvermögens kann aber – so Kant – nur dann mit der inneren Einheit unserer Vernunft übereinstimmen, wenn zumindest die prinzipielle Möglichkeit eines Endzwecks der ›Schöpfung‹ in Aussicht gestellt und nicht von vorneherein verworfen wird. 220 Auch wenn die Philosophie im engeren (transzendentalen) Sinne gar nicht von jenen Pflichten handelt, die Menschen gegenüber einem transzendenten höchsten Wesen zu haben glauben, so darf sie gleichwohl aus dem in der Vernunftreligion angenommenen Endzweck der Schöpfung gewisse Schlussfolgerungen bezüglich der adäquaten Relation des Weltschöpfers zu seinen Geschöpfen ableiten bzw. auf Probleme hinweisen, die sich aus bestimmten Auffassungen dieser Relation ergeben könnten. Voraussetzung dieser spekulativen Überlegungen ist die am ausführlichsten in Kants Metaphysik der Sitten entwickelte Einsicht, dass Liebe und Achtung die Grundprinzipien der reziproken Pflichten darstellen, die Menschen einander schuldig sind. 221 Das Prinzip der Liebe ist dabei auf den Anderen als personalen Selbstzweck, das Prinzip der Achtung auf das Recht des Anderen als eines freien Subjekts bezogen. Die Achtung belässt dem Anderen den Rechtsraum, den dieser zur Ausübung seiner individuellen Freiheitsrechte in Anspruch nehmen darf, während die Liebe gleichsam den personalen Raum des Anderen betritt und seine Nähe, ja die Vereinigung mit ihm sucht. Beim hypothetischen Verhältnis Gottes zu den Menschen kann jedoch grundsätzlich nicht von einer 219 220 221

KdU, S. 412 (B 464). Vgl. ebd. I. Kant: Metaphysik der Sitten, op. cit., S. 629.

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reziproken Beziehung ausgegangen werden, die wechselseitige Rechte und Pflichten zweier ›Partner‹ implizieren würde, weil Gott als höchstes Wesen uns gegenüber nur Rechte, wir aber als seine Geschöpfe ihm gegenüber nur Pflichten haben können. Bezieht man diese Struktur nun auf die uns aus der ›Menschenethik‹ bekannten Grundprinzipien von Liebe und Achtung, so wird deutlich, dass wir aus Vernunftgründen dem Prinzip der Liebe einen Vorrang bei der spekulativen Bestimmung des göttlichen Endzwecks der Schöpfung einräumen müssen, und zwar deswegen, weil das an die erste Stelle gesetzte Prinzip der Achtung aus Sicht der menschlichen Vernunft in Aporien hineinführen müsste. Kant erläutert diese Problematik relativ knapp in der »Schlußanmerkung« der Metaphysik der Sitten als Beispiel dafür, dass »die Ethik sich nicht über die Grenzen der wechselseitigen Menschenpflichten erweitern könne« 222. Dennoch erlaubt sich die reine Vernunft im unmittelbar vorausgehenden Abschnitt eine Spekulation darüber, ob der »Zweck der Schöpfung nicht in der Liebe des Welturhebers (wie man sich doch denken muß), sondern in der strengen Befolgung des Rechts« 223 liegen könnte. Wäre Letzteres der Fall, so würde ein rein formales, von allen anderen Zwecken abstrahiertes Prinzip der (strafenden) Gerechtigkeit die Welt regieren. Wie dieses Prinzip aber mit einem Weltschöpfer vereinbar sein soll, der an der Glückseligkeit seiner Geschöpfe interessiert ist – dies darf aufgrund der Eigenschaft der absoluten Güte Gottes zumindest unterstellt werden –, ist für die Vernunft nicht nachzuvollziehen. 224 Weder ist es für sie einsehbar, wie Gott auf der Basis eines reinen Rechtsprinzips Menschen (etwa für gute Handlungen oder einen frommen Lebenswandel) belohnen könnte, wenn Menschen aus-

Ebd., S. 632. Ebd. 224 Siehe dazu auch die umfassende Interpretation von R. Langthaler: Geschichte, Ethik und Religion im Anschluss an Kant. Philosophische Perspektiven »zwischen skeptischer Hoffnungslosigkeit und dogmatischem Trotz«. 2 Bde. Berlin 2014; zu den religionsphilosophischen Perspektiven von Kants später ›Tugendlehre‹ siehe ebd., Bd. 2: Eine existenzialanthropologische Lesart der Postulatenlehre: Reiner »Vernunftglaube« und »reflektierender Glaube« – »Zweifelglaube« und »authentische Theodizee«, Kap. IV.4.: »Eine durch die späte Tugendlehre eröffnete Vertiefung religionsphilosophischer Perspektiven«, S. 294–363. In diesem Zusammenhang sei ferner verwiesen auf die ältere Untersuchung von R. Langthaler: Kants Ethik als »System der Zwecke«. Perspektiven einer modifizierten Idee der »moralischen Teleologie« und Ethikotheologie. Berlin/New York 1991. 222 223

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schließlich Pflichten gegenüber Gott haben, 225 noch können angesichts des transzendenten Verhältnisses zwischen Gott und den Menschen Rechtsverletzungen Gottes, die ihm durch menschliches Handeln widerfahren, sinnvoll gedacht werden. 226 Die Vernunft kann eine auf dem bloßen Rechtsprinzip basierende Idee Gottes nicht widerspruchsfrei zu Ende denken. Der Glaube an die metaphysische Idee Gottes sowie an die Unsterblichkeit der Seele ist demzufolge rational nur dann zur rechtfertigen, wenn als Endzweck der Schöpfung die Liebe Gottes und nicht die Achtung vor einer absoluten Strafgerechtigkeit angenommen wird. Das Prinzip der Gerechtigkeit stellt letztlich ›nur‹ eine »einschränkende Bedingung« 227 der primären göttlichen Liebe dar, die sich aus menschlicher Perspektive in fundamentaler Weise darin äußert, dass Gott »vernünftige Wesen […] gleichsam aus dem Bedürfnisse, etwas außer sich zu haben, was er lieben könne, oder auch von dem er geliebet werde« 228, erschaffen hat. Nur innerhalb eines solchen auf Liebe beruhenden Verhältnisses ist die Vorstellung, dass Gott tugendhaftes Handeln von Menschen belohnen könne, wie auch umgekehrt die Vorstellung, dass Gott von bösen Handlungen verletzt werde (im Sinne einer Enttäuschung über seine Geschöpfe), für unsere Vernunft widerspruchsfrei denkbar. Ist die subjektive Begründung des Vernunftglaubens dem Gesagten zufolge noch eine Angelegenheit der reinen Moralphilosophie, so fällt die Reflexion über die anthropologischen und sozialen Bedingungen, auf welche die Vernunftreligion in ihrem faktischen Vollzug trifft, in den Zuständigkeitsbereich von Wissenschaften wie der angewandten Religionslehre, 229 der Anthropologie, aber auch der Geschichtsphilosophie und politischen Philosophie. Denn um die für lebendige Vernunftwesen unaufhebbare Gerechtigkeitslücke zwischen individueller Glückswürdigkeit und Glückseligkeit unter empirischen Bediungungen zu minimieren oder wenigstens auf ein einigermaßen erträgliches Maß zu reduzieren, bietet Kant zwei über die philosophische Ethik hinausweisende Lösungen an. Die eine Lösung besteht in der historisch schrittweise zu realisierenden Herstellung eines kos-

225 226 227 228 229

I. Kant: Metaphysik der Sitten, op. cit., S. 630. Ebd. Ebd., S. 632. Ebd., S. 629. Ebd.

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mopolitischen Rechtszustandes zwischen Individuen und Völkern bis hin zu einer kosmopolitischen Weltgesellschaft unter Vernunftgesetzen, in der die Einrichtung der politischen, rechtlichen und sozialen Verhältnisse eine Ausübung der individuellen Freiheit ermöglicht, die sowohl dem Glücksstreben des Individuums als auch seiner Moralität – und damit auch der Moralität und dem Glück seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger – zu Gute kommt. Die andere Lösung bezieht sich auf die Konstituierung einer universellen, d. h. Kulturen übergreifenden Gemeinschaft von Personen, die sich dazu entschieden haben, gemäß der Vernunftreligion leben zu wollen, und die sich zu einem ethischen Gemeinwesen zusammenschließen. Da die zuerst genannte Lösung den Boden der kantischen Religionsphilosophie verlässt und vorwiegend die Rechts-, Sozial- sowie die politische Philosophie betrifft, werden wir sie in diesem Zusammenhang nicht weiter erörtern. Stattdessen werden wir uns im Folgenden auf den zweiten Aspekt konzentrieren, also auf die Begründung des ethischen Gemeinwesens, die vor allem in Kants Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft entwickelt wird. Innerhalb der reinen Moralphilosophie hatte Kant zu zeigen versucht, dass es der Vernunft gelingt, einen Religionsbegriff zu entwickeln, der den Ergebnissen der transzendentalen Vernunftkritik nicht nur nicht widerspricht, sondern der von der Vernunft geradezu gefordert wird, um der ultimativen Zweckorientierung unserer praktischen Vernunft gerecht zu werden. Mit der Figur des ›radikalen Bösen‹, das der menschlichen Natur inne wohne, liefert Kants Religionsschrift ein zusätzliches Argument für die notwendige Ergänzung der Moralität um jene transzendent-metaphysischen Zusatzannahmen, welche den Vernunftglauben konstituieren. 230 Die gleichsam anthropologische Analyse, die Kant im Ersten Stück der Religionsschrift »Von der Einwohnung des bösen Prinzips neben dem guten: oder über das radikale Böse in der menschlichen Natur« 231 230 Siehe zum problematischen Konzept des radikalen Bösen P. Anderson-Gold/ P. Muchnik (Hrsg.): Kant’s Anatomy of Evil. Cambridge 2010; D. V. Auweele: »Atheism, Radical Evil, and Kant.« In: Philosophy and Theology, 22 (2010), S. 155–176; G. E. Michalson: Fallen freedom. Kant on radical evil and moral regeneration. Cambridge 1990; zu Michalsons Interpretation siehe E. Dispersyn: »Du mal radical dans La Religion dans les limites da la simple raison: une instabilité créatrice. Discussion de la lecture de Gordon Michalson.« In: Revue philosophique de Louvain, 109 (2011), S. 461–488. 231 ›Religionsschrift‹, S. 663–705 (B 1–64).

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liefert, soll demonstrieren, dass es einen tief verwurzelten ›Hang‹ im Menschen gibt, der ihn dazu verleitet, in der Abwägung verschiedener Handlungsmaximen immer wieder ausgerechnet derjenigen Maxime keine Priorität einzuräumen, welche dem kategorischen Imperativ entspricht. Kant zufolge widerstreitet der ›böse‹ Hang, solche Maximen zu präferieren, die eher unseren selbstsüchtigen Neigungen als dem Sittengesetz korrespondieren, der ursprünglichen Anlage zum Guten im Menschen, von der bei der Betrachtung des moralisch agierenden und wollenden Menschen gleichfalls auszugehen ist. Das ursprüngliche Gute im Menschen besteht Kant zufolge in der »Heiligkeit der Maximen in Befolgung seiner Pflicht« 232, d. h. in einer Willensbestimmung, deren oberste Maxime die Achtung für das Gesetz ist und die ausschließlich aus dem Bewusstsein dieser Achtung heraus will und handelt, ohne dass die Reinheit des Wollens durch andere, von egoistischen Neigungen durchsetzte Handlungsmotivationen getrübt wird. Empirisch kann die geforderte ›Heiligkeit‹ der Maximen innerhalb der Willensbestimmung einer Person freilich niemals mit Sicherheit festgestellt werden; allenfalls kann das Bemühen eines Menschen beobachtet werden, sich durch das möglichst permanente Streben nach Tugendhaftigkeit im Sinne des kategorischen Imperativs in einem unendlichen, zu Lebzeiten niemals vollendbaren Progress dem Ideal der Heiligkeit anzunähern. Die wahrhafte moralische Perfektion besteht jedoch Kant zufolge nicht in dieser kontiuierlichen Anpassung des individuellen Handelns an das Ideal der Heiligkeit, sondern – in Entsprechung zu dem Paradigmenwechsel, der in der theoretischen Philosophie erforderlich war – in einer veritablen Revolution der Denkungsart, einem radikalen intelligiblen Gesinnungswandel, 233 der sich einer empirischen Beobachtung entzieht und in dem festen Entschluss besteht, stets derjenigen Maxime den Ausschlag gebenden Einfluss auf die Willensbestimmung einzuräumen, welche das Verallgemeinerungsgebot des kategorischen Imperativs erfüllt. Obwohl sich der Kampf zwischen der Anlage zum Guten und dem Hang zum Bösen zunächst nur auf der Handlungs- und Volitionsebene des je einzelnen Individuums abzuspielen scheint, ist Kant doch auf dem Feld der angewandten Ethik bzw. der moralischen As-

232 233

Ebd., S. 696 (B 52 f.). Siehe ebd.

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ketik, auf dem wir uns hier bewegen, keineswegs blind für die sozialen Bedingungen, denen das individualethische Handeln und Wollen unterliegt. Es ist gerade das unhintergehbare Faktum des Sozialen, d. h. die menschliche Grundtatsache, in einer Gemeinschaft von Subjekten zu existieren, welches die Bereitschaft bzw. die Weigerung des Subjekts, nach moralischen Grundsätzen zu handeln, in besonderem Maße herausfordert. 234 Vermutlich wäre selbst eine im Sinne Kants optimal verfasste Republik der Vernunft nicht dazu in der Lage, die grundlegenden Gefährdungen der Moralität vollkomen auszublenden, die sich aus dem schieren Umstand sozialer Koexistenz zwangsläufig ergeben. Wenn aber weder individuelle Anstrengungen noch politische und rechtliche Optimierungen der sozialen Rahmenbedingungen richtigen Handelns einen endgültigen ›Vorsprung‹ der ursprünglichen Anlage zum Guten vor dem radikalen Hang zum Bösen garantieren können, dann muss, so Kants Überlegung, vernünftigerweise von einem religiösen Beistand ausgegangen werden, auf den wir hoffen dürfen, wenn alle anderen Mittel zur Bekämpfung des Bösen ausgeschöpft sind. Der Vernunftglaube erhält durch diesen gedanklichen Zusammenhang eine über das ›neutrale‹ Fürwahrhalten eines Endzwecks der Schöpfung deutlich hinausgehende Funktion, nämlich diejenige einer aktiven Stärkung der Moralität angesichts der anthropologischen Voraussetzung eines inhärenten Widerstreits zwischen Gut und Böse in jedem Menschen. 235 Der Glaube an einen göttlichen Beistand im Kampf gegen das im Menschen selbst liegende Böse ist jedoch nicht nur auf der Ebene individueller Moralität von Belang, sondern er erweist sich, wie vor allem aus dem Dritten Stück der Religionsschrift »Der Sieg des guten Prinzips über das böse, und die Gründung eines Reichs Gottes auf Erden« deutlich wird, darüber hinaus als Fundament einer besonderen sozialen Konstruktion: dem von Kant postulierten ethischen Ge234 Vgl. ebd., S. 752 (B 129): »[…] es ist genug, daß sie da sind, um einander wechselseitig in ihrer moralischen Anlage zu verderben, und sich einander böse zu machen.« – Siehe dazu auch den Aufsatz von F. Ricken: »Die Überwindung des Bösen. Kant über die Aufgabe einer Religionsgemeinschaft«. In: Theologie und Philosophie, 84 (2009), S. 499–508; sowie Firestone 2009, Kap. 4: »Kant’s Moral Grounds for Theology«, S. 63–109. 235 Siehe dazu P. Fenves: Late Kant. Towards another law of the earth. London/New York 2003, insbesondere Kap. 4: »Out of the blue: ›On the Radical Evil in Human Nature‹«, S. 75–91; sowie den Sammelband L’Année 1793 – Kant sur la politique et la religion. Hrsg. v. J. Ferrari. Paris 1995.

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meinwesen. 236 Die Idee dieser transkulturellen ethischen Gemeinschaft zeigt deutlich, dass die Vernunftreligion keine Privatreligion darstellt, sondern dass sie vielmehr dazu angetan ist, soziale Bindekräfte zu entwickeln, die über die kulturellen Verschiedenheiten der Weltreligionen hinweg möglichst viele, ja letztlich alle Menschen vereinigen sollen, die guten Willens sind, die ursprüngliche Anlage des Guten im Menschen im Vertrauen auf den Beistand Gottes zu befördern. In geschichtsphilosophischer Perspektive ist das letzte Ziel des Bemühens um die »Errichtung und Ausbreitung einer Gesellschaft nach Tugendgesetzen« 237 die Verwirklichung des höchsten Guts auf Erden. Diese Gemeinschaft ›nach Tugendgesetzen‹ ist insofern in Analogie zu einem politischen Staat konzipiert, 238 als die Mitglieder des ethischen gemeinen Wesens verbindlich geltenden Gesetzen unterworfen sind, die von einem obersten Gesetzgeber erlassen werden. Doch im Unterschied zur politischen Gemeinschaft, in der für alle Gemeinschaftsmitglieder zwingende Rechtsgesetze gelten, erfolgt die Teilnahme am ethischen Gemeinwesen aus freien Stücken, d. h. aus der auf der reinen praktischen Vernunft beruhenden Einsicht heraus, dass es Pflicht des Menschen sei, an einer solchen ethischen Gemeinschaft teilzuhaben. Ein weiterer Unterschied des ethischen Gemeinwesens zum politischen Rechtsstaat besteht in der jeweiligen letztinstanzlichen Legislative: Während im Staat das ›Volk‹, also die Gesamtheit aller Bürgerinnen und Bürger, den Souverän bildet, von dem die Verfassung des Gemeinwesens auszugehen hat, repräsentiert im ethischen Gemeinwesen ›Gott‹ diese Instanz – als Personifizierung jener Quelle, aus der das Sittengesetz entspringt. 239 Zugleich repräsentiert er innerhalb der Gewaltenteilung des ethischen Staates – die eigentlich keine Gewaltenteilung ist, da Gott seine Macht ungeteilt ausübt, sofern man den Trinitätsgedanken ausblendet 240 – als ›gütiger Regierer‹ die Exekutive und als ›gerechter Richter‹ die Judikative. 236 Siehe dazu E. Förster: »Immanuel Kant«. In: Oppy/Trakakis 2009. Bd. 3, S. 277– 288, insbesondere S. 285 ff. 237 ›Religionsschrift‹, S. 752 (B 129). 238 Ebd., S. 753 (B 131). 239 Siehe dazu auch H. M. Baumgartner: »Gott und das ethische gemeine Wesen in Kants Religionsschrift. Eine spezielle Form des ethikotheologischen Gottesbeweises?« In: Kant in der Diskussion der Moderne. Hrsg. v. G. Schönrich u. Y. Kato. Frankfurt a. M. 1996, S. 408–424. 240 Kant hat den Zusammenhang zwischen den drei Gewalten im Staat und der trinitarischen Gottesauffassung an dieser Stelle in der ›Allgemeinen Anmerkung‹ zum Dritten Stück der ›Religionsschrift‹ selbst hergestellt (vgl. ebd., S. 807 f./B 212 ff.). In

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Es ist die Pflicht jedes Einzelnen, sofern er bzw. sie Mitglied des Menschengeschlechts ist, auf die Realisierung des ethischen Gemeinwesens aktiv hinzuwirken. 241 Doch könnte selbst unter der für das moralische Handeln jedes Einzelnen nahezu optimalen Voraussetzung dieses Gemeinwesens nicht garantiert werden, dass die Mitglieder der ethischen Gemeinschaft als Individuen zugleich auch glücklich wären. Genau an dieser Stelle greift darum wieder der Vernunftglaube, der darauf hoffen lässt, dass Gott letztlich für die Glückseligkeit aller Gemeindemitglieder sorgen werde, sofern diese alles in ihren Kräften Stehende getan haben, um unter Tugendgesetzen zu leben. 242 Unter den gegebenenen historischen Voraussetzungen kann sich das ethische Gemeinwesen, das von Kant als eine ›Kirche‹ charakterisiert wird, am besten aus bestehenden Religionsgemeinschaften heraus allmählich entwickeln – dann nämlich, wenn die Anhänger spezifischer Religionen den transkulturellen, vernünftigen Kern des Religiösen schlechthin als solchen begreifen und das ›unsichtbare‹ Gemeinsame aller Religionen, reine Moralität, in den sichtbaren Glaubensgemeinschaften immer deutlicher manifestieren. 243 Aus der Perspektive der Vernunft würde es zwar genügen, das ethische Gemeinwesen ausschließlich auf den Vernunftglauben zu gründen. Aber da Menschen in religiösen Belangen offensichtlich die Tendenz haben, über das Sittengesetz, das ihnen die Pflichten gegenüber ihren Mitmenschen vorschreibt, hinaus zu gehen und auch gegenüber der Personifizierung dieses Gesetzes in der Gestalt Gottes bestimmte Pflichten – etwa in Form religiöser Dienste oder kultischer Handluneiner längeren Fußnote führt er Beispiele aus verschiedenen Kulturen wie der persischen, der indischen, der ägyptischen, der gotischen sowie der jüdischen an, in denen sich Ansätze bzw. ausgebildete Vorstellungen einer trinitarisch gedachten Gottheit finden lassen. Diese Textstelle ist ein gutes Beispiel für Kants prinzipielle Offenheit gegenüber vernünftigen Wahrheitsmomenten aus unterschiedlichen Kulturräumen. 241 Vgl. Ricken 2009, S. 502: »Die praktische Vernunft macht es dem ganzen Menschengeschlecht zur Pflicht, dass es sich als Ganzes zu einer solchen Gesellschaft, die Kant ›ethisches gemeines Wesen‹ nennt, zusammenschließt.« Siehe auch Höffe 2011, S. 12 ff. 242 Siehe dazu ›Religionsschrift‹, S. 806 (B 210 f.). Ob Gott tatsächlich an der Vollendung des ethischen Gemeinwesens mitwirkt, bleibt freilich ein unerforschliches Geheimnis. Siehe dazu S. Axinn: The Logic of Hope: Extensions of Kant’s View of Religion. Amsterdam/Atlanta 1994. 243 Siehe dazu B. M. G. Reardon: Kant as Philosophical Theologian. Basingstoke 1988, v. a. Kap. 9: »Institutionalism in Religion«, S. 145 ff.

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gen – anzunehmen, ist es aus Klugheitsgründen ratsamer, bestehende Religionsgemeinschaften gleichsam als ›Vehikel‹ zur allmählichen Herausbildung des ethischen Gemeinwesens zu benutzen und nicht etwa eine weitere Religionsgemeinschaft in Konkurrenz zu den historisch gewachsenen neu zu formieren. 244 Kants religionsgeschichtliche Prognose lautet dementsprechend, dass sich die bestehenden Religionsgemeinschaften ihrer äußerlichen Vorschriften, Statuten und Observanzen, d. h. ihrer sekundären empirischen Eigenschaften, allmählich entledigen werden, sodass der transkulturelle moralische Kern des Religiösen immer deutlicher hervortreten werde. 245

2.3

Die interpretative Anverwandlung christlicher Lehren

In Entsprechung zu der ethischen Forderung, aus den geschichtlichkulturell entwickelten Religionen den gemeinsamen transkulturellen Kern immer klarer herauszuschälen und dadurch das ethische Gemeinwesen zu befördern, das dem ›Reich Gottes auf Erden‹ nahe kommt, besteht die Aufgabe einer an diesem Ziel interessierten Philosophie darin, spezifische religiöse Offenbarungslehren daraufhin zu überprüfen, inwieweit ihre Grundlehren mit dem Vernunftglauben übereinstimmen und inwieweit sie von ihm abweichen, indem sie entweder über ihn hinausgehen oder ihm gar widerstreiten. Vor dem historisch-biographischen Hintergrund Kants kann es wenig überraschen, dass diejenige Religion, die Kant hinsichtlich ihrer Kompatibilität oder Inkompatibilität mit der natürlichen Vernunftreligion vorwiegend interpretiert hat, das Christentum ist. Gleichwohl finden sich im Zusammenhang der philosophischen ›Übersetzung‹ christlicher Glaubenslehren in die Sprache der Philosophie gelegentlich auch Bemerkungen Kants zu nicht-christlichen Religionen, insbesondere zu den beiden anderen monotheistischen Religionen, dem Judentum und dem Islam, aber vereinzelt auch zu ostasiatischer Religiosität, Vgl. ›Religionsschrift‹, S. 787 (B 182 f.). Siehe auch Ricken 2009, S. 504 ff. Siehe ›Religionsschrift‹, S. 785 (B 179): »Es ist also eine notwendige Folge der physischen und zugleich der moralischen Anlage in uns, welche letztere die Grundlage und zugleich Auslegerin aller Religion ist, daß diese endlich von allen empirischen Bestimmungsgründen, von allen Statuten, welche auf Geschichte beruhen, und die vermittelst eines Kirchenglaubens provisorisch die Menschen zur Beförderung des Guten vereinigen, allmählich losgemacht werde, und so reine Vernunftreligion zuletzt über alle herrsche, ›damit Gott sei alles in allem‹.« 244 245

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über die Kant freilich ›nur‹ im Rahmen des am Ende des 18. Jahrhunderts erreichten europäischen Kenntnisstands unterrichtet sein konnte. An dieser Stelle wird es jedoch vorrangig um die philosophische Anverwandlung der genuin christlichen Glaubensinhalte gehen. Die kantische Religionsschrift lässt sich in weiten Teilen als ein philosophischer Versuch betrachten, die aus der reinen Vernunft gewonnenen Prinzipien der natürlichen Religion mit den historischkulturell spezifizierten Offenbarungsgehalten des Christentums zu vermitteln. Kant erschließt mit diesem Vermittlungsversuch zugleich mögliche Betätigungsfelder für die religionsphilosophische Disziplin, die zwar noch zur praktischen Philosophie gezählt werden kann, da ihr systematischer Anknüpfungspunkt – wie gezeigt – in der Moralphilosophie liegt, die aber keine reine Ethik mehr ist, da sie sich in den empirisch-historischen Raum faktisch existierender Religionskulturen hineinbegibt. Die philosophische Methode der Religionsschrift besteht nun darin, von einer historisch-kulturell gewachsenen Offenbarungsreligion – dem Christentum – auszugehen und diese hinsichtlich der Frage zu evaluieren, ob und inwiefern ihre Gehalte mit der reinen Vernunftreligion im Einklang stehen. 246 Stimmen beide überein, so gibt es in Bezug auf die geprüfte Religionsform keinen Gegensatz zwischen Glauben und Wissen, Offenbarung und Vernunft. Dieser Aspekt ist für die interne Kohärenz eines religiösen Subjekts von großer Bedeutung, denn gäbe es einen unauflösbaren Widerstreit zwischen Glauben und Wissen innerhalb einer praktizierten Religionsform, so müsste das gläubige Individuum entweder zwei verschiedenen Religionen gleichzeitig anhängen, der (abstrakten) Vernunftreligion und einer von dieser getrennten Offenbarungsreligion, oder »das Reinmoralische (die Vernunftreligion)« 247 müsste deutlich von einem rein funktionalen Kultus unterschieden sein, der sich regelmäßig mit der Vernunftreligion verbinden müsste, damit seine ansonsten leeren Verrichtungen Sinn und Zweck erhielten. 248 Beide Konstellationen können jedoch nicht als adäquate Vollzugsweisen des Religiösen betrachtet werden. Notwendig ist es demgegenüber vielmehr, die fundamentale Übereinstimmung einer empirischen Religion mit den a priorischen Prinzipien der reinen 246 Vgl. ›Religionsschrift‹, S. 659 (B XXIf., »Vorrede zur zweiten Auflage«), S. 771 (B 158), S. 825 f. (B 235 f.); sowie Metaphysik der Sitten, op. cit., S. 629. 247 Siehe ›Religionsschrift‹, S. 660 (B XXIV). 248 Ebd.

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praktischen Vernunft zu demonstrieren. Der Titel Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft setzt demnach die Vernunftreligion bereits voraus, um anhand ihres Maßstabs eine konkrete Offenbarungsreligion philosophisch zu prüfen. Somit bezieht sich der Titel der Religionsschrift primär auf eine bestimmte philosophische Evaluationsmethode, durch die beispielhaft ermittelt werden soll, welche Lehren einer historisch-kulturell gewachsenen Religion mit den religiösen Annahmen der reinen praktischen Vernunft nachweisbar übereinstimmen. 249 Gelingt es, eine kulturell codierte religiöse »Vorstellungsart von ihrer mystischen Hülle« 250 zu entkleiden, so zeigt sich möglicherweise ein »Vernunftsinn«, der als »für alle Welt, zu aller Zeit praktisch gültig und verbindlich« 251 gelten kann. Für Kant stellt die Herausarbeitung eines derartigen Sinns, der eine religiöse Position »mit dem Heiligsten, was die Vernunft lehrt« 252, in Beziehung setzt, geradezu eine Pflicht dar, die sowohl den Bestrebungen der Religion als auch denjenigen der Philosophie entgegen kommt. Die in dieser Weise interpretierende Perspektive wird jedoch nicht nur eingleisig von der Religionsphilosophie, die sich im Besitz der transkulturellen Vernunftreligion weiß, auf die empirische Religion als deren Untersuchungsobjekt eingenommen, sondern es zeichnet den kantischen Ansatz gerade aus, dass sich die Philosophie im Zuge dieser Untersuchung ihrerseits von religiösen Motiven und theologischen Inhalten zu eigener gedanklicher Auseinandersetzung anregen lässt. Die (christliche) Religion wird dadurch zu einer inspirierenden Sinnressource, die, wie Kant in der Kritik der Urteilskraft ausführt, »die Philosophie mit weit bestimmteren und reineren Begriffen der Sittlichkeit bereichert […], als diese bis dahin hatte liefern können, die aber, wenn sie einmal da sind, von der Vernunft frei gebilligt und als solche angenommen werden, auf die sie wohl von selbst hätte kommen und sie einführen können und sollen.« 253 Die von J. Habermas unter ›postsäkularen‹ Bedingungen aufgeworfene Problematik, »wie man sich die semantische Erbschaft religiöser Überlieferungen aneignen kann, ohne die Grenzen zwischen den Univer-

249 250 251 252 253

Vgl. Metaphysik der Sitten, op. cit., S. 629. ›Religionsschrift‹, S. 739 (B 114 f.). Ebd. Ebd., S. 740 (B 116). KdU, B 463 (Anm.).

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sen des Glaubens und des Wissens zu verwischen« 254, hat somit in der kantischen Religionsphilosophie bereits eine exemplarische Lösung gefunden, die allerdings unter den Bedingungen der globalisierten religiösen Pluralität zu überprüfen und gegebenenfalls in einigen Aspekten zu revidieren und zu modifizieren ist. Kant interpretiert die Diversität der Weltreligionen im Kern als eine empirische Vielheit geschichtlicher Offenbarungen, die jeweils den moralischen Kern der Vernunftreligion in sich enthalten müssen, sofern sie rational gerechtfertigt sein sollen. Das Verhältnis der weiteren, ›kulturellen‹ Sphäre der Offenbarung und der engeren, ›natürlichen‹ Sphäre des Vernunftglaubens innerhalb einer Religion wird dabei im Bild zweier konzentrischer Kreise vorgestellt, wobei der größere Kreis die Offenbarungsreligion und der kleinere die a priorische Vernunftreligion repräsentiert; 255 diese ist also in der Offenbarungsreligion gleichsam eingekapselt. Der Religionsphilosophie kommt die Aufgabe zu, diesen rationalen Kern einer Religion explizit zu machen und von den bloß historischen Anteilen der Offenbarung deutlich zu trennen. Eine weitere grundsätzliche Unterscheidung von Religionstypen, die Kant im Vierten Stück der Religionsschrift vornimmt, betrifft die Einteilung in ›natürliche‹ und ›gelehrte‹ Religion. Während die Differenz zwischen ›natürlich‹ und ›geoffenbart‹ Religionen »nach ihrem ersten Ursprung und ihrer inneren Möglichkeit« 256 unterscheidet, bezieht sich das Eigenschaftspaar ›natürlich‹ und ›gelehrt‹ auf die Form der »äußeren Mitteilung« 257, durch die sich eine Religion kundgibt. Die ›natürliche‹ Religion wird in dieser Hinsicht von Kant als eine solche bestimmt, »von der (wenn sie einmal da ist) jedermann durch seine Vernunft überzeugt werden kann« 258; die ›gelehrte‹ Religion ist dagegen für ihre Verbreitung auf historisches Wissen und kulturelle Überlieferung von Geschichten und Doktrinen angewiesen. Ebenso wie bei der Unterscheidung in ›natürliche‹ und ›geoffenbarte‹ Religionen gilt auch im Hinblick auf das Kriterium der äußeren Mitteilung, dass die begriffliche Differenzierung nicht primär zur Evaluation verschiedener religiöser Systeme als Gesamt254 J. Habermas: »Die Grenze zwischen Glauben und Wissen«. In: Ders.: Zwischen Naturalismus und Religion, op. cit., S. 218. 255 Siehe ›Religionsschrift‹, S. 659 (B XXIf.). 256 Ebd., S. 823 (B 232). 257 Ebd., S. 823 f. (B 232). 258 Ebd., S. 824 (B 232).

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gebilde dienen soll, sondern vielmehr zur genauen Bestimmung des jeweiligen internen Anteils an rational zugänglichen, a priorischen und empirisch-historischen Elementen einer jeweiligen Religion. Insofern liegen die Dualismen ›natürliche‹/›geoffenbarte‹ sowie ›natürliche‹/›gelehrte‹ Religion hinsichtlich ihres methodischen Status auf einer anderen Ebene als eine dritte duale Unterscheidung, die Kant bereits am Ende des Ersten Stücks ›der Religonsschrift‹ im Hinblick auf Religionen als Gesamtsysteme vornimmt: »Man kann […] alle Religionen in die der Gunstbewerbung (des bloßen Kultus) und die moralische, d. i. die Religion des guten Lebeswandels einteilen.« 259 Der kantischen Interpretation gemäß erfüllt von allen historischen Religionen jedoch einzig das Christentum die Voraussetzungen zu einer moralischen Religion (»dergleichen unter allen öffentlichen, die es je gegeben hat, allein die christliche ist« 260). Ist die religionsphilosophisch begründete Vorrangstellung des Christentums in dieser Hinsicht evident, so lässt sich allerdings auch in Bezug auf die beiden anderen Dualismen (›natürlich‹ versus ›gelehrt‹ bzw. ›geoffenbart‹) die Rückfrage stellen, ob nicht auch unter diesen Aspekten das Christentum einen privilegierten Status als die einzige Religion genießt, bei der sich die ›natürliche‹ Religion als Kern der gelehrten bzw. geoffenbarten Religion deutlich herausschälen lässt. Alle drei kantischen Begriffspaare zur internen und externen Differenzierung religiöser Systeme hätten dann den methodischen Nachteil, der einen Seite des Dualismus (nämlich der natürlich-vernünftig-moralischen) letztlich nur eine einzige religiöse Formation zuordnen zu können, obgleich Kant an anderer Stelle betont, dass »jede, selbst die geoffenbarte Religion, doch auch gewisse Prinzipien der natürlichen enthalten« 261 müsse. Anders gesagt: Die drei von Kant zur allgemeinen Einteilung von Religion vorgeschlagenen Eigenschaftspaare implizieren die Schwierigkeit, dass sie einerseits Religionen als Gesamtsysteme voneinander unterscheiden (sodass das Christentum als die ›beste‹ oder ›wahrste‹ aller Religionen ausgezeichnet wird, weil sie die einzige wahrhaft moralische ist und damit der natürlichen Religion am ehesten entspricht) und andererseits Binnenverhältnisse innerhalb ein und derselben Religion kennzeichnen sollen. Explizit weist Kant die partielle Implikation der Vernunftreligi259 260 261

Ebd., S. 703 (B 62). Ebd. Ebd., S. 825 (B 234).

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on in einer historisch gegebenen Offenbarungsreligion jedoch nur am Christentum nach. Zwar wird, bevor Kant das Christentum unter den beiden Hinsichten der natürlichen und der gelehrten Religion näher untersucht, suggeriert, es handele sich hierbei um »irgend ein Beispiel […] aus der Geschichte« und beim Neuen Testament um »irgend ein Buch, […] welches mit sittlichen, folglich mit vernunftverwandten Lehren innigst verwebt ist« 262. Aber die Ausführung der symbolischen Interpretation des Christentums führt trotz dieser proklamierten methodischen Neutralität letztlich zu dem Ergebnis, dass die christliche Religion von allen vorfindlichen Weltreligionen den höchsten Grad an Übereinstimmung mit dem Vernunftglauben aufweise. Dieser Anspruch wird in der »Vorrede« zum Streit der Fakultäten, welche die Auseinandersetzung mit dem königlichen Reskript an Kant vom 1. 10. 1794 dokumentiert, explizit formuliert, wenn Kant schreibt, dass »die hier [d. h. in der Religionsschrift, Anm. d. Verf.] aufgeführte Zusammenstimmung desselben mit dem reinsten moralischen Vernunftglauben […] die beste und dauerhafteste Lobrede« 263 des Christentums darstelle. Genau in diesem Punkt ergibt sich eine Reihe von Fragen, die auf die impliziten Voraussetzungen der von Kant eingesetzten Interpretations- und Evalutationsmethode abzielen: Ist es tatsächlich richtig, dass von allen Weltreligionen das Christentum die höchste Übereinstimmung mit dem Vernunftglauben aufweist, oder beruht dieses Ergebnis in Wahrheit auf einer – vor dem Hintergrund des damaligen religionswissenschaftlichen Forschungsstandes nachvollziehbaren, aber nichtsdestoweniger kritisierbaren – unzureichenden Kenntnis nicht-christlicher Religionen? Basiert möglicherweise bereits die philosophische Herausarbeitung des Vernunftglaubens auf einer vorgängigen, gleichsam a priorischen Präferenz für die christliche Religion, sodass es kein Zufall ist, wenn diese spezifische Religion sich scheinbar nachträglich als diejenige erweist, die dem Vernunftglauben am ehesten entspricht? – Wollte man die zweite Frage mit »Ja« beantworten, so erschiene das Christentum nicht mehr zwangsläufig als diejenige Religion, welche die stärksten Affinitäten zur reinen praktischen Vernunft besitzt, sondern es könn262 Ebd., S. 825 (B 235). Siehe dazu auch F. Camera: »›Sich der heiligen Urkunde als Karte bedienen‹. Über die Anfänge der Bibelauslegung bei Kant.« In: Kant und die Philosophie in weltbürgerlicher Absicht. Akten des XI. Internationalen Kant-Kongresses Pisa 2010. Bde. 1–5. Hrsg. v. S. Bacin, A. Ferrarin, C. La Rocca u. M. Ruffing. Berlin/Boston 2013. Bd. 2, S. 835–846. 263 I. Kant: Der Streit der Fakultäten, op. cit., S. 10.

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te sich umgekehrt der Vernunftglaube Kants als ein Konstrukt herausstellen, das seine wichtigsten Inspirationsquellen dem Christentum verdankt 264 – freilich einem Christentum, dessen maßgeblichen doktrinalen Gehalte in der philosophischen Aneignung wiederum interpretierend verändert werden. Unter den von der christlichen Religion vorgegebenen Inhalten, die Kant in der Religionsschrift philosophisch interpretiert, befinden sich Doktrinen wie die Christologie, die Erbsündenlehre, die Ekklesiologie sowie die Gnaden- und Rechtfertigungslehre. 265 Weil die Deutung Jesu Christi zentrale christliche Lehrinhalte berührt und außerdem mit allen übrigen Doktrinen in engem Zusammenhang steht, soll diese hier vorrangig betrachtet werden. 266 Jesus Christus, das sinngebende Zentrum der christlichen Religion, erscheint in der religionsphilosophischen Deutung Kants – jedoch ohne als historische Figur ›Jesus Christus‹ explizit benannt zu werden – als moralisches Vor- und Urbild der Menschheit, an dem sich jedes Individuum in seinem Bestreben, die ursprüngliche Anlage zum Guten in sich zu kultivieren, orientieren sollte. Christus als die Personifizierung des moralisch Guten stellt damit ein Ideal dar, d. h. – gemäß der Erläuterung, die Kant zu diesem Begriff im dritten Hauptstück des zweiten Buchs der Transzendentalen Dialektik aus der Kritik der reinen Vernunft gibt – »das Vollkommenste einer jeden Art möglicher Wesen und der Urgrund aller Nachbilder in der Erscheinung« 267. Die platonisierende Redeweise von ›Urbildern‹ bezieht sich allerdings weniger auf die kreative Potenz von Idealen als vielmehr 264 Man muss in diesem Punkt nicht so weit gehen wie J. Derrida, der sogar der reinen Moralphilosophie Kants einen christlichen Kern unterstellt: »Die unbedingte Allgemeinheit des kategorischen Imperativs ist evangelisch. Das sittliche Gesetz ist in das Innerste unserer Herzen als Gedächtnis des Leidens Christi eingezeichnet. Wenn es sich an uns richtet, redet es das Idiom des Christen – oder es schweigt.« (J. Derrida: »Glauben und Wissen«, a. a. O., Nr. 15., S. 22.) 265 Siehe dazu auch O. Höffe: »Einführung in Kants Religionsschrift«. In: Ders. (Hrsg.): Immanuel Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Berlin 2011, S. 1–28, hier S. 8. 266 Siehe zu diesem Themenkomplex G. B. Sala: Die Christologie in Kants »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft«. Weilheim-Bierbronnen 2000; ders.: Kant, Lonergan und der christliche Glaube. Ausgewählte philosophische Beiträge. Festgabe zum 75. Geburtstag. Hrsg. v. U. L. Lehner u. R. K. Tacelli. Nordhausen 2005; ders.: »Kant und die Theologie: eine kritische Lonergansche Sichtung«. In: Theologie und Philosophie, 83 (2008), S. 56–80. 267 KrV, A 568/B 596.

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auf ihre Kraft, als regulative Prinzipien von Willenbestimmungen und Handlungen zu fungieren, die auf Vollkommenheit ausgerichtet sind. 268 Sofern also der Gottessohn das moralisch Gute in persona verkörpert, vermag er dem moralischen Wollen von Menschen als absoluter Orientierungspunkt oder »unentbehrliches Richtmaß der Vernunft« 269 zu dienen. Sofern »die Menschheit (das vernünftige Weltwesen überhaupt) in ihrer moralischen ganzen Vollkommenheit« 270 den einzigen für die Vernunft annehmbaren Zweck der Weltschöpfung darstellt, liegt das personifizierte Ideal des vollkommen guten Menschen in der Idee und im Wesen Gottes selbst beschlossen; insofern kann in der christlichen Religion zu Recht daran geglaubt werden, dass Jesus Christus der eingeborene ›Sohn Gottes‹ sei. 271 Sucht ein Individuum dem Vorbild Jesu Christi nachzueifern, indem es etwa durch alle Leiden und Unglücksfälle hindurch an dem Grundsatz festhält, nach besten Kräften stets gemäß dem Sittengesetz zu handeln, so darf es darauf hoffen, Gottes Wohlgefallen würdig und der vollkommenen Glückseligkeit teilhaftig zu werden. 272 Die in der reinen praktischen Philosophie entwickelte Idee des höchsten Guts wird somit in Kants religionsphilosophischer Christologie zum Ideal des Gottessohnes selbst. Sofern sich Menschen in ihrem Wollen und Handeln an der Idee einer möglichen vollkommenen Übereinstimmung von Moralität und Glück orientieren und dabei das vernünftige Ideal des vollkommen guten Menschen vor Augen haben, dürfen sie als ›Kinder Gottes‹ betrachtet werden. Eine Religion, die auf eine solche Personifizierung des moralischen Urbildes der Menschheit gegründet ist, kann aus der Sicht der kantischen Religionsphilosophie einen höheren Grad an Wahrheit beanspruchen als Religionen, denen ein solches Vorbild nicht inhärent ist. Das Christentum ist aus diesem Grund für Kant ›wahrer‹ als alle anderen Religionen; Jesus Christus hat als der Verkünder »der alleinigen für alle Welt gültigen Religion« 273 zu gelten. Allerdings weicht das von Kant philosophisch interpretierte Christentum von der vorherrschenden Lehrmeinung der christlichen Kirchen deutlich ab: Gegen die seit dem 4. Jahrhundert n. Chr. durch268 269 270 271 272 273

Vgl. ebd., A 569/B 597. Ebd. ›Religionsschrift‹, S. 712 (B 73). Ebd., S. 712 f. (B 73 f.). Ebd., S. 714 (B 76). Ebd., S. 741 (B 117).

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gesetzte Doktrin von der Wesenseinheit Jesu mit seinem göttlichen Vater führt Kant das Argument an, dass nur ein menschliches Vorbild, das nicht gleichzeitig göttlichen Wesens sei, die moralische Kultivierung sinnlicher Vernunftwesen wirksam befördern könne. 274 Überdies könne jede historisch-empirische Erscheinung in Raum und Zeit – deren einschränkenden Bedingungen selbstverständlich auch sämtliche Propheten und Religionsstifter unterliegen – stets nur ein Beispiel für das in der Vernunft selbst liegende Urbild eines vollkommen guten Menschen liefern. 275 Insofern ist Jesus Christus als historische Figur nicht absolut deckungsgleich mit dem Ideal des Gott wohlgefälligen Menschen, sondern er stellt vielmehr eine – wenngleich besonders gelungene – empirische Inkarnation dieses Ideals dar. Von allen anderen Menschen seit ›Adam‹ ist Jesus Christus allerdings dadurch unterschieden, dass er von einem angeborenen Hang zum Bösen, d. h. von der Erbsünde frei ist. Seine vorbildliche Moralität erweist sich vor diesem Hintergrund darin, dass er jeder Versuchung, diesen Hang während seines Weltaufenthalts neu zu entwickeln, zeitlebens, bis zur Selbstaufopferung durch den Kreuzestod, widerstanden hat. 276 Die doktrinale Auffassung Jesu Christi als göttlichen Wesens – und damit zugleich die für das Christentum zentrale Trinitätslehre – ist für Kant jedoch außerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft angesiedelt. 277 Der Trinitätsgedanke mag durchaus als symbolische Vorstellung der drei in Gott vereinten Gewalten des Gesetzgebers, des Regenten und des Richters zweckdienlich sein, indem er eine Analogie zwischen politschem Staat und göttlicher Weltregierung stiftet. 278 Auch vermag er die gläubige Verehrung des religiösen MenEbd., S. 717 (B 80 f.). Ebd., S. 716 (B 79). 276 Ebd., S. 735 ff. (B 108 ff.) 277 Ebd., S. 808 f. (B 213 ff.): »Wenn aber eben dieser Glaube (an eine göttliche Dreieinigkeit) nicht bloß als Vorstellung einer praktischen Idee, sondern als ein solcher, der das, was Gott an sich selbst sei, verstehen solle, betrachtet würde, so würde er ein alle menschlichen Begriffe übersteigendes, mithin einer Offenbarung für die menschliche Fassungskraft unfähiges Geheimnis sein, und als ein solches in diesem Betracht angekündigt werden können. Der Glaube an dasselbe als Erweiterung der theoretischen Erkenntnis von der göttlichen Natur würde nur das Bekenntnis zu einem den Menschen ganz unverständlichen, und, wenn sie es zu verstehen meinen, anthropomorphistischen Symbol eines Kirchenglaubens sein, wodurch für die sittliche Besserung nicht das mindeste ausgerichtet würde.« 278 Vgl. ebd. 274 275

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schen auf die unterscheidbaren Aspekte des Vaters, der seine Geschöpft liebt (zumindest so lange sie sich am Sittengesetz orientieren), des Sohnes, in dessen Urbild sich der Vater sinnfällig darstellt, und des Heiligen Geistes, durch den sich die Weisheit der Liebe offenbart, zu lenken. 279 Diese Aspektierungen betreffen aber nur die subjektive Seite der Gottesverehrung; näheren Aufschluss über ›das wahre Wesen Gottes‹ vermag die Idee der göttlichen Dreifaltigkeit aus kantischer Sicht keinesfalls zu liefern. So wird das Christentum in der Interpretation Kants gegenüber allen anderen Religionen zwar einerseits deutlich aufgewertet, weil es als einzige Religion das vernünftige Ideal des vollkommen guten Menschen in den Mittelpunkt der Glaubensüberzeugung stellt. Andererseits aber wird es in seinem genuinen Offenbarungsanspruch, der darin liegt, mit der historischen Erscheinung, Kreuzigung und Wiederauferstehung des mit Gott wesensgleichen Sohnes Jesus Christus die absolute Wahrheit zu verkünden, relativiert; und auch den spekulativen Potentialen des christlichen Trinitätsgedankens, die in den idealistischen Religionsphilosophien zur Entfaltung kommen sollten, wird in der kantischen Religionsphilosophie aufgrund der strikten Erkenntnisrestriktionen der theoretischen Vernunft nicht weiter nachgegangen. Aus Sicht der kantischen Religionsphilosophie korrespondiert aber nicht nur die Gestalt Jesu den Grundsätzen der natürlichen Vernunftreligion, sondern vor allem auch zentrale religiöse Inhalte, die im Neuen Testament als christliche Botschaft verkündet werden. Die ethischen Kernforderungen Jesu Christi, die sich auf die beiden Gebote der Gottes- und der Nächstenliebe reduzieren lassen, werden von Kant so gedeutet, dass die Gottesliebe der allgemeinen Regel entspricht, seine Pflicht »aus keiner anderen Triebfeder, als der unmittelbaren Wertschätzung derselben« 280 heraus zu erfüllen, während das Gebot der Nächstenliebe die besondere Regel formuliert, das Wohl anderer Mitmenschen »aus unmittelbarem, nicht von eigennützigen Triebfedern abgeleitetem Wohlwollen« 281 zu befördern. Weitere zentrale Bestandsstücke der christlichen Dogmatik werden von Kant vor dem Hintergrund der angewandten Ethik, welche auch die pragmatische Frage nach der Umsetzbarkeit moralischer Grundsätze angesichts der anthropologischen Faktizität einbezieht, 279 280 281

Ebd., S. 813 f. (B 220 ff.) Ebd., S. 830 (B 243). Ebd.

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philosophisch erörtert. So bringt Kant die Erbsündenlehre in Verbindung mit dem anscheinend unausrottbaren Hang zum Bösen, der Menschen immer wieder dazu veranlasst, in der inividuellen Präferenzordnung von Handlungsgrundsätzen ausgerechnet jene Maximen nicht an die erste Stelle zu setzen, die dem kategorischen Imperativ entsprechen. 282 Weil dieser Hang vernünftigen Sinnenwesen seit Menschengedenken zu eigen ist und er damit zur anthropologischen Grundausstattung gezählt werden kann, macht die christliche Vorstellung einer gleichsam angeborenen Verkehrung der richtigen, gottgewollten Ordnung im Willen des Menschen gemäß der kantischen Deutung durchaus Sinn – sofern man den Begriff der ›Erbsünde‹ nicht im Sinne einer genetischen Determination missversteht, welche die Idee der menschlichen Freiheit unterlaufen würde, durch die es dem einzelnen Menschen möglich ist, sich grundsätzlich stets aufs Neue zwischen der Anlage zum Guten und dem Hang zum Bösen zu entscheiden. Auch der sinnbildlichen Fixierung des Unterschieds von Moralisch-Gutem und Moralisch-Bösem in der christlichen Vorstellung von Himmel und Hölle kann Kant philosophisch insofern einiges abgewinnen, als sich in der strikten Trennung zweier Reiche die Reinheit des durch keine sinnliche Beimischung getrübten MoralischGuten widerspiegelt. 283 Gut und Böse besitzen ebenso wenig wie die Reiche des Lichts und der Finsternis graduelle Abstufungen, die eine kontinuierliche Beurteilung von Handlungen, Willensbestimmungen, moralischen Einstellungen und Charakteren als »mehr oder weniger gut«, »mehr oder weniger böse« zuließen. Vielmehr folgt die ethische Grundunterscheidung in Gut und Böse einer zweiwertigen Logik, die kein Drittes zulässt und den Menschen hinsichtlich seiner moralischen Qualität ausschließlich danach beurteilt, ob er entweder die Anlage zum Guten in sich kultiviert oder aber dem Hang zum Bösen nachgegeben habe. Daher gelangt Kant zu der Schlussfolgerung, dass die christliche Vorstellung einer radikalen Scheidung zweier Reiche »bei dem Schauderhaften, das sie in sich enthält, zugleich sehr erhaben ist.« 284 Aus Sicht der kantischen Religionsphilosophie ist es rational nachvollziehbar und sinnvoll, den in jedem Menschen 282 Vgl. dazu auch Höffe 2011, S. 10 f.; sowie L. R. Duplá: »Kants Lehre vom radikal Bösen«. In: Jahrbuch für Religionsphilosophie, 6 (2007), S. 97–122. 283 Vgl. ›Religionsschrift‹, S. 710 (B 69 f.). 284 Ebd.

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anzutreffenden Streit zwischen Gut und Böse als den Kampf zweier entgegengesetzter Mächte – zwischen Gott und Teufel, Christus und Luzifer – religiös vorzustellen. 285 Warum Gott als höchstes Wesen es überhaupt zulässt, dass eine ›böse Macht‹ versucht, die Gemüter der Menschen auf ihre Seite zu ziehen, kann zwar weder religionsintern noch aus religionsphilosophischer Außenperspektive plausibel erklärt werden; dennoch erlaubt sich Kant die Spekulation, dass Gott die Macht des Bösen möglicherweise gerade deswegen agieren lasse, weil gerade sie vernünftigen Wesen ausgezeichnete Betätigungsmöglichkeiten für ihre Freiheit eröffne. 286 Die Wandlung von einer moralischen Grundeinstellung, die vom Hang zum Bösen geprägt ist, zu einer Einstellung, welche die ursprüngliche Anlage zum Guten im Menschen wiederherzustellen bestrebt ist, kann Kants Auffassung zufolge – wie bereits bemerkt – nur als eine radikale Konversion, eine Revolution der Gesinnung, vollzogen werden. Das sich selbst als moralisches Subjekt begreifende Individuum muss den Entschluss vollziehen, bei jeder Willensbestimmung und bei jeder Handlung grundsätzlich diejenige Maxime zu präferieren, die eine Verallgemeinerbarkeit ihres Prinzips erlaubt. In ihrer Radikalität, aber auch in ihrer inhaltlichen Ausrichtung ist diese ethische Konversion der christlichen ›Wiedergeburt‹ durch die Taufe durchaus vergleichbar, sodass Kant in diesem Kontext ausdrücklich auf Bibelstellen wie Joh 3,5 verweist, in denen die Neugeburt des Menschen aus dem Geist verkündet wird. 287 Die ethische ›Revolution der Denkungsart‹, welche die Wandlung vom Bösen zum Guten bewirkt, findet jedoch nicht nur auf der individuellen Ebene der fundamentalen Selbstbestimmung moralischer Subjekte statt, sondern sie lässt sich durch das historische Auftreten des Christentums auch innerhalb der Menschheitsgeschichte feststellen. Kant führt im Kontext seiner philosophischen Reinterpretation des Kampfes zwischen den Reichen des Guten und des Bösen auch eine nicht unproblematische religionsgeschichtliche Deutung des Verhältnisses von Judentum und Christentum durch, bei der die 285 Siehe ebd., S. 734 (B 106; »Zweiter Abschnitt: Vom Rechtsanspruche des bösen Prinzips auf die Herrschaft über den Menschen, und dem Kampf beider Prinzipien mit einander«). 286 Ebd., S. 735 (B 108): »[…] die Beherrschung und Regierung der höchsten Weisheit über vernünftige Wesen verfährt mit ihnen nach dem Prinzip ihrer Freiheit, und was sie Gutes oder Böses treffen soll, das sollen sie sich selbst zuzuschreiben haben.« 287 Ebd., S. 698 (B 54 f.)

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christliche Religion durch die Offenbarung des Gottessohns als die ›wahrere‹ und ›bessere‹ ausgezeichnet wird. Während nämlich Kant zufolge in der jüdischen Religion (bzw. »in der jüdischen Theokratie« 288) der Herrschaft des Bösen nur eine äußere Gesetzgebung entgegengesetzt wird (in der Sprache der Ethik gesprochen: bloße Legalität), findet mit dem Auftreten des Christentums eine moralische »Revolution« 289 statt, durch welche die Reinheit des moralisch Guten erstmals in der Religionsgeschichte zum primären Gegenstand einer Offenbarungsreligion erhoben wird. Das gute Prinzip scheint zwar durch den Kreuzestod Jesu zunächst zu unterliegen, wenn man den Ausgang des Kampfes zwischen Gut und Böse rein empirisch betrachtet; aber in moralischer Perspektive hat das Christentum jenem guten Prinzip, das schon »von dem Ursprunge des menschlichen Geschlechts an unsichtbarerweise vom Himmel in die Menschheit herabgekommen« 290 war, weltgeschichtlich zum Durchbruch verholfen. Seit der Erscheinung Jesu Christi auf Erden steht den Menschen nunmehr eine heilsgeschichtliche Alternative zur Herrschaft des bösen Prinzips in der Welt offen – wobei unter dem ›bösen Prinzip‹ nach Kant selbstverständlich keine okkulte Macht, sondern präzise derjenige Hang zu verstehen ist, der Menschen permanent dazu verleitet, rein egoistische Handlungsmaximen solchen Maximen vorzuziehen, die sich zu einer allgemeinen Gesetzgebung eignen. Und weil die meisten Menschen unter der Herrschaft dieses ›bösen Prinzips‹ stehen und leben, können Menschen, die ihren Willen gemäß der Anlage zum Guten zu bestimmen versuchen, in der Regel nicht uneingeschränkt glücklich sein; vielmehr müssen diejenigen, die »dem guten Prinzip anhängen, sich immer auf physische Leiden, Aufopferungen, Kränkungen der Selbstliebe« 291 gefasst machen. Eben deswegen benötigt die religiöse Einstellung den festen Glauben an eine göttliche Gerechtigkeit, die einstmals den moralisch guten Menschen auch ihren verdienten Anteil an unumschränkter Glückseligkeit zukommen lassen wird, und zwar gerade dann, wenn nicht diese, sondern das moralisch Gute um seiner selbst willen der Motivationsgrund für die praktische Willensbestimmung war. 292

288 289 290 291 292

Ebd. – Siehe auch ebd., S. 789 ff. (B 185 ff.), S. 838 (B 254 f.). Ebd., S. 698 (B 54 f.). Ebd., S. 738 (B 113). Ebd., S. 739 (B 114 f.). Ebd., S. 832 (B 245).

252 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Der Einschluss religiöser Motive in die Grenzen reiner Vernunft

Für Kant verkörpert keine historische Religion diese in der praktischen Philosophie entfaltete Idee des höchsten Guts überzeugender als die christliche. 293 Denn das Reich Gottes wird Kant zufolge im Christentum als eine Welt vorgestellt, in der die getrennten Bereiche der Natur und der Sittlichkeit im Willen des göttlichen Urhebers in einer Weise vereinigt sind, dass Moralität und Glückseligkeit zusammenfallen. 294 Zudem trägt das Christentum in der kantischen Lesart auch dem Autonomiegedanken der reinen praktischen Vernunft gebührend Rechnung, da nicht ein vermeintlich geoffenbarter göttlicher Wille die Gebote des Sollens vorschreibt, sondern einzig die pflichtgemäße Befolgung des aus reinen Vernunftgründen absolut geltenden Gesetzes einen Christen darauf hoffen lässt, dass ein göttlicher Wille das höchste Gut realisieren werde. 295 Weil das von Kant religionsphilosophisch interpretierte Christentum in seinen entscheidenden Grundsätzen auf der reinen Vernunft beruht, handelt es sich bei der christlichen Religion um diejenige Offenbarungsreligion, die der natürlichen, »in aller Menschen Herz geschriebenen Religion« 296 am nächsten kommt. Das Christentum stellt folglich jene wahrhafte Religion dar, auf deren Grundsätze die Menschen auch von selbst durch den bloßen Gebrauch ihrer Vernunft hätten kommen können. Freilich sind in den historisch-kulturellen Erscheinungsformen des Christentums im Sinne der sichtbaren Kirche reiner Vernunftglaube und Offenbarungsglaube (fides statutaria) untrennbar miteinander verbunden. 297 Das Verhältnis beider Glaubensarten innerhalb des Christentums ist Kant zufolge so aufzufassen, dass »die allgemeine Menschenvernunft in einer natürlichen Religion in der christlichen Glaubenslehre für das oberste gebietende Prinzip anerkannt und geehrt« 298 wird, während die Offenbarungslehre als ein bloß sekundäres Mittel gedeutet wird, das ausschließlich der Verbreitung des Vernunftglaubens dienen soll. Das Offenbarungsgeschehen um Jesus Christus, sein Leben und Lehren, sein Kreuzestod und seine Auferstehung sinkt damit in der kantischen Lesart zu einer historischen Rahmenhandlung ab, die sicherlich zu einer effektiveren Verbreitung der moralischen Grundsätze der 293 294 295 296 297 298

Vgl. KpV, S. 171 f. (A 229 f.). Ebd., S. 173 (A 231 f.). Ebd. ›Religionsschrift‹, S. 828 (B 239). Ebd., S. 834 (B 248). Ebd., S. 835 (B 250).

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Religion diesseits und jenseits der reinen Vernunft

Gottes- und der Nächstenliebe unter den Menschen geführt hat, für deren Fundierung sie jedoch in keiner Weise erforderlich war. Jesus Christus hat nur in einer besonders markanten Weise ausgesprochen und überzeugend vorgelebt, was als moralisches Grundprinzip immer schon in der Vernunft des Menschen gelegen hatte. Für Kant gibt es daher auch keine Trennung zwischen solchen Wahrheiten, die von der natürlichen Vernunft erkannt werden können, und Wahrheiten, die der natürlichen Vernunft prinzipiell unzugänglich sind, aber durch Offenbarungen erkannt werden können. Weil die Vernunft selbst das Richtmaß alles Erkennbaren darstellt, transportieren religiöse Offenbarungen entweder nur das, was die natürliche Vernunft auch aus eigener Kraft erkennen könnte, oder aber es handelt sich bei den sogenannten Offenbarungen um rein historische Geschehnisse, deren Wahrheit sich in ihrer reinen Faktizität erschöpft, ohne darüber hinausweisende transzendente Erkenntnisse übermitteln zu können. 299 Werden derartige rein historische Offenbarungen kulturell nicht weiter tradiert, so sterben sie irgendwann aus, weil sie keine internen normativen Bindungskräfte entwickeln können, die Vernunftsubjekte von sich aus dazu veranlassen könnten, sie zu bewahren. 300 Wollte man dieses Verhältnis umkehren, also den Offenbarungs- vor den Vernunftglauben stellen, so wäre der von Kant so bezeichnete religiöse »Afterdienst« 301 die zwangsläufige Folge. Der religiöse ›Mehrwert‹ des Christentums liegt aus der Sicht der kantischen Religionsphilosophie gerade nicht in der Offenbarung einer gänzlich ›neuen‹ Botschaft, sondern in der historischen Institutionalisierung des moralischen Prinzips der Vernunftreligion in Form einer sichtbaren Kirche. Kant ist jedoch keineswegs blind für die bisweilen monströse Faktizität der empirischen Religionsgeschichte, deren blutige Verwerfungen berechtigte Zweifel an der prinzipiellen Daseinsberechtigung von Religion aufkommen lassen. 302 Dennoch 299 Aus diesem Grund muss nach Kant auch bei der Bibelauslegung die moralische Interpretation stets den Vorrang haben gegenüber Lesarten von »Spruchstellen«, die »das Glauben einer Offenbarungslehre nicht allein als an sich verdienstlich ansähen, sondern wohl gar über moralisch-gute Werke erhöben« (Der Streit der Fakultäten, op. cit., S. 45). Dieser Grundsatz ließe sich sicherlich ebenfalls auf die Deutung des Korans übertragen. 300 ›Religionsschrift‹, S. 824 f. (B 234). 301 Siehe dazu den 2. Teil des Vierten Stücks der ›Religionsschrift‹ : »Vom Afterdienst Gottes in einer statutarischen Religion«. 302 Vgl. ebd., S. 796 f. (B 196 ff.)

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Der Einschluss religiöser Motive in die Grenzen reiner Vernunft

überwiegt aus kantischer Sicht in der religionsgeschichtlichen Beurteilung die ursprüngliche, eigentliche Intention Jesu Christi, »einen wahren Religionsglauben, über welchen es keine streitende Meinungen geben kann, einzuführen« 303; denn mit dieser Absicht komme das Christentum der moralischen Verpflichtung, ein menschheitsumspannendes ethisches Gemeinswesen auf der Basis der Vernunftreligion zu begründen, entgegen. Das Christentum vermag mit seinen kirchlichen Gemeinden gleichsam ausbaufähige institutionelle Formen bereit zu stellen, zu deren organisatorischer Entwicklung und Verbreitung die Vernunftreligion, die ja zunächst nur in je einzelnen Subjekten angenommen werden kann, aus eigenen Kräften kaum in der Lage wäre. Die aus dem Christentum erwachsende kontinuierliche »Einführung der wahren allgemeinen Religion« 304 stellt als finale Perspektive das höchste auf Erden mögliche Gut 305 in Aussicht, das Reich Gottes auf Erden, in dem alles Böse getilgt sein wird. Literarisch kann die endgültige Scheidung des Guten vom Bösen plastisch in den Bildern der biblischen Apokalypse dargestellt werden, die auf diese Weise »vor der Vernunft ihre gute symbolische Bedeutung annehmen« 306. Von allen mystisch-irrationalen Komponenten bereinigt, soll noch die »Erscheinung des Antichrists« 307 eine rein moralische Ausdeutung erhalten. Zusammengefasst ließe sich die kantische Position im Hinblick auf das Christentum als ›pragmatischer Inklusivismus‹ charakterisieren: Inklusivistisch ist die kantische Auffassung deswegen, weil Kant der Überzeugung ist, dass letztlich alle Religionen nach den in der christlichen Religion verkündeten Grundsätzen der reinen praktischen Vernunft streben; und als ›pragmatisch‹ kann sie deswegen bezeichnet werden, weil all dasjenige, was den christlichen Glauben über die Vermittlung der natürlichen Religion hinaus als spezifische Religion kennzeichnet, letztlich nur als Vehikel des Vernunftglaubens fungiert, aber keinen transzendenten Eigenwert hat. Aus der bisherigen Darstellung der kantischen Interpretation des Christentums dürfte deutlich geworden sein, dass es sich um eine streng rationalistische Lesart der christlichen Religion handelt, 308 die 303 304 305 306 307 308

Ebd., S. 797 (B 197). Ebd., S. 802 (B 205). Ebd. Ebd. Ebd. Siehe dazu C. Danz: »Der Lehrer des Evangeliums und der Endzweck der Schöp-

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Religion diesseits und jenseits der reinen Vernunft

bestimmte, zweifellos bedeutsame Aspekte des Christentums – wie die ethischen Grundsätze der Gottes- und Nächstenliebe – sehr stark hervorhebt, um demgegenüber andere Momente des Christlichen – wie vor allem die in den Evangelien geschilderte konkrete Leidensund Auferstehungsgeschichte Jesu Christi sowie die Trinitätslehre – auf einen sekundären Rang zu verweisen, obgleich sie für die Selbstinterpretation des Christentums von größter Bedeutung sind. Zeigt sich somit, dass die reine Vernunft bei der Betrachtung der christlichen Religion letztlich nur dasjenige als rational akzeptieren kann, was sie aus ihren eigenen Mitteln heraus – d. h. ohne dass es dazu überhaupt einer religiösen Offenbarung bedürfte – zu erkennen im Stande ist, so wäre komplementär zu dieser Feststellung nunmehr erneut die am Anfang dieses Kapitels gestellte Frage aufzuwerfen, inwieweit die Vernunftreligion und damit auch die religionsphilosophischen Deutungen Kants ihrerseits maßgeblich von den Prämissen der christlichen Religion beeinflusst sind. Gemeint ist hiermit eine Form der impliziten Beeinflussung durch das Christentum und die mit ihm verbundene Metaphysik, die über die produktive Inspiration der Philosophie durch christliche Vorstellungen und Motive, welche Kant ja explizit positiv hervorhebt, deutlich hinausgeht – in einer Weise hinausgeht, die, wollte man sich den kantischen Ansatz innerhalb einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie bruchlos zu eigen machen, für das unverrechenbare Andere nichtchristlicher Religionen (wie etwa den Buddhismus) geradezu blind machen könnte. Die Beeinflussung der kantischen Religionsphilosophie durch genuin christliche Motive ist in vielerlei Hinsichten unverkennbar. So spricht die von Kant herausgestellte Widerspiegelung der moralischen Konversion vom Guten zum Bösen im christlichen Taufsakrament keineswegs mit zwingender Plausbilität für die Rationalität der Taufe, sondern vielmehr dafür, dass die von Kant moralphilosophisch postulierte Revolution der Gesinnung selber nach dem Vorbild der christlichen Taufe, die sinnbildlich für die Geburt des ›neuen Menschen‹ steht, konzipiert wurde. Ebenso erscheint es als wesentlich plausibler, den scharf konturierten Gegensatz zwischen einem Reich des Guten, das auf dem reinen Vernunftprinzip der Moral basiert, und einem Reich des Bösen, das auf einseitigen Maximen des Egofung. Religionsbegründung und Christentumstheorie bei Immanuel Kant.« In: Hofer/Meiller/Schelkshorn/Appel 2013, S. 90–113.

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Inter- und transkulturelle Potentiale der kantischen Religionsphilosophie

ismus und der Sinnlichkeit beruht, als philosophischen Reflex des religiösen Dualismus von Himmel und Hölle zu betrachten, anstatt diesen Gegensatz, wie Kant vorgibt, zunächst rein rational zu entwickeln und ihn alsdann – gleichsam a posteriori – in der christlichen Religion hermeneutisch wieder zu entdecken. Das Gleiche gilt auch für die philosophische Rekonstruktion der christlichen Erbsündenlehre: Diese kann nicht etwa deswegen als rational gerechtfertigt gelten, weil es einen angeborenen Hang zum Bösen im menschlichen Geschlecht gebe, wie Kant im Ersten Stück der Religionsschrift darlegt; vielmehr ist umgekehrt eben die philosophische Annahme eines solchen angeborenen Hangs zum Bösen genuin christlich gefärbt. Und schließlich gilt auch für den vielleicht wichtigsten Aspekt in Kants religionsphilosophischer Deutung des Christentums, nämlich der Interpretation Jesu Christi als einer ausgezeichneten Personifizierung des Ideals eines vollkommen guten Menschen, dass die philosophische Interpretation nicht die Rationalität des christlichen Glaubens verbürgt, sondern in erster Linie die eigene christliche Prägung verrät. Die kantische Religionsphilosophie findet im Christentum letztlich nur ihre eigene Inspirationsquelle wieder; aber sie erweckt dabei den Anschein, als habe sie zunächst die rationalen Grundprinzipien jeglicher Religiosität aus reiner Vernunft ermittelt, um diese dann gleichsam ›nachträglich‹ mit dem konkreten Fall einer empirischen Religion – dem Christentum – zu vergleichen.

3.

Inter- und transkulturelle Potentiale der kantischen Religionsphilosophie

Die systematische Rekonstruktion zentraler Argumente und Gedankenzusammenhänge der kantischen Religionsphilosophie versetzt uns nunmehr in die Lage, die inter- sowie die transkulturellen Potentiale dieser Position näher zu bestimmen, zugleich aber auch auf einige Desiderate und Defizite der Religionsphilosophie Kants hinzuweisen, die zum Teil bereits innerhalb der nachkantischen Religionsphilosophie aufgegriffen und eingehend diskutiert wurden, zum Teil jedoch einer überzeugenden philosophischen Behandlung nach wie vor harren. Bemerkenswert ist an der von Kant vertretenen philosophischen Einstellung gegenüber der Religion zunächst, dass der Religionsphilosophie die Aufgabe zugewiesen wird, den Wahrheitsgehalt religiö257 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Religion diesseits und jenseits der reinen Vernunft

ser Überzeugungen mit den Mitteln der Vernunft zu evaluieren und Religionen gemäß ihrer Nähe und Ferne zu den Begriffen der reinen praktischen Vernunft zu beurteilen. Philosophie wird dadurch gleichsam zur unparteiischen Schiedsrichterin über die Wahrheitsansprüche konkurrierender Religionen. Der Anspruch, »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« zu untersuchen und darzustellen, kann zwar auch im Sinne einer Selbstbescheidung der Vernunft aufgefasst werden, die ausschließlich jene Aspekte von Religion in ihre Betrachtung einbezieht, die tatsächlich rational erfasst werden können, ohne damit jedoch auszuschließen, dass es nicht darüber hinaus transzendente Aspekte des Religiösen geben könnte, welche die Kompetenz der Vernunft übersteigen. Diese Auffassung ist zwar nicht vollkommen irrig; sie sollte allerdings zugleich berücksichtigen, dass eben jene transzendenten Momente der Religion (beispielsweise übernatürliche Erfahrungen o. dgl.) von Kant stets der Sphäre der (historischen) Empirie zugerechnet werden, während die Apriorizität und Universalität der Religion einzig aus der reinen praktischen Vernunft hervorgehen. Religiöse Transzendenz kann innerhalb der kantischen Religionsphilosophie letztlich nur im Kontext kultureller Besonderung gedacht werden und entzieht sich deswegen einer vollständigen Rationalisierung (nicht etwa weil sie übersinnlich, sondern weil sie nicht verallgemeinerungsfähig ist); die eigentlich entscheidenden transkulturell-verbindenden Elemente des Religiösen hingegen sind der (praktischen) Vernunft vollkommen zugänglich. Aus der Perspektive eines nachmetaphysischen Denkens im Sinne von J. Habermas, auf dessen Auseinandersetzung mit Religion noch näher einzugehen sein wird, muss der kantische Anspruch, religiöse Aussagen philosophisch zu evaluieren, als vermessen erscheinen. Zeitgenössische Philosophie ist jedenfalls laut Habermas dazu gezwungen, auf eine derartige Evaluationskompetenz Verzicht zu leisten. Habermas zufolge sprechen »historische Erfahrungen und reflexiv gewonnene Einsichten dafür, daß die Philosophie heute den vitalen Weltreligionen nicht länger in der Rolle eines Inspektors begegnen kann, der den Wahrheitsgehalt religiöser Überlieferungen prüft.« 309 Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass die zeitgenössische Religionsphilosophie – in ihren analytischen Ausprägungen zumal – nach wie vor das Ziel verfolgt, mit rationalen Mitteln religiöse und theologische Argumente begrifflich zu rekonstruieren und hinsicht309

J. Habermas: »Einleitung«. In: Ders.: Kritik der Vernunft, op. cit., S. 30.

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Inter- und transkulturelle Potentiale der kantischen Religionsphilosophie

lich ihrer Plausibilität zu analysieren. Problematisch ist daran aber – anders, als Habermas meint – weniger dieser generelle Anspruch, den die religionsphilosophische Disziplin prinzipiell immer schon hatte und auf den sie wohl nur um den Preis ihrer Selbstaufgabe verzichten könnte, als vielmehr der immer noch zu stark auf theozentrische Problemstellungen eingeschränkte Blickwinkel. Der für eine interkulturelle Religionsphilosophie unzureichende Aspekt der kantischen Herangehensweise an Religion(en) liegt nicht in ihrem Anspruch, religiöse Inhalte im begrifflichen Medium der Vernunft zu rekonstruieren, sondern in ihrer vom Christentum durchdrungenen Heuristik, die im Zuge eines unreflektierten hermeneutischen Zirkels dazu führt, dass genau diejenigen religiösen Elemente philosophisch ausgezeichnet werden, von denen die eigene philosophische Analyse gleichsam ›kulturell‹ vor-geprägt war. So ist die von Kant beschriebene Methode religionsphilosophischer Annäherung zwar durchgehend um Neutralität bemüht – davon zeugt alleine schon der Versuch einer allgemeinen systematischen Einteilung von Religionen in moralische/kultische, natürliche/geoffenbarte, natürliche/gelehrte –; in der faktischen Ausführung erweist sich dann aber dennoch die Dominanz einer okzidental-ontotheologischen Sichtweise, in der das Christentum als die wahrste und höchste aller Weltreligionen erscheint, weil sie angeblich am meisten mit der moralischen Vernunftreligion übereinstimmt. Der Islam hingegen – um ein Beispiel anzuführen, auf das Kant selbst, wenngleich nur rudimentär, Bezug nimmt 310 – muss aus der kantischen Perspektive als eine primär statutarische Religion erscheinen, die ihren Anhängern die Einhaltung bestimmter äußerlicher Observanzen (wie den Fastenmonat Rammadan oder das fünfmalige tägliche Gebet) vorschreibt 311 und den an diese Verrichtungen angepassten Glauben zudem mit allzu konkreten Bildern jenseitiger 310 Siehe dazu etwa die längere Anm. am Ende des »§ 3. Vom Pfaffentum als einem Regiment im Afterdienst des guten Prinzips« im Vierten Stück der ›Religionsschrift‹ (S. 858, B 285). Der »Mohammedanism« wird hier vom ›hinduischen‹ Glauben durch das Kriterium des Stolzes unterschieden, den der Islam in seinen Anhängern durch die »Unterjochung vieler Völker« erwecke, welche als »Bestätigung seines Glaubens« betrachtet würde; ferner seien »seine Andachtsgebräuche alle von der mutigen Art«. 311 Vgl. ebd., S. 869 (B 301). Kant räumt von den fünf Säulen des Islam allenfalls dem Gebot des Almosengebens ein, dass es auf einen praktischen Vernunftbegriff bezogen werden könnte, allerdings nur dann, »wenn es aus wahrer tugendhafter und zugleich religiöser Gesinnung für Menschenpflicht geschähe« – was im Islam Kant zufolge jedoch nicht der Fall sei.

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Religion diesseits und jenseits der reinen Vernunft

Glückseligkeit bzw. schmerzvoller Bestrafung zu sanktionieren sucht. So nennt Kant in der Kritik der praktischen Vernunft als besonders abschreckende Beispiele irrationaler religiöser Glaubensvorstellungen zum einen »Mahomets Paradies«, zum anderen »der Theosophen und Mystiker schmelzende Vereinigung mit der Gottheit« 312: Beide religiösen Vorstellungen können einer rationalen Betrachtung nur als willkürlich erzeugte »Ungeheuer« 313 erscheinen, vor denen sich die Vernunft schützen muss. Die islamische Paradiesvorstellung wird von Kant offensichtlich deswegen herangezogen, weil sie als Verabsolutierung eines praktischen Interesses erscheint, das nur als Sachwalter der auf Glückseligkeit bezogenen, subjektiven Neigungen auftritt. Aus interkultureller Perspektive ist es allerdings fragwürdig, dass Kant an dieser Stelle nur auf die muslimische, nicht jedoch auf Vorstellungen eines jenseitigen Paradieses in anderen Religionen eingeht, die sich von der islamischen nicht grundsätzlich unterscheiden – jedenfalls nicht unter dem Aspekt, um den es Kant in diesem Zusammenhang geht. Auch die Ablehnung der Authentizität mystischer Vereinigungen mit dem Göttlichen ist aus dem Denkhorizont der kantischen Religionsphilosophie heraus nachvollziehbar und konsequent, wenn man nämlich – wie Kant – Religion ausschließlich als Konsequenz der Moral interpretiert. Jenseitsvorstellungen und mystische Ahnungen des Göttlichen können unter dieser Perspektive nur dann einen rationalen Sinn gewinnen, wenn sie als symbolische Darstellungen einer eigentlich ›moralischen‹ Absicht interpretiert werden. Immerhin billigt Kant diese Deutungsmöglichkeit offensichtlich auch nicht-christlichen Religionen wie dem Islam und dem Hinduismus zu: »Die Muhamedaner wissen […] der Beschreibung ihres aller Sinnlichkeit geweiheten Paradieses sehr gut einen geistigen Sinn unterzulegen, und eben das tun die Indier mit der Auslegung ihres Vedas, wenigstens für den aufgeklärten Teil des Volkes.« 314 Diese Bemerkung Kants scheint wiederum dafür zu sprechen, dass trotz der privilegierten Stellung des Christentums in der kantischen Religionsdeutung auch den Anhängern anderer Weltreligionen von ihren jeweiligen Offenbarungen aus die Möglichkeit zugeschrieben wird, die gleichsam an-

312 313 314

KpV, S. 163 (A 217). Ebd. ›Religionsschrift‹, S. 772 (B 160).

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Inter- und transkulturelle Potentiale der kantischen Religionsphilosophie

thropologische »Anlage zur moralischen Religion in der menschlichen Vernunft« 315 zu entdecken und auszubilden. Hinsichtlich der normativen Auslegung religiösen Glaubens konzipiert Kant eine an der Dichotomie von moralischer Vernunftund statutarischer Offenbarungsreligion konzipierte Arbeitsteilung zwischen Religionsphilosophie und Theologie. Letzterer kommt es zu, die tradierten Dokumente der Offenbarung philologisch aufzubereiten und historisch zuverlässiges Wissen bereit zu stellen, »um den Kirchenglauben für ein gewisses Volk zu einer gewissen Zeit in ein bestimmtes sich beständig erhaltendes System zu verwandeln.« 316 Dieser doktrinalen Schriftgelehrsamkeit, die kein universell gültiges, sondern nur ein historisch-relatives Wissen über Religion hervorbringen kann, steht die ›authentische‹ Auslegung der Religionsphilosophie gegenüber, welche die vernunftreligiösen Facetten eines religiösen Offenbarungsdokuments – nicht immer ohne hermeneutische Gewaltsamkeit 317 – herausarbeitet. So sehr Kant auch darin zuzustimmen ist, dass es der Religionsphilosophie darum gehen sollte, aus religiösen Dokumenten begrifflich rekonstruktierbare Ideen und Argumente zu gewinnen, so problematisch bleibt doch der auf Moral verengte Blickwinkel der von Kant favorisierten authentischen Religionsauslegung. Ein interkultureller religionsphilosophischer Ansatz, der davon ausgeht, dass sich in den Weltreligionen die Totalität menschlicher Weltzugänge abbildet, müsste – im Unterschied zu der ausschließlich moralischen Religionsdeutung Kants – nicht nur die Normativität des richtigen Handelns und die Idee des guten Lebens, sondern etwa auch Dokumente subjektiver und kollektiver Begegnungsweisen mit dem Göttlichen angemessen berücksichtigen. Deren Authentizität kann zwar rational nicht begründet werden – sodass der kantische Willkürverdacht gegen Aberglauben und Fanatismus durchaus berechtigt bleibt –, aber es ließen sich zumindest dann, wenn innerhalb spezifischer Religionen bereits zureichende normative Grundlagen für moralisch richtiges Handeln sowie die Idee des guten Lebens vorliegen, KonvergenzEbd., S. 773 (B 161). Ebd., S. 776 (B 166). 317 Ebd., S. 771 (B 158): »Diese Auslegung mag uns selbst in Ansehung des Texts (der Offenbarung) oft gezwungen scheinen, oft es auch wirklich sein, doch muß sie, wenn es nur möglich ist, daß dieser sie annimmt, einer solchen buchstäblichen vorgezogen werden, die entweder schlechterdings nichts für die Moralität in sich enthält, oder dieser ihren Triebfedern wohl gar entgegen wirkt.« 315 316

261 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Religion diesseits und jenseits der reinen Vernunft

punkte mystischer Erfahrungen in unterschiedlichen religiösen Traditionen philosophisch, d. h. anhand einer Analyse entsprechender Diskurse und Dokumente, herausarbeiten: eine religionsphilosophische Aufgabe, die der kantischen Religionsphilosophie allerdings fremd bleiben muss. Um die einseitige, zumeist negative Betrachtung nicht-christlicher Religionen zu überwinden, die aus interkultureller Sicht ein gravierendes Defizit der kantischen Religionsphilosophie darstellt, vor dem Hintergrund der Bildungssituation am Ende des 18. Jahrhunderts jedoch historisch nachvollziehbar ist, muss keineswegs auf die innerphilosophische Auseinandersetzung mit religiösen Gehalten verzichtet werden. Stattdessen wäre es erforderlich, die dem Anspruch nach von Kant bereits eingenommene ›neutrale‹ Vernunftperspektive in der Religionsphilosophie auf der Basis eines erweiterten Kenntnisstandes über die Vielfalt der Weltreligionen erneut fruchtbar zu machen und vor allem in der Auseinandersetzung mit jüdischer, islamischer sowie ostasiatischer Religiosität und Spiritualität zu erproben. 318 Die gleichmäßige kritische, aber wohlwollende Distanz, welche die kantische Religionsphilosophie gegenüber den verschiedenen christlichen Konfessionen einnimmt, wäre auf das Verhältnis zu den nicht-christlichen Religionen zu übertragen. Der von Habermas geforderte generelle Verzicht des nachmetaphysischen Denkens auf Religionsphilosophie – unter der Habermas offenbar ausschließlich »die vernünftige Selbstauslegung eines praktizierten Glaubens mit Mitteln der Philosophie« 319 verstehen möchte – hätte dagegen faktisch zur Folge, dass die in der kantischen (sowie der nachkantischen) Religionsphilosophie bereits entwickelten Impulse zu einer interkulturellen ›Philosophie der religiösen Vernunft‹ historisch ausschließlich unter der Maßgabe unreflektierter christlicher Vorprägungen umgesetzt worden wären. Eine interkulturelle Fortentwicklung der kantischen und nachkantischen Religionsphilosophie würde unterbunden, bevor ihre Potentiale auch nur ansatzweise ausgeschöpft wären. Der von Kant favorisierte methodische Ansatz, religiöse Aus-

318 Untersuchungsansätze, welche die kantische Philosophie mit asiatischen Religionen und Philosophien in Beziehung setzen, finden sich etwa in dem Sammelband Cultivating Personhood: Kant and Asian Philosophy. Hrsg. v. S. R. Palmquist. Berlin/New York 2010. 319 J. Habermas: »Einleitung«. In: Ders.: Kritik der Vernunft, op. cit., S. 31.

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Inter- und transkulturelle Potentiale der kantischen Religionsphilosophie

sagen in dem um Neutralität bemühten Medium der Vernunft zu erwägen, ließe sich unter den Bedingungen des globalisierten religiösen Pluralismus als philosophische Reflexion interreligiöser sowie religiös-säkularer Divergenzen neu übersetzen. Und gerade die kantische Differenzierung unterschiedlicher Aspektierungen und WeltZugangsweisen gemäß der theoretischen und praktischen Vernunft sowie der Urteilskraft mag sich für eine interkulturell orientierte Religionsphilosophie als ausgesprochen hilfreich erweisen, um divergierende religiöse Aussagen hinsichtlich ihres Geltungsbereichs und -anspruchs angemessen einschätzen zu können. Weniger das inhaltliche Ergebnis der kantischen Überlegungen zur Religion als vielmehr deren methodische Annäherung könnte sich somit für die Ausgestaltung einer interkulturellen Religionsphilosophie als weiterführend erweisen. Denn Kant arbeitet zwar in inhaltlicher Hinsicht das gemeinsame ethische Fundament aller Weltreligionen heraus – ein Unternehmen, das von Hans Küngs Projekt Weltethos 320 unter den Prämissen des späten 20. Jahrhunderts aufgenommen wurde –, aber er stilisiert diese ethische Kompatibilität der Weltreligionen im Sinne des Vernunftglaubens zu einer allumfassenden, transkulturellen Religion der Vernunft, dergegenüber alle anderen Momente des Religiösen zu empirischen Sekundäreigenschaften herabsinken. »Es ist nur eine (wahre) Religion«, bemerkt Kant im Dritten Stück der Religionsschrift und meint damit die moralische Vernunftreligion, »aber es kann vielerlei Arten des Glaubens geben.« 321 Durchaus anschlussfähig ist an dieser Auffassung das aufgeklärte Moment, dass die Verschiedenheit der ›Religionen‹ (die nach Kant streng genommen gar nicht ›Religionen‹, sondern ›Glaubensarten‹ heißen müssten, da der Begriff ›Religion‹ überhaupt nicht im Plural existiert) Individuen nicht vollständig kulturell determinieren, sondern dass es gleichsam über der empirisch trennenden Diversität der Glaubensformen noch die verbindende Ebene der ›natürlichen‹ Religion gibt: »Es ist daher schicklicher […] zu sagen: dieser Mensch ist von diesem oder jenem (jüdischen, mohammedanischen, christlichen, katholischen, lutherischen) Glauben, als: er ist von dieser oder jener Religion.« 322 Denn Religion – im ›eigentlichen‹, nämlich moralischen Sinne verstanden – 320 321 322

Küng 1991. Ebd., S. 768. Ebd., S. 768 (B 154).

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Religion diesseits und jenseits der reinen Vernunft

ist für Kant keine trennende Größe, die Menschen in kulturell separierte Gemeinschaften aufteilt, sondern sie hat, wie dies ja auch in der Figur des transkulturellen ethischen Gemeinwesens zum Ausdruck kommt, eine menschheitsverbindende Dimension. Religionskriege tragen ihren Namen daher zu Unrecht, denn politische und kriegerische Auseinandersetzungen können sich gemäß der kantischen Defnition stets nur auf den statutarischen Kirchenglauben beziehen, nicht jedoch auf die universelle Vernunftreligion, welche alle gutwilligen Menschen unter einem göttlichen Gesetzgeber vereinigen soll. 323 Das Problem der kantischen Differenzierung zwischen Vernunftreligion und empirischen Glaubensarten (die, wie gezeigt, auch in einer einzelnen Religion vereinigt sein können) liegt somit keineswegs darin, dass überhaupt gemeinsame ethische und moralische Grundsätze der Weltreligionen herausgestellt und von sekundären Komponenten der Religion unterschieden werden. Problematisch ist vielmehr, dass sich die religionsphilosophische Analyse ausschließlich auf den Bereich der Ethik bzw. Moral konzentriert und alle Aspekte des Religiösen, die keinen Bezug zur Sphäre des pflichtgemäßen Wollens und Handelns aufweisen, in die untergeordnete Ebene des Historisch-Empirischen verweist: »Denn das Theoretische des Kirchenglaubens kann uns moralisch nicht interessieren, wenn es nicht zur Erfüllung aller Menschenpflichten als göttlicher Gebote (was das Wesentliche aller Religion ausmacht), hinwirkt.« 324 Von den Prämissen des kantischen Systembaus her ist diese Einschränkung des Blickwinkels durchaus konsequent, gehörte es doch zu den revolutionären Einsichten der kantischen Vernunftkritik, dass die Aussagen der überkommenen Metaphysik qua philosophischer Theologie die Kapazitäten einer über ihre eigenen Grenzen informierten Vernunft unzulässig überschritten. Weil aber die Themen der theologischen Metaphysik für Kant zugleich alles umfassten, was für die theoretische Vernunft auf religiösem Gebiet überhaupt erkundbar war, schien die transzendentale Theologie in ihrer kritischen Funktion sämtliche denkbaren religiösen Wahrheitsansprüche auf theoretischem Gebiet abweisen zu können. 323 Ebd., S. 769 (B 155): »Auch sind die sogenannten Religionsstreitigkeiten, welche die Welt so oft erschüttert und mit Blut besprützt (sic) haben, nie etwas anderes, als Zänkereien um den Kirchenglauben gewesen […]«. 324 Ebd., S. 771 (B 158).

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Inter- und transkulturelle Potentiale der kantischen Religionsphilosophie

In einer interkulturellen Perspektive ist dieser Befund jedoch deutlich zu relativieren. Die religionskritischen Argumente Kants zielten tatsächlich ›nur‹ auf gewisse metaphysische Annahmen und Konstrukte der christlich-abendländischen Tradition wie etwa die Auffassung, dass es möglich sei, die Existenz Gottes apodiktisch zu beweisen. Warum aber sollte sich beispielsweise eine Prozessontologie, wie sie bestimmten Lehren des Buddhismus zu Grunde liegt, vom kantischen Ausschluss der theoretischen Vernunft aus religiösen Themenstellungen tangiert fühlen? – Der Schluss von der Widerlegung zentraler metaphysischer Argumente auf die Irrevelanz aller theoretischen Aussagen, die innerhalb religiöser Systeme getroffen werden können, beruht auf der falschen Prämisse, dass die von Kant untersuchten Argumente der metaphysischen Theologie tatsächlich den gesamten Bereich des theoretisch, insbesondere ontologisch Relevanten, das überhaupt in Religionen vorkommen kann, abdeckt. Tatsächlich aber bewegt sich die transzendentale Metaphysikkritik konsequent in den Bahnen dessen, was die Geschichte der ontotheologischen Metaphysik als herrschende Auslegung des Seins des Seienden, um einen Heidegger’schen Ausdruck ins Spiel zu bringen, vorgezeichnet hat. 325 Gerade die von Kant in zentralen Aspekten widerlegte bzw. unter transzendentalphilosophischen Prämissen neu formulierte Metaphysik ist untrennbar von ihrer jahrhundertelangen Amalgamierung mit christlichen Vorstellungen. 326 Erkenntnis zielte im Rahmen dieser Tradition stets darauf ab, einen Gegenstand zu bestimmen. Als die höchsten Gegenstände aber galten diejenigen, deren Erkenntnis der Metaphysik vorbehalten war: die Welt als geschaffene Totalität der in Raum und Zeit befindlichen Gegenstände; die Seele des Menschen als unsterbliches Ding; und schließlich Gott, der Schöpfer von Allem, als höchstes Ding. Bereits die Bestimmung

325 Siehe dazu etwa M. Heidegger: Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen [Gesamtausgabe Bd. 41]. Frankfurt a. M. 1984. 326 M. Heidegger beschreibt diesen Zusammenhang in der Vorlesung Die Frage nach dem Ding (ebd., S. 109 f.) folgendermaßen: »Die neuzeitliche Metaphysik seit Descartes bis zu Kant, und über Kant hinaus auch die Metaphysik des Deutschen Idealismus, ist ohne die christlichen Grundvorstellungen nicht zu denken. Das Verhältnis zum dogmatischen Kirchenglauben kann dabei sehr locker, sogar abgebrochen sein. Gemäß der Vorherrschaft der christlichen Vorstellung vom Seienden kommt in das Seiende im Ganzen eine bestimmte Gliederung und Abstufung. Das eigentliche und höchste Seiende ist jenes, was als der schöpferische Ursprung alles Seienden gilt, der eine, persönliche Gott als Geist und Schöpfer.«

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Religion diesseits und jenseits der reinen Vernunft

eines einzelnen Gegenstandes setzt Einschränkung, Negation, und damit letztlich, wie Kant in seinen Erwägungen zum ›Ideal der Vernunft‹ gezeigt hat, den Horizont eines unbeschränkten Alls der Realität voraus, das in der Idee Gottes als des personifizierten Inbegriffs aller Realitäten kulminiert. Wenn Philosophen wie Heidegger oder Derrida mit ihrer Auffassung Recht haben, dass die rationale Metaphysik des Abendlandes in wesentlichen Zügen von christlichen Einflüssen imprägniert war, dann konnte sich auch die transzendentale Metaphysikkritik Kants nur auf diese spezifische, christlich geprägte Traditionslinie beziehen. Der von Kant in der theoretischen Philosophie herausgestellten Nicht-Erkennbarkeit der höchsten metaphysischen Ideen korrespondiert ihre Rehabilitierung auf dem Gebiet der reinen praktischen Vernunft. Aber dies bedeutet letztlich nur, dass die Dominanz des Christlichen in der an die Moral anschließenden Religionsphilosophie virulent bleibt, während sich der theoretische Verstand Kulturen übergreifend mit der Erkenntnis sinnlicher Gegenstände begnügen soll, obwohl der Aufweis der unzulässigen Hypostasierung der Gegenstandserkenntnis im ontologischen Gottesbeweis doch ausschließlich die christlich-monotheistische Metaphysik betraf. In Bezug auf die theoretisch relevanten Momente von Religion – gerade auch des Christentums, etwa hinsichtlich der spekulativen Potentiale des Trinitätsgedankens – haben bereits die unmittelbar auf Kant folgenden Deutschen Idealisten, wie das folgende Kapitel zeigen wird, die Defizite der kantischen Beschränkung auf die praktische Vernunft in religiösen Belangen aufgezeigt. Noch deutlicher erweisen sich die Grenzen dieser Reduktion, sobald man eine dezidiert interkulturelle Perspektive einnimmt, die an einer verstärkten Einbeziehung ostasiatischer, insbesondere buddhistischer Religiosität in den religionsphilosophischen Diskurs interessiert ist. Berücksichtigt man etwa die Tatsache, dass buddhistische Doktrinen auf ontologischen sowie erkenntnistheoretischen Annahmen beruhen, die sich nicht mit den vorherrschenden Evidenzen der abendländischen Tradition decken, dann kann der kantische Ausschluss der theoretischen Vernunft aus dem Gebiet religiöser Aussagen keinen Anspruch auf universale Gültigkeit erheben. Dass für den Buddhismus Fragen nach der Existenz Gottes sowie nach der Unsterblichkeit der Seele gerade nicht zu den wichtigsten und unumgänglichsten Fragen gehören, die Metaphysik und Religion unbedingt beantworten müssten, stellt eine Position dar, die im Rahmen der kantischen Religionsphilosophie 266 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Inter- und transkulturelle Potentiale der kantischen Religionsphilosophie

nicht zureichend gedacht werden kann. 327 Um diesen und anderen religiösen Ansätzen, die sich dem begrifflichen Instrumentarium der abendländischen Ontotheologie entziehen, gerecht zu werden, müssten – mit und gegen Kant – im Zuge einer interkulturell erweiterten philosophischen Auseinandersetzung mit Religion auch die genuinen Kompetenzen und Potentiale der theoretischen Vernunft sowie der (ästhetischen) Urteilskraft aktiviert werden, um interne Kohärenzund externe Kompatibilitätsspielräume religiöser Aussagen, Vorstellungen und Bilder auf einer breiteren Reflexionsbasis auszuloten, als sie die praktische Vernunft alleine zu liefern vermag. Der generelle Anspruch der kantischen Religionsphilosophie, bestehende Glaubensformen anhand eines (vorgeblich) rein rational, deduktiv gewonnenen Religionsbegriffs evaluieren zu können, ist im interkulturellen Kontext sicherlich nicht aufrecht zu erhalten; in diesem Punkt ist Habermas zuzustimmen. Eine schwächere Lesart der religionsphilosophischen Ambitionen könnte jedoch zumindest an der methodischen Leitidee Kants festhalten, die besagt, dass durch die philosophische Beschäftigung mit religiösen Gehalten rational basierte Kriterien ermittelt werden können, die es erlauben, religiöse Pluralität philosophisch zu systematisieren und auszulegen. Daraus muss sich nicht zwangsläufig – wie bei Kant – die einzig wahre Religion des moralischen Vernunftglaubens ergeben. Es genügt schon, wenn sich bezogen auf spezifische Bereiche des menschlichen Weltzugangs (im Erkennen, Wollen/Handeln und Erleben) Konvergenzund Divergenzpunkte zwischen den Religionen sowie zwischen religiösen und säkularen Positionen deutlicher und vor allem explizit darstellen lassen, um die Relevanz interkultureller Religionsphilosophie zu belegen. Was also in dieser Hinsicht von Kant übernommen werden kann, ja sollte, ist die generelle Kompetenzzuschreibung der Vernunft in ihrer Rolle als ein prinzipiell jedem Menschen zur Verfügung stehendes Medium der diskursiven Verhandlung religiöser Positionen und Inhalte. Als nicht valide erscheint demgegenüber die Vorstellung, die Philosophie könne aus eigener Kraft einen a priorischen Religionsbegriff entwickeln oder voraussetzen, an dessen Maßstab sich alle faktisch existierenden Religionen messen lassen sollten. Der im I. Teil bereits näher betrachtete religiöse Pluralismus John Hicks zeigt exemplarisch, in welches Dilemma sich eine Religions327 Siehe dazu: E. A. Beach: »The Postulate of Immortality in Kant: To what extent is it culturally conditioned?« In: Philosophy East and West, 58 (2008), S. 492-523.

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Religion diesseits und jenseits der reinen Vernunft

betrachtung verstrickt, welche die kantische Dichotomie von a priori/ a posteriori auf den Bereich der Religion zu übertragen versucht: 328 Die einzelnen Religionen werden dadurch in ihrem genuinen Selbstverständnis sowie in dem, was sie konkret lehren und bedeuten, entwertet, wenn ihre spezifischen Unterscheidungsmerkmale zu bloß empirisch-subjektiven Bedingungen der Konkretisierung eines aller wissbaren Vergegenständlichung enthobenen Absoluten herabgesetzt werden, von dem nur die Religionsphilosophie weiß, dass es in sämtlichen Religionen nur in einer sekundären Weise, nämlich unter den verzerrten Bedingungen soziokultureller Realität vorkommt. Demgegenüber ist zu betonen, dass die Philosophie eine derartige Idee des Absoluten oder des ›Real‹, wie es Hick bezeichnet, weder deduktiv, aus bloßen Begriffen, gewinnen und sodann auf religiöse Systeme beziehen noch induktiv aus religiösen Systemen abstrahieren und sodann als normativen Maßstab aufstellen darf. Sie kann allenfalls Bestimmungen des Absoluten, wie sie in religiösen Beurkundungen auftreten, begrifflich rekonstruieren, hinsichtlich ihrer logischen und symbolischen Konsistenz analysieren, interpretativ mit divergierenden Ideen in Beziehung setzen und daraus begründete Schlüsse auf die Kompatibilität und Inkompatibiliät, die Kohärenz oder Inkohärenz solcher Ideen ziehen; aber sie nimmt dabei, wie Hegel richtig gesehen hat, stets eine nachträgliche Position ein, die des in den Religionen vorliegenden Vorstellungsmaterials bedarf, um ihre begriffliche Arbeit überhaupt durchführen zu können. Als eine wichtige Inspirationsquelle für interkulturelles Philosophieren erweist sich die kantische Religionsphilosophie sodann in ihrem Bemühen, die rationalisierungsfähigen von den irrationalen, der Vernunft nicht zugänglichen Elementen einer Religion zu unterscheiden. Die universelle Berechtigung des von Kant hierbei verwendeten Einteilungskriteriums – die Qualifizierung einer religiösen Komponente zur moralischen Verbesserung des Menschen – lässt sich allerdings mit guten Gründen bestreiten. Insbesondere erscheint es als problematisch, dass alle Aspekte des Religiösen, die von der Vernunft nicht als moralisch relevant angesehen werden, von Kant als Bestandteile kontingenter Offenbarungen in die Sphäre des Historisch-Empirischen abgeschoben werden – obgleich doch gerade diese Aspekte ihrem eigenen Selbstverständnis zufolge gerade nicht empirisch, sondern übersinnlich verstanden werden wollen. Weil Kant 328

Siehe dazu auch die Ausführungen in Kap. I.3. des Ersten Teils dieser Arbeit.

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Inter- und transkulturelle Potentiale der kantischen Religionsphilosophie

gemäß der Ableitung von Religion aus der praktischen Vernunft Moralität als den eigentlichen Kern des Religiösen begreift, verkennt er die soziale Funktion sowie den spirituellen Eigensinn kultisch-ritueller Handlungen und Praktiken, die für ihn ausnahmslos Mittel der ›Gunstbewerbung‹ darstellen, ganz so, als würden sie von den Anhängern einer Religion primär oder ausschließlich aufgrund moralischer Faulheit vollzogen. 329 Hegel wird später – gegen Kant – herausarbeiten, dass sich auch der Bereich des religiösen Kultes einer begrifflichen Reformulierung keineswegs entzieht, sofern man ihn als wesentliches Moment der Selbstauslegung des Geistes begreift. Die rationale Unverrechenbarkeit spiritueller Praxis stellt gerade ein Alleinstellungsmerkmal der Religionen dar, das zwar philosophisch bedacht, aber niemals entlarvt oder – wie gegenüber Hegel wiederum betont werden muss – durch kognitive Ersatzhandlungen überwunden oder aufgehoben werden kann. Wertet man das Moment des Kultischen religionsphilosophisch auf, so wird dadurch auch die kantische Prognose eines allmählichen Verschwindens der ›statutarischen‹ Religionen zu Gunsten der einen moralischen, vernunftbasierten Universalreligion unplausibel. Diese Prognose setzt voraus, dass sich religiöse Pluralität einzig und allein auf den statutarischen Aspekt einer Religion (bzw. eines ›Glaubens‹) bezieht, während sich der moralische Nukleus der praktischen Vernunft identisch in sämtlichen Religionsgemeinschaften wiederfinden soll. Auf dieser Voraussetzung beruht die kantische Idee des ethischen Gemeinwesens, das sich zu den bestehenden Religionsgemeinschaften so verhält wie ein a priorisches ›Ding an sich‹ zu ihren empirischen Erscheinungen. Die Mitglieder dieser menschheitsumspannenden unsichtbaren Kirche haben eingesehen, dass der transkulturelle gemeinsame Kern aller Religionen im moralischen Vernunftglauben beruht. Wie werden sie aber angesichts dieser Erkenntnis mit ihrer bisherigen Zugehörigkeit zu einer empirischen Religionsgemeinschaft umgehen? Strukturell stellt sich hier ein ähnliches Problem wie dasjenige, das bereits an früherer Stelle mit Blick auf den Hick’schen Pluralismus angesprochen wurde: 330 Kann man überzeugtes Mitglied einer singulären, kulturell tradierten Religionsgemeinschaft sein und gleichzeitig eine Metaperspektive einnehmen, welche den Geltungs329 330

Vgl. dazu ›Religionsschrift‹, S. 703 (B 62), 778 (B 169). Siehe dazu Kap. I.3. des Ersten Teils der vorliegenden Untersuchung.

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Religion diesseits und jenseits der reinen Vernunft

anspruch der eigenen Religionsgemeinschaft drastisch relativiert? – Bei Hick bezieht sich diese Relativierung auf die jeweilige Auslegung des Absoluten (›Real‹) innerhalb einer bestimmten Religion, bei Kant auf das Wissen um die Relevanz des Moralischen und die Irrelevanz des Statutarisch-Kultischen innerhalb der je eigenen Religion. Freilich geht es Hick gerade darum, mit der Konzeption des religiösen Pluralismus die Authentizität und individuelle Berechtigung jeder einzelnen Weltreligion und ihres spezifischen Heilsweges aufrecht zu erhalten. Kants metaperspektivische Relativierung der Religionszugehörigkeit ist hingegen mit einer geschichtsphilosophischen Vorstellung verknüpft, welche das ethische Gemeinwesen als das heimliche Telos aller historischen Religionsgemeinschaften erscheinen lässt. Die bewusste Ebenentrennung zwischen Vernunft- und Offenbarungsreligion soll nicht bloß intern vom einzelnen Gläubigen vollzogen werden, sondern ihren Niederschlag auch in der externen Religionsgeschichte finden. Kulturell produzierte religiöse Vorschriften und Lehrmeinungen werden, so Kants Überzeugung, mit fortschreitender Aufklärung immer deutlicher als überflüssiger Ballast verworfen werden, damit die transkulturelle, moralische Essenz alles Religiösen um so deutlicher erfasst werden könne, oder, wie es die Überschrift des VII. Kapitels der Ersten Abteilung des Dritten Stücks der Religionsschrift formuliert: »Der allmähliche Übergang des Kirchenglaubens zur Alleinherrschaft des reinen Religionsglaubens ist die Annäherung des Reichs Gottes.« 331 In dieser visionären Vorstellung, die über die Idee einer simultanen Partizipation des religiösen Subjekts an der Vernunft- und an der Offenbarungsreligion bzw. am ethischen Gemeinwesen und an einer historischen Religionsgemeinschaft weit hinausgeht, zeichnen sich bereits Motive einer hierarchisierend-teleogischen Religionsgeschichte ab, wie sie dann Hegel und Schelling in ihren Religionsphilosopien ausarbeiten werden. Sowohl eine nicht-reduktive Betrachtung des kultisch-rituellen Moments von Religionen als auch die Anerkennung der Tatsache, dass es zwischen Religionen fundamentale doktrinale Differenzen hinsichtlich genereller Interpretationen des Seins, der Welt, ihres 331 ›Religionsschrift‹, S. 777 (B 167 f.). Siehe dazu auch die Zweite Abteilung des Dritten Stücks (»Historische Vorstellung der allmählichen Gründung der Herrschaft des guten Prinzips auf Erden«, S. 788–803; B 182-B 206). Hier wird auch deutlich, dass Kant zufolge die Herausbildung des ethischen Gottesstaates nicht ohne Auseinandersetzungen mit dem auf seinen Traditionen beharrenden Kirchenglauben vonstatten gehen wird (vgl. ebd., S. 788; B 183 f.)

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Inter- und transkulturelle Potentiale der kantischen Religionsphilosophie

Grundes und ihres Ziels etc. geben kann, widersprechen der These von einem sukzessiven Verschwinden religiöser Unterschiede zu Gunsten einer transkulturellen moralischen Einheitsreligion. Die kantische Auffassung, dass sich religiöse Pluralität ausschließlich auf den Bereich des Empirisch-Kontingenten, d. h. des Statutarischen, Historischen, Kulturellen erstrecke, ist dementsprechend zu modifizieren: Auch moralische Überzeugungen divergieren von Religion zu Religion, wenngleich dieser Befund die Eruierung interreligiös kompatibler ethischer Grundsätze keineswegs ausschließt; und auf der anderen Seite lassen sich religiöse Seinsauffassungen und Gottesvorstellungen nicht einfach dem Bereich der historischen Empirie zuschlagen, da sie kognitive Gehalte transportieren, die für die Anhänger einer Religion so essentiell bedeutsam sein können, dass Religionsphilosophie an ihnen nicht achtlos vorbei gehen darf. Unbeschadet der genannten Einschränkungen aber bleibt die kantische Vorstellung einer begrifflichen Rekonstruktion religiöser Vorstellungen, die auch noch in Habermas’ Konzept einer ›Versprachlichung des Sakralen‹ virulent ist, 332 für eine interkulturell erweiterte Religionsphilosophie von zentraler Bedeutung. Sie sollte daher die enormen Potentiale, die in der kantischen Religionsphilosophie liegen, unbedingt ausschöpfen und sich bei der Bearbeitung der Desiderate, die Kants Position offen gelassen hat, an der nachkantischen Diskussion zum Thema »Glauben und Wissen« orientieren, die noch zu Kants Lebzeiten begonnen hat und mit Habermas’ Überlegungen zur philosophischen Erschließung religiöser Intuitionen bis in die jüngste Gegenwart anhält.

332 Siehe J. Habermas: »Versprachlichung des Sakralen. Anstelle eines Vorworts«. In: Habermas 2012, S. 7–18.

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III. Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

Zwar wäre es übertrieben und einseitig zu behaupten, dass die Philosophie Kants die für die gesamte weitere Entwicklung der Religionsphilosophie maßgebliche Position dargestellt habe, an der sich alle späteren Theorien affirmativ oder kritisch abgearbeitet hätten. Die von Albert Schweitzer in der nach wie vor lesenswerten Studie über Die Religionsphilosophie Kants 333 formulierte Behauptung, dass die interne Theorieentwicklung der kantischen Position »mit den Gesetzen der Entwicklung der Religionsphilosophie im 19. Jahrhundert identisch« 334 sei, ist in dieser Form zweifellos zu pauschal. Insbesondere ignoriert eine solche Sichtweise die ausgesprochen vielfältige und fruchtbare Diskussion über Metaphysik und Religion, die in der angelsächsischen Philosophie seit der zweiten Hälfte des 17. und während des gesamten 18. Jahrhunderts u. a. unter Beteiligung von J. Locke, G. Berkeley, den britischen Deisten, J. Edwards, T. Reid,

333 A. Schweitzer: Die Religionsphilosophie Kants von der Kritik der reinen Vernunft bis zur Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1899). Hildesheim/Zürich/New York 1990. Schweitzer sucht in dieser Untersuchung, die sich auf die ›religionsphilosophische Skizze‹ der Kritik der reinen Vernunft, die Kritik der praktischen Vernunft, die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft sowie die Kritik der Urteilskraft stützt, einen Widerspruch zwischen der Religionsphilosophie des kritischen Idealismus, wie sie insbesondere in der KpV durchgeführt wird, und einer ›moralischen‹ Religionsphilosophie, wie sie v. a. in der ›Religionsschrift‹ zum Ausdruck kommt, aufzuzeigen: Die subjektiv-transzendentalen Bedingungen der Postulatenlehre seien mit den sittlichen Konsequenzen der Ethikotheologie nicht kompatibel. Unserer Ansicht nach könnte der von Schweitzer konstatierte Widerspruch jedoch dadurch gelöst werden, dass der Status der Postulatenlehre im Verhältnis zur eigentlichen Religionsphilosophie (als ›angewandter‹ praktischer Philosophie) stärkere Beachtung findet: Bei den Erwägungen der KpV handelt es sich um reine praktische Philosophie, Moralphilosophie aus reiner praktischer Vernunft; von ›Religionsphilosophie‹ kann diesbezüglich gar nicht gesprochen werden – jedenfalls sofern man Kants eigene Terminologie verwendet. 334 Ebd., S. VI.

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Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

D. Hume und W. Paley geführt wurde. 335 Die in diesem Kontext aufgekommenen Debatten etwa über den Begriff der natürlichen Religion haben die Religionsphilosophie der Aufklärung im Allgemeinen sowie die kantische Position im Besonderen nachhaltig beeinflusst. Gleichwohl wird die folgende Rekonstruktion und Interpretation einiger maßgeblicher Stationen der nachkantischen Religionsphilosophie die historischen Einflüsse der angelsächsischen Religionsphilosophie weitestgehend ausblenden müssen, um den Fokus auf eine problemgeschichtliche Traditionslinie zu richten, die für die Ausgestaltung einer interkulturell erweiterten Religionsphilosophie aus unserer Sicht von besonderer Bedeutung ist. Mit Blick auf die nachkantische Religionsphilosophie lassen sich folgende Fragen formulieren: Wie sind die philosophischen Zeitgenossen und Nachfolger Kants, die Deutschen Idealisten, mit den Problemstellungen und Desideraten der kantischen Religionsphilosophie umgegangen? Welche Lösungen haben sie entwickelt, um die Kluft zwischen Vernunftreligion und historisch-kulturellen Religionsgemeinschaften zu überbrücken? Welche Potentiale und welche Defizite des kritischen sowie des spekulativen Idealismus sind im Hinblick auf eine interkulturell orientierte Religionsphilosophie namhaft zu machen? Und in welcher Weise stellt sich die Frage religiöser Diversität sowie des Verhältnisses von säkularer Vernunft und religiösen Überzeugungen unter den veränderten Bedingungen des nachmetaphysischen, aber zugleich postsäkularen Zeitalters neu? Um die genannten Fragen zu beantworten, sollen im Folgenden einige nachkantische Positionen näher betrachtet werden, die sich in ihrer Auseinandersetzung mit der Thematik von Glauben und Wissen ausdrücklich auf die kantische Religionsphilosophie bezogen haben: der Deutsche Idealismus, und hier vor allem die Religionsphilosophien Hegels und Schellings, das nachmetaphysische Denken von J. Habermas sowie die dekonstruierende Annäherung an Religion bei J. Derrida. Die beiden zuletzt genannten theoretischen Stellungnahmen stellen ihrem eigenen Selbstverständnis zufolge zwar keine Religionsphilosophien im engeren Sinne dar. Aber da sie sowohl für die doppelte Problematik religiöser sowie religiös-säkularer Divergenz als auch für die zeitgenössissche Rezeption der kantischen

335 Einführende Darstellungen zu den aufgeführten Positionen finden sich bei Oppy/ Trakakis 2009, Vol. 4.

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Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

Religionsphilosophie produktive Ansätze aufzeigen, können sie ebenfalls für die interkulturelle Weiterentwicklung der Religionsphilosophie wertvolle Impulse liefern. Die Gemeinsamkeit des von Kant inspirierten Themenfeldes kommt bereits äußerlich darin zum Ausdruck, dass drei für die nachkantische Religionsphilosophie bedeutsame Aufsätze von G. W. F. Hegel, J. Habermas und J. Derrida denselben Haupttitel tragen. 336 Die 1802 im Kritischen Journal der Philosophie erschienene Abhandlung »Glauben und Wissen, oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivität in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie« 337 von Hegel, der 1996 im Anschluss an ein von J. Derrida und G. Vattimo geleitetes Seminar in Capri publizierte Text »Foi et savoir. Les deux sources de la ›religion‹ aux limites de la simple raison« 338 von J. Derrida sowie die 2001 gehaltene Friedenspreisrede »Glauben und Wissen« 339 von J. Habermas markieren Stationen einer Problementwicklung, die sich mit der simultanen Spannungslage von medialer und ökonomischer Globalisierung, kulturellem Pluralismus und religiösem Fundamentalismus im 21. Jahrhundert fortsetzt. Ihre philosophische Reflexion macht eine kritische Aufarbeitung und produktive Weiterentwicklung dessen erforderlich, was in der kantischen und nachkantischen Religionsphilosophie zur Verhältnisbestimmung von Glauben und Wissen vorausgedacht worden ist.

1.

Integrationsmodelle im Deutschen Idealismus

Der ›garstige Graben‹ zwischen Vernunft und Offenbarung bzw. zwischen natürlicher Vernunftreligion und geschichtlicher Offenbarungsreligion wird im zweiten religionsphilosophischen Modell, das wir im Anschluss an das kantische Evaluationsmodell näher be-

Siehe dazu auch den Aufsatz von Engelhardt 2010, der allerdings nicht auf die ebenfalls in der nachkantischen Traditionslinie stehenden Überlegungen Derridas zur Religion eingeht. 337 Veröffentlicht in: G. W. F. Hegel: Jenaer kritische Schriften. Hrsg. v. H. Buchner u. O. Pöggeler. Gesammelte Werke. Bd. 4. Hamburg 1968, S. 313–414. 338 J. Derrida: Foi et Savoir, op. cit. 339 Veröffentlicht in: J. Habermas: Zeitdiagnosen. Zwölf Essays 1980–2001. Frankfurt a. M. 2003, S. 249–262. 336

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Integrationsmodelle im Deutschen Idealismus

trachten wollen, gleichsam zugeschüttet. »An die Stelle der grenzenziehenden tritt eine vereinnahmende Vernunft« 340, wie J. Habermas im Hinblick auf die philosophische Entwicklung von Kant zu Hegel mit Recht bemerkt hat. Das evolutive Integrationsmodell, das in kritischer Reaktion auf die Religionsphilosophie der Aufklärung im Deutschen Idealismus entwickelt wurde, unterscheidet sich von der rationalen Evaluation religiöser Positionen vor allem durch die Idee einer konsequenten geistigen Entwicklung von der Religion zur Philosophie. Diese wird entweder als eine rationale Erfassung des Absoluten selbst oder aber als ein intelligibler Standpunkt begriffen, der auch noch das Jenseits rationaler Bestimmbarkeit zu umgreifen vermag. Während das Evaluationsmodell im Sinne Kants von einem systematischen, ahistorischen Standpunkt aus definiert, welche Komponenten der Religion diesseits und welche jenseits des menschlichen Vernunftvermögens zu situieren sind, integriert der religionsphilosophische Ansatz des Idealismus die Standpunkte der Religion und der Philosophie in einem geistigen Kontinuum, das letztlich auf die Einigung beider Sphären abzielt. G. W. F. Hegel steht innerhalb dieses Modells für die vollständige Absorption des wesentlichen Inhalts von Religion in Philosophie, da die Idee des Absoluten letztlich ›besser‹ im Medium des sich selbst transparenten Begriffs aufgehoben sei als in den nur vorläufigen Medien der Bilder und Vorstellungen, die Hegel der Religion zuweist. 341 Einen anderen Weg geht F. W. J. Schelling, insbesondere in seiner Spätphilosophie, die mit der Unterscheidung von negativer, »reinrationaler« und positiver Philosophie die letztgültige Aufhebung der Widersprüche zwischen Glauben und Vernunft erst in einer Philosophie verwirklicht sieht, die sich auch noch die irrationalen Momente von Mythos und Offenbarung aneignet. Sowohl die Religionsphilosophie Hegels als auch diejenige Schellings repräsentieren Varianten des Integrationsmodells, deren Gemeinsamkeiten darin bestehen, dass sie die Rationalisierungsfähigkeit der Religion auf der Basis eines gegenüber dem kantischen deutlich erweiterten Vernunftbegriffs außerordentlich hoch einschätzen und gleichzeitig die Philosophie als adäquates Forum religiöser

Ebd., S. 259. Siehe zur Religionsphilosophie Hegels die nach wie vor ergiebigen Studien von W. Jaeschke: Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986; ders.: Die Religionsphilosophie Hegels. Darmstadt 1983. 340 341

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Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

Selbsterkenntnis konstituieren. Aus der Sicht des Idealismus ist dies deswegen möglich, weil die Inhalte von Religion und Philosophie – die Bestimmungen des Absoluten – letztlich identisch sind. Nur die Zugangsweisen zum Absoluten differieren voneinander, wobei insbesondere Hegel eine deutliche Hierarchisierung der Verhaltensund Erkenntnisformen gegenüber dem Absoluten vornimmt, bei der die Religion als eine nur vorläufige und die Philosophie als die endgültige Form der Selbsterkenntnis des Absoluten erscheint: das absolute Wissen, in dem die philosophische Erkenntnis des Ganzen ihr Genügen findet, überbietet schließlich das religiöse Glauben. Mit dieser Konstellation steht das religionsphilosophische Integrationsmodell – und zwar auch noch dort, wo es, wie beim späten Schelling, die philosophische Vernunft an ein unvordenkliches, prärationales Prinzip bindet – im Gegensatz zu historisch früheren Assimiliationsformen von Philosophie und Religion, die seit dem Neuplatonismus der Spätantike die Philosophie als eine spezifische Form der geistigen Hinführung zur religiösen Gotteserkenntnis konstituierten. Ihre Blütezeit erlebte diese religiöse Inanspruchnahme philosophischen Denkens im Zeitalter der mittelalterlichen Metaphysik, in der die Arbeitsteilung zwischen rationaler Theologie und Offenbarungstheologie – im Christentum ebenso wie zeitweise im Islam – deswegen funktionieren konnte, weil sie auf einer nicht von der Philosophie selbst gesetzten Grenzziehung zwischen Vernunft und Offenbarung beruhte. Der rationalen Anstrengung einer Gotteserkenntnis ›von unten‹ (›bottom-up‹) korrespondierte aus theologischer Sicht die Gnade einer göttlichen Offenbarung ›von oben‹ (›top-down‹), welche die Einsichten der natürlichen Vernunft zugleich bestätigte und inhaltlich ergänzte. Strittig blieb dabei freilich stets die exakte Festlegung der jeweiligen Reichweite von Vernunft und Offenbarung. Doch oblag es nicht der Philosophie, autonom darüber zu befinden, wo die Erkenntnisgrenzen der menschlichen Vernunft überhaupt lagen; dies konnte erst im Gefolge der subjektivistischen Wende der Neuzeit geleistet werden. Kierkegaard mag in diesem Kontext als ein Denker genannt werden, der unter den Prämissen der modernen Subjektphilosophie gleichwohl das sacrificium intellectus vollzieht und die Universalisierungsbewegungen der Vernunft zugunsten der existentiellen Glaubensentscheidung des Individuums relativiert. Aber dabei handelt es sich letztlich um einen originellen Sonderfall, der eine eingehende Betrachtung verdiente, die sich allerdings zu weit

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Integrationsmodelle im Deutschen Idealismus

vom Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung entfernen würde. 342 Da die religionsphilosophischen Integrationsmodelle des Deutschen Idealismus nur vor dem Hintergrund der lebhaften philosophischen Diskussion an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert angemessen zu verstehen sind, 343 soll zunächst auf einige Desiderate der Religionsphilosophie Kants eingegangen werden, die von den Deutschen Idealisten eingeklagt wurden (Kap. 1.1.). Sodann sollen die religionsphilosophischen Ansätze Hegels und Schellings hinsichtlich ihrer gemeinsamen Momente sowie ihrer wesentlichen Unterscheidungsmerkmale dargestellt (Kap. 1.2.) und hinsichtlich ihrer Potentiale für eine interkulturell orientierte Religionsphilosophie befragt werden (Kap. 1.3.).

1.1

Desiderate der kantischen Religionsphilosophie

Vier Jahre nach dem Erscheinen der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft und acht Jahre vor der Publikation von Kants Religionsschrift wurde durch F. H. Jacobis Briefe »Ueber die Lehre des Spinoza« 344 eine philosophische Kontroverse eröffnet, die – ausgehend von dem durch Jacobi publik gemachten Eingeständnis Lessings, Anhänger der Philosophie Spinozas zu sein – unter den Namen ›Spinozismus‹- oder ›Pantheismusstreit‹ in die Annalen der Philosophiegeschichte eingegangen ist. 345 Durch das von Jacobi in kritischer Absicht herbeibeschworene ›Gespenst des Spinozismus‹ zeichnete sich – neben traditionellem Theismus und der von Kant vorgelegten Transzendentalphilosophie – nunmehr eine dritte Position innerhalb der damaligen philosophischen Diskussion um das Verhältnis von

342 Siehe dazu R. P. McCombs: The paradoxical rationality of Søren Kierkegaard. Bloomington (Ind.) 2013. 343 Für eine ausführliche Darstellung der komplexen nachkantischen Diskussionslage sei verwiesen auf Jaeschke/Arndt 2012 sowie auf deren knappere Darstellung derselben philosophiegeschichtlichen Epoche in: Die Philosophie der Neuzeit 3. Teil 2: Klassische Deutsche Philosophie von Fichte bis Hegel. [Geschichte der Philosophie. Hrsg. v. W. Röd. Band XI, 2.] München 2013. 344 F. H. Jacobi: »Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn« (1785). In: Ders.: Schriften zum Spinoziastreit. Werke Bd. 1,1. Hrsg. v. K. Hammacher u. I.-M. Piske. Hamburg 1998, S. 1–146. 345 Siehe dazu auch Seubert 2013, S. 241 ff.

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Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

Glauben und Wissen ab.346 Während der traditionelle Theismus in Form der metaphysischen Theologie dem Gottesglauben philosophisch zugearbeitet hatte und Kant nach eigenem Bekunden durch seine kritische Transzendentalphilosophie »das Wissen aufheben [musste], um zum Glauben Platz zu bekommen« 347, repräsentierte der Spinozismus einen Pantheismus der absoluten Substanz, der keines Glaubens an einen naturexternen personalen Schöpfergott mehr bedurfte. Diese dritte Position des Spinozismus wurde für die Philosophen des deutschen Idealismus zu einer doppelten Herausforderung, da es zum einen galt, die systematisch relevanten Aspekte dieser Position in ein System jenseits der Dualität von Substanz und Subjekt zu integrieren, 348 und zum anderen, die mit dem Spinozismus untrennbar verbundenen Pantheismus- und Atheismusvorwürfe gegenüber den je eigenen Entwürfen abzuwehren. Für die idealistische Abwendung von der moralischen Vernunftreligion Kants war jedoch die zweite große philosophische Kontroverse am Ende des 18. Jahrhunderts ausschlaggebend, nämlich der ›Atheismusstreit‹ 1798/99, der sich an J. G. Fichtes Aufsatz »Ueber den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung« 349 entzündete. Fichte versuchte in diesem Text zwar den Gottesbegriff für die Vernunft zu retten, identifizierte ihn aber in einer provozierenden Ausschließlichkeit mit der »moralischen Weltordnung« 350, jenseits derer kein persönliches göttliches Wesen mehr angenommen werden könne: »Jene lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott; wir bedürfen keines anderen Gottes, und wir können keinen anderen fassen.« 351 Die Vorstellung eines außerhalb der moralischen Ordnung existierenden göttlichen Wesens stelle, wie Fichte in bemerkenswerter Vorwegnahme der religionskritischen Auffassung Feuerbachs ausführt, eine Projektion subjektiver Eigenschaften auf ein fingiertes Wesen dar: »[…] ihr habt nicht, wie ihr wolltet, Gott gedacht, Vgl. Jaeschke/Arndt 2012, S. 24 f. KrV, B XXX. 348 Vgl. dazu Hegels berühmte Identitätsfeststellung in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes (G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke Bd. 9. Hrsg. v. W. Bonspien u. R. Heede. Hamburg 1980, S. 18): »Die lebendige Substanz ist […] das Seyn, welches in Wahrheit Subject [ist].« 349 J. G. Fichte: »Ueber den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung«. In: Fichtes Werke. Hrsg. v. I. H. Fichte. Bd. V: Zur Religionsphilosophie. Berlin 1971, S. 175–189. 350 Ebd., S. 186. 351 Ebd. 346 347

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sondern nur euch selbst im Denken vervielfältigt.« 352 Darin liege, so Fichtes provozierende Pointe, der eigentliche Atheismus. Auch die kantische Kritik der Gottesbeweise wird von Fichte in diesem Zusammenhang aufgegriffen und mit überaus deutlichen Worten bekräftigt. Gegen das kosmologische sowie das physikotheologische Argument führt Fichte ins Feld, dass eine »Erklärung der Welt und ihrer Formen aus Zwecken einer Intelligenz […] totaler Unsinn« 353 sei, sofern sich man auf dem Boden rein naturwissenschaftlicher Erklärungen bewege – ein Einwand, der durchaus auch heutigen Beweisversuchen für die Existenz Gottes, etwa auf der Basis des fine tuning-Arguments, entgegengehalten werden könnte. Aber auch dem moralischen Argument für die Existenz Gottes wird von Fichte die Funktion bestritten, die Existenz Gottes tatsächlich beweisen zu können. Allenfalls könne philosophisch die Tatsache des Glaubens an die Existenz Gottes konstatiert und sodann die Frage aufgeworfen werden: »wie kommt der Mensch zu jenem Glauben?« 354 – Eine überzeugende Antwort darauf kann nach Fichte aber nur im Hinblick auf die übersinnliche Welt der moralischen Weltordnung gefunden werden, in der sich das Ich als frei vorfindet; 355 die Annahme eines außerhalb dieser moralischen Ordnung existierenden göttlichen Wesens ist dann jedoch nicht mehr erforderlich. 356 Wieder war es Jacobi, der die Kontroverse maßgeblich befeuerte, indem er Fichte im Anschluss an dessen »Appellation an das Publikum« vom Januar 1799 357 zwar einerseits persönlich gegen den Atheismusvorwurf in Schutz nahm, andererseits aber in seinem Antwortschreiben an Fichte 358 deutlich machte, dass für ihn jeder Versuch einer philosophieimmanenten Gotteserkenntnis zwangsläufig zur Vernichtung Gottes und damit zum Nihilismus führen müsse. In diesem Zusammenhang sprach Jacobi jene Überzeugung bezüglich der Ebd., S. 187. Ebd., S. 180. 354 Ebd., S. 179. 355 Ebd., S. 181 ff. 356 Ebd., S. 185: »Dies ist der wahre Glaube; diese moralische Ordnung ist das Göttliche, das wir annehmen.« 357 Ders.: »Appellation an das Publicum gegen die Anklage des Atheismus«. In: Fichte 1971, S. 193–238. 358 F. H. Jacobi: »Jacobi an Fichte«. In: F. H. Jacobi: Werkausgabe. Gesamtausgabe. [Im Folgenden bezeichnet als: JWA.] Hrsg. v. K. Hammacher u. W. Jaeschke. Hamburg/ Stuttgart-Bad Cannstatt 1998 ff. Bd. 2, S. 187–258. Siehe dazu auch die Ausführungen bei Jaeschke/Arndt 2012, S. 153 ff. 352 353

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Relationsbestimmung von Glauben und Wissen auf das Deutlichste aus, gegen die sich der deutsche Idealismus in den folgenden Jahrzehnten mit seinen Systementwürfen des Absoluten wenden sollte: »Gott könne nicht gewußt, sondern nur geglaubt werden. Ein Gott, der gewußt werden könnte, wäre gar kein Gott.« 359 Jacobis dezidierte »Philosophie des Nicht-Wißens« 360 darf ohne Übertreibung als der prominenteste zeitgenössische Gegenentwurf zu den idealistischen Philosophien des Absoluten bezeichnet werden. Hegels Position innerhalb der Trias der idealistischen Systemphilosophien war vermutlich die einzige, deren Denkansatz durch die Einwände Jacobis nicht ernsthaft destabilisiert wurde; denn mit der spekulativ-dialektischen Methode schien aus Hegels Sicht ein gangbarer Weg gefunden zu sein, auf dem ein Wissen des Absoluten in einem philosophischen System realisiert werden konnte. Aber sowohl Fichtes Schrift Die Bestimmung des Menschen (1800) 361 als auch Schellings spätere Unterscheidung zwischen negativer und positiver Philosophie zeugen von der nachhaltigen Beeinflussung durch Jacobis Argument, dass der Vernunft ein Unvordenkliches, im Begriff nicht bestimmbares Absolutes (= Gott) voraus liegen müsse, das letztlich nur im Glauben angenommen werden könne. 362 Am Beginn des philosophischen Denkwegs Fichtes zeigte sich jedoch mit der Schrift Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792) 363 noch ein so deutlicher Einfluss der kantischen, an der praktischen Vernunft ausgerichteten Auffassung von Religion, dass Fichtes Schrift zunächst als die lange erwartete Abhandlung Kants über Religion rezipiert wurde – die allerdings erst im darauf folgenden Jahr erscheinen sollte. 364 Fichte spitzt in seinem Versuch einer philosophischen ›Offenbarungskritik‹ die latente »Spannung zwischen der Gesetzgebung der praktischen Vernunft und der Rede von Gott als Gesetzgeber« 365 auf die Frage zu, welche Kriterien es der Vernunft JWA Bd. 2, S. 193. JWA Bd. 2, S. 215. Siehe dazu auch C. Meiller: Vernünftiger Glaube – Glaubende Vernunft. Die Auseinandersetzung zwischen Kant und Jacobi. Wien/Berlin 2008. 361 J. G. Fichte: »Die Bestimmung des Menschen«. In: Ders.: Fichtes Werke. Hrsg. v. I. H. Fichte. Bd. II: Zur theoretischen Philosophie II. Berlin 1971, S. 167–319. 362 Siehe dazu Seubert 2013, S. 244. 363 J. G. Fichte: »Versuch einer Kritik aller Offenbarung«. In: Ders.: Fichtes Werke, a. a. O. Bd. V, S. 11–174. 364 Siehe dazu Jaeschke/Arndt 2012, S. 133. 365 Ebd. 359 360

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erlauben, eine gegebene Offenbarung für eine authentische Selbstankündigung Gottes zu halten. Dabei orientiert sich sowohl die Unterscheidung zwischen natürlicher und geoffenbarter Religion als auch die Definition der Religion an kantischen Grundsätzen – mit dem kleinen, aber entscheidenden Unterschied allerdings, dass Fichte die Religion anhand ihrer praktischen Wirkung bestimmt, mit der »die um unserer Willensbestimmung durch das Gesetz der Vernunft angenommenen Sätze« 366 das Empfindungsvermögen oder den Willen beeinflussen; Kant hatte dagegen stets von der Religion als ›Erkenntnis unserer Pflichten als göttlicher Gebote‹ gesprochen. Dieser Unterschied hat insofern gewichtige Konsequenzen, als es sich bei der religiösen ›Zusatzannahme‹ in Kants Definition um einen freien assertorischen Glauben handelt, der die ohnehin aufgrund des kategorischen Imperativs geltenden Pflichten als Erlasse eines göttlichen Gesetzgebers interpretiert. Fichte geht jedoch von einer direkten Einwirkung dieses Glaubens auf das Empfindungsvermögen oder den Willen aus, wodurch bereits auf der terminologischen Ebene das Heteronomieproblem angelegt ist. Mit der Suche nach Kriterien für eine rationale Überprüfbarkeit von Offenbarungen ging Fichte einen deutlichen Schritt über Kant hinaus, der in der Religionsschrift – wie gezeigt – den Begriff der Offenbarung stets nur auf empirische Ereignisse und deren historisch-kulturelle Tradierung beziehen sollte. Fichte gewichtet hingegen den Umstand stärker, dass die meisten Religionsstifter explizit mit dem Anspruch aufgetreten sind, »uns etwas ganz neues, unbekanntes zu sagen«, dass sie »nicht für menschenfreundliche, weise Leiter, sondern für inspirierte Gesandten der Gottheit gelten« 367 wollten. Diese Deutung steht in direktem Gegensatz zu Kants ChristusInterpretation, die ja davon ausging, dass Jesus Christus nur jene Grundlagen der moralischen Religion verkündet habe, die seit je in der menschlichen Vernunft gelegen hätten. Erst wenn man wie Fichte die prinzipielle Möglichkeit innovativer, übernatürlicher Offenbarungsereignisse und zugleich ihre rationale Zugänglichkeit voraussetzt, kann die Frage nach den Kriterien ihrer berechtigten oder unberechtigten Anerkennung überhaupt aufkommen. Das von Fichte auf dem Boden der praktischen Philosophie Kants gestellte Problem führt jedoch zu der Schwierigkeit, nunmehr zwei in formaler Hinsicht un366 367

Fichte 1971, S. 59. Ebd., S. 65.

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terschiedene, der Materie bzw. dem Inhalt nach identische Quellen sittlichen Handelns vorzufinden: Das Sittengesetz Gottes spricht zum einen durch die ›natürliche‹ Stimme der reinen praktischen Vernunft im Inneren des autonomen Subjekts, woraus sich die natürliche Religion bzw. ›Naturreligion‹ ergibt, zum anderen ›von außen‹ durch die sinnlich erfahrbare Offenbarung des göttlichen Gesetzgebers, wodurch die Offenbarungsreligion entsteht. 368 Dass Fichte beide Quellen auf unterschiedliche Adressatengruppen zu beziehen versucht – durch Sinnlichkeit in besonderem Maße affizierbare Menschen scheinen einer göttlichen Offenbarung bedürftig zu sein, damit sie überhaupt moralisch handeln können –, ändert allerdings nichts an dem grundsätzlichen Problem, das sich aufgrund der formalen Dichotomie zwischen natürlicher und geoffenbarter Religion nunmehr stellt: Die öffentliche Bekanntmachung des moralischen Gesetzes durch Offenbarungen, zu denen Gott selbst durch die Forderung des Sittengesetzes genötigt wird, da es nach Fichte zu seiner Pflicht gehört, die Moralität seiner Geschöpfe zu befördern, lässt eben diese Moralität zu einer bloß heteronomen bzw. zu bloßer Legalität herabsinken. 369 Denn je stärker der religiöse Glaube ›von außen‹ auf den Willen einwirkt, umso weniger autonom ist dieser; Religion, wenigstens die Offenbarungsreligion, scheint somit die Autonomie des moralischen Subjekts zu beeinträchtigen. Fichte hat damit eine der kantischen Religionsphilosophie inhärente Problemkonstellation radikalisiert, die allerdings bei Kant selbst durch die geschichtsphilosophische Annahme eines kontinuierlichen Fortschritts von den vielen Offenbarungsreligionen zur einen Vernunftreligion entschärft wird. In Fichtes ›Offenbarungskritik‹ gerät dieses optimistische Szenario jedoch in ein strukturelles Dilemma: Entweder erkennt man die prinzipelle Möglichkeit übernatürlicher Offenbarungen Gottes an; dann müsste jedoch eine Befolgung des Sittengesetzes, die aufgrund dieser Offenbarung – und nicht aus reiner praktischer Vernunft – geschieht, einen geringeren moralischen Wert besitzen als ein pflichtgemäßes Handeln, das auf autonomer Freiheit basiert (denn Offenbarung, insoweit sie auf Sinnlichkeit rekurrieren muss, führt in die Ordnung der moralischen Triebfedern – gemäß den kantischen Prämissen – zweifellos eine heteronome Kom-

368 369

Ebd., S. 62 f. Vgl. Jaeschke/Arndt 2012, S. 136 ff.

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ponente ein.) 370 Oder aber man muss die Möglichkeit innovativer religiöser Offenbarungen schlechthin bestreiten und kann so zumindest die moralische Autonomie des Vernunftsubjekts bewahren. Aus einer Kant-immanenten Perspektive stellt sich das Problem jedoch gar nicht in der von Fichte zugespitzten Form. Die ›bloße Vernunft‹ kann über die Authentizität überlieferter Offenbarungen tatsächlich nur insoweit befinden, als sie mit dem von ihr a priori erkannten moralischen Gesetz übereinstimmen. Die Entscheidung darüber, ob es sich bei einer konkreten Offenbarung um eine authentische Manifestation Gottes handelt, überschreitet jedoch ihre Kompetenz. Und für die moralische Verbesserung des Menschen ist diese Frage ohnehin irrelevant. Es ist somit bereits in der frühen, noch ganz eng an der kantischen Begrifflichkeit orientierten ›Offenbarungskritik‹ Fichtes – die der Autor später selbst als unzulänglich verworfen hat – ein Grundzug der idealistischen Religionsphilosophie im Ansatz zu erkennen, der sie von der kantischen massiv unterscheidet: nämlich die deutliche Erweiterung des Kompetenzbereichs einer Vernunft, die sich nicht mehr nur – kritisch – über die Grenzen der eigenen Erkenntnisfähigkeit verständigen soll, sondern als universelles Medium einer Selbsterkenntnis der Wirklichkeit in allen Dimensionen fungiert. Zunächst jedoch barg die Rezeption der moralischen Vernunftreligion Kants noch eine andere, von Hegel und Schelling früh erkannte Gefahr, 371 nämlich die bedenkenlose Rehabilitation theologischer Argumentation auf dem Boden des ethikotheologischen Gottesbeweises (so etwa in der Tübinger Theologie dieser Zeit). Demgegenüber hatte der junge Hegel in seinen – nahezu zeitgleich mit der Religionsschrift Kants entstandenen – Fragmenten über Volksreligion und Christentum 372 Religion im Unterschied zur Theologie primär als »Sache des Herzens« 373 bezeichnet, von der es fraglich sei, ob 370 Siehe auch ebd., S. 134 f.: »Um der Reinheit der Moralität willen darf die Offenbarung materialiter nicht von der bloßen Vernunftforderung differieren; angesichts des ›moralischen Verfalls‹ aber ist eine Wirkung auf die Sinnlichkeit gefordert – und damit liegt die bereits in Kants ›Kritik der praktischen Vernunft‹ lauernde Gefahr der Heteronomie offen zu Tage.« 371 Siehe ebd., S. 136, 140 f.; sowie H. Seubert: Schelling interkulturell gelesen. Nordhausen 2006, S. 14. 372 G. W. F. Hegel: »Fragmente über Volksreligion und Christentum« (1793–1794). In: Ders.: Frühe Schriften, S. 9–103. – Siehe dazu auch Seubert 2013, S. 255 f. 373 G. W. F. Hegel: »Fragmente über Volksreligion und Christentum«, a. a. O., S. 17, 19.

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ihr allzu viel »Räsonnement« 374 überhaupt zuträglich sei. Vielmehr drohten, so Hegel, religiöse Gebräuche und fromme Empfindungen durch rationale Reflexion ihren »Nimbus der Heiligkeit« 375 zu verlieren. Die von ›Weisheit‹ strikt unterschiedene Wissenschaft der Aufklärung ist aber laut Hegel zu schwach, um die Moralität von Menschen tatsächlich zu verbessern und den Verlust der von der Aufklärung kritisierten Volksreligion auszugleichen; auch eine aus vernünftiger Einsicht gewonnene ›objektive Religion‹ sei dazu nicht hinreichend. 376 Hegels prinzipiell noch auf kantischen Voraussetzungen beruhende Fragestellung lautet daher, »wie eine Volksreligion im allgemeinen eingerichtet sein müsse«, 377 die sich nicht in einem bloßen »Fetischglauben« 378 – so bezeichnet Hegel an dieser Stelle die statutarische Kultus-Religion – erschöpfe und das Volk kontinuierlich zur Vernunftreligion führen könne. 379 Einen gewissen Lösungsansatz findet Hegel im Begriff der »Liebe«, die zwar als »ein pathologisches Prinzip des Handelns« 380, aber als ein gänzlich uneigennütziges, betrachtet werden müsse und insofern eine Analogie mit der Vernunft aufweise: Wie diese, so könne auch die Liebe als ein sich-selbst-Finden bzw. sich-selbst-Verlieren und Leben im Anderen aufgefasst werden 381 – eine Bestimmung, die bereits auf den späteren Geistbegriff Hegels vorausweist. Die frühen Berner ebenso wie die Frankfurter Schriften Hegels zur Religion sind, auch wenn sie noch nicht die ›reife‹ philosophische Thematisierung der Religion des späteren hegelschen Systems reEbd., S. 25. Ebd. 376 Ebd., S. 27: »Aber wie die Kraft [dieses Verstandes] kein großes Moment hat, wenn Besserung der Menschen, Auferziehung zu großen starken Gesinnungen, zu edlen Gefühlen, zu einer entschlossenen Selbständigkeit hervorgebracht werden soll, so hat auch das Produkt, die objektive Religion, kein großes Gewicht dabei.« 377 Ebd., S. 29. 378 Ebd., S. 28. 379 Siehe dazu auch Seubert 2013, S. 255. 380 G. W. F. Hegel: »Fragmente über Volksreligion und Christentum« (1793–1794), a. a. O., S. 30. 381 Ebd. – Siehe dazu auch Seubert 2013, S. 257: »In dieser frühen Ausprägung des Religionsbegriffs rückt Hegel also eher ein Nebenmotiv der Kantischen Moraltheologie in den Vordergrund, die Liebe. Da sie ein dialektisch anerkennungstheoretisches Moment ist, führt sie aber über die Kantische Abstraktion einer ›Religion der Vernunft‹ hinaus: Hegel erkennt, und dies wird der gravierendste Unterschied zwischen seinem und dem Kantischen Religionsbegriff sein, dass Religion nur in der Vielheit der Religionen lebt.« 374 375

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präsentieren, 382 gleichwohl für die weitere Entwicklung der Religionsphilosophie insofern bedeutsam, als sie um eine umfassende philosophische Reflexion des Phänomenkomplexes ›Religion‹ bemüht sind und dadurch den auf rationale Beweisbarkeit metaphysischer Sätze eingeschränkten Horizont der vormaligen theologia naturalis noch expliziter überschreiten, als dies Kant bereits in seinen religionsphilosophischen Schriften unternommen hatte. 383 Die moralphilosophische Neubegründung des Gottesglaubens durch Kant konnte eben, wie die theologische Entwicklung am Ende des 18. Jahrhunderts nur allzu deutlich zeigen sollte, auch zu theologischen Restaurationsversuchen inspirieren: War das Einfallstor der Ethikotheologie erst einmal weit genug geöffnet, so vermochten auch physikotheologische Argumente wieder Eingang in philosophisch-theologische Gedankengänge zu finden. 384 Wollte man auf der anderen Seite an den metaphysikkritischen Potenzialen der Transzendentalphilosophie Kants und ihrer Begrenzung des theoretischen Wissens festhalten, so schien es keine andere Möglichkeit zu geben, als – wie im Falle Jacobis, Schleiermachers u. a. – die Evidenz des moralischen Gottesbeweises zu bestreiten und den vermeintlichen Atheismus der Philosophie durch die subjektive Gewissheit eines gefühlsbasierten, kreditiven religiösen Glaubens zu kompensieren. 385 G. W. F. Hegel: Frühe Schriften II. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. 2. Hrsg. v. W. Jaeschke. Hamburg 2014. – Einen Überblick zu Hegels religionsphilosophischer Entwicklung bietet L. Dickey: »Hegel on religion and philosophy«. In: The Cambridge Companion to Hegel. Cambridge 1993, S. 301–347. 383 Vgl. dazu Jaeschke/Arndt 2012, S. 141 f. 384 Siehe ebd., S. 136 ff. Als Repräsentanten der Tübinger Orthodoxie, die den moralischen Religionsbegriff Kants durch eine ›Postulateninflation‹ unfreiwillig geradezu ad absurdum geführt haben, werden hier insbesondere C. G. Storr und F. G. Süßkind namhaft gemacht. Siehe ferner die Darstellung der philosophisch-theologischen Diskussion der 1790 Jahre ebd., S. 143 ff., die u. a. auf K. H. Heydenreichs Betrachtungen über die Philosophie der natürlichen Religion (1790/91) und auf L. H. Jakobs Schrift Die allgemeine Religion. Ein Buch für gebildete Leser (1797) Bezug nimmt. 385 Siehe zur zeitgenössischen Kritik an der kantischen Ethikotheologie – neben Jacobi auch durch K. Forberg, K. H. Heydenreich, E. Platner, F. W. J. Schelling, F. D. E. Schleiermacher u. a. – ebd., S. 143 ff. Drei in der damaligen Diskussion vertretene Argumente gegen die moralische Religionsbegründung werden von Jaeschke/Arndt herausgehoben (ebd., S. 145): 1.) Der Widerspruch, in den die praktische Vernunft gerate, wenn sie Gott als Garanten des höchsten Guts nicht voraussetze, beweise nicht die Existenz Gottes. 2.) Die praktische Vernunft gerate gar nicht in einen Widerspruch mit sich, wenn sie Gott nicht voraussetze, da die Annahme des höchsten Guts keine unbedingte Pflicht darstellt. 3.) Die Annahme Gottes könnte moralisches Handeln im 382

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In der unmittelbaren nachkantischen Konstellation von Glauben und Wissen sah sich eine an religiösen Inhalten interessierte Philosophie somit vor eine Alternative gestellt, die in Hegels Denken bereits seit den Frankfurter religionsphilosophischen Fragmenten die Form einer aufzuhebenden Entgegensetzung annahm. 386 Die Dichotomie eines auf endliche Gegenstände beschränkten Wissens auf der einen und eines Glaubens an das Unendliche auf der anderen Seite, aber auch die Entzweiungen von Theorie und Praxis, Natur und Intelligenz, Freiheit und Notwendigkeit, Subjekt und Objekt, Erkennen und Sein wurden für Hegel ebenso wie für Schelling zu Motivationsquellen, um die Einigung der getrennten Sphären in einem philosophischen Systementwurf denk- und darstellbar zu machen. Die hegelsche ›Differenzschrift‹ 387 (1801) sowie die Abhandlung Glauben und Wissen (1802) 388 – beide während der Jenaer Zeit entstanden – zeugen von der bereits deutlich entwickelten philosophischen Intention, die durch den Verstand erzeugten endlichen Entgegensetzungen im Medium einer allumfassenden Vernunft aufzuheben und dadurch den Begriff des Absoluten spekulativ zu erfassen. 389 Der als Resultat der Transzendentalphilosophie herbeigeführte Zustand einer unaufgehobenen Spannung zwischen endlichem Wissen und Glauben ans Unendliche konnte aus Hegels Sicht nicht von Dauer sein. Vielmehr hatte sich in Hegels Deutung die philosophische Konstellation durch die transzendendal-idealistische Weiterentwicklung der kantischen Dichotomie in den Positionen Fichtes und Schellings zu einer Entzweiung von Grundprinzipien (subjektives Subjektobjekt versus objektives Subjektobjekt) zugespitzt, die eine Vereinigung und Versöhnung des Getrennten notwendig machte – und zwar in einer absoluten Identität, die die Differenz der Prinzipien zugleich bewahren sollte. Weder in einem in sich kohärenten ›System der Natur‹ als theoretischer Philosophie noch in einem in sich kohärenten ›System der Intelligenz‹ als praktischer Philosophie Sinne der Willensautonomie behindern, indem die mit der Vorstellung eines Exekutors des Sittengesetzes verbundene Idee der Strafverfolgung und -vergeltung heteronome Motivationen des Wollens und Handelns begünstige. 386 Vgl. ebd., S. 142. 387 G. W. F. Hegel: »Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie«. In: Ders.: Jenaer kritische Schriften. Hrsg. v. H. Bucher u. O. Pöggeler. Gesammelte Werke Bd. 4. Hamburg 1968, S. 1–92. 388 A. a. O. 389 Vgl. ›Differenz-Schrift‹, a. a. O., S. 13.

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könne, so Hegel, die endgültige Wahrheit liegen, sondern einzig in ihrer Verbindung als kontinuierlicher Darstellung des Absoluten, in dessen »Indifferenzpunkt« 390 beide Prinzipien identisch seien. Hegel bestreitet damit in enger Anlehnung an Schellings transzendentalen Idealismus die Berechtigung einer strikten Trennung von theoretischer und praktischer Vernunft – eine Trennung, die für Kants philosophisches System und auch für seine Religionsphilosophie von fundamentaler Bedeutung war, obgleich auch Kant davon ausging, dass die Vernunft in beiden Sphären letztlich dieselbe sei. 391 Für die philosophische Beschäftigung mit Religion musste die angestrebte Aufhebung und Vereinigung beider Sphären im Absoluten zur Folge haben, dass auch die als einseitig empfundene Anbindung der Religion an die praktische Vernunft keinen Bestand mehr haben konnte. Einem umfassenderen Vernunftbegriff, der die Wirklichkeit des Absoluten zu denken im Stande sein sollte, musste sich der gesamte Bereich des Religiösen auch in seinen vielfältigen doktrinalen, kultischen und sozialen Dimensionen erschließen. Zugleich zeigt sich in Hegels ›Differenz-Schrift‹ ebenso wie in Glauben und Wissen, dass religiöse Ideen des Absoluten und des Unendlichen vom begrifflichen Denken nicht als nur äußerliche Objekte angeeignet werden, sondern dass religiös formulierte Intuitionen auch zur philosophisch-spekulativen Darstellung der internen Prozessualität des Absoluten selbst beitragen können. Denn schon in der ›Differenz-Schrift‹ wird jener universale Prozess, in dem die aus der ursprünglichen Identität geschehende Ausbreitung der objektiven Totalität der Natur durch bewusstlose Kontraktion und ihre Negation durch die bewusste Kontraktion der subjektiven Totalität schließlich in der vollendeten Totalität des sich selbst objektiv gewordenen Absoluten vereinigt werden, mit »der ewigen Menschwerdung Gottes, des Zeugens des Worts vom Anfang« 392 in Beziehung gesetzt. In nuce liegt darin – auch wenn Hegel den identitätsphilosophischen Stand390 Ebd., S. 74: »Der Indifferenzpunkt, nach welchem die beyden Wissenschaften, insofern sie von Seiten ihrer idellen Faktoren betrachtet entgegengesetzt sind, streben, ist das Ganze, als eine Selbstkonstruktion des Absoluten vorgestellt, das letzte und höchste derselben.« 391 Vgl. I. Kant: KpV, S. 139 f. (1. Aufl. 1788: S. 218). Siehe dazu auch D. Henrich: The Unity of Reason. Essays on Kant’s Philosophy. Cambridge, Mass./London 1994. 392 ›Differenz-Schrift‹, S. 75. Siehe dazu auch Jaeschke/Arndt 2012, S. 330 f.; sowie H. Küng: Menschwerdung Gottes. Eine Einführung in Hegels theologisches Denken als Prolegomena zu einer künftigen Christologie. Zürich/München 1989.

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punkt Schellings verlassen sollte – bereits der spätere Systemgedanke beschlossen, der es erlauben sollte, die Entwicklung der Sphären der Natur und des Geistes als Selbstverwirklichungsformen der absoluten Idee zu rekonstruieren und darin zugleich den christlichen Mythos von Schöpfung, Kreuzestod und Wiederauferstehung wieder zu erkennen. Am Ende der Abhandlung Glauben und Wissen nimmt Hegel mit der Figur des ›spekulativen Karfreitags‹ eine Identifizierung von philosophischer Begriffsentwicklung und christlicher Motivik vor, von der nicht völlig klar ist, ob sie den Gedanken einer aus der größtmöglichen Entzweiung hervorgehenden Totalität religiös illustrieren soll oder ob umgekehrt die christliche Vorstellung des Kreuzestodes Jesu in der spekulativen Darstellung erst ihre eigentliche begriffliche Wahrheit erhält. Inhaltlich soll im ›spekulativen Karfreitag‹ dasjenige gedacht werden, was im Bild des gekreuzigten Christus symbolisch vorgestellt wird: nämlich der Tod Gottes. 393 Hegel zufolge drückt sich im Schmerz über diesen Verlust, den Nietzsche später als Bedingung des modernen Nihilismus darstellen sollte, 394 dasjenige Gefühl aus, »worauf die Religion der neuen Zeit beruht« 395; denn die Unmöglichkeit einer positiven Gotteserkenntnis infolge der Destruktion der überkommenen Metaphysik und Theologie war mittlerweile ins allgemeine Bildungsbewusstsein eingedrungen. Auch Kants Versuch, »die positive Form der Religion mit einer Bedeutung aus seiner Philosophie zu beleben« 396, musste aus Hegels Sicht als gescheitert gelten, sofern die spezifische Verbindung von Eudämonismus und Aufklärung in der kantischen Idee des höchsten Guts den Verlust metaphysischer Gewissheiten nicht zu kompensieren vermochte. Weil Kant, so Hegels Interpretation, die Harmonie von Vernunft und Natur philosophisch nicht darzustellen gewusst habe, fielen bei ihm »schlechte Moralität, die nicht mit der Glückseligkeit, und die schlechte Glückseligkeit, die nicht mit der Moraltät harmonirt« 397, auseinander. In spekulativer Absicht muss deswegen Hegel zufolge über die Positionen der Reflexionsphilosophien (Kants, Fichtes und Jacobis), G. W. F. Hegel: »Glauben und Wissen«, a. a. O., S. 414. Siehe dazu M. Wirtz: Geschichten des Nichts. Hegel, Nietzsche, Heidegger und das Problem der philosophischen Pluralität. Freiburg/München 2006. 395 G. W. F. Hegel: »Glauben und Wissen«, S. 413 f. 396 Ebd., S. 315. 397 Ebd., S. 345. 393 394

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welche das subjektive Ich als Unendlichkeit gegenüber dem endlichen Objektbereich bzw. das endliche Subjekt gegenüber einem unerreichbaren Unendlichen fixiert haben, hinausgegangen werden, indem der Karfreitagsschmerz nur als ein »Moment […] der höchsten Idee« 398 begriffen wird. Der Durchgang durch die Idee der absoluten Freiheit des Subjekts, und zwar auch noch der Freiheit von Gott, ist notwendig, damit aus dieser totalen Negation »die höchste Totalität in ihrem ganzen Ernst und aus ihrem tiefsten Grunde (…) auferstehen kann, und muß.« 399 Repräsentiert der ›Karfreitag‹ somit die einfache, aber völlige Negation, die in den Subjektivitätsphilosophien konsequent durchgeführt wurde, so vermag der spekulative Gedanke auch noch diese Negation zu negieren und dadurch, um im religiösen Bild zu bleiben, einen ›spekulativen Ostersonntag‹ der Auferstehung und Versöhnung herbeizuführen. Freilich denkt Hegel dabei gerade nicht an eine Restitution »der dogmatischen Philosophien, so wie der Naturreligionen« 400; diese stellen ebenso zu überwindende Gestalten des Geistes dar wie die subjektiven Reflexionsphilosophien, die auf dem Standpunkt »formeller Abstraction« 401 des Verstandes beharrt und gerade dadurch die Philosophie wieder – wenngleich in völlig anderer Weise als in der Philosophie des Mittelalters – »zur Magd eines Glaubens« 402 gemacht hätten, eines Glaubens nämlich an das der Vernunft scheinbar unerreichbare Jenseits. Der Gedanke des Todes Gottes, der sich im Bild des spekulativen Karfreitags verdichtet, wird von Hegel auch in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Religion aufgegriffen, insbesondere bei der Darstellung der vollendeten Religion des Christentums. 403 Der Tod Gottes wird in diesem Zusammenhang als absolut notwendiges Durchgangsstadium zur göttlichen Selbstmanifestation gedeutet: »Gott ist der wahre Gott, Geist, indem er nicht bloß Vater und so verschlossen ist, sondern in dem er Sohn ist, das Andere wird und dies aufhebt.« 404 In der Auferstehung Christi kehrt der Geist schließEbd., S. 414. Ebd. – Siehe dazu auch Wirtz 2006, S. 153–159. 400 G. W. F. Hegel: »Glauben und Wissen«, S. 414. 401 Ebd., S. 414. 402 Ebd., S. 315. 403 Siehe dazu G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 3: Die vollendete Religion. Hrsg. v. W. Jaeschke. In: G. W. F. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd. 5. Hamburg 1984, S. 150 f. 404 Ebd., S. 150. 398 399

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lich zu sich selbst zurück: »Die Negation ist damit überwunden, und die Negation der Negation ist so Moment der göttlichen Natur.« 405 Der zeitgenössische Widerstreit von Glauben und Vernunft wird im selben Jahr 1802, in dem Hegels Abhandlung »Glauben und Wissen« im ›Kritischen Journal der Philosophie‹ erscheint, auch von Schelling in seinen Jenaer Vorlesungen über die Methode (Lehrart) des akademischen Studiums 406 thematisiert, die in mancher Hinsicht als ein Gegenentwurf zu Kants Streit der Fakultäten gelesen werden können. Ebenso wie Hegel geht es auch Schelling um die veränderte Bedeutung, die das Verhältnis von Glauben und Wissen bzw. Religion und Philosophie in der postkantianischen Konstellation erhalten hat: 407 Auf der einen Seite des Gegensatzes scheint »Religion als reine Anschauung des Unendlichen« 408 zu stehen, auf der anderen Seite die »Philosophie, welche als Wissenschaft notwendig aus der Identität derselben herausgeht« 409. Doch falls damit als adäquates Verhältnis des menschlichen Geistes zum Absoluten »ein so viel möglich bewußtloses Brüten oder ein Stand der gänzlichen Unschuld« 410 beschrieben werden sollte, so könnte sich, wie Schelling zutreffend bemerkt, eine derartige Einstellung nicht einmal selbst als ›religiös‹ qualifizieren, weil dazu bereits »Reflexion und ein Heraustreten aus der Identität« 411 vonnöten seien. Der tatsächliche Gegensatz besteht daher auch nicht zwischen einer differenzlosen Einheit mit dem Absoluten im Glauben und einem aus der Identität herausgetretenen Verhältnis zum Absoluten im Wissen, sondern zwischen einer »bloß Ebd., S. 151. F. W. J. Schelling: Vorlesungen über die Methode (Lehrart) des akademischen Studiums. Auf der Grundlage des Textes v. O. Weiß mit Einleitung u. Anm. u. einer Beilage »Schellings philosophisches Testament« neu hrsg. v. W. Ehrhardt. Hamburg 1990. 407 Vgl. dazu G. W. F. Hegel: »Glauben und Wissen«, a. a. O., S. 315: »Ueber den alten Gegensatz der Vernunft und des Glaubens, von Philosophie und positiver Religion hat die Cultur die letzte Zeit so erhoben, daß diese Entgegensetzung von Glauben und Wissen einen ganz andern Sinn gewonnen hat und nun innerhalb der Philosophie selbst verlegt worden ist.« Siehe entsprechend F. W. J. Schelling: Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, op. cit., S. 71: »Ich erwähne noch eines andern äußeren Gegensatzes, den die Philosophie gefunden hat, des der Religion. Nicht in dem Sinn, in welchem zu anderer Zeit Vernunft und Glauben im Widerstreit vorgestellt wurden, sondern in einem, neueren Ursprungs […].« 408 Ebd. 409 Ebd., S. 72. 410 Ebd. 411 Ebd. 405 406

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subjektiven Genialität« 412, die ausschließlich in der inneren Schönheit des einzelnen Bewusstseins verbleibt, und einer objektiven Darstellung des Absoluten, wie sie sich in den Wissenschaften und insbesondere in der Kunst widerspiegelt. Die objekive Repräsentation des Wissens findet Schelling zufolge gar nicht in einem einzelnen Subjekt, »sondern allein in der Gattung« 413 statt, woraus sich als weiterer zentraler Aspekt die Notwendigkeit einer geschichtlichen Betrachung ergibt: »Das wirkliche Wissen, da es sukzessive Offenbarung des Urwissens ist, hat demnach notwendig eine historische Seite […].« 414 Mit diesem Aspekt des Geschichtlichen ist aus der Perspektive des nachkantischen Idealismus ein weiteres Desiderat der kantischen Religionsphilosophie benannt, das sowohl in Hegels als auch in Schellings philosophischer Auseinandersetzung mit Religion eine außerordentlich große Rolle spielen sollte. Zusammengefasst lassen sich die wesentlichen Dimensionen, in denen die idealistischen Religionsphilosophien Hegels und Schellings über die Position Kants hinauszugehen versuchten, in drei Bereiche aufgliedern: 1.) Die von Kant trotz der vermittelnden Kritik der Urteilskraft systematisch getrennten Bereiche der Natur und der Freiheit – beziehungsweise, bezogen auf unser Erkenntnisvermögen, der theoretischen und der praktischen Vernunft – sollten in einem einheitlichen System des Absoluten versöhnt werden, und zwar entweder (bei Schelling) als aus einem Indifferenzpunkt entsprungene Grundprinzipien des Idealen und des Realen oder aber (bei Hegel) als interne Entwicklung eines sowohl als Substanz wie auch als Subjekt sich begreifenden Geistes, der absoluten Identität von Identität und Differenz. Sofern das philosophisch erkannte und dargestellte Absolute im Medium des Denkens seinen adäquaten Ausdruck finden konnte, sollte es nicht mehr von einem vorgeblich ›höheren‹ religiösen Standpunkt aus adäquater erfasst werden können. Das philosophische Wissen im Sinne des Idealismus musste somit zwangsläufig in Konflikt mit einem religiösen Glauben geraten, der beanspruchte, dem Absoluten (Gott) ›näher‹ zu sein als das philosophische Denken. Denn eben dieses, nicht aber das religiöse Gefühl im Sinne Jacobis oder

412 413 414

Ebd., S. 73. Ebd., S. 74. Ebd.

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Schleiermachers stellte aus der Sicht des deutschen Idealismus das angemessene Zugangsmedium zum Absoluten dar. 415 2.) Mit dem Anspruch, das Absolute selbst philosophisch darzustellen, ging eine Erweiterung des Vernunftvermögens einher, das die kantischen Erkenntnisrestriktionen der theoretischen Vernunft als Selbstbegrenzungen des Verstandesdenkens erkennen und überwinden sollte, ohne jedoch dadurch in die vorkritische dogmatische Metaphysik zurückzufallen. Auf dem Gebiet der Religionsphilosophie bedeutete diese Kompetenzerweiterung, dass Religion nicht mehr primär aus der Moralphilosphie heraus, d. h. in ihrer ethischen Universalität, von der Vernunft bedacht werden sollte, sondern in der Gesamtheit ihrer kulturellen und historischen Phänomenalität, insbesondere aber in ihren spekulativen Gehalten. 416 Diese sollten sich sogar gegenüber ihren konkreten Manifestationen in spezifischen Religionen als vorgängig erweisen. Weil sich in den verschiedenen Formen des absoluten Geistes wie dem ideellen Anschauen in der Kunst, dem vorstellenden Glauben in der Religion oder dem begrifflichen Wissen in der Philosophie letztlich immer dieselbe Universalität der sich ausdifferenzierenden Idee manifestiert, teilen Religion und Philosophie für Hegel und Schelling dieselben Inhalte. 417 3.) Weil das Absolute aus der anfänglichen Indifferenz danach strebt, sich selbst zu konkretisieren, indem es sich in einzelne Bestimmungen auseinanderlegt, d. h. danach strebt zu leben, sich im Anderen wieder zu erkennen, stellt sich die Entwicklung des Absoluten für das philosophische Denken des Idealismus als eine Prozessualität dar, welche die Einbeziehung geschichtlicher Formationen erfordert. Ob man diese Prozessualität des Absoluten mit Hegel spekulativ als dia415 Siehe dazu auch P. Redding: »G. W. F. Hegel«. In: Oppy/Trakakis 2009. Bd. 4, S. 49–60. 416 G. di Giovanni [»Faith Without Religion, Religion Without Faith: Kant and Hegel on Religion«. In: Journal of the History of Philosophy, 41 (2003), S. 365–383] formuliert diesen entscheidenden Unterschied zwischen der kantischen und der hegelschen Religionsphilosophie als Frage (ebd., S. 369): »Why does Kant’s system demand a moral faith but leave no rational space for religion apart from the practice itself of morality (duly accompanied by appropriate devotional feelings and emotions) whereas for Hegel religion has autonomous as well as fundamental standing as a human phenomenon but, precisely for that reason, at the end no longer requires faith (whether moral or otherwise)?« 417 Vgl. dazu Seubert 2013, S. 268: »Dass der religionsphilosophische Problemtitel jene Frage betrifft, in der es um die Bestimmung der Philosophie insgesamt geht, zeigt sich bei Schelling ebenso deutlich wie bei Hegel.«

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lektische Selbstauslegung des Geistes oder mit Schelling als Theogonie der Schöpfung, des Abfalls und der Wiedergewinnung ausdeutet – in jedem Fall wird es unerlässlich sein, in die philosophische Rekonstruktion des Religionsbegriffs auch die historische Dimension der systematischen Abfolge von Mythologien und Offenbarungen mit einzubeziehen und auf diesem Weg die implizite Vernünftigkeit des Geschichtlichen herauszuarbeiten. Vor dem Hintergrund dieser drei zentralen Merkmale des nachkantischen Idealismus soll der Schwerpunkt im Folgenden auf der Herausarbeitung sowohl der religionskritischen als auch der religionsaffirmativen Aspekte der Religionsphilosophien Hegels und Schellings liegen. Dabei soll deutlich werden, dass die idealistische Integration des Phänomenkomplexes ›Religion‹ in systematische Darstellungen des Absoluten eine generelle philosophische Aufwertung von Religion, und zwar gerade auch in interkultureller Perspektivierung, mit sich bringt, ineins damit aber auch die Überwindung des genuin Religiösen im Medium des Begriffs bzw. der intellektuellen Anschauung, die sich gegenüber dem religiösen Glauben als angemessenere Zugangsweisen zum Absoluten profilieren. Die philosophische Herausarbeitung vernünftiger Wahrheitsmomente in den Religionen der Welt bedeutet somit zugleich die Negation ihrer exklusiven Wahrheitsansprüche.

1.2

Absolutes Wissen oder positive Philosophie? – Vernünftige Zugänge zum Kern des Religiösen nach Hegel und Schelling

Weil Hegel ebenso wie Schelling in ihrer Philosophie keine methodisch strikten Trennlinien zwischen verschiedenen philosophischen Disziplinen ziehen, sondern von der Überzeugung ausgehen, dass eine adäquate Darstellung des Absoluten letztlich nur in einem philosophischen Gesamtsystem (oder wenigstens in einem Systementwurf) erfolgen kann, können auch die Religionsphilosophien Hegels und Schellings nur in ihrem Bezug zum Ganzen ihrer Philosophie erläutert werden. Dazu wird es jedoch nicht erforderlich sein, die sukzessive Entwicklung zum ›endgültigen‹ System im Falle Hegels oder gar die mannigfaltigen natur- und kunstphilosophischen, transzendental-idealistischen, identitätsphilosophischen u. a. Systementwürfe Schellings in ihrer historischen Abfolge nachzuzeichnen. Für den Zweck der vorliegenden Untersuchung, die daran interessiert ist, 293 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

systematische Bausteine zu einer interkulturellen Religionsphilosophie zu eruieren, kommt es vielmehr darauf an, die jeweiligen Lösungsansätze Hegels und Schellings in ihren spezifischen Charakteristika zu kennzeichnen und darauf aufbauend (in Kap. III.1.3) ihre Potentiale im Hinblick auf eine interkulturelle Ausrichtung religionsphilosophischer Forschungen aufzuzeigen. Bereits in Schellings Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797/1803) 418 wird der ambitionierte philosophische Impetus deutlich, durch »die Anschauung der absoluten Identität in der vollkommensten objektiven Totalität« 419 gleichsam eine neue, menschheitsverbindende Religion zu stiften, »nachdem alle endlichen Formen zerschlagen sind«. 420 Auf dem höchsten Punkt der Anschauung gibt es für Schelling keinen Unterschied zwischen Religion und Philosophie, wie auch aus der Beschreibung der obersten Wissenschaft hervorgeht, die Schelling in seinen Vorlesungen über die Methode (Lehrart) des akademischen Studiums liefert: In ihr seien »Natur und Gott, Wissenschaft und Kunst, Religion und Poesie« 421 ursprünglich miteinander verbunden; und die Philosophie wiederum sei im idealen Sinne »die unmittelbare Darstellung und Wissenschaft des Urwissens selbst« 422, deren reale Darstellung jedoch nur durch die kooperativen Anstrengungen der Gattung im Gesamtsystem der Wissenschaften erfolgen könne. An derartigen Äußerungen Schellings, vor allem aber auch an der in der Abhandlung Philosophie und Religion (1804) 423 dargelegten Verhältnisbestimmung von Glauben und Wissen lässt sich ein F. W. J. Schelling: Ideen zu einer Philosophie der Natur. In: Ders.: Werke. Auswahl in drei Bänden. Hrsg. u. eingel. v. O. Weiß. Bd. 1. Leipzig 1907. 419 Ebd., S. 169. 420 Ebd. – H. Seubert weist zu Recht darauf hin, dass Schelling »seit seinen philosophischen Anfängen nach dem Zusammenhang von Gott und Sein« gesucht habe (Seubert 2013, S. 267) und dass unter diesem Gesichtspunkt eine größere Kontinuität in Schellings Denkweg bestehe, als in Anbetracht der mehrfachen philosophischen Neuansätze Schellings oftmals vermutet wurde. 421 F. W. J. Schelling: Vorlesungen über die Methode (Lehrart) des akademischen Studiums, op. cit., S. 73 f. 422 Ebd., S. 74. 423 Diese für die vorliegende Untersuchung ausgesprochen wichtige Schrift Schellings stellte in ihrem zeithistorischen Kontext eine Erwiderung auf die Abhandlung Die Philosophie in ihrem Uebergang zur Nichtphilosophie von C. A. Eschenmayer, Erlangen 1803, dar (veröffentlicht in: Philosophisch-literarische Streitsachen. Hrsg. v. W. Jaeschke. Hamburg 1990–1995, Bd. 3/1, S. 55–99). Siehe zu den geistesgeschichtlichen Hintergründen dieser Kontroverse Jaeschke/Arndt 2012, S. 478 ff. 418

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spezifischer Bedeutungswandel des Terminus ›Religionsphilosophie‹ nur wenige Jahre nach seiner Einführung ablesen: Im identitätsphilosophischen Sinne bezeichnet ›Religionsphilosophie‹ kein Philosophieren über einen von ihr getrennten religiösen Gegenstand mehr, sondern eine Weise der intellektuellen Anschauung des Absoluten, in der Religion und Philosophie letztlich identisch geworden sind. 424 So ist Schelling – ebenso wie Hegel – davon überzeugt, dass die höchste Form der Annäherung des Bewusstseins an das Absolute nicht im religiösen Glauben an ein Jenseits bestehen könne (auch nicht im Sinne der kantischen Postulatenlehre und des Vernunftglaubens), sondern dass das im Glauben Offenbare besser, nämlich klarer und ›heller‹ im philosophischen Begreifen des Absoluten erfasst werde. 425 Die unterschiedlichen Versuche Schellings, das Absolute philosophisch darzustellen – die natur- und identitätsphilosophischen Systementwürfe sowie die späteren Ausarbeitungen zu einer philosophischen Theogonie in den Weltaltern sowie in den Philosophien der Mythologie und Offenbarung – lassen sich daher zugleich als Versuche einer Überwindung des Gegensatzes von Glauben und Wissen in einer absoluten Anschauung bzw. Ekstasis deuten, die besonders in der Spätphilosophie in die philosophische Rekonstruktion des Gottund Welt-Werdens auch die plurikulturelle Entwicklung der Religionsgeschichte einzubeziehen versucht. Durch eine solche Form der universal-integralen Darstellung soll nicht nur die Differenz zwischen Philosophie und Religion, sondern auch der theologische Gegensatz von ›Heidentum‹ und ›Christentum‹ überwunden werden, indem – ähnlich wie in Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion – die gleichsam positionale Notwendigkeit einer jeweiligen Mythologie bzw. Offenbarung aufgewiesen wird. Anders jedoch als Hegel, dem mit der spekultativen Dialektik ein universell anwendbares Schlussverfahren für die Darstellung sämtlicher geistiger Gehalte zur Verfügung steht, muss Schelling auf eine originäre Erkenntnisform – die intellektuelle Anschauung oder Ekstasis – rekurrieren, die der diskursiven Darstellung des Absoluten voraus liegt. Denn so wie aus Schellings, in diesem Punkt an Kant

424 Siehe dazu W. E. Ehrhardt: »Einleitende Bemerkungen über Philosophie und Religion im Kontext von Schellings Werk«. In: F. W. J. Schelling: Philosophie und Religion. Hrsg. v. A. Denker u. H. Zaborowski. Freiburg/München 2008, S. 61–75. 425 Siehe dazu auch H. Zaborowski: »Spekulation oder Kritik? Schelling, Kant und das Verhältnis der Philosophie zur Religion«. In: Denker/Zaborowski 2008, S. 108–130.

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anknüpfender Sicht der Begriff der Freiheit nur im subjektiven Vollzug – als autonome Selbstbestimmung – existiert und nicht etwa als eine externe Eigenschaft, die aus einer objektivierenden Perspektive an einem Lebewesen beobachtet werden könnte, so ›gibt es‹ das Absolute ebenfalls nur durch seinen Begriff, d. h. durch seine Selbstbestimmung. Die Beweisfigur des ontologischen, von Kant kritisierten Arguments wird damit folgendermaßen umgekehrt: Gerade weil kein existierendes ›x‹ gefunden werden kann, auf das die Eigenschaften des absolut notwendigen Daseins und der höchsten Realität zutreffen, bestätigt sich die Identität von Begriff und Sein in Gott. 426 Da dieser absolute Selbstbestimmung ist, kann er nicht zugleich ein Existierendes mit bestimmten Eigenschaften sein. Insofern hat Anselm mit seinem Gottesbeweis Recht, wenn er Begriff und Sein in Gott identifiziert; aber er hat Unrecht, wenn er daraus die Existenz Gottes ableitet – ebenso wie die zeitgenössischen ›Modernisierer‹ des ontologischen Arguments einen a priori falschen Gottesbegriff voraussetzen, wenn sie Gott als ein existierendes Wesen mit maximal positiven Eigenschaften definieren. In diesem Punkt ist wiederum Kant zuzustimmen, der nachgewiesen hatte, dass (faktische, nicht logische) ›Existenz‹ eine Eigenschaft ist, die zum Begriff einer Sache hinzukommen muss, und dass daher kein Existierendes mit den Eigenschaften Gottes bewiesen werden könne; aber er irrt Schelling zufolge, wenn er aus diesem Befund auf die generelle Unmöglichkeit einer philosophischen Gotteserkennnis schließt. Das göttliche Absolute, so Schellings Argument, darf eben nicht als als ein »logisches Abstraktum« 427 aufgefasst werden, sondern es ist wie die Freiheit, in der die Menschen dem Göttlichen am nächsten stehen, die sie aber auch am weitesten von diesem entfernen kann (nämlich in der Entscheidung zum Bösen), als die Selbstbestimmung einer Persönlichkeit aufzufassen. 428 Und weil Personalität gemäß der Freiheitsschrift »die 426 Vgl. F. W. J. Schelling: Philosophie und Religion, S. 17: »So wird das Nichtabsolute zum Beispiel als dasjenige erkannt, in Ansehung dessen der Begriff dem Sein nicht adäquat ist; denn eben weil hier das Sein, die Realität nicht aus dem Denken folgt, vielmehr zu dem Begriff noch etwas nicht durch selbigen Bestimmtes hinzukommen muss, wodurch erst das Sein gesetzt wird, ist es ein Bedingtes, Nichtabsolutes.« 427 F. W. J. Schelling Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände [im Folgenden zitiert als: Freiheitsschrift]. Hrsg. v. T. Buchheim. Hamburg 2011, S. 66. 428 Zur Auffassung Gottes als »lebendige Einheit von Kräften« und »höchste Persönlichkeit« vgl. ebd., S. 66 ff. – Siehe dazu auch Ehrhardt 2008, a. a. O., S. 66: »Die Gewissheit der Freiheit geht […] allen Reflexionsbegriffen vorher und zeigt sich als das

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Verbindung eines Selbständigen mit einer von ihm unabhängigen Basis« 429 bedeutet, ist es für Schelling plausibel, auch innerhalb des göttlichen Wesens einen Willen des Grundes, der nach unwillkürlicher Selbstrealisierung strebt, und einen logos-haften, freien Willen der Liebe als ideales Prinzip anzunehmen. 430 Auf dem »höchsten Punkt der ganzen Untersuchung« 431 jedoch stößt Schelling in der Freiheitsschrift wiederum auf einen absoluten Mittelpunkt, der allerdings nicht mehr – wie zuvor innerhalb der Identitätsphilosophie 432 – als Identität der Gegensätze, sondern vielmehr als »absolute Indifferenz« 433 bezeichnet werden müsse. Weil Menschen durch ihr ureigenes Freiheitsvermögen je schon eine intime Beziehung zum Absoluten unterhalten – auch Kant hatte ja das Postulat Gottes konsequent an die praktische, auf Freiheit bezogene Vernunft geknüpft –, ist es aus Schellings Sicht unangemessen, dieses in ein vollkommen unzugängliches Jenseits zu versetzen und zum bloßen Objekt eines ahnenden und sehnenden subjektiven Glaubens zu machen. Vielmehr stellt die auch von Hegel in Glauben und Wissen konstatierte Trennung von wissbarem Endlichem und unwissbarem Unendlichem in Schellings Interpretation einen Abfall von der primordialen Identität von Philosophie und Religion dar. In Philosophie und Religion schildert Schelling die wechselvolle Beziehung zwischen Glauben und Wissen anhand einer ideengeschicht-

gemeinsame Höchste der Gottheit und ihres Gegenbildes. Diese Anschauung lebt durchgängig in der Philosophie Schellings, ist ihr Innerstes, ihr A und O, das in Bezug auf jedweden Gegenstand zur Anschauung gebracht wird.« – Siehe auch C. Bickmann: »Platonismus im Idealismus – Schellings Versuch eines ›neuartigen Gottesbeweises‹«. In: (Hrsg.): Platonismus im Orient und Okzident. Neuplatonische Denkstrukturen im Judentum, Christentum und Islam. Hrsg. v. R. G. Khoury u. J. Halfwassen. Heidelberg 2005, S. 247–265. 429 F. W. J. Schelling: Freiheitsschrift, S. 66. 430 Vgl. ebd., S. 67. 431 Ebd., S. 77. 432 Siehe dazu O. Florig: »Die ideelle Reihe der Philosophie – Philosophie und Religion als Versuch, menschliche Freiheit im Identitätssystem zu denken«. In: Denker/ Zaborowski 2008, S. 76–97. 433 F. W. J. Schelling: Freiheitsschrift, S. 78: »Die Indifferenz ist nicht ein Produkt der Gegensätze, noch sind sie implicite in ihr enthalten, sondern sie ist ein eignes von allem Gegensatz geschiedenes Wesen, an dem alle Gegensätze sich brechen, das nichts anderes ist als eben das Nichtsein derselben, und das darum auch kein Prädikat hat als eben das der Prädikatlosigkeit, ohne daß es deswegen ein Nichts oder ein Unding wäre.«

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lichen Skizze, 434 die von einer ursprünglichen Einheit von Philosophie und Mysterienreligion (zur Zeit der griechischen Antike, 435 zumindest bis zu Platon) ausgeht, sodann die anschließende Trennung in eine dogmatische, öffentliche, mit dem Volksglauben vermengte Religion und in eine ohnmächtige, esoterische Philosophie beschreibt (offensichtlich während des Mittelalters, als die Philosophie dem Glauben als dessen Magd dienen musste, sowie während der Frühen Neuzeit, in der sich die dogmatische Metaphysik ausbildete) und in der Gegenwart die Aufwertung des Glaubens gegenüber einem Wissen konstatiert, das durch die transzendentale Kritik des Dogmatismus auf die nichtigen Gegenstände des Endlichen zurückgeworfen wurde. 436 Schellings Absicht ist es vor dem Hintergrund dieses weitgefassten Panoramas, »diejenigen Gegenstände, welche der Dogmatismus der Religion und die Nichtphilosophie des Glaubens sich zugeeignet haben, der Vernunft und der Philosophie zu vindizieren.« 437 Des Näheren handelt es sich bei diesen Gegenständen, die Schelling auch als »die wahren Mysterien der Philosophie« 438 beschreibt und deren Darstellung zugleich das Ganze der Philosophie ausmachen soll, 1.) um die Lehre vom Absoluten selbst, 2.) um die Rekonstruktion »der ewigen Geburt der Dinge« 439, d. h. des Hervorgehens des Welthaften aus Gott und des Verhältnisses der Welt zu Gott, 3.) um die darauf gegründete Ethik, die auf dem Freiheitsbegriff beruht, der seinerseits nur aus 2.) verstehbar wird. Eine Philosophie, der eine systematische Darstellung des Zusammenhangs dieser drei Gegenstände gelänge, hätte nicht nur die Trennung zwischen theoretischer und praktischer Philosophie bzw. den Sphären der Natur und der Freiheit überwunden, sondern sich auch die Themen der klassischen Metaphysik (Gott, Welt, Seele) in einer nicht-dogmatischen Weise, nämlich unter dem Paradigma einer freien und zugleich substanziellen Subjektivität neu angeeignet. Eine solche Philosophie des Absoluten wäre der Ergänzung durch einen religiösen Glauben – eine Einstellung, die Schelling mit Hegel teilt – nicht mehr bedürftig. Sie wäre selbstgenügsam und vollständig wie das Absolute selbst. In Siehe F. W. J. Schelling: Philosophie und Religion, S. 13 f. Siehe dazu auch die Erwägungen Schellings im »Anhang. Über die äußeren Formen, unter welchen Religion existiert« in: Philosophie und Religion, S. 53 f. 436 Ebd., S. 13 ff. 437 Ebd., S. 16. 438 Ebd., S. 14. 439 Ebd. 434 435

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»klarem Wissen« und in »anschauender Erkenntnis« 440 gehörte ihr, als »höhere und gleichsam ruhigere Vollendung des Geistes« 441, was der religiöse Glaube je nur vage erhoffen oder allenfalls in augenblickshaften Erleuchtungen ansatzweise erfassen kann. Denn über dem philosophisch erkannten Absoluten kann nicht noch einmal ein vermeintlich höher stehendes, personales, transzendentes Wesen ›Gott‹ angesetzt werden: Sofern Gott das Absolute ist, muss auch umgekehrt das Absolute mit Gott identisch sein; zwischen beiden kann es keine Differenz geben. Die künstliche Trennung beider, in der sich implizit nur die traditionell beklagte Kluft zwischen rationalem Philosophengott und persönlich erfahrenem Gott der Religionen wiederholt, erklärt Schelling damit, dass die philosophische Beschreibung des Absoluten fälschlicherweise bereits für dessen Erkenntnis gehalten werde. 442 Da eine philosophische, d. h. notwendigerweise diskursive Darstellung des Absoluten aber stets nur bedingt sein kann, scheint für einen unmittelbaren Zugang zum Absoluten der religiöse Glaube erforderlich zu sein. Dieser soll gleichsam das fehlende Positive zur Erkenntnis Gottes beitragen, während die philosophische Darlegung des Absoluten stets nur in einer negativen Weise erfolgen kann – eine Unterscheidung, in der sich die spätere Trennung von negativer, reinrationaler und positiver Philosophie in Schellings Denken bereits andeutet, wenngleich eben auch die letztere ›positive Philosophie‹ bleibt und sich demzufolge trotz der vorgängigen Akzeptanz theistischer Voraussetzungen und religiöser Dokumente eben nicht in bloßen Glauben auflöst. Schelling insistiert in Philosophie und Religion darauf, dass das Absolute nicht als Synthese von Gegensätzen, als Produkt einer geistigen Operation, begriffen werden könne, sondern vielmehr jene primordiale Identität darstelle, in der noch keine Gegensätze aufgetreten sind. Die ursprüngliche Identität des Absoluten, die Schelling in der Freiheitsschrift explizit als Indifferenz bezeichnet, kann in einer philosophischen Darstellung aber stets nur nachträglich, mit Hilfe der dem Denken zur Verfügung stehenden Reflexions- und Schlussformen ausgedrückt werden: entweder kategorisch (in Form einer rein negativen Weder-noch-Absprache), hypothetisch (in der Form: »wenn ein Subjekt und ein Objekt ist, so ist das Absolute das gleiche 440 441 442

Ebd., S. 15. Ebd., S. 16. Ebd., S. 17.

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Wesen beider« 443, freilich nicht im Sinne eines Verhältnisbegriffs, sondern als absolute Identität), oder disjunktiv (als Identität von Weder-noch-Absprache und absoluter Identität, sodass das Gleiche unter verschiedenen Perspektiven betrachtet werden kann). Die eigentliche Erkenntnis der absoluten Identität, so wie sie an sich selbst ist, muss ihrer philosophischen Beschreibung aber je schon vorausgegangen sein, und zwar in einer intellektuellen Anschauung, in der sich die ›Seele‹ als ursprünglich eins mit dem Absoluten begreift. 444 Die einfache Identität des absolut-Idealen mit dem absolutRealen, die sich in die Reiche der Natur und Freiheit aufteilen werden, kann Schelling zufolge nur von einem Vermögen erkannt werden, das mit dem unvordenklichen Absoluten gleichen Wesens ist, einer Erkennisart, die selber absolut, d. h. unbedingt und nicht durch die Erfordernisse logischer Reflexionsformen und diskursiv-sprachlicher Darstellung eingeschränkt ist. 445 Insofern wäre es im Hinblick auf das Denken Schellings – anders als im Falle Hegels – nicht vollkommen zutreffend, von einer Überbietung der Religion durch die (diskursive) Philosophie zu sprechen, weil die Philosophie selbst in platonisch-neuplatonischer Tradition die Seele stets nur indirekt zur Anschauung des Unendlichen hinführen kann. Dessen Anschauung ereignet sich dann jedoch nicht innerhalb des philosophischen Denkens selber, sondern sie stellt einerseits die Konsequenz der Philosophie dar, die den Denkenden zur Schau des Idealen geleitet hat, und bildet andererseits die unerlässliche Voraussetzung wahrhafter Philosophie, die bereits das Absolute geschaut haben muss, wenn sie diskursiv zu ihm hinführen will. Eine philosophisch-diskursive Hinführung zum Absoluten ist für Schelling aber nur dann möglich, wenn die Realität des Absoluten nicht als vollkommen unabhängig von seiEbd., S. 18 ff. Ebd., S. 18: »[…] die intellektuelle Anschauung nämlich ist […] eine Erkenntnis […], die das An-sich der Seele selbst ausmacht, und die nur darum Anschauung heißt, weil das Wesen der Seele, welches mit dem Absoluten eins und es selbst ist, zu diesem kein anderes als unmittelbares Verhältnis haben kann.« – Vgl. dazu auch die Bezugnahme Hegels auf Schellings Begriff des Anschauens in Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion. Hrsg. v. W. Jaeschke. In: G. W. F. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd. 4. Hamburg 1985, S. 468. 445 F. W. J. Schelling: Philosophie und Religion, S. 21: »Das einzige einem solchen Gegenstand, als das Absolute, angemessene Organ ist eine ebenso absolute Erkenntnisart, die nicht erst zu der Seele hinzukommt durch Anleitung, Unterricht und so weiter, sondern ihre wahre Substanz und das Ewige von ihr ist.« 443 444

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ner Idealität gedacht wird. Eben diese Trennung von Realität und Idealität wirft Schelling den dogmatischen Systemen der Metaphysik, aber auch dem Kritizismus Kants sowie dem Idealismus Fichtes vor. 446 Die Erfahrung der Evidenz des Absoluten übersteigt, so Schelling, nicht nur diese eingeschränkten philosophischen Positionen, sondern auch jede Form eines bloß subjektiven religiösen Glaubens. 447 Für das zukünftige bzw. einstmals herzustellende ›ideale‹ Verhältnis zwischen Philosophie und Religion imaginiert Schelling eine Trennung zwischen exoterischer Mythologie- und esoterischer Mysterien-Religion, die von Ferne noch an die kantische Unterscheidung von Offenbarungs- und Vernunftreligion erinnert, inhaltlich jedoch weit über die Idee einer Herausbildung der einen moralischen Religion aus den vielen statutarischen Glaubensformen hinausgeht. 448 Während die öffentliche Religion in den sinnlichen Bildern einer universellen Mythologie die Naturerscheinungen symbolisieren mag, soll sich die esoterische Religion der Mysterien ganz darauf konzentrieren, den »Abfall vom Absoluten zu versöhnen und das negative Verhältnis des Endlichen zu ihm in ein postives zu verwandeln« 449. In dieser Zielsetzung seien sich die Eingeweihten der Mysterien-Religion mit den »natürlich-Eingeweihten« 450 der absoluten Philosophie einig. Darüber hinaus wird in der Freiheitsschrift sowie in den späteren Philosophien der Mythologie und Offenbarung deutlich, dass Schelling von der Möglichkeit einer Übersetzbarkeit religiös geoffenbarter Wahrheiten in die begriffliche Sprache der Philosophie überzeugt ist. Weil aus der idealistischen Perspektive das Wissen vom Absoluten prinzipiell einen höheren Status genießt als der bloße Glaube an das Ebd., S. 21. Ebd., S. 22: »Aber nicht minder wird, wer jene Evidenz, die in der Idee des Absoluten, und nur in ihr liegt, und welche zu beschreiben jede menschliche Sprache zu schwach ist, erfahren hat, alle Versuche, sie durch Glauben, durch Ahndung, durch Gefühl, oder welche Namen man hierzu erfinden möge, auf das Individuelle des Individuums zurückzuführen und zu beschränken, als jener ganz unangemessen, sie nicht nur nicht erreichend, sondern ihr Wesen selbst aufhebend, betrachten müssen.« 448 Diese Differenz zwischen philosophieaffiner Mysterien-Religion und poetischer Mythologie greift außerdem ein Motiv auf, das bereits im ›Ältesten Systemprogramm des Deutschen Idealismus‹ ausgesprochen wurde: »Monotheismus der Vernunft und des Herzens, Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst, dies ist’s, was wir bedürfen!« (G. W. F. Hegel: Frühe Schriften, S. 234–236.) 449 F. W. J. Schelling: Philosophie und Religion, S. 55. 450 Ebd., S. 57. 446 447

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Absolute, besteht für Schelling geradezu eine Notwendigkeit, derartige Übersetzungen religiöser Dokumente in die Sprache der Vernunft vorzunehmen. 451 Die Philosophie soll dadurch jedoch keineswegs zu einem ›Mystizismus‹ oder zum ›Theosophismus‹ mutieren. 452 Die Auffassung einer weitreichenden Übersetzungsmöglichkeit religiöser Vorstellungen in die philosophische Begriffssprache ist auch Hegel zuzuschreiben, dessen Religionsphilosophie zahlreiche Einsichten und Motive, die in Bezug auf Schellings Philosophie namhaft gemacht wurden, mit dieser teilt; doch ist gleichwohl auch auf signifikante Unterschiede zwischen beiden idealistischen Religionsphilosophien aufmerksam zu machen. Zunächst geht Hegel ebenso wie Schelling von der modernen, nachkantischen Situation aus, in der das a priorische ›Räsonnieren‹ der vormaligen Metaphysik aufgegeben und Wissenschaftlichkeit nunmehr ausschließlich in die Feststellung allgemeiner Grundsätze für subjektive Erfahrungen gesetzt wurde. 453 Für Hegel sind aber beide formellen Reflexionsarten, sowohl die »spitzfindigen, metaphysischen, casuistischen Unterscheidungen und Bestimmungen« 454 der vorkritischen Verstandesmetaphysik als auch die aufgeklärte Selbstkritik dieser Erkenntnisform, die in die reine Abstraktion eines bestimmungslosen, höchsten Wesen mündet, nicht dazu geeignet, das Bedürfnis des Geistes nach einem gehaltvollen Glauben und Wissen zu befriedigen. Weder kann sich das Wissen mit der subjektiven, endlichen Verstandeserkenntnis zufrieden geben, noch sieht der Glaube seinen Wunsch nach einem objektiven Inhalt seiner Glaubensgewissheit erfüllt, wenn er auf ein vollkommen inhalts- und gestaltloses Jenseits verwiesen wird, demgegenüber er sich nur ahnend und fühlend verhalten kann. 455 451 Siehe F. W. J. Schelling: Freiheitsschrift, S. 84: »Wir […] sind der Meinung, daß eben von den höchsten Begriffen eine klare Vernunfteinsicht möglich sein muß, indem sie nur dadurch uns wirklich eignen, in uns selbst aufgenommen und ewig gegründet werden können. Ja, wir gehen noch weiter und halten mit Lessing selbst die Ausbildung geoffenbarter Wahrheiten in Vernunftwahrheiten für schlechterdings notwendig, wenn dem menschlichen Geschlecht damit geholfen werden soll.« 452 Vgl. ders.: Grundlegung der positiven Philosophie, op. cit., S. 267. 453 Vgl. G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I. In: Ders.: Theorie-Werkausgabe Bd. 18. Frankfurt a. M. 1999, S. 79 f. 454 Ders.: »Vorwort zu: H. F. W. Hinrichs: Die Religion« (1822). In: Ders.: Schriften und Entwürfe I (1817–1825). Gesammelte Werke. Bd. 15. Hrsg. v. F. Hogemann u. C. Jamme. Hamburg 1990, S. 126–143, hier S. 131. 455 Siehe ebd., S. 131 ff. – Vgl. dazu auch G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion I. In: Ders.: Werke Bd. 16. Hrsg. v. E. Moldenhauer u. K. M.

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Die vermeintliche zeitgenössische Versöhnung von Glauben und Wissen – dieses begnügt sich denkend mit dem erkennbaren Endlichen, jenes gibt sich im Gefühl dem unerkennbaren Unendlichen hin – kann daher aus Hegels Perspektive keine überzeugende Lösung darstellen. Es ist für Hegel vollkommen unplausibel, dass die höchsten Gehalte des Geistes – Gott, das Absolute, Unendliche – nicht auch den höheren Erkenntnisformen des Menschen (vom Vorstellen und Fürwahrhalten bis hin zum begrifflichen Wissen) zugänglich sein sollten. Das bloße Gefühl ist aus Hegels genau so wie aus Schellings Sicht keineswegs das passende Medium zur Erfassung des Absoluten. 456 Da sich Gefühle (etwa der Verehrung, des Schreckens, der Sehnsucht, der Hingabe etc.) als affektiv-emotionale Formen an allen möglichen Inhalten entzünden können, wird der Religion jeglicher objektive Gehalt entzogen, wenn man das subjektive Bewusstsein zum alleinigen Wahrheitskriterium religiösen Glaubens macht 457 – ein Argument, das auch noch den erfahrungsbasierten Religionsauffassungen William James’ oder der ›reformierten Epistemologie‹ nachdrücklich entgegenhalten werden könnte. Hegel möchte mit dieser Sichtweise keinesfalls Gefühle als wesentlichen Bestandteil von Religiosität generell ausschließen oder verdammen; vielmehr geht es ihm darum zu zeigen, dass sich religiöse Gefühle auf bestimmte geistige Inhalte beziehen müssen, sofern sie nicht vollkommen subjektiv-willkürlich und beliebig sein sollen, gleichsam Empfindungen ohne ein Empfundenes, das es auch wert ist, empfunden zu werden. 458 Auf der anderen Seite können für Hegel eben so wenig vermeintlich ›objektive‹ Grundlagen wie z. B. Offenbarungen in Form heiliger Schriften das unhinterfragbare Fun-

Michel. Frankfurt a. M. 1969, S. 67: »Der törichteste Irrwahn unserer Zeit ist die Meinung, daß das Denken der Religion nachteilig sei und diese um so sicherer bestehe, je mehr jenes aufgegeben werde.« 456 Vgl. dazu G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes, S. 15 ff. 457 Siehe dazu G. W. F. Hegel: Religionsphilosophie. Bd. I: Die Vorlesung von 1821. Hrsg. v. K.-H. Ilting. Neapel 1978, S. 108 f.: »Gott ist nicht die höchste Empfindung, sondern der höchste Gedanke; wenn er auch in die Vorstellung herabgezogen wird, so gehört doch der Gehalt dieser Vorstellung dem Reiche des Gedankens an.« Siehe auch ders.: »Vorlesungen über die Beweise vom Daseyn Gottes«. In: Ders.: Vorlesungsmanuskripte II (1816–1831). Gesammelte Werke Bd. 18. Hrsg. v. W. Jaeschke. Düsseldorf 1995, S. 228–317, hier S. 231 ff.; sowie ders.: »Vorwort zu: H. F. W. Hinrichs: Die Religion«, a. a. O., S. 137 f. 458 Siehe ebd., S. 135 ff.

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dament der Religionsphilosophie darstellen. 459 In diesem Punkt deckt sich Hegels Position grundsätzlich mit der kantischen: Weder statutarische Überlieferungen noch subjektive Gefühle können das rational einsehbare Fundament des Religiösen konstituieren, sondern einzig ein aus der Vernunft selbst entwickelter Religionsbegriff – der freilich bei Hegel (und auch bei Schelling) wesentlich umfassender und facettenreicher ausfällt als innerhalb der kantischen Philosophie. Deren Begrenzung der theoretischen Vernunft auf die Eruierung der a priorischen Prinzipien empirischer Erkenntnis betrachtet Hegel geradezu als die Grundlage der ›flachen‹ zeitgenössischen Auffassung, dass Gott vollkommen unbegreiflich und unfassbar sei. 460 Gegenüber einem solchen Defätismus sei es nunmehr von Nöten, wie Hegel in seiner Berliner Antrittsrede von 1818 eindringlich ausführt, den Mut zur Wahrheit und den Glauben an eine Vernunft wieder zu gewinnen, die sich selbst für kompetent erachtet, jene höchsten Gegenstände des Wissens, von denen auch Schelling in Philosophie und Religion spricht, zu erkennen. 461 Konnte mit Blick auf Schellings Einschätzung des Verhältnisses von Glauben und Wissen ein impliziter Bedeutungswandel des Begriffs ›Religionsphilosophie‹ festgestellt werden – bezogen auf den Indifferenzpunkt von Religion und Philosophie in der intellektuellen Ebd., S. 139. Siehe auch ders.: Vorlesungen über die Philosophie der Religion II. Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes. In: Ders.: Werke Bd. 17. Frankfurt a. M. 1969, S. 198 f.: »Das Herz, Gefühl ist nicht das Herz eines Tiers, sondern das Herz des denkenden Menschen, denkendes Herz, Gefühl, und was in diesem Herzen, Gefühl von Religion ist, ist im Denken dieses Herzens, Gefühls.« 460 Siehe dazu G. W. F. Hegel: »Konzept der Rede beim Antritt des philosophischen Lehramtes an der Universität Berlin« (1818), in: Ders.: Werke Bd. 10. Frankfurt a. M. 1970, S. 399–417, hier S. 402; ders.: Phänomenologie des Geistes, S. 364; ders.: Vorlesungsmanuskripte I. Hrsg. v. W. Jaeschke. In: G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. Bd. 17. Hamburg 1987, S. 8. 461 Ders.: »Konzept der Rede beim Antritt des philosophischen Lehramtes an der Universität Berlin«, a. a. O., S. 404: »Der Mut der Wahrheit, Glauben an die Macht des Geistes ist die erste Bedingung des philosphischen Studiums; der Mensch soll sich selbst ehren und sich des Höchsten würdig achten. Von der Größe und Macht des Geistes kann er nicht groß genug denken; das verschlossene Wesen des Universums hat keine Kraft in sich, welche dem Mute des Erkennens Widerstand leisten könnte; es muß sich vor ihm auftun und seinen Reichtum und seine Tiefen ihm vor Augen legen und zum Genusse bringen.« – Vgl. entsprechend F. W. J. Schelling: System der Weltalter. Münchener Vorlesung 1827/28 in einer Nachschrift von E. v. Lasaulx. Hrsg. u eingel. v. S. Peetz. Frankfurt a. M. 21998, S. 127: »Wenn Gott nicht gewußt werden könnte, so wäre er kein Gott mehr. […] Weil Gott das Positive ist, so ist er das vorzugsweise zu Wissende.« 459

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Anschauung des Absoluten –, so ließe sich im Hinblick auf Hegels Standpunkt eine analoge Bedeutungsverschiebung bezogen auf den Begriff des ›Vernunftglaubens‹ namhaft machen: Mit diesem Ausdruck soll nun nicht länger ein vor der Vernunft gerechtfertigter Glaube an metaphysische Ideen wie Gott oder die unsterbliche Seele designiert werden, sondern vielmehr ein Glaube an die universelle Erschließungskraft der Vernunft, der es gelingt, die Gegenstände des bloßen Glaubens in Gegenstände des absoluten Wissens zu transformieren. Für Hegel stellt es geradezu eine Forderung des Christentums dar, Gott vollständig zu erkennen 462 – eine Forderung, welche die christliche Religion Hegel zufolge positiv von allen ›bestimmten‹ Religionen unterscheidet, in denen sich Gott selbst noch nicht offenbart hat. Demgemäß besteht die Aufgabe der Religionsphilosophie für Hegel darin, zu zeigen, wie der Geist zu den verschiedenen Gestalten der Religion bis hin zum Christentum fortschreitet, 463 um schließlich in der Philosophie auch noch diese letzte Offenbarungsstufe in der vollständigen Erkenntnis seiner an-und-für-sich-selbst aufzuheben. 464 ›Gott‹ ist innerhalb der hegelschen Philosophie nichts anderes als dieser Geist selbst, dessen grundlegende Struktur darin besteht, »sich von sich selbst zu unterscheiden, sich Gegenstand zu sein, aber in diesem Unterschiede schlechthin mit sich identisch zu sein« 465. Aus dieser Auffassung des göttlichen Wesens folgt, dass es falsch wäre, 462 Siehe G. W. F. Hegel: Vorlesungsmanuskripte I, op. cit., S. 9 f. Vgl. entsprechend ders.: »Vorwort zu: H. F. W. Hinrichs: Die Religion«, a. a. O., S. 141. Über das Christentum sagt Hegel hier, dass »diese Religion nichts ist und seyn will, als die Offenbarung dessen, was Gott ist, und die christliche Gemeinde nichts seyn soll, als die Gemeinde, in die der Geist Gottes gesandt und in welcher derselbe, der eben, weil er Geist, nicht Sinnlichkeit und Gefühl, nicht ein Vorstellen von Sinnlichem, sondern Denken, Wissen, Erkennen ist, und weil er der göttliche, heilige Geist ist, nur Denken, Wissen und Erkennen von Gott ist, die Mitglieder in die Erkenntniß Gottes leitet.« 463 Vgl. ders.: Phänomenologie des Geistes, S. 366; Vorlesungsmanuskripte I, S. 11. 464 Siehe ders.: Phänomenologie des Geistes, S. 368: »Ob er [der Geist; M. W.] aber in ihr [der offenbaren Religion; M. W.] wohl zu seiner wahren Gestalt gelangt, so ist eben die Gestalt selbst und die Vorstellung noch die unüberwundene Seite, von der er in den Begriff übergehen muß, um die Form der Gegenständlichkeit in ihm ganz aufzulösen, in ihm, der ebenso diß sein Gegentheil in sich schließt. Alsdann hat der Geist den Begriff seiner selbst erfaßt, wie wir nur erst ihn erfaßt haben, und seine Gestalt oder das Element seines Daseyns, indem sie der Begriff ist, ist er selbst.« Siehe dazu auch M. Häußler: Der Religionsbegriff in Hegels »Phänomenologie des Geistes«. Freiburg/München 2008. 465 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, op. cit., S. 187.

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Gott als ein extramundanes Wesen anzusetzen, das die Welt in einem einmaligen Schöpfungsakt geschaffen hätte. Vielmehr ist Gott selbst aus Hegels Sicht nur der ewige Akt des Sichoffenbarens und SichBestimmens, der sein Anderes zu setzen und wieder in sich aufzuheben vermag. 466 Religion wird somit in der hegelschen Philosophie – bereits innerhalb der Phänomenologie des Geistes, 467 vor allem jedoch in Hegels Vorlesungen zur Philosophie der Religion, die ja als Teil des enzyklopädischen Gesamtsystems betrachtet werden müssen – einerseits affirmativ als höherstufiges Format der Selbsterkenntnis des absoluten Geistes rekonstruiert, andererseits jedoch gerade im Zuge dieser Rekonstruktion durch die absolute philosophisch-begriffliche Erkenntnis überboten und somit überwunden. Ihrem Selbstverständnis zufolge repräsentiert die Religionsphilosophie Hegels eine eigenständige, ja die angemessenste Form des Gottesdienstes, da sie Gott als jene absolute Wahrheit begreift, auf die sich Religion und Philosophie gleichermaßen beziehen; beide Geistesgestalten teilen daher dieselben Inhalte. 468 Im Unterschied zur kantischen Religionsphilosophie sind es dabei vorwiegend die spekulativen Inhalte religiös inkarnierter Vernunft, die in den idealistischen Religionsphilosophien Hegels und Schellings angeeignet werden. Insbesondere der Trinitätsgedanke wird in einer impliziten Rückbindung an neuplatonische sowie christlich-mystische Gedankenfiguren zu einem systemtragenden Motiv bei beiden Denkern, 469 im Falle Schellings noch wesentlich deutlicher 466 Vgl. ebd., S. 193: »Man sagt: Gott hat die Welt erschaffen; so spricht man dies als einmal geschehene Tat aus, die nicht wieder geschieht; als so eine Bestimmung, die sein kann oder nicht; Gott hätte sich offenbaren können oder auch nicht; es ist eine gleichsam willkürlich zufällige Bestimmung, nicht zum Begriff Gottes gehörend. Aber Gott ist als Geist wesentlich dies Sichoffenbaren; er erschafft nicht einmal die Welt, sondern ist der ewige Schöpfer, dies ewige Sichoffenbaren, dieser Aktus. Dies ist sein Begriff, seine Bestimmung.« 467 Siehe insbesondere den VII. Teil der Phänomenologie des Geistes (»Die Religion«), S. 363–421. 468 Siehe G. W. F. Hegel: Vorlesungsmanuskripte I, S. 6: »Die Philosophie ist daher Theologie, und die Beschäftigung mit ihr – oder vielmehr in ihr ist für sich Gottesdienst.« 469 Siehe dazu G. Greshake: Der dreieine Gott. Eine trinitarische Theologie. Freiburg 2007, S. 136 ff. Greshake weist auf die beträchtlichen Unterschiede der hegelschen Trinitätsauffassung zur kirchlichen Trinitätslehre hin und entdeckt in Trinitätstheologien, die sich an Hegels Ansatz orientieren, ausgeprägt modalistische Tendenzen. In der Nachfolge Hegels handele es sich bei der göttlichen Trinität letztlich nur um drei

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angelehnt an die Auffassung des Proklos, der den Herausgang des ursprünglichen Einen in die Vielheit als einen Abfall vom Absoluten deutete. 470 Bei Hegel überwiegt demgegenüber eine gleichsam positive Bewertung des Negativen, das als notwendig erscheint, um die Konkretisierung und Selbstanreicherung des Geistes zu bewirken. 471 Ohne Zweifel aber liegt in der triadischen Struktur von ursprünglicher Identität, Hervorgang eines Anderen aus dem Absoluten (als Natur) und der schließlichen Wiedergewinnung, der Rückkehr in sich (als Geist) eine ganz wesentliche Gemeinsamkeit der Religionsphilosophien Hegels und Schellings. 472 In Hegels Philosophie, deren Systematik allenthalben von der distinkte Modi des einen absoluten Subjekts, nicht aber um »frei handelnde und dialogisch aufeinander bezogene Subjekte« (ebd., S. 141) innerhalb der dreifach gegliederten Personalität Gottes. 470 Siehe dazu Seubert 2006, S. 40 f. 471 Vgl. dazu auch G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion, S. 516 f.: »So ist Gott der Geist, indem er seinen Sohn, das Andere seiner erzeugt, das Andere seiner selbst setzt; aber in ihm ist er bei sich selbst. Die Negation ist da ebenso das Verschwindende und diese Negation in Gott also dies bestimmte, wesentliche Moment.« Siehe dazu auch die Kommentierung durch J. Habermas in ders.: »Glauben und Wissen«, a. a. O., S. 259: »Hegel macht den Kreuzestod des Gottessohnes zum Zentrum eines Denkens, das sich die positive Gestalt des Christentums einverleiben will. Die Menschwerdung Gottes symbolisiert das Leben des philosophischen Geistes. Auch das Absolute muß sich zum anderen seiner selbst entäußern, weil es sich als die absolute Macht nur erfährt, wenn es sich aus der schmerzlichen Negativität der Selbstbegrenzung wieder hervorarbeitet. So werden zwar die religiösen Inhalte in der Form des philosophischen Begriffs aufgehoben. Aber Hegel bringt die heilsgeschichtliche Dimension der Zukunft einem in sich kreisenden Weltprozeß zum Opfer.« 472 Vgl. dazu auch die Charakterisierung des Überseienden in Schellings Grundlegung der positiven Philosophie, op. cit., S. 420: »In dem blossen An-sich-sein ist das Ewige d. h. der bleibende Anfang; in dem Ausser-sich-seienden das ewige Mittel; in dem Als-Wesen-seienden ist das bleibende d. h. ewige Endsein.« – Siehe dazu E. L. Fackenheim: The God within. Kant, Schelling, and Historicity. Toronto/Buffalo/London 1996. Fackenheim ordnet Schelling einer gegenüber dem Hauptstrom der abendländischen Metaphysik marginalisierten Tradition zu, in der Gott als reine Freiheit gedacht wird und die Fackenheim als »meontological« kennzeichnet; zu ihr zählen laut Fackenheim etwa auch Johannes Scotus Eriugena und Jacob Boehme. Vgl. ebd., S. 129: »The God of meontological metaphysics would have to be described as a process which (i) because it is pure making proceeds from the indifference of sheer possibility of nothingness (mh ô`n) into the differentiation of actuality – ex nihilo in aliquid; (ii) because it is self-making establishes its own identity throughout this process by returning upon itself; or, otherwise put, proceeds into otherness, yet cancels this otherness and in so doing establishes itself; (iii) because it is absolute self-making, actualizes ex nihilo the totality of possibilities.«

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triadischen Struktur des spekulativ-dialektischen Schlusses geprägt ist, unterliegt auch die begriffliche Darstellung der Religion einer Einteilung in drei Gestalten des Geistes, die gemäß der jeweiligen Beziehung des Geistes auf das Bewusstsein, das er von sich hat, einander ablösen. Die Phänomenologie des Geistes, innerhalb derer die Religion – wie auch im späteren enzyklopädischen System – als die Vorstufe zum absoluten (philosophischen) Wissen erscheint, unterscheidet diesbezüglich A.) die natürliche Religion, B.) die KunstReligion und C.) die offenbare Religion. Die Begriffe A.) und C.) schließen zwar an die schon aus der Religionsphilosophie Kants geläufige Terminologie an, werden aber inhaltlich deutlich anders gefüllt, 473 indem die ›natürliche Religion‹ bei Hegel die unmittelbare, substantielle Form geistigen Bewusstseins bezeichnet und die ›offenbare Religion‹ »die Gestalt des Anundfürsichseins« 474 des Geistes – nämlich als die Einheit der ›natürlichen‹ und der ›künstlichen‹ Religion B.), in welcher der Geist die Form des subjektiven Selbstbewusstseins angenommen hatte. Die offenbare Religion, die ausschließlich im Christentum erreicht wird, weil erst in dieser religiösen Formation der absolute Geist in der Gestalt eines wirklichen Menschen (Jesus Christus) zu seinem Selbstbewusstsein gelangt, repräsentiert somit die geglückte religiöse Verbindung von Substanz und Subjekt. Hier ist sich der Geist selbst offenbar geworden 475 – wenngleich noch in der mentalen Form der »Vorstellung« 476, die den dynamischen Zusammenhang seiner Momente nur in »endlichen Reflexionsbestimmungen« 477 nachzuvollziehen vermag. In der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817) rekonstruieren die entsprechenden Paragraphen über ›Die geoffenbarte Religion‹ die »Sphären oder Elemente«, in die sich »die unterschiedenen 473 Siehe dazu auch G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion, S. 415 f. 474 Ders.: Phänomenologie des Geistes, S. 368. 475 Ebd., S. 405: »Diese Menschwerdung des göttlichen Wesens, oder daß es wesentlich und unmittelbar die Gestalt des Selbstbewußtseyns hat, ist der einfache Inhalt der absoluten Religion.« Vgl. ebenso Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, S. 188: »Es ist das die vollendete Religion, die Religion, die das Sein des Geistes für sich selbst ist, die Religion, in welcher sie selbst sich objektiv geworden ist, die christliche.« 476 Vgl. ders.: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817). In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. 13. Hrsg. v. W. Bonsiepen u. K. Grotsch. Düsseldorf 2000, § 465, S. 243. 477 Ebd.

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Momente des Begriffs« verzweigen und »in deren jeder sich der absolute Inhalt darstellt«, 478 als die drei Momente der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelnheit, die wiederum jeweils spezifische Ausprägungen der internen Relation zwischen den drei göttlichen Gestalten Vater, Sohn und Heiliger Geist repräsentieren. 479 Die in der Phänomenologie des Geistes beschriebene ›Geburt‹ der offenbaren Religion, d. h. ihr Hervorgang aus der überwundenen Kunst-Religion, die in der Welt des Rechts und der abstrakten Personalität, im Stoizismus und im skeptischen Bewusstsein untergegangen ist, erinnert wiederum an die aus Hegels Abhandlung »Glauben und Wissen« bekannte Figur des spekulativen Karfreitags: Auch in der Phänomenologie des Geistes muss »der alle (sic) durchdringende Schmerz und Sehnsucht des unglücklichen Selbstbewusstseyns« als »gemeinschaftliche Geburtswehe« 480 der Heraufkunft der versöhnten Totalität des Religiösen vorausgehen. In einer systematisch alles durchdringenden Weise ist die triadische Denkstruktur auch in Hegels religionsphilosophischen Vorlesungen durchgeführt. Legt man die Fassung von 1827 zu Grunde, so zeigt sich – innerhalb der übergeordneten Triade des absoluten Geistes, deren zweite Gestalt ja die Religion bildet – zunächst eine Dreiteilung der gesamten Religionsphilosophie in die Bereiche 1.) des Religionsbegriffs, 2.) der bestimmten Religion und 3.) der vollendeten Religion. 481 Innerhalb des 1.) Bereichs, des allgemeinen Begriffs der Religion, findet sich wiederum eine systematische Dreiteilung, Ebd., § 466, S. 243. Siehe ebd., §§ 467–469, S. 243 f. 480 G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes, S. 403. Siehe auch ebd., S. 419, die Überlegungen Hegels zum »Tod der Abstraction des göttlichen Wesens, das nicht als das Selbst gesetzt ist. Er ist das schmerzliche Gefühl des unglücklichen Bewußtseyns, daß Gott selbst gestorben ist.« 481 Siehe G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 1: Einleitung. Der Begriff der Religion. Hrsg. v. W. Jaeschke. In: G. W. F. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd. 3. Hamburg 1983; G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion. Hrsg. v. W. Jaeschke. In: G. W. F. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd. 4 (a: Text; b: Anhang). Hamburg 1985; G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 3: Die vollendete Religion. Hrsg. v. W. Jaeschke. In: G. W. F. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd. 5. Hamburg 1984. [Alternative Editionen: 1) Vorlesungen über die Philosopie der Religion. 3 Bde. Neu hrsg. v. Walter Jaeschke. Hamburg 1993 ff. (MeinerStudienausgabe); 2) Vorlesungen über die Philosophie der Religion. In: G. W. F. Hegel: Werke in 20 Bänden (Theorie-Werkausgabe). Hrsg. v. E. Moldenhauer u. K. M. 478 479

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nämlich in A.) den Begriff Gottes, B.) das Wissen von Gott und C.) den Kultus. Diese Gliederung entspricht der allgemeinen spekulativen Weise des Schließens, nämlich von der objektiv-substantiellen Seite auszugehen (in diesem Fall dem religiösen Gehalt), diesem die subjektive Seite entgegenzusetzen (also das religiöse Bewusstsein in seinen vielfältigen Formen des Fühlens, Anschauens und Vorstellens) und schließlich beide Momente in einem Dritten (hier im religiösen Kultus als Wiederherstellung der Einheit und Aufhebung der Entzweiung zwischen Subjekt und Absolutem) zu verbinden und aufzuheben. Auf diese Weise vermag Hegels Philosophie die zentralen Komponenten des Religiösen – religiöse Inhalte, religiöses Bewusstsein und religiöse Kulte – in die Entwicklung des sich selbst bestimmenden Geistes zu integrieren und ihre Wahrheitsmomente philosophisch anzuverwandeln. Für die konkreten Interpretationen der ›bestimmten Religionen‹, die ein breites Spektrum an historisch-kulturellen Religionsformationen umfassen, sowie der ›vollendeten Religion‹ ist sodann entscheidend, dass diese triadische Binnendifferenzierung des allgemeinen Religionsbegriffs auf die Darstellung sämtlicher einzelner Religionen übertragen wird. 482 Die Dreiteilung der generellen religiösen Aspekte gliedert so die bestimmten, endlichen Religionen sowie die vollendete, absolute Religion als je einzelne Geistesgestalten. Auch an der Beschreibung des Absoluten, die Schelling in Philosophie und Religion liefert, wird das für die idealistische Religionsphilosophie charakteristische Denken in triadischen Strukturen, die stets auf die Einheit von Dreien abzielen, deutlich. So sind im Absoluten nach Schelling – analog zum christlich, also trinitarisch gedachten Gott 483 – 1.) »das schlechthin-Ideale«, d. h. Gott selbst, der Vater, Michel. Bd. 16 u. 17. Frankfurt a. M. 1969.] Herangezogen wurden ferner Hegels Vorlesungsmanuskripte I (1816–1831), op. cit. 482 In der Gliederung der Vorlesung zur bestimmten Religion nach dem Manuskript sowie in der Fassung von 1824 ist diese strukturelle Identität unmittelbar augenfällig. Vgl. G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion. 483 Siehe dazu auch Schellings Spekulationen zur göttlichen Trinität in der Urfassung der Philosophie der Offenbarung. Teilband 1. Hrsg. v. W. E. Ehrhardt. Hamburg 1992, 27.–29. Vorlesung, S. 178–203. Schelling unterscheidet in diesem Zusammenhang drei grundsätzliche Weisen, in denen das Verhältnis der drei göttlichen Personen zueinander gedacht werden kann, nämlich als ›Tautousie‹, ›Heterousie‹ oder ›Homousie‹. Während die ›Tautousie‹ von einer differenzlosen Einheit der Gottheit ausgeht, sodass – wie im häretischen ›Sabellianismus‹ – die drei göttlichen Gestalten zu bloß nominell

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2.) »das schlechthin-Reale«, d. h. das andere Absolute, der Sohn, und 3.) »das Vermittelnde beider, die Absolutheit oder die Form« 484, die als Heiliger Geist gedeutet werden könnte, zu unterscheiden. Diese interne Differenzierung soll jedoch weder im Sinne eines Herausgehens der ursprünglichen Identität des Absoluten aus sich selbst noch als dessen Teilung aufgefasst werden, 485 sondern als eine »Selbstrepräsentation des Absoluten« 486, in der sich dieses durch die »ewige Umwandlung der reinen Idealität in Realität« 487 selbst erkennt. Trotz der fundamentalen Gemeinsamkeiten der idealistischen Religionsphilosophien lässt sich als ein zentraler Unterschied der Positionen Hegels und Schellings – insbesondere im Vergleich von Hegels reifem System mit Schellings monumentalem, wenngleich fragmentarischem Spätwerk – das jeweils unterschiedlich angesetzte Verhältnis des philosophischen Wissens zu dem, was es weiß, hervorheben. Bei Hegel herrscht nach dem durchschrittenen Kreisgang der philosophischen Wissenschaften eine vollständige Selbsttransparenz des Absoluten im Medium des sich selbst erkannt habenden Geistes; er hat alle Negationsformen der logischen Idee sowie der Sphären von Natur und Geschichte durchschritten und kann nunmehr wie der aristotelische Nous oder die absolute Substanz des Spinoza die Vollständigkeit seiner Attribute unendlich kontemplieren, in seinem absoluten Wissen bei sich selbst bleiben. Zwei Schlussfiguren verbinden dabei die drei Sphären der Idee (bzw. des Logischen), der Natur und des Geistes: 488 Dem ersten Schluss zufolge, den man als objektiven bezeichnen könnte, ist die logische Idee der Ausgangspunkt, der von der Natur mit dem Geist zusammengeschlossen wird. Hier stellt die Natur das vermittelnde Element dar; die Idee wird zur Natur und verschiedenen Aspekten des einen Gottes werden, werden auf dem Standpunkt der ›Heterousie‹ die drei göttlichen Personen »als drei relativ besondere Potenzen gedacht« (ebd., S. 196). In der ›Homousie‹ werden die drei Potenzen in ihrer Einheit gedacht. Für Schelling sind jedoch alle drei Momente zur vollständigen Erfassung der Wahrheit des Trinitätsgedankens notwendig, sodass die Charakterisierung der ersten beiden Momente als Häresien aus religionsphilosophischer Sicht unzureichend wäre. 484 F. W. J. Schelling: Philosophie und Religion, S. 25. 485 Ebd., S. 25 f. 486 Ebd., S. 27. 487 Ebd. 488 G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817), §§ 475 u. 476, S. 246.

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diese wiederum zum Geist. Im zweiten – subjektiven – Schluss ist die Natur die Voraussetzung, die der Geist mit der logischen Idee zusammenschließt. Hier ist der Geist das Vermittelnde, das Idee und Natur verbindet. Doch am Ende des Gesamtprozesses werden beide Schlussfiguren wiederum »in der Idee der Philosophie aufgehoben, welche die sich wissende Vernunft, das absolut-Allgemeine zu ihrer Mitte hat, die sich in Geist und Natur entzweyt […]«. 489 Es bleibt in der hegelschen Gesamtdarstellung des prozedural sich mit sich selbst zusammenschließenden Absoluten keine relevante Seinsdimension mehr übrig, die nicht vom Licht der Vernunft erhellt werden könnte. Demgegenüber hat der späte Schelling mit der Unterscheidung von negativer (bzw. reinrationaler, logischer) und positiver (geschichtlicher) Philosophie eine bemerkenswerte Veränderung der idealistischen Konzeption des Absoluten sowie der dem Absoluten korrespondierenden Vernunft vorgenommen, indem die gesamte reinrational-begriffliche Rekonstruktion des Absoluten nunmehr als eine nur negative Darstellung desselben erscheint, die auf der Tatsache des Abfalls desjenigen Weltalters, innerhalb dessen die menschliche Vernunft auftrittt, beruht. 490 Das Absolute, dessen Begriff als Resultat eines gedanklichen Prozesses erscheint, kann für Schelling stets nur ein negatives sein. Das positive Absolute kann demgegenüber philosophisch-begrifflich niemals eingeholt werden; es muss vielmehr als ein Unvordenkliches, als ein freies Erstes oder ›seiendes Prius‹ 491 der Vernunft vorgeordnet werden, die sodann vom absoluten Ausgangspunkt Gottes aus die Positivität des Wirklichen neu zu erschließen vermag. Die von Kant nachgewiesene Unmöglichkeit der reinrationalen Philosophie, aus bloßen Begriffen das Dasein Gottes zu beweisen, wird von Schelling somit – wie oben bereits erwähnt – zu einem positiven Argument für die Notwendigkeit einer Philosophie, die eben nicht vom Begriff Gottes, sondern von dessen unbezweifelbarer Existenzvoraussetzung und freier Schöpfungstat ausgeht. 492 Ebd., § 477, S. 247. Siehe dazu F. W. J. Schelling: System der Weltalter, op. cit. – Vgl. dazu auch die Darstellung bei Jaeschke/Arndt 2012, S. 703 ff.; sowie T. Buchheim: Eins von Allem. Die Selbstbescheidung des Idealismus in Schellings Spätphilosophie. Hamburg 1992. 491 F. W. J. Schelling: Grundlegung der positiven Philosophie, S. 267. 492 Siehe dazu G. Kreis: »Die Kritik der Gottesbeweise in der klassischen deutschen Philosophie«. In: Bromand/Kreis 2011, S. 210–243, hier S. 237 ff.; Seubert 2006, S. 89 ff.; sowie R. Langthaler: »›Man wird von der Philosophie den wirklichen Gott 489 490

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Deren Motiv liegt keineswegs – wie Hegel dachte – in der Erlangung vollständig konkretisierter Selbsterkenntnis des absoluten Geistes, sondern in der liebenden Erschaffung der menschlichen Kreatur. 493 Und auch die trinitarische Grundfigur des Denkens tritt nunmehr nicht länger – wie bei Hegel – in logisch-dialektisch abstrahierter Form auf, sondern in der durch die ›Weltalter‹-Aionen konkretisierten Zeitentfaltung von Schöpfung aus der vorweltlichen Ewigkeit (Vergangenheit), Sündenfall (Gegenwart) und Erlösung in der nachweltlichen Ewigkeit (Zukunft). Im Zuge dieser ›positiven‹ Philosophie verändert sich zugleich die Stellung der Philosophie zu den geschichtlich gegebenen Religionen, insofern die Urkunden und Dokumente ihrer Offenbarungen nunmehr als Momente einer fortschreitenden Theogonie entziffert werden können. Zu den zentralen Gegenständen einer dergestalt ›geschichtlichen‹ Philosophie gehört – ähnlich wie in Hegels Rekonstruktion der dialektischen Geistesentwicklung – das Christentum, 494 weil dieses als einzige Religion den dreifaltigen Gesamtprozess von freier Schöpfungstat, Störung der Schöpfung durch Abfall des Menschen und Versöhnung in Jesus Christus als notwendiges Wahrheitsgeschehen geoffenbart hat. 495 Die Begründungsdimension der vormaligen theologia naturalis als Teil der überkommenen Metaphysik, nämlich Gott mit den Mitteln der natürlichen Vernunft a priori zu beweisen, ist damit in Weiterführung der kantischen Metaphysikkritik endgültig obsolet geworden. Weil sich die positive Philosophie Schellings selbst in die übergefordern, nicht die bloße Idee Gottes‹. Zur Kritik des späten Schelling an Kants Religionsphilosphie«. In: Fischer 2004, S. 517–560. 493 Vgl. dazu F. W. J. Schelling: Grundlegung der positiven Philosophie, op. cit., S. 469: »Er [Gott; Anm. M. W.] kennt sich ohne diesen Process. Auch die Potenzen und alle möglichen Stellungen kennt er vorher, sodass er also durch den wirklichen Process nicht mehr erfährt oder weiss. Eben darin liegt die absolute Freiheit Gottes, dass er selbst durch den Prozess nichts zu gewinnen hat.« 494 Siehe dazu ebd., S. 83 f. 495 Siehe dazu ders.: Urfassung der Philosophie der Offenbarung, op. cit., Erste Vorlesung, S. 7: »Der Mensch im Paradiese war unstreitig in der Wahrheit; sie war aber nicht eine geprüfte Wahrheit – sie hatte den Versuch nicht bestanden. Daher mußte die Versuchung kommen; der Mensch konnte aus der Wahrheit herausfallen, aber nicht, um sie zu verlieren, sondern um sie durch Überwindung des Irrtums wiederzugewinnen. […] Die Wahrheit des Christentums ist nicht eine unmittelbar gegebene, sondern eine gesteigerte, darum eine weit höhere, so daß man sagen kann: Der Mensch hat durch den Irrtum weit mehr gewonnen, als verloren. […] Das Christentum hat also den großen Irrtum des Heidentums zum Grunde.« – Siehe auch Jaeschke/Arndt 2012, S. 739 ff.

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schichtliche Prozessualität der Theogenese einschreibt, vermag sie die Urkunden religiöser Offenbarung als Denk-Vorgaben zu akzeptieren, die es nunmehr philosophisch zu erhellen und zu erklären gilt. Eine unerlässliche Voraussetzung dieser philosophischen Dechiffrierungsarbeit liegt in einem erweiterten Vernunftbegriff, der als Analogon zum mystischen »Primum passivum in Gott« 496 die »anfängliche Weisheit« bezeichnet, »in der alle Dinge beisammen und doch gesondert, Eins und doch jedes frei in seiner Art sind.« 497 Auf der Basis eines solchen, freilich eher theosophischen als genuin philosophischen Vernunftkonzepts verkündet die positive Philosophie Schellings sogar Einsichten aus der ›höheren Geschichte‹ von Schöpfung, Sündenfall und Erlösung, die weder der biblischen Offenbarung noch der natürlichen Vernunft entstammen, die also sowohl über einen bereits sehr weit gefassten Bereich religiöser Empirie als auch über den Bereich logischer Ideen und Verknüpfungen zwischen ihnen hinausgehen. Die Überlegungen etwa zu internen Spannungen zwischen Gott-Vater und Gott-Sohn innerhalb der triadischen Schöpfungs-, Abfalls- und Versöhnungsgeschichte 498 mögen so zwar durchaus faszinierende Perspektiven eröffnen; aufgrund ihrer methodischen Ungesichertheit streifen sie jedoch die Sphäre bloßer Spekulation oder gar reiner Phantasie in bedenklicher Weise. Die schellingsche ›Religions-Philosophie‹, in der Religion und Philosophie im Rückbezug auf einen unvordenklichen Indifferenzpunkt bzw. auf das göttliche Absolute anfänglich geeint sind, und der hegelsche ›Vernunftglaube‹, der im Vertrauen auf die absolute Erschließungskraft des Geistes die Einheit von Religion und Philosophie als Resultat seiner sukzessiven Selbsterhellung erzeugt, stellen sich somit als zwei – nicht entgegengesetzte, sondern komplementäre – Varianten des idealistischen Bemühens dar, in der begrifflichen Rekonstruktion des Absoluten und seiner differentiellen Prozessualität die geistigen Gehalte religiöser Vernunft philosophisch anzueignen. 499 Welche inter- und transkulturellen Potentiale diese äußerst ambitionierten Positionen in sich bergen, wird das folgende Unter-

F. W. J. Schelling: Freiheitsschrift, S. 86. Ebd. 498 Siehe dazu auch Jaeschke/Arndt 2012, S. 740. 499 Siehe zu möglichen Einflüssen von Schellings Religionsphilosophie auf K. Rahner den Aufsatz von P. J. Fritz: »Karl Rahner, Friedrich Schelling, and Original Plural Unity«. In: Theological Studies, 75 (2014), S. 284–307. 496 497

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kapitel zu ermitteln suchen, das sich dabei besonders auf Hegels Überlegungen zur ›bestimmten Religion‹ konzentrieren wird.

1.3

Inter- und transkulturelle Potentiale der idealistischen Religionsphilosophien

Das generelle Anliegen der idealistischen Auseinandersetzung mit religiöser Diversität lässt sich dahingehend bestimmen, dass es Hegel und Schelling darum zu tun ist, das jeweilige Wahrheitsmoment einer religiösen Position vor dem Hintergrund der systematischen Darstellung des Absoluten aufzuzeigen. Sofern das Leben des Geistes Hegel zufolge darin besteht, sich selbst zu produzieren, indem er sich in unterscheidbare Momente auseinander legt, 500 ist es die Aufgabe der Philosophie, der verstreuten Vielheit geschichtlich aufgetretener Religionen den ›roten Faden‹ einer kontinuierlichen Selbstmanifestation des universalen Geistprinzips abzulesen. 501 Jede Religion repräsentiert ein bestimmtes, notwendiges Moment innerhalb des weltschöpferischen Prozesses der Selbsterkenntnis des absoluten Geistes. Daher gibt es keine Religion, die nicht wenigstens einen Funken Wahrheit enthielte. Alleine schon die Tatsache, dass in jedem Falle Menschen, die sich generell durch ihre Vernünftigkeit auszeichnen, die kulturellen Träger einer Religion sind, spricht dafür, in jeder religiösen Formation wenigstens Spurenelemente von Vernünftigkeit entdecken zu können: 502 »Das Schwere ist eben, die Notwendigkeit solcher Religionsformen zu erkennen, die Wahrheit zu erkennen, wie es mit der Vernunft zusammenhängt, und das ist schwerer als etwas für sinnlos zu erklären.« 503 Sogar – aus europäischer Sicht – bizarr oder entsetzlich anmutende Vorstellungen und Rituale mancher Religionen vermögen, durch ihre philosophische

G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religon. Teil 1: Einleitung. Der Begriff der Religion, S. 57. 501 Ebd., S. 59: »Denn was notwendig ist durch den Begriff, das hat existieren müssen, und die Religionen, wie sie aufeinander gefolgt sind, sind nicht auf zufällige Weise entstanden, sondern der Geist ist es, der das Innere regiert«. 502 Ebd., S. 107 f. 503 Ders.: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion, S. 467. 500

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Deutung im Rahmen der universalen Selbsterkenntnisgeschichte des Geistes eine versöhnliche Rechtfertigung zu erfahren. 504 Auf der Basis dieser grundsätzlich von der Vernünftigkeit religiöser Phänomene ausgehenden hermeneutischen Interpretationsbereitschaft thematisieren Hegel und Schelling jeweils die Vielfalt der geschichtlich aufgetretenen ›besonderen‹ Religionen – abgesehen vom Christentum, dem aufgrund seines Charakters als ›vollendeter Religion‹ eine exklusive Sonderstellung zukommt – auf der geistigen Stufe der ›bestimmten Religion‹ (Hegel) bzw. der ›Mythologie‹ (Schelling). Für diese Stufe ist kennzeichnend, dass der Geist auf ihr noch kein offenbares Bewusstsein über sich selbst erlangt hat. 505 Keine der unter der Kategorie der ›bestimmten Religion‹ bzw. ›Mythologie‹ zusammengefassten ›endlichen‹ oder ›ethnischen‹ Religionen 506 kann deswegen für sich beanspruchen, eine der christlichen Religion auch nur annähernd vergleichbare Wahrheit zu besitzen. 507 Stattdessen favorisieren die idealistischen Religionsphilosophien – ebenso wie zuvor bereits die kantische Religionsdeutung – einen philosophisch begründeten christlichen Inklusivismus, der besagt, dass alle relevanten Wahrheitsaspekte der vor- und außerchristlichen Religionen als aufgehobene im Christentum bzw., um es präziser zu sagen: in der idealistischen Rekonstruktion des Christentums qua absoluter, vollendeter Religion enthalten sind. 508 Außerchristliche Religionen können auf diesem Standpunkt nicht ohne Abwertung als fremde Gestalten des Geistes in ihrem Eigensinn und ihrer Andersartigkeit gewürdigt und auf diesem Weg möglicherweise sogar zu 504 Ders.: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 1: Einleitung. Der Begriff der Religion, S. 107 f.: »[…] die Geschichte der Religionen in diesem Sinn zu studieren, sich mit dem zugleich auch versöhnen, was Schauderhaftes, Abgeschmacktes darin vorkommt […].« 505 Siehe ebd.: »In diesen Stationen seines Prozesses ist der Geist noch nicht vollkommen, sein Wissen, Bewußtsein über sich selbst ist nicht das wahrhafte, und er ist sich noch nicht offenbar.« 506 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion, S. 412. 507 Ebd., S. 413 f.: »In der bestimmten Religion als solcher, in der endlichen Religion haben wir nur untergeordnete Bestimmungen des Geistes, der Religion vor uns; wir haben noch nicht die Religion der absoluten Wahrheit.« 508 Ders.: Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, S. 81: »Die bestimmten Religionen sind zwar nicht unsere Religion; aber als wesentliche, wenn auch als untergeordnete Momente, die der absoluten Wahrheit nicht fehlen dürfen, sind sie in der unsrigen enthalten.«

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Inspirationsquellen philosophischer Transformationsprozesse werden. Vielmehr besteht nach Hegel die einzig adäquate philosophische Verhaltensweise ihnen gegenüber in einer einverleibenden Aneignung, d. h. ihrer Angleichung ans bereits erkannte Eigene, zu dessen bloßen Vorstufen sie herabgesetzt werden. 509 Nur dadurch können die wahren von den falschen Momenten einer Religion geschieden werden, dass im Anderen die eigene Wahrheit erblickt wird; eine Wahrheit des Anderen, die nicht schon im Voraus die eigene wäre, ist damit per se ausgeschlossen. 510 Der hierarchisierend-teleologische Inklusivismus Hegels billigt so zwar außerchristlichen Religionen immerhin »Ahnungen« 511 grundlegender religiöser Gedanken wie etwa der Menschwerdung Gottes zu. Doch weil von vornherein feststeht, dass diese Gedanken erst in der christlichen Religion zu ihrer Selbstoffenbarung kommen, gelangt die Perspektivierung außerchristlicher Religiosität und Spiritualität letztlich nicht über eine paternalistische Auffassung hinaus, die anderen Religionsformen nur ein rudimentäres, kaum bewusstes Wissen der angestrebten begrifflichen Totalität des göttlichen Wesens zubilligt. Denn »je nachdem dies Wissen vorhanden ist, danach ist auch eine Stufe des religiösen Geistes höher oder niedriger, reicher oder ärmer.« 512 Die Sukzession religiöser Gebilde in unterschiedlichen Kulturräumen und historischen Epochen spiegelt somit eine kontinuierliche Anreicherung der göttlichen Erscheinung wider, die sich selbst im Zuge ihrer religiösen Manifestationen zunehmend transparenter wird. Wiederum stellt Hegel die zentralen Etappen der divinen Selbsterkenntnis innerhalb der bestimmten Religion anhand einer triadischen Schrittfolge dar. Nach der Manuskriptversion der Vorlesungen über die Philosophie der Religion sowie der Fassung von 1827 gliedert sich die bestimmte Religion in A.) die unmittelbare Religion (die Hegel auch als ›natürliche Religion‹ oder als ›Naturreligion‹ bezeichnet), B.) die Religion der Erhabenheit und Schönheit (die in der Vorlesung von 1824 als Subkategorie unter die »Religio-

509 Ders.: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion, S. 412, S. 415: »Die bestimmten Religionen sind bestimmte Stufen des Bewußtseins, des Wissens vom Geiste. Sie sind notwendige Bedingungen für das Hervorgehen der wahrhaften Religion, für das wahrhafte Bewußtsein des Geistes.« 510 Vgl. Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, S. 81. 511 Ebd. 512 Ebd.

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nen der geistigen Individualität« fällt 513) und C.) die Religion der Zweckmäßigkeit (die 1824 die dritte Unterkategorie der »Religionen der geistigen Individualität« darstellt). 514 Diesen drei Blöcken hat Hegel jeweils bestimmte religiöse Formationen zugeordnet, sodass unter dem Leitbegriff der ›bestimmten Religion‹ eine komplexe Übersicht über die Religionen der Weltkulturen (mit der bezeichnenden Ausnahme des Christentums, der ›vollendeten Religion‹) sowie – und gerade darauf kommt es Hegel an – ein philosophische Rekonstruktion der jeweiligen Wahrheitsmomente der einzelnen Religionsformen dargeboten wird. In der religionsphilosophischen Vorlesung von 1827 tritt das allgemeine Darstellungsschema der Religionen mit seinen drei Aspekten des metaphysischen Begriffs (bzw. objektiven Inhalts), der konkreten Vorstellung (bzw. des subjektiven religiösen Bewusstseins) sowie des kultischen Moments zurück gegenüber einer stärkeren inhaltlichen Ausdifferenzierung insbesondere der sogenannten ›Naturreligionen‹ (A). Diese werden nunmehr in vier Gruppen eingeteilt, in deren Systematik sich begriffliche und kulturelle Charakterisierungen verschränken: a) die ›Religion der Zauberei‹, b) die ›Religion des Insichseins‹, c) die ›indische Religion‹ und d) die ›Religionen des Übergangs‹. Bei der näheren Beschreibung dieser religiösen Formate greift Hegel auf einen materialreichen Fundus an religionswissenschaftlichen Kenntnissen der damaligen Zeit, die zum Teil auf Berichten von Missionaren basierten, zurück. 515 So thematisiert Hegel in Bezug auf die ›Religion der Zauberei‹ religiöse Vorstellungen und Praktiken, die sich bei den Eskimos, in Afrika sowie bei Mongolen und Chinesen finden lassen. 516 Die chinesische Staatsreligion wird dabei »als eine ausgebildete Zauberreligion« 517 charakterisiert. Nur am Rande streift Hegel in diesem Zusammenhang auch den Daoismus, dessen Prinzip als »ein eigentümlicher Gott, die Vernunft« 518 Vgl. ebd., S. VI. G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 3: Die vollendete Religion. Hrsg. v. W. Jaeschke. In: G. W. F. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. Bd. 5. Hamburg 1984. 515 Siehe dazu die »Bibliographie der Quellen zur Religionsphilosophie«. In: G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion. hb: Anhangi, S. 835–858. 516 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion, S. 439 ff. 517 Ebd., S. 445. 518 Ebd., S. 445 f. Siehe auch ebd., S. 453. 513 514

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bezeichnet wird – eine Auffassung, welche die Behandlung der chinesischen Religion unter der Rubrik der Zauberreligion begrifflich eigentlich nicht rechtfertigen sollte; doch konzentriert sich Hegel im Folgenden vorwiegend auf die chinesische »Religion des Himmels, wo der Himmel, Tian, als das höchste Herrschende anerkannt wird« 519, sowie auf die mit dieser Religion verbundene Kaiserideologie. 520 Der Daoismus, den Hegel als eine »Sekte« 521 missversteht, geht in der hegelschen Deutung bereits über die erste Stufe der Naturreligion hinaus, indem das Bewusstsein hier in sich selbst zurückkehrt, und zwar zu einem »abstrahierten reinen Denken« 522. Auch eine erste Ausprägung triadischen, ja sogar trinitarischen Denkens sieht Hegel im Daoismus – in einer interkulturellen Analogie zur pythagoreischen Lehre – bereits angelegt: Die erste Bestimmung (»J«), »das Unbestimmte, Bestimmungslose, die schlechte erste Abstraktion, das ganze Leere« 523, bringt die zweite Bestimmung (»Chi«) als konkrete Lebendigkeit hervor, die wiederum die dritte Bestimmng (»Wei«) als »Totalität, Vollendung der Bestimmtheit« 524 erzeugt. Aber trotz dieser offenkundigen Ähnlichkeit zur trinitarischen Gedankenfigur bestreitet Hegel, »daß hier eine höhere, geistige Religion sich begründet habe.« 525 Auch der Daoismus bleibe leeren Abstraktionen verhaftet, die ihre Konkretisierung nur »in existierenden Menschen« 526 finden können. Dieses religionskritische Argument Hegels mutet merkwürdig an, wenn man in Betracht zieht, dass doch gerade die Konkretisierung in der Gestalt des Mensch gewordenen Gottes Jesus Christus ein positiv auszeichnendes Merkmal der vollendeten Religion darstellen soll. In Bezug auf den Daoismus und, deutlicher noch, in Bezug auf die genuine Form der ›Religion des Insichseins‹, den Buddhismus, wird dagegen die Personifizierung des Absoluten in sinnlicher MenEbd., S. 446. Vgl. ebd., S. 446 ff. 521 Ebd., S. 453, 455. 522 Ebd., S. 455. 523 Ebd. – Die Ähnlichkeit dieser ersten Bestimmung mit dem Begriff des »Nichts«, wie er am Anfang der Wissenschaft der Logik auftritt, ist offensichtlich. Vgl. dazu Wirtz 2006, S. 169–179. 524 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion, S. 456. 525 Ebd. 526 Ebd., S. 457. 519 520

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schengestalt zu einem Argument für den defizitären Charakter dieses Religionstyps: »Diese Vereinbarung kann uns als das Widerwärtigste, Empörendste, Unglaublichste erscheinen, daß ein Mensch mit allen seinen Bedürfnissen von den Menschen als Gott angesehen werden könne, als der, welcher die Welt ewig erschaffe, erhalte, hervorbringe.« 527 Hegel bemerkt in diesem Zusammenhang durchaus, dass eine derartige Vorstellung prinzipiell nicht nur in Bezug auf den Dalai Lama, sondern auch in Bezug auf Jesus Christus als absurd charakterisiert werden könnte; doch sei die christliche Verehrung Gottes in Menschengestalt von der buddhistischen dadurch »unendlich unterschieden« 528, dass es sich bei Jesus Christus um einen Menschen handle, »der die Gestalt des Geistes an sich trägt«, »der gelitten hat, gestorben, auferstanden und gen Himmel gefahren ist.« 529 Diese Kennzeichnung der angeblich absoluten Differenz zwischen Buddhismus und Christentum ist jedoch insofern äußerst unbefriedigend, als sie den Glauben an die beiden Wunder der Auferstehung sowie der Himmelfahrt Jesu voraussetzt. Derartige Annahmen können jedoch, wie bereits Hume und Kant überzeugend dargelegt haben, von der philosophischen Vernunft keinesfalls als Argumente einer Religion gegenüber einer anderen akzeptiert werden; die überlieferten Wundergeschehnisse einer bestimmten Religion A können nicht zur Widerlegung einer Religion B herhalten, die mit epistemisch prinzipiell gleichrangigen Wundererzählungen aufwarten kann. Insofern ist dieses Argument Hegels hinfällig; man müsste also entweder die Anbetung Gottes in menschlicher Gestalt generell kritisieren – also auch bezogen auf die christliche Verehrung Jesu – oder aber derartige Anbetungen generell akzeptieren. Das von Kant aufgebrachte Unterscheidungsmerkmal des Christentums gegenüber allen nicht-christlichen Religionen war demgegenüber klarer, weil Christus in der kantischen Interpretation als erster Religionsstifter das reine Moralitätsprinzip verkündet hat. Aber auf diesen ethischen Aspekt kommt es Hegel gerade nicht an; philosophisch relevant ist für ihn einzig die jeweilige Adäquatheit der Erscheinung des Absoluten innerhalb einer Religion. Im Buddhismus werde das Absolute, so Hegel, primär durch eine Versenkung in die eigene Innerlichkeit kontemplativ erfahren, durch 527 528 529

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ein »an sich selbst Saugen« 530. Als Prinzip gefasst sei die vollkommene Stille, die dergestalt meditativ bewusst werde, nicht mehr als das bloße, abstrakte Nichts, in dem alle besonderen Gestaltungen vernichtet sind. 531 Mit diesem reinem Nichts durch die Vernichtung aller Begierden eins zu werden, stelle das letzte Ziel des Buddhismus, das Nirvana, dar: »Der Mensch hat aus sich Nichts zu machen.« 532 Bemerkenswert an dieser religionsphilosophischen Deutung des Buddhismus ist zweifellos, dass Hegel sich darum bemüht hat, der buddhistischen Lehre – soweit er sie überhaupt kannte – philosophisch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem er ihr vermeintlich höchstes, als ›Nichts‹ bezeichnetes Prinzip mit einem abstrakten Begriff Gottes als des schlechthin Unbestimmten identifizierte. 533 Gleichwohl hat Hegel gerade mit dieser Interpretation einer seit dem 19. Jahrhundert verbreiteten Rezeptionshaltung Vorschub geleistet, die im Buddhismus vorwiegend eine ›Religion des Nichts‹, ja einen vollkommenen Nihilismus erblicken wollte. 534 Dass der Buddhismus in ›ontologischer‹ und erkenntnistheoretischer Hinsicht auf Grundlagen basiert, die sich in der Begriffssprache der abendländischen Metaphysik nicht ohne Weiteres fassen lassen, konnte Hegel noch nicht hinreichend berücksichtigen. 535 Den Begriff der ›Leere‹ ohne Bezugnahme auf die Gottesidee etwa im Rahmen einer prozessontologischen Seinsauslegung zu bedenken, kam Hegel schlechterdings nicht in den Sinn; gerade in diesem Punkt lässt sich seine tendenziell inklusivistische Lesart der außerchristlichen Religionen exemplarisch aufzeigen. Einen zentralen Unterschied zwischen ›okzidentalen‹ und ›orientalischen‹ Vorstellungsweisen verortet Hegel dagegen im jeweiligen Verhältnis zwischen absoluter Substanz und Subjektivität. Während diese im Orient als das Verschwindende und Unselbstständige gegenüber der Allmacht des absoluten Einen aufgefasst werde, vertiefe sich die Subjektivität im Okzident zur selbstständigen BestimEbd., S. 461. Ebd., S. 462: »Es ist hier also das theoretische Moment ausgesprochen, daß dieses reine Nichts, diese Stille, Leere, das absolut Höchste sei […].« 532 Ebd., S. 463. 533 Ebd., S. 464. 534 Siehe dazu R.-P. Droit: Le culte du néant. Les philosophes et le Bouddha. Paris 1997; sowie K.-H. Brodbeck: Buddhismus interkulturell gelesen. Nordhausen 2005, S. 10 ff. 535 Siehe dazu B.-C. Han: Philosophie des Zen-Buddhismus. Stuttgart 2002, S. 11 ff. 530 531

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mung. 536 Auch wenn diese generelle Kontrastierung von ›östlicher‹ und ›westlicher‹ Denkweise aus heutiger Perspektive sicherlich zu pauschal und undifferenziert ist, so hat Hegel hier gleichwohl einen Aspekt benannt, der für den philosophischen Vergleich religiöser ›Ontologien‹ resp. Seinsauffassungen nach wie vor relevant werden kann: Tatsächlich kann es als ein Charakteristikum der abendländisch-ontotheologischen Metaphysik aufgefasst werden, dass der einzelnen Substanz (sei es in Form des Atoms, des einzelnen Dings oder des Subjekts) selbstständiges Sein zugeschrieben wird, das zwar in der christlich-metaphysischen Vorstellung als kontingentes Sein vom absoluten Sein des Schöpfergottes abhängt, aber gleichwohl mit diesem in der absoluten Seinsordnung als dessen creatum korreliert. Demgegenüber entpuppt sich das Einzelne in der buddhistischen Seinsauffassung durch seine interne Wesenlosigkeit und vollkommene Abhängigkeit von allem anderen Seienden als ontologisch unselbstständig; es trägt im Kontext des wechselseitig bedingten Entstehens zum Aufgang einer Welt bei, von der es seinerseits vollkommen abhängig ist. Und auch in der islamischen Seinsvorstellung gibt es – in Anknüpfung an neuplatonische Strömungen – deutlich ausgeprägte Tendenzen, das einzelne Individuum, Lebewesen, Subjekt etc. in der unzugänglichen Absolutheit des Einen untergehen zu lassen. Insofern kann Hegels Überlegungen ein gewisses Plausibilitätsmoment nicht abgesprochen werden. Über die Entgegensetzung zwischen ›orientalischen‹ und ›okzidentalen‹ Vorstellungsweisen hinaus ist für Hegels Religionsdeutung aber vor allem entscheidend, dass die grundlegenden, in den Naturreligionen erstmals ansatzweise aufgetretenen Gedankenbestimmungen in den späteren Religionsformen erhalten bleiben, um dort vertieft und konkretisiert zu werden. So vertritt auch das Christentum die von Hegel – fälschlicherweise – bereits dem Buddhismus zugeschriebene Auffassung, dass Gott die absolute Substanz sei; aber es bereichert diesen abstrakten Begriff um das vermittelnde Moment der geistigen Subjektivität, 537 während im Buddhismus angeblich eine unmittelbare Konzentration der absoluten Substanz in einem meditierenden Individuum vorgestellt werde. Unter der ›indischen Religion‹ als der dritten Form der Natur536 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion, S. 469. 537 Vgl. ebd., S. 471.

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religion begreift Hegel in seiner religionsphilosophischen Vorlesung von 1827 den Hinduismus, der also – entgegen der faktischen religionsgeschichtlichen Entwicklung, innerhalb derer die Lehre Buddhas ja eine kritische Reaktion auf den Brahmanismus darstellte – für Hegel eine Weiterentwicklung gegenüber dem Buddhismus darstellt, insofern zur Substantialität des Absoluten nunmehr der konkrete »Reichtum der Welt, die Besonderung jener allgemeinen Substanz« 538 hinzukommt. Die bunte Mannigfaltigkeit der Dinge bleibt freilich in Hegels Deutung der hinduistischen Vorstellungswelt vom reinen Insichsein der abstrakten Substanz getrennt; zwischen beiden findet keine geistige Vermittlung statt. Und auch der Pantheon der indischen Göttergestalten stellt sich für Hegel als wild, unsystematisch, phantastisch und zusammenhanglos dar. 539 Gleichwohl arbeitet Hegel auch hier eine triadische Grundstruktur heraus, die sich in den Göttergestalten Brahma (als einfache, abstrakte, formlose Substanz), Wischnu/Krischna (als Bestimmtheit in den mannigfaltigen Inkarnationen) und Schiwa/Mahadewa (als konkrete Einheit aus Lebenskraft und Vernichtung) manifestiert, wobei Brahma zugleich auch die Einheit der drei unterschiedenen Momente, ›Trimurti‹, repräsentiert. 540 In der vierten Unterkategorie der Naturreligion, welche die ›Religionen des Übergangs‹ umfasst, behandelt Hegel zunächst die ›Religion des Lichts‹, deren Gedankengehalt im »orientalischen Dualismus« 541 der beiden entgegengesetzten Prinzipien des Guten und des Bösen beruhe und die geschichtlich als die »Religion der Parsen« 542, d. h. als die altpersische Religion des Zoroastrismus, aufgetreten sei. Hat sich der hegelschen Interpretation zufolge hier die im Hinduismus noch ungezähmte Vielheit des Natürlichen zur konkreten, wenngleich noch abstrakten Einheit Gottes verdichtet, so tritt in der zweiten ›Religion des Übergangs‹, der ägyptischen, nunmehr ein Moment der konkreten Subjektivität in der Vereinigung der entgegengesetzten Prinzipien von Gut und Böse hinzu. 543 Da das letztere nur durch die absolute Negation des Todes überwunden werden kann, wird der Herrscher über das Leben (Osiris) in der ägyptischen Vorstellungswelt zugleich zum Herrscher im Reich der Toten; auf diese 538 539 540 541 542 543

Ebd., S. 476. Vgl. ebd., S. 479. Ebd., S. 482 ff. Ebd., S. 507. Ebd., S. 510. Vgl. ebd., S. 514 ff.

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Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

Weise hat die ägyptische Religion die Idee der Unsterblichkeit der Seele als wesentliches Moment der Religionsgeschichte hinzugefügt. 544 Im Anschluss an die in der religionsphilosophischen Vorlesung von 1827 sehr ausführliche und materialgesättigte Darstellung der ›Naturreligion‹ befasst sich Hegel auf der »zweiten Stufe der ethnischen Religion« 545 (B.) mit der ›Religion der Schönheit‹, die mit der ›Religion der Griechen‹ identifiziert wird, und sodann mit der ›Religion der Erhabenheit‹, als die sich die ›Religion der Juden‹ offenbart. 546 Die letzte Stufe der bestimmten Religion (C.) macht schließlich die ›Religion der Zweckmäßigkeit‹ aus, mit der Hegel auf die ›Religion der Römer‹ abzielt. Die Sphäre der bestimmten Religion endet damit überraschenderweise beinahe, wie sie – nämlich in der chinesischen Staatsreligion – begann: mit einer Kaiserideologie, in deren Machtzwecken das einzelne Individuen untergeht, obwohl auf der anderen Seite gerade die römische Kultur auch den abstrakten Rechtsbegriff der Person ausgebildet hat. 547 Es wird in Hegels Rekonstruktion der geistigen Religionsentwicklung dem Christentum vorbehalten bleiben, die in der ›Religion der Zweckmäßigkeit‹ noch vereinzelt vorliegenden Momente zu vereinigen, zu vertiefen und daraus die vollendete, absolute, offenbare Religion hervorgehen zu lassen. 548 Schelling verfolgt in seiner Philosophie der Mythologie sowie in der sich daran anschließenden Philosophie der Offenbarung einen bei allen konzeptionellen und inhaltlichen Differenzen gleichwohl mit Hegel vergleichbaren Ansatz, die Vielfalt der historisch aufgetretenen Religionskulturen in ihrer inneren Logik darzustellen. Die Rekonstruktion des theogonischen Prozesses, der sich in den einzelnen Mythologien faktisch manifestiert, soll dem Selbstverständnis der Siehe dazu ebd., S. 519 f. Ebd., S. 532. 546 Ebd., S. 532–560 (zur griechischen Religion der Schönheit), S. 561–579 (zur jüdischen Religion der Erhabenheit). – Es wäre eingehender, ausführlicher Untersuchungen wert, Hegels Darstellung des Judentums mit den entsprechenden Darlegungen in Schellings Philosophie der Mythologie zu vergleichen. (Siehe F. W. J. Schelling: Philosophie der Mythologie. Nachschrift der letzten Münchener Vorlesungen 1841. Hrsg. v. A. Roser u. H. Schulten mit einer Einl. v. W. E. Ehrhardt. Stuttgart-Bad Cannstatt 1996.) 547 Vgl. G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion, S. 590. 548 Siehe dazu den 3. Band über Die vollendete Religion der hegelschen Vorlesungen über die Philosophie der Religion. 544 545

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Philosophie der Mythologie zufolge den einzelnen religiösen Formen nicht äußerlich übergestülpt werden, sondern aus ihrer Selbstentwicklung hervorgehen. 549 Aus der Perspektive einer um interkulturelle Offenheit bemühten Religionsphilosophie stellt die sowohl bei Hegel als auch bei Schelling mit Notwendigkeit ins Christentum mündende Teleologie der religiösen Evolution sicherlich keine überzeugende Position dar. Andererseits darf aber auch die positive Würdigung, welche nichtchristliche Religionen sowie von der christlichen Orthodoxie abweichende Standpunkte in den idealistischen Religionsphilosophien erfahren, 550 nicht gering geschätzt werden, da gerade sie in interkultureller Hinsicht anschlussfähige Potentiale bietet. Hegel und Schelling geht es eben nicht darum, die exklusive Wahrheit einer einzigen Religion und damit zugleich die Falschheit aller anderen zu beweisen. 551 Die Problematik religiöser Diversität lösen sie vielmehr so auf, dass sie den genealogischen Zusammenhang der kulturell und inhaltlich unterschiedenen Religionen im Kontext einer Selbstfindungsgeschichte des Geistes bzw. Gottes philosophisch rekonstruieren. Ebenso wie für Hegel die ›offenbare Religion‹ notwendig auf der ›bestimmten Religion‹ basiert, sind für Schelling »Heidentum und Christentum von jeher beisammen« 552 gewesen; die Leistung des Christentums bestand, so Schelling, in erster Linie darin, »dass es die Mysterien öffentlich machte« 553, bzw. mit Hegel gesprochen: dass sich der Geist in ihm vollständig offenbar wurde. Erst die Gesamtheit der begrifflich erkannten Wahrheitsmomente in ihrem systematischen Zusammenhang macht die Vernünftigkeit und somit Wahrheit der Religion(en) aus; für sich alleine genommen kann kein einzelnes religiöses System die absolute Wahrheit beanspruchen. 554 Jede einzelne Weltreligion ist somit wahr, inso549 Zu Beginn der 16. Vorlesung der Philosophie der Mythologie rekapituliert Schelling in übersichtlicher Form das die Darstellung leitende Rekonstruktionsschema. Siehe F. W. J. Schelling: Philosophie der Mythologie (1842). In: Ders.: Ausgewählte Schriften. Bd. 6: 1842–1852. Zweiter Teilband. Frankfurt a. M. 1985, S. 362. 550 Siehe dazu F. W. J. Schelling: Urfassung der Philosophie der Offenbarung, S. 193 ff. Zu Schellings Deutung nicht-christlicher Religionen innerhalb der Philosophie der Mythologie siehe Seubert 2006, S. 112 ff. 551 Vgl. ders: Freiheitsschrift, S. 84. 552 Ders.: Philosophie und Religion, S. 54. – Vgl. entsprechend auch Freiheitsschrift, S. 84. 553 Ders.: Philosophie und Religion, S. 54. 554 Siehe dazu ders.: Urfassung der Philosophie der Offenbarung, S. 179: »Das wahre

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Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

fern sie an der transkulturellen Totalität der religiösen Evolution partizipiert, die nur im Medium der Philosophie adäquat rekonstruiert werden kann; aber sie wird falsch, sobald sie aus diesem Ganzen auszuscheren versucht und einen exklusiven Wahrheitsanspruch vertritt. Eine einzelne Religion verhält sich darin im Grunde nicht anders als der einzelne, subjektive Wille, der nach Schellings Interpretation aus der Freiheitsschrift genau dadurch böse wird, dass er seinen partikularen Willen absolut setzt und sich damit in negativer Weise vom Ganzen absondert. Auch Kant hatte es ja bereits als die größte Verfehlung im religiösen Bereich betrachtet, dass sich eine bestimmte statutarische Religion den Anschein absoluten Wahrheitsbesitzes gibt; die menschheitsumfassende Vernunftreligion wird Kant zufolge durch derartige Absolutsetzungen kulturell-partikularer Glaubensarten verhindert oder zumindest verzögert. Interessanterweise hat Schelling diese geschichtsphilosophische Perspektivierung Kants auf eine aus der Vielheit der Glaubensarten entstehende Einheit der Religion in eine ferne Vergangenheit zurückprojiziert, in der die Menschheit noch in der zeitlosen Einheit des unendlichen Gottes ruhte, bevor durch den Polytheismus kulturelle Unterschiede auftraten. 555 Das Christentum stellt für die idealistischen Religionsphilosophien insofern eine absolute Ausnahme von allen anderen ›ethnischen‹ Religionen oder Mythologien dar, als es diejenige Religion System enthält die falschen als Momente in sich. Keines der verschiedenen Systeme war an sich absolut falsch; jedes ist nur dadurch falsch, daß es mehr als bloßer Moment sein will – es ist wahr, solange es den Moment nicht überschreitet.« Diese Aussagen könnten nahezu formulierungsgleich auch von Hegel stammen. – Vgl. auch F. W. J. Schelling: Grundlegung der positiven Philosophie, op. cit., S. 84. 555 F. W. J. Schelling: Philosophie der Mythologie, S. 87: »Wie nun die Menschheit nicht sicherer zusammen und in unbeweglicherer Ruhe gehalten werden konnte als durch die Einheit des Gottes: so läßt sich keine tiefere Erschütterung der Menschheit denken, als diejenige ist, die erfolgen mußte, als der unbewegliche nun selbst beweglich wurde, und eben damit anfing die Gestalt der Vielheit anzunehmen. Denn damit waren zugleich unvermeidlich voneinander abweichende Vorstellungen gesetzt; so wie einmal eine Vielheit von Göttern gegeben ist, so können unmöglich die Vorstellungen sich gleich bleiben, woraus sich dann am Ende sich gegenseitig ausschließende Götterlehren bilden mußten. Damit aber war eine fortdauernde Einheit des Menschengeschlechts unmöglich geworden. Polytheismus also ist das Scheidungsmittel, das in die homogene Menschheit geworfen wurde.« Diesem Befund Schellings widerspricht allerdings die religionsgeschichtliche Beobachtung der vielfachen Koexistenzformen und Synkretismen der antiken Polytheismen, die sich in mancher Hinsicht als weniger konflikkträchtig erwiesen haben denn die späteren Monotheismen.

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Integrationsmodelle im Deutschen Idealismus

repräsentiert, die alle partikularen Momente der zuvor vereinzelten Religionen in sich aufgenommen haben soll. Nachvollziehbar ist diese Deutung nur auf der Basis des idealistischen Begriffs vom Absoluten und seiner internen triadischen Struktur (unbestimmtes, indifferentes Absolutes – Negation des ersten Absoluten durch Setzung des Anderen, Erzeugung der Differenz – Rückkehr zu sich selbst), die das Christentum als die einzige Religion erscheinen lässt, in welcher der Begriff der Religion sich selbst zum Gegenstand hat. 556 Und wie bereits im Falle der kantischen Religionsphilosophie, so ist es auch bei den Religionsphilosophien Hegels und Schellings durchaus plausibel anzunehmen, dass eine nicht eigens reflektierte kulturelle Vorprägung durch das Christentum für die Konturierung des Begriffs vom Absoluten implizit so maßgeblich war, dass das Christentum sich nur deswegen als die absolute Religion ergeben musste, weil bereits in den vorausgesetzten Begriff des Absoluten genuin christliche Momente – insbesondere der Trinitätsgedanke sowie der Aspekt der für die schließliche Versöhnung unerlässlichen Negation – eingeflossen sind. 557 Trotz dieser Einschränkung eines eindeutig eurozentrischchristlichen Inklusivismus erlauben die idealistischen Religionsphilosophien zweifellos eine wesentlich differenziertere Wahrnehmung religiöser Vielfalt als die kantische Religionsdeutung, deren einseitige Konzentration auf den moralischen Kern alles Religiösen dazu führte, zentrale Aspekte des Religiösen als bloß abergläubische Ausfluchten vor der eigentlich geforderten Pflichterfüllung anzusehen. Betrachtet man die zuvor (am Ende des Kap. III.1.1) unterschiedenen drei Dimensionen, in denen die Religionsphilosophien Hegels und Schellings die Desiderate der kantischen Position zu erfüllen suchten, so Vgl. G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, S. 188 ff. W. Jaeschke relativiert allerdings die Bedeutung einer möglichen christlichen Vorprägung der hegelschen Religionsphilosophie, wenn er ausführt (Jaeschke 1986, S. 299): »Selbst wenn man dem Christentum einen größeren Einfluß auf die Genese dieser Philosophie überhaupt zubilligen wollte, als er sich für die Religionsphilosophie erweisen läßt, so bliebe die Frage nach möglichen Konsequenzen dieser Behauptung offen. Daß die Wurzeln der Philosophie Hegels in der Theologie lägen, besagt philosophisch für diese Philosophie genau so wenig wie gegen sie.« In unserem Zusammenhang geht es aber weniger um die Frage, inwieweit die hegelsche Religionsphilosophie der christlichen Theologie entspricht oder von ihr abweicht, sondern darum, inwieweit die implizite Beeinflussung der hegelschen Philosophie durch grundlegende christliche Gedankenfiguren den philosophischen Blick auf nicht-christliche Religionsformen eingefärbt bzw. getrübt haben mag. 556 557

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Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

ergibt sich im Hinblick auf die Erfordernisse einer interkulturell erweiterten Religionsphilosophie folgendes Bild: 1) Die Intention der idealistischen Philosophien Hegels und Schellings, ein philosophisches Gesamtsystem zu konzipieren, innerhalb dessen das Absolute in seiner vollständigen Entwicklung erkannt werden könne, impliziert zugleich, dass es der Philosophie grundsätzlich möglich sei, den religiösen Glauben im Medium der Vernunft zu überbieten – und zwar deswegen, weil philosophisches Denken dem Objekt der Religion, dem Absoluten, letztlich angemessener sei als der religiöse Vollzug. Diese Implikation ist jedoch aus zwei Gründen äußerst fragwürdig. Zum einen erweckt die konkrete Ausgestaltung der Religionsphilosophie bei Hegel und Schelling in der Form eines religiösen Evolutionismus, der mit teleologischer Zielsicherheit auf das Christentum zuläuft, den Verdacht, dass die philosophische Vernunft in den Religionen nur dasjenige als die Wahrheit des Absoluten zu identifizieren vermag, wovon sie selbst prärational vorgeprägt wurde. 558 Schellings Konzeption einer ›positiven Philosophie‹ ist in diesem Punkt zumindest so ehrlich offen zuzugestehen, dass die absolute Philosophie der religiösen Voraussetzung eines persönlichen Gottes bedarf, dass sie das Unvordenkliche, auf dem das Denken beruht, nicht selbst begrifflich zu ›erzeugen‹ vermag: »[…] die Philosophie muß am Christenthum sich erstarken und vervollkommnen.« 559 Zum anderen unterschätzt die idealistische Religionsphilosophie den eigensinnigen, selbst von einem spekulativ erweiterten Venunftbegriff niemals vollkommen einholbaren Charakter des Religiösen. So hoch die Bemühungen Hegels und Schellings auch zu schätzen sind, die Wahrheitsmomente religiös inkarnierter Vernunft aus den einzelnen Weltreligionen philosophisch zu extrahieren: Sie treffen damit stets nur die der Vernunft zugänglichen Teilaspekte religiöser Phänomenalität, die aber aus der Perspektive der engagierten Anhänger einer Glaubensgemeinschaft keineswegs das Zentrum ihres Vollzugs betreffen müssen. Weil dieses Zentrum sich offensichtlich in zahlreichen religiösen Formationen einer vernünftigen Rekonstruktion im Medium des Begriffs entzieht (anders als dies die Religionsphilosophie des Deutschen Idealismus wahr haben wollte), ist die In-

558 Siehe dazu auch J. D’Hondt: »La Philosophie de la religion de Hege«. In: Hegel et la religion. Hrsg. v. G. Planty-Bonjour. Paris 1982, S. 5–35. 559 F. W. J. Schelling: System der Weltalter, S. 13.

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tention einer finalen Überbietung der Religion durch Philosophie nicht hinreichend fundiert. Was aber unbeschadet dessen von den idealistischen Annäherungen an die ›Wahrheit‹ der Religion(en) für die Ausgestaltung einer interkulturellen Religionsphilosophie übernommen werden kann und sollte, ist der prinzipielle Ansatz, religiöse Systeme in ihren rational rekonstruierbaren Wahrheitsgehalten ernst zu nehmen und diese Gehalte möglichst vorurteilsfrei in ihren systematischen Konvergenz- und Divergenzpunkten philosophisch zu analysieren und auszulegen. Unter diesem Aspekt demonstrieren die Religionsphilosophien Hegels und Schellings eine für ihre Zeit beeindruckende interkulturelle Aufgeschlossenheit, die allerdings erst von ihrer teleologischen Einbettung in einen evolutionären Inklusivismus befreit werden müsste, um als Voraussetzung für fundierte religionsphilosophische Auseinandersetzungen etwa mit der buddhistischen Philosophie fungieren zu können. 2) Auch die von Hegel und Schelling vertretene Überzeugung, dass sich die Philosophie nicht nur vorwiegend oder gar ausschließlich mit der moralischen Dimension von Religion, sondern vielmehr mit der phänomenalen Gesamtheit ihrer Momente auseinandersetzen sollte, darf im Hinblick auf eine sich interkulturell erweiternde Religionsphilosophie als zustimmungsfähig gelten. Man muss dabei keineswegs so weit gehen wie die Deutschen Idealisten selbst, die der Vernunft ein weit über die kantischen Erkenntnisgrenzen hinausgreifendes Erfassungsvermögen des Absoluten zubilligten – bis hin zu dem außerordentlichen Anspruch Schellings, in seiner Potenzenlehre die Theogenese selbst philosophisch zu rekonstruieren. 560 Für die Zwecke interkultureller Religionsphilosophie genügt es, auf die bereits von Kant vorgenommene interne Differenzierung der Vernunft in die Bereiche des Theoretischen, des Praktischen sowie der (ästhetischen und teleologischen) Urteilskraft zu rekurrieren, um die Vielfalt religiöser Phänomene philosophisch-systematisch untersuchen zu können. Auch Hegel hat – freilich auf der Grundlage eines letztlich trinitarisch gedachten Begriffs vom Absoluten – eine sinnvolle per-

560 Siehe dazu beispielsweise F. W. J. Schelling: System der Weltalter, op. cit., sowie ders.: Weltalter-Fragmente. Hrsg. v. K. Grotsch mit einer Einl. v. W. Schmidt-Biggemann. Stuttgart-Bad Cannstatt 2002. Verwiesen sei auch auf die Studie von E. A. Beach: The Potencies of God(s). Schelling’s Philosophy of Mythology. Albany, N.Y. 1994.

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Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

spektivische Dreiteilung innerhalb seiner Religionsphilosophie vorgenommen, indem er in Bezug auf jede Religion zwischen ›objektiven‹ doktrinalen Gehalten wie der Idee Gottes, dem subjektiven religiösen Bewusstsein sowie dem intersubjektiv-sozialen Aspekt des religiösen Kultus unterscheidet. Diese dreifache Differenzierung ist zwar nicht mit der kantischen Einteilung der rationalen Weltzugangsweisen identisch. Sachliche Bezüge zwischen beiden Perspektivierungen lassen sich aber gleichwohl insofern feststellen, als die doktrinalen Inhalte von Religion (die Kant nur im Rahmen einer kritisch-transzendentalen Theologie für philosophisch ausweisbar hielt) sowohl im Medium der theoretischen Vernunft als auch der reflektierenden Urteilskraft bedacht werden können, während der religiöse Kultus, sofern er ethische Bezüge aufweist, das praktische Vernunftvermögen betrifft, in seinen ästhetischen Momenten aber zugleich auch Kompetenzen der Urteilskraft berührt. Das subjektive religiöse Bewusstsein schließlich richtet sich sowohl als theoretische wie auch als praktische Vernunft auf seinen Gegenstand. Zugleich spiegelt sich in Hegels Unterteilung des Begriffs der Religion auch die sprachphilosophisch rekonstruierbare Differenzierung der Geltungsansprüche von Aussagen wieder, nämlich 1.) hinsichtlich der Wahrheit von Propositionen (bezogen auf den metaphysischen Gehalt sowie auf die konkrete Vorstellung religiöser Begriffe), 2.) hinsichtlich der Richtigkeit von moralischen Grundsätzen (bezogen auf das subjektive religiöse Bewusstsein sowie auf das soziale und kultische Moment einer Religion) und 3.) hinsichtlich der Authentizität persönlicher Bekundungen (bezogen auf die offenbaren Gedankengehalte einer Religion sowie auf die subjektive Erfahrung des Religiösen). Wie unschwer zu erkennen ist, entspricht diese etwa von Habermas 561 vorgenommene Differenzierung von Aussagetypen und ihren jeweils erhobenen Geltungsansprüchen im Prinzip der kantischen Dreiteilung des menschlichen Erkenntnisvermögens, während die hegelsche Binnendifferenzierung des Religionsbegriffs in jedem einzelnen Moment zwei dieser Vermögen bzw. Aussageformen zusammenbindet. Hegels systematische Perspektivierung des Religionsbegriffs bestätigt somit, gerade wenn man sie in Beziehung zur sowohl subjektivitäts- als auch sprachphilosophisch begründbaren Differenzierung vernünftiger Weltzugänge setzt, die Notwendigkeit einer entsprechenden reli561 Siehe etwa J. Habermas: Philosophische Texte. Studienausgabe in fünf Bänden. Bd. 2: Rationalitäts- und Sprachtheorie. Frankfurt a. M. 2009.

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gionsphilosophischen Ebenendifferenzierung, sofern die komparative Analyse religiöser Weltsichten zu fundierten Einsichten gelangen soll. 3) Als außerordentlich fruchtbar für interkulturelle religionsphilosophische Untersuchungen erweist sich ferner der sowohl von Hegel als auch von Schelling gegenüber Kant hervorgehobene Aspekt einer internen Prozessualität des Absoluten. Ihr korrespondiert die Geschichtlichkeit einer Vernunft, die freilich von Hegel und Schelling jeweils innerhalb stark divergierender Zeitkonzeptionen gedacht wird. Der – in seiner konkreten Darstellung zweifellos in vielen Punkten angreifbare und teilweise auch in seinem Materialbezug von der Forschung überholte – Versuch der idealistischen Religionsphilosophien, die Entwicklung der Religionsgeschichte im Medium des Gedankens systematisch zu rekonstruieren, führt ohne Zweifel zu einer weitaus plastischeren und facettenreicheren Betrachtung der Religion(en) als ein dichotomisches Einteilungsschema in ›natürlich‹/›geoffenbart‹, ›natürlich‹/›gelehrt‹ oder ›vernünftig-moralisch‹/ ›empirisch-statutarisch‹, wie es Kant in seiner Religionsschrift vorgelegt hatte. 562 Gleichwohl schießt die Religionsphilosophie des deutschen Idealismus in ihrem Bemühen, die Identität des Absoluten und seine interne Prozessualität und Differenzierung zusammen zu denken, allzu weit über das Ziel hinaus, indem sie historische Chronologie und logische Begriffsentwicklung über weite Strecken künstlich parallelisiert. Die besonders von Hegel immer wieder unterstellte Korrespondenz von geistiger Selbstmanifestation und historischer Faktizität – sei es im Bereich der Politik, der Religion oder der Philosophie – fußt auf extrem starken geschichtsphilosophischen Voraussetzungen, die eine interkulturell orientierte Religionsphilosophie keinesfalls teilen muss. Denn die offensichtlichen Fehlurteile, zu denen eine derartige Geschichtsphilosophie führt, sind so gravierend, dass sie das ambitionierte Unternehmen des religionsphilosophischen Evolutionismus sowie der vernünftigen Aneignung von Mythologien und Offenbarungen insgesamt diskreditieren. So ist es beispielsweise unplausibel, wenn in Hegels Darstellung der ›bestimmten Religion‹ der Hinduismus als eine vertiefte Religionsgestalt aus dem Buddhismus hervorgehen soll; des Weiteren scheint 562 E. A. Beach (1994, S. 1) spricht in diesem Zusammenhang bezogen auf Schellings Philosophie der Mythologie von einer »minor revolution in the philosophical study of world religions.«

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Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

es in systematischer Hinsicht verfehlt zu sein, wenn ausgerechnet die Staatsreligion der Römer als die relative Vollendungsgestalt aller ›endlichen‹ Religionen ausgezeichnet wird, nachdem zuvor philosophisch wesentlich anspruchsvollere Religionsformen wie Buddhismus und Daoismus als bloße Naturreligionen abgehandelt wurden; und der vermeintliche Zusammenhang zwischen logischer und historischer Entwicklung der Religionen wird, um ein drittes exemplarisches Fehlurteil anzuführen, vollends ad absurdum geführt, wenn auf der Stufe der ›offenbaren‹ Religion die zweitgrößte Weltreligion, der Islam, vollkommen ausgeklammert und implizit auf die ›endliche‹ Stufe der ›orientalischen‹ Religionen zurückverwiesen wird. 563 So stellen sich die Anknüpfungsmöglichkeiten interkultureller Religionsphilosophie an die elaborierten Ansätze Hegels und Schellings als durchaus ambivalent dar: Auf der einen Seite bietet die begrifflich-systematische, unter einer philosophischen Leitidee stehende Rekonstruktion religiöser Gehalte eine Fülle an Potentialen für religionsphilosophische Analysen und Interpretationen interreligiöser sowie religiös-säkularer Dissense. Auf der anderen Seite zeigt die Religionsphilosophie des deutschen Idealismus besonders in ihrer einseitigen teleologischen Ausrichtung auf die bestimmte Religion des Christentums (die in Hegels Terminologie eben nicht als eine bestimmte, sondern als die absolute Religion auftritt) vor dem Hintergrund eines in Anspruch genommenen Wissens vom Absoluten auch die Schattenseiten einer philosophischen Vernunft, welche die kantische Ebenendifferenzierung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft sowie Urteilskraft hinter sich zu lassen bestrebt ist und sich aufs Glatteis absoluter Spekulation begibt. Das nachfolgende Kapitel wird demgegenüber zwei Beispiele für deutlich depotenzierte philosophische Bemühungen, das Verhältnis von Philosophien und Religionen angemessen zu bestimmen, präsentieren: zum einen das nachmetaphysische und postsäkulare Denken von J. Habermas’, soweit dieses an der Relationierung von Glaube Vgl. auch die deutlich negative Bewertung des Islam in Schellings Philosophie der Mythologie, op. cit., S. 131: »Islam bedeutet die vollkommene, ganze und ungetheilte Religion, Moslem der ganz dem Einen ergebene. In der That der Islam ist seinem Ursprunge nach nichts als die letzte Reaction der Urreligion gegen die Religion einer spätern Zeit, mit welcher er allerdings im Unrechte sich befindet, weil er in einer viel entwickelteren Zeit, die den Polytheismus nicht nur ausschließt, sondern ihn überwunden enthält, jene Urreligion wiederherstellen will; schon darin zeigt er sich blind und fanatisch.« 563

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Die philosophische Herausforderung des Religiösen im postsäkularen Zeitalter

und Vernunft unter den Prämissen des zeitgenössischen Pluralismus interessiert ist, zum anderen die dekonstruierenden Annäherungen von J. Derrida an die gemeinsamen Quellen von Glauben und Wissen.

2.

Die philosophische Herausforderung des Religiösen im postsäkularen Zeitalter: Nachmetaphysisches Denken und Dekonstruktion

Seit den ambitionierten Systemkonzeptionen des Deutschen Idealismus, in denen das Absolute sich selbst in einer religiöse Gestalten zugleich einbeziehenden und sie überbietenden Weise darstellen sollte, haben sich die Gewichte im Verhältnis zwischen Glauben und Vernunft mehrfach verschoben. In der posthegelianischen Konstellation verzweigen sich die philosophischen Stellungnahmen zur Religion zunächst in die zwar religionsaffirmative, aber zugleich radikal individuierte, die spätere Existenzphilosophie antizipierende Position Kierkegaards auf der einen sowie in die materialistische Religionskritik des Marxismus auf der anderen Seite, die Religion durch die Verwirklichung der realen Bedürfnisse, denen sie sich angeblich verdankt, substituieren will. Die in den idealistischen Systementwürfen angestrebte Versöhnung der Sphären des Subjekts und des Objekts, der Natur und der Freiheit, werden damit zu Gunsten einer erneuten Entzweiung von Glauben und Wissen verabschiedet: Während die objektivierende Kritik des Linkshegelianismus und des Marxismus Religion als sich selbst missverstehenden Effekt eines aufgrund sozioökonomischer Bedingungen entfremdeten Bewusstseins deutet, protestiert der ethische Individualismus Kierkegaards gegen die Vereinnahmung des Einzelnen durch die Eigengesetzlichkeiten des objektiven sowie des absoluten Geistes. Beide Positionen, sowohl die subjektivierende Kierkegaards als auch die objektivierende des Marxismus, bedienen sich dabei der dialektischen Methode Hegels, indem sie sie entweder – wie Kierkegaard – auf die internen Paradoxien der subjektiven Existenz oder aber – wie Marx – auf die intrinsische Logik objektiver historischer und sozialer Prozesse applizieren. Demgegenüber verzichtet die genealogische Religionskritk Nietzsches am Ende des 19. Jahrhunderts auf jegliche Dialektik, die nunmehr dem Nihilismusverdacht anheim fällt. 564 Dieser bezieht sich zwar vorwiegend 564

Siehe dazu Wirtz 2006, S. 242 ff., 420 ff.

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Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

auf das Christentum und die mit ihr verquickte abendländische Metaphysik, er erstreckt sich aber ebenfalls auf jene europäisierte Buddhismusinterpretation, die Arthur Schopenhauer in seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung 565 als Alternative zur vorherrschenden Vernunftphilosophie des Abendlandes vorgelegt hatte. In der Kritischen Theorie M. Horkheimers und Th. W. Adornos wird das Auseinanderfallen der beiden Seiten (objektive Natur versus subjektives Bewusstsein) zwar erneut reflektiert, nunmehr jedoch unter der Prämisse ihres angesichts des katastrophalen Geschichtsverlaufs der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts offenkundig gewordenen beiderseitigen Scheiterns: Der negativen Dialektik bleibt das sacrificium intellectus, der a-rationale ›Sprung‹ Kierkegaards in die Nachfolge Christi, versagt; aber sie vermag sich ebenfalls nicht länger mit der Berufung auf objektive historische Gesetzmäßigkeiten, die zwangsläufig in einen Zustand endgültiger Versöhnung führen, über das gegenwärtige Leiden des Individuums hinwegzutrösten. Die Schatten, die im Zuge der kritischen Reflexion der europäischen Aufklärungsgeschichte auf die Vernunft fallen, scheinen zu groß und zu bedrückend, als dass sich ein pessimistischer Vernunftdefätismus noch vermeiden ließe, wie er insbesondere die Dialektik der Aufklärung 566 Horkheimers und Adornos charakterisiert. Erst durch den Rückgriff auf die sprachphilosophisch uminterpretierten und in ihrem Geltungsanspruch abgeschwächten Manifestationsformen menschlicher Vernunft, wie sie Kant in den drei Kritiken analysiert hatte, gelingt es J. Habermas in der Theorie des kommunikativen Handelns 567, die intersubjektive Apriorizität sprachlicher Verständigungsprozesse sowie die Differenzierung einer kommunikativen von einer instrumentellen Rationalität gegen die verabsolutierte Vernunftkritik der frühen Frankfurter Schule auszuspielen. Unter den Prämissen eines nachmetaphysischen Denkens, das sich gleichwohl vom naturalistischen Zeitgeist distanziert, wird auch die Frage nach

A. Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bde. I & II. Frankfurt a. M. 1986. 566 M. Horkheimer u. T. W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. In: T. W. Adorno: Gesammelte Schriften. Bd. 3. Frankfurt a. M. 1984. 567 J. Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Frankfurt a. M. 1981. 565

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Die philosophische Herausforderung des Religiösen im postsäkularen Zeitalter

dem Verhältnis von Glauben und Wissen resp. Religion und Philosophie erneut virulent. Habermas’ Positionierung in diesem Themenfeld, die sich ausdrücklich nicht als eine religionsphilosophische versteht, sondern Religion(en) als externe Diskurspartner der Philosophie neu erschließen will, lässt sich im Sinne eines Kooperationsmodells interpretieren. Religion und Philosophie teilen vor dem geschichtsphilosophischen Hintergrund eines wachsenden Zugriffs instrumenteller (vor allem ökonomischer Zweck-)Rationalität auf alle Lebensbereiche das gemeinsame Interesse, der zunehmenden Auflösung sozialer Bindekräfte und normativer Motivationen im globalisierten Kapitalismus entgegen zu treten. Da die Philosophie eingestehen muss, dass sich die Voraussage eines allmählichen Verschwindens der Religionen im Zuge fortschreitender Aufklärung und Modernisierung nicht bewahrheitet hat (oder allenfalls in Beziehung auf bestimmte Sozialmilieus in einzelnen westlichen Industriegesellschaften), ist sie, so Habermas’ leitender Gedanke, gut beraten, zum einen die gemeinsame Genealogie von Glauben und Vernunft aus der epochalen Wende der Achsenzeit neu zu bedenken und zum anderen die utopischen Potenziale, die sich in den Weltreligionen noch unentdeckt finden mögen, durch die erschließende Kraft der philosophischen Begriffssprache frei zu legen. Dem kooperativen Verhältnis von Religion und Philosophie, wie es Habermas vorschwebt, liegt freilich eine strikte, historisch und systematisch begründete Trennung beider Bereiche unter den Bedingungen des nachmetaphysischen Denkens zu Grunde, das seine Beziehung zur Religion im postsäkularen Zeitalter neu zu bestimmen sucht. Unter ›Religion‹ wird dabei vorwiegend die jüdisch-christliche Glaubenstradition verstanden; in interkultureller Hinsicht weiter führende Hinweise auf oder gar eine intensivere Auseinandersetzung mit ostasiatischer Religiosität und Spiritualität sucht man in Habermas’ Stellungnahmen zur Religion vergeblich. Die aus einer interkulturellen Perspektive einseitig anmutende Fokussierung auf die monotheistischen oder ›abrahamitischen‹ Traditionen teilt Habermas im Prinzip mit den vielschichtigen textuellen Äußerungen J. Derridas zum Religiösen, zur Religion und zu den Religionen. Obwohl es die Dekonstruktion der logozentrischen Metaphysik durchaus nahe legen könnte, Alternativen zu den begrifflichen Dualismen des Abendlandes in nicht-okzidentalen Denkkulturen aufzusuchen, geht Derrida selbst diesen Schritt allenfalls in vorsichtigen, eher indirekt greifbaren Ansätzen; seine Auseinander335 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

setzung mit Religion verbleibt ganz überwiegend innerhalb des monotheistischen, durch Judentum, Christentum und Islam strukturierten Paradigmas. Gleichwohl enthält die dekonstruierende Annäherung an Religion, die ebenso wenig wie das nachmetaphysische Denken Habermas’ als eine explizite Religionsphilosophie verstanden sein will, mannigfaltige Potentiale für eine vertiefte Reflexion auf die gemeinsamen Ursprünge und Divergenzen von Glauben und Wissen. Anders als Habermas’ Kooperationsmodell geht das derridasche Dekonstruktionsmodell allerdings nicht von einer absoluten Getrenntheit der beiden Sphären aus, sondern sucht gerade die Konvergenzpunkte von Glauben und Wissen, Religion und Vernunft, in einem jeglicher Bezugnahme schon voraus liegenden Vertrauen auf die Ankunft des Anderen auszuloten. Ohne derartige Filiationen allzu stark strapazieren zu wollen, ließe sich gleichwohl mit einiger Berechtigung die These vertreten, dass Habermas’ Position in ihrer Hoffnung auf eine mögliche Rationalisierung und damit Universalisierung religiös eingekapselter Wahrheitsgehalte eher in einer hegelschen Tradition steht, während das beharrliche dekonstruktive Umkreisen des unvordenklichen Einheitspunktes, der sich in einen Dualismus und sodann in eine unbeschränkte Pluralität ausfaltet, tendenziell an Schellings philosophischen Standpunkt erinnert. Die explizite Bezugnahme auf Kants Religionsphilosophie teilen indes beide postmetaphysischen Denker. In ihren philosophischen Intentionen, aber auch in ihrem jeweiligen Denkstil und Sprachduktus sind die Philosophien Habermas’ und Derridas freilich noch viel weiter voneinander entfernt, als es die idealistischen Positionen Hegels und Schellings je waren. Und dennoch erlaubt ihre gemeinsame Situierung in einer ausdrücklich postmetaphysischen Situation des Philosophierens, das sich seiner verlorenen metaphysischen Ursprünge bewusst bleibt, eine zusammenfassende Darstellung beider Positionen hinsichtlich ihrer je unterschiedlichen Auseinandersetzung mit Religion. In einem ersten Schritt soll dabei Habermas’ Theorem einer Versprachlichung des Sakralen aufgegriffen und hinsichtlich seiner Voraussetzungen und Konsequenzen im Hinblick auf das Verhältnis von Religion und säkularer Philosophie problematisiert werden (Kap. 2.1.). Sodann werden die von Habermas und Derrida mit jeweils unterschiedlichen Akzentsetzungen rekonstruierten gemeinsamen Quellen und Ursprünge von Glauben und Wissen, Religion und Vernunft thematisiert (Kap. 2.2.). Abschließend soll in Bezug auf die Positionen Haber336 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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mas’ und Derridas nach den inter- und transkulturellen Potentialen postmetaphysischen Philosophierens gefragt werden (Kap. 2.3.).

2.1

Die Versprachlichung des Sakralen – Habermas’ Modell einer Kooperation zwischen Religion und säkularer Vernunft

In Orientierung an Max Webers These von der ›Entzauberung der Welt‹ 568 durch die umfassenden Rationalisierungsbewegungen der Moderne ist die habermassche Auseinandersetzung mit Religion von der Auffassung durchdrungen, dass sich im Zuge der Säkularisierung religiöse Heilsansprüche in inklusive Kommunikation bereits verwandelt haben bzw. dass sakrale Äußerungen sich mit fortschreitender Modernisierung und Rationalisierung zunehmend in kommunizierbare Geltungsansprüche auflösen werden. In der Theorie des kommunikativen Handelns 569 hat Habermas die Entwicklung von Religion im Kontext gesellschaftlicher Rationalisierung im Rückgriff u. a. auf Weber, Durkheim und Mead rekonstruiert und dabei aufgewiesen, wie die der jüdisch-christlichen Tradition entstammende Brüderlichkeitsethik in einer kommunikativen Ethik aufgegangen ist, die sich von ihrer ursprünglichen religiösen Grundlage sukzessive emanzipiert hat. 570 Auch die sozialintegrative Funktion ritueller religiöser Praxen sei im Zuge sozialer Modernisierung und Rationalisierung schrittweise auf das kommunikative Handeln übergegangen. 571 568 Siehe M. Weber: Wissenschaft als Beruf (1917/1919). Politik als Beruf (1919). In: Ders.: Gesamtausgabe. Abt. I, Bd. 17. Tübingen 1992, S. 87, 100, 109. 569 Habermas 1981, Bd. 2. 570 Ebd., Kap. V.2. und V.3. Siehe dazu auch E. Arens: »Theologie nach Habermas. Eine Einführung«. In: Habermas und die Theologie. Beiträge zur theologischen Rezeption, Diskussion und Kritik der Theorie kommunikativen Handelns. Düsseldorf 1989, S. 9–38, hier S. 11; sowie M. Reder/J. Schmidt: »Habermas und die Religion«. In: dies. (Hrsg.): Ein Bewußtsein von dem, was fehlt. Eine Diskussion mit Jürgen Habermas. Frankfurt a. M. 2008, S. 9–25, hier S. 12 f. 571 Habermas 1981, Bd. 2, S. 118 f. Habermas benennt hier als die seiner Untersuchung zu Grunde liegende Hypothese, »daß die sozialintegrativen und expressiven Funktionen, die zunächst von der rituellen Praxis erfüllt werden, auf das kommunikative Handeln übergehen, wobei die Autorität des Heiligen sukzessive durch die Autorität eines jeweils für begründet gehaltenen Konsenses ersetzt wird. Das bedeutet eine Freisetzung des kommunikativen Handelns von sakral geschützten normativen Kontexten. Die Entzauberung und Entmächtigung des sakralen Bereichs vollzieht sich auf dem Weg einer Versprachlichung des rituell gesicherten normativen Grundeinverständnisses; und damit geht die Entbindung des im kommunikativen Handeln

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Die Überzeugung von der Auflösung religiöser Heilswege in kommunizier- und kritisierbare Geltungsansprüche beruht auf wenigstens zwei problematisierbaren Implikaten, nämlich zum einen auf einer Theorie kultureller Evolution, derzufolge ›archaische‹ Bewusstseinszustände von reflektierteren abgelöst werden, die ein höheres Maß an Rationalität und damit zugleich Inklusivität aufweisen; zum anderen auf der sprach- bzw. kommunikationstheoretischen Annahme einer prinzipiellen Übersetzbarkeit religiös-sakraler Heilsansprüche in die allgemein zugängliche Kommunikation rational kompetenter Sprecher und Akteure. Beide Implikate setzen offenbar eine Art Kontinuum zwischen unterschiedlichen Kommunikationsformen voraus, die historisch aufeinander folgen und bei denen die jeweils späteren die hintergründig wirksamen Interessen und Motive, die zu den jeweils früheren geführt haben, zugleich transparent machen und in einer adäquateren Weise integrieren können. Die dieser kommunikativen Evolutionstheorie zu Grunde liegenden geschichtsphilosophischen Prämissen weisen deutlich auf Hegels dialektische Rekonstruktion geschichtlicher Entwicklung zurück – mit dem entscheidenden Unterschied allerdings, dass als zentraler Akteur nicht länger (wie bei Hegel) die Idee oder der Geist als absolutes Subjekt fungieren und auch nicht (wie im Marxismus) die Bewegungsgesetze der sozioökonomischen Realität, sondern vielmehr die Koordinationsbemühungen und auf Legitimation angewiesenen Ansprüche je schon sozialisierter kommunizierender Personen. Aus deren Verständigungsabsichten gehen kulturelle Bewusstseinsformationen hervor, die sich retrospektiv – etwa vom Standpunkt einer weitgehend entzauberten Moderne – als Stationen kultureller Evolution entziffern lassen. So stellt Habermas im Hinblick auf rituelle Praktiken fest, dass diese »ein frühes Stadium in der Entwicklungsgeschichte des menschlichen Geistes« 572 bezeugen. Über die historischen Stadien der Mythologisierung und der rationalen Produktion integraler

angelegten Rationalitätspotentials einher. Die Aura des Entzückens und Erschreckens, die vom Sakralen ausstrahlt, die bannende Kraft des Heiligen wird zur bindenden Kraft kritisierbarer Geltungsansprüche zugleich sublimiert und veralltäglicht.« Siehe dazu auch J. Berger: »Die Versprachlichung des Sakralen und die Entsprachlichung der Ökonomie«. In: Kommunikatives Handeln. Beiträge zu Jürgen Habermas’ »Theorie des kommunikativen Handelns.« Hrsg. v. A. Honneth u. H. Joas. Frankfurt a. M. 1986, S. 255–277. 572 J. Habermas: »Einleitung«. In: Ders.: Kritik der Vernunft, op. cit., S. 32.

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Weltbilder haben sich die kooperativen Verstehensleistungen in der Moderne schließlich zu einer komplexen, in sich differenzierten Gestalt verdichtet, in der die Bereiche des objektiven Erkennens, des intersubjektiven Handelns und des subjektiven Erlebens eigensinnige, nicht auf einander reduzierbare Sphären ausgebildet haben. Diese lassen sich nicht länger zur Einheit eines religiös oder rational beglaubigten Integrals zusammenfügen, wie es die Religionen und die Weltbilder der überkommenen Metaphysik beansprucht haben. Diese kulturevolutionistische Perspektive birgt einen unbestreitbar religionskritischen Kern, insofern sie das religiöse Bewusstsein mit seiner Verwurzelung im Ritus einem gesamtgesellschaftlich eigentlich überwundenen Stadium kultureller Entwicklung zuordnet und zugleich jene Intuitionen und legitimen Ansprüche, die lange Zeit in den Religionen eingekapselt waren, aus ihrer sakralen Ummantelung befreien und in einen allgemein zugänglichen, öffentlichen Diskurs überführen möchte. 573 Diese rational-modernistische Sichtweise auf Religion(en) kann aber nur so lange widerspruchsfrei aufrecht erhalten werden, wie ihr geschichtsphilosophischer Hintergrund, der von einem allmählichen Verschwinden von Religion in sich modernisierenden Gesellschaften ausgeht, unangestastet bleibt. Die Entzauberung des Sakralen durch die geballte Macht technischer und administrativer Zweckrationalität sowie die rationale Kommunikation legitimer Interessen, die zuvor im Gewand des Religiösen aufgetreten waren, sollte langfristig dazu führen, Religion im Prozess der Moderne schließlich obsolet zu machen. Doch die soziale Faktizität am Beginn des 21. Jahrhunderts hat diese Prognose im Weltmaßstab nicht verifiziert. Stattdessen scheint sich Webers ›okzidentaler Rationalismus‹ inzwischen auf einer welthistorischen Rückzugsposition zu befinden. 574 Im internationalen Vergleich präsentiert sich die in den meisten europäischen Staaten weit fortgeschrittene Säkularisierung jedenfalls nicht mehr als die universelle Norm der Modernisierung, sondern »als der eigentliche

573 Siehe dazu etwa J. Habermas: »Religion in der Öffentlichkeit«, a. a. O., S. 291: »Die Philosophie hat im Umgang mit religiösen, natürlich auch arabischen Überlieferungen, wiederholt die Erfahrung gemacht, daß sie innovative Anstöße empfängt, wenn es ihr gelingt, kognitive Gehalte im Schmelztiegel begründender Diskurse aus ihrer ursprünglich dogmatischen Verkapselung freizusetzen. Dafür bieten Kant und Hegel die folgenreichsten Beispiele.« 574 Vgl. ebd., S. 261.

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Sonderweg« 575. Die empirisch beglaubigte Evidenz, dass Religionen im Zuge der Globalisierung in vielen Weltregionen an öffentlicher Wahrnehmbarkeit deutlich zugenommen haben, dass sie ihre sakralen, aber auch ihre sozialen und politischen Anliegen in vielfältiger Weise selbstbewusst, ja oftmals sogar gewaltsam artikulieren, kann eine Modernisierungstheorie, die doch aus guten Gründen vom allmählichen Verschwinden des Religiösen überzeugt war, nicht unberührt lassen. 576 Das hartnäckige Fortbestehen der Religionen auch in den hochindustrialisierten und digitalisierten Gesellschaften des 21. Jahrhunderts muss für eine Philosophie, die ihre Impulse aus dem kritisch angeeigneten Erbe der Aufklärung bezieht, eine starke Provokation darstellen. 577 Das im Kern säkulare Selbstverständnis der Moderne sieht sich mit dem Selbstverständnis traditionsreicher Weltreligionen konfrontiert, welche die Prämissen einer unter den Vorzeichen säkularisierenden Fortschritts stehenden Geschichtserzählung unterminieren. 578 Doch die säkulare Vernunft wird nicht nur dazu genötigt, ihre seit Hegel, Marx und Weber fortgeschriebenen geschichtsphilosophischen Prämissen in Frage zu stellen, sondern darüber hinaus ihre generelle, seit der Aufklärung eingeübte Positionierung gegenüber der Religion bzw. den Religionen zu revidieren. Denn Religion erscheint nunmehr nicht länger als eine Gestalt des Geistes, die in einer absehbaren oder fernen Zukunft vergangen sein wird, wie dies die kantische Philosophie in der Idee des ethischen Gemeinwesens auf der Basis des Vernunftglaubens und noch prononçierter Hegel durch die Aufhebung der religiösen Vorstellungsgehalte im philosophischen Begriff suggerierten. 579 Vielmehr offenbart sich

575 Ebd. Siehe dazu auch J. Habermas: »Versprachlichung des Sakralen«. In: Habermas 2012, S. 7–18. 576 Siehe dazu H. Joas/K. Wiegandt (Hrsg.): Secularization and the World Religions. Liverpool 2009. 577 Vgl. dazu auch F. Davis: Art. »Monotheismus«. In: Habermas-Handbuch. Hrsg. v. H. Brunkhorst, R. Kreide u. C. Lafont. Stuttgart/Weimar 2015, S. 127–132. 578 Siehe J. Habermas: »Ein Bewußtsein von dem, was fehlt«, a. a. O. 579 Vgl. dazu J. Habermas: Kritik der Vernunft, op. cit., »Einleitung«, S. 29: »Während Kant auf Gehalte aufmerksam macht, die sich die säkulare Vernunft aus religiösen Überlieferungen aneignen kann, entdeckt Hegel das reiche semantische Erbe von religiösen Vorstellungen, die die Philosophie bereits auf den Begriff gebracht hat. Jedoch sind Kant und Hegel gleichermaßen davon überzeugt, daß die Religionen wesentlich ein Phänomen der Vergangenheit sind und daß es allein die Aufgabe der Philosophie ist, aus dieser Traditionsmasse den Kern des Vernünftigen herauszuschälen.«

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Religion als eine fortdauernde »Gestalt im Präsens« 580, welche die Philosophie zu einer konstruktiven Auseinandersetzung herausfordert. Habermas hat diese doppelte Herausforderung insofern angenommen, als sich das nachmetaphysische Denken unter postsäkularen Bedingungen an einem Dialog mit der Religion (zumindest mit den drei monotheistischen Religionen) durchaus interessiert zeigt, freilich ohne dadurch die prinzipiellen Voraussetzungen des kulturrevolutionistischen Geschichtsbildes der Moderne völlig aufzugeben. Dieses wird nicht grundsätzlich revidiert, sondern allenfalls modifiziert, wenn Habermas konzediert, dass Religionen mittels ihrer rituellen Praktiken den Kontakt zu archaischen Quellen der Gemeinschaftsstiftung aufrecht erhalten, die in anderen Lebensbereichen längst rationalen, verständigungsorientierten Formen sozialen Umgangs gewichen sind. 581 Der Unterschied zur ›früheren‹ Modernisierungsthese Habermas’ bestünde demnach in der zumindest religionsfreundlicheren Auffassung, dass inklusive und transparente Kommunikationsweisen frühere Stadien sozialer Interaktion nicht unbedingt ablösen, sondern dass jene auf diesen aufbauen und zu ihrer Stabilisierung möglicherweise sogar auf ihren Fortbestand angewiesen sind. So ist der Ritus nicht im öffentlichen Diskurs vollständig verschwunden oder aufgegangen, sondern er besteht als dessen prärationale Basis in den religiösen Gemeinschaften fort. 582 Ein weiteres normatives Argument nötigt ebenfalls zur Distanznahme gegenüber evolutionären Gesellschaftstheorien, die u. a. deswegen problematisch sind, weil ihre Perspektive von den sozialen Subjekten, die sie beschreibt, nicht bruchlos eingenommen werden kann. So kann es etwa religiösen Bürgern kaum ernsthaft zugemutet J. Habermas: »Versprachlichung des Sakralen«. In: Habermas 2012, S. 10. Vgl. J. Habermas: »Eine Hypothese zum gattungsgeschichtlichen Sinn des Ritus«. In: Habermas 2012, S. 95: »Die Mitglieder religiöser Gemeinschaften können sogar das Privileg für sich beanspruchen, im Vollzug ihrer kultischen Praktiken den Zugang zu einer archaischen Erfahrung – und zu einer Quelle der Solidarität – behalten zu haben, die sich den ungläubigen Söhnen und Töchtern der Moderne verschlossen hat.« 582 Habermas hat »die kultischen Handlungen einer Gemeinde« in einem 2009 geführten Gespräch mit E. Mendieta sogar als das »Alleinstellungsmerkmal« der Religionen bezeichnet, das sie »von allen anderen Weltanschauungen unterscheidet«. Siehe J. Habermas: »Ein neues Interesse der Philosophie an der Religion? Ein Gespräch«. In: Habermas 2012, S. 96–119, hier S. 104 [Erstveröffentlichung in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 58 (2010), S. 3–16]. 580 581

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werden, »sich selber beispielsweise unter einer Theorie der religiösen Evolution zu beschreiben und gegebenenfalls als kognitiv ›rückständig‹ einzustufen.« 583 Das Ziel eines gleichberechtigten Dialogs zwischen Philosophie und Religion kann Habermas zufolge nur unter der anti-hegelianischen Prämisse realisiert werden, dass die Philosophie auf eine begriffsgeschichtliche Positionszuweisung religiöser Geistesgestalten verzichtet. Auf dieser Grundlage wird eine funktionale Arbeitsteilung zwischen Religion und säkularer Vernunft in der Weise denkbar, dass die Religionen fundierende Ursprünge sozialer Bindung konservieren, während die säkulare Vernunft jene semantischen Potenziale der Religionen frei zu setzen versucht, die sich einer diskursiven Versprachlichung und Rationalisierung nicht vollständig entziehen. Das nachmetaphysische Philosophieren im Sinne Habermas’ nimmt innerhalb dieser Konstellation eine explizite Mittelstellung zwischen einem radikalen Säkularismus, der sich in der Form eines harten, reduktiven Naturalismus und Szientismus oder aber als vernunftdefätistischer Skeptizismus äußert, und einem religiös-metaphysischen Dogmatismus ein, der den Alleinvertretungsanspruch der säkularen Vernunft in den Bereichen der Wissenschaft, der Moral und des Rechts nicht akzeptieren will. Diese Positionierung ›zwischen Naturalismus und Religion‹, wie der Titel einer Aufsatzsammlung Habermas’ aus dem Jahr 2005 lautet, 584 hat in Habermas’ Selbstverständnis die notwendigen Konsequenzen aus der philosophischen Entwicklung seit Kant gezogen. Gegen die naturalistische ebenso wie die postmoderne Auflösung der Vernunft – wahlweise im Spiel feuernder Neuronen oder frei flottierender Zeichen 585 – hält das nachmetaphysische Philosophieren an der Einheit eines komprehensiven Vernunftbegriffs fest, 586 der nicht mehr transzendental- und subjektphilosophisch, sondern kommunikationstheoretisch begründet wird. In dieser gegenüber der idealistischen Fassung des Vernunftbegriffs weitaus ›schwächeren‹ Begründung der Vernunft haben sich einerseits die Einsichten einer historisch sensibilisierten Hermeneutik und andererseits die subjektkritischen Implikationen des ›linguistic turn‹ nieDers.: »Religion in der Öffentlichkeit«, a. a. O., S. 294 f. Habermas 2005. Vgl. dazu auch ders.: »Einleitung«. In: Ders.: Kritik der Vernunft, op. cit., S. 30 f. 585 Siehe ders.: »Ein Bewußtsein von dem, was fehlt«, a. a. O., S. 30. 586 Vgl. ders.: »Religion in der Öffentlichkeit«, a. a. O., S. 295; sowie ders.: »Ein Bewußtsein von dem, was fehlt«, a. a. O., S. 30. 583 584

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dergeschlagen. Zweifellos handelt es sich bei der Habermas’schen Interpretation der jüngeren Philosophiegeschichte jedoch nach wie vor um eine unter dem Paradigma des philosophischen Fortschritts stehende Rekonstruktion: Hinter die kognitive Entwertung metaphysischer Argumente, welche die kantische Philosophie vorgenommen hatte, darf das nachmetaphysische Denken keinesfalls zurückfallen; 587 aber auch die subjektphilosophische Basis, von der aus Kant – wie ebenfalls noch Fichte – argumentiert hatte, ist durch Hegels Philosophie des ›objektiven Geistes‹ und in deren Gefolge durch Historismus und Pragmatismus sowie die verschiedenen sprachphilosophischen Ansätze des 20. Jahrhunderts so weitgehend erschüttert worden, dass aus Habermas’ Sicht einzig noch eine detranszendentalisierte, kommunikative Auffassung von Vernunft ein reflektiertes säkulares Selbstwusstsein zu fundieren vermag. Paradoxerweise soll jedoch gerade das Ergebnis dieser philosophischen Entwicklung, welche die säkulare Philosophie radikal von religiösen Einstellungen getrennt hat, in einer geradezu dialektisch anmutenden Wendung zu einem ›Dialog auf Augenhöhe‹ zwischen Philosophie und Religion einladen. Indem Philosophie darauf verzichtet, wertende Interpretationen religiöser Gehalte vorzulegen, erkennt sie den unaufhebbaren Eigensinn religiöser Überlieferungen an und begründet zugleich innerhalb der normativen politischen Theorie den Zugang religiöser Positionen zu den Foren öffentlicher Meinungsbildung 588 – unter der Voraussetzung allerdings, dass die religiösen Teilnehmer am politischen Diskurs die überlegene Kompetenz der säkularen Vernunft in den Bereichen der Wissenschaft und des Rechts vorbehaltlos anerkennen. 589 Ferner Siehe ders.: »Einleitung«. In: Ders.: Kritik der Vernunft, op. cit., S. 19. Siehe dazu auch Breul 2015, der die Position eines »Moderaten Exklusivismus« verteidigt, durch den die »Anhänger unterschiedlicher religiöser Weltanschauungen zu einem selbstreflexiven Prozess« angregt werden sollen, der es ermöglicht, »zwischen solchen Diskursen, die allgemein akzeptable Rechtfertigungen und Begründungen verlangen, und solchen, die eine derartige Bescheidenheit nicht erfordern«, zu differenzieren (ebd., S. 502). Der Begriff des Exklusivismus bezieht sich in diesem Kontext nicht auf das innerhalb der Theologie der Religionen verwendete Modell, sondern auf eine Position innerhalb der politischen Philosophie, die »am Ideal der Rechtfertigungsneutralität« politischer Normen festhält (ebd., S. 482). – Siehe Habermas’ Annäherung an diese Problematik auch R. Esterbauer: »Der ›Stachel eines religiösen Erbes‹. Jürgen Habermas’ Rede über die Sprache der Religion.« In: Langthaler/ Nagl-Docekal 2007, S. 299–321. 589 Vgl. Habermas: »Ein Bewußtsein von dem, was fehlt«, a. a. O., S. 27; Habermas: Zwischen Naturalismus und Religion, op. cit., S. 10. – Siehe zu dem in diesem Zu587 588

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müssen diejenigen religiösen Ansichten, die in den öffentlichen Diskurs eingebracht werden, zumindest implizit auf Gründen beruhen, die auch außerhalb ihres ursprünglichen religiösen Einbettungszusammenhangs von nicht-religiösen Diskursteilnehmer/innen akzeptiert werden können. 590 Es muss sich also um solche Gehalte handeln, die zwar zunächst aus einer religiösen Einstellung heraus bzw. innerhalb eines religiösen Kontextes formuliert werden, die sich aber gleichwohl dekontextualisieren, in einer säkularen Sprache reformulieren und mit rational einsichtigen Gründen rechtfertigen lassen. 591 Das Ernstnehmen religiöser Äußerungen vor dem Hintergrund ihrer potentiellen Rationalisierbarkeit stellt somit die entscheidende kognitive Herausforderung dar, vor die sich das zugleich nachmetaphysische und postsäkulare Denken gestellt sieht – im Unterschied zu seiner rein säkularen Variante, die der These vom sukzessiven Verschwinden der Religion(en) im Zuge von Modernisierung und Rationalisierung anhängt. Während die letztere Position den Mitgliedern religiöser Gemeinschaften einseitig zumutet, die Kompetenzen der natürlichen Vernunft in den Bereichen der Wissenschaften, des Rechts und der Moral anzuerkennen, und die Religionen selber als prinzipiell überwundene Stufe der kulturellen Evolution betrachtet, nötigt sich das postsäkular-postmetaphysische Denken im Bewusstsein seiner eigenen Deformationsgefährdungen zu einer komplementären Perspektivenübernahme, indem es religiöse Stellungnahmen als solche gelten lässt und sie zugleich aus philosophischem Eigeninteresse auf ihre verborgenen rationalen Gehalte prüft. 592 Dadurch werden religiöse Einstellungen und Überzeugungen aus säkularer Perspektive nicht bloß toleriert, sondern respektiert, da sie einen wertvollen Beitrag zur »Überwindung eines säkularistisch verhärteten und exklusiven Selbsverständnisses der Moderne« 593 zu leisten vermögen. Eine postsäkulare Mentalität ist sich dessen bewusst, dass sammenhang gegen Habermas’ Konzeption erhobenen Paternalismusvorwurf die zusammenfassende Darstellung von H.-L. Ollig: »Habermas im Religionsdiskurs«. In: Theologie und Philosophie, 83 (2008), S. 410–425, hier v. a. S. 413 f. 590 Siehe zu Habermas’ diesbezüglicher Auseinandersetzung mit Rawls’ Auffassung Habermas: »Religion in der Öffentlichkeit«, a. a. O., S. 269 f. 591 Siehe ebd., S. 287 f. 592 Vgl. ebd. 593 Ebd., S. 287. – Vgl. auch J. Habermas: »Ein Bewußtsein von dem, was fehlt«, a. a. O., S. 30: »Das Motiv meiner Beschäftigung mit dem Thema Glauben und Wissen ist der Wunsch, die moderne Vernunft gegen den Defätismus, der in ihr selber brütet, zu mobilisieren.«

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Vernunft nicht nur in einer rein säkularen Einstellung zu finden ist; vielmehr fordert die Erkenntnis der inhärenten Grenzen einer rein säkularen Position zur Anerkennung auch nicht-säkularer Auffassungen auf, denen bislang noch unentdeckte Vernunftmomente innewohnen könnten. Postsäkular eingestellte Personen begreifen daher »ihre Nicht-Übereinstimmung mit religiösen Auffassungen als einen vernünftigerweise zu erwartenden Dissens.« 594 Diese von Habermas vorgeschlagene funktionale Kooperationsvorstellung zwischen Religion und säkularer Vernunft – jene stellt sozialintegrative Ressourcen bereit, welche die säkulare Vernunft nicht aus eigener Kraft zu reproduzieren vermag, dafür übersetzt diese religiös eingekapselte Intuitionen in die allgemein verständliche Sprache diskursiver Vernunft – ist zwar gerade im Hinblick auf schwelende oder gar lichterloh aufflammende Konflikte zwischen religiösen und säkularen Positionen bedenkenswert und hilfreich. Weil die Idee religiös-säkularer Kooperation (bei gleichzeitiger Respektierung der wechselseitigen Grenzen zwischen Religion und säkularer Vernunft) jedoch im Kern auf einem nur modifizierten, keineswegs aber aufgegebenen Modell kultureller Evolution basiert, impliziert sie einen Widerspruch, welcher der doppelten Perspektivierung des Religiösen aus philosophischer Perspektive anzulasten ist: Auf der einen Seite nämlich sieht sich das nachmetaphysische Denken dazu genötigt, das vitale Weiterbestehen von Religiosität auch in hochmodernisierten und funktional ausdifferenzierten Gesellschaften anzuerkennen und sogar positiv zu würdigen, indem religiösen Gemeinschaften die Erzeugung fundamentaler sozialer Bindekräfte zugeschrieben wird, von denen auch die ansonsten säkulare Gesellschaft gerade angesichts der Gefahren einer ökonomistisch entgleisenden Modernisierung profitiert. Diese Würdigung des Religiösen geht mit dem Eingeständnis säkularer Vernunft einher, religiöse Überzeugungen nicht vollständig in die allgemein zugängliche Sprache rationaler Diskurse überführen zu können, da sie sich »vorbehaltloser diskursiver Erörterung« 595 hartnäckig widersetzen; sie präsentieren sich geradezu »als das intransparente Andere der Vernunft« 596. Die säkulare Ver594 Ders.: »Religion in der Öffentlichkeit«, a. a. O., S. 288. – Siehe entsprechend auch ders.: »Vorpolitische Grundlagen des demokratischen Rechtsstaats?« In: Habermas/ Ratzinger 2005, S. 16–37, hier S. 33 f. (Der Aufsatz wurde ebenfalls veröffentlicht in: J. Habermas: Zwischen Naturalismus und Religion, op. cit., S. 106–118.) 595 Habermas: »Religion in der Öffentlichkeit«, a. a. O., S. 276. 596 Ebd., S. 292.

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nunft in ihrer postsäkularen Ausprägung billigt den Religionen das Recht auf autonome Existenz und gesellschaftliche Mitwirkung gerade deswegen zu, weil ihr Kern jenseits der säkularen Vernunft situiert wird, weil dieser Kern des Religiösen sich beispielsweise »auf die dogmatische Autorität eines unantastbaren Kerns von infalliblen Offenbarungswahrheiten« 597 beruft. Nur insofern tritt Religion der säkularen Vernunft als eine unüberwindbar fortbestehende, selbstständige Geistesgestalt gegenüber, als sie innerhalb ihrer eigenen Grenzen einen spirituellen Eigensinn entwickelt, der sich gegen seine restlose Rationalisierung sperrt. Auf der anderen Seite aber kann die säkulare Vernunft – sei es in einem politischen Diskurs oder in philosophischer Auseinandersetzung – nur in der Weise mit den Religionen in einen fruchtbaren Dialog treten, dass sie die allgemein zugänglichen, rationalen Momente und Intuitionen religiöser Überzeugungen ans Tageslicht bringt, die in ihrer religiösen Ummantelung opak und nur für Eingeweihte nachvollziehbar sind. Dies bedeutet aber zugleich, dass sich die Grenzen des Religiösen, deren Respektierung sich das postsäkulare Denken ausdrücklich verordnet hat, 598 im Dialog mit der säkularen Vernunft ständig verschieben müssen. 599 Und im Prozess dieser Grenzverschiebung ist alles andere als klar, bis zu welchem Punkt das Opake und Eigensinnige, das die Religionen in ihrer genuinen Eigenständigkeit auszeichnet, reichen soll. Man könnte auch sagen – und genau hierin liegt die Paradoxie in Habermas’ postsäkularem Kooperationsmodell –, dass das säkulare Interesse an der Religion in Widerspruch zu dem säkularen Respekt vor ihren Grenzen steht. Übersetzt die säkulare Vernunft religiöse Überzeugungen in einen auch nicht-religiösen Menschen zugänglichen Diskurs, so verschiebt sich zugleich die Grenze zwischen den rationalisierungsfähigen und den opaken Anteilen der Religion. Was zuvor nur den religiös EingeEbd., S. 276. Vgl. ebd., S. 289: Habermas unterstreicht hier ausdrücklich, dass das postmetaphysische Denken »auf einer strikten Grenzziehung zwischen Glauben und Wissen« besteht. Siehe entsprechend auch J. Habermas: »Einleitung«. In: Ders.: Kritik der Vernunft, op. cit., S. 30. 599 Vgl. ebd., S. 31: »Aus dieser Sicht treten Dialoge, die die Grenze zwischen philosophischen und theologischen Sprachspielen zu überschreiten suchen, an die Stelle von Theorien, die sich von Religion einen Begriff machen möchten. Anders als durch diese Praxis läßt sich die philosophische Lernbereitschaft gegenüber einer zeitgenössischen Religion nicht ausdrücken.« 597 598

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weihten bekannt war, wird durch seine diskursive Säkularisation nunmehr der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Aber dann gibt es auch keinen plausiblen Grund mehr, eine dergestalt verallgemeinerte Überzeugung noch als genuin religiös wertzuschätzen. Letztlich hat sich auch der postsäkulare Standpunkt Habermas’ nicht von der fundamentalen Prämisse der Modernisierungsthese befreit, dass Religionen mit hoher Wahrscheinlichkeit allmählich durch rationalere Kommunikationsformate abgelöst werden, wenn nur die Bedürfnisse und Gehalte, die sich zunächst religiös artikulieren, von allen Betroffenen transparent und explizit gemacht werden. Dementsprechend ist es laut Habermas »unvernünftig, a priori den Gedanken von der Hand zu weisen, daß die Weltreligionen – als das einzig überlebende Element aus den fremd gewordenen Kulturen der Alten Reiche – innerhalb des differenzierten Gehäuses der Moderne einen Platz behaupten, weil ihr kognitiver Gehalt noch nicht abgegolten ist. Jedenfalls ist nicht auszuschließen, daß sie semantische Potentiale mit sich führen, die eine inspirierende Kraft für die ganze Gesellschaft entfalten, sobald sie ihre profanen Wahrheitsgehalte preisgeben.« 600 Im Umkehrschluss bedeutet diese Auffassung, dass die Weltreligionen unter den Bedingungen der ausdifferenzierten Moderne nicht überleben könnten, wenn es gelänge, ihre bislang noch unentfaltenen kognitiven und semantischen Inhalte in die inklusive Sprache des vernünftigen Diskurses vollständig zu übersetzen. Habermas’ Redeweise von einer möglichen ›Preisgabe profaner Wahrheitsgehalte‹ erweckt zudem den Anschein, als behielten die Religionen wesentliche Ideen oder Anliegen nur dem Kreis ihrer eingeweihten Anhänger vor, während sie doch eigentlich allen Menschen zu Gute kommen sollten. In jedem Fall ist der Fortbestand von Religion auch in weitgehend säkularisierten Gesellschaften für das nachmetaphysische Denken provokativ und erklärungsbedürftig; und anscheinend besteht der beste Erklärungsansatz für dieses hartnäckige Weiterleben aus Habermas’ Sicht in der Annahme, dass die relevanten Anliegen und Gehalte der Weltreligionen bislang eben noch nicht vollständig rationalisiert bzw. versprachlicht worden sind. Das Dilemma des Habermas’schen Kooperationsmodells besteht demzufolge darin: Entweder respektiert die säkulare Vernunft religiöse Überzeugungen in ihrem unverrechenbaren Eigenwert und verzichtet darauf, sie zu rationalisieren, erkennt also eine unüberschreit600

Habermas: »Religion in der Öffentlichkeit«, a. a. O., S. 292.

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bare Grenze zwischen säkularen und religiösen Positionen an – oder aber sie beginnt sich für religiöse Wahrheiten zu interessieren und versucht, sie in eine allgemein zugängliche Sprache zu übersetzen; dann aber kann die Grenzziehung zwischen säkularen und religiösen Positionen nicht länger trennscharf vorgenommen werden. Das beschriebene Dilemma beruht bei näherem Hinsehen auf einem sprachphilosophischen Problem, dessen Umrisse in Habermas’ Äußerungen zur rationalen Übersetzbarkeit religiöser Überzeugungen allenfalls schemenhaft hervortreten. Was bedeutet es eigentlich genau, authentische religiöse Positionen in die allgemeine Sprache der Vernunft zu übersetzen? 601 – Systematisch betrachtet lassen sich drei prinzipielle Möglichkeiten namhaft machen, eine derartige Übersetzung zu konzeptualisieren: 1) als Duplikation: Es handelt sich um genau denselben Inhalt, der einmal religiös, d. h. nur für die Anhänger einer bestimmten Glaubensgemeinschaft, und einmal rational-säkular-diskursiv, d. h. für potentiell alle Menschen, formuliert wird. Inhalt I wird also nach dieser Auffassung einfach in zwei verschiedenen Sprachcodes SC-r (religiös) oder SC-s (säkular) ausgedrückt; 2) als Transformation: Auch hier gehen wir von einem Inhalt und zwei unterschiedlichen Sprachcodes aus, allerdings führt die Übersetzung nunmehr dazu, dass der Inhalt durch seine Transformation von SC-r in SC-s nicht mehr derselbe bleibt, sondern verwandelt wird – und zwar genau in dem Maße und anhand des Kriteriums, durch die sich der Sprachcode SC-s von SC-r unterscheidet (also etwa dadurch, dass SC-s allgemein zugänglich ist, während SC-r nur für Eingeweihte verständlich ist); 3) als partielle Traduktion: Dieser Typus stellt eine Mischung aus 1) und 2) dar. Gemeint ist, dass sich im religiösen Sprachcode SC-r solche Elemente, die in den Code SC-s überführbar sind, mit solchen mischen, die sich einer derartigen Überführbarkeit entziehen. Es gibt also einerseits Inhalte, die sowohl in SC-r als auch in SC-s vermittelbar sind, und andererseits Inhalte, die nur innerhalb von SC-r funktionieren. Die weiter gehende Frage wäre dann, ob sich

601 Siehe dazu auch M. Kühnlein: »Zwischen Vernunftreligion und Existenztheologie: Zum postsäkularen Denken von Jürgen Habermas«. In: Theologie und Philosophie, 84 (2009), S. 524–546, insbes. S. 536 ff. Zur Problematik des Übersetzens heiliger Texte sei ferner verwiesen auf J. Derrida: »Des tours de Babel«. In: Ders.: Psyché. Inventions de l’autre. Paris 1987, S. 203–235.

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letztlich nur diejenigen Gehalte, die ausschließlich in SC-r formulierbar sind, als genuin ›religiös‹ qualifizieren lassen, oder ob sich – wie es etwa Kants Religionsauffassung nahe legen würde – religiöse Positionen generell als Mischformen allgemein-vernünftiger und statutarisch-partikularer Überzeugungen kennzeichnen lassen. In der kantischen Religionsdeutung gehörte es ja sogar, wie gezeigt wurde, zu den notwendigen Eigenschaften ›wahrhafter‹, d. h. potentiell menschheitsverbindender Religiosität, dass sie (moralische) Gehalte impliziert, die sich in ihrem Anspruch sowohl an die Anhänger einer bestimmten historisch-kulturellen Religionsgemeinschaft als auch an sämtliche vernunftbegabte Lebewesen richten. Auch Habermas steht in dieser kantischen Tradition philosophischer Religionsdeutung, wenn er es für prinzipiell möglich und wünschenswert erachtet, dass religiöse Intuitionen in die allgemein zugängliche Sprache des rationalen Diskurses ›übersetzt‹ werden können. Zugleich versucht sich der Habermas’sche Standpunkt aber des vereinnahmenden Werturteils zu enthalten, dass dasjenige, was sich säkular übersetzen lässt, zugleich notwendigerweise auch das primär Relevante der Religion selbst sein müsse. Darüber zu befinden, wird vielmehr der autonomen Selbstreflexion der Gläubigen überlassen – eine philosophische Teilkapitulation, die der Religionsphilosoph Kant zweifellos für inakzeptabel gehalten hätte. 602 Am Beispiel des christlichen Gebots der Nächstenliebe lassen sich die Unterschiede der soeben unterschiedenen drei Übersetzungskonzeptionen exemplarisch veranschaulichen. Dem Duplikationsmodell zufolge bleibt der ethische Gehalt dieses Gebots identisch, gleichgültig, ob es in einem religiösen Kontext für christliche Adressaten oder in einem säkularen Kontext für alle Menschen formuliert wird. Gemäß dem Transformationsmodell ist die Ausweitung des Adressatenkreises, der sich das Gebot zu eigen machen soll, jedoch keineswegs irrelevant für den (in diesem Fall normativen) Gehalt des Gebots, da sich mit dieser Ausweitung möglicherweise zugleich auch die intrinsische Begründung der Vorschrift ändert: Ob jemand das Gebot befolgt, weil er sein Leben in der Nachfolge Jesu Christi führen will, oder ob er es befolgt, weil er von der universellen moralischen Gültigkeit dieser Vorschrift überzeugt ist, macht nach dieser Lesart durchaus einen signifikanten Unterschied aus. Dem Modell der partiellen Traduktion zufolge ließe sich das allgemeine Gebot der 602

Siehe dazu Barth 2013.

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Nächstenliebe durchaus als eine ethische Position reformulieren, die mit vernünftigen Gründen zu unterstützen wäre, während der spezifische Kontext, innerhalb dessen das Gebot in der christlichen Überlieferung ausgesprochen wird, zu den rational nicht universalisierbaren Elementen des religiösen Sprachcodes gehört. Welche der drei Übersetzungskonzeptionen für Habermas’ religiös-säkulares Kooperationsmodell ausschlaggebend ist, hat gravierenden Einfluss auf die generelle postmetaphysische Beschreibung des Verhältnisses von säkularer Vernunft und Religion(en). Zugleich weist die Problematik einer rationalen Reformulierbarkeit religiöser Aussagen aber auch weit in die Philosophiegeschichte zurück, etwa in spätmittelalterliche Debatten um die Möglichkeit einer duplex veritas, in denen um die angemessene Bestimmung des Verhältnisses von philosophisch-theologischer und biblischer Wahrheit gerungen wurde. 603 In der internen Entwicklung von Habermas’ Philosophie ist tendenziell eine Akzentverschiebung von einer am Transformationsmodell orientierten Übersetzungsvorstellung religiöser in allgemeinrationale Gehalte zu einer eher dem Duplikationsgedanken bzw. der Konzeption einer partiellen Traduktion verpflichteten Position hinsichtlich des Dialogs von säkularer Vernunft und Religion festzustellen. In diesem Sinne lassen sich Aussagen Habermas’ wie diejenigen deuten, dass eben dieser Dialog »kein Nullsummenspiel« darstelle, denn, so Habermas: »Was der eine gewinnt, muß dem anderen nicht verlorengehen.« 604 Sätze wie dieser scheinen dafür zu sprechen, dass die Übertragung von in einem religiösen Kontext formulierten Ansichten in einen säkularen, rein-rationalen Kontext (von SC-r in SC-s) die religiöse Ursprungsaussage nicht in der Weise transformiert, dass sie im Zuge ihrer rationalen Transformation überflüssig würde. Durch die verallgemeinernde Rationalisierung eines religiösen Gedankens scheint sich vielmehr – anders, als dies Habermas in den einschlägigen, von Weber inspirierten Ausführungen der Theorie des kommunikativen Handelns 605 noch beschrieben hatte – die religiös-sakrale Einbettung desselben Gedankens keineswegs zu erübrigen. Darüber hinaus kann die säkulare Vernunft ganz im Sinne des Modells partieller Traduktion im Hinblick auf zahlreiche religiöse 603 604 605

Siehe dazu auch Kap. I.2 des Dritten Teils der vorliegenden Untersuchung. J. Habermas: »Einleitung«. In: Ders.: Kritik der Vernunft, op. cit., S. 30. Siehe Habermas 1981, Bd. 1, S. 225–368, Bd. 2, S. 447–488.

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Überzeugungen allenfalls konstatieren, dass diese aufgrund ihrer Verwurzelung in unantastbaren Offenbarungszeugnissen einer diskursiven Reformulierung per se unzugänglich bleiben müssen. Habermas hat selbst darauf aufmerksam gemacht, dass sich die ›Versprachlichung des Sakralen‹ »bisher innerhalb religiöser Lehren« 606 vollzogen habe, nun aber, sofern der Prozess der rationalen Freisetzung religiöser Intuitionen eine Fortsetzung unter nachmetaphysischen Bedingungen finden sollte, durch die Philosophie »von außen« 607 geleistet werden müsse. Doch es ist fraglich, ob sich der Prozess einer Versprachlichung des Sakralen überhaupt jemals so abgespielt hat, wie es Habermas auf der Folie eines grundsätzlich linearen Fortschrittsmodells (unabhängig davon, ob die einzelnen Etappen einander sukzessiv ablösen oder ob sie kumulativ aufeinander aufbauen) skizziert. Religiöse Praxis, wie sie sich in Kulten, Riten, Feiern, Gebeten, frommen Handlungen etc. manifestiert, hat sich in ihrem handlungspraktischen Eigensinn noch niemals in rationale Kommunikation übersetzen lassen. Wo sich – wie etwa im Christentum – ein ambitionierter theologischer Diskurs zur Deutung und Vermittlung von Glaubensinhalten entwickelte, löste dieser die in Ritus und Glaubenspraxis gelebte Religiosität keineswegs ab, sondern er bildete eine eigenständige, nur indirekt auf die gelebte religiöse Praxis bezogene Sphäre des Glaubens aus. An zahlreichen Bruch- und Nahtstellen der Geschichte des Christentums lässt sich die Diskussion um den Primat der religiösen Praxis oder aber der theologischen Dogmatik als ein letztlich auf den Kern des Christlichen, dessen, was Jesus Christus bedeutete, bezogener Konflikt nachvollziehen. Noch in der jüngeren Gegenwart der katholischen Kirche spiegelte sich in der Wende vom theologisch prononçierten, die Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Vernunft aufwerfenden Pontifikat Benedikts XVI. zum Pontifikat Franziskus’, der die Ausrichtung seines Amtes mit einem stärker sozialpolitisch konturierten Profil versah, der alte Grundlagenstreit zwischen dem gelebtem ›praktischen‹ Glauben in der Nachfolge Christi, der sich in tätiger Nächstenliebe und zeichenhafter Präsenz artikuliert, und der gelehrten Dignität der kirchlichen Lehre wider, die sich im ehrwürdigen Medium der Tradition behauptet.

606 607

J. Habermas: »Einleitung«. In: Ders.: Kritik der Vernunft, op. cit., S. 17. Ebd.

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2.2

Gemeinsame Quellen des Glaubens und des Wissens in den Lesarten von Habermas und Derrida

Auch wenn in Habermas’ philosophischer Entwicklung durchaus ein Wandel in der generellen Einschätzung von Religion sowie des Verhältnisses von Philosophie und Religion festzustellen ist – ein Wandel, der sich als eine Modifikation der Modernisierungsthese im Übergang zu einem postsäkularen Bewusstsein charakterisieren lässt –, so ist doch bereits sehr früh in Habermas’ Äußerungen über Religion eine Sensibilität für die unüberschreitbare Grenzlinie festzustellen, welche philosophische und religiöse Einstellungen voneinander trennt. Schon in dem erstmals 1971 publizierten Aufsatz »Wozu noch Philosophie?« 608 geht Habermas in einem historischen Abriss auf die divergierenden Funktionen ein, die Philosophie und Religion seit der Spätantike – nicht zuletzt veranlasst durch wechselseitige Funktionszuschreibungen – in Europa jeweils eingenommen haben. Das von Habermas wahrgenommene Spektrum philosophischer Einstellungen umfasst sowohl radikale Religionskritik und Indifferenz gegenüber der Religion als auch Identifikationsversuche philosophischer Erkenntnis mit religiöser Offenbarung. 609 Doch im Kern, so Habermas’ schon in diesem Kontext geäußerte Überzeugung, habe die Philosophie sich niemals an die Stelle des religiösen Glaubens im Hinblick auf dessen originären Heilsanspruch setzen wollen; vielmehr sei selbst dort, wo sich die Philosophie als Vorbereitung auf den je eigenen Tod verstanden habe, von einer »prinzipiellen Trostlosigkeit des philosophischen Denkens« 610 auszugehen. Eben weil diese auf Adorno zurückweisende Einsicht für Habermas auch weiterhin Gültigkeit besitzt, vermag Religion unter den veränderten Bedingungen der postsäkularen Konstellation als Inspirationsquelle für den säkularen, d. h. für den philosophisch-akademischen, aber auch für den im weiteren Sinne öffentlich-politischen Diskurs zu fungieren. Dadurch, dass Religionen diskursiv nicht einholbare Quellen des Trostes sowie prärationale Modi archaischer Gemeinschaftsstiftung bereit stellen, bleiben sie für die säkulare Philosophie auch dann noch von Interesse, wenn diese nicht mehr – wie 608 J. Habermas: »Wozu noch Philosophie?« In: Ders.: Kritik der Vernunft, op. cit., S. 33–57. 609 Ebd., S. 47. 610 Ebd.

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etwa zu Zeiten des Deutschen Idealismus – von einer vollständigen Transformierbarkeit sakraler in säkulare Kommunikationsformen ausgehen kann. Erneut stellt sich in diesem Zusammenhang das Problem der Grenze, die rationalisierungsfähige von nicht-rationalisierungsfähigen religiösen Aussagen unterscheiden soll. Einerseits muss es sich hierbei um eine absolute, unüberschreitbare Trennlinie handeln, da die letzten Fundamente göttlicher Offenbarung niemals in einem rationalen Diskurs ausgesprochen werden können. Andererseits aber muss die Grenze doch ein Mindestmaß an Flexibilität beinhalten, um Übersetzungsprozesse von der religiösen in die säkulare Sprache überhaupt möglich zu machen. Der philosophischen Seite mutet Habermas in diesem Zusammenhang die bereits skizzierte, letztlich paradoxe Einstellung einer agnostischen Lernbereitschaft zu, also einer Bereitschaft, von der Religion etwas erfahren zu wollen, das die Philosophie, nähme sie ihren selbst verordneten Agnostizimus ernst, eigentlich überhaupt nicht erfahren könnte oder dürfte. Sie muss in der konkreten Begegnung mit religiösen Positionen somit ständig einen heiklen Balanceakt zwischen ihrer Enthaltsamkeit in religiösen Wahrheitsfragen und ihrem gleichwohl bestehenden Interesse an religiösen Gehalten vollziehen. Religion und Philosophie vermögen unter nachmetaphysischen Bedingungen überhaupt nur deswegen in einen erneuten (wie man angesichts der jahrhundertelangen ›metaphysischen‹ Beziehungen zwischen Religion und Vernunft sagen muss) Dialog miteinander zu treten, weil die Religion erst durch ihre reflexive Binnenmodernisierung dialog-fähig und die Philosophie erst durch die Reflexion auf die Defizite einer verabsolutierten Säkularität dialog-interessiert geworden ist. Erst auf den zweiten Blick wird die paradoxe Asymmetrie deutlich erkennbar, welche die Beziehung dieser beiden ungleichen Dialogpartner charakterisiert: Die Lernprozesse, welche das religiöse und das säkulare Bewusstsein seit dem Beginn der Moderne durchlaufen haben, sind nämlich keineswegs komplementär, sondern sie konvergieren bloß mehr oder weniger zufällig in einem bestimmten historischen Moment miteinander, auf den Habermas mit der Zustandsbeschreibung postsäkularer Mentalität abzielt. Eine weitere Fortschreibung der jeweiligen ›Lernprozesse‹ des religiösen und des säkularen Bewusstseins müsste konsequenterweise dazu führen, dass dasjenige, was das (post-)säkulare Bewusstsein an der Religion interessiert, zugleich dasjenige ist, was im Zuge des religionsinternen Lernprozesses allmählich verloren geht. Durch ihre interne Moderni353 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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sierung entledigt sich Religion sukzessive derjenigen Momente, die sich ihrer Modernisierung verweigern müssten, um weiterhin als Ressourcen prärationaler Sozialisierung zur Verfügung zu stehen. Die religionsinterne Modernisierung muss also an einem bestimmten, nicht genauer zu definierenden Punkt stehen bleiben, sofern eine Religion nicht ihre eigenen Existenzgrundlagen zerstören will. Habermas’ Hoffnung bezieht sich offensichtlich darauf, dass auch nach der erfolgten Binnenmodernisierung einer Religion diese noch genügend semantische Potentiale in sich birgt, die von einem aufgeschlossenen philosophischen Denken aufgegriffen und versprachlicht werden können. Aber warum und wie, so wäre zu fragen, sollte der Philosophie eine Versprachlichung religiöser Gehalte gelingen, die nicht bereits durch den religionsinternen Diskurs selbst geleistet worden wäre? Hätte dies wiederum nicht zur Konsequenz, dass der eigentliche Dialogpartner des nachmetaphysischen Denkens niemals ›die Religion selbst‹, sondern stets nur ein rationaler religiöser Binnendiskurs, etwa die Theologie, sein könnte? Oder müsste man vielmehr zu der Schlussfolgerung gelangen, dass die in der Religion angeblich aufbewahrten Sinnressourcen vom postsäkularen Denken überhaupt nicht angezapft werden können, weil sie per definitionem auf einer Ebene liegen, die von einem rationalen Diskurs, sei er theologisch oder philosophisch, überhaupt nicht erreicht werden kann? Dieses Dilemma ließe sich auflösen oder zumindest abschwächen, wenn man die Grenze zwischen Glauben und Wissen nicht so strikt und unüberschreitbar zöge, wie dies Habermas postuliert, um sodann die erfolgte Grenzziehung mit der parallelen Forderung nach produktiven Dialogen zwischen Philosophie und Religion wieder zu unterlaufen. 611 Eine unüberwindliche Limitation zwischen Religion und Philosophie ließe sich allenfalls bezogen auf die radikalen Positionen eines anti- bzw. irrationalen Glaubensfanatismus und eines antireligiösen Szientismus begründen, zwischen denen tatsächlich kein Dialog möglich ist, weil eine von beiden Seiten akzeptierte Verständigungsbasis fehlt. Von diesen radikalisierten Positionen aus sind aber ebenso wenig komplementäre Lernprozesse denkbar, durch die sich die beiden getrennten Bereiche der Religion und der säkularen Vernunft einander wieder zuwenden könnten, um im wechselseitigen 611 Siehe dazu auch M. Reder: »Wie weit können Glaube und Vernunft unterschieden werden? Religionsphilosophische und ethische Anmerkungen«. In: Reder/Schmidt 2008, S. 51–68.

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Dialog Verständigungshorizonte auszuloten. Vielmehr muss man innerhalb beider Sphären, der Religion ebenso wie der säkularen Vernunft, von divergierenden Strömungen ausgehen, von denen einige bewusste oder unbewusste Affinitäten zur jeweils anderen Sphäre aufweisen, die einem Dialog vorausgehen und ihn allererst ermöglichen. Die unter einem bestimmten modernisierungstheoretischen Blickwinkel als ›Lernprozess‹ zu charakterisierende Selbstreflexion einer Religion in Bezug auf ihre Positionierung zur säkularen Vernunft lässt sich daher auch nicht auf eine Religionsgemeinschaft insgesamt beziehen, sondern sie betrifft stets ›nur‹ bestimmte Strömungen innerhalb einer Religion. Und auch bezogen auf die Philosophie ist es sicherlich nicht zutreffend, einen allgemeinen Lernprozess ›der‹ säkularen Vernunft insgesamt anzunehmen, der sie von einer rein nachmetaphysischen zu einer postmetaphysisch-postsäkularen Verfasstheit transformiert hätte oder jemals transformieren könnte. Stattdessen sind es auch innerhalb der Philosophie bzw. innerhalb des über die Philosophie hinausgehenden Feldes der säkularen Vernunft stets nur bestimmte Strömungen und einzelne Positionen innerhalb dieser, die überhaupt eine Grenzreflexion auf die potentiellen Defizite einer verabsolutierten, etwa naturalistisch verengten Rationalität nahe legen und von einer solchen Reflexion aus eventuell das Gespräch mit religiösen Positionen erforderlich zu machen scheinen. Es zeigt sich somit, dass das Habermas’sche Modell einer Kooperation wechselseitig lernbereiter religiöser und säkularer Positionen in einigen Punkten modifiziert werden müsste, um als normative Richtschnur religiös-säkularer Dialoge fungieren zu können. Insbesondere die Vorstellung komplementärer Lernprozesse getrennter Sphären ist dahingehend zu korrigieren, dass es derartige Entwicklungen allenfalls in religiösen und philosophischen Teilbereichen gibt, für welche eine absolute Trennung von Spiritualität und Rationalität aber gerade nicht kennzeichnend ist; denn wäre sie dies, so gäbe es für keine der beiden Seiten einen Grund oder ein Motiv, überhaupt in einen Dialog einzutreten. Im Hinblick auf die historische Genealogie der Moderne konzediert Habermas hingegen durchaus enge Verflechtungen und sogar gemeinsame Ursprünge von Religion und säkularer Vernunft: »Sowohl Glaube wie Wissen gehören zur Genealogie des nachmetaphysischen Denkens, und das heißt: zur Geschichte der Vernunft.« 612 612

J. Habermas: »Replik auf Einwände, Reaktion auf Anregungen«, a. a. O., S. 367.

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Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

Schließlich waren es die Weltreligionen selbst (wobei Habermas hier ausschließlich die monotheistische, jüdisch-christliche Tradition im Auge hat), die die »Entweihung des Sakralen« 613 inauguriert haben, indem sie »die Magie entzaubert, den Mythos überwunden, das Opfer sublimiert und das Geheimnis gelüftet haben.« 614 So scheint es geradezu, als setze die Philosophie bzw. die säkulare Vernunft nur das fort, was sich an interner Rationalisierung und Kritik bereits in den Weltreligionen selbst findet, sofern man diese in einen Gegensatz zu vorachsenzeitlichen, archaischen, ›irrationalen‹ Riten bringt. Aber der komprehensive, ja holistische Vernunftbegriff, den Habermas bei der letztlich nur angedeuteten Rekonstruktion dieser gemeinsamen Geschichte von Glauben und Wissen in Anschlag bringt, scheint sich in der nachmetaphysisch-postsäkularen Gegenwart längst zu Gunsten einer unheilbar ausdifferenzierten Gliederung in autonome Teilbereiche aufgelöst zu haben. Nur retrospektiv und nicht ohne einen hohen spekulativen Deutungsanteil kann möglicherweise eingesehen werden, dass die objektiven Wissenschaften letztlich keiner anderen Vernunft entstammen als die Weltreligionen, deren achsenzeitliches Aufkommen erst jene rationale Selbstbesinnung der Menschheit auf den Weg gebracht hat, von der, ohne dass er es wüsste, auch noch der zeitgenössische Szientismus zehrt. 615 So ist es in Habermas’ Lesart primär der Rückblick auf eine mögliche gemeinsame Ursprungsgeschichte von Glauben und Wissen – im Sinne von »komplementären Gestalten des Geistes«, die »aus dem kognitiven Schub der Achsenzeit« 616 hervorgegangen sind –, der einen zeitgenössischen Dialog nunmehr getrennter Sphären fundieren könnte. Ausdrücklich bezieht sich Habermas bei der Konturierung dieses Programms auf »die Kantische Denkungsart« 617, die mit »einer Hegelschen Fragestellung« 618 verknüpft werden soll. Die Aufgabe einer genealogischen Rekonstruktion der gemeinsamen Ursprünge von Glauben und WisDers: »Glauben und Wissen. Friedenspreisrede 2001«, a. a. O., S. 261. Ebd. 615 Vgl. dazu J. Habermas: »Religion in der Öffentlichkeit«, a. a. O., S. 297. 616 Ders.: »Replik auf Einwände, Reaktion auf Anregungen«, a. a. O., S. 367. 617 Ebd. 618 Ebd. – An anderer Stelle charakterisiert Habermas die Religionsphilosophien Kants und Hegels folgendermaßen: »Kant beantwortet mit seinem Konzept der reinen Vernunftreligion Fragen, die seine Moralphilosophie offenläßt. Und Hegel öffnet, indem er die Religion als eine Gestalt des absoluten Geistes begreift, der Philosophie die Augen für die Herkunft ihrer eigenen, auf den Begriff gebrachten religiösen Inhalte.« (J. Habermas: »Einleitung«. In: Ders.: Kritik der Vernunft, op. cit., S. 27. 613 614

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sen, die sich als ein hegelsches Motiv deuten lässt, zielt letztlich darauf ab, der Religion im philosophischen Dialog kognitive, insbesondere auf moralische und ethische Fragestellungen bezogene Gehalte abzugewinnen, was den religionsphilosophischen Intentionen Kants durchaus entspricht. Dessen rationale Herleitung der Religion aus der Moral über die Gedankenfigur des höchsten Gutes kann und will sich Habermas freilich um keinen Preis zu eigen machen, weil er die starken metaphysischen Implikationen dieser Argumentation prinzipiell ablehnt. 619 Betrachtet man das doppelte, von Habermas selbst eher postulierte denn eingelöste Desiderat 620 einer historischen Genealogie von Glauben und Wissen sowie künftiger Übersetzungen religiöser Intuitionen in philosophische Begriffe als innovatives Element des Habermas’schen Spätwerks, das Anknüpfungspunkte auch für eine interkulturell ausgerichtete Religionsphilosophie, wenngleich aus agnostischer Außenperspektive, bietet, so ist gleichwohl nicht zu verkennen, dass sich auch dieser Positionswechsel unter den unveränderten Vorzeichen eines impliziten Fortschrittsdiskurses vollzogen hat. Dieser kann offensichtlich nicht umhin, die Rationalisierung und Versprachlichung religiöser Komponenten stets als eine Befreiung bzw. als eine »reflexive Verflüssigung, Sublimierung und Verschiebung semantischer Potentiale ursprünglich ritueller Herkunft« 621 zu interpretieren. Dahinter scheint nach wie vor die kulturevolutionistische Vorstellung zu stehen, dass in den Religionen archaische rituelle und mythologische Kräfte weiterwirken, die einerseits nur darauf warten, von einem vernünftigen Diskurs aus ihrer rituellen Einkapselung befreit und in rationale Kommunikation übersetzt zu werden, die andererseits aber – und hierin besteht die entscheidende Modifikation gegenüber dem früheren, an Weber orientierten Modernisierungsmodell der Habermas’schen Religionsdeutung – von der säku619 Zu Defiziten der Habermasschen Kant-Rezeption in Bezug auf die Idee des höchsten Gutes siehe Barth 2013, S. 136: »Alle an Habermas’ Kant-Interpretationen aufgedeckten Defizite kommen darin überein, dass Kants Begriff des höchsten Gutes entweder verzeichnet oder unterbelichtet ist, zum einen hinsichtlich der methodischen Stellung der ›Dialektik‹ als Expositionsebene, zum anderen nach der systematischen Funktion für das Ganze der Ethik und schließlich im Blick auf dessen teleologische Struktur als Prinzip der Geschichtsphilosophie. Damit aber verliert die auf allen drei Momenten aufruhende Religionsphilosophie ihr inneres Fundament.« 620 Siehe dazu J. Habermas: »Versprachlichung des Sakralen«, a. a. O., S. 16. 621 Ebd.

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laren Vernunft niemals in toto angeeignet zu werden vermögen und auf einer subkutanen sozialen Ebene weiter bestehen. Die Reflexion auf die zeitgenössische Stellung der Philosophie zu den Religionen hat nicht nur Habermas zur Postulierung einer gemeinsamen Genealogie von Glauben und Wissen angeregt. Von den fundamental anders gearteten Prämissen dekonstruierenden Denkens, Lesens und Schreibens ausgehend, ist auch Jacques Derrida in mehreren Schriften, die sich mit Phänomenen der Religion sowie der apophatischen Sprache negativer Theologie auseinander setzen, zu vorsichtig tastenden Ansätzen gelangt, die sich gleichfalls im Kontext der Suche nach gemeinsamen Ursprüngen und Quellen von Vernunft und Glauben/Religion situieren. 622 Unter diesen Schriften sticht die Abhandlung Foi et savoir (Les deux sources de la ›religion‹ aux limites de la simple raison) besonders heraus, weil in ihr die Frage nach der Herkunft, der Gegenwart und der Zukunft des Religiösen explizit aufgeworfen und philosophisch umkreist wird. Der religiöse Glaube wird dabei sowohl im Gegensatz als auch in seiner muliplen und komplexen Verbindung zur Sphäre des Wissens betrachtet, zu welcher auch die Aspekte der Wissenschaftstechnik etwa in Form der zeitgenössischen Kommunikationstechnologien, der universellen Berechenbarkeit und des Maschinellen zählen. 623 Die mannigfaltigen Annäherungen an das ›Wesen‹ bzw. an den ›Zustand‹ der Religion, die Derrida in den 52 Abschnitten von Foi et savoir unternimmt, machen deutlich, dass die Frage nach der Religion offensichtlich in einen Bereich hineinweist, welcher der Unterscheidung von Glauben und Wissen, Religion und (säkularer) Vernunft noch vorausliegt, weil er auf elementaren Grunderfahrungen des Vertrauens sowie des Unversehrten basiert. Das abstrahierende Nachdenken über ›Religion‹ führt Derrida zufolge überdies auf das Phänomen und den Begriff des Anderen, weil es gemäß einer vorläufigen Definition von Religion, die gleichsam das Minimum dessen formuliert, was vom Wesen der Re622 Zur prinzipiellen Einordnung der religionsphilosophischen Beiträge Derridas siehe E. T. Armour: »Thinking Otherwise: Derrida’s Contribution to Philosophy of Religion«. In: Contentinental Philosophy of Religion. Hrsg. v. M. Joy. Dordrecht/ Heidelberg/London/New York 2011, S. 39–60; sowie K. Hart: »Les philosophies de la religion de Jacques Derrida«. In: Derrida pour les temps à venir. Hrsg. v. R. Major. Paris 2007, S. 159–179. L. Nagl (Hrsg.): Essays zu Jacques Derrida und Gianni Vattimo, Religion. Frankfurt a. M. 2001. 623 J. Derrida: Foi et savoir, op. cit., Nr. 44, S. 83 (dt. Übers.: »Glaube und Wissen«, op. cit., S. 89.)

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Die philosophische Herausforderung des Religiösen im postsäkularen Zeitalter

ligion überhaupt wissbar ist, in ihr stets um eine Antwort auf das Gesetz eines bzw. des/der Anderen geht. 624 Die individuelle Zugehörigkeit zu einer Religion stellt deswegen auch nicht das Resultat einer autonomen Wahl des Subjekts dar. Zwar impliziert Religiosität, so Derrida, »Freiheit, Wille und Verantwortung, doch einen Willen und eine Freiheit ohne Autonomie (versuchen wir, dies zu denken!).« 625 Diese Überlegung Derridas lässt sich als eine implizite Kritik an der Religionsauffassung Kants dechiffrieren, deren Grundthematik einer philosophischen Verortung von Religion innerhalb der, oder, wie es bei Derrida heißt, an den Grenzen der bloßen Vernunft die gesamte Abhandlung Foi et savoir durchdringt. 626 Hatte Kant versucht, Religiosität im Anschluss an die Destruktion der rationalen Theologie aus der Autonomie des freien Subjekts qua praktischer Vernunft neu hervorgehen zu lassen, so macht Derrida darauf aufmerksam, dass sich das Subjekt in ein Paradoxon verstrickt, sobald es als autonomes religiös zu werden versucht; denn Religiosität besagt gerade, die Selbstgesetzgebung zu Gunsten der Bindung an das Gesetz eines Anderen (Gottes), dem sich das Subjekt aus freien Stücken unterwirft, aufzugeben. Innerhalb der kantischen Konzeption konnte dieses Paradoxon scheinbar dadurch aufgelöst werden, dass die reine Vernunft als das Medium subjektiver Autonomie par excellence in ihrem Inbegriff letztlich nichts anderes bedeutete als die personifizierte Idee eines Weltgesetzgebers und Weltenrichters. Doch ebenso wenig wie Habermas kann sich Derrida den umfassenden transzendentalen Vernunftbegriff Kants noch zu eigen machen. Der philosophischen Reflexion muss es unter diesen Voraussetzungen umso schwerer fallen, die Berührungspunkte des Religiösen mit der Sphäre des rationalen Diskurses präzise zu bestimmen. Um die aus philosophischer Sicht entscheidenden Züge der Religion ›an den Grenzen der bloßen Vernunft‹ herausarbeiten zu können, spielt Derrida verschiedene Möglichkeiten der Annäherung an das PhänoEbd., Nr. 33, S. 53 f. (dt. Übers.: S. 57.) Ebd. 626 Die Anknüpfung an die kantische Fragestellung der ›Religionsschrift‹ wird an mehreren Stellen in Foi et savoir explizit. Vgl. etwa ebd., Nr. 12, S. 17 f. (dt. Übers.: S. 19): »Wie steht es heute um diesen Kantischen Gestus? Wie würde heutzutage ein Buch aussehen, das, wie jenes von Kant, den Titel Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft tragen würde?« – Siehe dazu auch E. N. Miller: Kantian Transpositions: Derrida and the Philosophy of Religion. Evanston 2014. 624 625

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men des Religiösen durch: ethymologische, an den Semantiken von relegere (sammeln, auflesen) und religare (binden, verbinden) orientierte Zugänge, Überlegungen zu historischen und institutionellen Wandlungen der Wortbedeutungen, Analysen der pragmatischen und funktionalen, auch politischen Wirkungen. 627 Nur angedeutet wird in diesem Kontext die komplexe Aufgabe, Religion von verwandten Begriffen wie Glauben, Frömmigkeit, Kult, Theologie etc. trennscharf abzugrenzen. 628 Derrida kommt es primär auf die Kennzeichnung der beiden aus seiner Sicht fundamentalen »Stämme oder zwei Quellen des Religiösen« 629 an, denen geradezu ein »transzendentales Privileg« 630 zugeschrieben wird: »1) die Erfahrung des Vertrauens auf der einen Seite (Glauben, Kredit, das Treuhänderische oder das Zuverlässige im Akt der Glaubensbezeugung, die Treue, die Anrufung eines blinden Vertrauens, das Bezeugende, als Zeugnis Dienende, stets jenseits des Beweises, der nachweisenden Vernunft, der Anschauung) und 2) die Erfahrung des Heilen, Unversehrten, Geborgenen, der Sakralität oder der Heiligkeit auf der anderen Seite.« 631

Beide »Adern« (veines) 632 des Religiösen treten zwar in vielfacher Weise vermischt innerhalb empirischer Religionsgemeinschaften auf; gleichwohl handelt es sich um phänomenal deutlich unterscheidbare Grunderfahrungen, die Derrida zufolge irreduzibel sind. 633 Eine ähnliche, möglicherweise sogar dieselbe Differenz am Ursprung des Religiösen wird in der 1999 erschienen Abhandlung Donner la mort 634, in der sich Derrida unter anderem mit Jan Patočkas Essais hérétiques sur la philosophie de l’histoire 635 auseinandersetzt, als Unterscheidung zwischen dem Dämonisch-Sakralen einerseits und der subjektiven Verantwortlichkeit andererseits namhaft gemacht. 636 Auch hier J. Derrida: Foi et savoir, op. cit., Nr. 33, S. 54 f. (dt. Übers.: S. 57 f.). Ebd., S. 55 (dt. Übers.: S. 59). 629 Ebd., Nr. 32, S. 52 (dt. Übers.: S. 56). 630 Ebd., Nr. 33, S. 55 (dt. Übers.: S. 59). 631 Ebd., Nr. 32, S. 52 (dt. Übers.: S. 55 f.). 632 Ebd., S. 52 (dt. Übers.: S. 56). 633 Vgl. ebd., Nr. 34, S. 56 (dt. Übers.: S. 59): »Ce sont là deux sources ou deux foyers distincts. La ›religion‹ figure leur ellipse à la fois parce qu’elle comprend les deux foyers mais aussi parfois en tait, de façon justement secrète et réticente, l’irréductible dualité.« 634 J. Derrida: Donner la mort. Paris 1999. 635 J. Patočka: Essais hérétiques sur la philosophie de l’histoire. Paris 1981. 636 Derrida 1999, S. 15 f. 627 628

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steht wiederum die Relation des Ich zum Anderen und seinem Gesetz, das sich in einem frühen religionsgeschichtlichen Stadium als orgiastisches oder dämonisches Mysterium manifestiert, im Mittelpunkt des philosophischen Interesses. Erst in der Auseinandersetzung mit einem zunächst namenlosen Anderen und dessen Ansprüchen vermag sich das Ich überhaupt als verantwortliches Subjekt und damit als soziales und geschichtliches Wesen zu konstituieren. 637 Die Geschichte der Religion(en) impliziert somit zugleich die Genealogie des Ich, das sich im christlichen mysterium tremendum als besondere Person von einem höchsten, absoluten Seienden angeschaut weiß. 638 Die Affinitäten der simultanen Genealogie von Religion und verantwortungsbewusstem Subjekt, die Derrida im Anschluss an Patočka rekonstruiert, zu Habermas’ Theorem einer sukzessiven Versprachlichung des Sakralen liegen auf der Hand. Doch ist dieser Befund sogleich durch den Hinweis einzuschränken, dass Habermas die soziale Gemeinschaft, die sich in Riten, gemeinsamen Praktiken sowie zunehmend durch rationale Kommunikation ihres handlungsermöglichenden Zusammenhalts versichert, a priori voraussetzt, während die von Derrida und Patočka gemeinte Genealogie primär auf den Akt der subjektiven Personwerdung abzielt, auf die Genese eines Individuums, das erst durch den Kontakt mit der absoluten Transzendenz allmählich ein reflexives, verantwortliches Verhältnis zu sich selbst und damit auch zum Anderen entwickeln kann. Ist die Schwerpunktsetzung hinsichtlich des Primats des individuellen Subjekts oder aber der Kategorie des Sozialen jeweils eine andere, so teilt doch Habermas mit Derrida offenbar die Auffassung, dass der gemeinsame Ursprung von Religion und Vernunft letztlich in einer qualitativ erhöhten Sensibilität für die Ansprüche ›des Anderen‹ – wobei die konkrete Manifestation dieses Anderen noch unbestimmt gelassen werden muss – beruht. Derridas Denkbewegungen wagen sich jedoch insofern näher als die habermasschen an die flexible Grenze zwischen Vernunft und Religion heran, als Derrida die Beziehungen zwischen Glauben und Wissen nicht primär gattungs- oder vernunftgeschichtlich rekonstuiert, sondern gleichsam transzendentalphilosophisch auf ihre strukturellen Ausgangsbedingungen hin befragt: So ist die Grunderfahrung des Glaubens/Vertrauens auf einen Anderen/eine Andere/ein 637 638

Ebd., S. 17 ff. Ebd., S. 21.

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Anderes, die Derrida als eine der beiden Quellen des Religiösen herausstellt, letztlich gar kein genuin religiöses Spezifikum, sondern eine essentielle Grunderfahrung, ohne die keinerlei Bezugnahme des/der Einen auf den/die/das Andere statthaben könnte, ohne die jegliche Kommunikation und Diskursivität unmöglich wären, da schließlich jeder Sprechakt den impliziten Anspruch, von einem Anderen gehört zu werden, mit sich führt. Man könnte daher bezogen auf Derridas philosophische Überlegungen zur Religion versucht sein, in Umkehrung des habermasschen Theorems von einer ›Sakralisierung des Sprachlichen‹ auszugehen. Jenes Band, das Menschen miteinander verbindet, die vertrauende Bezugnahme des/der Einen auf der/die/das Andere in Erwartung einer Antwort, die sich in alltäglichen Gesprächen ebenso wie in der Partizipation an digitalen sozialen Netzwerken manifestiert, ist bereits protoreligiös, zugleich aber in seiner Struktur ursprünglicher als jede singuläre Religionsgemeinschaft, ja als jede soziale Gemeinschaft; »es verbindet bereits reine Besonderheiten, bevor zwischen dem Heiligen (oder Sakralen) und dem Profanen ein Gegensatz besteht.« 639 Die ›Messianizität‹ des elementaren Versprechens, das die Anrede an den Anderen impliziert, geht somit jeglicher Religion voraus; 640 diese partizipiert notwendigerweise an der quasi-transzendentalen, a priorischen Eröffnung eines Zeit-Raumes für das zu-künftige Kommen-lassen des Anderen, 641 auf die auch Rationalität und Diskursivität angewiesen sind. Insofern ist mit dem messianischen Versprechen, das im glaubenden Vertrauen auf den Anderen liegt, im Kredit, dem ich ihm/ihr je schon eingeräumt habe, damit Begegnung überhaupt möglich sei, eine Art gemeinsamer Fluchtpunkt von Glauben und Wissen, Rationalität und Religiosität, gefunden. Die andere der beiden von Derrida unterschiedenen Quellen des Religiösen, die Erfahrung der Unversehrtheit, des Heilen und GeborDerrida: Foi et savoir, op. cit., Nr. 20, S. 29 (dt. Übers.: S. 31). Ebd., Nr. 38, S. 72 (dt. Übers.: S. 77): »Nul à-venir sans quelque mémoire et quelque promesse messianiques, d’une messianicité plus vieille que toute religion, plus originaire que tout messianisme.« 641 Siehe dazu Armour 2011, S. 48: »This openness is both temporal and spatial; that is, while the call announces itself in a particular time and place, it arises out of abyssal structures that give time and place.« Das der jüdisch-christlichen Tradition entstammende ›Messianische‹ repräsentiert insbesondere die zeitliche Dimension, während die räumliche Dimension von Derrida gelegentlich mit dem platonischen Terminus khora bezeichnet wird. Vgl. dazu Derrida: Foi et savoir, op. cit., Nr. 24 & 25, S. 34 ff. (dt. Übers.: S. 36 ff.). 639 640

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genen, scheint sich einer rationalisierenden Vereinnahmung ebenso radikal zu entziehen wie jene Chora, als die Derrida den Ort jenseits aller Gegensätze im Rückgriff auf den Platonischen Timaios gelegentlich bezeichnet und die sich gerade durch ihre absolute Heterogenität gegenüber allem Heiligen auszeichnet. 642 Philosophische Erkenntnis, die sich darum bemüht, dem sakralen Ursprung der Religion nachzuforschen, sieht sich alsbald mit dem Widerspruch konfrontiert, die authentische Wahrheit des Religiösen, die sie auszusprechen versucht, eben durch ihr Aussprechen unaufhaltsam zu dekonstruieren. Vor diesem Paradoxon steht freilich auch die interpretierende Übersetzung heiliger Texte, die zwar vielfach nach einer Übertragung ihres Gesagten in eine andere Sprache zu verlangen scheinen, dadurch aber gerade die genuine Ereignisqualität des originär religiös/ transzendent/sakral beglaubigten Sagens zu verlieren drohen. 643 Vor diesem Hintergrund erklärt sich etwa auch die vorgebliche Unübersetzbarkeit des Korans aus islamischer Sicht. Im Kern geht es bei der von Derrida aufgeworfenen Problematik des unversehrten Sakralen um die Frage, wie sich – zunächst spezifisch auf das Christentum bezogen – das Licht der Offenbarung (Johannes 8,12: »Ich bin das Licht der Welt«) zum Licht der Vernunft verhält, das seit der Aufklärung (Lumières) für sich in Anspruch nimmt, die gesamte Welt zu erhellen. 644 Spinnt man diese zweifache Lichtmetaphorik weiter, so ließe sich fragen: Was geschieht, wenn sich beide Lichtquellen überlagern? Kommt es zu einer destruktiven Interferenz, bei der sich beide Lichtstrahlen wechselseitig auslöschen, oder zu einer konstruktiven Interferenz, einer gegenseitigen Verstärkung? – Der Leitgedanke der Aufklärung und noch derjenige Kants war es gewesen, durch die universelle Verbreitung des Lichtes der Erkenntnis, durch ihr Ausstrahlen in eine all-umfassende Öffentlichkeit die (moralische) Essenz des Religiösen zu bewahren und sie von allem nur Statutarisch-Empirischen der historischen Kirche zu reinigen. Nicht umsonst verweist das Attribut der Reinheit, mit dem Kant die transzendentale Vernunftkritik versieht, auf die Unversehrtheit und damit die Quasi-Sakralität eines universell kompetenten Vermögens. Doch muss es fragwürdig bleiben, ob es der Unversehrt-

642 643 644

Siehe ebd., S. 34 (dt. Übers.: S. 36 f.). Vgl. dazu Derrida: »Des tours de Babel«, a. a. O., S. 234 f. Siehe Derrida: Foi et savoir, op. cit., Nr. 8, S. 15 f. (dt. Übers.: S. 16 f.).

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heit einer Religion tatsächlich zuträglich ist, wenn sie in ihrer Gänze dem Licht der Öffentlichkeit ausgesetzt wird. So wesentliche Momente wie das Mysterium, das Numinose, die Erfahrung göttlicher Transzendenz, für die Kants Religionsphilosophie freilich wenig empfänglich war, eignen sich nur schlecht für eine erhellende Aufbereitung im Medium des rationalen Diskurses, sofern sie ihr eigenstes Strahlen bewahren sollen. In diesem Zusammenhang müssen für Derrida auch die Versuche Hegels und Heideggers, sich der Religion philosophisch zu bemächtigen, als höchst problematisch, ja als »Versuchungen« (tentations) 645, erscheinen. Die Wiedergeburt der Religion im Anschluss an die Erfahrung des Todes Gottes, wie sie am Ende von Hegels Abhandlung Glauben und Wissen in der Figur des ›spekulativen Karfreitags‹ skizziert wird, 646 nämlich in der Gestalt absoluten (philosophischen) Wissens, destruiert eben jene Elemente des Religiösen, die sich ihrer begrifflichen Auferstehung gegenüber als resistent erweisen wie etwa der schlichte Glaube, das Gebet, das Opfer usw. Eine derartige ontotheologische Übermächtigung des Religiösen hat Heidegger zwar aus nachvollziehbaren Gründen kritisiert – für Heidegger muss der genuin religiöse Vollzug dem philosophischen Denken ohnedies fremd bleiben –; Heideggers eigener Versuch einer Überwindung der abendländischen Metaphysik hat jedoch letztlich ebenfalls den Charakter einer philosophischen Überbietung der religiösen Erfahrung angenommen, insofern die reine Offenbarkeit des Seyns, das Ereignis der Lichtung des Sichverbergens, aller religiösen Offenbarung vorauszugehen scheint. Für einen christlichen Gläubigen muss dieser Gedanke als eine neopagane Verdrehung der wahren Verhältnisse erscheinen, denen zufolge doch erst die Offenbarung Gottes die Offenbarkeit von Seiendem überhaupt, ja noch das Ereignis des Seyns selbst verbürgt. 647 Gleichwohl ließe sich, so Derrida, auch Heideggers Ansatz noch als ein Rettungsversuch der Erfahrung des Heiligen interpretieren, der in der Tradition einer Unterscheidung zwischen Theo-logie, dem Diskurs über Gott und seine Offenbarung, und Theio-logie, dem Diskurs über das göttliche Sein, steht, wie sie etwa

Ebd., Nr. 18, S. 26 (dt. Übers.: S. 27). G. W. F. Hegel: »Glauben und Wissen«, a. a. O., S. 432 f. – Vgl. dazu Derrida: Foi et savoir, op. cit., Nr. 18, S. 26 ff. (dt. Übers.: S. 27 ff.). 647 Vgl. ebd., Nr. 19, S. 28 (dt. Übers.: S. 29 f.). 645 646

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auch Levinas’ Differenzierung zwischen griechisch-christlichem Sakralen und der Heiligkeit des jüdischen Gesetzes reflektiert. 648 Die Problematik eines Diskurses, der sich von der religiösen Tradition gerade deswegen abstößt, um das Wahrheitsmoment einer Religion umso authentischer zu ergreifen, stellt sich jedoch nicht nur im Hinblick auf die ›äußerlichen‹ philosophischen Reflexionen über eine Religion, sondern vielfach bereits im Innern einer jeweiligen Religion selbst. Dies betrifft in der christlichen Tradition vor allem das Phänomen der apophatischen, negativ-theologischen Rede, mit der sich Derrida in Abhandlungen wie Comment ne pas parler. Dénégations 649, Passions. »L’offrande oblique« 650 und Sauf le nom 651 eingehend auseinander gesetzt hat – nicht zuletzt auch, um den Diskurs der Dekonstruktion von der negativen Theologie präziser abzugrenzen. 652 Einerseits schreibt sich der Diskurs der Mystik und negativen Theologie explizit in die Geschichte und Ontotheologie des ChristenEbd., Nr. 18, S. 26 f. (dt. Übers.: S. 28). J. Derrida: Comment ne pas parler. Dénégations. In: Ders.: Psyché. Inventions de l’autre. Paris 1987, S. 535–595 (dt. Übers.: Wie nicht sprechen. Verneinungen. Wien 2006). 650 J. Derrida: Passions. »L’offrande oblique«. Paris 1993 (dt. Übers. in: Ders.: Über den Namen. Drei Essays. Wien 2000, S. 15–62). 651 J. Derrida: Sauf le nom. Paris 1993 (dt. Übers.: »Außer dem Namen«. In: Ders.: Über den Namen, op. cit., S. 63–121. – Siehe dazu auch M. Wirtz: »Das Göttliche (Ver-)Sprechen. Hinweise auf Sagbarkeitsspielräume von Ungesagtem und Unsagbarem – vom Neuplatonismus bis zur Dekonstruktion Derridas.« In: Religion und Philosophie im Widerstreit? Hrsg. v. C. Bickmann, M. Wirtz u. H.-J. Scheidgen. Nordhausen 2008, S. 849–877. 652 Vgl. ders.: Comment ne pas parler, a. a. O., S. 541: »[…] j’hésiterais à inscrire ce que j’avance sous le titre courant de la théologie négative, précisement en raison de cette surenchère ontologique de l’hyper-essentialité qu’on trouve à l’oeuvre aussi bien chez Denys que, par exemple, cher Maître Eckart […].« In diesem Zusammenhang thematisiert Derrida auch den paradoxal anmutenden Versuch, den apophatischen Diskurs für einen indirekten Gottesbeweis zu nutzen (ebd., S. 538 f.). Demzufolge wäre in einer übersteigernden Umkehrung der negativ-theologischen Hypothese, dass nur verneinend über Gott gesprochen werden könne, jegliche Negation und Negativität ihrerseits bereits ein Ausfluss des Göttlichen. »Le nom de Dieu serait alors l’effet hyperbolique de cette négativité ou de toute négativité conséquente en son discours. […] Toute phrase négative serait déjà hantée par Dieu ou par le nom de Dieu […]. S’il y a un travail de la négativité dans le discours et dans la prédication, il produirait de la divinité. […] Non seulement l’athéisme ne serait pas la vérité de la théologie négative, mais Dieu serait la vérité de toute négativité.« (Ebd., S. 538 f.) Unter der Annahme dieser Prämisse, die Derrida selber offenkundig ironisch darstellt, müsste in der Tat auch die Dekonstruktion für theologisch gehalten werden. Siehe dazu auch H. Coward/T. Foshay (Hrsg.): Derrida and negative Theology. Albany, N. Y. 1992. 648 649

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tums ein; andererseits negiert die Mystik diese Prämissen, indem sie das, was die Ontotheologie erlangen möchte (die Erkenntnis des absolut höchsten Seienden), nur auf dem Weg einer emanzipatorischen Verneinung aller Eigenschaften, welche die Ontotheologie dem Göttlichen zugeschrieben hat, für erreichbar hält. 653 Der hiermit angesprochene Widerstreit zwischen Negation und Affirmation innerhalb der Mystik setzt sich in der Simultanität zweier gegensätzlicher Stimmen fort, die Derrida in Sauf le nom anhand einer Deutung von Versen aus dem Cherubinischen Wandersmann des Angelus Silesius konstatiert (z. B.: »Was man von Gott gesagt, das gnüget mir noch nicht: / Die über Gottheit ist mein Leben und mein Licht« 654): Die eine dieser Stimmen artikuliert sich als radikale Kritik an aller philosophischen und religiösen Begrifflichkeit; die andere dieser Stimmen gewinnt gerade aus der Negation jeglicher Einzelbestimmung eine der Diskursivität enthobene Autorität, die sich jedoch ihrerseits nur in der Form einer erneuten, scheinbar unzweifelbaren Dogmatik aussprechen lässt. 655 Dabei entwickeln Mystik und apophatische Rede eine Dynamik der Autonomisierung, die Derrida zutreffend beschreibt, 656 ohne dabei jedoch explizit auf die transkulturellen Potentiale dieser Strömungen einzugehen. Indem sich der apophatische Diskurs von der expliziten Begrifflichkeit der neutestamentlichen Theologie (Ankunft Christi, Passion, Trinität etc.) 657 befreit und alle positiven Zuschreibungen in diesem Feld als unzureichend gegenüber dem göttlichen Sein zurückweist, vollzieht er eine entkulturalisierende Bewegung, die ihn gleichzeitig transkulturell anschlussfähig für antitraditionalistische Parallelbewegungen anderer Religionen wie etwa den Sufismus im Islam oder den Zen im Buddhismus macht. Freilich kann diese transkulturelle Abstraktion nur um den Preis einer – partiellen oder totalen – Entwurzelung von einer spezifischen religiösen Tradition geschehen, welche den mystischen Bewegungen aller KonfessioEbd., S. 85 f. Siehe dazu auch Armour 2011, S. 47 ff. A. Silesius (J. Scheffler): Cherubinischer Wandersmann. Kritische Ausgabe. Hrsg. v. L. Gnädinger. Stuttgart 1984, Erstes Buch Nr. 15, S. 29. 655 Vgl. Derrida: Sauf le nom, op. cit., S. 77. 656 Ebd., S. 87: »[…] selon la loi du même double bind, le déracinement dissident peut prétendre accomplir la vocation ou la promesse du christianisme, dans ce qu’elle a de plus historique, répondant ainsi à l’appel et au don du Christ, tel qu’il résonnerait partout, dans les siècles des siècles […].« 657 Vgl. ebd., S. 86. 653 654

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nen seit je den Verdacht der Häresie eingetragen haben. 658 Der historischen und institutitionellen Dignität einer Religion setzen mystische und apophatische Bewegungen oftmals einen spirituellen Momentanismus entgegen, der das höchste Sein in einer augenblickshaften Erleuchtung ergreift. Es ist nur logisch, dass sich die Religionen als soziokulturelle Gemeinschaftsgebilde gegen ein Überhandnehmen derartiger Strömungen immer schon zur Wehr gesetzt haben, da diese – bei aller Rhetorik des Verlöschens der individuellen Seele im Göttlichen – im Kern einen stark individualistischen Zug haben, der sie von der Notwendigkeit der sozialen Bestandssicherung eines religiösen Systems entfremdet. 659 Trotz oder gerade wegen des ausgeprägt individualistischen Moments in Mystik und Apophatik eignen sich diese stets marginalisierten Strömungen aber besonders gut zur Auffindung interreligiöser, transkultureller Konvergenzen. Im besten Fall repräsentieren sie das universelle Grundprinzip der Liebe, die sich dem Anderen absolut ausliefert und zugleich seine absolute Unzugänglichkeit respektiert, 660 als die Essenz religiöser Vernunft. Die grundsätzliche Schwierigkeit, in einem über das Religiöse ergehenden Diskurs zugleich dessen Unversehrtheit zu bewahren, stellt sich mit verschärfter Virulenz angesichts der zeitgenössischen postsäkular-nachmetaphysischen Konstellation, die ja bereits anhand von Habermas’ Positionsbestimmung diskutiert wurde. Der scheinbare Ausweg, selber religiös, d. h. unter ausschließlicher Verwendung religiöser Begriffe und Motive von der Religion zu sprechen, entpuppt sich als Sackgasse, da ein solcher Diskurs ohne Rückbezug auf eine zugrunde liegende religiöse Erfahrung allzu leicht in eine bloß äußerliche Reflexion (Wider-spiegelung) von Religion in deren vermeintlichem Namen abzudriften droht. 661 Angesichts dessen könnte eine in paradoxer Weise authentischere Form der philosophischen Rede über Religion gerade im Bruch mit der Religion, in einer areligiösen kritischen Einbeziehung all dessen bestehen, was gegenwärtig im Namen der Religion geschieht – inklusive terroristischer Äußerungsformen von Religion, die sich modernster kommunikationsSiehe ebd., S. 15. Ebd., S. 86 f.: »Ainsi […], cette rupture du contrat social mais comme processus d’universalisation (une sorte d’espèce d’esprit des Lumières), c’est ce qui se reproduirat régulièrement …« 660 Vgl. ebd., S. 91. 661 Ebd., Nr. 27, S. 38 ff. (dt. Übers.: S. 40 ff.). 658 659

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technischer Medien bedienen. 662 In diesem Kontext geht Derrida weitsichtig auch auf Phänomene des religiösen Fundamentalismus ein, die sich als paradoxe Verkehrungen der beiden ursprünglichen Quellen des Religiösen entziffern lassen: Die Reinheit und Unversehrtheit des Heiligen suchen fundamentalistische Bewegungen durch gewaltsame Selbst-Immunisierungen herbeizuführen, die sich auf der empirischen Oberfläche als Ignoranz, Intoleranz und Irrationalität manifestieren. 663 Die vertrauensvolle Ansprache des Anderen, die zweite Quelle des Religiösen, wird wiederum durch einen Pakt mit der modernen Tele-Mediatisierung inszeniert, der insofern widersprüchlich erscheint, als dadurch Errungenschaften der säkularen Zivilisation in Anspruch genommen werden, die doch aus Sicht der Fundamentalisten als Werkzeuge des Feindes gelten müssen. 664 Aber für Derrida stehen »das Maschinenhafte« 665 und die Religion keineswegs in einem absoluten Gegensatz zueinander, sondern sie beruhen beide im Kern auf derselben Möglichkeit der Wiederholung und der mit dieser untrennbar verbundenen Iterabilität, aus der technische und diskursive Rationalität sowie Religiosität allererst hervorgehen. In phänomenologischer Perspektive ließe sich diese Erwägung etwa mit dem Hinweis auf die strukturelle Ähnlichkeit technisch-maschineller und religiös-ritueller Prozesse stützen. So ist der Ablauf religiöser Riten in einer Weise auf Störungsfreiheit und Wiederholbarkeit programmiert, die dem möglichst reibungslosen Funktionieren von Automaten gleich kommt. Und umgekehrt tragen die Arbeitsund Freizeitabläufe der industriellen und digitalen Apparatenwelt vielfach rituelle Züge. Dennoch erschöpft sich der religiöse Glaube selbstverständlich nicht in seiner Verwandtschaft mit dem Maschinellen, da er über die bloße Programmierbarkeit und Vorausberechnung hinaus stets auch auf die Offenheit des Zu-künftigen verweist. 666 Nur dadurch wird Derrida zufolge auch die Möglichkeit eines radikalen Bösen im Glauben verständlich, dessen inhaltliche Bestimmung, auch wenn sich Derrida hier des spezifisch kantischen Terminus bedient, freilich eher vage bleibt. 667

662 663 664 665 666 667

Ebd., S. 39 ff. (dt. Übers.: S. 41 ff.). Ebd., Nr. 37, S. 69 (dt. Übers.: S. 74). Vgl. ebd., S. 70 (dt. Übers.: S. 75 f.). Ebd. Ebd. Ebd. – Siehe auch die Erläuterungen Derridas zu den vier Parerga am Ende eines

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Die vielfältigen Bezugnahmen der postmetaphysischen Philosophen Habermas und Derrida auf Theoreme, die in der kantischen Religionsphilosophie entfaltet wurden, machen deutlich, dass es sich bei den betrachteten Modellen der Evaluation, Integration, Kooperation und Dekonstruktion um einen zusammenhängenden Problemdiskurs handelt, dessen Bedingungen sich seit den Tagen Kants zwar im Zuge der Globalisierung deutlich verschärft, aber nicht grundsätzlich geändert haben. Nach wie vor geht es um die entscheidende Frage, wie dem fortbestehenden Dissens zwischen religiösen, andersreligiösen und irreligiösen Positionen philosophisch angemessen begegnet werden kann. Habermas’ Forderung nach einem fundierten Dialog zwischen säkularer Vernunft und Religion, der sich der gemeinsamen Genealogie von Glauben und Wissen bewusst ist, vermag zur Beantwortung dieser Frage ebenso wichtige bedenkenswerte Impulse zu liefern wie Derridas Reflexionen über jene transzendentalen Grunderfahrungen, auf die sich das Religiöse ebenso wie die Vernunft auch unter den Bedingungen der globalen Digitalisierung und zeitgenössischen Wissensschaftstechnologien zurückführen lassen.

2.3

Inter- und transkulturelle Potentiale der postmetaphysischen philosophischen Auseinandersetzung mit Religion

Gemäß der doppelten Funktionszuschreibung interkultureller Religionsphilosophie 668 bestehen ihre Hauptanliegen zum einen darin, interreligiöse sowie religiös-säkulare Dialoge und Dissense zu analysieren und zu reflektieren, und zum anderen darin, mögliche Verbindungen und Grenzbestimmungen zwischen Religion und säkularer Vernunft auszuloten. Zu beiden Aspekten kann das postmetaphysische Philosophieren, wie es hier anhand der Positionen von Habermas und Derrida dargestellt wurde, produktive Impulse beisteuern. Bezogen auf die Stellungnahmen Habermas’ zur Konkurrenz religiöser Weltbilder untereinander sowie mit säkularen Einstellungen sind dabei zwei Punkte besonders hervorzuheben: 1.) die Erwägungen zur Rolle der Religion(en) im weltanschaulich neutralen Rechtsstaat sowie in der pluralistisch verfassten politischen Öffentjeden Teils der kantischen Religionsschrift in Foi et savoir, Nr. 16, S. 24 f. (dt. Übers.: S. 25 f.). 668 Vgl. dazu Kap. II.2 des ersten Teils dieser Arbeit.

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lichkeit; und 2.) die bereits angesprochene säkulare Anverwandlung bislang ›unabgegoltener‹ Gehalte und Intuitionen der Weltreligionen, welche die Philosophie als agnostisch-lernbereite Dialogpartnerin der Religionen vornehmen soll. Beide Punkte tangieren zentrale Problemfelder interkultureller Religionsphilosophie, nämlich die Problematik religiöser Pluralität und die Frage nach dem Verhältnis von säkularen und religiösen Einstellungen. 1.) Habermas diskutiert die Frage, welche Rolle die Religion(en) in einem liberalen Rechtsstaat sowie in der politischen Öffentlichkeit spielen können, 669 u. a. in Auseinandersetzung mit J. Rawls’ Gerechtigkeitstheorie, die angesichts des weltanschaulichem Pluralismus einen für potentiell alle Bürger/innen akzeptablen Rahmen konzipiert. 670 Das Problem, das hierbei entstehen kann, besteht darin, dass eben diese individualistische Gerechtigkeitskonzeption, die auf dem Prinzip des egalitären Universalismus basiert, in Konkurrenz zu alternativen, etwa religiösen Auffassungen geraten könnte, die sich durch die Herrschaft der liberalen Ordnung eingeschränkt fühlen könnten. Müssen Gruppen, die derartige Empfindungen der Diskriminierung artikulieren, besondere Kollektivrechte eingeräumt werden, die unter Umständen in Teilbereichen mit der liberalen Rechtsordnung kollidieren? – Habermas verneint dies entschieden, u. a. mit dem Argument, dass die Gewährung von Kollektivrechten für bestimmte kulturelle Gruppen die reale Gefahr gruppeninterner Unterdrückung von Gruppenangehörigen mit sich bringen könnte. 671 Dem Gleichheitsprinzip des liberalen Staates zufolge wäre eine Verletzung der Grundrechte individueller Mitglieder bestimmter Gruppen durch Kollektivrechte, die diesen Gruppen zugebilligt wurden, nicht mit dem universellen Egalitarismus vereinbar. Habermas kommt daher zu der Schlussfolgerung: »Auch wenn wir den individualistischen Zuschnitt moderner Rechtsordnungen nicht schon aus moralischen Gründen voraussetzen, spricht die ontologische Verfassung von symbolischen Gegenständen dagegen, daß sich Kulturen zu Trägern von Rechten qualifizieren.« 672 Die Erlaubnis bestimmter ritueller Praktiken für einzelne religiöse Gruppen – Habermas nennt hier als Bei669 Siehe dazu auch D. Farrow (Hrsg.): Recognizing Religion in a Secular Society. Essays in Pluralism, Religion and Public Policy. Montréal u. a. 2004. 670 Siehe J. Habermas: »Kulturelle Gleichbehandlung – und die Grenzen des Postmodernen Liberalismus«. In: Ders.: Politische Theorie, op. cit., S. 209–258. 671 Ebd., S. 241 ff. 672 Ebd., S. 246.

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spiele Sikhs, Muslime und Juden 673 – stellt keinen Einwand gegen diesen Grundsatz dar, da es sich in diesen Fällen nur »um die Durchsetzung kultureller Gleichbehandlung auf dem üblichen Wege einer Materialisierung des Rechts« 674 handle. Kann der liberale Rechtsstaat somit nicht von seiner fundamentalen Voraussetzung eines egalitären, wenngleich differenzempfindlichen Universalismus abrücken, ohne die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens in einer pluralistischen Gesellschaft zu unterminieren, so muss dies für kulturell gesonderte Religionsgemeinschaften gleichwohl nicht nur als Zumutung begriffen werden. Sicherlich hat es – etwa für die christlichen Kirchen Europas – eines langen und schwierigen Lernprozesses auf Seiten der religiösen Gemeinschaften bedurft, um in den zunehmend ausdifferenzierten Gesellschaften der Moderne eine institutionelle Rolle einnehmen zu können, welche den spirituellen Bedürfnissen religiöser Bürger entgegen kommt, ohne dadurch die Realisierung nicht-religiöser oder andersreligiöser Lebensentwürfe einzuschränken. In zahlreichen nicht-europäischen Gesellschaften ist eine derartige Selbstbeschränkung des Religiösen, die sich in der Trennung von Religion und Staat ebenso manifestiert wie in einer ausgeprägten Tendenz zur Privatisierung des Religiösen, bekanntermaßen keineswegs realisiert. Friedliche interreligiöse Koexistenz setzt neben der weltanschaulichen Neutralität des Staates und der rechtlich gesicherten Bekenntnisfreiheit aller Bürger/innen 675 überdies in ethischer Hinsicht eine mentale Disposition zur Toleranz voraus, die in vielen Fällen mit dem Wahrheits- und Verbindlichkeitsanspruch der je eigenen (religiösen) Weltsicht kollidieren kann. Dies stellt zweifellos für zahlreiche Gläubige eine Zumutung dar. Der vom liberalen Staat gewährleistete Pluralismus der Bekenntnisse und Weltanschauungen kann sich jedoch auch für die Religionsgemeinschaften in mehrfacher Hinsicht als ein Gewinn erweisen: So vermag die religiöse Selbstreflexion, zu der eine gesellschaftlich, politisch und ökonomisch innovative und liberale Umwelt herausfordert (sofern sie nicht in einer trotzigen Gegenbewegung gerade zur fundamentalistischen AutoEbd., S. 234. Ebd., S. 235. 675 J. Habermas: »Religion in der Öffentlichkeit«, a. a. O., S. 266: »Das Grundrecht der Gewissens- und Religionsfreiheit ist die angemessene politische Antwort auf die Herausforderungen des religiösen Pluralismus.« Siehe dazu auch ders.: Zwischen Naturalismus und Religion, op. cit., »Einleitung«, S. 8 f. 673 674

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Immunisierung einer Religion führt), zum Abwurf überflüssiger Traditionsbestände, Doktrinen und Praktiken beizutragen, etwa zur Aufgabe intoleranter, abergläubischer Überzeugungen oder menschenrechtsverletzender Rituale. Dem einzelnen Individuum steht ferner in einer pluralistischen Gesellschaft im Prinzip ein großer Entscheidungsspielraum zur Verfügung, der es ihm erlaubt, aus einer Vielzahl religiöser (und irreligiöser) Angebote zur richtigen Lebensführung das für ihn überzeugendste auszuwählen und aus freien Stücken anzunehmen – was auf der anderen Seite jedoch auch die Problematik spiritueller Beliebigkeit und einer unverbindlichen, privatisierten patchwork-Spiritualität mit sich bringt. Einen Gewinn kann das liberale politische Gemeinwesen schließlich auch dann für institutionalisierte Religionsgemeinschaften bedeuten, wenn es ihnen innerhalb des weltanschaulich neutralen, aber nicht unbedingt laizistischen Staates ermöglicht wird, sich als ernst zu nehmende gesellschaftliche Akteure in gesellschaftspolitische Debatten einzuschalten und auf diese Weise religiöse Stellungnahmen in medialer Öffentlichkeit und politischen Entscheidungsprozessen zur Geltung zu bringen. 676 Diese Partizipation von Religion(en) am öffentlichen Vernunftgebrauch setzt freilich, worauf Habermas zu Recht hingewiesen hat, 677 voraus, dass sich religiöse, andersreligiöse und irreligiöse Bürger/innen nicht bloß tolerieren, sondern dass sie sich darüber hinaus wechselseitig respektieren – und zwar deswegen, weil sie berechtigte Gründe für die Vermutung haben, dass sie möglicherweise voneinander lernen könnten. Aus diesem Blickwinkel muss der sich oftmals gewaltsam entladende Zusammenstoß fundamentalistischer Gesinnungen unterschiedlicher religiöser Couleur untereinander bzw. mit säkularen Einstellungen primär als das Ergebnis eklatanter Lerndefizite erscheinen. Diese Diagnose soll die furchtbare Gewalt, die insbesondere von islamistischen Terroristen ausgegangen ist und noch ausgeht, keineswegs verharmlosen; sie soll vielmehr deutlich machen, dass vor allem Faktoren der Selbst-Immunisierung, um an dieser Stelle die Terminologie Derridas zu verwenden, der Selbst-Verschließung gegenüber den Ansprüchen des/der Anderen und der mangelnden Lernbereitschaft für die Entstehung von religiösem Fundamentalismus namhaft zu machen sind. Diese 676 Siehe dazu P. Enns: »Habermas, Democray and and Religious Reasons«. In: The Heythrop Journal, 51 (2010), S. 582–593. 677 Vgl. J. Habermas: »Religion in der Öffentlichkeit«, S. 266 f.

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Diagnose wird freilich aus einer Außenperspektive getroffen, welche das »Reflexivwerden des religiösen Bewußtseins« ebenso wie »die selbstreflexive Überwindung des säkularistischen Bewußtseins« 678 als »Mentalitätsänderungen« 679 begreift, die sich aus der Entwicklungsgeschichte der Moderne mit guten Gründen rechtfertigen lassen. Zwar muss es aus Habermas’ Sicht primär der Selbstinterpretation einer jeweiligen Religionsgemeinschaft bzw. ihrer Anhänger überlassen bleiben, welchen Modernisierungsgrad sie für kompatibel mit ihren spezifischen Doktrinen und Ritualen hält. 680 Gleichwohl aber stellt sich die Frage, ob es nicht aus philosophischer Perspektive geradezu geboten ist, allzu starke Tendenzen zur Abschottung oder Fundamentalisierung einer Religion zu kritisieren, da diese die Grundlagen des friedlichen Zusammenlebens in einem pluralistischen Gemeinwesen gefährden können. Die im besten Fall von wechselseitigem Respekt getragene Koexistenz religiöser und nicht-religiöser Bürger/innen basiert Habermas zufolge auf einem als gemeinsam unterstellten Konsens über Verfassungsgrundsätze, die Individuen Rechte zusichern, zu denen unter anderem auch die Religions- und Bekenntnisfreiheit gehören. Der von möglichst allen Bürger/innen akzeptierte Rahmen, den die Verfassung setzt, überwölbt gleichsam die weltanschaulichen Differenzen, die zwischen den Anhängern unterschiedlicher Religionen sowie säkularen Bürger/innen faktisch bestehen, indem er sie zugleich entschärft. Denn für Habermas handelt es sich bei totalisierenden Weltsichten, wie sie die Religionen bieten, nicht um Lehren, deren Wahrheitsgehalt sich diskursiv entscheiden ließe: »Die Konkurrenz zwischen Weltbildern und religiösen Lehren, die die Stellung des Menschen im Ganzen der Welt zu erklären beanspruchen, läßt sich auf der kognitiven Ebene nicht schlichten.« 681 Eben deswegen Ders.: »Religion in der Öffentlichkeit«, a. a. O., S. 289. Ebd. 680 Ebd., S. 294. Siehe auch ders.: Zwischen Naturalismus und Religion, op. cit., »Einleitung«, S. 10: »Ob die dogmatische Verarbeitung der kognitiven Herausforderungen vonseiten der modernen Wissenschaft und des religiösen Pluralismus, des Verfassungsrechts und der säkualaren Gesellschaftsmoral ›gelungen‹ ist, und ob dabei von ›Lernprozessen‹ überhaupt die Rede sein darf, lässt sich natürlich nur aus der Innenansicht jener Traditionen beurteilen, die auf diese Weise an moderne Lebensbedingungen Anschluss finden.« 681 Ders.: »Religion in der Öffentlichkeit«, S. 283. Vgl. entsprechend auch J. Rawls: »Kantian Constructivism in Moral Theory«. In: Ders.: Collected Papers. Hrsg. v. S. Freeman. Cambridge, Mass./London 1999, S. 303–358, hier S. 329. 678 679

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liegt das Interesse des liberalen Rechtsstaats auch nicht darin, im Streit der säkularen und religiösen Positionen inhaltlich Stellung zu beziehen, sondern nur durch einen formalen, inklusiven Verfassungsrahmen dafür zu sorgen, dass die bestehenden Weltbildinkongruenzen die normativen Fundamente des Zusammenlebens der Staatsbürger/innen nicht gefährden. Diese wiederum können auf der gemeinsamen Basis des von allen geteilten Verfassungskonsenses die weltanschaulichen und kulturellen Divergenzen sogar für die Fortentwicklung des Gemeinwesens nutzbar machen, sofern sie sich als ebenbürtig am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung Partizipierende begreifen, »in der sie sich gegenseitig Gründe für ihre politischen Stellungnahmen schulden« 682. So zutreffend Habermas’ Analyse der normativen Erwartungen, die religiöse, andersreligiöse und nicht-religiöse Bürger/innen in einem pluralistischen Gemeinwesen mit guten Gründen aneinander richten können, auch ist, so fragwürdig mutet gleichwohl der mit dieser Analyse einhergehende, ausdrücklich proklamierte Verzicht auf eine philosophische Auseinandersetzung mit den kognitiv strittigen Inhalten verschiedenartiger religiöser und säkularer Einstellungen an. Zweifellos besteht Philosophie längst nicht mehr »auf ihrem anfänglichen platonischen Heilsweg der kontemplativen Vergewisserung der kosmischen Alleinheit« 683. Insofern konkurriert sie tatsächlich nicht mehr mit den Religionen, die nach wie vor eine totalisierende Deutung des Weltganzen und der Stellung des Menschen in ihm vornehmen. Aber gerade die Zurückweisung einer totalisierten Einheits-Weltsicht, das Vertrauen darauf, dass rationale Menschen eine derartige Weltsicht nicht nötig haben, setzt die Philosophie als säkulare Einstellung in jenes Konkurrenzverhältnis zu den Religionen, um das es schließlich beim fundamentalen Dissens zwischen Rationalität und Spiritualität unter den Bedingungen der Moderne geht. Die Neutralität und inhaltliche Zurückhaltung, die der liberale Staat berechtigterweise gegenüber divergierenden säkularen und religiösen Weltanschauungen üben sollte, muss sich die Philosophie nicht selber zu eigen machen. Sobald sie mit der Umsetzung von Habermas’ Programm einer Übersetzung religiöser in profane Gehalte beginnt, muss sie sich schon von einer solchen gehaltlichen Abstinenz verJ. Habermas: »Religion in der Öffentlichkeit«, S. 284. Ders.: »Versprachlichung des Sakralen«. In: Ders.: Nachmetaphysisches Denken II, op. cit., S. 16. 682 683

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abschiedet haben. Entweder konkurriert also die Philosophie qua säkularer Vernunft durchaus mit religiösen Positionen und sollte sich daher aus ihrer Perspektive um ein rationales Verständnis der strittigen Gehalte bemühen; oder aber es gibt gar keinen Dissens zwischen säkularer Vernunft und Religion, da sich beide in vollkommen getrennten Bereichen abspielen; in diesem Fall wäre jedoch potentiellen Übersetzungen der einen in die andere Sphäre der Boden entzogen. Mit anderen Worten: Nur unter der Annahme, dass die Philosophie/ die säkulare Vernunft sich nach wie vor – ja möglicherweise sogar mehr denn je – in einem Konkurrenzverhältnis zu religiösen Einstellungen befindet, ist ein produktiver Dialog, bei dem beide Seiten voneinander lernen können, überhaupt möglich. 2.) Aus der Sicht des Habermas’schen Denkens stellt es eine offene Frage dar, ob sich die nachmetaphysische Philosophie in Zukunft weitere »semantische Gehalte aus der jüdisch-christlichen Überlieferung diskursiv« 684 aneignen kann oder ob dieser Transformationsprozess »unabgeschlossen bleiben wird« 685. Wie bereits die Auswahl der von Habermas genannten Religionen zeigt, wird diese Frage zunächst aus einem explizit »okzidental eingeschränkten Blickwinkel« 686 heraus gestellt. Jedoch gibt es keinen sachlichen Grund, die philosophische Herausforderung einer transformierenden Anverwandlung religiöser Gehalte nicht ebenfalls auf Weltreligionen wie den Islam, den Hinduismis oder den Buddhismus zu beziehen. Im Gegenteil sollte sich die von Habermas aufgeworfene Frage in Bezug auf nicht-okzidentale Religionsformen mit umso größerer Dringlichkeit stellen, als sich die Philosophie viele Jahrhunderte lang vorwiegend auf christlich-theistische Religiosität und Theologie konzentriert und inspirierende Ideen beispielsweise aus ostasiatischen religiösen Quellen allenfalls marginal und sporadisch zur Kenntnis genommen und argumentativ weiter verarbeitet hat. Unter diesem Blickwinkel wäre es geradezu fatal, sollte die philosophische Transformation religiöser Inhalte aus dem Bereich nicht-okzidentaler Religiosität und Spiritualität keine Fortsetzung finden; denn sie hat ja noch nicht einmal in adqäuater Weise begonnen. Die Voraussetzungen jedenfalls, die Habermas als Gelingensbedingungen für einen produktiven Dialog zwischen Philosophie 684 685 686

Ders.: »Einleitung«. In: Ders.: Kritik der Vernunft, op. cit., S. 30. Ebd., S. 30. Ebd.

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und Religion benennt, bringen keineswegs nur diejenigen Religionen mit, für die sich die (abendländische) Philosophie in den letzten Jahrhunderten primär interessiert hat. Wenn die religiöse Selbstreflexion, die nach Habermas eine notwendige Bedingung für die Qualifizierung einer Religion zum Dialogpartner der Philosophie darstellt, primär darin besteht, dass eine Religion sich in ein bewusstes Anerkennungsverhältnis zu anderen Religionen sowie zu ihrer säkularen Umgebung, insbesondere in den Bereichen der Wissenschaft, des Rechts und der Politik setzt, 687 dann wird dieses Kriterium nicht von einer jeweiligen Religionsgemeinschaft insgesamt erfüllt oder aber nicht erfüllt – vielmehr finden sich innerhalb jeder Weltreligion Strömungen, welche die Berechtigung anders-religiöser Heilswege sowie säkularer Verfahren für die Ermittlung von Weltwissen und sozial verbindlichen Normen anerkennen, und solche Strömungen, die in orthodoxer Manier auf dem prinzipiellen Vorrang der eigenen religiösen Quellen beharren. Zu einem gegebenen Zeitpunkt können innerhalb einer bestimmten Religion bzw. in der öffentlichen Wahrnehmung einer bestimmten Religion, in dem medialen Bild, das die Religion von sich erzeugt bzw. das von einer Religion erzeugt wird, orthodoxe Strömungen gegenüber ›modernistischen‹ dominierend sein. Aber dieser Umstand kann nicht dazu berechtigen, irgendeiner Religion pauschal die Eigenschaft abzusprechen, mit der Philosophie in einen fruchtbaren Dialog eintreten zu können. Freilich kann dieser Dialog aber auch nur mit kompetenten Repräsentanten einer jeweiligen Religion geführt werden, die bereit sind, sich auf die Wissen und soziale Normen generierende Kraft der Vernunft einzulassen. Habermas’ These einer sukzessiven Versprachlichung des Sakralen wiederum dürfte sich im interkulturellen Vergleich als kaum haltbar erweisen. Sofern sie dem Weber’schen Theorem einer prinzpiell in allen Weltreligionen gleichgerichteten Rationalisierung von Weltbildern verhaftet bleibt, die nur in der jüdisch-christlichen Tradition konsequent zu Ende geführt worden sei, 688 muss sie gegenüber der spezifischen Alterität ostasiatischer Religionen wie dem Buddhismus unempfindlich bleiben. Bereits im Hinblick auf die jüdische und christliche Religiosität wäre es, wie bereits bemerkt wurde, irreführend, im Verlauf der Religionsgeschichte von einer linearen EntzauVgl. dazu etwa J. Habermas: »Ein Bewußtsein von dem, was fehlt«, a. a. O., S. 33. Siehe J. Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1. Frankfurt a. M. 1981, S. 277 ff. 687 688

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berung religionsinterner Mythen und Riten durch rationale Theologie auszugehen. Eher ist ein konfliktreiches Nebeneinander von bisweilen philosophisch geschulter, oftmals esoterischer Lehre und gelebter religiöser Praxis, wie sie sich in Ritualen, Volksfrömmigkeit, vielfältigen spirituellen Verrichtungen und Handlungen manifestiert, festzustellen als eine ›Aufhebung‹ derartiger Praxen in einen rationalen Kommunikationszusammenhang. So hatten sich beispielsweise im indischen Buddhismus längst zahlreiche theoretische Schulen herausgebildet, die sich in der Interpretation der ›wahren‹ Lehre des Buddha voneinander unterschieden, bevor im 6. Jh. n. Chr. – etwa tausend Jahre nach dem Wirken des historischen Buddha – mit dem Chan (jap. Zen) in China eine Richtung entstand, welche die kanonische Tradition der überlieferten Lehre als irrelevant für die Erlangung der wahren, augenblickshaften Erleuchtung bezeichnete. 689 Im Falle des Buddhismus ist hinsichtlich der faktischen Religionsentwicklung sogar beinahe eine umgekehrte Bewegung von einer zunächst philosophisch-rational anmutenden Lehre, die in Indien bereits relativ früh eine komplexe theoretische Durcharbeitung erfahren hatte, zu einer erst wesentlich später im südostasiatischen Raum massenwirksam werdenden Volksreligion festzustellen. Die These einer kontinuierlichen Rationalisierung religiöser Gehalte trifft auf den Buddhismus offensichtlich nicht zu. Derartige religionsgeschichtliche Phänomene legen den Schluss nahe, dass die Produktion von religionsinternem ›Wissen‹ generell nicht als rationale Befreiung rituell eingekapselter religiöser Gehalte zu verstehen ist, sondern vielmehr als religionsimmanente Reflexion auf eine Lehre, die in den entscheidenden Grundzügen – z. B. in kanonischen heiligen Schriften – je schon niedergelegt ist und auf die sich selbstverständlich auch der rituelle und glaubenspraktische Vollzug bezieht. Aus philosophischer Perspektive zeichnet Habermas somit 689 Siehe dazu H. Benoit: La doctrine suprême selon la pensée Zen. Paris 1975; M. v. Brück: Zen. Geschichte und Praxis. München 2004; H. Dumoulin: Zen Buddhism. A history. Vol. 1: India and China. With a new supplement on the Northern School of Chinese zen. New York 1994; ders.: Zen Buddhism. A history. Vol. 2: Japan. Bloomington (Ind.) 2005; ders.: Zen. Geschichte und Gestalt. Bern 1959; Han 2002; T. P. Kasulis: Zen Action – Zen Person. Honolulu 1981; D. T. Suzuki: Leben aus Zen. Wege zur Wahrheit. Mit einer Einführung in die Zen-Lehre des Wei-Lang (Hui-Neng). Frankfurt a. M. 2003; ders.: Essays in Zen-Buddhism. London 1958; ders.: Zen and Japanese Buddhism. Tokyo 1958; ders.: Die Zen-Lehre vom Nicht-Bewußtsein. München-Planegg 1952; ders.: An Introduction to Zen-Buddhism. London 1948; A. W. Watts: Le bouddhisme zen. Paris 1991 (Original: The Way of Zen. New York 1957).

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ein verzerrtes Bild von der Anschlussfähigkeit eines säkularen Diskurses an die vermeintliche Rationalität von Theologie bzw. religionsimmanenter Theorie. Diese ist nämlich nicht als Überwinderin archaischer Riten vernünftig, sondern als Interpretin religiöser Lehren, auf die in anderer Weise auch der Ritus sowie alle anderen Aspekte der praktischen Religionsausübung referieren, sofern sich die Glaubenspraxis nicht in gehaltlich entleerten, bloß äußerlichen Verrichtungen erschöpfen soll. An das in der religiösen Binnenreflexion – nicht nur des Christentums, sondern auch aller anderen Weltreligionen – erreichte theoretische Potenzial vermag eine interkulturell interessierte Religionsphilosophie in der Tat anzuknüpfen; jedoch sollte sie dabei nicht der falschen Auffassung unterliegen, auf diesem Weg eine quasi-demokratisierende Übersetzungsleistung zu vollbringen, durch die bislang verborgene religiöse Gehalte endlich in das allgemein zugängliche Licht der öffentlichen Vernunft gestellt würden. Vielmehr hat sich die rationale Reflexion religiöser Gehalte – ob als immanente Theologie oder Religionsphilosophie – zumeist als esoterische Auseinandersetzung für die Gelehrten und Gebildeten unter den Angehörigen einer Glaubensgemeinschaft abgespielt, während der weitaus größte Teil der Gläubigen seine alltägliche rituelle Glaubenspraxis im theologischen Diskurs keineswegs besser aufgehoben sah, sondern sie beharrlich weiter verfolgte. Das Verhältnis von Praxis und Reflexion innerhalb einer Religion ist somit nicht im Bild einer sukzessiven Aufhebung ritueller in diskursive Elemente vorzustellen, sondern als bisweilen friedliche, oftmals aber auch konfliktreiche Koexistenz von Teilbereichen, die beide zum Kernbestand einer Weltreligion gehören, oftmals allerdings von sozial unterschiedenen Gruppen repräsentiert werden. Bezogen auf die externe Perspektive der Philosophie mag es auch in diesem Zusammenhang hilfreich sein, die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundäreigenschaften auf diejenigen Aspekte einer Religion anzuwenden, die Affinitäten zu ihrer begrifflichen Reformulierbarkeit aufweisen. Ein vereinzeltes Ritual, das in einer Religion vorkommt, vermag seiner Versprachlichung gegenüber indifferent zu bleiben; so wie auch auf der Seite der Philosophie zu fragen wäre, welchen Erkenntniswert die ›Übersetzung‹ eines singulären Rituals in die Sprache der Begriffe überhaupt haben sollte. Denn was über ein Ritual philosophisch zu sagen wäre, kann nicht anders, als zugleich auf die religiöse Botschaft zu rekurrieren, die sich im Ritual praktisch manifestiert. Schließlich sind es die symbolischen und dok378 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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trinalen Gehalte einer Religion, die jene religionsimmanenten Vernunftpotentiale enthalten, deren Erschließung Habermas zu Recht als philosophische Option erörtert. Insofern sind religiöse Lehren in ihren universalisierungsfähigen Aspekten für die philosophische Reflexion der primäre Anknüpfungspunkt, während alle empirischen Formen des Ritus und Mythos in ihrer praktischen Performanz eher von sekundärer Bedeutung für eine vorrangig an Wahrheitsfragen interessierte Religionsphilosophie sind. Unter dem Aspekt der interkulturellen Erweiterung religionsphilosophischer Fragestellungen bieten die Überlegungen Derridas zur Religion insofern weiterführende Perspektiven, als sie zum einen nach den gemeinsamen Urprüngen von Religion und säkularer Vernunft fragen und zum anderen durch die dekonstruierende Infragestellung des Substanzparadigmas der abendländischen Ontotheologie eine diskursive Öffnung vornehmen, durch die Dialoge mit ostasiatischen Religionen, und hier insbesondere mit dem Buddhismus, wesentlich erleichtert werden können. In dem glaubenden Vertrauen auf den/ die/das Andere, das in jeder Anrede, jeder Frage, jeder sprachlichen und nicht-sprachlichen Äußerung beschlossen liegt, noch bevor diese geschieht, ist ein gemeinsamer Fluchtpunkt von Vernunft und Religion gefunden, die in formaler Hinsicht beide als vertrauensvolle Bindungen an eine anzunehmende Antwort (sei es Gottes, der Natur oder der Geschichte etc.) gekennzeichnet werden dürfen. Allerdings handelt es sich – und deswegen kann Derrida in diesem Zusammenhang von einer »Messianizität jenseits allen Messianismus« 690 sprechen – um eine gemeinsame Quelle von Rationalität und Spiritualität, die in reiner Antizipation besteht, in einer eröffnenden Leere (hier ließe sich auch der von Derrida mehrfach verwendete platonische Begriff der khora heranziehen), die der Beziehung des/der Einen zu dem/der Anderen stattgibt, ohne selber die aufeinander bezogenen Glieder oder ihre Beziehung zu repräsentieren. Es ist eben dieser Gedanke einer eröffnenden Leere oder indifferenten Differenzialität, der von Derridas Erwägungen aus einen Brückenschlag zur buddhistischen Philosophie ermöglicht. 691 Nicht erst in Derridas expliziten Stellungnahmen zu religiösen Themen, sondern schon in den 690 J. Derrida: Foi et savoir, op. cit., Nr. 40, S. 79 (»une messianicité spectralisante audelà de tout messianisme«; dt. Übers.: S. 85). 691 Siehe dazu den Sammelband Buddhisms and Deconstructions. Hrsg. v. J. Y. Park. Lanham, Maryland 2006.

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früheren dekonstruktiv-metaphysikkritischen Arbeiten wie L’écriture et la différence 692, De la grammatologie 693 oder dem Aufsatz La différance 694 zeichnet sich eine Denkweise ab, die sich, inspiriert u. a. durch die Seinsphilosophie Heideggers und den Strukturalismus Saussures, vom ontotheologischen Paradigma der gegenwärtigen Substanz und der selbstpräsenten Subjektivität zu lösen beginnt, indem sie auf die unüberbietbare Differenzialität aller Äußerungen und Einschreibungen aufmerksam macht. Versteht man den Begriff ›Gott‹ als dasjenige, was ein absolutes Höchstmaß an Präsenz, Einheit und Seinsfülle designiert, als die sichere Grundlage alles Seienden, dann stellt dieser Begriff zweifellos den Kulminationspunkt abendländischer Präsenzmetaphysik dar. Die dekonstruierende Kritik dieser Metaphysik, deren unhinterfragte Prämissen auf der (maskulinen) Dominanz des Namens und des Nomens, des Substantivs, beruhten, muss daher den Begriff Gottes, den Namen aller Namen, als erstes treffen. Derridas Dekonstruktion scheint sich daher im Resultat mit Nietzsches Kritik am vermeintlich nihilistischen Christentum zu treffen: ›Gott ist tot‹ – denn dasjenige, was mit dem Namen Gottes bezeichnet werden sollte, beruhte auf einem Missverständnis der Funktionsweise von Schrift. 695 Der metaphysischen Tradition Europas bleibt das dekonstruierende Denken in der Negation gleichwohl noch bewusst verhaftet. Mit der ›différance‹ macht es ein paradoxes Prinzip namhaft, dem insofern Prinzipiencharakter zugesprochen werden kann, als es quasi-transzendental die Bedingung der Möglichkeit für jegliche Benennung schlechthin designieren soll. Von metaphysischen Prinzipien der Tradition wie »eidos, archè, telos, energia, ousia (essence, existence, substance, sujet) aletheia, transcendantalité, conscience, Dieu, homme, etc.)« 696 ist die ›différance‹ jedoch dadurch radikal geschieden, dass sie nicht die Invarianz eines Präsenten, 697 sondern die differentialisierende Erzeugung, Verschiebung, Verräumlichung und Verzeitlichung bezeichnet. Dieser Neologismus Derridas lässt sich mit J. Derrida: L’écriture et la différence. Paris 1967. Ders.: De la grammatologie. Paris 1967. 694 Ders.: »La différance«. In: Ders.: Marges de la Philosophie. Paris 1972, S. 29. 695 Siehe dazu T. J. J. Altizer et al. (Hrsg.): Deconstruction and theology. New York 1982. 696 Ders.: »La structure, le signe et le jeu dans le discours des sciences humaines«. In: Ders.: L’écriture et la différence, op. cit., S. 409–428, hier S. 411. 697 Vgl. ebd. 692 693

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mindestens zwei fundamentalen Konzepten der buddhistischen Philosophie in Beziehung setzen: der Lehre vom Entstehen in Abhängigkeit (pratītyasamutpāda) und dem Gedanken der Leere (śūnyatā). Weil die Wirklichkeit der buddhistischen Auffassung zufolge in der prozessualen Komposition, Rekomposition und Dekomposition von Elementen (dharmas) besteht, die ihrerseits keine substantielle Existenz besitzen, sondern nur in permanenter Relationalität entstehen und vergehen, gibt es ›in Wahrheit‹ keine Substanzen, Subjekte oder ›Dinge‹, denen feststehende Wesenseigenschaften zugesprochen werden können. Die Annahme derartiger Eigenschaften stellt aus buddhistischer Sicht gerade die fundamentale Illusion dar, in der die meisten Menschen befangen sind und aus der sie sich befreien müssen, um die Ursache ihres Leidens eben in jenem illusionären Festhalten an Gegenständen, insbesondere am eigenen Ego, zu begreifen. Da kein einzelnes ›Ding‹ für sich besteht, sondern alles in gegenseitiger Abhängigkeit entsteht, ist die eigentliche Wirklichkeit śūnyatā, Leere – womit jedoch kein negatives Nichts gemeint ist, das sich als Negation auf die Gesamtheit bestehender Gegenstände richten würde, sondern die universelle, prozessuale Relationalität von allem. Der dekonstruierende Diskurs Derridas impliziert zwar gewiss keine soteriologische Komponente wie die buddhistische Seinslehre und Wirklichkeitsauffassung, aber er kommt dieser gleichwohl insofern ontologisch bemerkenswert nahe, als er mit (Anti- oder Pseudo-) Konzepten wie »le texte, l’écriture, la trace, la différance, l’hymen, le supplément, le pharmakon, le parergon etc.« 698 sowohl auf die Relationalität aller Einschreibungen als auch auf die konstitutive NichtSubstantialität und Nicht-Präsenz eines gleichwohl fundierenden ›Prinzips‹ hinweist. Ein wichtiger Unterschied der Derrida’schen différance zur buddhistischen ›Leere‹ ist allerdings, worauf Byung-Chul Han zu Recht aufmerksam gemacht hat, dass die buddhistische śūnyatā eine sammelnde Wirkung entfaltet, »während von der différance […] ein intensiver Zerstreuungseffekt ausgeht.« 699. Den potentiellen Bezügen der postmetaphysischen Position Derridas zu buddhistischem Denken, die im Übrigen eher in der Sekundärliteratur als in den Derrida’schen Texten selber explizit aufgegriffen werden, 700 sind Ansätze einer postmodernen Theologie an die 698 699 700

Ders.: »Comment ne pas parler«, a. a. O., S. 536. B.-C. Han: Abwesen. Berlin 2007, S. 30. Siehe dazu Kap. II.4.1 des Ersten Teils, Anm. 173.

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Seite zu stellen, die durch Derridas Reflexionen zu den drei Monotheismen, den abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, angeregt wurden. 701 Denn die dekonstruierende Kritik der ontotheologischen Metaphysik bietet neben den Optionen einer ›atheistischen‹ oder religionsindifferenten Säkularität sowie einer impliziten Affinität zu buddhistischen Denkweisen noch eine dritte Variante, Religion und Theologie weiter zu bedenken, nämlich in eine Richtung, die sich von ›Athen‹ (das hier synonym für die Verquickung griechischer Metaphysik mit christlicher Theologie steht) auf ›Jerusalem‹ zubewegt – d. h. auf eine Theologie, die in distanzierter Tuchfühlung mit apophatischer, negativer Theologie nach dem Tod des (metaphysischen) Gottes einem Messianismus des Unvordenklichen und Unnennbaren huldigt. Ein derartiger ›abstrakter‹ Messianismus, der, wie gezeigt, sogar noch der Unterscheidung zwischen Vernunft und Religion voraus liegt, bietet weitere Anknüpfungsmöglichkeiten für die Erschließung jüdischer und islamischer Religiosität, aber auch christlicher, jedenfalls überall dort, wo diese sich von einem ontotheologischen Diskurs distanziert. 702 Begreift man die Distanz gegenüber einer vom Präsenzgedanken Gottes erfüllten Theologie als auszeichnende Eigenschaft des Christentums, das sich gerade dadurch qualifiziert, in der irdischen Verlassenheit angesichts des Todes Gottes unbeirrt das Gute zu wollen und zu vollbringen, so scheint das Christentum mit einem Male sogar wesentlich kompatibler mit der postmetaphysischen Konstellation zu sein als ihre beiden monotheistichen Schwesterreligionen Judentum und Islam, »die letzten beiden Formen des Monotheismus, die sich gegen alles erheben, was im Zuge der Verchristlichung unserer Welt für den Tod Gottes einsteht, für den Tod in Gott. Zwei Formen des Monotheismus, die nicht heidnisch sind und die weder den Tod noch die Vielfalt in Gott gelten lassen (Passion, Trinität usw.), zwei Formen des Monotheismus, die im Herzen des griechisch-christlichen oder des heidnisch-christlichen Europa wie Fremdkörper wirken, Fremdkörper in einem Europa, das den Tod Gottes bedeutet […].« 703 Siehe ebd., Anm. 172; vgl. auch Armour 2011, S. 41 f. Vgl. ebd., S. 42: »Understood as a therapeutic exposé of and intervention in ontotheology, Derridean deconstruction chastens Christianity by urging it to abandon the false security that ›Athens‹ (philosophy and its concept of god) offers. They invite Christianity to return to ›Jerusalem‹ ; to its roots in the uncertain ground of faith in a god who, while hardly unloveable, remains ultimately un-knowable and forever out of reach of those who would enlist ›him‹ in support of their own agendas.« 703 J. Derrida: Foi et savoir, op. cit., Nr. 15, S. 22 (dt. Übers.: S. 24). 701 702

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Die philosophische Herausforderung des Religiösen im postsäkularen Zeitalter

Die Überwindung oder ›Ver-windung‹ der Metaphysik, an der Derrida im Gefolge der Heidegger’schen ›Seynsgeschichte‹ weiter laboriert, muss somit keineswegs zwangsläufig in einen inhumanen Neopaganismus führen, 704 sondern sie vermag vielmehr die Dialogfähigkeit postmetaphysischer Philosophie für die konstruktive Auseinandersetzung mit den Weltreligionen deutlich zu erhöhen, da sie sich von kulturspezifischen abendländischen ›Selbstverständlichkeiten‹ wie der ontologisch-metaphysischen Präsenzfixierung emanzipiert. In diesem Kontext der philosophischen Öffnung für die vernünftigen Potentiale der Weltreligionen ist sicherlich auch die von Derrida in Foi et savoir im Anschluss an Kants Vernunftreligion aufgeworfene Frage zu sehen, wie sich »– in den Grenzen bloßer Vernunft – eine Religion denken [ließe; M. W.], die heutzutage als universale Religion wirksam wäre und die sich nicht wiederum in eine ›natürliche‹ Religion zurückverwandeln würde? Eine Religion, die nicht am christlichen oder abrahamischen Paradigma ihre Schranke hätte?« 705 Gewiss wäre es vermessen, von der Philosophie die Ausarbeitung oder Synthese einer derartigen ›universalen Religion‹ zu erwarten, auch wenn – wie gezeigt – die religionsphilosophischen Entwürfe Kants, Hegels und Schellings durchaus eine derartige Ambition verfolgt haben. Unter postmetaphysischen Bedingungen kann interkulturelle Religionsphilosophie immerhin dazu beitragen, interkulturelle Divergenzen und transkulturelle Konvergenzen der Weltreligionen analytisch herauszuarbeiten und damit – durchaus im Sinne Habermas’ – jene Momente religiöser Vernunft zu entbergen, die über eine 704 Siehe zur Kritik am Heideggerschen Neopaganismus J. Habermas: »Glauben und Wissen«, a. a. O., S. 260: »Bei Heidegger mutiert die Andacht zum Andenken. Aber dadurch, daß sich der Jüngste Tag der Heilsgeschichte zum unbestimmten Ereignis der Seinsgeschichte verflüchtigt, gewinnen wir keine neue Einsicht. Wenn sich der Posthumanismus in der Rückkehr zu den archaischen Anfängen vor Christus und vor Sokrates erfüllen soll, schlägt die Stunde des religiösen Kitsches.« Derridas Position wird von Habermas jedoch ausdrücklich gegen diesen Vorwurf in Schutz genommen. Siehe dazu J. Habermas: »Wie die ethische Frage zu beantworten ist: Derrida und die Religion«. In: Ders.: Ach, Europa. Kleine politische Schriften XI. Frankfurt a. M. 2008, S. 40–62, hier S. 42: »Wie unterscheiden sich Heidegger und Derrida in ihrem Verständnis der Ankunft eines bedeutungsschweren, aber unbestimmt gelassenen ›Ereignisses‹ ? […] Ich habe den Verdacht, dass sich die Geister an der unverbrüchlichen Treue zu einem spezifischen Gehalt des monotheistischen Erbes scheiden – und dem neuheidnischen Verrat an diesem Erbe.« 705 J. Derrida: Foi et savoir, op. cit., S. 25 (dt. Übers.: S. 27).

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Nachkantische Religionsphilosophie im Spannungsfeld von Glauben und Wissen

einzelne Kultur hinaus eine universalisierende Wirkung zu entfalten vermögen. Der folgende III. Teil wird in Form eines Ausblicks exemplarisch einige Hinweise zur näheren Konturierung dieser Agenda zu geben versuchen. Die gegenüber den idealistischen Religionsphilosophien deutlich depotenzierten Überlegungen Habermas’ und Derridas werden dabei insofern hintergründig wirksam sein, als sie eine Reflexion auf den formalen Rahmen ermöglichen, innerhalb dessen sich der Dialog der Religionen untereinander sowie der Dialog säkularer und religiöser Einstellungen überhaupt abspielen kann. Bei Habermas besteht dieser als konsensual unterstellte Hintergrund in einer zugleich auf die Rechte des Individuums zugeschnittenen, differenzempfindlichen und universalistischen Verfassung, die den Pluralismus der Weltanschauungen zugleich gewährleistet und in seinem Konfliktpotential entschärft. Derrida verweist demgegenüber – in einer Motivik, die eher in den Bereich der Ethik als in den der politischen Philosophie hinweist – auf die Einräumung eines eröffnenden Vertrauens auf die Antwort des/der Anderen, ohne die weder Rationalität noch Religiosität denkbar wären. Bezogen auf das grundsätzliche philosophische Interesse an Religion ist Habermas’ Forderung nach produktiven Dialogen zwischen Religion(en) und Philosophie(n) unbedingt zuzustimmen; doch sollten diese Dialoge nicht nur auf die monotheistischen Religionen beschränkt werden, sondern unbedingt auch ostasiatische Spiritualität und Denkweisen einbeziehen. Die Philosophie Derridas bietet dafür in der Nachfolge des Heidegger’schen Seinsdenkens produktive Anknüpfungsmöglichkeiten, die bislang nur in Ansätzen genutzt worden sind. 706

706 Siehe zu theologischen Anknüpfungsmöglichkeiten an die Philosophie Derridas J. Valentin: Atheismus in der Spur Gottes. Theologie nach Jacques Derrida. Mainz 1997.

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Dritter Teil: Interkulturelle Divergenzen und transkulturelle Konvergenzen zwischen den Weltreligionen

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I. Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken

Nachdem im I. Teil das Aufgabenprofil einer interkulturell ausgerichteten Religionsphilosophie bestimmt wurde und im II. Teil paradigmatische Ansätze kantischer und nachkantischer Positionen zum Verhältnis von Glauben und Wissen analysiert wurden, sollen nun im abschließenden III. Teil einige Schritte in die Weltreligionen selbst unternommen werden. Die Untersuchung der von Kant ausgehenden Strömung der modernen Religionsphilosophie hat die philosophischen Erkenntnisinteressen einer rationalen Auseinandersetzung mit Religion deutlich gemacht: Sei es, dass, wie im Falle Kants, die Philosophie das vernünftige Moment der kulturell divergierenden Religionen in der einen universalen Religion aus praktischer Vernunft verortet, sei es, dass, wie in den idealistischen Religionsphilosophien Hegels und Schellings, Philosophie die interpretativ angeeigneten Gehalte des Religiösen im Medium des Begriffs vindiziert – der kantischen und nachkantischen Philosophie scheint es offensichtlich ein wesentliches Anliegen zu sein, auch unter den Bedingungen der aufgeklärten Moderne diejenigen Elemente der Religion(en) für die Vernunft zu bewahren bzw. zu erschließen, die für eine diskursive Erschließung empfänglich sind. War die postidealistische philosophische Entwicklung in Europa während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ihren Hauptströmungen tendenziell von Religionskritik, Skeptizismus oder Indifferentismus gegenüber den Religionen gekennzeichnet, so hat sich Religion im Zuge der Globalisierung seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts der philosophischen Reflexion zunehmend aufgedrängt. Dieser Trend ist am Aufkommen einer eigenständigen analytischen Religionsphilosophie sowie einer an religiösen Themen interessierten Phänomenologie ebenso abzulesen wie an den hier untersuchten Stellungnahmen Habermas’ und Derridas. Bei diesen zum Teil von ›außen‹, d. h. durch gesellschaftliche Entwicklungen veranlassten, zum Teil auch aus innerdisziplinären Motivationen heraus 387 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken

neu geweckten Wiederaufnahmen religionsspezifischer Fragestellungen stehen freilich aus dem Monotheismus und hier speziell aus dem Christentum stammende Themen und Motive eindeutig im Vordergrund. 1 Das spezifische Erkenntnisinteresse der zeitgenössischen philosophischen Auseinandersetzung mit Religion scheint zum einen darin zu liegen, die im globalen Maßstab zu beobachtende, bisweilen bedrohlich anmutende Revitalisierung des Religiösen als zeitgeschichtliches Phänomen angemessen zu deuten und in Beziehung zur säkularen Vernunft zu setzen, und zum anderen, vielfach bereits überholt geglaubte Problemstellungen (wie die Frage der Gottesbeweise) mit verfeinerten analytischen Methoden einer erneuten philosophischen Behandlung zu unterziehen. Während sich das zuletzt genannte systematische oder logische Erkenntnisinteresse vorwiegend auf die analytische Religionsphilosophie bezieht, ist die Selbstvergewisserung des säkularen Standpunkts unter Einbeziehung historischer und sozialer Entwicklungen eher ein Anliegen der sogenannten ›kontinentalen Philosophie‹. Beide aber stehen, wie bereits erwähnt, nach wie vor im dominierenden Bannkreis christlich-monotheistischer Religiosität. Worin aber liegt auf der anderen Seite das Interesse der Religionen an einer Einbeziehung philosophischer Reflexion in den religiösen Vollzug oder auch nur an einer konstruktiven Auseinandersetzung mit säkularen Positionen? Es handelt sich hierbei um zwei verschiedene Konstellationen, denn philosophisches Denken kann einmal von einer Religion verwendet bzw. instrumentalisiert werden, um bereits feststehende religiöse Grundsätze zu explizieren, rational zu begründen und zu systematisieren; es kann aber aus religiöser Sicht auch als irreligiöser oder antireligiöser säkularer Widerpart begriffen werden, der zur eigenen spirituellen Verfasstheit in einem weltanschaulichen Konkurrenzverhältnis steht. Die erste Konstellation ließe sich als integrativ, die zweite als konfrontativ kennzeichnen. So mag sich christliche Theologie logischer Verfahren und Argumente bedienen, die in der analytischen Religionsphilosophie entwickelt wurden, oder auf Zeitdiagnosen und InterpretationsExemplarisch kann hierzu etwa auf die Arbeiten von G. Agamben verwiesen werden wie Die Beamten des Himmels. Über Engel. Frankfurt a. M./Leipzig 2007; Die Zeit, die bleibt. Ein Kommentar zum Römerbrief. Frankfurt a. M. 2006; Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt a. M. 2002.

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Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken

ansätze zurückgreifen, die hermeneutisches, phänomenologisches oder dekonstruierendes Denken zur Verfügung stellen. Religiöse Positionen können sich aber auch programmatisch von einer rein säkularen Philosophie absetzen, die Rationalität ohne irgendwelche Bezugnahmen auf transzendente Vorgaben für kompetent genug erachtet, um theoretische Erkenntnis sowie moralische und rechtliche Normativität begründen zu können. Jede der großen Welreligionen hat gleichsam ein eigenes Variantenspektrum zum Umgang mit philosophischem Denken entwickelt. Dies bedeutet zugleich, dass jede Religion innerhalb ihres Systems der Philosophie bestimmte Schranken auferlegt, die sie nicht überschreiten darf, ohne fundamentale, unantastbare Voraussetzungen der jeweiligen Religion zu gefährden. So ist die Philosophie im Gehäuse einer Religion niemals vollkommen frei, sondern stets eingeschränkt. In den folgenden Kapiteln sollen aus der gewaltigen Bandbreite religiöser Beziehungen zum philosophischen Denken einige besonders charakteristische Aspekte der Weltreligionen Buddhismus, Christentum und Islam herausgegriffen werden. Dabei ist stets zu beachten, dass der Gegensatz zwischen Religion und Philosophie bzw. zwischen Spiritualität und Rationalität, Glauben und Wissen, terminologisch und ideengeschichtlich primär auf die Geschichte des Christentums zurückverweist und damit nur bedingt etwa auf ostasiatische Konstellationen übertragbar ist. Umgekehrt signalisiert aber gerade der Versuch einer Anwendung der aus der ›westlichen‹ Religionsphilosophie stammenden Dualismen auf eine Religion wie den Buddhismus die problematische Differenz, welche diese Unterscheidungen von der Spezifik buddhistischen Denkens trennt, und damit das Desiderat einer intensiveren Beschäftigung mit diesem Denken innerhalb einer interkulturellen Religionsphilosophie. Um den Ort philosophischen Denkens innerhalb der Grenzen einer bestimmten Weltreligion genauer bestimmen zu können, bietet sich die Frage nach den ›Zwei Wahrheiten‹ (des Glaubens und des Wissens) als Leitfaden für die Untersuchung an, da sich an dieser Problematik die unterschiedlichen Konturen religiöser Vernunft aufzeigen lassen, die sich im Buddhismus, im Christentum und im Islam ausgeprägt haben.

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Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken

1.

Aspekte philosophischer Reflexion im Buddhismus

Wie stellt sich das Verhältnis zwischen Glauben und Wissen im Buddhismus dar, der sich gegenüber der Vorstellung eines absoluten Schöpfergottes agnostisch bis ablehnend verhält und der somit auf einen kreditiven Gottesglauben im Sinne des Monotheismus im Prinzip verzichtet? 2 Die Schwierigkeiten einer Übertragung der in monotheistischen Kontexten geläufigen Unterscheidung zwischen Glauben und Wissen auf den Buddhismus beginnen bereits mit der Zuschreibung dessen, was der Buddhismus seinem Selbstverständnis zufolge darstellen soll: 3 Denn der Sanskrit-Ausdruck dharma bezeichnet zunächst weder die fromme Beachtung überlieferter Vorschriften noch die Rückbindung an eine heilige Macht, die der Begriff religio nach Cicero bzw. Laktanz ursprünglich ausdrückt. Eher schon kommt er dem mittelalterlichen Ausdruck lex (Gesetz) als Bezeichnung für die Gesamtheit des Religiösen nahe, denn dharma bezieht sich sowohl auf das Daseingesetz, dem alles Seiende unterworfen ist, als auch auf die Lehre des Buddha, die dieses Gesetz in der Lehre von den Vier Edlen

Siehe dazu R. P. Hayes: »Principled Atheism in the Buddhist Scholastic Tradition«. In: Philosophy of Religion [Indian Philosophy, 4]. Hrsg. v. R. W. Perrett. London/New York 2001, S. 107–130, hier S. 107: »In their systematic presentations of religious philosophy, the Indian Buddhists consistently defended the position that belief in an eternal creator god who superintends his creation and looks after the concerns of his creatures is a distraction from the central task of religious life. This was clearly the position taken in the early Pāli literature and in the Thervāda philosophy based on that literature, but even in the later Mahāyāna writings such as the Lotus Sūtra and the Laṅkāvatāra Sūtra, in which buddhahood is portrayed not as a feature of the isolated career of Siddhārtha Guatama but rather as a constant feature of the entire cosmos at all times, great care is taken to try to distinguish the concept of the cosmic Buddha-nature in the forms of Dharmakāya or Tathāgatagarbha from the concept of a creator god. The Buddhists were, for whatever reasons, eager to avoid falling into a theistic position.« – Siehe dazu auch F. Frédéric: Les Dieux du bouddhisme. Paris 2006; Y. Takeuchi (Hrsg.): Buddhist Spirituality. Indian, Southeast Asian, Tibetan, and Early Chinese. New York 1993. 3 Siehe dazu H. Bechert/R. Gombrich (Hrsg.): Der Buddhismus. Geschichte und Gegenwart. München 1984; K.-H. Brodbeck: Buddhismus interkulturell gelesen. Nordhausen 2005; M. v. Brück: Einführung in den Buddhismus. Frankfurt a. M./Leipzig 2007; F. J. Hoffman u. D. Mahinda (Hrsg.): Pāli-Buddhism. Richmond 1996; H. W. Schumann: Siebzig Schlüsselbegriffe des Pāli-Buddhismus. Definiert und kommentiert – mit Seitenblicken auf ihre Sanskrit-Entsprechungen im Mahāyāna-Buddhismus. Heidelberg-Leimen 2006. 2

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Aspekte philosophischer Reflexion im Buddhismus

Wahrheiten erfasst hat und mit dem Edlen Achtfachen Pfad einen Weg aus der Verstrickung in das Leiden allen Daseins aufzeigt. 4 Da das letzte Ziel des buddhistischen dharma die vollkommene Erleuchtung (bodhi) ist, in welcher der Daseinsdurst vergleichbar einer erloschenen Kerzenflamme getilgt ist, besteht der buddhistische Weg vor allem im Nachvollzug der einander ergänzenden Schritte, die bis zur Erleuchtung zu gehen sind. Unerlässliche Voraussetzung hierfür ist die Einsicht in die Tatsache der Vergänglichkeit und des daraus resultierenden Leidens (dukkha) allen Daseins (die erste Edle Wahrheit, gleichsam die fundamentale Diagnose); sodann sind die Ursachen für das Leiden zu begreifen, was eine bestimmte ontologische Auffassung hinsichtlich der daseinskonstituierenden Faktoren impliziert (die zweite Edle Wahrheit); als nächster Schritt, der bereits in die Ethik hineinführt, ist die grundsätzliche Möglichkeit einer Überwindung des Leidens durch das Erlöschen des Daseinsdurstes zu erkennen (die dritte Edle Wahrheit); und die sich daran anschließende vierte Edle Wahrheit zeigt schließlich auf, wie der Daseinsdurst praktisch überwunden werden kann, nämlich durch das gleichsam therapeutische Beschreiten des ›Edlen Achtfachen Pfads‹, der rechte Ansicht, rechtes Denken, rechtes Reden, rechtes Handeln, rechtes Leben, rechtes Streben, rechte Achtsamkeit und rechte Sammlung beinhaltet. 5 Die Verhaltensweisen bzw. idealen Dispositionen, die der ›Edle Achtfache Pfad‹ umfasst, lassen sich in drei Gruppen einteilen: Die erste Gruppe deckt mit den Komponenten der rechten Ansicht/Erkenntnis und des rechten Denkens den Bereich des Wissens (pañña) ab; die zweite Gruppe zielt mit der rechten Rede, dem rechten Handeln und dem rechten Leben auf die Sphäre der Ethik und Moral (sīla) ab; und die dritte Gruppe, zu der das rechte Streben, die rechte Achtsamkeit und die rechte Sammlung

Die Vier Edlen Wahrheiten hat der Buddha der Überlieferung des Pali-Kanons zufolge in seiner ersten Rede Dhammacakkappavattana-sutta verkündet, durch die das Rad des Dharma in Bewegung gesetzt wurde. Der Begriff Dharma umfasst sowohl eine deskriptive als auch eine normative Komponente. Siehe dazu R. Gombrich: »Einleitung: Der Buddhismus als Weltreligion«. In: Bechert/Gombrich 1984, S. 15–29. – In der Abhidharma-Philosophie werden als dharmas außerdem die elementaren, substanzlosen Wirklichkeitselemente bzw. Daseinsfaktoren bezeichnet, die in Abhängigkeit voneinander entstehen und die Illusion der Realität, d. h. substanzieller Dinge mit Eigenschaften, im Bewusstsein hervorrufen. 5 Siehe hierzu einführend Bechert/Gombrich 1984; K. Ceming/H. P. Sturm: Buddhismus. Frankfurt a. M. 2005. 4

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Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken

zu zählen sind, bezieht sich auf den Bereich der meditativen Konzentration (sati/samādhi). 6 Philosophische Reflexion, insbesondere ontologische und erkenntnistheoretische Erwägungen, eine bestimmte ethische Lebensführung und die Praxis der Meditation greifen so im buddhistischen Weg auf komplexe Weise ineinander: Die philosophische Erkenntnis ist kein Selbstzweck, sondern stellt die Voraussetzung zur ethischen Lebensführung dar, so wie diese wiederum die Voraussetzung zur richtigen Weise der meditativen Sammlung ist, die wiederum die Voraussetzung für Erleuchtung und ultimative Erkenntnis des wahren Charakters der Wirklichkeit bildet. Umgekehrt führt der in der Meditation gewonnene Bewusstseinszustand zu einer vertieften mentalen Einsicht in die buddhistische Lehre sowie zu einer moralischen Disposition, die rechtes Handeln und rechtes Leben begünstigt, sodass sich die verschiedenen Bestandteile des ›Edlen Achtfachen Pfads‹ wechselseitig verstärken und in ihrer heilsamen Wirkung unterstützen. Beim Buddhismus handelt es sich offensichtlich um eine Religion, in der die charakteristische Verbindung von kreditivem und putativem Glauben, welche die monotheistischen Religionen kennzeichnet, zumindest auf den ersten Blick keine Rolle spielt. 7 Für den Nachvollzug des Leidenscharakters allen Daseins wird kein Glauben, sondern vielmehr Einsicht und Erkenntnis gefordert. Insbesondere die ersten beiden der Vier Edlen Wahrheiten könnte man als eine Form des Wissens bezeichnen, das zwar dem historischen Zeugnis zufolge durch die Erleuchtung Siddharta Gautamas, des historischen Buddhas, erst gewonnen wurde, 8 das aber – einmal formuliert – gleichwohl den Anspruch erhebt, für jeden Menschen auf der Basis Siehe zu dieser Einteilung etwa H. Küng: Spurensuche. Die Weltreligionen auf dem Weg. München/Zürich 2008, S. 256. 7 Generalisierende Aussagen wie diese stehen freilich unter dem Vorbehalt, dass der größte Teil der in Pali, Sanskrit, Chinesisch, Tibetisch, Koreanisch und Japanisch verfassten buddhistischen Schriften noch nicht in eine europäische Sprache übersetzt worden sind. Diesbezüglich schreibt P. J. Griffiths zu Recht: »[…] we do not know as much as we should in order to make responsible generalizisations about Buddhist philosophical concerns« (Art. »Buddhism«. In: A Companion to Philosophy of Religion. Hrsg. v. C. Taliaferro, P. Draper u. P. L. Quinn. Malden, USA/Oxford, UK 2010, S. 13–22, hier S. 13). Hinzu kommt als weitere Erschwernis allgemeiner Aussagen über ›den Buddhismus‹ die von Griffiths in diesem Zusammenhang ebenfalls angesprochene außerordentliche interne Vielfältigkeit der buddhistischen Traditionen. 8 Siehe dazu G. C. Pande: Studies in the Origins of Buddhism. Delhi 1974. 6

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Aspekte philosophischer Reflexion im Buddhismus

seiner individuellen Lebenserfahrung, zu der unaufhebbar Vergänglichkeitserlebnisse und somit Leiden gehören, kognitiv und emotional nachvollziehbar zu sein. Gemessen am modernen Verständnis von Wissen, das nachvollziehbare methodische Standards für die Gewinnung intersubjektiv verbindlicher Überzeugungen impliziert, kann die buddhistische Einsicht in den Leidenscharakter allen Daseins freilich nicht als ›Wissen‹ bezeichnet werden. Eher ließe sie sich aus diesem Blickwinkel als eine auf Erfahrungsgründe gestützte Interpretation des Daseins charakterisieren, die einige empirische Evidenzen für sich in Anspruch nimmt, andere, die gegen eine derartige Interpretation sprechen, jedoch ausblendet. So betrachtet, erweist sich auch das buddhistische ›Wissen‹ um den Leidenscharakter der Welt letztlich als eine Annahme (also ein putatives Glauben), die immer dann, wenn man sich von diesem Leiden existentiell betroffen fühlt und nach Wegen zu seiner Überwindung sucht, eine kreditive Verstärkung erfährt. Somit lässt sich – entgegen dem ersten Anschein – mit Fug und Recht behaupten, dass auch im Buddhismus putatives und kreditives Glauben verlangt wird, wenngleich diese Einstellungen nicht auf einen Schöpfergott bezogen sind. 9 Will ich mich auf den buddhistischen Weg begeben, so muss ich nicht nur von der theoretischen Annahme überzeugt sein, dass das Dasein in seinem Wesen instabil ist und dass die Illusion der Stabilität und Substanzhaftigkeit zu immer neuem Leiden führt. Ich muss auch daran glauben – denn wissen kann ich es ja vorher nicht –, dass mich die Beherzigung einer ethischen Lebensführung nach den Empfehlungen der buddhistischen Traditionen sowie regelmäßige Meditation schrittweise von der Verstrickung ins Leiden befreien werden. Und eben dieser Vertrauensvorschuss, den ich investiere, bevor ich den Weg des Buddha beschreite, zeichnet das kreditive Glauben aus. Ist allerdings die Erleuchtung, der Eingang ins Nirvana und damit die Befreiung vom Leiden erreicht, bedarf es des Glaubens nicht mehr. Zu diesem Befund passt auch, dass einer der zentralen, wenngleich apokryphen Texte des frühen chinesischen Buddhismus, in dem die Grundlehren des Mahāyāna zusammengefasst sind, als

Gleichwohl gibt es auch innerhalb des Buddhismus Bemühungen, trotz der Ablehnung eines Schöpfergottes quasi-göttliche Eigenschaften des Buddha wie Allwissenheit in einer Weise zu rechtfertigen, die Argumentationen aus den monotheistischen Theologien überraschend nahe kommen. Siehe dazu P. J. Griffiths: »Buddhism«. In: Taliaferro/Draper/Quinn 2010, S. 20 f.

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Abhandlung über das Erwachen des Glaubens im Mahāyāna (Dàshéng Qĭ xìn Lùn) 10 betitelt ist. Im vierten Teil dieser dem indischen Dichterphilosophen Aśvaghoṣa zugeschriebenen, jedoch höchstwahrscheinlich in China um das Jahr 500 n. Chr. entstandenen Schrift ist ein eigener Abschnitt der Glaubenspraxis gewidmet, die sich an diejenigen Menschen richtet, die nicht bereits zur Erleuchtung gelangt sind. In diesem Zusammenhang werden vier verschiedene Arten des Glaubens unterschieden, nämlich 1) der Glaube an die unendliche Quelle, der die Soheit des Seienden entstammt, 2) der Glaube an die zahllosen positiven Eigenschaften Buddhas, 3) der Glaube an die Vorzüge des Dharma, also der buddhistischen Lehre, und 4) der Glaube an den Sangha, die buddhistische Gemeinschaft. Während die erste Glaubensform als Spezifikum des Mahāyāna-Buddhismus betrachtet werden kann, entsprechen die drei anderen Glaubensformen den seit dem frühen indischen Buddhismus geläufigen ›Drei Juwelen‹, zu denen der Buddhist seine Zuflucht nimmt, nämlich zum Buddha, zum Dharma und zum Sangha. Es ist somit festzuhalten, dass es in den verschiedenen Strömungen des Buddhismus durchaus relevante Aspekte kreditiven Glaubens gibt, die sich jedoch – und hierin liegt die entschiedende Differenz zu den monotheistischen Religionen – nicht auf einen Schöpfergott beziehen und die außerdem ein komplexes Binnenverhältnis zu weiteren religiösen Verhaltensweisen (Wissen/Einsicht, meditative Erfahrung, moralisch gutes Handeln, ritueller Vollzug) unterhalten. Dem Glauben kommt im Buddhismus primär eine vorbereitende Funktion zu, da er die notwendige Voraussetzung dafür bildet, den buddhistischen Weg vertrauensvoll zu beschreiten. 11 Aber der funEs wurde die französische Übersetzung von C. Despeux herangezogen: Soûtra de l’éveil parfait (Yanjue jing), version chinoise de Buddhatrāta, et Traité de la naissance de la foi dans la Grand véhicule (Dasheng quixin lun, Mahāyānaśraddhotpādaśāstra) d’Aśvaghoṣa, version chinoise de Paramārtha. Paris 2005. – Siehe dazu auch Whalen Lai (with assistance from Yu-Yin-Cheng): »Chinese Buddhist Philosophy from Han through Tang«. In: History of Chinese Philosophy. Hrsg. v. Bo Mou. London/New York 2009, S. 324–361. 11 Siehe dazu entsprechend Lai 2009, S. 324: »It is not faith in the Christian sense of having faith in God and being saved through Grace in return. Faith in early Buddhism is the initial trust in the truth of the teachings before embarking on this quest for wisdom. In the AFM [The Awakening of Faith in Mahayana; M. W.], it is more. It is confidence in wisdom or Buddha-nature being already in one’s possession: an affirmation of a priori enlightenment.« 10

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Aspekte philosophischer Reflexion im Buddhismus

damentale Bewusstseinswandel, den die Befreiung vom Leiden erfordert, kann weder durch Glauben noch durch Wissen alleine und auch nicht durch die Kombination beider erreicht werden. 12 Vielmehr müssen die Komponenten des ›Edlen Achtfachen Pfads‹, indem sie sich wechselseitig verstärken, zusammenwirken und können dadurch eine allmähliche oder – je nach buddhistischer Schule – urplötzliche Lösung von der Verstrickung in den Daseinsdurst und den aus ihm folgenden Illusionen über den wahren Charakter der Wirklichkeit herbeiführen. Der erleuchtete Bewusstseinszustand, der die Soheit alles Seins aus der Leerheit begreift, kann allerdings in einem emphatischen Sinne wiederum als ›Wissen‹ oder ›wahre Erkenntnis‹ beschrieben werden, da er die kognitiven und emotionalen Täuschungen des vom Daseinsdurst gesteuerten Alltagsbewusstseins (avidya) überwunden hat. Der Mahāyāna-Auffassung des Dàshéng Qĭ xìn Lùn zufolge hat dieser Bewusstseinszustand immer schon bestanden; er war durch die substanzverhaftete, falsche Auffassung der Wirklichkeit im empirischen Alltagsbewusstsein nur verschüttet. Die Beziehungen zwischen metaphysisch-ontologischen Annahmen über das Weltganze, erkenntnistheoretischen und anthropologischen Prämissen, ethischen Vorschriften und kultischen Praktiken gestalten sich im Buddhismus dem Gesagten zufolge deutlich anders als in den monotheistischen Religionen. Unterschiedlich ist in diesem Zusammenhang nicht zuletzt auch der Stellenwert, der philosophischem Denken im Buddhismus und in den Monotheismen jeweils zugeschrieben wird: In vielen Schulen des Buddhismus kommt nicht nur dem Glauben, sondern auch der philosophischen Reflexion eine propädeutische Funktion für die Schulung des Geistes zu, damit die ethische Lebensführung sowie die Meditation mit einem höheren Maß an Achtsamkeit praktiziert werden können. 13 Obwohl der Vgl. dazu H. Nakamura: »Knowledge and reality in Buddhism«. In: Companion Enyclopedia of Asian Philosophy. Hrsg. v. B. Carr u. I. Mahalingam. London/New York 1997, S. 435–451, hier S. 436: »Religious dogmas are nothing but experiences leading one to the ideal state. At the end religious dogmas should be forsaken.« 13 R. Elberfeld unterscheidet hinsichtlich der verschiedenen Schulen des Buddhismus vier Ausrichtungen: »eine ethische, eine philosophische, eine religiöse und eine therapeutische.« (R. Elberfeld: »Einleitende Bemerkungen zum Huayan-Buddhismus und zu Fazang«. In: Ders./M. Leibold/M. Obert: Denkansätze zur buddhistischen Philosophie in China. Seng Zhao – Jizang – Fazang zwischen Übersetzung und Interpretation. Köln 2000, S. 112 f.) Den frühen indischen Hīnayāna-Buddhismus sieht Elberfeld dabei als vorwiegend ethisch-therapeutisch ausgerichtet, während in der Abhidharma-, der Mahdyamaka-, der Yogācāra-Schule, aber auch in der chinesi12

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Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken

Buddhismus wahrscheinlich diejenige Weltreligion darstellt, in der die Philosophie am stärksten funktional integriert ist, weist er der Philosophie gleichzeitig aber eine nur untergeordnete Bedeutung für die Erreichung des Erleuchtungszustands zu. Anders als in Teilen der scholastischen Tradition des Christentums, die sich dabei an die aristotelische Hochschätzung theoretischer Erkenntnis anschließt, repräsentieren Erkenntnis und Wissen im Buddhismus nicht die höchste Stufe des Geistes, sondern nur eine – von der Schule des ZenBuddhismus sogar bestrittene – Voraussetzung, um den buddhististischen Heilsweg zu beschreiten. Philosophie ist gemäß ihrer buddhistischen Evaluation nur insoweit relevant, als sie zur Aufhebung des Leidens und der Illusionen, die zum Leiden führen, einen Beitrag leistet. 14 So enthält die buddhistische Lehre zwar in diskursiver Form den begrifflich formulierbaren Gehalt dessen, was der historische Buddha (Siddharta Gautama) der Überlieferung des Pali-Kanons zufolge intuitiv als universelles Daseinsgesetz erkannte. Dieses lässt sich, einmal verlautbart und dokumentiert, in einzelne theoretische Komponenten wie die Vier Edlen Wahrheiten, den Edlen Achtfachen Pfad, die zwölfgliedrige Kette des bedingten Entstehens oder die Anatman-Doktrin auseinanderlegen, die wiederum mannigfaltige Spielräume für rationale Argumentationen und theoretische Systematisierungen eröffnen. Aber im Buddhismus kommt es letztlich – und deswegen kann ›buddhistische Philosophie‹ stets nur einen funktionalen Teilbereich des Gesamtkomplexes ›Buddhismus‹ repräsentieren – nicht nur auf den begrifflichen Gehalt und die systematische Kohärenz der Lehre an, sondern primär auf die einzigartige Erfahrung und den exzeptionellen Bewusstseinszustand des völligen Erwachens, der es dem Buddha gestattete, die Essenz seiner Lehre im Ganzen intuitiv zu erfassen. 15 Der Zustand des vollkommenen Erschen Huayen-Schule die Philosophie eine größere Bedeutung erlangte – wohlgemerkt immer im Hinblick auf die Loslösung vom Kreislauf des leidhaften Daseins. 14 Siehe dazu Brodbeck 2005, S. 39 ff. 15 Die Auffassung, dass das Absolute nur intuitiv zu erfassen sei und in der diskursiven Erkenntnis bereits nicht mehr als das Absolute selbst erkannt werden könne, ist freilich ein Gedanke, der auch der abendländischen Tradition bis hin zur idealistischen Philosophie keineswegs fremd ist. In diesem Zusammenhang sei nur an Schellings in der Schrift Philosophie und Religion vertretene Auffassung erinnert, dass das Wesen des Absoluten »nicht durch Erklärungen, sondern nur durch Anschauung erkannt werden« könne (F. W. J. Schelling: Philosophie und Religion, op. cit., S. 20), und dass es einer ›absoluten Erkenntnisart‹ (ebd., S. 21) bedürfe, um des Absoluten ansichtig werden zu können.

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Aspekte philosophischer Reflexion im Buddhismus

wachtseins, der zugleich das Verlöschen das Daseinsdurstes bedeutet, soll letztlich weder geglaubt noch gewusst, sondern in einer individuellen Erfahrung nachvollzogen werden. Die angestrebte ›Erkenntnis‹ (pramāna) selbst kann nicht mehr in der Form eines systematischen, argumentativen Diskurses vorliegen, weil dieser durch seine begrifflichen Identifizierungen und positionalen Festlegungen noch der Sphäre des Anhaftens und damit der Täuschung unterliegt. Der vollends Erwachte bedarf keiner Theorien mehr. Metaphysische Spekulationen um der reinen Erkenntnis willen, etwa über die erste Ursache der Welt, ihre Endlichkeit oder Unendlichkeit, den Grund des Bösen oder die Unsterblichkeit der Seele, werden daher bereits vom Buddha selbst als außerhalb seines dharma liegend beiseite geschoben. 16 Das Leiden der Lebewesen sei zu groß und ihre Erlösung zu vordringlich, als dass man diese durch letztlich überflüssige Erörterungen verzögern dürfe. 17 Diese führen aber auch deswegen vom eigentlichen Heilsziel, der Erlösung vom Leiden, weg, weil die infrage stehenden Probleme (beispielsweise die Ewigkeit oder Nicht-Ewigkeit der Welt, die Identität oder Differenz von Leib und Seele, das Dasein oder Nichtdasein nach dem Tode) zumeist in der Form logischer ›Entweder-Oder‹-Alternativen auftreten, die kein Drittes zulassen und eine Entscheidung zugunsten der einen oder der anderen Lösung zu erfordern scheinen. Das Festhalten an derjenigen Position, die man – aus welchen guten Gründen auch immer – für die richtige hält, stellt aber letztlich nur eine subtilere Form des subjektiven Anhaftens dar, das der buddhistischen Doktrin zufolge in seinen verschiedenen Varianten zur Illusion substantieller Existenzen, zum Daseinsdurst und damit zu immer neuem Leiden führt. Erst die Befreiung vom Zwang zur diskursiven Positionierung und vom Vgl. Reden des Buddha. In: Die heiligen Schriften der Welt. Hrsg. v. H. Küng. Buddhismus: Die klassischen Schriften, Nr. 32: »Welche Fragen Buddha nicht beantwortet«, S. 109 ff. (aus: Majjhima Nikaya); Canon Bouddhique Pāli (Tipitaka). Suttapitaka Dīghanikāya. Hrsg. v. J. Bloch, J. Filliozat, L. Renou. Paris 1989, »Analyse du Brahmajala (Brahmajālasuttaṃ Paṭhamaṃ – Le Filet de Brahman«, S. 1 f. – Siehe dazu auch v. Brück 2007, S. 118; sowie Nakamura 1997. 17 Vgl. Reden des Buddha, op. cit., Nr. 32, S. 111: »Darum, Malunkyaputta, was von mir nicht erklärt ist, das lasst unerklärt bleiben. […] Und warum ist dies von mir nicht erklärt, Malunkyaputta? Weil es nicht zweckdienlich ist, Malunkyaputta, weil es nicht zu den Grundlagen heiligen Wandels gehört, weil es nicht zur Weltabkehr, nicht zur Leidenschaftslosigkeit, nicht zur Aufhebung, nicht zum Frieden, nicht zur Erkenntnis, nicht zur Erleuchtung, nicht zum Nirwana führt: darum ist dies von mir nicht erklärt.« 16

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Recht-haben- und Überzeugen-Wollen vermag das Bewusstsein sowohl für die Weite der Welt als auch für die Konzentration auf das Wesentliche zu öffnen. Obwohl die philosophische Erkenntnissuche somit aus der Sicht des Buddhismus durchaus spirituelle Gefahren beinhaltet – insbesondere eine Abkehr vom Ziel der Leidensaufhebung durch die Beschäftigung mit metaphysischen Positionen, durch welche das kognitive Anhaften eher verstärkt als gelöst wird – und daher notwendig begrenzt, d. h. am Erleuchtungs- und Erlösungsziel orientiert sein muss, hat sich in den Kulturräumen, in denen der Buddhismus verbreitet war und bis heute ist, eine hoch differenzierte buddhistische Philosophie mit einer reichhaltigen Vielfalt an Strömungen entwickelt. 18 Hierzu zählen etwa im indischen Kulturraum die Hinayana-Schule des Sarvāstivāda, von der sich später der Sautrānika abspaltete, die Mahāyāna-Schulen des Madhyamaka 19 und des Vijñānavāda (bzw. Cittamātra oder Yogācāra), im chinesischen Kulturraum die Schulrichtungen Jushe zong, Chengshi zong, Faxiang zong, Sanlun zong, Huayan zong, 20 Tiantai zong, Chan, Jingtu zong, aus denen sich wiederum im japanischen Kulturraum die Schulen Kusha-shū, Jōjitsushū, Hossō-shū, Shanron-shū, Kegon-shū, Tendai-shū, Zen, Jōdoshū entwickelt haben. 21 Die buddhistischen Schulrichtungen lassen sich dabei tendenziell unterteilen in solche, die rationalem und logischem Denken eine größere Bedeutung insbesondere für die Kritik falscher Auffassungen beimessen, und solchen, in denen stärker die Meditationspraxis und die mit ihr verbundene Erfahrung bzw. Bewusstseinsveränderung betont werden und in denen philosophische Argumentationen und SysVgl. W. Edelglass/J. L. Garfield (Hrsg.): Buddhist Philosophy. Essential Readings. New York 2009, »Introduction«, S. 3: »The buddhist world […] generated numerous schools of thought and philosophical systems […], with a substantial and internally diverse philosophical canon comparable to that of Western philosophy.« Siehe dazu auch D. Burton: »A Buddhist Perspective«. In: Meister 2011, S. 321–336. 19 Siehe dazu R. C. & M. Pandeya: Nāgārjuna’s Philosophy of No-Identity. With Philosophical Translations of the Madhyamaka-kārikā, Sūnyatā-Sapati and Vigrahavyāvartani. Delhi 1991. 20 Ein in philosophischer Hinsicht herausragender Vertreter der Huayan-Schule war ihr dritter Pariarch Fazang (643–712). Siehe etwa ders.: Les mystères essentiels de l’Entrée à Lanka (Rù Lĕngjiā xīn xuán yì). Übers. v. P. Carré. Paris 2007; Elberfeld/ Reibold/Obert 2000. 21 Siehe hierzu einführend Edelglass/Garfield 2009; J. Takakusu: Grundzüge buddhistischer Philosophie. Frankfurt a. M. 2014. 18

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Aspekte philosophischer Reflexion im Buddhismus

tematisierungen generell eher skeptisch beurteilt werden. 22 Die Philosophie Nāgārjunas, des Begründers der ›Schule des Mittleren Wegs‹ (Madhyamaka), kann als ein Ausgangspunkt für beide Grundrichtungen betrachtet werden, da er sich bei seinem Versuch, gegenüber den vielstimmigen Auslegungen der Schulen des ›Kleinen Fahrzeugs‹ wiederum auf die ›authentische‹ Lehre Buddhas zurückzugehen, zwar der logischen Argumentation bediente, sie aber mit dem Ziel einsetzte, letztendlich jede philosophische Position im Zuge einer komplexen negativen Dialektik als unhaltbar zu erweisen. Daher finden sich in der Nachfolge Nāgārjunas unter den mannigfaltigen MahāyānaStrömungen sowohl eher auf logische Rationalität vertrauende Richtungen (wie etwa der im tibetischen Buddhismus einflussreiche Prasaṅgika-Madhyamaka) als auch die individuelle Meditationserfahrung betonende Schulen wie etwa Cittamātra (bzw. Yogācāra), die älteste tibetische Schule Nyingmapa, der Tantrismus oder der Zen. Aber auch die Ablehnung ausschweifender scholastischer Argumentation bedarf in aller Regel einer philosophischen Begründung, etwa mittels einer verschärften Analyse des ›Leerheits‹-Begriffs wie bei Nāgārjuna, sodass auch in primär meditativ ausgerichteten Schulen des Buddhismus Philosophie eine durchaus wichtige, und zwar primär kritische, falsche Vorstellungen abweisende Rolle zu spielen vermag. Philosophisches Denken erfüllt – wie gezeigt – in allen buddhistischen Strömungen eine soteriologische Funktion: Sie soll dazu beitragen, durch eine vertiefte Einsicht in die Leiden verursachende Natur der Realität letztlich vom Leiden zu befreien. Gleichwohl aber beschäftigt sie sich mit Fragen und Problemstellungen, die auch jenseits ihres religiösen, heilsbezogenen Kontextes in genuin philosophischen Disziplinen wie der Metaphysik oder Ontologie, der Epistemologie, der Ethik oder der Hermeneutik anzusiedeln sind. 23 Zwar werden im Buddhismus bestimmte Fragen, die in der abendländischen Tradition zum Kernbestand der Ontologie bzw. Metaphysik gehörten, als irrelevant ausgeschlossen (wie diejenige nach dem Ursprung der Welt, der Existenz Gottes oder der Unsterblichkeit der Seele); aber wenn man unter ›Metaphysik‹ bzw. ›Ontologie‹ im weiteren Sinne die Lehre von den fundamentalen Eigenschaften des Seienden versteht, dann hat zweifellos auch die buddhistische Philo22 23

Vgl. dazu Brobeck 2005, S. 17 ff. Vgl. dazu Edelglass/Garfield 2009, »Introduction«, S. 3–8.

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sophie mit ihren höchst subtilen und differenzierten Analysen der verschiedenen Daseinsfaktoren eine eigene, und zwar hochkomplexe metaphysische Ontologie vorgelegt – freilich eine Ontologie der Prozesse und Relationen, keine der Substanzen und allgemeinen Begriffe. Insofern sich die Analyse der dharmas stets zugleich auch darauf bezieht, wie im Bewusstsein Vorstellungen und Gedanken entstehen und verbunden werden, hat der Buddhismus ebenfalls anspruchsvolle Bewusstseinstheorien (philosophies of mind) und Epistemologien ausgebildet. Ethische Reflexionen wiederum beziehen sich innerhalb der buddhistischen Philosophie auf diejenigen Komponenten des ›Edlen Achtfachen Pfades‹, die rechtes Reden, rechtes Handeln und rechtes Leben einfordern. Und die Hermeneutik schließlich ist deswegen ein unverzichtbarer Bestandteil buddhistischer Philosophie, weil der gewaltige Korpus an buddhistischer Literatur bereits früh eine ausgebildete Methodik der Erklärung und Interpretation erforderlich gemacht hat, 24 vergleichbar derjenigen, die sich im Abendland anhand der Bibelauslegung entwickelt hat. Zu den klassischen Strömungen buddhistischer Philosophie, deren bloße Aufzählung bereits die innere Differenziertheit buddhistischen Denkens anzeigt, sind im 20. Jahrhundert neue Positionen einer im weiteren Sinne buddhistischen Philosophie hinzugekommen, die entweder – wie im Falle Yin Shuns, des wohl wichtigsten Mahāyāna-Theoretikers des 20. Jahrhunderts 25 – die Grundlagen der buddhistischen Lehre vertiefend durchdachten oder – wie etwa bei den Denkern der japanischen Kyôto-Schule 26 – Elemente der buddhistischen Tradition mit der modernen europäischen Philosophie, insbesondere der Transzendentalphilosophie, der hegelschen Dialektik und der Phänomenologie, in eine fruchtbare Beziehung zu setzen suchten. 27 Doch nicht nur die Grenzen zwischen abendländischer und Vgl. ebd., S. 4. Siehe dazu die Studie von M. Bingenheimer: Der Mönchsgelehrte Yinshun (* 1906) und seine Bedeutung für den chinesisch-taiwanischen Buddhismus des 20. Jahrhunderts. Heidelberg 2004. 26 Siehe dazu R. Ohashi (Hrsg.): Die Philosophie der Kyôto-Schule. Texte und Einführung. Freiburg/München 2012; ders.: »Zur Philosophie der Kyôto-Schule«. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, 40 (1986), S. 121–134; sowie Vroom 2006, S. 159 ff. 27 Siehe etwa K. Nishida: L’Éveil à soi. Paris 2003; ders.: Logik des Ortes. Der Anfang der modernen Philosophie in Japan. Darmstadt 1999; ders.: An Inquiry into the Good. New Haven/London 1990; K. Nishitani: On Buddhism. Albany 2006; ders.: The Self24 25

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ostasiatischer Philosophie geraten bei den Denkern der Kyôto-Schule in Bewegung, sondern auch diejenigen zwischen Religion und Philosophie, sofern etwa die Inspirationsquellen des fundamentalen Gedankens des ›absoluten Nichts‹ bzw. der ›Leere‹ teilweise religiösen, eben buddhistischen Ursprungs sind. 28 Was mit dem ›absoluten Nichts‹ bzw. der ›Leere‹ der Kyôto-Schule intendiert ist, bleibt unklar, solange dieser Begriff nicht auf die zentrale Einsicht des MahāyānaBuddhismus zurückbezogen wird, dass die wechselseitige Abhängigkeit aller Erscheinungen zugleich ihre konstitutive Leerheit und Wesenlosigkeit bedeutet, die als das ruhende Gemeinsame der vielfältigen Phänomene zu begreifen ist. 29 In der Selbstlosigkeit des Selbst, die durch die Beschreitung des buddhistischen ›Edlen Achtfachen Pfades‹ erlangt wird, kann die universelle Wirksamkeit einer Leerheit, die nicht negativ ist, erfahren werden. 30 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass philosophische Reflexion, Argumentation und Systematisierung wichtige, wenngleich durch das Heilsziel der Leidensauslöschung begrenzte Funktionen innerhalb des religiösen Gesamtkomplexes ›Buddhismus‹ erfüllt. Insbesondere hat sie die Aufgabe, den dharma mit diskursiven Mitteln klarer und deutlicher darzustellen und dadurch die Beschreitung des buddhistischen Heilswegs zu unterstützen. So kann sie etwa die Differenz zwischen zwei Wahrheitsebenen begrifflich herausarbeiten, der Ebene der konventionellen Wahrnehmung und Identifizierung präsenter Gegenstände (Pali: samuti sacca, Sanskrit: samvritti satya; die relative, verhüllte Wahrheit) und der Ebene der unverhüllten Overcoming of Nihilism. Albany 1990; ders.: »Mein philosophischer Ausgangspunkt«. In: Zeitschrift für philosophische Forschung, 46 (1992), S. 545–556. – Siehe dazu auch den Sammelband Interkulturelle Philosophie und Phänomenologie in Japan. Beiträge zum Gespräch über Grenzen hinweg. Hrsg. v. T. Ogawa, M. Lazarin u. G. Rappe. München 1998. 28 Siehe H. Tanabe: Philosophy as metanoetics. Berkeley/Los Angeles/London 1986; T. Unno (Hrsg.): The Religious Philosophy of Nishitani Keiji. Encounter with Emptiness. Berkeley 1989; ders./J. W. Heisig (Hrsg.): The Religious Philosophy of Tanabe Hajime. The Metanoetic Imperative. Berkeley 1990. 29 Siehe Ohashi 2012, »Einführung zur zweiten Auflage« S. 11–48, hier S. 26. 30 Es ist insbesondere dieser Grundgedanke einer ›reinen Erfahrung‹ jenseits der Dichotomien von Sein und Nichts, Sein und Bewusstsein, Religion und Philosophie etc., der die Ansätze der Kyôto-Schule mit dem Anliegen Derridas verbindet, bei der Frage nach den Quellen der Religion auf universelle Grunderfahrungen (wie diejenige des glaubenden Vertrauens und des Unversehrten) zu rekurrieren, welche der Unterscheidung von Rationalität und Spiritualität noch voraus liegen.

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Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken

Wahrheit (Pali: paramattha sacca; Sanskrit: paramartha satya), durch welche die Leerheit – im Sinne von Substanzlosigkeit und universeller Interdependenz, keineswegs von vanitas – alles Seienden eingesehen wird. Aber die unverhüllte Wahrheit der Leerheit kann, wie insbesondere Nāgārjuna gegen die erneuten Reifizierungstendenzen der Abhidharma-Theoretiker aufgezeigt hat, selbst nicht in diskursiver Form ausgesprochen werden, weil jede Propositionalisierung notwendig eine Festlegung und Bestimmung bedeutet, die auf diskursiver Ebene nichts anderes als erneutes Anhaften und damit Entstehung von Daseinsdurst und neuen Illusionen bewirkt. Jede absolute Wahrheit, die sich ausdrücken lässt, so Nāgārjunas Fazit, ist unwahr: »Die Leerheit wurde von den ›Siegreichen‹, den Buddhas, als Zurückweisung jeglicher Ansicht gelehrt. Diejenigen aber, für welche die Leerheit eine Ansicht ist, die wurden für unheilbar erklärt.« 31

2.

Aspekte philosophischer Reflexion im Christentum

Auch die etwa 500 Jahre nach dem Leben und Wirken Buddhas durch Jesus Christus begründete monotheistische Religion des Christentums hat in ihrer weiteren Fortbildung das Problem einer duplex veritas, einer zweifachen Wahrheit des Glaubens und des Wissens, erkannt und insbesondere seit dem Spätmittelalter intensiv diskutiert, wenngleich in vollkommen anderer Weise als innerhalb des Buddhismus, nämlich als ein Probem des Verhältnisses von biblischer Offenbarung und philosophischer Theologie. 32 Eine extensive Behandlung des ganze Bibliotheken füllenden Problemkomplexes der doppelten Wahrheit im Christentum kann freilich in diesem Rahmen nicht geB. Weber-Brosamer/D. M. Back: Die Philosophie der Leere. Nāgārjunas Mūlamadhyamaka-Kārikās. Übersetzung des buddhistischen Basistextes mit kommentierenden Einführungen. Wiesbaden 1997, S. 48, Nr. 13.8. 32 Siehe dazu J. A. Aertsen/A. Speer (Hrsg.): Was ist Philosophie im Mittelalter? Akten des X. internationalen Kongresses für mittelalterliche Philosophie der Société internationale pour l’étude de la philosophie médiévale, 25.–30. 8. 1997 in Erfurt. Berlin 1998; sowie K. Emery, Jr./R. L. Friedman/A. Speer (Hrsg.): Philosophy and theology in the long Middle Age. A tribute to Stephen F. Brown. Leiden 2011. Zur Denkfigur einer ›triplex veritas‹ bei Bonaventura siehe A. Speer: Triplex veritas. Wahrheitsverständnis und philosophische Denkform Bonaventuras. Werl in Westfalen 1987. 31

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Aspekte philosophischer Reflexion im Christentum

leistet werden; 33 stattdessen sollen nur einige Gedankenlinien, die für die Belange interkultureller Religionsphilosophie von Bedeutung sind, aufgegriffen und weitergeführt werden. Im Unterschied zur buddhistischen Lehre von den ›Zwei Wahrheiten‹ bezieht sich die christlich-theologische Fragestellung der doppelten Wahrheit nicht auf den gesamten Bereich der menschlichen Wahrnehmung und Vorstellung, sondern gleichsam auf die oberste Stufe der Erkenntnis, nämlich die Wahrheit der Theologie. Im Zuge der jahrhundertelangen Auseinandersetzung und Amalgamierung der christlichen Heilsbotschaft mit der griechischen Philosophie, die durch die Aristoteles-Rezeption des 13. Jahrhunderts noch intensiviert wurde, bildete sich am Ende einer langen Entwicklung nach zum Teil heftigen Kontroversen innerhalb der Theologie eine fragile theoretische Arbeitsteilung heraus, die ihren mustergültigen Ausdruck in Thomas von Aquins Summa contra gentiles 34 fand: Demnach gebe es einen Bereich wahrer theologischer Aussagen, zu denen der Mensch aus eigener Einsicht, geleitet durch das Licht der natürlichen Vernunft, gelangen könne, und einen weiteren, der sich der Gnade göttlicher Offenbarung verdanke. Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung konnte die rationale Theologie als Teil der metaphysica specialis durch verschiedene Formen der Gottesbeweise zur Existenzbehauptung Gottes sowie zur Bestimmung einer Reihe göttlicher Wesenseigenschaften gelangen, nicht aber darüber hinaus auch genuin christliche Lehrinhalte wie die Trinität des göttlichen Wesens, die Gottessohnschaft Jesu oder die Erlösung durch den Kreuzestod Christi aus eigenen Kräften begründen. Hierzu war vielmehr das Zeugnis der biblischen Offenbarung erforderlich, das die Defizite der

Siehe zur theoriegeschichtlichen und systematischen Präzisierung der mittelalterlichen Theorie von der doppelten Wahrheit L. Hödl: »›… sie reden, als ob es zwei gegensätzliche Wahrheiten gäbe.‹ Legende und Wirklichkeit der mittelalterlichen Theorie von der doppelten Wahrheit«. In: Philosophie im Mittelalter: Entwicklungslinien und Paradigmen. Hrsg. v. J. P. Beckmann, L. Honnefelder, G. Schrimpf u. G. Wieland. Hamburg 1996, S. 225–244. 34 Thomas v. Aquin: Summa contra gentiles. In: Ders.: Opera omnia. Bd. XIII. Rom 1918. (Es wurde die frz. Übers. herangezogen: Somme contre les gentils. Livre sur la vérité de la foi catholique contre les erreurs des infidèles. Bd. I: Dieu. Bd. II: La Création. Bd. III: La Providence. Bd. IV: La Révélation. Paris 1999.) – Siehe dazu auch J. Attali: Raison et foi. Averroès, Maïmonide, Thomas d’Aquin. Paris 2004; sowie A. Speer im Gespräch mit M. Turki: »Europa und das philosophische Erbe von Andalusien«. In: Polylog, 32 (2014), S. 77–85. 33

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Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken

natürlichen Vernunft ergänzte, ohne jedoch ihren Einsichten zu widersprechen. Zu den großen Leistungen des Aquinaten gehörte es, den Sprengsatz, der in der aristotelischen Philosophie für den theologischen Wahrheitsbegriff steckte, durch eine umfassende Synthetisierung mit den christlichen Glaubensgehalten gleichsam zu entschärfen. Diese in ihrer Universalität einzigartige Synthese von Glauben und Vernunft fundiert nicht nur bis heute die offizielle römisch-katholische Lehre; 35 fruchtbar und weiterführend auch für die weitere Entwicklung des europäischen Geisteslebens wurde sie gerade auch in denjenigen Positionen, gegen die sie sich richtete bzw. die sich in der Folge gegen sie richten sollten. Die Zusammenschau von vier einschlägigen Positionen, zu denen auch die Synthese des Thomas selbst zu zählen ist, macht die Komplexität des christlich-theologischen Problems der duplex veritas deutlich. Als erste Position ist der Averroismus zu nennen, der im 13. Jahrhundert unter Häresieverdacht geriet, weil er die Philosophie des Aristoteles als eigenständige Autorität betrachtete, dergegenüber die biblische Offenbarung bei der Beantwortung bestimmter metaphysischer Fragestellungen (wie derjenigen nach der Ewigkeit der Welt oder der Einheit des Intellekts) ins Hintertreffen zu geraten drohte. Zu einem durchaus auch universitäts- und machtpolitisch relevanten Problem konnte der potentielle Konflikt zwischen der auctoritas des Philosophen und der auctoritas der biblischen Offenbarung in solchen Fällen werden, in denen sich die biblische mit der philosophischen Wahrheit nicht vollständig in Einklang bringen ließ. Da zwei einander widersprechende Aussagen über denselben Sachverhalt nicht zugleich wahr sein können, musste somit eine Entscheidung zwischen philosphischer und biblisch-theologischer Wahrheit getroffen werden, die nach der Auffassung des damaligen kirchlichen Lehramtes von den Vertretern der Pariser Artistenfakultät nicht eindeutig Siehe dazu L. P. Hemmig/S. Frank: Restoring Faith in Reason. A New Translation of the Encyclical Letter »Faith and Reason« of Pope John Paul II together with a commentary and discussion. Notre Dame (Ind.) 2003. Siehe auch die Einschätzung bei J. Ratzinger/Benedikt XVI.: »Glaube und Vernunft«. In: Ders.: Gott und die Vernunft. Aufruf zum Dialog der Kulturen. Augsburg 2007, S. 8: »Mit weitblickender Weisheit gelang es dem hl. Thomas von Aquin, eine fruchtbare Auseinandersetzung mit dem arabischen und jüdischen Denken seiner Zeit zu schaffen, so daß er als ein stets aktueller Meister des Dialogs mit anderen Kulturen und Religionen angesehen wird.«

35

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genug zu Gunsten der biblischen Wahrheit gefällt worden war; so kam es »zur bekannten Zensurierung von 219 Lehrsätzen des heterodoxen Aristotelismus durch Bischof Stephan Tempier am 7. März 1277« 36. Als zweite Position ist die bereits angesprochene Synthese von Glauben und Vernunft im Werk des Thomas von Aquin namhaft zu machen, in der die duplex veritas keinen Gegensatz von Offenbarung und Philosophie mehr bedeutet, sondern vielmehr eine Komplementarität jener Wahrheiten, die mit den Mitteln der natürlichen Vernunft erkannt werden können, und jener Wahrheiten, zu denen der Mensch nur durch göttliche Offenbarung gelangen kann. 37 Dabei gibt es – etwa im Falle der Erkenntnis des Daseins Gottes – eine gemeinsame Schnittmenge beider Bereiche; Gottes Existenz kann demnach sowohl rational erwiesen als auch durch die Zeugnisse der biblischen Offenbarung erkannt werden. Die dritte Position markiert bereits den Übergang zur Neuzeit und ist mit dem Namen Martin Luthers verbunden, der die Vorstellung einer ›doppelten Wahrheit‹ radikal ablehnte und stattdessen einzig die biblischen Offenbarungszeugnisse als Grundlage der Glaubensgewissheit gelten lassen wollte (sola scriptura / sola fide). 38 Dadurch leistete der Protestantismus einer subjektiven Trennung von Glauben und Wissen Vorschub, die in der weiteren Entwicklung sowohl eine Verinnerlicherung des Glaubens als auch eine Veräußerlichung des Wissens bewirken sollte, das, nun schon unter den Vorzeichen der Aufklärung, fortan immer stärker auf die Erforschung der empirischen Welt ausgerichtet wurde und dessen Resultate eine möglichst inklusive Verbreitung zum Nutzen der Menschheit finden sollten. Beide Entwicklungen richteten sich im Kern gegen die elitäre Theologie der Scholastik. Als vierte Position schließlich, die erneut ein – wenngleich prekäres – Gleichgewicht zwischen der natürlichen Wahrheit der Vernunft und der übernatürlichen Wahrheit des Glaubens herzustellen Hödl 1996, S. 225. Siehe dazu auch J. A. Aertsen/K. Emery, Jr./A. Speer (Hrsg.): Nach der Verurteilung von 1277: Philosophie und Theologie an der Universität von Paris im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts. Studien und Texte. Berlin 2001. 37 Hierbei ist freilich stets das Diktum K. Flaschs zu beachten: »Wer die ›Synthese‹ von Glaube und philosophischer Vernunft feiert, aber die Kämpfe ignoriert, weiß kaum die halbe Wahrheit.« (K. Flasch: Kampfplätze der Philosophie. Große Kontroversen von Augustin bis Voltaire. Frankfurt a. M. 2008, S. 11.) 38 Siehe dazu Barth 2004, S. 381 f. 36

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Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken

suchte, ist René Descartes’ Ansatz anzuführen. 39 Die radikale Subjektivierung des Glaubens ist hier einer radikalen Subjektivierung des Wissens gewichen, das die Fundamente seiner mathematischen Weltkonstruktion einzig aus sich selbst, d. h. aus der Selbstgewissheit des sich selbst gegenwärtigen Denkens, generiert. Die Ausbalancierung dieser Selbstsetzung des modernen Subjekts durch die theologische Wahrheit, die Descartes der Scholastik entnommen hat, vermag schon nicht mehr zu überzeugen; zu stark ist die Sogkraft, die von der Idee des sich selbst setzenden Subjekts und der geistigen Konstruktion der Welt qua Mathematik ausgeht. 40 Das nachfolgende Schema soll die verschiedenen Variationen der duplex veritas-Problematik in ihrer Abfolge vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit verdeutlichen: 41 Abb. 3: Duplex veritas-Theorien im Christentum des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit Wahrheit I

Wahrheit II

Verhältnis

Averroismus

natürliche Vernunft; Offenbarung partielle NichtPhilosophie (übernatürlich) Übereinstimmung (des Aristoteles) beider Wahrheiten

Thomismus

natürliche Vernunft; Offenbarung Komplementarität von Philosophie (übernatürlich) Glauben und Wissen / (des Aristoteles) Theologie und Philosophie

Protestantismus Wissen (weltlich)

Offenbarung (geistlich)

Dominanz des Glaubens; Trennung von Glauben und Wissen

Kartesianismus Wissen Offenbarung fragiles Gleichgewicht (subjektfundiert und (übernatürlich) (faktische Dominanz des mathematisch) subjektfundierten, mathematischen Wissens) 39 Siehe R. Descartes: Oeuvres philosophiques. Bd. I: 1618–1637. Bd. II: 1638–1642. Bd. III: 1643–1650. Paris 2010. 40 Siehe dazu auch G. Greshake: Der dreieine Gott. Eine trinitarische Theologie. Freiburg 2007, S. 130. 41 Selbstverständlich ließen sich dieser Übersicht weitere Verhältnisbestimmungen von Philosophie und Theologie hinzufügen, so etwa die Positionen von Albertus Magnus, Alexander von Hales, Robert Grosseteste, Bonaventura oder Duns Scotus. Siehe dazu J.-E. Pleines: Glauben und Wissen. Analyse eines Dilemmas. Hildesheim 2008, S. 84 ff. An dieser Stelle sollen nur die grundlegendsten Leitmodelle der Relationierung von Glauben und Wissen herausgestellt werden.

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Aspekte philosophischer Reflexion im Christentum

Das Verhältnis des christlichen Glaubens zum philosophischen Denken erschöpft sich freilich nicht in der Frage nach einer ›doppelten Wahrheit‹ von Vernunft und Offenbarung, wenngleich sich in dieser Problematik das Verhältnis von Glauben und Wissen im Christentum besonders verdichtet. Es ist darüber hinaus auf weitere Aspekte der spezifischen Integration philosophischen Denkens hinzuweisen, die das Christentum in seinen mannigfaltigen Traditionen und Strömungen auszeichnet. Wie schon im Falle des Buddhismus gilt auch für die christliche Religion, dass philosophische Inhalte und Methoden von ihr zumeist danach bewertet werden, inwieweit sie dem religiösen Heilsziel entsprechen bzw. entgegenkommen. Vernunft darf in den Räumen der christlichen Lehre nicht völlig frei agieren, sondern sie hat sich im Prinzip den Vorordnungen der geoffenbarten und kodifizierten christlichen Doktrin zu unterwerfen und findet in dieser eine absolute Grenze, die sie nur um den Preis der Häresie überschreiten kann. So hat in der zweitausendjährigen Geschichte des Christentums und der christlichen Theologie bei allen gravierenden Unterschieden der Epochen und Strömungen die Tendenz vorgeherrscht, die in der Philosophie zum Ausdruck kommende Vernunft zur Magd des Glaubens (ancilla theologiae) zu degradieren. 42 Erklärbar ist diese Hierarchisierung von religiösem Glauben und philosophischer Wissenssuche aus der exklusivistischen Auslegung des christlichen Evangeliums, das den Glauben an den Gottessohn Jesus Christus und eine an seinem Vorbild orientierte Lebensweise ausdrücklich zum einzigen Heilsweg erklärt: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich«, heißt es in Joh. 14,6; 43 und in Mt 28,18–20 wird aus diesem H. T. Engelhardt (2010, S. 872) weist darauf hin, dass die Charakterisierung der Philosophie als ancilla dominae von Peter Damian und Gerard von Czanad eingeführt worden sei, um die Autorität der Philosophie gegenüber der Theologie zu begrenzen. Antike Wurzeln dieser Auffassung finden sich Engelhardt zufolge bereits bei Clemens von Alexandria. 43 Vgl. entsprechend auch 1. Tim 2,5: »Denn ist es ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung […]«; sowie Apg 4,12: »In keinem anderen Namen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen«. – Siehe dazu auch M. Henry: C’est moi la vérité. Pour une philosophie du christianisme. Paris 1996; sowie T. Söding: »›Wer sich zu mir bekennt …‹ (Lk 12,8). Der Anspruch Jesu und die Universalität des Evangeliums«. In: Ist der Glaube Feind der Freiheit? Die neue Debatte um den Monotheismus. Hrsg. v. T. Söding. Freiburg/Basel/Wien 2003, S. 53–122. 42

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Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken

exklusiven Heils- und Wahrheitsanspruch Jesu der Befehl zur Missionierung aller Völker der Erde abgeleitet: »Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.« Eine religiöse Lehre, die mit einem derart starken und ausschließlichen Erlösungsanspruch auftritt, hat gegenüber konkurrierenden religiösen oder säkularen (bzw. ›heidnischen‹) Auffassungen im Prinzip nur zwei Verhaltensmöglichkeiten: Sie muss die Konkurrenz entweder abwerten, wenn nicht gar zu eliminieren suchen, oder aber sie in ihr eigenes System integrieren. Beide Optionen – das Ausgrenzen und das Vereinnahmen – sind in der Geschichte des Christentums, häufig auch in Kombination miteinander, in vielfältiger Weise ergriffen worden. Dass die Wahrheit des Glaubens an Jesus Christus die auf dem Wege vernünftiger Reflexion gewonnene Erkenntnis zugleich unterläuft, überbietet und letztlich sogar vernichtet, macht die folgende Stelle aus dem Ersten Korintherbrief deutlich: »Denn es steht geschrieben: ›Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.‹ (…) Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.« 44 Bei der grundsätzlich gegebenen dritten Möglichkeit der Toleranz und Akzeptanz andersreligiöser oder irreligiöser Weltsichten handelt es sich dagegen um ein in der Entwicklungsgeschichte des Christentums relativ neues Phänomen, das historisch vor dem Hintergrund der frühneuzeitlichen Religionskriege zu sehen ist und letztlich in die vom liberalen Rechtsstaat garantierte Religionsfreiheit (im modernen Doppelsinn einer Freiheit zu einer bestimmten Religion und einer Freiheit von Religion) mündete. Das Christentum musste allerdings auf diese Option gleichsam erst ›von außen‹ gestoßen werden, relativierte sie doch faktisch die Exklusivität ihres Heilsanspruchs. Sofern das Christentum in seinem Selbstverständnis von der Einzigartigkeit seines im Kerygma verbürgten Heilswegs ausgeht, ja ausgehen muss, kann es säkulare (›pagane‹) Philosophie ebenso wie konkurrierende religiöse Systeme bestenfalls im Sinne des Inklusi44

1. Kor 1, 18–21.

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Aspekte philosophischer Reflexion im Christentum

vismus als Vorbereitungen zur eigenen, einzig wahren Lehre wertschätzen. Bereits in der Frühzeit christlicher Theologie ist diese inklusivistische Tendenz zu beobachten, wenn etwa Clemens von Alexandria (ca. 150–215) in den Stromateis 45 griechische Philosophie und Altes Testament als praeparatio evangelica auslegt, da sie beide von jenem allmächtigen und allgütigen Schöpfergott stammen, der sich schließlich in der Parusie Jesu Christi für die gesamte Menschheit sinnfällig inkarniert hat. In der Art und Weise, wie Clemens in seinem Paidagogós 46 den christlichen Weg vom Glauben zum Wissen bis hin zur mystischen Verbindung mit Gott beschreibt, lassen sich im Übrigen durchaus Parallelen zum buddhistischen ›Edlen Achtfachen Pfad‹ finden, für den philosophische Reflexion ja ebenfalls – wie gezeigt – ein sinnvolles Propädeutikum für die Beschreitung des religiösen Heilswegs darstellt. Durch die sich bei Clemens abzeichnende Integration philosophischen, insbesondere platonischen Gedankenguts in den christlichen Glauben 47 wurde eine zweifache Positionierung eingeleitet: Zum einen wurde der ›paganen‹ Erkenntnis der natürlichen Vernunft ein gegenüber der biblischen Offenbarung vorläufiger, defizienter, sekundärer Status zugewiesen; 48 zum anderen aber erschien nunClément d’Alexandrie: Les Stromates. Stromate I. Paris 2006. Ders.: Le Pédagogue. Livre I. Paris 1960; Livre II. Paris 1991; Livre III. Paris 1970. 47 Siehe dazu G. Essen: »Hellenisierung des Christentums? Zur Problematik und Überwindung einer polarisierenden Deutungsfigur«. In: Theologie und Philosophie, 87 (2012), S. 1–17. Essen gelangt zu der Schlussfolgerung, »dass die Umgestaltung der adaptierten hellenistischen Philosophie zu einer konsistenten, dem Glauben an den biblischen Schöpfergott gemäßen Denkform nicht in adäquater Weise gelungen ist.« (Ebd., S. 16.) Im Hinblick auf die Erfordernisse einer Explikation der christlichen Lehre unter den Bedingungen der Moderne sieht Essen insbesondere »auf den von Kant und Fichte eröffneten Denkwegen« Möglichkeiten, »die Konturen eines philosophischen Konzepts [zu] profilieren, das sich für das vernünftige Verstehen der christlichen Gottesrede eignet« (ebd., S. 17.) 48 Vgl. dazu Pleines 2008, S. 85: »Gewiß ist die Zeit im Prinzip überholt, in der Justinian die wahre Philosophie in der christlichen Lehre meinte entdeckt zu haben, oder in der Tertullian die Philosophie insgesamt verwarf. Aber auch die spätere These eines Johannes Scotus Eriugena vom Primat des Glaubens vor der Vernunft, dem Anselm als ›Dialektiker‹ zustimmen sollte, oder die Behauptung eines Petrus Damiani, die Philosophie sei die Sklavin der Theologie, lassen den Verdacht aufkommen, daß der altgriechische oder spekulative Standpunkt der Vernunft seitens der Kirchenväter nur mangelhaft und verzerrt wahrgenommen wurde. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn man der antiken Philosophie einräumt, sie habe immerhin am logos bereits partiell teilgehabt, oder wenn man mit Abaelard der Vernunft die Rolle zuweist, die praeambula fidei zu sichern.« 45 46

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mehr dadurch, dass das Evangelium Christi als die Erfüllung von unterschwellig leitenden Aspirationen der heidnischen Philosophie dargestellt wurde, die christliche Botschaft als die höchste Steigerung und Vollendung von Wissen und Wahrheit. Der Gott des Christentums wurde seit Augustinus innerhalb einer Theologie, welche die griechische Philosophie absorbiert hatte, mit dem höchsten Sein und mit dem höchsten logos identifiziert und damit zum Gegenstand der höchsten Wissenschaft, der Metaphysik qua Onto-theo-logie. 49 Bis heute hat sich innerhalb der katholischen Theologie die Auffassung erhalten, dass das Christentum keineswegs im Gegensatz zur Vernunft stehe, sondern vielmehr die zentralen Anliegen der vorchristlichen Philosophie in sich aufgenommen habe. So hat etwa Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., in einer Kommentierung der Enzyklika Fides et ratio aus dem Jahr 1998 50 die christliche Offenbarung geradezu als den »Vergleichs- und Verknüpfungspunkt zwischen Philosophie und Glaube« 51, d. h. als Synthese von griechischer Philosophie und jüdischem Glauben, Athen und Jerusalem, bestimmt. Das Christentum sei, wie Benedikt XVI. auch an anderer Stelle ausgeführt hat, bereits von antiken Philosophen wie Augustinus innerhalb der auf Marcus Terrentius Varrio zurückgehenden Typologie der Theologien (theologia mythica, theologia civilis und theologia naturalis) als natürliche Theologie bestimmt worden – im Gegensatz zu mythischen Göttererzählungen und politisch-religiösen Kulten. 52 Das Christentum habe daher, so Bene49 Siehe dazu B. Vergely: »La Bible: Par-delá raison et passion«. In: La Bible en philosophie. Approches contemporaines. Hrsg. v. D. Bourg u. A. Lion. Paris 1993, S. 119– 143. 50 Siehe Hemmig/Parsons 2003; sowie F. S. Kizito: Fides et Ratio: 10 ans après. Perspectives philosophique et theólogique. Yaoundé/Paris 2012; P. Weingartner (Hrsg.): Glaube und Vernunft: Interdisziplinäres Streitgespräch zur Enzyklika »Fides et Ratio«. Frankfurt a. M. 2004. 51 Benedikt XVI./J. Ratzinger: »Die wichtigste kulturelle Herausforderung unserer Zeit«. In: Ratzinger/Benedikt XVI. 2007, S. 12–20, hier v. a. S. 18. Siehe dazu ebenfalls ders.: »Glaube und Vernunft«. In: ebd., S. 8–10; ders.: Glaube und Vernunft. Die Regensburger Vorlesung. Freiburg 2006; sowie G. Antoni: Rendre Raison de la Foi? Paris 2011. 52 Benedikt XVI./J. Ratzinger: »Kann der Mensch die Wahrheit erkennen?«. In: Benedikt XVI./Ratzinger 2007, S. 21–42, hier S. 25 ff. Des Weiteren äußert sich Ratzinger zur augustinischen Deutung des Christentums als ›Aufklärung‹ wie folgt (ebd., S. 28): »Er [Augustinus; M. W.] steht damit in vollkommener Kontinuität mit den frühesten Theologen des Christentums, den Apologeten des zweiten Jahrhunderts, ja mit der Ortsbestimmung des Christlichen durch Paulus im ersten Kapitel des Römer-

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dikt XVI., in der augustinischen Lesart mehr mit der antiken Philosophie gemeinsam als mit den polytheistischen Religionen; 53 es sei keine Religion unter vielen, sondern die einzige religio vera, in der die Philosophie, die Erkenntnis der absoluten Wahrheit, selbst zur Religion geworden sei. 54 Der im Christentum geoffenbarte Gott entspricht nach dieser Interpretation dem höchsten Vernunftbegriff, zu dem der Mensch fähig ist: der religiösen Vernunft im christlichen Sinne. 55 Die kirchliche Lehre kann sich Ratzinger zufolge heutzutage zwar nicht (mehr) mit einer bestimmten philosphischen Schule restlos identifizieren, sie fordere aber sehr wohl nach wie vor »die Durchsetzung einer recta ratio (einer gerade ausgerichteten philosophischen Vernunft […], die […] den wesentlichen Kern und die unverzichtbaren Eckpfeiler der rationalen Wahrheit des Seins, der Erkenntnis und des moralischen Handelns des Menschen ausdrückt, die sozusagen der Pluralität verschiedener Philosophien und Kulturen vorausgehen und ein Kriterium zur Beurteilung verschiedener Aussagen philosophischer Systeme bilden.« 56 Diese Forderung des einstigen Papstes suggeriert, dass Vernunft, wenn sie sich nur ›gerade ausrichte‹, gleichsam von selbst zu jenen universalen Einsichten gelangen müsse, die in den Evangelien und in der christlichen Doktrin mustergültig formuliert sind und an denen sich auch die philosophischen und religiösen Systeme aller anderen Kulturen zu messen haben. Einem postmodern-relativierenden Denken, zu dem aus Ratzingers Sicht zweifellos auch die Dekonstruktion Derridas zu zählen wäre, wird damit ebenso eine Absage erteilt 57 wie einem ›schwachen‹ kommunikationstheoretischen Vernunftbegriff à la Habermas, der briefs, die ihrerseits auf der alttestamentlichen Weisheitstheologie beruht und über sie zurückreicht bis in die Verspottung der Götter in den Psalmen.« 53 Vgl. ebd., S. 29. 54 Ebd. 55 Siehe zu Bemühungen der angelsächsischen analytischen Religionsphilosophie, Interaktionen zwischen Christentum und Vernunft aufzuweisen, die Aufsatzsammlung von A. G. Padgett (Hrsg.): Reason and the Christian Religion. Essays in Honor of Richard Swinburne. Oxford 1994. 56 Benedikt XVI./Ratzinger 2007, S. 18. 57 Vgl. ebd., S. 17: »Der christliche Glaube ist […] dazu verpflichtet, sich solchen Philosophien oder Theorien entgegenzustellen, welche die Neigung des Menschen, die metaphysische Wahrheit der Dinge erkennen zu wollen, ausschließen (Positivismus, Materialismus, Szientismus, Historismus, Problematizismus, Relativismus, Nihilismus).«

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sich im offenen Diskurs um konsensual orientierte Verständigung bemüht. 58 Als die größte gemeinsame Bedrohung sowohl für den Glauben als auch für die Vernunft betrachtet Benedikt XVI. offenbar eine auf einem verabsolutierten Freiheitsbegriff basierende Beliebigkeit, in der sich alle Maßstäbe für Wahrheit und moralische Richtigkeit aufzulösen scheinen. Daraus erklärt sich die simultane Forderung nach einer Ausrichtung der Vernunft an denjenen Grundhaltungen, die mit dem (christlichen) Glauben übereinstimmen, 59 sowie nach einem Glauben, der sich an der Vernunft ausrichtet, da diese ja ohnehin zu genau jenen Werten und Auffassungen hinleitet, die das Christentum immer schon vertreten hat. 60 Man erkennt an dieser Stelle sehr deutlich, inwiefern sich die von Ratzinger postulierte Komplementarität bzw. Korrelation von Glauben und Wissen von derjenigen, die Habermas im Auge hat, 61 unterscheidet: Habermas sucht auf der Basis seines kommunikationstheoretisch fundierten Vernunftbegriffs Defizite einer einseitigen technizistischen Säkularität durch den Rückgriff auf die sozialen Bindekräfte und semantischen Potentiale der Religion zu kompensieren, in der Hoffnung, diese könnten rational übersetzt und so der ›Allgemeinheit‹ zur Verfügung gestellt werden. Von einer sachlichen Affinität zwischen metaphysischer Vernunft und christlichem Glauben, wie sie Ratzinger unterstellt, kann dabei aber allenfalls im Hinblick auf die gemeinsame Genealogie von Glauben und Wissen die Rede sein. Unter den Bedingungen der gleichzeitig nachmetaphysischen und postsäkularen Konstellation ermöglicht nur ein abgeschwächter Vernunftbegriff, wie ihn Habermas vertritt, einen Dialog von PhiSiehe ebd., S. 19: »Der ›mögliche Konsens‹ wird Prinzip und Ziel der kulturellen und philosophischen Reflexion und des Dialogs. Nicht die Zustimmung zur Wahrheit oder die Suche nach der Wahrheit, sondern eine realisierbare öffentliche Zustimmung, welche die Freiheit von allem und jedem respektiert, bildet das Ziel der Reflexion sowie der kulturellen und sozialen Bemühungen.« Ratzinger kritisiert hier, ohne ihn namentlich zu nennen, seinen späteren Gesprächspartner Habermas, mit dem er sich im Jahr 2004 in einer berühmt gewordenen Debatte über die vorpolitischen Grundlagen des liberalen Staats ausgetauscht hat (Habermas/Ratzinger 2005). 59 Vgl. Benedikt XVI./Ratzinger 2007, S. 20: »Der Glaube schützt die Vernunft, da er fragende und forschende Menschen braucht. (…) Der Glaube zerstört die Vernunft nicht, er bewahrt sie und bleibt sich dadurch selbst treu.« 60 Siehe dazu M. Böhnke: »Purificatio? Vernunft und Glaube sowie Eros und Agape bei Papst Benedikt XVI.« In: Theologie und Philosophie, 83 (2008), S. 225–242. 61 Hierzu sei auf die Kap. III.2.1 und III.2.2 der vorliegenden Untersuchung verwiesen. 58

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losophie und Religion, von dem beide Seiten profitieren können; aber dies können sie nur, weil sie zugleich nach Habermas in einer Weise voneinander getrennt sind, die keine metaphysische Einheitskonzeption religiöser Vernunft mehr schließen kann. Was Benedikt XVI. in seiner Auslegung des Verhältnisses von Glaube und Vernunft nicht hinreichend berücksichtigt oder gar bestreitet, ist die enorme Kulturgebundenheit eben jener recta ratio, deren vertikale, auf eine Hierarchisierung der Nomen bis hin zu Gott, dem Nomen aller Nomen, ausgerichtete Ontotheologie zu den distinkten Merkmalen der metaphysischen Epoche des Abendlandes gehört und die insofern sicherlich nicht als Vermittlungsinstanz sämtlicher Weltreligionen und -philosophien fungieren kann. 62 Ein offenerer, dialogisch orientierter und dabei zugleich an der kantischen Differenzierung menschlicher Erkenntnisvermögen orientierter Vernunftbegriff scheint wesentlich besser in der Lage dazu zu sein, jenen Dialog der religiösen Kulturen zu befördern, den Benedikt XVI. völlig zu Recht eingefordert hat. 63 Siehe dazu A. A. Nayed: »Ein muslimischer Kommentar zur Regensburger Vorlesung Papst Benedikts XVI.«. In: K. Wenzel (Hrsg.): Die Religionen und die Vernunft. Die Debatte um die Regensburger Vorlesung des Papstes. Freiburg 2007, S. 17–40, hier, S. 34: »Diese hegelianische Deutung leidet an derselben eurozentrischen Drift, die vielen deutschen idealistischen Philosophien eigen ist. Ihre Fragwürdigkeit ist offensichtlich: Sie entwertet nicht-griechische und nicht-europäische Versionen des Christentums (wie etwa südamerikanische, afrikanische und asiatische Theologien). Zudem beansprucht sie einen allgemeinen und zugleich einen spezifisch christlichen Vernunftbegriff; in solcher Beanspruchung wird die Vernunft schließlich rein christlich gedacht. Auf diese Weise wird die geschichtliche Evidenz einer jüdischhellenistischen Synthese (wie bei Philon von Alexandrien) und einer muslimischhellenistischen Synthese (wie bei al-Farabi, Ikhwan al-Safa, Ibn Sina) als schlichtweg unmöglich geleugnet. Nur das Christliche ist mit dem Griechischen in einer johanneisch-hegelianisch-europäischen Aufgipfelung vereinigt.« 63 Wie sich Benedikt XVI. aus theologischer Sicht diesen Dialog des Näheren vorstellt, zeigen die in dem Band Glaube – Wahrheit – Toleranz (2003, op. cit.) versammelten Aufsätze. In ausdrücklicher Abgrenzung von K. Rahners prononçiert inklusivistischem Ansatz fordert Ratzinger (ebd., S. 14 ff.), dass der theologischen Beurteilung der Weltreligionen »eine phänomenologische Untersuchung vorausgehen müsse, die nicht schon gleich über den Ewigkeitswert der Religionen befindet und sich damit eine Frage auflädt, über die eigentlich nur der Weltenrichter entscheiden kann.« (Ebd., S. 16.) Diese Untersuchung hätte das geschichtlich aufgetretene Spektrum an Religionen zunächst darzustellen und sodann nach bestimmten Grundtypen zu klassifizieren. Benedikts eigene Überlegungen in dieser Richtung gelangen zu dem Ergebnis, »daß es die generelle Identität der Religionen ebensowenig gibt wie ihre beziehungslose Pluralität, sondern daß sich eine Strukturformel herauskristallisieren läßt, die das 62

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Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken

Die eigentümliche und sich überdies durch die Epochen und Strömungen hindurch immer wieder verschiebende Relation von Glauben und Wissen im Christentum kann zu diesem interkulturellen Gespräch zweifellos wichtige Beiträge liefern. Denn sie macht die inhärenten Schwierigkeiten einer religiösen Position sichtbar, die gerne wissen möchte, warum sie glaubt, aber zugleich glaubt, dass sie es nicht wissen kann – die weiß, dass sie es nur glauben darf. In Peter Abaelards Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen kritisiert der Philosoph einen Glauben, der sich ausschließlich auf die Gewohnheiten seiner Tradition stützt und sich einer verständigen Auslegung durch die bloße Behauptung der Unfasslichkeit seiner Aussagen entzieht, mit dem Argument, dass auf diese Weise »der Glaube eher in einer Äußerung von Worten als im Verständnis der Seele« bestehe und »mehr eine Sache des Mundes als des Herzens« sei. 64 Die Gegensatzbildung, die Abaelardus hier vornimmt, ist insofern ungewöhnlich und von Interesse, als sie einen rein äußerlichen Glauben, der sich nicht mit Vernunftgründen rechtfertigt, einem rational gerechtfertigten Glauben der Seele und des Herzens gegenüberstellt. Im Kontext einer Auffassung, die sich eher als protestantisch kennzeichen ließe (bis hin zu zeitgenössischen Vertretern der ›Reformierten Epistemologie‹), sollte sich demgegenüber doch gerade ein Glaube, der auf rationale Rechtfertigung verzichtet und ganz aus dem Gefühl des Herzens kommt, als ›innerlich‹ qualifizieren lassen, während die äußerliche Seite des Glaubens der rationalisierten Doktrin zugesprochen werden müsste. Aber Petrus Abaelardus vertritt hier eine Position, wie sie sich viele Jahrhunderte später noch Hegel zu eigen machen wird, wenn dieser darauf beharrt, dass es der religiösen Gehalte unwürdig sei, wenn diese bloß geglaubt, aber nicht Moment der Geschichtlichkeit (des Werdens, der Entwicklung), das Moment durchgängiger Bezogenheit und dasjenige realer, unreduzierbarer Verschiedenheiten umgreift.« (Ebd., S. 25.) Als Etappen dieses Strukturschemas identifiziert Benedikt primitive Erfahrungen, mythische Religionen und schließlich den dreifachen Ausbruch aus dem Mythos in Mystik, monotheistischer Revolution und Aufklärung. Der Aussage von der Einzigkeit und Absolutheit des Christentums soll durch die Einordnung in das Strukturschema eine neue, dem Dialog der Religionen angemessene Bedeutung verliehen werden. Letztlich geht es also »darum, wie sich der eine Glaube zur Vielheit der Kulturen verhält und wie in dieser Vielheit der Kulturen wirkliche Universalität möglich ist, ohne daß eine Kultur sich als die allein gültige ausgibt, zur Unterdrückung der anderen wird.« (Ebd., S. 48.) 64 P. Abaelard: Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen, op. cit., S. 19.

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Aspekte philosophischer Reflexion im Christentum

darüber hinaus auch begriffen würden. 65 Auch aus der Sicht Abaelards ist es geradezu lächerlich, wenn sich Menschen eines religiösen Glaubens rühmten, den sie »weder in der Sprache erörtern noch im Geiste erfassen« 66 könnten. Der menschlichen Seele, so könnten Abaelardus und Hegel gleichlautend sagen, ist es gemäßer, etwas zu glauben, was sie auch versteht. Theologie, die Rationalisierung des Glaubens mit den Mitteln der Philosophie, ist insofern, worauf auch Benedikt XVI. immer wieder hingewiesen hat, in der christlichen Offenbarung selbst bereits angelegt. Weder ist sie erst später äußerlich zu einem vermeintlich ›theologie-freien‹ Urchristentum hinzugetreten, 67 noch hat sie die religiösen Bedenken hinsichtlich der Frage, ob das Wesentliche der christlichen Botschaft mit der Vernunft überhaupt erfasst werde, je ganz ausräumen können. Christliche Laienbewegungen wie die Franziskaner oder auch der Protestantismus lassen sich aus diesem grundsätzlichen Zweifel an der rationalen Durchdringung des Gotteswortes und der mit ihr verbundenen Institutionalisierung kirchlicher Wissens-Macht verstehen. Sollte es nicht für ein Leben in der Nachfolge Christi viel wesentlicher sein, schlicht an Jesus Christus als den Herrn zu glauben, in Armut zu leben und Nächstenliebe zu praktizieren, als die christlichen Glaubenssätze in subtilen philosophischen Argumentationen zu systematisieren? – Für christliche Gläubige, welche diese Frage mit Ja beantworten, stehen das kreditive Glauben und das religiös begründete ethische Handeln – das Kreuz und die Liebe – weit über aller weltlichen Vernunft; 68 diese erscheint vielmehr als ein dem freien Glauben letztlich fremder Ort, ein locus alienus. 69 So ist dem Vgl. dazu Kap. III.1.2. des Zweiten Teils der vorliegenden Untersuchung. P. Abaelard: Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen, op. cit., S. 19. 67 Vgl. dazu Essen 2012. 68 Siehe dazu auch 1 Kor 1,19–21: »Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): ›Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.‹ Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.« 69 Siehe dazu G. M. Hoff: »Die Grenzen der Zumutung. Der außerordentliche Vernunftanspruch der Theologie«. In: Religion und Philosophie im Widerstreit? 2 Bde. Hrsg. v. C. Bickmann, M. Wirtz u. H.-J. Scheidgen. Nordhausen 2008, S. 313–324. Hoff bezieht sich hier auf die theologische ›Ort‹-Lehre des Dominikaners Melchior Cano aus dem 16. Jh. 65 66

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Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken

Christentum die Dekonstruktion seiner eigenen Theologie keineswegs äußerlich, sondern je schon eingeschrieben; und die Skepsis, die Begriff und Sache einer ›christlichen Philosophie‹ immer wieder auf sich gezogen haben – man denke nur an Heideggers Verdikt, es handele sich dabei um ein »hölzernes Eisen« 70 –, war nur zu berechtigt.

3.

Aspekte philosophischer Reflexion im Islam

Die am 12. September 2006 von Papst Benedikt XVI. gehaltene Regensburger Vorlesung »Glaube, Vernunft und Universität« 71 hat vor allem deswegen ein so kontroverses Echo hervorgerufen, 72 weil Bene70 M. Heidegger: Einführung in die Metaphysik. Gesamtausgabe Bd. 40. Frankfurt a. M. 1983, S. 9: »Eine ›christliche Philosophie‹ ist ein hölzernes Eisen und ein Mißverständnis. Zwar gibt es eine denkend fragende Durcharbeitung der christlich erfahrenen Welt, d. h. des Glaubens. Das ist dann Theologie. Nur Zeiten, die selbst nicht mehr recht an die wahrhafte Größe der Aufgabe der Theologie glauben, kommen auf die verderbliche Meinung, durch vermeintliche Auffrischung mit Hilfe der Philosophie könne eine Theologie gewinnen oder gar ersetzt und dem Zeitbedürfnis schmackhafter gemacht werden. Philosophie ist dem ursprünglich christlichen Glauben eine Torheit.« – Kritisch gegenüber der Möglichkeit einer ›christlichen Philosophie‹ hat sich auch K. Barth geäußert: »Philosophia christiana ist faktisch noch nie Wirklichkeit gewesen: war sie philosophia, so war sie nicht christiana, war sie christiana, so war sie nicht philosphia.« Siehe K. Barth: Die Kirchliche Dogmatik. Studienausgabe Bd. I,1. §§ 1–7. Einleitung (zur Kirchlichen Dogmatik insgesamt). Das Wort Gottes als Kriterium der Dogmatik. Zürich 1986, S. 4. – K. Jaspers hat demgegenüber die Möglichkeit einer existenzphilosophisch fundierten ›christlichen Philosophie‹ durchaus zugestanden. Siehe ders.: Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung. München 1962. Als weitere Schriften, in denen affirmative Positionen einer ›christlichen Philosophie‹ entwickelt werden, wären E. Brunners Offenbarung und Vernunft, Zürich 1961, sowie K. Rahners Hörer des Wortes. Zur Grundlegung einer Religionsphilosophie, München 1963, zu nennen (beide Abhandlungen erschienen erstmals 1941). Siehe zur Auseinandersetzung um Begriff und Sache einer ›christlichen Philosophie‹ im 20. Jahrhundert auch Schmidinger 1990. 71 Benedikt XVI.: »Glaube, Vernunft und Universität. Erinnerungen und Reflexionen«. In: Die »Regensburger Vorlesung« Papst Benedikts XVI. im Dialog der Wissenschaften. Hrsg. v. C. Dohmen. Regensburg 2007, S. 15–26. Siehe dazu auch Wenzel 2007. 72 Siehe dazu etwa K. Flasch: »Von Kirchenvätern und anderen Fundamentalisten. Wie tolerant war das Christentum, wie dialogbereit ist der Papst? Der Schlüssel liegt in der Regensburger Vorlesung«. In: Wenzel 2007, S. 41–56. Flasch weist nicht nur historische und philologische Inkohärenzen in Benedikts Darstellung der Entwicklung des Christentums und des Islams nach, sondern äußert sich auch kritisch zu

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Aspekte philosophischer Reflexion im Islam

dikt XVI. in seiner Ansprache dem Islam indirekt eine Gottesauffassung unterstellte, derzufolge Gott alle menschliche Vernunft übersteige und daher auch widervernünftig handeln bzw. widervernünftige Handlungen anordnen könne. Zwar habe es Bendikt XVI. zufolge auch in der christlichen Tradition des Spätmittelalters (etwa bei Duns Scotus) volontaristische Tendenzen innerhalb der Theologie gegeben, welche die intellektualistische Einheit von Philosophie und Theologie, wie sie mustergültg in den Summen des Thomas zum Ausdruck kam, tendenziell aufzusprengen suchten. Aber dem Islam scheint Benedikt XVI. demgegenüber eine grundsätzlich a- bzw. überrationale Gottesvorstellung zuweisen zu wollen. 73 Auch seine Ausführungen über die im Christentum geglückte Synthese von (jüdisch-christlichem) Glauben und (griechischer) Vernunft lassen sich als Kontrastbild zu einer Religion – dem Islam – auffassen, in der eben diese Synthese nicht oder jedenfalls nicht hinreichend überzeugend gelungen sei. Vor dem Hintergrund der seit dem 11. September 2001 brachial ins globale Bewusstsein eingedrungenen Verschränkung von Islamismus und Gewalt gewinnt diese Einschätzung Benedikts XVI. besondere Relevanz; denn sie suggeriert, dass es sich bei Gewaltanwendungen im Namen des Islam möglicherweise nicht um eine bloße Instrumentalisierung von Religion handelt, sondern vielmehr um die verkehrte Realisierung von grundlegenden theologischen Tendenzen, die im Islam aufgrund seiner ihn vom Christentum unterscheidenden Gottesauffassung wirksam seien. Benedikt XVI. hat sich zur Stützung seiner in der ›Regensburger Benedikts Bezugnahme auf Kant in der Regensburger Vorlesung: »Wären die Kantianer so zahlreich und so erregbar wie die Islamisten, sie hätten Kundgebungen gegen den Papst organisiert. Nun gibt es nur noch wenige Kantianer. Sie verbrennen keine Strohpuppen, sie schmunzeln höchstens vor sich hin, falls sie es überhaupt zur Kenntnis nehmen, dass der Papst ihren Kant in einer wesentlichen Sache falsch zitiert und historisch falsch einordnet. Der Papst hat einen der markantesten Kant-Sprüche entstellt. Es ist jener Satz aus der Vorrede zur zweiten Auflage der ›Kritik der reinen Vernunft‹ : ›Ich musste das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen.‹ Der Papst schreibt Kant den Satz zu: ›Ich musste das Denken beiseite schaffen, um zum Glauben Platz zu bekommen‹. […] Dass Kant das ›Denken beiseite schaffen‹ wollte, ist eine ebenso üble Nachrede, wie von Mohammed zu behaupten, er habe nichts Neues gebracht.« (Ebd., S. 43 f.) 73 Siehe dazu auch V. Aucante: Benoît XVI et l’Islam. Paris 2008. Dieser Band enthält neben einer Einführung in die Thematik auch eine Sammlung der für Benedikts Islamverständnis kennzeichnenden Reden aus dem Zeitraum 2004 bis 2007 (in französischer Übersetzung).

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Rede‹ vertretenen Thesen auf den im Jahr 1390/91 oder 1391/92 geführten Dialog des byzantinischen Kaisers Manuel II. Palaeologos mit einem muslimischen Perser über die Rangordnung der drei religiösen ›Gesetze‹, des jüdischen, des christlichen und des islamischen, bezogen. 74 Zitiert wird daraus bei Benedikt XVI. jedoch nur die Kritik Manuels II. an der Ideologie des Djihâd, sofern dieser eine gewaltsame Ausbreitung von Religion gebiete; 75 dies sei, so der byzantinische Kaiser, dem im Kern vernünftigen Wesen Gottes zuwider. Aus dieser Seitenbemerkung sowie den ebenfalls von Benedikt XVI. zitierten Bemerkungen des Übersetzers Khoury zur ›Überrationalität‹ Gottes im Islam, wie sie etwa von dem arabischen Universalgelehrten Ibn Ḥazm (994–1064) vertreten worden sei, 76 entwickelt Benedikt XVI. sodann seine eigenen weiterführenden Überlegungen zum Thema Glauben und Vernunft. Für den hier interessierenden Zusammenhang einer allgemeinen Ortsbestimmung philosophischen Denkens im Islam ist es nicht erforderlich, die kontextuellen – historischen, politischen, diskursstrategischen, hermeneutischen – Bedingungen des Dialogs zwischen Manuel II. und dem Perser en détail zu erörtern. 77 Einige Hinweise auf die Gesamtanlage der 7. Kontroverse, auf die sich Benedikt XVI. bezogen hat, sowie auf die Rolle Manuels II. in Bezug auf das Gespräch und seine Niederschrift mögen an dieser Stelle genügen. Das siebte von insgesamt 26 Streitgesprächen befasst sich vorrangig mit Fragen der Moral bzw. präziser mit der Rangordnung der drei monotheistischen Religionen in Bezug auf die ethisch-moralische Qualität ihres jeweiligen ›Gesetzes‹. Manuel II. geht dabei von vornherein davon aus, dass es sich bei der Religion Mohammeds überhaupt nicht um ein eigenständiges ›Gesetz‹ handele, sondern dass der Islam im Wesentlichen Vorschriften des Judentums übernommen habe, 78 hinter die besondere ethische Dimension des ChrisManuel II. Paléologue: Entretiens avec un musulman. 7e Controverse. Übers. v. Th. Khoury. Paris 1966. 75 Benedikt XVI. hätte sich freilich in diesem Zusammenhang auch direkt auf einschlägige Koranstellen zum Verhalten gegenüber Ungläubigen beziehen können. Siehe etwa Sure 9,5: »Und wenn nun die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Heiden, wo (immer) ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf!« 76 Manuel II. Paléologue: Entretiens avec un musulman, op. cit., S. 144, Anm 1. 77 Hierzu sei auf die entsprechende Einführung von T. Khoury zur 7. Kontroverse verwiesen, ebd., S. 9–130. 78 Ebd., 2c, S. 143. 74

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tentums aber eindeutig zurückfalle. Das Ziel seiner Argumentationsstrategie ist es daher, seinen persischen Gesprächspartner, einen älteren, aber dem Christentum gegenüber durchaus aufgeschlossenen Gelehrten, durch theologische Argumentation von den Schwächen des Islams und der Überlegenheit des Christentums zu überzeugen und ihn dadurch sogar zu einer Konversion zu bewegen. Zur großen Enttäuschung Manuels II. kommt seinem persischen Gesprächspartner jedoch ein Abfall vom Islam keineswegs in den Sinn, was der byzantinische Kaiser in der einleitenden Widmung zu seinem Werk vor allem mit dem Alter seines Dialogpartners sowie mit den materiellen Vorzügen, die der Islam in der gegenwärtigen politischen Situation seinen Anhängern bieten könne, erklärt. 79 Die Kontroverse zwischen Manuel II. und dem Perser, aber auch ihre interpretative Aneignung durch Papst Benedikt XVI. über 600 Jahre später stellt ein ausgezeichnetes Lehrstück für die Schwierigkeiten interreligiöser Dialoge dar, bei denen die am Gespräch Beteiligten die Absicht verfolgen, den jeweils Anderen von der Unwahrheit seiner Position zu überzeugen. Abgesehen von den konkreten Rahmenbedingungen, welche die angestrebte diskursive Rationalität des christlich-muslimischen Streitgesprächs überschatteten (politisch-militärische Überlegenheit der islamischen Seite gegenüber einem längst in die Defensive geratenen byzantinischen Christentum; potentielle Übersetzungsschwierigkeiten, da keine/r der beiden Dialogpartner die Sprache des Anderen beherrschte; unterschiedliche Vorbildung und Vertrautheit mit den theologischen Grundlagen der jeweils anderen Tradition), fehlte bei beiden am Gespräch Beteiligten die Bereitschaft, sich auch nur versuchsweise in die Perspektive des Anderen hineinzuversetzen und das Ergebnis dieses gewandelten Blickwinkels in die Diskussion mit einfließen zu lassen. Obwohl beide den Aufzeichnungen Manuels II. zufolge an einem offenen Austausch von Positionen und Argumenten interessiert waren und somit zumindest eine wichtige Voraussetzung für einen gelingenden interreligiösen Dialog mitbrachten, stand eine Relativierung der eigenen Glaubensüberzeugung weder beim Christen noch beim Muslim zur Disposition. Der Fehler, den beide Seiten bei dieser Kontroverse begingen, lag demzufolge darin, dass sie so argumentierten, als könne ihre Argumentation einen fundamentalen Glaubenswandel bei ihrem Gesprächspartner hervorrufen. Da sich die einzelnen Argumente aber 79

Vgl. dazu die Erläuterungen von Khoury, ebd., S. 120 ff.

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stets auf bestimmte Teilbereiche der religiösen Doktrin oder Praxis bezogen, konnte kein einzelnes Argument die jeweils andere Religion in toto ›widerlegen‹. Möglicherweise hat Manuel II. angenommen, dass die Addition seiner Argumente bei seinem Gesprächspartner letztlich den Ausschlag dafür geben müsse, das Christentum dem Islam vorzuziehen. Aber da sein muslimisches Gegenüber von keinem einzelnen der Gegenargumente restlos überzeugt werden konnte, war es nur rational, dass er sich auch insgesamt nicht der Gegenseite anschloss. Letztlich stoßen wir also an dieser Stelle auf den für die interkulturelle Religionsphilosophie wichtigen Befund, dass Religionen überhaupt nicht als Gesamtsysteme philosophisch miteinander verglichen werden können, sondern nur unter der wechselnden Perspektivierung der verschiedenen Formen unserer Vernunft (etwa in theoretischer, praktischer oder ästhetischer Hinsicht). Und argumentative Ergebnisse, die aus der rationalen Analyse eines bestimmten religiösen Teilbereichs gewonnen werden, müssen keineswegs Gültigkeit für einen anderen religiösen Teilbereich besitzen. Der problematische Aspekt von Papst Benedikts Rezeption der byzantinischen Kontroverse liegt wiederum darin, dass der christlichen Seite ein vernunftaffiner, dem griechischen Logos und damit auch der Philosophie korrespondierender Gottesbegriff zu- und der islamischen Seite zumindest indirekt abgesprochen wird. Doch selbst in der Darstellung Manuels II., die ja eindeutig apologetische Absichten verfolgt, wird dem muslimischen Gesprächspartner keineswegs ein rationaler Zugang zu seiner Religion abgesprochen; vielmehr gehen beide Dialogpartner grundsätzlich davon aus, dass es sinnvoll sei, sich mit rationalen Argumenten über religiöse Belange auszutauschen. Demgemäß besteht die Antwort, die der Perser auf den von Manuel II. erhobenen Irrationalitätsvorwurf gibt, vor allem in dem – aus seiner Sicht plausiblen – Nachweis der ethischen Rationalität des Islam, welcher bestimmte Exzesse christlicher Moralität 80 ausschließe und damit die perfekte Mitte zwischen dem jüdischen und dem christlichen Gesetz bilde – eine Auffassung, die Manuel II. bei seiner darauf folgenden Erwiderung wiederum bestreitet. Die Auseinandersetzung mit der ›Regensburger Rede‹ Papst Benedikts XVI. und dem dort zitierten Streitgespräch zwischen Manuel II. Palaeologos und einem Muslim macht vor allem deutlich, Hier nennt der Perser vor allem die Feindesliebe und den Verzicht auf Sexualität, vgl. ebd., 5e–6b, S. 150–157.

80

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dass es nicht richtig ist, einer Weltreligion pauschal eine größere Nähe oder Ferne zur Vernunft zuzusprechen. Wenn die christliche Gottesvorstellung sich in Bezug auf die Vernunft und den Willen Gottes tatsächlich fundamental von der islamischen Gottesvorstellung unterscheiden würde, dann hätte es im Christentum weder Wunderglauben noch die gewaltsame Durchsetzung des christlichen Glaubens (man denke nur an die Sachsenmissionierung durch Karl den Großen oder die Kreuzzüge) jemals geben dürfen. 81 Umgekehrt lässt sich leicht nachweisen, dass muslimische Theologen die koranische Offenbarung ebenso als Erleuchtung der Vernunft und Quelle höchster Weisheiten betrachteten wie die christlichen Theologen die biblische Offenbarung. 82 So bezeichnet al-Ghazālī in seiner Schrift Die Nische der Lichter 83 den Koran als »Sonne der Vernunft«. Indem er die Koransuren 64,8 und 4,174 mit der platonischen Lichtmetaphorik verbindet, vertritt al-Ghazālī die Überzeugung, dass »die Koranischen Verse für das Auge der Vernunft die gleiche Bedeutung wie das Sonnenlicht für das physische (wörtl.: sichtbare) Auge« 84 haben. Selbst wenn man al-Ghazālīs Einschätzung nicht unbedingt folgen mag, so ist doch auch für einen philosophisch ›neutralen‹ Betrachter auffällig, dass im Koran immer wieder und oftmals in drastisch-suggestiver Form an das rationale Interesse der Menschen appelliert wird, das darin bestehen soll, sich unbedingt der Allmacht Gottes, so wie sie von Mohamed verkündet wird, zu unterwerfen. Die

Siehe dazu A. Angenendt: Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert. Münster 2007. 82 Vgl. dazu Nayed 2007, S. 30 f.: »Ibn Hazm hat, wie die meisten anderen muslimischen Theologen auch, betont, dass Gott durch nichts äußerlich gebunden ist, auch nicht durch die Vernunft. Zugleich hat er nie behauptet, dass Gott sich nicht frei bindet und eine solche Bindung achtet. Diese freie Selbst-Bindung Gottes wird im Koran als Kataba rabukum ala nafsihi al-Rahma formuliert: ›Dein Herr hat sich selbst an das Erbarmen gebunden.‹ Die Vernunft darf nicht über Gott und normativ zu ihm stehen. Sie kann als Gnade Gottes gedacht werden, die deswegen normativ ist, weil Gott sich frei verpflichtet hat, in Treue zu ihr zu handeln. Wer auch in dieser letzten Aussage eine Artikulierung seines Glaubens sieht, muss deswegen nicht irrational oder unvernünftig sein und an einen irrationalen oder launenhaften Gott glauben. Der Gegensatz zwischen Christentum und Islam ist in diesem Punkt fraglich.« 83 Al-Ghazālī: Die Nische der Lichter (Miškāt al-anwār). Aus dem Arabischen übers., mit einer Einl., mit Anm. u. Indices hrsg. v. ʿ Abd-Elṣamad ʿ Abd-Elḥamīd Elschazlī. Hamburg 1987, hier S. 14 f. 84 Ebd., S. 15. 81

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in zahlreichen Suren wiederkehrende Argumentation, 85 die zur Annahme des Glaubens veranlassen soll, lässt sich dabei wie folgt zusammenfassen: Die Natur sowie die von Gott geschickten Propheten und Offenbarungen zeigen dem Menschen deutlich, dass er an seinen Schöpfer glauben und gute Werke verrichten soll. Der Mensch hat nun gegenüber dieser doppelten Evidenz, die sich als eine Kombination aus physikotheologischem Gottesbeweis und Vertrauen auf die persönliche Glaubwürdigkeit der von Gott eingesetzten Propheten beschreiben lässt, zwei Verhaltensmöglichkeiten: Er kann sie annehmen oder verwerfen. Doch im Koran wird allenthalben auch mitgeteilt, dass diese zwei Möglichkeiten exakt zwei alternative Konsequenzen im jenseitigen Leben nach sich ziehen werden: »Diejenigen […], die ungläubig sind, werden (dereinst) im Feuer der Hölle sein und (ewig) darin weilen. Sie sind die schlechtesten Geschöpfe. Diejenigen aber, die glauben und tun, was recht ist, sind die besten Geschöpfe. Als Lohn haben sie bei ihrem Herrn die Gärten von Eden zu erwarten, in deren Niederungen Bäche fließen, und in denen sie ewig weilen werden. Gott hat (dann) Wohlgefallen an ihnen, und sie haben Wohlgefallen an ihm.« 86

Wer also nicht bereits so vernünftig ist, sich angesichts der Gegenwart der von Gott erschaffenen Welt sowie der Überlieferungen der Propheten dem göttlichen Willen hinzugeben, der sollte wenigstens so rational sein, aus Furcht vor den ewigen Höllenqualen, die allen Ungläubigen in der ewigen Zukunft des jenseitigen Lebens drohen, Mohammeds Botschaft zu akzeptieren. Diese und andere Koranstellen belegen, dass die koranische Offenbarung ihrem Selbstverständnis zufolge den muslimischen Glauben als rational und den Unglauben als irrational qualifiziert; 87 die vorislamische arabische Zeit wird als eine Periode der Unwissenheit, jāhiliyya, gekennzeichnet. 88 Dass die koranische Auffassung von der Rationalität des Glaubens einen eigentümlich schillernden und doppelbödigen Charakter hat, zeigt Sure 10, 99–100: »Und wenn dein Herr es gewollt hätte, wären alle auf Erden allesamt gläubig geworden. Willst du etwa die

85 Exemplarisch sei hier auf die Suren 46 (»Die Dünen«), 53 (»Der Stern«), 84 (»Das Zerreißen«), 85 (»Die Türme«), 98 (»Der klare Beweis«) verwiesen. 86 Sure 98, 6–8. 87 Siehe dazu auch M. R. Rad: Islam interkulturell gelesen. Nordhausen 2005. 88 Vgl. G. Tamer: »Preface«. In: Islam and Rationality. The Impact of al-Ghazālī. Papers Collected on His 900th Anniversary. Vol. I. Hrsg. v. G. Tamer. Leiden/Boston 2015, S. IX.

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Leute zwingen, gläubig zu werden? Niemand kann glauben ohne Allahs Erlaubnis. Er aber zürnt denen, die ihren Verstand nicht gebrauchen.« In nur vier Sätzen enthält diese Koranstelle die ganze Problematik des auch im Christentum vieldiskutierten Zusammenhangs von Freiheit und Gnade im Glauben. Sure 10,99 scheint zunächst zu suggerieren, dass religiöse Pluralität geradezu gottgewollt sei, dass Allah gar keinen Einheitsglauben gewollt habe und dass er Zwang in Glaubensfragen ablehnt. Aber diese erste Botschaft, die einen religiösen Pluralismus zu verkünden scheint, wird in der unmittelbaren Folge überschattet und überlagert von einer zweiten Botschaft in Sure 10,100, die sich auf den Glauben als göttliche Gnade bezieht und die zugleich auf den Zorn Gottes gegenüber denen hinweist, die sich irrational verhalten – irrational insofern, als sie den koranischen Glauben nicht annehmen wollen. Gemeint ist hiermit offenbar, dass Gott von denjenigen, denen er die Gnade eines klaren Denkens, die Gnade der Rationalität, erwiesen hat, auch erwarten darf, dass sie sich freimütig zu ihm als ihrem Schöpfer bekennen. Tun sie dies nicht, verhalten sie sich irrational. Sie leugnen das, was ihr Leugnen allererst ermöglicht: die Gnade Gottes. Verstünde man die zitierte Koranstelle hingegen in der starken Weise, dass Gott selber vorab im Einzelnen festlegt, wer an ihn glauben darf und wer nicht, so ergäbe sich ein fundamentaler Widerspruch zwischen der prädeterminierten Auserwähltheit der Gläubigen und dem Zorn Gottes gegen die Ungläubigen. Diese würden für einen Unglauben bestraft, den Gott selbst ihnen auferlegt hätte. Die zitierte Koranstelle ergibt also nur dann Sinn, wenn der von Gott verliehene Verstand als potentielles Medium des Glaubens begriffen wird. Die konkrete Ausübung des Verstandes jedoch liegt im individuellen Ermessensspielraum der Menschen, die insofern tatsächlich nicht gezwungen werden können, den muslimischen (oder irgendeinen anderen religiösen) Glauben anzunehmen, sondern sich frei dazu bekennen müssen. Gott kann durch seine Schöpfungen und Botschaften, durch sein Licht den Menschen die Augen zwar öffnen, sehen aber müssen sie selber; und auch die Möglichkeit des Wegschauens hat Gott offenbar eingeräumt. Mit der Feststellung einer in dieser Weise konturierten religionsinternen islamischen Rationalität ist freilich noch nicht präjudiziert, ob es sich dabei zugleich auch um eine Vernunftform handelt, die deswegen universalisierbar ist, weil sie transkulturell nachvollziehbare Gründe vermittelt, oder ob es sich letztlich ›nur‹ um eine 423 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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intrareligiös gültige Rationalität handelt, die ausschließlich auf der Basis kulturspezifischer Prämissen Überzeugungskraft entfaltet. 89 Unabhängig von dieser Frage ist jedoch an dieser Stelle primär die Einsicht entscheidend, dass es nicht statthaft ist, eine Religion wie den Islam in Gänze als mehr oder weniger vernunftaffin zu qualifizieren. Stattdessen ist vielmehr ein differenzierender Blick darauf zu richten, welche Funktionen die Bezugnahme auf rationales Denken in bestimmten Epochen und Strömungen des Islam eingenommen hat, wie sein Stellenwert bestimmt wurde und welche grundsätzlichen Relationierungen von Religion und Philosophie, Glauben und Wissen für den Islam kennzeichnend sind. In diesem Kontext kann freilich nur exemplarisch auf einige charakteristische Punkte aufmerksam gemacht werden. Auch für den Islam hat sich das Problem von zwei potentiell widerstreitenden Wahrheiten in einer bestimmten Epoche gestellt, nämlich in der nach allgemeiner Übereinstimmung als Blütezeit der islamischen Philosophie 90 geltenden Zeitspanne zwischen dem 9. und dem 14. Jahrhundert n. Chr. Bereits die Mutakallimun, die Vertreter der frühen islamischen Theologie (kalam), und unter ihnen besonders die Muʾ tazila, hatten seit dem 8. und verstärkt seit dem 9. Jahrhundert Wege zu einer rationalen Erschließung des Glaubens gefunden, die der späteren Aneignung der klassischen griechischen Philosophie durch muslimische Philosophen Vorschub leistete. 91 Durch die rege Übersetzungstätigkeit unter den Abbasidenkalifen zwischen dem 9. und dem 12. Jahrhundert wurden zahlreiche griechische Texte, darunter auch viele philosophische, in der arabischen Siehe dazu den Sammelband Islam and Rationality, op.cit. Siehe dazu einführend M. Fakhry: A Short Introduction to Islamic Philosophy, Theology and Mysticism. Oxford 1997; ders.: Philosophy, dogma and the impact of Greek thought in Islam. Aldershot 1994; ders.: A History of Islamic philosophy. New York 1982; S. H. Nasr/O. Leaman (Hrsg.): History of Islamic Philosophy. 2 Bde. London/New York 1996; M. Turki: Einführung in die arabisch-islamische Philosophie. Freiburg 2015; D. Urvoy: Histoire de la pensée arabe et islamique. Paris 2006. Neuere Forschungen haben zunehmend herausgearbeitet, dass es auch in den Jahrhunderten nach der gemeinhin als ›Blütezeit‹ der islamischen Philosophie bezeichneten Epoche einen kontinuierlichen Strom philosophischen Denkens in den iranischen, arabischen und ottomanischen Kulturräumen des lslam gegeben hat. Siehe dazu K. El-Rouayheb u. S. Schmidtke (Hrsg.): The Oxford Handbook of Islamic Philosophy. New York 2017. 91 Siehe dazu G. Hendrich: Arabisch-islamische Philosophie. Geschichte und Gegenwart. Frankfurt/New York 2011, S. 18 ff. 89 90

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Sprache zugänglich. 92 Aus der Übersetzung und Kommentierung der platonischen bzw. neuplatonischen und aristotelischen Philosophie entwickelte sich in diesem Zeitraum eine eigenständige islamische Philosophie (falsafa), die durch Namen wie al-Kindī, al-Fārābī und Ibn Sīnā markiert wird. 93 Ganz ähnlich wie in der christlichen Theologie, die von der islamischen Philosophie noch maßgeblich beeinflusst werden sollte, 94 ging es auch den muslimischen Philosophen im Kern um die Vereinbarkeit der – in diesem Fall koranischen – Offenbarung mit der ›natürlichen‹ Vernunft. 95 Doch sind schon im 9./10. Jahrhundert mit den persischstämmigen Philosophen ar-Razi und Ibn ar-Rawandi ebenfalls Denker hervorgetreten, die im Widerstreit zwischen Philosophie und Religion eindeutig der Vernunft die Berechtigung zur Eruierung von Wahrheit zuerkannten; religiöse Offenbarungen wurden demgegenüber von beiden Philosophen in zum Teil überraschend radikaler Weise kritisiert. 96 Als folgenreicher sollte sich jedoch die entgegengesetzte Stoßrichtung erweisen, nämlich die Kritik an philosophischer Erkenntnis unter Berufung auf die im Koran geoffenbarte Wahrheit des Glaubens. Die theoretisch ambitionierteste dieser Kritiken stammt paraSiehe ebd., S. 33: »So lag zu Beginn des 10. Jahrhunderts die fast vollständige Übersetzung der Werke des Aristoteles vor, etwa das gesamte Organon einschließlich Rhetorik und Poetik, sowie die metaphysischen und die naturwissenschaftlichen Schriften. […] Anders verhielt es sich mit den Werken Platons. Sein Denken hatte großen Einfluss auf die arabisch-islamische Philosophie, aber erstaunlicherweise war nur ein Bruchteil seiner Dialoge vollständig ins Arabische übertragen worden.« 93 Vgl. ebd., S. 35–77; siehe ferner I. R. Netton (Hrsg.): Islamic Philosophy and Theology. Critical Concepts in Islamic Thought. Vier Bände. London/New York 2007; M. Fakhry: Al-Fārābi, Founder of Islamic Neoplatonism. His Life, Works and Influence. Oxford 2002; O. Leaman: »Islamic Philosophy since Avicenna«. In: Carr/Mahalingam 1997, S. 901–917. 94 Siehe dazu A. Speer/L. Wegener (Hrsg.): Arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter. Berlin 2006. 95 Vgl. dazu Nayed 2007, S. 34: »Muslime haben, wie auch Christen und Juden vor und nach ihnen, viele Konzepte zur Harmonisierung von Vernunftansprüchen und Glaubenswahrheiten ausgearbeitet. Theologen der Muʾ tazili-, Ashʾ ari-, Maturidi-, Ithna Ashri-, Ismaʾ ili-, Ibadi- und sogar der Hanbali-Schule haben damit gerungen, ihren Glauben so vernünftig wie möglich zu artikulieren. Schon propädeutische Schriften islamischer Philosophie und Theologie machen das deutlich. Neben anderen sind die elaborierten dialektischen und logischen Schriften von Abdul Jabbar, Ashʾ ari, Baquillani, Juwayni, Ghazali, Razi, Maturidi, Nasafi, Ibn Ruschd und Ibn Sabain Zeugnisse eines muslimischen Interesses an der Vernunft, wenn es um die Artikulierung von Dingen des Glaubens geht.« 96 Siehe dazu Hendrich 2011, S. 46–54. 92

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doxerweise von einem islamischen Theologen, der aufgrund seiner argumentativen Präzision ohne Zweifel selbst als profilierter Philosoph gelten kann: al-Ghazālī (1058–1111). In seiner am Ende des 11. Jahrhunderts entstandenen Abhandlung Tahāfut al-falāsifa (Die Inkohärenz der Philosophen) 97 legte al-Ghazālī eine gegen die Auffassungen al-Farabis und Ibn Sinas gerichtete Evaluation von 20 philosophischen Lehren vor, die seiner Ansicht nicht mit dem islamischen Glauben in Einklang zu bringen waren. Als eindeutig häretisch bezeichnet al-Ghazālī hierbei die philosophischen Lehren von der Ewigkeit der Welt, dem göttlichen Wissen um die Einzeldinge in ihrer Universalität, nicht jedoch in ihrer Individualität, sowie der Auferstehung der immateriellen Seele, nicht aber des Leibes. AlGhazālī zufolge ist die Welt nicht notwendig von Gott verursacht worden, sondern sie entspringt vielmehr dem freien Willen Gottes und wurde aus dem Nichts geschaffen (creatio ex nihilo); 98 ferner widerspreche die Auffassung, dass Gott die Einzeldinge nur in einer universellen Weise kenne (nämlich so, wie die allgemeine Gattung das Besondere unter sich begreift), aber nicht in ihrer Individualität, der im Koran verbürgten Allwissenheit Gottes; 99 und eben dies gelte auch für die von den Philosophen vertretene Ansicht, dass nur die immaterielle Seele unsterblich sei, nicht jedoch der Körper. 100 al-Ghazālī: The Incoherence of the Philosophers. A parallel English-Arabic text translated, introduced and annotated by M. E. Marmura. Provo, Utah 1997. 98 Siehe dazu die 1. Diskussion »On refuting their doctrine of the world’s past eternity«, S. 12–46, sowie die 2. Diskussion »On refuting their statement on the post-eternity of the world«, S. 47–53. 99 Siehe dazu die 11. Diskussion »On showing the impotence of those among them who perceive that the First knows other[s] and knows the genera and species in a universal way«, S. 128–133, sowie die 13. Diskusison »On refuting their statement that God, may He be exalted above what they say, does not know the particulars divisible in terms of temporal division into what is, what was, and what will be«, S. 137–146. 100 Siehe dazu die 19. Diskussion »On refuting their statement that it is impossible for human souls to undergo annihiliation after [having come] to exist; that they are everlasting, their ceasing to exist inconceivable«, S. 205–211, sowie die 20. Diskussion »On refuting their denial of bodily resurrection and the return of spirits to bodies; of the existence of corporeal fire; of the existence of paradise, the wide-eyed houris, and the rest of things people have been promised; of their statement that all these things are parables made for the commonality to explain spiritual award and punishment that are of a higher rank than the corporeal«, S. 212–229. Vgl. dazu auch die kurzgefasste Zusammenfassung der Philosophenkritik bei al-Ghazālī: Der Erretter aus dem Irrtum (al-Munqiḏ min aḍ-ḍalāl). Aus dem Arabischen übers., mit einer Einl., 97

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Al-Ghazālīs Kritik an der islamischen Philosophie, die mit genuin philosophischen Mitteln geführt wurde, hatte zum einen zur Folge, dass einem innerhalb der islamischen Orthodoxie ohnehin weit verbreiteten Unbehagen gegenüber der Philosophie in systematischer Form Ausdruck verliehen wurde; zum anderen führte al-Ghazālīs Traktat jedoch auch zu einer weiteren Verbreitung gerade derjenigen philosophischen Thesen, die er kritisiert hatte, sowie zu einer verstärkten Übernahme philosophischer Argumentationsweisen innerhalb der islamischen Theologie. 101 Den Versuch einer ausdrücklichen Widerlegung von al-Ghazālīs Thesen unternahm einige Jahrzehnte später der vermutlich bedeutendste Philosoph des arabischen Spanien (al-Andalus), Ibn Ruschd, im Westen besser bekannt als Averroes. 102 Im Tahāfut atTahāfut (Die Inkohärenz der Inkohärenz) 103 bemühte sich Ibn Ruschd um eine punktgenaue Widerlegung der gegen die islamische Philosophie gerichteten Abhandlung al-Ghazālīs. Darüber hinaus entstanden zwischen 1179 und 1180 weitere Schriften Ibn Ruschds, die sich mit dem Verhältnis von koranischer Offenbarung und Philosophie auseinander setzen, insbesondere der Fasl al-maqāl (Entscheidende Abhandlung), 104 ein Rechtsgutachten (fatwa) über die Frage, ob das islamische Gesetz die Beschäftigung mit der Philosophie erlaube, verbiete oder vorschreibe, und der Manāhiğ al-adilla fī aqaʾ id al-milla (Die Erklärung der Beweismethoden hinsichtlich der Glaubensvorstellungen der Religion). 105 Ibn Ruschd bestreitet die Auffassung alGhazālīs, dass es eine ›doppelte Wahrheit‹ von koranischer Offenmit Anm. u. Indices hrsg. v. ʿ Abd-Elṣamad ʿ Abd-Elḥamīd Elschazlī. Hamburg 1988, S. 23 f. 101 Vgl. dazu Hendrich, S. 84. 102 Siehe einführend M. Fakhry: Averroes (Ibn Rushd). His Life, Works and Influence. Oxford 2006; D. Urvoy: Averroes. Les ambitions d’un intellectuel musulman. Paris 2008; ders.: Les penseurs libres dans l’Islam classique. L’interrogation sur la religion chez les penseur arabes et indépendants. Paris 1996. 103 Averroes: Tahafut al-Tahafut (The Incoherence of the Incoherence). Translated from the Arabic with introduction and notes by S. v. d. Bergh. Cambridge 1987. 104 Averroes: Die entscheidende Abhandlung und die Urteilsfällung über das Verhältnis von Gesetz und Philosophie. Arabisch-Deutsch. Mit einer Einleitung u. kommentierenden Anmerkungen übers. v. F. Schupp. Hamburg 2009. 105 Es wurde die französische Übersetzung herangezogen: »Dévoilement des méthodes de démonstration des dogmes de la religion musulmane«. In: Averroes: L’Islam et la Raison. Anthologie des textes juridiques, théologiques et polémiques. Übers. v. M. Geoffroy. Paris 2000, S. 95–160.

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barung und philosophischer Erkenntnis gebe, die sich im Widerstreit zueinander befänden. Vielmehr stünden beide im Einklang miteinander; der Koran fordere sogar ausdrücklich die menschliche Bemühung um Erkenntnis. 106 Die Einsichten, zu denen die (aristotelische) Philosophie kraft der Vernunft durch demonstrative Beweisführung gelangt, entsprechen daher der Wahrheit, die jedoch faktisch nur von den Wenigen, die sich der philosophischen Bemühung aussetzen, erkannt werden könne. Deswegen sei es, so Ibn Ruschd, notwendig, dass dieselben Wahrheiten in einer für die breite Masse anschaulicheren Form durch den Koran vermittelt würden. Ibn Ruschd löst den potentiellen Widerstreit zwischen Philosophie und Theologie bzw. Offenbarung somit dadurch auf, dass er verschiedene Erkenntnisniveaus unterscheidet, welche die im Kern identische Wahrheit in unterschiedlichen Sprachmodi für kognitiv divergente Adressatengruppen darbieten. 107 Wer sich nicht zur intellektuellen Höhe metaphysischer Erkenntnis aufzuschwingen vermag, dem mögen die Suren des Koran in ihrer oftmals plastischen Konkretheit genügen. 108 Dabei ist 1.) zwischen klaren und eindeutigen 106 Ibn Ruschd bezieht sich hier u. a. auf die Koransure 59,2, in der es heißt: »Denkt (darüber) nach, (ihr alle) die ihr Einsicht habt!« Averroes interpretiert diese Koranstelle als Aufforderung zum philosophischen Nachdenken im Sinne syllogistischen Schließens und logischer Demonstration. Berücksichtigt man allerdings den weiteren Kontext der Sure, so wird deutlich, dass sich das hier geforderte Nachdenken konkret auf ein göttliches Strafgericht bezieht, das über eine Gruppe ›ungläubiger‹ Juden hereingebrochen war, die aus ihren Wohnungen vertrieben wurden. Weitere Koranstellen, auf die sich Ibn Ruschd zur Rechtfertigung seiner These, dass das islamische Gesetz philosophisches Nachdenken vorschreibe, bezieht, sind 7,185; 6,75 und 88,17. – Siehe zum Verhältnis von Philosophie und Theologie bei Ibn Rushd auch Speer/ Turki 2014, S. 79 ff. 107 Diese Auffassung hatte bereits der Philosoph Ibn as-Sīd (1052–1127) vertreten; siehe dazu die Einleitung von F. Schupp in Averroes 2009, S. XXIII ff. Auch der jüdische Philosoph Maimonides (1135/38–1204), der wie Ibn Ruschd aus Córdoba stammte, entwickelt in seinem Führer der Unschlüssigen (Hamburg 31995) die Position, dass die kalamitische Theologie des Judentums auf einer fundamentalen Bedeutungsebene mit der peripapetischen Philosophie übereinstimme; dem Laien sollte jedoch zunächst die theologische Bildersprache genügen. 108 Vgl. dazu auch die literarische Darstellung bei Ibn Ṭufail: Der Philosoph als Autodidakt (Ḥayy ibn Yaqẓān). Ein philosophischer Inselroman. Übers., mit einer Einl. u. Anm. hrsg. v. P. O. Schaerer. Hamburg 2004. Im VIII. Kapitel dieses 1177–1182 entstandenen philosophischen Bildungsromans beschreibt der Erzähler, wie er versucht, die strenggläubigen Bewohner einer benachbarten Insel von der durch Philosophie und Mystik erlangten wahren Gotteserkenntnis zu überzeugen: »Aber aufgrund der Mangelhaftigkeit ihrer Veranlagung erstrebten sie die Wahrheit nicht mit der ihr

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Aspekte philosophischer Reflexion im Islam

Koranversen, deren Bedeutung unnmittelbar evident ist, 2.) solchen Versen, die eine offenkundige und eine verborgene, nur dem geschulten Experten offenbare Botschaft enthalten, und 3.) interpretationsbedürftigen Versen, über deren symbolische Bedeutung möglicherweise auch unter geschulten Exegeten kein Konsens erzielt werden kann, zu unterscheiden. Die Rezeptionsgeschichte dieser Auffassungen Ibn Ruschds zum Verhältnis von Glauben und Wissen ist bemerkenswert. 109 Während seine Thesen im damaligen muslimischen Kulturraum nahezu unbeachtet blieben, kam es im 13. Jahrhundert an den Universitäten Europas auf der Grundlage der Aristoteles-Kommentare des Averroes zur Herausbildung des lateinischen Averroismus, dessen Positionen – wie oben bereits erwähnt – teilweise als häretisch verurteilt wurden. 110 Für besonderen Konfliktstoff sorgte dabei die bereits von alFarabi und später auch von Ibn Ruschd im Anschluss an Aristoteles vertretene Auffassung, dass die philosophische Lebensform letztlich die höchste sei, da die kontemplative Erkenntnis der Philosophie dem göttlichen Zustand so nahe komme wie sonst keine andere menschliche Tätigkeit. 111 Möglicherweise waren sich christliche und islamische Theologie niemals so nah wie in ihrer von beiden Seiten geteilten Befürchtung, die Philosophie des Aristoteles könne den geoffenbarten Glaubensgehalten ihrer Religion widerstreiten. 112 Eine verstärkte Rezeption innerhalb der islamischen Welt erfahren Ibns Ruschds Auffassungen zur Vereinbarkeit von Philosophie und koranischer Offenbarung erst seit einigen Jahrzehnten. So hat angemessenen Methode, erreichten sie nicht mit Hilfe der erforderlichen ernsthaften Untersuchung und fanden zu ihr auch nicht den richtigen Zugang. Sondern sie wollten zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen, indem sie den Traditionariern folgten.« Siehe zur Rezeption des Hayy ibn Yaqzan innerhalb der europäischen Aufklärung Hendrich 2011, S. 94 f. 109 Siehe dazu M. Zanner: Konstruktionsmerkmale der Averroes-Rezeption. Ein religionswissenschaftlicher Beitrag zur Rezeptionsgeschichte des islamischen Philosophen Ibn Ruschd. Frankfurt a. M. 2002; F. Sezgin (Hrsg.): Ibn Rushd in the Western Tradition. Texts and Studies. Collected and Reprinted. Frankfurt a. M. 1999. 110 Die Entscheidende Abhandlung des Averroes war den lateinischen Averroisten jedoch nicht bekannt. Vgl. Averroes 2009, »Vorwort«, S. VIII. 111 Siehe dazu Hendrich 2011, S. 102. 112 Siehe zur gemeinsamen Bezugnahme des christlicher und muslimischer Theologen auf die antike griechische Philosophie C. Bickmann: »Der Streit um das Göttliche im Begriff: Christliche und islamische Wege im Ausgang von Platon und Aristoteles«. In: Wege der Philosophie. Hrsg. v. Hamid Reza Yousefi, Klaus Fischer u. Ina Braun. Nordhausen 2006, S. 197–222.

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Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken

der marokkanische Philosoph M. A. Al-Jabri in seiner Kritik der arabischen Vernunft 113 die Philosophie des Ibn Ruschd als eine Form aufgeklärten islamischen Denkens gegenüber einer irrationalistischen und traditionalistischen Islam-Interpretation herausgestellt. Für die innere Entwicklung des Islam in der Neuzeit wäre, so ließe sich im Anschluss an al-Jabri konstatieren, eine stärkere Rezeption der Gedanken des Ibn Ruschd vermutlich von Nutzen gewesen. Denn auch wenn es Jahrhunderte lang, insbesondere vom 8./9. bis zum 13./14. Jahrhundert, eine eigenständige islamische Philosophie gegeben hat, zu der auch die persische Schia-Tradition mit einer stärker neuplatonisch-mystischen Ausrichtung wichtige Beiträge geliefert hat, 114 so ist doch im Hinblick auf die nachfolgenden Jahrhunderte – vom 14. bis zum 20. Jahrhundert – festzustellen, dass autonome philosophische Reflexion im Islam von weiten Teilen der Orthodoxie als letztlich irrelevant für die Tradierung der islamischen Offenbarung und des islamischen Rechts betrachtet wurde. Innerhalb der islamischen Theologie (kalam) kamen die an der griechischen Philosophie geschulten Methoden rationaler Argumentation freilich weiterhin zur Anwendung. Und selbstverständlich hat es auch in dem Zeitraum, der innerhalb der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit entspricht, in der islamischen Welt bedeutende, zu Unrecht in Vergessenheit geratene bzw. im Westen bislang nicht genügend beachtete Denker gegeben, unter denen etwa der iranische Philosoph Mullā

Siehe M. A. Al-Jabri: Kritik der arabischen Vernunft. Naqd al-ʿ aql al-ʿ arabi. Die Einführung. Berlin 2009. 114 Hier wäre etwa auf das Werk des iranischen Mystikers Shibābuddīn al-Suhrawardī (1153–1191) und seine Illuminationslehre (Hikmat al-ishrāq) hinzuweisen. Ob die Lichttheologie al-Suhrawardīs, den Sultan Saladin wegen Ketzerei hinrichten ließ, tatsächlich als Philosophie bezeichnet werden kann oder ob es sich nicht eher um eine esoterische Theosophie handelt, ist freilich umstritten. Siehe ders.: Le livre de la sagesse orientale (Kitâb Hikmat al-Ishrâq). Übers. v. H. Corbin. Paris 1986. – Als ein weiterer wichtiger islamischer Mystiker des 12./13. Jahrhunderts, der in neuplatonischer Tradition das überfließende Licht Gottes sowie dessen alles einbegreifende Einheit in das Zentrum seiner theosophischen Überlegungen stellte, ist der andalusische Sufi-Metaphysiker Ibn ʿ Arabī (1165–1240) zu nennen. Siehe ders.: Le dévoilement des effets du voyage. (Arabisch-Französisch). Übers. v. D. Gril. Paris 2015; ders.: Der verborgene Schatz. Des größten Meisters mystische Philosophie der Einheit aller Existenz. Aus dem Engl. übers. u. hrsg. v. S. Brommer. Zürich 2006; S. Ruspoli: Le livre des théophanies d’Ibn Arabî. Introduction philosophique, commentaire et traduction annoée du Kitâb al-tajalliyât. Paris 2000; Ibn al-ʿ Arabī: Die Weisheit der Propheten. Übers. v. H. Kopfler. Graz 1986. Siehe dazu auch Hendrich 2011, S. 116. 113

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Aspekte philosophischer Reflexion im Islam

Ṣadrā (1572–1641) herausragt, der die neoplatonische Emanationslehre mit der Illuminationsphilosophie as-Suhrawardis verband. 115 Im Zuge der Konfrontation der muslimischen Welt mit der wissenschaflich-technischen Zivilisation des Westens im 19. und 20. Jahrhundert wurde als Antwort auf diese Herausforderung vielfach eine Rückkehr zu den authentischen Grundlagen des Islam, wie sie im Koran niedergelegt sind, gefordert. In diesem Sinne hat etwa der indo-persische Dichter und Philosoph Muhammad Iqbal die Vereinbarkeit von moderner Wissenschaft mit den Aussagen des Korans zeigen wollen, der die maßgebliche Grundlage seiner Philosophie bildet. 116 Die Herausbildung eines kritischen philosophischen Diskurses, der die eigenen kulturellen Traditionen – bis hin zum Koran – rückhaltlos hinterfragen würde, scheint in der islamischen Welt bis heute dadurch erschwert zu werden, dass ein Begriff autonomer Vernunft, wie er für die europäische Aufklärung kennzeichnend war, oftmals als Import westlichen Gedankenguts interpretiert wird, demgegenüber gerade das kulturell Eigene und Authentische der islamischen Tradition zu betonen sei. 117 Gleichwohl ist auch diesbezüglich die Pluralität der innerislamischen Diskussion hervorzuheben, die von westlicher Seite oftmals nur unzureichend wahrgenommen wird. 118 Neben Ibn Ruschd gehört auch al-Farabi zu denjenigen klassischen islamischen Philosophen, die dem zeitgenössischen Diskurs zum Verhältnis von Offenbarung und Vernunft im Islam entscheidende Impulse zu vermitteln vermögen – wenngleich dabei zu berücksichtigen ist, dass die islamischen Denker der klassischen Periode in einem sozialen und kulturellen Umfeld agierten, dass mit demjenigen heutiger islamischer Länder nur sehr wenig gemeinsam hat. Dennoch sind beispielsweise al-Farabis Überlegungen zu einer akzeptablen religiösen Diversität, sofern diese der Verbreitung von Tugend

Siehe Hendrich, S. 135 ff. Siehe M. Iqbal: Botschaft des Ostens. Ausgewählte Werke. Hrsg. v. A. Schimmel. Tübingen/Basel 1977. – Als weitere innovative und kritische islamische Denker des 20. Jahrhunderts wären u. a. der ägyptische Islamgelehrte ʿ Alī ʿ Abd ar-Rāziq (1888– 1966), der ägyptische Schriftsteller Tāhā Husain (1889–1973), der ägyptische Koranund Literaturwissenschaftler Nasr Hāmid Abū Zaid (1943–2010) und der iranische Philosoph ʿ Abdolkarīm Sorūsh (* 1945) zu nennen. Siehe dazu auch El-Rouayheb/ Schmidtke 2017. 117 Siehe dazu etwa K. v. Stosch: Herausforderung Islam. Christliche Annäherungen. Paderborn 2016, v. a. Kap. VI: »Modernisierung und Gewalt«. 118 Siehe dazu Hendrich 2011, S. 138–158. 115 116

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Doppelte Wahrheit? – Religiöse Beziehungen zum philosophischen Denken

dienlich sein kann, auch für gegenwärtige Debatten durchaus aneignungsfähig. 119 Sie zeigen im Übrigen – um damit auf die am Anfang des Kapitels herangezogene ›Regensburger Rede‹ von Papst Bendikt XVI. zurückzukommen –, dass es in der klassischen islamischen Philosophie durchaus gewichtige Stimmen gab, die keineswegs einer gewaltsamen Verbreitung des Islam im Namen eines überrationalen Gottes das Wort redeten.

119 Siehe dazu J. Parens: An Islamic Philosophy of Virtuous Religions. Introducing Alfarabi. Albany, N.Y. 2006.

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II. Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

Die vorausgegangenen Ortsbestimmungen philosophischen Denkens in den religiösen Traditionen des Buddhismus, des Christentums und des Islams haben deutlich gemacht, dass philosophische Reflexion in allen drei Weltreligionen eine bedeutsame, wenngleich jeweils unterschiedliche Rolle für die Konturierung des spirituellen Heilswegs spielt. Die Differenzen der mannigfaltigen innerreligiösen Strömungen, zumal in ihrer historischen und geographischen Divergenz, sind freilich so beträchtlich, dass generalisierende Aussagen über den Status der Philosophie innerhalb eines religiösen ›Gesamtsystems‹ nur um den Preis unzulässiger Vereinfachung zu treffen sind. Dessen eingedenk ist es gleichwohl die Aufgabe einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie, einige Grundtendenzen des religiösen Interesses, aber auch des religiösen Misstrauens gegenüber der Philosophie herauszuarbeiten, welche die hier betrachteten Weltreligionen miteinander teilen, sowie auf Aspekte ihres Vernunftbezugs aufmerksam zu machen, in denen sie sich deutlich voneinander unterscheiden. Anhand des ›Zwei Wahrheiten‹-Theorems haben wir dementsprechend versucht, derartige Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Buddhismus, Christentum und Islam in Bezug auf ihr je anders geartetes Verhältnis zur Philosophie aufzuzeigen. Zu einem Konflikt philosophischer und religiöser ›Wahrheit‹ kann es immer dann kommen, wenn eine der beiden Erkenntnisquellen – diskursive Vernunft versus geoffenbarte Glaubenswahrheit bzw., im Falle des Buddhismus, meditative Erfahrung – den Primat für sich beansprucht und dadurch die andere Erkenntnisquelle auf eine sekundäre Position verweist. So meinten sich die christliche ebenso wie die islamische Theologie vor dem Wahrheitsprimat der (griechischen) Philosophie gegenüber den geoffenbarten Wahrheiten der Bibel und des Koran schützen zu müssen. Beim Buddhismus ist insofern von einer gänzlich anderen Relationierung von Glauben und Wissen auszugehen, als der Aspekt einer übernatürlichen Offenbarung im Kern der buddhistischen 433 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

Überlieferung keine Rolle spielt. Die Lehre Buddhas, die auf einer im Prinzip allen Menschen (zumindest denjenigen unter ihnen, die den buddhistischen Weg beschreiten) zugänglichen Meditationserfahrung beruht, ist selber als ein Gedankensystem rekonstruierbar, das zu philosophischer Argumentation und Systematisierung einlädt – wenngleich die daraus entstehende buddhistische Philosophie den angestrebten Zustand des nirvana niemals ersetzen kann; sie kann aber sehr wohl einen Beitrag zur mentalen Vorbereitung und Begleitung dessen liefern, der sich anschickt, den Edlen Achtfachen Pfad zu beschreiten. Bei den ›Zwei Wahrheiten‹, die in den meisten buddhistischen Schulen einander gegenüber gestellt werden, handelt es sich auch nicht – wie in den theozentrischen Religionen des Christentums und des Islams – um einen Gegensatz von vernünftiger und geoffenbarter Wahrheit, sondern um die unterschiedliche Aspektierung von Phänomenen, die entweder in ihrer oberflächlichen, konventionellen, relativen Wahrheit oder in ihrer letztendlichen, tiefen, absoluten Wahrheit betrachtet werden. Die unterschiedliche Perspektivierung hängt dabei aber nicht von vorgeordneten allgemeinen Instanzen wie ›der Vernunft‹ oder ›der Offenbarung‹ ab, sondern vom mentalen Zustand dessen, der die Phänomenanalyse vornimmt. Eine Ähnlichkeit zur duplex veritas-Problematik im theozentrischen Kontext ließe sich allenfalls in der potentiellen Zuordnung der beiden Wahrheiten zu unterschiedlichen Rezipientengruppen sehen: Die letztendliche Wahrheit wird faktisch – und hier könnten Buddhisten und Averroisten einander möglicherweise begegnen – nur von den Wenigen erkannt, während sich die meisten mit der Erkenntnis konventioneller Wahrheit zufrieden geben. Wesentliche Differenzen, aber auch Berührungspunkte der Weltreligionen Buddhismus, Christentum und Islam werden somit anhand der Frage nach dem religionsinternen Ort philosophischer Reflexion bereits sichtbar. Aber es zeigt sich auch, dass in den hier herangezogenen Religionen das philosophische Denken – außer in einigen der Häresie verdächtigen Fällen – nicht das ultimative Ziel des religiösen Heilswegs erreicht, sondern dass sie diesen mit den Mitteln der rationalen Diskursivität begleitend unterstützt, ab einer bestimmten Stelle aber gleichsam auf eine ›Erhebung‹ in einen anderen, trans-rationalen Bereich angewiesen ist, die sie nicht aus eigenen Kräften leisten kann. Diese religiöse ›Erhebung‹ kann sich direkt aus göttlicher Eingebung, Gnade oder meditativ gewonnener Erleuch434 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

tung speisen oder indirekt aus dem Vertrauen auf die Offenbarung heiliger Schriften oder auf religiöse Instanzen. Es ist gerade aus der Perspektive der Religionsphilosophie sehr wichtig, sich nicht darüber zu täuschen, dass Philosophie stets nur einen Bruchteil einer Religion ausmacht. Als interne Reflexionsinstanz, die religiöse Lehren systematisiert, kategorisiert und argumentativ untermauert, hat sie aber ihre unentbehrliche Funktion gerade in den Fällen, in denen ein religiöses System in Dogmatismus, Fundamentalismus, Aberglauben oder Obskurantismus abzugleiten droht. Diese Funktion eines internen Selbstkorrektivs einer Religion durch Vernunft ist vermutlich die wichtigste, die Philosophie in einem religiösen System ausüben kann. Darüber hinaus kann Religionsphilosophie, wie im I. Teil dieser Untersuchung dargelegt wurde, aber auch als eine externe Reflexionsinstanz fungieren, die sich darum bemüht, mit den Mitteln der Vernunft interreligiöse Dissense argumentativ nachzuvollziehen, hinsichtlich ihrer epistemischen Voraussetzungen zu analysieren 120 und im besten Fall sogar begründete Vorschläge zur Lösung interreligiöser Konflikte, sofern sich diese auf religiöse Primärkomponenten beziehen, zu unterbreiten. Eben dieser zweite Aspekt interkultureller Religionsphilosophie soll in den folgenden drei Unterkapiteln anhand einiger möglichst repräsentativer Hinweise und Beispiele erläutert werden. Die Perspektive ist nun also nicht mehr auf die Binnenrelation von Rationalität und Spiritualität, Glauben und Wissen innerhalb einzelner Religionen gerichtet, sondern auf philosophisch aspektierte Divergenzen zwischen den Religionen. Als ›Materialbasis‹ werden wir uns wiederum auf religionswissenschaftliche Erkenntnisse zu den drei Weltreligionen Buddhismus, Christentum und Islam beziehen. Die folgende Dreiteilung richtet sich aber nicht nach diesen drei Religionen, sondern vielmehr nach der jeweiligen thematischen Aspektierung, dergemäß wir zentrale Inhalte der Religionen untersuchen wollen. Diese thematische Fokussierung orientiert sich an Prof. Dr. Thomas Grundmann hat mich anlässlich einer Präsentation des Habilitationsvorhabens im Juli 2013 darauf hingewiesen, dass der methodische Zugang zur philosophischen Analyse religiöser Dissense kein deskriptiver, sondern primär ein epistemologischer sein müsse. In den Untersuchungen der folgenden Kapitel II.1. und II.2. wird dieser Überlegung Rechnung getragen, indem die konstativen und normativen Aussagenbereiche der herangezogenen Weltreligionen nicht nur untereinander verglichen werden, sondern zusätzlich auch in Bezug auf ihre Übereinstimmung mit Einsichten der theoretischen und praktischen Vernunft geprüft werden. 120

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Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

einer Dreiteilung vernünftiger Weltzugänge, die sich in einer kantischen Terminologie als theoretische Vernunft, praktische Vernunft und (ästhetisch-teleologische) Urteilskraft bezeichnen ließe; es ist ebenfalls möglich, sie – sprachphilosophisch abgewandelt und eher an Habermas orientiert – auf die Differenzierung in konstative, normative und expressive Sprachhandlungen zu beziehen. In einem ersten Schritt (Kap. II.1.) wird es um die Gegenüberstellung von religiösen Positionen gehen, die einen konstativen Charakter haben und somit zum Gegenstandsbereich der theoretischen Vernunft gehören. Hierbei stehen Fragestellungen im Vordergrund, die innerhalb der abendländischen Philosophietradition als ›ontologisch‹ bezeichnet werden können: Welche grundsätzliche Interpretation des Seins vertritt eine Religion? Was wird als Grund der Welt angesehen? – Im zweiten Schritt (Kap. II.2.) wird sodann der weite Bereich normativer Aussagen der Weltreligionen näher betrachtet. Wir werden uns somit auf dem Feld der praktischen Vernunft bewegen, der es um Fragen zu tun ist, wie z. B.: Welche grundlegenden Werte sollten Menschen in ihrem Leben realisieren? Wer sind die Adressaten meines moralischen Handelns? – In einem letzten Schritt (Kap. II.3.) sollen schließlich religiösen Kontexten entstammende expressive Aussagen einem exemplarischen Vergleichstest unterzogen werden; zur Analyse derartiger mystischer Verlautbarungen scheint unter den rationalen Vermögen die Urteilskraft am geeignetsten zu sein (Kap. II.3.).

1.

Die Perspektive der theoretischen Vernunft: Widerspruch und Komplementarität konstativer Aussagen der Weltreligionen

Bringen wir den zentralen Widerspruch zwischen den ›ontologischen‹ Auffassungen, die in den Weltreligionen (von denen wir hier nur den Buddhismus sowie, als Repräsentanten der monotheistischen Religionen, das Christentum und den Islam in den Blick nehmen wollen) aufgekommen sind, sogleich auf den Punkt: Die Auffassung, derzufolge die Welt das Schöpfungsprodukt eines allmächtigen Gottes darstellt, steht zu der Auffassung, dass die Welt ein Geschehen sei, das letztendlich auf Leerheit basiere, ganz offenkundig in einem Gegensatz. In philosophischer Hinsicht sind mit dieser Entgegensetzung weitere Aspekte verbunden: Der Schöpfungsglaube korreliert mit 436 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Die Perspektive der theoretischen Vernunft

einer Ontologie des anwesenden Seins, der Substanzen, Gegenstände und Personen, deren relative Beständigkeit von der absoluten Beständigkeit Gottes garantiert wird; dieser Auffassung entgegengesetzt ist wiederum eine ›Ontologie‹ der Prozesse, der Relationen und der Nicht-Substantialität. Ferner liegt beiden religiösen Auffassungen eine vollkommen unterschiedliche Konzeption von Zeit zu Grunde: Während in der monotheistischen Traditionslinie die Welt-Zeit an die Ewigkeit des göttlichen Schöpfers zurückgebunden bleibt, geht der Buddhismus von einem zyklischen ›Rad des Seins‹ aus, in dem sich das Leiden der Lebewesen permanent wiederholt, so lange es vom Daseinsdurst am Leben gehalten wird. Sprachphilosophisch interpretiert ließe sich der Antagonismus beider Positionen als eine Hypostasierung der beiden grundlegendsten Wortarten, Nomen und Verben, deuten: Während die Welt durch die monotheistischen Religionen im Zeichen des Nomens gedeutet wird, wobei Gott als oberstes Nomen fungiert, das allen anderen durch Nomen bezeichneten Dingen ihre Existenz verleiht, betrachten die ostasiatischen Religionen, und hier insbesondere der Buddhismus, das Weltganze primär unter der Perspektive des Verbs, das üblicherweise primär die Prozessualität eines Verlaufs oder die Transitivität eines Zustands designiert. Aus diesem linguistischen Deutungsansatz der religiösen Weltbildkonfigurationen ergibt sich bereits ein Hinweis auf die potentielle relative Einseitigkeit, die jeder der beiden religiösen Ontologien eignet. Sätze, mit denen wir uns konstativ auf irgendetwas beziehen, bedürfen schließlich stets der Beziehung zwischen einem Nomen/Subjekt und einem Verb/Prädikat. Kein Sachverhalt lässt sich erschließen, wenn nicht beide Satzglieder in einem Urteil propositional miteinander verbunden werden. Damit soll nicht suggeriert werden, dass von der logisch-syntaktischen Struktur von Sprache unmittelbar auf das Vorliegen bestimmter religiöser Annahmen über das Sein und den Grund der Welt geschlossen werden könnte. Ein solcher direkter Schluss würde zweifellos einem schweren Kategorienfehler unterliegen. Es soll ebenfalls nicht behauptet werden, dass sprachlich-kulturelle Prägungen die Konturen religiöser Weltbilder direkt determinieren und dass sie somit eine zureichende Erklärung für die Divergenz religiöser Seinsauffassungen böten. 121 121 Einen solchen direkten Einfluss linguistischer Funktionen auf die Genese von Weltbildern unterstellt F. Nietzsche, wenn er im 20. Textstück von Jenseits von Gut und Böse zu bedenken gibt, »dass, Dank der gemeinsamen Philosophie der Gramma-

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Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

Aber wenn man (1.) die Prämisse akzeptiert, dass sich in religiösen Weltbildern fundamentale Intuitionen über das Sein und das Weltganze niederschlagen, und wenn man (2.) auch die weitere Prämisse für zutreffend hält, dass fundamentale ontologische Intuitionen in der logischen Form von Sätzen, Urteilen, konstativen Aussagen ausgedrückt werden, dann ist der Schluss darauf, dass ein relevanter Zusammenhang zwischen religiösen Weltbildern und der logischsprachlichen Form besteht, in denen diese ausgedrückt werden können, sicherlich berechtigt. An der trinitarischen Gottesvorstellung des Christentums sowie den subtilen theologischen Diskussionen, die sich an der ›heiligen Dreifaltigkeit‹ Gottes entzündet haben, lässt sich die Spannung zwischen einer substanzorientierten und einer relationalen Ontologie sogar innerhalb einer einzelnen Religion aufzeigen. 122 Werden die drei göttlichen Hypostasen Gott-Vater, Gott-Sohn und Heiliger Geist als autonome Subjekte aufgefasst, so droht die Gefahr des Tritheismus, 123 welcher dem Christentum seit je vom Islam unterstellt worden ist, wobei in der muslimischen Interpretation oftmals Maria als dritte göttliche Person an die Stelle des Heiligen Geistes tritt. Allah, tik – ich meine Dank der unbewussten Herrschaft und Führung durch gleiche grammatische Funktionen – von vornherein Alles für eine gleichartige Entwicklung und Reihenfolge der philosophischen Systeme vorbereitet liegt: ebenso wie zu gewissen andern Möglichkeiten der Welt-Ausdeutung der Weg wie abgesperrt erscheint. Philosophen des ural-altaischen Sprachbereichs (in dem der Subjekt-Begriff am schlechtesten entwickelt ist) werden mit grosser Wahrscheinlichkeit anders ›in die Welt‹ blicken und auf andern Pfaden zu finden sein, als Indogermanen oder Muselmänner […].« (F. Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. Kritische Studienausgabe. Hrsg. v. G. Colli u. M. Montinari. München 1999, S. 34 f.). Nietzsche macht hier auf einen Zusammenhang zwischen Sprache, Kultur und Weltsicht aufmerksam, der am Ende des zitierten Textstücks jedoch quasi-biologistisch auf den »Bann physiologischer Werturtheile und Rasse-Bedingungen« zurückgeführt wird. Nietzsche diskreditiert durch diese physiologische Reduktion seinen eigenen Gedankengang, der einen durchaus bedenkenswerten Deutungsansatz für kulturellweltanschauliche Pluralität liefert. Unberücksichtigt bleibt dabei jedoch das Moment der möglichen Übersetzbarkeit von Weltsichten, die transkulturell, d. h. zugleich: über Sprachbarrieren hinweg transkulturell vermittelt werden können. 122 Siehe dazu J. Moltmann: In der Geschichte des dreieinigen Gottes. Beiträge zur trinitarischen Theologie. München 1991; ders.: Trinität und Reich Gottes. Zur Gotteslehre. München 1980; J. L. Fredericks: »Das Selbst vergessen: Buddhistische Reflexionen zur Trinität«. In: Komparative Theologie. Interreligiöse Vergleiche als Weg der Religionstheologie. Zürich 2009, Hrsg. v. R. Bernhardt u. K. v. Stosch, S. 203–223. 123 Siehe dazu auch F. W. J. Schelling: Urfassung der Philosophie der Offenbarung, op. cit., 29. Vorlesung, S. 195 ff.

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Die Perspektive der theoretischen Vernunft

so die muslimische Überzeugung, könne aber nur ein einziger sein; jede Hinzufügung, Spaltung oder interne Differenzierung täte der für Menschen uneinsehbaren, aber gleichwohl im Koran geoffenbarten Einheit und Einzigkeit Gottes Abbruch; und schon gar nicht könne Gott einen Sohn haben. 124 Der islamische Tritheismusvorwurf gegen das Christentum, der auf das Engste mit der divergierenden Einschätzung der Rolle Jesu Christi im göttlichen Heilsplan verbunden ist (entweder handelte es sich bei ihm nur um einen wichtigen Propheten vor dem Auftreten Mohammeds oder aber um Gott selbst in Menschengestalt), stellt ganz offenbar die zentrale onto-theologische Differenz zwischen Christentum und Islam dar. Mit ihr ist zugleich eine unterschiedliche Einschätzung der Nähe oder Ferne Gottes zu den Menschen verbunden. Sofern man nämlich daran glaubt, dass Gott in Jesus selbst Mensch geworden ist, werden zugleich zwei entscheidende Implikate mitgeglaubt: Zum einen ist der christlichen Auffassung zufolge der in der menschlichen Gestalt Jesu Christi erschienene Gott für alle Menschen greifbar, sichtbar und ansprechbar geworden, sodass er ihnen näher stehen muss als ein Gott, der sich nur indirekt etwa in Form von mündlichen oder schriftlichen Offenbarungen den Menschen gegenüber manifestiert, in seinem Wesen jedoch vollkommen verhüllt und absolut unnahbar bleibt. Zum anderen ergibt sich durch die christliche Menschwerdung Gottes aber auch insofern eine größere Nähe zum Menschen, als Gott durch Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, nunmehr aus eigener Erfahrung weiß, wie es sich anfühlt, ein Mensch zu sein. Problematisch bleibt in diesem Punkt zweifellos die Übereinstimmung dieser Erfahrung des Menschseins mit dem göttlichen Attribut der Allwissenheit. Wie könnte jene Erfahrung dem Wissen Gottes noch etwas hinzufügen, wenn dieses doch allumfassend ist? – Dieser Schwierigkeit ließe sich mit dem theologisch-spekulativen Hinweis darauf begegnen, dass Gott als Gott allwissend ist, d. h. über den systematischen Zusammenhang der TotaVgl. dazu Koran, Sure 4,171: »Ihr Leute der Schrift! Treibt es in eurer Religion nicht zu weit (lā taġlū fī dīnikum) und sagt gegen Gott nichts aus, außer der Wahrheit! Christus Jesus, der Sohn der Maria, ist (nicht Gottes Sohn. Er ist) nur der Gesandte Gottes und sein Wort (kalima), das er der Maria entboten hat, und Geist von ihm. Darum glaubt an Gott und seine Gesandten und sagt nicht (von Gott, daß er in einem) drei (sei)! Hört auf (solches zu sagen! Das ist) besser für euch. Gott ist nur ein einziger Gott. Gepriesen sei er! (Er ist darüber erhaben) ein Kind zu haben.« – Vgl. entsprechend die Suren 5,17; 5,72 ff.; 9,30 f. 124

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Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

lität aller wahren Propositionen frei verfügen kann, durch seine zeitliche Inkarnation in Menschengestalt jedoch auf einer anderen, nämlich weltlichen Ebene eine intrinsische Erfahrung der von ihm selbst erschaffenen Geschöpflichkeit machen konnte, die zwar der Totalität wahrer Propositionen im göttlichen Geist nichts hinzufügt, aber gleichwohl eine Nähe Gottes zu den Menschen stiftet, die der Empathie des Schöpfers mit seinen leidenden Geschöpfen eine unersetzbare und in der historischen Zeit neue Dimension verleiht. Im Islam gerät eben diese durch Jesu Kreuzestod vorgeblich beglaubigte Nähe Gottes zu den Menschen unter Blasphemieverdacht; niemals habe Gott beabsichtigt, sich selbst in Sohnesgestalt für die Sünden der Menschen zu opfern. 125 Stattdessen gilt weiterhin das abrahamitische Gebot der unbedingten Unterwerfung unter den göttlichen Willen, der freilich sowohl in der alttestamentlichen als auch in der koranischen Überlieferung letztlich aus Barmherzigkeit darauf verzichtet, das Sohnesopfer Abrahams bzw. Ibrahims anzunehmen. Bei der vermeintlichen Inkarnation Gottes in der menschlichen Gestalt Jesu Christi sowie dessen angeblicher Kreuzigung handelt es sich indes aus islamischer Sicht um ein gravierendes Missverständnis. Die Botschaft, die der Prophet Jesus den Menschen übermitteln wollte, wurde, so die muslimische Auffassung, von den Christen nicht richtig aufgenommen, sodass eine erneute, abschließende Offenbarung Gottes, die dann durch Mohammed erfolgte, notwendig war. Die Passion Christi wird somit durch die koranische Offenbarung gleichsam zurückgenommen, Jesus auf das ›Normalmaß‹ eines Propheten Gottes zurückgeführt. Auch wenn die drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam in der Frage nach dem Stellenwert Jesu Christi im göttlichen Heilsplan wohl niemals Einigkeit erzielen werden, so könnte der Tritheismusvorwurf gegenüber dem Christentum gleichwohl dadurch abgeschwächt werden, dass nicht allen drei Hypostasen innerhalb der göttlichen Trinität autonome Subjektivität und Personalität zugeschrieben wird, sondern nur der göttlichen ›Gesamtheit‹. In diesem Fall drohen jedoch der Vater, der Sohn und der Heili125 Vgl. Koran, Sure 4,157: »Aber sie haben ihn (in Wirklichkeit) nicht getötet und (auch) nicht gekreuzigt. Vielmehr erschien ihnen (ein anderer) ähnlich (so daß sie ihn mit Jesus verwechselten und töteten). Und diejenigen, die über ihn uneins sind, sind im Zweifel über ihn. Sie haben kein Wissen über ihn, gehen vielmehr Vermutungen nach. Und sie haben ihn nicht mit Gewißheit getötet. (158:) Nein, Gott hat ihn zu sich (in den Himmel) erhoben. Gott ist mächtig und weise.«

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Die Perspektive der theoretischen Vernunft

ge Geist zu bloßen Erscheinungsweisen oder Modi der einen göttlichen Substanz (ousia) herabzusinken, sodass die drei göttlichen Gestalten nicht mehr als Personen begriffen werden können. Einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen Tritheismus und Modalismus, in das sich die theologische Erläuterung der Trinität verstrickt, scheint nur eine relationale Ontologie zu bieten, welche weder die Substantialität des einen Gottes noch diejenige der drei göttlichen Hypostasen in den Vordergrund stellt, sondern ihre wechselseitige Beziehung, in der jede Gestalt auf die andere angewiesen und verwiesen ist. 126 Von dem Gedanken dieses relationalen Gefüges aus wären sogar Brückenschläge in die buddhistische Seinsauffassung möglich, wenngleich es schwer fallen dürfte, in einem dogmatisch-theologischen Kontext auch die Einsicht mitzuvollziehen, dass die wechselseitige Abhängigkeit der drei göttlichen Gestalten zugleich die Leerheit jeder einzelnen von ihnen impliziert, dass also letztlich diese Leere selbst als ›fundierend‹ betrachtet werden müsste. Für einen islamischen Standpunkt wiederum könnte der christliche Trinitätsgedanke allenfalls dann erträglich werden, wenn er nicht als Beschreibung des göttlichen Wesens, wie es an sich selber sei, verstanden würde, sondern als eine bloße Bemühung des menschlichen Geistes, die unvordenkliche Wirklichkeit Gottes für uns nachvollziehbarer zu machen. In diesem Sinne ließe sich Gott-Vater als derjenige Aspekt der göttlichen Realität namhaft machen, der unser Menschsein unermesslich übersteigt (ER/SIE/ES), der Sohnes-Aspekt Gottes wäre dasjenige, was uns innerweltlich im Anderen, in der Natur und im Nächsten, als Gottes Schöpfung begegnet und uns mit einem ethischen Anspruch konfrontiert (DU), und der Heilige Geist ließe sich als jenes Moment des Göttlichen verstehen, das Menschen gemeinschaftlich ergreift, zusammenführt und vereinigt (WIR). Ein solches Trinitätsverständnis, das nicht zugleich auch den Anspruch erheben würde, eine verbindliche Aussage über das Wesen Gottes selbst zu machen, wäre freilich mit der christlichen Trinitätslehre, so wie sie erstmals 325 auf dem Konzil von Nicaea gegen den Arianismus formuliert wurde, streng genommen nicht vereinbar. 127 Obwohl die Ontotheologie des Christentums durch den TriniSiehe dazu auch J. Ratzinger: Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis. München 1968, S. 142 ff. 127 Siehe zur christlichen Trinitätsdoktrin T. V. Morris: »God Incarnate and Triune«. In: Meister 2008, S. 127–145. 126

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Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

tätsgedanken eine interne Spannung und Dynamik enthält, die mit einer Verabsolutierung des Substanzparadigmas eigentlich unvereinbar sein sollte, hat doch in der theologisch-metaphysischen Reflexion auf den monotheistischen Gottesbegriff die Orientierung an göttlichen Primäreigenschaften wie Ewigkeit, Unendlichkeit, Unveränderlichkeit und Allgegenwart vorgeherrscht. Einer wirkmächtigen platonischen Intuition zufolge, deren Spuren sich auch im Islam finden lassen, 128 ist all dasjenige, was Innerweltlichem überhaupt Beständigkeit und Glanz verleiht, zugleich das, was den genannten göttlichen Eigenschaften der Allgegenwart, Unveränderlichkeit, Unendlichkeit und Ewigkeit am nächsten kommt, auch wenn Gott nicht mit diesen Eigenschaften identifiziert werden kann, da sein Wesen alles dem menschlichen Geist bekannte Seiende unendlich transzendiert. 129 Doch gerade deswegen ist die gesamte Sphäre des Werdens, des Vergänglichen, nur das schwache Abbild eines Ideenkosmos, in dem alles Prozessuale aufgehoben ist. Das Wahre beruht in der wesenhaften Beständigkeit des Ideellen. Sie wird im christlichen Gott letztlich ebenso verehrt wie in Allah und Jahwe. Dieser metaphysischen Ontotheologie des Bleibenden, welche Judentum, Christentum und Islam im Prinzip miteinander teilen, steht die buddhistische Seinsauffassung der Impermanenz und der Leere anscheinend unvereinbar gegenüber. Denn es ist ja gerade die vermeintliche Substantialität und Dauerhaftigkeit der Phänomene, die im Buddhismus als Leiden (dukha) verursachende Illusion des Bewusstseins entlarvt wird. 130 Nicht Gott, also ein absolut transzendentes (Über-)Seiendes, verbürgt die scheinbare Identität und Stabilität der Dinge und Lebewesen, sondern der Daseinsdurst des abhängig entstehenden Seienden erzeugt sie. Solange die Illusion der Beständigkeit anhält, setzt sich der Kreislauf des leidenden Seins (saṃsāra) nur immer fort; die als beständig erscheinenden Dinge entfachen den Daseinsdurst stets aufs Neue, der aufgrund der realen Vergänglichkeit allen Seins immer wieder auf das Leiden zurückgeworfen wird, ohne jedoch die Illusion, in der er befangen ist, durchschauen zu können. So ist das einzig Beständige des Seienden die Illusion seiner Be-

Siehe dazu Netton 2007, Vol. III: Aristotelianism and Neoplatonism. Vgl. dazu aus der Sicht der islamischen Theologie B. Abrahmov: »Faḫr Al-Dīn AlRāzī on the knowability of God’s essence and attributes«. In: Netton 2007, Vol. III, S. 276–298. 130 Vgl. Edelglass/Garfield 2009, »Introduction«, S. 4. 128 129

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ständigkeit. Da alle Phänomene in wechselseitiger Abhängigkeit (pratītyasamutpāda) voneinander entstehen, sind sie zugleich vergänglich und leer; sie besitzen kein eigenes Wesen, das ihre momentane Zusammensetzung überdauern könnte. Und weil dieser Befund auch und gerade für die menschliche Personalität gilt, wie die buddhistische anattā-Lehre zu zeigen versucht, erstreckt sich der ontologische Gegensatz zwischen monotheistischer Offenbarung und buddhistischem dharma konsequenterweise auch auf die individuelle Heilserwartung, also das letztendliche Ziel der religiösen Bemühung. Zwischen einem ewigen, postmortalen Leben im Reich Gottes und einem Verlöschen des Ich-Bewusstseins im Nirvana scheint keine Vermittlung der zu Grunde liegenden religiösen Konzepte möglich zu sein. 131 Während die monotheitischen religiösen Traditionen von der Einheit der Person ausgehen, deren Taten von Gott abschließend beurteilt werden, hat die buddhistische Abhidharma-Lehre schon sehr früh das Individuum als ein aus fünf Daseinsfaktoren (skandhas) zusammengesetztes Gebilde analysiert. Körperliche Empfindungen, Gefühle, Wahrnehmungen, mentale Formationen (insbesondere Volitionen) und Bewusstsein – Elemente, die selbst einem ständigen Wandel unterliegen – konstituieren demnach das ›Ich‹, das gemäß der Anatman-Doktrin keinen substantiellen Personenkern aufweist und sich somit auch nicht mit einer unsterblichen Seelensubstanz identifizieren lässt, da es in Wahrheit eine komplexe Verbindung instabiler Faktoren repräsentiert. 132 Die fünf Skandhas sind ebenfalls integraler Bestandteil der ›zwölfgliedrigen Kette des abhängigen Entstehens‹, die zu den festen doktrinalen Elementen aller buddhistischen Schulen zählt. 133 In dieser Ableitungskette lassen sich die nachfolgenden Glieder jeweils als die Ursachen bzw. Gründe der vorangehenden Glieder interpretieren, wobei kausale und logische Beziehungen nicht immer klar voneinander getrennt sind. Als erstes Glied der Kette erscheinen Leiden, Alter Siehe dazu auch Runzo 2001, Kap. 8: »Life after Death«, S. 124–142. Vgl. Buddhas Reden. Majjhimanikaya. Die Sammlung der mittleren Texte des buddhistischen Pali-Kanons. In kritischer, kommentierter Neuübertragung v. K. Schmidt. Heidelberg 1989, Nr. 22: »Das Gleichnis von der Schlange«, S. 72–78. Siehe dazu auch Brodbeck, S. 32 f. 133 Siehe dazu etwa K. T. Gyamtso: Soleil de Sagesse. Enseignement sur L’intelligence Transcendante, le Traité Fondamental de la Voie Médiane du Noble Nāgārjuna. Traduction française de L. Rakower. Ygrande 2004, S. 175–182. 131 132

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und Tod, also die Essenz der Ersten Edlen Wahrheit. Das Leiden beruht wiederum darauf, dass (2.) Geburten stattfinden, wobei sich dieser Begriff anscheinend sowohl auf Existenzen als auch auf Handlungen beziehen kann; das Gebären und Geboren-Werden basiert seinerseits (3.) auf dem allgemeinen Existieren und Werden; dieses wiederum beruht (4.) auf dem Ergreifen und Anhaften, was vermutlich bedeuten soll, dass das ›Anhängen‹ an Seiendes den Prozess des Werdens allererst hervorruft; das Ergreifen wiederum gründet (5.) auf dem Daseinsdurst; dieser ist seinerseits nur möglich, da es (6.) Gefühle und Empfindungen gibt; diese wiederum setzen (7.) Kontakte, Berührungen, Sinnesreize voraus; damit diese stattfinden können, bedarf es wiederum (8.) der sechs Sinne (zu denen die buddhistische Tradition auch das Denken zählt); die Sinne sind wiederum (9.) auf Name und Form (nāma-rūpa), Geistigkeit und Körperlichkeit, zurückzuführen, d. h. zugleich auf die fünf Skandhas, deren erster die Körperlichkeit (rūpa) bezeichnet, während die übrigen Skandas auf die Sphäre des Geistigen (nāma) referieren; als die Bedingung von nāma-rūpa gilt (10.) der fünfte Skandha, die Einheit des Bewusstseins (vijñāna), welche die Gesamtheit eines individuellen Erfahrungsraums bildet; als deren Voraussetzung werden (11.) die saṃskāras namhaft gemacht, die als (materielle oder mentale) Formationskräfte verstanden werden können und somit auch dem vierten Skandha entsprechen, aus dem Volitionen und Intentionen hervorgehen; Grundlage der saṃskāras aber ist nach buddhistischer Auffassung die fundamentale Unwissenheit über den wahren Charakter der Realität. Über deren zutreffende ontologische Auslegung sind freilich in den verschiedenen buddhistischen Traditionen die Auffassungen deutlich auseinander gegangen. So vertraten die frühen indischen Schulen der Sarvāstivādin und der SautrāntikaVaibhāṣika divergierende Ansichten über die Natur der dharmas im Sinne der wirklichkeitskonstituierenden Elemente. 134 Während die Sarvāstivādin davon ausgingen, dass eine bestimmte Anzahl an dharmas, aus denen sich die Realität zusammensetze, dauerhaft existiere, gingen die Sautrāntika von einem nur augenblickshaften Existieren auch der dharmas aus; die Dauer eines jeglichen Phänomens falle somit in den Bereich der Illusion. 135 Grundsätzlich lassen sich diese beiden frühen Hīnayāna-Schulen als 134 135

Siehe dazu Weber-Brosamer/Back 1997, S. 23 f., 51 f. Vgl. Brodbeck 2005, S. 16 ff.

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realistische Positionen kennzeichnen, wobei die Sautrānikas eine deutlich kritischere Einstellung gegenüber der Zuverlässigkeit sinnlicher Wahrnehmung eingenommen haben als die Sarvāstivādins. Mit dem Gedanken, dass die wahrgenommene Einheit eines jeweiligen Gegenstandes nicht aus diesem selbst stammen könne, da er sich ja nur aus momenthaft entstehenden und wieder vergehenden Bestandteilen zusammensetze, sondern erst vom Bewusstsein hervorgebracht werde, hat die Sautrānika-Schule fundamentale ontologische und erkenntnistheoretische Einsichten des Mahāyāna vorbereitet. Auch innerhalb des ›Großen Fahrzeugs‹ lassen sich die großen Schultraditionen hinsichtlich ihrer jeweiligen Seinsauffassung voneinander unterscheiden: Die durch den Philosophen Nāgārjuna im 2. Jahrhundert n. Chr. begründete Madhyamaka-Lehre stellt insbesondere die Leerheit (śūnyatā) aller Phänoneme als Konsequenz ihrer Wesenlosigkeit und abhängigen Entstehung, die sich konsequenterweise auch auf ihre konstituierenden Elemente bezieht, heraus. Vollzieht man die Erkenntnis nach, dass die Totalität des Saṃsāra und Nirvāṇa insgesamt leer ist, dann versteht man Nāgārjuna zufolge auch, dass zwischen Saṃsāra und Nirvāṇa letztlich kein Gegensatz besteht, sondern dass beide im Kern identisch sind. 136 Die Vijñānavāda-Schule wiederum, die auch unter den Bezeichnungen Cittamātra und Yogācāra bekannt ist und im 4. Jahrhundert n. Chr. aufkam, hat den Übergang zu einem absoluten Idealismus vollzogen, für den außerhalb des Geistes keine äußere Wirklichkeit existiert. Der Strom des Leidens beginnt und endet demzufolge im Bewusstsein; hat ein Mensch durch Meditation, rechte Lebensweise und Einsicht die universelle Leere und wechselseitige Abhängigkeit in und von allem erkannt, so vermag er in jedem Staubkorn die Widerspiegelung des Universums zu erblicken. Die Konkretion des absoluten göttlichen Seins in der Gestalt eines einzelnen Menschen dagegen – eben jenes »Widerwärtigste, Empörendste, Unglaublichste […], daß ein Mensch mit allen seinen Bedürfnissen von den Menschen als Gott angesehen werden könne« 137, welches Hegel fälschlicherweise dem Buddhismus unterstellt und das

136 Siehe dazu Weber-Brosamer/Back 1997, Kap. 25 des Mūlamadhyamaka-Kārikā, S. 95–100. 137 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 2: Die bestimmte Religion. Hrsg. v. W. Jaeschke. Hamburg 1985, S. 467. Vgl. dazu auch Kap. II.3. des Zweiten Teils dieser Arbeit.

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doch gerade für das Christentum kennzeichnend ist –, müsste aus der Perspektive des Buddhismus als eine besondere Form der illusionären Anhaftung erscheinen: 138 Das ewige Leben, das Jesus Christus durch seine Person in Aussicht stellt, wäre doch nur die Verewigung jener personalen Substanz, deren Bestehen der Buddhismus grundsätzlich leugnet. Und auch die paradiesischen Verheißungen, die der Koran dem gläubigen Muslim in Aussicht steht, kämen aus buddhistischer Sicht in ihrer Erfüllung keinem Auslöschen des Daseinsdurstes, sondern vielmehr der endlosen Befriedigung des Unstillbaren gleich. Bezeichnenderweise hat J. Ratzinger/Benedikt XVI. in dem Band Glaube – Wahrheit – Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen 139 die zentrale Differenz zwischen religiösem Identitätsund Relationalitätsdenken in einer gegenüber dem zuvor Dargestellten geradezu entgegengesetzten Weise auf die monotheistischen und die ostatsiatischen Religionsformen bezogen. Ratzinger/Benedikt XVI. zufolge besteht die religiöse Grundentscheidung nicht, wie J. Assmann suggeriert hat, 140 in der Wahl zwischen einer Religion ›aus erster‹ oder ›aus zweiter Hand‹ (d. h. zwischen einer Religiosität, die auf eigenen spirituellen Erfahrungen basiert, und einer Religiosität, die sich auf die Vermittlung von Propheten und Institutionen stützt), 141 sondern zwischen dem Monotheismus, der ein personales Verständnis Gottes impliziert, und einer Mystik der Identität. Letztere wird in diesem Kontext mit einer Versenkung in unterschiedslose Identität verbunden, während der Monotheismus Ratzinger/ Benedikt zufolge auf dem Primat der Beziehung zwischen Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf bestehe. Somit werde als das Göttliche in den Monotheismen die Liebe (zwischen Gott und seinen Geschöpfen) betrachtet, welche Personalität und ein Gegenüber von Per138 Siehe dazu auch D. Radaj: Buddhisten denken anders. Schulen und Denkwege des traditionellen und neuzeitlichen Buddhismus. München 2011. 139 Ratzinger/Benedikt XVI. 2003. 140 Siehe J. Assmann: Religio duplex. Ägyptische Mysterien und europäische Aufklärung. Berlin 2010; ders.: Die Mosaische Unterscheidung, op. cit.; ders.: Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa. München/Wien 2000; ders.: Religion und kulurelles Gedächtnis. Zehn Studien. München 2000. Siehe zu der von T. Sundermaier aufgebrachten und von J. Assmann aufgegriffenen und weiter entwickelten Unterscheidung von primären und sekundären Religionen auch E. Zenger: »Gewalt im Namen Gottes – der notwendige Preis des biblischen Monotheismus? In: Friede auf Erden? Die Weltreligionen zwischen Gewaltverzicht und Gewaltbereitschaft. Hrsg. v. A. Fürst. Freiburg 2006, S. 13–44. 141 Ratzinger/Benedikt XVI. 2003, S. 36.

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sonen impliziert; das Göttliche der mystischen Religionen werde dagegen in ein unterschiedsloses Aufgehen im All-Einen gesetzt. Ratzingers/Benedikts Ausführungen zeigen gerade in den Verweisen auf Autoren wie Dionysius Aeropagita, M. Buber und E. Levinas eine klare Tendenz zur Höherschätzung monotheistischer Religiosität, da, so Ratzinger/Benedikt XVI. in seiner Wiedergabe eines Levinas’schen Gedankens, »erst im vertrauenden Setzen auf das freie Anders-Bleiben des Anderen wahre Unendlichkeit erfahren« 142 werden könne; die »Einheit der Liebe« stehe deswegen höher »als die gestaltlose Identität« 143. Hinzu komme die ethische Problematik, dass in einer Philosophie der All-Einheit auch die Differenz von Gut und Böse verwischt werde; 144 in diesem Zusammenhang bezieht sich Ratzinger/Benedikt XVI. explizit auf den Buddhismus, bei dem Gut und Böse angeblich wechselseitig voneinander abhängig seien. 145 Der christlichen Auffassung zufolge handele es sich bei der Differenz zwischen Gut und Böse jedoch nicht um einen komplementären Gegensatz, sondern um einen Widerspruch, der außerhalb des Wesens Gottes liege; dieses sei »als dreifaltige Einheit in der Verschiedenheit […] die höchste Einheit […], […] reines Licht und reine Güte« 146. Das Moment der Relationalität wird somit in Ratzingers/Benedikts Lesart den monotheistischen Religionsformen zugeschrieben, während doch zuvor herausgestellt wurde, dass die Metaphysik des Monotheismus auf einer Ontologie der bleibenden Substanz, also auf Identität und Nicht-Relationalität, beruhe. Wie lässt sich diese unterschiedliche Deutung des Gegensatzes zwischen Monotheismus und ostasiatischer Religiosität erklären? Zwei Möglichkeiten bieten sich an. Die erste besteht darin, ein jeweils anderes Verständnis von Identität und Relationalität zu vermuten, das den beiden Auslegungen zu Grunde liegt. Und in der Tat ließe sich die Relation von Schöpfer und Geschöpf, anders als Ratzinger/Benedikt XVI. es darstellt, auch als Ausdruck eines starken Identitätsdenkens verstehen, in dem Gott als der Garant allen Seins das Stabilste, Substantiellste und Anwesendste ist, das sich überhaupt Ebd., S. 39. Ebd. 144 Ebd., S. 40. 145 Ebd., S. 41. 146 Ebd. – Des Weiteren folgert Ratzinger/Benedikt XVI. (ebd.): »Die Alternative zwischen personalem Gott und Identitätsmystik ist beileibe nicht nur theoretischer Natur – sie reicht von der innersten Tiefe der Seinsfrage bis ins ganz Praktische hinein.« 142 143

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denken lässt. Seiner absoluten Allmacht gegenüber ist alles andere kontingent, sodass nicht von einer prinzipiell gleichberechtigten Relation, wie sie etwa die Beziehung zwischen Liebenden ausmacht oder ausmachen sollte, gesprochen werden kann. Und jenes ›Eine‹, mit dem in der von Ratzinger/Benedikt XVI. als ›ostasiatisch‹ gekennzeichneten ›Mystik‹ eine Verschmelzung erreicht werden soll, bedeutet jedenfalls im buddhistischen Verständnis keine Einheit im Sinne von Identität, sondern Leere, ein Zustand jenseits von Identität und Nicht-Identität, weil, wie etwa Nāgārjuna herausgestellt hat, etwas nur identisch, als ein bestimmtes Seiendes erscheinen kann, weil es zugleich nicht-identisch, nämlich von der Gesamtheit alles wechselseitig bedingt Entstehenden abhängig ist. – Die Bedeutung der Begriffe ›Identität‹ und ›Relationalität‹ im Hinblick auf einen fundierten Vergleich unterschiedlicher Religionsformen müsste also vorab noch wesentlich genauer bestimmt werden. Die zweite Möglichkeit einer angemessenen Deutung des komplexen Verhältnisses von Identität und Relationalität in monotheistischen und nicht-monotheistischen Religionsformen besteht darin, beide ›Ontologietypen‹ (im Sinne fundamentaler Seinsauffassungen) als letztlich komplementär zu betrachten. 147 In begrifflich-theoretischer Hinsicht scheinen sich die Ontologien der monotheistischen Religionen und des Buddhismus freilich keineswegs komplementär zu verhalten, sondern sie stehen ganz offensichtlich in einem unaufhebbaren Gegensatz, der auf diskursivem Weg nicht aufgelöst werden kann. Und doch enthält der religiöse Gedanke der Interdependenz – Interdependenz aller Phänomene, wie sie der Buddhismus herausstellt; Interdependenz von göttlicher und irdischer Ordnung, von der die Offenbarungen der abrahamitischen Religionen zu sagen wissen; Interdependenz der drei göttlichen Hypostasen, die das christliche Trinitätsdogma kennt – eine religionsübergreifende Dynamik, die 147 Die Auffassung einer transreligiösen Komplementarität steht freilich im Widerspruch zur offiziellen Lehrmeinung der katholischen Kirche. Siehe dazu die von Joseph Ratzinger als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre verfasste Erklärung »Dominus Iesus«. Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche (6. August 2000); online einsehbar unter: http://www.vatican.va/ro man_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20000806_dominusiesus_ge.html (letzter Zugriff: 18. 8. 17). In Abschnitt 6 heißt es dort: »Im Gegensatz zum Glauben der Kirche steht deshalb die Meinung, die Offenbarung Jesu sei begrenzt, unvollständig, unvollkommen und komplementär zu jener in den anderen Religionen.«

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ihre Wirkung freilich erst in der ethischen Dimension entfaltet, wenn es sich etwa um die praktischen Konsequenzen des Interdepedenzgedankens für die Achtung der Würde aller Menschen oder sogar aller Lebewesen handelt. Der interreligiöse Komplementaritätsgedanke, der unter anderem die Intuition beinhaltet, dass alles Welthafte (religiöse Systeme eingeschlossen) ergänzungsbedürftig und unerfüllt ist, beruht letztlich auf der Idee, dass nicht die unberührbare Ewigkeit der göttlichen Transzendenz das für den Menschen Entscheidende an der Religion ist, sondern vielmehr Relation und Liebe, Mitfühlen und Selbstlosigkeit, liebendes Handeln. Damit sind freilich Einstellungen angesprochen, die nicht mehr in den Bereich des theoretischen, sondern des praktischen Weltzugangs fallen, in die Ethik und Moral. Gleichwohl erweist sich der Komplementaritätsgedanke auch in theoretischer Hinsicht für eine interkulturelle Zusammenschau religiöser ›Ontologien‹ als hilfreich, nämlich dann, wenn er nicht bloß auf die schematische Gegenüberstellung einer theozentrischen und einer prozessualen Seinsauffassung bezogen wird, sondern auch in seinen intrareligiösen Dimensionen bedacht wird. 148 Die scheinbar unaufhebbare Prozessualität des Samsara erweist sich im Mahāyāna nur als die illusionäre Kehrseite des Nirvana, in welchem sie immer schon zur Ruhe gekommen ist. Und im Kontext der monotheistischen Religionsformen muss sich in der ewigen Perfektion 148 Prof. Dr. Andreas Hüttemann hat mich im Rahmen einer Präsentation des Habilitationsvorhabens im Juli 2013 darauf hingewiesen, dass die These einer ontologischen Komplementarität konstativer Aussagen der Weltreligionen in Bezug auf ihren Geltungsanspruch letztlich zu demselben Selbstanwendungsdilemma führen könne wie Hicks religionspluralistische Position. Diesem, wenn er zuträfe, berechtigten Einwand versuche ich dadurch zu begegnen, dass ich den Komplementaritätsgedanken bereits in den Doktrinen der Religionen selber aufzeige – er wird den einzelnen Religionen also nicht von einer externen philosophischen Außenperspektive ›übergestülpt‹ (wie das Hicksche ›Real‹), sondern ist bereits inhärenter Bestandteil religiöser Systeme, wenngleich in jeweils unterschiedlicher Ausprägung. – Siehe dazu auch R. Kirste: Die Bibel interreligiös gelesen. Nordhausen 2006, S. 61: »Alle Religionen haben offensichtlich erhebliche ›Schnittmengen‹ der Übereinstimmung, denen eine Reihe von Konvergenzen folgen, ohne daß die Divergenzen und Wesensunterschiede verschwiegen werden sollen. Von daher kann nicht die Vermischung oder konstruierte Harmonisierung das Ziel sein (das wäre ein synkretistisches Mißverständnis), sondern es gilt zuerst zu erkennen, daß Unterscheidungsmomente der anderen Religion nicht selten verdeckt in der eigenen auftreten oder gar dogmatisch marginalisiert oder als häretisch ausgeschieden wurden. Vielmer kann die Begegnung mit anderen Religionen dazu führen, die eigenen Defizite zu erkennen und durch die andere Religion korrigiert und bereichert weiter zu wirken.«

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Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

Gottes, der nichts hinzugefügt und von der nichts genommen werden kann, gleichwohl alleine dadurch eine Differenz erzeugen, dass der Schöpfer allererst durch seine Schöpfung zum Schöpfer wird. Daher ist auch den abrahamitischen Religionen der Gedanke einer Komplementarität von unbewegtem Einheitsgrund und prozessualer Dynamik im absolut Göttlichen nicht fremd. Schließlich kann sich die friedensstiftende Bedeutung eines ergebnisoffen geführten interreligiösen Dialogs gerade im Hinblick auf die theoretischen Momente der Glaubenslehren erweisen, sofern man diese nicht als gegeneinander abgeschottete Sprachspiele versteht, sondern als umfassende Auslegungen des menschlichen Aufenthalts in einer gemeinsam bewohnten Welt. Die wertschätzende Berücksichtigung dessen, was in der anderen Religion bedacht wird, in der eigenen Religion aber möglicherweise zu wenig Beachtung gefunden hat, kann zu einem Ausgleich von Defiziten der je eigenen religiösen Traditionen führen, ohne dass diese dabei ihre gewachsene kulturelle Faktur aufgeben müssten. 149 So könnten sich die Weltreligionen in einem – religionsphilosophisch unterstützten und langfristig angelegten – Dialog wechselseitig korrigieren und auf diese Weise in Andersgläubigen nicht länger Gegner, Konkurrenten oder Ungläubige, sondern das komplementäre Gegenüber entdecken.

2.

Die Perspektive der praktischen Vernunft: Interkulturelle Kompatibilität normativer Aussagen der Weltreligionen

Religiöse Systeme – von denen wir uns hier erneut auf den Buddhismus, das Christentum und den Islam beschränken wollen – liefern ihren Anhängern bekanntlich ein ganzes Arsenal an Empfehlungen und Vorschriften zur ›richtigen‹ Lebensführung. Hierzu gehören moralische Verhaltensregeln, die sich oftmals auf sozial konstruierte Dichotomien wie männlich/weiblich oder arm/reich beziehen (hiermit ist der weite Bereich von Verpflichtungen angesprochen, welche zum einen die Regelung von Sexualität und zum anderen den Umgang mit 149 Vgl. dazu auch Peterson/Hasker/Reichenbach/Basinger 2003, S. 282: »Since not all religious doctrines or practices in all religions are true, cross-religious criticism is in order. This, then, can provide an authentic basis for interreligious dialogue, where the differences are appreciated and worthy of rational discussion and debate.«

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Die Perspektive der praktischen Vernunft

sozialer Ungleichheit betreffen), des Weiteren kultische Vorgaben, etwa zur rechten Weise des Betens oder zur Durchführung religiöser Zeremonien und Feste, sowie darüber hinaus habituelle Codes, die sich auf grundlegende alltägliche Verrichtungen wie Sich-Kleiden oder Essen richten. Versucht man, dieses weite Feld religiös motivierter Moralität aus dem Blickwinkel der praktischen Vernunft auszuleuchten, so bietet es sich vorab an, auf die grundlegende Unterscheidung in religiöse Primär- und Sekundärkomponenten zurückzugreifen. 150 Diese Differenzierung, die ausschließlich im Hinblick auf das religionsphilosophische Erkenntnisinteresse vorgenommen wird und sicherlich auch nicht in jeder Konstellation vollständig durchzuhalten ist, bietet gleichwohl den Vorteil, dass sie zahlreiche religiöse Vorschriften jenseits der Reichweite praktischer Vernunft ansiedelt und somit diejenigen moralischen Intuitionen klarer heraushebt, in denen sich die transkulturellen Momente religiöser Vernunft tatsächlich kristallisieren. Den Maßstab für die praktische Rationalität einer religiösen Verhaltensregel bietet das Kriterium, ob eine jeweilige Verhaltensregel ausschließlich aus den Prämissen eines bestimmten religiös-kulturellen Kontextes heraus nachvollziehbar ist (in diesem Fall handelt es sich um eine Sekundäreigenschaft), oder ob sie auch mit Gründen gestützt werden kann, die nicht ausschließlich einer spezifischen religiös-kulturellen Tradition angehören. Lassen sich derartige Gründe anführen, so handelt es sich um eine Primäreigenschaft. Die Plausibilität dieses im Kern auf Kants Religionsphilosophie zurückgehenden Kriteriums 151 lässt sich anhand zahlreicher Beispiele belegen. So handelt es sich bei der buddhistischen Handlungsempfehlung, aus Mitgefühl bzw. aus Einsicht in die wechselseitige Abhängigkeit von allem auf das Töten von Tieren zu verzichten, um ein moralisches Gebot, das man zwar nicht zwingend in jedem denkbaren Fall anerkennen muss, für das sich aber gute Gründe (wie etwa die Leidensfähigkeit der Tiere) anführen lassen, deren Plausibilität den Rahmen einer einzelnen kulturellen Religionstradition wie den Buddhismus deutlich überschreitet. Anders verhält es sich dagegen mit vielen, ja mit den meisten Vorschriften, die der erste Korb des Pāli-Kanons (Vinayapiṭaka) enthält: Diese sind so sehr auf die spezifische Kultusgemeinschaft der frühen buddhististischen Mönche zugeschnitten, 150 151

Vgl. dazu Kap. I.2.2. des Ersten Teils. Siehe dazu Kap. II.2.2 des Zweiten Teils der vorliegenden Arbeit.

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Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

dass sie aus Sicht der praktischen Vernunft eine nur sekundäre, d. h. kulturrelative Geltung beanspruchen können. In ganz ähnlicher Weise können auch einige islamische Verhaltensvorschriften wie beispielsweise das Gebot, kein Schweinefleisch zu essen, als Sekundärkomponenten betrachtet werden, sofern als einziger Grund, auf Schweinefleisch zu verzichten, angeführt wird, dass dieses Verhalten in einem bestimmten religiösen Text so vorgeschrieben ist. Aus der Perspektive der praktischen Vernunft ist dieses Argument nicht hinreichend, um die spezifische Differenz zwischen dem verbotenen Verzehr von Schweinefleisch und dem erlaubten Verzehr anderer Fleischsorten begründen zu können. Der generelle Verzicht auf Fleischkonsum auf der Basis des Arguments, dass das leidvolle Erleben von Tieren moralisch höher zu gewichten sei als der kulinarische Genuss beim Fleischverzehr, stellt für die praktische Vernunft durchaus eine rationale Option dar, der moralisch motivierte Verzicht auf eine bestimmte Fleischsorte wie Schweinefleisch hingegen nicht, wenn sich dafür kein über eine spezifische kulturelle Tradition hinausweisender Grund angeben lässt. Dagegen stellen im Islam geforderte Einstellungen und Verhaltensweisen, in denen sich Barmherzigkeit und Demut manifestieren, 152 zweifellos primäre moralische Eigenschaften dar; denn hierbei handelt es sich um moralische Dispositionen, für die sich auch über die islamische Kultur hinausweisende Gründe anführen lassen. Dies gilt ebenfalls für das christliche Gebot der Nächstenliebe. Auch wenn die von Jesus Christus erhobene Forderung der Feindesliebe ein Spezifikum des christlichen Glaubens darstellt, so lässt sich auch diese mit Gründen (wie etwa mit der Auffassung, dass nur Liebe Feindschaft vollends besiegen kann) rechtfertigen, die man zwar nicht teilen muss, die aber auf jeden Fall eine weitreichendere Validität besitzen als der bloße Hinweis auf eine bestimmte religiöse Kulturtradition. Die rationale Evaluation, welche die praktische Vernunft in Bezug auf die moralische Qualität religiöser Vorschriften durchführt, beruht freilich auf der starken Prämisse, dass die praktische Vernunft einen generellen normativen Vorrang gegenüber aller religiös-kultu152 Siehe etwa die Koransure 90 (»Die Ortschaft«), in welcher der »steile«, d. h. der richtige Weg folgendermaßen beschrieben wird: »(Er besteht darin) daß man einem Sklaven zur Freiheit verhilft oder an einem Tag, an dem alles Hunger hat, einer Waise aus der Verwandtschaft oder einem notleidenden Armen (etwas) zu essen gibt und (daß man) überdies zu denen gehört, die glauben und Geduld und Barmherzigkeit einander (als Vermächtnis) ans Herz legen.« (90, 13–17.)

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Die Perspektive der praktischen Vernunft

rell motivierten Moral besitzt. Dieser Vorrang stellt jedoch keine bloße Behauptung oder ein reines Postulat dar, sondern er besteht tatsächlich, wie sich an folgender Überlegung zeigen lässt: Sollte nämlich das Umgekehrte gelten, dass nämlich eine religiös motivierte Moral den Vorrang habe vor der allgemeinen praktischen Vernunft, so stellt sich sofort das Problem, dass sich religiös motivierte Moralsysteme beträchtlich voneinander unterscheiden – das Ausgangsproblem religiöser Diversität; die Frage wäre also, welche der bestehenden religiösen Moralsysteme denn den Vorrang haben solle; und da die praktische Vernunft als neutrale Richterin hier ausscheiden soll, kann diese Frage offensichtlich nicht anders als in einem vollkommen a-moralischen und kontingenten Sinne, nämlich durch die schiere machtpolitische Durchsetzung eines bestimmten Moralsystems entschieden werden. Es leuchtet unmittelbar ein, dass diese Form der faktischen Entscheidung der Idee des Moralischen, auch des religiös Moralischen, grundsätzlich zuwider laufen würde. Folglich muss auch die religiöse Seite selbst ein Interesse daran haben, dass ihre moralischen Grundsätze mit denen der praktischen Vernunft übereinstimmen, weil letztlich nur sie dafür sorgen kann, dass sich moralische Grundsätze aus Überzeugung und nicht durch Überredung und Gewalt verbreiten und verankern. Des Näheren verfügt die praktische Vernunft über ein dreifaches Kriterienraster zur Beurteilung religiöser Moralvorschriften. 153 Es ist 153 Prof. Dr. Dieter Lohmar hat in einem Diskussionsbeitrag anlässlich einer Präsentation des Habilitationsvorhabens im Juli 2013 vor den Vorstandsmitgliedern des Philosophischen Seminars der Universität zu Köln zu bedenken gegeben, dass die Anknüpfung an die Philosophie Kants im Hinblick auf eine interkulturelle Ethik der Religionen in einigen Fällen durchaus problematisch sei, da beispielsweise die von Kant in der Idee des höchsten Guts in Aussicht gestellte Versöhnung von Glückseligkeit und Glückswürdigkeit nicht mit hinduistischen Vorstellungen kompatibel sei. Zu dieser wichtigen Überlegung möchte ich drei Punkte anmerken: 1.) Der religionsphilosophische Anschluss an die Philosophie Kants sollte unserer Meinung nach nicht durch eine Anwendung der kantischen Ethik auf die Moralvorstellungen der Weltreligionen erfolgen, sondern zum einen mittels einer Heuristik, die sich an der dreifachen Differenzierung unserer kognitiven Vermögen orientiert, wie sie Kant in den drei Kritiken durchgeführt, und zum anderen durch eine interkulturelle Neuinterpretation der kantischen Distinktion zwischen Vernunft- und Offenbarungsreligion. 2.) In der vorliegenden Untersuchung wurde der Hinduismus nicht explizit als Beispiel herangezogen, sodass die genannte Problematik durchaus bestehen mag; aber sie betrifft nicht das zentrale Anliegen der Arbeit. 3.) Der Karma-Gedanke, den Hinduismus und Buddhismus im Prinzip miteinander teilen, obwohl der Begriff der Wiedergeburt in beiden Religionen etwas vollkommen anderes bedeutet, ist hinsichtlich sei-

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Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

(1.) zu prüfen, ob das jeweilige religiöse Gebot mit dem individuellen Gewissen übereinstimmt (eine Prüfung, die freilich wegen ihres vollkommen subjektiven Charakters gerade keine Verallgemeinerung zulässt); (2.) muss eine religiöse Vorschrift jenem Verallgemeinerungstest unterzogen werden, den Kant den kategorischen Imperativ nannte: Kann ich wollen, so wäre zu fragen, dass die besagte religiöse Vorschrift zu einem allgemeinen Gesetz werde? Und (3.) ist zu testen, ob ein religiöses Gebot im Einklang mit jenen unveräußerlichen Menschenrechten steht, 154 die keineswegs eine kulturell und historisch situierbare Erfindung ›des Westens‹ darstellen, sondern jene rechtlichen Minimalvoraussetzungen gewährleisten, die erfüllt sein müssen, damit ein Mensch überhaupt an der moralischen Gemeinschaft teilnehmen und somit zu einem moralischen Akteur werden kann. Religiöse Grundsätze, die im Widerspruch zu einem oder zu mehreren dieser Aspekte der praktischen Vernunft stehen, können nicht richtig sein, weil vermeintliche Pflichten, die noch nicht einmal menschlich sind, erst recht nicht göttlich sein können. Stattdessen dürfen, ja müssen wir darauf vertrauen, dass wir uns im Einklang

ner praktischen Auswirkung möglicherweise gar nicht so weit entfernt von jenem Gerechtigkeitsgedanken, der auch der kantischen Idee des höchsten Guts zu Grunde liegt. Schlechte Handlungen werden gemäß den Vorstellungen des Hinduismus und Buddhismus durch schlechte Wiedergeburten vergolten – ebenso wie sie den Vorstellungen der abrahamitischen Religionen (und dem Vernunftglauben Kants) zufolge nach dem Tode durch einen gerechten Weltenrichter beurteilt werden. 154 Dass die Deklaration der Menschenrechte historisch aufs Engste mit der europäischen Aufklärung sowie mit den amerikanischen und französischen Revolutionen des 18. Jahrhunderts verbunden ist, stellt keinen stichhaltigen Einwand gegen ihre Kulturen übergreifende normative Geltung dar. Auch alle religiös begründeten Gesetze wurden schließlich zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt aufgestellt, was ihre prätendierte überzeitliche Geltung aber nicht einschränkt. – Zu einer interreligiös fundierten Auseinandersetzung mit den Menschenrechten hat J. Ratzinger/Benedikt XVI. aufgerufen: »Was die Welt zusammenhält. Vorpolitische moralische Grundlagen eines freiheitlichen Staates«. In: Habermas/Ratzinger 2005, S. 39–60, hier S. 51 f.: »Vielleicht müsste heute die Lehre von den Menschenrechten um eine Lehre von den Menschenpflichten und von den Grenzen des Menschen ergänzt werden, und das könnte nun doch die Frage erneuern helfen, ob es nicht eine Vernunft der Natur und so ein Vernunftrecht für den Menschen und sein Stehen in der Welt geben könne. Ein solches Gespräch müsste heute interkulturell ausgelegt und angelegt werden. Für Christen hätte es mit der Schöpfung und dem Schöpfer zu tun. In der indischen Welt entspräche dem der Begriff des ›Dharma‹, der inneren Gesetzlichkeit des Seins, in der chinesischen Überlieferung die Idee der Ordnungen des Himmels.«

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Die Perspektive der praktischen Vernunft

auch mit jenem Göttlichen befinden, von dem die Religionen künden, wenn wir uns moralische Maßstäbe zu eigen machen, die mit den genannten drei Momenten der praktischen Vernunft (individuelles Gewissen, hypothetische Verallgemeinerbarkeit und fundamentale Menschenrechte) übereinstimmen. Umgekehrt dürfte ein Gott, von dem wir glauben sollen, dass er von uns Handlungen verlangt, die im Widerspruch zu dem von der praktischen Vernuft Gebotenen stehen, keinerlei Gefolgschaft verlangen. Er wäre es überhaupt nicht wert, von uns verehrt zu werden; vielmehr müsste sich die Menschheit gegen einen derartigen Gott, und werde er auch als noch so übermächtig dargestellt, solidarisieren, wenn man nicht ohnehin aus guten Gründen annehmen dürfte, dass es einen solchen Gott gar nicht geben könne. Die Prüfung der Kompatibilität religiöser Vorschriften mit den Maßgaben der praktischen Vernunft gestattet es, drei Sorten religiöser Normen voneinander zu unterscheiden: 1.) normative Aussagen der Religionen, die menschlichen Pflichten widersprechen, und die daher aus der Perspektive der praktischen Vernunft eindeutig abzulehnen sind (wie etwa eine Auslegung des islamischen Dschihad, die es gestatten oder gar gebieten würde, ›ungläubige‹ Nicht-Muslime zu töten, weil eine solche Vorschrift sich weder mit dem kategorischen Imperativ noch mit den Menschenrechten vereinbaren ließe); 2.) normative Aussagen der Religionen, die nur innerhalb eines spezifischen religiös-kulturellen Kontextes gelten, aber mit der praktischen Vernunft nicht in Widerstreit stehen, sodass sie als moralisch neutrale Sekundäreigenschaft toleriert werden können und sollen (beispielsweise religiöse Kleidungs- oder Ernährungsvorschriften, soweit diese mit dem individuellen Gewissen, dem kategorischen Imperativ sowie mit den Menschenrechten vereinbar sind); 3.) normative Aussagen der Religionen, die im Einklang mit der praktischen Vernunft stehen (beispielsweise die Gebote, sozial Schwächeren zu helfen, die Gier nach Reichtum und materiallen Gütern zu zügeln oder den persönlichen Egoismus einzuschränken). Es ist offensichtlich, dass es aus der Perspektive der praktischen Vernunft erforderlich ist, religiöse Gebote der ersten Sorte weitestgehend zurückzudrängen: im Einzelfall – nämlich dann, wenn religiöse Vorschriften elementare Menschenrechte verletzen – durch staatliche Gesetze, vor allem aber durch eine kontextualisierende Erforschung ihrer historisch-kulturellen Bedingheit sowie eine diesen 455 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

Erkenntnissen entsprechende religiöse Vermittlung und Unterweisung. Während die religiösen Gebote der zweiten Sorte vernünftigerweise mit wohlwollender Toleranz zu behandeln sind, sollten religiöse Gebote der dritten Sorte unbedingt gefördert werden, weil nur durch sie, wie schon Kant richtig gesehen hat, 155 Religion zu einem ›Vehikel‹ der Ethik werden kann, sodass sie einen »zum Weltbesten hinwirkende[n] Beitrag« 156 zu leisten vermag. Selbstverständlich kann Philosophie den Religion(en) niemals vorschreiben, welche ihrer Lehren und Vorschriften bevorzugt zu vermitteln sind. Aber Argumente zu liefern und Kriterien an die Hand zu geben, die eine rationale Reflexion auf die ethischen Prinzipien religiös motivierter Moralvorstellungen erlauben, kann als eine geradezu gesellschaftlich relevante Aufgabe interkultureller Religionsphilosophie betrachtet werden. Schränkt die Perspektive der praktischen Vernunft somit das weite Feld religiös motivierter moralischer Empfehlungen und Vorschriften auf diejenigen Gebote ein, die mit dem individuellen Gewissen, dem kategorischen Imperativ sowie den Menschenrechten vereinbar sind, so vermag sie auf der anderen Seite durch die Anwendung derselben Kriterien zu einer interkulturellen Erweiterung des religiösen Blicks beizutragen, indem sie diejenigen moralischen Intuitionen herausarbeitet, die sich in verschiedenen Weltreligionen wiederfinden lassen. 157 Eine differenzierte Auseinandersetzung mit ethischen Grundprinzipien der Religionen, die interkulturelle Einzel-

Vgl. Kant: ›Religionsschrift‹, S. 787 (B182 f.). Ebd., S. 845 (B 266). 157 Siehe dazu P. Byrne: »A Philosophical Approach to Questions about Religious Diversity«. In: Meister 2011, S. 29–41. Byrne weist darauf hin, dass pluralistische und inklusivistische Religionstheorien oftmals von einer Konvergenz zentraler moralischer Grundsätze und Einstellungen zwischen den Weltreligionen ausgehen: »They agree that a life of generous goodwill, love, and compassion is the constitutive means of attainig both the human good and a life lived in authentic relation to the Ultimate.« (Ebd., S. 39.) Diesen Standpunkt teile ich zwar grundsätzlich, ziehe allerdings bezogen auf die ethischen Gemeinsamkeiten der Religionen terminologisch den Begriff der Kompatibilität dem der Konvergenz vor – und zwar deswegen, weil ›Konvergenz‹ die gleichartige Bewegung unterschiedlicher Strömungen auf einen zentralen Punkt hin bezeichnet, was m. E. eher auf mystische Aspekte der Religionen zutrifft, während ›Kompatibilität‹ einen Vergleichsmaßstab erfordert, der unterschiedliche Positionen anhand dieses Maßstabs beurteilt. Im Bereich der Ethik und Moral ist dies die praktische Vernunft, welche die Kompatibilität oder Inkompatibiliät ethischer Aussagen der Weltreligionen prüft. 155 156

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untersuchungen erforderlich macht, 158 kann zwar in diesem Rahmen nicht geleistet werden. Gleichwohl soll aber zumindest auf fünf fundamentale ethische Intuitionen hingewiesen werden, welche die Weltreligionen Buddhismus, Christentum und Islam (und zweifellos auch weitere Religionsformen) im Prinzip miteinander teilen: a.) die ethische Intuition, dass das persönliche Ego mit all seinen subjektiven Interessen nicht der letzte Maßstab des Handelns sein dürfe, sondern dass es sich selbst in Bezug auf ein Höheres (die wechselseitige Abhängigkeit von Allem, die Menschheit in der Gestalt des Nächsten, Gott) zu relativieren habe: der Gedanke der Selbstlosigkeit und Liebe; b.) die ethische Intuition, dass dauerhaftes persönliches Glück nicht in der rastlosen Befriedigung materieller und physischer Bedürfnisse bestehen könne, weil diese der irdischen Vergänglichkeit unterworfen sind; c.) die ethische Intuition, dass eine moralische Verpflichtung zur Wohltätigkeit gegenüber Armen und sozial schwächer Gestellten besteht – bis hin zum aktiven Engagement gegen weltweite soziale Ungerechtigkeit; d.) die ethische Intuition, dass Tugenden wie Güte, Barmherzigkeit, Aufrichtigkeit, Demut, Mitgefühl und Aufopferungsbereitschaft positive moralische Einstellungen repräsentieren; e.) die ethische Intuition, dass menschliche Lebewesen eine moralische Verpflichtung zur schonenden Bewahrung ihrer natürlichen Umwelt haben. Die aufgeführten ethischen Intuitionen, in denen die Weltreligionen miteinander kompatibel sind, weisen einen inhärenten Bezug zum Gedanken der Interdepedenz auf, der im vorigen Unterkapitel als Brückenbegriff zur Erläuterung der Komplementarität religiöser Ontologien herausgestellt wurde. Insofern steht die Kompatibilität der religiösen Ethiken nicht einfach beziehungslos neben der Komplementarität religiöser Seins- und Weltauffassungen; vielmehr verbindet beide Bereiche systematisch der Gedanke einer ursprünglichen Verwiesenheit des Einen (etwa des Ichs und des Irdischen) auf das Andere (etwa auf den Nächsten und auf Gott). Die genannten ethischen Kompatibilitätsaspekte der Religionen lassen sich aber auch außerhalb eines religiösen Einbettungskontextes mittels praktischer 158 Siehe dazu etwa M. Fakhry: Ethical Theories in Islam. London/New York/Köln 1994; Küng 1991, 2002.

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Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

Vernunft nachvollziehen, sodass sich hieran bestätigt, was bereits im 12. Jahrhundert von Petrus Abaelardus in seinem Dialogus inter Philosophum, Iuadeum et Christianum formuliert und in jüngster Zeit vom Dalai Lama (Tenzin Gyatso) erneut bekräftigt wurde: 159 Ethik ist grundlegender als Religion. In den Worten des Philosophen bei Petrus Abaelardus wird dies folgendermaßen begründet: »Denn alles Einfachere ist ursprünglich früher als das Vielfältigere. Das natürliche Sittengesetz, d. h. jene Wissenschaft der Moral, die wir Ethik nennen, besteht allein in moralischen Beweisführungen. Die Lehre eurer [der religiösen; Anm. d. Verf.] Gesetze jedoch fügte diesen aus äußeren Zeichen gewisse Vorschriften hinzu, die uns insgesamt überflüssig erscheinen, über die wir auch an ihrem Ort miteinander diskutieren müssen.« 160

Kant hätte diesen Ausführungen zweifellos zugestimmt; denn seine in der Religionsschrift durchgeführte Untersuchung der vernünftigen Momente des Religiösen beruht schließlich auf einer ganz ähnlichen Differenzierung zwischen dem rationalen moralischen Kern aller Religionen und jenen statutarischen Vorschriften, die den historisch-kulturellen, d. h. empirischen, sekundären Teil einer Glaubensgemeinschaft ausmachen. Der Dalai Lama begründet in seinem Appell Ethik ist wichtiger als Religion die ›natürliche‹ Vorordnung der Ethik gegenüber allen kulturell gewachsenen Religionsformen auch mit dem Hinweis auf die entsetzlichen Gewalttaten, die immer wieder im Namen der Religion verübt worden sind und nach wie vor werden. 161 Tatsächlich ist es eine offene Frage, ob insbesondere die monotheistischen Religionen in der Menschheitsgeschichte letztlich eher das friedliche Zusammenleben oder die Ausübung von Gewalt zwischen Menschengruppen begünstigt haben. 162 Wenn aber die Einschätzung des Dalai Lama zutrifft, dass der »Kern aller Religionen […] die Liebe« ist 163, dann können die gewalttätigen Ausbrüche reli159 Dalai Lama: Der Appell des Dalai Lama an die Welt: Ethik ist wichtiger als Religion. Mit Franz Alt. Wals bei Salzburg 2015. 160 P. Abaelard: Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen, op. cit., S. 17. 161 Dalai Lama 2015, S. 9 ff. 162 Siehe dazu A. Fürst (Hrsg.): Friede auf Erden? Die Weltreligionen zwischen Gewaltverzicht und Gewaltbereitschaft. Freiburg i. Br. 2006. 163 Dalai Lama 2015, S. 35. – Eine ähnliche Religionsauffassung, die im Zentrum der Religion die Liebe sieht, findet sich in einem islamischen Kontext auch bei M. Khorchide: Islam ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion. Freiburg 22016.

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Die Perspektive der Urteilskraft

giösen Fanatismus bis in die jüngste Gegenwart nur als Irrwege der Religionen begriffen werden, die immer dann betreten werden, wenn die kulturelle Singularität eines religiösen Systems in exklusivistischer Manier absolut gesetzt und darüber die fundamentalen ethischen Prinzipien im Herzen des Religiösen verdrängt werden. Umso wichtiger erscheint es, im Sinne Kants die Grundsätze einer säkularen Ethik auf der Basis praktischer Vernunft im Zentrum der Religionen selbst zu erkennen, um religiöse Systeme gegenüber ihrer missbräuchlichen Instrumentalisierung für verkehrte Zwecke so weit wie möglich zu immunisieren. 164

3.

Die Perspektive der Urteilskraft: Transkulturelle Konvergenz expressiver Aussagen der Weltreligionen

Aus der Sicht der theoretischen Vernunft hat der komparative Blick auf verschiedene Weltreligionen (Buddhismus, Christentum und Islam) ergeben, dass sich in deren Seinsauffassungen das Verhältnis von Identität und Relationalität bzw. Prozessualität in je verschiedener, zum Teil gegensätzlicher Weise darstellt; dabei rekurrieren die herangezogenen religiösen ›Ontologien‹ gleichwohl allesamt auf den Gedanken einer Interdependenz bzw. Komplementariät beider Pole, des in-sich-Ruhenden und des außer-sich-Bewegten. Der praktischen Vernunft gelingt es im interkulturellen Religionsvergleich wiederum, Kompatibilitätsmomente ethischer Intuitionen und EinstellunKhorchides Position repräsentiert sicherlich nicht den zeitgenössischen Mainstream der Koranauslegung; seine auf Spiritualität und weniger auf äußere Gesetzestreue abzielende Islaminterpretation vermöchte aber, so steht zu hoffen, für die Ausgestaltung eines ›europäischen‹, vielleicht reformatorischen oder ›aufgeklärten‹ Islam wichtige Impulse beizusteuern. Siehe dazu auch die kritische Auseinandersetzung mit Khorchides Theologie bei F. Gilgenbach: »›Gott ist die Barmherzigkeit‹. Analytische Diskussion einer These von Mouhanad Khorchide«. In: Theologie und Philosophie, 92 (2017), S. 215–245. 164 Vgl. dazu auch den für einen religiösen Führer überaus bemerkenswerten Kommentar des Dalai Lama anlässlich des islamistisch motivierten Terroranschlags auf das Satire-Magazin »Charlie Hebdo« sowie auf einen jüdischen Supermarkt in Paris im Januar 2015: »Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle Heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotential in sich. Deshalb brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen. In den Schulen ist Ethik-Unterricht wichtiger als Religionsunterricht. Warum? Weil zum Überleben der Menschheit das Bewusstsein des Gemeinsamen wichtiger ist als das ständige Hervorheben des Trennenden.« (Dalai Lama 2015, S. 7.)

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Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

gen aufzuzeigen, welche den hier betracheteten Weltreligionen im Prinzip gemeinsam sind und die zugleich mit den moralischen Aspirationen der praktischen Vernunft übereinstimmen. Derjenige Bereich, in dem die Weltreligionen jedoch tatsächlich konvergieren, wenn auch nur in spezifischen Strömungen und in einzelnen Momenten, wurde bislang noch ausgespart. Er betrifft jene Sphäre genuin religiöser Intensitätserfahrung, die üblicherweise unter dem Titel ›Mystik‹ verhandelt wird und die philosophisch-diskursivem Denken allenfalls indirekt zugänglich ist. 165 Der philosophischen Reflexion stehen in erster Linie die expressiven Zeugnisse zur Verfügung, in denen sich mystische Erfahrungen innerhalb verschiedener Religionsformen niedergeschlagen haben. Das rationale Vermögen, das zur Aufschließung derartiger Bekundungen geeignet ist, nannte Kant die Urteilskraft; sie stellt auch deswegen das adäquate Bezugsmedium für die Dechiffrierung mystischer Äußerungen dar, weil diese oftmals eine deutlich ausgeprägte ästhetische Dimension aufweisen. Mystik in einem weiter gefassten Sinne – ob es sich dabei um die christliche Mystik des Mittelalters und der frühen Neuzeit handelt, den islamischen Sufismus 166 oder den Zen-Buddhismus, um nur einige Beispiele zu nennen – zeichnet sich religionsübergreifend dadurch aus, dass die unüberschreitbare Grenze, die der Vernunft in der Erkenntnis der Totalität des Weltganzen und seiner Gründe gesetzt ist, durch einen exzeptionellen Bewusstseinszustand transzendiert wird, in dem erfahren wird, was diskursiv nicht gewusst werden kann. 167 Der bereits erwähnte muslimische Theologe und Philosoph al165 Vgl. dazu Parrinder 1995, S. 4: »That mystical claims are made in many religions is taken both as a proof of the universality of the inner life of the soul and as the real link between religions which may be divided by dogma but are really united in their quest for the Universal One.« – Siehe dazu auch K. Ceming: Mystik im interkulturellen Vergleich. Nordhausen 2005; M. Petillo: »The universalist philosophy of religious experience and the challenges of post-modernism«. In: The Heythrop Journal, 51 (2010), S. 946–961. Zur mystischen Tradition im Christentum siehe S. Wendel: Christliche Mystik. Eine Einführung. Regensburg 22011, sowie dies.: Affektiv und inkarniert. Ansätze Deutscher Mystik als subjekttheoretische Herausforderung. Regensburg 2002. 166 Siehe dazu A. Schimmel: Mystische Dimensionen des Islam. Die Geschichte des Sufismus. Frankfurt a. M./Leipzig 1995. 167 Siehe zu den Möglichkeiten philosophischer Rechtfertigung mystischer Erfahrung J. Gellman: Mystical Experiences of God. A Philosophical Inquiry. Aldershot u. a. 2001.

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Ghazālī (1058–1111) erklärt in der Schrift Der Erretter aus dem Irrtum (al-Munqiḏ min aḍ-ḍalāl), in der er seine persönliche religiöse und wissenschaftliche Entwicklung darlegt, »daß die Mystiker Menschen der Erlebniszustände, nicht aber der bloßen Reden sind.« 168 Das Wissen darum, dass das absolute Objekt des Religiösen, werde dieses nun ›Gott‹ oder ›Nirvana‹ genannt, aufgrund seiner angenommenen Überseiendheit prinzipiell nicht erkannt werden kann, wird in der mystischen Erfahrung anerkannt, aber gleichsam durchschritten und überwunden, indem sich das religiöse Bewusstsein mit seinem unerreichbaren Gegenstand identifiziert. Die literarischen Spuren dieser mystischen Identifizierungsgeschehnisse stellen die expressiven Zeugnisse dar, aus denen eine interkulturelle Religionsphilosophie interreligiöse Konvergenzpunkte ermitteln kann. So lassen sich Beispiele aus verschiedenen religiösen Kulturen für die Einschlagung des mystischen Weges anführen, denen gemeinsam ist, dass ihnen motivational jeweils ein deutlich artikuliertes Ungenügen an der kanonischen Lehrtradition und an einer bloß gelehrten Aneignung dieser Tradition zu Grunde liegt. Es scheint, als sei die Schriftgelehrsamkeit für sich genommen nicht dazu geeignet, Gott oder dem im Buddhismus angestrebten Erwachtheitszustand intensiv nahe zu kommen. Entsprechend hat etwa al-Ghazālī nach einer intensiven Beschäftigung mit Theologie und Philosophie erkannt, »daß die Vernunft keineswegs aus sich heraus alle Fragen umfassend beantworten kann und nicht einmal dazu taugt, den Schleier über allen Schwierigkeiten zu lüften.« 169 Bezogen auf die für die Ratio stets problematische Erkenntnis Gottes wurde in den Diskursen der negativen Theologie des Christentums eine Methode entwickelt, die auf die historisch früheste Verwendung des Adjektivs ›mystisch‹ in der Schrift De mystica theologia des Pseudo-Dionysius Areopagita zurückverweist: 170 die Negation aller besonderen Bestimmungen des Göttlichen. Im monotheistischen Kontext steht hinter der systematischen Negation jeglicher Prädikate, die Gott zugeschrieben werden könnten, die theologische Auffassung einer absoluten Transzendenz Gottes, die dem menschlichen Geist

Al-Ghazālī: Der Erretter aus dem Irrtum, op. cit., S. 41. Ebd., S. 31. 170 Vgl. dazu M. Roesner: »Mystik der All-Einheit oder Mystik der Relation? Martin Bubers Eckhart-Rezeption in ihrem geistesgeschichtlichen Kontext«. In: Theologie und Philosophie, 92 (2017), S. 161–191, hier S. 161. 168 169

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keine positive Erkenntnis seiner Wesenseigenschaften gestattet. Aber auch die Einsicht in die vollkommene Unangemessenheit aller Prädikationen, die dem göttlichen Wesen von Seiten des Menschen zugeschrieben werden, führt nicht zu einem sachhaltigen Wissen über das Göttliche, wohl aber zu einer Reinigung des Geistes, der durch sein Leerer-werden eine mentale Disposition erwirbt, die ihn für die – nunmehr freilich nicht-diskursive – Erfassung des Absoluten empfänglicher macht. Und es ist eben diese Leerung des Geistes – alGhazālī spricht von der gänzlichen »Reinigung des Herzens von allem, was außer dem erhabenen Gott ist« 171 –, die nicht nur in der negativen Theologie und christlichen Mystik als eine Voraussetzung der Gottesschau benannt wird, sondern die auch eine interkulturelle Diagonale durch verschiedene, in anderer Hinsicht durchaus divergierende Religionsformen zieht. 172 Die Begriffssprache nennt das Resultat der Negation aller Bestimmtheiten das »Nichts«. Für sich als Begriff genommen ist dieser Ausdruck semantisch unergiebig, da er auf schlechterdings nichts referiert – obwohl es sich zugleich um einen fundamentalen ontologischen Grenzbegriff handelt, der in der Philosophiegeschichte in mannigfaltigen Ansätzen bedacht und ausgelegt wurde. 173 In negativer Theologie und Mystik werden die paradoxen Potentiale des »Nichts« durch die Erzeugung einer Korrespondenz zwischen einem NichtWissen, das sich von allen Bestimmungen gereinigt hat, und einem Objekt des Nicht-Wissens, das aufgrund der Bestimmungslosigkeit seiner Überseiendheit der absoluten Leere entspricht, fruchtbar gemacht. ›Leere‹ bedeutet auf dieser Stufe jedoch keinen Mangel mehr, Al-Ghazālī: Der Erretter aus dem Irrtum, op. cit., S. 46. Von einer Entleerung, Befreiung und Reinigung des Geistes, die jenseits aller Buchstabengelehrsamkeit zur wahren ›Gelehrtheit‹ führe, spricht auch der chinesische Chan-Patriarch Hongren (601–674): »Haben wir erst einmal erkannt, dass die Buddha-Natur in allen Wesen so rein ist wie die Sonne hinter den Wolken, brauchen wir uns nur darum zu bemühen, dass der grundlegende wahre Geist vollkommen klar bleibt, damit die Wolken irrender Gedanken sich auflösen und die Sonne der Erkenntnis hervorstrahlt; was braucht man sich da noch groß Wissen anzueignen über die Leiden der Geburt und des Todes, über alle möglichen Lehrmeinungen und Prinzipien und über vergangene, gegenwärtige und künftige Dinge? Es ist, wie den Staub von einem Spiegel wischen; sobald der Staub ganz beseitigt ist, scheint die Klarheit von selbst auf.« Zitiert nach: Lektionen der Stille. Klassische Zen-Texte. Hrsg. v. H. Schmidt-Glintzer. München 2007, S. 13. 173 Zur Geschichte und multiplen philosophischen Verwendung des »Nichts«-Begriffs verweise ich auf meine eigene Untersuchung zu dieser Thematik (Wirtz 2006). 171 172

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Die Perspektive der Urteilskraft

keine Privation, sondern die freie Fülle unendlicher Potentialitäten. Im Rahmen der negativen Theologie bleibt die Analogie zwischen leer-freiem Bewusstsein und leer-freiem Absoluten noch auf der kognitiven Ebene; in der mystischen Erfahrung hingegen wird diese Korrespondenz als Identität erlebt. Meister Eckhart (1260–1328), der freilich »gerade kein Vertreter einer ekstatischen Erlebnismystik« 174 ist, auch wenn er oftmals fälschlicherweise als solcher interpretiert wurde, hat darauf aufmerksam gemacht, dass dem Menschen eine Vereinigung mit Gott dann möglich sei, wenn er dem Göttlichen in vollkommener Offenheit und Armut gegenüber trete: »Da es denn Gottes Natur ist, daß er niemandem gleich ist, so müssen wir notgedrungen dahin kommen, daß wir nichts sind, auf daß wir in dasselbe Sein versetzt werden können, das er selbst ist.« 175 Das Individuum muss sich sowohl von irdischen Fesseln inklusive festgelegter sozialer Rollen als auch von fesselnden geistigen Bestimmungen befreien, um in dieser Armut der freien Leer-Fülle Gottes zu entsprechen, ja diese Leer-Fülle selber zu werden und zu sein. 176 Auch al-Ghazālī betrachtet es als eine unerlässliche Voraussetzung einer entschlossenen Hingebung an Gott, »daß man auf Ruhm und Reichtum verzichtet und vor Beschäftigungen und Bindungen flieht.« 177 Im Zustand des Einsseins mit dem Göttlichen sei schließlich, so wiederum Meister Eckhart, alles Leid getilgt und es herrschten nur noch Liebe und Freude im Geist 178 – vielleicht in ganz ähnlicher Weise, wie im Zen-Buddhismus jener erwachte Zustand des Unbekümmertseins gekennzeichnet wird, in dem das Leiden erloschen ist und alle Dinge endlich in ihrem So-Sein gesehen und sein-gelassen werden können. 179 Roesner 2017, S. 163. Meister Eckehart: Deutsche Predigten und Traktate. Hrsg. u. übers. v. J. Quint. München 1985, Predigt 35 (»Videte, qualem caritatem«), S. 319 f. 176 Vgl. Meister Eckehart: Deutsche Predigten und Traktate, op. cit., Predigt 35, S. 318: »Wie (aber nun) sind wir ›Söhne Gottes‹ ? Dadurch, daß wir ein Sein mit ihm haben.« 177 Al-Ghazālī: Der Erretter aus dem Irrtum, op. cit., S. 42. 178 Meister Eckehart: Deutsche Predigten und Traktate, op. cit., Predigt 35, S. 321. – Siehe zur Thematik der Gottesgeburt in der Seele bei Meister Eckhart, v. a. bezogen auf die Predigten 101 bis 104, M.-A. Vannier (Hrsg.): La naissance de Dieu dans l’âme chez Eckhart et Nicolas de Cues. Paris 2006. 179 Siehe dazu etwa die folgende Passage aus der Niederschrift von der blaugrünen Felswand (Biyan Lu), einer chinesischen Koansammlung aus dem 11. Jh. (zit. nach Schmidt-Glintzer 2007, S. 17): »Wann immer du studierst und Fragen stellst, beden174 175

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Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

Es ist nur zu verständlich, dass die Einsichten Eckharts von der kirchlichen Orthodoxie in der päpstlichen Bulle In agro dominico (1329) teilweise als häretisch verurteilt wurden, 180 droht doch die Einswerdung der menschlichen Seele mit dem Nichts Gottes das hierarchische Gegenüber der himmlischen und irdischen Ordnung, des Schöpfers und seiner Schöpfung, aufzuheben. Der Widerschein des Bannstrahls, der sich im 14. Jahrhundert auf Eckharts Mystik richtete, ist noch in der wertenden Kontrastierung von Monotheismus und Identitätsmystik wieder zu erkennen, wie sie Ratzinger/Benedikt XVI. in seiner bereits angesprochenen Religionstopologie vorgenomen hat. 181 Und auch in der Geschichte des Islam finden sich Beispiele dafür, dass der antitraditionalistische, individualistische Zug der Mystik von der Orthodoxie als Ketzterei gebrandmarkt wurde, wie der Fall des al-Halladj zeigt, der 922 in Bagdad zu Tode gefoltert wurde. 182 Alle Ausdrücke und Aussagen, welche die mystische Erfahrung ke, dass es nicht viele Dinge gibt, um die du dich bekümmern solltest. Bedenken entstehen, weil du außen wahrnimmst, dass Sehen, Hören, Fühlen und Wissen existieren; weil du über dir siehst, dass es vielfältige Buddhas gibt, bei denen du Zuflucht suchen kannst; und weil du unter dir siehst, dass es empfindende Wesen gibt, die gerettet werden können. Du musst sie einfach allesamt ausspeien: Später schmiedest du, ob du gehst oder stehst, sitzt oder liegst, vierundzwanzig Stunden am Tag alles zu Einem zusammen. Und säßest du dann auch auf der Spitze eines Haares, wäre sie so breit wie das Universum; und wohntest du in einem kochenden Kessel oder einer glühenden Esse, so wäre es so, wie im Land des Friedens und der Seligkeit zu weilen; und lebtest du inmitten eines Meeres von Gold und Edelsteinen, wäre es so, wie in einer strohgedeckten Hütte zu leben. So gelangst du, wenn du ein fähiger Adept bist, auf natürlichem Wege, ohne jede Kraft zu vergeuden, zu der einen Wirklichkeit.« 180 »Bulle Johanns XXII. ›In agro dominico‹ vom 27. März 1329, in welcher 28 Sätze Meister Eckeharts verdammt werden«. In: Meister Eckehart: Deutsche Predigten und Traktate, op. cit., S. 449–455. 181 Vgl. Kap. II.1. des Dritten Teils dieser Arbeit. 182 Siehe dazu Hendrich 2011, S. 115. Als einen weiteren islamischen Mystiker, der wegen Ketzerei hingerichtet wurde, nennt Hendrich Schihab ad-Din Yahya al-Maqul as-Suhrawardi (1154–1191). Demgegenüber ist freilich auch auf Beispiele in der Geschichte der islamischen Wekt hinzuweisen, bei denen sufistische Derwischorden geradezu staatenbildend gewirkt haben. Siehe dazu etwa B. Radtke: »The Eight Rules of Junayd: A General Overview of the Genesis and Development of Islamic Dervish Orders.« In: Reason and Inspiration in Islam. Theology, Philosophy and Mysticism in Muslim Thought. Essays in Honour of Hermann Landolt. London/New York 2005, S. 490–502. Radtke weist freilich auch auf die heutige doppelte Herausforderung des Sufismus seitens des westlichen Rationalismus und des islamischen Fundamentalismus hin (ebd., S. 498).

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Die Perspektive der Urteilskraft

expressiv zu umschreiben suchen, vermögen deren Einzigartigkeit selbst niemals zu treffen, sodass es sich bei der mystischen Rede um einen paradoxen Diskurs der Uneigentlichkeit handelt, da sich das in dieser Rede Ausgesagte seiner eigenen Unzulänglichkeit gegenüber dem, wovon sie sagen will, bewusst ist und diese Unzulänglichkeit sogar einen wesentlichen Bestandteil der Rede selbst darstellt. 183 Ein Beispiel für die Selbstzurücknahme des mystischen Diskurses liefert al-Ghazālī, wenn er über die Erfahrungen der Ṣūfīs schreibt: »Allgemein gesagt führt die Sache [die mystische Erfahrung; Anm. d. Verf.] zu einer Nähe Gottes, die sich die eine Gruppe annähernd als Innewohnen, die andere als Vereinigung und noch eine andere als Erlangung vorstellt. All dies ist falsch. […] Wer einen solchen Zustand erlebt, sollte nicht mehr darüber aussprechen als (dieser Vers besagt): Es geschah, was geschah, Ich erinne es nicht. Als Gutes vermut’ es, Erfrage es nicht.« 184

Weil – wie in diesem Beispiel – die sich selbst relativierende mystische Rede ästhetische Qualität gewinnt, stellt das Vermögen der Urteilskraft die adäquate Instanz dar, um die Paradoxie der mystischen Rede auszulegen: Denn wie das von Kant in der Kritik der Urteilskraft analysierte Gefühl des Erhabenen – »das, was über alle Vergleichung groß ist« 185 – bewegt sich auch das in der mystischen Erfahrung Erlebte in einer Sphäre, dergegenüber die Aussagekraft der diskursiven Rede schwindet. 186 Diese hat die Angewohnheit, eine Be183 Zu den Sprachformen mystischer Rede siehe die Studie von J. Seelhorst: Autoreferentialität und Transformation. Zur Funktion mystischen Sprechens bei Mechthild von Magdeburg, Meister Eckhart und Heinrich Seuse. Tübingen/Basel 2003. 184 Al-Ghazālī: Der Erretter aus dem Irrtum, op. cit., S. 47. – Dass die mystische Erfahrung nicht zwangsläufig im Schweigen endet – was ihr nach eigener Aussage adäquat wäre –, sondern dass sie gerade zu eindrucksvoller poetischer und literarischer Gestaltung animiert, bezeugt innerhalb der islamischen Tradition das voluminöse Werk Mathnawī des persischen Mystikers und Philosophen Djalāl-od-Dīn Rūmī, hier herangezogen in der französischen Übersetzung: Mathnawī. La Quête de l’Absolu. Aus dem Persischen übers. v. E. de Vitray Meyerovitch u. D. Mortazavi. Monaco/Paris 1990. 185 I. Kant: KdU, S. 110 (B 81). 186 Vgl. ebd., S. 113 (B 84): »Wenn wir aber etwas nicht allein groß, sondern schlechthin, absolut, in aller Absicht (über alle Vergleichung) groß, d. i. erhaben nennen, so sieht man bald ein, daß wir für dasselbe keinen ihm angemessenen Maßstab außer ihm, sondern bloß in ihm zu suchen verstatten. Es ist eine Größe, die bloß sich selber

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Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

stimmung entweder als seiend oder als nicht-seiend vorzustellen. Die Realität des Göttlichen oder auch diejenige des nirvāṇa ›ist‹ aber, wie etwa Nāgārjuna in der Nachfolge des Buddha betont hat, jenseits von Existenz und Nicht-Existenz angesiedelt 187 – wie im Übrigen in Wahrheit alles andere auch, weswegen unsere konzeptuellen Bestimmungen, die ›seiend‹ oder ›nicht-seiend‹ jeweils genau festlegen wollen, aus buddhistischer Sicht zu einer falschen, weil essentialisierenden Vorstellung der Wirklichkeit und in deren Gefolge zu Anhaftungen und Leid beitragen. Das nirvāṇa ist – genau wie Gott – leerer als alles, was von ihm gesagt werden kann. Der gegenüber allen mystisch-›schwärmerischen‹ Anwandlungen gänzlich unverdächtige Kant 188 hat am Schluss des § 28 der Kritik der Urteilskraft gleichwohl überaus faszinierende Überlegungen zum Gefühl der Erhabenheit innerhalb der Religion angestellt, die gleichsam en passant auch den Zusammenhang zwischen Ethik und Mystik beleuchten, wie er bereits bei Meister Eckhart und al-Ghazālī angeklungen ist. Kant bemerkt hier zunächst, dass in der Religion oftmals oder sogar meistens »Niederwerfen, Anbetung mit niederhängendem Haupte, mit zerknirschten angstvollen Gebärden und Stimmen das einzig schickliche Benehmen in Gegenwart der Gott zu sein« 189

gleich ist.« Und am Ende von § 25, in dem Kant den Begriff des Erhabenen zu definieren sucht, heißt es zusammenfassend (ebd., S. 114/B 85): »Erhaben ist, was auch nur denken zu können ein Vermögen des Gemüts beweist, das jeden Maßstab der Sinne übertrifft.« 187 Siehe dazu K. T. Gyamtso: Soleil de Sagesse. Enseignement sur L’intelligence Transcendante, le Traité Fondamental de la Voie Médiane du Noble Nāgārjuna. Traduction française de L. Rakower. Ygrande 2004, S. 164 f. 188 Vgl. dazu. etwa I. Kant: KpV, S. 96 f. (A 125 f.); die »Typik der reinen praktischen Urteilskraft« soll sowohl vor dem Empirismus als auch vor dem Mystizismus der praktischen Vernunft bewahren, wobei ersterer die größere Gefahr für die reine Moralphilosophie darstellt, »weil der Mystizismus sich doch noch mit der Reinigkeit und Erhabenheit des moralischen Gesetzes zusammen verträgt und außerdem es nicht eben natürlich und der gemeinen Denkungsart angemessen ist, seine Einbildungskraft bis zu übersinnlichen Anschauungen anzuspannen (…).« – Siehe zur »Entmystifizierung der Urteilskraft« die Ausführungen bei R. Enskat: Bedingungen der Aufklärung. Philosophische Untersuchungen zu einer Aufgabe der Urteilskraft. Weilerswist 2008, S. 550 ff. – Zur integrierenden Funktion der Urteilskraft siehe auch C. Bickmann: »Die eingebettete Vernunft in Kants ›Kritik der Urteilskraft‹. Wechselintegration vereint-entgegengesetzter Sphären«. In: Die Vollendung der Transzendentalphilosophie in Kants »Kritik der Urteilskraft«. Hrsg. v. R. Hiltscher, S. Klingner u. D. Süß. Berlin 2006, S. 19–39. 189 I. Kant: KdU, S. 132 (B 108).

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Die Perspektive der Urteilskraft

scheint. Doch spiegele sich in einem solchen Verhalten gegenüber dem Göttlichen, das primär von Furcht und dem Bewusstsein der eigenen Unwürdigkeit gekennzeichnet ist, die spezifisch religiöse Erhabenheit keinesfalls wider. Den vorangegangenen Analysen Kants gemäß ist nämlich für die Empfindung des Erhabenen eine spezifische »Gemütsverfassung« 190 erforderlich, die frei von subjektiven Stimmungsaufwallungen, wie sie Angst und Niedergeschlagenheit darstellen, ist. Der Betrachter des Erhabenen darf sich selbst nicht als direkt betroffenes Objekt derjenigen Macht begreifen, die das Gefühl des Erhabenen auslöst; andernfalls würde die Empfindungsqualität des Erhabenen zerstört. Dieser Befund gilt für Naturphänomenene, die als ›erhaben‹ erlebt werden können (Kant selbst nennt etwa »Vulkane in ihrer ganzen zerstörenden Gewalt, Orkane mit ihrer zurückgelassenen Verwüstung, der grenzenlose Ozean in Empörung gesetzt, ein hoher Wasserfall eines mächtigen Flusses u. dgl.« 191), sofern der Betrachtende nicht als Opfer von den Naturgewalten betroffen ist, aber er gilt auch für das Erhabene Gottes, welches nur erlebt werden kann, wenn der/die Erlebende von Empfindungen wie Furcht, Zorn, Traurigkeit, schlechtem Gewissen etc. befreit ist. Um »die götttliche Größe zu bewundern«, sei, so Kant, »eine Stimmung zur ruhigen Kontemplation und ganz freies Urteil erforderlich« 192. Diese Stimmung kann aber letztlich nur durch einen moralischen Lebenswandel bewirkt werden, der dazu führt, dass das Subjekt nach bestem Wissen und Gewissen keine unbegründete Furcht vor Gott in seiner Rolle als Weltenrichter mehr zu haben braucht. In diesem ruhigen, befreiten, ›gereinigten‹ Gemütszustand kann die Idee der Erhabenheit Gottes empfunden werden, indem der Kontemplierende »eine dessen Willen gemäße Erhabenheit der Gesinnung bei sich selbst erkennt«. Zwar würde Kant diese Struktur der Gotteserkenntnis durch Selbsterkenntnis nicht in denselben Worten beschreiben wie die Mystiker; aber die Identifikation des eigenen Seelenfünkleins mit dem Göttlichen besagt letztlich genau dies: in einem ethisch befriedeten Bewusstseinszustand die Identität des eigenen Guten mit dem göttlichen Guten zu verspüren. »Auf solche Weise allein«, so führt Kant diesen Gedankengang in § 28 der Kritik der Urteilskraft zu Ende, »unterscheidet sich innerlich Religion von Superstition; welche letz190 191 192

Ebd. Ebd., S. 128 f. (B 104). Ebd., S. 132 (B 108).

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Interreligiöse Dissense aus philosophischer Perspektive

tere nicht Ehrfurcht für das Erhabene, sondern Furcht und Angst vor dem übermächtigen Wesen, dessen Willen der erschreckte Mensch sich unterworfen sieht, ohne ihn doch hochzuschätzen, im Gemüte gründet; woraus denn freilich nichts als Gunstbewerbung und Einschmeichelung, statt einer Religion des guten Lebenswandels, entspringen kann.« 193 Es muss weiteren religionsphilosophischen Einzeluntersuchungen vorbehalten bleiben, transkulturelle Konvergenzen hinsichtlich der mystischen Erfahrung und ihrem expressiven Ausdruck zwischen Strömungen wie der christlichen Mystik, der jüdischen Kabbala, dem islamischen Sufismus, buddhistischen Schulen wie Yogācāra, Zen oder dem Tantrismus ausfindig zu machen. 194 Sofern sich mystisch Erlebtes in einer religiösen Sprache artikuliert, dringen in diese zwangsläufig kulturell sedimentierte Spezifika einzelner religiöser Systeme ein, wie sich unschwer etwa an der Christozentrik zahlreicher mittelalterlicher Mystikerinnen und Mystiker zeigen lässt. 195 Auch ist zwischen verschiedenen, stärker rational oder aber stärker affektiv orientierten Formen der Mystik zu unterscheiden. 196 Die entscheidende Gemeinsamkeit aber, in der mystische Expressionen über verschiedene religiöse Kulturen und Ausdrucksformen hinweg konvergieren, besteht in der verlockenden Aussicht, noch in dieser Welt im Lichte einer allumfassenden Liebe zu erwachen und neu geboren zu werden: eine Erfahrung, welche die Grenzen des Sagbaren transkulturell transzendiert. Ebd., S. 132 f. (B 109). Siehe diesbezüglich etwa A. Sakaguchi: Sprechakte der mystischen Erfahrung. Eine komparative Studie zum sprachlichen Ausdruck von Offenbarung und Prophetie. Freiburg/München 2015; M. Smith: Studies in Early Mysticism in the Near and Middle East. Oxford 1995; I. Almond: »Divine Needs, Divine Illusions: Preliminary Remarks Toward a Comparative Study of Meister Eckhart and Ibn Al-ʿ Arabi.« In: Medieval Philosophy and Theology (2001), S. 263–282. Eine wegweisende komparative Untersuchung europäischer und ostasiatischer Mystikformen hat R. Otto bereits 1926 vorgelegt: West-östliche Mystik. Vergleich und Unterscheidung zur Wesensdeutung. Dritte Auflage, überarbeitet von G. Mensching. München 1971. 195 Roesner (2017, S. 162) nennt exemplarisch »Bernhard von Clairvaux, Johannes Tauler, Heinrich Seuse, Teresa von Ávila, Johannes vom Kreuz oder Therese von Lisieux«. Als weitere wichtige Vertreterin christozentrischer Mystik ließe sich Mechthild von Magdeburg dieser Liste hinzufügen; siehe dies.: Das fließende Licht der Gottheit. Stuttgart-Bad Canstatt 1995. 196 Diesbezüglich wäre vor allem »zwischen spekulativer Intellektmystik, ekstatischer Affektmystik und pantheistischer Naturmystik« (Roesner 2017, S. 167) zu differenzieren. 193 194

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Resümee

Ausgangspunkt der durchgeführten Untersuchungen zur religiösen Vernunft war die doppelte Problematik interreligiöser und religiössäkularer Dissense. Wie, so lautete die zentrale Frage, ist mit der Koexistenz kognitiv dissonanter religiöser und säkularer Überzeugungen rational angemessen umzugehen – und zwar in einer Form, die sowohl philosophisch hinreichend fundiert als auch für die Anhänger religiöser Gemeinschaften akzeptabel wäre? Bezogen auf die einschlägigen Grundpositionen des religiösen Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus wurde zunächst exemplarisch die religionspluralistische Auffassung J. Hicks näher erörtert, deren Lösungsansatz jedoch als unzureichend aufgewiesen wurde. Es zeigte sich in diesem Zusammenhang, dass die abstrahierende Redeweise von religiösen Wahrheitsansprüchen (truth claims) innerhalb der Epistemologie religiöser Dissense nicht dazu geeignet ist, den unterschiedlichen Ebenen Rechnung zu tragen, auf denen religiöse Geltungsansprüche überhaupt erhoben werden, zumal diese in ihrer Reichweite und prätendierten Exklusivität von Religion zu Religion und sogar innerhalb einer Religion differieren. Für die philosophische Deutung interreligiöser Divergenzen erscheint es daher als wenig zielführend, von irgendwelchen subjektiven religiösen Überzeugungen aus einer potentiell unendlichen Vielfalt religiöser Systeme auszugehen. Stattdessen sollte sich die Religionsphilosophie mit den divergierenden Gehalten der konkreten Weltreligionen selbst konfrontieren und diese in ihren unterschiedlichen Wahrheitsbeanspruchungen möglichst differenziert analysieren und interpretieren. In dieser methodischen Hinsicht lässt sich, wie insbesondere im II. Teil der Untersuchung gezeigt wurde, von der Religionsphilosophie des Deutschen Idealismus, die im angelsächsischen Diskurs über religiöse Pluralität viel zu wenig Beachtung findet, eine Menge lernen. Als ein wichtiger Referenzpol der gegenwärtigen religionsphi469 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Resümee

losophischen Diskussion um religiöse Diversität fungiert hingegen regelmäßig die Philosophie Kants – bezeichnenderweise jedoch nicht primär die originäre Religionsphilosophie Kants, sondern vielmehr die kantische Erkenntnistheorie, insbesondere die Unterscheidung zwischen »empirisch/phänomenal« und »aprori/noumenal«, die von Autoren wie Hick oder Ph. Quinn auf das Feld der Religion(en) übertragen wird. Demgegenüber lautete unsere These, dass es für die Untersuchung religiöser sowie religiös-säkularer Dissense wesentlich vielversprechender sei, einerseits die religionsphilosophischen Überlegungen Kants und seiner idealistischen und postmetaphysischen Nachfolger einer genauen und kritischen Revision zu unterziehen und zum anderen die kantische Differenzierung unserer Weltzugänge in theoretische und praktische Vernunft sowie Urteilskraft auf das Feld der Religionsphilosophie zu übertragen. Die Applikation dieser auch sprachphilosophisch (als konstative, normative und expressive Aussagen) rekonstruierbaren Hinsichten auf interreligiöse Dissense sollte, so die leitende Intention, interkulturelle Divergenzen und transkulturelle Konvergenzen der Weltreligionen in ihrer Differenziertheit philosophisch sichtbar machen können. Ein weiteres Defizit der zeitgenössischen analytischen Religionsphilosophie wurde darin gesehen, dass diese in der Auswahl ihrer Themenstellungen, Referenzen und Lösungsansätze in weiten Teilen von einer nicht genügend reflektierten kulturellen Vorprägung durch die christliche Religion dominiert wird – und zwar auch dort, wo es doch gerade um die Reflexion auf irreduzible religiöse Diversität gehen sollte. Es stellt daher ein notwendiges Desiderat dar, die ›westliche‹ Religionsphilosophie mit starken religiösen Traditionen zu konfrontieren, die innerhalb ihres Diskurses bislang nur unzureichend thematisiert wurden. Für die vorliegende Untersuchung wurde entschieden, als eine solche gleichsam von außen destabilisierende Tradition den Buddhismus heranzuziehen, der dazu vor allem wegen seiner von den Prämissen der abendländischen Metaphysik deutlich abweichenden antisubstantialistischen »Ontologie« der Prozessualität und Relationalität geeignet erscheint. Als der adäquate epistemische Ort für komparatistische Analysen religiöser Überzeugungen wurde eine interkulturell orientierte Religionsphilosophie namhaft gemacht, deren Konturen im I. Teil (»Zur Fundierung einer interkulturell orientierten Religionsphilosophie«) dargelegt wurden. Vom ›Mainstream‹ der zeitgenössischen Diskussion religiöser Diversität unterscheidet sich der Ansatz inter470 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Resümee

kultureller Religionsphilosophie insofern, als diese das religionsphilosophische Themenspektrum nicht auf Fragen nach der theoretisch begründbaren oder bestreitbaren Existenz Gottes sowie nach der subjektiven Rechtfertigung religiöser Überzeugungen verengen möchte, sondern zum einen philosophisch relevante Gehalte aus theistischen und nicht-theistischen Religionsformen verschiedener Kulturen reflektiert und zum anderen im Zuge dieser Reflexionsbemühungen die Grenzbestimmungen zwischen Religionen und Philosophien, Glauben und Wissen selbst noch einmal einer kritischen Reflexion unterzieht. In dieser Ausrichtung kann sich interkulturelle Religionsphilosophie – neben der Bezugnahme etwa auf die mittelalterliche Tradition der philosophischen Religionsdialoge – eng an eine Strömung innerhalb der modernen Reflexionsgeschichte des Themas Glauben und Wissen anschließen, die von Kants Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft über die religionsphilosophischen Arbeiten der Deutschen Idealisten, insbesondere Hegels und Schellings, bis zur postmetaphysischen Auseinandersetzung mit Religion bei Habermas und Derrida reicht. Um die inter- und transkulturellen Potentiale und Defizite dieser Positionen präzise auszuloten und für die Belange einer interkulturell ausgerichteten Religionsphilosophie fruchtbar zu machen, wurden im II. Teil »Relationsbestimmungen zwischen Glauben und Wissen in der kantischen und nachkantischen Religionsphilosophie« systematisch analysiert und die Lösungsansätze, welche die genannten Positionen für die Problematik interreligiöser und religiös-säkularer Dissense bieten, in interkultureller Perspektive diskutiert. Die Rekonstruktion der religionsphilosophischen Überlegungen Kants konnte u. a. zeigen, dass die kantische Kritik der Gottesbeweise, die primär erkenntnistheoretisch fundiert ist, durchaus auch auf neuere Versuche angewendet werden kann, theoretische Argumente für die Existenz Gottes etwa aus der Modallogik, der ›Big Bang‹-Kosmologie oder dem ›Fine-Tuning‹ der Naturkonstanten zu gewinnen; denn letztlich handelt es sich hierbei um nichts anderes als um ontologische, kosmologische und teleologische Gottesbeweise in neuem Gewand und mit abgespecktem Geltungsanspruch. Fruchtbare Impulse für eine interkulturell erweiterte Religionsphilosophie lassen sich vor allem der kantischen Distinktion zwischen Vernunft- und Offenbarungsreligion entnehmen: Während der Aspekt der Offenbarung den innerhalb einer Kultur gültigen und daher aus kantischer Sicht nur empirisch-historisch-statutarischen Be471 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Resümee

standteil einer Religion ausmacht, kristalliert sich im Vernunftkern einer Religion deren transkulturelle moralische Verbindlichkeit. Kant ist der Auffassung, dass ein religiöses Subjekt, indem es Mitglied einer bestimmten historischen Religionsgemeinschaft ist, simultan am universellen, reinen Vernunftglauben partizipieren kann – denn täte es dies nicht, würde dies bedeuten, dass die betreffende Religion keinen venünftigen Kern besäße und damit ungültig wäre. Darüber hinaus entwirft die kantische Religionsphilosophie eine kühne geschichtsphilosophische (in der Realität freilich bislang nicht bestätigte) Perspektive, derzufolge alle bloß kulturell produzierten religiösen Vorschriften und Doktrinen allmählich zu Gunsten der transkulturellen moralischen Essenz des Religiösen verschwinden werden. Hier zeichnen sich bereits Motive einer teleologischen Religionsbetrachtung ab, wie sie die idealistischen Nachfolger Kants, insbesondere Hegel und Schelling, in ihren universalgeschichtlichen Rekonstruktionen religiöser Vernunft (bzw. der Vernunft innerhalb der Religion) unter Einbeziehung eines breiten Spektrums mythologischer und religiöser Formationen durchgeführt haben. Über den kantischen Ansatz geht die Religionsphilosophie des Deutschen Idealismus insofern hinaus, als sie die Vernünftigkeit von Religion nicht einseitig in der Sphäre der Moralität verortet, sondern auch die theoretisch-doktrinalen Gehalte von Religion erneut berücksichtigt und im Lichte eines überaus ambitionierten Geist- und Vernunftbegriffs hinsichtlich ihrer begrifflichen Genese neu zu deuten versucht. Dabei beziehen Hegel und Schelling eine bemerkenswerte Bandbreite an religiösen Positionen aus verschiedenen Kulturen in ihre Darlegungen ein, deren interkulturelle Differenziertheit in der gegenwärtigen Debatte um religiöse Dissense in der Regel nicht einmal ansatzweise erreicht wird. Ein weiterer systematischer Anknüpfungspunkt für interkulturelle religionsphilosophische Untersuchungen liegt in dem sowohl von Hegel als auch von Schelling gegenüber Kant herausgestellten Aspekt einer internen Prozessualität religiöser Vernunft. Problematisch ist an der idealistischen Religionsphilosophie jedoch zum einen ihr prätendierter absoluter Standpunkt, der insbesondere beim späten Schelling die Schwelle zur theosophischen Spekulation bisweilen deutlich überschreitet, und zum anderen die einseitige teleologische Ausrichtung der Religionsbetrachtung auf die bestimmte Religion des Christentums, welche als die ›absolute Religion‹ schlechthin gilt und somit als Maßstab für alle anderen Religionen fungiert. Bei allen Gemeinsamkeiten der idealistischen Reli472 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Resümee

gionsphilosophien darf freilich auch nicht übersehen werden, dass Hegel und Schelling in der Verhältnisbestimmung von Glauben und Wissen zu fundamental anderen Ergebnissen gelangen: Löst sich im reifen System Hegels das genuin Religiöse in der dialektischen Selbstentwicklung des philosophischen Begriffs geradezu auf, so reserviert Schelling mit seiner Distinktion von negativer und positiver Philosophie innerhalb der letzteren einen Bereich des unvordenklichen Seins, der von der Vernunft vorausgesetzt werden muss, aber selbst nicht mehr diskursiv entwickelt werden kann. Dezidiert postmetaphysische Positionen wie diejenigen Habermas’ und Derridas, die sich in ihren Beiträgen zur Religion immer wieder explizit auf die kantische Religionsphilosophie beziehen, vertreten gegenüber dem idealistischen, aber auch gegenüber dem transzendentalen Vernunftbegriff eine in ihrer Erschließungskraft deutlich depotenzierte Vernunft. Diese darf sich Habermas zufolge nicht länger als Evaluationsinstanz religiöser Wahrheiten gerieren, soll sich aber gleichwohl interessiert an einem auf Augenhöhe geführten Dialog mit den Religionen zeigen. In diesem Zusammenhang wurde ein interner Widerspruch in Habermas’ Argumentation aufgewiesen, der daraus entsteht, dass die säkulare Vernunft im Prinzip an der evolutionistischen Gedankenfigur einer sukzessiven Versprachlichung des Sakralen festhält, andererseits aber als Alleinstellungsmerkmal des Religiösen ausgerechnet das archaische Moment des Ritus bestimmt, der soziale Bindekräfte frei setzt, welche die Vernunft aus eigener Kraft nicht bereit zu stellen vermag. Das authentisch Religiöse wäre somit jenes, was sich der Übersetzbarkeit in einen allgemein zugänglichen, rationalen Diskurs vollkommen entzieht; zugleich hat aber die säkulare Vernunft laut Habermas ein angesichts des grassierenden Naturalismus und entfesselten Kapitalismus verstärktes Interesse daran, religiöse Intuitionen in einen allgemein zugänglichen, rationalen Diskurs zu übersetzen. Sobald sie dies aber versucht, geht ihr das genuin Religiöse, das im Ritus verortet wird, unmittelbar verloren. Offensichtlich kann es unter der Prämisse einer absoluten Trennung von Glauben und Wissen, die Habermas voraussetzt, obwohl er andererseits ihre gemeinsame achsenzeitliche Genealogie betont, überhaupt keine wechselseitigen und fruchtbaren Translationen zwischen Religionen und Philosophie geben. Derridas Überlegungen zur Religion wiederum führen zu einem entgegengesetzten Problem: In einer transzendentalen Geste, die explizite Anleihen bei der kantischen Religionsphilosophie macht, pos473 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Resümee

tuliert Derrida die Einräumung eines eröffnenden Vertrauens auf die Antwort des/der Anderen als einen Bereich, welcher der Unterscheidung von Religiosität und Spiritualität, von Religion und Philosophie noch voraus liegen soll. In dieser abstrakten Sphäre des antizipierenden Vertrauens auf den/die/das Andere, auf die sowohl die Religionen als auch die säkulare Vernunft angewiesen sind, weil sie Derrida zufolge die Bedingung der Möglichkeit jeglicher Verlautbarung und Äußerung darstellt, sind die Differenzen zwischen Religion und Philosophie nivelliert. Aber es scheint, als ob die pseudo-transzendentale Einebnung des Unterschieds von religiöser und säkularer Vernunft, die Derrida vornimmt, ebenso wenig zu einem gehaltvollen inhaltlichen Dialog beider Bereiche beiträgt wie ihre strikte Ebenentrennung bei Habermas. Der III. Teil der Untersuchung (»Interkuturelle Divergenzen und transkulturelle Konvergenzen zwischen den Weltreligionen«) hat einen Ausblick darauf gegeben, wie interkulturelle Religionsphilosophie vor dem Hintergrund einer produktiven Aneignung der im II. Teil analysierten Positionen potentielle Konvergenzpunkte und Konfliktlinien zwischen den Weltreligionen und säkularer Philosophie ermitteln kann. An Beispielen aus dem Buddhismus, dem Christentum und dem Islam wurden Orte philosophischer Reflexion innerhalb des komplexen Gesamtsystems »Religion« komparativ bestimmt. Anhand des ›Zwei Wahrheiten‹-Theorems, das sich in den drei herangezogenen Weltreligionen auf jeweils unterschiedliche Weise darstellt, wurden relevante Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Buddhismus, Christentum und Islam in Bezug auf ihr jeweiliges Verhältnis zur Philosophie aufgezeigt. Es wurde deutlich, dass philosophisches Denken – außer in einigen wenigen der Häresie verdächtigen Fällen – nicht das ultimative Ziel des religiösen Heilswegs erreicht, sondern dass sie diesen mit den Mitteln rationaler Diskursivität nur bis zu einem bestimmten Punkt unterstützend begleiten kann. Jenseits dieses Punktes ist der/die religiös Engagierte gleichsam auf eine ›Erhebung‹ in einen anderen, trans-rationalen Bereich angewiesen, der seine beglaubigende Evidenz direkt aus göttlicher Eingebung, Gnade oder meditativ gewonnener Erleuchtung oder indirekt aus dem Vertrauen auf die Offenbarung heiliger Schriften oder religiöser Instanzen erhält. Diese Erkennnisquellen sind für die säkulare Vernunft zwar tabu; aus der Perspektive der religiösen – hier im einschränkenden Sinne einer religionsimmanenten – Vernunft mag es aber gleichwohl rational sein, ihnen Vertrauen zu 474 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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schenken, sofern dieses Vertrauen nicht zu Überzeugungen führt, welche den theoretischen und praktischen Einsichten der säkularen Vernunft widersprechen. Im letzten Abschnitt der Untersuchung (Kap. II des Dritten Teils) wurde exemplarisch gezeigt, inwiefern sich interreligiöse Dissense anhand der dreifachen kantischen Differenzierung menschlicher Weltzugänge religionsphilosophisch analysieren lassen. Es wurde dafür argumentiert, dass aus der Perspektive der theoretischen Vernunft zentrale konstative Aussagen der Weltreligionen (Buddhismus, Christentum, Islam) logisch nicht auflösbare und empirisch nicht entscheidbare Divergenzen aufweisen – insbesondere betrifft dies den Gegensatz der fundamentalen Seinsauffassungen der abrahamitischen Religionen und des Buddhismus –, dass sie aber gleichwohl jeweils komplementäre Beziehungsmodelle von Identität und Differenz resp. Relationalität, Prozessualität entwickeln (etwa in der Relation der Welt als Schöpfung zu Gott, im Binnenverhältnis der göttlichen Hypostasen im christlichen Trinitätsgedanken oder in der Relation von samsara und nirvana im Buddhismus). Aus der Sicht der praktischen Vernunft zeigte sich eine partielle Kompatibilität normativer Aussagen bezogen auf ethische Intuitionen, Prinzipien und Normen sowohl der Weltreligionen (Buddhismus, Christentum, Islam) untereinander als auch bezogen auf ihre Übereinstimmung mit rational gerechtfertigten moralischen Grundsätzen, an denen sich religiöse Gebote freilich auch messen lassen müssen. Diesbezüglich wurden drei Sorten religiöser Normen unterschieden: 1.) normative Aussagen der Religionen, die fundamentalen Menschenrechten und -pflichten widersprechen und die daher aus der Perspektive der praktischen Vernunft abzulehnen sind (beispielsweise die Aufforderung zum Heiligen Krieg); 2.) normative Aussagen der Religionen, die nur innerhalb eines spezifisch religiös-kulturellen Kontextes begründbar sind, die aber mit der praktischen Vernunft nicht in Widerstreit stehen, sodass sie als moralisch neutrale Verhaltensgebote toleriert werden können (z. B. bestimmte religiös begründete Kleidungsvorschriften); 3.) normative Aussagen der Religionen, die im Einklang mit der praktischen Vernunft stehen (beispielsweise die Gebote, sozial Schwächeren zu helfen und den persönlichen Egoismus einzuschränken). Bezüglich dieser zuletzt genannten Kategorie religiöser Normen wurden fünf ethische Intuitionen benannt, welche die Weltreligionen (Buddhismus, Christentum, lslam) im Prinzip miteinander teilen, sodass tatsächlich zu Recht von einer partiellen 475 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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Kompatibilität der Weltreligionen in ethischer Hinsicht gesprochen werden kann. Die Perspektive der Urteilskraft führte schließlich in einer exemplarischen Zusammenschau expressiv-mystischer Aussagen über das religiös Erhabene aus unterschiedlichen religiösen Traditionen zu der begründeten Einsicht, dass in den mystischen Traditionen der Weltreligionen transkulturelle Konvergenzen zu entdecken sind. In der christlichen Mystik, der jüdischen Kabbala, dem islamischen Sufismus, in buddhistischen Schulen wie Yogācāra, Zen, Tantrismus und vielen weiteren religiösen Strömungen liegen Zeugnisse subjektiver Transzendenzerfahrungen vor, die aus Sicht der ästhetischen Urteilskraft als paradoxale Diskurse des Erhabenen dechiffriert werden können und die zugleich in ihrer Faktizität interreligiös und transkulturell vergleichbare Erfahrungen dokumentieren, über deren Wahrheitsgehalt die säkulare Philosophie sich freilich eines Urteils enthalten muss, denn, wie es Wittgenstein unübertrefflich formulierte: »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.« 197 Was Wittgenstein hierbei jedoch unterschlägt, ist, dass sich zahlreiche Mystiker aus verschiedenen religiösen Traditionen keineswegs an dieses Schweigegebot gehalten haben, sondern im Gegenteil überaus beredte Diskurse produziert haben. Sogar Wittgenstein selbst hält das von ihm aufgestellte Redeverbot nicht vollkommen ein, wenn er in Satz 6.43 seines Tractatus immerhin konstatiert: »Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.« 198 * * * Zur Wahrheit der Religion gehört unaufhebbar, dass sie sich stets in spezifischen Kulturen ausprägt; aber wahr ist sie nur, sofern sie ihre immanente Kulturalität zugleich auch zu transzendieren vermag. Deswegen bewegt sich religiöse Vernunft in einem Spannungsverhältnis, das aus der philosophischen Außenperspektive folgendermaßen beschreibbar ist: Durch die kulturelle Einbettung einer Religion gewinnt diese an sinnlicher Konkretion und habitueller L. Wittgenstein: Logisch-philosophische Abhandlung. Tractatus logico-philosophicus. Kritische Edition. Hrsg. v. B. McGuinness u. J. Schulte. Frankfurt a. M. 1989, S. 178. 198 Wittgenstein: Logisch-philosophische Abhandlung, op. cit., S. 251. 197

476 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

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Verankerung bei ihren Anhängern; Aspekte wie die Einhaltung des Festkalenders, rituelle Verrichtungen, mythische Erzählungen, religiös geprägte Formen des Sich-Kleidens und Sich-Ernährens etc. bezeugen gleichsam dadurch, dass sie performativ vollzogen und rituell wiederholt werden, ihre genuine Wahrheit. Aus Sicht der religiös Engagierten mag es ›vernünftig‹ erscheinen, das aus kulturell-religiöser Tradition Gebotene zu tun. Aber diese interne Rationalität der Religionen, die das Religiöse als eine spezifische Differenz der allgemeinen Bestimmung der Vernunft hinzufügt, ist nicht deckungsgleich mit einer zweiten Form religiöser Vernunft, die letztlich keine andere ist als jenes Vermögen, das Menschen dazu befähigt, systematische Erkenntnisse über die Wirklichkeit zu gewinnen, allgemein zustimmungsfähige, inklusive Normen des Zusammenlebens zu begründen und Dissense mit argumentativen Mitteln auszutragen. Damit religiöse Vernunft in dieser zweiten, transkulturellen Bedeutung im Bewusstsein der religiös Beteiligten zum Tragen komme, ist eine Sensibilisierung für die Differenz zwischen jenen Komponenten einer Religion, die sich nur aus einer bestimmten kulturellen Tradition heraus verstehen lassen, und jenen religiösen Primärkomponenten, für die sich über eine spezifische Kulturtradition hinausweisende Gründe oder Evidenzen geltend machen lassen, erforderlich. Diese Binnendifferenzierung kann zwar letztlich nur von den Anhängern einer jeweiligen Religionsgemeinschaft selbst vorgenommen werden; gleichwohl kann religionsphilosophische Reflexion aber dazu beitragen, die Momente ›nur kulturell‹-religiöser und ›transkulturell‹religiöser Rationalität innerhalb einer Religion sowie zwischen verschiedenen religiösen Systemen deutlicher herauszuarbeiten. Als sinnfälliges Modell kann bei dieser Ebenendifferenzierung das kantische Bild von den konzentrischen Kreisen dienen, deren äußerer das weite Feld der empirisch-kulturellen Sekundärkomponenten von Religion umfasst, die keinen Anspruch auf Verallgemeinerung und universale Geltung beanspruchen können, während der innere Kreis den transkulturellen Kern religiöser Primärkomponenten beinhaltet. Im Unterschied zur kantischen Auffassung kann eine interkulturell orientierte Religionsphilosophie jedoch nicht per se davon ausgehen, dass dieser Kern mit einem formalen moralischen Grundsatz identisch ist, der sich in allen Religionen wiederfinden ließe, sofern er mit dem obersten Gesetz der reinen praktischen Vernunft identisch ist. Die partielle Kompatibilität ethischer Grundsätze der Weltreligionen – untereinander sowie mit fundamentalen Intuitionen und Ein477 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Resümee

sichten praktischer Vernunft – stellt zweifellos ein wichtiges Moment des ›inneren‹ konzentrischen Kreises der Weltreligionen dar. Aber dieser umgreift – anders, als es Kant wahr haben wollte – mehr als nur den moralischen Nukleus, nämlich zugleich auch die interreligiös strittige, in ihrer Gegensätzlichkeit allenfalls als komplementär zu betrachtende (ontologische) Spannung zwischen Identität, Substantialität, Ewigkeit (Gottes) auf der einen und Differenz, Prozessualität und Leere (im buddhistischen Sinne) auf der anderen Seite. Und schließlich gehören zum inneren Kreis der Religion auch diejenigen Momente der Mystik, für die sich anhand ihrer expressiv-paradoxalen Verlautbarungen transkulturelle Konvergenzen ermitteln lassen, auch wenn das von ihnen Gesagte rational-diskursiv nicht in eine allgemein zugängliche Sprache ›übersetzt‹ werden kann. Die ›Transkulturalisierbarkeit‹ religiöser Überzeugungen nimmt somit jeweils eine andere Bedeutung an, je nachdem, ob religiöse Überzeugungen aus der Perspektive der theoretischen Vernunft, der praktischen Vernunft oder der Urteilskraft betrachtet werden, oder, anders gesagt: je nachdem, ob es sich um konstative, normative oder expressive Aussagen aus einem religiösen Kontext handelt. Konstative religiöse Aussagen wie z. B. ›Ein allmächtiger Gott hat die Welt erschaffen‹ entziehen sich zwar nach allem, was wir seit der kantischen Erkenntniskritik über die Leistungsgrenzen unserer kognitiven Vermögen wissen, einer letztgültigen Verifizierbarkeit. Gleichwohl ist es möglich und sinnvoll, derartige Aussagen in ihren Prämissen und Konsequenzen zu erwägen und die Plausbilität jener Argumente zu prüfen, die für oder gegen sie sprechen. Die unaufhebbare Divergenz konstativer religiöser Aussagen qualifiziert sie nicht als gänzlich irrational, sondern fordert vielmehr zu einer vergleichenden Abwägung der unterschiedlichen religiösen Positionen heraus, als deren Forum eine um Neutralität bemühte interkulturelle Religionsphilosophie fungieren kann. Dies gilt auch im Hinblick auf normative religiöse Aussagen, wenngleich sich hier, wie gezeigt wurde, eine größere Schnittmenge an kompatiblen Grundsätzen, Normen und Werten zwischen den Weltreligionen sowie zwischen diesen und einer säkular begründeten Moral feststellen lässt. Die Transkulturalität expressiver religiöser Aussagen, die dem Bereich der Mystik angehören, ergibt sich dagegen nicht aus einer möglichen Übersetzung ihres Gesagten in einen rationalen Diskurs. Vielmehr obliegt es in diesem Fall einer interkulturell geschulten Urteilskraft, aus den subjektiven Zeugnissen mystischer Rede unterschiedlicher religiös-kul478 https://doi.org/10.5771/9783495817339 .

Resümee

tureller Provenienz Konvergenzpunkte zu ermitteln, welche nahe legen, dass jene subjektiven Erfahrungen, von denen in mystischen Überlieferungen die Rede ist, über den situativen Kontext einzelner religiöser Traditionen hinausweisen. Für die Frage nach einem rationalen Umgang mit religiöser Diversität und religiös-säkularer Divergenz ist nunmehr durch die Ergebnisse der Untersuchung gegenüber dem bisherigen Forschungsstand zur Epistemologie religiöser Dissense einiges gewonnen. Die vorgeschlagene religionsphilosophische Weitwinkelperspektive ermöglicht es, von der konkreten kulturellen Einbettung einer Religion zu abstrahieren, ohne jedoch deren spezifische, philosophisch relevante Gehalte in einer abstrakten Rede von ›religious truth claims‹ zum Verschwinden zu bringen. Gleichzeitig entgeht die an der kantischen dreifachen Differenzierung unserer Weltzugänge orientierte Differenzierung religiöser Aussagebereiche dem Selbstanwendungsdilemma, in das sich der Hick’sche Religionspluralismus verstrickt, wenn er sämtlichen Religionen einen stets nur empirisch-kulturellen Zugang zu einer allen Religionen gemeinsamen, aber unerreichbaren noumenalen Realität zuschreibt. Demgegenüber erhebt interkulturelle Religionsphilosophie nicht den vermessenen Anspruch, das allen Religionen Gemeinsame ausmitteln zu können und dadurch zugleich sämtliche Religionen in ihrem Selbstverständnis zu relativieren, sondern sie versucht möglichst genau Konvergenz- und Divergenzmomente religiöser Aussagen und Überzeugungen in ihrem Verhältnis zu jeweiligen Aspektierungen unseres Vernunftvermögens auszuloten. Im Ergebnis führt diese ›Philosophie der religiösen Vernunft‹ aber nicht nur zu einer differenzierteren philosophischen Perspektive auf interreligiöse und religiös-säkulare Dissense, sondern auch zu einer Auffassung von Religion, welche sich die Anhänger religiöser Gemeinschaften zu eigen machen können, ohne dadurch in einen Widerstreit mit ihren religiösen Überzeugungen zu geraten. Voraussetzung dafür ist, dass sie eine Ebenendifferenzierung vornehmen, die bereits im Hinblick auf die Prüfung religiöser Normen und Verhaltensvorschriften zur Anwendung gekommen ist. Demnach lassen sich religiöse Überzeugungen und Praktiken in drei Kategorien aufgliedern: 1.) religiöse Überzeugungen, die rationalen Einsichten, über die wir sicher verfügen, widersprechen (z. B. der Glaube an übernatürliche Wunder oder die Geltung religiöser Vorschriften, welche im

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Resümee

Gegensatz zu fundamentalen Menschenrechten stehen) und die deswegen nicht geglaubt werden müssen, ja sogar dürfen; 2.) religiöse Überzeugungen, die vernünftigen Einsichten nicht widersprechen, die aber auch nicht positiv durch rationale Gründe gestützt werden können, und die toleriert werden können, weil sie z. B. zur Stabilisierung kultureller Identität beitragen; 3.) religiöse Überzeugungen, die mit vernünftigen Einsichten übereinstimmen (z. B. hinsichtlich der Relevanz bestimmter metaphysischer Grundfragen und ihrer grundlegenden Lösungsansätze oder hinsichtlich der Herstellung menschenwürdiger und friedlicher Zustände) und die daher unbedingt zu fördern sind – sie machen, ganz im Sinne Kants, den eigentlichen Kern des Religiös-Vernünftigen aus. Die Vorteile dieser Ebenendifferenzierung religiöser Vernunft auch und gerade für den/die Gläubigen liegen auf der Hand: In dem Bewusstsein, dass Religion vernunftkompatible Momente der dritten Sorte beinhaltet, können auch die rein kulturellen Komponenten der zweiten Sorte mit einem größeren Maß an begründeter Überzeugung praktiziert werden. Ein bloß rituelles Gebaren aus Tradition ohne jedwede ›vernünftige‹ Intention enthüllt sich hingegen als leerer Schall und Rauch. Des Weiteren ist es Gläubigen auch angesichts religiöser Diversität selbstverständlich weiterhin möglich, für die jeweils eigene Religion zu werben; unter der entscheidenden Voraussetzung freilich, dass für ausschließlich kulturelle Komponenten ihrer Religion keine universellen Geltungsansprüche erhoben werden dürfen. Dies ist nur in Bezug auf diejenigen religiösen Momente statthaft, für die Gründe oder Evidenzen angegeben werden können, die auch ein anders- oder nichtgläubiger Mensch nachvollziehen kann, wenngleich der Nachvollzug noch keine zwangsläufige Zustimmung impliziert. Die hier vorgeschlagene differenzierte Interpretation religiöser Vernunft sieht keinen Widerspruch zwischen faktischer religiöser Pluralität und dem Prinzip der religiösen Missionierung, sofern sich diese auf Gründe stützt. Es stellt keineswegs ein per se erstrebenswertes Ziel dar, dass sämtliche Anhänger einer Religion unter allen Umständen derjenigen religiösen Kultur verhaftet bleiben, in der sie aufgewachsen sind. Denn, wie der jüdische Dialogpartner in Peter Abaelards Dialogus inter Philosophum, Judaeum et Christianum zu bedenken gibt:

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Resümee

»Omnes quidem homines dum parvuli sunt nec adhuc discretionis aetate pollent, constat eorum hominum fidem vel consuetudinem sequi, cum quibus conversantur, et eorum maxime, quos amplius diligunt. Postquam vero adulti sunt, ut jam proprio regi possint arbitrio, non alieno sed proprio committi judicio debent, nec tam opinionem sectari quam veritatem scrutari convenit.« 199

P. Abaelard: Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen, op. cit., S. 22. (Dt. Übers. ebd., S. 23: »Gewiss steht es fest, daß alle Menschen, solange sie Kinder und noch nicht im Lebensalter der Klugheit gefestigt sind, dem Glauben oder der Gewohnheit jener Menschen folgen, mit denen sie verkehren, und am meisten derjenigen, die sie besonders lieben. Nachdem sie aber herangewachsen sind, so daß sie sich von ihrem eigenen Ermessen leiten lassen können, dürfen sie sich nicht dem fremden, sondern nur dem eigenen Urteil anvertrauen; und es gehört sich nicht mehr so sehr, einer Meinung zu folgen, als die Wahrheit zu erforschen.«) 199

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Literaturverzeichnis

In der nachfolgenden Bibliographie sind sämtliche philosophischen Werke, Monographien aus dem Bereich der Sekundärliteratur, Aufsätze aus Sammelbänden und Fachzeitschriften, Lexikonartikel und Handbücher aufgeführt, die für die vorliegende Untersuchung verwendet wurden. Dazu gehören auch Titel, die im Anmerkungsapparat des Textes nicht eigens zitiert werden, die aber im Laufe der Recherchen gleichwohl konsultiert wurden. Zur Zitierweise von Aufsätzen aus Sammelbänden und Handbuchartikeln ist anzumerken: Wurde aus einem Sammelband oder Handbuch nur ein einziger Artikel zitiert, so wird in der Regel nur dieser betreffende Artikel ausgewiesen. Bei mehreren zitierten Artikeln aus demselben Band wird der Sammelband oder das Handbuch, aus denen die Artikel stammen, mit einem eigenen Eintrag aufgeführt. Abaelardus, Peter: Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen. Frankfurt a. M./Leipzig 2008 Aebischer-Crettol, Monique: Vers un œcuménisme interreligieux. Jalons pour une théologie chrétienne du pluralisme religieux. Paris 2001 Aertsen, Jan A./Emery, Kent, Jr./Speer, Andreas (Hrsg.): Nach der Verurteilung von 1277: Philosophie und Theologie an der Universität von Paris im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts. Studien und Texte. Berlin 2001 Aertsen, Jan A./Speer, Andreas: Was ist Philosophie im Mittelalter? Akten des X. internationalen Kongresses für mittelalterliche Philosophie der Société internationale pour l’étude de la philosophie médiévale, 25.–30. 8. 1997 in Erfurt. Berlin 1998 Agamben, Giorgio: Die Beamten des Himmels. Über Engel. Frankfurt a. M./ Leipzig 2007 • Ders.: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt a. M. 2002 • Ders.: Die Zeit, die bleibt. Ein Kommentar zum Römerbrief. Frankfurt a. M. 2006 Ahmad, Zahiruddin: An introduction to Buddhist philosophy in India and Tibet. New Delhi 2007

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