Reformation und Gewissensfreiheit 9783111388519, 9783111026862

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Reformation und Gewissensfreiheit
 9783111388519, 9783111026862

Table of contents :
Das Problem
Die Ansätze zur Gewissensfreiheit im Glauben -er Reformatoren
Der Sieg der Bindungen ūber die Freiheitsmotive
Preisgabe und Wahrungsversuche des Prinzips der Gewissensfreiheit in den Begründungen reformatorischer Zwangsmaßnahmen
Die Milderung der Ketzerftrafen und die Rückkehr zur Todesstrafe
Der Protest evangelischer Laien gegen Zwangsmatznahmen der Reformationskirchen
Der Toleranzgedanke evangelischer Außenseiter und sein Verhältnis zur Reformation
Zusammenfassung des Resultats
Ausblick auf den Durchbruch der modernen Gewissensfreiheit und ihr Verhältnis zur Reformation
Anmerkungen

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Reformation und Gewissensfreiheit von

Heinrich Hoffmann Dr. theol. et phil. Professor -er Nirchengeschichte an der Universität Bern

1932 Verlag von Alfred Opelmann in Gießen

Bus der Welt der Religion Forschungen und Berichte, unter Mitwirkung von

Heinrich Frick und Rudolf Gtto

herausgegeben von Erich Fascher und Gustav Mensching Religionswissenschaftliche Reihe, heft 18

printed in Gerinanq

von Münchorvsche Universitäts-Druckerei Gtto Kinöt G. m. b. y. in Lietzen

Vas Problem. weithin herrscht die Überzeugung, -atz Gewissensfreiheit und Protestantismus, Gewissensfreiheit und Reformation zusammenge­ hören. So dachten nicht nur die Rufklärungschristen und die Dichter und Philosophen des deutschen Idealismus, sondern es ist eine im protestantischen Bewußtsein der neueren Zeit überhaupt tief verwur­ zelte und den evangelischen Christen liebgewordene Überzeugung. Der Grundsatz der religiösen Gewissensfreiheit besagt, daß je­ dermann die Glaubensüberzeugung, die sich seinem Gewissen als die wahre auf-rängt, haben und ungehindert betätigen darf. Da nach diesem Grundsatz über das Gewissen eines Rlenschen kein Ruderer Richter sein kann, muß in Gewissensfragen einem jeden volle Frei­ heit gelassen werden. Infolgedessen kommt dieser Grundsatz auch solchen zugute, hinter deren Überzeugung keine ernste Gewissensent­ scheidung steht. So erklärt es sich, daß der Begriff Gewissensfreiheit auch in einem abgeschliffenen Sinne vorkommt, der sich dem Begriffe Subjektivismus annähert. Rber Gewissensfreiheit im wahren Sinne des Worts hat mit normen- und bindungsloser Denkart nichts zu tun. Sie verlangt Freiheit dafür, einem verpflichtenden Sollen zu folgen, sie ist aus tiefstem Verpflichtungsgefühl geborene Freiheit. Hot solche Freiheit, die die moderne Welt zu ihren großen Gü­ tern zählt, ihren Ursprung nicht in unvergeßlichen Taten und Wor­ ten Luthers, in seiner Berufung auf sein Gewissen in Worms und in dem Prinzip, das er vor allem in der Schrift „von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei" zum Ausdruck gebracht hat: „Cs ist ein freies Werk um den Glauben, dazu man niemand zwingen kann."? Rber wenn wir die Zustände ins Rüge fassen, die die Reforma­ tion herbeiführte, sehen wir aufs deutlichste, daß sie die Gewissens­ freiheit noch nicht gebracht hat. Die Frucht der Reformation waren mit wenig Ausnahmen konfessionell festgeschlossene Staaten, in denen wie bei den Ratholiken, nur ein Glaube geduldet wurde, kein Ratholizismus, kein Zwinglianismus in Deutschland, kein Luthertum in der Schweiz, überhaupt keine Rbweichung von der staatlich festgesetz­ ten Lehrnorm, wie viele Täufer wurden eingekerkert oder Hingerich-

4 tet, und Servet ist keineswegs der einzige Antitrinitarier, der von einer protestantischen Obrigkeit mit dem Tode bestraft wurde. Und das ist nicht gegen -en willen der Reformatoren so gekommen,- son­ dern sie haben der Obrigkeit die Pflicht überbunden, für die pre­ digt des wahren Glaubens zu sorgen und alle davon abweichende Lehre zu verhindern. Diese Tatsachen machen es unmöglich, die populäre Anschauung festzuhalten, daß die Reformation die Gewissensfreiheit gebracht hat,ja sie machen es sogar zum Problem, ob überhaupt ein Zusammen­ hang zwischen Reformation und Gewissensfreiheit besteht, hat etwa der Katholik Nikolaus Paulus recht, der in seinem Werke „Protestantisums und Toleranz im 16. Jahrhundert" nicht nur eine Fülle von Material über intolerante Gedanken und Handlungen der Re­ formatoren vorgelegt hat, das zum großen Teile unbestreitbar ist, sondern -er auch behauptet, daß die Toleranz in keiner Weise eine Frucht der Reformation sei? hat die dialektische Theologenschule recht, der das Wesen der Reformation im strengsten Autoritätsglau­ ben und in unbedingter Beugung unter das allem Menschlichen ent­ gegengesetzte paradoxe Gotteswort aufgeht und in deren Bilde von der Reformation das Moment von der Reformation als einer Frei­ heitsbringerin völlig zurücktritt oder ganz fehlt? 3m Jahre 1903 haben Talvinisten in Genf auf der Hinrichtungs­ stätte Servets ein Sühnedenkmal errichtet und in den Denkstein die Inschrift einmeißeln lassen: „Fils respectueux et reconnaissants de Calvin, notre grand rdformateur, mais condamnant une erreur, qui tut celle de son sifecle, et fermement attaches ä la liberte de conscience selon les vrais principes de la reformation et de l’dvangile, nous avons £leve ce monument expiatoire." Merkwürdig: hier wird die Intoleranz als ein Irrtum Calvins be­ zeichnet, -en er mit seinem Zeitalter teilte, und gleichzeitig die Ge­ wissensfreiheit, zu der man sich bekennt, als den wahren Prinzipien der Reformation entsprechend empfunden! Man kann kritische Ein­ wände gegen die Formulierung der Inschrift erheben, wie das seiner­ zeit hervorragende Vertreter des ftanzösischen Protestantismus ge­ tan fatien1); aber die Unklarheit, die dieser Inschrift anhaftet, ist nicht ihr allein eigen,- sondern sie spiegelt nur besonders deutlich das Problem wieder, daß sich die im heutigen Protestantisums lebendige Überzeugung vom Zusammenhang zwischen Reformation und Gewis­ sensfreiheit mit unumstößlichen Tatsachen der Reformationsgeschichte schwer vereinigen läßt, hat diese Überzeugung ein Recht oder ist sie eine neuprotestantische Illusion? Vas Problem ist sehr verwickelt und trotz vieler Bemühungen?) immer noch nicht zu voller Rlarheit ge­ bracht.

Vie Ansätze zur Gewissensfreiheit im Glauben -er Reformatoren. Die heutige reformationsgeschichtliche Forschung ist mit Recht völlig davon abgekommen, mit der Rufklärung, dem Idealismus und -em populären Liberalismus die Freiheit des Gewissens als die zen­ trale Forderung der Reformation anzusehen. Unbefangene Versen­ kung in die (Quellen gestattet das nicht, sondern zeigt deutlichst, daß die Rechtfertigung aus dem Glauben und die unbedingte Geltung des in der Bibel enthaltenen Wortes Gottes die zentralsten Anliegen der Reformation waren. RUthin ist kein stolzes Zreiheitsgefühl, sondern das demütige Bewußtsein der Zünde und Gnadenbedürftigkeit und -er frohe Jubel über die Gnade das Grun-gefühl der Reformation, und nicht im Namen -es autonomen Gewissens haben die Reforma­ toren den Bruch mit Rom vollzogen, sondern im Namen einer höhe­ ren, einer absoluten Autorität. Felsenfest überzeugt, im Wort der Schrift die göttliche Wahrheit zu besitzen, erkannten die Reforma­ toren nicht das Recht verschiedener Glaubensweisen an, sondern ver­ langten Beugung unter die eine geoffenbarte Wahrheit, der un­ bedingte Herrschaft gebührt.

Auch -er Gewissensbegriff ist bei ihnen in den Gedankenkreis der Rechtfertigung eingebettet3). Die Mehrzahl der Stellen, an denen Luther vom Gewissen redet, handelt davon, daß das Gewissen vom Gesetze, vom Tode und vom Teufel angefochten wird und dem Zorne Gottes verfallen ist und daß dieses blöde und erschrockene Gewissen Trost sucht und ihn in Gottes Vergebungswort, beziehentlich in Christus findet h. Ja, Luther kann das Gewissen eine böse Bestie nennen, die den Menschen mit Gott verfeindet, weil es von sich aus den weg der Gesetzes gehen will3). Demgegenüber ist das gute Gewissen ein Gewissen, das sich in Christus frei und geborgen weiß und so ein fröhliches, sicheres und mutiges Gewissen wird6). Die Gewissensbin­ dung an den Papst ist verwerflich als Bindung an Menschensatzun­ genh. Freiheit des Gewissens ist Befreiung von diesen unberechtig­ ten Bindungen und alleinige Bindung an Thristus8).

Trotz der beherrschenden Stellung dieses Gedankenkreises lie­ gen in -er Reformation auch Momente, die zur Auflockerung von Autoritäten und zur Verselbständigung der Menschen führten. Das Prinzip der alleinigen Geltung der Schrift, ein Prinzip festester Bin­ dung, zerbrach die Geltung menschlicher Autoritäten, auch die über ein Jahrtausend festverwurzelten Autoritäten des Priesters und des Papstes, und damit stieß die Reformation eine Bresche in das Autori­ tätsprinzip überhaupt, indem es kommen konnte, daß auf manche ihr Angriff stärker wirkte, als ihre Bindung. Das war eine Wirkung wider willen. Aber ihrem willen entsprach, daß die priesterliche Der-

6 mitt hing beiseitegeschoben und -er einzelne unmittelbar vor Gott gestellt wurde. Der Glaube der Reformatoren ist eine int Innersten der Seele sich vollziehende persönliche Sache. Namentlich Luther hat in eindringlichsten Worten verkündet, -aß der Glaubende in eine per­ sönliche Entscheidung gestellt ist, die ihm keiner abnehmen kann. Ge­ wiß, gegenüber jeder Subjektivität richtete er felsenfest die Objek­ tivität des Wortes auf und sprach Sätze aus, die das Fühlen, ja das Gewissen auszuschalten scheinen. „Natur will fühlen und gewiß sein, ehe sie glaubt,- Gnade will glauben, ehe sie fühlt . . . Gnade tritt heraus fröhlich in die Finsternis, folgt -em bläßen Wort und Schrift, es scheine sonst oder so, es dünke die Natur wahr oder falsch, so hält sie am Wort fest"9). „Ich darf mich nicht auf mein Gewissen stützen, sondern auf das göttliche versprechen"10). Dieses Sich-Halien an das objektiv gegebene Wort ist für Luther durchaus das primäre. Aber die Aneignung der objektiven Wahrheit soll eine ganz persön­ liche Sache sein. Daß Augustin dem Evangelium nur um der Kirche willen geglaubt habe, wie er es in den Worten ausgesprochen hat: „Ich würde dem Evangelium nicht glauben, wenn mich dazu nicht die Autorität der Kirche bewegen würde", Konnte sich Luther einfach nicht denken: „Ein jeglicher muß allein darum glauben, daß es Got­ tes Wort ist und -aß er inwendig befinde, daß es Wahrheit sei". „Also hat Augustin auch müssen glauben und alle heiligen, und wir auch, ein jeglicher für sich selbst allein""). Oder: „was Gottes Wort ist, können wir nicht vom Papst und Nonzilien lernen und da­ mit unser Gewissen befrieden,- sondern du mußt selber beschließen. Es gilt dir -einen hals, es gilt dir -ein Leben. Darum muß dir Gott ins herz sagen: Das ist Gottes Wort. Sonst ist es ungeschlossen"12). Oder: „So wenig ein anderer für mich in die Hölle oder in den Him­ mel fahren kann, so wenig kann er auch für mich glauben oder nicht glauben." Es liegt vielmehr „einem jeglichen auf seinem Gewissen, wie er glaubt oder nicht glaubt"w). Aus diesem in ihm tief verwur­ zelten Gefühl selbständiger Glaubensverantwortung heraus berief sich Luther in Worms gegenüber der Autorität von Nirche und Papst, vor Kaiser und Reich auf sein Gewissen. AIs bezeichnend für Rom und Wittenberg empfinden wir die Aufforderung des Trierer Offi­ zials, von der Aleander berichtet, „Latz dein Gewissen fahren, Martinus, wie du verpflichtet bist, da es sich im Irrtum befindet"14), und Luthers Erklärung „daß gegen das Gewissen zu handeln nicht si­ cher und nicht lauter ist". In diesem Wort von weltgeschichtlicher Be­ deutung wir- „Gewissen" im Sinne selbständiger verantwortlicher Entscheidung gebraucht. Dieselbe Bedeutung hat es in dem soeben zi­ tierten Wort: „Es liegt jeglichem auf seinem Gewissen, wie er glaubt oder nicht glaubt" und in manchem anderen Lutherwort. Früher

überbetont, wirb heute dieser Gebrauch des Worts Gewissen bei Lu­ ther von manchen Theologen fast vergessen15). Solche Lutherworte und die Tat von Worms stehen deutlich spür­ bar hinter dem tapferen Verhalten der Evangelischen auf dem Speyerer Reichstage von 1529, hinter der Erklärung des Straß­ burgers Jacob Sturm im Namen der Städte „in allen anderen Din­ gen wollten sie willfährig sein- aber in den Dingen, die den Glau­ ben betreffen, da weise sie ihr Gewissen und davon könnten sie nicht abstehen", und hinter dem feierlichen Protest aller evangelischen Stände: „In Sachen, die Gottes Ehre und unser Seelenheil belan­ gen, muß ein jeglicher für sich selbst vor Gott stehen und Rechen­ schaft geben, also daß sich darin keiner mit dem Beschließen anderer entschuldigen kann." Freilich haben dieselben Stände, die so entschie­ den die Notwendigkeit selbständiger Glaubensentscheidung verfoch­ ten, kein Pwblem darin gesehen, von ihren Untertanen Unterwer­ fung unter ihre landesherrliche Entscheidung über die Religions­ übung ihrer Territorien zu verlangen, und sie haben den Beschlüssen desselben Reichstags, die die Täufer mit dem Tode bedrohten, zuge­ stimmt. So hatte ihr Verständnis für Gewissensfreiheit noch erheb­ liche Schranken, obwohl ihre Worte wie ein Bekenntnis zu unbeding­ ter Gewissensfteiheit klingen. Die von Luther so stark empfundene Selbständigkeit der Ent­ scheidung ist nicht das letzte Wort, das zu seinem Glaubensbegriff zu sagen ist. Der Mensch kann seiner Meinung nach nicht nur nicht durch Werke sein heil erlangen, sondern auch von sich aus den Glauben nicht aufbringen. Der Glaube ist Gottes Gabe, Werk des heiligen Geistes 1°), übernatürliches Gnadengeschenk. Dennoch war ihm der Glaube kein „hohlraum", sondern Gottes Geschenk und eigene Ent­ scheidung zugleich"). Wie sehr er für Luther stets auch das letztere war, zeigt in eindringlichster Weife das Wort an den Kurfürsten» Erzbischof Albrecht von Mainz zur Zeit des Augsburger Reichstags, den Luther aufforderte, für friedliches Nebeneinander der evange­ lischen und römischen Stände einzutteten: „Man weiß ja wohl, daß man niemand soll noch kann zum Glauben zwingen, stehet auch we­ der in Kaisers noch in Papsts Gewalt,- denn Gott selbst, der über alle Gewalt ist, hat noch keinen Menschen mit Gewalt zum Glauben wollen dringen"18). Kann man entschiedener die Selbständigkeit des Glaubens behaupten? An dieses Wort seien diejenigen erinnert, die heute das Freiheitsmoment im Glauben der Reformatoren über­ sehen. In dem Augenblick, in dem es Luther schrieb, stellte er sogar seine Überzeugung vom Glauben als Gnadengeschenk beiseite, die bei ihm doch in tiefsten Schichten verwurzelt war. Beide Auffassungen, die vom Glauben als selbständiger Lntschei-

8 düng und die vom Glauben als freiem göttlichen Geschenk, führen gleicherweise zur Ablehnung jedes Glaubenszwangs. Glaubenszwang ist ebenso widersinnig, wenn der Glaube Gottes freies Geschenk, wie wenn er eigene Entscheidung ist. Auf beide Überzeugungen hat man sich immer wieder als Argumente gegen den Glaubenszwang berufen. Besonders in seiner Schrift „von weltlicher Dbrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei" hat Luther in gewaltigen Worten jeden Glaubenszwang als widersinnig bekämpft: „Es ist umsonst und un­ möglich, jemand zu gebieten oder zu zwingen mit Gewalt, so oder so zu glauben. (Es gehört ein andrer Griff dazu, die Gewalt tuts nicht"19). „(Es ist ein freies Werk um den Glauben, dazu man nie­ mand zwingen kann. Ja er ist ein göttliches Werk im Geist, ge­ schweige denn, daß es äußerliche Gewalt sollte zwingen und schaf­ fen"^). „Vie Seele ist nicht unter Baisers Gewalt"^). „Betzerei ist ein geistliches Ving,- das kann man mit keinem Eisen zerhauen, mit keinem Feuer verbrennen, mit keinem Wasser ertränken" ^). 3n demselben Jahre 1523 schrieb Zwingli in seiner Schrift von der gött­ lichen und menschlichen Gerechtigkeit die diesen Anschauungen Lu­ thers durchaus entsprechenden Sätze, daß die Lehre Jesu eine Be­ freiung der Gewissen sei und daß deshalb die Fürsten nicht über die Seelen der Menschen und die Gewissen herrschen sollen; denn das stehe außerhalb ihres vermögens^). Vie hinreißenden Worte Luthers, seine Tat in Worms und die Worte von Speyer haben immer wieder als Forderungen voller Ge­ wissensfreiheit gewirkt und wirken noch heute so auf den Hörer oder Leser, der sie unmittelbar auf sich wirken läßt, ohne den Bontext zu beachten. Vie Reformatoren, die solche Morte prägen konnten, hat­ ten Keimhaft ein Prinzip erfaßt, dessen Bonsequenzen viel weiter reichten, als ihnen selbst bewußt war, und das die Schranken spren­ gen mußte, innerhalb deren es bei ihnen galt. Man darf nicht über­ sehen, daß sie in ganz bestimmten Zusammenhängen stehen und die Bindungen nicht aufhoben, an die sich die Reformatoren gebunden fühlten, ver Luther von Worms berief sich nicht auf sein autonomes Gewissen, sondern fühlte „sein Gewissen gefangen in Gottes Wort". Aus dieser Bindung erwuchs der reformatorische Protest gegen alle anderen Bindungen. (Es enthält zwar jede Gewissensentscheidung Frei­ heit und Bindung. Aber es handelt sich bei den Reformatoren um eine Bindung von ganz bestimmtem Gepräge: um die Bindung an das als eindeutig objektive Größe empfundene Gotteswort. Das sich gegen den Zwang empörende Pathos der Schrift „von weltlicher Dbrigkeit" entsprang vor allem dem Protest gegen die Unterdrückung des Evangeliums durch päpstlich gesinnte Dbrigkeiten. Zwang war Luther vor allem deshalb verwerflich, weil menschliche Autoritäten

9 in Gottes Rechte eingriffen und dem Worte Gottes die Bahn ver­ sperrten. Er verlangte Freigabe der predigt des Wortes und erwar­ tete davon felsenfest den Sieg des wahren Glaubens, den Gott den Hörern -es Worts ins herz gießen werde. Luthers Ziel war in dieser Schrift so wenig wie je die Freiheit für verschiedene Glaubensweisen. Er hat die Freiheit der Entscheidung immer nur deshalb gefordert, damit man sich die eine Wahrheit zu eigen mache. Der Papst war ihm der Antichrist, die Wesse Götzendienst, und als die Täufer und Spiritualisten auftraten und als Karlstadt und die Schweizer in der Abendmahlsauffassung abwichen, waren auch sie ihm Unchristen und vom Teufel. Auch ein relatives Recht hat er seinen Gegnern nicht zu­ erkannt. Vas Verständnis für ein relatives Recht der anderen, diese Hauptwurzel von Toleranzgesinnung, war ihm eine ftemde Sache. Und er band nicht nur an dar Evangelium, sondem an eine ganz bestimmte Auffassung desselben. 3u seinen Grundüberzeugungen ge­ hört, -aß die Schrift durchsichtig, klar und eindeutig sei. So ergab sich ihm mit völliger Bestimmtheit Recht und Pflicht einer einzigen Auffassung, derjenigen, die er aus ihr als die Wahrheit entnom­ men hatt«. Es war seine felsenfest« Überzeugung: „Wer meine Lehre nicht annimmt, -er mag nicht selig werden; denn sie ist Gottes und nicht mein"24). Auch bei einem so absolutistischen Wahrheitsbegriff ist Toleranz möglich, wenn eingesehen wir-, daß Zwang wider das Wesen des Glaubens ist, und diese Erkenntnis ist Luther aus der Tiefe seiner Glaubensauffassung heraus in den Anfangszeiten seines Rumpfes ge­ gen Rom aufgegangen. Damals hat er mehrfach nach diesem Prin­ zip gehandelt. 3m Gegensatz zu den durchgreifenden Reformen Karl« stadts in Wittenberg 1522, wollte Luther damals diejenigen, die sich noch nicht dem evangelischen Glauben zuwandten, nicht zwingen. „Die­ weil ich den Glauben ins herz nicht gießen kann, so kann noch soll ich niemand dazu zwingen noch dringen; denn Gott tut das allein"25). „predigen will ichs, sagen will ichs, schreiben will ichs; aber zwingen und dringen mit Gewalt will ich niemand; denn der Glaube will wil­ lig und ungenötigt sein und ohne Zwang angenommen werden"26). Auch beim Auftreten Thomas Münzers lehnte er Zwang in Glau­ benssachen ab und schrieb 1524 an die Fürsten von Sachsen das oft zitierte, freie wort: „Ulan lasse die Geister aufeinanderplatzen und treffen"27), freilich nicht, ohne hinzuzufügen, -aß es sich bei Münzer auch um Aufruhr handle und daß er deshalb strafbar sei. 1528 schrieb Luther an zwei Pfarrer auf katholischem Gebiet über die Be­ handlung der Täufer, also im Hinblick auf Täufer, die die evange­ lische Predigt nicht gefährdeten: „Es ist nicht recht und mir wahrlich leid, daß man solche elende Leute so jämmerlich ermordet, verbrennt

10 un- greulich umbringt. Man sollte einen jeglichen lassen glauben, war er wollte; Glaubt er unrecht, so hat er genug Strafe an dem ewigen Feuer in -er Hölle. Mit der Schrift un- Got­ tes Wort soll man ihnen wehren und widerstehen. Mit Feuer wird man wenig ausrichten"2a). Diese Worte verbinden typisch einen ab­ soluten Wahrheitsbegriff mit Toleranz. Vie Täufer haben kein Recht, auch kein relatives, sondern verdienen die Hölle,- aber auf Erden soll man sie nicht behelligen. Zur Ablehnung des Glaubenszwangs führte auch die mit der Auffassung vom Glauben als einer selbständigen Sache und einem Geschenke Gottes im Zusammenhang stehende, in Luther tief ver­ wurzelte Überzeugung von der prinzipiellen Wesensverschiedenheit zwischen geistlichem und weltlichem Regiment. Das Regiment Gottes und das des Kaisers sind ihm zwei Sphären, die er geschieden wis­ sen will, wie Himmel und Erde22). Beide haben verschieden« Auf­ gaben und ganz verschiedenen Tharakter. 3n Christi Reich herrscht Gnade, Liebe un- Vergebung der Sünden, im weltlichen Reiche das Schwert, die Gewalt und die Furcht. Diese Unterscheidung sei eine Lehre, die er stets treibe30). Ja, er erklärt drastisch, -aß er diesen Unterschied der beiden Reiche einbläuen, einkäuen, eintreiben und einkeilen müsse, da -er lebendige Teufel nicht aufhöre, diese zwei Reiche ineinander zu kochen und zu bläuen31). Luther lag vor allem die höhere Würde des geistlichen Reiches am Herzen; aber er war auch für das eigne Recht des Staates interessiert. Luther un- Zwingli gaben dem Staate volle Selbständigkeit un- höhere Weihe32) und ha­ ben so zu seinem Ausstieg in der Ueuzeit Erhebliches beigetragen. Daß -er Staat nach mittelalterlichem Prinzip der Kirche unterstand und ihr seinen Arm leihen mußte, war ein Hauptmoment mittelalterlicher Intoleranz gewesen. Das fiel jetzt dahin. Ebensowenig wie die (Obrigkeit sich unterstehen soll, sich in geistliche Dinge zu mischen und die Gewissen regieren zu wollen, ebensowenig hat die geistliche Ge­ walt in den Staat hineinzureden. Es finden sich bei den Reforma­ toren Sätze, die das Prinzip der Aufklärung von der rein weltlichen Aufgabe des Staates vorwegnehmen. In fast erstaunlicher Weise tut das vor allem Luthers Wort von 1525: „(Obrigkeit soll nicht weh­ ren, was jedermann lehren und glauben will, es sei Evangelium oder Lügen. Es ist genug, daß sie wehret, daß man Aufruhr und Unfrieden lehrt"33). Dieses Wort will in dem Zusammenhänge, in dem es steht, die Forderung der Bauern, die predigt des Evange­ liums freizulassen, unterstützen, erhebt sich aber zu dem allgemeinen Prinzip, -aß jeder Glaube und jede Lehre, ob wahr oder falsch, von der (Obrigkeit, deren Aufgabe aus das Politische beschränkt wird, zu dulden sei. Der schwäbische Reformator Brenz hat dieses Prinzip zu-

gunsten der Täufer gelten- gemacht. „Was geht die weltliche DbrigKeit der Unglaube oder die Ketzerei an? Sie lug zu, daß sie welt­ lichen Frieden und Ehrbarkeit erhalte und nehme sich eines Dinges nicht an, das ihr zu bestrafen nicht befahlen ist" schrieb er 1528 in seiner Schrift „Gb eine weltliche Gbrigkeit mit billigem Recht möge die Wiedertäufer durch Feuer und Schwert vom Leben zu dem Tode richten lassen?", die, von Rlelanchthon als viel zu milde bezeichnet"), sich durch besonders entschiedene Toleranzgesinnung auszeichnet. Brenz berief sich gegen die Ketzerbestrafung auch auf das Gleichnis vom Wachsenlassen des Unkrauts und bestritt, daß die alttestamentlichen Gebote, die die Götzendiener mit dem Tode bedrohten, die auch in der christlichen Geschichte vielen das Leben gekostet haben, Beweise für die Notwendigkeit der Ketzerhinrichtung seien. Ihr Buchstaben­ sinn gelte nicht mehr, und im Reiche Thristi gebe es nur geistliche Strafen. Ruch das machte er geltend, daß die Zuerkennung des Rech­ tes, den falschen Glauben zu bestrafen, an die Gbrigkeit, leicht zur Verfolgung auch des wahren Glaubens führen könne, wie in der al­ ten Kirche auf die Verfolgung der Arianer eine solche der Recht­ gläubigen durch arianische Kaiser gefolgt sei. Vie Gleichnisstelle Matthäus 13 vom Wachsenlassen des Un­ krauts hatte schon Luther — aber mit Frontstellung gegen Rom — als Beweis gegen Ketzerverfolgungen gebraucht"). Den neutestamentlichen Beweis für die Ketzerverfolgung, der seit Rugustin aus dem Cogite intrare des Gleichnisses vom großen Rbendmahl geführt wurde, den endgültig erst der Aufklärer Pierre Bayle entwurzelt hat, bestritt schon, ebenfalls in antirömischem Interesse, Zwingli"). Auch die 'Kirchenväter wurden von den Reformatoren zu Zeugen gegen den Glaubenszwang aufgerufen. Luther schrieb in der Schrift an den christlichen Adel: „man solle die Ketzer mit Schriften, nicht mit Feuer überwinden, wie es die alten Väter getan hätten"S7).

Der Sieg -er Bindungen Wer die Freiheitsmotive. Alles das sind Toleranzmotive von hoher Bedeutung, und sie sind in den Grundanschauungen der Reformatoren, zumal Luthers, verwurzelt. Aber das Verpflichtungsgefühl gegenüber der absoluten Wahrheit war von Anfang an noch mächtiger, als diese Motive. In­ folgedessen haben die Reformatoren diese Prinzipien, die sie gegen­ über Rom gelten- gemacht hatten, nur zeitweilig und teilweise auch gegenüber ihren Widersachern angewendet und haben sie mehr und mehr ersticken lassen. Schon das vorhin zitierte, prinzipiell so be­ deutsame Lutherwort von 1528 über Täufer auf katholischem Ge­ biete, man solle jeden glauben lassen, was er wolle"), war nicht

12 mehr eine entschiedene Forderung, sondern mehr nur ein Stoßseuf­ zer, -aß man es eigentlich so halten sollte; denn zu derselben Zeit schrieb Luther an Link, -aß man Irrlehrer zroar nicht töten, aber doch verbannen solle39), und ging daran, in Sachsen das evangelische Kirchenwesen mit Ausweisung aller vissentierenden aufzurichten. Luther war von der Wahrheit seiner Lehre und von der sieg­ haften Kraft des göttlichen Wortes so überzeugt, daß er den Sieg der evangelischen Wahrheit in nächster Zukunft erwartete. Wenn nur noch einige Jahre gepredigt werde, dann würde alles von selber fal­ len. Nur aus dieser sicheren Erwartung heraus konnte er eine Zeit­ lang ertragen, daß sich viele dem Evangelium noch nicht zuwandten. Aber als sich diese sichere Hoffnung von der schnellen Überwindung -es Unglaubens durch das göttliche Wort nicht erfüllte, da hat er, was Zwingli schon früher getan hatte, der staatlichen Dbrigkeit als -em zum Regieren eingesetzten Glied der Christenheit die Pflicht über­ bunden, ihr Amt in den Dienst des göttlichen Wortes zu stellen, für rechte predigt dieses Wortes zu sorgen und alles nie-erzuhalten, was feine Geltung gefährdet — trotz alledem, was er vom Unterschied zwischen geistlichem und weltlichem Regiment gesagt hatte. Diese Scheidung suchte er prinzipiell noch festzuhalten und erklärte in der Vorrede zum Unterricht -er Visitatoren im Kurfürstentum Sach­ sen, -aß -em Kurfürsten an sich geistliche Befugnisse nicht zustän­ den 40), -aß man ihn aber in der bestehenden Notlage bitte, um der Liebe willen die Sorge für das Evangelium zu übernehmen"). Es handelt sich also um eine Liebespflicht und um ein Notrecht der christ­ lichen Dbrigkeit. Auch Zwingli, der geistliches und weltliches Regi­ ment weniger scharf voneinander schied als Luther, hat anfangs die Tätigkeit -es Züricher Rats zur Aufrichtung des evangelischen Kir­ chenwesens nur als ein Notrecht angesehen49). Vie Praxis schritt über diese Konstruktionen schnell hinweg. Wie -er Züricher Rat trotz der Distinktionen Zwinglis einfach kraft seiner obrigkeitlichen Gewalt die Aufrichtung einer evangelischen Kirchenordnung in Angriff nahm43), so nahm auch die kurfürstliche Instruktion für die säch­ sische Visitation kurzerhand für den Landesherrn das Recht in An­ spruch, Lehre und Gottesdienst im Lande zu bestimmen und Wider­ strebende auszuweisen44). (Es entstand mit wenigen, durch besondere Verhältnisse bedingten Ausnahmen überall in evangelischen Landen Glaubenseinheit durch Staatszwang und Bedrückung aller Abwei­ chenden. Luther hat im Landeskirchentum, wie es wurde, oft das hin­ einregieren der Fürsten und Juristen in die kirchlichen Dinge be­ klagt und sogar das pessimistische Wort gesprochen „einst habe der Satan sich die Kirche in dm Staat, jetzt lasse er -en Staat sich in die

Kirche mischen"45), uni) damit bezeugt, daß er sein Ideal der Schei­ dung -er beiden Regiments nie vergessen hat. Aber der Schwerpunkt verschob sich bei ihm völlig darauf, -atz die Gbrigkeit verpflichtet sei, für die wahre Religion zu sorgen. 1530 hat er in einer Aus­ legung von Psalm 82 Vers 4 ein Programm entwickelt, das nicht nur aufrührerische Ketzer, sondern auch solche, die öffentliche Ar­ tikel des Glaubens leugnen, für strafbar erklärt, das Prinzip ver­ tritt, daß in einem Lande nur eine Lehre zu dulden fei, und alle ohne obrigkeitlichen Auftrag auftretenden „Winkelprediger" scharf verurteilt"). 1536 war er an einem Gutachten mitbeteiligt, das der von ihm früher vertretenen Lehre, weltliche Gbrigkeit solle nichts mit geistlichen Sachen zu tun haben, ausdrücklich entgegentrat. Ge­ witz seien Predigtamt und weltliches Regiment verschieden; aber die Gbrigkeit Habe nicht nur weltliche Ausgaben, sondern ihr vornehm­ stes Amt sei, Gottes Ehre zu fördern, Gotteslästerung und Abgöt­ terei zu wehren"). Das klingt ganz anders, als der ftüher zitierte Satz, geistliches und weltliches Regiment seien zu scheiden, wie Him­ mel und Erde"). Ja, die Anschauung, -atz sich die Gbrigkeit auf die politischen Dinge zu beschränken und die Religion freizulassen habe, wurde in reformatorischen Kreisen nunmehr als verderblich und un­ fromm verurteilt. Der Straßburger Reformator Lapito erklärte sie für ein heidnisches Prinzip, das zum verfall der Religion führe und deshalb von dem Lhristenfeinde Julian angewendet worden sei"). Sein Kollege Bucer nannte sie „einen neuen, ganz gefährlichen Irr­ tum"^), ja, er führte sie auf den Satan zurück") und erklärte die­ jenigen, die ihr anhingen, für neue Sadduzäer53). wie merkwürdig muten uns solche Worte an, wenn wir daran denken, datz einst kein anderer als Luther diese Anschauung vertreten hatte! Brenz änderte seine frühere Meinung und erklärte schon 1530 in einem Briefe an Lazarus Spengler, -atz die Gbrigkeit zwar nicht den Irrtum des Herzens und auch nicht das öffentliche Bekenntnis eines falschen Glau­ bens, wohl aber die Zusammenrottierung und die Aufrichtung einer neuen Lehrart zu bestrafen fyabe53), und hat sich später noch viel weiter von seiner einstigen milden Anschauung entfernt. Run wurden auch die harten Bestimmungen des Alten Testa­ ments gegen die Götzendiener, befonbers Leviticus 2416 und Deu­ teronomium 13 7 ff, von neuem als noch heute gültige, auf die Ketzer anzuwendende Gesetze herangezogen, von Luther3«), von Melanchthon55), von Bucer56), von den meisten an Philipp von Hessen ge­ richteten Gutachten über die Täuferbestrafung von 153657) und vie­ len anderen, oft unter ausdrücklicher Bekämpfung der Anschauung, daß diese Gesetze durch das Reue Testament aufgehoben seien, die einst Brenz56) vertreten hatte und die weit verbreitet gewesen sein

14 muß. Man machte gelten-, daß diese Gesetze von -em sich ewig gleich­ bleibenden Gott stammten, daß die Kirche des alten und neuen Bun­ des dieselbe sei und daß deshalb die christlichen Gbrigkeitsn nicht geringeren Eifer zur Ausrottung der Ketzerei zeigen dürften, als die frommen Könige Israels"). Am intensivsten hat Calvin in diesen harten alttestarnentlichen Gedankengängen gelebt. Bucer und Melanchthon fügten der Begründung der Ketzerstrafen auf das Alte Testament die auf das Naturrecht hinzu60). Auch die von Zwingli gegenüber seinen römischen Gegnern ab­ gelehnte Berufung auf das Cogite intrare des Gleichnisses vom gro­ ßen Abendmahl, taucht im Kampfe gegen die Täufer wieder auf81), während Luther und andere im Gegensatz zu seiner früheren Deu­ tung jetzt von dem für die Ketzer günstigen Bibelwort vom Wachsenlassen des Unkrauts behaupteten, es käme als Maxime für die Gbrigkeit nicht in Betracht").

Preisgabe und Wahrungsversuche des Prinzips der Gewissensfreiheit in den Begründungen reformatorischer Zwangsmaßnahmen. Vieser Zwang steht zu der Erkenntnis der Reformatoren, daß Glauben auf persönlicher Entscheidung beruht und daß er ein Ge­ schenk Gottes ist, und zu Luthers Scheidung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment in grellem Widerspruch. Man erwartet, daß die Reformatoren diesen Widerspruch als Stachel empfunden hätten, man erwartet insbesondere, daß Luther, der sich in Worms auf sein an die Schrift gebundenes Gewissen berief, Achtung vor dem Ge­ wissen Andersdenkender hätte haben müssen. Aber wir sahen schon, daß die Reformatoren solche Konsequenzen nur ansatzweise gezogen haben. Vie Überzeugung von der Bindung an das wort war stär­ ker, als die von der Notwendigkeit eigener Entscheidung. Wo Luther den in seiner Schriftbindung und Schriftauffassung verwurzelten Glauben nicht fand, vermochte er — abgesehen von ge­ wissen, noch zu behandelnden Einschränkungen — auch kein Gewissen zu finden. 1526 erklärte er, römisch gesinnte Thorherren in Alten­ burg hätten kein Recht, sich auf ihr Gewissen zu berufen, da sie der Aufforderung, ihr Gewissen mit der Schrift zu beweisen, nicht Ge­ nüge geleistet hätten"), über einen in Sachsen ansässigen Zwinglianer schrieb er: „Weil er der Sache nicht gewiß ist, noch gewiß sein kann, soll er auch bei niemand davon reden" "). ver Basler Refor­ mator Decolampad erklärte „wer nach 5 Jahren evangelischer pre­ digt noch am römischen Glauben festhalte, habe ein schlecht gebilde­ tes Gewissen""). Brenz hat noch 1530 ein bemerkenswerter Ver­ ständnis für das Gewissen zwar nicht andersdenkender Einzelner,

aber andersdenkender Obrigkeiten gehabt: lvenn sie die versammlungen der Rechtgläubigen nicht gestatteten, täten sie zwar an sich Unrecht,- aber nach der Folge ihres falschen Glaubens handelten sie richtig. Gegen das, was sie in ihrem Gewissen für unrecht hielten, müßten sie angehen: denn Gatt wolle auch im falschen Glauben ge­ fürchtet sein"66). — Ganz anders urteilt Brenz später in einem Gutachten „Gb eine Obrigkeit, wenn sie falsche Lehre ausrottet, darum über die Gewissen herrsche und ob von der Obrigkeit die Ihrigen wider ihr Gewissen können zu anderem Glauben gezwun­ gen werden"«'): Gegenüber der Berufung der Täufer auf ihr Ge­ wissen sei zu bedenken, daß es kein Gewissen gäbe ohne das wahres Gesetz und das Zeugnis des heiligen Geistes. Beides hätten die Täu­ fer nicht, Deshalb hätten sie, eigentlich zu reden, kein Gewissen oder nur ein verstümmeltes, wie falsche Rlünze nicht Münze sei. Wo nicht Glauben sei, da sei kein Gewissen, sondern ein Malzeichen der Bestie. (Es zieme keinem Menschen, ja keiner Kreatur, jemand sein Gewissen zu beschweren, sofern es Gewissen ist, und nicht Irrtum oder hals­ starrige Vermessenheit und eigensinniges, mutwilliges Gutdünken. — Vie Worte „es zieme keinem Menschen, ja keiner Kreatur, jemand sein Gewissen zu beschweren", lassen das Prinzip der Gewissensfrei­ heit hell aufleuchten, das, konsequent durchgeführt, zur Achtung von gewissensmäßig begründeten Überzeugungen anderer hätte führen müssen. Über die noch viel mächtigere Überzeugung von der Allein­ wahrheit des reformatorischen Glaubens führt dazu, den Andersden­ kenden das Gewissen abzusprechen. von dieser Überzeugung aus schlug man auch das für die Evan­ gelischen bedenkliche Argument nieder, daß die Verfolger des Evan­ geliums, z. B. der Kaiser, sich auf die Verfolgungen, die die evan­ gelischen Obrigkeiten übten, berufen könnten. Luther erklärte 1530: Wir wissen, daß Kaiser Karl dessen, daß der Papisten Lehre recht sei, „nicht gewiß ist, noch gewiß sein kann, weil wir wissen, daß er irret und wider das Evangelium strebet. Venn wir sind nicht schul­ dig zu glauben, daß er gewiß sei, weil er ohne Gottes Wort ist und wir mit Gottes Wort fahren"M). hier wird mit naiver Selbstsicher­ heit dem Kaiser eine gewissensmäßig begründete Überzeugung abge­ sprochen, aber doch noch über die Überzeugung der anderen reflek­ tiert. Oft fiel auch das dahin, und es wurde ohne weiteres das Recht des Zwanges mit der Wahrheit der Lehre begründet. Vie Verfolger des Evangeliums, meint Bucer, können sich nicht auf den Zwang evangelischer Obrigkeiten gegen die Täufer berufen: denn jene ver­ folgen gesunde Lehre und wahren Gottesdienst, wir aber ver­ hindern falsche Lehre und falschen Gottesdienst««). An Bullinger prallen alle Argumente der Täufer gegen den Glaubenszwang, die

16 z. T. mit den von den Reformatoren gegen römischen Glaubens­ zwang vorgebrachten Argumenten identisch sind, an dem Bewußtsein ab, daß die Evangelischen die Wahrheit besäßen,- zu ihren Gunsten sei Zwang berechtigt'"). Auch die direkte Berufung der Täufer auf reformatorische Worte gegen Glaubenszwang focht ihn nicht an: die Reformatoren hätten nie etwas anderes, als Zwang zu falschem Glauben bekämpft"). 3n solchen Sätzen spielt die Rücksicht auf das Gewissen anderer überhaupt keine Rolle mehr; die Keimhaften An­ sätze zum Prinzip der Gewissensfreiheit aus frühreformatorischer Zeit sind erstickt. Aber man beruhigte sich doch nicht völlig dabei, die Frage der Gewissensüberzeugung der anderen ganz bei Seite zu lassen oder ihnen das Gewissen abzusprechen, sondern die Reformatoren sind Skrupel über den geübten Religionszwang nie ganz losgeworden und haben sich des öfteren zu zeigen bemüht, daß er die Freiheit der Gewissen nicht verletze, „wir wissen", sagt das Begleitschreiben zum Wittenberger Gutachten über die Täuferbestrafung von 1536, „daß diese Frage viel Disputation hat"72). Vie Empfindung von der Bedenklichkeit des Glaubenszwangs ist als ein leiser, aber nie ganz verklingender Rebenton in den Äußerungen der Reformatoren im­ mer wieder vernehmbar. Solche Empfindungen begegnen uns mehrfach in den Begrün­ dungen der staatlichen Einführung der Reformation. Der auf Zwingli zurückgehende „Vorschlag wegen der Bilder und Messe" des Züricher Rats von 1524, der deren Abschaffung befiehlt, enthält die Worte: „So niemand den anderen zu dem Glauben, auch nicht davon, drin­ gen mag, ist unsere Meinung nicht, daß wir unsere lieben Freunde, alles unseres Gebiets Untertanen, gewaltiglich zu solchen Artikeln zwingen wollen"73). Aber die Gbrigkeit verlangt von denen, die sich der neuen Grdnung nicht fügen, daß sie das Land verlassen. Luther schrieb in der Vorrede zu den sächsischen Visitationsartikeln, daß sie nicht als strenge Gebote ausgingen und daß man keine neuen päpst­ lichen vekretalen aufwerfen wolle,- man hoffe aber, daß die Pfarrer ohne Zwang nach der Liebe Art sich der Visitation unterwerfen und die Gleichförmigkeit annehmen mürben74). Vas hals praktisch nicht viel, zumal, wie wir sahen, die kurfürstliche Instruktion viel schär­ fer gefaßt war und jede abweichende Lehre aus landesherrlicher Machtvollkommenheit verbot, zeigt aber doch, daß Luther auch jetzt noch Zwang als prinzipwidrig empfand. Entschiedener wurde bei der Einführung der Reformation in Bern das Prinzip der Glau­ bensfreiheit berücksichtigt. Mehrfach erklärte die Berner Regie­ rung, daß der Glaube von Gott geschenkt werde und ihn deshalb die Regierung nicht erzwingen könne und wolle. Richt zufälliger-

weift hat sie den auch sonst geübten Brauch, die Untertanen zu be­ fragen, in Glaubenssachen befonbers häufig angewandt. Huf Hod­ lers Bild „Reformation" schleudert eine Zahl von Männern einmü­ tig ihre Hände zum Ja empor. Vie sächsische Reformation könnte man so nicht -arstellen, aber auch die bernische nur mit eingeschränktem Recht. Bei -en Befragungen half mehr oder minder starker Druck von oben nach, und die wenigen, die mit Rein stimmten, muß­ ten sich nach einiger Zeit doch fügen75). Huch in Bern wurde die Empfindung, daß Zwang eigentlich unzulässig fei, weit überwogen durch das Bewußtsein -er Dbrigkeit, zum Schutze der göttlichen Wahrheit verpflichtet zu sein, und durch den politischen Einheits­ willen. voch zeichnet sich auch der Berner Sqnodus, die vier Jahre nach der Durchführung der Reformation erlassene grundlegende Rirchenordnung, durch ein besonders lebendiges Bewußtsein dafür aus, daß die geistlichen Dinge über aller zeitlichen Gewalt stehen und daß deshalb keine Dbrigkeit die Gewissen meistern dürfe, wie es Päpste und Bischöfe in widerchristlicher Weise getan hätten75). Aber steht damit nicht das Unternehmen des Synodus in Widerspruch, eine für das ganze Volk verbindliche Glaubenslehre und Rirchenordnung zu bestimmen, die wie andere bürgerliche Satzungen und Landrechte ge­ halten werden soll?77) Diese Spannung empfinden nicht erst wir; sondern schon der Synodus selbst sah sich -em läuferischen Einwand gegenüber, daß die Dbrigkeit in innere Dinge hineinregiere und ein neues Papsttum aufrichte. Der Synodus glaubte sich durch diese vorwürfe nicht getroffen, da die Dbrigkeit für die Predigt der lau­ teren Wahrheit sorge — wir kennen dieses Motiv! — und da sie nur äußere Dränungen aufrichte75). Dieses zweite Argument, daß man nur äußere Dränungen auf­ richte, kehrt in der deutschen und schweizerischen Reformation im­ mer wieder. Die Begründung des Zwanges auf die Pflicht gegen die Wahrheit nahm auf die Gewissen Andersdenkender überhaupt keine Rücksicht, und auch wenn man ihnen das Gewissen absprach, fiel die Rücksicht auf ihr Gewissen dahin. Dieses Argument aber, daß man nur äußere Dränungen aufrichte, läßt erkennen, daß man das Prinzip -er Gewissensfreiheit doch nicht völlig fal­ len gelassen hat. Entsprang es doch deutlich dem Motiv, zu zeigen, daß man trotz aller Zwangsordnungen die Gewissen Anders­ denkender nicht verletze. Die Reformatoren versicherten immer wie­ der, daß sie niemand zum Glauben zwängen, sondern nur das falsche Lehren und Lästern verböten75), daß die Dbrigkeit nicht die Mei­ nung und Dpinion des Herzens bestrafe, sondern das äußerliche un­ rechte Reden und Lehren, durch das die anderen verführt würden30). Daß der Glaube eine unerzwingbare Sache des Herzens fei, daß nur Hoffmann, Reformation und Gewissensfreiheit.

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18 Gott ihn geben könne, blieb, auch als man zum Kirchenzwang über­ gegangen war, durchgängige Überzeugung. Ulan unterschied den Glau­ ben -es Herzens vom öffentlichen hervortreten und verbot nur das letztere. (Ein Fortschritt lag darin, obwohl gewisse mittelalterliche Analogien dazu nicht fehlen, daß wenigstens solche Andersgläubige, die sich ganz still verhielten, vielfach geduldet rouröen81). Aber man gewährte nur Gewissensfreiheit im allerengsten Sinn, die den An­ dersgläubigen nicht die geringste Betätigungsmöglichkeit lieh. Luther hat dem mehrfach drastischen Ausdruck verliehen: Damit die papistisch gesinnten Altenburger Stiftsherren nicht sagen könnten, man zwinge sie zum Glauben, weil man sie -en rechten Glauben nicht lästern lasse, so mögen sie in ihren Kammern anbeten und dienen, wem sie wollen88). Vie Winkelprediger mögen den Steinen und Bäu­ men im Walde, ja im Abgrund des Uleeres und in einem glühenden Backofen lästern88). Die Ketzer mögen im Winkel murren; aber auf das Hölzlein (die Kanzel) sollen sie nicht kommen84). — Ulit dieser Duldung des völlig mundtot gemachten Andersgläubigen hielt man die Gewissensfreiheit für gewahrt. 3. v. schrieb Luther 1530, bisher sei niemand zum Glauben gezwungen, sondern nur Lästerung -er Lehre gewehrt worden. Es sei etwas anderes, zur Lehre zu zwingen, als Lästerung der Lehre nicht zu leiden88). So schrieb der­ selbe Luther, -er 1523 die Entschuldigungen katholischer Gbrigkeiten, sie zwängen nicht zum Glauben, sondern wehrten nur äußerlich, -aß man die Leute nicht mit falscher Lehre verführe, als ungenü­ gend abgelehnt hatte!88) Man zwang die Andersgläubigen auch zum Besuch des Gottes­ dienstes8'), und behauptete auch dann, man bedränge nicht die Ge­ wissen. Melanchthon sagte, die Gbrigkeit zwinge damit nicht den Geist, sondern das Bewegungsvermögen88), und die Berner Regie­ rung erklärte, sie gebiete nur der Hand und dem Mund, aber nicht dem herzen88). Dahinter stand der Gedanke: Den Glauben gibt beim hören -es Worts Gott, wem er will. 3um hören des Worts als der conditio sine qua non der Entstehung des Glaubens sind alle zu zwingen. Vas weitere steht bei Gott, wenigstens 3wang zum Abend­ mahlsgenuß wurde mehrfach abgelehnt88); andere setzten auch hierin dem 3wang keine Grenze. Auch dem Einwande, -aß man durch solchen 3wang zur Heuchelei erziehe, glaubte man begegnen zu kön­ nen84), währen- Luther 1523 gegenüber katholischem 3wange ge­ schrieben hatte, -aß alle Lügen und falschen Bekenntnisse, die schwa­ chen Gewissen abgezwungen seien, über den gehen, der sie erzwingt88). So unerquicklich viele dieser Entschuldigungen wirken, so zeigt doch die Tatsache, daß man immer wieder solche Entschuldigungen suchte, wie ungern man dem Urteile verfallen wollte, Glaubenszwang zu üben.

Zur Beurteilung reformatorischer Zwangsmaßregeln gegen An­ dersgläubige ist ferner bedeutsam, daß ein großer Teil derselben als rein politische Maßnahmen empfunden wurden. Vie Täufer galten wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber Gbrigkeit, Eid und Krieg und wegen ihrer häufig hervortretenden kommunistischen Neigungen weithin als Aufrührer. Wurden Strafen gegen Andersgläubige aus solchen politischen Gründen verfügt, dann blieb das Prinzip gewahrt, daß der Staat sich in Glaubensfragen nicht zu mischen hat. (Es ist deutlich und außerordentlich bezeichnend, daß sich die Reformatoren in ihrem (Eintreten für Zwangsmaßregeln sehr viel sicherer fühlten, wenn bei den Andersgläubigen vergehen gegen den Staat Vorlagen, als wenn es sich um rein religiöse Fragen handelte99). Aber oft waren die unter den politischen Gesichtspunkt gestellten vergehen gar nicht Dinge, die an sich auf politischem Gebiete lagen, sondern rein religiöse Lehren, deren Vertretung erst dadurch zum politischen vergehen wurde, daß die Gbrigkeit sie verboten hatte. Vas war, mochte es bedingt sein wie es wollte, eine Nichtachtung des Gewis­ sensprinzips,- aber es ist ein Unterschied, ob die Maßnahme der Gb­ rigkeit, nur eine Lehre int Lande zu dulden, religiös oder politisch motiviert war. (Es ist unbestreitbar, daß die politische Motivierung nicht nur bei den Obrigkeiten, denen als solchen eine politische Mo­ tivierung besonders nahe lag, sondern auch int Munde der Reforma­ toren mehrfach vorkommt. Sie meinten mit den meisten ihrer Zeit­ genossen, daß zweierlei Religion in einem Land zu Rotten und Unfrieöen führe und daß deshalb Einheitlichkeit der Lehre ein poli­ tisches Erfordernis fei. Diesen Gesichtspunkt macht z. B. die kur­ fürstliche Instruktion und die Luthersche Vorrede zur sächsischen Vi­ sitation geltend: „Wiewohl unsere Meinung nicht ist, jemand zu verbinden, was er halten oder glauben soll, so wollen wir doch zur Verhütung schädlichen Aufruhrs oder Unrichtigkeit keine Sekten noch Trennung in unsern Landen dulden"94), und „Obwohl feine Kurfürstlichen Gnaden zu lehren und geistlich zu regieren nicht befohlen ist, so sind sie doch schuldig, als weltliche Gbrigkeit darob zu halten, daß nicht Zwietracht, Rotten und Aufruhr sich unter den Untertanen erheben""). Aus diesem Gesichtspunkt heraus vermochte Luther in feiner Auslegung des 82. Psalms die Ausweisung von Sektierern in drastischer Weise damit zu begründen „wer das Stadtrecht nicht halte, solle sich trollen"96). (Es war ihm mit diesem politischen Gesichts­ punkt so ernst, daß er auch evangelischen Minoritäten nicht nur das Recht zur Auflehnung absprach, sondern von ihnen verlangte, dort abzutreten, wo andersgläubige Obrigkeiten sie nicht wollten9'). 3n dieser politischen Begründung religiöser Zwangsmaßnahmen lagen Toleranzkeime für die Zukunft, waren politische Gesichtspunkte 2*

20 allein maßgebend, dann mußte religiöser Zwang von selbst wegfallen, sowie der Staat einmal religiöse Einheit nicht mehr für politisch notwendig hielt. Das letzte und entscheidendste Motiv zum Zwange war aber doch das Verpflichtungsgefühl gegenüber -er einen göttlichen Wahrheit, häufiger, als mit politischen Gründen, wurde der Swang zur Reli­ gionseinheit in einem Territorium mit der Verpflichtung der Dbrigkeit, für die Ehre Gottes und den wahren Glauben zu sorgen, begründet"). Ruch da, wo zur Begründung -er Religionseinheil das politische Motiv auftritt, findet sich oft an benachbarter Stelle das andere, daß die Gbrigkeit nur die eine, allein wahre und Got­ tes Ehre allein entsprechende evangelische Lehre dulden dürfe, ja nicht selten steht es auch unausgesprochen oder halb ausgesprochen hinter dem politischen IHotro99). was später einmal Johann Ger­ hard höchst bezeichnend ausdrückte: Es sei zu erstreben „ut una eademque vera religio ubique vigeat", schwang schon in manchen Sätzen der Reformatoren, die die Worte eademque vera nicht ent­ hielten, irgendwie mit. „Vas Evangelium", so empfand Luther, „mag keine andere Lehre neben sich leiden". „Also haben wir die zwei, den Glauben und das Evangelium, angezeigt, daß dieselben und nichts anderes soll gepredigt werden in der Christenheit" 10°). Eine besondere Bewandtnis hat es mit dem Strafgrund der Gotteslästerung. Auf ihr stand nach dem Reichsrecht, nicht in allen, aber in vielen Fällen -er Tod. AIs Gotteslästerungen galten auch den Reformatoren neben böswilligen Schmähungen Gottes auch Leug­ nungen der durch das Apostolikum legitimierten, von Evangelischen wie Katholiken unbezweifelten kirchlichen Grundüogmen, wie Trinität, Gottessohnschaft und Sühntod Thristi und ewiges Leben in Himmel oder Hölle. Der für unser Empfinden unumgängliche Unterschied zwischen Lästerungen Gottes und vom Dogma abweichenden Anschauungen über Gott und Christus wurde nicht gemacht. 3u beachten ist, daß die schlimmsten dieser Häresien, die Leugnung von Schöpfung, Un­ sterblichkeit und Auferstehung, auch ein Vorkämpfer der Toleranz, wie Tastellio, noch für strafbar hielt, wenn er sie auch nur mit Geldstrafe und im Beharrungsfalle mit Landesverweisung bestraft sehen roollte101). Durch diese Auffassung als Gotteslästerung waren Lehren, wie die der Antitrinitarier, in besonderem Maße verfemt. Beschränkung staatlicher Strafen auf solche Fälle würde den Glaubenszwang wesentlich eingeschränkt haben. Luther war auf dem Wege dahin, als er 1525 die Bestrafung von Anhängern Thomas Münzers um ihres Glaubens willen ablehnte, „weil er sie noch nicht für blasphemos hielt"102). Aber er und die anderen haben diesem Begriff in steigendem Maße eine erweiterte Fassung gegeben. Schon

früh galt ihm die katholische Messe als Götzendienst und Gottes­ lästerung lM), ja, er konnte auch das seinem Rechtfertigungsglauben widersprechende vertrauen auf die eigene Kraft Blasphemie nen­ nen"»). Daraus ergab sich ihm als Pflicht der Gbrigkeit, den ka­ tholischen Gottesdienst auszurotten. Dieser Gedanke ist ein treibendes Motiv der Reformatoren in ihrem Kampfe gegen Rom gewesen und gab diesem einen erschütternden Ernst. Luther wandte auch auf die Messe den Gesichtspunkt an, daß eine Gbrigkeit, die Gotteslästerun­ gen dulde, Gottes Zorn auf sich und ihr Land herabbeschwöre "»). Nie jedoch hat Luther die Katholiken als Gotteslästerer im Sinne des Reichsrechts angesehen, wohl aber die Täufer. In seiner Auslegung des 82. Psalms unterschied er die öffentlichen Lästerer von minder schlimmen, gewöhnlichen Ketzern106) und rechnete die läuferischen Winkelprediger noch nicht zu ihnen — was ihnen freilich nichts nützte, da er sie als Aufrührer ansah und als solche dem „Meister Hans" (dem Henker) überwies"’). 1531 billigte er das Gutachten Melanchthons, das die Mißachtung des von Gott eingesetzten Pre­ digtamts nicht nur als Aufruhr, sondern auch als Blasphemie ver­ urteilte"'»). Unter dieses Urteil sind die Täufer oft gestellt worden. — wer, was oft geschieht, geltend macht, die Reformatoren hätten nicht Ketzerei, sondern nur Gotteslästerung hart bestraft wissen wol­ len, muß hinzufügen, -atz ihr Begriff von Gotteslästerung von dem unseren sehr verschieden war, daß sie ihm alle Abweichungen vom Apostolikum und vom altkirchlichen Trinitätsdogma, ja — im Ge­ gensatz zu Luthers Anfängen — auch Ketzereien unterstellten, die sich nicht auf diese Grunddogmen bezogen. Der Gesichtspunkt der Got­ teslästerung ist es vor allem gewesen, der die Berufung auf die alttestamentlichen Gesetze gegen die Gotteslästerer und die Todesstrafe gegen die Ketzer wieder in Gebrauch brachte. Vie Milderung der Ketzerftrafen und die Rückkehr zur Todesstrafe.

Gegenüber der mittelalterlichen Ketzerpraxis hat das Verfah­ ren -er Reformationszeit erhebliche Milderungen gebracht. Man ver­ suchte angelegentlich, die vom herrschenden Glauben Abweichenden zu belehren"»), und hat die der Belehrung Zugänglichen meist straflos gelassen. Man ließ den bei ihrem Glauben Beharrenden vielfach die Möglichkeit der Auswanderung. Wir empfinden den Verlust der Hei­ mat um des Glaubens willen als unbillige Härte. Damals ist das verlassen des Landes nicht selten als ein Dürfen, als ein „jus emigrandi" empfunden worden, z. 8. noch im Augsburger Religions­ frieden. Aber auch in den Ausführungen der Reformatoren und in den obrigkeitlichen Erlassen der Reformationszeit war der Gesichts-

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punkt -es Aus-dem-Lande-treibens, der strafweisen Landesverwei­ sung der vorherrschende. Immerhin war es ein nicht unerheblicher Fortschritt, daß die als irrgläubig Betrachteten nicht unbedingt an Leib und Leben gestraft, sondern oft nur von Landesverweisung be­ troffen wurden, teils ausdrücklich ohne Kränkung an Besitz und Ehren44°). So führten die Keime zur Gewissensfreiheit, die in der Reformation lagen und, durch Gegeninstanzen niedergehalten, zu­ nächst nicht zur Entfaltung kamen, wenigstens zu diesen Milderungen des Ketzerrechts. Aber auch diese sind nicht konsequent durchgeführt worden: Die Landesverweisung blieb Keineswegs die einzige Strafe, die von reformatorischer Seite gegen Ketzer angewandt wurde, sondern es traten Gefängnis- und schließlich auch Todesstrafe hinzu. Unter den von der Bannbulle verurteilten Sätzen Luthers be­ fand sich bekanntlich der Satz: „Ketzer verbrennen ist gegen den Wil­ len des heiligen (Beiftes"1U). Der zum Kirchengründer gewordene Luther, der sich in der Frage des Ketzerrechts so sehr gewandelt hat, hat in diesem äußersten Punkte noch eine Zeitlang an seiner alten Meinung festgehalten und auch Feinde seiner Kirche nicht mit dem Tode bestraft wissen wollen. Er fürchtete, wie er 1528 an Link schrieb, daß sonst die Seinen, wie einst die Juden und wie die Papi­ sten, auch unschuldiges Blut vergießen roüröen112). Man beachte, daß es sich schon hier um kein prinzipielles Zurückschrecken vor dem vergießen von Ketzerblut handelte, sondern nur davor, daß solche Bluturteile neben Schuldigen auch Unschuldige treffen könnten. Aber Luther hat doch damals die Todesstrafe gegen Ketzer noch sehr ent­ schieden abgelehnt113). Nicht allzuviel später (1530) hat er in der Erklärung des 82. Psalms läuferische Winkelprediger dem Henker überliefert sehen wollen444), allerdings nur, weil er sie in sehr weit­ gehender Ausdehnung des Begriffs als Aufrührer ansah. 1531 war er so weit, dem schon erwähnten Gutachten Melanchthons zuzustim­ men, das die Täufer nicht nur als Aufrührer, sondern auch als Got­ teslästerer mit dem Tode bedrohte415). 1557 hat selbst Brenz, der in seiner Schrift von 1528 mit so durchschlagenden Gründen die Todes­ strafe, wie überhaupt die Verfolgung der Täufer abgelehnt hatte4"), in völligem Widerspruch zu seiner früheren Anschauung ein Gut­ achten unterzeichnet, das unter Berufung auf Leviticus 24 ir, die Täufer als Aufrührer und Gotteslästerer des Todes schuldig er­ klärte444). Dem Berner Reformator Berchtold Haller dagegen haben die Täuferhinrichtungen viele Skrupel bereitet und er schrieb 1532 an Bullinger das schöne Wort: „Dürfen wir, die wir auf Seiten des Evangeliums stehen und von allen Verfolgung um Thristi willen er­ warten sollten, auch solche haben, die wir verfolgen?"443) Aber Durchgreifendes für die Herbeiführung größerer Milde hat auch er

nicht getan. So find, vor allem durch die weite Ausdehnung der Be­ griffe Aufruhr und Gotteslästerung und die wahrhaft furchtbare Nachwirkung der alttestamentlichen Gesetze gegen die Gotteslästerer, viele Täufer und so manche Antitrinitarier dem Tode durch evan­ gelische Obrigkeiten verfallen. Nie aber haben protestantische Gbrigkeiten, obwohl die Reformatoren auch die Messe als Götzendienst und Gotteslästerung ansahen, katholische Christen um ihres Glau­ bens willen hingerichtet, währen- das Umgekehrte bekanntlich häu­ fig geschehen ist. Vas unterscheidet erheblich die beiden Konfessionen. Daß man dieses Absehen von der Todesstrafe gegenüber Katholiken, die man doch für Gotteslästerer hielt, als eine Inkonsequenz empfin­ den konnte, zeigt eine interessante Äußerung Bucers: Man solle, ob­ wohl die Täufer auf Grund des göttlichen Gesetzes des Todes schul­ dig seien, gegen sie die Todesstrafe aus verschiedenen Gründen zur Zeit nicht anwenden, unter anderen auch deshalb, weil man gegen das Lästern der Päpstler und die Religionsverachtung der Epikuräer diesen Ernst ja auch nicht anwende»"). Gffenbar hielt Vucer einen solchen Ernst theoretisch auch den Katholiken gegenüber für berech­ tigt. Andererseits sind diese Worte ein Zeugnis dafür, daß er prak­ tisch ihn auch gegen die Täufer nicht ausgeübt sehen wollte.

was für eine andere Luft weht uns in alledem entgegen, als in den Anfängen Luthers! Am allerweitesten von ihnen entfernt be­ finden wir uns bei Calvin"»). Für ihn war der Glaube in so zen­ traler weise Unterwerfung und Gehorsam, daß bei ihm Luthers Mo­ tiv selbständiger Aneignung des Glaubens nicht hervortrat und er im Gegensatz zu Luther -en Glaubenszwang nie als Problem emp­ funden hat. Dem Dienst der Ehre Gottes mit brennendem Eifer hin­ gegeben und von der Geltung der alttestamentlichen Gesetze gegen die Gotteslästerer als ewig gültiger Gottesworte felsenfest überzeugt, hielt er die Niederwerfung derer, die er als Lästerer und Feinde Gottes ansah, für unbedingte Pflicht. Sein Schüler Beza nannte die Lehre von der Gewissensfreiheit, die er als schrankenlosen Subjek­ tivismus mißverstand, zu glauben, was man wolle, während sie an einen Glauben denkt, der sich dem Gewissen als verpflich­ tend aufdrängt, sogar ein teuflisches Dogma"»). Mit Staunen härt jeder, der Reformation und Gewissensfreiheit irgendwie als zusammengehörig empfindet, das Wort von der libertas conscientiae als diabolicum dogma aus dem Munde einer reformatorischen Per­ sönlichkeit. Es ist kein Zufall, daß dieses Äußerste nicht Luther oder Zwingli, sondern ein Schüler Calvins gesagt hat.

24 Der Protest evangelischer Laien -ege« Zwangsmatznahrnen der Reformationskirchen. Aber die Worte vom Unrecht des Glaubenszwanges waren ein­ mal gesprochen, waren vom jungen Luther mit hinreißender Gewalt gesprochen. Sie blieben unvergeßlich und wirkten auf viele uneinge­ schränkter, als sie die Reformatoren gemeint hatten. Infolgedessen erhoben sich gegen -en Glaubenszwang der Reformatoren Stimmen aus dem eignen Lager, aber fast nur von evangelischen Laien. Manche dieser Laien waren darin von den Rebenströmungen der Re­ formation mitbeeinflußt, wollten aber treue Söhne der Reformation sein. 1530 wünschten Evangelische in Nürnberg unter Berufung auf frühere Worte Luthers, -aß die Gbrigkeit allen Glaubensweisen Freiheit lasse, soweit sich ihre Vertreter nicht des Aufruhrs schuldig machten. Ausdrücklich schreibt Lazarus Spengler, der diese An­ schauung bekämpft, daß nicht etwa Schwärmer, sondern Leute, die als gute evangelische Christen galten, diese Anschauung hegten122). Ähnliches hören wir von evangelischen Laien in Augsburg und Zwei­ brücken 123). Vas Gutachten der Ulmer Gbrigkeit an Philipp von Hessen in Sachen der Täuferbestrafung von 1536 war wesentlich gelinder, als die der Theologen, und äußerte Bedenken, die Wieder­ täufer, soweit sie nicht Aufruhr erregten, unter die Strasgewalt der Gbrigkeit zu stellen124). Kein Geringerer als Philipp von Hessen gehörte zu diesen Laien. Er hatte ein« tiefe Abneigung gegen die Todesstrafe für Ketzer, ja letztlich gegen jede Glaubensverfolgung überhaupt. Er berief sich daraus, daß der Glaube eine durch keinen Zwang herbeizuführende Gabe Gottes fei125), und auf das Beispiel der alten Kirche, die nicht verfolgt habe125), gut reformatorische Argumente, während ein weiteres Argument, der Hinweis auf un­ vermeidliche Verschiedenheiten in so manchen Glaubensanschauun­ gen121), anderer Herkunft ist. (Er hat sich trotz des Drängens der sächsischen Fürsten und Theologen immer wieder geweigert, die To­ desstrafe über die Täufer zu verhängen, und noch in seinem Testa­ mente bezeugt: „Einen Menschen um deswillen, daß er unrecht glaubt, zu töten, haben wir nie getan, wollen auch unsere Söhne er­ mahnt haben, solches nicht zu tun; denn wir halten" — man achte auf die religiöse Motivierung! — „daß es wider Gott sei, wie das im Evangelia klar angezeigt ist, auch Augustinus und Thrqsostomus und andere alten Lehrer, auch in tripartita historia128), klar schrei­ ben" m). Vie Straßburger Pfarrerswitwe Käthe Zell, die warmher­ zige Beschützerin vieler Sektierer, vertrat noch 1567 gegen die ver­ folgenden Geistlichen die an Luthers Anfänge erinnernden Sätze:

„wer Böses tut, Öen soll eine Dbrigkeit strafen, Öen Glauben aber nicht zwingen unö regieren, wie ihr meint; er gehört dem herzen unö Gewissen zu, nicht dem äußerlichen Menschen" 13°). Vie Hinrich­ tung Servets in Genf setzte sie in parallele zur Hinrichtung hußens durch öie Bischöfe unö Pfaffen in Konstanz unö die Jesu durch die Hohenpriester unö Schriftgelehrten in Jerusalem181). Wie sehr ihr Reformation unö Freiheit zusammen gehörten, zeigen Öie Worte: „Meinet ihr, daß sich Öie Leute in ein Gesetz unö Zwang werden treiben lassen, wie vorhin? Nein freilich, Öie Freiheit unö verstand ist ergriffen!"132) ver niederländische Emigrant de Falais in Genf, bis dahin ein Freund, ja Günstling Lalvins, bekämpfte öeffen schar­ fes Vorgehen gegen Bolsec, einen Gegner seiner Prädestinations­ lehre, weil Öie Frage der Prädestination „ein von der Welt her strit­ tiger Artikel" sei unö weil man nicht Öen katholischen Widersachern dar Schauspiel bieten dürfe, daß Öie Evangelischen selber einander mit Feuer unö Brand in Glaubenssachen verfolgten188). Ein anderer Freund Calvins, der Verner Ratsschreiber Nikolaus Zurkinden131), machte ihm ernste vorwürfe wegen feiner härte gegen Andersden­ kende. Er hielt völlige Einheit in allen Glaubensfragen für un­ möglich188) und verabscheute tief Öen Theologenhader unö Öie Ver­ folgung Andersdenkender als verstoß gegen die christliche Haupt­ pflicht der Liebe188). Diese Motive sind nicht reformatorisch, sondern erinnern an Castellio, mit dem Zurkinden ebenfalls befreundet war. Aber er war ein treues Glied der Lerner Kirche unö hielt öie Freundschaft mit Calvin dauernd fest, vor allem bekämpfte er öie Todesstrafe gegen Ketzer, in der er einen Rückfall in Öen Katholi­ zismus sah: wir Evangelischen könnten, so schrieb er an Calvin, den Papisten, deren Grausamkeit wir brandmarken, keinen größeren Gefallen erweisen, als wenn wir selbst solche Grausamkeit übten unö das Henkeramt auch bei uns wieder einführten181). Calvins Aus­ führungen über die Pflicht der Dbrigkeit zur Ketzerbestrafung in seiner Schrift zur Verteidigung der Hinrichtung Servets von 1554 nannte Zurkinden einen „fast allen" verhaßten Standpunkt188). Vie Anschauung, daß Reformation unö Glaubenszwang nicht zusammen­ passen, ist offenbar bei evangelischen Laien der Reformationszeit, mit denen sich die Kirchengeschichtsschreibung leider viel zu wenig be­ schäftigt, weit verbreitet gewesen — eine für unser Problem be­ deutsame Tatsache!188)

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Der Toleranzgedanke evangelischer Außenseiter und sein Verhältnis zur Reformation. Die Hauptkämpfer für größere Toleranz im 16. Jahrhundert wurden die Nebenströmungen der Reformation. Wie die Reforma­ toren Widerspruch gegen den römischen Glaubenszwang erhoben hat­ ten, so erhoben nun die Täufer Widerspruch gegen den Glaubens­ zwang -er Reformationskirchen,- aber auch ihre Toleranz hatte sehr bestimmte Grenzen. Rm entschiedensten bekämpften den Glaubens­ zwang mystische Spiritualisten, wie Sebastian Franck, und freier ge­ richtete humanistische Christen mit mystischen Einschlägen, unter denen als Vorkämpfer weitgehender Toleranz Sebastian Lastellio und Jacob Hcontius hervorragen. Ersterer ließ 1554 nach der Verbren­ nung Servets die Streitschrift De haereticis, an sint persequendi, qusgehen, Acontius ließ 1565, ebenfalls in Basel, die Stratagemata Satanae erscheinen, in denen er — im diametralen Gegensatz zu Bezas Meinung von der Gewissensfreiheit als teuflischem Dogma — Zwang und Verfolgung als Kriegslisten des Satans zur Vernichtung -es Christentums geißelte.

Eine nähere Behandlung dieser Nebenströmungen liegt außer­ halb unserer Aufgabe,- aber dieselbe verlangt, daß wir das Verhält­ nis ihrer Haupttoleranzmotive zu den Gedanken der Reformatoren ins Auge fassen. Eines ihrer Hauptmotive war, daß es verschiedene christliche Glaubensausprägungen gäbe, die ein relatives Recht hätten; die Einheit im Wesentlichen genüge. Das waren fortwirkende Gedanken des Erasmus, die Luther aus dem felsenfesten Bewußtsein absoluten Wahrheitsbesitzes heraus grimmig abgelehnt hatte und die von re­ formatorischer Seite her dauernd als Skepsis und Sn-ifferentismus empfunden wurden. AIs innerprotestantisches Toleranzmotiv ist die Unterscheidung von wesentlichem und minder wesentlichem den Straßburgern und Schweizern int Abendmahlsstreite aufgegangen, indem sie zu der Überzeugung kamen, daß die Abendmahlskontro­ verse nicht in die Substanz des Christentums hineinreiche 140). Schon auf der Berner Disputation von 1528 hatte Bucer in ergreifenden Worten ausgesprochen, daß er und seine Freunde Luther, trotz seiner andersartigen Abendmahlslehre und Christologie, für ihren Bruder hielten, weil er im Glauben an Christus als den einzigen Heiland, also in der Summa des Glaubens, mit ihnen einig fei141), während Luther Zwingli für einen Unchristen hielt und ihm in Marburg die Bruderhand verweigerte. Diese Unterscheidung von Fundamentalem und minder Wesentlichem, die die Straßburger und Schweizer vor Luther voraus hatten und die auch Calvin nicht ftemd war, ist der

Keim zu zahlreichen Unionsversuchen zwischen Öen beiden evange­ lischen Konfessionen und darüber hinaus zu einer auch die Außen­ seiter der Reformation einschließenden Toleranz, also ein Toleranz­ motiv von hoher Bedeutung. Uber es ist für unser Thema nicht zen­ tral, weil es die Toleranz nicht mit der Forderung der Gewissens­ freiheit motiviert. Ein weiteres Toleranzmotiv der Nebenströmungen war, daß Verfolgung von Andersdenkenden der christlichen Liebe widerspreche. „G Christus", fragt Lastellio, „bist du dir selber so ganz unähn­ lich geworden? Als du auf Erden wandeltest, warst du der Sanft­ mütigste, Barmherzigste und Langmütigste . . . Bist du jetzt wirk­ lich so ganz ein anderer? . . . Befiehlst du, daß die, welche deine Gebote nicht so verstehen, wie unsere Oberen es verlangen, durch Wasser, durch Feuer, durch das Schwert vertilgt werden? . . . Sind die, welche solche Schlachtopfer darbringen, deine Diener? ® der entsetzlichsten Gotteslästerung, o der frechen Bosheit der Menschen, die es wagen, Thristo das zuzuschreiben, was nur auf Befehl und An­ stiften Satans geschehen konnte!"142) Man beachte die völlige Um­ wertung: Der Satan und der Begriff Gotteslästerung werden nicht mit der Ketzerei in Verbindung gebracht, sondern mit der Verfolgung und ihrer Zurückführung auf den Willen Christi. Auch sonst ist das Motiv der christlichen Liebe als Argument gegen die Verfolgung oft aus tiefem Empfinden heraus geltend gemacht worden. Auch dieses Argument stammte nicht von den Reformatoren; ja es ist von ihnen bestimmt und hart abgelehnt worden. Luther sagte, man solle niemand mehr lieben als Gott und Thristus; wo das in Betracht käme, höre die Liebe auf143), und Calvin forderte: „Keine mensch­ liche Regung darf den heiligen Eifer schlaff machen, wo man Gottes heiligen Namen entweiht sieht"1"). Dagegen hat ein drittes Argument, die täuferische Scheidung von geistlichem und weltlichem Regiment, starke wurzeln in Luther. Aber bei Luther wurde, wie wir sahen, diese Scheidung durch anders­ artige Gedanken gekreuzt. Die Täufer führten sie konsequent, ja radikal durch, unter Preisgabe der Volkskirche und mit Mißachtung des Staates, was beides in schroffem Widerspruch zu Luther stand. 3n allerengster Beziehung zur Reformation steht ein viertes Toleranzmotiv der Nebenströmungen: daß der Glaube auf freier Ge­ wissensentscheidung beruht. Wie viele Täufer haben sich, wie einst Luther, schlicht und fest auf den Glauben als freie Gabe Gottes und auf ihr an Gott gebundenes Gewissen berufen. Für Sebastian Franck war es ein zentrales Anliegen, daß der Glaube eine auf innerer Überwindung des Herzens beruhende persönliche Sache fei145). Castellio betonte, daß der Mensch durch feinen eignen Glauben gerettet

28 werden müsse"«). Nicht nur wir erkennen Luther als den Ursprungs­ ort dieser Überzeugung, sondern viele Täufer beriefen sich dafür aus die Reformatoren147), ebenso Franck, der trauernd hinzufügte, Luther und seine Junger seien jetzt aus der Sonne in den Schatten zurück­ gelaufen1^), und Tastellio stellte in seiner Toleranzschrift eine Fülle von Toleranzäußerungen -er Reformatoren, darunter Luthers er­ greifende Worte aus „von weltlicher Gbrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei", zusammen, um zu zeigen, daß die Glaubens­ verfolgung der Reformatoren mit ihren früheren Äußerungen im Widerspruch stünde. Diese Scheidung des späteren vom früheren Lu­ ther entspricht bis zu einem gewissen Grade, aber keineswegs völlig, -en Tatsachen. Gewiß hat sich Luther gewandelt, und die Töne von freier Gewissensentscheidung erklingen in -er Reformation nirgends so hell, wie beim jungen Luther. Über so tolerant, wie diese Außen­ seiter -es Reformationszeitalters meinten, ist — das sahen wir — auch der junge Luther nie gewesen,- sondern die Momente der Bin­ dung waren in ihm schon damals stärker, als die -er Freiheit. Erst jene relativistischer empfindenden Außenseiter haben die volle Non­ sequenz daraus gezogen, daß Glaube als selbständig« Verantwortung keinen Zwang leidet. Aber diese Erkenntnis selbst war in der Seel« Martin Luthers geboren. Kein Mystiker und kein Humanist hat annähernd so tief wie Luther die persönliche Verantwortung und Selbständigkeit des Glaubens erfaßt. Gerecht abwägende Historie darf im Gegensatz zu denen, die alles Große Luther zuschreiben möch­ ten, nicht verkennen, wie außerordentlich groß die Bedeutung der Rebenströmungen für die Geschichte der Toleranz ist. Sie vertraten eine Anzahl wertvoller, nicht von den Reformatoren stammender, ja von ihnen abgelehnter Toleranzmotive und sie zogen Konsequen­ zen, die die Reformatoren noch nicht entschieden gezogen hatten. Aber das bleibt unumstößlich: Ihr wertvollstes und durchschlagendstes To­ leranzmotiv, die im Wesen des Glaubens liegende Selbständigkeit -er Glaubensentscheidung, verdankten sie Luther"»).

Zusammenfassung -er Resultats. Vas Problem Reformation und Gewissensfreiheit erwies sich als ein sehr kompliziertes. Kein exklusives Ja oder Rein wird den Tatbeständen gerecht,- sondern man muß die Spannung entgegenge­ setzter Motive, die Bedeutung noch eingekapselter Keime und die in ihnen liegende, auf die Dauer nicht einzudämmende Sprengkraft zu sehen vermögen. Vie vor allem auf die Aufklärung zurückgehende Anschauung weiter protestantischer Kreise, daß die Reformatoren die Gewissensfreiheit gebracht haben, ist unhaltbar. Sie hatten ein viel

zentraler« religiös« Anliegen unö haben einen harten Rirchenzwang aufgerichtet. Aber auch die entgegengesetzte Meinung, daß zwischen Reformation und Gewissensfreiheit keine Beziehung besteht, ist falsch. So sehr die Reformatoren von einem absoluten Wahrheits­ begriff erfüllt waren und so hart der Swang war, der daraus floß, liegen doch entscheidende Reime der Gewissensfreiheit in der Refor­ mation. Der Sturz der römischen Rirchenautorität, die mehr als ein Jahrtausend die Gewissen gebunden hatte, gab — wider den willen der Reformatoren — dem Autoritätsprinzip überhaupt einen Stoß. Die Befreiung d« Staat« von der Dorherrschaft der Hierarchie, Lu­ thers Scheidung von geistlichem und weltlichem Regiment und die Anerkennung des selbständigen Recht« und der selbständigen Auf­ gabe des Staates, half mit zur Entstehung der Staatsauffassung spä­ terer Seiten, daß der Staat nur seine Zwecke zu betreiben und die Religion freizulassen hat, auch wenn diese Motive zunächst durch das andere gekreuzt und zurückgedrängt wurden, daß der Staat sich in den Dienst d« göttlichen Worts zu stellen habe. Dor allem aber trug die Überzeugung vom Glauben als göttlichem Geschenk und die andere vom Glauben als selbständiger persönlicher Derantwortung, die der junge Luther in unvergeßlichen Worten vertreten hatte und die die Reformatoren von gewissen Skrupeln gegenüber dem ge­ übten Zwang nie ganz loskommen ließen, Ronsequenzen in sich, die schließlich hervorbrechen mußten.

Ausblick auf den Durchbruch der modernen Gewissensfreiheit und ihr Verhältnis zur Reformation. Diese Ronsequenzen sind int Zeitalter Cromwells vom englischen Jndependententum mit Entschiedenheit gezogen worden, hier kam die den meisten heutigen Protestanten geläufige Anschauung zum Siege, die schon in manchen Laienstimmen des 16. Jahrhunderts anklang, daß Protestantismus und Gewissensfteiheit unlösbar zu­ sammengehören. John Milton, der glänzendste Dertreter dieser Geist«richtung ^o), erklärte, daß der Protestant, der verfolgt, wider sein eign« Prinzip handle151) und daß die Dergewaltigung der Ge­ wissen eine Derletzung d« Fundamentalprivilegiums des Evange­ liums, der christlichen Freiheit, fei152). Don den Toleranzmotiven dieser Independenten gehen viele auf die Rebenströmungen der Re­ formation zurück: daß Derfolgung gegen die christliche Liebe ist, daß nur der Glaube an die wesentlichen christlichen Wahrheiten zu verlangen sei, daß « wegen der Derschiedenartigkeit der Indivi­ dualitäten verschiedene Glaubensanschauungen geben müsse, eine Wahrheit, die einst Sebastian Franck und leiser Philipp von Hessen

30 und Nikolaus Zurkinden vertreten hatten und die nun Utilton gel­ tend machte153). Aber noch stärker traten Motive reformatorischen Gepräges hervor. Glaubenszwang war für Milton vor allem des­ halb unzulässig, weil die Bibel die einzige Norm ist und weil der Glaube nicht blind sein bars154). Aus der Überzeugung, daß die vom heiligen Geiste ausgelegte Bibel die einzige Norm ist, zog er die Nonsequenz: Jeder ist zu dulden, der sich unter sie stellt, wie er sie auch deutet. Venn es gibt keine Instanz, die entscheiden kann, wer sie richtig auslegt und wer nicht155). Vie Reformatoren hatten die Bibel als eindeutig-klar angesehen und für die Lehre, die sie der Bibel entnahmen, den Anspruch auf Alleinwahrheit erhoben, vurch die Erkenntnis, daß die richtige Deutung der Schrift nicht autori­ tativ feststellbar ist, wurde nun das Schriftprinzip, das einst Zwang begründet hatte, zum hort der Freiheit für alle Strömungen und Gruppen des Protestantismus. Dazu trat das Prinzip, daß der Glaube selbständig sein muß. Milton hat es aus glühender Empfin­ dung heraus vertreten. Erzwungener Glaube war ihm überhaupt nicht Glaube, sondern Sünöe156). Vas ist die reformatorische Er­ kenntnis aus der Anfangszeit Luthers, die bei ihm von Anfang an in Spannung mit anderen Instanzen stand und diesen, zumal seit die Reformatoren zu Rirchengründungen fortschritten, immer mehr wei­ chen mußte, aber auf reformatorischem Boden nie völlig erlosch und bei den Außenseitern der Reformation zu neuer Geltung gekommen war. Jetzt brach sie siegreich hindurch und besaß die Kraft, auch über die Schranken der nur innerprotestantischen Toleranz des Eromwellschen Zeitalters, das dem Katholizismus noch mit harter Intoleranz gegenüberstand, hinauszuführen. Den vollen Sieg der Toleranz brachte erst die Aufklärung und der Jndividualitätsgedanke des deutschen Idealismus, viele Toleranzmotive dieser Geistesbewegungen sind säkular und wurzeln nicht in der Reformation157). Aber eines ihrer Hauptmotive war, daß jede religiöse Überzeugung eine selbständige Gewissensüberzeugung und als solche nicht erzwingbar ist. Darin fühlten sich viele Aufklärer und Idealisten mit Luther einig und priesen ihn als den Bringet der Gewissensfreiheit. Der harte Zwang, den die Reformatoren befür­ worteten und übten, und der tiefgehende Unterschied zwischen dem an das Schriftwort gebundenen Gewissen der Reformatoren und dem autonomen Gewissen dieser neuzeitlichen Geistesströmungen kenn­ zeichnet diese Meinung als eine historisch unzulässige Modernisierung der Reformation. Dennoch ist die Berufung der Aufklärer und Idealisten auf die Reformatoren keine grundlose Willkür, weil die Reformatoren, obwohl sie die Gewissensfreiheit noch nicht gebracht

31 haben, doch starke Keime zu ihr legten, und weil zwischen ihnen und der modernen Gewissensfreiheit Beziehungen bestehen. Auch das autonome Gewissen ist, insofern es Gewissen ist, nicht bindungslos. 3m Idealismus handelt es sich, von einigen Bus­ nahmen abgesehen, um nichts weniger als um einen selbstherrlichen Subjektivismus, vielmehr um eine Autonomie, die in transzenden­ ten Tiefen, letztlich in einer Theonomie, verankert ist, aber diese Theonomie in Freiheit zu erfassen sucht158). Erst im nachidealistischen Zeitalter stieg ein normenloser Subjektivismus empor, der zur Gei­ stesart der Reformation in diametralem Gegensatze steht. Ls ist ein Grundirrtum vieler heutiger Bekämpfet des Idealismus, daß sie zwischen diesem normenlosen Subjektivismus und der freien Gewis­ sensentscheidung der Idealisten keinen Unterschied sehen. Selbstver­ ständlich ist Lichtung der Autorität reformatorischem Glauben zu­ wider. Aber freie Gewissensentscheidung ist nicht Achtung der Au­ torität, und ebensowenig, wie mit Achtung der Autorität, verträgt sich reformatorischer Glaube, der von Gott geschenkte Gnade und selbständige verantwortungsvolle Entscheidung zugleich ist, mit der Achtung der Freiheit, die heute manche Verehrer der Reformation vollziehen. Dürfen wir das sagen, wo wir von so vielem Zwang re­ formatorischen Kirchentums zu berichten hatten? Ja, der Zwang war groß. Vas mutz zum Schlutz noch einmal betont werden, sowohl gegenüber denen, die sich über ihn hinwegtäuschen und die Reforma­ toren zu Vertretern der Gewissensfreiheit machest, als auch gegen­ über denen, die sich voll bewußt sind, daß die Reformatoren das nicht waren, und die dennoch unter prinzipieller Ablehnung alles -essen, was die Jahrhunderte nach der Reformation gebracht haben, die heutigen Christen nicht nur zu den unüberbotenen und tiefste Wahr­ heiten in sich tragenden christlichen Zentralgedanken der Reformation zurückrufen, sondern ihre Gesamtposition von neuem ungebrochen zur Geltung bringen wollen. Gerade die Beschäftigung mit unserm Thema zeigt, daß wir auch den Nebenströmungen der Reformation und den großen Bewegungen der Neuzeit unaufgebbare Güter ver­ danken und daß ein direkter Anschluß an die Reformation eine Reaktion sein würde, die auch Unerträgliches in sich enthielte. Aber so groß der Zwang war, so drängte sich uns bei unserer Unter­ suchung auch die Tatsache auf, daß die Reformation Freiheitstenden­ zen enthielt, zu denen dieser Zwang in einer außerordentlich star­ ken Spannung stand und die durch ihn in tragischer Weise zurück­ gedrängt wurden, von der modernen Welt wurde diese Spannung zugunsten der Freiheitsseite gesprengt. Vas bedeutet eine tiefgehende Umwandlung gegenüber der Haltung der Reformatoren. Aber wo die Freiheit Gewissensfreiheit, das heißt in ewigen Normen ver-

32 ankerte Freiheit bleibt, besteht trotz dieses Unterschiedes eine Wesensverrvandtschaft mit der Reformation, ja alle in Normen ver­ ankerte Freiheit der modernen weit hat in der Reformation eine ihrer tiefsten wurzeln.

Anmerkungen. *) Bulletin de Phistoire du protestantisme fran^ais, 1903, 283 ff., 378 ff., 560 ff. 2) Walther Köhler, Reformation und Ketzerprozeß, 1901; — h. Her­ melink, Der Toleranzgedanke im Reformationszeitalter, 1908; — Niko­ laus Paulus, Protestantismus und Toleranz im 16. Jahrhundert, 1911; — Karl Völker, Toleranz und Intoleranz im Zeitalter der Reformation, 1912; — Johannes Kühn, Toleranz und Offenbarung, 1923; — Paul wappler, Inquisition und Ketzerprozesse in Zwickau zur Reformationszeit (darge­ stellt im Zusammenhänge nut der Entwicklung der Ansichten Luthers und IRelanchthons über Glaubens- und Gewissensfreiheit), 1908; — Derselbe, Die Stellung Kursachsens und des Landgrafen Philipp von Hessen zur Täuferbewegung, 1910; — Derselbe, Die Täuferbewegung in Thüringen 1526—1584, 1913; — Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kir­ chen und Gruppen, 1912, bes. $. 468 ff.; — Karl holl, Luther, 1923 2.3., bes. 5. 366 ff., S. 484 ff. 3) vgl. Günter Jacob, Der Gewissensbegriff in der Theologie Luthers, 1929, und Hans Wichael wüller, Erfahrung und Glaube bei Luther, 1929. 4) w (= Luthers Werke, Weimarer Ausgabe) 22, S. 84 und 431; w. 17, II. Abteilung, 394. *) w. 20, 718; w. 40, II, 22. 6) w. 17, II, 351; w. 31, I, 176. 7) w. g, 607. 3) w. 8, 609. 9) w. 10, I, 1. Hälfte, 611 (Kirchenpostille von 1522). 10) w. 40, I, 589: Nostra theologia est certa, quia ponit nos extra nos; non debeo niti in conscientia mea, sensuali persona, opere, sed in promissione divina. hier handelt es sich durchaus um die §rage der Recht­ fertigung. n) von INenschenlehre zu meiden, w. 10, II, 23. 12) w. 10, I, 2. Hälfte, 335. 13) von weltlicher Gbrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei, w. 11, 264. ") vgl. p. Kalkoff, Die Depeschen des Nuntius Rleander vom Worm­ ser Reichstage, 1886, 5. 143. 15) Günter Jacob übersieht in seinem Buche, das Luthers Anschau­ ungen vom geängsteten und getrösteten Gewissen schön entwickelt, den Ge­ brauch von Gewissen im Sinne selbständiger Verantwortung völlig. Cs ist bezeichnend für ihn und die Einstellung mancher heutiger Theologen Überhaupt, daß in seinem Buche über den Gewissensbegriff in der Theolo­ gie Luchers dessen Wormser Berufung auf das Gewissen überhaupt nicht vorkommt! Demgegenüber kommen bei Theodor Siegfried, Luther und Kant (ein geistezgeschichtlicher vergleich im Anschluß an den Gewissens­ begriff, 1930), Luthers Gedanken vom geängsteten und getrösteten und

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die vom selbständigen Gewissen gleichermaßen zu ihrem Recht, wertvoll ist auch sein Nachweis, daß Luther mehrfach Gewissen im letzteren Shine einsetzt, wo er die neutestamentliche Vorlage nicht hat (S. 20 u. 40 f.). 16) w. 11, 264. 17) Dar schon zitierte Wort „Du mußt selber beschließen. Er gilt dir deinen hals, er gilt dir dein Leben. Darum muß dir Gott ins herz sagen: Das ist Gottes Wort. Sonst ist es ungeschlossen" fügt in bezeichnender weise beide Momente, das wirken Gottes und die Selbständigkeit des Men­ schen, zusammen. 18) w. 30, II, 401. 19) W. 11, 264. 20) w. 11, 264. 2i) w. 11, 266. 22) w. 11, 268. 23) Werke, h. von Egli pp., 2, 502. 24) w. 10, II, 107. 27) w. 15, 219. 25) w. 10, III, 15. 26) w. 10, III, 18. 23) w. 26, 145 f. 29) w. 47, 284. 30) w. 37, 598. 31) w. 51, 239. 32) Luther war sich selbst dessen bewußt, zur höheren Wertung des weltlichen Regiments außerordentlich viel gelüstet zu haben: „Seit den Ta­ gen der Apostel ist die Gbrigkeit nie so gelobt worden, wie von uns." TD., Tischgespräche, Bd. 1, 187. 33) Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben, 1525, w. 18, 299. 34) Corpus Reformatorum 2, 18. 35) predigt über Mt. 13^ ff. in der Fastenpostille 1525, TD. 17, II, 123ff.: Die Uetzer seien nicht auszurotten,- mit Gottes TDort sei allein zu handeln, wer heute irre, könne morgen zurecht kommen. Durch Töten der Uetzer hsindere man diese Möglichkeit, töte so nicht nur den Lew, son­ dern auch die Seele. Darum solle dieser Spruch billig die Ketzermeister er­ schrecken, ob sie gleich rechte Uetzer vor sich hätten. Nun aber verbrennen, sie die rechten heiligen und sind selbst Uetzer, raufen den Weizen aus. — Man beachte, daß Luthers Frontstelluna gegen die Römischen gerichtet ist, daß er aber diesen Sätzen prinzipielle Geltung zuschreibt: Sie gelten auch, wenn man rechte Uetzer vor sich hätte. 36) Apologeticus Archeteles, Werke, h. von Egli pp., 1, 316. 37) TD. 6, 455. 38) Ziehe oben S. 9 ff. 39) Luthers Briefwechsel, h. von Lnders pp., 6, 299. 40) TD. 26, 200. 4i) XD. 26, 197. 42) vgl. Alfred Farner, Die Lehre von Uirche und Staat bei Zwingli, 1930, S. 85 f., 104. 43) Alfred Farner, a. a. G., §. 105 ff. 44) L. Richter, Uirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, 1. Vd., 1846,

§. 77 ff. vgl. Uarl holl, Luther, 1923 2 u. 3, s. 372 ff. 45) Satan pergit esse Satan. Sub Papa miscuit ecclesiam politiae, sub nostra tempore vult miscere politiam ecclesiae. Enders, Briefwechsel, 15, 256. 46) w. zi, 1, 207—213. 47) w. 50, 13. 48) ziehe oben $. 10. 49) Wolfgang Tapito, Responsio de missa, matrimonio et iure magistratus in religionem (1537), 15402, S. 13 a und 90 a, zitiert bei H. Paulus, a. a. (D., §. 130 und 139. 13 a: Itaque finis administratae reipublicae inlcr cthnicos cst publica pax ad civiles inores faciens ... Inter pios autem et christianos pubhcata gloria Dei finis cst. 50) Martin Vucer: Dialogi oder Gespräche von der Gemeinsame und den Uirchenübungen der Christen und was jeder Gbrigkeit von Amts wegen aus göttlichem Befehl an derselben zu versehen und zu bessern gebühre, Augsburg, 1535, Vorrede, A4 links. Die Hauptabsicht dieser Dialoge ist die Begründung der Anschauung, daß die Zorge für wahre Religion und Hoffmann, Reformation und Gewissensfreiheit.

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34 wahren Gottesdienst die Haftpflicht der Obrigkeit sei, und die Bestreitung der gegenteiligen Anschauung. 51) Bucer: vialogi, A5 rechts. 62) Bucer, ebenda, N 3 rechts. 53) S. Hartmann und Jäger, Johann Brenz, 1. Bb., 1840, S. 295 f. und Nikolaus Paulus, S. 120. 64) Auslegung des 82. Psalms. W. 31, I, 209. 55) Melanchthon im Corpus Reformatorum 2, 17 f. 66) Bueer: vialogi, M 3 links, ff. 67) Vie Gutachten über Täuferbestrafung von 1536 sind abgedruckt von Hochhuch in der Zeitschrift für die historische Theologie, h. von Niedner, Jahrgang 1858, S. 538 ff. Huf die alttestamentlichen Gesetze gegen die Got­ teslästerer berufen sich das Gutachten der Braunschweiger (S. 571), das der Württemberger (S. 587) und das der Ulmer Prediger (S. 580). 58) 5. oben S. 11. 59) 3. B. werden in Bucers vialogi die Einreden des Dialoggegners Simprecht, daß den Christen größere Milde zieme, als dem Hlten Testament, entschieden abgelehnt. 60) Bueer, vialogi, M 2 rechts: Vas Gesetz der Natur verlange, daß alle Oberen dahin zum vornehmsten trachten sollen, daß bei den Ihren der wahre Gottesdienst recht eingeführt und erhalten werde. — Melanchthon: Morale et naturale mandatum est, prohibere et punire idololatriam ac blasphemias. (Corpus Reformatorum 3, 242.) 61) Huf das Cogite intrare beruft sich z. B. das von Urbanus Nhegius verfaßte Braunschweiger Gutachten von 1536, abgedruckt in der Zeit­ schrift für die historische Theologie, 1858, S. 569 f. 62) Diese für die Uetzer ungünstige Deutung des Gleichnisses vom Un­ kraut unter dem Weizen enthält z. B. das Wittenberger Gutachten von 1536, w. 50, 13, ebenso Luthers predigt über Matthäus 13 ff. in seiner Hauspostille von 1544 (w. 52, 130 ff.), die wesentlich anders gerichtet ist, als die in seiner Uirchenpostille von 1525 über denselben Text, s. Hnm. 35. 63) Erlanger Ausgabe, 53, 368: „Damit geben sie genugsam Zeugnis wider sich selbst, daß sie solch Gewissen erdichten." 64j Erlanger Ausgabe 53, 416. 65) Oecolampadii et Zwinglii epistolarum libri IV. Basel 1536, $. 5f.: Brief Gecolampads an Johannes Zwick vom 12. 5. 1528. 66) Hartmann und Jäger, a. a. D., 1. Bö., S. 298. 67) Abgedruckt bei §. Bidembach; Consiliorum Theologicorum Decas III. IV. Zrankfurt, 1611, S. 168 ff. Mr nicht zugänglich. Auszüge bei H. Paulus, a. a. G., S. 121 f. 68) de wette, Luthers Briefe, Sendschreiben und Bedenken 4, 93. 69) Bucer, vialogi, 4 rechts, f. 70) Bullinger: Der wiedertäuftr Ursprung, Fortgang, Sekten, Wesen usw., Zürich 1561, 5. Buch, cap. 7: Daß man widerspenstige Menschen zum Guten und zum Wort Gottes wohl nötigen und zwingen möge und Verant­ wortung der Gegenwürfe, damit die Täufer bewahren wollen, daß man niemand zum Glauben zwingen soll. S. 161—165. $. auch cap. 8 und 9. 71) Bullinger, a. a, G., 5. 84. — Genau so verhält sich Bucer: Dem Argument des vialoggegners Simprecht, daß Luther und andere viel ge­ schrieben hätten, man solle die Uetzer mit dem Worte Gottes lehren und nicht mit dem Schwert, und daß man sage, sie seien von ihrer früheren Meinung abgesprungen, entgegnet er, Luther und andere hätten nie gelehrt,

35 daß die Obrigkeit falsche Lehre und Gottesdienst nicht abtun solle (Dialogi R links). 72) w. 50, 8. 73) Zwingli, Werke, h. von (Egli pp., 3, 130. 74) W. 26, 200. 75) vgl. Richard Zeller, Der Staat Vern in der Reformation (2. Band der Gedenkschrift zur Vierhundertjahrfeier der Vermischen Rirchenreformation), 1928, 5. 123 ff. 76) Der Verner Sqnodus von 1532, h. von Schädelin, 1932, S. 14 ff. 77) Ebenda, S. 5 und 15. 7sj Ebenda, S. 18. 79) Luther, Erklärung des 82. Psalms, w. 31, I, 208. 30) Wittenberger Gutachten von 1536, w. 50, 10 f. 81) 3. V. wurden bei der Durchführung der Reformation in Zürich Rltgläubige, die sich still verhielten, ausdrücklich geduldet. S. Rlfted Zarner, а. a. D., $. 88. Der Verner Reformator Haller setzte sich in einer Thorgerichtssitzung vom 24. 1. 1533 dafür ein, daß Täufer, die „den Glauben bei ihnen selbst lassen bleiben", nicht behelligt würden; doch ist man bald zu schärferem vorgehen übergegangen, vgl. Zwingliana I, 196 ff. Ruch sich still verhaltende Täufer sind häufig verfolgt worden. 82) Erlanger Rusg. 53, 369. 83) rv. zi, I, 213. 84) w. 51, 184. 85) Briefwechsel, h. von de wette 4, 94. Dieselbe Unterscheidung mach­ ten Zwingli und Vucer. Zwingli, Werke, h. von Schuler und Schultheß, б, I, 274: Aliud est homines ad fidem cogere, et aliud blasphemantes fidem et nomen Dei, venenumque falsae doctrinae spargentes punire et coercere. — Vucer, Dialogi, P 4 rechts: Also ist auch das mcht zum Glau­ ben genötigt, wenn die Oberen falsche Lehre abstellen und die gesunde auf­ richten und dawider zu handeln niemand gestatten. Der Glaube ist des Her­ zens und der wird alleweg wohl von aller Welt ungemeistert bleiben. 86) w. 11, 268. 87) In Zürich herrschte dieser Zwang zunächst nicht, wurde aber 1529 eingeführt, vgl. Alfred Zarner, a. a. O., S. 125. 88) Non cogit mentem, sed locomotivam. Cogit, ut audiat veram doctrinam, prohibet externam blasphemiam (Corpus Reformatorum 16, 157). 89) vgl. Richard Zeller, a. a. G., S. 129. 90) Z. V. von Vucer, von der wahren Seelsorge und dem rechten Hir­ tendienst, 1538, S. 45. Ruch in Bern wurde Rbendmahlszwang gegenüber den Täufern nicht geübt. S. Zeller, a. a. G., S. 129. 91) 3. V. Vucer, Dialogi, R 3 links, f.,- Bullinger, Der Wiedertäufer Ursprung pp., S. 164 f. 92) w. 11, 264. 93) Z. B. wurde Luther sein placet zu Melanchthons Gutachten von 1531 (Placet mihi M. Luthero. Wiewohl es ist crudele anzusehen, daß man sie mit dem Schwert straft, so ist doch crudelius, daß sie Ministerium verbi dämmeren und keine gewisse Lehre treiben und rechte Lehre unter­ drücken und dazu regna mundi zerstören wollen. Corp. Ref. 4, 740) zwei­ felns leichter, weil er überzeugt war, daß die Täufer auch regna mundi zerstören. Rber das war für ihn nicht der einzige Grund zu ihrer Be­ strafung, sondern es kam dazu hinzu, daß sie das Ministerium verbi banv> Nieren, keine gewisse Lehre treiben und rechte Lehre unterdrücken. Das hat mit Recht gegen Hermelink (a. a. O., S. 54) Paul wappler, Die Stellung Rursachsens und des Landgrafen Philipp von Hessen zur Täuferbewegung, 1910, S. 123, geltend gemacht. — Ganz ähnlich ist die Empfindung, die aus dem Wittenberger Gutachten von 1536 spricht: Insofern die Wieder­ täufer Artikel hätten wider das weltliche Regiment, sei das Richten leich3*

36 ter (U). 50, 13). Aber diese sind dem Gutachten keineswegs die ein­ zigen Strafgründe. 94) Ae. L. Richter, Kirchenordnungen d. 16. Jhdts., 1. Bö., 1846, 5.78. 95) H>. 26, 200. — Vie Worte des Kurfürsten und Luthers enthalten deutlich das Bewußtsein von der Unzulässigkeit des Glaubenszwangs. Durch die rein politische Begründung der Zwangsmaßnahmen suchte man die Skrupel, die sich ihnen gegenüber erhoben, zu beheben. 96) W. 31, I, 208. — Ganz ähnlich in Luthers Vorrede zum Kleinen Katechismus: Wiewohl man niemand zwingen kann noch soll zum Glau­ ben, so soll man doch den Haufen dahin halten und treiben, daß sie wissen, was recht und unrecht ist bei denen, bei welchen sie wohnen, sich nähren und leben wollen. Venn wer in einer 5tadt wohnen will, der soll das 51adtrecht wissen und halten, das er genießen will, Gott gäbe, er glaube, oder sei im Herzen für sich ein 5chalk oder Bube. 97) w. 31, I, 209. 98) 3. B. im Wittenberger Gutachten von 1536, w. 50, 6 ff. ") 3n der Vorrede zur sächsischen Visitation berief sich Luther auf Konstantin, der gegenüber der 3wietracht, die Hrius angerichtet hatte, ein­ trächtige Lehre verlangte (U). 31, I, 209). Aber bestand des Anus Unrecht nur in der Zwietracht, nicht auch in der Falschheit seiner Lehre? 3n der Erklärung des 82. Psalms stehen in der Nähe des 5atzes, wer das Stadtrecht nicht halte, solle sich trollen, Hinweise darauf, daß die Arianer als öffentliche Lästerer verdammt wurden und daß Mose die Steinigung solcher Lästerer geboten habe (w. 31, I, 209). 3n der in Anmerkung 96 zitierten Katechismusstelle werden die vom evangelischen 5tadtrecht Abweichenden als ungläubige 5chälke und Buben beurteilt. 3n Luchers Vorrede zu des Menius „Schutzrede und gründliche Erklärung etlicher Hauptartikel christlicher Lehre" von 1527 sagt Luther einerseits, daß zwiespältige Lehre einer Stadt schädlich sei und daß deshalb ein Teil weichen solle, es seinen die Evan­ gelischen oder die Päpstlichen,' aber er sagt auch, der Hat solle beide Teile hören und welche nicht bestehen könnten, die sollten schweigen (w. 23, 16). Man hört hier überall neben dem politischen Einheitsmotiv das andere Mitschwingen, daß der wahren Lehre die Herrschaft gebührt. 100) w. 10,1,1. Hälfte, 85.—Hermelink (Der Toleranzgedanke im He« formationrzeitalter, 1908) führt die reformatorische 3ntoleranz vor allem auf das politische Einheitsmotiv zurück. Auch holl betont es stark (Luther 1923 2. s, S. 370 ff.). Unsere obigen Ausführungen zeigen, daß wir es als ein den Reformatoren wichtiges Motiv anerkennen. Namentlich die Tatsache, daß Luther auch von den Evangelischen verlangte, aus den Territorien anders­ gläubiger Obrigkeiten, die sie nicht wollten, zu weichen, fällt stark ins Ge>wicht. Aber wir bestreitm, daß politische Gründe die Hauptmotive für reformatorische Zwangsmaßnahmen auf religiösem Gebiete waren, und müssen stärker geltend machen, daß auch aus politischen Gründen erfolgen­ der Rekgionszwang Gewissensbedrückung ist. 101) Eastellio, De haereticis, an sint persequendi, im einleitenden Briefe an Philipp von Hessen. i°2) Briefwechsel, h. von Enders 5, 117. io9) vom Greuel der Stillmesse, w. 18, 22 ff. 104) Ebenda, w. 18, 23. io*) Ebenda, w. 18, 23. io«) w. 31, I, 208. — Ebenso unterscheidet die Basler Deformations­ ordnung von 1529 öffentliche Lästerer, die etwas glauben, lehrek oder pre­ digen, das den 12 Artikeln unseres heiligen, unbezwerfelten christlichen Glaubens zuwider ist, von minder schlimmen, läuferischen Ketzern. Ersteren werden Strafen an Leib, Leben und Gut, letzteren nur Gefängnis oder Lan-

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-esverweisung angedroht. Abgedruckt im Buch der Bafter Reformation, 1929, 5. 208 ff. i»7) w. 31, i, 212. i