Reformarchitektur: Die Konstituierung der Ästhetik der Moderne 9783034609098, 9783034615907

Reform Architecture was a widespread architectural movement in the period between 1900 and 1920 whose proponents saw arc

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Reformarchitektur: Die Konstituierung der Ästhetik der Moderne
 9783034609098, 9783034615907

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
Prolog: Das Funktionieren der Form seit 1900
Unmittelbare (naive) Repräsentation
Repräsentation eines Ideals (intellektuelle Strategie)
Repräsentation der Entwicklungsgeschichte (intellektuelle Strategie)
Repräsentation von Bauherren-Eigenschaften mit Hilfe historischer Bilder (intellektuelle Strategie)
Zweite unmittelbare Repräsentation
Einführung: Reformarchitektur
Der Bruch
Definition Reformarchitektur
Zeitliche Einordnung
Literatur
These
Herangehensweise
Teil I – Suche nach Bedeutung
Suche nach Bedeutung
Das neunzehnte Jahrhundert
Von der Ordnung zum Chaos
Die Zinsstadt
Brüche
Geschwindigkeit
Tuberkulose
Umdefinition der Formen
Feindbild „Mietskaserne“
Landleben
Sanatorien
Die freie Zeit der Patienten und ihre abschweifenden Gedanken
Das schwimmende Sanatorium
Heilung = Regression – Rückkehr zu Natur, Hütte und Kindheit
Leben in den Hütten – Experiment Monte Veritá
Krankheit in Gesundheit wandeln
Kinderspiele
Theater, Tempel und ein ideales Bauwerk
Schönheit
Die Macht der kleinen Dinge
Zusammenfassung I
Teil II – Eroberung von Raum und Zeit
Eroberung der Fläche
Die Trommler
Das Vorbild
Der Verband
Ausstellungen
Kolonien
Beispiel Delmenhorst
Beispiel Worpswede
Beispiel Landhaus
Beispiele Gartenstädte Dresden, Königsberg und Bremen
Europäische Tendenzen. Beispiele aus Skandinavien und dem Baltikum
Vorbild Fabrik
Beton-Architektur
Zusammenfassung II
Teil III – Reformkrieg
Ökonomie
1. Sport
2. Dampfermotiv
3. Rhythmische Schönheit
Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925
Transformation der Reform
Beispiel Alvar Aalto
Zusammenfassung III
Nachbemerkung
Tafelteil
Literatur
Personenverzeichnis
Ortsverzeichnis

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Reformarchitektur

Heinz Stoffregen, Entwurf Siedlungshäuser, um 1908 . Quelle: Stoffregen o. J. (keine Seitenangaben)

Nils Aschenbeck

Reformarchitektur Die Konstituierung der Ästhetik der Moderne

Birkhäuser Basel

„Aber meine Wahrheit ist furchtbar, denn man hieß bisher die Lüge Wahrheit. – Umwertung aller Werte, das ist meine Formel für einen Akt höchster Selbstbesinnung der Menschheit, der in mir Fleisch und Genie geworden ist.“ Friedrich Nietzsche

„Die Architektur ist das Spiegelbild der Zivilisation und das Gefäß, das sie bewahrt.“ Lewis Mumford

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Danksagung 11

Prolog: Das Funktionieren der Form seit 1900 11 Unmittelbare (naive) Repräsentation 12

Repräsentation eines Ideals (intellektuelle Strategie) Repräsentation der Entwicklungsgeschichte (intellektuelle Strategie) 14 Repräsentation von Bauherren-Eigenschaften mit Hilfe historischer Bilder (intellektuelle Strategie) 15 Zweite unmittelbare Repräsentation 14

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Einführung: Reformarchitektur 17

Der Bruch Definition Reformarchitektur 25 Zeitliche Einordnung 28 Literatur 29 These 30 Herangehensweise 24

33 Teil I – Suche nach Bedeutung 35 Suche nach Bedeutung 37 Das neunzehnte Jahrhundert 37

Von der Ordnung zum Chaos Die Zinsstadt 44 Brüche 44 Geschwindigkeit 46 Tuberkulose 47 Umdefinition der Formen 48 Feindbild „Mietskaserne“ 49 Landleben 52 Sanatorien 69 Die freie Zeit der Patienten und ihre abschweifenden Gedanken 73 Das schwimmende Sanatorium 76 Heilung = Regression – Rückkehr zu Natur, Hütte und Kindheit 77 Leben in den Hütten – Experiment Monte Veritá 89 Krankheit in Gesundheit wandeln 91 Kinderspiele 92 Theater, Tempel und ein ideales Bauwerk 40

103 Schönheit 110 Die Macht der kleinen Dinge 116 Zusammenfassung I 125 Teil II – Eroberung von Raum und Zeit 127 Eroberung der Fläche 129 Die Trommler 131 Das Vorbild 133 Der Verband 138 Ausstellungen 151 Kolonien 151

Beispiel Delmenhorst Beispiel Worpswede 162 Beispiel Landhaus 174 Beispiele Gartenstädte Dresden, Königsberg und Bremen 180 Europäische Tendenzen. Beispiele aus Skandinavien und dem Baltikum 184 Vorbild Fabrik 185 Beton-Architektur 208 Zusammenfassung II 160

215 Teil III – Reformkrieg 217 Ökonomie 218

1. Sport

218

2. Dampfermotiv

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3. Rhythmische Schönheit

225 Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925 269 Transformation der Reform 274 Beispiel Alvar Aalto 280 Zusammenfassung III 291

Nachbemerkung 293

Tafelteil 319 Literatur 333 Personenverzeichnis 337 Ortsverzeichnis

Danksagung Ich bedanke mich bei allen, die diese Arbeit über Jahre durch ihr Wissen unterstützt haben. Zu erwähnen sind besonders der 2005 verstorbene Harald Szeemann, der mir 1992 im Tessin wertvolle Hinweise zum Monte Veritá gab und Einblicke in Original­ dokumente ermöglichte, Beate Störtkuhl, die mir die ostdeutsche Architektur nahe brachte sowie Holger Maraun, mit dem ich in Bremen studiert habe und mit dem ich intensiv über Reformarchitektur diskutieren konnte. Beate Arnold ermöglichte mir den Zugang zum Worpsweder Archiv. Hans Tallasch und Uwe Bölts erschlossen mir zahl­ reiche Quellen zur Bremer Böttcherstraße. Das Archiv der GEWOBA in Bremen konnte mir wertvolle Hinweise zum sozialen Wohnungsbau der Nachkriegszeit und vor allem zum Aalto-Hochhaus in der Neuen Vahr geben. Ich danke für ein kritisches Gegenlesen Marco Venturi aus Venedig, den ich im grauen Delmenhorst kennenlernen durfte, Vittorio Magnago Lampugnani aus Zürich sowie meiner Frau Lena Kornyeyeva, die stets Gespür für logische Inkonsequenzen ­bewiesen – und mich vor Kurzschlüssen bewahrt hat. Das Waldhotel in Davos hat mir umfangreiches Bildmaterial zur Verfügung ge­ stellt – neben anderen Bildern auch das Titelbild dieses Buches. Lorenzo Sonognini von der Fondazione Monte Verità (Ascona) gilt mein Dank für Informationen und Bild­ rechte. Nils Aschenbeck im November 2015

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Prolog: Das Funktionieren der Form seit 1900 Architekturbetrachten und Architekturverstehen ist ein System, das um 1900 neu kon­ struiert wurde. Die Repräsentation der Form wurde geändert. Identische Formen haben durch die Neuaufstellung des Systems einer architektonischen Sprache eine geänderte Bedeutung bekommen. Architektur ist nicht gleich Architektur, sondern in ihrem Ver­ ständnis dem gesellschaftlichen Wandel der Repräsentation unterworfen. Das vorliegende Buch beschreibt die Neukonstitution einer architektonischen Sprache ab 1900. Mit der Reformarchitektur wurden die Parameter des Repräsenta­ tionssystems grundlegend geändert. Das Buch weist nach, dass Reformarchitektur nicht als ein Stilbegriff zu verstehen ist, sondern als Oberbegriff für ein neues Archi­ tekturbetrachten und Architekturverstehen, für ein neues System der Repräsentation – das bis heute ganz oder in Teilen gültig ist.1 Architektonische Formen verweisen in der Kunstgeschichte gemeinhin auf ein „Da­ hinter“ (transzendentaler Verweis), auf ein „Zuvor“ (zeitlicher Verweis) oder ein „Darin“ (unmittelbar räumlicher Verweis). Formen stehen also stets in einer Beziehung zu einem Wert (ein Ort, ein Objekt, eine Epoche), den sie unmittelbar oder gebrochen repräsen­ tieren (man spricht in der populären Architekturkritik gemeinhin von „ausdrücken“). Formen erreichen die Repräsentation durch eine kulturelle Zuschreibung von Be­ deutung. Im Historismus waren die historischen Stile mit jeweiligen Bedeutungen konnotiert. Es gab Leseanweisungen, die in der Gesellschaft eingeführt und unstrittig waren. Die Sprache der Architektur ist ein „common sense“, der durch Kommunika­ tion über Architektur bestätigt wird. Neorenaissance-Formen waren im 19. Jahrhun­ dert mit Eigenschaften wie Wohlstand und hochstehender Bildung konnotiert. Diese Leseregel war im ausgehenden 19. Jahrhundert auf die Renaissance-Formen in ihrer Gesamtheit bezogen und differenzierte sich nicht nach einzelnen Gesimsen oder Kapi­ tellen. Für unser Verständnis der Architektur ist es wichtig, dass man die kulturelle Setzung der Leseregel begreift. Die entsprechende Interpretation einer RenaissanceForm war kein Naturgesetz, sondern eine gesellschaftliche Vereinbarung, die viele Jahre funktionierte, die aber auch aufgelöst werden konnte – und die um 1900 tat­ sächlich aufgelöst wurde. Um die unterschiedlichen Systeme der architektonischen Sprache, die auf unter­ schiedlichen Repräsentationsmodellen beruhen, verstehen zu können, sollen hier – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – Repräsentationsmodelle beschrieben werden. Mit dem Verständnis dieser Modelle lässt sich das Funktionieren der Reformarchitek­ tur – von der Hütte zum Wohnhaus und zur Fabrik – erschließen.

Unmittelbare (naive) Repräsentation Die erste Ausprägung der Repräsentation, die Urrepräsentation sozusagen, ist vor ­allem als theoretisches Modell beliebt; das Modell wird propagiert oder als Nachweis eigener Thesen benutzt; es kann jedoch kaum in der Praxis nachgewiesen werden. 11

Betrachten wir hier – modellhaft – die traditionelle rurale Hüttenarchitektur der Alpen.2 Die einfache Berghütte wurde – so sehen das die städtischen Betrachter, die eine scheinbare unmittelbare Repräsentation bewundern – von den alpenländischen Bauern ohne Plan und ohne ästhetische Absicht erstellt. Das Baumaterial konnte dem Wald oder dem Boden entnommen werden, die Art der Konstruktion sei seit Gene­ rationen überliefert, sie entsprach der Witterung und den alltäglichen Bedürfnissen von Mensch und Tier. Die künstlerische Überarbeitung differierte von Tal zu Tal. Sie entsprach – so wird es interpretiert – den unterschiedlichen Dialekten und den unter­ schiedlichen Wesensarten der Bevölkerung – die Kunst am / im Bau ist unmittelbarer Ausdruck der Wesensarten. Das Leben (in diesem Fall) der Bergbauern ist genauso von den Traditionen, von den heimischen Rohstoffen und von der Regenmenge, der Sonnenscheindauer und den Windspitzen bestimmt wie die Bauweise der Hütten. Wir erkennen hier scheinbar eine in allen Bereichen gültige Analogie zwischen Leben und Form, eine vollen­dete­unmittelbare oder naive Repräsentation. Naiv sei die Repräsentation in diesem Fall, da der Bauherr sich keine Gedanken über die Wirksamkeit machen musste. Form und Funk­ tion ergaben sich von selbst, aus der Überlieferung und Notwendigkeit heraus. Doch hat dieses Modell nur als Modell Bestand. Sobald der ideale Bauer begann, die überlieferte Architektur der Berghütte mit städtischen Bauten zu vergleichen, endete die unmittelbare Repräsentation. Der Bau­ er, der nun beispielsweise Blumenkästen an seine Fenster hängt, um der Stadt ent­ wichene Naturfreunde­zu beeindrucken, verlässt das Feld des Unmittelbaren, er un­ terwirft die Gestaltung einem Kalkül. Die mittelbare Repräsentation entspricht nicht mehr der unmittelbaren. Zweifellos herrschte bereits um 1900 eine verbreitete Unsicherheit über die Formen der Repräsentation. Spätestens mit der Mobilisierung der west- und nordeuropäischen Gesellschaften durch Europa und den Weltreisen der Eliten sowie durch die Entwurze­ lung der Menschen durch die mit der Industrialisierung einhergehenden Verstädterung funktionierte der einfache geradlinige Weg der Repräsentation, der von der einfachen Urhütte, die einer prähistorischen Zivilisation das naive folgerichtige Bild gab, womög­ lich bis hin zum komplexen Wolkenkratzer als Ausdruck der modernen Zivilisation führte, nicht mehr. Die Vorstellung von einer unmittelbaren Repräsentation ist eine un­ zulässige theoretische Vereinfachung (vermutlich war sie es schon immer), die nichts­ destotrotz stets und gerne vorgenommen wird, und die nicht nur auf eine „Urachitek­ tur“ angewandt wird, sondern die für viele noch heute Gültigkeit zu haben scheint.3

Repräsentation eines Ideals (intellektuelle Strategie) Karl Friedrich Schinkel erklärte Anfang des 19. Jahrhunderts seine Architektur durch ein scheinbar zeitloses, die Geschichtlichkeit verneinendes und dennoch die Geschich­ te­­zitie­rendes Modell. Schinkels Architektur sollte keineswegs Ausdruck einer zeit­ genössischen gesellschaftlichen Komplexität, sollte vielmehr Ausdruck einer ange­ nommenen Idealität sein, einer Idealität, die als zeitgenössischer Zustand ersehnt (aber noch nicht erreicht) wurde. 12

Prolog: Das Funktionieren der Form seit 1900

Um das Ziel zu erreichen, verknüpfte Schinkel seine Bauten mit dem Ursprung – genauso wie die antiken Tempel angeblich in einer direkten Beziehung zum Ursprung standen. Das Herkommen eines Bauwerks aus dem Ursprung konnte durch die Gestal­ tung verdeutlicht werden. Schinkel benutzte neogotische oder klassizistische Formen um die jeweilige „Verwurzlung“ und Abhängigkeit zu verdeutlichen. Ein gutes mo­ dernes Bauwerk sei nach Schinkel genauso ursprünglich, genauso verwurzelt wie ein Tempel, sei unmittelbar vom Ursprung abgeleitet. Schinkel wollte nicht eine Architek­ tur zitieren, sondern eine als ideal erkannte Herleitung der Architektur neu etablieren. Schinkels Gemälde „Blick in Griechenlands Blüte“ 4 zeigt den Aufbau der antiken Tem­ pel, zeigt eine als ideal verstandene Gesellschaft. Hier knüpften auch die Lehren von Wilhelm von Humboldt direkt an: Die Gesellschaft sollte nach dem antiken Vorbild ge­ staltet und erzogen werden; das Gute sollte aus dem Guten wachsen. Über den Umweg Ursprung konnte die Einheit zwischen Gesellschaft um 1800 und historisierender Architektur erreicht werden. Ein Widerspruch wurde nicht gesehen. Aus dem wiederentdeckten antiken Ursprung werde gleichzeitig architektonische Schönheit und gesellschaftliche Harmonie erwachsen. Schinkels Strategie war intellektuell, sie konnte nicht unbewusst wirksam werden. Die intellektuelle Vermittlung der Antike und die nachfolgende Wertschätzung der Anti­ke waren notwendig, um die zeitgenössische Architektur als sinnvoll und ange­ messen zu akzeptieren. Schinkels Bauweise konnte nur in der geschlossenen höfischen Welt des frühen 19. Jahrhunderts funktionieren. Nur hier konnte Schinkels Architektur intellektuell eingebunden werden; Nur hier war der Widerspruch zum tatsächlichen Alltagsleben (Industrialisierung, Lebensbedingungen der ärmeren Menschen) noch zu übersehen. Doch selbst Schinkel erkannte bald die Grenzen seiner Strategie. Die Industriear­ chitektur, die er im Juli des Jahres 1826 in Manchester betrachten konnte, fiel aus die­ sem Modell heraus, konnte und sollte keinen Ursprungsbezug mehr aufweisen. Zwar waren die Fabriken „so lang als das Berliner Schloss und ebenso tief“ 5, doch „es macht einen schrecklich unheimlichen Eindruck: ungeheure Baumassen von nur Werkmeis­ tern ohne Architektur und fürs nackteste Bedürfnis allein und aus rotem Backstein aufgeführt“.6 Die Spinnereien waren zweifellos eindrucksvoll und schienen auf ihre Art einen zeitgenössischen gesellschaftlichen Zustand erfolgreich zu repräsentieren. Doch ent­ sprachen sie nicht dem Schinkelschen Architektursystem, ließen sich mit diesem auch nicht in Verbindung bringen. Und doch bildeten die Fabriken zumindest in Manchester einen wesentlichen Bestandteil der städtischen Realität. Viele Arbeiter waren in den Zweckbauten beschäftigt. Schinkel beobachtete die tägliche Arbeit, aber auch die ent­ stehende soziale Unruhe. Die Fabriken waren keineswegs das traurige Beispiel einer schlechten, fehlgeleite­ ten Architektur. Sie waren zumindest in Manchester ein wesentlicher Bestandteil einer kommenden Zeit – daran zweifelte Schinkel keineswegs. Deswegen wirkten die siebenbis achtgeschossigen Spinnereien auf ihn „unheimlich“. Für die entstehenden Industriegesellschaften musste also ein neues Modell der ­Repräsentation gefunden werden.

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Repräsentation der Entwicklungsgeschichte (intellektuelle Strategie) Die ehemalige Zürcher Sternwarte ist nur ein Beispiel für die Zweckarchitektur von Gottfried Semper, die nicht mehr einem klassischen Tempel gleicht, die aber dennoch überzogen ist mit Motiven aus der Baugeschichte, vor allem der Renaissance. Gottfried Semper, der Mitte des 19. Jahrhunderts vor der Industrialisierung nicht die Augen verschließen konnte, der sie vielmehr in seine Architekturtheorie einbin­ den musste, erklärte den Ursprung der Bauwerke pragmatischer als Schinkel, erklärt die Architektur nicht als aus einem transzendenten Ursprung, sondern als aus hand­ werklichen Techniken hergeleitet. Eine Form sei nicht das Ergebnis einer unsichtba­ ren Idealität (Ursprung), sondern sei vielmehr Ergebnis einer kulturellen, technischen Entwicklung. Die Formen stehen nicht in unmittelbarer Beziehung zum Ursprung, son­ dern in vielfach abgeleiteter – sie repräsentieren den kulturellen Wandel. Jedes neue Material werde zu einem Wandel in der Gestaltung führen – und dennoch nicht die Traditionslinie unterbrechen. Die moderne Gesellschaft verlange durchaus nach eige­ nen Formen, doch werden diese nicht naiv geschaffen, sondern aus einer künstle­ rischen Tradition heraus entwickelt, abgeleitet. Sempers Fassadenarchitektur ließ sich somit auch modernen Bauaufgaben wie ­Geschäftshäusern oder Fabriken anpassen.

Repräsentation von Bauherren-Eigenschaften mit Hilfe historischer Bilder (intellektuelle Strategie) Die im Stil der Neogotik oder der Neorenaissance ausgeführten Villen, Miets- oder Ge­ schäftshäuser, die ab etwa 1880 in jeder deutschen Vorstadt entstanden, sind deut­ liches Beispiel für den Versuch, die bei Semper reduzierte und pragmatisch angewand­ te Repräsentation wieder zu intensivieren. Die Bauherren wollten nicht länger hinter Fassaden wohnen, die diffus auf handwerkliche Traditionen oder Entwicklungspro­ zesse verwiesen. Vielmehr sollte die Architektur der Gründerzeit deutlich machen, dass die einwohnenden Bauherren eine besondere Leistung vollbracht haben, dass sie vielleicht sehr reich oder womöglich sehr gebildet seien. Architektur sollte wieder Un­ terscheidung und Akzentuierung schaffen. Dieses Modell, das mit intellektuell (kunsthistorisch) abgesicherten (verweisfähi­ gen) Formen arbeitete, konnte dennoch auf jede Zeittiefe verzichten. Weder ein Ur­ sprung wurde in den Objekten entdeckt, noch wurde eine kulturelle Herkunft, eine Entwicklung diskutiert. Bei den gründerzeitlichen Bauten genügte allein die historisch abgesicherte Bedeutung der Form. Der Inhalt der Form (die kunsthistorische Richtig­ keit) musste zwar theoretisch nachweisbar sein, interessierte letztlich aber nicht. Die historistischen Ornamente repräsentierten nicht den historischen Inhalt, auf den sie wortwörtlich verwiesen, sondern die Stellung des Bauherrn oder Architekten, der sich mit der scheinbaren Kenntnis des Inhalts schmückte. Ein Paradoxon: Im Historismus waren die Verweise scheinbar unmittelbar, aber das ferne Objekt, auf das sie verwie­ sen, vermittelte keine Bedeutung mehr! Es interessierte nicht! Allein die Existenz eines komplexen Verweises sicherte dem Bauherren oder dem Bewohner Bedeutung. Der Ver­ weis repräsentierte tatsächlich den Bauherren oder den Einwohner. 14

Zweite unmittelbare Repräsentation Um die im 19. Jahrhundert angeschlagene Glaubwürdigkeit des intellektuellen Reprä­ sentationsmodells zu retten, begannen Reformer nach etwa 1890 damit, die intellek­ tuelle, also bewusste, nachvollziehbare oder kalkulierte Repräsentation durch eine Form-Unter­bewusstsein-Beziehung abzulösen. Die Verlegung der Beziehung Form-Be­ deutung auf einen Bereich des Geistes, der dem Intellekt nicht oder nur schwer zugäng­ lich ist, sollte die Unmittelbarkeit des Verhältnisses retten, sollte vor Dekonstruktion durch Bauherren-Strategien bewahren. Die Reformer bestritten keineswegs, dass in der Vergangenheit Architektur erfolg­ reich intellektuell konstruiert wurde. Aber gerade das Kalkül war das Problem – es versprach eine fehlerhafte Repräsentation. Sempers Schriften beispielsweise waren ein gutes, jedoch auch ein leicht durchschaubares Beispiel einer solch intellektuellen Konstruktion, die keine unbewusste Repräsentation nach sich zog. Eine intellektuelle Repräsentation war stets angreifbar – und damit stand die Bedeutung eines Bauwerks auf tönernen Füßen. Auch Schinkels Klassizismus wurde als schön und sehenswert, aber doch ebenso als künstlich (und damit als unwahrhaftig) empfunden. Mindestens sahen die Architekten der Reformergeneration keine Möglichkeit, eine Schinkel-­ Architektur zu wiederholen – es würde nicht funktionieren, es wäre nicht glaubhaft, es geriete zu einer albernen Sache. Um einen Ausweg aus der Krise der Bedeutung zu finden, rekonstruierten die Re­ former das Modell der „unmittelbaren“ Repräsentation. Doch wie sollte man eine Architektur künstlich schaffen, intellektuell konstruieren, die in direkter Verbindung zum Unterbewusstsein zu stehen hatte? Um selbstbewusst ein neues, zeitgenössisch wirksames Architekturmodell aufzubauen, bedurfte es also einer besonderen intel­ lektuellen Strategie der Reformer, die die unbewusste Repräsentation nicht beschä­ digen durfte, die sich von ihr nicht entfernen durfte – zweifellos ein Paradoxon. Zum einen wussten die Reformer, dass sie nicht naiv und unbewusst schaffen konnten. Ohne eine intellektuelle, sich mit der Vergangenheit auseinandersetzende Herleitung

Prolog: Das Funktionieren der Form seit 1900

Wo das eigentliche Objekt der Referenz (das antike oder gotische Bauwerk) kei­ ne Rolle mehr spielte, wo es auch nicht mehr befragt und nicht mehr geprüft wurde, konnte der Verweis frei gestaltet werden werden. Oder anders: Verweise konnten er­ funden werden, ja, sie begannen um so besser zu funktionieren, je mehr sie sich von den Orten und den Objekten lösten, auf die sie scheinbar verwiesen. Der Stilpluralismus im ausgehenden Historismus war eine direkte Folge eines Re­ präsentationsmodells, das keinen Nachweis mehr benötigte, das sich von den Objek­ ten, auf die verwiesen wurde, gelöst hatte, das statt einem historisch abgesicherten Wert nur noch eine Eigenschaft des Bauherren kalkuliert repräsentierte. Gerade hier lauerte jedoch eine große Gefahr. Die Glaubwürdigkeit der Ornamentik, das Funktionieren der Repräsentation konnte schnell hintertrieben werden. Sobald die Betrachter erkannten, dass die Verweise nur noch virtuell waren, von phantasievollen Künstlern erdacht, von Bauherren kalkuliert, wuchs ein Mangel an Glaubwürdigkeit. Aus einem begründeten Verweissystem wurde – schöner Schein.

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sei eine neue Architektur nicht möglich. Zum anderen wollten sie auch das Unbewus­ ste in den Griff bekommen. Die intellektuell konstruierte Architektur sollte auch in ih­ rer unbewussten Wirkung kalkulierbar bleiben. Die Reformer rekonstruierten das unmittelbare Repräsentations-Modell also nur, um es gleichzeitig zu unterlaufen, um es kalkulierbar zu gestalten. Wie konnte nun eine Architektur geschaffen werden, die gleichzeitig bewusst wie unbewusst einen Gesellschaftszustand repräsentierte? Folgender Weg schien zum Ziel zu führen: Ein ganz neuer Regelkreis sollte allmählich aufgebaut werden. Die Formentwick­ lung sollte am Urzustand – also bei der Urhütte – begonnen werden, an einem Zeit­ punkt, als die unmittelbare Repräsentation noch funktioniert habe. Durch die rekon­ struierte ursprüngliche Form könne anschließend die als krank wahrgenommene Seele des modernen, zivilisierten Menschen gesunden. Die gesunde Seele (der gene­ sene Mensch) wiederum werde eine Architektur bedingen, die die innere Gesundheit durch neue Formen repräsentiere. Ein Regelkreis wurde in Gang gebracht, der selbst­ läufig zu Komplexität führen sollte. Ein allmählicher, bruchloser Weg hin zu einer guten Gesellschaft sei durch den kontrollierten, sich dennoch stetig ausdifferenzierenden Kreislauf möglich. Durch das Beherrschen der naiven, unmittelbaren Repräsentation zwischen Unbewusstem und Form lasse sich letztlich Utopie verwirklichen. Wir werden sehen, dass dieses Konzept einen erstaunlichen weitreichenden, bis heute wirksamen Erfolg nach sich zog, ja, es scheint bis heute gültig. Wenn Architek­ ten oder Architekturkritiker davon sprechen, dass Bauwerke ihre Zeit „ausdrücken“, wenn sie diesen Ausdruck als autonome Leistung des Bauwerks beurteilen (während der Architekt nur alle überflüssigen Zugaben weggestrichen habe, sein Gebäude nur aus den Bedingungen der Zeit und des Ortes heraus geschaffen und so quasi Allge­ meingültiges vollendet habe …), dann argumentieren sie im Rahmen des Repräsen­ tationsmodells, dass die Reformer vor etwa elf Jahrzehnten etabliert hatten.

1  Die folgenden Ausführungen folgen dem Kapitel „Repräsentation“ in meiner Dissertation „Von der Hütte zum Sanatorium“, Delmenhorst 1997.  2  Immer wieder Gegenstand populärer oder populärwissenschaftlicher Darstellungen. Vgl. beispielsweise die überblickartige Darstellung in Sotriffer 1982. Eine vollständige Geschichte der ruralen Architektur in Europa ist allerdings – trotz ihrer Beliebtheit als Modell – noch nicht geschrieben.  3  Lewis Mumford beschrieb 1925 seine Geschichte der amerikanischen Architektur unter dem Titel „Vom Blockhaus zum Wolkenkratzer“. Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt hat seine Modellsammlung unter den Obertitel „Von der Urhütte zum Wolkenkratzer“ gestellt. Diese einfache, aufbauende Beschreibung, die Rückgriffe, Synthesen und

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Anti­thesen nicht berücksichtigt, will suggerieren, dass sich die Architekturgeschichte als ein folgerichtiger Weg beschreiben lässt, dass man also die Veränderung in Größe und Komplexität als eine stetig ansteigende Kurve denken muss, die der Kurve der gesellschaftlichen Entwicklung gleicht, dass es vor allem stets eine gleiche Repräsentation gab – von der Repräsentation des wenig komplexen einfachen Lebens bei der Hütte bis hin zur Repräsenta­ tion des städtischen Lebens im modernen Wolkenkratzer. Dieses Modell übersieht den Wechsel der Repräsenta­ tionsmodelle, der ursächlich für einen Wechsel architektonischer Ästhetik ist.  4  Vgl. zu „Blick in Griechenlands Blüte“ die Darstellung in Vogt 1985.  5 Schinkel (1826) 1986, S. 244 .  6 Ebd.

Einführung: Reformarchitektur Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in Deutschland Architektur auf den Kopf gestellt. Was schön war, galt nun als hässlich, was vorher einfach und ohne Form schien, wies plötzlich visionär in eine neu zu gestaltende Zukunft. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet zur Jahrhundertwende Ästhetik neu definiert wurde. Viele Menschen, zumal die Künstler, verstanden den Übergang von 1899 nach 1900 als einen symbolischen Schritt in eine neue Zeit. Das zurückliegende 19. Jahrhun­ dert endete mit großen wirtschaftlichen und technischen Erfolgen – und schien den Zeitgenossen doch in eine vor allem kulturelle Sackgasse zu führen. Zeitungen und Bücher beschworen die Zäsur des Jahrhundertwechsels, gaben der Hoffnung Ausdruck, dass nach dem technischen ein kulturelles Säkulum beginnen möge. Sigmund Freud datierte seine Publikation über die Traumdeutung nach – von 1899 auf 1900; um sie so symbolisch an den Beginn einer neuen Zeit zu setzen.1 Ellen Key widmete ihr in Schweden 1899 erschienen Buch „Das Jahrhundert des Kindes“ (deutsch 1903) „allen Eltern, die hoffen, im neuen Jahrhundert den neuen Men­ schen zu bilden“ 2. Nicht weniger sollte die neue Zeit bringen: eine neue Kunst, eine neue Architektur, einen neuen Menschen – und damit eine neue Gesellschaft. Das Buch „Reformarchitektur“ setzt den Fokus auf diesen Neubeginn in der Archi­ tektur. Die Bestrebungen, gleichzeitig mit einer neuen Architektur auch eine neue ­Gesellschaft zu formen, eine bessere Zivilisation, können dabei nicht außer Acht ge­ lassen werden. Der Wille zu einer neuen Architektur ist untrennbar mit den vielfäl­ tigen Reformbestrebungen verbunden, die alle Bereiche der menschlichen Existenz betrafen. Das vorliegende Buch beschreibt deshalb keinen „Stil“, will keine Stilkunde sein. Das Buch erklärt, wie die Formen gefunden und begründet wurden, es erklärt vor al­ lem, wie die Formen eine Bedeutung zuerkannt bekamen. Ich werde zeigen, dass ab 1900 eine ganz neue Bedeutungskonstitution etabliert wurde, die vermutlich bis heute anhält und längst unabhängig von formalen Wandlungen und formalen, stilistischen Weiterentwicklungen ist. Mit dem Jahr 1900 begann nichts weniger als ein „modernes“ Architekturverständ­ nis, erst mit der Wende zum 20. Jahrhundert wurde Architektur, wie Mumford schrieb, Spiegel, Gefäß – und man möchte hinzufügen – auch Kochtopf der Zivilisation.

Der Bruch In der jüngeren Kunstgeschichte kennen wir keine zweite Phase, in der derart massiv ein Wandel herbeigesehnt, herbeigeredet, herbeigeschrieben und in Architektur manifes­ tiert wurde wie um 1900. Im Vergleich zur Zäsur 1900 waren die Umbrüche in den Nach­ kriegsjahren nach 1918 und nach 1945 viel stärker von Kontinuität gekennzeichnet. Und auch in den Epochen vor 1900 lässt sich ein Wandel in der Architektur nicht so eindeutig an einen Jahrhundertwechsel festmachen, einst liefen Prozesse in längeren Zeiträumen. 17

Die Reformbestrebungen waren nichts weniger als eine Revolution. Ja, ein Beben erschütterte um 1900 alle Kunstgattungen und die gesamte Gesellschaft: Das Jahrhun­ dert des Kindes, das Jahrhundert einer neuen Wahrheit werde beginnen. Waren es die Erfolge in drei prosperierenden Jahrzehnten nach der Reichsgründung 1871, die die Menschen in Deutschland den Mut und die Kraft gaben, derart hungrig nach ­einer neu­ en Kultur zu rufen? Oder war ein allgemeines Leiden am 19. Jahrhundert, an einer zu schnell gefundenen, als zu billig erachteten Goldgräber-Ästhetik, tatsächlich so groß und so unerträglich geworden? Wir werden uns den Wandel genau ansehen und analysieren, weshalb ein ver­ meintlicher Niedergang der Architektur des 19. Jahrhunderts so dramatisch und so unausweichlich schien. Tatsächlich gelang es der neuen Generation – die Protagonisten waren ab 1860 zur Welt gekommen 3 – nicht nur, den Wandel zu fordern: Er wurde tatsächlich um­ gesetzt, er erfasste alle Bereiche des Lebens – eine vollzogene Architektur- und Gesell­ schafts-Revolution. Wenn Laien heute die Bauten von vor 1900 betrachten, dann empfinden sie sie als sehenswert aber auch als fremd. Der Formenreichtum gerade der gründerzeitlichen historistischen Architektur kann kaum mehr rational nachvollzogen werden. Ein Neu­ bau in Neogotik oder Neorenaissance wäre heute und war in den letzten einhundert Jahren nahezu undenkbar – die Betrachter hätten ihn in seinen Formen nicht verstan­ den, hätten ihn höchstens als Rekonstruktion eines Vorgängergebäudes akzeptiert. Historistische Bauten wirken zutiefst irrational in ihren verschwenderischen Formen­ programmen. Diese Wahrnehmung betrifft auch die älteren Stile, vielleicht mit Aus­ nahme regionaler, bäuerlicher Baukunst, bei der man noch heute eine von den äußer­ lichen Gegebenheiten bedingte Logik annehmen kann.4 Bauten hingegen, die nach 1900 entstanden sind, erscheinen uns vertraut, könn­ ten so oder ähnlich noch heute gebaut werden, wenn man von einigen Ausnahmen absieht. Die Reform-Landhäuser im Umfeld der Großstädte, die Reform-Geschäftshäu­ ser oder auch die Siedlungshäuser mit Mansarddächern und Loggien – sie gehören zu unserer Zeit. Mehr noch die Bauten des Neuen Bauens, die ab Mitte der 1920er Jahre erst Deutschland und dann die ganze Welt überzogen und die auf den Grundsätzen der Reform basieren. Das vorliegende Buch seziert die Architektur, die ab 1900 entstand und mit der – so mag man es nennen – die architektonische Moderne begann. „Moderne“ ist ein problematischer, da ein schwer zu fassender, immer wieder un­ terschiedlich definierter und längst inflationär benutzter Begriff. Aber die „Moderne“ bezeichnet in seiner Radikalität – das Moderne versus das Alte – sehr gut die Schärfe des Bruches um 1900. Wir können es uns folglich einfach machen und den Begriff der Moderne benutzten: Vor 1900 lag die alte, die historische und historistische Architek­ tur, danach begann die moderne, noch heute gültige Architektur, kurz die „Moderne“. Der Wechsel von der Zeit vorher (die interessanterweise keinen derart einprägsamen Begriff trägt) zur Moderne wird bedingt durch eine neuartige Bedeutungskonstitu­ tion von Architektur. Mit anderen Worten: In der Moderne wird Architektur anders begründet als zuvor. Architektur bekommt einen neuen Sinn, eine neue Idee. Archi­ 18

Einführung: Reformarchitektur

tektur wird nach Mumford, der schon dem Denken der Moderne verpflichtet war, ein repräsentierender Spiegel und ein reales, aktives, wirksames Gefäß (was Architektur in dieser Doppelfunktion vorher nicht war – wie werden es sehen). Der Wandel in der Konstitution der Bedeutung erklärt die Dramatik des Bruches um 1900: Die Architektur, die vorher entstanden war, hatte mit dem Beginn der „Mo­ derne“ ihre Bedeutung verloren, eine vor 1900 eingeschriebene Bedeutung konnte nach 1900 – und kann bis heute! – nicht mehr gelesen werden. Bei der vorbildlosen Schärfe des Bruchs ist es um so erstaunlicher, dass die Ar­ chitektur der ersten Jahre, die auf die Jahrhundertwende folgten, in der Architektur­ geschichtsschreibung kaum, schlecht oder falsch eingeordnet ist. Die Bauten, die ab 1900 entstanden und die vor der Phase des Neuen Bauens errichtet wurden, liegen fast verloren in der Architekturgeschichte. Mal werden sie missverständlich einem Jugendstil zugeschlagen, dann dem Neoklassizismus, dem Funktionalismus oder dem Heimatstil zugeordnet oder schließlich mit dem Begriff „Prämoderne“ zusammen­ gefasst – so als ob sie eine Vorhut der eigentlichen Moderne bilden. Lange, bis in die 1990er Jahre, konnte sich in der Kunstgeschichte keine Bezeich­ nung für die Architekturepoche nach der Jahrhundertwende durchsetzen. Wolfgang Pehnt, einer der ausgewiesenen Kenner deutscher Architekturgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts, findet ebenfalls keinen Oberbegriff, sondern unterteilt die gebaute Architektur zwischen 1900 und 1914 nach ihrem äußeren Erscheinungsbild in Grup­ pen wie „Darmstädter Tempelkunst“, „Villa und Landhaus“ oder „Zyklopenstil“ und auch „Reform“ 5. Den Begriff „Reformarchitektur“ lässt er für Gartenstadt-Projekte wie ­Staaken bei Berlin oder Marga bei Senftenberg gelten. Angestoßen durch die Ausstellung „Reform und Tradition“ im Frankfurter Archi­ tekturmuseum im Jahr 1992 verbreitete sich anschließend allerdings der Begriff „Re­ formarchitektur“. Inzwischen hat er sich als Oberbegriff für die Phase zwischen 1900 und 1914 durchgesetzt und ist gebräuchlich.6 Das vorliegende Buch will die Begrifflichkeit „Reformarchitektur“ festigen und die Gültigkeit dieser Architektur zeitlich erweitern. Vermutlich sind gerade die sehr heterogenen Ausprägungen der Architektur, die ab 1890  / 1900 7 und (in einer ersten Phase) bis 1914 / 1925 8 gebaut wurde, Ursache ei­ ner schwierigen Begriffsfindung. In den Werken der Reformarchitekten können wir durchaus noch Übernahmen aus Biedermeier, Klassizismus oder Romanik entdecken. Manche Bauten sind formal verspielt, andere nüchtern – aber sie können doch unter einem Oberbegriff zusammengefasst werden. Bei der Reformarchitektur sind nicht die formalen Ausprägungen oder der wiedererkennbare Stil wesentlich, sondern die ein­ geschriebene, einen gesellschaftlichen Wandel indizierende Bedeutung. Es kam nach 1900 zu zahlreichen, teils widersprüchlichen formalen Experimen­ ten – aber alle wollten mit den Mitteln der Architektur ein gesellschaftliches Ziel er­ reichen. Neben der formalen Heterogenität, die das Erkennen eines einheitlichen „Stils“ er­ schwert, evoziert der Begriff Reformarchitektur bis heute kein Bild im Geiste, Reform­ architektur gerann nicht zum Klischee. Der Begriff „Jugendstil“ weckt anders als „Re­ formarchitektur“ gespeicherte Vorstellungen, wird gerne auch zur Vermarktung von

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Heinz Stoffregen, Delmenhorster Rathaus, 1908 – 1925, Foto um 1930. Quelle: Sammlung Aschenbeck

Immobilien oder Kunstgegenständen genutzt, die Zuschreibungen Klassizismus und Barock funktionieren genauso. Aber Reformarchitektur? Als der Verfasser im Jahr 1986 mit der niedersächsischen Stadt Delmenhorst eine Ausstellung über den Reformarchitekten Heinz Stoffregen besprach, gab es eine große Übereinstimmung über alle Pläne – bis das Gespräch auf das Thema „Jugendstil“ kam. Der Verfasser argumentierte, dass Stoffregens Bauten mit Jugendstil nicht viel gemein haben, dass das Delmenhorster Rathaus, Stoffregens Hauptwerk, vielmehr und ohne jeden Zweifel zur Reformarchitektur gehöre. Das Gespräch endete damit, dass die Stadt sich weigerte, die Ausstellung zu finanzieren. Sie hatte Angst, dass das werbewirksa­ me Prädikat „Jugendstil“ verloren gehen könnte. Der nüchterne Name „Reformarchi­ tektur“, bei dem man nicht sofort an Blumenornamentik und stilisierte Pfauen denkt, der hingegen nur Bilder von Reformsandalen und Frühstücksmüsli erweckt, schien kein passender Ersatz für den liebgewonnenen Stilbegriff zu sein. Zwar konnte die Ausstellung im Jahr 1990 stattfinden, aber bis heute weigert sich die Stadt wider besse­ res Wissen, die Stoffregen-Architektur als Reformarchitektur zu bezeichnen – auf der städtischen Homepage ist weiterhin vom „Jugendstil“ die Rede.9 Das Beispiel illustriert die Widerstände, die alleine gegen eine Bezeichnung vorge­ bracht werden, Widerstände, die das Verständnis einer wichtigen Architekturepoche erschweren. Warum sollten wir fortan trotzdem den Begriff Reformarchitektur nutzen, warum ist dieser Begriff der einzige, der das Phänomen der Architektur zwischen 1900 und 1925 ausreichend beschreibt?

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Einführung: Reformarchitektur

Der Grund ist einfach: Alle anderen Oberbegriffe sind unzutreffend oder beschrei­ ben nur eine Untergruppe der in der Reformzeit entstandenen Bauten. Keiner der ge­ nannten und der vielfach benutzten Begriffe erklärt uns die Ganzheit der Architektur in zweieinhalb oder mehr Dekaden. Keiner der Begriffe lässt uns die Idee der Architek­ tur erkennen, lässt uns die Genese moderner Architektur verstehen. Die bunten, teil­ weise immer noch üblichen Stilbegriffe verstellen den Blick auf die Grundlagen unse­ res Architektur- und Kulturverständnisses. Der Jugendstil blieb ein zeitlich (1896 – 1905) und auch räumlich (Erweiterungsbe­ zirke der Großstädte) begrenztes Phänomen, eine Mode, und lässt sich vor allem als eine neue Dekorationsform beschreiben, die die historisierenden Stile der Gründerzeit ablöste, die aber keine neue Architektur begründete. Jugendstil war ein Phänomen der großen Städte, in denen bewährte Architektur­ konzepte mit einer neuen, modischen Dekoration überzogen wurden. Im Kontext der Jugendstil-Architektur wurden keine gesellschaftlichen Konzepte in Frage gestellt. Natürlich kam im Jugendstil schon die Sehnsucht nach dem Wandel zum Ausdruck, auch die Sehnsucht, Formen nach einer natürlichen Wahrheit zu gestalten. Der Ju­ gendstil entstand aus demselben Unbehagen heraus, der zur Reformarchitektur führte. Doch antworteten die Jugendstil-Architekten noch mit denselben Mitteln, die sie im 19. Jahrhundert gelernt hatten. Sie dekorierten, sie verhüllten – aber sie begriffen erst allmählich, dass sie, wollten sie ein neues Jahrhundert gestalten, zum Kern der Dinge vorgehen mussten, zum Inhalt, zur Bedeutung. Nicht wenige Jugendstil-Architekten nahmen den Weg zur Reform – und entsagten rasch dem Dekorationsprogramm des Jugendstils. Interessant ist hier der Lebensweg des Bremer und Worpsweder Malers Heinrich Vogeler. Er war einer der bekanntesten Jugendstil-Künstler in Deutschland, fühlte aber schon in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, dass seine Kunst an Bedeutung ver­ lor, dass sie zu bloßer Dekoration verkam. Er wandte sich in dieser Zeit der Architek­ tur zu und schuf ungeschmückte Bauten der Reform – wir werden auf Vogeler zurück­ kommen. Jugendstil war zwar eine formale Lösung für den Aufbruch, für das neue Jahrhun­ dert des Kindes und der Jugend, aber er war gleichzeitig, der Name sagt es, ein Stilbe­ griff und damit dem Denken des 19. Jahrhunderts verhaftet. Die jungen Architekten, die ab 1900 tätig wurden, wollten ausdrücklich keinen Stil schaffen. Sie wollten nach Renaissance, Klassizismus und Jugendstil – eine neue wahrhaftige Architektur formen, die keine aufgesetzte und anwendbare Ornamentik besitzt. Zu den Gemeinsamkeiten der Reformarchitekten gehört die Ablehnung der Stil­architektur und die Suche nach einer neuen Ausdrucksform, die „von Innen heraus“ kommt, so eine häufig benutzte Formulierung. Die Idee, eine Architektur aus einem bedeutungsgebenden Kern heraus zu entwickeln, etablierte sich um 1900. Dabei bleibt jedoch schwer zu fassen, von welchem „Innen“ die Reformer sprachen. War es, ganz profan, der Hausbewohner mit seinen Bedürfnissen? War es eine natürliche Wahr­ heit, ein Naturgesetz des Bauens? Wir werden versuchen, Antworten zu finden. Jeden­ falls arbeiteten Jugendstilarchitekten noch nach einem anderen Modell, das dem der Histo­risten entsprach: die Applikation von Dekorationen auf das Objekt, das Schaffen

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einer schönen Hülle, eines dekorierten Kleides, das zwar beispielsweise auf die Flora verwies, das aber doch nur wieder die scheinbare Modernität des Bauherren repräsen­ tierte. Der Begriff Jugendstil ist demnach für Bauten der Reformära nicht nur missver­ ständlich – er ist falsch. Andere populäre Namensgebungen für die Architekturepoche zwischen 1900 und 1920 treffen ebenfalls nicht den Kern. Zwar war Reformarchitektur zumeist wenig ­dekoriert, wirkte fast sachlich, doch der in der kunstgeschichtlichen Literatur häufig benutzte Begriff „Funktionalismus“ lässt außer Acht, dass es den Architekten nicht nur um das Funktionieren von Bauwerken ging. Sie wollten eben keine Behausun­ gen schaffen, sondern Bauwerke, die eine höhere Bedeutung besitzen, die zur Reform des Menschen und der Gesellschaft beitragen. Das Motto des Werkbundjahrbuches 1912 hieß „Die Durchgeistigung der deutschen Arbeit“ 11. Architektur sollte ausdrück­ lich kein Abbild eines bloßen Materialismus werden, sondern einen inneren Geist zum Ausdruck bringen, mit anderen Worten eine Bedeutung, eine Idee. Das bis heute ­gebräuchliche Beschreibung der Reformarchitektur als rein funktionale Architektur ist ein Missverständnis, dass aus einer Architekturinterpretation entsteht, die allein die formalen Mittel (hier: Sachlichkeit, scheinbarer Funktionalismus) und nicht deren Begründungsstrategien betrachtet. Durchaus suchten manche Reformer in der schlich­ ten Hütte die Basis der idealen Architektur. Andere versuchten durch die Kombina­tion einfacher Kuben einer Stilkunst auszuweichen. Doch bei all diesen Experimenten ging es nicht um Funktionalismus, nicht um Einfachheit aus Kostenersparnis, sondern um Wahrheitsfindung und um die Schaffung von einer über die Form heraus­gehenden ­Bedeutung. Auch andere Begriffe wie der von Pehnt verwendete und auf Karl Scheffler zurück­ gehende „Zyklopenstil“ 12 beschreiben allein die Form, nicht aber den Inhalt, auf den es jedoch in dieser Phase der Architekturentwicklung zwingend ankam. Bleibt der „Heimatstil“, der gerade die (Wieder-)Entdeckung ruraler Landschaften im 19. Jahrhundert begleitet. Er ist eine Fortsetzung britischer Folly-Architektur, die in privaten Landschaftsgärten entstand, schon Ausdruck einer mit der Industrialisierung wachsenden Natursehnsucht. Die in Nordeuropa beliebten „Schweizer Häuser“ lassen sich dem Heimatstil zuordnen. Aber auch die Reformarchitektur wird gerne zu diesem Architekturphänomen des 19. Jahrhunderts zugeordnet (dann oft unter dem Namen „Heimatschutz“-Architektur). Man könnte meinen, dass im „Heimatschutz“ oder im Traditionalismus ein inhalt­ licher gemeinsamer Nenner der Zeit gefunden wird – eine Herleitung der Architektur­ formen aus traditionellen Wurzeln – dabei können die Wurzeln je nach Region unter­ schiedlich sein und zu einer abweichenden modernen Architektur führen. Doch auch die Begriffsgruppe um „Heimat“ oder „Tradition“ ist irreführend. Zwar versuchten zahlreiche Reformarchitekten, regionale Architekturelemente zu nutzen, um einen bodenständige und damit scheinbar begründete Architektur zu formen (ger­ ne­behaupteten sie zumindest in ihren Texten eine aus den Traditionen greifende Her­ leitung ihrer Bauten) 13, doch wenn wir die Gesamtheit der Reformarchitektur an­sehen, dann erkennen wir formale Übereinstimmungen in ganz Mitteleuropa und keine wirk­ lich regionalen Typen. 22

Einführung: Reformarchitektur

Im Gegenteil: Tatsächlich regionale Architekturformen endeten in der Regel um 1900, wurden von den vermeintlich regionalen Reformbauten abgelöst.14 Die behauptete Anbindung an traditionelle Formen war vor allem eine Strategie, um einer Form einen Grund, einen Nachweis und damit eine Bedeutung zu geben. Gleichzeitig hat der behauptete Traditionsbezug bei den Reformarchitekten einen an­ deren Charakter als die gründerzeitlichen Heimatstile. Während die gründerzeitlichen Stile eine konkrete Bildsprache etablierten (Schweizer Haus, Chalet-Stil), schufen Re­ former Bauten, die gleichsam „aus dem Boden heraus“ gewachsen sind, die aber nicht die Zeichen (Ornamente) traditioneller Regionalarchitektur tragen. Hohe Walmdächer, grauer Rauputz und Fassaden abstützende Strebepfeiler wurden von Reformern ein­ gesetzt, um einen symbolischen Ortsbezug zu schaffen, um die Gebäude so aussehen zu lassen, als ob sie seit Jahrhunderten an ihrem Platz stehen. Auf eine Übernahme von regionaler Ornamentik verzichteten sie jedoch in aller Regel – da sie keine „falsche“ Hülle einer als „wahr“ verstandenen Architektur schaffen wollten. Ornamentik war eine Setzung einer vergangenen Zivilisation und damit eine zumindest eine im Ver­ dacht stehende Zeichensprache: womöglich verwiesen die Ornamente auf falsche, äu­ ßere Werte, womöglich handelte man sich mit ihnen eine falsche Repräsentation ein. Manche Kunsthistoriker umgehen den Zwang einer Namensfindung geschickt, in dem sie die Zeit der Reformarchitektur als Übergangsphase zwischen Historismus und Moderne deklarieren, in dem sie der Zeit zwischen 1900 und 1920 die ästhetische Un­ verwechselbarkeit absprechen, die Bauten stattdessen als halb-historistisch oder prämodern bezeichnen. Die Analyse der Reformarchitektur bestätigt jedoch die Eigenständigkeit, von ei­ nem Übergangsstil kann keine Rede sein. Die Reformarchitektur vollzog zur Architek­ tur des ausgehenden 19. Jahrhunderts einen radikalen, revolutionären Bruch – es kam zu einer kompletten Neudefinition von Architektur, die so weit ging, historistische Ar­ chitektur gar als Ausdrucksform von geistiger Krankheit zu werten. In der Reformar­ chitektur gab es hinsichtlich der Begründungsstrategien der Form keine Übernahmen aus dem Historismus, allerdings formale Überschneidungen (gerade im Neoklassizis­ mus oder auch im Neobarock und Biedermeier), die eine inhaltliche Nähe vortäuschen. Das „Neue Bauen“ folgte ab etwa 1925 durchaus den Neubewertungen der Refor­ mer – es übernahm die pauschale Ablehnung beliebig dekorierter Architektur und das Streben nach einer inneren Wahrheit. Das Neue Bauen knüpfte an die Architekturstra­ tegie der Reformer an, übernahm das Prinzip, einen inneren Wert zum Ausdruck brin­ gen zu wollen (wir werden es sehen). Dass dennoch Architekturhistoriker erst mit dem „Neuen Bauen“ die Moderne beginnen lassen, ist weniger der Neuerfindung der Archi­ tektur geschuldet, als vielmehr einer geschickten Eigenvermarktung, einer neuen for­ malen Aufstellung, die das Neue Bauen als „neu“ postulierte. Gerade nach dem Ersten Weltkrieg schien es wichtig zu sein, nicht an hergebrachte Versuche anzuknüpfen, sich nicht auf das Projekt der Reform zu berufen. Ideen und Theorien von vor 1914 schienen diskreditiert, da sie in einen verheerenden Krieg geführt hatten, da sie mit dem unter­ gegangenen Kaiserreich in direkte Verbindung gebracht werden konnten. So geriet der Wiederaufbau der kriegszerstörten Ortschaften in Ostpreußen als staatlich gelenktes Reformprojekt trotz einiger Publikationen nach 1918 schnell in Vergessenheit.

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Die Abgrenzung ist verständlich, aber sie betraf nicht die Inhalte von Architektur und auch nicht die Mechanismen der Bedeutungskonstitution. Tatsächlich sind die Jahrzehnte nach 1900 von großer Kontinuität gekennzeichnet, die sich bis in die Jetzt­ zeit erstreckt. Reformarchitektur war eben keine Prä-Moderne, sondern wir müssen die folgenden Epochen wie das „Neue Bauen“, die „Neue Sachlichkeit“ oder sogar die „Zweite Moderne“ eher als Nach-Reform-Strömungen betrachten – Weiterführungen der Reform mit anderen formalen Mitteln.15

Definition Reformarchitektur Der Begriff Reform besagt fast selbsterklärend, dass es um eine allmähliche Verände­ rung der Gesellschaft und der Lebensumstände der Menschen geht. Reformarchitek­ tur steht in einem Zusammenhang mit einer breiten Reformbewegung – und lässt sich als Teil dieser Bewegung erklären, lässt sich nur als Teil dieser Bewegung verstehen. Ab etwa 1890 wurde ganz Europa von der Reformidee erfasst. Man sprach von Le­ bensreform – Reform der Kleidung, des Essens, der Sprache – nahezu alle Bereiche wurden von einem Veränderungswillen erfasst, der eine Gesundung der Gesellschaft zum Ziel hatte, der von der Prämisse ausging, dass die Gesellschaft des 19. Jahrhun­ derts krank sei. Dabei sahen sich die Reformer mit ihren jeweiligen Bestrebungen immer als Teil eines großen Ganzen. Sie pflanzten Apfelbäume (so in der Obstbaukolonie Eden bei Berlin, ab 1893) und wollten damit einen Beitrag für eine bessere Welt leisten. Sie webten Wolle, sie sagten dem Korsett den Kampf an, desinfizierten den Mund mit „Odol“ (ab 1892 in Dresden; Odol wurde als Antiseptikum propagiert, das in einer von Tuberkulose­angst geprägten Gesellschaft raschen Absatz fand) oder propagierten kof­ feinfreien, nicht-nervös-machenden Kaffee („Kaffee HAG “ der Kaffee Handels  A.G. Bre­ men, ab 1906) – alles Aspekte einer damals jungen Bewegung, die Stück für Stück eine bessere Welt erreichen wollte. Heute ist das noch in allen deutschen Städten vorzufindende „Reformhaus“ das vielleicht letzte offensichtliche Überbleibsel dieser Zeit – das erste Reformhaus-Ge­ schäft war im Jahr 1900 in Wuppertal-Barmen gegründet worden. Die Reformarchitekten aber auch die andere Vertreter der Lebensreformbewegung wollten sowohl die einzelnen Menschen als auch die Gesellschaft erziehen. Aus einer als oberflächlich, einseitig materiell orientierten und damit als „falsch“ verstandenen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts sollte eine bessere, moralisch höher stehende und damit auch gesündere Gemeinschaft geformt werden. Alle Arten der Gestaltung – sei es Architektur oder Kunsthandwerk – sollten dazu beitragen, die Gesellschaft Stufe für Stufe auf die neuen vergeistigten Höhen zu bringen. Ellen Key schrieb in ihrem „Jahrhundert des Kindes“ ausdrücklich, dass über Erziehung ein besserer Mensch zu züchten sei, ein „Übermensch“ (wie Nietzsche geschrieben hatte; Ellen Key zitierte ihn ausführlich). Reformideen wurden ab 1890 und verstärkt ab 1900 auf dem Monte Verità in der Südschweiz, in Sanatorien deutscher Mittelgebirge aber auch in den bildungsbürger­ lichen Kreisen in den Vororten der Großstädte diskutiert – überall dort, wo die Men­ 24

schen an der Zivilisation des 19. Jahrhunderts litten. Dabei bewegte die Menschen oftmals kein echtes Leiden, keine tatsächliche Not; viele spürten ein Ekelgefühl ge­ genüber einer reichen Zivilisation. Es war ein Paradox: Reform entstand nicht aus der Not, sondern aus einem Leiden an materiellem Reichtum. Der Begriff „Reform“ kennzeichnet nicht den fast revolutionären Umbruch 1899 / 1900, sondern er beschreibt vorgreifend die zukünftige Entwicklung der Gesell­ schaft, die Stück für Stück, Etappe für Etappe reformiert werden sollte. Reformer lasen Thoreaus „Walden“ 16, Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ 17, Tol­s­ tois Werke und Langbehns „Rembrandt als Erzieher“ 18 – programmatische Bücher, die als Aufforderungen und Anleitungen zum Wandel verstanden wurden.

Zeitliche Einordnung Der Beginn der Epoche der Reformarchitektur lässt sich auf den Zeitraum 1890 bis 1900 datieren, wobei im Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende erst schmale Pfade ge­ legt wurden. Zwar existierte in dem ersten Jahrzehnt der Reform und im letzten Jahr­ zehnt des 19. Jahrhunderts bereits ein Leiden an der modernen Zivilisation, zwar gab es im Bürgertum Bestrebungen „zurück zur Natur“, doch eine neue, zur Geisteshal­ tung passende Architektur war noch nicht gefunden. Die Bauten der 1893 gegründeten vegetarischen „Obstbaukolonie“ in Oranienburg bei Berlin folgten beispielsweise noch ganz den historistischen Schemata, wenn auch in sehr einfacher, kaum ornamentierter Ausführung: Auf alten Postkarten sehen wir hoch aufragende, städtische Häuser mit flachem Satteldach und – im Falle des Gesellschaftshauses aus dem Jahr 1894 21 – mit zeittypischen Ziegelbändern zur Fassadengliederung.

Einführung: Reformarchitektur

Dabei vertraten die Reformer durchaus die Meinung, dass sie einen idealen Zustand nicht sofort erreichen können. Sie müssen den Weg der Reform gehen, müssen an ­einem „neuen Deutschland“ erst arbeiten. Ausgerechnet in den Wiederaufbauleistun­ gen während des Ersten Weltkrieges in Ostpreußen sah Hermann Muthesius 1915 die erste „Arbeit des neuen Deutschland“.19 Eine zukünftige Revolution konnten die Reformer nicht fordern, da sie das Ziel der Reform noch nicht kannten. Reform wurde als Aufbau verstanden, als „Aufbau Archi­ tektur!“, wie Müller-Wulckow 1919 schrieb und damit der Reform ein Schlagwort gab. 20 Jede Schöpfung der Reformzeit war ein Baustein der kommenden besseren Zivilisa­tion, ein Schritt hin zu einer „veredelten“ Gesellschaft, ein Schritt weiter zum gesunden, klu­ gen und schönen „Übermenschen“. Die Jahre der Reform waren Jahre des Probierens und Experimentierens – und da­ mit auch eine Phase heterogener Bauwerke. Im Gegensatz zu anderen Epochen gibt es keinen festen Kanon guter Architektur. Reformarchitektur lässt sich demnach auch nicht als ein fest definierbarer Stil wie beispielsweise der Jugendstil fassen. Reform­ architektur steht vor allem für eine neue Bedeutungskonstitution. An Reformarchitek­ tur lässt sich nachweisen, dass über den richtigen Weg gestritten wurde, das auch die gewählten Lösungen korrigiert und weiterentwickelt wurden – bis zum Neuen Bauen der 1920er und frühen 1930er Jahre und darüber hinaus.

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Erst mit der Jahrhundertwende 1899 / 1900 erfolgte ein kraftvoller Aufbruch in die neue Zeit, der auch zum sichtbaren Bruch führte. Die Gründung des Monte Veritàs, des „Ber­ ges der Wahrheit“, im Jahr 1900 gehört zu den Schlüsselereignissen dieser Zeit. Die auf dem Monte Verità errichteten Bauten – zuerst waren es einfache Holzhütten – wiesen den Weg zu einer neuartigen Architektur – den Weg zur Reformarchitektur und letzt­ lich zum Neuen Bauen (was sich am Beispiel Monte Verità sogar exemplarisch nach­ vollziehen lässt). Gleichzeitig müssen wir uns den großen Sanatorien zuwenden, die gerade in der Schweiz im ausgehenden 19. Jahrhundert errichtet wurden. Wabenartige Fassaden mit Loggien und Balkonen wurden ein Sinnbild gesunder Architektur (wir werden es se­ hen), ein Bild, das die Reformer tief beeindruckte und ihre Entwürfe beeinflusste. Nicht vergessen dürfen wir die technologische Entwicklung. Der Einsatz von Eisen­ beton ab 1867 (Monier-Patent) veränderte das Bauen und auch die Ästhetik – wurde Teil der Reformanstrengungen. Auch die technische Ausstattung der Wohnungen mit fließend Wasser und Wasserklosetts (beginnend in den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts) lässt sich in das Projekt der Reform einordnen. Aus den formalen Elementen: a) Hütte, b) Sanatorium, Aber auch aus technologischen Entwicklungen wie: c) Eisenbeton und andere neue Materialien, d) Wasserklosetts, neue Bodenbeläge, Typenmöbel usw. – entstand zwischen 1890 und 1910 eine neue Architektur. Die Ideen von a) Wiedergeburt, Neuschaffen, Aufbauen; b) Gesundheit, Naturgesetzlichkeit c) Rationalität, Naturgesetzlichkeit d) Hygiene – waren die eingeschriebenen Werte der neuen Architektur – die hineingelesene Bedeu­ tung. Nach 1905 hatte sich Reformarchitektur in Mitteleuropa weitgehend durchgesetzt (im deutschsprachigen Raum aber auch in Skandinavien, in West- und in Mitteleuropa). In diesem Buch wird vor allem die Entwicklung im deutschsprachigen Raum auf­ gezeigt – die nachfolgend große Bedeutung auch für andere Bereiche Europas und Tei­ le der außereuropäischen Welt (vor allem Nordamerika) bekam. Europäische ReformSonderwege, wie beispielsweise der tschechische Kubismus, werden nur am Rande gestreift. Es bleibt späteren Publikationen vorbehalten, hier eine engmaschige Ver­ knüpfung mit der deutschsprachigen Reformbewegung herzustellen. Das Ende der Reformphase wird allgemein mit dem Kriegsausbruch im August 1914 datiert. Auf den ersten Blick scheint diese Annahme zuzutreffen, da im August 1914 in 26

Einführung: Reformarchitektur

weiten Teilen Mitteleuropas die Bautätigkeit zum Erliegen kam. Doch tatsächlich wurde das Projekt der Reform weiter geführt – auch in den Jahren 1914 bis 1918, auch danach. Während des Ersten Weltkriegs gingen zahlreiche Reformarchitekten in das da­ mals noch deutsche Ostpreußen, um dort am Wiederaufbau zerstörter Ortschaften teilzunehmen. In Ostpreußen entstand ein staatlich gefördertes Reformprojekt – wohl das größte Bauvorhaben der Reformzeit überhaupt. Die Bautätigkeiten, die den Grund­ sätzen der Reform folgten, zogen sich bis Mitte, teilweise bis Ende der 1920er Jahre hin. Die Idee, Architektur und Wahrheit zu verknüpfen, die Idee, das Architektur eine Zeit unbewusst repräsentiert, und die Idee, das Architektur die Menschen und die Ge­ sellschaften formen kann – diese Grundannahmen, die in der Ära der Reform formu­ liert worden waren, wurden nach 1920 beibehalten und haben bis heute ihre Gültig­ keit nicht verloren. Obwohl sich ein neues „System Architektur“ ab 1900 etabliert hatte, das allgemein gültig wurde und das das System Architektur des 19. Jahrhunderts vollständig ersetzt hatte, wurde im 20. Jahrhundert so intensiv über Architektur gestritten wie nie zuvor. Um die „gute Form“, das heißt um die gesellschaftlich „richtige“ Form, wurde erst von Künstlern und Architekten, dann auch von Politikern gerungen. Vor allem Ende der 1920er Jahre und in den 1930er Jahren kam es zu einer Polari­ sierung zwischen alten (u. a. den „Block“-Architekten) und neuen Reformern (den Ver­ tretern des „Neuen Bauens“). Es entstand ein Streit zwischen scheinbar rechts und scheinbar links, der immer weiter polarisiert wurde, der schließlich im Nationalsozia­ lismus instrumentalisiert wurde. Der Streit zwischen rechter und linker Architektur wurde auf formaler Ebene aus­ getragen. Es ging um flache Dächer, um Fensterformen und um die Farbigkeit der Fas­ saden. Tatsächlich hatten sich an den Inhalte der Architektur jedoch wenig geändert. Architektur war immer noch ein Zeichen und ein Instrument des gesellschaftlichen Wandels. Architektur kam eine hohe gesellschaftliche und damit politische Bedeutung zu. Nun ging es allerdings darum, wie das Instrument Architektur einzusetzen war, welche Ziele mit ihm zu erreichen waren. Oder anders: Der erbitterte Streit um die Form kann als direkte Folge der neuen­Be­ deutungskonstitution seit 1900 angesehen werden. Gründend auf der Annahme, dass Architektur den Menschen negativ oder positiv beeinflussen kann, dass Ar­chitektur ein Kochtopf ist, unter dem die Flamme züngelt, geriet die Architekturdebatte zu ­einer scheinbar lebenswichtigen, gesellschaftsbestimmenden Frage. Es ging bei der Beur­ teilung von Form nicht mehr um Kategorien wie „schön“ oder „hässlich“, sondern es ging um nichts weniger als um eine positive oder negative Gestaltung der Zukunft. Die deutschen Architekturdebatten seit 1900 sind systemimmanente Diskussio­ nen, die sich in einem vorgegeben Rahmen bewegen – bis heute. In den 1950er, 1960er und 1970er Jahren wurde Architektur so verstanden, wie sie in den Jahren nach 1900 konstituiert wurde. Allein in der Ära der Postmoderne, in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren, versuchten Architekten, dem Bauen eine neue dekorative Freiheit zu geben, sie von ih­ rer „gesellschaftlichen Verantwortung“ zu entbinden. Dieser Versuch, aus den Fesseln des Systems zu entkommen, scheiterte jedoch.

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Außerhalb des Systems der Bedeutungskonstitution und der Repräsentation ent­ stand und entsteht – so die offizielle Sichtweise bis heute – Kitsch. Eines Tages, wenn Architektur womöglich wieder einmal neu konstituiert wird, wenn es abermals eine Umwertung aller Werte gibt, dann kann aus heutigem Kitsch viel­ leicht eine neue Schönheit und aus dem Neuen Bauen vielleicht ein falsches, hässliches Bauen werden. Womöglich. Dieses Buch zeigt, wie Formen mit Inhalten aufgeladen werden – und andere ent­ laden werden. Ein kultureller Prozess, der nie endgültig ist.

Literatur In den vergangenen Jahren haben sich einige Publikationen mit Reformarchitektur auseinandergesetzt. Als wohl erster hat der Berliner Architekturhistoriker Julius Po­ sener in seinen Schriften u. a. zum „Englischen Haus“ den Begriff „Reformarchitektur“ eingeführt.22 Der Verfasser des vorliegenden Buches hat sich in seiner Arbeit „Heinz Stoffregen – Zwischen Tradition und Avantgarde“ 1990 auf Posener berufen und seine Begrifflichkeit übernommen.23 Aschenbeck stellt Stoffregen als Reformarchitekten he­ raus – entgegen einer bisherigen Einordnung, die bei Stoffregen von einem Jugends­ til-Architekten sprach. Aschenbeck lieferte dann in seiner Dissertation „Die Moderne, die aus den Sanatorien kam“ 24 eine geistesgeschichtliche Herleitung der Reformarchi­ tektur, die auch in vielerlei Hinsicht Basis der vorliegenden Arbeit ist. In der 1993 vom Deutschen Architekturmuseum herausgegebenen Schrift „Moder­ ne Architektur in Deutschland 1900 bis 1950. Reform und Tradition“ wird ebenfalls die Architektur der Reform betrachtet und als eigene Architekturform freigestellt.25 Die Habilitationsschrift von Sigrid Hofer „Reformarchitektur 1900 – 1918. Deutsche Baukünstler auf der Suche nach dem nationalen Stil“ 26 liefert 2005 trotz des umfassen­ den Titels keinen kompletten Überblick, sondern Detailbetrachtungen einzelner, be­ kannter Architekten. Dennoch trägt ihre Arbeit weiter dazu bei, die Eigenständigkeit der Reformarchitektur zu untermauern – wenn auch auf die Jahre bis zum Ende des Ersten Weltkriegs beschränkt. 2005 erschien die gründliche, zweibändige Übersichtsarbeit über die Schweizer Re­ formarchitektur von Elisabeth Crettaz-Stürzel: „Heimatstil. Reformarchitektur in der Schweiz 1896 – 1914“ – eine gelungene Zusammenfassung der Schweizer Phänomene, hier ebenfalls auf die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg begrenzt.27 Arne Ehmann verzichtet 2006 in seiner Dissertation „Wohnarchitektur des euro­ päischen Traditionalismus um 1910“ ganz auf die Einführung des Begriffes Reform und versucht die Architektur als traditionalistisch zu interpretieren.28 Darüber hinaus liefern vor allem in den vergangenen Jahren erschienene Archi­ tektenmonographien einen Überblick über die Vielfalt der Reformarchitektur, so über Architekten aus Bayern, Schleswig-Holstein oder Sachsen – ohne jedoch die Epoche in ihrer Komplexität aufarbeiten zu wollen.29 In den Überblickswerken zur europäischen Architekturgeschichte bleibt die Refor­ marchitektur eine Randerscheinung – wenn sie denn überhaupt erwähnt wird. In älte­ 28

ren Werken der 1950er und 1960er Jahre wird vor allem das „Neue Bauen“ ab 1925 he­ rausgestellt – allein die Behrens-Turbinenhalle von 1908, die Gropius-Faguswerke von 1912 – 1914, der Taut-Glaspavillon von 1914 und einige andere herausragenden Bauten der Architekturgeschichte finden als Ahnen der Moderne Erwähnung.30 In jüngeren Überblickswerken wird die Architektur der Dekade nach 1900 stärker wahrgenommen, wenn auch die Zuordnung wie in Pehnts „Deutsche Architektur seit 1900“ schwierig bleibt. Gössel und Leuthäuser verzichten in ihrer vor allem reich be­ bilderten „Architektur des 20. Jahrhunderts“ 2005 sogar ganz auf den Begriff Reform­ architektur.31

These Das vorliegende Buch liefert eine Gesamtschau der Reformarchitektur und betrachtet dabei die ideengeschichtlichen Grundlagen. Es werden bislang wenig erarbeitete Be­ reiche wie der Wiederaufbau zerstörter Ortschaften in Ostpreußen betrachtet. Die Gesamtschau der Reformarchitektur soll deren Entstehung und Funktionieren ablesbar machen. Grundlegende These des Buches ist, dass Architektur ab 1900 nicht mehr mit Stil­ elementen dekoriert, sondern, dass eine Verbindung zwischen Form und „Wahrheit“ her­ gestellt wurde. Wahrheit lässt sich in diesem Zusammenhang schwer fassen, wurde von Archi­ tekten und Architekturkritikern in der Regel nicht definiert. Gemeint waren aber fol­ gende Gleichungen: Wahrheit = Bedingungen der Zeit, der Epoche Wahrheit = Lebensbedingungen der Bewohner Wahrheit = Naturgesetze Wahrheit = Gesundheit Und ab etwa 1910:

Form sollte diese „Wahrheiten“ repräsentieren. Die Repräsentation sollte allerdings nicht behauptet werden. Die Gefahr, dass es so zu einer Lüge kommt, wurde nach den Er­fahrungen der „lauten“ historistischen Architektur als groß angesehen. Architektur ­sollte die Wahrheit unbewusst repräsentieren. Die Formen sollten quasi natürlich ge­ funden werden, sollten nicht dem Intellekt des Architekten, sondern seinem Fühlen entspringen. Gleichzeitig sollten Formen das, was sie repräsentieren, beeinflussen. Sie sollten die einwohnenden Menschen und die Gesellschaft erziehen – zu „Übermenschen“ und zu einer „Übergesellschaft“. Auch die historistische Architektur des ausgehenden 19. Jahrhunderts repräsentier­ te nach der Vorstellung der Reformer die Zeit ihrer Entstehung. Aber sie repräsentierte

Einführung: Reformarchitektur

Wahrheit = Logik der Maschine.

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eine Erkrankung der Gesellschaft; die Formen, die damals als schön und richtig ange­ sehen wurden, waren im Denken der Reformer tatsächlich Krankheits- oder Verfalls­ symptome. Ab 1900 sollte Architektur einen neuen Weg der Gesundung repräsentieren. Da Reformarchitektur als „unbewusstes“ Werkzeug der gesellschaftlichen Evolu­ tion verstanden wurde, konnten die Reformer den Menschen noch keine ideale Ar­ chitektur vorsetzen; sie kannten die ideale Architektur schlichtweg noch nicht. So wollten sie die Architekturausprägung stets Schritt für Schritt angehen; und auch die Entwicklung des Menschen musste Schritt für Schritt erfolgen. Reform wurde als ein rekursives System verstanden. Die Architektur erzog den Menschen, aber sie repräsentierte ihn auch. Sie war nicht zu kalkulieren, sondern ein „unbewusster“ Ausdruck einer fortschreitenden Gesellschaft. Je „gesünder“ die Gesell­ schaft wurde, um so besser konnte Architektur sein, um so mehr konnte sie die Gesell­ schaft wiederum nach vorne bringen – und immer so weiter. Reform wurde als eine vom Architekten angetriebene Maschinerie zur Erreichung der idealen Gesellschaft verstanden, eine „Gestaltungsmaschinerie“, in der die Künst­ ler saßen und – nach ihrer Überzeugung – „wahrhaftig“ gestalteten. Die a) Verknüpfung von Architektur / Kunst und Wahrheit, b) Annahme, dass Architektur / Kunst „unbewusst“ ihre Zeit repräsentieren, c) der Glaube an eine erzieherische Wirkung von Architektur / Kunst auf den Menschen (sowohl positiv wie negativ) d) die Etablierung eines rekursiven evolutionären Systems sind Folgen des Umbruchs um 1900, bleiben bis heute ein Erbe der Reform, funktio­ nieren unverändert.

Herangehensweise In dem Buch werden Beispiele zur Genese der Reformarchitektur geschildert. Dabei werden weniger die großen Eckbauten der Architekturgeschichte betrachtet, als viel­ mehr Objekte im Verborgenen entdeckt – vom marginalen Zeitungsartikel bis hin zur einfachen Hütte. Dieses Vorgehen hat einen doppelten Sinn: Zum einen entspricht es dem Vorgehen der Reformer, die die Veränderung der Welt nicht in den Zentren begin­ nen wollten, sondern die mit vielen kleinen Initiativen vom Rande starteten. Zum ande­ ren befördert die Betrachtung der randständigen Beispiele ein Ausweichen klassischer Interpretationsmuster. Der ungewohnte Blick am ungewohnten Objekt erleichtert eine von bisherigem Stildenken unbeeinflusste Wahrnehmung der Reformarchitektur. Es bleibt dabei zweitrangig, welche Beispiele betrachtet werden – es ließen sich überall in Europa weitere Objekte finden, deren Darstellung aber zu denselben Ergeb­ nissen führen würde. Der Autor hatte in der Vergangenheit schwerpunktmäßig über Bremer Architekturgeschichte gearbeitet – entsprechend zahlreich sind Bremer Bei­ spiele, an denen das Funktionieren der Reformarchitektur belegt wird. Die Darstellung des Wiederaufbaus zerstörter Ortschaften in Ostpreußen während des Ersten Welt­ kriegs ist ein weiterer Fokus der Arbeit. 30

ser den Eindruck, dass es sich bei den zwischen 1900 und 1914 entstandenen Bauten um ausgewählte Beispiele einer „Prä-Moderne“ handelt, die auf die eigentliche Moderne verweisen, so wie er sie in den 1920 er Jahren beobachten konnte. Walter Müller-Wulckow: Architektur der Zwanziger Jahre in Deutschland, Königstein im Taunus 1975, darin ‚Bauten der Arbeit und des Verkehrs‘ ( 3 1929), ‚Wohnbauten und Siedlungen‘ ( 3 1929), ‚Bauten der Gemeinschaft‘ ( 3 1929) und ‚Die deutsche Wohnung‘ ( 4 1932).  16 Henry David Thoreau: Walden oder das Leben in den Wäldern, dt. Ausgabe, Dresden 1897 /  1903 .  17 Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra, Ein Buch für Alle und Keinen, Chemnitz 1883 ff.  18 Ano­ nym [Julius Langbehn]: Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen, Leipzig 1890.  19  Hermann Muthesius in „Über Land und Meer“, Nr. 9, Berlin 1915.  20  Walter Müller-Wulckow: Aufbau-Architektur!, Berlin 1919.  21  Vgl. die Abbildungen auf der Internetseite der bis heute bestehenden „Gemeinnützigen Obstbau-Siedlung Eden“: http:// www.eden-eg.de/chronik.htm, Abruf 29. 4 . 2013.  22 Julius Posener: Anfänge des Funktionalismus. Von Arts and Crafts zum Deutschen Werkbund, Berlin 1964  23 Nils Aschenbeck: Heinz Stoffregen 1879 – 1929. Architekt zwischen Tradition und Avantgarde, Braunschweig und Wiesbaden 1990.  24  Nils Aschenbeck: Die Moderne, die aus den Sanatorien kam, Delmenhorst 1997  25 Lampugnani, Vittorio Magnago und Romana Schneider (Hg.): Moderne Architektur in Deutschland 1900 bis 1950. Reform und Tradition, Ostfildern 1993.  26  Sigrid Hofer: Reformarchitektur 1900 – 1918 . Deutsche Baukünstler auf der Suche nach dem nationalen Stil, Stuttgart 2005.  27 Elisabeth Crettaz-Stürzel: „Heimatstil. Reformarchitektur in der Schweiz 1896 – 1914“, Zürich 2005 .  28 Arne Ehmann: Wohnarchitektur des mitteleuropäischen Traditionalismus um 1910 in ausgewählten Beispielen. Betrachtungen zur Ästhetik, Typologie und Baugeschichte traditionalistischen Bauens, Diss., Hamburg 2006.  29 Beispielsweise folgende Monographien beschäftigen sich neben Aschenbeck 1990 mit Reformarchitekten und ordnen diese auch der Reformarchitektur zu: Holger Maraun: Hugo Wagner (1873 – 1944). Ein Architekt der Reformbewegung, Lilien­ thal bei Bremen 1995; Werner Lutz: Reformarchitektur in Augsburg. Das Baubüro Sebastian Buchegger, Neu-­ Isenburg 2001.  30 Vgl. Kenneth Frampton: Architektur der Moderne, Stuttgart 1983; Nikolaus Pevsner: Europäische Architektur von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1957; Rainer Banham: Die Revolution der Architektur. Theorie und Gestaltung im ersten Maschinenzeitalter, Hamburg 1964; Leonardo Benevolo: Geschichte der Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts, 2 Bände, München 1964 .  31  Gössel, Leuthäuser: Architektur des 20. Jahrhunderts, Köln 2005. Anmerkungen

1  Das Buch erschien am 4 . November 1899.  2 Key 1902 , Motto.  3 Karl Moser 1860, Theodor Fischer 1862 , Peter Behrens 1868 , Paul Schultze-Naumburg 1869, Heinrich Tessenow 1876, Paul Bonatz 1877, Heinz Stoffregen 1879, Walter Gropius 1883 , Paul Schmidthenner 1884 , Emil Fahrenkamp 1885, Ludwig Mies van der Rohe 1886, Hans Scharoun 1893 , Alvar Aalto 1898 .  4 Bei denen man also eine unmittelbare Repräsentation vermuten kann.  5 Pehnt 2005, S. 13 ff.  6  Wenn auch der populärwissenschaftliche Wikipedia-Eintrag bis heute (15. 6. 2015) nur einen dünnen Einblick bietet, Reformarchitektur unkorrekt als Stilbegriff einführt und eine knappe, fast zufällige gegriffene Auswahl von Reformarchitekten nennt, http://de.wiki­pedia.org/wiki/Reformarchitektur, Abruf 15 . 6 . 2015 . Hier wird immer noch das Problem offenkundig, das die Architekturgeschichte mit der Phase der Reform hat.  7 Natürlich gab es unscharfe Übergangsbereiche. Zwar wurden um 1890 wichtige theoretische Grundlagen der Reform gelegt, die wichtigen Neubauten im Sinne der Reform entstanden zumeist erst ab 1900.  8  Der Erste Weltkrieg unterbrach in den meisten europäischen Regionen eine frühe Phase der Reformarchitektur. Allerdings wurde beim Wiederaufbau kriegszerstörter Ortschaften in Ostpreußen das Reform-Projekt wiederaufgegriffen. Auch nach 1918 wurde von vielen Architekten an die Vorkriegsästhetik angeknüpft. Erst 1925 begann sich das Neue Bauen durchzusetzen, das eine formale Ablösung brachte (aber das tatsächlich die Reform mit anderen Formen weiterführte).  9 http://www. delmenhorst.de/leben-in-del/stadt/rundgang/index.php, Abruf 29. 4 . 13.  10  Vgl. Arnold 2002, darin: Nils Aschenbeck: „Zwischen Bauernidyll und Moderne – Heinrich Vogeler und die Bremer Reformarchitekten bauen Modelle für eine neue Zeit“, S. 27 – 65.  11  Die Durchgeistigung der Deutschen Arbeit, Wege und Ziele in Zusammenhang von Industrie, Handwerk und Kunst, Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1912 , Jena 1912 .  12 Karl Scheffler: Moderne Baukunst, Leipzig 1907, S. 99 f. Scheffler kritisiert hier den Hang von gerade jungen Architekten zu monumentalen, archaischen Formen.  13  Um nur ein Beispiel zu zitieren: „Ländliches Wohnen […], gepaart mit den Bequemlichkeiten und Einrichtungen der Stadt […] ist wohl das Erstrebenswerteste unserer Wohnungsreform.“ Heinz Stoffregen: „Bebauungsplan für das Gelände des Herrn K. Twisterling, Delmenhorst“, in: Delmenhorster Kreisblatt, 10. 4 . 1910.  14 Beispiele abgelöster regionaler Architekturformen wie das Oberlausitzer „Umgebinde­ haus“ u. a.  15  Schon Walter Müller-Wulckow lässt in seiner „Archi­tektur der Zwanziger Jahre in Deutschland“, die thematische Ausgaben der „Blauen Bücher“ zusammenfasst, die moderne Architektur in den Jahren nach 1900 beginnen. Aber auch bei Müller-Wulkow bekommt der Le-

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Teil I Suche nach Bedeutung Suche nach Bedeutung Das neunzehnte Jahrhundert Sanatorien Heilung = Regression – Rückkehr zu Natur, Hütte und Kindheit Die Macht der kleinen Dinge Zusammenfassung I

Suche nach Bedeutung „Mir scheint, wir ahnen kaum die Bedeutung unseres Unternehmens + sind unbewusst das Werkzeug zu einer gewaltigen Umgestaltung der Dinge […].“ Clara Wilhelmi, Obstbaukolonie Eden, 1894 1

„The light-and-air hut became an Ur-haus of the modern dewlling.“ Didem Ekici, 2008 2

Ein Name strahlt am Beginn des 20. Jahrhunderts wie kaum ein anderer: Sigmund Freud. Kein anderer hat das Denken der Zeit so sehr beeinflusst und verändert wie Freud. Auch die Entwicklung der neuen Architektur nach 1900 ist ohne Freud nicht vorstellbar. Sig­ mund Freud definierte die Muster, in denen fortan gedacht wurde – bis heute. Er vermittelte durch die Trennung von ÜBER-ICH , ICH und ES eine neue Dimen­ sion der Welt. Sie zerfiel plötzlich in eine sichtbare und unsichtbare. In eine oberfläch­ liche und eine dahinter liegende, vermeintlich wahrhaftige. Was man mit eigenen Augen sah, was man auf der Grundlage von Erfahrung kri­ tisch wertete, war fortan nicht mehr alleinige Realität! So galten bis Freud die nächtlichen Träume als vom Gehirn zufällig produzierte Bil­ der, als Abenteuerfilme des Geistes, die keinen Bezug zu einer tieferen Wahrheit hatten, die nur über die Oberfläche huschten und am Morgen mit guten Gewissen vergessen werden konnten. Freud: Es „vertritt die Mehrzahl ärztlicher Autoren die Auffassung, welche dem Traum kaum noch den Wert eines psychischen Phänomens belässt. Die Erreger des Traumes sind nach ihnen ausschließlich die Sinnes- und Leibesreize, die entweder von außen den Schläfer treffen oder zufällig in seinen inneren Organen rege werden. Das Geträumte hat nicht mehr Anspruch auf Sinn und Bedeutung als etwa die Tonfol­ ge, welche die zehn Finger eines der Musik ganz unkundigen Menschen hervorrufen, wenn sie über die Tasten des Instruments hinlaufen.“ 3 Dieser zeitgenössischen Lehrmeinung stellte Freud die These gegenüber, dass die Bilder der Träume sehr wohl Zeichen sind, die eine Bedeutung vertreten. Freud versucht, ein System der Zeichen zu entwickeln, um die Bedeutung lesbar werden zu lassen. „Es gibt Symbole von universeller Verbreitung, die man bei allen Träumern eines Sprachund Bildungskreises antrifft, und andere von höchst eingeschränktem, individuellem Vorkommen, die sich ein Einzelner aus seinem Vorstellungsmaterial gebildet hat.“ 4 Die Symbole der Träume stehen für eine Wahrheit, die hinter dem äußeren Schein, hinter einer trivialen Bedeutung der vorgeblichen Realität liegt. ES und ÜBER-ICH , die sich über Traumsymbole erschließen lassen, stehen näher zur Wahrheit als das dem rationalen Denken und Handeln unterworfene ICH , da sie dem Bewusstsein nicht di­ rekt zugänglich also auch nicht bewusst beeinflusst werden können. Diese unbewus­ ste Wahrheit wird – in zu den Traumzeichen analoger Symbolik – auch in Märchen, Mythen und Sagen transportiert.5 35

Gleichzeitig aber sind die verborgenen Ebenen des ES und des ÜBER-ICH nicht ­ infach zugänglich, nicht so einfach lesbar. Träume können nach Freud nicht wörtlich e verstanden werden, ihre Informationen müssen erst dechiffriert werden. Erst mit dem Instrumentarium der Traumdeutung könne man die Hintergründe erschließen, ­könne man in die unbekannte Seele des Menschen und damit in die Wahrheit eindringen. Freud lieferte mit der Traumdeutung eine Vorlage für die Archi­tekturdeutung. Ornamente waren plötzlich nicht mehr nur Dekorationen, nur inhaltslose schö­ ne Schnörkel, sondern sie gerieten zu Zeichen. Sie verwiesen plötzlich auf eine tiefere Wahrheit (bzw. Falschheit, gesellschaftlichen Verfall). Das freudianische Denken setzte die Logik des 19. Jahrhunderts, die Leichtigkeit, ja die Unschuld der Dekorationen außer Kraft. Mit Freud bekamen Ornamente – sie sind nichts anders als Zeichen – eine neue Bedeutungstiefe. Ein Renaissance-Portal hatte plötzlich nichts mehr mit Schönheit und Bildung zu tun, sondern war bestenfalls ein Zeichen für die Dekadenz der Bauherren, schlimms­ tenfalls ein Beleg für deren Degeneration oder gar Irrsinn. Eine neugotische Fassade schmückte nun nicht mehr die Straße, sondern war sprechender Beleg für die Verdor­ benheit der Zeit. Die Wiener Architekt Adolf Loos knüpfte in seinem Aufsatz „Ornament und Verbre­ chen“ direkt an das freudianische Denken an. Er erklärte Tätowierungen zu Ornamen­ ten, die Bedeutung tragen, die auf den Entwicklungsstand des Tätowierten und darüber hinaus auf den Entwicklungsstand einer Gesellschaft schließen lassen. Den Urvölkern und den Kindern billigte er die Ornamentierungen der Umwelt und des Körpers zu, er bezeichnete sie als erotische Kunst. Dem entwickelten modernen Menschen jedoch sprach er dieses Bedürfnis ab. Er habe sich über den Drang, die Umwelt zu ornamen­ tieren, hinaus entwickelt. Bei ihm seien Ornamente – eine Degenerationserscheinung. „Der moderne mensch, der sich tätowiert, ist ein verbrecher oder ein degenerierter. Es gibt gefängnisse, in denen achtzig prozent der häftlinge tätowierungen aufweisen. Die tätowierten, die nicht in haft sind, sind latente verbrecher oder degenerierte ari­ stokraten. Wenn ein tätowierter in freiheit stirbt, so ist er eben einige jahre, bevor er einen mord verübt hat, gestorben.“ 6 Damit treibt Loos das Denken, das Freud eingeführt hatte, weiter. Ornament ist nicht nur wie eine Szene eines Traumes ein Zeichen, das man interpretieren kann (das vor allem eine andere Bedeutung trägt als die offensichtliche), sondern Ornament verweist grundsätzlich auf einen niederen Entwicklungsstand, ist eine überwundere Etappe der Evolution. Loos beschreibt ein unter den Reformern verbreitetes und von Freud vorbereitetes Denken: Das in der Regel historistische Ornament verweist auf Degeneration, Krank­ heit, Irrsinn. Es wird verständlich, weshalb viele Reformer das Ornament nun ängstlich mieden (und später als Funktionalisten bezeichnet wurden): Sie hatten Sorge, dass ein Orna­ ment falsch interpretiert werden könnte. Nur ein ornamentloses Objekt entging dieser Konnotation. Andererseits war es das Ziel der Reform, Zeichen einer guten Bedeutung zu schaffen. Das Zeichen der Wahrheit, das richtige Ornament (das dann nicht mehr Ornament heißen sollte, sondern „Form“) wurde gesucht. 36

Von der Ordnung zum Chaos Wir müssen uns das ausgehende 19. Jahrhundert anschauen, um das beginnende 20. zu verstehen. Die Fakten sind klar: Im 19. Jahrhundert veränderte sich die Stadt. Indust­ rialisierung, rasche Zunahme der Bevölkerung, neue Verkehrsmittel, explosionsarti­ ges Wachstum der Städte … Die alte Stadt, deren Existenz irgendwann im 19. Jahrhundert endete, hatte einst Sicherheit versprochen. Die Stadtmauern oder später die Befestigungen hatten die Idee der Stadt garantiert. Stadt bedeutete einen Schutz der Einwohner, Stadt war der Inbegriff einer geord­ neten Welt. Wer in der Stadt lebte und schlief, war Bürger, war anerkannt und somit auch vertrauenerweckend. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts besaßen Städter eine allumfassende Kompetenz. Sie wussten, wer in welchen Straßen ansässig war, wo welcher Handwerker lebte usw. Sie konnten auf eine existierende städtische Ordnung und Logik vertrauen, die im Gegen­ satz zur Wildheit einer Natur stand, die außerhalb der Mauern lauerte. Abends wurden Städte verschlossen und das Fremde, das immer drohende Chaos der Außenwelt, blieb jenseits der Mauern und der Befestigungen. In einer Stadt zu leben war ein Privileg. Ein Städter fühlte eine garantierte Sicher­ heit,7 einen garantiert geordneten Raum – und genoss in der Regel ein städtisches Bür­ gerrecht. Die Straßenzüge der europäischen Städte blieben über Jahrhunderte unverändert. Und auch die Bürgerhäuser wurden vielleicht modernisiert, bekamen neue Fassaden, blieben aber doch in Größe und Reihung weitgehend gleich. Diese ästhetische Stabili­ tät, diese Garantie, dass das Bekannte Bestand hatte, führte gerade in den Kaufmanns­ städten zu einem ausgeprägten bürgerlichen Selbstverständnis. Der städtische Raum war ein kalkulierter Raum, weitgehend frei von überraschenden, das Selbstverständ­ nis störenden Elementen. Das Gebilde des geordneten und vertrauten Raumes funktionierte so lange, wie eine Grenze definiert war. Wer sich außerhalb der Stadtmauer oder der Befestigung aufhielt, der lebte außerhalb der Ordnung, der war nicht frei, sondern nun geradezu vogelfrei. Mit der allmählichen Auflösung dieser Grenze im frühen 19. Jahrhundert, dem Schleifen der Mauern und dem Niederlegen der Befestigungen, stand die bürgerliche Identität auf dem Spiel. Ab etwa 1850 begannen die europäischen Städte derart zu wachsen, dass die vor­ handenen Häuser die zuströmenden Menschen nicht mehr aufnehmen konnten. Zu­ dem waren neue Bauplätze knapp, auch eine innere Verdichtung konnte nur kurzfristig Wohnungsnot mildern. Auf den niedergelegten Bastionen entstanden nun Ringstra­ ßen und Grünflächen. Neue Städte wurden außerhalb der Ringe errichtet, wucherten kilometerweit in die umliegende Landschaft – aber in geordneten Rastern mit Ach­ sen und symmetrischen Plätzen. Öffentliche Verkehrsmittel wie Pferdebahnen, elekt­

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rische Straßenbahnen und Untergrundbahnen ermöglichten die Inbesitznahme einer Fläche, die ein Vielfaches der Fläche der alten Stadtkerne einnahm. Diese Entwicklung vollzog sich zeitgleich in den meisten europäischen Großstäd­ ten – einen derart dramatischen Wandel hatte das Gebilde „Stadt“ seit der mittelalter­ lichen Gründungsphase nicht erlebt. Immer mehr Menschen pulsierten nun durch die Städte. Immer mehr Verkehr brandete um die Häuserblocks. Immer weniger galt die althergebrachte, Jahrhunderte gültig gewesene Struktur. Aus Ordnung wurde Chaos! Menschen entdeckten in den Städten nun nicht mehr wie sie es einst taten die har­ monische Schönheit, sie fanden keine vollendete Ordnung mehr (die von den Planern intendiert war), sondern sie stolperten über Unglücke und Unfälle. Robert Musil bot in seinem „Mann ohne Eigenschaften“ eine Szene der neuen Stadtsicht: „Schon einen Augenblick vorher war etwas aus der Reihe gesprungen, eine quer schlagende Bewe­ gung; etwas hatte sich gedreht, war seitwärts gerutscht, ein schwerer, jäh gebrem­ ster Lastwagen war es, wie sich jetzt zeigte, wo er, mit einem Rad auf der Bordschwel­ le, gestrandet dastand. Wie die Bienen um das Flugloch hatten sich im Nu Menschen um einen kleinen Fleck angesetzt, den sie in ihrer Mitte freiließen. Von seinem Wagen ­herabgekommen, stand der Lenker darin, grau wie Packpapier, und erklärte mit gro­ ben Gebärden den Unglücksfall. Die Blicke der Hinzukommenden richteten sich auf ihn und sanken dann vorsichtig in die Tiefe des Lochs, wo man einen Mann, der wie tot dalag, an die Schwelle des Gehsteigs gebettet hatte.“ 8 Menschen ohne Eigenschaften – ohne zugeordnete Aufgaben, ohne Bedeutung, ohne Verortung – bevölkerten tagsüber die Städte. Sie arbeiteten, vergnügten sich und konsumierten. Aber Sie lebten nicht mehr in den Zentren, sie gaben den Zentren keine Identität und sie schöpften aus ihrer Stellung in den Zentren keine Identität. Sie bevöl­ kerten die Zentren eben ohne Eigenschaften. Der brandende Verkehr, der tagsüber die Menschen umherwirbelte, ebbte gegen Abend ab – in der Nacht blieb die Stadt weit­ gehend leer, ein Gefäß ohne Aufgaben, ein fremder Raum. Unter den Händen der Planer war die Stadterweiterung zu einer Stadtveränderung mutiert, zu einer dramatischen Umkehrung der Verhältnisse. Ohne, dass es geplant gewesen wäre, entstand eine Funktionstrennung zwischen alter Innenstadt und den neuen Vorstädten. Die Innenstädte verloren die Eigenschaft, Vertrautheit zu verspre­ chen, Sicherheit zu garantieren. „Heimat“ wurde nun in den Wohnstraßen draußen vor den alten Stadttoren gefunden, wenn überhaupt. Mit der Industrialisierung und mit der immer globaler werdenden Verteilung der Industrieprodukte wuchs im 19. Jahrhundert der Bedarf an Verwaltung und Bürokra­ tie. Mumford: „Die Unterbringung dieser Bürokratie in Kontorhäusern, Mietskasernen und Vorstadtwohnungen bildete eine der wichtigsten Aufgaben bei der großstädti­ schen Expansion. […] Jedoch brauchte nicht nur die Bürokratie selber Büro- und Wohn­ raum, sondern auch die Abfallprodukte ihrer Tagesarbeit erforderten zunehmenden Raum in den neuen Gebäuden. Akten, Tresore, Aufbewahrung für heute und morgen, Exerzierplätze und Friedhöfe für Urkunden, auf denen die Geschäftsakten alphabe­ tisch geordnet waren, damit man sie nötigenfalls künftig wieder nutzen oder nach­ schlagen, Prozesse führen oder Verträge schließen könne. Dieses Zeitalter fand – in 38

Amerika schon in den achtziger Jahren [des 19. Jahrhunderts] – seinen Ausdruck in einem neuen Typ von Bürohaus, das symbolisch eine Art von senkrechtem mensch­ lichen Aktenschrank ist, gleichförmige Fenster, eine gleichförmige Fassade und gleich­ förmige Innenräume besitzt.“ 9 Kontorhäuser wurden in Europas Zentren verstärkt ab etwa 1880 errichtet. Teil­ weise ersetzen neugebaute Kontor-Quartiere alte Wohnviertel – wie in Hamburg, wo das Altstadtviertel vorher als Cholera-Brutstätte diffamiert wurde und der Abriss als Gesundheitsfürsorge gewertet werden sollte (hier sehen wir schon die Argumenta­ tionsmuster der Reformer). Neben Kontorhäusern wurden, ebenfalls verstärkt im letzten Jahrzehnt des 19. Jahr­ hunderts, Kaufhäuser und große Geschäftshäuser errichtet. Neben anderen Unter­ nehmen lösten Karstadt (gegründet 1881), Hertie (gegründet als Hermann Tietz 1882), Schocken (gegründet 1901) und Wertheim (nach früheren Anfängen ab 1880 als Kauf­ haus) den alteingesessenen Detailhandel ab. Wohnquartiere, die es um 1900 noch in den Zentren gab, gerieten zu Bauerwar­ tungsflächen, wurden kaum noch gepflegt. Dort verfielen die Wohnhäuser, dort lebten die Ärmsten der Armen – in den Zentren entstanden die ersten Slums. Sozialreformer bezogen sich in ihrer Kritik an den städtischen Lebensbedingungen oftmals auch auf die überkommenen oder im 19. Jahrhundert weiter verdichtete altstädtischen Quartie­ re –­wie die Gängeviertel in Hamburg. Abseits der vergessenen Wohnviertel entwickelten sich Städte zu einem getakteten Organismus mit Umsteigeplätzen, Zeitungskiosken und zentralen Uhren. An manchen

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Berlin, Potsdamer Platz, um 1900. Im Hintergrund das Wertheim-Kaufhaus von Adolf Messel. Zeitgenössische Postkarte. Die Uhr in der Mitte des Platzes gibt den eilenden Passanten, die in Straßenbahnen sitzen oder zu Fuß hetzen, die Zeit. Eine ruhige Architekturbetrachtung findet nicht mehr statt.

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Abenden kehrten die Menschen zurück in die nun elektrisch erleuchteten Städte, in die Kinos oder die Vergnügungspaläste. Städte wurden in zeitlichen und räumlichen Fenstern genutzt, auf diese beschränk­ te sich die Kompetenz der Städter. Die Bereiche, die außerhalb dieser Fenster lagen, blieben den jeweiligen Stadtnutzern fremd und verschlossen. In diesen Bereichen war­ tete das Fremde, womöglich die Kriminalität – so die Projektion der Menschen, die ihre allumfassende Kompetenz verloren hatten. Zwischen 1850 und 1900 wuchs überall in Europa eine neue Stadt – mit über­ raschenden Eigenschaften: – Ordnung wurde Chaos. – Ein altes, überkommenes Gesamtkunstwerk wurde von Brandmauern, Bau­ lücken und Baustellen zerbrochen. Plakat- und Fassadenwerbung trat neben architektonische Formen. – Vertrauen (Bürgerrechte) wich Unsicherheit, Angst. Detektive wurden nun in die Städte geschickt, um zumindest in der Literatur Ordnung wiederherzustellen. Sherlock Holmes’ Abenteuer begannen im Jahr 1888 in der Groß­ stadt, in der der Wandel am weitesten vorangeschritten war: London. Eine Literatur­ gattung erblühte, die die Bedrohung der Ordnung und die Wiederherstellung der Ord­ nung als Grundthema hat. Der tiefe Verlust des Vertrauens in die Stadt, die ästhetische wie moralische Zer­ störung der Stadt – in Kriminalromanen thematisiert – legte die Grundlage der Reform.

Die Zinsstadt Architektur und Stadtplanung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Städten entstand, sollte an die alte Ordnung der vorindustriellen Zeit anknüpfen, soll­ te­die stilistischen Vorgaben, die die alten Städte gaben, in den Vorstädten aber auch in den neuen Innenstadt-Quartieren fortsetzen. Doch während so getan wurde, als ob sich die alte Stadt einfach weiterbauen ließe, entstand sie auf einer neuen finanziellen Grundlage – und damit änderte sich tatsäch­ lich alles. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in Deutschland und Österreich Miets­ haus-Architektur in der Regel von Kapitaleignern gebaut, die über Miete einen Ertrag erwirtschaften wollten. Vor allem nach dem industriellen Boom in Deutschland ab 1871 verfügten Industrielle und Kaufleute über derart viel Kapital, dass sie Investitions­ möglichkeiten suchten, um das Kapital zu mehren. Durch das rasche Bevölkerungs­ wachstum der Städte erwies sich der Bau von Mietshäusern als besonders lukrativ, in Österreich hat sich der treffende Name „Zinshaus“ durchgesetzt.10 Die Finanzierung der Architektur änderte deren Bedeutung. Ein Kapitaleigner, der Mietshäuser erstellte, hatte kein Interesse an der Bedeutung seiner Architektur. Ein Bauwerk sollte preiswert in der Herstellung sein, viel Grundfläche bieten und mög­ lichst hohe Mieten einfahren. Die Gestaltung war dabei zweitrangig, nur insofern von Belang, als dass sie die Vermietbarkeit begünstigen sollte. 40

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Nicht zufällig erleben wir ab Mitte des 19. Jahrhunderts europaweit eine Auflösung der regionalen und traditionellen Architektur. Nach bisheriger Lesart hat die Moder­ nisierung Europas dazu geführt, dass die alten Bauernhäuser und auch die tradierten Stadthäuser nicht mehr den gesellschaftlichen Anforderungen genügten. Tatsächlich jedoch war eine traditionelle Architektur auf einen Eigentümer bezogen. Architektur trug eine abgesicherte Bedeutung, da sie in der Regel von einem Eigentümer errichtet wurde, der Bedeutung setzte. Die traditionelle Architektur verkörperte seine Stellung in der Gesellschaft, seine Beziehung zur Tradition, sein Bedürfnis nach Selbstdarstel­ lung. In dieser Konstellation war es nicht notwendig, dass Architektur möglichst billig errichtet wurde – ein Mehrwert an Bedeutung rechtfertigte aus der Sicht eines selbst­ nutzenden Eigentümers einen Mehraufwand. Die auf den Eigentümer bezogene Erschaffung von Architektur hat uns die histo­ rischen europäischen Altstädte hinterlassen, deren Bedeutungsgehalt wir heute noch erleben und nachvollziehen können. Doch mit dem kapitalfinanzierten Zinshaus und der Spekulation mit Miethäusern geriet die Bedeutung zu einer (falschen) 11 Story, zu einer Folie auf der Oberfläche. Der historistische Stil war das ideale Mittel der Kapitalgeber, eine scheinbar sinn­ volle Architektur zu schaffen. Auf einfache, billig erstellte Baukörper mit Innenhof und womöglich Hinterhof wurde eine Stuckfassade geklebt, die auf einen scheinbare Be­ deutung verwies, die jedoch tatsächlich ins Leere ging. Neben tatsächlichen Bauten aus Renaissance oder aus Gotik entstanden tausend­ fach Bauten der Neorenaissance und der Neogotik, aufgereiht an bewusst geplanten, geradlinigen Straßenzügen, inszeniert mit Blickachsen und Plätzen, akzentuiert durch Denkmäler. Ordnung wurde hier als formale Weiterführung der alten Stadt verstanden. Die ästhetische Strategie (die Reformer würden später von „Betrug“ reden) funktionierte durchaus – als Flaneur konnte und kann man die gründerzeitlichen Quartiere durch­ streifen und den Formenreichtum bewundern. Die Architektur war phantastisch und sehenswert 12 – und doch gab es ein logisches Problem: Die Ornamente der histo­ rischen Stilepochen waren ohne eine Verknüpfung zum bedeutungsgebenden Kern gesetzt. Stadterweiterung wurde nach dem Prinzip „copy & paste“ durchgeführt. Ein Postamt in Neogotik hatte nichts mit gotischen Bauhütten gemein, ein Bankgebäude im Stil der Neorenaissance sollte keine Werte der Ära der Aufklärung verdeutlichen. Dennoch hatten die Dekorationen einen Sinn. Zwar verwiesen sie nicht auf eine Wahrheit, die zu interpretieren wäre, doch vermittelten sie eine Ordnung (beispiels­ weise eine vorgebliche soziale Ordnung) – auch wenn sich diese womöglich nach Be­ treten der Häuser als falsch heraus stellte. Darüber hinaus, indem sich die Dekorationen auf eine alte, heile Welt bezogen, überspielten sie den in den Städten wachsenden Vertrauensverlust. Sie schienen zu verkünden, dass alles so wie früher sei – und verunsicherte „Leute ohne Eigenschaf­ ten“ folgten den Versprechen gerne. Historistische Architektur geriet zu einem Bauen aus dem Setzkasten, das Ordnung schaffen sollte, dessen Verweise auf Inhalte nur vorgegeben waren – nur leere (aber hübsche) Versprechen.

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Man kann diese Form der Architektur in gewisser Weise als demokratisch bezeich­ nen. Den Bauherren standen alle gestalterischen Mittel – ob sakral oder höfisch – zur Verfügung. Alle Bauherren konnten die Gestaltungsvarianten ohne Begrenzung ein­ setzen, konnte auch ohne Einschränkungen sakrale oder höfische Architekturen nach­ bilden. Es gab Kataloge, die für die Fassaden Gestaltungsvarianten vorschlugen und die ein Bauherr je nach Laune, Geschmack oder finanzieller Strategie aussuchen konn­ te – ob Klassizismus, Renaissance oder Gotik – alles nur eine Frage des Geschmacks. Noch fürchtete man keine Freud-Schüler, die mit dem Finger auf die Ornamente wie­ sen und eine systemische Krankheit der gründerzeitlichen Gesellschaft erkannten. Die Grenzen dieses „demokratischen Bauens“ wurden vom Kapital bestimmt. Wer Geld hatte, der konnte mit den Formen spielen, sie nach Belieben einsetzen, wer hingegen kein Geld hatte, wer nur zur Miete wohnen konnte, der musste den Stil des Hauses hinnehmen. Die beliebigen Formen überspielten durch ihre scheinbare immanente Ordnung das Chaos und auch den zunehmenden Bedeutungsverlust der modernen Stadt. Das Konzept, das eine geometrische Ordnung und Setzkasten-Dekoration gleicher­ maßen vorsah, rutschte jedoch in eine Sackgasse. Der nicht funktionierende (und auch von den Bauherren nicht bemühte) Verweis zwischen Form und Inhalt führte zu einer Supernova der Architektur. Wo das Ornament nicht auf Inhalt verwies, wo allein das Vorhandensein und der Reichtum des Ornaments beispielsweise eine Aussage über den sozialen Status traf, begann ein Wettlauf um die Ausschmückung der Architek­ tur – je mehr desto besser, je mehr, desto höher der vorgegebene Status – inszeniert an Blickachsen. Die Form war tatsächlich vom vorgegebenen Inhalt entfesselt, sie begann nur noch das Kapital der Bauherren zu repräsentieren. Der Wettlauf gipfelte um 1900 in neobarocken Villen und Geschäftshäusern, die schon von Zeitgenossen als grotesk überschmückte Bauten wahrgenommen wurden. Ein „mehr“ war um 1890 / 1900 nicht denkbar. Diese Entwicklung führte plötzlich zu einer Entwertung der gründerzeitlichen Ar­ chitektur – bis der angenommene Wert, d. h. bis der angenommene Inhalt auch im Be­ wusstsein der Zeitgenossen ganz verschwand (tatsächlich hatte es ihn bei den Zins­ häusern ja nie gegeben, er war nie mehr als ein Versprechen gewesen – aber diesem Versprechen wurde nun nicht mehr geglaubt). Das Fehlen eines Kerns, auf den die Orna­mente verwiesen, wurde für jeden, auch für den Laien, offenkundig. Formen wa­ ren nur noch Formen – sie korrelierten offensichtlich mit keiner Bedeutung. Mit diesem erlebten Verlust änderte sich die allgemeine Einschätzung der Archi­ tektur: Schönheit zerrann, obwohl die Architektur unverändert blieb. Ornamente wur­ den nun per se als falsch angesehen. Die Idee, in ihnen Zeichen aller Übel der Groß­ stadt zu sehen, entwickelte sich parallel zu den Lehren der Psychoanalyse, wurde in den 1910er und 1920er Jahren geradezu ein common sense. Als sich Anfang des 20. Jahrhunderts ein Ornamentstück der reich verzierten, in den Jahren 1900 bis 1902 noch historistisch errichteten Baumwollbörse in der Bremer Innenstadt unweit des Marktplatztes vom Gebäude löste, aus großer Höhe herab fiel und einen Passanten erschlug, war überdekorierte Architektur symbolisch an ihrem Ende angekommen: Dekorationen töteten Städter.13 Dieser Vorfall wurde als ein Be­ 42

weis verstanden, das Dekorationen falsch waren, den Menschen falsch erzogen, ihn direkt schädigten. Der Museumsleiter und Herausgeber der „Blauen Bücher“ zur Ar­ chitektur, Walter Müller-Wulckow (1886 – 1964), schrieb unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg ein Pamphlet zur Architekturreform, in dem er auf den tragischen Bremer Unfall verwies und eine neue, bessere Architektur forderte. „Die Bremer Baumwoll­ börse ist das krasseste Beispiel dieser Art, von deren Formenfülle schon kurz nach der Vollendung abblätternde Ornamente Passanten erschlagend herabstürzten und auf diese geradezu groteske Weise die Krebsschäden [sic!] unserer Baupraxis gezeigt ­haben.“ 14 Doch – nicht die Formen waren das tatsächliche Problem, sondern ihr Bedeutungsver­ lust. Unfälle mit herabstürzenden Bauteilen hatte es immer gegeben – nur in diesem Fall wurde die historistische Ästhetik als scheinbar Schuldiger überführt.

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Baumwollbörse Bremen, zeitgenössische Postkarte (vor der Vereinfachung der Fassade). Quelle: Sammlung Aschenbeck

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Mit dem Ende der traditionellen regionalen Architektur und mit dem Beginn der kapitalfinanzierten Stadterweiterung zerrann die Bedeutung von Formen zwischen den Händen der Architekten und Planer. Alles Bemühen nachfolgender Architekten­ generationen war darauf gerichtet, Bedeutung zu retten, eine unmittelbare Repräsen­ tation zu (re)konstruieren.

Brüche Mit dem Wachsen der gründerzeitlichen Vorstädte entstand ein städtischer Mega­ organis­mus, die „Megapolis“ – vom Einzelnen nicht mehr zu begreifen, nicht mehr zu überblicken. Selbst die gründerzeitliche Scheinordnung – wir haben es gesehen – funktionierte nicht. Die rasche Zunahme des Straßenverkehrs und die technische Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs führten zu laufenden Umbauten in den bestehenden Städten. Die schöne Ordnung von Blickachsen wurde unterbrochen von Baustellen, von Brand­ mauern und bald immer mehr von Werbetafeln. Bereits in Fontanes Stechlin, dem großen Roman des ausgehenden 19. Jahrhunderts, sind die Brüche nicht zu übersehen: „Und so ging er [Woldemar] denn, als der Abend dieses dritten Tages da war, auf die Hallesche Brücke zu, wartete hier die Ringbahn ab und fuhr, am Potsdamer und Brandenburger Tor vorüber, bis an jene sonder­bare Reichs­ tagsuferstelle, wo, von mächtiger Giebelwand herab, ein wohl zwanzig­Fuß h ­ ohes, rie­ siges Kaffee­mädchen mit einem ganz kleinen Häubchen auf dem Kopf freundlich auf die Welt der Vorübereilenden herniederblickt, um ihnen ein Paket Kneipp­schen Malz­ kaffee zu präsentieren.“ 15 Stadt wurde nicht mehr als wohlkomponiertes Kunstwerk wahrgenommen, son­ dern als Abfolge von Brüchen, als eine Aneinanderreihung von Überraschungen, als ein Chaos, in dem man keine Ordnung suchen braucht. Die Werbetafel, der Zei­ tungskiosk, die Uhr an der Straßenbahnhaltestelle und der bei Musil geschilderte Au­ tounfall auf der Verkehrskreuzung gehörten nun zur anziehend-abstoßenden Ästhetik der Großstadt.

Geschwindigkeit Mit dem Zeitalter der Eisenbahnen begann die Geschwindigkeit in die Städte einzu­ ziehen. Menschen, die jeden Tag aus der Vorstadt in die Kernstadt fuhren, sahen einen großen Teil der Stadt aus dem bewegten Verkehrsmittel. An ihnen lief die Stadt vorbei wie ein Film. In dem 1929 von Billy Wilder und anderen gedrehten Film „Menschen am Sonntag“ zeigt eine Sequenz eine Autofahrt durch Berlin aus der Perspektive der Fahr­ zeuglenker. Häuser wischen am Zuschauer vorbei, die Blicke bleiben nur kurz auf den inzwischen obligatorischen Werbeplakaten haften. Die Beschleunigung der Stadt hat einen unerwarteten Nebeneffekt. Die Menschen haben keine Zeit mehr, die üppige gründerzeitliche Architektur zu betrachten. Die meisten Bauten von vor 1900 waren so gestaltet, dass sich ein Betrachter in Positi­ on bringen musste, einige Minuten Zeit mitzubringen hatte und dann Etage für Etage 44

Standbild aus dem Kinofilm „Menschen am Sonntag“, Berlin 1929. Werbeschriften beginnen, die Brücken, die Haltestellen und die Brandmauern zu überziehen.

ten (und die den Bedeutungsverlust nicht wahrnehmen wollten oder die ihr Auge mehr auf das soziale Geschehen hinter den Mauern richteten …), verhinderte oftmals der Ver­ kehr das Einnehmen einer günstigen, vom Architekten vorgesehenen Betrachterper­ spektive. Ein kontemplatives Betrachten von reich geschmückten Bauwerken wurde immer schwerer. Berlin- oder Paris-Postkarten aus den ersten Jahren des Jahrhunderts verifizieren das Phänomen: Vor den prachtvollsten historistischen Bauten floss der stärkste Ver­ kehr. Die zentralen Objekte des Historismus wurden durch die Beschleunigung des Betrachters entwertet.

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bewundern konnte. Doch dieser Betrachtertyp verschwand! Die Menschen saßen in Bahnen und Automobilen und erkannten an den Hausfassaden nur ein großes Durch­ einander. Ornamentik geriet zur Kakophonie, Fassadenwerbung an Brandmauern zu einzig lesbaren Botschaften. Dort, wo es noch Flaneure gab, die sich die Zeit nahmen, ein Bauwerk zu betrach­

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Tuberkulose Wir sehen: Die gründerzeitliche Architektur mit ihren reichen historistischen Ausprä­ gungen war um 1900 an einem Endpunkt angenommen. Sie wurde immer mehr und vor allem als optisches Rauschen wahrgenommen. Doch dieser fast vollständige Ver­ lust an Relevanz führte noch nicht zu einer Ablösung, noch nicht zu einer vollstän­ digen Neuorientierung. Die erste Strategie des Städters, um mit Bedeutungslosigkeit umzugehen, war die Ignoranz, das Übersehen des Überflüssigen. Den Wechsel in der Wahrnehmung, die neue, nun negative Aufmerksamkeit, brachte eine ansteckende Krankheit – die Tuberkulose. Um 1900 war Tuberkulose eine grassierende Seuche, die weite Teile der Bevöl­ kerung betraf. Die auf Tuberkulose zurückzuführende Sterblichkeit hatte in London Mitte des 18. Jahrhunderts bereits einen Höchststand von 28 Prozent der registrierten Todes­f älle erreicht und nahm seitdem ab. In Deutschland wurde der Höhepunkt erst ein Jahrhundert später erreicht.16 „Epidemiologisch fällt die Tuberkulosewelle mit Protoindustrialisierung, Indust­ rialisierung und Urbanisierungsschüben zusammen und es wird vermutet, dass die Zunahme der Tuberkulose im Allgemeinen vor der ‚Blütezeit der Industrialisierung‘ einsetzte, dass sich dieser Vorgang in der Anfangsphase der Industrialisierung und Urbanisierung zunächst beschleunigte, dann aber die im ‚industriellen Wachstum‘ ge­ setzten Maßnahmen die krankheitsfördernden Faktoren relativ rasch kompensieren, ja überkompensieren konnten.“ 17 Tatsächlich war die Tuberkulose eine Krankheit, die als Welle vor der deutschen In­ dustrialisierung lief und dank einer besseren Hygiene in den Städten offenbar bereits zurück ging als die Industrie sich auszubreiten begann. Dieses Phänomen widerspricht ganz der zeitgenössischen Wahrnehmung, die die Schwindsucht als eine Krankheit ge­ rade der großstädtischen, industriell geprägten Zivilisation ansah.18 Um 1900 sahen die Menschen ganz und gar nicht, dass sich die Sterberaten ab­ schwächten. Sie hatten die Bilder von Kranken und Toten vor Augen, überblendeten die­ se mit der Architektur, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in den Großstäd­ ten entstanden war. Sie gaben den Häusern und den Wohnsituationen die Schuld an der seuchenhaften Krankheit –, obwohl die modernen Mietshäuser mit ihren Badezimmern mit fließend Wasser und mit ihren Wasserklosetts auf den halben Treppen außerhalb der Wohnungen – leicht zu reinigen und meist bereits mit einer modernen Kanalisation verbunden – wohl eher für den Rückgang eines Krankheitsrisikos verantwortlich waren. Die Tuberkulose erfasste ausgerechnet die junge, arbeitsfähige Bevölkerung. „Vor allem die Altersklasse der 21 –  30jährigen stellte in allen Einrichtungen die größte ein­ zelne Altersgruppe dar und machte 40 % – 50 % aller Behandelten aus.“ 19 Diese Tat­ sache verstärkte die gesellschaftliche Relevanz der Krankheit. Man konnte Tuberku­ lose nicht übersehen, nicht als Alterskrankheit abtun – sie erfasste den aktivsten und für die gesellschaftliche Entwicklung wichtigsten Teil der Bevölkerung. Eine Gesell­ schaft hatte sich mit der Tuberkulose auseinanderzusetzen. Auch, wenn sie keine städtische Krankheit war, so grassierte Tuberkulose vor al­ lem in den Städten. Dort lebten viele Menschen auf engstem Raum, dort kam es zu den meisten Ansteckungen. Vor dem Nachweis des Tuberkulose-Bakteriums im Jahr 1882 46

durch Robert Koch vermutete man, dass Tuberkulose aus dem Schmutz und Staub der Städte kam. Man verdächtigte die hochflorigen Teppiche und die dunklen Hinterhof­ wohnungen der Berliner Mietskasernen. Durch die Wohnungen waberten die Mias­ men 20 und steckten die Menschen an. In den Städten lauerte jeden Tag die Gefahr. Wer noch nicht infiziert war, wer jung war und die Zukunft gestalten wollte – den konnte das Schicksal jeden Tag ereilen. Plötzlich kam gründerzeitliche Architektur und vor allem gründerzeitliche Innen­ einrichtung in den Ruch, die Tuberkulose zu begünstigen. Hinter den schwer zu reini­ genden Ornamenten und Dekorationen versteckten sich die Bazillen. Aus den hochflori­ gen Teppichen und den dicken Brokat-Vorhängen unternahmen sie die heimtückischen Angriffe auf die Großstädter. Die historistischen Formen, die ihren bedeutungsgebenden Inhalt verloren hatten, bekamen plötzlich eine neue unheilvolle Bedeutung. Sie wurden direkte Zeichen der Krankheit, Zeichen des Niedergangs, nach Loos Zeichen der Degeneration – in einer unmittelbaren Verweislogik. Der Angst und der Ekel vor der Tuberkulose führten zu ei­ ner raschen Umwertung einer Scheinarchitektur. Plötzlich konnte man Dekorationen wie Albträume lesen: Als Zeichen einer verborgenen, dunklen Wahrheit.

Umdefinition der Formen Unter dem Eindruck von vier Faktoren:

begann eine Neubewertung der Architektur. In diesem Zusammenhang spielt das Ge­ dankengebäude von Freud eine entscheidende Rolle. Er hatte gezeigt, dass Phänomene eine tiefe Bedeutung besitzen können, die man nicht einfach ablesen kann, die man interpretieren muss. Ein ionisches Kapitell war also nicht einfach ein Zitat antiker Ar­ chitektur, es konnte andere Inhalte repräsentieren. Natürlich wurde um 1900 keine komplexe Deutung historistischer Architektur vor­ genommen. Die Architektur wurde kaum noch wahrgenommen, niemand wollte sich mehr damit auseinandersetzen. Es etablierte sich vielmehr ein Interpretations-Auto­ matismus: Die üppigen Formen waren Repräsentanten einer krank machenden Archi­ tektur und Stadtentwicklung. Ornamente und Dekorationen standen als Zeichen für den Niedergang einer Gesellschaft. Plötzlich verloren die Häuserfronten in den großen Städten ihre unschuldige Schönheit – und gerieten zu Schreckensgebilden, zu gruse­ ligen Fassaden, hinter denen Krankheit und Niedergang lauerten. Die Architekten der Gründerzeit hatten, so nun das Verständnis der beginnenden Moderne, mit den Dekorationen unbewusst die Symbole des Verfalls und der grassie­ renden Krankheit geschaffen. In der Gründerzeit gab es zwar eine intellektuelle Ar­ chitekturstrategie, ein Kalkül der Bauunternehmer, aber gleichzeitig auch eine unbe­

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a) Bedeutungsverlust der Formen, b) Aufbrechen der städtischen Ordnung (Chaos), c) Beschleunigung des Betrachters d) Angst und Ekel vor der Tuberkulose als großstädtische Krankheit

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wusste wahre Repräsentation (an die die Bauunternehmer nicht dachten) – so sahen es die Reformer. Eine kranke und krankmachende Architektur konnte allerdings im Gegensatz zu einer nur bedeutungslosen Architektur nicht toleriert werden. Die reformorientierten Menschen begrüßten ausdrücklich, wenn ein historistisches Bauwerk abgerissen oder zumindest in seiner Gestalt vereinfacht wurde (die Fassadenbereinigung der Bremer Baumwollbörse im Jahr 1922 war dafür ein gutes Beispiel). „Lägen die Bauten des vori­ gen Jahrhunderts schon in Trümmern, es verlohnte nicht, in Klagen auszubrechen“ 21, schrieb Müller-Wulckow nicht zuletzt in Hinblick auf das Bremer Beispiel. Adolf Loos, der das Ornament als Zeichen der Degeneration und die Tätowierung als Ornament von Verbrechern bezeichnete und damit die Diffamierung der gründer­ zeitlichen Zeichensprache weiter voran trieb, hatte ab 1909 am zentralen Wiener Mi­ chaelerplatz ein wenig dekoriertes Bauwerk geschaffen. Das Gebäude, das in Nachbar­ schaft zu stark ornamentierten Bauten steht, wurde ein Fanal einer neuen Architektur, das, so der Wunsch, keine Zeichen der Krankheit und der Unwahrheit mehr trage. „Der ganze Hexenkessel historisch verquirlter Formen muss erst wieder umgeschmolzen werden, sollen dauernde Bildungen neu erstehen“ 22, so Müller-Wulckow.

Feindbild „Mietskaserne“ Das gründerzeitliche Mietshaus, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in zahl­ reichen europäischen Städten errichtet, wurde um 1900 zum Sinnbild der modernen Stadt und gleichzeitig zum Feindbild der Reformer. Ausgerechnet der Bautyp, der Städ­ te­wie Berlin inzwischen beherrschte, wurde komplett verworfen, eine Umwertung der Werte begann. Die Reformer sahen die gründerzeitlichen Dekorationen – und interpretierten sie als Krankheitszeichen. Sie betrachteten die Wohnungen – und beobachteten, dass in überbelegten und schlecht belichteten Hinterhäusern die Menschen krank wurden. Tatsächlich hatte es beim Bau der Mietshäuser gerade in Berlin Auswüchse gege­ ben. Bis zu sechs hintereinander gestaffelte Hinterhöfe ermöglichten eine ideale Aus­ nutzung des Grundes, dienten der Mehrung des eingesetzten Kapitals, führten aber gleichzeitig dazu, dass die Wohnungen, die zu den engen Hinterhöfen zeigten, nur noch wenig Sonnenlicht bekamen. Arbeiter und Angestellte, die in kaum belichteten Wohnungen ohne Balkon oder Terrasse hausten, dienten fortan als Beleg für die Verdorbenheit der Architektur, ent­ sprechende Bilder verwahrloster Menschen in feuchten Wohnungen wurden wieder­ holt publiziert. Das Negativbild gerade der Berliner „Mietskaserne“ hatte sich Anfang des 20. Jahr­ hunderts so fest etabliert, dass Walter Benjamin 1930 glaubte, eine doch irgendwo noch vorhandene Schönheit der Mietshausblöcke-Stadt verteidigen zu müssen. „Ge­ wiss drückt sich das diabolische Wesen der Mietskaserne heute wie damals im Eheund Familienleben, in den Qualen der Frauen und Kinder, in der Borniertheit des Ge­ meinwesens, der Hässlichkeit seines Alltags aus“, schrieb Walter Benjamin in einer Rezension des Hegemann-Buches „Das steinerne Berlin“ 1930.23 „Aber ebenso gewiss 48

Landleben Mit der Desillusionierung über die Stadt und ihre Zinsarchitektur setzte eine Idea­ lisierung des Landlebens ein. Der alte Stadt-Land-Gegensatz drehte sich um. Nicht erst 1900, sondern parallel mit der Industrialisierung und parallel zum Wachstum der ­Städte. Land wurde ein Topos, der Sicherheit und Freiheit versprach. Die traditionelle Architektur, die in den Dörfern überlebt hatte, gab das verheißungsvolle Bild einer an­ deren, einer an sich besseren Welt. „Stadtluft macht frei“ – dieser Spruch wurde ersetzt durch „Stadtluft macht krank“ oder „Stadtluft macht nervös“.25 Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte man sich bemüht, die Natur in die wachsenden Städte zu holen. Der Central Park in New York (Fertigstellung 1873) oder der Bürgerpark in Bremen (Fertigstellung 1886) waren Konzepte, Natur für Städter verfüg­ bar zu machen (beide Beispiele hatten keine anders konnotierten höfischen Vorläufer wie andere Parks, z. B. der Englische Garten in München oder der Tiergarten in Berlin). In dieser Ära der Volksparks entwickelte sich eine Architekturform, die das heile Landleben geradezu symbolisierte – das so genannte Schweizer Haus.

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ist es, dass Boden, Landschaft, Klima und vor allem Menschen – nicht nur Hohenzol­ lern und Polizeipräsidenten – diese Stadt geschaffen und ihrerseits im Bilde der Miets­ kaserne einen Abdruck des ihrigen hinterlassen haben. Noch die planlose Rohheit die­ ser Siedlung, so gewiss ihr Kampf bis aufs Messer zu liefern ist, hat ihre Schönheit.“ 24 Benjamin folgte in strenger Logik dem Konzept der unmittelbaren Repräsentation, die sich in den Mietskasernen verwirklicht. Aber er sah nicht nur die zu bekämpfen­ den Auswüchse, die Zeichen der Krankheit – sondern er, als Berliner, verteidigte die Architektur der Menschen, die immerhin auch die Schönheit des menschlichen Le­ bens repräsentiere. Auch der Mensch des 19. Jahrhunderts wurde nicht von Krankheit und Irrsinn allein gekennzeichnet, so seine etwas versöhnliche Sichtweise. Benjamin nahm den Menschen, diesen von den Reformern entdeckten „Kern“ aller Architektur, in Schutz gegen eine Pauschalverurteilung. Nicht alle Berliner waren krank, debil oder generiert – trotz der Mietskasernen. Doch auch Benjamin plädierte damit nicht für eine Reinwaschung der gründerzeit­ lichen Architektur. Auch für ihn war die Mietskaserne eine historische Bauform, die man glücklicherweise überwunden habe, die man allein aus angeblich hygienischen Gründen überwinden musste. Die zweifellos vorhandenen Vorzüge der Mietshaus-Bebauung – die Nähe der so­ zialen Schichten, die entgegen aller Behauptungen tatsächlichen guten hygienischen Bedingungen, die Konzentration der Stadt und der minimierte Verbrauch der Land­ schaft – wurden nicht mehr wahrgenommen, galten nichts mehr gegenüber einem Ideal des Landes und des Landhauses, das sich zu etablieren begann. In dieser Sichtweise entsprach Benjamins Denken dem seiner Zeitgenossen. In den Jahren und Jahrzehnten 1900 gab es tatsächlich keine Fürsprecher mehr, die das grün­ derzeitliche Mietshaus als Wohnkonzept verteidigten, nach etwa 1905 wurden nur noch wenige gründerzeitliche Mietshäuser mit historistischen Dekorationen errich­ tet. Der Mensch sollte nun raus aus der Stadt, raus aufs Land – da wo die Sonne schien.

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Die Schweiz hatte sich im 19. Jahrhundert von einem Durchgangsort für Italienreisen­ de zu einem Sehnsuchtsort entwickelt. Die Schweiz stand als Synonym für eine erha­ bene Natur, der gegenüber Zivilisation klein und unbedeutend erschien. Aus der Natur konnte der Mensch – in der Tradition der Romantik – Größe ziehen, konnte seine ei­ gene Seele spiegeln. Bereits im Jahr 1779 hatte der 30-jährige Goethe an Charlotte von Stein geschrieben: „Hätte mich nur das Schicksaal in irgend eine grosse Gegend heis­ sen wohnen, ich wollte mit iedem Morgen Nahrung der Grosheit aus ihre saugen.“ 26 Ein Stück dieses Gefühls sollte das Schweizerhaus vermitteln – anfänglich noch ganz im romantischen Sinne begründet, 27 später, im ausgehenden 19. Jahrhundert, re­ duzierte sich die Bedeutung der Schweizerhaus-Architektur auf ein Zitat des Land­ lebens, das nicht nach Bedeutung hinterfragt wurde, das bald nur eine Dekoration war, die an ein entsprechendes Gefühl erinnerte. In England nannte man solche Ar­ chitekturen, die auf einen Effekt angelegt waren, Follies. Das Schweizerhaus war eine Weiterentwicklung der Follies, eine Lust- und Effektarchitektur für den von der Natur entwöhnten Städter. Allerdings verlor das Schweizerhaus nicht derart dramatisch an Bedeutung wie Stilformen der Neogotik oder der Neorenaissance. Das hatte einen ein­ fachen Grund: Schon Ende des 19. Jahrhunderts verwiesen die Formen des Schweizer Hauses (Blockstuben, Schnitzarbeiten, Balkone, Loggien) glaubhaft auf die gesunde Natur, in dem sie ein Phantasiebild der Schweiz evozierten. Bevor eine Reformarchitek­ tur mit einer funktionierenden Verweisstruktur entwickelt war, konnte das Schweizer Haus die Rolle der besseren Architektur einige Jahre tatsächlich besetzen. Gleichzeitig handelte es sich bei den Schweizer Häusern – eine besonders sehens­ werte Ansammlung entstand 1863 bis 1867 im Dorf Klein-Glienicke an der Grenze zwi­ schen Berlin und Potsdam 28 – um offenkundige Imitate, um kleine Betrügereien, die

Der Typus des Schweizer Hauses, hier in Berlin, Klein-Glienicke, zeitgenössischer Stich von F. von Arnim, Verlag Ernst & Korn, Berlin

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auch so gesehen und rezipiert wurden. Schweizer Häuser waren offenkundig kalkulier­ te Follies und keine Bauten, die auf eine Wahrheit oder eine Naturgesetzmäßigkeit ver­ wiesen. Sie waren eingebunden in das historistische Spiel mit den Formen, waren auch Teil der Setzkasten-Architektur und somit trotz der evozierten Schweiz-Bilder ebenfalls von Entwertung und Bedeutungsverlust bedroht. So waren Schweizer Häuser, die im großstädtischen Kontext womöglich direkt neben Industriebetrieben standen, wenig glaubhaft, konnten abgesehenen von einer angenehmen Unterhaltung, die sie leiste­ ten, das Bild der besseren Welt nur schwerlich und niemals überzeugend vermitteln. Dennoch: Das Schweizer Haus und andere mit der Natur spielende Follies (wie Rui­ nen, Grotten, Baumlauben o. ä.) bereiteten den Boden für das Idealbild der Reformer, sie gaben einer stark wachsenden Sehnsucht „zurück zur Natur“ Ausdruck. Die über­ kommenen Bilder der Romantik, die Aufladung der Natur mit Bedeutung, erhielten plötzlich einen neuen, aktuellen Sinn. Ab den 1890er Jahren trafen sich die Menschen, um als „Wandervögel“ nicht nur durch die städtischen Parks oder zu den städtischen Erholungsgebieten mit Gastrono­ mie zu spazieren, sondern um durch die bis dahin weithin missachtete deutsche Na­ tur zu streifen. 1896 beschrieb die „Deutsche Wacht“ die Notwendigkeit „zurück zur Natur“ zu gehen: „Es kann keinen Zweifel mehr unterliegen, dass die Entwicklung, welche die moderne Kultur seit einer Reihe von Dezennien genommen hat, Nacht­ heile und Schädigungen herbeigeführt hat, gegen welche anzukämpfen der Trieb der Selbsterhaltung in zwingender Weise auffordert. Alle die vielgerühmten Fortschritte der Technik und Industrie, auf welche unsere Zeit so stolz ist, alle die tausend Erfin­ dungen, welche es ermöglichen, das Dasein über den rohen Kampf um die Existenz emporzuheben und die edleren Seiten des Lebens zu pflegen, haben eine solche Men­ ge von schäd­lichen Vorbedingungen zur Voraussetzung, dass nur durch starke Abwehr und Schutzmaßnahmen jener Leib und Seele zerstörender Einfluss paralysiert werden kann. Man braucht nur hinzuweisen auf die vielen Großstädte, in denen Hunderttau­ sende von Menschen unter den denkbar unhygienischsten Bedingungen leben, auf die Einseitigkeit der meisten Berufsarten, die die Menschen zu Automaten macht und die jede harmonische Entwicklung hemmt, man braucht nur an die starken psychischen Depressionen zu denken, die gerade in unserer Zeit durch den potenzierten Kampf ums Dasein ausgelöst werden, an die Unsumme von Angst, Sorge und Kummer, welche da­ durch auf den Gemüthern lastet, um sich darüber klar zu sein, dass der größte Theil der jetzigen Kulturmenschheit unter unseren jetzigen Lebensbedingungen schwere Ein­ buße an der Gesundheit leiden muss. Deshalb ertönt mit Recht allenthalben der Ruf: zurück zu natürlichen, vernünftigen Lebensbedingungen.“ 29 Gerade die jungen Menschen verstanden das Signal. Sie zogen als Wandervögel durch das Land, entdeckten in den Wäldern die neue Heimat, glaubten, dass sie gerade in den Städten zwischen den Errungenschaften der Zivilisation bedroht und un­sicher seien – in völliger Umwertung alter Werte. Der Dualismus von Stadt und Land, seit Jahrhunderten gefestigt, wurde innerhalb kurzer Zeit auf den Kopf gestellt. Deutsche Landschaft und deutscher Wald wurden Orte der Flucht. Die Schweiz blieb aber das Bild der Sehnsucht – das im Jahr 1900 eine Gruppe junger Leute anzog: die Gründer des „Berges der Wahrheit“.

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Sanatorien Die sich ausbreitende Tuberkulose war ein stets gegenwärtiges Thema in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Jeder konnte sich jederzeit anstecken – in vielen Fällen mit tödlichen Folgen. Zwei grundsätzliche Probleme mussten gelöst werden. 1. Wie erfolgt eine Ansteckung und wie kann sie vermieden werden? Bis zur Entdeckung des Bakteriums durch Robert Koch war Tuberkulose ein Gift, das direkt aus den staubigen Ecken gründerzeitlicher Wohnungen aufstieg, das wo­ möglich aus den feuchten Wänden schlecht belüfteter und schlecht belichteter Berli­ ner Hinterhofwohnungen waberte. Aber auch nach Entdeckung des Bakteriums und nach der Einsicht, dass eine Ansteckung durch den Menschen erfolgt, waren die Woh­ nungen und Räume nicht entschuldigt – in ihnen konnten die Bakterien womöglich überleben und auf den nächsten Wirt warten. Mit der Entdeckung des Bakteriums änderte sich allerdings die Vorsorge. Tuberku­ losekranke wurden nun isoliert, ihr Auswurf in Behältern aufgefangen.30 Um eine Ansteckung zu vermeiden, wurde Hygiene als wichtig erachtet: Hygiene im Umgang mit den Menschen aber auch eine hygienische Einrichtung der Wohnun­ gen und der Krankenzimmer. Auf glatten, abwaschbaren Oberflächen, so die Vorstel­ lung, können keine Erreger überdauern. Die Reinheit der Flächen ermöglichte die Kon­ trolle der Gesundheit. 2. Wie kann man Tuberkulosekranke heilen? Die Frage nach der Heilung bewegte Hunderttausende. Die Kranken, die meist jung und arbeitsfähig waren, die womöglich an eine Hochzeit dachten, die noch Pläne für die Zukunft schmiedeten, wollten sich nicht auf einen baldigen Tod vorbereiten; sie erwarteten vom Leben eine zweite Chance. Es gab bis zur Entdeckung des Penicillins keine medikamentöse Therapie gegen Tuberkulose. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde den Kranken geraten, bestimmte Kurorte zu besuchen und bestimmte Brunnenwasser zu trinken. (so das Wasser der Arminius-Quelle in Bad Lippspringe, das ab 1832 zur Behandlung von Lungenkranken eingesetzt wurde) 31 Doch zeigte diese Therapie wenig Erfolg, die Patienten, die eine offene Tuberkulose hatten, starben meist an der Krankheit. Allerdings hatte sich gezeigt, dass die Krankheit bei viel frischer Luft und bei inten­ siver Sonneneinstrahlung auf den Körper des Patienten zumindest schwächer verlief, dass Licht und Luft Linderung, wenn nicht gar Heilung brachten. Hermann Brehmer (1826 – 1889) eröffnete im Jahr 1854 das erste Tuberkulose-Sa­ natorium im niederschlesischen Görbersdorf (heute Sokolowsko, Polen).32 Brehmer machte den Patienten Hoffnung, dass sie in der Luft des Riesengebirges gesunden kön­ nen. Das Brehmer-Sanatorium gilt als die erste Einrichtung, in der Patienten die neuar­ tige Licht-Luft-Therapie bekamen (wobei er offenbar mit Bädern angefangen hatte und Liegehallen erst später einführte; Brehmers Schwester hatte in Görbersdorf bereits 1849 ein Sanatorium gegründet, in dem eine Kaltwasser-Therapie angewandt worden war; sie konnte die Einrichtung allerdings nicht zum Erfolg führen; ihr Bruder über­ 52

Licht- und Lufthütte im Sanatorium Rikli in Veldes, Oberkrain. Zeitgenössische Postkarte

In den Folgejahren kam es zu weiteren Neugründungen von Naturheilanstalten, wovon sich eine 1875 in Falkenstein im Taunus gegründete Anstalt ausdrücklich auf das Vorbild des Brehmer-Sanatoriums berief. Der Brehmer-Schüler Peter Dettweiler (1837 – 1904) wurde ärztlicher Leiter der Falkensteiner Einrichtung. Auch in Hohenhon­ nef und St. Blasien (ab 1892) entstanden Sanatorien nach dem Vorbild in Görbersdorf.33 Parallel zu Brehmer gründete der Schweizer Arnold Rikli (1823 – 1906) 1855 im öster­ reichischen Veldes (Oberkrain, heute Bled in Slowenien) ein Santorium, das ausdrück­ lich die Licht-Luft-Therapie anwandte.34 In Rikli wurden Licht- und Lufthütten errichtet, einfache Holzverschläge für die Pa­ tienten, offen zum See, die aber ein Muster der Reform vorwegnehmen: die Rückkehr zur Hütte, die Idealisierung des einfachen, natürlichen Lebens. Rikli, der auch in Triest praktizierte, veröffentlichte um 1890 die Schrift „‚Es wer­ de Licht‘ und Es wird Licht! oder Die atmosphärische Cur. Ein Beitrag zur natürlichen Gesundheitslehre“.35 Auf dem Schmutztitel trug das Buch die Bezeichnung „Die atmo­ sphärische Cur oder das Lichtluftbad und das Sonnenbad und die Sonne der schärfste Diagnostiker und Prognostiker“. In seiner Schrift beschrieb Rikli, wie er die positive Wirkung des Licht-Luft-Bades am eigenen Körper entdeckt hatte – und wie förder­ lich es der Gesundheit ganz allgemein war, unabhängig von bestimmten Krankheiten. „Schrittweise vorgehend, begann ich erst nur mit dem Barfußgehen, entblößte allmäh­ lich den Körper immer weiter aufwärts. Hierbei überzeugte ich mich indes bald von der Ungefährlichkeit, ja gerade vom Gegentheil dessen, was die Welt der bösen Luft nach­ sagt. Ich fühlte deutlich, wie das Lichtluftbad herrlich nervenstärkend, weit angeneh­

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nahm dann die Bauten, übernahm auch das Konzept der Wassertherapie, das er mit langen Aufenthalten der Patienten im Freien kombinierte). Schnell wurde das schlesi­ sche Sanatorium bekannt und lockte verzweifelte Kranke aus ganz Europa ins Riesen­ gebirge.

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mer und mehr Elasticität verleihend wirkte, als jegliche Wasseranwendung, und dass dasselbe in Verbindung mit bald darauf folgendem Sonnenbad absolut gefahrlos sei.“ 36 Rikli begann ab 1868 mit der Einführung der Licht-Luft-Kuren, musste allerdings erhebliche Widerstände der Patienten überwinden, die erst von der neuen Methode überzeugt werden mussten.37 Zdenko Lebental schrieb in seiner kurzen Rikli-Biographie: „Die Heilanstalt ‚Mallner­ brunn‘ war zuerst um ein Kurbadehaus, später um zwei solche gruppiert. Zu ihr ge­ hörte eine Kolonie von mehr als 50 offenen Hütten, in welchen ein Teil der Patienten wohnte. Auf den umgebenden Hügeln, in verschiedener Entfernung – für den Kräfte­ zustand und das Geschlecht der Kurgäste berechnet – befanden sich Luftparks, die wie das ‚Riklikulm‘ oder die ‚Arnoldshöhe‘ von Bäumen umzäunt eine Art von Fit­ ness-Uebungsplätzen waren. In den auf natürlichen Quellen errichteten Kurgebäuden befanden sich Bassins, Duschen, Dampfbäder (Rikli hatte schon in Seebach das s. g. Bettdampfbad erfunden) und andere hydropathische Einrichtungen, auf dem Dache geräumige Sonnenterrassen.“ 38 Die Licht-Luft-Parks waren jeweils zwischen einem halben und zwei Hektar groß und für Frauen und Männer getrennt, 39 teilweise als Rasen-, teilweise als Trocken­ bodenfläche angelegt, ein Viertel bis ein Drittel war mit schattengebenden Bäumen be­ standen. Die Patienten kleideten sich einfach und leicht, die Männer trugen beim Aus­ marsch aus der Unterkunft hin zum Park „ein Lichtbadehemd ohne Aermel, mit weit offener Brust, und eine weite, kurze Kniehose; für Damen ein leichter Schlafrock, even­ tuell nur das Lichtbadhemd von Organtinstoff darunter. Im abgeschlossenen Lichtbad­ park angelangt, behalten die Herren nur eine Badeschürze, die Damen das transparen­ te Lichtbadhemd und die Schürze bei.“ 40 Zu den bekannten Naturheilanstalten gehörte auch der „Jungborn“ im Harz, 1895 von Adolf Just (1859 – 1936) gegründet. Just schrieb in einer 1896 in erster Auflage erschie­ nen Schrift, dass ihm ein persönliche Leidenserfahrung zur Naturheilkunde gebracht habe. In „Kehrt zur Natur zurück! – Die neue, wahre naturgemäße Heil- und Lebens­ weise. Wasser, Licht, Luft, Erde, Früchte, wahres Christentum usw.“ 41 beschrieb er die Naturheilkunde nicht nur als einen Weg zur Gesundung, sondern vor allem als einen Weg zur Erkenntnis. „Allen denen, die auch bereits aus Nacht zum Licht gedrungen sind, allen denen, die durch mein Buch auf den Weg aus dumpfen, ödem Siechtum zur frischer, neuer Gesundheit, zu neuem Lebensglück geführt werden sollten, die aufer­ stehen möchten aus kalter dunkler Grabesnacht […] möchte ich nun gleichzeitig einen freundlichen Ostergruß beifügen.“ 42 „Heute finden wir keine wahre Gesundheit mehr unter den Menschen. Überall be­ gegnet uns auf Erden Krankheit und Siechtum in tausenderlei Gestalt. Von der Wiege bis zur Bahre werden die Menschen von Schmerzen und Leider jeder Art heimgesucht. Wir finden die Menschen im allgemeinen heute nur noch in Sorge und Kummer, in Not und Verzweiflung. Auch ich habe den Becher des Leidens bis zur Neige kosten müssen. Schon früh be­ gann ein schweres Nervenleiden, die Krankheit unseres Jahrhunderts.“ 43 54

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Rikli-Schrift „‚Es werde Licht‘ und Es wird Licht! oder Die atmosphärische Cur. Ein Beitrag zur natürlichen Gesundheitslehre“, 1894 .

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Arnold Just, Titelseite des Buches „Kehrt zur Natur zurück –  Die neue, wahre, naturgemäße Heil- und Lebensweise“, Stapelburg 1903.

Die Rückkehr zur Natur, die Regression des Menschen, wurde als der Weg zur körper­lichen wie seelischen Gesundung verstanden. Die städtische Zivilisation war der krankmachende Herd, verantwortlich für Tuberkulose und nervöse Störungen; die urtümliche Natur verkörperte hingegen Gesundheit. „Der Mensch muss sich wieder von der Natur leiten lassen, hierbei braucht er nichts zu können und zu lernen und nichts zu wissen. Er muss vielmehr, um auf den rech­ ten Weg zur Gesundung zu kommen, das viele Unnütze und Falsche, was man heutzu­ tage lernt, zunächst verlernen, er muss den vielen Wissenskram und -ballast […] ab­ werfen.“ 44 Um das Ziel zu erreichen müsse der Mensch, so wie es schon Nietzsche im Zarat­ hustra geschrieben hatte, Kind werden. „Der Mensch muss sich wieder kindlich glau­ bend der Natur hingeben.“ 45 Wir Rikli hatte Just ein konkretes Programm der Regression entwickelt, in dessen Zentrum das Leben in einfachen Hütten stand. „Von großem Vorteil ist das Schlafen in Hütten und Häuschen, die möglichst nur aus Holz gebaut sind und ganz im Freien in reiner Luft, am besten unter Waldbäumen, stehen und in die recht viel Licht und Luft jederzeit ungehindert hineindringen kann. 56

Mann nennt dieselben wohl Lichtlufthütten und Lichtlufthäuschen, obwohl die­ selben durchaus nichts besonderes zu sein und keinerlei Einrichtungen zu haben brau­ chen, die dieselben zu besonderen sogenannten hygienischen Apparaten und Einrich­ tungen machen.“ 46 Die Licht-Luft-Hütte wurde schon hier als Apparatur beschrieben. Wir finden hier den Kern einer neuen Architekturvorstellung: Architektur als Apparatur, die die Men­ schen zur Gesundung und die Gesellschaft zur Weiterentwicklung führt.

Aber nicht nur Tuberkulose sollte durch Regression besiegt werden, alle Zivilisations­ krankheiten konnten so bekämpft werden, so alle Formen der Nervenkrankheit. „Die Nervenkrankheit ist die Krankheit unserer Zeit. Die Zeit der gefeierten großen Erfin­ dungen und Errungenschaften musste all die heutige Hast, all die Überkultur und mit diesen das unsägliche Elend der vielen Nervenkrankheiten in die Welt bringen.“ 50 Die „Überkultur“ war natürlich eine städtische Erscheinung: In Berlin, Wien, Paris und anderen Metropolen konnten die Menschen ein Übermaß differenzierter Kultur genießen und erleben – und wurden von Hast und Nervosität ergriffen. In den historis­

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In seiner Schrift lieferte Just eine genaue Beschreibung der Jungborn-Hütten – sie wa­ ren für die wohlhabende, aus den Städten anreisende Klientel sicher zuerst eine Zumu­ tung: „In den Zwischenräumen zwischen Fenstern und Dach sind in der Vorder- und Hinterwand je zwei verstellbare Klappen vorhanden, sodass besonders oben Luft­ durchzug jederzeit hergestellt werden kann. Diese Klappen drehen sich um eine Achse und werden durch Schnüre, welche an denselben angebracht sind und an Nägeln oder Klammern an den Wänden befestigt werden, offen gehalten. Die innere Größe eines Zimmers ist: 3 m breit, 3,55 m lang, 2,80 m hoch (vom Fußboden bis an den Dachfirst), in der Mitte 3,20 m hoch. Der Fußboden ist aus Holz, das Dach ist aus Holz und mit dop­ pelter Dachpappe gedeckt. […] Das Lichtlufthäuschen enthält 2 Zimmer, die durch eine kleine Thür miteinander verbunden sind. In dem Zimmer ist keine besondere Decke, das schräge Dach bildet die Decke.“ 47 Was sollte in einer solcherart kargen Hütte zielführender sein als in der komfor­ tablen Stadtwohnung oder auch einer komfortablen Datscha, die ja auf dem JungbornGelände stattdessen hätten errichtet werden können – womöglich reich verziert mit Ornamentik, womöglich ausgestattet mit Teppichen und Polstern? Konnte man Licht und Luft nicht auch in einem komfortablen Rahmen genießen? Eine gründerzeutlich dekorierte Licht-Luft-Hütte hätte, so sahen es die Reformer, noch die Sprache der Degeneration und der Krankheit gesprochen; eine Sprache, die, so schien es, wiederum den einwohnenden Menschen negativ beeinflussen konnte. Stattdessen sollte gerade der harte Gegensatz zur Gesundung führen. Gegen die gründerzeitliche Pracht wurde äußerste Einfachheit gesetzt.48 Es ging darum, das Bild eines gesunden Lebens hervorzuheben und herauszustellen (da ja schon das Bild wirk­ sam war), „anstatt in dunkeln, dumpfen, von üblen Dünsten vergifteten Räumen und Städten [zu leben], wo der Keim zu allen Krankheiten gelegt wird, die nicht nur den Körper schwächen und hinfällig machen, sondern die Ursache von so vielem Leid und Unglück auf Erden sind“.49

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Arnold Just, Abbildung der Licht- und Lufthütte im „Jungborn“-Sanatorium im Vergleich mit einer ­entsprechenden Hütte im Waldpark von Braunschweig. Quelle: Just 1903, S. 62 f.

tisch geprägten Mietskasernen-Quartieren erkrankten die Menschen an Tuberkulose, in den historisch geprägten Zentren an nervösen Krankheiten. Gegen die „Überkultur“ wurde Einfachheit gesetzt. Die Erkenntnis, dass ausgerech­ net so primitive Aktivitäten wie Sonnenbaden und bloßes Atmen in frischer Bergluft die Gesundheit wiederherstellten, war allerdings um 1900 noch überraschend – und führte zu einer Neuorientierung des Denkens. Bis dahin hatten die im 19. Jahrhundert sozialisierten Menschen an die Leistun­ gen der Zivilisation geglaubt. Je feiner, komplizierter und hochentwickelter eine Tech­ nik war, um so besser musste sie sein. Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der Erfindungen und der technischen Ausdifferenzierungen – gerade in Deutschland. Die Zivi­lisation schien eine neue Höhe erreicht zu haben, eine neue Komplexität – und der Mensch wurde, so das Verständnis der Zeitgenossen, krank (wobei die Menschen tat­ sächlich nicht kranker waren als früher – selbst die Tuberkulose-Krankenraten nah­ men Anfang des 20. Jahrhunderts bereits deutlich ab – auch bei den Bevölkerungs­ gruppen, die sich keine Sanatoriums-Aufenthalte leisten konnten). In diesem sich massiv wandelnden gesellschaftlichen Umfeld besannen sich nicht nur die Kranken auf die Natur. Henry David Thoreaus Buch „Walden – or Life in the Woods“, in den USA bereits 1854 erschienen, kam 1897 in deutscher Übersetzung he­ raus und wurde wie eine neue Bibel gelesen. In ihrem Vorwort zur zweiten Auflage schrieb Emma Emmerich 1903: „Das Buch des einsamen Mannes am Waldensee fängt an in Deutschland mehr und mehr Freunde zu finden. Viele auserlesene Geister der deutschen Nation haben sein erstes Erscheinen in deutscher Sprache mit begeisterten Worten begrüßt, gar Manchem ist es, wie aus warmen Zuschriften ersichtlich, ‚das Buch geworden, das einen Wendepunkt im Leben darstellt‘. […] So möge denn dies Buch, ‚nach dessen Lektüre‘, wie Heinrich Hart [Heinrich Hart war Gründer und Vor­ sitzender der Deutschen Gartenstadtgesellschaft], ‚es kaum mehr möglich ist, ganz wieder in die Alltäglichkeit zu versinken‘, noch Vielen, Vielen den Weg aus einem Le­ 58

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ben des dumpfen Genusses und gierigen Erjagens in reine, hohe, menschenwürdige Regionen weisen!“ 51 Nicht wenige Zeitgenossen lasen Thoreau wörtlich und errichteten nach der Lek­ türe Blockhäuser und einfache Hütten. Thoreaus Buch konnte zudem als ein weiterer Beleg für die Richtigkeit der Licht-Luft-Therapie der Sanatorien gesehen werden, die man von der Warte der Schulmedizin eher belustigt als „merkwürdige Mischung“ be­ zeichnete.52 Wenn man von dieser direkten Vorbildwirkung absieht, war Thoreaus Buch ein Muster der Umwertung: Dinge, die für Zivilisation standen, verloren ihre Bedeutung. Natürliche Qualitäten hingegen, Naturgesetzmäßigkeiten, erhielten plötzlich höchste Bedeutung. Analog dazu änderte sich die Behandlung der Tuberkulosekranken. Statt kompli­ zierte Regeln zu befolgen (zum Beispiel nur bestimmte Wässer bestimmter Kurorte zu trinken und auf deren magische Inhaltsstoffe zu vertrauen), reichten nun Licht und Luft zur Behandlung, ergänzt, wie bei Just zu lesen, durch Spaziergänge im Regen. Statt aufwendige Krankenhäuser zu bauen, die den wohlhabenden Patienten alle Bequem­ lichkeiten andienten, führten primitive Hütten viel besser zum Ziel. Hütteneinsiedler, die womöglich auf nacktem Boden schliefen, die kaum bekleidet durch den Wald lie­ fen, lebten gesünder als die Menschen, die auf die Errungenschaften einer Jahrhunderte sich fortentwickelnden Zivilisation vertrauten. Heute mag das selbstverständlich erschei­ nen, um 1900 war der Segen der Einfachheit aber noch eine fast abenteuerliche Vorstel­ lung – die um so attraktiver erschien, um so unerhörter sie war.53 Didem Ekici wies in seinem 2008 erschie­ nenen Aufsatz „From Rikli’s light-and-air hut to Tessenows’s Patenthaus. Körperkultur and the modern dwelling in Germany, 1890 – 1914“ 54 darauf hin, dass die Hütte eine einfache Um­ hüllung des Körpers sei, Ausdruck eines neu­ en Körperbewusstseins. Der Körper stehe im Mittelpunkt einer Architektur, die plötzlich ein neues Kleid des Menschen wird. Der wahr­ haftige Kern einer Architektur sei also der Mensch mit seinen körperlichen Bedürfnis­ sen! Weitergedacht repräsentieren dann die formalen Mittel der Architekten die unbewus­ ste Wahrheit: die Gesundheit oder Krankheit des Menschen – und wirken rekursiv auf diese zurück – als, wie schon von Just beschrieben, Umschlag, Henry D. Thoreau: „Walden, or Life in the Gesundheitsmaschine. „The modern house in­ Woods“, MDCCCLIV (1854) creasingly became a prosthetic machine for

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the healthy body“ 55, schrieb Ekici und bezeichnete in diesem Zusammenhang die re­ gressive Hütte als „modernes Haus“! Die primitive Hütte wurde Ausdruck eines gesun­ den Menschen verstanden, konnte aber gleichzeitig den zivilisations-(tuberkulose-) kranken Menschen zur Gesundheit zurückführen. Mit der Hütte entdeckten ausge­ rechnet die Lungenärzte eine „wahre“ Architekturform. Sie versprach den direkten Weg zur Gesundheit, da sie dem Menschen passte. Die gründerzeitlichen Villen, folgt man dieser Lesart, waren unpassende und unbequeme Kleider, die nicht auf den Kör­ per geschnitten waren, die ihn entsprechend behinderten. Spartanische Licht- und Lufthütten wie in Veldes (Oberkrain), in Stapelburg (Harz) oder in Riva am Gardasee entstanden in vielen europäischen Sanatorien. Sie gehörten um 1900 zum festen Repertoire der Heilung. Doch Hütten waren allein ein Konzept für die besonders wohlhabende Klientel (so paradox das klingen mag). Einen Sommer in einer eigenen Hütte zu schlafen, nachts womöglich auf dem Erdboden zu nächtigen und am Morgen zum Licht-Luft-Bad aufzubrechen war, obwohl simpel, kein Konzept für die Masse. Das naturnahe Leben, das Konzept für ein besseres privates Leben und eine bessere Gesellschaft, blieb ein elitäres Projekt. Nur für die Wohlhabenden wurden Einzelhütten errichtet, die am Rande von Wiesengrundstücken und an den reizvollen Seen am Fuße der Alpen lagen. Natürlich stand in den Sanatorien hinter den Hütten eine umfassende Infrastruktur. Die Einwohner lebten einfach – und genossen doch ei­ nen Hotelservice. Das einfache Leben war ein Luxus, den sich die einfachen Menschen nicht leisten konnten. Für die Masse der Kranken, auch für die bürgerliche Mittelschicht, musste das Kon­ zept der Hütte rationalisiert werden. Es war nicht möglich, für jeden Tuberkulosekran­ ken eine eigene Licht-Luft-Hütte zu errichten (so paradox es auch erscheint). Statt dessen wurden schon im 19. Jahrhundert Sanatorien mit (sozusagen) gesta­ pelten Licht-Luft-Hütten errichtet. Die haustechnische Entwicklung begünstigte den Reihen- und Stapelbau der Hütten. Ausgehend von den USA begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Bau von Wohnhäusern gebaut, die fließendes Wasser und auch Wasserklosetts auf al­ len Etagen und in allen Wohnungen aufwiesen. Siegfried Giedion bezeichnete in „Die Herrschaft der Mechanisierung“ das 1853 errichtete „Mount Vernon Hotel“ in Cape May, New Jersey, als ersten Bau, in dem jedes Zimmer mit fließend Wasser und WC ausgestattet war.56 Fortan war es nicht mehr notwendig, in einer Hütte am Wasser zu leben, um ein gesundes, naturgesetzliches Leben zu verwirklichen. Man konnte auch in der Groß­ stadt in Mehrfamilien- oder gar Hochhäusern nach lebensreformerischen Grundsätzen ­leben, dort die Naturnähe mit fließendem Wasser simulieren. Auch und gerade Sana­ torien ließen sich nun als preiswerte Mehrfamilienhäuser und dennoch nach hohen hygienischen Standards errichten. Doch trotz der Rationalisierung der Licht-Luft-Hüt­ te blieben die großen Sanatorien vor allem im alpenländischen Raum lange Zeit den Wohlhabenden vorbehalten. „Im Laufe der Jahre hat sich die Zahl der Lungensanatorien in ungeheurer Menge ver­ mehrt, und viele Hunderte von Millionen sind diesem Zwecke gewidmet worden“, 60

wie Zur Mühlen in einer Schrift über die Versorgung der Lungenkranken im Balti­ kum schrieb.57 Zur Mühlen beklagte, dass gerade die weniger wohlhabenden Patienten mehr verwahrt denn behandelt werden und dass man gerade auch für die Masse Sana­ torien schaffen müsse, die eine ähnliche Qualität wie die alpenländischen Lungensa­ natorien aufweisen. Zur Mühlen konstatierte, dass viele Tuberkulosekranke dauerhaft krank bleiben, da sie nach einem Krankenhausaufenthalt gleich wieder in die krank machenden Umgebungen zurückkehren.58 Eine grundlegende Änderung der Lebens­ umstände wäre die Voraussetzung einer Gesundung – und es verwundert nicht, dass, folgt man Thomas Manns Darstellung im „Zauberberg“, viele Kranken das Sanatorium als ihr neues Zuhause begriffen und kein Bedürfnis hatten, zurück in Stadt zu gehen, aus der sie einst gekommen waren. Über diese Option verfügten natürlich wieder nur die ganz Reichen, die nicht darauf angewiesen waren, ihren Lebensunterhalt tagtäg­ lich zu verdienen. In den vorbildlichen Sanatorien, die sich bald mehr und mehr auch den durch­ schnittlichen Patienten öffneten, wurde die Exponierung der Patienten zur Sonne und zur Frischluft als Grundprinzip der Architektur eingeführt. Balkone, Loggien oder Gemeinschaftsliege­hallen wurden stets in Südwest-Ausrichtung erstellt. Hier konn­ ten die Kranken in ­ihren Liegestühlen auch im Winter den Tag verbringen. Der so geöffnete Baukörper, die so in Reihe gesetzte Licht-Luft-Hütte wurde das Muster einer gesundmachenden Architektur, wurde tausendfach gebaut.

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Schnitt durch ein Mietshaus in Chicago mit sanitären Installationen, 1891. Quelle: Siegfried Giedion, Die Herrschaft der Mechanisierung, Sonderausgabe 1987, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main, Abb. 491, S. 749

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Sanatorium „Dr. Jessen“ in Davos, zeitgenössische Aufnahme. In diesem Haus besuchte Thomas Mann seine Frau. Es gehörte damals zu den modernsten Sanatorien der Schweiz. Quelle: Sammlung Aschenbeck

In der Projektbeschreibung für „ein bei Riga zu errichtendes Lungensanatorium“ skizziert der Architekt E. Kupffer (war es Elisar von Kupffer, 1872 – 1942, der um 1900 eine neue religiöse Bewegung ins Leben rief und später am Monte Veritá siedelte, dort malte und dort einen Tempel des neuen Jahrhunderts errichtete? – es wäre ein klassi­ sche Biographie: vom Sanatorium zur neuen Gesellschaft; wir werden es sehen …) die Pläne, direkt an der Ostsee ein Krankenhaus zu errichten – ausgestattet mit Balkonen und Liegehallen. Es sollte der Beweis erbracht werden, dass eine erfolgreiche Therapie nicht nur in der Gebirgsluft, sondern auch an der Ostsee möglich ist.59 So sollten die weniger wohlhabenden Schichten nahe an ihren Wohnorten behandelt werden können. „Zwölf von den Krankenzimmern stehen in unmittelbarer Verbindung mit den breiten Balkons, auf denen insgesamt 16 Betten oder Liegestühle Platz haben. […] Den Zwecken einer ausgiebigen Freiluftkur dienen im Speziellen die großen Liegehallen: eine geschlossene und eine offene. […] Sie sind nach Süden gerichtet, teils dem Par­ terregeschoß vorgelegt, teils flügelartig unter stumpfen Winkel dem Gebäude an bei­ den Enden angegliedert, und gewähren so dem nach Süden geöffneten Platz weiteren Schutz vor den rauen nördlichen Winden.“ 60 Die bekannteste Beschreibung einer Sanatoriums-Architektur lieferte Thomas Mann im „Zauberberg“. Er hatte 1912 seine Frau Katia im Sanatorium Dr. Jessen in DavosPlatz, die dort nicht weniger als sechs Monate behandelt wurde, besucht und die Ein­ drücke anschließend im „Zauberberg“ verarbeitet. Das erst 1911 vom Dresdener Archi­ tekten Arthur Wiederanders errichtete und vom Hamburger Innenarchitekten Walther 62

Koch 61 ausgestattete Gebäude folgte idealtypisch der Idee der gereihten Licht-LuftHütten. Fast gesamte zur Südseite zeigende Fassade ist mit Loggien geöffnet, das Dach weitet sich zu einer Terrasse.62 Es ist unverkennbar, dass die Architektur des Waldsa­ natoriums das Neue Bauen der späten 1920er Jahre vorwegnimmt – wenn es auch im Detail der Architektur um 1910 verpflichtet ist. An die Balkone oder Loggien schlossen die Zimmer an, die in der Regel einfach möbliert (keine größeren Teppiche, keine Vorhänge), mit Linoleum  63 ausgelegt und weiß gestrichen waren. Nur die persönlichen Eingriffe der oft langjährigen Bewohner milderten den aseptischen Charakter der Wohnungen. Nach dem Tod eines Bewohners und nach dem Entfernen seiner persönlichen Dinge mussten die Zimmer möglichst schnell und problemlos zu desinfizieren sein.64 Die Sanatoriums-Zimmer erinnerten damals durchaus an die einfach ausgestatteten Hütten, die im Harz oder an den Hän­ gen des Veldeser Sees Ende des 19. Jahrhunderts errichtet worden waren. Ausdrücklich ging es auch hier um ein Zurück zu den Anfängen, um ein Abschütteln der gewohnten städtischen Zivilisation. Man kann sich den Kontrast zu den bürgerlichen und groß­ bürgerlichen Wohnungen der Zeit vor 1900 heute kaum vorstellen: statt historistische Schränke standen in den Krankenzimmer weiße Möbel und Metall-Bettgestelle, statt Orientteppiche bedeckte Linoleum den Boden. Thomas Mann beschrieb im Zauberberg aber nicht die Kargheit der Zimmer, nicht die beabsichtigte Regression, sondern die Bequemlichkeit des Liegestuhls. „Man lag aber ganz ungewöhnlich bequem, das stellte Hans Castorp sogleich mit Vergnügen fest, – er erinnerte sich nicht, dass ihm je ein so angenehmer Liegestuhl

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Sanatorium „Dr. Jessen“ in Davos, zeitgenössische Aufnahme. Im Vergleich mit dem nebenstehenden ­früheren Bild ist zu erkennen, das am Hauptgiebel eine weitere Reihe von Balkonen hinzugefügt wurde. Quelle: Archiv Waldhotel Davos

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Mit Linoleum ausgelegter Speisesaal im Sanatorium „Dr. Jessen“ in Davos, zeitgenössische Aufnahme vor 1914 . Quelle: Sammlung Aschenbeck

Ebenfalls mit Linoleum ausgelegte Zimmer im Sanatorium „Dr. Jessen“ in Davos, zeitgenössische Aufnahme. Quelle: Archiv Waldhotel Davos

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Sanatorium „Schweizerhof“ in Davos. Ein älterer Bau, der bereits deutlich die Aufgliederung der Fassade in ­Licht-Luft-Loggien zeigt. Zeitgenössische Postkarte. Quelle: Sammlung Aschenbeck

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Dachterrasse im Sanatorium „Dr. Jessen“ in Davos, zeitgenössische Aufnahme. Quelle: Archiv Waldhotel Davos

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Liegehallen des Sanatoriums „Dr. Lahmann“ in Dresden-Weißer-Hirsch. Zeitgenössische Aufnahme (um 1910). Quelle: Sammlung Aschenbeck

Richard Döcker, Krankenhaus für Stuttgart mit Sonnenterrassen. Quelle: Döcker 1929, S. 13

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Richard Döcker, schematische Darstellung der Belichtung einzelner Krankenhausterrassen. Quelle: Döcker 1929, S. 63

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Sanatorium mit Liegehallen-Vorbau (Döcker: „Anbau an ein altes Gebäude“). Aus: Döcker 1929, S. 71

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vorgekommen sei. Das Gestell, ein wenig altmodisch in der Form – was aber nur eine Geschmacksspielerei war, denn der Stuhl war offenbar neu –, bestand aus rotbraun po­ liertem Holz, und eine Matratze mit weichem, kattunartigem Überzug, eigentlich aus drei hohen Polstern zusammengesetzt, reichte vom Fußende bis über die Rücken­lehne hinauf. Außerdem war vermittelst einer Schnur eine weder zu feste, noch zu nachgie­ bige Nackenrolle mit gesticktem Leinenüberzug daran befestigt, die von besonders wohltuender Wirkung war. Hans Castorp stützte einen Arm auf die breite, glatte Flä­ che der Seitenlehne, blinzelte und ruhte, ohne ‚Ocean steamships‘ zu seiner Unterhal­ tung in Anspruch zu nehmen. Durch die Bögen der Loggia gesehen, wirkte die harte und karge, aber hell besonnte Landschaft draußen gemäldeartig und wie eingerahmt. Hans Castorp betrachtete sie gedankenvoll.“ 65 Hans Castorp blickte in eine ungewisse Zukunft, in der der Krieg wartete. Die Licht-Luft-Hütte und das auf der Hüttenidee aufbauende Sanatorium sind die ­ hnen der gesamten Architektur der Moderne – wie auch Ekici 2008 schrieb.66 Die­ A se Beziehung ist nicht indirekt, nicht analog, sondern Ergebnis einer kausalen Kette. Heute können wir jedes Wohnhaus von Walter Gropius, Hans Scharoun oder Ernst May auf diese Grundidee zurückführen. Das Bedürfnis, eine Architektur der Gesund­ heit zu bauen wurde angesichts der grassierenden Tuberkulose ein architekturprä­ gendes Moment. Quintus Miller schrieb in seiner weitsichtigen und fast singulären Arbeit über die Bedeutung der Schweizer Sanatorien für die Architekturgeschichte: „Im Rahmen des modernen Weltbildes und der neuen Lebensanschauung nach dem Ersten Weltkrieg können die Sanatorien neben den Industriebauten, Dampfern, Automobilen und Flug­ apparaten als Vorbilder der Modernen Architektur betrachtet werden.“ 67 Der Architekt Richard Döcker hatte schon 1929 das Sanatorium als Vorbild ge­ sehen – zeittypisch wollte er die in den Sanatorien erzielte Gesundung auf andere ­Bereiche übertragen. In seinem Buch „Terrassentyp“ leitete er eine Vielzahl von Bau­ aufgaben vom Sanatorium mit seinen Liegehallen und Balkonen ab.68 Er forderte „Sonne und Luft für alle Räume!“ 69 und verwies auf die antibakterielle Wirkung von Sonnen­einstrahlung 70 „So ist der Terrassen-Typ auch einer von den Wegen für den Bau einer glück­lichen und gesunden Zukunft.“ 71 Auch Siegfried Giedion zeigte in seinem bekannten Werk „Befreites Wohnen“ die Ver­ bindung zwischen Sanatoriums-Architektur und moderner Architektur. Er verwies ­darauf, dass die Krankheitsbekämpfung Ursache des Zeilenbaus wurde. „Unseres ­Wissens hat zum ersten Mal Augustin Rey auf dem Internationalen Tuberkulosekon­ gress in Washington 1908 darauf aufmerksam gemacht, dass die Grundlage des Stadt­ baus die Orientierung nach der Sonne [im Orginal gesperrt] sein muss und dass vor ­allem ­darauf zu achten sei, dass jede Wohnung direkt von Sonnenstrahlen getroffen werde.“ 72 Direkt unter den Text gesetzt zeigt in „Befreites Wohnen“ ein Schaubild den Gegen­ satz von Blockbebauung („Mietskaserne mit Hinterhäusern“) und „Streifenbau“, der aus der Idee des Sanatoriums entstanden ist. 68

„Mietskaserne“ versus zur Sonne ausgerichteter „Streifenbau“. Quelle. Giedion 1929, S. 15

Die freie Zeit der Patienten und ihre abschweifenden Gedanken Das neue Denken über Architektur entstand nicht in den Büros der Architekten, schon gar nicht an den Zeichentischen der Künstler, die um 1900 gut im Geschäft waren und vom historistischen Status Quo profitierten. Das neue Denken über das Zeichensystem Architektur wuchs aus einem Ekel vor der gründerzeitlichen, angeblich krank machen­ den Dekoration – es entstand folglich zuerst und am unmittelbarsten bei den Kranken und den sich krank Fühlenden. Vor allem waren es junge Bildungsbürger, Söhne und Töchter von Industriellen, Senatoren und Künstlern, die, mit Vermögen ausgestattet, die Zeit in den Sanatorien nutzten, um über die neue Zeit, das neue Jahrhundert zu denken. Thomas Manns Per­ sonal des Zauberbergs gibt uns einen Eindruck von den intensiven Diskursen, die sich über gesellschaftliche Themen in den Sanatorien entwickelten. Die scheinbar endlos zur Verfügung stehende Zeit, das auf den ersten Blick sinnlose Verharren in Liegehal­ len und auf Balkonen sollte und musste einen Sinn bekommen. Zu den wohlhabenden Patienten aus dem Bildungsbürgertum, die in den Sanato­ rien die Tuberkulose ausheilen wollten, gehörte der spätere Direktor der Bremer und Hamburger Kunsthalle, Gustav Pauli, Sohn eines Bremer Bürgermeisters. „Auf irgendeinen törichten Ratschlag hin fuhr ich nach Falkenstein am Taunus in ein Sanatorium, das von einem genialen Arzt [der Brehmer-Schüler und frühere Breh­ mer Assistenzarzt Dettweiler] geleitet wurde. Seine Heilmittel waren die Liegekur in frischer Luft und überreichliche Ernährung, wozu noch die Empfehlung kam, bei An­ wandlungen von Schwäche einen Kognak zu sich zu nehmen. […] Ich hatte mich mit einigen jungen Leuten, namentlich ehemaligen Offizieren, in einem Indianerklub zu­ sammengefunden, der sich vermutlich auf der Basis von Karl Mays Mordgeschichten organisiert hatte.73 Wir hausten in einem nach Mustern des Wilden Westens eingerich­ teten Blockhaus, übten uns im Pistolenschießen und luden die Damen unserer Freund­

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Die moderne Architektur grenzte sich gegen die Blockbebauung ab und folgte dem Sanatoriumsbau in seiner Sonnenausrichtung und seiner offenen Struktur (Balkone, Loggien) – mit Konsequenzen bis zur Charta von Athen 1933, bis heute. Eine Logik der Geschichte wurde damals gesehen, deren Erkenntnis jedoch später zunehmend ver­ schüttet wurde und heute fast unbekannt ist.

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schaft zu einem Glas Bowle ein – sofern wir nicht in der Liegehalle unsere Pflicht taten. […] Allmählich musste ich bemerken, dass ich einer flottierenden Gemeinschaft von Leidensgenossen angehörte, die je nach der Jahreszeit den Aufenthalt wechselten: im Winter in Ägypten, in Davos, oder an der Riviera, in den Übergangsmonaten an den italienischen Seen, und im Sommer in der Schweiz oder eben hier. […] Zwei Autoren wurden unter den Leidesgenossen eifrig erörtert: der damals noch unbekannte Verfas­ ser von ‚Rembrandt als Erzieher‘, Langbehn, […] und Nietzsche. Langbehn war erst vor einigen Monaten erschienen; Nietzsche, der sein Lebenswerk gerade abgeschlossen hatte, begann erst jetzt das breite Publikum zu erobern. An Rang und Art verschieden genug begegneten die beiden sich doch in der Absicht, die deutsche Kultur zu vere­ deln und durch die Verkündung des Herrenrechtes der freien schöpferischen Persön­ lichkeit.“ 74 Bei Pauli lesen wir, wie die scheinbar endlos zur Verfügung stehende Zeit von noch bildungshungrigen und unternehmungsdurstigen jungen Leuten gefüllt wurde. Er steht beispielhaft für die anderen Sanatoriumsinsassen. 1.  Pflichterfüllung in den Liegehallen oder auf den Balkonen; dortige Abdrift der Gedanken. 2.  Die Patienten beschäftigten sich mit zeitgenössischer (kunst-)philosophischer Literatur. Von ihrem Beobachter-Posten aus interessierten sie sich nicht für Bildwerke oder unterhaltende Literatur (nicht für „Ocean Steamship“ beispielsweise – hier ver­ deutlicht Mann, dass die Figur des Hans Castorp noch kein richtiger „angekommener“ Santoriumsinsasse war). Sie lasen Bücher, die die als krank erkannte Gesellschaft in ihren Grundfesten kritisierten, die eine Basis für eine neue Gesellschaft skizzierten.75 Langbehns „Rembrandt als Erzieher“ und Nietzsches „Zarathustra“ waren sicher nicht nur im Sanatorium Falkenstein die meistgelesenen Werke.76 Aber auch Freud wurde mit seinen Schriften zur Traumdeutung und zur Psychopathologie des Alltags in den Kreisen der Sanatoriumsinsassen schnell populär.77 3.  Die Patienten lasen oder ersannen Geschichten, die in der Wildnis spielen, die die Auseinandersetzung Zivilisation-Wildnis thematisierten (Karl May, Hermann Löns u. a.). Diese Geschichten wurden, folgt man Pauli, sogar realistisch nachgespielt. Tat­ sächlich gab es in Falkenstein auch ein Blockhaus, eine urtümliche Hütte, die als Rah­ men und als Kulisse der Spiele diente.78 Ob das Blockhaus in Falkenstein auch als LichtLuft-Hütte nach dem Muster des Rikli-Sanatoriums in Veldes angelegt war, ist nicht überliefert. Jedenfalls bemühten sich die Insassen um die persönliche Abkehr von der Zivilisation. Das großbürgerliche Umfeld in Paulis Bremer Heimat und die Indianer­ spiele rund um eine Blockhütte im Sanatoriumspark markieren einen krassen, einen beabsichtigten Gegensatz. Die Langbehn- und Nietzsche-Lektüre, das Gespräch mit anderen Kranken und das freudige, spielerische Erleben der Natur sowie die Erfahrung des eigenen Körpers ver­ stärkten bei den Insassen den Glauben, dass sie in und an der Großstadt des 19. Jahr­ hunderts krank geworden seien. Sie begannen darüber zu sinnieren, wie eine bessere Welt aussehen könnte. Nietzsche vermittelte ihnen die Vision vom „Übermenschen“, der durch Willen und Erziehung aus dem normalen zeitgenössischen Menschen zu schaffen sei. Ellen Key bezog sich in ihrem vielgelesenen Buch zur Erziehung, das 1900 70

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in Schweden und 1903 in Deutschland erschien, ausdrücklich und mehrfach auf Nietz­ sche, sie postulierte eine gezielte Auslese und Förderung der guten Eigenschaften – da­ mit der bessere Mensch geschaffen werden könne. Langbehn kritisierte das wissenschaftliche Deutschland der „Brillenträger“. „Es ist nachgerade zum öffentlichen Geheimnis geworden, dass das geistige Leben des deut­ schen Volkes sich gegenwärtig in einem Zustande des langsamen, einige meinen auch des rapiden Verfalls befindet.“ 79 Man würde zu sehr die Rationalität beachten, und den Kern, der Deutschland ausmacht, übersehen. Ausgerechnet der Niederländer Rem­ brandt war für ihn ein herausragender Künstler, der den deutschen Geist und nicht die Vernunft oder die Rationalität repräsentiert. „Es genügt nicht, dass die Deutschen sich als Staatsbürger entdeckt haben; sie soll­ ten sich auch als Menschen entdecken!“ 80 Und Menschen sind sie nicht durch Fähig­ keit geworden, historischen Stile nur enzyklopädisch zu reproduzieren, sondern Men­ schen sind sie in einem unbewussten, unverfälschten Kern, der unter den Schichten moderner Zivilisation liege. „Musik und Ehrlichkeit, Barbarei und Frömmigkeit, Kindersinn und Selbständig­ keit sind hervorragende Züge des deutschen Charakters.“ 81 Langbehn nennt Eigen­ schaften, die nicht von Bildung und Kultur beeinflusst scheinen (wenn man von der Musik absieht). Mit Bedacht nennt er weder Intelligenz noch künstlerische Feinheit. Dennoch spricht er immer wieder von der Kunst (und Musik) – und nimmt ja auch ei­ nen Maler als den wichtigsten Zeugen seiner Theorie. Aber Kunst darf nicht intellek­ tuell sein. „Ein wirklich bildender Einfluss der Kunst auf das Volk kann sich nur seitens einer wahrhaft volkstümlichen Kunst entwickeln.“ 82 Volkstümlich bedeutet für ihn, dass die Kunst aus einem unbewussten Volkswillen heraus entsteht, dass sie nicht in­ tellektuell geschaffen wird. „Kunst aus erster Hand, nicht aus zweiter Hand brauchen wir.“ 83 Aus erster Hand heißt – direkt aus dem Unbewussten. Aus zweiter Hand wäre für ihn jede über Schulen vermittelte Kunst (wobei er sicher immer an den zur Zeit des Schreibens verbreiteten historistischen Stilpluralismus dachte; gerade die Stile reprä­ sentierte die Bildung, wurden als Bildung vermittelt). „Was ist Wahrheit? hat man oft genug in der Kunst gefragt und oft auch hier den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Wahr ist, wer wahrt. Der Künstler hat ­seine Persönlichkeit zu wahren; durch sie wird er schöpferisch; und desto mehr er sie wahrt – gegenüber allen äußeren Ansprüchen von Tradition, Markt, Mode, Theorie, ­eigener Schwäche und fremder Anmaßung.“ 84 Wahrheit wurde in den folgenden Jahren die große Forderung der Reformer. Sie wollten eine wahre Architektur schaffen. „Wahr“ bedeutete nach Langbehn, das eigene Empfinden, den Ausdruck des Unbewussten gegen die Anforderungen der Zivilisation zu verteidigen. Wenn die Künstler das schaffen, dann errichten sie eine bessere Kultur, denn „jede Kultur ist ein individuell gearteter Bau; die Architektur, im engeren Sinne, stellt nur ein äußerliches und sinnlich greifbares Spiegelbild eben dieses Baues dar.“ 85 Um diesen Themenkreis dreht es sich in Langbehns Buch immer wieder. Wie schaf­ fen die neuen Künstler eine neue, wahre Kultur? Und damit: Wie schaffen sie einen neuen Stil, der kein historistischer Stil mehr ist? „Die große Frage des Tages, ja des Jahrhunderts auf dem Gebiet der Kunst heißt: wie bekommen wir einen neuen Stil? Der

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gesunde Menschenverstand und die vergangene Kunstgeschichte beantworten diese Frage in gleicher Weise: neue Geistesströmungen, welche aus der Tiefe der Volksseele [sic!] hervorsteigen müssen, werden durch neue sinnliche Formen, die sich jenen un­ willkürlich anbilden, ihren handgreiflichen Ausdruck finden.“ 86 Hier lasen die Tuberkulosekranken eine Anleitung für das neue, das 20. Jahrhun­ dert. Aus einer unverfälschten „Volksseele“, aus dem Unbewussten der Volkes also, werden neue Geistströmungen und damit auch neue „sinnliche Formen“ geradezu „hervorsteigen“, sich „unwillkürlich“, also nicht-kalkuliert bilden; neue Formen, die das Unbewusste repräsentieren, die dann einen neuen, wahren Stil ergeben. Das Denkmuster der Reformer, das sich nach 1900 etablierte, wird von Langbehn bereits in seinen Grundzügen skizziert. Langbehn sah sich am Beginn einer Bewegung. „Der moderne deutsche Geist aber will erst geweckt sein; er schläft noch.“ 87 Doch schon um 1900 saßen tausende junge Europäer in den Liegehallen und auf den Balkonen und wollten den modernen Geist erwecken. Die Sanatoriumsinsassen waren davon überzeugt, dass sie selbst erst durch die Tuberkulose-Krankheit zu Wissenden geformt worden waren. Die Tuberkulose wur­ de nicht als Siechtum verstanden, sondern als geistige Läuterung. Genauso wie nach der Nietzsche-Lektüre fühlten sich die Kranken auch nach der Langbehn-Lektüre als Auserwählte, die nach ihrer Läuterung die Massen erziehen sollen und müssen: „Sie sind die Erzieher ihres Volkes“.88 „Der echte Mensch ist ‚der echte Prinz‘, welcher die Welt erlöst.“ 89 Langfristig, so das Ziel aller damaligen Reformbemühungen, sollten sich „Geist und Körper, im Volk wie im Einzelnen […] wieder zusammenfinden; der Riss welcher durch die moderne Kultur geht, muss sich wieder schließen“.90 Die Fortschritte des 19. Jahrhunderts hätten Geist und Körper zerrissen. Eisenbahn und Telegraphie hätten nicht den zivilisierteren Menschen geschaffen, sondern ihn weggeführt von seinen wirklichen Bedürfnissen, von seinen geistigen Grundlagen. Erst die Gegenwart der todbringenden Krankheit hatte die Intellektuellen aus ei­ ner so zerrissenen Gesellschaft herauskatapultiert, sie aus dem hektischen Großstadt­ leben in die alpenländischen Sanatorien verfrachtet, wo fast alle technischen Errun­ genschaften des 19. Jahrhunderts nichts mehr galten. Die Sanatoriumsinsassen wollten die Einheit zwischen Geist und Körper zurückge­ winnen und so die eigene Gesundheit rekonstruieren. Sie betrachteten sich durchaus nicht als eine Minderheit, die zufällig in europäi­ schen Randlagen zu weisen Gedanken kamen. Auch ihre Randlage interpretierten sie um in eine neue, notwendige strategische Ausgangsposition. Denn es schien undenk­ bar, dass die Reform in den großen Städten, zwischen den Mietskasernen, inmitten der gesellschaftlichen Krankheitsherde beginnen könne. Die Reform müsse vom Ran­ de aus vorangetrieben werden; und auch das bestätigte ihnen Langbehn. „Es ist nicht wünschenswert, dass Deutsche oder gar Ausländer sich mit Vorliebe in größeren Zen­ tralpunkten der Kunst, in Berlin oder Düsseldorf oder München zusammenfinden, zu­ weilen auch zusammenfilzen und dort nach der gerade herrschenden Mode malen: heute Cornelius, morgen Piloty. Darin liegt nicht die wahre Methode; die Kunst braucht 72

Das schwimmende Sanatorium Wo waren mehr Licht, Luft und Sonne zu finden als auf dem Meer? Wo konnte man konsequenter die alte Zivilisation hinter sich lassen als auf einem Schiff? Es liegt nahe, die Idee der einsam in den Bergen gelegenen Lungensanatorien auf das Meer zu übertragen. Die Gesundheitsmaschinen mit ihren gestapelten Licht-LuftHütten mussten doch auf dem Meer noch viel besser funktionieren. Hier schien die Sonne ausdauernden, hier war die Luft noch frischer, die Ausdünstungen der Städte ferner.

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zerstreutes, nicht gesammeltes Licht […]. Die Kunst bedarf des Lokalismus und des Pro­ vinzialismus; hier ist der Kantönligeist am Platze.“ 91 Die Kranken in ihren abgelegenen Sanatorien glaubten gerne, dass ihr Provinzialismus nun gebraucht werde, dass es ge­ rade auf sie, die doch aus der betriebsamen Welt ausgeschieden waren, die am Rande lebten, nun ankomme. Sie, die aus den Großstädten Ausgestoßenen, waren die Aus­ erwählten des neuen Jahrhunderts, die Verkünder der besseren Welt. Doch vor der Rettung der übrigen Welt stand die Gesundung des eigenen Körpers. Die eigene, einseitige, der Natur entfremdete Existenz sollte zur Ganzheitlichkeit zu­ rückgeführt werden. „Zum Gehalt einer vollen Persönlichkeit gehört nicht nur geistige, sondern auch körperliche Kraft Gesundheit Lebensfreude.“ 92 Goethe gehörte zu den Vorbildern. Er lebte, so Langbehn, „mit Behagen“.93 „Beha­ gen“ war das damals gebräuchliche Synonym für eine unbestimmte Ganzheitlichkeit. Um die Gesundung des eigenen Körpers und um anschließend die Gesundung der Gesellschaft zu erreichen, mussten zuerst die Verkrustungen in der eigenen Seele und anschließend die Verkrustungen in der ganzen Gesellschaft zertrümmert werden. Alle Prägungen einer falschen Bildung und einer falschen großbürgerlichen Soziali­ sation sollten vom guten Kern des Menschen abgeschabt werden, alle Krusten der ver­ gangenen Jahre und Jahrzehnte mussten zerstört werden. Die Zertrümmerung wurde systematisch mit den Mitteln der Medizin betrieben. Hergebrachte Methoden politischer oder gesellschaftlicher Auseinandersetzung (nicht zuletzt gewalttätige Revolutionen) schienen ungeeignet. Die Sanatoriums-Insassen waren krank oder fühlten sich doch krank. Die Idee, in die Städte zu marschieren und eine Revolution auszurufen, war ihnen fremd. Vielmehr versuchten sie, eine geistige Strategie zu etablieren, eine „Pathologie“ der bestehenden Gesellschaft.94 Das gesamte bestehende System wurde als Ursache al­ ler körperlichen und geistigen Krankheiten erklärt. Statt des gewaltsamen Umsturzes kam es zu einer geistigen Umwertung und zu einer medizinischen Strategie! Tatsächlich hatten die Sanatoriums-Insassen mit dieser unausgesprochenen und unabgesprochenen Strategie überraschenden und lang anhaltenden Erfolg. Abseits der großen Städte erdachten Europas Intellektuelle eine neue Zukunft. Sie folgten keinem vorgegebenen Plan, sie sprachen keinem Verführer nach. Sie zogen nur die Schlüsse aus dem Bedeutungsverfall der Architektur des 19. Jahrhunderts, aus der grassierenden Tuberkulose-Seuche und aus den damals erfolgreichen philosophischen Arbeiten. Und entwarfen eine Therapie für die Gesellschaft.

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Karl Diem, Entwurf eines „schwimmenden Sanatoriums“. Die drei oberen Decks sind als Terrassen ausgearbeitet, die stets zur Sonne ausgerichtet werden können. Quelle: Diem 1907, Tafelteil

Es erstaunt fast, dass vor dem Ersten Weltkrieg allein eine kleine, gänzlich unbe­ kannt gebliebene Schrift die Idee des „schwimmenden Sanatoriums“ vorstellte, 1907 verfasst von Karl Diem, „Städtischer Oberarzt i. P. der Gemeinde Wien“.95 Diem diskutierte in seinem Buch die Idee, auf der Adria vor der östlichen, heute kroatischen Küste ein Schiff als Lungensanatorium einzusetzen. Er wollte den Nach­ weis führen, dass das Schiff das bessere Sanatorium sei. „Wenn ich kurz resumiere, so haben wir: ein Schiff, das sich in seinem Bau, in seinen Einrichtungen und in seiner Leitung wesentlich von allen anderen unterscheidet; es ist jedem Landsanatorium in medi­zinischer Hinsicht gleichwertig, übertrifft jedoch alle durch seine besseren klimatischen Bedingungen; dieses Schiff untersteht keinem Fahrplan und sein Kurs ist nur vom Wohl der Patienten bestimmt; der Heilungssuchende wird an Bord nicht fortwährend durch Briefe, Zeitungen und Telegramme in seiner Kur gestört, ist aber doch jederzeit erreichbar, was bei anderen Seereisen unmöglich ist, und hat den Vorteil, das Schiff ­nötigenfalls in wenigen Stunden verlassen zu können.“ 96 „Wer über solche Schiffe verfügt, wird sich dann an die Spitze der Kulturnationen stellen, deren Aufgabe es ist, nicht nur furchtbare Maschinen zu erfinden, um Wunden zu schlagen, sondern auch die Mittel ersinnen, sie zu heilen!“ 97 Diem hatte mit seiner Schiffsidee trotz seiner überzeugend vorgebrachten Argumente keinen Erfolg; seine Schrift wurde nicht populär, wurde nicht diskutiert, sondern ge­ riet sofort in Vergessenheit. Und obwohl er das Projekt bis ins Detail durchplante – dem Buch sind zwei Schiffspläne angehängt – kam seine Idee nicht zur Ausführung. Er war seiner Zeit um zwei Jahrzehnte voraus. Ab Mitte der 1920er Jahre entdeck­ ten die modernen Architekten wie Scharoun und Le Corbusier das Schiff als Metapher. Der „Dampfer“ wurde Architektursymbol, er stand für Gesundheit, für Aufbruch in eine neue Zeit, auch für eine Arche Noah der Wissenden. 74

Ideale Architektur der Zweckmäßigkeit. Der „Schnelldampfer Bremen“ wurde 1929 in Dienst gestellt. Quelle: Sammlung Aschenbeck

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Was Diem 1907 vorformuliert hatte – als konkretes Projekt – wurde nach dem Ersten Weltkrieg „sinnbildlich“ realisiert – das „schwimmende Sanatorium“ wurde die viel­ leicht wichtigste Metapher für die Architektur des Neuen Bauens.98 Diem zeigte uns, sozusagen als „missing link“, dass es sich bei der Schiffsmetapher um eine direkte Wei­ terung der Sanatoriumsidee handelte. Die Moderne Architektur mit ihrem Gesundheit­ sanspruch fußte in jeder Beziehung auf der Licht-Luft-Hütten-Architektur, die um 1900 propagiert worden war. Die Architekten des „Neuen Bauens“ oder des „Inter­nationalen Stils“, die gerne als Avantgarde bezeichnet werden, haben nichts anderes getan, als die Vorgaben von Rikli und anderen getreu umzusetzen. Sie bauten Weiterungen der Sanatorien. Allerdings gibt es einen guten Grund, weshalb sich die Schiffsmetapher vor 1914 nicht durchsetzen konnte, weshalb Diems Projekt Fiktion blieb. Die frühen Reformer suchten gerade in der lokalen Verankerung die Verbindung zum Ursprung. Die Logik ihrer Architektur, auch die Findung der Bedeutung, führte vom Boden zum Dach. Zahl­ reiche Elemente der Reformarchitektur vor 1914 verweisen auf den Bodenbezug: Rusti­ zierte Sockelgeschosse, dunkler Rauputz, Strebepfeiler und hohe Dächer, die den Bau­ körper an den Boden drücken. Boden und Bodenständigkeit verkörperten unbewusste Tradition. Aus dem Boden kam der Samen für das Neue – die Reformer konnten ihre Architektur noch nicht ohne Verwurzelung denken.99 Das „Wachsen“ schien ihnen die Basis einer guten Zukunft zu sein – und sie verstanden das Wachsen wörtlich. Die Loslösung vom Boden, die beim Schiff zweifellos gegeben war, entsprach dem­ nach noch nicht der Vorstellung eines idealen Heims. Erst der Weltkrieg löste ab 1914 die enge Verknüpfung zwischen Scholle und Bedeutung. Im Ersten Weltkrieg, als die Granaten die Felder durchpflügten, erfuhr die Reformergeneration gerade die Entwer­ tung des Bodens – wir werden es sehen.

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Heilung = Regression – Rückkehr zu Natur, Hütte und Kindheit Wir werden wir gesund? Das war die entscheidende Frage aller Sanatoriumsinsassen. Wer nicht an der Tuberkulose oder an anderen, das Leben verkürzenden Krankheiten litt, der beklagte zumindest allgemeine nervöse Störungen. Um 1900 fühlten sich die gebildeten Vertreter des Großbürgertums – krank. Heilung – wir haben es schon in bei Rikli und Just gelernt – versprach die Regres­ sion, die Rückkehr zu einfachen Lebensformen und zu unbewusst kindlichen Verhal­ tensweisen. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichteten Lungensanatorien brach­ ten die Menschen bereits zurück zur Natur. Am Veldes-See sprangen sie fast nackt durch die Landschaft und in Falkenstein rannten erwachsene Männer, die sich wie Cowboy und Indianer fühlten, durch den Wald. Doch die Sanatorien entließen die Insassen zumeist wieder in das alte Leben. Sie waren Durchgangsstationen, die einen Blick in eine bessere Welt erlaubten – mehr aber nicht. Nur die Insassen, die durch unheilbare Krankheit an das Sanatorium gefesselt waren, konnten sich immerhin glücklich schätzen, dem vorgeblichen Moloch der mo­ dernen Stadt entkommen zu sein. Ehemalige Sanatoriumsinsassen und andere, die zwar an der Gesellschaft litten, denen aber das Geld für einen Sanatoriumsbesuch in der Schweiz fehlte, gründeten um 1900 eigene Naturheilanstalten, die keine Krankenhäuser sein sollten, sondern dauer­ hafte Lebensmodelle oder auch Katalysatoren einer neuen Gesellschaft. Die Vegetarische Obstbaukolonie Eden wurde 1893 in Oranienburg bei Berlin ge­ gründet. „Die 18 Gründungsmitglieder erstrebten eine genossenschaftliche Siedlung auf bodenreformerischer Grundlage, ausschließlich für Vegetarier. 1901 wurde die Sat­ zung allerdings geändert und es konnte jeder, der sich ‚einer gesunden Lebensweise befleißigte‘, Mitglied der Genossenschaft werden.“ 100 Idee war, ganz unmittelbar die Zivilisation mit ihren vielen Abhängigkeiten zu verlassen und so zu leben, wie es die Menschen in Urzeiten getan hatten. Eine gesunde Lebensführung und damit die Hei­ lung aller zivilisatorischer Leider wie Nervosität oder im schlimmsten Fall Tuber­ku­ lose sollte über Regression erreicht werden. Natürlich war schon der Begriff „Eden“ programmatisch. Der Ort der harten Land­ arbeit war das zukünftige Paradies, die Stadt (in diesem Fall das nahe gelegene Ber­ lin) die Hölle. Man nannte die Bewegung, die sich damals gerade im Umfeld der Städte ausbrei­ tete und die nicht nur Landarbeit meinte, sondern eine alle Bereiche der Kultur umfas­ sende Bewegung war, „Grün-Deutschland“.101 Schrebergärten (ab 1864) und FKK-Sonnenbadeanstalten (ab etwa 1900) wurden in großer Zahl gegründet. Zeitschriften propagierten den Weg zurück in die Nature und das Leben im Stil imaginärer Vorfahren. Die Flucht aus der städtischen Zivilisation wurde volkstümlich. Zudem wurde sie Grundlage einer diffusen, aber alle Bereiche des Lebens erfassenden Bewegung, die 76

später unter verschiedenen Begriffen zusammengefasst wurde – „Wandervogel“-Be­ wegung, „freideutsche“ Jugendbewegung und manche Begriffe mehr. Die Strömungen, die ihr Heil in der Natur und der Regression suchten, waren Phänomene der Moderne.

Leben in den Hütten – Experiment Monte Veritá „Im Sommer 1899, gelegentlich eines gemeinsamen Aufenthalts in der Naturheilanstalt Rikli in Veldes gewann mich Henri Oedenkoven für das in grossen Zügen geschilderte Zukunftsunternehmen“ 102, schrieb Ida Hofmann in einer 1906 verfassten autobiogra­ phischen Schrift. „Aus dem Leben einiger Menschen will ich erzählen, welche inner­ halb der heute allgemeinen, auf Egoismus und Luxus, auf Schein und Lüge gebauten Verhältnisse aufgewachsen, und teils durch Krankheit körperlicher, teils durch Krank­ heit gemütlicher Art zur Erkenntnis gelangt, Umkehr machten, um ihrem Leben eine natürlichere und gesündere Wendung zu geben. Wahrheit und Freiheit in Denken und Handeln sollten künftig als teuerster Leitstern ihr Streben begleiten.“ 103 Vier Insassen des Rikli-Sanatoriums in Veldes – Ida Hofmann und Henri Oeden­ koven sowie die Gräser-Brüder Karl und Gusto – hatten in den Licht-Luft-Hütten den Plan einer Umkehr entwickelt. Sie wollten ein eigenes Sanatorium gründen, um die Lebensreform- und Behandlungs-Ansätze, die sie in Veldes kennen gelernt hatten, weiter­zuentwickeln.

Ida Hofmann und Henry Oedenkoven um 1903, Ascona. Quelle: Fondazione Monte Verità

Heilung = Regression – Rückkehr zu Natur, Hütte und Kindheit

Das eigene Projekt sollte aber kein Krankenhaus für Tuberkulosekranke werden, son­ dern ein Erziehungsort für die allgemein an der Zivilisation Erkrankten. Rikli hatte

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sein Sanatorium noch als einen Ort der zeitweisen Gesundung vorgestellt, den die Städter aufsuchen und wieder verlassen. Die Gruppe seine Schüler wollte mehr wagen – als ein grundsätzliches Experiment: Das Sanatorium mutierte vom Krankenhaus zum Kern einer neuen Gesellschaft. „Im Oktober 1900 versammelten sich zu München in der Wohnung meiner Familie Menschen verschiedenster äusserer und innerer Gestaltung“ 104: Zu der Gruppe gehör­ ten der 25-jährige Belgier Oedenkoven, Sohn eines Antwerpener Großindustriellen, die 36-jährige, aus Siebenbürgen stammende Ida Hofmann,105 die zuvor für den Hochadel als Musiklehrerin gearbeitet hatte, sowie ihre 37-jährige Schwester Jenny. Es „beseel­ te mehr oder weniger fast alle ein gleiches Verlangen nach Verlassen der veralteten gesellschaftlichen Ordnung, besser Unordnung, zum Zwecke persönlicheren Lebens und persönlicherer Lebensführung – nach Freiheit.“ 106 Zu den drei stießen noch die 25-jährige Pauline Charlotte Hattemer, die als Tochter eines Bürgermeisters bezeichnet wurde, sowie die aus Kronstadt / Rumänien stammenden Brüder Karl und Gusto Gräser, damals 25- und 21-jährig. Sowohl Oedenkoven als auch die Schwestern Hofmann kamen aus einem groß­ bürgerlichen oder adligem Umfeld. Ida Hoffmann war gar als Musiklehrerin bei der montenegrinischen Prinzessin angestellt gewesen und hatte später am Hof von Meck­ lenburg-Strelitz gearbeitet.107 „Unser heute durch Einflüsse und Machtgebote aller Art so kläglich gehemmtes Wün­ schen, Wollen und Können muss frei zum Ausdruck gebracht werden und liegt hierin doch die ganze mögliche Summe individueller Befriedigung, so ist die Folge grösserer Eintracht und Liebe unter den Menschen auch unausbleiblich. An die Natur müssen wir uns halten, uns in den Schutz ihrer alles frei gewährenden Gesetze stellen, durch sie gesunden, von ihr lernen, die jedem Lebewesen freie Entwicklung lässt, Ihre Geset­ ze sind so weise, so milde, so selbstverständlich, dass sie uns nicht drücken dürfen.“ 108 Die Rückkehr zu einem einfachen, naturnahen Leben wurde von Oedenkoven und Hofmann weitergedacht: Das individuelle Leben soll strikt den Naturgesetzten folgen. Wer nach den Naturgesetzen lebt, erlange nicht nur Gesundheit, sondern auch Freiheit und allseitige Harmonie. Der in der bisherigen städtischen Zivilisation sozialisierte Mensch jedoch sei ge­ hemmt eben durch die naturwidrigen Sachzwänge der Zivilisation. Erst das Heraus­ lösen des Einzelnen aus den Zwängen der Zivilisation ermöglichte folglich den Neuauf­ bau der Gesellschaft. „Henri’s vorläufiges Unternehmen gipfelt in der Gründung einer Naturheilanstalt für solche Menschen, welche in Befolgung einfacher und natürlicher Lebensweise entweder vorübergehend Erholung, oder durch dauernden Aufenthalt Genesung fin­ den und sich in Wort und Tat seinen Ideen, seinem Wirken anschliessen wollen. Hier­ aus erwächst auf Grund der Einnahmen und Anschluss Gleichgesinnter mit eventuell ­fi nanzieller Beteiligung, eine oder mehrere Ansiedlungen mit allgemeinem Bodenbe­ sitz jedoch gesondertem persönlichen Eigentumsrecht, welches durch das individuel­ le Bedürfnis danach und durch die möglichst selbständige Herstellung der Lebensmit­ tel und Gebrauchsartikel jedes Einzelnen begründet ist. Späterhin folgen die Anlagen von Mühlen, Webereien, Fabriken aller Art auf hygienischer Grundlage zur Betätigung 78

Heilung = Regression – Rückkehr zu Natur, Hütte und Kindheit

der individuellen Fähigkeiten und Wünsche, nicht jedoch zur bloßen Kapitalsanhäu­ fung oder zur Entfaltung von Luxus – endlich Schulen zur Heranbildung persönlicher Anlagen.“ 109 Ausdrücklich sollten sich Sanatoriumsbesucher auch dauerhaft anschließen, soll­ ten am Aufbau der neuen Gemeinschaft mitwirken. Wenn dann genug Einzelne geläu­ tert seien (daran war natürlich nicht zu zweifeln), dann würde der Aufbau des neuen Reiches konkret beginnen. Die neue Gesellschaft, die aus dem Sanatoriumsprojekt ent­ stehen sollte, war keine Utopie. Vielmehr wurde die Folgerichtigkeit, die Notwendig­ keit und der Automatismus der Entwicklung gesehen. Wenn das private Auskommen organisiert war, werde gar der Aufbau von ­Fabriken „aller Art“ angegangen (immer aber auf „hygienischer“ Grundlage). So die Idee. Die Gruppe, die sich in München zusammengefunden hatte, beschloss, die Alpen zu überqueren und in milderem Klima das eigene Sanatorium zu gründen. Erstes Ziel war der Comer See. „Hier bot sich die herrlich gelegene Halbinsel Lenno unseren vorläufigen und künf­ tigen Zwecken als sehr geeignet dar. Von unserer kleinen Trattoria aus, in welcher wir Wohnung genommen, wurden Streiftouren in die Umgegend unternommen; wir hör­ ten uns um und prüften die verkäuflichen Grundstücke und die darauf befindlichen Baulichkeiten auf Wert und Verwendbarkeit. Ueber das herrliche Klima, das Märchen­ hafte der Gegend brauche ich nichts zu sagen; die Meisten kennen ihren Zauber durch Anschauung oder von Hören sagen.“ 110 Die Gruppe suchte ein Gelände, ein Grundstück, auf denen das gesellschaftliche ­Experiment mit womöglich Mühlen und Fabriken realisiert werden konnte. In Veldes hatten Oedenkoven und Hofmann gelernt, dass man das naturnahe Le­ ben in Licht- und Lufthütten besser im warmen Süden umsetzen kann. Ein Grundstück nördlich der Alpen stand nicht zur Diskussion. Die oberitalienischen Seen gehörten um die Jahrhundertwende zu den beliebtes­ ten Reise zielen der wohlhabenden Nordeuropäer, vorzugsweise der Deutschen und Engländer. Orte wie Como, Lugano oder Locarno erlebten um 1900 einen starken Auf­ schwung; zahlreiche neue Hotelbauten entstanden.111 Die Jahre zwischen 1890 und 1914 galten als die „Belle Epoque“ des schweizerischen Fremdenverkehrs.112 Weshalb zog es die Gruppe gerade an die Orte, die von der nordeuropäischen Zivili­ sation bereits entdeckt waren, die in das System der Industriegesellschaften mehr und mehr integriert wurden? Offensichtlich folgte man einem Ruf, der diesen Landschaften voraus ging.113 Es hieß damals, die Gegenden seien arkadisch oder idyllisch. „Die Ufer bieten bei der großen Ausdehnung des Sees ein ungemein abwechslungsreiches Bild; bald sind sie anmutig, ausgezeichnet durch südliche, farbenprächtige Vegetation, bald von romantischer Wildheit. An den Gestaden wechseln Städte, Flecken, Dörfer, Weiler, Höfe, Kur- und Luxusorte, arbeitsame Betriebsstätten, schlossartige Villen, glänzende Landhäuser, großartige Hotels, Weingelände, Kastanienwälder und Obstpflanzungen. Hinter den Uferlandschaften und ihren Gartenhügeln erhebt sich in fein abgetönten und anmutig geschwungenen Linien das fruchtbare Mittelgebirge. Den Hintergrund bilden in der Ferne die Eisfelder und Schneegipfel der Alpen.“ 114

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Casa Selma – Prototyp der Reformerhütte, eine Weiterentwicklung der Licht-Luft-Hütte der Sanatorien, für den dauerhaften Aufenthalt gedacht. Foto: N. Aschenbeck

Die im 19. Jahrhundert längst erkannte Qualität der Landschaft passte offenbar in das Konzept der Fünfergruppe. Die scheinbar heile, sehenswerte Natur war Voraus­ setzung, um die Menschen zu heilen. Der tägliche Blick auf die unberührte Natur, der in Veldes, in Davos und in anderen Orten bereits langjährig geübt worden war, sollte reproduziert werden. Der Blick hinaus in die Landschaft war eine notwendige Bedin­ gung für das geplante gesellschaftliche Experiment. Der Blick hinaus in die Schönheit sei ein Blick in eine bessere Zukunft – es war mittelbar ein Blick zurück zum eigenen idealen Ursprung. Schönheit repräsentierte stets einen idealen Zustand. Ein schöner Mensch wurde als ein Mensch verstanden, der in Harmonie mit sich und der Natur lebte. Ein ­schönes Haus musste einen einwohnenden schönen Menschen repräsentieren. Eine schöne Kulturlandschaft repräsentierte ein harmonisches Nebeneinander von Natur und Zi­ vilisation. Nach diesem Verständnis konnte in Städten und in städtischen Agglomera­ tionen vorerst keine Schönheit gefunden werden. Dennoch wurden die Nähe zu den Tentakeln nordeuropäischer Zivilisation, die Nähe zu den Fernbahnhöfen und den Hotels, vermutlich begrüßt. Nur eine bereits be­ stehende Infrastruktur konnte der zu gründenden Naturheilanstalt genügend Leiden­ de zuführen, konnte eine Relevanz des Projektes sicherstellen. Die aus München anreisende Reformergruppe konnte sich nicht für einen Bauplatz am Comer See entscheiden. Stattdessen zogen die Hofmann-Schwestern, Oedenkoven, Hattemer und die Gräser-Brüder weiter an den Lago Maggiore. „Im Monat November verliessen wir die ‚Wartburg‘, welche uns bis dahin auf dem Monte Trinità [bei Locarno, N.  A . ] als Wohnung gedient hatte und zogen nach dem 80

Casa Selma, Terrassendetail. Foto: N. Aschenbeck

Die Sechsergruppe erwarb ein Grundstück, von dem aus man über den Lago Maggiore blicken konnte. Der Biograf des Monte Veritàs und noch Zeitgenosse der Gründergeneration, Robert Landmann, beschrieb den ursprünglichen Zustand des Berges. „Die Kuppe war von Gestrüpp überwuchert, der Boden felsig, und nur an we­ nigen Stellen gab es tiefergehende Erde. Nach der Locaneser Seite hin stand ein klei­ nes Steinhäuschen, das einmal eine armselige Osteria für Holzfäller gewesen war und in letzter Zeit als Stall gedient hatte. Von dort stuften sich terrassenförmig einige ver­ nachlässigte Rebhänge hinab. […] Nach Westen öffnete sich das breite Tal der Maggia. Zauberhaft war der Blick nach Italien zu. Zwischen zerklüfteten Bergen dehnte sich der unergründlich blaue Lago Maggiore aus.“ 116 Auch Landmann erwähnt den „zauberhaften“ Blick. Eine Grundvoraussetzung – der Ausblick in landschaftliche Schönheit – war demnach auf dem Monescia, so der alte Name des Berges, erfüllt. Für die Landwirtschaft oder gar für die Ansiedlung von Fabri­ ken schien der erworbene Boden dagegen vollkommen ungeeignet. Offenbar war der gute, die schöne Landschaft belegende Ausblick das entscheidendere Kriterium bei der Suche nach einem angemessenen Ort. Auf dem felsigen Boden des niedrigen Berges am Lago Maggiore wurden bereits 1901 erste Hütten errichtet, die den Gründern der neuen Gesellschaft als Unterkünfte dienen sollten.117

Heilung = Regression – Rückkehr zu Natur, Hütte und Kindheit

1 / 2 Stunde südlich, am See gelegenen Dorfe Ascona. Dort bot sich Gelegenheit zur An­ siedlung und wir erwarben endlich ein herrliches Stück Land (1 1 / 2 ha) auf mässiger Anhöhe, über dem See. Der Grundbesitz wurde dann noch durch Weiterankauf bis zu 3 1 / 2  ha abgerundet.“ 115

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1902 standen insgesamt fünf Hütten und ein Lesezimmer.118 Unschwer kann man die Orientierung am Vorbild der Licht-Luft-Hütten der Lungensanatorien oder auch an der selbstgezimmerten Hütte aus dem Walden-Roman erkennen. Die Einfachheit der Behausung war ausdrückliches Ziel.119 Hütten schienen eine angemessene Besiedlung des „Berges der Wahrheit“, wie die Sechs programmatisch ihren Hügel nannten: Monte Verità. Das sogenannte Russenhaus 120 und die Casa Selma sind von den Hütten, die sich einst auf dem Berg befanden, geblieben. Die Casa Selma, einst ein Gästehaus, und das Russenhaus gehören heute zum von Harald Szeemann eingerichteten Museum Monte-­ Verità. Die Casa Selma, eine der typischen und wiederholt abgebildeten Monte-Ver­ ità-Hütten, wurde als Holzkonstruktion auf einem Bruchsteinsockel errichtet. Neben der eigentlichen Hütte befand sich ein kleiner hölzerner Toilettenanbau. Vor die Hüt­ te wurde eine Terrasse oder Veranda mit einem Knüppelholz-Geländer gesetzt. Eine schmale Freitreppe führte seitlich auf die Terrasse. Durch das weit überstehende, flach geneigte Satteldach war sie vor Regen oder Schnee geschützt. Der einfache Aufbau der Hütte fand im Inneren keineswegs eine direkte Fortset­ zung. Die Casa Selma, die auf den Betrachter wie eine Einpersonenhütte wirkt, war tatsächlich ein Doppelhaus. Das große zentrale Fenster mit der Doppeltür verweist mitnichten auf einen zentralen, breiten Wohnraum. Genau in der Mittelachse wird das Haus von einer hölzernen Wand unterteilt (verdeckt allein durch den mittleren verti­ kalen Fensterrahmen). Zwei schmale Räume, rechts und links von der Mittelachse an­ geordnet, dienten so zwei Monte-Verità-Bewohnern als Unterkunft. Doch die Bewoh­ ner sollten, sobald sie die Wohnungstür hinter sich geschlossen hatten, den Eindruck bekommen, in einer einzelnen, allein für ihre individuellen Bedürfnisse errichteten Hütte zu leben. Deshalb wurde in beiden Wohnbereichen jeweils ein Satteldach unter

Historische Ansicht der Casa Selma mit Reformern. Foto um 1903. Quelle: Journal des Voyages 1904 , S. 312

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das eigentliche Dach eingezogen – ein jeweils eigener Dachstuhl wurde vorgeblendet. Das Dach als Zeichen der häuslichen Einheit durfte offenbar aus praktischen Gründen zweigeteilt werden. Der Eindruck des zweigeteilten Daches / Hauses jedoch sollte nach Außen wie nach Innen nicht entstehen. Die psychologische Wirkung eines Objektes war wichtiger als eine bis in das Bau­material oder in die Konstruktion reichende Wahrhaftigkeit. Es ging den Refor­ mern nicht darum, prinzipielle Wahrheit zu verwirklichen, sondern es ging ihnen um den Einfluss des Objekts auf das Empfinden und das Denken der Menschen – die Gesundungs­maschine musste funktionieren. Robert Landmann, später selbst Eigentümer des Berges und der Hütten, beschrieb weitere, noch kleinere Hütten, die nicht erhalten sind: „Um das Hauptgebäude grup­ pieren sich kleine Häuschen, die nur ein großes Zimmer für ein, höchstens zwei Personen enthalten; das Mobiliar besteht aus eisernen Normalbetten, Stühlen und Waschtischen; ein Vorhang trennt Schlaf und Arbeitsteil, der einen Sekretär, einen französischen Schütt­holzofen, einen Sessel und einen Schiffstuhl aufweist; in die Wände sind Schränke eingelassen. In diesem Wohnsystem soll die Freiheit des Indi­ viduums, das nicht als Herden- oder Hotelmensch gelten soll, zum Ausdruck kommen. Alle Bauten, alle Innenräume sind aus geöltem Holz hergestellt, sauber gehalten, mit elektrischem Licht und breiten Fensteröffnungen versehen; denn Licht und Sonne – viel Sonne suchen die hier in der Natur lebenden Menschen. Luft- und Sonnenbäder, bei denen die Geschlechtsgemeinschaft ausgeschlossen ist, Garten- und Ackerplätze für die Beschäftigung im Freien, ja selbst ein Tennisplatz fehlen nicht.“ 121 Gäste und Bewohner sollten sich auf dem Monte Verità nicht wie in einem Ho­ tel fühlen, sie sollten keinen Luxus konsumieren. Die individuellen Grundbedürfnis­ se wurden erfüllt – weitere Ablenkung wurde nicht geboten. Der Hütteninsasse war ein ganz privat an seiner Genesung Arbeitender. Er sollte dank der schlichten Aus­ stattung die Wahrheit auch in den Dingen ganz individuell entdecken. Natürlich gab es kein historistisches Mobiliar, sondern Knüppelholzmöbel, die ihre Herkunft von Stamm und Ast offen zeigten. Üppige Pracht verbot sich für die Hütten-Bauherren al­ lein schon nach den jahrelangen, die Sinne prägenden Erfahrungen im Sanatorium mit den kargen Licht-Luft-Hütten oder den hellen Zimmern mit ihren hygienischen Linoleumböden. Doch die schlichten Hütten mit den sauberen Möbeln bildeten nur einen Eckpunkt der neuen Gesellschaft. Kulturelle, gemeinschaftliche Aktivitäten sollten im 1904 errichteten Haupthaus der Naturheilanstalt stattfinden. Das Haupthaus schien einzig und allein aus einer gro­ ßen hölzernen Veranda (auf einem Sockel aus Natursteinen) zu bestehen, zu der zwei geschwungene Freitreppen hinaufführten. Das Haus öffnete sich ganz dem Seepanora­ ma. Die Räume, die sich dahinter erstreckten, die ein Restaurant, eine Bibliothek, ein Schreib- und Lesezimmer sowie ein Musikzimmer beherbergten,122 waren offenbar geradezu zweitrangig. Zeitgenössische Aufnahmen zeigen vor allem die seewärtige Hausseite, die von Menschen in Reformkleidern bevölkert wird. Die Türen und Fenster zu den dahinterliegenden Räumen stehen offen.123 Die Innenräume schienen nur not­ wendig zu sein, um auch bei schlechtem Wetter am reform-gesellschaftlichen ­Leben

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Haupthaus auf dem Monte Verità – eine zum gesellschaftlichen und erzieherischen Mittelpunkt stilisierte Licht-Luft-Terrasse.

teilnehmen zu können. Der passend umrahmte Aufenthalt auf der Terrasse oder auf dem Vorplatz war der eigentliche Zweck der Architektur. Der Bau ist, soweit aus den Abbildungen ersichtlich, als Flachdachbau ausgeführt. Nur eine der chinesischen Philosophie entlehnte Ornamentik („Yin-und-Yang“-Motiv) an den Fenstern und an den Terrassen- sowie Treppengittern unterstreicht die zentrale Bedeutung des Gebäudes. Die knappe Ornamentik war nichts weniger als das unmit­ telbare Zeichen der von dem Gebäude umrahmten individuellen und ganzheitlichen Lebensführung, es war ein erlaubtes, da auf Wahrheit verweisendes Ornament. Wenn man das Haupthaus mit den Sanatorien vergleichen will, dann lässt es sich als eine Liegehalle interpretieren. Auf dem Monte Verità standen also ab etwa 1904 eine zentrale Liegehalle sowie eine Reihe von Licht-Luft-Hütten. Von den Vorgaben, die Rikli in Veldes gemacht hatte, hatten sich Oedenkoven und seine Mitstreiter kaum entfernt. Ebenfalls 1904 wurde die Casa Anatta errichtet, das Wohnhaus von Ida Hofmann und Henry Oedenkoven. Mit diesem Gebäude gingen die Gründer des Monte Veritàs einen Schritt weiter: Sie gaben der neuen Zeit eine neue Architektur. Waren die Hütten noch Ableitungen archaischer Architekturtypen, so handelte es sich bei der Casa Anatta ­tatsächlich um eine Neuschöpfung. Die Casa Anatta war als Holzbau auf einem Steinsockel ausgeführt worden. Die Flachdächer dienten als Sonnendächer (diese Nutzung war beim Haupthaus noch nicht vorgesehen). Bei der Casa Anatta schienen die Veranden auf das Dach verlegt zu 84

sein – die Organisation des Hauses ist nicht horizontal, sondern vertikal gegliedert; das Licht- und Luftbad wurde auf dem Haus, nicht vor dem Haus genommen. Vermutlich konnte so das Naturerlebnis, das Sonnenbad mit nacktem Körper beispielsweise, unge­ störter und gleichzeitig herausgehobener vollzogen werden. Der profane Hintergrund eines Bauwerks fehlte auf dem Dach, die freie Natur erstreckte sich rundherum.124 Siegfried Giedion nahm das Haus in seinem Buch „Befreites Wohnen“ auf 125 – als Vorbild der modernen Architektur. Und auch der Titel seiner Schrift scheint wie vom Monte Verità abgeleitet: ein von den Zwängen, den Konventionen und den Stilzitaten befreites Wohnen war auf dem Berg der Wahrheit genauso das Ziel wie Ende der 1920er Jahre, als Giedions Buch erschien. Wir sehen einmal mehr die direkte Linie von der Licht-Luft-Hütte zum Neuen Bauen oder von der Regression zur neuen Form. Einigen Siedlern allerdings schien die Casa Anatta ein zu schneller Weg zurück in die Zivilisation, ein zu schnelles Finden einer neuen Form. Lotte Hattemer beispielsweise war in ein von den einheimischen Eigentümern längst verlassenes Haus gezogen – in eine Ruine: „Sie besitzt in ihrer Ruine eine Art Schlafzimmer, durch das der Wind von allen Seiten und durch alle Fugen weht. Unten in der zur Wohnung dienenden Ruine ist ein Raum, der Küche und Wohnzimmer zu gleicher Zeit ist […]. Hier ist Lottes selbstauf­ gebauter Herd, eine alte Kiste als Vorratsraum usw. Von der verräucherten Decke hängt ein selbstgeflochtenes Körbchen herab mit einem Blechbehälter, der zum Öllämpchen hergerichtet ist, in der Ecke des Raumes liegt ein Haufen grauen Sandes, auf dem Lotte sich offenbar bei gar zu schlechtem Wetter ausruht.“ 126

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Haupthaus auf dem Monte Verità in einer späteren Aufnahme (1926). Man erkennt, wie sehr das Yin-Yang-Symbol ein dekoratives Element in den Fenster-Oberlichtern sowie im Geländer wurde. Links im Bild Eduard von der Heydt, damaliger Eigentümer des Berges. Quelle: www.ymago.net

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„Casa Anatta“, Terrasse und Dachterrasse. 1920er Jahre. Quelle: Siegfried Giedion, „Befreites Wohnen“, 1929, Nr. 67 und 68

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Eine Hütte mit Einbauschrank und Elektrizität schien für Lotte Hattemer schon Zeichen der schlechten Zivilisation zu sein. Das Leben in der Höhle oder der Ruine war der Versuch, die Ansprüche des zivilisierten Menschen weiter herunterzuschrauben, eine größtmögliche Nähe zur Natur zu finden. Der Mensch wurde Tier – und fand so zur absoluten Wahrheit und womöglich absoluten Schönheit. In ihrem Aufsatz „Hütten und Tempel – Zur Mission der Selbstbesinnung“ benann­ te­Antje von Graevenitz 1978 den Monte Verità als Ansammlung bestimmter, program­ matisch begründeter Architekturformen. Von Graevenitz unterscheidet auf dem Monte­ Verità drei Haustypen: 127 1.  die Hausruine oder auch Höhle. Das Ruinen- oder Höhlenleben war eine radikale Regression, die keinen kulturel­ len Neubeginn mehr versprach. Jedes menschliche Schaffen, jede kulturelle Regung wurde als verwerflich abgelehnt. Die Ruine zeugte nicht von vergangenen Kulturen, sondern war vielmehr Zeichen des Verfalls der gegenwärtigen Kultur, war Zeichen für die Rückeroberung einst zivilisierter Räume durch die rankende Natur. Ein Anspruch, eine neue Zivilisation aufzubauen, ist nicht zu erkennen. 2. Hütten mit hölzernen Doppelwänden, deren Dach häufig an einer Seite vor­ kragte. Die klassische Thoreau-Hütte 128 sollte die Grundlage eines neuen Gemeinwesens sein. Der Hüttenbau verkörperte einerseits eine Rückkehr zu einfachen naturnahen ­Lebensweisen, zu den Ursprüngen, andererseits auch eine kulturelle Handlung, ein ­bewusstes Schaffen, eine bewusste Synthese der als wahr erkannten Elemente. 3.  Steinerne Chalets. Die aus Bruchsteinen aufgeschichteten Hütten verweisen zumindest im Tessin mehr auf das Herkommen der Hütte aus traditionellen Bauweisen. Das steinerne Cha­ let ist eine Variante der hölzernen Hütte. Ein regional korrekt gefasster Ursprung wird aufgedeckt. Auch die Inneneinrichtung sollte auf ursprüngliche Formen reduziert werden. Zum Teil wurden die Hütten mit biedermeierlichen Möbeln ausgestattet, wie sie Paul Schultze-Naumburg seit der Jahrhundertwende in Naumburg an der Saale entworfen hatte.129 Die Möbel sollten an eine vorindustrielle Tradition anknüpfen, an eine Zeit, als die Zivilisation noch gut und wahr gewesen sei. Zum Teil wurden auch „Knüppel-Möbel“ als Inneneinrichtung benutzt, die bei­ spielsweise Karl Gräser auf dem Monte Verità aus Ästen und Zweigen selbst gefertigt hatte.130 Sie sollten wie die Hütte beim Nullpunkt der Zivilisation ansetzen. Auf dem Monte Verità können wir bereits die zukünftigen zentralen Elemente der Reformarchitektur erkennen:  – Die Veranda, die Loggia oder das Sonnendach. Der (halbüberdachte) Blick auf die Berge oder auf den See sollte jedem Bewohner und jedem Gast ermöglicht werden. Der durch eine Veranda oder eine Loggia geschaf­ fene Logenplatz reproduzierte die Situation des Sanatoriums. Der so intendierte Blick sollte Gedanken und Empfindungen über die Logik der Natur und damit über die ­Logik der Zivilisation evozieren.131 Gleichzeitig sollte die Schönheit der Landschaft wahr­ genommen werden – als Beleg von Harmonie und Wahrheit.

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 – Der Natursteinsockel und das Knüppelholz-Mobiliar. Jedes Haus sollte wie natürlich, wie aus den Ursprüngen gewachsen erscheinen. Die Auflösung architektonischer Formen der Gründerzeit führte wie von selbst zum wahren Kern „Hütte“. Die auch gestalterisch ersichtliche Anbindung an den Boden ist als Gegensatz zu den vom Boden abgehobenen städtischen, intellektuellen Architek­ turen (Renaissance, Barock, Klassizismus) zu verstehen. Der Natursteinbau, der Natur­ steinsockel oder gar nur rustizierte Ecken schaffen das Bild einer naturnahen, natur­ gesetzlichen also auch gesunden Architektur.  – Das Satteldach. Gerade bei den kleineren Wohnhütten war das hohe Satteldach wesentlicher Teil der Architektur. Das Dach vermittelte zeichenhaft Geborgenheit und Individualität. Es war Zeichen der kleinsten wahrhaftigen Einheit in jeder Kultur. Weiter konnte Zivili­ sation kaum auf ihren Kern zurückgeführt werden, sofern man von Extremfällen wie Höhle oder Ruine absah. Mit den Hütten auf dem Berg begann die Idee einer neuen Zivilisation. Aus einer vorgefundenen Naturlandschaft (oder vielmehr einer verwilderten ehemaligen Kul­ turlandschaft) sollte eine neue Kulturlandschaft geformt werden. Die Siedler versuch­ ten, den kargen, steinigen Boden landwirtschaftlich zu nutzen. Zudem wurden Wiesen hergerichtet und abgezäunt, auf denen man Licht- und Luftbäder nehmen konnte.132 „Nicht ‚Naturmensch‘ sondern ‚Kulturmensch‘ im Sinne der Zuchtwahl und aller durch Erkennen der Naturgesetze gebotenen Verfeinerungen ist der ideal strebende Mensch von heute“ 133, schrieb Ida Hofmann-Oedenkoven und verdeutlicht damit ihre Vorstel­ lung einer vom Menschen begleiteten Evolution. Das Ablehnen städtischer Zivilisation war also nicht gleichzusetzen mit einer pau­ schalen Idealisierung der unberührten Natur. Die Bergbesiedler hatten lange genug in die unberührten Tannenwälder geblickt – allein, zwischen den Tannen lag keine Zu­ kunft. Wildnis wurde vielmehr als unbestellter Boden gesehen, der alle Chancen bot, auf dem sich eine neue Gesellschaft nach den Gesetzen der Natur aufbauen ließ. Das Konstruieren einer neuen, wahrhaftigen Gesellschaft auf einem verwilderten Hügel, auf eng begrenztem Terrain also, schien vorerst zudem einfacher als der Umbau der bestehenden Gesellschaft wie Henry Oedenkoven ausdrücklich schrieb: „Innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Organisationen, die jede indivi­ duelle Regung im Menschen ersticken […], ist eine freie Entwicklung nach Befreiung strebender Menschen undenkbar. Auf neuem Boden, auf neu zu erwerbendem Grunde soll das Unternehmen entstehen, dessen Gründung ich mit allen mir zu Gebote stehen­ den Mitteln schon seit mehreren Jahren als Ziel gesteckt habe.“ 134 Oedenkoven wollte alle Parameter kontrollieren, um nicht schon von vornherein Kompromisse eingehen zu müssen, um nicht wieder Sachzwängen zu unterliegen. Die umfassende Kontrolle der „neuen Gesellschaft“ konnte nur auf eigenem Grund und Boden gelingen, auf dem nach eigenen (als Naturgesetzte bezeichneten) Regeln gelebt wurde. Andere Gleichgesinnte, von denen damals viel gesprochen wurde, hatten sich noch womöglich lieblichere Orte als den Hügel am Lago Maggiore ausgesucht, um auf be­ grenztem also kontrolliertem Raum ein neues Leben zu beginnen.135 Sie gingen nach 88

Krankheit in Gesundheit wandeln Die Siedlung auf dem Monte Verità wurde schnell als eine Naturheilanstalt bezeichnet. Jeder, der an der Zivilisation erkrankt sei, könne hier auf baldige Genesung hoffen. Je­ der, der seine Zivilisationskrankheit zugab, der also bereits den schlechten Einfluss der städtischen Zivilisation und der die Tragik der unterbundenen naturgemäßen Evolu­ tion begriffen habe, der könne auf dem Berg Läuterung finden. Zuerst musste die Welt der Dinge, die die Probanden (meist junge Städter) noch um­ gab, auf ihren moralischen, erzieherischen Wert hin untersucht werden. Das üppig aus­ gestattete, auf Bequemlichkeit abzielende private Umfeld des ausgehenden 19. Jahrhun­ derts, das Henry Oedenkoven und Ida Hofmann als Kinder reicher Eltern erlebt hatten, sollte radikal ausgedünnt werden. Die Beschreibung der städtischen großbürgerlichen Wohnung diente Ida Hofmann-Oedenkoven als Rechtfertigung der eigenen Askese. „Man bewegt sich in überheizter Luft; jeder natürliche Laut ist durch dicke Teppiche, Vorhänge und gepolsterte Möbel erstickt. Mit Ausnahme des Dienstpersonals, das vom frühen Morgen an beschäftigt ist, den Prunk der Appartements in Ordnung zu erhalten, liegen die Bewohner derselben bis 11 oder 12 Uhr in den Betten. Das Frühstück wird ins Bett serviert – die Postangelegenheiten, Aufträge werden vom Bette aus erledigt und erst um die Zeit des ‚Déjeuner‘ erscheint man blassen Antlitzes in bequemer oder vernach­ lässigter Morgentoilette. Die Gespräche bei Tisch drehen sich um die Unterhaltungsmög­ lichkeiten des Tages und berühren mit Vorliebe obscöne Zweideutigkeiten oder Klagen über Dienstboten, welche, des leisesten Winkes der Gebieter in sklavischem Diensteifer gewärtig, nahe der Tafel bleiben. Blicke die nicht dem Menschen, sondern dessen Klei­ dung gelten, höhnische Bemerkungen […] nimmt der Dienstsklave lautlos entgegen, um sich im Bereiche der Küche in umso racheerfüllteren Aeusserungen zu ergehen.“ 138 Der reiche Städter ist, so die Aussage der Textstelle, dekadent und gleichzeitig un­ gerecht, also unmoralisch. Sein Reichtum steht in keiner positiven Beziehung zu seiner Güte oder zu seiner Leistung. Sein Reichtum, vor allem auch seine mit teuren Gütern angefüllte Umgebung lassen seine natürliche, jedem Menschen mitgegebene Moral verkümmern. Der erste Weg zur Gesundung war demnach die Aufgabe des reichen und teuren, des überflüssigen dinglichen Umfeldes (wie es schon Thoreau in Walden gefordert hat­

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Chile, Mexiko und Brasilien und besetzten dort Urwaldstücke. Ida Hofmann verurteil­ te 1906 noch den Weggang aus dem mitteleuropäischen Kulturkreis: „Jeder meint das Eldorado ­gefunden zu haben, wo viel Früchte und wenig Arbeit winken.“ 136 Allerdings verließ sie selbst nach dem Scheitern des Sanatorium-Projekts in Ascona den europäi­ schen Kontinent und wanderte zusammen mit Henri Oedenkoven nach Brasilien aus.137 Es ging den Monte-Verità-Gründern nicht um ein einfach zu realisierendes ange­ nehmes Leben in einem engen Rahmen. Die Flucht in eine arkadische Natur war nicht das Ziel, Regression nur Mittel, um zu einer neuen fortschreitenden Entwicklung zu kommen. Der Gang hinunter vom Berg, den Nietzsches Zarathustra bereits symbolisch voraus gegangen war, gehörte zum Programm der Reformer. Sie wollten ihre Erkennt­ nisse in die europäischen Länder und in die Zentren tragen.

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te).­­Derjenige, der seine Krankheit erkannte, musste zuerst den krankmachenden Rah­ men verlassen. Auf dem Monte Verità konnte er dann, umgeben von wenigen und einfachen Din­ gen, ein neues Leben beginnen. „Monte Verità, Hotel, Vegetarische Pension, Erholungsheim. […] Die größten Luftparks der Schweiz (25 000 qm) vollständig eingezäunt. – Bade­ haus. – Glashallen für Sonnenbäder im Freien. – Seebäder. Tennis. Luftkur, Obst- und Traubenkur. – Fastenkur. Gesellschaften, Concerte, Vorträge. Gelegenheit zu Gartenarbeiten und zur Teilnahme an industriellen Kursen, Koch­ kursen und gymnastischen Uebungen. Klavier und Sprachunterricht. […] Der MonteVerità ist vor allem eine Erholungsstätte, eine Schule für Lebenskunst und kein ‚Sa­ natorium‘ wo man den ganzen Tag allerlei Krankheitserscheinungen pflegt, sondern eine Stätte, wo, indem gelehrt wird nach den Naturgesetzen zu leben, sich Krankheit in Gesundheit wandelt. Denker können sich in stille Winkel zurückziehen, die Gesunden und die Jugend finden fröhliche Gesellschaft, Künstler fühlen sich zu Hause. […] Die Cooperative, welche neben der Anstalt gebildet wird, bietet allen, welche in ei­ ner gesunden Umgebung und unter harmonischen Verhältnissen bleiben möchten, die Möglichkeit sich dort niederzulassen und auf leichtere Art ihr Leben zu verdienen.“ 139 Der Monte Verità bot im Gegensatz zu herkömmlichen Sanatorien mehr als nur Licht und Luft – er versprach ein neues Leben nach den Naturgesetzen. Verschiedene vegetarische Kuren sollten den Patienten geboten werden. Das Ver­ zehren von Fleisch galt als eine Ausprägung der entfremdeten städtischen Zivilisation, galt als ungesunde Völlerei und wurde abgelehnt. Der Vegetarismus wurde nicht als eine bestimmte Art der Ernährung gesehen, sondern als eine ganzheitliche Form der besseren, der wahrhaftigeren Lebensführung.140 Daneben wurden Gartenarbeit, handwerkliche Kurse oder einfach nur fröhliches Beisammensein geboten. Das Leben nach den Naturgesetzen umfasste Erholung, Ar­ beit und Vergnügen in einem ausgewogenen Verhältnis. Der Mensch sollte ganzheitlich angesprochen und erzogen, ja, neu sozialisiert wer­ den. Alle seine Fähigkeiten sollten zur Geltung kommen. Die innere Harmonie des Ein­ zelnen (aus der später die äußere Harmonie seines Lebensumfeldes folgen sollte) war das Ziel. Dabei wurde auf individuelle Wünsche durchaus Rücksicht genommen. So konnten sich Denker in stille Ecken zurückziehen, um ungestörter ihrer naturgegebe­ nen Neigung zu folgen. Die Patienten sollten sich ausleben können, sollten alle zivilisatorischen Zwänge abwerfen können, um ganz aus sich heraus zu kommen. Die auf die neue Sozialisation folgende harmonische und ganzheitliche Lebens­ führung auf dem Monte Verità sollte so attraktiv sein, dass die Patienten nach ihrer Gesundung keineswegs den Wunsch verspürten, in den städtischen Betrieb zurückzu­ kehren. Vielmehr sollten sie sich im Umkreis des Berges ansiedeln, ideale Fami­lien­mit idealem Nachwuchs gründen. Die Aufforderung zum Bleiben war im Werbe­prospekt eindeutig. 90

1. Aufforderung an alle sich krank fühlenden Städter, die Mietskasernen zu verlassen, in die Natur zu flüchten, den Berg zu besteigen, oben zu bleiben, sich der notwendigen Läuterung hinzugeben. 2. Ablage aller äußerlichen Errungenschaften der Zivilisation wie standes­ gemäße­Kleidung, Möbel etc. durch den Einzelnen; Rückkehr zu einem kind­ lichen Zustand, d. h. Regression. 3. Ermöglichung des täglichen Ausblicks in die sonnige Morgenlandschaft. Er­ möglichung allgemeiner Gedanken über die Natur und über die Stellung des Menschen darin. Bereitstellung von Veranden, Loggien oder Sonnendächer durch die Naturheil­anstalt. 4. G  esundung des Körpers durch Licht- und Luftbäder, durch Sport und Garten­ arbeit, durch Spiele, durch vegetarische Ernährung.144 5. Gesundung des Geistes durch Betrachtung landschaftlicher Reize und schö­ ner Körper. Die Gesundung des Geistes folgt zudem aus der Gesundung des Körpers. 6. A neignung neuer, grundlegender handwerklicher und künstlerischer Fertig­ keiten in entsprechenden Kursen: Vorbereitung der Aufbauarbeit. 7. A  ufbau eigener Hütten im Umkreis des Berges. Die Reform der eigenen Exis­ tenz bekam eine gesellschaftliche Perspektive. 8. Durch die Kumulation der Genesenen allmählich Gründung einer neuen ­Gesellschaft vom Berg herab. Missionierung der Anderen, der unwissend Kranken durch Auserwählte. Nicht alle Menschen, die an der Zivilisation litten, konnten neu sozialisiert werden. „Auffallende und für die übrigen Gäste störende Kranke werden nicht aufgenommen.“ 145­

Heilung = Regression – Rückkehr zu Natur, Hütte und Kindheit

Kinderspiele Ida Hofmann nannte in ihrer Autobiographie das Vorbild einer schon existierenden idealen Gesellschaft, das „Licht-Luft-Heim“ in Waidberg bei Zürich 141: „Pfarrer Stern hat auf luftiger und waldiger Höhe oberhalb Zürich einen sehr reizvollen Lichtlufthain angelegt – auf einer grossen Wiese, nur durch dichten Tannenwald von aussen abge­ schlossen, tummeln sich nackte Männergestalten und Frauen in luftigen Hemden – sie jagen Bällen nach; es ist gerade Sonntag und viele Züricher schliessen sich für den gan­ zen oder halben Tag diesem idyllischen Leben an; wir lernen angenehme und wert­ volle Menschen kennen und die Trennung fällt uns schwer.“ 142 Wir ahnen das Bild eines fröhlichen, unbeschwerten Lebens, das die städtische ­Zivilisation (auch topographisch) überwunden hat. Auf einer hochgelegenen Wiese be­ schäftigen sich fast nackte Menschen mit Ballspielen. Es mag grotesk erscheinen, die­ se Szene als Ausdruck eines idealen Lebens zu werten.143 Doch nur, wenn der Mensch die Regression zum kindlichen Bewusstsein durchmache, könne er die Naturgesetzte, also die Wahrheit erfahren. Wir können jetzt idealtypisch die Phasen der Gesundung, also der kontrollierten und gleichzeitig unbewussten, der quasi-kindlichen Sozialisation betrachten, Phasen, die auch die Grundlagen einer neuen Architektur bilden:

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Wirklich Kranke störten die Selbsterziehung der vielen zarten Großstadtkinder. Der Monte Verità war keineswegs ein tatsächliches Sanatorium, er verkörperte ein Gesell­ schaftsexperiment. Der Sanatoriumsbetrieb war ein Katalysator, um Mitstreiter auf den richtigen Weg zu führen. „Der Monte Verità ist keine Naturheilanstalt im gewöhnlichen Sinne, sondern viel­ mehr eine Schule für höheres Leben, eine Stätte für Entwicklung und Sammlung ­erweiterter Erkenntnisse und erweiterten Bewusstseins (diese Stätten werden sich mehren), befruchtet vom Sonnenstrahl des Allwillens, der sich in uns offenbart.“ 146 Die Methode, Gesundung durch Zertrümmerung der hergebrachten Zivilisa­ tion, durch Regression in einen kindlichen Zustand und durch anschließenden Auf­ bau einer naturgesetzlichen Ordnung herbeizuführen, war durchaus beliebt und ge­ fragt. ­Zahlreiche Gäste besuchten für einige Wochen den Berg, unter ihnen Hermann Hesse.147 Es kamen neben den zahlenden Patienten vor allem Neugierige.148 Zum einen freu­ ten sich die Naturheilanstalt-Betreiber über die vielen Besucher. Sie waren Indiz der eigenen Bedeutung, Indiz der gesellschaftlichen Relevanz des Experiments. Zum an­ deren sah man in den Menschen, die aus reiner Neugierde auf den Berg stiegen, die wo­ möglich nackte Reformer erblicken wollten, ungebildete Schaulustige, die die eigene kranke Situation nur noch nicht erkannt hatten. Um den Andrang zu bremsen, mus­ sten Fremde Eintrittsgeld zahlen.149 Nicht jeder Gast erwies sich für die Lebensreform als geeignet, nicht jeder Pa­ tient­wollte die Schritte der Selbstreformierung durchlaufen. Von einigen Mitstreitern trennte man sich wieder. „Mit Anfang Oktober vollzieht sich abermals der Auszug von einigen Mitarbeitern, deren Art und Weise sich nicht für die Ziele des ‚Monte Verità‘ eignet. Der Vergleich mit einem Sieb, durch das noch viele fallen müssen, bis eine ge­ sichtete Körperschaft den sittlich hohen Anforderungen des Unternehmens entspricht, ist so naheliegend, dass wir ihn zum darstellenden Motto wählen möchten.“ 150 Durch die „Auslese“ sollte erreicht werden, dass nur starke und willige Kräfte am Aufbau der neuen Gesellschaft mitwirken können. Einmal mehr wird deutlich, dass die wirklich körperlich oder geistig Kranken auf dem Berg nicht erwünscht waren. Die Naturheilanstalt Monte Verità sollte nicht den einzelnen Menschen heilen (das einzel­ ne­Schicksal galt vielfach als hoffnungslos), sondern die Zivilisation. Das Ziel war nicht die Gesundung der Kranken, sondern die Hinführung des vielversprechenden jungen Menschen zum Übermenschen. „Werdet und schaffet Menschen im wahren Sinne des Wortes – Menschen höherer Lebens art und Gesinnung, und wie ein Glied einer Kette sich an das andere fügt, sol­ che Wirkung nur solche Ursache hat, so schaffet Ihr Harmonie im Ganzen, wenn Ihr Harmonie im Einzelnen schafft.“ 151 Und allgemeiner: „Wir streben eine Renaissance des Menschengeschlechts an.“ 152

Theater, Tempel und ein ideales Bauwerk Zu einer neuen Gesellschaft gehören neue kulturelle Rituale und neue, Bedeutung tra­ gende Formen. 92

Zu den Ritualen, die als „unschuldig“ galten, die nicht von der schlechten Zivilisa­ tion vereinnahmt waren, gehörten Tanzformen wie der kindliche Reigentanz oder vor allem der Ausdruckstanz, der als eine Visualisierung des Unbewussten gesehen wurde. Eine zeitgenössische Aufnahme des Monte Verità zeigt uns eine Gruppe Reformer in weißen Reformkleidern, die vor einer Licht- und Lufthütte Reigen tanzen.153 Unschuldige Tänze repräsentierten, so schien es und so verstand man es, ein un­ bewusstes Volksempfinden.154 Sie verkörperten damit, so dachten die Reformer, mehr Wahrheit als andere verfeinerte Rituale. Die Tänze durften – wie die schöne Frau als solche – Vorbild für formale Ableitungen werden.

Reigentanz vor der Casa Selma auf dem Monte Verità, vor 1914 . Quelle: Fondazione Monte Verità

Heilung = Regression – Rückkehr zu Natur, Hütte und Kindheit

Der Reigentanz und andere Ausdrucksformen, die von der Zivilisation unverfälscht schienen, gehörte genauso zum Neuanfang wie die Regression der Architektur (auf einem Lageplan des Monte Verità liest man die Beschreibung „Sonnenbad-Spiel­ wiese“ 155). Dabei wurden die Spiele jedoch verallgemeinert. Die Reformer nutzten die spielerischen, aus der Kindheit vertrauten Bewegungsmuster, um zu einer unmittel­ baren Naturerfahrung zu gelangen. Das Tanzen auf der taufrischen Wiese mit Blick auf ein See- oder Bergpanorama versprach ein intensives, ein geradezu archaisches Naturerlebnis. Das Bewegen mit möglichst nacktem Körper in der freien Natur wur­ de, da es von zivilisatorischen Zwängen frei schien, schnell ritualisiert, zu einer Kult­ form erhoben. Das Sonnengebet – nackt mit erhobenen Armen die aufgehende Sonne begrüßen – geriet zur Standardpose der Reform und wurde immer wieder Thema der Kunst – vor allem in den Werken des Künstlers Fidus (1868 – 1948) 156 aber auch bei an­ deren Zeitgenossen wie Ferdinand Hodler.157

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Auch auf der Wiese vor dem Worpsweder Barkenhoff, dem Haus des Malers Heinrich Vogeler, wurde in Reformkleidern getanzt. Georg Tappert (Foto): Martha Vogeler mit Maria Rohne, 1906. Quelle: Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloß Gottorp

Ausdruckstanz mit Mary Wigman auf dem Monte Verità.

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Sonnengebet über dem Lago Maggiore, betitelt „Der Süden, Lago Maggiore“, undatiert. Quelle: Zeitschrift „Freude in der Freiheit“, Locarno o. D., abgebildet in: Szeemann o. J. (1978), S. 139

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Die Rituale waren notwendig, um die Gemeinschaft der Reformer zu einen, um jedem einzelnen eine reformerische Identität zu vermitteln, um letztlich die eigene Klein­ heit in übergeordnete Zusammenhänge einzuordnen. Erst die Rituale bestätigten das ­eigene, durchaus entbehrungsreiche, der städtischen (und elterlichen) Gesellschaft entgegengesetzte Wirken. Auf dem Monte Verità fehlte den Reformern noch der gemeinsame, heilige Ort für die unschuldigen Rituale. Der „Körper- und Bewegungskult (Nacktkultur und Tanz)“ wurde stets als „der Ausgangspunkt kultischer Rituale, für die ein Tempel als geweih­ ter Ort nötig schien“ 158 gesehen, doch blieben alle Tempelbaupläne, die es in Ascona durchaus gab,159 vorerst unverwirklicht. Einen „Tempel der Erde“ zeichnete Fidus bereits 1902, einen gewaltigen Kubus, über dessen Eingang die Buchstaben „TAT “ prangen sollten. Das riesige Glasfenster zeigte die Formen eines Baumes, in den Zwickeln sah man seitlich des Baumes eine nackte Frau und einen nackten Mann, jeweils begleitet von einem nackten Kind.160 Eine Entwurfsskizze aus dem Jahr 1895 hatte Fidus als „gänzlich neugestaltet un­ ter Vermeidung aller conventionellen (historischen) Bauformen, Stil der organischen Statik“ beschriftet.161 Eine organische Statik war die Umschreibung des natürlichen Wachstums, der naturgesetzlichen Logik, die von den Reformern immer wieder gefor­ dert wurde. Ein anderer „Tempelkünstler“ war Wenzel Hablik (1881 – 1934), der Bauten schuf, die sich scheinbar folgerichtig aus Felsen und Bergformationen entwickelten, die so ihre Bedeutung erhielten.162 Aber auch Architekten wir Fritz Schumacher, Hans Poelzig und Peter Behrens zeichneten Tempelentwürfe 163 oder bauten (wie Behrens) Ausstel­ lungspavillons als Sakralbauten (in Oldenburg 1905 und Dresden 1906). Auf dem Monte Verità wurden, als Vorwegnahme eines gebauten Tempels, nur Gelände­ stücke, von denen man einen eindrucksvollen Ausblick genießen konnte, als geweih­ te Orte bezeichnet: man sprach vom „Walküre-Felsen“, von der „Parsifal-Wiese“, dem „Lorely-Felsen“ oder vom „Harras-Sprung“.164 Die Bezeichnungen verwiesen teilweise auf Wagner-Opern und gleichzeitig auf die nordische Mythologie, also mittelbar auch auf eine ursprüngliche nordeuropäische Gesellschaft (Thomas Rietzschel sprach von einem landschaftlichen Bühnenraum einer Wagner-Oper).165 Die Walküren konnten als überirdische weibliche Wesen der altnordischen Mythologie durchaus eine Vor­ bildfunktion einnehmen. Am Walküren-Felsen und an den anderen „heiligen“ Orten konnten sich die nackten Reformer über die profane Welt erheben – die sakral anmu­ tenden Wagner-Inszenierungen, die sie womöglich in Bayreuth erlebt hatten, stets im Kopf. Der Loreley-Felsen hingegen wirkte fast wie eine ironische Bezeichnung der ei­ genen Bedeutung – sahen sich die Reformer als die Loreley, die auf den Felsen sitzt und die vorbeikommenden Reisenden verführt? Der erste Tempel der Reformer entstand 1912 in der „Gartenstadt“ Hellerau bei Dresden, errichtet von Heinrich Tessenow (1876 – 1950). Er diente der „Bildungsan­ stalt“ des Tänzers Emile Jaques-Dalcroze als Theater. Tessenows Architektur zitiert antike Tempelformen und wirkt doch wie aus der Hüttenarchitektur der Gartenstadt 96

her­geleitet (gerade die Nebenbauten und die kleinen Dachgauben verweisen auf die Grundform Hütte).166 Das Theater wandelte sich in Hellerau von einem hergebrachten Ort des Vergnü­ gens und der Unterhaltung zu einem Tempel der Wahrheit. Ein tempelgleiches Bauwerk, das dem Tanz und der Gesundheit gewidmet war, ent­ stand im Jahr 1914 im damals österreichischen Meran: das Kurhaus. In der seit etwa 1870 aufblühenden Kurstadt hatte man die Reformansätze, die in Veldes (Bled) oder auf dem Monte Verità geübt wurden, durchaus wahrgenommen. Das neue Kurhaus, in dem sich das in den Städten (vor allem in Wien) krank gewordene Publikum ein­ fand, sollte genauso viel Gesundheit versprechen wie die Höhen der Berge und die Bergansiedlungen der Reformer. Der Wiener Architekt und Akademieprofessor Frie­ drich Ohmann (1858 – 1927) hatte in Meran einen auf den ersten Blick durchaus tradi­ tionell anmutenden neoklassizistischen Kuppelbau mit Säulenportikus und anschlie­ ßendem Saaltrakt errichtet.167 Doch die klassischen Formen wurden gebrochen. So ist der Säulenportikus halbrund ausgeführt. Im Giebelfeld befindet sich zudem eine ova­ le Fenster­öffnung. Frauenköpfe und Blumenvasen bilden die Kapitelle. Eine stilisierte Sonne erhebt sich über dem Haupteingang.

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Peter Behrens, Kunsthalle auf der Oldenburger Kunst- und Gewerbeausstellung, 1905

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Heinrich Tessenow, Theater Gartenstadt Hellerau, 1911. Quelle: Wikipedia

Die auffälligste Dekoration der Architektur ist jedoch eine Figurengruppe, die auf dem Giebel prangt. Fünf überlebensgroße Frauenfiguren tanzen auf dem Dach einen Reigen. Die Frauen sind nur leicht mit Tüchern bekleidet; die Brüste zeichnen sich un­ ter dem Stoff ab. Eine Art Schal liegt über ihren Schultern, verbindet die Gruppe. Vier Frauen wenden sich nach außen, dem Betrachter zu, eine nach innen. Eine weitere halbkreisförmige Frauengruppe, die sich ebenfalls an den Händen fasst, die ebenfalls nur leicht mit Tüchern bekleidet ist, befindet sich auf dem westli­ chen Vordach des Kurhauses. Die Figurengruppen erscheinen wie eine direkte Abbildung der Reformertänze in Ascona oder anderswo, es sind die in Stein gehauenen Rituale vor der Casa Selma. Das Beispiel des Kurhauses in Meran zeigt, dass die „unschuldigen“ Handlungen form­ bildend werden konnten – so, wie es die Reformer wollten. Die Skulptur des Tanzes ­repräsentierte, so wurde es gesehen, einen wahren Kern, sie trug eine abgesicherte Bedeutung und durfte somit Dekoration werden. In Ascona selbst entstand ein tempelartiges Gebäude erst in den 1920er Jahren. 1927 bis 1928 errichtete Carl Weidemeyer (1882 – 1976) aus Worpswede in unmittelbarer Nach­ barschaft der Naturheilanstalt ein weiß verputztes Flachdachgebäude für die Aus­ druckstänzerin Charlotte Bara (1901 – 1986).168 98

Weidemeyer selbst hatte bereits 1915 in Worpswede bei Bremen eine Urhütte errich­ tet.169 Eine traditionelle Worpsweder Moorkate war von ihm durch einen Anbau in ein modernes Wohnhaus umgewandelt worden; er hatte beim Umbau das tief herunter­ gezogene Satteldach der Kate als wichtigstes Gestaltungselement erhalten. Das über­ kragende Dach des von Weidemeyer betonten Eingangsbereichs wurde von zwei Säu­ len – naturbelassene Baumstämme! – getragen.170 Der Längstrakt des Gebäudes wurde von einem kleinen Turmaufbau überragt.171 Charlotte Bara gehörte wie Carl Weidemeyer und Heinrich Vogeler zum Freundeskreis des Arztes Emil Löhnberg, dessen Haus in Willingen (Sauerland) Vogeler 1912 errich­ tet hatte.172 In Worpswede hatte Vogeler bereits ab 1897 wie später Weidemeyer eine „Auf­ bau-Architektur“ errichtet – aus einem alten Bauernhaus hatte er ein Künstlerhaus ge­ formt, wobei er die traditionelle Herkunft des Hauses an der Fassade ablesbar ließ.173 Vogeler spielte in den 1920er Jahren – er hatte sein Haus der „Roten Hilfe“ übereig­ net, die es als Kinderheim nutzte – mit dem Gedanken, an den Lago Maggiore zu ziehen, er beteiligte sich zwischen 1928 und 1932 am Siedlungsprojekt „Fontana Martina“ nahe Ronco sopra Ascona, das er mit seinem Schweizer Freund Fritz Jordi ins Leben geru­ fen hatte.174 Weidemeyer, der in Bremer als Grafiker und Möbelentwerfer Erfolge hat­

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Carl Weidemeyer, Theatro San Materno, 1928 . Foto des noch unsanierten Zustandes, ca. 1990. Foto: N. Aschenbeck

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te, u. a. für die Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk, war bereits um 1925 nach Ascona gezogen und blieb den Rest seines Lebens im Tessin. Die junge Charlot­ te­ Bara beauftragte Weidemeyer, der sich in Ascona vom Hüttenarchitekten zum Ver­ treter des Neuen Bauens entwickelt hatte und am Hang von Ronco und Ascona damit begonnen hatte, Villen in weißer Flachdacharchitektur zu errichten,175 mit dem Bau eines Tanztheaters in Ascona, am Fuße des Monte Verità. Weidemeyer entwarf einen Flachdachbau, das anders als die Wohnhäuser nicht alleine an ein modernes Dampfschiff, sondern an eine Zwischenform zwischen Schiff und Kirche erinnert.176 Im Inneren schien es eine Kirche zu sein: Das Kirchschiff dien­ te (und dient) als Zuschauerraum, die Apsis als Eingangsbereich.177 Von Außen wirk­ te das Theater hingegen mehr wie ein Schiff: Ein Balkon wurde als eine Art Reling ge­ nutzt, von der man über das Meer / die Landschaft blicken konnte. Das weiße Gebäude erschien so wie ein auf Reede liegender Schiffskörper in einer traditionellen Land­ schaft. Hier war die neue Zeit zwischen den Fragmenten der alten vor Anker gegangen. In diesem Gebäude können wir das gesunde Bauwerk entdecken (im Sinne der Re­ former), das von Licht durchflutet wird, das an einem idealen Standort ankert; es ist gleichzeitig eine Tempelarchitektur für die neuen Rituale (beispielsweise Tänze) der noch jungen Reformergeneration.

Carl Weidemeyer, eigenes Wohnhaus in Worpswede, vor 1914 . Quelle: Sammlung Aschenbeck

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Zahlreiche Künstler und Architekten besuchten in den 1920er und 1930er Jahren den Monte Verità, darunter auch Walter Gropius und Marcel Breuer. Der in Ascona ansäs­ sige Eduard Keller gab 1934 das „Ascona-Bau-Buch“ heraus, in dem Ascona als Ort der Moderne herausgestellt wurde – wenn auch das Neue nur mühsam gegen die konser­ vative örtliche Bauveraltung durchzusetzen war.182 Ausdrücklich berief sich auch Kel­ ler auf die „Urformen“ des Tessiner Hauses, über die Ernst Morach in dem Ascona-BauBuch einen Aufsatz schrieb.183

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In den Jahren nach 1928 entwickelte sich das Theater zu einem kulturellen Zen­ trum der in Ascona verbliebenen, meist deutschsprachigen Reformer und zu einem Anziehungspunkt für deutsche Künstler.178 Erika Mann beispielsweise gastierte hier mit i­ hrer „Pfeffermühle“.179 Der aus dem Baltikum stammende Elisar von Kupffer, dem wir bereits einen Sana­ toriums-Entwurf (unsicher) zugeschrieben haben, selbsternannter Begründer einer neuen Religion, errichtete Ende der 1920er Jahre in Minusio bei Locarno einen Tem­ pel für den „Klarismus“. Zweifellos war der „Klarismus“ ein Randphänomen der euro­ päischen Kultur- und Geistesgeschichte, doch zeigt sein Auftreten deutlich, wie sehr ein Bedürfnis bestand, für die neuen reformerischen Ideen der Zeit ein kohärentes Gedanken­gebäude und nachfolgend auch den heiligen Ort und das Bauwerk zu schaffen. Es ging den Reformern – egal, ob es Hüttenarchitekten oder Religionsgründer wa­ ren – immer um die Absicherung von Bedeutung. Nach dem Zerfall der Repräsentation im ausgehenden 19. Jahrhundert schien im beginnenden 20. Jahrhundert die Inszenie­ rung einer neuen, abgesicherten Bedeutung besonders dringlich. Einem allgemeinen Bedeutungsverlust, der vermutlich real bereits die Dinge infiziert hatte, sollte symbo­ lisch entgegengewirkt werden. Ein weiteres Bauwerk, das direkt auf dem Monte Verità entstand, muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden. 1928 errichtete der Düsseldorfer Architekt Emil Fah­ renkamp im Auftrag des neuen Eigentümer des Berges, Baron von der Heydt, das „Ho­ tel Monte Verità – ein moderner Sanatoriumsbau, dessen Balkonreihen sich zum See öffnen. Der Fahrenkamp-Bau hatte eine abgesicherte Bedeutung: er förderte die Ge­ sundheit der Bewohner. Die Zimmer waren einst wie die Zimmer der Tuberkulose­ sanatorien mit abwaschbaren Linoleum und Stahlrohrmöbeln ausgestattet 180 – aller­ dings wohnten hier keine Kranken, die Heilung suchten, sondern die reichen Reisenden Europas. Die Idee der Gesundung durch Architektur hatte sich endgültig von echter Krankheit emanzipiert! Das „Hotel Monte Verità“ ist der Urtyp aller Appartementhäu­ ser des Neuen Bauens und gleichzeitig ein direkter „link“ zur Sanatoriumshäuser und zur Hüttenkolonie des Berges der Wahrheit. Nicht zufällig inkorporiert das Hotel Teile des Vorgängerbaus, des Terrassenhauses des Sanatoriums Monte Verità, dessen Archi­ tektur noch heute im Erdgeschoss-Bereich ablesbar ist. Fahrenkamps Hotel ist ein Schlüsselbau der modernen Architektur – und wurde doch vergleichsweise wenig beachtet. Siegfried Giedion wollte den Bau in sein Buch „Befreites Wohnen“ aufnehmen, das Seitenlayout stand bereits, wie Bruno Maurer nachweist. Doch aus unbekannten Gründen fehlte die Seite dann in der Druckver­ sion.181

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Eduard Keller: „Ascona Bau-Buch“, Ascona 1934 (mit dem Fahrenkamp-Hotel unten rechts, hochgestellt).

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Schönheit Die Schönheit des Körpers ist das Zeichen einer schönen Seele – ist gelungene Reprä­ sentation. „Die Frauen scheinen im Zusammenhang mit der schönen Natur zu stehen, die uns umgibt, und dem Verliebten wird ihre Gestalt eins mit Mond und Sternen, mit Wäldern und Wassern und der Pracht des Sommers“,184 schrieb Ralph Waldo Emerson, das Denken der Reformer vorwegnehmend und einleitend. Um 1900 entstand ein regelrechter Kult um weibliche Schönheit. Verschiedene Bücher und Zeitschriften widmeten sich dem schönen nackten Körper und der schö­ nen Frau. Der Reformer Paul Schultze-Naumburg, der mit seinen Kulturarbeiten für eine bessere Architektur kämpfte, beschäftigte sich fast folgerichtig auch mit Frauen­ körpern. Freikörperkultur war nicht allein eine private Rückkehr zur Natur, abgeschirmt von den Blicken Anderer (wie in den Sanatorien von Rikli oder Jungborn), sie war auch ein Präsentieren eigener Schönheit und eigener Gesundheit. Schöne Körper repräsen­ tierten den kommenden Übermenschen – entsprechend gerne wurden sie gezeigt. Hässliche Körper schienen im Gegensatz zu den schönen das Verderben der Zivili­ sation in sich zu tragen, sie waren Repräsentanten eine falschen, verkommenen Zeit (und mussten, so die unausgesprochene Forderung, entsprechend versteckt werden). Ursache für individuelle Hässlichkeit wurde keineswegs in einer jeweiligen gene­ tischen Disposition gesehen. Vielmehr erkannte man in den großstädtischen Wohn­ verhältnissen, in der einengenden Bekleidung und in der mangelnden körperlichen Betätigung in der freien Natur, kurz: in den zivilisatorischen Fesseln, die alleinigen Ursachen für alle Hässlichkeit. Beliebtes Beispiel war für Schultze-Naumburg die Wirkung des Korsetts. Es schnü­ re­den weiblichen Körper ein und führe zu geradezu grotesken Verformungen. Auch die Verformungen der Füße wurden von ihm demonstrativ gezeigt und publiziert. Die Deformationen schienen direkte Folgen der Zivilisation des 19. Jahrhunderts, die Folge einer Zeit der „falschen Werte“, in der man keinen Sinn für Schönheit mehr hatte. Noch in den späten 1930er Jahren betonte Schultze-Naumburg in dem Buchkapitel „Bedeu­ tung der Schönheit“ den Sinn der Schönheit, die den besseren Menschen repräsentiert und beklagt, dass man diese Repräsentation im 19. Jahrhundert nicht gesehen habe. „In dem ganz von liberalistischen Gedanken beherrschten neunzehnten Jahrhundert war die Vorstellung aufgekommen, Schönheit hätte ihren Sinn verloren und die Wert­ schätzung des schönen Menschen gehöre zu den veralteten Anschauungen. Vorab für den Mann habe sie keine Bedeutung. Ja, dem ‚schönen‘ Manne hafte sogar eine Spur des Lächerlichen an. Schließlich wollte man auch den Wert der Schönheit bei der Frau leugnen. […] Die Ursache dafür liegt wohl darin, dass der Mensch des neunzehnten Jahrhunderts sich immer weiter von seiner lebensgesetzlichen Grundlage entfernte

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Den Zeitgenossen war die Bedeutung des Berges – die Geschichte der modernen Architektur im Modell zu verkörpern – bewusst. Nachfolgende Architekturhistoriker, vom Alleinvertretungsanspruch der großen Architekten wie Walter Gropius und Mies van der Rohe geblendet, übersahen allerdings die Objekte im Musterort der Moderne.

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Paul Schultze-Naumburgs Beispiele idealer Schönheit. Quelle: Schultze-Naumburg 1937, S. 126 f.

und sich dabei in derartig einseitige Vorstellungen verrannte, dass er nicht mehr sah, wohin die Außerachtlassung, ja die Verachtung aller Zuchtgesetzte ihn führte.“ 185 Ohne Frage entsprach Schultze-Naumburgs Sichtweise, die um 1900 die noch un­ schuldige Sichtweise der Reformer war, dem späteren nationalsozialistischen Rasse­ denken. Schultze-Naumburg selbst definierte Schönheit nach den Parametern der Rasseideologie. Er bezeichnete den nordeuropäischen Menschen als schön, den afri­ kanischen herabsetzend als hässlich. In einer Bildunterschrift schrieb er diffamie­ rend zum Profilbild eines Schwarzafrikaners: „Neger mit fast ‚tierhaft‘ ausgebildeter ‚Schnauze‘“.186 Um 1900 waren die Weiterungen, die die Nationalsozialisten mit dem Gedankengut der Reform trieben, noch nicht absehbar. Um 1900 – vor der Katastrophe des Ersten Welt­ krieges, vor der Verarmung eines Teils der europäischen Bevölkerung, vor den Exzes­ sen nationalistischer und faschistischer Politik und vor dem Ausbruch der russischen Revolution – glaubte man vielleicht sogar mit einem gewissen Recht an das kommen­ de Arkadien, an die bessere, alle glücklich machende Gesellschaft. Schönheit wurde nicht als Auslesekriterium gesehen, sondern als ein Ziel für alle Menschen. Eines Tages könne alle Hässlichkeit und alle Krankheit aus der deutschen und den europäischen Gesellschaften verdrängt werden.187 104

Die Bremer Kunstkritikerin Anna Goetze, die Anfang des 20. Jahrhunderts im Sin­ ne­der Reform für Bremer Tageszeitungen schrieb, formulierte 1905 unbefangen den Wunsch nach Schönheit – als Repräsentation von vollendeter Entwicklung. „Schönheit der Formen, Linien und Farben regt uns an, reizt uns auf, begeistert uns, macht uns größer; und wenn das meiste an Menschenmaterial, was wir in den Stra­ ßen sehen, mehr Entartung zeigt als Vollendung [sic!], so fühlen wir beim Anblick ei­ nes schönen Menschen, dass der Mensch geboren ist, um schön zu sein; und weil er uns dies Gefühl gibt, weil wir die Wahrheit des Wortes empfinden, dass Schönheit am höchsten empor zu führen imstande ist, darum lieben wir den schönen Menschen wie den Himmel! Dass Schönheit der Normalzustand ist, zu dem die Menschheit kommen soll, das beweist, wie Emerson sagt,188 das unablässige Streben der Natur, Schönheit zu errei­ chen, das zeigt uns das Ebenmaß mancher tierischer Gestalten: des Hirsches, des Pfer­ des usw., das zeigt uns die Rose in ihrer Vollendung.“ 189 Anna Goetze argumentierte darwinistisch. Der Zustand der Jetztzeit sein noch be­ klagenswert, aber mit den richtigen Maßnahmen würde man Schönheit erreichen. Die vollendete Schönheit, die Harmonie von Form und Inhalt, sei das natürliche Ziel der kul­ turellen wie biologischen Entwicklung. In der Rose und im Hirsch sei die Harmonie von Form und Inhalt, die Vollendung, bereits erreicht, beim Menschen jedoch noch nicht!

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Anna Goetze. Quelle: Sammlung Aschenbeck

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Allein die Amerikanerin habe eine höhere Evolutionsstufe bereits erklommen, ­behauptete Goetze. „Wir wissen, dass in dieser Beziehung die amerikanischen Frauen allen anderen weit überlegen sind. Hinsichtlich der Hygiene des Körpers, der Pflege des Geistes und der Seele, der harmonischen Ausbildung aller Kräfte steht wohl die ameri­ kanische Frau unerreicht dar. Dort finden wir die Ansätze zu dem Frauentypus, wie er sein sollte und wie er sein wird.“ 190 Bei der Amerikanerin, die von selbstbewussten Filmschauspielerinnen wie Louise Brooks oder wie Alice Joyce 191 in Europa sinnfällig vertreten wurde, bildeten Äußeres und Inneres eine Einheit. Die Schönheit war nicht aufgeschminkt und nicht anfrisiert – sie kam scheinbar von Innen heraus, sie erschien wie eine Vorwegnahme der Zukunft.192 Werbeanzeigen in den illustrierten Zeitungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nutz­ ten diese Idee von Schönheit. Spärlich bekleidete Frauen machen Werbung für unter­ schiedliche Produkte. Da der schöne Körper auf einen wahren und guten Kern verwies, wurden beliebige Produkte mit diesem Mechanismus verbunden. Zusammen mit einer nackten schönen Frau konnten auch die Produkte die Aura der Wahrheit und der Be­ deutung bekommen – so beispielsweise die Dienstleistungen einer Wiener Druckerei, für die 1910 mit einem nackten Frauenkörper geworben wurde.193 Auch für Markenartikel wie Persil oder das Parfüm 4711 wurden mit der Schönheit ­geworben.

Werbeanzeige für einen grafischen Betrieb aus dem Jahr 1910. Quelle: Österreichs Illustrierte Zeitung 1010, Heft 16, Seite 388

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Diese Wirksamkeit von Schönheit scheint heute selbstverständlich, doch gehört auch dieser Mechanismus zu den Errungenschaften der Reformzeit. Erst seit dem Um­ bruch um 1900 verweist Schönheit unbewusst auf Bedeutung. Schönheit wurde als das Ergebnis einer unbewussten Repräsentation gesehen, als Nachweis des wahren Kernes. Es ist nur folgerichtig, dass sich nach der Jahrhundertwende die Zeitungen und ­Illustrierten um Schönheit kümmerten. In Dresden wurde 1902 von Karl Vanselow der „Verlag der Schönheit“ gegründet; er war bis Anfang der 30er Jahre tätig. Verlagspro­

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Zeitschrift „Die Schönheit“, hg. von Karl Vanselow. 7. Band, Heft 10

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Junge schöne Frauen als Gäste des deutschen Großkaufmanns Max James Emden auf der damals privaten Insel Isola de Brissago im Lago Maggiore vor Ascona, um 1930. Quelle: Landmann 1979, S. 225 (und Cover)

dukte waren vorwiegend Bücher, Hefte und Fotografien aus den Bereichen Nudismus, Freikörperkultur, Nacktkultur, Erotik, speziell Aktphotographie, Aktmalerei, erotische Literatur. Das bekannteste Verlagserzeugnis war Die Schönheit, eine illustrierte Mo­ natszeitschrift für Kunst und Leben, die von 1902 bis 1929 erschien und von Karl Van­ selow herausgegeben wurde (nach dem Ersten Weltkrieg von Richard A. Giesecke).194 Man hätte die Zeitschrift auch „Wahrheit“ nennen können – die Begriffe ließen sich sy­ nonym zueinander verwenden. Es wird klar, dass Abbilder nackter Frauenkörper als Bauschmuck ausdrücklich erlaubt waren – sie waren eine Verkörperung von Wahrheit. Karl Hörmann fasst in „ ‚Glaube und Schönheit‘ – was blieb? Tanzkultur nach 1945“ die Schönheitsbegeisterung zusammen: 195 „Unter dem Begriff der Schönheit erschienen viel gekaufte und bilderreiche Bücher wie z. B. von Dora Menzler (‚Die Schönheit dei­ nes Körpers‘), Hedwig Hagemann-Boese (‚Über Körper und Seele der Frau‘), Fritz Gie­ se (‚Körperseele‘) und mehrere Bücher von Laban. In der mit jungen, sich im Wald, am Meer und auf Fels räkelnden nackten Gestalten vollgespickten Zeitschrift ‚Die Schön­ heit‘ wird in wortreichen Aufsätzen, die nicht selten von katholischen Geistlichen stammen, der nackte Leib – hauptsächlich der jungen Frau – idealisiert. Sie beschwö­ ren die hohe Sittlichkeit des gänzlich entblößten Körpers und seine naturhafte Gesund­ heit, die Voraussetzung für das antike Ideal eines ‚mens sana in corpore sano‘ sei, und berauschen sich an schneeweißem Mädchenfleisch, das in seiner enterotisierenden Unschuld zu priesterlich-göttlicher Reinheit und Gläubigkeit erbaue. Die Zeitschrift erlebt eine für die Verhältnisse jener Zeit immense Auflage […]. 108

Villa Emden. Foto um 1935. Quelle: Wikipedia

sohn aus Preßburg, Anhänger von Rudolf Steiners Mystizismus und Freimaurer […], hatte ein Kunststudium an der Hochschule für Künste in Paris begonnen, es aber nach einem Semester abgebrochen. Er nutzte die narzisstische Sehnsucht der zahl­reichen, meist gutbetuchten jungen Mädchen, indem er in Ascona den freien Tanz kreierte, in dem völlig nackt getanzt wurde und wo er beliebigen sexuellen Zugriff hatte.“ Vanselow, der mit Fidus befreundet gewesen sein soll, gab 1914 die Zeitschrift „Das neue Reich“ heraus, die allerdings nur in zwei Ausgaben erschien.196 Für „Das neue Reich“ zeichnete Fidus Teile der grafischen Arbeiten.197 „Das neue Reich“ war Ausdruck des um 1914 verbreiteten Wunsches, den idealen Staat endlich zu verwirklichen; unter den Bedingungen des Ersten Weltkrieges schien das Ziel plötzlich erreichbar. Vanselow war nicht der einzige, der im Krieg eine Heils­ vorstellung entwickelt hatte und der von einer besseren Zukunft fabulierte (wie wer­ den es gerade bei Max Brod noch lesen). Auch die Architekturvision, die auf dem den Titel der ersten Ausgabe abgebildet war, gehörte zu den um 1914 populären Tempel­ utopien. Ein in die Höhe strebender Rundbau, dessen Vorbilder vom Kölner Tautschen Glaspavillon bis hin zu Max Bergs Breslauer Jahrhunderthalle reichen. Der Wunsch, von schönen nackten Körpern zu profitieren, führte gerade auch am Lago Maggiore zu seltsamen Blüten. Max Emden (1874 – 1940), ein aus Deutschland ausgewanderter Kaufhausbesitzer, umgab sich auf den Brissago-Inseln, die im Lago Maggiore unweit von Ascona liegen, mit jungen Frauen, die ungezwungen nackt im Garten tanzten. Die Nacktheit sollte nicht nur die sexuellen Wünsche eines Millionärs befriedigen, sondern mit ihnen wurde daneben der Anspruch vertreten, nach Jahren des zermürbenden Großstadtlebens endlich die wahrhafte Existenz gefunden zu ha­ ben – und dieser einen angemessene Form zu geben.198

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Andere verbrämten ihre Schönheitstänze mit religiöser Subkultur. Ruth St. Denis tanzte indische Tempeldamen, Olga Desmond und ihr Liebhaber Adolf Salge stellten sich unbekleidet auf griechische Säulen und Podeste, andere zeigten, mit Masken be­ kleidet, ihre Brüste und schlüpften wie die skandalöse, aus Java zurückkehrende Hol­ länderin Mata Hari, Sent M’ahesa u. v. a. m. in exotische Gewänder. Laban, ein Offiziers­

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Der Berliner Architekt Alfred Breslauer (1866 – 1954) errichtete für Emden 1928 eine neo­ klassizistische, eigentlich durchaus unzeitgemäße Villa auf der Isola di Brissago. Aller­ dings ist nur die stilistische Behandlung unzeitgemäß (wenn auch durch die Beziehung auf Palladio durchaus charmant) – die großen Terrassen beiderseits des Baukörpers er­ innern an die Liegehallen der Sanatorien. Nackte, Frauenskulpturen auf der Attika des Baukörpers zitieren antike Vorbilder und verweisen gleichzeitig im Sinne des Zeichen­ systems der Reform auf die Wahrheit.

Die Macht der kleinen Dinge Um die Idee, dass kleine Dinge die große Bewegung vorantreiben, weiter zu verdeut­ lichen, kann ein Zeitungsartikel als Beleg dienen. Er wurde 1909 in einer Bremer Tages­ zeitung publiziert – und behandelt durchaus ein randständiges Thema: die Blume. Dennoch lässt sich an ihm das Denken der Zeit verdeutlichen. Bremen gehörte damals zu den Zentren der Reform. Zwar war Bremen auch in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts fest in der Hand der Historisten – der Maler und Dichter Arthur Fitger (1840 – 1909) und der Architekt Johann Georg Poppe (1837 – 1915) dominierten die Kunst der Hansestadt –, doch sammelten sich ab 1900 in der Stadt zahlreiche reformbewegte Kräfte, was spätestens nach der Gründung des Deutschen Werkbundes offenkundig wurde. Das Mitgliederverzeichnis des Werkbundes nennt auffällig viele in Bremen ansässige Mitglieder (in der größeren Nachbarstadt Hamburg lebten deutlich weniger).199 In diesem der Reform aufgeschlossenen Bremer Rahmen lebte und arbeitete die Schriftstellerin und Journalistin Anna Goetze (1859 – 1943), die nach Aufenthalten in der Schweiz und in München-Schwabing (Blütenstraße 3) im Jahr 1900 nach Bremen gekommen war.200 Am 14. April 1901 schrieb Anna Goetze im Bremer Tageblatt über „Die Pflege der Blu­ me als künstlerisches Erziehungsmittel“. Sie nimmt die Blume als Detail, um mit deren Wirkung den Menschen zu verbes­ sern. Die Autorin musste 1901 den Lesern noch erklären, weshalb ausgerechnet die „Blumenpflege“ von Bedeutung sei. „Es ist eine Thatsache, die auf den ersten Blick viel­ leicht befremdlich erscheinen mag, dass von jenen Männern resp. Vereinen, deren Thä­ tigkeit auf dem Bestreben basiert, die Kunst dem Volke wieder nahezubringen, neuer­ dings ganz besonders die Wichtigkeit einer rationellen Blumenpflege hervorgehoben wird.“ 201 Aber schon in England, so Anna Goetze, stehe das Blumenmotiv im Vordergrund der dekorativen Kunst (und sie meinte damit nicht die Ausprägungen des Jugend­ stils). Die Bevorzugung der Blume sei keine beliebige Modeerscheinung, sondern eine ziel­gerichtete Strategie. Über das Kopieren der Natur soll nach Erfolgen in England nun auch in Deutschland ein natürlicher Weg des Kunstgewerbes, solle eine nach den Natur­gesetzen begründete Ästhetik geschaffen werden. „Wenn sich nun die Ansicht erst einmal völlig durchgerungen hat, dass eine Ausbil­ dung des Formen- und Farbensinnes unseres Volkes zu den unbedingt notwendigen 110

Die Macht der kleinen Dinge

Forderungen einer neuen im Werden begriffenen Bildung gehört, so wird man auch er­ kennen, dass der einfache Weg, den die Natur uns nach dieser Richtung hin zeigt, der sicherste und zweckmäßigste ist.“ 202 Wie kann nun die Ausbildung des Farben- und Formensinnes der Menschen ver­ bessert werden, wie kann die Entwicklung von Kleinen zum Großen in Gang kom­ men? Anna Goetze gab die Antwort: Durch in Klassenzimmern aufgestellte Blumen­ sträuße würden Kinder ganz unmittelbar zu den Zielen der Reform geleitet. Durch den täglichen Anblick der Blumen würden sie ein neues Sehen lernen, würden sie ganz unbewusst ein neues, als richtig verstandenes Bewusstsein bilden. „In manchen Großstädten, in Hamburg z. B.“, so belegte Goetze ihre These, „hat man angefangen, Schulkindern für wenige Pfennige (um den Schein der Wohltätigkeit zu vermeiden) Sämereien zur Verfügung zu stellen. Der Zweck dieses Unternehmens ist, die Kinder zu veranlassen, zu Hause ihre eigenen Versuche in der Blumenpflege zu machen. Auch wurden für die Schulen Vasen gestiftet, einfache preiswerte oder hübsch geformte und unter der Aufsicht von Künstlern angetönte Töpferware, in denen die Kinder ihre ab­ geschnittenen Blumen ordnen lernten, um so Auge und Geschmack zu bilden und zu­ gleich dem Schulzimmer zu einem freundlichen Schmuck zu verhelfen. […] So bietet die lebende Pflanze das beste Material für den Anschauungs-, den Zeichnen- und Mal­ unterricht, und ihr Studium ist, – wie unsere jährlichen großen Kunstausstellungen beweisen – ein sicherer Weg, auf welchem unser Kunstgewerbe sich wieder befreien kann von schablonenhafter, manierierter und geistloser Imitation missverstandener alter Formen. Auch der Geschmack des großen Publikums betreffs aller Erscheinungen des täglichen Lebens kann durch die Pflege der Blume gehoben und geläutert werden; leider müssen wir es uns doch sagen, dass es mit demselben trotz des hohen Standes unserer Kunst im ganzen noch recht schlecht bestellt ist.“ 203 Aus der Pflege der Blumen entsteht gleichsam automatisch ein neuer, die Wahr­ heit repräsentierender, Bedeutung tragender Kunststil. „Geistlose Imitationen“, das heißt die Formen einer mittelbaren, intellektuellen und damit unechten Repräsenta­ tion, werden vermieden. Das Aufstellen von Vasen, in denen die Kinder selbstgepflück­ te­Blumen ordnen können, sollte eine Initialzündung des Spiralkreislaufs der Lebens­ reform sein, eine Initialzündung, die vor allem bei möglichst jungen Kindern Erfolg versprach. Das Aufstellen von Vasen sei eben ein „sicherer Weg“ aus dem gescheiterten Repräsentationsmodell Historismus heraus. Das Ordnen, Betrachten und womöglich Nachbilden von Schnittblumen als pädago­ gische Maßnahme in Klassenzimmern ist jedoch nur eine Hälfte der von Anna Goet­ ze vorgestellten Strategie der Ausbreitung der Lebensreform durch Blumenschmuck. Auch in die umgrenzten Gärten, diese ausgelagerten Zimmer des Bürgerhauses, soll die Blume zu rückkehren und auf den Menschen wirken. „Betrachten wir nur einmal die durchschnittliche Anlage unserer Stadtgärten. Die­ selbe bildet mit dem Hause oft nur insofern eine Einheit, sagt Alfred Lichtwark, als beide gleich geschmacklos sind. […] Wir Deutsche zeigen im allgemeinen eine ganz be­ sondere Vorliebe für den sogenannten englischen Gartenstil und machen es uns dabei durchaus nicht klar, wie lächerlich es ist, denselben auf die kleinen Verhältnisse eines Stadtgartens übertragen zu wollen. Wagt man es, die Ansicht auszusprechen, dass ein

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Bauerngarten mit geradem Wege in der Mitte und üppigen bunten Blumenbeeten viel schöner und malerischer sei als auf winzige Verhältnisse übertragene glatte Rasen­ plätze mit kleinen Anhöhen, Teichen, Springbrunnen usw. so kann man sicher sein, als höchst ‚geschmacklos‘ und ‚unkünstlerisch‘ angesehen zu werden. Es ist indessen unbedingt nothwendig, die Blume wieder in ihre verlorenen Rechte einzusetzen und sie wieder in unsere Gärten einzubürgern.“ 204 In den englischen Gärten werden Natur und Ursprungsbezug nur simuliert. Weder die mittelbare noch die unmittelbare Repräsentation erweisen sich als glaubhaft. Aus­ gerechnet die Blumen im Bauerngarten hingegen erscheinen wie zufällig gewachsen. Die vom Menschen hineingelegten geraden Wege verdeutlichen nur die Natürlichkeit der einzelnen Blumen. Die Blume als solche, egal ob in der Wohnung oder im Garten, sei ein „edles Ding“. Es ist kein vom Menschen angefertigtes Ding, dem erst eine Bedeutung zugewiesen werden müsste, es ist ein „edles Ding“ an sich, ein Vorbild für alle vom Menschen zu schaffenden Dinge. Die Bremer Möbelgestalterin Elisabeth von Baczko (*1864) 205 – sie selbst nannte sich Innenarchitektin – schrieb gelegentlich im Bremer Tageblatt über Reformthemen. Die Schülerin von Paul Schultze-Naumburg und Freundin von Anna Goetze besprach im Januar 1911 die in der Bremer Kunsthalle ausgestellte Entwürfe des Gartenarchitek­ ten Friedrich Gildemeister. In ihrer zustimmenden Beurteilung der Entwürfe lehnte sie die „kalten Rasenflä­ chen“ ab, die man in den Gärten der Vorstädte allzu häufig sehe, und hob Gildemeisters „bunte“ Blumenbeete hervor. „Da ist nichts mehr von den üblichen kalten Rasenflächen […] von den obligatorischen Teppichbeeten, wo blaue Lobelien mit roten Pelargonien mit rührender Selbstverständlichkeit abwechselten, sondern ein ganzes Heer bunter Blumen ist mit großer Farbenfröhlichkeit wieder eingezogen. Alles blüht und rankt ab­ wechselnd, sich gegenseitig ergänzend und ablösend.“ 206 Die Blumen in den Beeten standen als Metapher für ein fröhliches, d. h. nicht von Strategie und Kalkül durchfurchtes Leben.207 Der Künstler blieb bei den Gärten selbstverständlich im Hintergrund. Die unmittel­ bare, aus dem Unbewussten erwachsende Fröhlichkeit konnten mit Überlegung und Plan eingesetzte Künstlerhände eigentlich nur stören. Die Blumen selbst waren es, die sich „ergänzten“, die unbeschwerte „Fröhlichkeit“ zeigten. Der Mensch sollte nur die Grundlagen schaffen, damit die Blumen ihre ganze Farbigkeit entfalten können. Der Blick des Betrachters sollte auf das Wesentliche, das Naturgegebene begrenzt bleiben. Künstlerabsichten hatten zurückzutreten. „Es ist gewiss der Mühe werth, sich mit dieser Sache zu befassen, denn wenn eine der Hauptaufgaben unserer nationalen Erziehung darin besteht, die Freude an der Be­ schäftigung mit edlen Dingen zu entwickeln, dann muss der Pflege der Blume im deut­ schen Hause eine wichtige Rolle zufallen. Je tiefer wir in das Wesen der Blume wie­ der eindringen, desto stärker wird in uns die Empfindung für die Schönheit und den Adel ihrer Form, besonders der einfachen unveredelten Blume, die durch die Mode der künstlich gezüchteten Specialitäten und Spielarten verloren gegangen ist, wieder ­geweckt werden.“ 208 112

Die Macht der kleinen Dinge

Die Menschen, so Anna Goetze, sollten sich vertieft mit den Dingen beschäftigen, die naturgegeben eine unmittelbare Repräsentation leisteten. Sie sollten in das Wesen dieser Dinge eindringen, sollten also nach dem Inhalt suchen, auf den, in diesem Fall, die Blume, verwies. Die Logik, der ein wahrhaftiges individuelles Leben und eine wahrhaftige Kultur folgen müssen, werde, so dachten Reformer wie Anna Goetze, durch die urwüchsigen Formen und Farben, durch die Zeichen der Natur, vermittelt. Anna Goetze vertrat die Meinung, dass der Mensch, sobald er Züchtung betreibe, die innere Qualität der Pflanze, die Logik der Natur, wieder verdecke, sie verwische. Hier entdecken wir einen auffälligen Gegensatz: Während Goetze die Natürlichkeit der Blume voranstellte, von der einfachen, unveredelten Blume sprach, forderte sie die notwendige Veredlung des Menschen. Zwischen der Blume und dem Menschen be­ stand eine deutliche Trennung. Denn der Mensch hatte sich über die Natur erhoben, er handelte nicht mehr mit unbewusster Natürlichkeit. Vielmehr schien er kulturell (oder vielleicht besser: zivilisatorisch) deformiert, müsse seine Natürlichkeit erst über den Prozess der Veredlung wiederfinden, müsse sich erst wieder in den Gang der natürli­ chen Evolution einreihen. Die Veredlung des Menschen bedeutete Regression zur Natur. Anna Goetze forderte deshalb, den Blick für die einfachen Blumen zu schärfen, in ihnen das Edle, die Wahrheit zu entdecken, was der Mensch in sich selbst erst mühsam wiedererkennen müsse. „Welche beklagenswerten Folgen aber diese Empfindungs­ losigkeit gegenüber den edlen Formen und reine Farben der Natur für uns gehabt hat, lehrt uns am besten ein vergleichender Blick auf unser Kunstgewerbe und auf das frü­ herer Jahrhunderte oder Jahrtausende. Da zeigt es sich auf das deutlichste, wie sehr uns die Natur, die Thier- und Pflanzenwelt fremd geworden ist. Zu welch‚ innigem Ver­ hältnis stand der Mensch früher zu ihr; wie ein dringlich redete ihre Sprache zu ihm; wie wurde sie ihm zum Sinnbild dessen, was ihr Anblick in ihm zum lebendigen Be­ wusstsein erweckte: der Gottheit und ihrer waltenden Kräfte! Blüthen, Blattformen, Thiergestalten sind daher stets die stylistischen Motive gewesen für die Sprache der Völker in ihrer Kunst, die zunächst dem Cultus und dann dem Schmuck des Hauses, der täglichen Geräthe, diente.“ 209 Die Autorin wünschte sich ein inniges Verhältnis des Menschen mit den Blumen, mit der Natur. Die unbewussten Formen der Natur sollten vom Menschen übernommen werden als die Symbole der eigenen Kultur. Dahinter ver­ barg sich die Vorstellung, dass die eigene Kultur genauso unbewusst wachsen könne wie eine Pflanze, dass eine Analogie bestehe zwischen naturgesetzlicher Pflanzenwelt und naturgesetzlicher Kultur. Auch im Menschen sei genau wie in der gewöhnlichen Blütenpflanze das Echte, das Wahre verborgen. Der Mensch müsse nur erst in das eigene Wesen eindringen. Doch diese radikale Selbstbeobachtung war schwerlich möglich. Allein über die Betrach­ tung der umliegenden Natur ließ sich das Ziel erreichen: die Freilegung des von der Zivi­lisation verschütteten wahren Ichs. Das Erkennen des Wahren in der Blume war also die erste Etappe zum Erkennen des Wahren im Menschen. Dagegen waren die synthetischen, die von der Zivilisation geschaffenen historisti­ schen Ornamente abzulehnen: Sie standen in keiner Beziehung zu den inneren, den na­ türlichen Werten, sie verdeckten die eigentliche Werte, sie führten auf falsche Fährten.

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„Allmählich kommt die Lächerlichkeit und öde Leere des missverstandenen und sinn­ los angewendeten Ornamenten-Wustes uns wieder zum Bewusstsein, und da wird es uns klar, dass es nur einen Weg gibt, der aus dem Wirrwarr heraus zuführen vermag, das ist die Rückkehr zur Natur, dahin, von wo jede Kunst ihren Ausgang genommen hat. […] Also zurück zur Natur, zu unserer Heimath!“ 210 1901 wurde wie in Ascona auch in Bremen der völlige Neuanfang gefordert; das ­Leben in der Natur, das bäuerliche Leben beispielsweise 211, wurde als die Grundlage einer neuen, besseren Kultur gesehen. „Wir brauchen neue lebendige Formen und sind auf dem besten Wege sie zu finden, indem wir uns das ganze weite Reich der ewig jungen Natur zu rückerobern und ihrem unerschöpflichen Reichthum immer neue Motive entnehmen. Klematis und Krokus, Tulpen, Alpenveilchen und Margueritas, Kastanienblätter, Kornblumen usw. haben bewiesen, dass sie bei richtiger Behandlung genau so gut decorativ verwendbar sind wie die Akanthus und die schlanke von der Natur selbst schon stylisiert zu sein schei­ nende Lilie. Es gilt sich nur recht in die Natur, in das Kleinleben derselben zu vertie­ fen [sic!], um ihre Sprache wieder verstehen zu lernen; darum ist es ein sehr richtiges Vorgehen unserer Pädagogen und Volkserzieher, der Jugend die Natur, die Thier- und Pflanzenwelt wieder nahe zu bringen und die Blumenpflege in der Schule einzubür­ gern, damit sich das Kind zuerst unbewusst und dann bewusst in ihre wunderbare Formen- und Farbenwelt einleben kann. Sind doch die Eindrücke der Jugend bleibende, die im späteren Leben entscheidend mitsprechen. Kennen wir aber die Flora und Fau­ na unserer Heimat genau, so wird sich ganz von selbst der rechte Weg zum Stylisiren, d. h. zum Zuschneiden der Natur für rein künstlerische Zwecke zeigen.“ 212 Erst nach dem Vertiefen in das allgemein Wahre der Blume können die Menschen die geheime, also die göttliche Sprache verstehen; ein Verstehen, das zuerst unbewusst geschieht, jedoch bewusst werden muss, wenn der Mensch die Natur für seine Zwecke zuschneiden, wenn er eine neue, wahrhaftige Kultur schaffen will. Dem naiven Be­ trachten folgt das Verstehen, dem Verstehen das Neuschaffen – so der sich aufschau­ kelnde, immer rekursive Kreislauf der Reform. Ein Neuschaffen von Kunst oder Kunstgewerbe ohne vorher die Natur studiert zu haben, würde hingegen zu Ergebnissen führen, deren unmittelbare Repräsentation nicht gelingen kann, die also nicht Ausdruck einer gesellschaftlichen Wahrheit, höchs­ tens Ausdruck einer gesellschaftlichen Lüge sind. Das „Verstehen“ der Blume oder der Natur allgemein, das Aufspüren des transzendenten Kerns und das anschließende Ziehen einer Analogie zur menschlichen Natur, wurden als Voraussetzungen für eine ­gelingende Reform des Lebens und der Gesellschaft gesehen. Die Natur wurde damit auch Vorbild für eine neue Architektur. Die einfache Nach­ bildung der Blume als Fassadenschmuck blieb jedoch in der Reformarchitektur eine Ausnahme. Zu sehr erinnerte das Blumenmotiv an den Jugendstil. Vielmehr versuch­ ten die Reformer die Architektur als Ganzes wie ein Stück Natur erscheinen zu lassen. Um 1910 ließen die Reformarchitekten die Häuser mit grauem Rauputz zu verse­ hen. Dieser Putz sollte nicht gestrichen werden, sondern bekam im Alter eine Patina von Flechten und Algen. Ein Bauwerk sollte so ehrlich, echt und natürlich wirken wie ein Stück Fels, wie ein alter Baumstamm, wie ein aus dem Boden gewachsener Pilz. 114

Bruno Taut, Glaspavillon auf der Kölner Werkbund-Ausstellung 1914 . Quelle: Wikipedia

Bedeutung abzusichern, gehört das Anbringen von Rankhilfen an der Fassade. Aber auch tief heruntergezogene Dächer, die ein Haus bodenständig erscheinen ließen, gro­ ße Terrassen, die zwischen Innenraum und Außenraum vermittelten, Pergolas, mit ­denen Außenräume umgrenzt wurden oder seitliche Strebepfeiler, die die Tektonik des Hauses verbildlichten, gehörten zum Instrumentarium der Reformarchitekten. 1914 schuf Bruno Taut mit dem Kölner Glaspavillon eine bildhafte Interpretation der Vorstellung, dass Architektur eine der Natur entlehnte Logik haben müsse: er ­baute das Haus als Knospe.

Die Macht der kleinen Dinge

Zu den architektonischen Kunstgriffen, um eine Naturnähe herzustellen, um somit

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Zusammenfassung I Die Angst vor der Tuberkulose führte im Zusammenhang mit einem Bedeutungsver­ lust nach der Supernova der historistischen Dekoration zu einer Implosion des Archi­ tektursystems der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Über Regression und über die Etablierung einer eines neuen Repräsentationsmodells wurde ein neues Architektur­ system geschaffen – in dem (anfänglich) der Mensch im Mittelpunkt stand. Architektur repräsentierte den idealen oder den degenerierten Menschen, den Übermenschen oder den Kranken. Architektur bekam aber auch die Kraft zugespro­ chen, den Menschen zu erziehen und zu formen (im guten wie im schlechten Sinne). Nur eine Architektur, bei der die unbewusste Repräsentation eines „wahren“ Kerns (des gesunden Menschen) funktioniert, werde eine gute oder richtige Gesellschaft ­formen. Mit diesem Modell bekam Architektur eine neue Rolle im Gemeinwesen: Architek­ tur war die Maschine für den besseren Menschen und damit für die bessere Gesell­ schaft. Man sprach damals vom „Übermenschen“ oder von der „Veredlung der Arbeit“ als Ziele. Aber Architektur stand in dieser Rolle nicht alleine: Alle Dinge, die vom Menschen gestaltet wurden, konnten „Wahrheit“ repräsentieren, konnte Zeichen von Vered­ lung oder Degeneration sein; und sie konnten die Wirkung der Gesundungsmaschine ­A rchitektur unterstützen. Voraussetzung für das Funktionieren der „guten“ Gestaltung war allerdings das Einhalten scheinbarer natürlicher Gesetzmäßigkeiten. Ein Haus sollte in der Vorstel­ lung der Reformer vor 1918 quasi wie von selbst aus dem Boden wachsen, ein kunstge­ werblicher Gegenstand sollte ebenfalls wie an seinem Standort gewachsen erscheinen. In dem Denken der Reform wurde – in letzter Konsequenz – auch der Mensch ein Repräsentant seines inneren Kerns, seiner Gesundheit. Der schöne Mensch, der natür­ lich aufgewachsenen ist, von keiner falschen Zivilisation geschädigt und deformiert, wird Teil eines schönen Gemeinswesens. Zusammen mit den „schönen“ Dingen bildet er einst den idealen Staat. Das Funktionieren der unbewusste Repräsentation, bei der Schönheit zur Nach­ weis der Wahrheit wurde, konnte auf allen Ebenen – vom Gebrauchsgegenstand bis zum menschlichen Körper und bis zur menschlichen Seele – durchdekliniert werden.

1 Clara Wilhelmi, die Frau des Gründers der „vegetari- dieh natürlich gerade auch in den Städten – aber es war schen Obstaukolonie Eden“ in Oranienburg in einem Brief eine systemimmanente und damit gewohnte Kriminalität, des Jahres 1894: http://www.eden-eg.de/Galerie_Gruen- nicht der unbekannte Schrecken des Draußen.  8  Robert dung/slides/grue%20(5).html, Abruf 7. 7. 2013.  2  Didem Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, Band I, Hamburg Ekici 2008 , S. 401.  3  Sigmund Freud: Traumdeutung, 1978 / 1987, S. 10.  9  Lewis Mumford: Die Stadt, Geschich(Wien [1899] 1900) Frankfurt 1971, S. 12.  4  Freud 1900, te und Ausblick, Band 1, München 1979, S. 625.  10 Lewis S. 50.  5  Freud 1900, S. 51.  6  Adolf Loos: Ornament und beschreibt bereits 1961 sehr treffend in seiner Geschichte Verbrechen, Wien 1908 / 2000.  7  Dieses Gefühl musste der Stadt den Einfluss der Banken und des Kapitals auf jedoch nicht der Realität entsprechen. Kriminalität ge- das Werden der Metropole. Mumford 1961 / 1979, S. 626 f.

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Anmerkungen

Auch Werner Hegemann weist in „Das steinerne Berlin“ deckung der Cholera- und Tuberkulose-Bakterien widerbereits 1930 auf die Prägung der Architektur durch Finan- legten die Miasmen-Theorie, die sich jedoch in der Bevölzierung hin. Vgl. Werner Hegemann: Das steinerne Berlin, kerung noch lange hielt. 21 Müller-Wulckow 1919, S. 49. Berlin 1930, Braunschweig / Wiesbaden 1988 , siehe 22  Müller-Wulckow 1919, S. 49 f. 23 Walter Benjamin: ­beispielsweise die Kapitel „Der Fünf-Milliarden-Schwindel „Ein Jakobiner von heute. Zu Werner Hegemanns ‚Das steiund die Berliner Bau- und Bodenspekulation“ (S. 243 ff.), nerne Berlin‘“, in: Gesammelte Schriften, Bd. III , Kritiken hier S. 256: „Seit 1871 wurde Berlin überschwemmt mit und Rezensionen, hg. von Hella Tiedemann-Bartels, ‚Baugesellschaften‘, deren hauptsächliches Geschäft die Frankfurt 1972, S. 260 – 265, hier zitiert nach dem Abdruck Bodenspekulation wurde. Soweit überhaupt gebaut wur- als Vorwort in Hegemann 1930 / 1988 , ohne Seitenangade, kam es weniger den neuen Landhaussiedlungen als be. 24 Benjamin 1930 / 1988 , ebd. 25 Die Werbung des der Innenstadt zugute, wo sich die Bauabsichten häuften. Reformkaffees „Kaffee HAG “ setzte hier an: Auf Plakaten Einige wurden ausgeführt. Ihre heute noch erhaltenen wurde behauptet, dass entkoffeinierter Kaffee die NervoÜberreste erwecken wenig Ehrfurcht vor der wirtschaft­ sität des Großstädters mildern könne. Siehe Abbildungen lichen und künstlerischen Kraft des milliardenreichen Ber- in Hans Tallasch: Projekt Böttcherstraße, Delmenhorst lin nach dem siegreichen Krieg.“ 11 Die Begriffe „wahr“ 2002, S. 259 f. 26 Johann Wolfgang von Goethe: Brief an und „falsch“ folgenden dem Wertespektrum, das die Re- Charlotte von Stein, „Münster den 3. Okt. Sonntag Abends“, former gesetzt hatten. Architektur ist per se wertfrei, wird in: Goethe (1779) 1988 , Hamburger Ausgabe, Briefe, Bd. nur durch eine Bedeutungszuschreibung „wahr“ oder 1, S. 275 27 Das Haus als Repräsentation des Ursprungs. „falsch“, „gut“ oder „schlecht“. Auch das Argument, dass Frühe Schweizerhaus-Entwürfe zeichnete Karl-Friedrich die Nutzbarkeit ein objektives Kriterium ist, ob es sich um Schinkel; er errichtete 1830 mit dem Gärtnerhaus auf der gute oder schlechte Architektur handelt, greift nicht. In Potsdamer Pfaueninsel ein frühes Beispiel. 28 Ingo Krüder Architekturgeschichte wurden oftmals Objekte, die ger: Landhäuser und Villen in Berlin und Potsdam, Band sich kaum nutzen ließen, als herausragende Architektur 5: Dorf Klein Glienicke, Glienicker Schlösser, Bremen o. J., bezeichnet.  12  In Bremen verkörperte der Bauunterneh- S. 14 ff. 29 Artikel aus „Deutsche Wacht“, wiedergegeben mer und Brauerei-Mitbesitzer Lüder Rutenberg den kapi- in: „Deutsche Volksstimme“, Bd. 1, Nr. 8 , 1896 , S. 92 . dazu die Ausführungen zur Geschichte des talstarken Zinshaus-Bauherren. Er errichtete in Bremens 30  Vgl.  östlicher Vorstadt ganze Straßenzüge, bebaut mit Bremer Schweizer Sanatoriums in­­ Miller 1992 , dt. Teil, S. 13 ff. Reihenhäusern, geschmückt im Stil von Renaissance oder 31  Adolf Lozowski: Die Geschichte von Bad Lippspringe, Klassizismus. Obwohl es Formen aus dem Katalog waren, Vom Tuberkulose-Kurort zum Allergie-Heilbad, eine liteobwohl sie allein appliziert waren, um die Vermiet- oder rarisch-medizinhistorische Studie, Diss., Düsseldorf 1992, Veräußerbarkeit der Häuser zu erhöhen, gehören die Stra- S. 112. 32 Brehmers 1853 veröffentlichte Dissertation trug ßenzüge heute zu den sehenswertesten der Stadt. den Titel „De legibus ad initium atque progressum Vgl. dazu Horst Kalthoff: Die Rutenbergs, Heidelberg ­tuberculosis pulmonum spectantibus, Über die Gesetze 2008 . 13 Müller-Wulckow 1919, S. 62; Wann der Vorfall der Entstehung und des Fortschreitens der Tuberkulose mit dem herabgestürzten Stein geschah, schreibt Mül- der Lunge“. 33 Vgl. Angaben in Lozowski 1992 , S. 54 . ler-Wulckow nicht. 1922 bekam die Baumwollbörse eine 34  Božo Benedik, Leopold ­Kolman, Bled in Arnold Rikli, stark vereinfachte Sandstein-Fassade – nun ohne womög- Bled 2000. 35 Arnold Rikli: ‚Es werde Licht‘ und Es wird lich Passanten gefährdende Dekorationen. 14 Müller-­ Licht! oder Die atmosphärische Cur. Ein Beitrag zur natürWulckow 1919, S. 62. Auch Müller-Wulckow benutzt eine lichen Gesundheitslehre, Leipzig 4 . 1894 . 36 Rikli 1894 , Krankheits-Metapher!  15  Theodor Fontane: Der Stechlin, S. 4 . 37 Vgl. Rikli 1894 , S. 5. 38 Zdenko Lebental: „Arnold Berlin 1910 / 1983, S. 136. 16 Elisabeth Dietrich-Daum: Die Rikli aus Wangen, 1823 – 1906, und seine ‚athmosphäri„Wiener Krankheit“. Eine Sozialgeschichte der Tuberkulose sche Kur‘“, in: Jahrbuch des Oberaargaus, Bd. 20, 1977, in Österreich, München und Wien 2007, S. 105. 17 Die- S. 133 – 144 , hier S. 139. 39 Vgl. Rikli 1894 , S. 29. 40 Rikli trich-Daum 2007, S. 105. Auf Seite 107 nennt sie die Mor- 1894 , S. 32. 41 Adolf Just, Kehrt zur Natur zurück! – Die talitätsraten für europäische Großstädte. Sie lagen um neue, wahre naturgemäße Heil- und Lebensweise. Was1900 zwischen 17,6 und 45,6 Tuberkuloseverstorbene auf ser, Licht, Luft, Erde, Früchte, wahres Christentum usw., 10.000 Einwohner. 18 Mehr noch: „Für 1910 kann be- Stapelburg / Harz 51903 . 42 Just 51903 , Vorwort zu ershauptet werden, dass die Tuberkulosesterberaten in ten Auflage, Ostern 1896) Just beschreibt die VergangenAgrarstaaten allgemein höher waren als in Industriestaa- heit als eine kalte, dunkle Grabesnacht, gegen die das ten.“ Dietrich-Daum 2007, S. 105; sie beruft sich auf G. Licht der neuen Zeit tritt. „Die nachfolgenden Blätter lehWolff: „Tbc-Sterblichkeit und Industrialisierung“, in: T. Lei- ren eine nach allen Seiten hinausgeführte neue, wahre part (Hg.): Die Arbeit, Berlin 1927, S. 691. Man erkennt naturgemäße Heil- und Lebensweise.“, S. XI , „An den auch hier, dass kulturelle Zuschreibung und Realität nicht ­Leser!“. 43 Just 1903 , Einleitung. 44 Just 1903 , S. 11. deckungsgleich sein müssen, dass sie sich oftmals sogar 45  Just 1903 , S. 12 . 46 Just 1903 , S. 61. 47 Just 1903 , widersprechen. 19 Flurin Condrau: Lungenheilanstalt S. 63 f. 48 Auch im S ­ anatorium von Hartungen am Garund Patientenschicksal. Sozialgeschichte der Tuberkulose dasee, in dem Thomas und Heinrich Mann und auch Franz in Deutschland und England im späten 19. und frühen Kafka zu den Patienten gehörten, standen Licht-Luft-Hüt20. Jahrhundert, Göttingen 2000, S. 210. 20 Erst die Ent- ten. Albino Tonelli: Ai confini della Mitteleuropa, Il Sanato-

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rium von Hartungen di Riva del Garda, Dai fratelli Mann a Kafka gli ospiti della cultura europea, Trento o. J., eine Abbildung der Licht-Luft-Hütten von Riva auf Seite 82 . 49  Just 1903, S. 65 50 Just 1903, S. 239 51 Emma Emmerich, Vorwort zur zweiten Auflage von Henry David Thoreaus Roman Walden, München 1903 52 Lebental 1977, S. 137 53 Aber auch die Vorstellungen, die heute selbstverständlich sind, müssen keine tatsächliche Wahrheit repräsentieren. Wir müssen vorsichtig sein, die Menschen Anfang des 20. Jahrhunderts auf dem Weg zu Wahrheit zu sehen; mit dieser Sichtweise würden wir der Propaganda der Reform auf den Leim gehen. 54 Didem Ekici, „From Rikli’s light-and-air hut to Tessenows’s Patenthaus. Körperkultur and the modern dwelling in Germany, 1890 – 1914“, in: The Journal of Architecture, Volume 13, Nr. 4 , S. 379 – 4 06 55 Ekici 2008 , S. 388 56 Siegfried Giedon: Die Herrschaft der Mechanisierung, 1948 / 1987, S. 745 . Vier Seiten später zeigt Giedion den Schnitt eines Mietshauses in Chicago, das 1891 errichtet worden war: Es zeigt eine Badewanne, einen Waschtisch, ein WC und eine Heizung auf jeder Etage an derselben Stelle (S. 749). 57 Zur Mühlen 1908 , S. 96 58 Zur Mühlen, 1908 , S. 101 59 Vgl. den Beitrag von E. Kupffer: „Projekt für ein bei Riga zu errichtendes Lungensanatorium“, in: Zur Mühlen 1908 , S. 113 f. 60 E. Kupffer, a. a. O., S.  114 61 Der in Hamburg 1875 gebürtige Walther Koch hatte sich, offenbar selbst Lungenkrank, 1898 in Davos niedergelassen. Er arbeitete als Grafiker, Maler und Innenarchitekt. Er starb 1915 in Zürich. Zu seinen Werken gehören auch Plakate für den Schweiz-Tourismus. http://www.sikart.ch/KuenstlerInnen. aspx?id=4025643&lng=de, Abruf 9. 7. 2013. 62 Eine Abbildung und Beschreibung in Nils Aschenbeck: „Im ­Zeit­alter der Hygiene“, in: Gerhard Kaldewei (Hg.): Lino­ leum – Geschichte, Design, Architektur 1882 – 2000, Ostfildern-Ruit 2000, S. 140 – 161, Abbildung der Architektur und des Speisesaals auf S. 141 63 Die Delmenhorster Linoleumfabrik „Ankermarke“ hatte das Linoleum geliefert. Im Speisesaal lag ein Linoleumbelag mit einem Muster des Bremer Architekten Carl Eeg. Vgl. Aschenbeck 2000, S. 140 64 Bereits 1899 hatten die „Deutschen Linoleumwerke Hansa“ die Druckschrift „Linoleum – der Idealfußboden für Krankenräume, Kliniken, Wohlfahrts-Anstalten, Schulen, Hotels, Geschäfts- und Privaträume“ anlässlich des „Berliner Tuberkulose Kongresses“ herauausgegeben. Darin heißt es: „Dem praktischen Arzt muss am Linoleum eine seiner Haupteigenschaften schon von vornherein ganz besonders wertvoll erscheinen; das ist die vollständige Undurchdringlichkeit für flüssige und feste Stoffe ­irgend welcher Art. […] Wasser, Medikamente, Blut, Sekrete aller Art, Schmutz, Staub, Bakterien – alles bleibt auf der Oberfläche und kann mühelos entfernt werden durch Wasser, Seife und Bürste, oder auch durch desinfizierende Säuren. […] Man denke dagegen an die Fugen und Risse der Holzböden, welche alle schädlichen Stoffe in sich aufnehmen, festhalten und später in Staubform wieder von sich geben! Selbst Steinplatten können in dieser Beziehung mit dem fugenlosen Linoleumboden nicht konkurrieren; denn auch der Stein ist porös und die vielen

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Fugen bieten viel mehr Sammelpunkte für gesundheitswidrige Substanzen, als mit unseren heutigen Begriffen von richtiger Gesundheits- und Krankenpflege vereinbar.“ Archiv Armstrong DLW , Werk Delmenhorst 65 Mann (1924) 1984 , S. 72 66 Vgl. Ekici 2008 , S. 401 67 Quintus Miller: Le Sanatorium, Architecture d’un Isolement Sub­ lime, o. O. 1992 , deutscher Anhang. S. 16 68 Richard Döcker: Terrassentyp – Krankenhaus, Erholungsheim, Hotel, Bürohaus, Einfamilienhaus, Siedlungshaus, Miethaus und die Stadt“, Stuttgart 1929 69 Döcker 1929, S. 3 70  Döcker 1929, S. 32 f.  71 Döcker 1929, S. 139 72 Siegfried Giedion: Befreites Wohnen, Zürich 1929, Frankfurt am Main 1985, S. 15   73  Mays Wildwest-Geschichten wurden nach 1890 populär – als Schilderung einer Eroberung der Wildnis durch eine noch archaische Zivilisation. Derartige Geschichten, die beispielsweise auch Hermann Löns verfasst hatte, belebten die Phantasie der Tannenwald-Beobachter.  74  Pauli 1936, S. 115 ff. 75 Hans Castorp las Werke über “Anatomie, Physiologie und Lebenskunde“. Vgl. Mann (1924) 1984 , S. 289 76 Auch auf dem „Zauberberg“ wurden vermutlich Nietzsche und Langbehn gelesen. Zumindest lässt sich eine Textstelle entsprechend deuten: „Dann und wann trat ein Buch, eine Schrift auf, um die man sich riss. nach der auch die nicht mehr Lesenden mit nur erheucheltem Phlegma die Hände streckten. Zu dem Zeitpunkt, wo wir halten, ging ein schlecht gedrucktes Heft von Hand zu Hand, das Herr Albin eingeführt hatte und das ‚Die Kunst, zu verführen‘ betitelt war. Es […] entwickelte die Philosophie der Leibesliebe und Wollust im Geist eines weltmännisch-lebensfreundlichen Heidentums.“ Mann (1924) 1984 , S. 288 f. Zwar ist hier von einem Text die Rede, der „sehr wörtlich aus dem Französischen“ übersetzt sei, doch der beschriebene Inhalt und die beschriebene Wirkung auf die Leser erscheinen wie eine ironische Nietzsche- oder Langbehn-Rezep­tion. 77  Zumal die Psychotherapie in vielen Sanatorien die Licht-Luft-Therapie begleitete: Thomas Mann spricht im Zauberberg von „Seelenzergliederung“:„Dann ist da noch Krokowski, der Assistent – ein ganz gescheutes Etwas. Im Prospekt ist besonders auf seine Tätigkeit hingewiesen. Er treibt nämlich Seelenzergliederung mit den Patienten.“ Mann (1924) 1984 , S. 13 78 Auch das Sanatorium im Tristan von Thomas Mann ist mit Hüttenarchitekturen, mit Follies, umstellt: „Hier ist ‚Einfried‘, das Sanatorium! Weiß und geradlinig liegt es mit seinem langgestreckten Hauptgebäude und seinem Seitenflügel inmitten des weiten Gartens, der mit Grotten, Laubengängen und kleinen Pavillons aus Baumrinde ergötzlich ausgestattet ist, und hinter seinen Schiefer­dächern ragen tannengrün, massig und weich zerklüftet die Berge himmelan.“ Mann 1984 , S. 68 . Mann schrieb die Erzählung Tristan 1901. Er beschreibt hier ­bereits das Sanatorium als den Lebensraum des Intellektuellen. „Detlef Spinell lebt im Sanatorium ‚Einfried‘ ‚des Stiles wegen‘, nicht weil er krank und behandlungsbedürftig ist.“ Diersen 3 1985, S. 49 79 Anonym [Langbehn], Rembrandt als Erzieher, Von einem Deutschen, 77. – 8 4 . Auflage, Leipzig 1922 , S. 45 80 Anonym [Langbehn] 1922 , S. 46 81 Anonym [Langbehn] 1922 , S. 59

Birkner-Gossen: „Zur Baugeschichte von Monte Verità“, in: Szeemann, o. J. (1978), S. 121 – 125, hier 121 f. 123 Vgl. die Abbildungen in Szeemann o. J. (1978), S. 121 und in Flach 21971, S. 16 f. 124 Die vertikale Schichtung der Architektur wurde im sozialen Wohnungsbau der 1920 er Jahre wiederaufgenommen.  125 Giedion (1929) 1985, a. a. O. Nr. 67, 68 . Er zeigt Bilder der Dachterrasse und einer Seiten­ terrasse mit Liegestuhl. 126 E. Dennert 1909, zit. in: Graevenitz, in: Szeemann (1978), S. 88 127 Graevenitz, in: Szeemann (1978), S. 88 128 In den US . wurde die Thoreau-Hütte nachgebaut. Die Rekonstruktionen sind abgebildet in: Doren Stern 1970, S. 17, S. 49, S. 369 129 Zu Schultze-­Naumburgs Tätigkeit als Möbel-Gestalter Vgl. vor allem Borrmann 1989 130 Graevenitz, in: Szeemann (1978), S. 89 131 Hermann Hesse schrieb 1904 in „Die blaue Ferne“: „In den Jahren meiner ersten Jugend bin ich oft auf hohen Bergen allein gestanden, und mein Auge hing lange an der Ferne, an dem verklärten Duft der letzten zarten Hügel, hinter denen die Welt in tiefe blaue Schönheit versank. Alle Liebe meiner frischen, begehr­ lichen Seele floss in eine große Sehnsucht zusammen und trat mir feucht ins Auge, das mit verzaubertem Blick die milde ferne Bläue trank. […] Und das nenne ich nun Glück: sich hinüberneigen, blaue Gefilde in weiter Abendferne erblicken und die kühle Nähe für Stunden vergessen.“ (Hesse 1928 , S. 16) Anders als Goethe, der vom Straßburger Münster aus die Landschaft seiner zukünftigen Existenz überblickte und über die in ihr versprochene Zukunft frohlockte, wollte Hesse die Ferne nicht mehr entschlüsseln. Die Ferne versprach eine Mystik, deren Wahrheit man letztlich nur empfinden, nicht aber verstehen konnte. 132 Der Reiseschriftsteller Johannes Vincent Venner beklagte die Veränderung des Berges: „Seltsam haben die Menschen ihn verändert, meinen grünen Hügel. Einst kannte ich ihn als Monte Monescia. Ein schmaler steiniger Pfad führte durch Reben zu ihm empor. Wie hängende Gärten waren die Rebterrassen übereinander gebaut. Wo der Rebberg endete, trat man in Kastanienwald, und ganz oben war ein Heidegrund mit gelben Ginster- und hellgrünen Wacholderbüschen und mit kleinen, schlanken, silberweißen Birkenstämmchen. Manchen heißen Sommertag bin ich saumselig da oben gewesen; nirgends schien es mir friedlicher und einsamer. – Dann kamen Propheten mit Rauschebärten und langen Haaren, die gaben ihm den Namen Monte Verità […] Berg der Wahrheit. Du kamst, mein grüner Hügel, durch sie in Ruf und zuletzt in Verruf. Den neuen Propheten genügte der Rausch der Worte: sie predigten nicht allein Wasser, sie tranken es auch und ­rodeten die Reben aus. Auf die Rebterrassen bauten sie ihre Häuser und legten sie ihre Saatbeete an, und aus dem Kastanienwald zimmerten sie ihre Freilufthütten und Sonnen­bäder.“ Johannes Vincent Venner, zit. in. Landmann (1973) 1981, S. 105 f. 133 Hofmann-Oedenkoven 1906 , S. 47 134 Oedenkoven, zit. in Landmann (1973) 1981, S. 14 f. 135 „Das unbändige Verlangen nach Sonne und südlichen Früchten, dazu eine große Europamüdigkeit und der Drang nach Freiheit und Abenteuern brachten die Unterhaltung immer wieder auf Pläne, die in einer

Anmerkungen

82  Anonym [Langbehn] 1922 , S. 61 83 Anonym [Langbehn] 1922 , S. 63 84 Anonym [Langbehn] 1922 , S. 65 85  Anonym [Langbehn] 1922 , S.  104 86 Anonym ­[Langbehn] 1922, S. 109 87 Anonym [Lang­behn] 1922, S. 109 88 Lang­behn 1890, S.  6 89 Lang­behn 1890, S. 218 90 Lang­behn 1890, S. 9 91 Langbehn 1890, S. 16 92  Langbehn 1890, S.  39 93 Langbehn 1890, S.  39 94  Im Zauberberg plant Settembrini einen Beitrag für eine „soziologische Pathologie“. Mann (1924) 1984 , S. 261 95 Karl Diem: Schwimmende Sanatorien. Eine klimato-therapeutische Studie, unter technischer Mitarbeit von Ernst Kagerbauer, Schiffbau-Oberingenieur i. S. der k. und k. Kriegsmarine, Leipzig und Wien 1907 96 Diem 1907, S. 37. Kursive Stellen im Original gesperrt. 97 Diem 1907, S. 106 98 Vgl. Gerd Kähler: Architektur als Symbolverfall, Braunschweig / Wiesbaden 1981 99 Der Künstler und Reformarchitekt Heinrich Vogeler zeichnete um 1900 sein Ex-Libris als Wurzel. Abb. in Arnold 2002, S. 40 und 112 100 http://www.eden-eg.de/edeneg.htm, Abruf 11. 5. 2013 101 Mühsam o. J., S. 52: „‚Grün-Deutschland‘ nannte Paul Lindau ironisch die junge Literatur-Generation.“ 102  Hofmann-­Oedenkoven 1906 , S.  4 103 Hofmann-­ Oeden­koven 1906, S. 2 104 Hofmann-Oedenkoven 1906, S. 7 105 Nach Vos­winckel 2009 wurde sie in Freiberg in Sachsen ge­boren. 106 Hofmann-Oedenkoven 1906, S. 7 107  http://www.ticinarte.ch/index.php/hofmann-ida. html und http://­www.gusto-­graeser.info/­Sprache%20 Italienisch/HoffmanIdaIT.html, Abruf 14 . 5 . 2013 108 Hofmann-Oedenkoven 1906, S. 5 f. 109 Hofmann-Oedenkoven 1906, S. 6 f. 110 Hofmann-Oedenkoven 1906, S. 9 f. 111  Vgl. Griebens Reiseführer, Bd.15 , Oberitalienische Seen und Mailand, 1909 – 1910, Berlin o. J. (1909), S. 45: Allein in Locarno (mit Orselina) werden 27 Hotels und Pensionen aufgeführt, von denen sieben ausdrücklich als deutsche ­Häuser oder als Häuser mit deutscher Bedienung hervorgehoben werden. Daneben gab es in Locarno auch eine bayrische Bierhalle. 112 Vgl. Quirinus Reichen,  „‚… wohin alle Anbeter der Natur pilgern‘ – Zu den Anfängen des Fremdenverkehrs im Berner Oberland.“ In: Unsere Kunstdenkmäler, 40. Jg., 1989, H. 2 , S. 115 – 122 , hier S. 117 113 Auch andere Künstler und Intellektuelle folgten gleichzeitig diesem Ruf. Vgl. Szeemann (1978), S. 57 114  Griebens Reiseführer, Bd. 15, Oberitalienische Seen und Mailand, S. 43 f. 115 Hofmann-Oedenkoven 1906 , S. 16 116 Landmann (1973) 1981, S. 27 117 „Im Mai 1901 standen auf dem Berg die ersten beiden Luft- und Lichthütten mit doppelten Holzwänden. Ein Bauunternehmer aus dem Ort hatte sie in wenigen Wochen errichten helfen.“ Graevenitz, in: Szeemann (1978), S. 86 118 Vgl. Hofmann-Oedenkoven 1906, S. 36 119 Zweifellos hätte zumindest Henri Oedenkoven über genug Mittel verfügt, sich statt einer Hütte einer Villa zu bauen 120 Das Russenhaus erinnert an den „Russentisch“ im Zauberberg. Es gehörte offenbar zu den allgemeinen Sanatoriums-Gepflogenheiten, dass die wohlhabenden Russen an getrennte Tische gesetzt und in getrennte Hütten untergebracht wurden. 121 Landmann (1973) 1981, S. 101 122 Zur Baugeschichte des Haupthauses Vgl. Nicoletta und Othmar

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Tropensiedlung gipfelten. Oft spielte wohl auch eine geheime Freude am Nichtstun dabei eine Rolle. Man sprach von Mexiko, Brasilien, Chile und vor allem von Samoa. Die bescheidenste Sehnsucht galt Südspanien. Tatsächlich wanderten einige im Juli 1902 nach Samoa aus. Unter ihnen befand sich Karl Vester, der einzige, der nicht bald wieder umkehrte, sondern sich durch Energie und Arbeitsfreudigkeit auf seiner Insel eine Daseinsmöglichkeit erzwang.“ Landmann (1973) 1981, S. 51 136 Hofmann-­ Oedenkoven 1906, S. 41 137 Siehe auch die Angaben bei Andreas Schwab und Claudia Lafranchi: Sinnsuche und Sonnenbad. Experimente in Kunst und Leben auf dem Monte Veritá, Zürich 2002 138 Hofmann-Oedenkoven 1906, S. 53 f. 139 Liebetreu: Monte Verità, Hotel, Vegetarische Pension, Erholungsheim (Prospekt), Ascona o. J. (um 1905) 140 „Vegetarismus (abgeleitet von dem lateinischen vegetus – fröhlich) bedeutet kräftiges, fröhliches Wohlleben und ganz falsch ist die allgemein verbreitete Auffassung des Vegetarismus als eine Ernährungsweise, aus der lediglich der Fleischgenuss ausgeschlossen ist.“ Hofmann-Oedenkoven 1905 , S.  4 141 Ida Hofmann-­ Oeden­koven nennt weitere Naturheilanstalten, in denen das Wohlleben ansatzweise erreicht werde: Dr. Fellenberg, Erlenbach b. Zürich; Jungborn, Stapelburg im Harz; Dr. Lahmann, Weisser Hirsch bei Dresden [Lahmann war ein Rikli-Schüler]; Dr. Hotz, Finkenmühle, Thüringen; Rickli, Veldes, Österreich. Hofmann-Oedenkoven 1905, S. 21 Fn. 142  „Theodor Stern war ursprünglich als Pfarrer in Köniz tätig. Jahrelang von Krankheiten geplagt, begann er im Wald Luft- und Sonnenbäder zu nehmen, was zum Verlust seiner Stelle führte. In der Folge gründete er 1902 das Kurhaus Waidberg in Zürich.“ Nach Sabina Roth: „Im Streit um Heilwissen. Zürcher Naturheilvereine anfangs des 20. Jahrhunderts“, in: Hans Ulrich Jost, Albert Tanner (Hrsg.): Geselligkeit, Sozietäten und Vereine  /  Sociabilité et fairs associatifs. Schweizerische Gesellschaft für ­Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Heft 9. Zürich 1991, S. 111 – 137, zu Stern insbesondere S. 121. Das Kurhaus „erlangte über die Schweiz hinaus einige Bekanntheit, nachdem Richard Ungewitter es in seiner programmatischen Schrift Nackt als fortschrittliche Einrichtung rühmte. Ungewitter schreibt: ‚Gemeinsam Lichtluftbäder werden schon seit Jahren in der Kuranstalt Waidberg bei Zürich genommen. Dort ist es sogar üblich, dass die Kurgäste in der Luftbadtracht stundenweise Spaziergänge außerhalb der Anstalt machen, woran sich die umliegenden Dorfbewohner schon lange nicht mehr kehren, da sie es gewöhnt sind.‘“ Zitiert nach: Nackt. Eine kritische Studie. Verlag Rich. Ungewitter, Stuttgart 1909, S. 113. Zitate folgen der Internet-Seite Fidus-Projekt: http://www.fidus-projekt.ch/wp/ theodor-stern (Abruf 2 . 8 . 2013) 143 Natürlich hatten Pfarrer Stern und andere noch längst nicht das erreicht, was Hofmann und Oedenkoven erreichen wollten. Die über Zürich gelegene Wiese war ein sonntäglicher ­Er­holungsort für gestresste Städter. Hier konnte das Wohl­ leben nur für kurze Zeit geprobt werden. Für die Grund­ legung einer neuen Gesellschaft bedurfte es weiter­­ gehender Anstrengungen: Die Erholungssuchenden

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mussten möglichst für ihr ganzes Leben rund um den Licht- und Lufthain festgehalten werden. Zudem musste das ­ Leben durch Architektur erst verortet werden. 144  „Gründet Licht- und Luft-Haine, kräftigt Euren im Dienste des Hauswesens und sitzender Lebensweise ­zurückgebliebenen Körper durch Turnen, Spielen, vor allem aber durch Gärtnerei.“ Hofmann-Oedenkoven 1905, S. 22 145 Liebetreu, Monte Verità. Hotel, Vegetarische Pension, Erholungsheim (Prospekt), Ascona o. J. (um 1905) 146 Hofmann-Oedenkoven 1906 , S. 94 147 Vgl. Szeemann (1978), S. 147 148 „Von nah und fern kommen Leidende und auch Neugierige nach Monte Verità, um die nackt herumlaufenden, verwilderten Menschen anzustaunen, und sie finden zivilisierte, in den Umgangsformen liebenswürdige Leute, die sich äußerlich von den übrigen nur durch die Haartracht, durch die Reformkleidung und die Sandalen an den Füßen unterscheiden. Ob und wie diese Menschen hier glücklich werden, das ist schließlich ihre Sache, aber es scheint, dass sie Schule machen; denn ringsherum entstehen die Holzhäuser, deren Insassen unabhängig sind von der Heilanstalt auf Monte Verità und abseits stehen von der Welt da draußen, der sie überdrüssig geworden sind, die sie meiden wollen; zu einem neuen, uns fremden Leben möchten sie sich heranziehen.“ Landmann (1973) 1981, S. 102 149 Hofmann-Oedenko­ ven 1906, S. 25 150 Hofmann-Oedenkoven 1906, S. 73 151  Hofmann-Oedenkoven 1905 , S. 30 152  Hofmann-­ Oedenkoven 1906 , S. 84 153 Abbildung in Szeemann 16 (1978), S. 42 und Flach 21971, Bildseite nach S.  154  „Nicht der Mensch bestimmte letztlich seinen Tanz, sondern er war nur Mittler der in ihm sich Form schaffenden ‚Idee‘ des Lebens.“ H. Müller und P. Stöckemann: „… jeder Mensch ist ein Tänzer“ – Ausdruckstanz in Deutschland zwischen 1900 und 1945, Gießen 1993, S. 116. „Mary Wigman verstand sich als ‚Instrument‘, als Dienerin und Priesterin einer mystischen ‚Idee‘.“ Karl Hörnemann: „‚Glaube und Schönheit‘ – Zur Ideologisierung des Tanzes und der Körperkultur“, Online verfügbar unter: www.­ tanzwissenschaft.de/Tanzvor1945.pdf (Abruf am 15. 7. 2013) 155  Abb. in Szeemann (1978), S. 61 156 Eigentlich Hugo Reinhold Karl Johann Höppener. 157 Der Schweizer Maler Ferdinand Hodler (1853 – 1918) hielt die Tanzrituale der Reformer ab 1900 in großformatigen Bildern fest, die leicht bekleidete Frauengruppen in jeweils halbkreis­ förmigen Formationen zeigen. Im Kunsthaus Zürich, ein 1910 von Karl Moser (1860 – 1936) vollendeter ReformTempel, hängen nicht zufällig zahlreiche entsprechende Hodler-Bilder (die Bilder bildeten den geistige Kern des „Tempels“). Auch der französische Maler Henri Matisse (1869 – 1954) malte Frauentänze, so das Bild „La Danse“ (1909 / 10), das fünf nackte Frauen zeigt, die Reigen tanzen. Zwischen 1900 und 1910 gehörte der Reigentanz zu den beliebten Motiven einer reformorientierten Kunst. 158  Graevenitz, in: Szeemann (1978), S. 91 159 Vgl. Graevenitz, in: Szeemann (1978), S. 91 160 Vgl. zu den Tempelentwürfen vor allem Sigrid Hofer: „Orte der Glückseligkeit. Architekturphantasien und utopische Projekte aus dem Kreis der Lebensreform“, in: Die Lebensreform, Ent-

„Landschaft und Architektur bei Carl Weidemeyer“ sowie Bruno Maurer: „Carl Weidemeyer und die Rationalisten von Ascona“, in: Bruno Maurer, Letizia Tedeschi (Hg.): Carl Weidemeyer 1882 – 1976, Künstler und Architekt zwischen Worpswede und Ascona, Mailand 2001, S. 99 – 133 und S. 135 – 157 176 Vgl. zum Theatro San Materno und zur Biographie der Bauherrin vor allem die kurze Darstellung von Riesterer 1985 . 177 Vgl. Carlo Weidemeyer 1972 , S. 42 , 47 178 Vgl. die Darstellung in Flach 2 1971, S. 33 179  Vgl. Riesterer 1985 , S.  12 180 Die ursprüngliche ­Ausstattung wurde Anfang des 21. Jahrhunderts wieder rekonstruiert und ist heute für Hotelgäste erlebbar. ­ 181  Bruno Maurer: „Carl Weidemeyer und die Rationalisten von Ascona“, in: Bruno Maurer, Letizia Tedeschi (Hg.): Carl Weidemeyer 1882 – 1976, Künstler und Architekt zwischen Worpswede und Ascona, Mailand 2001, S. 141 182  Ascona Bau-Buch, hg. von Eduard Keller, Zürich 1934 183 Ernst Morach: „Die Urformen des Tessinerhauses“, in Keller 1934 , a. a. O., S.  50 – 42 184 Emerson o. J., S. 247 185 Paul Schultze-Naumburg, Nordische Schönheit, Berlin 1937, 1943, S. 9 186 Schultze-Naumburg 1937, 1943 , S. 66 187 Es liegt auf der Hand, dass diese Vorstellung einer besseren, schöneren und gesünderen Menschheit, die zu entwickeln oder zu züchten sei, direkt von den Nationalsozialisten in ihrem Sinne weitergeführt werden konnte. Die NS -Vorstellung einer besseren menschlichen „Rasse“ und einer kalkulierten Höherentwicklung dieser „Rasse“ basiert auf dem Denken der Reform. 188 Vgl. Emerson o. J., S. 248: „Dass Schönheit der normale Zustand der Dinge ist, wird durch das unaufhörliche Bestreben der Natur, sich schön zu gestalten, bewiesen.“ 189 Anna Goetze, „Ferienreise nach Frankreich, V., Die französische Frau“, in: Bremer Tageblatt, 3. 9. 1905 190 Anna Goetze, „Ferienreise nach Frankreich, V., Die französische Frau“, a. a. O. 191 „Zwar spielte sie häufiger Mutterrollen, aber stets ‚Flotte‘ und lebensfrohe oder zumindest nicht völlig in das Klischee der ‚guten Mutter‘ passende.“ Werner 1983, S. 109 192 Damals unterschied sich gerade die Ame­ri­ kanerin in ihrer natürlichen Schönheit von den Euro­ päerinnen, die noch stärker den Konventionen des ­19. Jahr­hunderts folgten und einengende und womöglich de­ formierende Kleidung trugen 193 Österreichs Illust388 , Werbeanzeige 194 Zur rierte Zeitung 1910, S.  ­Biographie und zum Werk Vgl. „Das Vanselow Projekt“ im Internet: http://vanselow.wikispaces.com/ (Abruf 15 . 7. 2013), betreut von Roland Schnell. Auf der Seite werden zahl­reiche Bilder und Texte von Vanselow dokumentiert. 195  Online verfügbar unter: www.tanzwissenschaft.de/ Tanznach1945.pdf (Abruf am 15. 7. 2013) 196 Vgl. http:// vanselow.wikispaces.com/Das + Neue + Reich (Abruf 15. 7. 2013)  197  Vgl. http://vanselow.wikispaces.com/Fidus (Abruf 15. 7. 2013), darin: „Wie innig das Verhältnis zu Karl Vanselow war, ist noch ungeklärt.“ 198 Vgl. zum Aufenthalt von Max Emden auf den Brissago Inseln vor allem Landmann 2 1979, S. 216 ff. (Fotos) 199 Das Mitglieder­ verzeichnis des Deutschen Werkbunds von 1912 nennt 35 Mitglieder, die in Bremen oder in der unmittelbaren Umgebung (Delmenhorst, Worpswede) ansässig waren.

Anmerkungen

würfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900, Katalog, Band 2 , Darmstadt 2001, S. 81 – 92 , Abbildung des Tempelentwurfs auf S. 85. 161 Hofer 2001, a. a. O., S. 88 (Bildunterschrift) 162 Vgl. Wenzel Hablik, Katalog, Florenz 1989, siehe vor allem die Bildtafeln S. 124 („Kristallschloss“, 1903) und S. 125 („Kristallbau“, um 1903). 163  Abbildung des Schumacher-Entwurfs „Montsalvat“ von 1898 in Hofer 2001, a. a. O., S.  90 164 Vgl. Lageplan „Kur-Hotel Monte Verità, Ascona“ von 1927, in: Szeemann (1978), S. 61 165 Thomas Rietzschel: „Das Versprechen des Südens, Wie der Monte Verità Hoffnungen weckte und das Jahrhundert verführte: Eine Zeitreise nach Ascona“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Tiefdruckbeilage, 30. 4 . 1999 166 Im Giebelfeld des Tessenow-Theaters findet sich genauso wie in der Brüstung und in den ­ ­Oberlichtern des Monte-Verità-Haupthauses das sogenannte Ying-Yang-Symbol, das im Kreis eingebundene ‚S‘. 167  Das Bauwerk wird in Piller 1993 , S. 76 f. besprochen. 168 Zur Baugeschichte Vgl. vor allem Riesterer 1985 und Paolo Fumagalli, „Verlassen, kaum bekannt“, in: Werk, Bauen + Wohnen, Nr. 5, 1984 , S. 16 ff. Das Haus wurde inzwischen saniert und dient wieder als Theater. 169  Zur Architektur Vgl. vor allem Karl-Robert Schütze: „‚Mit der Absicht, Maler zu werden, fing er an.‘ Das ‚Werk‘ der ersten Lebenshälfte“, in: Bruno Maurer, Letizia Tedeschi (Hg.): Carl Weidemeyer 1882 – 1976 , Künstler und Architekt zwischen Worpswede und Ascona, Mailand ­ 2001, S. 20 – 4 3 , siehe auch die Abbildung auf S. 20. 170  Vgl. Ohne Autor („Doh.“), „Dem Verfall wird Einhalt geboten. Das Carl-Weidemeyer-Haus soll bald wieder zu neuem Leben erwachen.“ In: Wümme-Zeitung, Nr. 57, 1994 , S. VI  – Der Bau wurde jedoch abgerissen. 171 Die Weidemeyer-Hütte war auch in den 20 er Jahren ein bei Künstlern beliebtes Domizil: „Im Jahr 1923 verkaufte Carl Weidemeyer das Haus an den Gartenarchitekten Max K. Schwarz. Später lebten der Architekt und Maler Walter Müller und Bettina Müller-Vogeler für einige Zeit in diesem Haus, bis Walter Müller sich in Anlehnung an diese ‚Weide­ meyer-Hütte‘ ein Haus Im Schluh baute.“ Ohne Autor („Doh.“), a. a. O. 172 Vgl. Dietmar Brandenburger: „Heinrich Vogeler und das Haus ‚Stryck‘ in Willingen“, in: Arnold 2002, S. 84 – 93. Auch bei dem „Haus Stryck handel es sich um eine „Hüttenarchitektur“, die jedoch stark von regionalen Bauformen beeinflusst scheint. 173 Vgl. zu Vogeler, Bara und Weidemeyer vor allem Erlay 1981, S. 186 f. Zur Barkenhoff-Architektur vor allem Nils Aschenbeck: „Der Barkenhoff, Vom Bauernhaus zur Künstlervilla – Die Baugeschichte“, in: Arnold 2002, S. 67 – 76. 174 Der Schweizer Fritz Jordi hatte das sozialistisch gemeinte Siedlungsprojekt zusammen mit Heinrich Vogeler gegründet. Gemeinsam gaben sie ab 1931 die Halbmonatszeitschrift „Fontana Martina“ heraus. Vogeler besuchte Jordi am Lago Maggiore, wurde hier aber nicht ansässig. Siehe auch den Reprint „Fontana Martina“, Vollständiger Faksimile-Druck des von Fritz Jordi und Heinrich Vogeler 1931 / 32 in Ronco s. Ascona herausgegebenen Halbmonatsschrift, mit ­einem Anhang herausgegeben von Dieter Pforte, Gießen und Ascona 1981 175 Vgl. vor allem Bruno Reichlin:

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In der Rheinregion Düsseldorf, Köln, Bonn waren 31 Mit- Pflege der Blume als künstlerisches Erziehungsmittel“, glieder eingetragen. Für die klassische Künstlerstadt a. a. O. 209 Anna Goetze: „Die Pflege der Blume als ­München waren 84 DWB -Mitglieder verzeichnet, für das künstlerisches Erziehungsmittel“, a. a. O. 210 Anna Goetaufstrebende Berlin 122 (mit den Vororten, die heute ein- ze: „Die Pflege der Blume als künstlerisches Erziehungs­ oetze mittel“, a. a. O. 211 Die Motive nicht nur der Worpsweder gemeindet sind). 200 Zum Lebenslauf von Anna G Vgl. Nils Aschenbeck: „Zeit für alles Schöne, Anna Goetze, Maler zeugen von diesem Ideal. Auch das Bremen-OldenSchriftstellerin und Kunstkritikerin“, in: Weser Kurier, burger Haus auf der Werkbundausstellung 1914 war eine 17. 3. 1993, S. 19 201 Anna Goetze: „Die Pflege der Blume unmittelbare Umsetzung dieses Ideals: „Durch Liebe und als künstlerisches Erziehungsmittel“, in: Bremer ­Tageblatt, Konservierung der alten heimatlichen Kunst zum Ver14 . 4 . 1901 202 Anna Goetze: „Die Pflege der Blume als ständnis der neuen Kulturgedanken unserer Zeit zu komkünstlerisches Erziehungsmittel“, a. a. O. 203 Anna Goet- men, das erscheint uns Niedersachsen als das Grundeleze: „Die Pflege der Blume als künstlerisches Erziehungs- ment, auf welchem allein Bleibendes aufbauen lässt. mittel“, a. a. O. 204 Anna Goetze: „Die Pflege der Blume Dieser Gedanke kommt auch in dem Ausstellungsgebäuals künstlerisches Erziehungsmittel“, a. a. O. 205 Vgl. zum de, von dessen Würdigung ich ausgegangen bin, zum Lebenslauf Elisabeth von Baczkos vor allem Nils Aschen- Ausdruck. Möge nun auch in allen Gegenständen, die diebeck: „Zeit für alles Schöne“, a. a. O. 206 Elisabeth v[on] ser Bau beherbergen wird, die alte niedersächsische B[aczko]: „Garten-Entwürfe von Fr. Gildemeister – Aus der Tüchtigkeit in ­Erscheinung treten.“ Anna Goetze: „Das ErKunsthalle“, Bremer Tageblatt, 15. 1. 1911 207 Die konsta- gebnis des Preisausschreibens für ein Ausstellungsgebäutierte „Fröhlichkeit“ war nicht nur bei Gärten und Blumen de des Werkbundes (Ortsgruppe Bremen-Oldenburg)“, in: ein Zeichen für den funktionierenden Kreislauf der Re- Niedersachsen, Jg. 1912 / 13, S. 475 212 Anna Goetze: „Die form. Bei Nietzsche beispielsweise war es selbst die Wis- Pflege der Blume als künstlerisches Erziehungsmittel“, senschaft, die über die Fröhlichkeit zur Wahrhaftigkeit zu- a. a. O. rückgeführt werden könne. 208 Anna Goetze: „Die

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Teil II Eroberung von Raum und Zeit Eroberung der Fläche Die Trommler Das Vorbild Der Verband Ausstellungen Kolonien Europäische Tendenzen Vorbild Fabrik Zusammenfassung II

Eroberung der Fläche „Eine neue Schönheit zieht herauf, die – das ist keine Frage – gerade auch in den ­Industriebauten selbst ihren machtvollsten Ausdruck findet.“ Hans Poelzig 1930 1

Sobald die persönlichen zivilisatorischen Verkrustungen gelöst, sobald in der Seele nur reine Gedanken übriggeblieben waren, konnte die Missionstätigkeit der in den Berg­ sanatorien und Landkolonien Genesenen beginnen. Jeder Wissende sollte seinen Teil dazu beitragen, die Welt zu verändern. Ein Marsch hinunter in die Ebene begann. Aber es war weniger ein Marsch der Reformer, als viel­ mehr ein Diffundieren der Ideen von den Bergen über das Land in die Städte. Auch ein Diffundieren über die Landhäuser hin zu den Verkehrsbauten und den Fabriken – ein langsamer Fortschritt von der Urhütte hin zur Gegenwart. Die Reformer glaubten um 1900 keineswegs, dass sie mit einem großen Wurf, einer Revolution, die Welt verändern könnten. Um 1900 saßen die historistischen Architek­ ten meist noch fest im Sattel und bekamen die großen Bauaufträge in den Städten. Die Reform begann als eine Bewegung vom Rande, als ein Angriff mit Nadelstichen auf die Zentren der Kunst, der Architektur, der gesellschaftlichen Macht. Zuerst waren es kleinere und junge Städte, in denen es keine etablierten Histo­ risten gab, es sie nie gegeben hatte, in denen sich stattdessen Reformer früh behaupten konnten. Als der 29-jährige Architekt Heinz Stoffregen in Delmenhorst bei Bremen den Wettbewerb für ein neues Rathaus, eine Feuerwache und einen Wasserturm ­gewann, war das fast eine Sensation. Der junge Bremer Reformer hatte sich im kleinen Delmen­ horst beim zentralen Bauprojekt gegen die Historisten durchgesetzt.2 Delmenhorst war damals eine aufstrebende Industriestadt, in der sich gesellschaftliche Strukturen wäh­ rend der historistischen Ära noch nicht verfestigt hatten, in der noch vieles möglich war. Im Stadtrat saßen zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Direktor der Delmen­horster Linoleumwerke und einer der Vorsitzenden des Deutsches Werkbundes, Gustav Ge­ ricke (1864 – 1935). Bürgermeister war der junge Erich Koch-Weser (1875 – 1944), der die neue Zeit mitgestalten wollte – und eine große politische Karriere vor sich hatte. Im nahen Bremen hätte sich ein „Moderner“ wie Stoffregen damals noch nicht be­ haupten können. 1908 gewann Gabriel von Seidel (1848 – 1913) aus München, ein Histo­ rist, den (zweiten) Wettbewerb für den Erweiterungsbau des Bremer Rathauses. Refor­ mer hatten im Zentrum Bremens, das von den Neubauten des Historisten Johann Georg Poppe beherrscht wurde (so die Bremer Baumwollbörse oder das Verwaltungsgebäude des Norddeutschen Lloyd), vor dem Ersten Weltkrieg noch keine Chance, wichtige Auf­ träge zu bekommen. Beispiele der Reformarchitektur entstand bis 1914 vor allem am Rande: In den Vor­ orten der großen Städte oder in den kleinen, reformorientierten Städte wie Delmen­ horst. In den Zentren von Berlin, München und Hamburg hingegen behauptete sich lange ein gemäßigter Historismus. Häufig wurden die Fassaden jetzt allerdings we­ 127

niger stark dekoriert und stattdessen durch hohe vertikale Fenster geöffnet. Figür­ licher Bauschmuck fand häufig nur noch im Bereich der Attika Anwendung. Besonders bei Kaufhäusern war dieser „Messel-Stil“ verbreitet. Das Wertheim Kaufhaus in Berlin, 1896 – 1906 in mehreren Abschnitten von Alfred Messel (1853 – 1909) errichtet, gilt als erstes Beispiel dieser schon reduzierten historistischen Architektur. Statt also in den Zentren aufzutrumpfen wurde die Reform über eine Vielzahl ein­ zelner und oftmals winzig kleiner Bemühungen popularisiert. Europa wurde mit den Ideen der Reformer an tausenden unbedeutenden Orten infiziert – damit eine Bewe­ gung in Fahrt komme, sich ein Siegeszug aus dem Detail und aus der Provinz heraus entwickle, der dann die Zentren erfasse und die Historisten an den Rand dränge. Die Reformer hatten von der Tuberkulose gelernt, dass winzige Dinge – Bakterien beispielsweise – eine große Wirkung entfalten können. Sie glaubten nach dieser Erfah­ rung, dass auch kleinste Bemühungen im Sinne der Reform die Gesellschaft verändern werden. Jedes Stück Porzellan, jedes Buch, jedes Haus, jede Siedlung in einer kleinen deutschen Stadt – überhaupt jede Kulturarbeit sei ein gutes Bakterium, das die Welt infizieren werden. „Wenn auch Einzelnen die sog. neue Richtung nicht behagen will, weil die richtige Anschauung noch nicht genügend entwickelt ist, so sei bemerkt, dass die Gartenstadt­ idee gleich einem Siegeszuge Deutschland durchzieht – das Gute bricht sich eben selber Bahn und kann niemals von Einzelnen gehemmt werden.“ 3 Aus den einzelnen Projekten sollte eine Bewegung – Stoffregen sprach von „Garten­ stadtidee“ – entstehen. Heinz Stoffregen hatte damals eine so genannte Gartenstadt in Delmenhorst projektiert, die aus nur zehn Häusern bestehen sollte, von denen er eines schließlich selbst errichten konnte.4 Aber die Menge der Bauten schien gleichgültig. Alle Einzelbemühungen – einzel­ ne Häusern oder auch nur aus einzelne kunstgewerbliche Gegenstände – besaßen die Macht der Schönheit und damit die Macht der Wahrheit. Erst einmal in der Welt wür­ den sie von selbst ihre historistische Nachbarschaft ad absurdum führen. Zu den Auftragsgebern des Architekten Heinz Stoffregen gehörte die Delmenhors­ ter Linoleumindustrie, für die er neben Wohnhäusern auch Fabrikbauten errichtete. Hier schien es Anfang des 20. Jahrhunderts noch unklar, aus welchen Anfängen man im Sinne der Reform ein Fabrik züchten könne. Die Ableitung von Urhütte oder Sana­ torium schien jedenfalls nicht praktikabel. Etwa ab 1910 wurde das Thema „Industriebau“ eine zentrale Aufgabe der Reformer. Im Industriebau aber auch in den Bauten für den Verkehr erwartete man bedeutende Fortschritte bei der Entwicklung der Gesellschaft im Sinne der Reform. Hier ging es um große Projekte, die mehr als nur lokale Aufmerksamkeit erreichen konnten, und hier waren die Bauherren offenbar bereit, junge Reformer zu beauftragen. Ein Kollege von Stoffregen in Bremen, Hugo Wagner (1873 – 1944), hatte bereits von 1906 bis 1907 eine Fabrik am Bremer Fabrikenufer errichtet, die den Weg aufzeigen soll­ te, wie auch im Industriebau „Wahrheit“ umzusetzen ist, wie auch der Industriebau eine „Kulturarbeit“ im Sinne der Reform werde. Hugo Wagner hatte den ersten Beton­ bau geschaffen, der auch in seiner Konstruktion wahrhaftig schien, der das Baumate­ rial Beton offen thematisierte. 128

Jedes Stück „Kulturarbeit“, wie Schultze-Naumburg es nannte, sollte Anfang des 20. Jahrhunderts Wahrheit repräsentieren und gleichzeitig den besseren Menschen und die bessere Gesellschaft erziehen – egal ob Blumenvase oder Fabrik.

Die Reformer sahen sich als Wissende. Sie hatten die Welt vom Kopf wieder auf die Füße gestellt. Doch die Millionen, die in den Städten lebten, hatten die neue Ord­ nung noch nicht begriffen. Sie glaubten womöglich immer noch, dass eine Neorenais­ sance-Villa die höchste Form der Baukunst darstellt, sie glaubten womöglich, dass ein Postamt neugotisch und eine Fabrik neoromanisch auszusehen habe. Um das Denken der Reform zu verbreiten, bedurfte es Werke der Reformer, aber es bedurfte auch einer begleitenden Erläuterung. Zu den Trommlern der Reform gehörte der Architekt Paul Schultze-Naumburg, der mit den „Kulturarbeiten“ die wohl erfolgreichsten und meist gelesenen Propaganda­ schriften der Reform herausgab. „Die Serie ‚Kulturarbeiten‘ wendet sich nicht an die Kreise derer, die schon mit uns für gleiche Ziele fechten. […] Aber der Zweck der Veröffentlichung ist, denen die Augen zu öffnen, die noch ganz fernab stehen, denen noch nichts von der Erkenntnis däm­ mert, dass das Urteil unseres bewussten Anschauens nicht allein ‚schön oder hässlich‘ lautet, sondern ‚gut oder schlecht‘, in beiderlei Sinn, nämlich ‚praktisch brauchbar und unbrauchbar‘ und ‚moralisch gut und schlecht‘ […].“ 5 Schultze-Naumburg wollte die Menschen dahingehend erziehen, dass sie das Kul­ turschaffen nicht nach überkommenen ästhetischen Kategorien bewerten (das „alte“ schön oder das „alte“ hässlich), sondern nach moralischen (wahr oder unwahr, gut oder schlecht, richtig oder falsch, das „neue“ schön versus das „neue“ hässlich“). Die damals aktuelle gründerzeitliche Architektur war in seinen Augen natürlich „schlecht“ – auch wenn Zeitgenossen sie womöglich als „schön“ bezeichneten, aber es war ein anderes „schön“ als das „schön“ der Reformer, es war ein oberflächlicher Be­ griff, ein bloßes Geschmacksurteil. Die vorindustrielle, biedermeierliche Architektur beurteilte Schultze-Naumburg als geradezu natürlich entstanden und damit als vorbildlich. Die Bauten von „um 1800“ seien nicht von einem Architekten am Zeichentisch phantasiert worden, sie seien stattdessen natürlich aus den Bedingungen der Landschaft und der Kultur gewach­ sen. Bei ihnen funktioniere noch die unbewusste Repräsentation einer natürlichen Wahrheit, bei ihnen könne man sich hineindenken und hinein fühlen – und würde die Bedeutung entdecken. Die Kulturarbeiten sollen „durch Aufmerksammachen auf die guten Arbeiten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Tradition, d. h. die direkt fort­ gepflanzte Arbeitsüberlieferung wieder anknüpfen helfen“.6 Die Begriffswahl der Fortpflanzung ist nicht zufällig gewählt – sie kennzeichnet einen natürlichen Prozess, der nicht vom Intellekt gesteuert wird, der nicht zufällig, sondern folgerichtig ist. Durch Fortpflanzung der alten Traditionen und nicht durch Neuschöpfung aus der Phantasie eines Architekten erhalte Architektur Bedeutung. Zu

Die Trommler

Die Trommler

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Paul Schultze-Naumburg, Beispiel einer „guten“ biedermeierlichen Bebauung, hier „Haus in Weichselmünde“. Quelle: Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten, Band V, Kleinbürgerhäuser, München 2 1911, Abb. 67

einem Bauwerk aus der Biedermeierzeit schreibt Schultze-Naumburg: „Das ist ein ganz einfaches Gartenwohnhaus, gewiss kein architektonisches Meisterstück, sondern nur eben ein freundliches und schlichtes Haus, wie es im 18. Jahrhundert selbstverständ­ lich war. Aber welche Anmut, welches Daseinsbehagen und welche Wahrhaftigkeit im Ausdruck [sic!] von der Thür bis zum obersten Dachziegel hinauf!“ 7 Eine gründerzeitliche Parkanlage wird für Schultze-Naumburg hingegen zum Aus­ druck der „Großstadtkrankheit“: 8 „In der Nähe dieser Stadt, in der sich eine alte Uni­ versität und bedeutende Kliniken befinden, ging ich einmal spazieren. Ich stieg über Höhen und Felder und gelangte, indem ich querfeldein ging, plötzlich in ein mit Wegen angelegtes Gelände, das einen seltsam beklemmenden Eindruck machte. Ich konnte nicht sagen, was es war, aber die Wegeführung, die dem Gelände so zuwiderlief, und besonders allerhand krause Anlagen hatten geradezu etwas Beängstigendes. Steinhau­ fen am Wege, die nicht Kulturhände gehäuft haben konnten, zeugten von einer seltsam nervösen Wühlarbeit, am grausigsten aber war eine Art Pavillon, der auf einem ebenen Terrain sich erhob: es war, als trüge er Spuren des Irrsinns an sich. Plötzlich fiel mir ein: sollte ich unachtsamer Weise in den Garten der Provinz-Irrenanstalt geraten sein?“  9 Es war das eigentliche Ziel von Schultze-Naumburg, Architektur nach neu gesetz­ ten Kriterien zu bewerten. Moralisch statt dekorativ oder ornamentiert, gesund statt pathologisch. 130

Paul Schultze-Naumburg, Beispiel einer „guten“ biedermeierlichen Bebauung, hier „Wohnhäuser an einem Platze in Königsberg“. Quelle: Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten, Band V, Kleinbürgerhäuser, München 2     1911, Abb. 66

Mit Neid blickte Deutschland in den ersten Jahren nach 1900 auf das Mutterland der ­Industrialisierung. England schien in vieler Hinsicht weiter zu sein. Die Industrie schien erfolgreicher und Architektur wie Kunst hatten mit der Arts-and-Crafts-Bewe­ gung bereits eine Abkehr von als oberflächlich angesehene Stilkunst vollzogen. In England diskutierte man über Ruskin und Morris – und glaubte, im Mittelalter ein ideengebendes Vorbild gefunden zu haben. Im Mittelalter seien Kunst und Archi­ tektur aus dem Volk heraus entstanden, aus einem gemeinsamen Fühlen und Wollen. Die unmittelbare Repräsentation der Formen sei somit erfüllt. Der spätere Gründer des Deutschen Werkbundes, Hermann Muthesius, war von 1897 bis 1903 als Kulturattaché in London tätig und hatte dort die Architektur der In­ sel studiert. Sein 1904 erstmals erschienenes dreibändiges Werk „Das englische Haus“ wurde in Deutschland überaus erfolgreich, so dass 1908 eine zweite Auflage heraus­ gegeben wurde. Muthesius konstatierte, dass die Engländer bereits die „Wahrheit“ der Architektur gefunden und sich von Stilzitaten gelöst haben. „Der Engländer baut sein Haus lediglich für sich selbst. Rücksichten auf Repräsen­ tation, auf zu gebende Feste oder Gastmähler kennt er nicht, wie ihm denn nichts fer­ ner liegt, als durch Entfaltung in und an seinem Hause nach außen hin zu glänzen. […] Hier ist höchst lehrreich zu beobachten, wie eine schon vor vierzig Jahren entstandene Bewegung gegen das Stilnachahmen, die gleichzeitig engeren Anschluss an die einfa­ chen ländlichen Bauten suchte, in ihrem Verlauf die erfreulichsten Früchte getragen

Das Vorbild

Das Vorbild

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C. A.  Voysey, Haus Broadleys, zeitgenössische Aufnahme. Quelle: Stuart Durant: CFA Voysey, London 1992, S. 57

hat. Innige Anpassung an die Natur mit dem Bestreben, Garten und Haus zu einem ein­ heitlichen, eng verschmolzenen Ganzen zu machen, ist das Ziel.“10 „Innige Anpassung an die Natur“ hieß das Rezept, um eine wahre Architektur zu erzielen. Gleichzeitig war die Regression, wie sie die Gründer des Monte Veritàs forder­ ten, auch bei der „wahrhaftigen“ britischen Architektur zu beobachten. Ausgerechnet an einem der großen britischen Landhäuser, Voyseys Haus Broadleys am WindermereSee in Westmoreland, 1898 fertig gestellt, konstatierte Muthesius eine Nähe zur Hüt­ te. „Als Ideal schwebt die Hütte vor, und zwar auch bei den Häusern, die sich ­infolge ihrer Größe und des in ihnen entfalteten Aufwands eher als Palast denn als Hütte­aus­ weisen.“ 11 Allerdings ließen sich die derart gelungenen englischen Beispiele nicht so einfach auf den Kontinent übertragen. „Im ganzen aber ist es vielleicht gut, von vornherein zu be­ merken, dass das englische Haus, wie es heute vollendet vor uns steht, sein größtes Verdienst darin hat, dass es national-englisch ist, d. h. ganz und gar englischen Vor­ bedingungen entspricht.“ 12 Eine neue deutsche Architektur musste also deutschen Vorbedingungen entsprechen. Aber was waren deutsche Vorbedingungen? Waren die Menschen anders? War ihre Gesundheit anders zu erreichen? Nein, aber Idee war, dass Häuser wie Pilze aus dem Boden wachsen, dass sie je nach Standort ein anderes Er­ scheinungsbild bekommen. Zu Idee der Natürlichkeit oder der Naturgesetzlichkeit ge­ hörte die Vorstellung vom Wachstum aus dem Boden. Zahlreiche deutsche Reformarchitekten übersahen allerdings Muthesius’ Forde­ rung nach den „deutschen Bedingungen“ und kopierten das englische Vorbild eins 132

zu eins – nur die Größe der Häuser wurde auf deutsche Vorstadt-Ansprüche runter­ skaliert. Schrägstehende Strebepfeiler, Bay-Windows sowie Erker- und Giebelformen, übernommen aus „Das englische Haus“, findet man an zahlreichen ab 1904 errichteten Landhäusern. Zu den gelehrigsten Schülern gehörten die Hamburger Architekten-Brü­ der Hans (1881 – 1931) und Oskar Gerson (1886 – 1966) 13 und der Bremer Heinz Stoffregen. In der 1908 errichteten „Gartenstadt Schwachhausen“ steht sogar eine kleine Ausgabe des Broadley-Hauses von Voysey, wobei Stoffregen aus dem breitgelagerten Landhaus am See ein Doppelhaus in einer Vorstadt-Siedlung formt.14

Der England-erfahrene Hermann Muthesius veranlasste 1907 die Gründung des Deut­ schen Werkbundes. Nachdem bereits ein Reihe von Unternehmen die Vereinigung von Reformidee, Kunst und Industrie versuchten, so die Deutschen Werkstätten in Hel­ lerau (gegr. 1898), die Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk (gegr. 1898), die Deutsche Gartenstadtgesellschaft (gegr. 1902) und der Bund Heimatschutz (gegr. 1904) wurde 1907 der Deutsche Werkbund als Dachverband von reformorientierten Künst­ lern, Handwerkern, Industriellen und Politikern gegründet. Der von den Reformern er­ arbeitete Mechanismus – Erziehung des Volkes durch „wahrhaftige“ Produkte – sollte institutionalisiert werden. Tatsächlich gelang das Vorhaben: Der Werkbund wurde spätestens mit seinen ab 1912 erscheinenden Jahrbüchern die zentrale Stimme der Reformer. Der Werkbund stellte die Reformarbeiten vor und publizierte auch die wichtigsten Thesen zur Reform. Sein erstes Jahrbuch trug den programmatischen Titel die „Vergeistigung der Arbeit“. Die Dinge sollte eine neue Bedeutung, eine neue Wahrheit bekommen – sie sollten die­ se Wahrheit repräsentieren, ihren inneren Geist zum Ausdruck bringen. Die Mitgliederverzeichnisse des Werkbundes waren eine Art Gesamtverzeichnis der Reformer. Diejenigen, die über ihren lokalen Kreis wirken wollten, die die Bewe­ gung voran bringen wollten, wurden Mitglied (dazu war eine Ernennung notwendig). Eine Vorstellung ihrer Arbeiten im Jahrbuch war zugleich eine Anerkennung ihrer indi­v iduellen Reformleistung, ihrer gesellschaftsrelevanten Arbeit. Der Werkbund wurde in den Jahren vor 1914 eine Autorität im Deutschen Reich; man kann so weit gehen, ihn als eine Art Kunstregierung zu bezeichnen (unterdessen blieb der Kaiser im Historismus befangen; auch Deutschlands Hauptstadt gehörte zu den Nachzüglern der Reformbewegung; die Hauptstadt wurde von den Rändern her erobert – erfolgreich waren die Reformer hier erst nach dem Ersten Weltkrieg; es ist bezeichnend, dass der Deutsche Werkbund nicht in Berlin, sondern in München ge­ gründet wurde.). Der Deutsche Werkbund verstand sich jedoch nicht nur als Verband der Reformer, sondern auch als eine Institution, die wirtschaftliche Ziele formulierte. Deutsche In­ dustrieprodukte sollte mit Hilfe der Kunst auf den Weltmärkten erfolgreicher werden. Die Reform wurde hier bereits früh von der Industrie instrumentalisiert. Die rich­ tig gestalteten Dinge, die eine fortschrittliche Zeit und den besseren Menschen reprä­

Der Verband

Der Verband

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Heinz Stoffregen, Doppelhaus in der Gartenstadt Schwachhausen, Bremen 1908 . Quelle: Der Profanbau, Jg. 1914 , H. 1, Tafel 17

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Der Verband

Bernhard Wiegandt, „Teppich“-Linoleum für die ­Linoleumwerke „Hansa“ in Delmenhorst, 1896. Quelle: Sammlung Aschenbeck

Von Peter Behrens entworfene Werbeanzeige für die ­ inoleumfabrik „Ankermarke“ mit dem Markenzeichen, L dem Anker. Vor 1914 . Quelle: Sammlung Aschenbeck

sentieren, werden auch am Markt erfolgreicher sein als Produkte mit applizierter Stil­ kunst, so die Hoffnung. Die Möbelwerkstätten in Dresden-Hellerau und in München waren genauso wie die Linoleumwerke in Delmenhorst oder die AEG in Berlin Reformindustrien, die auf einen Erfolg der neuen Ästhetik setzten und damit auf den wirtschaftlichen Erfolg der Reform. Es ging so weit, dass Reformprodukte als die besseren Exportprodukte gese­ hen wurden. Die starke Präsenz der Industrie im Deutschen Werkbund führte zu einer Anpas­ sung der künstlerischen Arbeiten an industrielle Bedürfnisse. Bei den Linoleumwer­ ken in Delmenhorst wurde – wie auch bei der Linoleumindustrie in England – das neu­artige Material bis Anfang des 20. Jahrhunderts mit Teppich- und Parkettmustern bedruckt, die im Gebrauch jedoch bald abrieben und den „Schein“ offenkundig mach­ ten. Ab 1894 wurde (zuerst in England) auch das so genannte „Inlaid“-Linoleum produ­ ziert, dessen Muster im Material in die Tiefe ging und nicht abgelaufen werden konn­ te. Inlaid-Muster waren jedoch aufwendig in der Herstellung und durften nicht zu feinteilig sein. Entwerfer waren gefordert, möglichst einfache geometrische Muster zu zeichnen. Einige Künstler, die für die Linoleumindustrie arbeiteten, zeichneten abstrahierte Blumenmuster und verwiesen so auf natürliche Werte. Peter Behrens, der als „Desig­ ner“ bei den Linoleumwerken „Ankermarke“ angestellt war, vertrat die Meinung, dass die Entwürfe der Idee des Linoleums entsprechen, einen inneren Wert zum Ausdruck bringen müssen. Er wollte eine Gesetzmäßigkeit des Bodenbelages finden, eine eige­ ne Wahrheit. Behrens zeichnete ein schwarzes Quadrat im weißen Kreis. Die einfache Geometrie war für ihn ein Naturgesetz an sich. Das Muster konnte leicht hergestellt werden, endlos in Fortsetzung gedacht werden und es ermöglichte eine großflächige Verlegung. Hier begann Anfang des Jahrhunderts über die Wahrheitsfindung bei in­ dustriellen Produkten gleichzeitig die Rationalisierung und Typisierung. Die Tatsache, dass Linoleum eine Rollenware war, im Prinzip endlos hergestellt werden konnte, verlangte eine entsprechende, endlos gültige Form. Gegenständliche Muster verloren in endloser Reihung schnell die erwartete Bedeutung, erinnerten zu 136

sehr an die Imitate von Teppichen. Behrens fand die gültige Form in der einfachen Geo­ metrie, die durch Reihung nicht an Wirkung verlor – im Gegenteil.

„Künstlermuster“ Linoleum der Linoleumwerke „Ankermarke“, Delmenhorst. Hier: Geometrischer ­Entwurf von Peter Behrens, der sich endlos in Reihe verlegen lässt. Quelle: Sammlung Aschenbeck

„Künstlermuster“ Linoleum der Linoleumwerke „Ankermarke“, Delmenhorst. Hier: Entwurf von Josef Hoffmann, Wien. Quelle: Sammlung Aschenbeck

Der Verband

Auch in der Möbelindustrie nahm in den 1910er Jahren die Typisierung zu. Die Ver­ einigten Werkstätten für Kunst im Handwerk produzierten Serienmöbel nach einem Entwurf Bruno Pauls. Richard Riemerschmid entwarf „Maschinenmöbel“.15 Auch an­ dere Serienprodukte, die offen sichtbar als Serienprodukte gestaltet waren, wurden in den Jahrbüchern vorgestellt. Wir sehen, dass die Vorstellung, dass ein Produkt eine eigene Wahrheit ausdrücken solle, die Industriealisierung und Massenfertigung nicht behinderte. Sobald eine funk­ tionierende Wahrheit-Repräsentation gefunden war, konnte das Objekt endlos repro­ duziert werden – und dennoch glaubhaft bleiben. Die bis heute gängige Vorstellung von einem Designprozess, nach der ein Objekt­ so lange zu reduzieren sei, bis die ideale Form gefunden sei, entspricht ganz diesem Denken der Reform: Die ideale Form ist die Form mit einer funktionierenden Reprä­ sentation ist eine Bedeutung tragende Form. Die Reduzierung ist nichts anderes als ein Abschlagen der Teile, die keine Bedeutung tragen, die für die Idee überflüssig sind. Bei der Vorstellung, dass Naturgesetzlichkeit = Wahrheit ist, reduzierten sich for­ male Lösungen schnell auf ganz einfache Entwürfe, die die Naturgesetzlichkeit in ­logische Formen und Kräfteverhältnisse übersetzten.16 Die Reformidee und der Massenmarkt konnten in der Nutzung einfacher, geome­ trischer und abstrakter Formen zur Deckung gebracht werden! Hier liegt ein wichtiger Grund für die lange Erfolgsgeschichte der Reform in allen Bereichen der Gestaltung. Die Typisierung der Warenwelt wurde während der Werkbundausstellung in Köln 1914 Streitthema im DWB -Vorstand.17 Während Henry van der Velde erklärte, dass nur das künstlerische Wirken eine richtige Wahrheits-Repräsentation bei den Dingen garantieren könne, vertrat Hermann Muthesius die gegenteilige Auffassung. Der indi­ viduelle künstlerische Eingriff würde die Perfektionierung der unbewusste Repräsen­ tation eher stören. Wenn eine ideale Form gefunden sei, könne und müsse sie seriell

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reproduziert werden. Es sei gut, dass ein neuer Stil gefunden und in Serie vermarktet werde – und dass also der Künstler dann überwunden werde. Henry van der Velde vertrat 1914 die Idee der frühen Reformzeit, nach der nur der einzelne, wissende Künstler sei in der Lage, ein die Wahrheit repräsentierendes Ob­ jekt ganz aus seinem Fühlen heraus zu schaffen. Mit Hermann Muthesius deutete sich eine neue Strömung an: Die Objektivierung der Reform und damit die Etablierung der naturgesetzlichen Logik einer Maschinenästhetik.

Ausstellungen Seit dem Erfolg der Weltausstellungen im 19. Jahrhundert begannen auch die deut­ schen Länder sowie Nachbarländer, eigene Kunst- und Gewerbeausstellungen zu ver­ anstalten. Die Idee des Deutschen Werkbundes, Kunst und Industrie zusammen zu bringen, war tatsächlich nicht ungewöhnlich, sie lag in der Zeit und gehörte zur Pro­ grammatik nahezu aller dieser Ausstellungen, die nach der Wende zum 20. Jahrhun­ dert veranstaltet wurden. Das Bestreben der Länder war, die eigene Leistungsfähigkeit zu zeigen. Da Aus­ stellungen auch von Auswärtigen und von der Presse besucht wurden, waren sie eine gute Gelegenheit, um die Erfolge der regionalen Wirtschaft und der regionalen Kunst in einer breiteren, womöglich nationalen Öffentlichkeit bekannt zu machen. Dabei er­ wies es sich als sinnvoll, das eigene Land als besonders modern herauszustellen, die eigene Industrie als Zukunftsindustrie, die eigene Kunst als Avantgarde zu verkaufen. Die regionalen Ausstellungen wurden so ein ideales Experimentier- und Selbstdar­ stellungsfeld für Reformarchitekten. Die jungen Reformideen – der Aufbau einer neuen Gesellschaft durch neue Kunst und Architektur – ließen sich von den deutschen Län­ dern ideal instrumentalisieren, konnten sie sich doch so als besonders zukunftsstre­ bend herausstellen. Ein großer Erfolg für die Reformer: Ihr Anliegen, zur Sache der Län­ der wie Oldenburg oder Hessen erklärt, schaffte die Ausbreitung in die Ebene. ­Die Liste und Abfolge der Ausstellungen zeigt, dass die Erfolge der Reformer in der Provinz begannen – und bis zum Ersten Weltkrieg einen auffälligen Umweg um die Zentren nahmen. Reform war noch lange nach 1900 ein Argument gegen den Main­ stream, der in Berlin, München oder Hamburg im Historismus verharrt war – trotz Gar­ tenstadtgesellschaft und trotz Deutschem Werkbund. Die Ausstellungen lassen sich als eine Propaganda für die Reform von der Peripherie bezeichnen. 1.  Mathildenhöhe Darmstadt, ab 1899 Das Großherzogtum Hessen gehörte zu den kleineren Staaten in Deutschland – mit etwa einer Million Einwohnern um 1900. Großherzog Ernst Ludwig war selbst kunstund kulturinteressiert und hatte in England die Arts-and-Crafts-Bewegung kennen ge­ lernt. Im Jahr 1899 lud er sieben junge Künstler ein, unter ihnen den 31-jährigen Peter Behrens, um auf der Mathildenhöhe in Darmstadt eine Künstlerkolonie zu begründen. Bis 1914 wurde hier das Projekt der Reform vorangetrieben – ein zweiter Berg der Wahr­ heit entstand, allerdings bereits in großer Nähe zu den industriellen Zentren.

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Peter Behrens, Haus auf der Mathildenhöhe, Darmstadt 1901. Quelle: Wikipedia

2.  Internationale Kunst- und Gartenbauausstellung, Düsseldorf 1904 Düsseldorf gehörte zwar Anfang des 20. Jahrhunderts zu Preussen, allerdings war es doch weit von Berlin entfernt und musste um 1900 seine eigene Position finden. Die massive Industrialisierung im Rheinland und auch der Aufstieg des Ruhrgebietes hat­

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Die jungen Künstler wollten eine eigene Welt schaffen, ein „Dokument deutscher Kunst“, durchaus im Sinne Langbehns, der das Buch „von einem Deutschen“ geschrie­ ben hatte. Kunst wurde entsprechend der Vorstellung der Reformer allumfassend ge­ sehen. Jedes geschaffene Stück könne zur Gesundung der Gesellschaft beitragen – und wäre Teil einer Aufbauarbeit. Joseph Maria Olbrich, einer der beteiligten Künstler: „Eine Stadt wollen wir erbauen, eine ganze Stadt! Alles andere ist nichts!“ 18 Ausgehend von den Darmstädter Vorbildern wurden die Kuranlagen im hessischen Bad Nauheim ebenfalls im Sinne der Reform errichtet, ebenfalls als Baustein einer neu­ en gesunden Gesellschaft zumindest in Hessen.

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ten zu einem großen Bedeutungszuwachs der Stadt geführt. Eine Gewerbe-, Industrieund Kunstausstellung sollte bereits 1902 den wachsenden Anspruch dokumentieren und festigen. Während die Ausstellung von 1902 noch ganz der etablierten gründer­ zeitlichen Ästhetik folgte, wurde mit einer nur zwei Jahre später am Rhein veranstal­ teten Gartenbauausstellung auf die Moderne gesetzt. Der in Darmstadt bereits bekannt gewordene und seit Sommersemester 1903 19 an der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule unterrichtende Peter Behrens wurde aufgefordert, das Restaurantgebäude „Jungbrun­ nen“ der Ausstellung zu errichten. Allein der Name des Restaurants war eine Kurzform des Reformerprogramms: Eine Gesundung und damit „Verjüngung“ der Menschen. Behrens versucht das Ziel über eine Kombination von Hüttenmotiven mit Pergolas und Veranden zu erreichen, eine fast eklektische Kombination der Monte-Verità-Mo­ tive. Das Restaurant unterschied sich deutlich von allen anderen Bauten der Ausstel­ lung, die noch dem Historismus zuzurechnen waren; es wurde von zeitgenössischen Publikationen auffällig übergangen.20 3.  Ausstellung für Handwerk und Kunstgewerbe, Breslau 1904

Anlässlich der Breslauer Ausstellung für Handwerk und Kunstgewerbe 1904 errichtete Hans Poelzig ein Musterhaus. Auf einem niedrigen, verputzten Erdgeschoss ruht ein hohes Dachgeschoss, das mehr als die doppelte Höhe des Erdgeschosses einnimmt. Ober- und das Dachgeschoß sind vollflächig mit Dachziegeln verkleidet.21 Eine Log­ gia und eine Art Liegehalle sind genauso Bestandteil des Entwurfs wie ein Erker und Dachgauben. Ausdrücklich hat Poelzig das Musterhaus für „die Geistesarbeiter“ errich­

Hans Poelzig, Musterhaus auf der Ausstellung für Handwerk und Kunstgewerbe in Breslau, 1904 . Quelle: Architekturmuseum TU Berlin, Inv. Nr. F 1460

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Hans Poelzig, Eigenes Wohnhaus in Leerbeutel bei Breslau, 1904 . Quelle: Posener 1994 , S. 60

4.  Landes-Industrie- und Gewerbeausstellung, Nordwestdeutsche Kunstausstellung, Oldenburg 1905 Anfang des 20. Jahrhunderts konnten Städte und Staaten mit der Person Behrens punk­ ten. Er galt als der wichtigste Vertreter der jungen Generation, die mit dem Historismus

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tet, „die an die Stadt gebunden sind und dennoch, um gesund und frei zu leben, ihr ent­ fliehen“ 22 – es war der neue Typ des Menschen, der womöglich zurück aus den Berg­ sanatorien kam und in der Provinz nach den neuen Prinzipien der Reform leben wollte. Poelzig hat eine Reformvilla für die reformierten Menschen entworfen. Ange­ lehnt an die bäuerliche Architektur Schlesiens schuf er einen Neubau, der das gesun­ de, schöpferische Leben von Intellektuellen garantieren sollte. Poelzig zeigte auf der Ausstellung einen Weg, wie man eine scheinbar naturgesetzliche Wohnarchitektur schaffen könne. Auch Poelzigs eigenes Wohnhaus, 1906 in Leerbeutel bei Breslau errichtet, folgt dem Prinzip – Landhausarchitektur mit ländlichen Elementen für einen städtischen „Geistesarbeiter“. Das eigene Haus ist noch stärker differenziert. Das Sockelgeschoß ist aus Bruchsteinen zusammengefügt, das Erdgeschoß wurde gemauert und verputzt, das Ober- und das Dachgeschoß mit Dachziegeln verkleidet. Gauben und Erker unter­ brechen die Dachfläche.23 Insgesamt entsteht ein bodenverwachsener Gesamteindruck: das neuerrichtete Haus des Städters erscheint traditioneller, ja länger dem Land zugehörig, als der wo­ möglich benachbarte gründerzeitliche Hof des Bauern.

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Peter Behrens, Pavillon der Delmenhorster Linoleumfabrik „Ankermarke“, ­Oldenburger Industrie- und Gewerbeausstellung, 1905. Quelle: Sammlung Aschenbeck

gebrochen hatten, die alles neu gestalten wollten. Ausgerechnet Behrens hatte jedoch keine „Reformer-Sozialisation“ hinter sich – er hatte weder Sanatorien noch Naturheil­ anstalten besucht. Allerdings stand er im engen Kontakt zu den Reformerkreisen in München. Als Mitbegründer der „Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk“ in München teilte er die Vorstellung, dass durch „bessere“ Gegenstände der Bürger er­ zogen und die Gesellschaft verbessert werden könne. Behrens schuf 1905 in Oldenburg kubische Pavillonbauten, die sich zu einer Art Tempelbezirk gruppierten – mit einer Ausstellung der Bilder des Worpsweder Künst­ lers Heinrich Vogeler im Mittelpunkt. Anders als Poelzig versuchte Behrens keine An­ bindung an die traditionelle Architektur der Region. Er schuf wie später Tessenow in ­Hellerau eine weiße Tempelarchitektur in einer neuen Interpretation. Er fand die Wahrheit seiner Architektur in der Reduktion; einfache Formen und einfache geome­ trische Körper – Kreis und Quadrat – waren für ihn der Ausdruck wahrhaftiger Natur­ gesetze. Er verband die Baukörper direkt mit Pergolas und verknüpfte so Architektur und Natur. Folgen wir einem imaginären Gast der Oldenburger Kunsthallenanlage, der zum ersten Mal das Gelände betrat. Nachdem der Besucher den weiten Vorplatz über­ quert und nachdem er acht Stufen genommen hat, befand er sich vor dem marmor­ um­k leideten Eingang der Kunsthalle. Allein eine geometrische Profilierung gestaltete die Kuben, betonte ihre konstruktive Wirkung. Zweifellos war die geometrische Ord­ nung der Baukörper und die geometrische Ornamentierung nicht die Umsetzung eines 142

Peter Behrens, Entwurf (Blaupause) des Pavillons der Delmenhorster Linoleumfabrik „Ankermarke“, Ausschnitt, Oldenburger Industrie- und Gewerbeausstellung, 1905. Quelle: Asche 1992, Abb. 6

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modernen Funktionalitätsbegriffs wie später oft interpretiert. Vielmehr wollte Beh­ rens zeigen, dass seine Architektur geradezu naturgesetzlich geordnet sei – der „Kubis­ mus“ war nichts anderes als die Umsetzung einer so verstandenen Logik. Die Archi­ tektur sollte wie naturgesetzlich aus dem Boden gewachsen erscheinen: die Geometrie ­repräsentierte die Gesetzlichkeit. Die Kunsthalle war eine erste Vollendung einer Architektur, die scheinbar ohne ­A rchitekten (ohne individuellen Künstler) auskommt – da sie vollkommen gesetzmä­ ßig und unindividell erscheint. Nach Betreten der Kunsthalle befand sich der Besucher in der Haupthalle mit der Frauenplastik „Medea“. Von der Halle aus konnte der Gast in die Seitenräume gelangen, beispielsweise in den Heinrich-Vogeler-Saal. Zum nach Osten ausgerichteten Lesesaal und somit auch zum Skulpturengarten gelangte man nur über den Umweg der Seitenräume. Eine direkte Verbindung zwi­ schen Haupthalle und Leseraum gab es nicht. Das eigentliche Heiligtum, die Haupthal­ le, blieb also abgeschirmt von dem einzigen Ausblick-gewährenden Zimmer. Behrens gab die noch beim Düsseldorfer Restaurant Jungbrunnen praktizierte direkte Wegfüh­ rung von der urtümlichen Hüttenarchitektur zum erhebenden Ausblick auf, ermög­ lichte den Ausblick nur noch am Rande, betonte stattdessen den Innenbezug. Peter Behrens hatte in Oldenburg einen Tempel geschaffen, in dessen Mittelpunkt die Kunst stand. Der Oldenburger Tempel war nicht wie in Hellerau oder in Ascona ein Theater für Ausdruckstanz, kein Zentrum ritueller Formen, sondern eine zeitweise (auf einen Sommer beschränkte) Aufbewahrungsstätte von „wahren“ Objekten. Voge­ lers Gemälde „Sommerabend“ beispielsweise verkündete eine gesellschaftliche Uto­

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pie – die Menschen musizierten im Bild vor der neuen Vogeler-Architektur, sie schie­ nen Teil einer schon Realität gewordenen Zukunft, in der die Menschen ihre Zeit auf Terrassen verbringen und sich mit Kunst beschäftigen. Die Oldenburger Ausstellungskunsthalle stand als Tempel im Zentrum einer sym­ metrischen Anlage. Im engen Zusammenhang mit dem Zentralgebäude der Kunsthalle standen vier Hüttenbauten: zum einen die beiden Seitenpavillons der Kunsthalle (Ver­ waltung und Teehaus), die mit dieser direkt verbunden waren, zum anderen die beiden Industrie-Pavillons, die auf architektonische „Urformen zurückgehen“.24 Das kleine Teehaus, von dem keine Innenansichten überliefert sind, war als eine klassische Licht- und Lufthütte gestaltet. Große Fenster öffneten sich zum Skulpturen­ garten und zum Everstenholz. Die Hütte sollte nichts weiter als eine Terrasse sein. Die archaische Form begleitet die ideale Architektur der Kunsthalle, gibt einen notwendi­ gen (verdeutlichenden) Gegensatz zum auf der Leiter der Evolution höchststehenden Gebäude. Der Bau für die Lohner Zigarrenfabrik Rogge wirkt vor allem durch einen hohen Giebel, der auf angedeuteten Dachsparren ruht. Eine aufgemalte Dreiecksornamentik ziert den Giebel und verdeutlicht den Hüttencharakter. Die Erdgeschoss-Fassade wird durch zwei Schaufenster, einer mittig gesetzten Tür und einem Schriftband gegliedert. Die Mauerteile, die die Schaufenster begrenzen, sind durch schwarze Linien lisenen­ artig hervorgehoben. Behrens hat versucht, die konstruktiven Prinzipien der Hütte zu stilisieren. Der Zigarrenpavillon wirkt wie eine Kunstform der Thoreau-Hütte, wie eine Abstraktion eines selbstgezimmerten Bauwerks. Der benachbarte Pavillon der Delmenhorster „Anker“-Linoleumwerke scheint auf­ wendiger gestaltet. Behrens hat das stilisierte, aufgemalte Balkenwerk so angeordnet, dass es wie eine Pfeilerreihe wirkt. Das Schriftfeld über dem Eingangsbereich erinnert an antikes Gebälk. Gleichzeitig evoziert die Dachform die Grundform eines niedersäch­ sischen Bauernhauses; Behrens hat also wie beim Zigarrenpavillon auch beim Lino­ leumpavillon ein archaisches Hüttenbild geschaffen.25 Das Innere des „Anker“-Pavillons hat wie die Kunsthalle einen tempelartigen Cha­ rakter bekommen. An der Rückseite des Gebäudes befindet sich, zentral angebracht, eine Luftaufnahme der Delmenhorster Linoleumfabrik. Rechts und links stehen verti­ kal aufgebaute Linoleumrollen – sie wirken wie Säulenreihen. Wie bei der Kunsthalle wird der Ausstellungsraum fast ausschließlich durch hoch­ liegende Fensterbänder, durch die man nicht hinausblicken kann, belichtet. Die Oldenburger Behrens-Bauten lassen sich als pädagogische Anlage beschreiben, in der der Besucher die Evolution von der Hütte zum Tempel nachvollziehen kann. Der Betrachter kann wie zufällig den Weg von den profanen Hütten, in denen es Zigarren gab oder in denen Tee ausgeschenkt wurde, über den Linoleumtempel (Künstlermus­ ter!)  26 zum eigentlichen Kunsttempel (freie Kunst) nachvollziehen. Gleichzeitig lassen sich Licht und Luft im Skulpturengarten erleben. Behrens Anlage ist nicht weniger als das Modell eines Gemeinwesens der Reform – mit Sakralgebäude, einfachen Hütten und zentralem Platz. Wobei aber die alles vereinende Architektur eine tiefe, natur­ gesetzliche Logik habe – die Individualität der Kunst nur in Form der Vogeler-Werke noch zulasse. 144

5.  Deutsche Kunstgewerbeausstellung, Dresden 1906 Der Titel Kunstgewerbeausstellung ist, zumindest nach heutiger Lesart irreführend. In Dresden wurde 1906 nicht weniger als die neue, künstlerisch überformte Archi­ tektur und Innenarchitektur gezeigt. Haustypen wurden genauso ausgestellt wie Ma­ schinenmöbel oder Linoleummuster. In Dresden wurde eindringlich die Idee präsen­ tiert, dass eine neue Gesellschaft aus den künstlerisch wahrhaftig gestalteten Dingen zu wachsen habe. Zahlreiche Künstler und Architekten, die später von sich reden machten, waren 1906 in Dresden beteiligt, so Fritz Schumacher, Peter Behrens, Joseph Maria Olbrich, Alfred Grenander, Max Hans Kühne, William Lossow, Heinrich Tscharmann, Karl Schmidt und Richard Riemerschmid. Auf dem Ausstellungsgelände wurden ein Dorfplatz mit Schule, Einfamilienhäuser, Wohnhäuser, ein kleinstädtisches Zentrum, eine Maschinenhalle sowie zahlreiche Pa­ villons errichtet. In den Häusern wurden kunstgewerbliche Arbeiten gezeigt, darunter „Maschinenmöbel“ von den Deutschen Werkstätten in Hellerau. Überhaupt war das von Maschinen geschaffene Kunstgewerbe ein großes Thema, auf diesem Gebiet hatte es in den vergangenen Jahrzehnten eine Entwicklung gegeben, die von der ReformerGeneration zuerst vehement kritisiert wurde. Maschinen produzierten mit leichter Hand komplizierte Dekorationen in unterschiedlichsten Stilen. Wie bei der Architek­ tur verloren so die Dekorationen und Ornamente an den Gegenständen jede Bedeutung, ja, auch jeden Bezug zum Gegenstand. In der Dresdener Ausstellungszeitung ist zu le­

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Peter Behrens, Pavillon der Linoleumfabrik „Ankermarke“ auf der Deutschen Kunstgewerbeausstellung in Dresden, 1906. Quelle: Gustav Adolf Platz 1927

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sen, dass „es nicht Aufgabe maschineller Tätigkeit sein sollte, handwerkliche Arbei­ ten, am wenigsten solche mit überreicher Dekorationshülle, scheintäuschend nachzu­ ahmen, wie das bereits seit Jahrzehnten auf dem Gebiet der Möbel-Massen­fabrikation geschieht, sondern dass sie [die Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst] die bau­ lichen und künstlerischen Anforderungen an ihr Dresdner Hausgerät der ganz beson­ deren Eigenart der Maschine anpassen müssen und sie nur solche Werk- und Zier­ formen ausführen lassen dürfen, die gerade ihrem Wesen entsprechen – mit anderen Worten – es ist ein Möbelstil aus dem Geist der Maschine heraus zu entwickeln ver­ sucht.“ 27 Wobei wieder die Vereinbarkeit von Reform und Serienproduktion untermauert wird, eine Vereinbarkeit, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Dresden und parallel an anderen Orten der Reform begann, die dann bis zum Erfolg des schwedischen Unter­ nehmens IKEA reichte. Peter Behrens errichtete in Dresden abermals den Pavillon der Delmenhorster Lino­ leumwerke „Ankermarke“ – ein Bau, der teils als Hütte, teils als Tempel interpretiert werden konnte und der später, wegen seiner einfachen, reduzierten, geradezu „natur­ gesetzlichen“ Form oft als Inkunabel der Moderne angesehen wurde. 6.  Gewerbeausstellung, Allenstein 1910 Auch das ostpreußische Allenstein lag (und liegt) an der Peripherie. Um seine Stellung im deutschen Reich zu verdeutlichen, veranstaltete die Stadt Allenstein 1910 eben­ falls eine Gewerbe-, Industrie und Kunstausstellung, deren Zentralbauten vom lo­ kalen ­A rchitekten Meinhold Drolshagen ent­ worfen wurden.28 Allenstein war – anders als Düsseldorf oder Oldenburg – nicht bedeu­ tend genug, um die großen Architekten für die Ausstellungsarchitektur zu gewinnen. Doch Drolshagen folgt ganz dem Vorbild Behrens: In Allenstein entstand eine Haupthalle, die in ihrer kubischen Einfachheit an die Behrens-­ Architektur erinnert; ja, Drolshagen Allen­ steiner Kunsthalle erscheint wie eine Kopie der Oldenburger Behrens-Kunsthalle, sie ist geradezu ein Plagiat.29 In Allen­stein wurde ebenfalls eine Reform-Villa als Musterhaus er­ richtet, auch konnte man ein „Ermländisches Bauernhaus“ betrachten, sozusagen eine Ver­ linkung zwischen traditioneller und moderner Architektur.30

Deutsches Haus, Weltausstellung Brüssel 1910. Zeitgenössische Postkarte Quelle: Sammlung Aschenbeck

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7.  Weltausstellung, Brüssel 1910 Auf der Brüssler Weltausstellung vertraten die Reformer bereits das deutsche Reich – sie bekamen erstmals die gesamtdeutsche Deu­

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Meinhold Drolshagen, Bauten auf der Gewerbeausstellung in Allenstein 1910. Quelle: Alleinsteiner Heimatbrief Nr. 249, Sommer 2010, S. 18

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Ostdeutsche Ausstellung, Posen 1911. Zeitgenössische Postkarte. Hinter der Hauptindustrie­halle ist der ­Poelzig-Wasserturm zu erkennen. ­ Zeitgenössische Postkarte

tungshoheit über Architektur und Kunst. Das „Deutsche Haus“ erinnerte in seiner Ar­ chitektur sicher nicht zufällig an eine Knospe. Ein wenig ahnte man noch die Formen des Jugendstils, aber die Idee, dem Aufbruch in eine neue Zeit die angemessene Form zu geben, war unübersehbar. In Brüssel wurde einmal mehr deutlich, dass der Deutsche Werkbund Reformkunst und Exportbestreben der Industrie geschickt verband. Die neue deutsche Form konnte nun nicht mehr nur von den Provinzstädten als Verkaufs- und Werbeargument einge­ setzt werden, es konnte auch Deutschlands Stellung in der Welt neu definieren: von der abgehängten Nation, in der billige Massenware und Massenkitsch hergestellt wurde, hin zu einem modernen Staat, der eine neue Kultur definiert. 8.  Ostdeutsche Ausstellung, Posen 1911 Auf dem Ausstellungsgelände in Posen wurde 1911 ein „Kleinsiedlungsdorf“ in Reform­ architektur errichtet. Da in Posen etwa die Hälfte der Bürger ethnische Polen waren (denen man einen polnischen Nationalismus unterstellte), sollte das Land von der deutschen Verwaltung „germanisiert“ werden. Die Reformhäuser wurden entspre­ chend als „deutsch“ interpretiert. Reformarchitektur wurde hier (in natürlich unsin­ niger Weise) gleichgesetzt mit deutscher Architektur. „Die Haustypen des Kleinsiedlungsdorfes repräsentieren […] Standardtypen eines ‚heimischen‘, deutschen Baustils, wie sie etwa für die Gartenstadt Hellerau bei Dresden […] entwickelt worden waren und in Varianten überall in Deutschland realisiert wur­ den.“ 31 Bei den Bauten, die der Architekt Paul Fischer entworfen hatte, handelt es sich um einfache, verputzte Baukuben mit Satteldächern. Im Erdgeschossbereich sieht man Rankhilfen, die Hausformen sind durch helle Putzbänder akzentuiert.32 Man kann konstatieren, dass spätestens seit der Weltausstellung in Brüssel Re­ formkunst und Reformarchitektur als deutsche Staatskunst auftraten.

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Kleinsiedlung auf der Ostdeutschen Ausstellung in Posen 1911, Architekt Paul Fischer. Zeitgenössische Postkarte

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Kleinsiedlung auf der Ostdeutschen Ausstellung in Posen 1911, Architekt Paul Fischer. Zeitgenössische Postkarte

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Deutsche Ausstellungshalle auf der Baltischen Ausstellung in Malmö 1914 . Die Architektur erinnert an die ­Warenhäuser von Messel und war 1914 nicht mehr zeitgemäß. Zeitgenössische Postkarte. Quelle: Sammlung Aschenbeck

9.  Baltiska utställningen, Malmö 1914 Auch das schwedische Malmö, ebenfalls eine aufstrebende Industriestadt, wollte in der Boomzeit seine Position herausstellen und veranstaltete 1914 die „Baltische Aus­ stellung“. Verantwortlicher Architekt für die schwedischen Ausstellungsbauten war Ferdinand Boberg (1860 – 1946), der in Schweden den Weg vom Historismus zur Reform gegangen war und 1906 die Hauptpost von Malmö errichtet hatte. Der deutsche Pavillon erinnerte an die Kaufhausbauten von Messel – 1914 schon eine eher unzeitgemäße Architektur. Der deutsche Werdandi-Bund 33, eine Parallel-­ Gründung zum Deutschen Werkbund und vor allem durch den Architekturwett­ bewerb „Das Flache Dach im Heimatbilde“ 34 hervorgetreten, war in Malmö mit einen eigenen Pavillon vertreten – einem formal stark reduzierten Reformtempel (Entwurf vom Werdandi-Vorsitzenden Friedrich Sesselberg). Die Ausstattung hatte teilweise der Bremer Reformarchitekt Heinz Stoffregen übernommen. 10.  Ausstellung des Deutschen Werkbundes, Köln 1914

Die Kölner Ausstellung, die am 16. Mai 1914 öffnete und vorzeitig mit Beginn des Ersten Weltkriegs schloss, war nicht weniger als die Bilanz einer ersten Phase der Reform. Mit der Kölner Ausstellung hatten es die Reformer geschafft, in einer großen deutschen Stadt eine zentrale Ausstellung zu gestalten – als Leistungsschau der modernen Kunst und Architektur. Die Kölner Ausstellung dokumentierte die endgültige Ablösung der Kunst­ vorstellung des 19. Jahrhunderts und die Etablierung eines neuen Architektursystems. 150

Fast könnte man meinen, mit Tauts Glaspavillon sei damals ein Sinnbild des neuen Denkens entstanden: eine gläserne Knospe, die das natürliche Wachstum einer neu­ en Zeit versprach – innen eine Spirale, die den Gang vom Ursprung zur Vergeistigung symbolisierte. Andere Kölner Ausstellungsbauten betonten den Bezug zum Boden und zur Land­ schaft, so das „Bremen-Oldenburger-Haus“ (Architekten Abbehusen & Blendermann) oder das „Niederrheinische Dorf“ (verschiedene Architekten). Vor dem „Bremer-Oldenburger-Haus“ sollte das Bronze-Denkmal einer Kuh auf­ gestellt werden, „eine Kuh als Repräsentantin des Deutschen Werkbundes des Olden­ burger Landes, als Musterexemplar des Edelsten und Schönsten [sic!], was gezogen, verherrlicht und versinnbildlicht durch die Hand eines großen Künstlers“.35 Doch die Lieferung verzögerte sich und vor Kriegsausbruch konnte das Denkmal nicht mehr aufgestellt werden. Ausgerechnet eine Kuh als Symbol eines modernen Landes, als Chiffre der Herkunft, der natürlichen Entwicklung vom Ursprung zur Perfektion! Zusammenfassend gesagt ließen sich auf allen genannten Ausstellungen moderne, kubische oder gläserne Bauten finden, die wie Kristalle oder Knospen auf Kommendes verwiesen – Tempelarchitektur des beginnenden 20. Jahrhunderts. Daneben standen auf allen Ausstellungen dieser Ära vor dem Ersten Weltkrieg Landhäuser mit ihren ty­ pischen Elementen (Walmdach, Loggien, Erker, Rauputz, Rankhilfen) und auch Bau­ ten, die sich direkt auf eine lokale ursprüngliche Architektur bezogen. Das Programm der Reform ließ sich also nicht alleine im einzelnen Bauwerk identifizieren, es konnte auch am Bauprogramm einer ganzen Ausstellung abgelesen werden: von der lokalen Hütte bis hin zum abstrakten Tempel.

Beispiel Delmenhorst Delmenhorst gehörte um 1900 zu den Städten im Deutschen Reich, die am stärksten von der Industrialisierung geprägt waren. Innerhalb von vier Jahrzehnten (1860 – 1900) wuchs die Bevölkerungszahl um das fünffache auf 16 000. Eine Wollkämmerei, eine Jute­spinnerei und drei Linoleumfabriken benötigten derart viele Arbeitskräfte, dass der Bedarf nicht mehr regional befriedigt werden konnte. Vor allem die Fabriken „Jute“ 36 und die „Nordwolle“ warben ausländische und ostdeutsche Arbeitskräfte an. Mit dem Bevölkerungswachstum veränderte sich das Stadtbild. Hatten bis 1860 Olden­ burger Gründerzeithäuser, sogenannte „Oldenburger Hundehütten“, und dem traditio­ nellen Bauernhaus entlehnte Ackerbürgerhäuser das Straßenbild bestimmt, wurden in der Folgezeit vor allem gründerzeitliche Fabrikbauten, gründerzeitliche Geschäfts­ häuser und Arbeiterhäuser errichtet. Die neue Architektur, die sich im Umkreis der Fabriken entfaltete, folgte keiner hergebrachten städtischen Ordnung mehr. Vielmehr bildete jede Fabrikanlage eine Stadt in der Stadt – ausgestattet mit Werkstätten, Wohn­ häusern, sozialen Einrichtungen und teilweise auch Vergnügungsstätten. Die Wohnverhältnisse der Arbeiter – vielfach junge Leute, die aus Osteuropa ange­ worben waren – waren oftmals schlecht, viele Menschen mussten sich sogar die Bet­

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ten teilen. Die Siedlung „Jutehäuser“ war von einer Mauer umgeben, ein Tor wurde jeden Abend verschlossen. Man sprach überregional von „Delmenhorster Verhältnis­ sen“ – ein Beleg für das Versagen der Stadtentwicklung im Delmenhorst des ausgehen­ den 19. Jahrhunderts. Einige Bürger jedoch gaben sich mit dem unkontrollierten Wachstum nicht zufrie­ den. Sie vermissten die ideellen Ziele, die das Wachstum begründen könnten. Sie woll­ ten keineswegs das Wachstum bremsen, sondern es vielmehr in auf die „Wahrheit“ be­ zogene Bahnen lenken. Zu den Delmenhorstern, die das Wachstum der Gründer­zeit in ein naturgesetzliches Wachstum einer Reformordnung umdefinieren wollten, gehör­ ten der Industrielle Gustav Gericke (1864 – 1935), Direktor der Linoleumwerke „Anker­ marke“, sowie der Politiker Erich Koch-Weser (1875 – 1945). Beide betrieben den Umbau im Sinne der Reform derart vehement und erfolgreich, dass Delmenhorst bereits vor dem ersten Weltkrieg vielfach als ideale Reformstadt angesehen wurde, dass ganz Del­ menhorst ein Modell der Reform wurde.37 Gerade Gustav Gericke steht beispielhaft für die Industrielle, die der Reform ­folgten und die auch ihr Unternehmen im Sinne der Reform ausrichteten. Andere Na­ men, die zu nennen wären, sind der Bankiers-Sohn Karl Ernst Osthaus aus Hagen (1874 – 1921), der Gold- und Silberwarenfabrikant Peter Bruckmann (1865 – 1937) sowie der Indus­t rielle Walther Rathenau (1867 – 1922), die jeweils nach ihren Möglichkeiten die Reform voran brachten und wie Rathenau oder Osthaus ganze Städte durch ihr Wirken ­prägten. Die Delmenhorster Linoleumwerke „Ankermarke“ traten vermutlich noch 1907 dem Deutschen Werkbund bei.38 Gericke wurde bereits 1908 in den DWB -Vorstand gewählt. Das Unternehmen vertrieb seine Produkte unter dem Oberbegriff „Künstler­ muster“.39 Mit Entwürfen u. a. von Peter Behrens erreichte die „Ankermarke“ bei den vielen neuen Landhausbesitzern, die ein künstlerisch durchgestaltetes Leben führen wollten, aber auch bei den Kommunen, die Rathäuser und Kunsthallen im Sinne der Reform errichten ließen, wirtschaftliche Erfolge.40 Das „Anker-Linoleum“ wurde schnell Inbegriff eines „veredelten“ Bodenbelags. Die Werkbund-Forderung nach „Veredlung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk“ schien erfüllt.41 Gustav Gericke glaubte, mit seinen Produkten an einer neuen besseren Zeit kon­ kret mitwirken zu können. Der Erfolg der „Künstlermuster“ würde ganz nebenbei und selbstverständlich eintreten, würde ganz nebenbei rekursiv die Gesellschaft weiter auf den richtigen Weg der ästhetischen Reform bringen. Doch die „Künstlermuster“, die in ganz Deutschland, ja in ganz Europa auf den ­Betrachter einwirken sollten, waren ein zu indirektes Mittel der Kulturveränderung, als dass sich Gericke mit ihnen auch im lokalen Rahmen zufrieden geben wollte. Dort, wo er mit der Kraft seiner Person tätig war, musste er die Reform ganz konkret an­gehen. Die Linoleumfabrik „Ankermarke“ sollte geradezu eingegliedert werden in eine neue städtische Ordnung, in eine durch die Reform zu erzielende Harmonie. Folgende städtebauliche Maßnahmen wurden von Gericke zusammen mit dem Bürgermeister Koch-Weser, der ebenfalls Mitglied des Deutschen Werkbunds war, vor­ angetrieben: 152

Häuserreihe des Delmenhorster Bauvereins an der Schanzenstraße in Delmenhorst. Bauplan (Ansicht). Quelle: Bauordnungsamt Stadt Delmenhorst

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1. Delmenhorster Bauverein Damit nicht nur Industrielle und Geschäftsleute die neue Ordnung gestalten und be­ wohnen konnten (in idealen Landhäusern wie das des Arztes Hermann Coburg, 1906 von Heinz Stoffregen errichtet), um „minderbemittelten Familien gesunde und zweck­ mäßig eingerichtete Wohnungen in eigens errichteten Häusern zu billigeren Preisen zu verschaffen“, wurde 1911 der Delmenhorster Bauverein gegründet. Im Aufsichtsrat des Vereins saßen neben anderen Direktor Gustav Gericke und Hermann Coburg, der erste Delmenhorster Bauherr, der einen Bremer Reformarchitekten in die Stadt geholt hatte.42 Gericke und Coburg ist es vermutlich zu verdanken, dass der Delmenhors­ ter Bauverein junge Bremer Architekten mit ersten Bauvorhaben betraute. So baute Heinz Stoffregen an der Schanzenstraße eine Reihenhauszeile mit zehn kleinen Woh­ nungen, ausgestattet mit jeweils einer Wohnküche und einer kleinen Stube im Erdge­ schoß sowie zwei Kammern unter dem Dach. Stoffregen schrieb in „Der Industriebau“ über seinen Entwurf: „Die Häuser enthalten einschließlich Wohnküche je vier Räu­ me, Spülküche zugleich Waschküche und Baderaum, Klosett und ein kleines Kellerge­ schoß, außerdem Hofraum mit Stall für Schweine und Ziege. Das Hintergelände steht als Ackerland zur Verfügung“ 43 – jeder Mieter könne das Land, sofern er wolle, hinzu mieten. Die Reihenhäuser an der Schanzenstraße sollten dem Delmenhorster Arbeiter ein individuelles, selbstbestimmtes Leben auf eigenem Grund und Boden ermöglichen. Die Verortung des umherirrenden Arbeiters, der aus dem Osten Europas nach Del­ menhorst gekommen oder der aus den oldenburgischen Landgebieten hinzugezogen war, sollte mit dem Eigenhaus geleistet werden. Die Verortung des nervösen, ruhe­

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Hugo Wagner, Turnhalle in Delmenhorst Deichhorst, 1908 . Quelle: Bauakten, Bauordnungsamt Stadt Delmenhorst

losen Städters, der zu seinen Wurzeln nicht zurück konnte, war das Ziel des Delmen­ horster Bauvereins. Heinz Stoffregen gestaltete die Reihenhauszeile entsprechend. Das südliche End­ haus, das aus der Zeile zurückgesetzt ist und mit eigenem Walmdach versehen wur­ de, erscheint wie eine ideale Hütte. Die anschließenden Wohneinheiten gerieten – aus Kostengründen – simpler. Doch hat Stoffregen auch hier versucht, mittels auffälliger Dachgauben die Gliederung in individuelle Bereiche ablesbar zu gestalten. Die Häuser des Bauvereins, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Linoleumwerke „Ankermarke“ entstanden, sollten ein erster Ansatz sein, Arbeiterleben neu zu ordnen, dem Arbeiterleben durch Bereitstellung von einem Stall und einem Stück Land und ei­ ner eigenen Stube Geborgenheit und Zugehörigkeit zu vermitteln. Die Grundvorstel­ lung des autarken Hüttenlebens wurde in die industrielle Gesellschaft überführt. Das in Reihenhausteilen zu realisierende Hütteleben sollte dazu beitragen, das industrielle Chaos zur industriellen Ordnung zu transformieren.44 2. Turnhallen Zu den wichtigsten Bauten, die in einer gründerzeitlich geprägten Stadt die Neuord­ nung voranbringen konnten, gehörten natürlich Schulen und Turnhallen, Orte der ­Erziehung des Geistes und des Körpers. Im Herbst des Jahres 1907 zeichnete der Architekt des Delmenhorster Bauamtes eine Turnhalle für den Stadtteil Deichhorst. Der Entwurf zeigt geradezu barocke For­ men. Ovale Fenster gliedern eine Fassade mit gebrochenem Giebel; ein Dachreiter be­ krönt den Bau. Als Bürgermeister Koch-Weser den Entwurf sah, ergriff er die Initiative: „Der anl[ie­ gende] Entwurf eines Turnhallenbaus für die Schulacht Deichhorst bei Delmenhorst gelangt an Herrn Architekten Wagner, Bremen, Obernstr., mit der Bitte um eine gefl. Äußerung, ob es möglich sein wird, den Bauentwurf, gegen dessen Raumeinteilung nicht viel einzuwenden sein wird, derartig umzugestalten, dass der Bau entsprechend 154

3. Rathausanlage Das bedeutendste Projekt, das Gericke zusammen mit dem jungen Koch-Weser gegen allerdings zahlreiche Widerstände konservativer Mitbürger durchsetzen konnte, war der Neubau des Rathauses. Der Bremer Gartenstadt-Architekt Heinz Stoffregen wurde, nachdem er einen Wett­ bewerb gewonnen hatte,46 damit beauftragt, auf einer weiten unbebauten Fläche zwi­ schen der Hauptstraße der Stadt, der Langen Straße, und der historischen Keimzelle, der Burginsel, ein Rathaus, einen Wasserturm, eine Feuerwache und eine Markthalle zu errichten. Später, 1925, konnte die Anlage um ein „Kriegerdenkmal“ ergänzt werden. Zuerst wurde der Wasserturm fertiggestellt (1910) und bis zum September 1914 konnte die Anlage, allerdings noch ohne Markthalle, vollendet werden. Der Wasserturm ist das wohl bemerkenswerteste Gebäude der Rathausanlage. Stoffregen hat den auf quadratischem Grundriss errichteten Turm ohne jeden Schmuck belassen. Die Fenstereinschnitte im grauen Putz sind die einzigen Gestaltungselemente. Der Turm, der, so Bürgermeister Koch, keinem Stil zugeordnet werden konnte [sic!],47 sollte die Modernität der Industriestadt Delmenhorst weithin sichtbar verdeut­ lichen. Der Wasserturm war gleichzeitig ein Industriebauwerk und, durch die Verbin­ dung mit dem Rathaus, ein Symbol einer Reformgesellschaft. Der Wasserturm bewies dem Betrachter, dass das Rathaus nicht Mittelpunkt einer Residenzstadt oder einer noch mittelalterlich geprägten Handelsstadt sei, sondern dass das Rathaus im Zen­ trum einer reformierten Industriestadt stehe. Die schlichte, kaum profilierte Fassadengestaltung des Wasserturms ließ nur eine Deutung zu: hinter dem nackten Putz liegt eine technische Nutzung, die eine besonde­ re Bedeutung hat. Der nackte Putz verkündete zudem, dass in der Stadt Delmenhorst die industrielle und technische Nutzung nicht verkleidet werden solle, dass man viel­ mehr stolz auf die Errungenschaften der neuen Zeit sei. Diese Informationen sollte der Wasserturm keineswegs beiläufig vermitteln. Er sollte dem Betrachter die Bedeutung der Technik und damit der Industrie im historischen Zentrum der Stadt eindrucksvoll beweisen. Der Delmenhorster Wasserturm unterscheidet sich von anderen monumentalen Industriebauwerken der Zeit. Die Stoffregen-Architektur war pragmatischer, weniger tempelähnlich als beispielsweise Peter Behrens zeitgleich in Berlin errichtete Turbi­

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wirkt.“ 45 Offensichtlich wussten alle Angesprochenen, was gemeint war: der Entwurf des Bauamts entsprach nicht den Reformbestrebungen der Stadt. Gerade der Bau ei­ ner Turnhalle wurde als ein so zentrales Reformthema angesehen, dass der Entwurf „entsprechend“ verbessert werden musste. In Kindergärten, Schulen und Turnhallen konnte Architektur unmittelbar auf Kinder einwirken – hier war das Reformprojekt der Erziehung durch Architektur idealtypisch zu verwirklichen. Hugo Wagner, der den Auftrag annahm, schuf 1908 in Deichhorst eine Turnhalle, die wie ein aus der Vergangenheit überkommener Bau erscheint: ein steiles, weit her­ untergezogenes Walmdach, vorkragende Strebepfeiler und eine dunkle Rauputzfassa­ de vermitteln das Bild eines äußerst bodenständigen, eines wie gewachsen wirkenden Gebäudes. Eine weitere Turnhalle baute er an der Delmenhorster Koppelstraße.

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nenfabrik. Sie verlangte keine feste Betrachterperspektive, sondern ließ sich aus dem Automobil ausreichend wahrnehmen. Der Turm war vor allem im Kontext mit den anderen Bauteilen der Rathaus­anlage zu verstehen. Er ergänzte geradezu einen Tempelbezirk: Das Feuerwehrhaus, das ­ irekt an den Wasserturm angrenzte, erschien wie ein altertümliches Gebäude, das d tatsächlich an alte Hansestädte erinnert. Im Obergeschoß angedeutete Säulen und ein hohes Satteldach verstärken noch die traditionelle Wirkung des Bauwerks. Gerade­ zu ein Chiffre dieser vergangene Zeiten idealisierenden Architektur setzte Stoffregen an die Hauptstraßenseite (Bismarckstraße) des Wasserturms. Hier ließ er aus Ziegel­ steinen eine Rundbogenreihe aufmauern, die den schlichten, scharf geschnittenen Turm scheinbar konterkariert. Doch das gleichsam mittelalterliche Umfeld (Stoffregen spielt hier nicht mit dem Hüttenmotiv, sondern eher mit gotischer Hansearchitektur) benötigte der Turm, um verständlich zu bleiben. Die moderne, die Technik beinahe unterkühlt darstellende Ar­ chitektur sollte herauswachsen aus einem traditionellen Umfeld, sollte eingebunden sein in eine gleichsam natürliche, aus der Historie kommenden Entwicklung. Gleichzeitig markierte der Turm den Tempelbezirk inmitten einer genauso vor­ städtischen Kulturlandschaft wie hochentwickelten Industriestadt. Von seiner Platt­ form aus ließ sich die Landschaft mit den idealen Landhäusern aber auch mit den gründerzeitlichen Industrie-Enklaven, die weiterhin einer Besserung bedurften, über­ blicken. Der Widerspruch, der zwischen gestalteter Tradition und stilloser Moderne, der beim Delmenhorster Wasserturm offensichtlich entstand, sollte in der architektoni­ schen Einheit aufgelöst werden.48 Der Wasserturm wurde einerseits eingebunden in einen historisierenden Kontext. Andererseits verlieh der Wasserturm dem schlossartig wirkendem Rathaustrakt, dem eigentlichen Tempel der Industriestadt, die notwendige Modernität, die notwendige Relevanz, die er sozusagen mittels seiner Architektur aus den Industriebezirken in das Stadtzentrum verlegte. Das schlossähnliche Rathaus selbst sollte zuerst repräsentieren, die erreichten Re­ formleistungen in der Stadt bildlich machen. Das Rathaus besteht – bis heute unverändert – aus einer entsprechend monumen­ talen Hülle, an der die Zeichen der Läuterung angebracht waren: Atlanten, d. h. gestähl­ te nackte Männer, die eine moderne, gesunde Körperlichkeit zur Schau stellen, tragen den Hautgiebel. An Kirchenportale erinnernde Ornamentik, die mit Pflanzen und Tier­ motiven spielt, umrahmt den Haupteingang und verdeutlicht so den Traditionsbezug, betont die sowohl historisch als auch naturgesetzlich richtige Stellung der Architek­ tur. Der hohe, scharf geschnittene Giebel ruht ganz selbstverständlich auf a) der Natur­ gesetzlichkeit und b) der menschlichen Körperkraft. Das eigentliche Heiligtum im sakralen Gebäude war zweifellos der Große Sitzungs­ saal, der in der Symmetrieachse zwischen seitlichen Pylonen unmittelbar unter dem hohen, glatten Giebel liegt. Stoffregen hatte den Saal halbhoch mit rötlich gebeiztem Holz verkleiden lassen. Die hohen vertikalen Fenster, die zum Rathausplatz und zur Langen Straße zeigen, sind derart ornamentiert, dass ein Blick auf das Alltags- und 156

Zusammen mit Walter Gropius’ Fagus-Werken und vor allem zusammen mit den Aus­ stellungsbauten der Vorkriegsjahre gehört die Rathausanlage zu den exemplarischen Umsetzungen des Reformgedankens in der Fläche vor 1914.

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Marktleben nicht möglich ist. Gebrochenes Licht fällt in den Raum, der in einem ton­ nenförmigen Gewölbe endet. Die Ratsherren sollten sich allein mit sich selbst beschäf­ tigen, sollten nicht abgelenkt werden von ihrem Tun. Wie in einer Kirche, in der sich die Gläubigen allein mit Gott auseinanderzusetzen haben, so sollen sich die gewählten Vertreter des reformierten Gemeinwesens allein mit den Belangen des Gemein­wesens beschäftigen. Die Fassadengestaltung des Rathauses diente der Vermittlung. Die Bürger sollten begreifen, dass sich im Inneren dieses Gebäudes der wichtigste Raum ihrer Stadt be­ fand, dass hier gleichsam heilige Handlungen vorgenommen wurden. Die auffällig starke Ornamentik, mit der das Delmenhorster Rathaus versehen ist, und die in das Werk des Reformarchitekten Heinz Stoffregen zumindest in dieser Pha­ se­kaum hineinzupassen scheint, gewinnt ihre Berechtigung mit der Bedeutung des Bauwerks. Die Heiligkeit des Inhalts durfte mittels kalkulierter Zeichen an der Fassade und in der Innenraumgestaltung dargestellt werden. Die geometrischen Großformen der Rathausanlage – die Markthalle von 1919 als Zylinder, der Giebel als Prisma, der Wasserturm als Quader – bilden in ihrer Gesamt­ heit einen vollständigen Tempelbezirk, einen Raum mit verschiedenen, abstrahierten, allgemeingültigen (keineswegs künstlerisch individuellen) Elementen. Arkadengän­ ge verbinden die verschiedenen Bereiche – den technisch-industriellen Wasserturm, die niedersächsisch-ursprüngliche Feuerwache, die wie ein Forum wirkende Markt­ halle und das aufwendig gestaltete Heiligtum Rathaus – miteinander. Die scheinbar folgerichtige Linie vom niedersächsischen Mittelalter, von den Ursprüngen der Acker­ bürgerstadt bis hin zur modernen Industrie wird gestalterisch erzählt. Die Reformzeit wird als notwendiger Höhepunkt einer gesellschaftlichen Entwicklung herausgestellt, die Tempelanlage als der kulturelle Mittelpunkt der gewachsenen Reformstadt. Nach dem Ersten Weltkrieg, nach Fertigstellung der Delmenhorster Rathaus-An­ lage, veröffentlichte Bruno Taut die „Alpine Architektur“, einen Folianten mit visionä­ ren farbigen Zeichnungen, die man als radikale Zuspitzung der Reform-Ideen betrach­ ten kann.49 Die „Alpine Architektur“ ist ein Reflex auf die Ideen und Experimente, die rund um die alpenländischen Sanatorien und in den flachländischen Reform-Städten zwischen 1890 und 1914 durchgeführt wurden. Bruno Taut wollte noch einmal an der Idee anknüpfen, auf einem als geistigen Ort verstandenen Berg eine neue Gesellschaft zu begründen. Auch sein Buch „Stadtkrone“, das ein Monument, ein das Gemeinwesen einende Volkshaus in jeder Stadt propagierte, knüpfte an Vorkriegsexperimente an. In Delmenhorst war vor 1914 Tauts Stadtkrone schon verwirklicht worden. Selbst die als sakral verstandene kristalline Form, an die Taut stets dachte, war im Giebel­ prisma des Delmenhorster Rathauses angedeutet.

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Heinz Stoffregen, Entwurf für einen Wasserturm in Delmenhorst 1908 . Quelle: Bauakten, Bauordnungsamt Stadt Delmenhorst

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Atlanten tragen den Rathausgiebel – eine Versinnbild­ lichung der Architektur, so konnte eine dekorative ­Lösung gleichzeitig wahrhaftig sein. Quelle: Sammlung Aschenbeck

Heinz Stoffregen. Um 1910. Quelle: Sammlung Aschenbeck

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Heinz Stoffregen, Rathaus Delmenhorst, Entwurf 1908 , Architektonische Rundschau 1909, Tafel 49; in dieser Form nicht realisiert.

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Der Barkenhoff vor dem Umbau durch Heinrich Vogeler. Foto um 1896. Quelle: Barkenhoff-Stiftung Worpswede; entnommen Arnold 2002, S. 68

Beispiel Worpswede Worpswede, wie Delmenhorst in unmittelbarer Nachbarschaft zu Bremen gelegen, hatte anders als Delmenhorst keine industrielle Überformung erlebt. Das Dorf war Ende des 19. Jahrhunderts von aus Städten kommenden Künstlern entdeckt worden. Sie hatten sich gerade wegen der einsamen, industriefernen und gleichzeitig erhabe­ nen wirkenden Landschaft angesiedelt, um ihre Kunst zurück zu deutschen Ursprün­ gen zu führen (ganz im Sinne von Langbehn), um letztlich Wahrheit zu finden.50 Vom Weyerberg aus, einer Geesterhebung im Moor, konnte man in die weite Land­ schaft blicken. Licht und Luft waren ohne Begrenzung zu finden. Die Menschen, die hier seit jeher lebten, schienen unberührt von jeder Zivilisation – und doch lag die Großstadt Bremen nur wenige Kilometer entfernt (die Bauten der 1906 / 07 errichteten „Kaffee-HAG “-Fabrik und andere Industrieanlagen am Bremer Fabrikenufer befanden sich dank flacher Landschaft fast in Fernsichtweite). Dieses Paradox erinnert an den Ort Ascona – nahe der Zivilisation gelegen und doch zu einem idealen, urtümlichen Ort erklärbar. Weitere Parallelen sind auffällig. In Worpswede entstanden in ihrer Grundausrichtung durchaus mit den Monte-Ver­ ità-Hütten vergleichbare Bauten. Heinrich Vogelers Barkenhof beispielsweise, ein er­ weitertes Bauernhaus, liegt am Osthang des Weyerberges. Die Front des Hauses zeigt nach einem Umbau durch Vogeler Richtung Osten, zur aufgehenden Sonne. Um diesen Effekt zu erzielen, hatte Vogeler (1872 – 1942) den vorhandenen bäuerlichen Altbau, der 160

Der Barkenhoff, Rückansicht mit Heinrich Vogeler und Martha Vogeler (am Fenster). Foto vor 1910. Quelle: Barkenhoff Stiftung Worpswede; entnommen Arnold 2002, S. 15

In Worpswede lebte damals ein zweiter Künstler, der ebenfalls einen Bauernhof erwor­ ben hatte – Bernhard Hoetger (1874 – 1949). Er ergänzte 1915 den Altbau um einen lang­

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sich von der Sonne eher abwandte, „umdrehen“ müssen. Vogeler erstellte 1898 quer zum Altbau einen Mittelrisalit, der die zentralen Räume des Hauses aufnahm, der auch die neue Schauseite bildete.51 Die Giebelseiten des Bauernhauses dienten nunmehr ­lediglich als Seitenflügel. Vor der neuen Schauseite des Hauses erstreckte sich ein ter­ rassenartiger Garten. Durch eine zentrale Tür gelangte man direkt in diesen Bereich. Heinrich Vogeler schon erwähntes Bild „Sommerabend auf dem Barkenhoff“ oder „Konzert“, das 1905 entstand, verdeutlicht, wie sehr – zumindest in der Phantasie – das häusliche und gesellige Leben auf die Veranda oder Terrasse gelegt wurden. Das Bild zeigt den Hausherren, seinen Bruder und einen Freund als Hausmusiker, während be­ freundete Künstler und auch Vogelers Frau ihrem Spiel zuhören. Gelegentlich wurden im „Gartentheater“ auch Stücke aufgeführt, so am 3. Septem­ ber 1911 „Potiphar“ von Carl Emil Uphoff (1885 – 1971). Zu den Laienschauspielern gehör­ te Carl Weidemeyer (1882 – 1976). Auch hier wurde von den Worpswedern, gerade von Vogeler, versucht, bestimmte Ausdrucksformen zu ritualisieren. Die Szenerie erinnert an den Terrassenbau des Monte Veritàs, von dem zahlreiche Bilder u. a. mit Hermann Hesse überliefert sind.52 Neben den genannten Künstlern besuchte auch Rainer Maria Rilke (1875 – 1926) den Barkenhoff – und schrieb darüber.

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gestreckten flügelartigen Vorbau und richtet den neuen Bauteil ebenfalls exakt nach Osten aus. Diese Ausrichtung schien für Hoetger entscheidend zu sein: er nahm in Kauf, dass Anbau und Altbau nicht im rechten Winkel zueinander standen, dass sich schwer zu nutzende dreieckige Räume ergaben. Vom neugebauten, symmetrisch angelegten Flügel des „Brunnenhofes“ führt eine breite Terrasse in einen langgestreckten Garten. Hier konnte Hoetger seine Sonnen­ sehnsucht ausleben, die er mit den Monte-Verità-Siedlern teilte.53 In den Garten stell­ te Hoetger eine Jünglingsskultpur, die ihre Hände zur aufgehenden Sonne erhob.54 Der die Morgensonne anbetende Jüngling war – wir haben es gesehen – ein zentrales Mo­ tiv der Reformer.55 Auch die Villen, die Karl Moser um 1900 im schweizerischen Baden errichtete, und die Landhäuser anderer Reformarchitekten wurden mit Frauenskulp­ turen (Walküren!) oder mit Jünglingen ausgestattet. Die Skulpturen sind jeweils zur freien Landschaft, zur Aussicht ausgerichtet.56 Hugo Höppener, der als Fidus bekannt wurde, zeichnete wiederholt junge nackte Menschen, die die Sonne anbeten oder die Reigen tanzen.57 Ein Monte-Verità-Bewoh­ ner verbreitete Postkarten, die seinen nackten Körper im eigenen Garten beim Umgra­ ben zeigen.58 Der ohne Kleider betriebene Sonnenkult drang bis in die Gebrauchsgrafik, drang so auch bis in die großen Städte. Lithographieranstalten, Verlage und Zeitschrif­ ten verwandten den die Arme erhebenden, nackten jungen Menschen in ihren Grafi­ ken, Briefköpfen und Werbeanzeigen – als ein Bedeutung tragendes, ein Bedeutung vermittelndes Element. Noch 1933 wurde bei der Porzellanmanufaktur Hutschen­ reuther eine „Sonnenkind“ genannte Porzellan-Figur in das Programm genommen. Bei dem „Sonnenkind“ handelt es sich um eine nackte Frau, die ihre Arme der Sonne entgegen streckt.59 Die nackten Körper, in Porzellan gebrannt, in Bronze gegossen oder zu Papier ge­ bracht, waren die Kunstform des Rituals, waren erstarrter Ausdruckstanz, waren nichts anderes als sakrale Kunst. Die Skulpturen, die Grafiken oder die Druckerzeugnisse versprachen den symbo­ lischen Sieg über die Lungentuberkulose, versprachen den Sieg über alle Krankheit und alle Hässlichkeit des 19. Jahrhunderts. Die jungfräuliche Nacktheit und Schönheit stand in voller Unschuld gegen alle kal­ kulierte Ornamentiertheit. Die Sonnenanbeterskulpturen wandten sich ab von den Städten, ließen selbst die Reformvillen als Etappen hinter sich. Sie zeigten stets in die weite, unberührte Natur, dorthin, wo die gute Zukunft des Menschen liege, wo der Aufbau der neuen Zeit warte. Die nackten Männer- und Frauenleiber, die auf ihren Bruchsteinsockeln oder zwischen Efeugeranke standen, verkörperten nicht weniger als die Utopie der Reformer.

Beispiel Landhaus Die in die Gärten und in die Landschaft eingebetteten vorstädtischen Einfamilienhäu­ ser sollten die Menschen zur Gesundheit zurückführen. Hermann Muthesius, dessen Ziel stets die Erziehung des Volkes war, schrieb noch während des Ersten Weltkriegs: „Unter den Liebhabereien, die uns, wenn einiger Spielraum in den Mitteln vorhanden 162

Die Autoren Haenel und Tscharmann begannen mit Goethe. Der Dichter bewohnte von 1776 bis 1832 in Weimar zeitweise ein schlichtes Gartenhaus,63 das nach gründer­ zeitlichem Verständnis ganz und gar nicht der Größe des einwohnenden Geistes ent­ sprach. Das Gartenhaus war nichts mehr als eine zweigeschossige Hütte mit hohem Walmdach und drei Fensterachsen zum Park hin. Hölzerne Rankhilfen überzogen die gesamte parkseitige Fassade. Es gab keinerlei architektonischen Schmuck; nur die Eingangstür war rundbogig abgeschlossen. Ein gründerzeitlicher Architekt, vor die Aufgabe gestellt, ein Haus für Goethe zu entwerfen, hätte sicher ein Schloss gebaut, vielleicht im Stil der Gotik oder der Renaissance. Doch im Gegenteil, das behaupten Haenel und Tscharmann, gerade die einfache Hütte war dem Genie Goethe angemes­ sen. Es genügten, so ihre Ansicht, wenige unauffällige Elemente – Holz, Rankhilfen, Aussicht, Hüttenform, hohes Dach –, um den geistigen Reichtum der einwohnenden Person eindringlich zu dokumentieren. Nur die einfachen Elemente, die Grundwerte

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ist, das Leben verschönen können, ist die edelste Liebhaberei ein schönes Haus. Es ge­ währt tausendfältige Freude und tägliche Erquickung, es bietet Erholung von den Mü­ hen des Tages, Gesundung der ganzen Familie. Die Kinder wachsen frisch heran und entwickeln sich zu kräftigen, tüchtigen Menschen. Der eigene Besitz bringt Ruhe und Sesshaftigkeit. Der fortlaufende Umgang mit der Natur stärkt Nerven und innere Ver­ fassung. Die Pflege des Gartens ruft tägliches Entzücken hervor.“ 60 Muthesius beschrieb die Wirkung des Reformhauses auf den einwohnenden Men­ schen. Es böte umfassende Gesundung gerade der Seele (Freude, Erquickung, Erholung, Gesundung, frisches Wachstum, Ruhe und Nervenstärkung!), ermögliche ein harmo­ nisches Aufwachsen der Kinder und sorge darüber hinaus für ein allgemeines Wohl­ leben, das sich im „täglichen Entzücken“ äußere. Doch um dieses hohe Ziel zu erreichen, müsse sich der Städter im Verzicht üben. Die gewohnte städtische Kultur müsse aufgegeben werden. „Der Besuch von Theatern, Konzerten und Gesellschaften ist heute in gewissen Krei­ sen fast zur täglichen Gewohnheit geworden. Schließlich fragt es sich aber doch, ob der daraus erhoffte Gewinn für das Leben wirklich so hoch anzuschlagen ist. Denn eine fortgesetzte Kette von Vergnügungen übt einen gewissen abflachenden Einfluss aus; das zur Gewohnheit Gewordene wirkt nicht mehr nachhaltig. Vor allem aber unter­binden solche Zerstreuungen gerade das, was das Leben erst wertvoll macht: die Selbstbestätigung.“ 61 Das Wesen des Einfamilienhauses im Grünen, der eigenen Hütte, sei die „Selbst­ bestätigung“. Die Formen der neuen Architektur sollen vom Einwohner wahrgenom­ men und als Zeichen der eigenen Gesundheit und der eigenen Geisteskraft angesehen werden, sollen diese gleichzeitig fördern und stärken. Erst der selbstbewusste Einwoh­ ner eines Hauses wiederum könne endgültig ein vollendetes harmonisches Anwesen schaffen und damit guter Teil einer harmonischen Gesellschaft sein. Wir sehen auch hier den inzwischen etablierten Regelkreis zwischen Form und geistiger, körperlicher, gesellschaftlicher Gesundheit. Muthesius verknüpft den Reformgedanken mit dem Standard-Einfamilienhaus der Mittelschicht – und popularisiert ihn so weiter.62

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bezeichneten, konnten in einer direkten Beziehung zum Menschen inmitten der archi­ tektonischen Hülle stehen. Gründerzeitlicher Formenreichtum dagegen hätte, so die Vorstellung der Reformer, von einer psychischen Degeneriertheit des Bauherren oder Einwohners gekündet – war bei Goethe ganz unangemessen. Natürlich schien diese, von Haenel und Tscharmann anhand eines Bildes und an­ hand eines Grundrisses aufgestellte Behauptung für den großstädtischen, von histo­ ristischer Architektur geprägten Leser erst einmal paradox. Es bedurfte einer weiteren Hinführung an die Reform. In einer längeren Passage schilderten die Autoren deshalb das Leben eines typischen Städters. Sie benannten seine Sehnsüchte und seine Sor­ gen. „Nach einer langen Woche voller Arbeit mit vielerlei Sorge in Beruf und Familie ist endlich der Sonntag gekommen. Der Geschäftsmann, den jeden Morgen die Elek­ trische mit der Schar seiner großstädtischen Leidensgefährten durch die langen Stra­ ßen der Vorstadt in die City zu seinem Laden, seinem Kontor schleppte, der Beamte, ein winziges Rädchen an dem riesigen Organismus der Verwaltung oder Justiz, der Tag für Tag in seinem Bureau Akten auf Akten türmte, der Lehrer, der zum hundertelften Male dieselben Fehler in denselben Schulheften zu verbessern hatte – sie alle sind nun der heißen Luft, des Lärms und der nervösen Hetze in der riesigen Wüste aus Stein und Asphalt bis zum Umsinken müde. Der Sonntagmorgen bedeutet ihnen vor allem eine Befreiung aus dem drückenden Joche des Berufes, ein Eintauchen in den unerschöpf­ lichen Gesundbrunnen der freien Natur.“ 64 Das Leben in der modernen Stadt sei fremdbestimmt. Der Einzelne könne sich nicht im täglichen Getriebe selbst verwirklichen. Das Leben scheine eintönig und ge­ radezu sinnlos. Die tägliche Hektik bedrohe darüber hinaus die Seele des Städters. Ein­ ziger Ausweg aus dieser Situation sei der Ausflug ins Grüne, die Fahrt an den Wannsee beispielsweise. Interpretations- und Verhaltensmuster entstanden damals, die noch heute gültig sind, noch heute funktionieren. „Aus allen Straßen, von allen Bahnhöfen quillt es in bunten Strömen von Erholungssuchenden heraus, und bald wimmelt es auf den Wegen im Wald, auf den schmalen Pfaden, die am Bach entlang durch die Wie­ sen leiten, von fröhlichen Wanderern. Drüben, jenseits des umbuschten Tals, winkt schon die behagliche Zwiebel auf dem Turme der Dorfkirche, und hier und da lugt ein braunrotes Ziegeldach, eine hochragende Giebelwand mit dunklem Fachwerk aus dem Grün der Linden heraus. Die heimliche Sehnsucht des Städters nach der ländlichen Scholle wird bei solchem Anblick auf einmal wach. Aller Stolz auf die Kulturerrungen­ schaften, die ihn im Rahmen der Großstadt umgeben, das ganze Selbstbewusstsein des im Zentrum des geistigen und wirtschaftlichen Lebens der Nation Stehenden wird still und klein. Die frische Luft, das sprossende Grün in Wiese und Wald, das zar­ te Leben der Natur im Glanze der unverhüllten Sonne drängt mit seltsamer Roman­ tik in sein Herz. Die starken Wurzeln, die seine Familie durch allen Kulturschutt der modernen ­Entwicklung mit der Heimat verbinden, scheinen sich ihm zu enthüllen. Er fühlt sich wieder eins mit dem kräftigen Geschlecht seiner Altvorderen, die auf der selbst­bebauten Scholle saßen und mit ihrer Hände Arbeit der Erde ihre Früchte abrangen.“ 65 Nur auf dem Land würden sie die eigentlichen Werte erfahren – jedes Wochenende wieder. Die ganze Zivilisation erschiene den Städtern am Wochenende klein und nichtig. 164

Heinrich Vogeler vor dem Barkenhoff. Der Architekt und Maler in der biedermeier­ lichen Kleidung des Reformers – vor ­einem von der Natur ­eroberten Haus, vor ­einem Fenster mit einer Blumen­vase und ranken­ geschmückten Blumenkästen – ein Idealbild aus dem Jahrzehnt vor 1910. Quelle: Barkenhoff Stiftung Worpswede

Inmitten der malerischen Harmonie aus alten Bauernhäusern, leise im Winde rau­ schenden Bäumen, Hecken und Zäunen drängt sich ein kantiger Kasten aus Ziegeln und Schiefer hervor. Ein rechteckiges Haus mit zwei ausgebauten Stockwerken: die Fassade ist durch glasierte Ziegel und Tür- und Fensterumrahmungen aus Sandstein dekoriert, das Mansardfenster der Mitte wird von einem Muschelaufsatz gekrönt, über dem ein Obelisk, gleichfalls aus Zinkblech, thront. Wie ein Parvenü, der seine groß­ städtischen Manieren durch nichts anderes als durch protzige und geschmacklos über­ ladene Kleidung und ein großsprecherisches Auftreten zu bekunden sucht, so steht dieses öde Produkt aus Stein und Ziegel in der traulichen Sphäre dieses Dorfes.“ Allein die traditionelle Architektur, die um 1800 oder früher entstanden war, ver­ körperte alle guten Werte, so die Autoren. „Hier lebt in jedem Haus ein freundlicher Wille zur Verschwisterung mit der be­ sonderen landschaftlichen Lage, mit dem durch Naturlaune und Menschenhand seit

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Doch auch das wochenendliche Idyll war damals schon bedroht. Die Stadt mit ih­ ren typischen Ausprägungen drang immer weiter in den althergebrachten ländlichen Raum hinein. „Da ist es ihm, als ob diese ungewohnte und doch so beglückende Stim­ mung auf einmal zerrisse, als ob eine kalte Faust das liebliche Bild, das aus Wirklich­ keit und Erinnerung seine Farben gemischt hat, mit einem rohen Schlag zertrümmere.

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Jahrhunderten in bestimmter Klarheit und Harmonie entwickelten Formen- und Far­ bendialekt des Ortes. […] Ausgehend von dem, was ihm zum Leben an dieser Stelle und zur günstigsten Ausnützung der fruchtbaren Natur, in der seine Arbeit ihren Boden hat, wirtschaftlich wertvoll erschien, fand der Herr auch der bescheidensten Hütte, ohne sich dessen bewusst zu werden, den Anschluss an die Gesetze der künstlerischen Schönheit und Ehrlichkeit, die einem solchen Dorfbilde innewohnen.“ 66 Die Autoren folgten ganz der Argumentationsstrategie der Reformer. Sie idealisie­ ren die Harmonie des Landlebens und der traditionellen Landarchitektur, die im Ein­ klang mit den Naturgesetzten stehe. Das moderne Mietshaus mit seiner kalkulierten Architektur aus Künstlerhand sei der Eindringling, der Störenfried. Das Rezept der Autoren: Die Neuschöpfung der traditionellen, einst unbewusst ent­ standenen Architektur. In ihrem Buch wollten sie die zukünftigen Bauherren von der Umsetzbarkeit der Reformarchitektur überzeugen. Dabei galt es, zuerst Vorurteile ab­ zubauen: „Mit der Häufung der Stockwerke [sei keineswegs] eine Verbilligung der Bau­ kosten und damit auch der Wohnungspreise“ zu erzielen. Und da das mehrgeschossi­ ge Haus in einer ländlichen Umgebung „in seiner architektonischen Aufmachung gar zum Verbrecher [sic!] an dem gesunden und ehrwürdigen Organismus des ländlichen Gemeinwesens, in das er seine kalten und lieblos gebildeten Massen hineinschiebt“,67 werde die Entscheidung des bauwilligen Städters, welche Architektur vorzuziehen sei, leicht fallen. Doch allein durch einen derart strategisch eingesetzten Einleitungstext ließen sich die Städter nicht von den lange eingeübten, durch vielfache Rede abgesicherten gründerzeitlichen Architekturvorstellungen abbringen. Zahlreiche Beispiele in Text und Bild sollten bei Haenel und Tscharmann ganz augenfällig beweisen, dass eine der Landschaft angepasste Architektur, die alle Reformbedingungen erfüllte, ansehnlich und günstig sein konnte. Als ersten Entwurf stellten die beiden Autoren ein „Sommerhaus für Hofzahnarzt Hille in Walthersdorf, sächsische Schweiz“ vor. Der Entwurf war vom Dresdener Archi­ tekten Georg Baehr gezeichnet worden (nicht zu verwechseln mit dem gleich­namigen barocken Baumeister Baehr). Die Abbildung zeigt ein eingeschossiges Gebäude mit Sat­ teldach und ausgebautem Dachgeschoß. Das Gebäude ruht auf einen Sockel aus Natur­ stein, der sich zum Tal hin zu einem voll nutzbaren Untergeschoß erweitert. Das Erd­ geschoß ist weiß verputzt, die Giebelflächen holzverschalt. Das Dach wird durch eine langgestreckte Gaube und einen zugehörigen Balkon aufgebrochen. Der Balkon liegt unmittelbar über dem Haupteingang des Sommerhauses. Über einem kleinen ange­ bauten Schuppen für Sport- und Gartengeräte wurde das Dach bis auf Kopfhöhe her­ untergezogen. Zum Tal hin schließt ein großer Balkon an das Erdgeschoß an. Unter dem Balkon ist das Untergeschoß als voll verglaste „Liegehalle“ ausgebaut, von der aus man vermut­ lich einen Panoramablick in das Tal genießen sollte. Das unmittelbare Umfeld des Gebäudes ist als Gartenland mit Rosenbüschen und Blumenrabatten angelegt. Die weitere Umgebung scheint naturbelassen. Man erkennt eine Felsformation der Sächsischen Schweiz und einen Tannenwald. Ein zweites Ge­ bäude lässt sich auf der Entwurfszeichnung nicht erkennen. 166

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Zu dem Gebäude haben Haenel und Tscharmann eine kurze Beschreibung bei­ gestellt: „Es ist ein mühsamer Rückweg gewesen, den die deutsche Baukunst wan­ dern musste, seit vor einigen Generationen die damaligen städtischen Bauformen bei Landhausbauten angewandt wurden. Dass er zurückgelegt wurde, dass der Land­ schaft – wenn auch noch nicht allgemein, so doch vielfach – jetzt die nötige Achtung erwiesen, das Haus wieder bescheiden und harmonisch der Umgebung eingefügt wird, zeigt unter manchen anderen Bauten auch dieser. Die bodenständigen Baustoffe: rote Dachziegel, heller Mörtelputz über Sandsteinsockel, Holzverschalung, lustig bunt ge­ strichene Fenster und Türen passen sich Wald und Wiese und Sandsteinfelswänden trefflich an. Die schlichte Form des parallel dem Polenztale laufenden Satteldaches ist mit seiner Geräumigkeit ganz heimatlich. Der Grundriss zeigt in seiner Fensteranord­ nung, dass das Haus bei jedem Wetter behaglich sein soll.“ 68 Das Haus in der Sächsischen Schweiz – ob es je gebaut wurde, scheint in unserem Zusammenhang zweitrangig – ist offenbar eine gelungene Regression – von der aus­ differenzierten städtischen Zivilisation zu einem naturnahen „gesunden“ Typus. Das Haus schafft eine für den Reformer überzeugende Einheit zwischen Natur und Kultur. Der Architekt konnte mithilfe der Form, der genannten Bauteile und der verwandten Farben offenbar die harmonische Wirkung erzielen – eine läuternde Wirkung auf die Bewohner und die Betrachter. Das Zahnarzt-Gebäude lässt sich mit den Monte-Verità-Hütten vergleichen. Wie die Hütten der Naturheilanstalt und wie die alpenländischen Sanatorien verfügt auch das Zahnarzt-Haus über eine große Terrasse und sogar über eine „Liegehalle“. Vom großen Balkon und von der Liegehalle aus kann man in eine naturbelassene, erhabene Land­ schaft blicken, in eine „Schweiz“. Der Zahnarzt konnte, sofern das Haus tatsächlich errichtet wurde, einige rege­ nerierende Sommerwochen in dem Haus verbringen. Es bot dem Städter einen ganz selbstbestimmten Kuraufenthalt. Falls die Liegekuren zu langweilig wurden, griff der Bewohner womöglich zu „Sport- oder Gartengeräten“, um sich in der freien Natur kör­ perlich zu betätigen. Vom Balkon aus konnte er zudem morgens mit erhobenen Armen die Sonne begrüßen. Wie die Monte-Verità-Hütten so gründet auch das Haus in Walthersdorf auf einem Sockel aus Naturstein. Wie die Hütten der Naturheilanstalt ist der hohe Giebel mit Holzverschalung das bestimmende Element der Architektur. Im Gegensatz zu den urtümlichen Hütten scheint das Sommerhaus jedoch kom­ plexer. Ein Zahnarzt wollte keineswegs die Errungenschaften der Zivilisation aufge­ ben. Er wollte vielmehr die Verbindung schaffen von ausdifferenzierter Zivilisation und naturnahem ausgeglichenem Leben.69 Das Haus verfügt über zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, ein Speisezimmer und über mehrere kleine Kammern. Es ist mit einer Toilette und drei Öfen ausgestat­ tet. Eine einfache Holzhütte, die aus vier Pfosten und umzugenagelten Latten besteht, genügt offenbar nicht, um die Räume und die Haustechnik aufzunehmen. Nur einzel­ ne Hüttenformen können bei der gewollten Vergrößerung noch übernommen werden, Elemente jedoch, die ausreichen, um einen „common sense“ der Reform und des „ein­ fachen naturgesetzlichen Lebens“ zu ermöglichen:

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1. Veranda und / oder Loggia und / oder Liegehalle. 2. Dachgeschoß in Hüttenform (holzverschalt) oder in einzelne Hütten­ formen (Gauben) differenziert. 3. In einzelne Hüttenformen oder Hüttenbereiche aufgeteilter Baukörper. ­Teilweise bis zum Boden heruntergezogene Holzverschalung. 4. Natursteinsockel. 5. Mit der Natur korrespondierende Farbgebung. Evt. Rankhilfen an den ­Fassaden. 6. Fensterläden. 7. Geordneter, das Haus fortführender Garten (Kulturraum). 8. Naturnahe weite Landschaft (Blickhorizont, Raum für die Utopie). Die Liste umfasst Elemente, die um 1910 in ihrer Gesamtheit ein eindeutiges Zeichen ergaben, eine Redewendung gleichermaßen. Das Haus in der Sächsischen Schweiz versprach behagliches, gesundes Leben, es versprach interne und externe Harmonie, es repräsentierte diese Harmonie. Das Haus bot einerseits den Einwohnern die Möglichkeit, nach den Idealen der ­Reform zu leben. Zum anderen wirkte das Haus auf die Betrachter, die vorbeilaufenden Wanderer beispielsweise. Es signalisierte dem vorbeikommenden Passanten Harmonie mit der Landschaft. Das hüttenartige Haus sollte eben durch Natursteinsockel und naturan­ gleichender Farbgebung wie zufällig aus dem Boden gewachsen erscheinen. Die inne­ wohnende Familie (wenn das Haus denn errichtet wurde) schien seit Jahrhunderten hier zu leben. Die Tatsache, dass der Entwurf des Hauses Folge einer städtischen Land­ sehnsucht war, dass es sich um städtische, in die Natur hineingesetzte Architektur handelte, wurde perfekt kaschiert. Ein weiteres Haus des Haenel-Tscharmann-Sammelbandes sei hier vorgestellt: ein „Jagdhaus im Harz“, von Hans Klinke bei Bad Harzburg errichtet.70 Das Erdgeschoss des Hauses, so wie es auf dem Bild zu erkennen ist, wurde aus Naturstein aufgemauert, das Dachgeschoss mit Holz verschalt. Eine besonders große Terrasse ermöglichte den Blick in die bergige Landschaft, die durchaus einer Schwei­ zer Landschaft glich, die also „erhaben“ war. Das Wohnzimmer, von dem aus man auf die Terrasse gelangte, war erkerartig erweitert. Ein weiteres Beispiel: Bei einem Sommerhaus-Entwurf des Königsberger Architekten Schmoll zeigten „die vielen großen Fenster nach den Sonnenseiten, die leichten Umfas­ sungswände, die Anordnung nur eines Schornsteins in der Küche und die Stellung nur einer Stufe hoch über dem Gelände […] ein ausgesprochenes Sommerhaus an. Auch die Grundrisseinteilung weist darauf hin. Eine verglaste und eine geschlossene Veranda mit Ecksitzplatz, der recht wohl zum Einnehmen der Mahlzeiten zu benutzen ist, emp­ fängt uns. […] Das Haus ist in senkrecht verschaltem Fachwerkbau auf einem Sockel von Feldsteinen errichtet und mit Biberschwänzen gedeckt. Brauner Karbolineum­ anstrich, weiße Fenster, blaue Läden, Türen und Rinnen.“ 71 Schmoll formte aus dem ganzen Wohnzimmer eine große, halbrunde Veranda. Darüber lag eine eckige Loggia, 168

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Hans Klinke, „Jagdhaus im Harz“. Quelle: Haenel und Tscharrmann 1913, S. 53

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G. Th. Schmoll, Entwurf eines Sommerhauses. Quelle: Neue Kunst in Altpreussen, 1. Jg. 1911 / 12, H. 4 , S. 187

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Joseph August Lux (1871 – 1947) stellte in „Das moderne Landhaus“ 72 Reformvillen vor, die von den Architekten Leopold Bauer, Joseph Hoffmann und anderen im Großraum Wien errichtet wurden. In seinem Untertitel nannte er das Landhaus einen „Beitrag zur neuen Baukunst“. Dem Buch stellte er ein Zitat von William Morris voran und dis­ tanzierte sich dann im Text von der historistischen Villenarchitektur. Wie Haenel und Tscharmann entwarf er ein Bild einer besseren Architekturwelt, die sich außerhalb der Städte befinde: „Wer die Tradition aufgreifen will, muss in die kleinen verhutzelten Vororte und die Landstädte wandern, wo Biedermeier zu Hause ist. Dort in den stillen Gassen, die nur Sonntags ein Echo von dem Großstadttreiben vernehmen, wenn die Ausflügler durchziehen, lebt die alte Kultur im Ausgedinge. Alte Häuser mit weiten To­ ren und dunklen Hausfluren, die laut aufhallen, wenn eilige Schritte auf dem klingen­ den Pflaster vorübergehen, strömen einen Atem aus, einen fast menschlichen Geruch, der von der Lebensmüh und Sterbensnot vieler Geschlechter erzählt. Urväter-Haus­ rat ist in den Häusern aufgehäuft, in weißgetünchten Stuben stehen alte, blitzblanke, nachgedunkelte Schränke, darüber zitternde Hände täglich scheuernd hinfahren, so rechte Großmutterhände, die eine zärtliche Sorgfalt für dergleichen Dinge bewahrt ha­ ben. Ein nachsommerlicher Glanz, verblichen und sonnenhaft, liegt auf diesen Dingen von gestern und vorgestern und macht sie so bedeutsam. Und ist es auch nur mehr ein recht armseliges Aschenbrödeldasein, das heute dort haust, so ist es doch immer noch von einem Schimmer Romantik umhaucht.“ 73 Lux beschrieb eine altertümliche Idylle – als Vorbild einer neu zu schaffenden Ar­ chitektur. „Grundlegend für das Landhaus ist das Bauernhaus.“ 74 Das traditionelle biedermeierliche Haus sei nicht kalkuliert: „Gar nicht symmetrisch sind die Fenster, anscheinend willkürlich angeordnet, und doch gesetzmäßig, nämlich von innen her bestimmt.“ 75 Und weiter schrieb Lux, dass „[…] die Grundform des [Bauernhauses], die bis in die Urgeschichte der Menschheit zurückreicht, […] bis zum heutigen Tag unbe­ rührt von den Formeln der Kunstgeschichte [blieb] und hat sich als organisches Ge­ bilde erhalten, das aus dem Leben und seiner Notdurft herausgeboren ward, und trotz seiner anscheinenden Willkür und Regellosigkeit ein Stück lebendiger Baukunst ver­ körpert.“ 76 Das gute Haus war „organisch“ und „gesetzmäßig“ gewachsen. Die Regel­ losigkeit war nur anscheinend, tatsächlich folgte sie einem tieferen Gesetz, tiefer als die zeitgenössische Kunstgeschichte es sich vorzustellen vermag. „Die Stillosigkeit war in der Tat der einzige und wahre Stil, den die Natur selber diktierte. Darum sehen die Häuser so lebendig aus, wie aus der Erde gewachsen, mit der Scholle und dem Charak­ ter der Landschaft organisch verbunden, wie ein Glied, das aus diesem Zusammen­ hang gar nicht gelöst werden kann. Auf schöne Wirkung war keiner bedacht. Sie ergab sich von selbst. Sie ist in der Natürlichkeit zu suchen, die streng genommen höchste Zweckmäßigkeit ist.“ 77 In einer Beschreibung eines modernen Landhauses benutzte Lux den Begriff „Em­ bryo“, mit dem er eine kleine Halle im Zentrum des Hauses beschrieb. Die Idee, das ein Haus ein Organismus ist, der nach natürlicher Gesetzmäßigkeit wächst, schien die

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die von einem eigenen kleinen Giebel überdacht wurde. Die beiden wichtigsten Räume des Sommerhauses richtete Schmoll zur Landschaft hin aus.

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Beispiele für die Reformarchitektur, die vor 1914 in ganz Mitteleuropa entstand. Entwürfe für Sommerhäuser in Rauschen. Architekten Schön und Finger. Quelle: Neue Kunst in Altpreussen, 1. Jg. 1911 / 12, H. 4 , S. 194 f.

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Lösung aller architektonischer Fragen. Der Architekt musste nicht mehr phantasieren, sondern einfach auf die Vorgaben hören, die die Natur ihm gab. Dazu gehörte das Be­ achten der Tradition (denn die Bauern haben schon immer auf die Tradition geachtet) und das Befolgen aller Kriterien, um einen Menschen gesund leben zu lassen. Die gro­ ße Terrasse oder Liegehalle gehörten zwingend zum modernen Landhaus – auch wenn es dafür keine traditionellen Vorbilder gab.78 Der so begründete Reformstil, von Büchern wie die von Lux und Haenel /  Tschar­ mann popularisiert, verbreitete sich in ganz Europa. Um 1910 war das Reform-Land­ haus in wohlhabenden Bevölkerungsschichten die Standard-Einfamilienhaus-Archi­ tektur. Auch die Elemente der Sanatorien, die zum Berg / Wald / Meer hin ausgerichteten Veranden und Loggien, wurden quer durch Europa getragen und beispielsweise auch an der Ostsee etabliert. Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts begann parallel zum Sanatoriums-VerandenBau in den Alpen ein Verandenbau in den Ostsee-Seebädern. Die Urlauber sollten Ge­ sundung und Erfrischung gerade im Anblick der wilden See erfahren. „In einem Graa­ ler Prospekt von 1912: Hotel Waldkrone, 28 Zimmer fast sämtlich mit Veranden und Lauben; Villa ‚Christiana‘, die zahlreich vorhandenen Veranden sind durch nach oben laufende Glasfenster verschließbar; Villa Cecilie, 32 Zimmer, fast sämtlich mit Veran­ den und Balkons versehen.“ 79 Zu den Wochenendhausbesitzern an der Ostsee, die sich am Seeblick erfreuten, gehörte Thomas Mann, der 1930 in Nidden (heute Litauen) ein traditionell wirkendes, reetgedecktes Holzhaus bezog. Die große Veranda ermöglicht den Fernblick über die kurische Nehrung – Richtung Südosten. Die Aussicht hieß in Nidden allgemein „Ita­ lienblick“ 80 – der Ausguck der Monte-Verità-Siedler von dem Schweizer Hügel in die mediterrane, tatsächlich italienische Seenlandschaft wurde geradezu zitiert. Noch heute lässt sich die programmatische Ausrichtung der Architektur nicht verkennen. So heißt es 1996 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung anlässlich der Wiederher­ stellung des Hauses: „Von der windabgewandten Seite der Nehrung, von einer vierzig Meter hohen Düne, blickt das braune Haus in einem unendlichen Bogen über das Haff nach Osten. Es liegt nicht auf der Kuppe, sondern oben am Hang wie ein griechischer Tempel. Oder wie die Balkonloge, von der Hans Castorp im ‚Zauberberg‘ die Alpen in ‚hotelbequemer Einsamkeit‘ betrachtete. Überhaupt ist die Terrasse das Zentrum des Hauses.“ 81 Mann selbst nannte „seine“ Bucht „Portofino“ – nach dem gleichnamigen Ort an der italienischen Riviera.82 Die Motive des gesunden Hauses mit Terrasse und einem Blick in die südliche Uto­ pie wurde Allgemeinplatz, wurde überall in Europa realisiert – von Norwegen bis zum Baltikum, von Worpswede bis nach Ascona und darüber hinaus. Beispiele Gartenstädte Dresden, Königsberg und Bremen Gartenstädte waren Reformstädte. Zwar hatte der Pionier der Gartenstadt-Bewegung in England, Ebenezer Howard, einen strikten Plan für die Gartenstadt entwickelt (der vor allem den Bau eigenständiger Städte mit allen zentralen Einrichtungen vorsah), doch waren die in Deutschland projektierten Gartenstädte allesamt nur Vorstädte. 174

Plan der Gartenstadt Ratshof, Königsberg, 1906. Quelle: Freimann 1984 , S. 20

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Der Begriff „Gartenstadt“ diente Anfang des 20. Jahrhunderts zur Abgrenzung: Die Reform-Vorstädte mit Landhaus-Architektur wurden Gartenstädte genannt, um sie von den gründerzeitlichen Vorstädten abzugrenzen. Gleichzeitig evozierte der Begriff ein Bild einer in der Natur eingebetteten Siedlung – ganz im Sinne der Reformer. Überall in Deutschland entstanden ab 1906 Vorstadt-Siedlungen, die als Gar­ tenstädte bezeichnet wurden. Die ersten „Gartenstädte“ entstanden in Hellerau bei Dresden – als Wohnsiedlung der Möbelmanufaktur Deutsche Werkstätten. Hier wurde auch Tessenows Theater als Stadtkrone oder zentraler Tempel errichtet. Unbekannter geblieben ist die zeitgleich mit Hellerau errichtete „Gartenstadt Rats­ hof“ in Könisberg, projektiert vom „Allgemeinen Wohnungs-Bauverein Königsberg“.83 Die Errichtung der Gartenstadt war erst möglich geworden, nachdem sich am Pre­ gel nahe dem Ratshof zahlreiche Industrieunternehmen angesiedelt hatten, unter ih­ nen eine Waggonfabrik.84 Gleichzeitig konnte die neue Siedlung an die Staatsbahn an­ geschlossen werden; auch bekam die nach Juditten führende Straßenbahnlinie eine Haltestelle Ratshof. Erst die günstige Verkehrsanbindung machte die Möglichkeit, sich ein Haus außerhalb der alten Stadt zu kaufen, attraktiv. Das Gelände der Gartenstadt umfasste 200.000 Quadratmeter des ehemaligen Gutshofs Ratshof. Auf dem Gelän­ de­wurden bescheidene Einzelhäuser errichtet, die „weniger bemittelten Familien die Möglichkeit“ geben sollten, „in einem Einfamilienhause in frischer Luft sich ein Heim mit eigenem Garten zu schaffen“ 85.

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In den ersten Jahren hatte sich der Bauverein noch am überkommenen Berliner Vorbild orientiert und hatte einen „Mietskasernenblock“ gebaut. „Mit dem Eintritt des Regierungsbaumeisters Fritz Bleyer in die Gesellschaft vollzog sich eine gründ­ liche Wandlung zum Guten. Der Lageplan wurde vom Schematismus befreit und neu­ zeitliche städtebauliche Ideen so viel wie möglich verwirklicht.“ 86 Durch das Gelän­ de ziehen sich wenige Hauptstraßen, von denen schmale Wohnstraßen abgehen. Die Ordnung der Straßen scheint eher zufällig, scheint im Naturraum gewachsen – ganz im Gegenteil zum schematischen Plan des benachbarten Villenviertels Amalienau. In Amalienau laufen die Straßen auf drei Plätze zu, bilden geometrisch gestaltete Stadt­ bilder. Erker, Rankhilfen und heruntergezogene Dächer bestimmen die Architektur der Ratshof-Häuser. Hinzu kommen Fensterläden, Balkone und gelegentliche Gesimse, die die Fassaden gliedern. Bei einigen Gebäuden, vor allem bei Eckgebäuden, wurden die Giebel als Fachwerkkonstruktion ausgebildet. Der Rezensent der Bauwelt, Erich Ley­ ser, ist von der Architektur angetan: „Man durchwandere einmal diese idyllischen Straßen, schaue diese lieben kleinen Häuser und sehe die Wirkung dieser Schöpfun­ gen an den Menschen selbst, oder man gehe gar abends und blicke in die erleuchte­ ten, behag­lichen Stuben, beobachte die frischen, glücklichen Gesichter. Solche Woh­ nungsfürsorge [sic!] erreicht, dass der Arbeiter wieder Liebe zur Scholle bekommt, die in einem Kasernengebäude niemals aufkommen kann.“ 87 Allerdings wohnten in den Gebäuden nur gutverdienende Arbeiter oder Angestellte und Beamte. Die Häuser wa­ ren verkleinerte, auf das Notwendige reduzierte Landhäuser. So gab es natürlich kei­ ne Bibliothek, aber auch keine Halle mehr. Doch große Erkerzimmer und Wintergär­ ten wurden selbst hier verwirklicht. „Im Innern sind die Räume einfach und gediegen in ihrer Ausstattung, ­jeder überflüssige falsche Prunk ist vermieden. Das Äußere ent­ spricht dem ­Innern. Die Häuschen sind verputzt oder es ist der heimische natur­rote Backstein, weißgefugt materialgerecht verwendet worden. Das Rot des Backsteins, die weißen Fugen, ein blauer oder grüner Fensterladen, ein hübsches großes ruhiges Dach wirken zur Genüge und bedürfen keiner Kleisterornamentik. Es ist eine ordentliche Erholung, wenn man von der benachbarten Villenkolonie Amalienau kommt, in der vorzüglich ‚Villen‘ der wohlhabenden Klassen mit nur sehr wenigen guten Ausnahmen in einer barbarischen Geschmacklosigkeit bestehen, dann diese schlichten ruhigen ­A rbeiterhäuschen sieht, die leider in Königsberg viel zu wenig Beachtung gefunden haben. […] Die Kolonie ist im Aufblühen.“ 88 Bis zum Ersten Weltkrieg waren die meis­ ten der projektierten Straßen der Gartenstadt Ratshof bebaut, über 600 Wohnungen waren entstanden. In Bremen errichtete Heinz Stoffregen ab 1908 die „Gartenstadt Schwachhausen“, von der wir schon Einzelbauten gesehen haben.89 Der Bremer Architekt entwarf zahl­reiche unterschiedliche Häuser, die sich alle durch tief heruntergezogene Mansard­dächer, Er­ ker, Terrassen, Rankhilfen und Rauputz auszeichnen. Die Grundrisse zeigen „Garten­ zimmer“ und „Blumenerker“. Eine Abbildung in „Der Profanbau“ zeigt, wie sehr die Na­ tur Teil der Architektur war: Auf dem Bild sieht man die berankte Erdgeschoss-­Zone eines der Häuser. Im schmalen Vorgarten stehen frisch gepflanzte Birken und im Hin­ 176

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Heinz Stoffregen, Gartenstadt Bremen-Schwachhausen, errichtet ab 1908 . Quelle: Der Profanbau, Jg. 1914 , H. 1

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[Abb. 90 klein: Heinrich Vogeler, Ent­ wurf für eine Arbei­ tersiedlung, vor 1914. Quelle: Barkenhoff Stiftung Worpswede] http://flic.kr/p/jbeT4B

Heinz Stoffregen, Gartenstadt Bremen-Schwachhausen, errichtet ab 1908 . Quelle: Der Profanbau, Jg. 1914 , H. 1

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Heinrich Vogeler, Entwurf für eine Arbeitersiedlung, um 1911. Quelle: Barkenhoff Stiftung Worpswede

Heinrich Vogeler, ab 1909 vielbeschäftigter Maler und Architekt, der ganz im Sinne der Reform arbeitete, reiste 1910 mit einer Gruppe der Deutschen Gartenstadtgesellschaft nach England, um sich dortige Projekte anzusehen (Hampstead, Letchworth, Bourne­ ville, and Port Sunlight), um vom Vorbild zu profitieren. Zur Reisegruppe gehörte da­ mals auch Ludwig Mies van der Rohe. Vogeler selbst projektierte im Anschluss an die Reise eine Gartenstadt, vermutlich eine Arbeitersiedlung für die von seinem Bruder geleiteten Worpsweder Werkstätten.92

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tergrund erkennt man eine überwachsene Laube mit halbrunder Bank und kleinem Tisch.90 In einem Aufsatz, den Stoffregen 1908 „zur Gartenstadt-Bewegung“ in Bremen ver­ öffentlichte, beklagt er die schematischen Vorschriften, die ihn bei der Stellung der Häuser beeinträchtigten. „Leider bietet unsere jetzige Bauordnung vor allem in man­ chen Punkten noch ein Hindernis, da ihre Bestimmungen viel zu schematisch abge­ fasst sind, um freizügige Ideen zur Geltung kommen zu lassen. Die Bestimmung, dass jedes Haus Vorgarten-Einfriedung haben muss, keine Gartenhäuschen in die Vorgar­ tenfläche gebaut werden dürfen, nicht ab und zu mal ein Haus ganz ohne Vorgarten vorgerückt werden darf, je nachdem wie es das Straßenbild beleben und verschönern könnte (letzteres gilt namentlich bei den freistehenden Häusern) und dergl. Fälle mehr, binden dem schaffenden Architekten die Hände und verhindern seine freie Entfal­ tung.“ 91 Die Bauordnung war noch nicht auf der Höhe der Reformarchitektur – ihre Vorschriften orientierten sich noch immer an der gründerzeitlichen Planung der Vor­ städte. Stoffregen wollte in Schwachhausen, wie seine ganze Generation angeregt von Camillo Sitte, eine scheinbar natürlich gewachsene Gestaltung realisieren. Größter Feind einer zu schaffenden unbewussten Repräsentation war die offensichtliche Ord­ nung, das Kalkül.

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Europäische Tendenzen. Beispiele aus Skandinavien und dem Baltikum Der in Deutschland, der Schweiz und Österreich zu beobachtende Architekturumbruch um 1900 fand parallel auch in anderen europäischen Staaten statt. Zahlreiche europäische Architekten besuchten damals die Hochschulen in Deutsch­ land und Österreich-Ungarn. Bücher wie „Das Englische Haus“ von Hermann Muthe­ sius wurden über Deutschland hinaus rezipiert. In Schweden leitete Ferndinand Boberg (1860 – 1946) den Wandel vom Historismus zur Reform ein.93 Mit der Feuerwehr für Gävle schuf er statt der damals üblichen Neo­ renaissance einen burgähnlichen Bau, der sich von der Stilkunst entfernte. Trotzdem verzichtete Boberg nicht auf eine Ornamentierung der Gebäude. „Zu einem Markenzei­ chen Bobergs wurde bald eine leichte aber reichhaltige Ornamentik, deren Bildsprache von Assoziationen ausging, die mit der Funktion des jeweiligen Gebäudes verbunden sein konnten. Im Stockholmer Elektrizitätswerk (1889 – 92) kommt dies deutlich zum Ausdruck. Rund um die tief eingelassene Tür ist ein Fries aus plastischen Glühbirnen in einem stilisierten Muster aus Stein gehauen worden.“ 94 Boberg antizipiert eine Forderung der Reformer, dass ein neuer Stil aus dem Inne­ ren eines Bauwerks geschaffen werden müsse, aus seiner Bestimmung und Funktion.

Ferdinand Boberg, Villa Vintra, Stockholm 1903. Boberg steht auf dem Balkon. Quelle: Wikipedia

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Auch in Norwegen verbreitete sich ab 1900 die „nationalromantische Architektur“ – ein weiteres Synonym für die Reformarchitektur. Architekten wie Arnstein Arneberg, Magnus Poulsson und Frederik Konow Lund (1889 – 1970) bauten Holzhütten ganz im Sinne der Reform und beeinflusst von englischen und deutschen Vorbildern 99 – mit Bruchsteinsockeln, Balkonen und Loggien.100 Frederik Konow Lund hatte von 1910 bis 1914 an der Königlich Sächsischen Hochschule in Dresden Architektur studiert und hatte in Dresden die Reformarchitektur kennen gelernt. Auch im Baltikum wurde bereits vor dem Ersten Weltkrieg Reformarchitektur errichtet. Städte wie Helsinki, Riga oder Tallinn erlebten vor dem Krieg eine Blütezeit und wur­ den entsprechend erweitert. Um 1900 waren gerade in Riga und Tallin neue Büro- und Geschäftshäuser im Jugendstil errichtet worden, anschließend folgten Bauten im Sinne der Reform. Der Bahnhof in Helsinki, 1904 bis 1914 von Eliel Saarinen (1873 – 1950) errich­ tet, gehört zu den herausragenden Werken einer nordeuropäischen Reformarchitektur.

Europäische Tendenzen. Beispiele aus Skandinavien und dem Baltikum

Bobergs Stockholmer „Rosenbad“ (1899 – 1920) erscheint wie ein NeorenaissanceBau, dem ein großer Teil der Dekorationen fehlte. Spätere Bauten wie das eigene Wohn­ haus „Vintra“ erinnern bereits stark an die mitteleuropäische Reformarchitektur. Die eigentliche Reformarchitektur, die durchaus auf Bobergs Arbeiten aufbaute, be­ gann sich in Schweden etwa zeitgleich wie in Deutschland durchzusetzen. Architek­ ten besannen sich auf traditionelle Vorbilder und forcierten gleichzeitig eine Verein­ fachung der Architektur. Lars Israel Wahlmann schuf 1904 bis 1905 mit der „Villa Tallom“ eine Holzhütte mit Ausblick – eine Architektur „nationaler Romantik“.95 „Einen […] Meilenstein in der Entwicklung des Villenbaus in dieser Phase setz­ te­der junge, begabte Elis Benckert. Am bekanntesten wurde seine Villa Lagercrantz (1909 – 10) im Villengebiet Djursholm, Stockholm […]. Dort trieb er die Forderung seiner Zeit nach Schlichtheit bis zum Äußersten, wobei er gleichzeitig das Zusammenspiel mit der Natur und dem Charakter des Platzes betonte. In einer eigenen Präsentation der Villa begann Benckert bezeichnenderweise damit, die Bäume des Grundstücks und deren Bezug zu dem Gebäude zu beschreiben.“ 96 Die Baltische Ausstellung 1914 in Malmö hätte wie auch die Werkbund-Ausstellung in Köln zu einem deutlichen Zeichen der Reform werden können. Die Ausstellung in Malmö wurde vom hochangesehenen Boberg dominiert, der die Entwicklung der Re­ form hin zu einer reduzierten ornamentlosen Architektur nicht ganz mitgegangen war (ungeachtet der hohen künstlerischen Qualität seiner Arbeiten). Nur Kleinwohnungs­ entwürfe von Torsten Stubelius und Sigurd Lewerentz entsprachen dem mitteleuro­ päischen Stand der Reformarchitektur. „Lewerentz hatte bei Bruno Möhring in Berlin, später bei Theodor Fischer und Richard Riemerschmid in München gearbeitet. Bei dem letzteren hatte er sich mit Aufgaben beschäftigt, die Wohnhäuser in Hellerau betrafen. Wahrscheinlich hatte er dabei auch Heinrich Tessenow kennengelernt.“ 97 Nach 1915 begann in Schweden eine Phase der einfachen Reformarchitektur, die meist als „Klassizismus der 20er Jahre“ bezeichnet wird. Der wichtigste Vertreter die­ ser Reformarchitektur war Gunnar Asplund (1885 – 1940). Seine schlichten, schmuck­ losen Landhäuser erinnern in ihrer Strenge am ehesten an die Arbeiten Tessenows.98

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Frederik Konow Lund, Villa Konow, 1935 – 36. Quelle: Wikipedia

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Nikolai Vasilyev und Alexei Bubyr, „Villa Christian Luther“, 1909 – 1910. Quelle: Ruyter, St. Petersburg (Livejournal.com)

Robert-Friedrich Meltser, Haus Meltser, 1906. Quelle: www.encspb.ru

einen klassischen Reformbau. Reduzierte Fassaden und knospenhafte Giebel sowie ein knospenhafter Turm erinnern ein wenig an den Behrens-Bau auf der Mathilden­ höhe in Darmstadt.101 Selbst im Raum St. Petersburg begann sich vor 1914 eine Reformarchitektur, die sich an regionale Vorbilder orientierte, durchzusetzen. Publizierte Beispiele sind das Landhaus „Kirchner“ in Levashovo, 1911 von Fredrik Lidvall (1870 – 1945) und Andrey Ol errichtet, das Landhaus „Leonid Andreyev“ in Vammelsuu, 1907 von Andrey Ol ent­ worfen, und vor allem das „Haus Meltser“ auf der Kamenny Insel, 1904 bis 1906 von Robert-Friedrich Meltser (1860 – 1943) errichtet – ein hoch aufragendes Holzhaus auf Steinsockel mit einem Ausguck in der Dachspitze.102 Die Betrachtung europäischer Reformarchitektur liesse sich fortsetzen. Gerade in Osteuropa, im Einflussbereich von Österreich-Ungarn aber auch in Russland hatte sich das Denken der Reform durchgesetzt. Die deutsche Architekturentwicklung, aus­ gehend von München, Dresden und Berlin, machte Schule. Einen Sonderfall nimmt Tschechien ein. Hier hatte sich kurz vor dem Ersten Weltkrieg ein Kubismus etabliert – eine regionale Form der Reformarchitektur. Hier wurde die Idee, dass ein Bauwerk wie ein Kristall wachsen soll, geradezu Mode. Es ändert aber nichts an dem zu Grunde liegenden einheitlichen Denken. Auch der kristalline Kubis­ mus gab vor, auf naturgesetzlichen Regeln zu fußen, setze diese Idee besonders kon­ sequent um.103

Europäische Tendenzen. Beispiele aus Skandinavien und dem Baltikum

In Tallin bauten 1909 bis 1910 die aus St. Petersburg stammenden Architekten Niko­ lai Vasilyev (1875 – 1958) und Alexei Bubyr (1876 – 1919) mit der „Villa Christian Luther“

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Vorbild Fabrik Im Januar 1906 sprach Peter Behrens – damals dem Bremer Publikum durch Arbeiten für die Oldenburger Landesausstellung 1905 und durch seine Entwurfstätigkeit für die Linoleumwerke „Ankermarke“ in Delmenhorst bekannt – im Kunstsalon Leuwer über Kunst und Architektur. Die Bremer Kunstkritikerin Anna Goetze – wir kennen sie be­ reits – saß im Publikum und rezensierte den Vortrag.104 „Wie die Natur Schönes schafft, indem sie alles zweckvoll anordnet, so ist es auch der Architektur möglich, ästhetische Werte zu formen, wenn die Bedürfnisse, die bei einem Bau zu Grunde liegen, ganz empfunden und in praktischer Weise durch richtige Konstruktion gelöst werden.“ 105 Behrens beschrieb Architektur analog zur Natur. Durch die konstruktive Logik er­ halte Architektur ihre Wahrheit. Wie wir schon beschrieben haben, sollte eine derart „richtige“ Architektur auf den Nutzer und Betrachter einwirken. „Nicht nur um Zeit und Kraft zu sparen, wählt man die Einfachheit der Konstruk­ tion, sondern auch aus psychischen Gründen: Es wirkt unbewusst wohltuend auf den Beschauer, die Natürlichkeit des Zusammengefügten zu empfinden. Kompliziertheit und Geheimnisse hingegen beunruhigen.“ 106 Im 19. Jahrhundert wurde, so die Argumentation der Reformer, eine den Natur­ gesetzen widersprechende Architektur immer höher aufgetürmt, immer wilder kombi­ niert, so dass die Menschen beunruhigt wurden. Eine moderne Architektur in ein­facher Tektonik, aus einfachen Kuben zusammengesetzt (so wie Behrens’ Oldenburger Bau­ ten) hätte hingegen eine positive Wirkung auf den Menschen. Doch Architektur sollte nicht nur klar, einfach und wahr sein, sie sollte darüber hinaus Bedeutung tragen. Peter Behrens publizierte 1909 im Kunstgewerbeblatt über monumentale Kunst, illustriert mit Abbildungen seines Hagener Krematoriums.107 In dem kurzen aber programmatischen Text erklärt Behrens die Monumentalität zum eigentlich Ziel der Architektur. Monumentalität ist für ihn mit Bedeutung gleichzu­ setzen – mit konzentrierter Bedeutung. „Die monumentale Kunst ist der höchste und eigentliche Ausdruck der Kultur einer Zeit.“ 108 Dieses Ziel könne der Architekt nicht durch reine Größe oder durch einen Reichtum an Dekorationen erreichen. Er müsse das Empfinden, das Gefühl – er müsse ein unbewusstes Erleben der Betrachter steuern. „Es ist das gesamte einmütige Empfinden eines ganzen Volkes für eine Idee nötig, um Denkmäler monumentaler Kunst erstehen zu lassen. Die Intensität dieses Empfindens ist maßgebend, nicht aber irgendeine vorhandene oder benötigte materielle Größe“.109 Doch wie konnte das Empfinden der Menschen gesteuert werden? Behrens mis­ straute offenbar der reinen Naturnachahmung und den damals schon gebräuchlichen Hüttenkopien. Die ersten Schöpfungen der Reformer, die beispielsweise auf dem Mon­ te Veritá standen, schienen ihm zu profan, noch zu bedeutungsarm. Behrens wollte die Betrachter seiner Bauten steuern. Er gab ihnen Blickrichtungen vor, inszenierte die Bauten effektvoll. Seine vor 1914 errichteten Bauten sind allesamt inszeniert – so­ wohl die Berliner AEG -Turbinenhalle (1908) als auch die deutsche Botschaft in St. Pe­ tersburg (1912). Die unbewusste Beziehung zwischen Bauwerk und Betrachter wollte 184

Peter Behrens, Deutsche Botschaft in St. Petersburg, 1912. Quelle: Wikipedia

Beton-Architektur Behrens Sorge, dass seine Architektur keine Bedeutung trägt, lässt sich durch die von ihm übernommenen Bauaufgaben erklären. Es war eben nicht das Einfamilienhaus, das er mühelos von der Licht-Luft-Hütte ableiten konnte, es war auch nicht das Mehr­ familienhaus, das dem Vorbild Sanatorium folgen konnte. Das Wohnhaus ließ sich in seiner Bedeutung einfach absichern. Der Bewohner war der bedeutungsgebende Kern – Architektur wurde seine Hülle, die seine Gesundheit und sein womögliches Übermenschentum zum sinnfälligen Ausdruck brachte. Doch Behrens hatte ab 1904 überwiegend mit industriellen und staatlichen Auftrag­ gebern zu tun (so mit Gustav Gerickes Delmenhorster Linoleumwerken „Ankermarke“ sowie mit der „Allgemeinen Electrizitäts Gesellschaft“ in Berlin). Eine Turbinenfabrik konnte genausowenig auf eine Hütte zurückgeführt werden wie die Botschaft eines Staates (so in St. Petersburg). Hier entstand ein Problem, Bedeutung zu konstituieren. Die Rückführung der neuen industriellen und staatlichen Bauauf­gaben auf das Urbild

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Behrens unter Kontrolle behalten, er fürchtete sonst offenbar den Bedeutungsverlust der Architektur. Aus seinem Aufsatz und seinen vor 1914 errichteten Bauten sprach die Sorge, dass Architektur, die ohne historistisches Dekor auskommen musste (das Orna­ ment war entwertet), zu belanglos wird. Die Inszenierung war Ausdruck seines Miss­ trauens gegen die Idee der Reformer, dass die Bedeutung von Innen heraus wachsen kann, wenn man nur der Natur folge,110 oder mit anderen Worten: Behrens, der als jun­ ger Mann nicht durch die Schule der Sanatorien gegangen war, glaubte noch nicht an das Funktionieren des rekursiven Systems der Reformarchitektur.

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der Architektur, die Hütte, war nicht zu leisten – hier mussten neue, glaubwürdige Stra­tegien entwickelt werden. Im ausgehenden 19. Jahrhundert waren Städte immer stärker unter den Einfluss der Industrie geraten. Hochbahnen und Straßenbahnen bestimmten auch die Zentren. Industriearchitektur, im 19. Jahrhundert noch ein Phänomen am Rande, dass abseits des Architekturdiskurses entstand, ließ sich nun immer weniger ignorieren. Mit dem Industriebau – dazu gehören auch neue Eisenbahnbrücken oder städti­ sche Elektrizitätswerke – etablierten sich neue Bauverfahren: die Stahlkonstruktion und der Eisenbetonbau. Wie konnte nun der Ansatz der Reformer, eine neuen Architektur „von Innen her­ aus“ zu entwickeln, im Industriebau umgesetzt werden? Wie konnte man einer Brücke oder einem Kraftwerk eine Bedeutung tragende Architektur geben? Wo lag der „wahre“ Kern der Industriebauten? Kindertanz und Licht-Luft-Kur passten nicht zum Kraftwerk und nicht zur Fabrik. Die frühen, in den Sanatorien und Naturheilstätten der Reform entwickelten Konzepte ließen sich auf die Ausprägungen der modernen Welt nicht so einfach anwenden. Hier wurde ein grundlegendes Problem gesehen – beurteilte man doch die Indust­ rialisierung der Städte (der Beschleunigung des Verkehrs, der Ballung von Verwal­ tungsbauten und der Ausbreitung von Fabriken außerhalb der Stadtmauern) als eine Entwicklung, die man nicht aufhalten könne, die vielmehr in die Zukunft führen werde.­ Hübsche Hüttensiedlungen mochten ein Lösung für die individuelle Wohnfrage sein, nicht aber für die Entwicklung der Zentren. Der Wunsch der Reformer, nach den Vorstädten auch die Zentren zu besetzen, führ­ te zu einem Legitimationsproblem. Im Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1914, „Der Verkehr“ betitelt, wurde die Frage nach der Bedeutung der Industrie- und Verkehrsbauten diskutiert. Peter Behrens schrieb in „Einfluss von Zeit- und Raumausnutzung auf moderne Formentwicklung“: „Eine Eile hat sich unserer bemächtigt, die keine Muße gewährt, sich in Einzelheiten zu vertiefen. Wenn wir im überschnellen Gefährt durch die Straßen unserer Großstädte jagen, können wir nicht mehr die Einzelheiten der Gebäude gewahren. Ebensowenig können vom Schnellzug aus Städtebilder, die wir im schnellen Vorbeifahren streifen, anders wirken als nur durch ihre Silhouette. Die einzelnen Gebäude sprechen nicht mehr für sich.“ 111 Behrens führte hier seinen eigenen, noch 1908 formulierten Monumentalismus ad absurdum. Die beschleunigten Betrachter reagierten nicht mehr auf die von Beh­ rens angewandten Mittel der Bedeutungsvermittlung: Symmetrie, fester Betrachter­ standpunkt, gemeinschaftliches Empfinden. Betrachter waren nun in Bewegung und ließen Architektur an sich vorbeifließen, erhaschten mehr zufällig als geplant kurze ­Ausschnitte eines Gebäudes. Bedeutung konnte nicht mehr mit den Mitteln klassischer Ordnung vermittelt werden (höchstens noch durch deren Übersteigerung – Behrens hat genau das bei der Deutschen Botschaft in St. Petersburg probiert). Wo also lag der wahrhaftige Kern der modernen städtischen Architektur, wie konn­ te­er den Betrachtern vermittelt werden? Behrens verwarf kurz vor dem Ersten Welt­ 186

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krieg den starren Monumentalismus und forderte, dass Form, Raum und Zeit in einen Kontext gestellt werden müssen. „Zweifellos sind Zeit- und Raumausnutzung von sehr bestimmenden Einfluss auf die Form, so gut wie es die Konstruktion, so gut wie es die Konstruktionsart und das Baumaterial [sind]. […] Zeit- und Raumausnutzung könnte man ihrer Wirkung nach als das rhythmische Prinzip bei der Formgestaltung auffassen, Rhythmik ist eigentlich ein Zeitmaß, ein Maß der Bewegung.“ 112 Die Form soll die Bedingungen der neuen Zeit – Geschwindigkeit, rationale Ausnut­ zung des Raumes – zum Ausdruck bringen. Der sinngebende Kern eines Gebäudes war nun nicht mehr der Mensch, es waren die Grundbedingungen der modernen Zeit: die Zeit- und Material- und Raumökonomie! „Einer solchen Betrachtungsweise unserer Außenwelt, die uns in jeder Lage bereits zur steten Gewohnheit geworden ist, kommt nur eine Architektur entgegen, die mög­ lichst geschlossene, ruhige Flächen zeigt, die durch ihre Bündigkeit keine Hindernis­ se bietet. Wenn etwas Besonderes hervorgehoben werden soll, so ist dieser Teil an das Ziel unserer Bewegungsrichtung zu setzen. Ein übersichtliches Kontrastieren von her­ vorragenden Merkmalen, zu breit ausgedehnten Flächen oder ein gleichmäßiges Rei­ hen von notwendigen Einzelheiten, wodurch diese wieder zu gemeinsamer Einheit­ lichkeit gelangen, ist notwendig. […] Die Zeit- und Raumausnutzung wird von selbst dazu führen, die Häuser so hoch wie möglich aufzuführen. Der Nutzen des amerikanischen City-Prinzips mit seinen überhohen Geschäftshäusern ist für jeden erwiesen, der dort Geschäfte erledigt und den Vorteil der durch diese Bauart gegebenen allgemeinen Nachbarschaft schätzen ge­ lernt hat. Aber auch in ästhetischer Beziehung sind es gerade diese Häuser, die im neu­ en Lande den stärksten Eindruck hervorrufen. Durch ihre kühne Konstruktion tragen sie den Keim einer neuen Architektur in sich.“ 113 Zeit- und Raumökonomie lassen sich als Rationalität, auch als ein Naturgesetz be­ schreiben. In der Natur, so das Verständnis, wird keine Form „umsonst“ eingesetzt. Alle Formen gehorchen einer strikten Ökonomie, sind genau kalkuliert. In diesem na­ turgesetzlichen Verständnis lässt sich Rationalität als ein guter Kern beschreiben – als eine Grundbedingung einer funktionierenden Gesellschaft. Allerdings war Behrens der Meinung, dass man städtische Architektur von vor­ städtischer unterscheiden müsse, dass es unterschiedliche Bedingungen gäbe und dass somit die Architektur auch unterschiedliche Bedeutung trage. „Wenn so die Geschäftsstadt ihr typisches Gepräge erhält, so ist nichts natürlicher, als dass die den großen Städten vorgelagerten Vororte zu einer Landhauszone werden, deren Bauart im Gegensatz zum Vertikalismus der inneren Geschäftsstadt horizontal charakterisiert ist.“ Während das Landhaus weiterhin dem Vorbild Hütte / Sanatorium folgen durfte, etablierte sich in den Innenstädten ein neues Vorbild. „So ist es bereits selbstverständlich, da wir die Schönheit eines Schiffes, einer ­Lokomotive oder eines Automobils nicht in ornamentaler Hinsicht, sondern nach der Schnittigkeit ihrer Linien beurteilen.“

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Die industriell hergestellten Verkehrsmittel wurden Vorbild für Architektur. In­ dustrielle Architektur bezog sich auf industriell erzeugte Vorbilder – hier lag die L ­ ogik. Die Wahrheit einer industriellen Schöpfung konnte nur industriell geprägt sein. Walter Gropius, Schüler von Behrens und 15 Jahre jünger, publizierte ebenfalls im Jahrbuch „Verkehr“: „Der Kunst der vergangenen Jahrzehnte fehlte der moralische Sammelpunkt und damit die Lebensbedingung zu einer fruchtbaren Entwicklung. Es gab in dieser nur materiell sich vorbereitenden Zeit kein geistiges Ideal von so allge­ mein gültiger Bedeutung, dass der schaffende Künstler über egozentrische Vorstellun­ gen hinaus einen allgemein verständlichen Vorwurf daraus gewinnen konnte. Auf allen Gebieten geistigen Lebens zersplitterten sich die Meinungen, und die Kunst – die im­ mer die geistigen Erscheinungen ihrer Zeit darstellen will – war das getreue Spiegelbild dieser innerlichen Zerfahrenheit. Das Grundproblem der Form war ein unbekannter Be­ griff geworden. Dem krassen Materialismus entsprach so ganz die Überschätzung vom Zweck und Material im Kunstwerk. Über der Schale vergaß man den Kern.“ 114 Gropius setzte sich mit dem technischen Jahrhundert auseinander und begründete, weshalb damals keine angemessene Form für technische oder industrielle Auf­gaben gefunden worden war. Es gab kein geistiges ideal – es wurde auf keinen Bedeutung tragenden Kern verwiesen. Die Menschen bauten vielleicht bereits ideal organisier­ te Häuser, aber sie verstanden nicht, dass in der maschinellen Perfektion bereits die Idee der Zeit enthalten war. Ein Paradox: Die Bauherren des 19. Jahrhunderts verzier­ ten Fabriken mit auf geistige Ideale verweisende Dekorationen, die historische Stile zitierten. Diesen Architekten warf Gropius Materialismus vor (aus der Erfahrung her­ aus, dass die Verweise der Ornamente eben nicht funktionierten). Er selbst nahm für sich und seine Zeit in Anspruch, den „moralischen Sammelpunkt“ gefunden zu ha­ ben – nämlich die Zeit- und Raumökonomie. Hinter der Schale wollte er den Kern ent­ decken – und das war die Rationalität. „Aber mag nun auch gegenwärtig noch eine [historistisch] materielle Lebensauf­ fassung überwiegen, Anfänge eines starken und einheitlichen Willens zur Kultur sind heute unverkennbar. In dem Maße wie die Ideen der Zeit über das Materielle hinaus­ wachsen, beginnt auch in der Kunst die Sehnsucht nach einheitlicher Form, nach ei­ nem Stil neu zu erwachen, die Menschen erkennen wieder, dass der Wille zur Form doch immer das eigentlich Wertbestimmende im Kunstwerk ist. Solange eben die geistigen Begriffe der Zeit noch unsicher schwanken, ohne ein ­einiges festes Ziel, solange fehlt auch der Kunst die Möglichkeit, Stil zu entwickeln, d. h. den Gestaltungswillen der vielen in einem Gedanken zu sammeln. Es beginnen sich langsam in unseren Tagen solche gemeinsamen Gedanken von weltbewegender Bedeutung aus dem Chaos individualistischer Anschauungen abzu­ lösen. In den Riesenaufgaben der Zeit, den gesamten Verkehr – die ganze materielle und geistige Menschenarbeit – organisatorisch zu bewältigen, verkörpert sich ein un­ geheurer sozialer Wille. Mehr und mehr wird die Lösung dieser Weltaufgabe zum ethi­ schen Mittelpunkt der Gegenwart, und damit wird der Kunst wieder geistiger Stoff zur symbolischen Darstellung in ihren Werken zugeführt. […] Wie die Verkehrsbauten ihre Aufgabe, den Verkehr aufzunehmen und zu ord­ nen, in einem klar übersehbaren rhythmisch gegliederten Gehäuse charakterisieren, 188

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das keine Zweifel in seine Bestimmung aufkommen lässt, so sind die Verkehrsmittel zu Lande, zu Wasser und zu Luft – Automobil und Eisenbahn, Dampfschiff und Segel­ jacht, Luftschiff und Flugzeug – förmlich zu Sinnbildern der Schnelligkeit geworden. Ihre klare, mit einem Blick erfassbare Erscheinungsform lässt nichts mehr von der Kompliziertheit des technischen Organismus ahnen. Technische Form und Kunst­ formen sind darin zu organischer Einheit verwachsen. So muss von diesen Werken der Industrie und Technik eine neue Entwicklung der Form ihren Ausgangspunkt ­nehmen.“ 115 Gropius war wie Behrens der Meinung, dass industrielle Erzeugnisse wie das Dampfschiff, das Automobil oder die Eisenbahn den Kern der neuen beschleunigten Zeit treffend zum Ausdruck bringen: die Rationalität. Individuelle Lösungen hin­gegen, die sich von dem einfachen Naturgesetz einer idealen Zeit- und Raumökonomie entfer­ nen, die einer subjektiven Künstleridee folgen, waren hingegen abzulehnen. Sie schu­ fen bedeutungslose Formen. Ein neuer Stil war nur zu erreichen, wenn alle Architekten sich der Rationalität unterwarfen, ihre Kreativität in den Dienst einer naturgesetz­ lichen Optimierung stellten. Als Walter Gropius den Text schrieb, hatte er bereits den ersten Teil der Fagus-Wer­ ke in Alfeld an der Leine vollendet – und damit sein Konzept einer Bedeutung tragen­ den Industriearchitektur vorgestellt. Um die Eigenart der Fagus-Werke herauszuarbeiten, um die Begründung eines neu­ en Bauens überhaupt zu verstehen, sollen hier zuvor die Vorbilder betrachtet werden, die Gropius im Werkbund Jahrbuch von 1913 ausdrücklich anführte.116 Er erwähnte drei Industrieanlagen, die seiner Ansicht nach bereits die neue Zeit repräsentierten, die „ein einheitliches architektonisches Fühlen“ erkennen ließen, „das endlich der le­ bendigen Lebensform der Zeit das natürliche Kleid erfindet“.117 Man muss hinzufügen, dass in den Jahren vor 1914 der Industriebau sich allge­ mein großer Aufmerksamkeit erfreute. Es waren nicht allein Behrens und Gropius, die in der Industrie ein Versprechen auf eine andere Zukunft sahen. Die Zeitschrift „Der Industriebau“, die bezeichnenderweise ab 1910 erschien, als die Rationalität den Men­ schen zu ersetzen begann, entwickelte sich zu einem Organ der Reformer. Das Werk­ bund-Jahrbuch von 1913 („Die Kunst in Industrie und Handel“) war dem Industriebau gewidmet und zeigte im Bildteil zahlreiche Beispiele, u. a. die von Gropius herausge­ stellten Bauten. Zu den im Jahrbuch vorgestellten Bauten gehörte auch die bereits 1907 fertiggestellte Fabrik der „Kaffee-Handels AG “ in Bremen, die der Zeitschrift „Der ­Industriebau“ noch 1910 als Vorlage für das Signet diente (neben einem Dresdener ­Gasometer). Der Bremer Kaffeekaufmann und Erbe eines väterlichen Kaffeeimport-Unter­ nehmens Ludwig Roselius hatte 1906 den Bremer Reformarchitekten Hugo Wagner (1873 – 1944) mit dem Bau einer für damalige Verhältnisse riesigen Fabrik beauftragt. Roselius, den es selbst als Wandervogel in die Natur drängte,118 hatte den frühen Tod seines Vaters als zivilisationsverschuldet erlebt. Angeblich hatte der Vater berufs­ bedingt über viele Jahre zu viel Kaffee getrunken und war dann an den Folgen gestor­ ben. Ludwig Roselius hatte sich zur Aufgabe gestellt, einen gesunden Kaffee zu ent­ wickeln, den man ohne Bedenken trinken könne. Er experimentierte mit dem Entzug

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Hugo Wagner, Foto um 1910. Quelle: Sammlung Aschenbeck

des Koffeeins aus der Kaffeebohne, was ihm mit Hilfe eines Chemikers 1906 gelang. Für diesen neuen, „gesunden“ Kaffee wollte er eine neue, zeitgemäße Fabrik bauen. Hugo Wagner hatte in den Jahren vor 1906 nur einen einzigen Bau errichtet, den man heute als Industriebau bezeichnen würde: den Wasserturm im Bremer Stadtteil Walle (1904). Ansonsten hatte er eine Anstalt für geistig behinderte Menschen gebaut, das „Asyl Ellen“ (1903) in Bremen-Osterholz, sowie einige Land- und Arbeiterhäuser. Schon 1906 gehörte Wagner zu den entschiedenen Vorkämpfern der Reform. Seine Häuser erscheinen schon früh gänzlich ungeschmückt. Hohe Giebel und Rauputz sol­ len einen Eindruck vermitteln, als seien sie am Standort verwurzelt.119 Mit der „Kaffee-HAG “-Fabrik schuf Wagner eine ganz neue Architektur, die so gar nicht zu seinen Wohnhausentwürfen passte. Erst wenn man erkennt, dass hier ein an­ derer Kern, nämlich die Rationalität, zum Ausdruck gebracht werden sollte, kann man die Form verstehen. Bevor Roselius Wagner den Auftrag für den Bau der Fabrik erteilt hatte, war er nach Amerika gereist, um sich dort Getreidesilos anzusehen. Getreideverarbeitung konnte am ehesten ein Vorbild für das neuartige, weltweit bis dahin nicht existieren­ de Verfahren sein, dem Kaffee das Koffein zu entziehen. In den USA besuchte Rose­ lius zudem Frederic Winslow Taylor (1856 – 1915), den Erfinder der „wissenschaftlichen Betriebsführung“, die auch „Taylorismus“ genannt wurde. Erst Jahre nachdem Ros­ lius bei Taylor gewesen war und dessen Ideen aufgesogen hatte, erschien 1911 Taylors Hauptwerk – die „Grundsätze der Wissenschaftlichen Betriebsführung“.120 Taylor hatte genau das in eine Lehre überführt, was Peter Behrens zwei Jah­ re­später „Zeit- und Raumausnutzung“ nennen sollte, man würde es heute kurz als 190

Hugo Wagner, Siedlung der Norddeutschen Hütte in Bremen, errichtet ab 1910. Quelle: Sammlung Aschenbeck

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­ ationalismus bezeichnen. Die der Kaffeefabrik am Bremer Fabrikenufer zugrundelie­ R gende Idee war eben dieser Taylorismus – der Rationalismus. Eine Abteilung der Bre­ mer „Seehandels AG “, die zur Kaffee HAG gehörte, nannte sich „Wissenschaftliche Betriebsführung“.121 Die „Wissenschaftliche Betriebsführung“ war damals anders als heute kein gewerkschaftliches Feindbild, sondern ein Ideal: je optimierter ein Betrieb funktionierter, je mehr die „Naturgesetze“ der Ökonomie eingehalten werden, je mehr diese Rationalität von der Architektur repräsentiert werde, um so besser das Ergebnis. Die Kaffee-HAG -Fabrik gehört zu den frühen ganz in Eisenbeton erstellten Bau­ ten. Bei fast allen frühen Eisenbeton-Bauten konnte der Betrachter die Konstruktion nicht auf den ersten Blick identifizieren, sie verbarg sich meist hinter Putz oder hinter Formsteinen. Noch 1928 schrieben Vischer und Hilberseimer in „Beton als Gestalter“: „Dieser Gegensatz zwischen dem neuen inneren Konstruktionsorganismus und der äu­ ßeren, dieses Prinzip ignorierenden Fassade ist charakteristisch für die meisten, von Architekten durchgebildeten Eisenbetonbauten. Es ist kläglich zu sehen, wie diese Ar­ chitekten sich abmühen, das Neue hinter Fassadenattrappen vergessen zu lassen.“ 122 Auch Wagners Fabrik zeigte keinen „ehrlichen“ Sichtbeton. Alle Fassaden ließ er mit Rauputz verkleiden. Doch eine nähere Betrachtung offenbart, dass sich Wagner intensiv mit der Konstruktion auseinandergesetzt hat, dass er versucht hat, ihr eine angemessene Form zu geben. Schon der Rauputz verbirgt das ihn tragende Material nicht, sondern verdeutlicht es. Farblich gleicht der Rauputz dem Beton. Und auch die grobe Kiesstruktur, die die

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Fabrikgebäude der „Kaffee-Handels-AG “ in Bremen, 1906 bis 1907, Entwurfszeichnungen. Quelle: Der Industriebau

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Heinz Stoffregen, Fabrikbauten für die Linoleumwerke „Ankermarke“ in Delmenhorst, 1910. Quelle: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1913, Abbildungsteil, S. 24 f.

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[Abb. 96 groß: Fabrikgebäude der „Kaf­ fee-Handels-AG“ in Bre­ men, 1906 bis 1907, Enturfs­ zeichnungen. Quelle: Der Industriebau xxx] http://flic.kr/p/jbewqn

Hans Poelzig, Chemische Fabrik in Luban, heute Polen. Quelle: Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin, Invent.-Nr. 2640, 2646

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Zu denen, die den Bau der „Kaffee-HAG “-Fabrik genau beobachtet hatten, gehörte Wal­ ter Gropius. Er nannte in seinem im Werkbund-Jahrbuch 1913 veröffentlichen Aufsatz

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Fassade dominiert, verweist direkt auf das darunter liegende Material, bei dem Sand und Kies wesentliche Bestandteile waren. Abbildungen der Innenräume verdeutlichen die Art der Konstruktion. Im Abstand von jeweils vier Metern tragen Eisenbetonstützen die Eisenbetonunterzüge. Heraus­ kragende Konsolen verbinden die Stützen mit den Unterzügen und nehmen die eiser­ nen Bewehrungen auf, die damals, als die Statikberechnungen von Betonbauten in den Anfängen steckten, noch überdimensioniert waren. Auch von Außen lässt sich bei der „Kaffee-HAG “-Fabrik die Konstruktion ablesen. Bei den als Lisenen hervortretenden Gebäudeteilen handelt es sich um die tragenden Betonstützen. Auch in der Horizontalen betont Wagner die Konstruktion. Die Beton­ platten des Daches lässt er ein wenig auskragen. Paarweise angeordnete Konsolen hal­ ten die Auskragungen optisch – konstruktiv wären sie nicht erforderlich gewesen. Nun lässt sich sagen, bei den vertikalen Eisenbetonstützen, den auskragenden Be­ tonplatten und den Konsolen handelt es sich um hergebrachte Architekturelemente – um Pilaster und Gesims. Um die moderne Konstruktion beherrschen zu können, be­ diente sich Wagner bei klassischen Formen aus der Architekturgeschichte. Gleichzeitig brach er sie auf: Betonplatten-Gesimse sind nicht nur in Kapitell-Höhe zu finden, sie verteilen sich über die gesamte Fassade – sie bekamen erkannbar eine andere Logik. Neben der Auseinandersetzung mit dem Baumaterial – die „HAG “-Fabrik ist wohl das erste Bauwerk der Architekturgeschichte, bei dem sich der Architekt auch ästhe­ tisch mit dem neuen Baumaterial auseinandergesetzt hat – ist die Anordnung der Bau­ teile bemerkenswert. Die einzelnen Gebäude wie Lager, Rösterei, Verwaltung, Kraft­ werk und Extraktion folgen allein den Bedingungen der Produktion (und zitieren keine höfische Architektur, sind nicht symmetrisch geordnet, wie damals im Industriebau noch verbreitet) 123. Das Verwaltungsgebäude liegt sogar eingezwängt zwischen den Produktionshallen, ist kleiner und unscheinbarer als diese. Wagner ordnete die Archi­ tektur ganz der Produktion und deren Logik unter. Vor den Bauten liegt ein eingeschos­ siger Bau, der alle Trakte miteinander verbindet. Hier lief einst das Fließband, auf dem der Kaffee zu den unterschiedlichen Produktionsschritten transportiert wurde. Die Fabrik wurde als eine ideale Maschine gestaltet. Genau diesen Maschinen­ charakter sollte sie in ihrer Architektur zum Ausdruck bringen. Im Jahr der Fertigstellung, 1907, war die „Kaffee-HAG “-Fabrik ihrer Zeit weit ­voraus. Während die Reformer noch über das Hüttenvorbild diskutierten, während Gropius noch studierte und erst ein Jahr später in das Büro von Peter Behrens eintrat, entstand am Bremer Fabrikenufer ein Architekturmuster für das 20. Jahrhundert – mit einer neu konstituierten Bedeutung. Allein die hohen Walmdächer, die Wagner vom Landhaus­ bau auf die Fabrik übertrug, wirken merkwürdig untechnisch und unrational, zeigen, dass Wagner und Roselius 1906 bis 1907 ein riesiges Experiment unter­nahmen, das noch keine endgültige Form hervorbrachte.124 Die Fabrik wurde erst spät publiziert, so erst sechs Jahre nach ihrer Fertigstellung im Jahrbuch des Deutschen Werkbundes.

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„Die Entwicklung moderner Industriebaukunst“ ausdrücklich die Kaffee HAG und auch Heinz Stoffregens Linoleumfabrik „Ankermarke“ als Vorbild seiner neuen Archi­ tektur.125 Bei Stoffregens Delmenhorster Fabrikbauten – von Werkbund-Vorstandsmitglied Gustav Gericke in Auftrag gegeben, offenkundig keine in Eisenbeton ausgeführten Bauten – handelte es sich um einfache, fensterlose Kuben. Sie zitierten die von Peter Behrens 1905 auf der Oldenburger Landesausstellung geschaffenen Ausstellungsbau­ ten, darunter den Pavillon für die Delmenhorster Linoleumwerke „Ankermarke“. Ein drittes Industriebauwerk, das Gropius in seinem Aufsatz herausstellt, ist die „Chemische Fabrik Luban“ in Posen, entworfen von Hans Poelzig, der schon damals bekannter und erfolgreicher als Hugo Wagner und Heinz Stoffregen war. Poelzig schuf ebenfalls zurückhaltende, betont einfache Bauten, deren Anordnung und Lage den technischen Bedürfnissen folgten. Allerdings schuf er hohe Treppengiebel, die eben­ falls die Bodenständigkeit und die Naturgesetzlichkeit der Bauten unterstreichen sol­ len. Wie Stoffregen und anders als Wagner gelingt es Poelzig noch nicht überzeugend, eine neue eigene Bedeutung der Industriearchitektur zu vermitteln. Walter Gropius schuf mit den Fagus-Werken in Alfeld an der Leine eine Fortent­ wicklung der drei Vorbilder. Er schuf eine Fabrik, die jede künstliche oder intellek­ tuelle (z. B. höfische) Repräsentation vermied. Er nutzte wie Hugo Wagner die Konst­ ruktion als formales Element – und repräsentierte damit die Rationalität der Anlage. Gleichzeitig öffnete Gropius die Fassaden und brachte den Arbeiter selbst in Erschei­ nung. Der nach den Vorschriften der wissenschaftlichen Betriebsführung arbeitende Mensch war nun genauso ein bedeutungsgebender Kern wie die Maschine, er war Teil der Maschine.

Walter Gropius mit Adolf Meyer, Schuhleistenfabrik Fagus-Werk, Alfeld an der Leine, Entwurf 1911. Quelle: Wikipedia (Foto: Edmund Lill)

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Grete Schütte-Lihotzky, Die Frankfurter Küche. Quelle: Das neue Frankfurt 5 / 1926 – 1927, Wikipedia

Vor allem Hugo Wagner und Walter Gropius haben vor 1914 Bauten geschaffen, die

Besonders augenfällig wird diese Entwicklung, wenn man sich die Entwicklung der Küchen betrachtet. Die von Margarete Schütte-Lihotzky (1897 – 2000) entwickelte „Frankfurter Küche“ war selbst eine Maschine, in der der Mensch fest definierte Bewe­ gungen auszuführen hatte. Alle individuellen Ausprägungen des Tagesablaufes, jedes Ausbrechen aus der idealen Zeitverwendung, waren in der Frankfurter Küche kaum möglich. Der Taylorismus hatte den Alltag erobert – und es wurde als ein Sieg einer na­ türlichen Wahrheit verstanden. Der gesunde, gute Mensch des 20. Jahrhunderts wurde als Maschinist gesehen, der in ­einem Haus leben sollte, das Maschine war.

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scheinbar unmittelbar die neue industrielle Epoche repräsentieren. Die Verbindung von konstruktiver Rationalität (Eisenbeton-Architektur) und von der Rationalität der Produktionsabläufe brachte eine Architektur hervor, die wie ein unbewusster Aus­ druck der neuen Zeit schien, die als „wahr“ angenommen wurde. Die Idee der Licht-Luft-Hütte war um den Aspekt der Rationalität ergänzt worden. Der Mensch war kein freies Individuum mehr, dass sich in der Hütte und im Sonnen­ licht entfalten konnte, er war zumindest als Fabrikarbeiter eine Quasi-Maschine, der genauso folgerichtig wirkte wie ein Motor oder eine Dampfmaschine.

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Häuser, die in ihrer Struktur den alpenländischen Sanatorien glichen, ausgestattet mit einfach zu reinigenden Möbeln, ausgerichtet nach den modernsten Grundsätzen der Hygiene, konstruiert aus Eisenbeton … und dekoriert allein durch das Miteinander von Glas, Stahl, Beton und hygienischem Weiß – waren die folgerichtige Weiterentwick­ lung der Reform. Auf dem Monte Veritá errichtete der Düsseldorfer Emil Fahrenkamp 1928 ein ideales Beispiel für die neue Reformarchitektur, nun „Neues Bauen“ tituliert: das „Hotel Monte Verità“ (wir haben es schon kennen gelernt). Bauherr waren zwar nicht mehr die Re­ former der ersten Generation, sondern der wohlhabende westdeutsche Kunstsammler Von der Heydt, doch folgte dieser den Vorgaben des Ortes und der Reformbewegung. Selbst die Zimmer entsprachen und entsprechen bis heute mit ihren Linoleumbelägen und den einfachen Stahlrohrmöbeln den Idealen der Reform. In der inzwischen obliga­ torischen Nasszelle gab es fließendes warmes und kaltes Wasser sowie ein WC . Es war ein logischer Weg von der „Casa Selma“ mit Knüppelholzmöbeln zum „Hotel Monte Verità“ mit Stahlrohrmöbeln!

Ernst Becker, Haus des Rudervereins in Bremen-Vegesack, 1927. Mit dem Haus setzt Becker eine schiffsähnliche ­Architektur direkt an die damals viel befahrene Weser. Die Dächer konnten als Dachterrassen genutzt werden. Im Erdgeschoss beherbergte das Haus Boote, im Obergeschoss Vereinsräume. Der Entwurf orientiert sich an der Maschinenästhetik der Zeit ab 1925. Quelle: Sammlung Aschenbeck

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Fallbeispiel: Bremer Kinderheim Elisabeth von Baczko (1868 – ?) gehörte zu den erfolgreichsten Gestaltern Anfang des Jahrhunderts in Bremen.126 Wie ihr Lehrer Paul Schultze-Naumburg schuf sie schlichte, biedermeierliche Möbel, die vorindustriellen Vorbildern folgten. Elisabeth von Bacz­ ko entwarf Objekte für die „Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk“, die 1910 ihren Sitz nach Bremen verlegt hatten 127, für wohlhabende Privatleute und vor allem für öffentliche soziale Einrichtungen.128 Im November 1906 konnte sie die Innenaus­ stattung des Bremen-Neustädter Kinderheims fertigstellen. Das Heim war errichtet worden, um alleinstehende und berufstätige Mütter zu entlasten. Die Frauen konnten ihre Kinder morgens der Obhut des Heimes übergeben und sie im Laufe des Nachmittages abholen. Das wohlhabende Bremer Bürgertum trug die Kosten. Elisabeth von Baczko war mit der gesamten Innenausstattung des Heims betraut worden.129 Bei einer Pressevorführung fand vor allem die Inneneinrichtung das Interesse der Journalisten. Die Vertreter der Zeitungen, unter ihnen Anna Goetze 130, wurden Zim­ mer für Zimmer durch das ehemalige, umgebaute Bauernhaus an der Mainstraße in der Bremer Neustadt geführt. Alle Räume, in denen sich die Kinder aufhalten sollten, befanden sich im Erdgeschoß. Sie waren nach den zeitgenössischen Berichten derart praktisch eingerichtet, „dass das Heim geradezu als Muster einer solchen Anstalt be­ trachtet werden darf“. „Nach Durchschreiten der Haustür gelangen wir zunächst auf einen kleinen Hausflur, dem sich rechts ein mit Fliesen gepflastertes leeres Zimmer anschließt. Es dient, so werden wir von unserer Führerin belehrt, zur Aufnahme der Kinderwagen, in denen morgens die Kinder gebracht werden.“ 131 Eine Folge von Räumen mit stark spezialisierten Funktionen begann. „Rechts vom Flur gelangen wir in einen Raum, in welchem eine große Anzahl von hölzernen Fä­ chern an der Wand unsere Aufmerksamkeit fesselt. Je des Fach hat eine Nummer und ist, so erfahren wir von unserer freundlichen Führerin, zur Aufnahme derjenigen Klei­ dungsstücke bestimmt, in denen das Kind dem Heim zugeführt wird. In diesem Zim­ mer nämlich übergibt die Mutter ihr Kind der Anstalt, hier wird es vollständig ent­ kleidet, um dann in dem nebenan befindlichem Raum, einem ideal eingerichteten Badezimmer gebadet und – aus hygienischen Gründen – mit Anstaltskleidung verse­ hen zu werden. Ausgestattet ist der Baderaum mit vier Badewannen für Kinder, einer großen Badewanne, einem Gestell für Schwämme, mehreren Handtuchhaltern, so­ wie mit einigen außerordentlich zweckmäßig gestalteten Armlehnstühlen und einer Wickelkommode für die allerkleinsten Pfleglinge.“132 Im zweiten Zimmer entdeckte der Betrachter „leere Fächer“. Sie standen für die Kleidungsstücke eines jeden Kindes

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Von Außen wurden die Häuser rationale Schiffe, an denen jedes Detail passte, von Innen waren es Maschinen mit Einbauküchen und optimierten Wegen. Maschinenästhetik wurde nun als wahrhaftiger Ausdruck der modernen Zeit gese­ hen – nun schwand plötzlich der um 1900 noch gesehene Widerspruch zwischen Kul­ tur und Technik. Eine Technik im Sinne von Gesundheit und Körperlichkeit wurde ein Teil der Kultur – und bald ihr Zentrum.

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Elisabeth von Baczko, Innenausstattung eines Kinderheims in der Bremer Neustadt (Mainstraße), 1906. Quelle: Schaefer 1909, S. 206 f.

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bereit. Ein Kind, das die Räume betrat, legte alle Dinge in Fächer ab, um dann gewa­ schen und mit „Anstaltskleidung“ bedacht zu werden. Das Kind musste alle Dinge des Draußen hinter sich lassen, um dann in gleichförmiger Kleidung seine äußere Indivi­ dualität zu verlieren. „Aus dem Badezimmer gelangen wir über einen kleinen Vorplatz in den Klosettraum, bei dessen Anblick die weiblichen Mitglieder unserer Gesellschaft sofort in einen Ruf des Entzückens ausbrachen, so reizend ist dieser so notwendige, aber doch oft etwas im Äußeren vernachlässigte Ort hier hergerichtet.“ 133 Der letzte Raum der Preisgabe war die Toilette. Anschließend begann die Abfolge gestalteter Räume und die Programmatik der Erziehung. Die Journalisten nahmen systematisch jeden Raum in Augenschein. Jedes Teil der Einrichtung wurde ausgiebig betrachtet, kein Möbelstück im Zeitungsbericht ausge­ lassen. „Die grüngetönten Wände, oben durch einen zierlichen Fries von der weißen Decke geschieden, geben im Verein mit dem grünen Linoleum, den weißlackierten Fenstern und Türen diesem Raume einen solchen Anstrich von Behaglichkeit, dass man sich sogleich wohl fühlt, und es auch den Kindern gewiss nicht schwer fallen wird, sich hier einzugewöhnen. Wunderhübsche Kindermöbel verschiedener Größe, keine Fabrikware, sondern alle einen starken persönlichen Geschmack und künstle­ rische Eigenart verratend, vervollständigen die Einrichtung dieses Raumes, zu dem übrigens auch noch ein sehr wichtiges Möbel, ein geräumiger Spielzeugschrank gehört, der freilich vorläufig noch mehr Raum als Inhalt hat. Auch einige Laufhürden sind in dem Saale aufgestellt.

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Elisabeth von Baczko, Innenausstattung eines Kinderheimes in der Bremer Neustadt (Mainstraße), 1906. Quelle: Schaefer 1909, S. 204

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An den Spielsaal, Tagesraum oder wie man ihn nun nennen will, schließen sich zwei Schlafsäle an, einer für die ganz kleinen und der andere für die größeren Kinder. Auch diese Räume sind stimmungsvoll dekoriert und machen mit den weiß lackier­ ten, ganz aus Eisen gefertigten Bettstellen, die in ihrer Einrichtung auch den höchsten hygienischen Anforderungen entsprechen, einen überaus freundlichen Eindruck.“ 134 Die Kinder wurden mit gestalteten Dingen umgeben, die eine tiefere Wahrheit ver­ körpern sollten, während die Kinder selbst diese Tiefe noch erreichen mussten, noch geradezu unfertig waren. Die Kinder, die, so hoffte man, noch kaum von der Zivilisa­ tion verdorben waren (die von dem „harten“ Schicksal der Mutter, die arbeiten musste, noch nicht vollkommen geprägt waren), sollten geläutert werden. Bei Kindern konn­ te man am ehesten darauf verzichten, sie jahrelang auf Bergeshöhen zu schicken. Die Läuterung konnte im hermetisch abgezirkelten Rahmen, innerhalb dessen alle erziehe­ rischen Parameter kontrollierbar waren, erfolgreich durchgeführt werden. Von der Einrichtung des Kinderheims sind zahlreiche Abbildungen erhalten.135 Sie zeigen einfache Räume, die mit wenigen Einzelstücken ausgestattet sind. Auf der Abbildung eines „Schlafraumes“ erkennen wir eine Kommode, einen Hand­ tuchhalter und einen Stuhl – einfache, in biedermeierlichen Formen gehaltene Möbel. An der Wand ist kein Bild und auch kein Fries zu entdecken, nur ein Regalbrett und ein Thermometer. Den Kindern wurden keinerlei Möglichkeiten geboten, sich mit Dingen des Raumes zu beschäftigen. Besonders auffällig erscheinen die Bänke im „Spielraum“. Selbst die auf Kinder­ größe verkleinerten Exemplare wirken massiv. Keine Verzierung unterbricht die ein­ fache Form, die nur durch den weiten Schwung der Lehne abgemildert wird. Die Tische im Spielraum sind eben falls völlig unverziert, die Ecken abgerundet. Das achteckige Laufgitter wirkt ausschließlich durch die Abfolge der runden, spindelförmigen Gitter­ stäbe – wir sehen eine ökonomische Gestaltung, die auf jeden mildernden, kompen­ satorischen Schmuck verzichtet. Jedem einzelnen Teil der Einrichtung kommt ein praktisch definierter Wert zu. Formale Zufälligkeiten und gestalterische Nachlässig­ keiten oder Spielereien, die die Kinder ablenken könnten, sind vermieden. Die Künstlerin verfolgte mit der Einrichtung eine pädagogische Absicht. Die Kin­ der sollten den inneren Wert von kunstgewerblichen Einzelstücken kennenlernen. Sie wurden durch die Abwesenheit der äußeren Formen gezwungen, sich mit den inne­ ren, den geistigen Werten zu beschäftigen. An den hohen, kahlen Wänden des „Spiel­ raums“ hing ein einziges kleines Bild in schlichtem Rahmen: eine Bäuerin in Worps­ weder Art vermutlich. Die Ausstattung des Kinderheimes wurde bekannter als alle anderen Arbeiten von Elisabeth von Baczko, wurde mehrfach überregional publiziert. Das mag darauf hin­ deuten, dass zumindest auch die Redakteure und die Kritiker das Heim als beson­ ders gelungen ansahen, obwohl das Hauptmerkmal zweifellos Kargheit war. Aber die Rezensenten gebrauchten nicht das Wort Kargheit, sondern sprachen vom Gegenteil, vom Aufwand. „Man kann ja vielleicht die Frage aufwerfen: Wozu einen derartigen Aufwand, wo es sich doch nur um Kinder handelt, die noch nichts davon verstehen? Aber wenn man dann hört, dass diese geschmackvolle und eigenartige Ausstattung kaum mehr kostet, als eine herkömmliche, da bei aller Schönheit doch die größte Ein­ 202

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fachheit beobachtet ist, so muss man doch sagen, dass der Vorstand recht gehandelt hat, wenn er bei diesem Bau mehr, als sonst bei dergleichen Anstalten geschieht, dem ästhetischen Gefühl Rechnung getragen hat.“ 136 Denn den Kindern gehörte das neue Jahrhundert, sie sollten rechtzeitig die neue Ästhetik lernen, deren Grundlage die „größte Einfachheit“ sei. Anna Goetze zog vier Tage später die Schlussfolgerung die­ ses Denkens: „Und herrlich werden die Kinder es haben in diesem neuen behag­lichem Heim; ganz prächtig werden sie darin aufgehoben sein, denn es ist mit einer Liebe und Sorgfalt ausgestattet worden, dass es so leicht nicht seines Gleichen findet.“ 137 Die Ausstattung ist zwar karg, doch die Kargheit scheint durch die Liebe und die Sorg­ falt, mit der die Möbel angefertigt wurden, mehr als ausgeglichen. Denn offenbar er­ möglichen beide Qualitäten, dass die Begriffe „herrlich“, „prächtig“ und „behaglich“ fallen. Die Frau und Mutter, durch deren Liebe die Gestaltung so gelungen ist, stand in unmittelbarer Verbindung zum unverdorbenen Ursprung. Gerade die Mutterliebe stellte die Verbindung zu einem Idealzustand her. Die Frau als Gestalterin konnte die Repräsentation des Unbewussten, des Natürlichen besser leisten als der intellektuell geprägte (und womöglich verdorbene) Mann. „Da ist alles bis ins feinste Detail mit einem sicheren auserlesenen Geschmack und mit liebevollster künstlerischer Hingebung gestaltet worden. […] Wie geschmackvoll sind die schönen Töne der Wandfärbung mit dem warmen goldigen Holzton der Möbel und dem diskreten Grau der Türen und Paneele zusammengestimmt. […] Da ist z. B. der Grundton des großen Spielzimmers in einem satten freudigen Grün gehalten (grün ist die Farbe des jungen hoffnungsvollen Frühlings), während die Schlafräume in ruhigem und beruhigenden Blau gestimmt sind. Diese Dinge sind un­ scheinbar, nicht in die Augen fallend, aber sie sind von ganz entschiedener Wichtigkeit. Ebensowenig in die Augen fallend sind dann auch die Formen der Möbel und der sons­ tigen Gebrauchsgegenstände. Und doch wird das geübte Auge auch hier wie überall die von inniger Liebe zur Sache und vom tiefsten künstlerischen Ernst beseelte Künstler­ hand entdecken, die jeden kleinen Gegenstand, selbst dem unscheinbaren Wandbrett durch edle Linien und reine Formen einen anmutigen Charakter zu geben vermochte. Hier finden wir eine schöne künstlerische Aufgabe von Frauenhänden gelöst, die wohl darum so absolut gelingen konnte, weil das warm fühlende Frauenherz mit an der Sa­ che beteiligt war. […] Auch in der ganzen Anlage hat man den überzeugenden Eindruck, dass alles von Innen heraus, mit liebevollem Herzen geschaffen und ins Leben gerufen worden ist. So wird denn sicherlich dies gemütliche trauliche Kinderheim, das gewiss auch einem inneren sozialen Bedürfnis entgegenkommt, nicht verfehlen, eine segens­ reiche Wirkung auszuüben.“ 138 An den Möbeln entdeckte Anna Goetze vor allem Details, „feinste Details“, die na­ türlich mit „liebevollster Hingebung“ gestaltet wurden. Alles erscheint zwar unauf­ fällig, doch die Informationsarmut, die „diskreten“ Farben, ermöglichen erst die tiefe ­Rezeption der Stücke, die selbstredend von „ganz entschiedener Wichtigkeit“ sind. Der Dualismus von Unscheinbarkeit und Wichtigkeit, der die ganze Reformästhetik be­ herrscht, findet sich in idealer Form umgesetzt. Die Voraussetzung für die Bedeutungskonstitution war die Tätigkeit der „beseelten Künstlerhand“, des „warm fühlenden Frauenherzens“. Die Möbel wurden geradezu aus

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Elisabeth von Baczko, Entwurfszeichnung Stuhl für die Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk. Quelle: Archiv Vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk, München, undatiert.

dem Unterbewusstsein gestaltet, die Gestaltung folgte scheinbar keinem Kalkül. Alles war somit von „Innen heraus“ geschaffen und besaß folglich einen „anmutigen Cha­ rakter“. Die Tatsache, dass das Heim „auch“ einem „inneren sozialen Bedürfnis“ diente, kam erst zum Schluss des Artikels zum Ausdruck, wird in einem Nebensatz erwähnt. Offenbar erkannte Anna Goetze in der Wirkung der Einrichtungsstücke auf das Kind einen größeren Segen, als in der einfachen Tatsache, dass berufstätige Mütter Entlas­ tung bekamen. Das Kinderheim war zweifellos als pädagogischer Ort konzipiert: Die Innenarchi­ tektur folgte einer erzieherischen Absicht, sie sollte unbewusst auf die Psyche wirken. Das Spielzimmer sei „freudig“, das Schlafzimmer „beruhigend“ gestaltet. Eine unver­ fälschte, naturgesetzliche Sozialisation des Kindes sei garantiert. Das Bremer Kinderheim, dessen äußere Architektur nicht überliefert ist, erscheint uns wie eine Maschine der Kinderziehung, der Gesellschaftsänderung. Es war ähnlich optimiert wie eine Schütte-Lihotzky-Küche – und sollte die Kinder dazu bringen, dass sie die Einfachheit der Ausstattung sowie die Schlichtheit, die Rationalität der Möbel als Schönheit empfinden. Eine Geburtszange muss glatt sein – und eine Zuckerzan­ ge eben auch. Erst die einfachen Dinge offenbaren in direkter Repräsentation Wahr­ heit, erst der Umgang mit den einfachen, bedeutungstragenden Dingen führe, so die ­Vorstellung, – zum veredelten Menschen, der in seiner Schönheit sich selbst repräsen­ tiert. 204

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Elisabeth von Baczko, Zimmer im Rote-Kreuz-Krankenhaus in Bremen, ca. 1910. Quelle: Mundt 1912, Abbildungsteil, S. 340

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1910 wurde, ebenfalls in der Bremer Neustadt, das Vereinskrankenhaus des Roten Kreuzes eingeweiht. „Sämtliche Krankenräume, die 120 Betten aufweisen, sind jetzt gegen Süden gerichtet und empfangen Luft, Licht und Ruhe vom Wasser her. An dessen Böschung gewährt eine ausgedehnte Gartenanlage in der günstigen Jahreszeit genü­ gend Platz zur Erholung. […] Von der Vorderseite her fallen zunächst die weiten Liege­ hallen ins Auge, die sich in zwei Geschossen vor der ganzen Breite des Hauses herzie­ hen. Sie sind so weit aus der Mauer vorgestreckt, dass man die Kranken in ihren Betten hineinfahren kann. Hier haben sie Licht und Luft in Fülle.“ 139 Elisabeth von Baczko und Heinrich Vogeler entwarfen Teile der Inneneinrichtung des nach den Grundsätzen der Reform mit Liegehallen gebauten Krankenhauses. Die Gestaltung sollte ebenfalls psychologische Wirkung haben, wie Redakteur Gustav Pe­ ter im Bremer Tageblatt schrieb: „Die moderne Medizin weiß auch die von der Kunst ausgehende Wirkung auf das Gemüt sehr wohl zu schätzen. Verwirrende Schnörkel und sinnstörende Überladung sind beinahe ängstlich vermieden, dafür ist mit Erfolg bis ins Kleinste hinein eine klare, ruhige, gewissermaßen saubere Linienharmonie er­ reicht.“ 140 Dasselbe Argumentationsmuster wie beim Bremer Kinderheim: Die Schnör­ kel der Gründerzeit verwirren, so Peter, bringen den Betrachter vom rechten Weg ab. Ruhe und Klarheit dagegen bedeuten Gesundheit, schaffen eine Leere und Stille, die Platz für gute wahrhaftige Gedanken lässt. Eine Linienharmonie steht für eine gute Zeit-Raum-Ausnutzung … Zeittypische Reformer-Argumentation. Eine der wichtigen Etappen der deutschen Reformbewegung war die Hygieneaus­ stellung in Dresden 1911, auf der das zurückliegende Jahrhundert als ein unhygie­ nisches disqualifiziert wurde. Elisabeth von Baczko fuhr nach Dresden und schrieb für das Bremer Tageblatt einen Bericht: „Nun ja, ästhetische Genüsse bietet die Aus­ stellung eigentlich nicht“, schrieb sie. „Wenigstens nicht für den, der nicht imstande ist, sich in Betrachtung der wunderbaren Feinheit und Exaktheit, der außerordent­ lich fach­lichen Zweckmäßigkeit medizinischer Instrumente, klinischer Einrichtun­ gen, in der großartigen, hygienisch sich immer mehr vervollkommnenden Anordnung von ­K rankenhäusern, Sanatorien und sonstigen Heilanstalten eine ästhetische An­ regung zu verschaffen. Nach meiner Ansicht bietet die Übersicht über die eminente Entwicklung der ärztlichen Kunst […] geradezu hohe ästhetische Anregung und gro­ ßen Genuss.“ 141 Ein traditionelles ästhetisches Empfinden ließ sich in Dresden offen­ bar nicht befriedigen. Dagegen wurden die Reformer, die Gesundheit als Grundlage von Schönheit an­erkannten, durchaus vom Gezeigten auch ästhetisch angesprochen. Die Instrumente, die Mittel also, mit denen Gesundheit zu erreichen war, konnten nicht hässlich sein. Sie repräsentierten in ihrer Logik und ihrer Rationalität eine natur­ gesetzliche Schönheit. Die hygienischen Instrumente, die in Sanatorien Anwendung fanden, dienten einem Ziel: Die harmonische neue Gesellschaft sollte mit ihnen ge­ fertigt werden.142 „Kurz und gut, man gewinnt den Eindruck, dass wir im Begriff sind, einen tüchtigen Schritt vorwärts zu tun in der Kultivierung und Heranbildung einer körperlich-gesun­ den und somit auch einer schönen, edlen deutschen Rasse. Ist dies Bewusstsein nicht ein ästhetisch befriedigendes?“ 143 206

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Reform-Möbelentwürfe von Elisabeth von Baczko, vor 1914 . Quelle: Mundt 1912, S. 337 f.

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Zusammenfassung II Es mag überraschen, dass um 1900 freie Künstler – die Architekten – immer stärker für das Entwerfen und den Bau der Häuser verantwortlich wurden. Sie lösten die Bau­ meister ab, die einer Tradition folgend oder – wie meist im ausgehenden 19. Jahrhun­ dert – den Katalogen folgend Gebäude schufen. Nach der Vorstellung der Reformer wären eigentlich die den Traditionen folgenden Baumeister die idealen Ausführer einer unbewussten Idee gewesen. Doch, so die Auf­ fassung der Reformer, hatten die Baumeister diese Fähigkeit im 19. Jahrhundert ver­ loren, waren geblendet und fehlgesteuert durch den Historismus. Dem Architekten des 20. Jahrhunderts kam die Aufgabe zu, die naturgesetzliche Wahrheit zum Ausdruck zu bringen. Ein kluger Architekt nahm seine Individualität, seine Kreativität zurück – um wie ein Ausdruckstänzer unbewusst einem inneren, ei­ nem dem Auge noch verborgenen Wert zum Abbild zu verhelfen. Da, wo der Baumeis­ ter die Traditionen verlernt hatte, musste der Architekt sich künstlich in die Situation einer unbewussten Repräsentation hineinfühlen. Zweifellos ein Paradoxon – das am Beginn einer neuen Architektur stand, am Beginn der Moderne. Grundsätze einer „richtigen“, Bedeutung tragenden Reformarchitektur waren: 1. A  rchitektur muss Gesundheit erzeugen und gleichzeitig Gesundheit reprä­ sentieren. Die Architektur sollte hygienisch sein und hygienisch erscheinen. Formen sollten entsprechend einfach sein, durften keine Schlupfwinkel für Krankheitserreger bieten. Oberflächen hatten abwaschbar zu sein. 2 . Ausrichtung der Menschen zum Licht, Ermöglichung des Sonnengebetes und der Licht-Luft-Kur. 3. Evozierung einer Naturgesetzlichkeit der Architektur durch konstruktive Ehrlichkeit. 4 . Der gesunde Mensch wird zum bedeutungsvollen Kern des vorstädtischen Bauwerks erklärt. Das ideale Landhaus, eine Weiterentwicklung der Thoreau­­ Hütte, wird die folgerichtige Hülle des Kerns. 5. Technik  / R ationalität wird zum Kern von Industriebauten erklärt. In der Folge­zeit verschmelzen Mensch und Maschine. Eine allgemeine Naturge­ setzlichkeit und Logik wird als Kern in den Dingen bleiben. Ein Industriebau wird eine Maschine. Das ideale Reformbauwerk schafft den gesunden Menschen und die bessere Gesell­ schaft. Es repräsentiert in seiner Schönheit die naturgesetzliche Logik (Raum- und Zeit-Rationalität), den gesunden Menschen und die gesunde Gesellschaft. Wohnhäuser waren Hütten. Wohnhäuser, Industriebauten, Heime, Krankenhäuser und andere Haustypen mehr wirkten wie Maschinen, die Gesundheit rational erzeugten – mit Einbauküchen, mit tayloristischer Organisation und, wie am Beispiel gesehen, mit sozialen Einrichtungen, in denen alle ablenkenden Dinge fehlten. 208

Anmerkungen

1  Hans Poelzig: „Die architektonische Entwicklung des Fa- Breslau / Archivum Budowlane Miasta Wroclawia“, in: Bebrikbaus“, in: Fabrikbau, Beihefte zum Zentralblatt für Ge- richte und Forschungen, Jahrbuch des Bundesinstituts für werbehygiene und Unfallverhütung, Nr. 18 , Berlin 1930, ostdeutsche Kultur und Geschichte, Bd. 2, 1994 , München S. 31 – 4 0  2  Vgl. Aschenbeck 1990, S. 40. Bei der Stadt 1994 , S. 59 – 85 23 Abbildungen in Posener 1994 , S. 60 f. Delmenhorst waren 52 Entwürfe eingegangen.  3 Heinz 24  „Er verschmäht alles Ornament. Er geht auf Urformen Stoffregen: „Bebauungsplan für das Gelände des Herrn K. zurück und will nur mit gestaltetem Raum wirken. Darin Twisterling, Delmenhorst“, in: Delmenhorster Kreisblatt, steht er in scharfem Gegensatz zu allen, die Architektur 10. 4. 1910, dokumentiert in Aschenbeck 1990, S. 86  4 Der gelernt haben.“ Alfred Lichtwark, Briefe an die Kommis­ Stoffregen-Plan ist dokumentiert in Garbas u. a.: Zeit- sion für die Verwaltung der Kunsthalle, Oldenburg, den schnitte – ein Festbuch zum 625jährigen Stadtjubiläum 10. Juni 1905, zit. in Asche 1992, S. 270 25 Den Vergleich von Delmenhorst, Delmenhorst 1996, S. 131. Eine Ansicht mit einem niedersächsischen Bauernhaus, dem „Niederdes Hauses, dass Stoffregen 1911 in der projektierten Gar- deutschen Hallenhaus“, zieht bereits Asche 1992 , S. 55 tenstadt 1911 für den Organisten Rehfeld errichtete, wur- 26  Seit etwa 1904 warb die Delmenhorster Linoleum-Fade 1914 in der Zeitschrift Profanbau publiziert. Siehe: brik “Ankermarke“ mit dem Begriff „Künstlermuster“. Tat­A[nna] Goetze: „Wohnhaus-Arbeiten von H. Stoffregen, Ar- sächlich hatten bekannte deutsche und österreichische chitekt B.D.A., Bremen“, in: Der Profanbau, Jg. 1914, Heft  1, Künstler für die „Anker“ Linoleummuster entworfen, unter S. 1 – 24 , Haus Rehfeld S. 23. 5 Schultze-Naumburg, Kultu- ihnen auch Peter Behrens. Vgl. vor allem Aschenbeck rarbeiten, Band I, Hausbau, o. J., o. S. (Vorwort) 6 Schult- 1990, S. 30 27 Ausstellungszeitung der Dritten Deutschen ze-Naumburg, Kulturarbeiten, Band I, Vorwort  7  Schult- Kunstgewerbe-Ausstellung, Dresden 1906, S. 357; Siehe ze-Naumburg, Kulturarbeiten, Band I, S. 15  8  Begriff wird dazu auch die Angaben von Jutta Petzold-Herrmann: „Die benutzt in Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten, Band I, dritte Deutsche Kunstgewerbeausstellung Dresden 1906 – S. 21  9  Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten, Band II : Gär- mit Beteiligung der Dresdner Werkstätten für Handwerksten, S. 65 f. 10 Hermann Muthesius: Das Englische Haus, kunst“, Dresden 2012, pdf, online verfügbar: http://www. Entwicklung, Bedingungen, Anlage, Aufbau, Einrichtung hellerau-buergerverein.de/attachments/article/75/3­D KA und Innenraum, 2 1908 , Einleitung, S. 9 11 Muthesius Dresden-1906-JuPeHe.pdf (Abruf am 3. 8 . 2015) 28 Siehe 1908. S. 163 12 Muthesius 1908, S. 10 13 Vgl. zur Biogra- Aschenbeck 1991, S. 28 29 Vgl. Abbildung in Alleinsteiner phie und zum Werk der Gerson-Brüder Wolfgang Voigt: Heimatbrief Nr. 249, 2010, S. 18 30 Ernst Vogelsang: „Die Hans und Oskar Gerson, Hanseatische Moderne, Hamburg Gewerbeausstellung in Alleinstein 1910 – nur ein lokales 2000 14 Abgebildet in Aschenbeck 1990, S. 18 , 19 unten Ereignis?“, in: Allensteiner Heimatbrief Nr. 249, 2010, links; Abbildung auch in Der Profanbau, 1914 , H. 1, Tafel S. 11 – 19, hier S. 13 f. 31 Störtkuhl 2000, S. 371 32 Vgl. die 17 15 Abbildungen in: 100 Jahre Deutscher Werkbund. Abbildung bei Störtkuhl 2000, S. 372 33 Vgl. zum Wer1907. 2007, Katalog, München 2007. S. 81 – 8 3 . Riemer- dandi-Bund vor allem Rolf Parr, „Der ‚Werdandi-Bund‘“, in: schmid lässt die Konstruktion der Möbel offenkundig. Die Uwe Puschner (Hg.): Handbuch zur ‚Völkischen Bewegung‘ einzelnen Bretter bleiben mit ihren Verzapfungen kennt- 1871 – 1918 , München/London / Paris 1996 , S. 316 – 327 lich. 16 Bei den geometrischen Entwürfen ist die Nähe 34  Friedrich Seeßelberg (Hg.): Das flache Dach im Heizum geometrischen Wiener Jugendstil auffällig. Doch die matbilde als kulturelles und wirtschaftliches Problem geWiener Architekten und Künstler hatten um 1900 den For- faßt und im Auftrage der Hauptstelle für Bau- und Kunstmen noch eine andere Idee hinterlegt. War es in Wien beratung des Werdandibundes e. V., Berlin o. J. (1914) noch die dekorative Kraft der Reihung, der Versuch, reine 35  Leopold Biermann (Vorsitzender des Deutschen Schönheit ohne Verweis auf Wahrheit zu schaffen, gestal- Werkbundes, Ortsgruppe Bremen) am 19. 3 . 1919, Biertete Peter Behrens Objekte, bei denen der Verweis zur mann-Nachlass, Staats- und Universitätsbibliothek BreWahrheit funktionieren sollte. Wir sehen hier abermals men, II , Deutscher Werkbund 36 Zur Geschichte Vgl. Nils die irritierende Möglichkeit der Formen: Ähnliche Gestal- Aschenbeck: Die „Jute“ in Delmenhorst – erste Fabrik zwitungen können mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen schen Weser und Ems, Delmenhorster Schriften 18 , Delaufgeladen sein. 17 Vgl. die Ausführungen bei Campbell menhorst 1999 37 Vgl. zur Bedeutung Delmenhorsts als 1978 / 1989, S. 73 ff. 18 Vgl. Ein Dokument Deutscher Kunst, Reformstadt vor allem Jefferies, „The Werkbund in DelKatalog, Die Buchkunst der Darmstädter Künstlerkolonie menhorst: A Forgotten Episode in German Design History“, (Band 5), Darmstadt 1976, S. 60 19 Jahresbericht Kunst- 1994 38 Zu Gustav Gericke und zur Geschichte der „Angewerbeschule Düsseldorf, Düsseldorf, 1903 – 1909 20 In kermarke“ Vgl. vor allem Aschenbeck 1990 und Asche dem Katalog „Panorama der Internationalen Kunst- und 1992 39 Später betonten auch die anderen beiden FaGartenbau-Ausstellung“, Düsseldorf 1904 , ist der Beh- briken, dass sie anerkannte Künstler beauftragt hatten, um rens-Bau nicht aufgeführt. 21 Vgl. vor allem Beate Stört- Linoleummuster zu entwerfen. 40 Siehe Katalog der kuhl: „Reform und Innovation, Hans Polezigs Ausstel­ Lino­leumwerke Ankermarke von ca. 1913 (Stadtarchiv Dellungsbauten in Breslau (1904) und Posen (1911)“, in menhorst) 41 Bekannt wurden die Linoleumwerke nicht Ilkosz / Störtkuhl 2000, S. 353 – 3 88 , hier vor allem S. 359. nur durch die Künstlerentwürfe. Viel beachtet wurden in 22  Ansichten, Grundrisse und das Zitat in: Beate Stört- Deutschland auch die Behrens-Pavillons, die in Oldenburg kuhl, „Die Pläne zur Breslauer ‚Ausstellung für Handwerk und Dresden entstanden – wir haben den Oldenburger und Kunstgewerbe‘ von 1904 im Bauarchiv der Stadt betrachtet. Zudem besprach man zumindest in Fachkrei-

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sen die ornamentlose, kubische Fabrikarchitektur, die der Bremer Architekt Heinz Stoffregen 1910 auf dem AnkerGelände errichten konnte. Walter Gropius stellte noch 1913 im Werkbundjahrbuch die Stoffregen-Bauten heraus. Auch gab es eine Besprechung in der Zeitschrift „Der Industriebau“ (1912), zwei Jahre später folgte eine Vorstellung im „Profanbau“. 1927 wurden sie in Gustav Adolf Platz’s Baukunst der neuesten Zeit vorgestellt. Noch 1964 besprach Rainer Banham die schlichte Architektur der sogenannten Trocken- und Oxydierhäuser. Vgl. Banham 1964 , S. 63. Ausführliche Baugeschichte bei Aschenbeck 1990 42 Heinz Stoffregen errichtete 1905 das „Haus Coburg“ an der Fischstraße. Das Anwesen mit Nebengebäuden, das wie ein Landsitz wirkt, stand in unmittelbarer Nachbarschaft der Delmenhorster Großindustrie. Zur Bauund Bauherrengeschichte des Hauses Coburg Vgl. vor allem Alms 1995 43 Heinz Stoffregen, in: Der Industriebau, (3)1912 , H. 4 , 15. 4 . 1912 , S. 74 ff. 44 Etwa zeitgleich mit der Delmenhorster Bauverein-Zeile errichtete Hugo Wagner in Bremen eine Arbeitersiedlung an der Hüttenstraße [!] (benannt nach der Norddeutschen Hütte, einem Stahlwerk in Bremen). Wagners Siedlung, in der erheblich deutlicher noch als in der Stoffregen-Zeile das Hüttenmotiv ablesbar ist, wurde im Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1912 mit einer Abbildung vorgestellt. Zur Literatur (Zeitungsartikel) Vgl. auch Maraun 1995, S. 102 f. 45 Stadt­ archiv Delmenhorst, Akte Schulacht Deichhorst, Vgl. auch Nils Aschenbeck: „Turnhallen für die Arbeiterjugend. Die Reformer glaubten an eine moderne Körperkultur im ‚Jahrhundert des Kindes‘“, in: Delmenhorster Kreisblatt, 22 . 4 . 1993 46 Vgl. vor allem Aschenbeck 1990, S. 38 ff. 47  Im Delmenhorster Kreisblatt vom 16. 1. 1909 wird Koch mit der Bemerkung zitiert, dass Stoffregens Wasser­turmEntwurf keinen ausgesprochenen Stil habe. 48 Um 1910 wurde wiederholt versucht, eine bodenständige, natur­ gesetzlich erscheinende Landhaus-Kultur mit den Phänomenen der Industrie zu versöhnen, Harmonie zu erreichen. Das Sockelgeschoß aus Natursteinen, aus dem sich ein scharf geschnittenes Industriebauwerk erhebt, ist ein wiederholt gebautes Grundmuster der Reformarchitektur. Entsprechend baute Peter Behrens sein Krematorium in Hagen 1908; Vgl. Moeller 1991, S. 452 ff. 49 „Uralte Weisheit ist wieder lebendig.“ Bruno Taut: Die Auflösung der Städte, oder Die Erde, eine gute Wohnung, oder auch Der Weg zur Alpinen Architektur, oder Weg zum Wahnsinn, Hagen 1920, S. 11 50 Die Moorlandschaft rund um den Weyerberg galt als besonders urtümlich. Hier hatte es die Natur der Zivilisation sehr schwer gemacht, vorzudringen. Diese „Rückständigkeit“ der Landschaft wurde als Erhabenheit gedeutet. Johann Georg Kohl beschrieb bereits 1864 „Das Teufelsmoor bei Bremen“ in seinen Nordwestdeutschen Skizzen (Bd. 1, S. 230 – 267 ) als erhabene Landschaft. 51 Zur Baugeschichte des Barkenhoffs Vgl. vor allem Beate Arnold 2002 52 Abbildungen in Szeemann (1978), S. 146 f. 53 Für den Kaffeefabrikanten Ludwig Roselius errichtete Hoetger 1931 einen tempelartigen Bau: das Haus Atlantis in der Bremer Böttcherstraße. Tatsächlich sind sogar Ausdruckstänze im sakralen Hauptsaal des

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Gebäudes, dem Himmelssaal, überliefert. Vgl. Zur Hoetger-Architektur in der Böttcherstraße vor allem Saal 1989 und Aschenbeck 1994 54 Alle Angaben zum Brunnenhof bei Saal 1989, S. 70 ff. 55 Ein anderer Reformer, der Gartenarchitekt Leberecht Migge, baute in Worpswede den „Sonnenhof“. 56 Natürlich gab es Varianten der reformerischen Sakralkunst. In Dresden an der Regerstraße mündet die große Terrasse einer Reformvilla in einem kleinen Brunnen. Eine Bronzeskulptur, die auf einem Sockel im Brunnen steht, zeigt eine nackte junge Frau und einen Hirschen. Abgebildet in: Gössel, Leuthäuser 1991, S. 182. Gerhart Hauptmann ließ noch 1942 vor seinem Haus im schlesischen Agnetendorf eine Frauenskulptur von Josef Thorak aufstellen („Hannele“; Obwohl das Motiv der literarischen Vorlage eher eine religiöse Verklärung ist, erinnert die Skulptur doch an die Sonnenanbeterinnen-Figuren).  57 Zu Fidus Vgl. vor allem Frecot, Geist und Kerbs, Fidus, Zur ästhetischen Praxis bürgerlicher Fluchtbewegungen, München 1972 58 Die Postkarte ist abgebildet bei Szeemann (1978), S. 63 59 Mitteilung der Porzellanfabriken Hutschenreuther, Selb, vom 16 . 1. 1996 . Das „Sonnenkind“ war von Karl Tutter entworfen worden.  ­ 60  Muthesius 1917, S. 31 61 Muthesius 1917, S. 48 62 In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg und auch während des Krieges vor allem im Rahmen des Wiederaufbaus zerstörter Ortschaften in Ostpreußen war das „Arbeiterhaus“ ein beliebtes Thema der Reformarchitekten. Allerdings wurden die als Arbeiterhäuser titulierten Häuser oftmals von wohlhabenderen Vertretern der Mittelschicht (Verwaltungsangestellte u. a.) bezogen. Arbeiterhausentwurf von Heinz Stoffregen in Aschenbeck 1990, S. 20. Auch Heinrich Vogeler zeichnete Arbeithausentwürfe, Abb. in Arnold 2002 , Katalogteil. 63 Zu Goethes Gartenhaus Vgl. Biedrzynski 1992, S. 97 ff. Goethe ließ einen Altan an das Haus anbauen (und wieder abreißen). Auch entwarf er ein Bodenmosaik vor dem Eingang. 64 Haenel / Tscharmann 1913 , S.  9 65 Haenel / Tscharmann 1913 , S.  9 f. 66  Haenel / Tscharmann 1913 , S. 10 f. 67 Haenel / Tscharmann 1913 , S. 11 68 Haenel / Tscharmann 1913 , S. 32 f. 69  „Ländliches Wohnen aber, gepaart mit den Bequemlichkeiten und Einrichtungen der Stadt, dazu direkt in der Stadt und mit geringen Mitteln erreicht, ist wohl das Erstrebenswerteste unserer Wohnungsreform.“ Heinz Stoffregen (1879 – 1929), Architekt in Bremen, 1910, zit. in: Aschenbeck 1990, S. 86 70 Haenel / Tscharmann 1913 , S. 52 f. 71 Haenel / Tscharmann 1913 , S. 140 72 Joseph August Lux: Das moderne Landhaus – ein Beitrag zur neuen Baukunst, Wien o. J. (1903) 73 Lux (1903), S. 5 74 Lux (1903), S. 7 75 Lux (1903), S. 5 76 Lux (1903), S. 8 77 Lux (1903), S. 9 f. 78 So bei einer Villa des Architekten Wunibald Deininger (1879 – 1963), die Lux als Entwurf präsentiert. Zwei große Terrassen, eine mit Pergola, öffnen das Gebäude zum Garten. Lux (1903), S. 70 – 7 3 79 Timm, S. 29 80 Vgl. Scharfenberg, Reiseführer Memelland und Kurische Nehrung, 1990, darin wird aus dem Handbuch „Die Kurische Nehrung, Europas Sandwüste“, Königsberg 1932, zitiert. Siehe vor allem S. 108 f. 81 Tomas Steinfeld, „Sand, Sand und Himmel, Thomas Mann kehrt auf die

sack (Hg.): Tschechischer Kubismus. Architektur und Design 1910 – 1925, Weil am Rhein 1991 104 Der Kunstsalon Leuwer war ein Treffpunkt der jungen Reformer der Stadt. Zur Geschichte Vgl. Nils Aschenbeck: 100 Jahre Buch- und Kunsthandlung Franz Leuwer, Bremen 2003 105 Anna Goetze: „Architekt und Künstler“, in: Bremer Tageblatt, 12 . 1. 1906 106 Anna Goetze: „Architekt und Künstler“, a. a. O. 107 Peter Behrens: „Was ist monumentale Kunst. Aus einem Vortrage“, in: Kunstgewerbeblatt, Neue Folge, 2009, S.  46 108 Ebd. 109 Ebd. 110 Vgl. zu Behrens Angst vor dem Bedeutungsverlust den Aufsatz „Monument und Bedeutung“ von Nils Aschenbeck, in archithese Zürich, H. 4 , 1990, S. 14 – 2 1 111 Peter Behrens: „Einfluß von Zeit- und Raumausnutzung auf moderne Formentwicklung, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes“, Der Verkehr, Jena 1914 , S. 7 – 10, hier S. 8 112 Peter Behrens: „Einfluß von Zeit- und Raumausnutzung auf moderne Formentwicklung“, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes, Der Verkehr, Jena 1914 , S. 7 – 10, S. 7 113 Peter Behrens: „Einfluß von Zeit- und Raumausnutzung auf moderne Formentwicklung“, a. a. O., S. 8 f. 114 Walter Gropius: „Der stilbildende Wert industrieller Bauformen“, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes, Der Verkehr, Jena 1914 , S. 29 – 32, hier S. 29 115 Walter Gropius, ebd., S. 29 – 32, hier S. 29 ff. 116  Walter Gropius: „Die Entwicklung moderner Industriebaukunst“, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes, Die Kunst in Industrie und Handel, Jena 1913 , S. 17 – 2 2 117  Walter Gropius: „Die Entwicklung moderner Industriebaukunst, a. a. O., hier S. 21 118 Vgl. Nils Aschenbeck: „‚Das quecksilbrige Element‘ – Ludwig Roselius – Kindheit, Jugend, erste Erfolge“, in: Tallasch, 2002, S. 28 – 41, siehe vor allem Abb. S. 28 . 119 Zu Hugo Wagners Biographie und Werk Vgl. Holger Maraun: Hugo Wagner (1873 – 1944), ein Architekt der Reformbewegung, Lilienthal bei Bremen 1995, sowie Nils Aschenbeck: „Hugo Wagner – Heimatschutz und Moderne“, in: Arnold 2002, S. 111 – 124 120 Frederic Winslow Taylor: The Principles of Scientific Mana­ gement, London 1911 121 Vgl. Nils Aschenbeck: „Das Architekturkonzept der Böttcherstraße“, in: Tallasch 2002, S. 55 – 63, hier S. 58 122 Julius Vischer und Ludwig Hilberseimer: Beton als Gestalter, Stuttgart 1928 123 Hermann Muthesius schuf noch 1914 mit der Seidenweberei Michaelis & Cie. bei Potsdam einen Industriebau, der in seiner Symmetrie der höfischen Schlossarchitektur ähnelt und damit eine zumindest missverständliche Interpretation der Repräsentation ermöglicht.  124 Der Blick in die heute leerstehenden Hallen der Fabrik offenbaren die Modernität: Sie gleichen in ihrer Konstruktion und ihrer Struktur den an sie angefügten Industriehallen aus den 1970 er Jahren. Die „Kaffee-HAG “-Fabrik ist ein Vorläufer tausender und abertausender anschließend errichteter Gebäude. 125 Walter Gropius: „Die Entwicklung moderner Industriebaukunst“, a. a. O., hier S. 21 126 Zu Elisabeth von Baczko vgl. Nils Aschenbeck: „Das Wachstum des neuen Jahrhunderts aus den Zimmern der Reform“, in: ansichten, Mitteilungsblatt des Deutschen Werkbundes Nord, Hannover, H. 1, 2002, S. 13 – 19 127 In Bremen war mit dem Norddeutschen Lloyd der größte Auftraggeber ansässig.

Anmerkungen

­ urische Nehrung zurück“, in: Frankfurter Allgemeine ZeiK tung, 20. 6. 1996 82 Vgl. zu Manns Sommerhaus den kleinen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27. 4 . 1996: “Nur wir haben einen Strandkorb: Ferien mit Thomas Mann“ (stei). 83 Vgl. zur Gartenstadt Ratshof vor allem Freimann 1984 84 J. Altenrath, „Die Gartenstadt Ratshof“, in: Zeitschrift für Wohnungswesen, (8)1910, H. 16, S. 217 85 Erich Leyser: „Die Gartenstadt Ratshof“, in: Die Bauwelt, (2)1911, H. 30, S. 17 – 19 86 Leyser, a. a. O., S. 17 – 19 87 J. Altenrath, a. a. O., S.  221 f. 88 Leyser, a. a. O., S. 17 – 19 89 „Im März ist auf Veranlassung des Architekten- und Ingenieursverein von Herrn Hans Kampffmeyer aus Karlsruhe über dieses Thema ein interessanter V ­ ortrag gehalten worden.“ Heinz Stoffregen: „Zur Gartenstadt-Bewegung in Bremen“, in: Mitteilungen des Ge­ werbeMuseums zu Bremen, Jg.  XXI , No.  11 und 12, dokumentiert in Aschenbeck 1990, S. 85 f. 90 Der Profanbau, Jg. 1914 , H. 1, S. 13 91 Heinz Stoffregen: „Zur Gartenstadt-Bewegung in Bremen“, in: Mitteilungen des Gewerbe-Museums zu Bremen, Jg. XXI , No. 11 und 12 , dokumentiert in Aschenbeck 1990, S. 85 f. 92 Vgl. dazu vor allem die Ausführungen bei Peter Benje, Heinrich und Franz Vogeler und die Worpsweder Werkstätte. Möbelproduktion, Arbeiterdorf, Arbeiterstreik: Mit einem Nachdruck des Katalogs Worpsweder Möbel nach Entwürfen von Heinrich Vogeler von 1914 , Bremen und Worpswede 2011. Eine Abbildung des Vogeler-Entwurfs auch in Arnold 2002 , S. 51 93 Einen Überblick gibt Ann Thorson Walton: Ferdinand Boberg – architect: the complete work, Cambridge, Massachusetts 1994 94 Eva Eriksson: „Interna­ tionale Impulse und nationale Tradition, 1900 – 15“, in: Architektur im 20. Jahrhundert: Schweden, München und New York 1988 , S. 18 – 4 4 , hier S. 22 95 Abbildung in Jeremy Howard und Karin Hallas-Murula (Hg.): Architecture 1900 – Stockholm, Helsinki, Tallin, Riga, St. Petersburg, Tallin 2003, o. S. 96 Eva Eriksson, a. a. O. S. 39 97 Eva Eriksson, a. a. O., S.  44 98 Abbildungen in: Claes Caldenby und Olof Hultin: Asplund, New York 1985, Abbildungen der Landhäuser beispielsweise auf S. 52 f. (Villa Callin) und S. 54 f. (Villa Snellmann). 99 „Dass Edwin L. Lutyens Buch ‚Houses and Gardens‘ zu Magnus Poulsson und Frederik Konow Lunds Lieblingsbüchern zählte, ist uns überliefert.“ Ulf Grönvold: „Heimatarchitektur in Östland und in Bergen – Über Wurzeln der Architektur von Magnus Poulsson unf Frederik Konow Lund“, in: Martin Ebert (Hg.): Norwegen 1900 – 1930, Zur nordischen Reformarchitektur, Weimar und Rostock 2002, S. 7 – 2 3, hier S. 14 100 Christian Norberg-Schulz: „Frau nasjonalromantikk til funksjonalisme“, in: Norges Kunsthistorie, Band 6, Oslo 1983, S. 7 – 111. Zu Lund vor allem: Ulf Gronvold: Frederik Konow Lund – arkitekten som moret seg, Oslo 1989, darin beispielsweise das Haus „Enebolig Brunn“ in Bergen, das erst 1926 errichtet wurde, aber noch ganz wie eine Kopie englischer oder auch deutscher Landhausarchitektur erscheint. ­Genauso das 1946 erstellte „Enebolig Danielsen“ in ­Bergen. 101 Abbildung in Jeremy Howard und Karin ­Hallas-Murula (Hg.) 2003, o.S. 102 Abbildung ebd. 103 Vgl. zum tschechischen Kubismus: Alexander von Vege-

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128  Damals wurden soziale Gestaltungsaufgaben offen- Vgl. auch Süddeutsche Bauhütte, (8)1907, S. 61 – 63; Vgl. bar am ehesten einer weiblichen Designerin zugetraut. auch Bautechnische Zeitschrift, (22)1907, S. 269 – 271 Auch Margarete Schütte-Lihotzky wurde nicht zufällig mit 136  „Das Neustädter Kinderheim“, in: Bremer Nachricheiner Kücheneinrichtung berühmt. 129 Zuvor hatte sie ten, 24 . 11. 1906 137 G[oetze], „Ein neues Kinderheim in auf der Kunstgewerbeausstellung in Dresden mit un- Bremen“, in: Bremer Tageblatt, 28 . 11. 1906 138 G[oetze], scheinbaren Dingen teilgenommen und hatte gelegentlich „Ein neues Kinderheim in Bremen“, 28 . 11. 1906 , a. a. O für wohlhabende Familien einzelne Zimmer ausgestattet. 139  „Das neue Vereinskrankenhaus (Rote Kreuz) in BreFür Dresden schuf sie neben anderen Dingen Sofakissen, men“, in: Niedersachsen, Jg. 1910 / 11, S. 234 f. 140 G[ustav] in: Högg, „Bremen auf der Kunstgewerbeausstellung in P[eter]: „Die Kunst im Krankenhaus“, in: Bremer Tageblatt, Dresden“, Bremer Nachrichten, 9. 1. 1906 130 Anna Go- 12 . 5 . 1910 141 E[lisabeth] v[on] B[aczko] [zugeschrieetze verband eine besondere Beziehung mit Elisabeth von ben]: „Von der Hygiene-Ausstellung in Dresden“, in: BreBaczko: sie lebte mit deren Schwester Felicitas, einer Fo- mer Tageblatt, 7. 7. 1911 142 Ernst Bloch kritisierte 1918 , tografin, zusammen. 131 „Das Neustädter Kinderheim“, nach der Erfahrung des rationalen Weltkriegs, die allein in: Bremer Nachrichten, 24 . 11. 1906 132 „Das Neustädter rationale Gestaltung. Eine dekorierte Zuckerzange müsse Kinderheim“, a. a. O. 133 „Das Neustädter Kinderheim“, nicht der undekorierte Geburtszange angepasst werden. a. a. O. 134 „Das Neustädter Kinderheim“, a. a. O. 135 Vgl. Vgl. Bloch (1918) 1971, S. 21 143 E[lisabeth] v[on] B[aczKarl Schaefer, „Neue Arbeiten von E. von Baczko“, in: ko]: „Von der Hygiene-Ausstellung in Dresden“, a. a. O. Kunstgewerbeblatt, Neue Folge, (20)1909, S. 201 – 203;

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Teil III Reformkrieg Ökonomie Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925 Transformation der Reform Beispiel Alvar Aalto Zusammenfassung III

Ökonomie In Italien wurde in Klarheit formuliert, dass die Maschine die neue Wahrheit, dass die Geschwindigkeit die Voraussetzung für eine neue Form sei. Im Februar 1909 veröffent­ lichte Filippo Tommaso Marinetti (1876 – 1944) das „Futuristische Manifest“: 1. Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen, die Vertrautheit mit Energie und Verwegenheit. 2 . Mut, Kühnheit und Auflehnung werden die Wesenselemente unserer Dich­ tung sein. 3. Bis heute hat die Literatur die gedankenschwere Unbeweglichkeit, die Eks­ tase und den Schlaf gepriesen. Wir wollen preisen die angriffslustige Be­ wegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag. 4 . Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen … ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake. 5 . Wir wollen den Mann besingen, der das Steuer hält, dessen Idealachse die Erde durchquert, die selbst auf ihrer Bahn dahinjagt. 6. Der Dichter muss sich glühend, glanzvoll und freigebig verschwenden, um die leidenschaftliche Inbrunst der Urelemente zu vermehren. 7. Schönheit gibt es nur noch im Kampf. Ein Werk ohne aggressiven Charakter kann kein Meisterwerk sein. Die Dichtung muss aufgefasst werden als ein heftiger Angriff auf die unbekannten Kräfte, um sie zu zwingen, sich vor den Menschen zu beugen. 8. Wir stehen auf dem äußersten Vorgebirge der Jahrhunderte! … Warum soll­ ten wir zurückblicken, wenn wir die geheimnisvollen Tore des Unmög­ lichen aufbrechen wollen? Zeit und Raum sind gestern gestorben. Wir ­leben bereits im Absoluten, denn wir haben schon die ewige, allgegenwärtige ­Geschwindigkeit erschaffen. 9. Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt – den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes. 10. Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zer­ stören und gegen den Moralismus, den Feminismus und jede Feigheit kämp­ fen, die auf Zweckmäßigkeit und Eigennutz beruht. 11. Wir werden die großen Menschenmengen besingen, welche die Arbeit, das Vergnügen oder der Aufruhr erregt; besingen werden wir die vielfarbige, vielstimmige Flut der Revolution in den modernen Hauptstädten; ­besingen werden wir die nächtliche, vibrierende Glut der Arsenale und Werften, die von grellen elektrischen Monden erleuchtet werden; die gefräßigen Bahn­ 217

höfe, die rauchende Schlangen verzehren; die Fabriken, die mit ihren sich hochwindenden Rauchfäden an den Wolken hängen; die Brücken, die wie gigantische Athleten Flüsse überspannen, die in der Sonne wie Messer auf­ blitzen; die abenteuer­suchenden Dampfer, die den Horizont wittern; die breitbrüstigen Lokomotiven, die auf den Schienen wie riesige, mit Rohren gezäumte Stahlrosse einherstampfen und den gleitenden Flug der Flugzeuge, deren Propeller wie eine Fahne im Winde knattert und Beifall zu klatschen scheint wie eine begeisterte Menge …1 Der Inhalt der Dinge begann sich vor 1914 zu verschieben. Der Mensch wurde erst durch die Maschine ersetzt um dann ein rationales Prinzip zu werden. Raum und Zeit wurden zu äußerster Effektivität, zu Geschwindigkeit verschmolzen. Aus der Naturgesetzlichkeit wurde Rationalität. Die unbewusste Ableitung, die um 1900 gefordert wurde, konnte plötzlich bewusst kalkuliert werden. Für die Repräsenta­ tion der Wahrheit gab es Abgleichungen mit der Geschwindigkeit: Gesund hieß schnell und vorwärtsstrebend; schön hieß stromlinienförmig, in einfacher Form. Merkmale der Geschwindigkeit und der Dynamik wurden zu bedeutsamen Zeichen der Rationa­ lität – zu Zeichen der neuen Wahrheit.

1. Sport Der Einsatz der Körperkraft, um in begrenzter Zeit ein Ziel zu erreichen, war die Zu­ spitzung der Rationalität und gleichzeitig eine Übung für den Menschen. Beim Sport funktioniert der Mensch nach den Naturgesetzen. Die Licht-Luft-Kur, die ganz unsport­ lich in den Loggien und auf den Veranden genommen wurde, wechselte zur Licht-Luft-­ Bewegung, abzulesen an zahlreichen fotografischen Aufnahmen von Sporttreibenden in dieser Zeit. „Ich wüsste aber nichts, das unsere Sinne so wach, unseren Körper so gestählt, ­unseren Geschmack so reich und reif und unsere moderne Seele so frisch machen können als Licht und Luft, Bewegung, Kraftentfaltung und Sport und Sport und wie­ der Sport“ 2, schrieb der Schriftsteller Alfred Walter Heymel (1878 – 1914) im Jahr 1911 in ­einer Broschüre der Kaffee Handels AG .3 Der Sport geriet zur gesteigerten, zur dynamischeren und ökonomischeren Form der Licht- und Luftbäder. Wir können diese Entwicklung auf die Architektur übertragen: die einzelne Hütte reichte gerade in den 1920er Jahren nicht mehr aus. Architekten planten nun Dachgärten mit Turnstangen, sie planten Stadien mit Laufbahnen. Stromlinienförmige Architektur, die die Bewegung aufnahm und spiegelte, begann den bewegten Menschen zu begleiten.

2. Dampfermotiv

Der Dampfer leistete eine ideale Repräsentation. Ein Dampfschiff war so konstruiert, dass es möglichst schnell und rational von A nach B fahren konnte. Die Kabinen, in denen die Menschen während der Überfahrt schliefen, waren bis ins Detail optimiert. 218

Ökonomie

Idealisierung des Sports in den Schriften der Moderne – hier Döcker. Quelle: Döcker 1929, S. 99

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Kein Zentimeter wurde verschwendet, kein Zentimeter war zweckfrei und wider­ sprach der allgemeinen Rationalität. Gleichzeitig verkörperte der Dampfer den gesun­ den Menschen, der auf Deck Licht-Luft-Kuren ausüben konnte, der sich auf dem Deck aber auch sportlich betätigen konnte (auf dem Schnelldampfer „Bremen“ des Nord­ deutschen Lloyds gab es ein Schwimmbad. Auch wurde „Skuffelbord“ gespielt. Dane­ ben gab es natürlich die schon traditionelle Licht-Luft Kur).4 Der Dampfer wurde Sym­ bol für ein vom Menschen geschaffenes Objekt, das eine gleichzeitig unbewusste und bewusste Repräsentation eines wahren Kerns leistet. Entsprechend gerne übernah­ men Architekten wir Hans Scharoun das Dampfermotiv in ihre Architektur. Ein Bau­ werk, das so idealtypisch zugeschnitten wurde wie ein Schnelldampfer der 1920er Jah­ re, näherte sich einem architektonischen Ideal.

3.  Rhythmische Schönheit

Handel und Wirtschaft wurden in den Jahren vor 1914 ebenfalls als Ausdruck eines rationalen Prinzips gesehen. Schon vor 1914 begann sich die Meinung durchzusetzen, dass man Kunst und Kultur nicht gegen den Markt und die Gesetze der Ökonomie ver­ teidigen oder gar einen Schutzraum schaffen müsse. Architekten wie Muthesius oder Behrens betrachteten die Gesetze der Ökonomie ebenfalls als Naturgesetze, auf die sich die Kunst einzulassen habe. So betonte Peter Behrens 1914, dass man das Plakat nicht als Verschandelung der Städte oder eines Bahnhofes betrachten solle, sondern dass es vielmehr Ausdruck der „rhythmischen Schönheit“ der Zeit sei. „Es handelt sich jetzt darum, eine ernste und entschlossene Stellungnahme zu den Anforderungen un­ serer Zeit zu nehmen. Es ist müßig, sich über das Plakathafte aufzuhalten, aber ein Kul­ turfortschritt, die schreienden Farben und bizarren Linien harmonisch zu ordnen. Es ist philiströs, den schnellen Wechsel der Mode zu verachten, aber klug, den volkswirt­ schaftlichen Nutzen, der durch die Abwechslungsfreude gegeben ist, zu erkennen und diese zu genießen. Die neue Zeit, die manchen Stimmungsreiz träumerischer Behag­ lichkeit verweht hat, stellt neue Aufgaben an die Kunst, die zu einer einheitlichen gro­ ßen Erfüllung gelangen, wenn wir die rhythmische Schönheit dieser Zeit erkennen.“ 5 Sportliche Menschen, Architektur wie Dampfschiffe oder Maschinen und Plakate an den Hauswänden – die neue Zeit wurde neu geordnet, der ökonomischen Logik un­ tergeordnet. Wahrheit und Kommerz begannen jetzt widerspruchsfrei neben­einander zu laufen – in rhythmischer Schönheit. Unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg und dann vor allem in den 1920er Jahren wurde von einem Teil der Künstler in der reinen Ökonomie nichts weniger als Schön­ heit gesehen. Der Werkbund-Vorsitzende und süddeutsche Industrielle Peter Bruckmann schrieb 1914: „Falsche Monumentalität, falsche Romantik [sind] zu bekämpfen, und verwun­ dert sieht schon jetzt der Fremde, der Deutschland bereist,6 einen neuen deutschen Stil gerade dort entstehen, wo gebundene Aufgaben, wie Bahnhöfe, Fabriken und La­ gerhäuser, zu bewältigen waren.“ 7 Die richtige Monumentalität, die 1:1-Repräsentation von unbewusster Bedeutung, fanden Bruckmann wie Gropius in Bauten von Industrie und Verkehr; 8 die Fabriken, die Bahnhöfe und die Maschinen galten als die zeitgemä­ 220

Ökonomie

ße Anleitung für eine Architektur, die sich von ‚romantischer‘ Monumentalität abset­ zen will. „Die Fabrik, von Walter Gropius erbaut, soll den großen Einfluss der Maschi­ nen auf die Formgebung und andererseits die Schönheit der Maschine selbst zeigen.“ 9 Walter Gropius glaubte, mit dem Maschinenstil eine neue Form für das 20. Jahr­ hundert gefunden zu haben: „Exakt geprägte Form, jeder Zufälligkeit bar, klare Kon­ traste, Ordnen der Glieder, Reihung gleicher Teile und Einheit von Form und Farbe werden entsprechend der Energie und Ökonomie unseres öffentlichen Lebens das ästhetische Rüstzeug des modernen Baukünstlers werden.“ 10 Gropius vollendete Behrens’ „rhythmisches Prinzip“, indem er beispielsweise bei den Fagus-Werken gleichwertige Bauelemente nebeneinander stellte – in formaler An­ lehnung an Henry Fords Fließband. Die Fagus-Werke lassen sich in ihrer Flucht ent­ sprechend endlos fortgesetzt denken. Die Fagus-Bauten enthalten Maschinen und sie repräsentieren Maschinen. Die Re­ präsentation wird durch die stets gewährte Möglichkeit des Einblicks vollendet: Der Betrachter – auch der, der in der Eisenbahn vorbei rauscht – blickte auf Maschinen und auf Menschen an Maschinen. Eine neue Schönheit. Doch die deutsche Fabrikarchitektur befand sich noch in den Anfängen, sie wurde von amerikanischer Siloarchitektur, so Gropius, in den Schatten gestellt. „Im Vergleich mit den übrigen Ländern Europas scheint Deutschland auf dem Ge­ biete des künstlerischen Fabrikbaus einen Vorsprung gewonnen zu haben. Aber im Mutterlande der Industrie, in Amerika, sind industrielle Großbauten entstanden, de­ ren ungeahnte Majestät auch unsere besten deutschen Bauten dieser Gattung überragt. Die Getreidesilos von Kanada und Südamerika, die Kohlensilos der großen Eisenbahn­ linien und die modernsten Werkhallen der nordamerikanischen Industrietrusts halten in ihrer monumentalen Gewalt des Eindrucks fast einen Vergleich mit den Bauten des alten Ägyptens aus. Sie tragen ein architektonisches Gesicht von solcher Bestimmt­ heit, dass dem Beschauer mit überzeugender Wucht der Sinn des Gehäuses eindeutig begreiflich wird. Die Selbstverständlichkeit dieser Bauten beruht nun nicht auf der materiellen Überlegenheit ihrer Größenausdehnungen – hierin ist der Grund monu­ mentaler Wirkung gewiss nicht zu suchen – vielmehr scheint sich bei ihren Erbauern der natürliche Sinn für große, knapp gebundene Form, selbständig, gesund und rein erhalten zu haben. Darin liegt aber ein wertvoller Hinweis für uns, den historischen Sehnsüchten und den anderen Bedenken intellektueller Art, die unser modernes euro­ päisches Kunstschaffen trüben und künstlerischer Naivität im Wege sind, für immer die Achtung zu versagen.“ 11 Die Getreide- oder Kohlensilos waren wie von selbst, allein aus ökonomischen Zwängen heraus (die Gropius den Naturgesetzen gleichstellte) gewachsen, ohne Zu­ tun von Architekten, ohne künstlerischen Anspruch. Sie waren in ihrer Monumenta­ lität selbstverständlich. Doch Gropius glaubte keineswegs, dass man das amerikanische Modell nach Euro­ pa übertragen könne. Der naive, durch Künstlerideen ungebrochene Ausdruck der Zeit ließ sich im genauso industrialisierten wie intellektualisierten Deutschland nicht er­ reichen. Die europäische Gesellschaft, die durch Moden und Intellektualismen vielfach in die Irre geleitet war, die „nervös“ war, könne nicht derart naturgesetzlich vorgehen

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Architekten lernten von der Technik und entwarfen selbst Technik. Hier ein Automobilausstattung von Heinz Stoffregen für die Delmenhorster Wagenfabrik Tönjes, 1910 er Jahre. Quelle: Sammlung Aschenbeck

wie die amerikanische, die den natürlichen Weg von der Blockhütte zum Silo gegangen war. Vielmehr müssen die Reformer die Gestaltung der unbewussten selbstverständ­ lichen Monumentalität bewusst vornehmen. Sie sollten die amerikanischen Silobau­ ten intellektuell rekonstruieren. Erst durch die Hand des Künstlers, der Naturgesetze wie ökonomische Gesetze be­ folgt, könne die Ökonomie zu einer allgemeingültigen und allgemeinverständ­lichen Form geführt werden. Das könne allein, so Gropius, der entsprechend gefühlvolle Künstler leisten, keineswegs der Bauunternehmer, der falschen Stilen oder unechten Vorstellungen anhänge (der eben durch europäische Zivilisation verdorben sei). Der innere Sinn eines Bauwerks war für Gropius die Ökonomie – in ästhetischer wie in pekunärer Hinsicht. Ökonomie war kein demokratischer Bedeutungsinhalt, wie Karin Wilhelm in ihrer Arbeit zu den Fagus-Werken vermutete,12 sondern wurde als naturgesetzlicher verstanden – fressen und gefressen werden. Ökonomie hatte der Architekt in die passende Form zu überführen. Allein in Ame­ rika, frei von Kunstgeschichte, erstarrten Fließbandschächte und Straßenbrücken ge­ radezu von selbst in architektonische Großformen. In Europa musste der Architekt, bevor er gestalten konnte, seine ökonomisch bewegte Umgebung genau studieren, er musste Vorbilder für seine Architektur suchen. 222

Peter Jessen beschrieb im Werkbundjahrbuch 1914, wie die Architekturbetrachtung der Schnelligkeit der Verkehrsmittel entsprach. Zahlreiche Ausländer reisten quer durch Deutschland und setzten sich „ihr Bild von Deutschland aus den Eindrücken“ zusammen, die sie „durch die Fensterscheiben des Zuges erhaschen“ konnten.14 Es wird deutlich: Architekturbetrachtung geriet zum beiläufigen Geschehen, wurde Teil eines ökonomisierten Lebens, in dem kein Platz für kontemplative Architekturbetrach­ tung mehr blieb. Heinrich Tessenow entwickelte 1911 für die Gartenstadt Hellerau das „Patenthaus“, ein einfaches, nacktes Haus, eine direkte Weiterentwicklung der Monte-Verità-Hütte, aber auch – in Anlehnung an Riemerschmids Maschinenmöbel – ein Maschinenhaus. Der Name „Patenthaus“ deutete schon darauf hin, dass hier eine Serienproduktion an­ gedacht war. Die Licht-Luft-Hütte oder das Reformhaus wurden von Tessenow nach den Gesetzen der Ökonomie optimiert – ein geradezu ideales Wohnhaus entstand. Bereits vor 1914 blickten manche Architekten und Bauherren nach Amerika und ­interessierten sich für die dort übliche Fertighausbauweise. Nach dem Krieg wurde dann das industrielle Bauen vorangetrieben. In Bremen experimentierte die Firma Kossel & Cie. 1919 / 20 mit der industriel­ len Erstellung von Wohnhäusern aus Beton, eine Mustersiedung entstand im Orts­ teil Oslebshausen nach dem „Schnellbau-Kossel“-Verfahren 15, schließlich auch eine JJP -Oud-Siedlung in Rotterdam und das Oud-Gebäude in der Stuttgarter Weißenhof Siedlung. In Niesky in der Lausitz fertigte ab Mitte der 1920er Jahre die Firma „Christoph & Un­ mack AG “ Holzhäuser in industrieller Fertigung.16 Der Kossel-Geschäftsführer Hein­ rich Sielken vertrat die Christoph & Unmack AG in Nordwestdeutschland – Fertigbau und Typisierung wurden ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre als ein lohnendes und zukunftsweisendes Beschäftigungsfeld gesehen. Die Deutschen Werkstätten in Hellerau bauten nach dem Ersten Weltkrieg Holz­ häuser nach der „Jaliousiebauweise“ in Serien. Martin Wagner entwickelte 1931 die Idee von „wachsenden Häusern“ [sic!] – aus einer kleinen Hütten sollte mit den zur Verfügung stehenden Geldern der Bauherren nach und nach ein großes Wohnhaus wachsen.17 Die Idee, die Wagner durch einen Wettbewerb popularisieren wollte, war gerade­zu ein Sinnbild des Reformgedankens! 18 Ernst May begann in Frankfurt am Main 1925 mit industriellen Bauverfahren.19 Und auch der Siedlungsbau in Berlin wurde ab Mitte der 1920er Jahre mehr und mehr indust­ rialisiert. Folge der Industrialisierung war die Typisierung und Normung der Architek­ tur; die richtige Formm, die eine perfekte Ökonomie repräsentiert, wurde angestrebt.20

Ökonomie

Gropius nahm – durchaus naheliegend – moderne Verkehrsmittel als Vorbild sei­ ner Architektur der Bewegung, der Ökonomie. „Wie die Verkehrsbauten ihre Aufgabe, den Verkehr aufzunehmen und zu ordnen, in einem klar über schaubaren rhythmisch gegliederten Gehäuse charakterisieren, das keine Zweifel in seine Bestimmung auf­ kommen lässt, so sind die Verkehrsmittel zu Lande, zu Wasser und zu Luft – Automo­ bil und Eisenbahn, Dampfschiff und Segeljacht, Luftschiff und Flugzeug – förmlich zu Sinn­bildern der Schnelligkeit geworden.“ 13

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Errichtung einer Siedlung aus Beton nach dem industrialisierten „Schnellbau-Kossel“-Verfahren in Bremen-Oslebshausen, ca. 1922. Quelle: Katalog Schnellbau Kossel. Sammlung Aschenbeck

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Weißenhofsiedlung in Stuttgart – Von der Licht-Luft-Hütte zur Wohnmaschine mit Balkonen, Terrassen und Dachgärten. Zeitgenössische Postkarte. Quelle: Sammlung Aschenbeck

Je ökonomischer ein Gebäude errichtet wurde, um so wahrhaftiger erschien seine Architektur. Ein maschinell errichtetes Gebäude, das die Form einer Maschine zeigte und in der der Mensch selbst zu einer Maschine oder einem Maschinisten wurde (in der Einbauküche), ein Gebäude, das wie eine Pflanze wuchs und sich den Anforderun­ gen anpassen konnte – es war das Idealbild der Repräsentation.

Vor der vollständigen Ökonomisierung und Industrialisierung des Bauens stand der Erste Weltkrieg. Er erwies sich als entscheidende Etappe in der Weiterentwicklung des Architektursystems ab 1900. Es lassen sich zwei Phasen unterscheiden. 1.  Die Phase des enthusiastischen Reformkrieges. Architekten zogen wie Wander­ vögel in die Landschaft und erwarteten mehr Naturerlebnis denn Zerstörung. Im Krieg, so dachten sie, würde alle intellektuelle Falschheit, die im 19. Jahrhundert gewachsen sei, verschwinden, im Krieg würde man zu wahren Werten zurückfinden – zu Wahr­ heit, Natürlichkeit und naturgesetzlicher Rationalität. Der Krieg erschien den Deutschen wie ein Befreiungsschlag. Mit militärischer Ge­ walt waren innerhalb von wenigen Tagen alle hindernden Sachzwänge zerschlagen. Plötzlich schienen alle Deutschen gleich. Plötzlich schien das Gemeinwesen eine har­ monische Einheit zu bilden – endlich konnte man beim Nullpunkt anfangen.

Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

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Nach einem fest erwarteten Sieg würde keineswegs die alte Gesellschaft zurück­ kehren. Vielmehr würde die Kriegsgesellschaft ohne Bruch in eine neue, bessere Frie­ densgesellschaft überführt werden können. „Im allgemeine Jubel des August 1914 glaubten die Deutschen allen Ernstes, dieses Ziel erreicht zu haben; der Kriegszustand hatte ihrer Meinung nach im Grunde den Frieden gebracht – man hatte das Gefühl, jetzt alles ‚überwinden‘ zu können. Konflik­ te und Differenzen waren vergessen, die Deutschen hatten endlich die schon von Bis­ marck angestrebte spirituelle und physische Einheit erreicht“, schrieb Eksteins 1990. 21 Diejenigen Reformer, die noch immer auf ihren Sanatoriumsbalkonen saßen und neue Welten herbeisehnten, wurden aus ihren Träumen gerissen, durften und mus­ sten handeln. Romanfigur Hans Castorp gehörte zu den letzten, die Theorie mit Kriegs­ praxis vertauschten: „Er zog die Beine unter sich, stand auf, blickte um sich. Er sah sich entzaubert, erlöst, befreit, – nicht aus eigener Kraft, wie er sich mit Beschämung geste­ hen musste, sondern an die Luft gesetzt von elementaren Außenmächten, denen seine Befreiung sehr nebensächlich mit unterlief. […] Wo sind wir? Was ist das? Wohin ver­ schlug uns der Traum? Dämmerung, Regen und Schmutz, Brandröte des trüben Him­ mels, der unaufhörlich von schwerem Donner brüllt, die nassen Lüfte erfüllt, zerris­ sen von scharfem Singen, wütend höllenhundhaft daherfahrendem Heulen, das seine Bahn mit Splittern, Spritzen, Krachen und Lohen beendet von Stöhnen und Schreien, von Zinkgeschmetter, das bersten will, und Trommelakt, der schleuniger, schleuniger treibt … Dort ist ein Wald, aus dem sich farblose Schwärme ergießen, die laufen, fallen und springen. Dort zieht eine Hügelzeile sich vor dem fernen Brande hin, dessen Glut sich manchmal zu wehenden Flammen sammelt. Um uns ist welliges Ackerland, zer­ wühlt, zerweicht. Eine Landstraße läuft kotig, mit gebrochenen Zweigen bedeckt, dem Walde gleich. […] Ost oder West? Es ist Flachland, es ist der Krieg.“ 22 Als Thomas Mann den Zauberberg schrieb, war die zweite Phase des Krieges schon präsenter als die erste. Auf die Romantik und die Emphase folgte eine unerwartete Realität. 2.  Phase des Kriegs: Zerstörung archaischer Dinge wie Architektur, Natur, Boden; Auflösung der Ortsbezüge. Im „Zauberberg“ lief eine Landschaft „kotig“ durch die Na­ tur, es war eine Straße, die man nicht mehr nehmen wollte. Im August des Jahres 1914, zu Beginn der ersten Phase, hieß Krieg trotz Schmutz, trotz Schlamm und trotz Zerstörung zuallererst Naturerlebnis, das man herbeisehnte, Luft und Licht. 1914 befanden sich die Menschen in der emphatischen Phase, so auch Walter Gropius: „Heute Abend Abmarsch Frankreich, beste Stimmung. Tausend Grüße.“ 23 Und weiter in seinen Briefen von der Front: „Also kam ich auf die Höhe […], fand die Straße frei, stellte Posten auf und kroch dann selbst in Ginsterbüschen auf eine benachbarte Höhe hinauf. Rechts unter mir lag in strahlender Schönheit das Tal der Meur­t he.“ Doch bevor Gropius Gelegenheit hatte, weiter Natur zu bestaunen, verwandelte sie sich vor seinen Augen. „Ich war zuerst ganz durch den schönen Anblick gebannt, als ich zu mei­ nem nicht geringen Erstaunen die ganzen Straßen im Tal […] gedrängt voll von den Mar­ schkolonnen der feindlichen Armee sah.“ 24 Natur und Feind durch drangen sich, lösten sich ab, wechselten, wurden eins. „Der Feind konnte bildschön von Moyenmoutier vor­ 226

Gleichzeitig brachte der Krieg die Modernisierung voran. Gropius, Behrens und die an­ deren modernen Architekten konnten sehen, wie Raum und Zeit tatsächlich den Krieg und damit mittelbar die neue Gesellschaft bestimmten. Die Taktfrequenz der Maschi­ nen steigerte sich – und damit Formen der Wahrnehmung. „Der Krieg hatte mit Bewegung begonnen, Bewegung von Menschen und Materi­ al, und das in einem in der Weltgeschichte nie dagewesenem Ausmaß. In ganz Europa erhielten Anfang August etwa sechs Millionen Soldaten ihre Marschbefehle und be­ gannen sich zu bewegen. Die Deutschen, in der Absicht, im Westen einen raschen Sieg zu erringen, betrieben ihren Aufmarsch ab dem 6. August im D-Zug-Tempo. 550 Züge bewegten sich jeden Tag über die Rheinbrücken. Über die Hohenzollernbrücke in Köln rollten in dieser ersten Phase des Krieges alle zehn Minuten ein Zug. Es dauerte kaum eine Woche, da hatte man bereits eine halbe Million Soldaten zusammengezogen.“ 28 Den maschinellen Takt, den die Soldaten aus den Schützengräben vernahmen, konnte der Mensch nur noch hinnehmen – als neue Kraft, als neue Logik. Die Bewe­ gung des Materials verselbständigte sich, sprengte jedes Konzept einer harmonischen, Behaglichkeit anstrebenden Reformgesellschaft. Der Mensch, der – voller Tatendrang, voller Reformeifer – mit dem D-Zug an die Front gebracht worden war, fand sich wieder im Schützengraben – und beobachtete das Gewitter der Geschütze. Das Gefühl, dass die Entladung des Materials wie ein Gewitter über die Soldaten kam, dass der Mensch kaum noch steuernd eingreifen konnte, offenbarte jedem Einzelnen den durchaus un­ erwarteten Charakter der neuen Zeit, in dem nette Hütten mit Liegehallen plötzlich unzeitgemäß schienen, wie ein durchaus gutes und richtiges Spiel in alten Kinderta­ gen, das aber keine Relevanz mehr hatte. Es kam im Ersten Weltkrieg zu eine raschen Entwertung von – Boden – Natur – Tradition. Doch nicht alle Architekten lagen 1914 an der Front. Nicht alle durchlebten den Krieg und änderten ihre Wahrnehmung. Eine große Gruppe Architekten befand sich in Ost­ preußen und plante und baute das „Neue Deutschland“.

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stoßen und mir den Faden nach hinten abschneiden. […] Denkt Euch undurchdringlich dichten Tannenwald, rechts andauernd der tiefe Abgrund, links steile Höhen, ein Ent­ weichen von der Straße ganz unmöglich. Ich kam weit vor bis zu einem prachtvollen Beobachtungspunkt wo ich deutlich die feindlichen Bewegungen sah […].“ 25 Der Krieg war ein „Urwald, der uns seit Jahren immer stärker in seinem dunk­ len Banne hält“,26 wie Jünger noch mit letzter Romantik schrieb. Überhaupt glaub­ ten die begeisterten Soldaten, dass ihr blutiger Kampf gegen einen anonymen Gegner (ein definiertes Feindbild mit erkennbaren Uniformen und womöglich gegensätzlichen Wertvorstellungen gehörte längst der Vergangenheit an!) „schon ein Naturereignis ge­ worden“ 27 sei. Wie die Natur erschien der Krieg als Schicksal, als naturgesetzliche Wahrheit, deren Herausforderung mit guten Willen anzunehmen war.

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Ab 1914 schien es Pflicht, reale Utopien zu entwickeln. Nach dem Krieg musste es weiter gehen – mit der Entwicklung einer besseren Gesellschaft, mit schöneren Gehäu­ sen für schönere Menschen. Max Brod entwarf 1918, am Ende des großen Krieges, die Vision einer neuen Welt, in der das Sanatorium eine zentrale Rolle spielte. Er beschrieb die neue Welt als einen Traum, als einen Wunschtraum. Wir können davon ausgehen, dass Brod mit derarti­ gen Visionen nicht alleine stand – dass unzählige Europäer über das Leben nach dem Krieg dachten und halluzinierten. „Plötzlich fühlte ich, dass ich in einem schönen blauen Strome schwamm. Eine in­ nere Stimme sagte mir, jedoch ohne besonderen Nachdruck, dass dies wohl die Donau sein möge. Unendliches Wohlbehagen erfüllte meinen Körper und meine Seele; es war mir klar, dass man diesen Teil der Symphonie schwimmend erleben müsse. […] Am Ufer traten nun funkelnde Paläste mit geschliffenen Säulen und gotischen, wie aus Kristallen zusammengesetzten Balkonen näher, ich betrachtete sie und fühlte dabei ein neues unendliches Glück; die feinen edlen Verhältnisse der Bauten, ihre kostbaren und doch gar nicht hochmütigen Ornamente schienen mir Gewähr dafür, dass sie nur von glücklichen und tugendhaften Menschen bewohnt würden.“ 29 Brod erkannte Or­ namente, deren Repräsentation funktionierte, die Zeichen der besseren Menschen wa­ ren – eine wahrhaft utopische Vorstellung für die Reformergeneration. „Nun war es wie eine Fahrt auf dem großen Kanal in Venedig, doch nicht an Fassa­ den von Verfall und alter Pracht und beängstigender Bosheit vorbei, nein, hier sprach sich frische, blumenstengelhafte, eben erstandene, eben ins Leben gerufene Schönheit aus, – und gleich darauf wieder weites grünes Land, große Ansiedlungen, deren Ar­ chitektur von ferne an die französischer Weltausstellungen erinnerte, jedoch in stiller veredelter Art, eigentlich waren nur die lustigen Schnörkel der Pavillons geblieben, al­ les andere zeigte sich ernster, naturhaft, unluxuriös. Die Wege am Ufer waren belebt. Man sah einzelne Paare in vertrauten Gesprächen, auch Familien, viele schöne Kinder vorbeigehen. Das Fenster eines alleinstehenden Gartenhäuschens war offen und zeig­ te einen Dichter bei seiner Arbeit. Auch eine Anzahl bedeutend aussehender Männer, die am Ufer saßen, gab mir das Gefühl, dass man hier, innerhalb dieser Kunstschöp­ fung allen, die Großes wollten, eine Heimstätte bereitet hatte. Es drängte sich mir das Bewusstsein auf, dass man nun von einer endgültigen Reglung der Welt nicht mehr weit entfernt sein könne. Auf den Marktplätzen nahe bei der Anlegestelle der Dörfchen oder Kurorte (oder wie man sie sonst nennen will) waren Orchester aufgestellt und spielten unter trefflicher Leitung ihren Teil des großen Musikwerkes ab, während ich im Schwimmen oder dann wieder einmal auf meiner Gondel einhielt. Keine Pause ent­ stand, ein Motiv schloss sich lückenlos an das andere, bald waren es kleine Orchester, die nur leise Kantilenen hervorbrachten, bald vereinigten sich mehrere solche Grup­ pen – sie waren stets zur Hand – zu einem brausenden herzerhebenden Tutti. Ich kam gar nicht aus dem Bewundern heraus. Ich fühlte mich davon erhoben, dass solch eine Schöpfung auf der Erde entstanden war.“ 30 Brod kannte den Wiederaufbau des östlichen Ostpreußens nicht. Aber seine Vision der idealen Reformgesellschaft mag auch die Vision der Planer und Architekten gewe­ sen sein, die im Krieg nach Osten zogen. 228

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Eine große Gruppe von westdeutschen Architekten hatte noch im Jahr 1914 damit begonnen, die Utopie auf Erden zu verwirklichen. Sie beteiligten sich am Wiederauf­ bau der kriegszerstörten Ortschaften – den Wiederaufbau im Sinne der Reform, den Wiederaufbau als „neues Deutschland“. Während des Ersten Weltkrieges war Ostpreußen die vielleicht einzige Region in Europa, in der großflächig zivile Architektur errichtet wurde. Ostpreußen wurde ab 1914 ein Laboratorium der Moderne, in dem Idealstadtkonzepte getestet wurden. Doch heute sind die Bauleistungen weitgehend vergessen. Der Wiederaufbau der kriegszerstörten Ortschaften ist einen Fußnote der Geschichte geworden, nur wenige „Aufsätze und Publikationen haben sich mit der Architektur während des Krieges aus­ einander gesetzt 31. Es macht Sinn, die vorhandenen Informationen hier in den großen Zusammenhang zu stellen – der Entwicklung der Moderne, der Etablierung des Archi­ tektursystems, das bis heute gültig ist. Ostpreußen ist in dem Prozess der Etablierung eine bedeutende Etappe, die, sieht man von den verdienstvollen Schriften Jan Salms ab, bis heute keine ausreichende Würdigung gefunden hat. Das ostpreußische Land lag in den Jahrzehnten vor 1914 stets am Rande. Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der manche Regionen Deutschlands ge­ radezu einen Schub der Industrialisierung erlebten, verstärkten sich die Unterschiede zwischen den westlichen und östlichen Teilen Deutschlands. Im Ruhrgebiet, in den westlichen Großstädten, rund um Berlin und in den schlesischen Kohlerevieren kon­ zentrierte sich der industrielle Aufstieg, in Ostpreußen hingegen blieb die Landwirt­ schaft dominierend. Die deutsche Reformbewegung begann auf den Bergen, setze sich dann aber vor allem in den westlichen Industriestädten durch. Das Rheinland sowie die Region Bre­ men / Delmenhorst bildeten neben München Schwerpunkte der Bewegung. Man spricht heute gar vom „westdeutschen Impuls“,32 der von den Industrieregionen ausging. Doch bald umzogen die Kreise der Reform jede deutsche Großstadt. Auch in Kö­ nigsberg hatte es den reformbewegten Zirkel junger Menschen gegeben. Auch in Kö­ nigsberg hatte man die historisierenden Bauten der Gründerzeit als Symptome einer Krankheit bezeichnet,33 und auch in Königsberg wurde das Vorbild der englischen Kunstgewerbebewegung genau studiert.34 Die Zeitverzögerung zwischen dem ersten Aufbruch in die moderne Zeit im Westen und den ersten reformerischen Regungen in den abgelegeneren Großstädten des Reichs betrug nur wenige Jahre. Für die Stadt Tilsit hatte Bruno Taut 1905 „landhausmässige Arbeiterwohnhäu­ ser“ entworfen.35 Taut, der damals in Stuttgart ansässig war, betitelte seinen Entwurf „Heimatland“. Die Bauten mit ihren holzverschalten Giebeln, Loggien und Fensterläden sollten die Verbundenheit mit der Region herausstellen. Diese Absicht wird besonders in einer von Taut gezeichneten Vogelschau deutlich, in der seine Hausentwürfe in ei­ ner weiten ostpreußischen Landschaft stehen. In der ostpreußischen Landschaft, so schien es, ließ sich das ideale, reformerische Wohnen ohne hindernde Sachzwänge realisieren. Auf der Dritten Deutschen Kunstgewerbeausstellung in Dresden präsentierte­Bruno Tauts Bruder Max 1906 ein „Arbeiterwohnhaus der Landesversicherungsanstalt Ost­ preußen“.36 Das kleine, einstöckige Haus hat ein weit heruntergezogenes Krüppel­

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Bruno Taut, Landhausentwürfe für Ostpreußen. „Kennwort Heimatland“. Quelle: Aschenbeck 1991, S. 25

walmdach bekommen. Die auskragenden Giebelzonen sind in Fachwerk ausgestal­ tet. Fensterläden, ein kleiner Holzerker und ein Natursteinsockel vervollständigen das schon gewohnte Bild der Reformarchitektur. Das Gebäude scheint nur in einer länd­ lichen (vorstädtischen) Umgebung denkbar. Die Tatsache, dass es in Dresden auf dem Ausstellungsgelände stand, zeigt, dass hier programmatisch die Gesundung eines Lan­ des am Beispiel eines Arbeiterhauses demonstriert werden sollte. Das Arbeiterhaus war als Typus gedacht, der – großflächig eingesetzt – eine vorstädtische Kultur in Ost­ preußen begründen sollte. In der 1911 gegründeten Reformerzeitschrift „Neue Kunst in Alt-Preussen“ 37 wurden in der ersten Ausgabe Otto Walter Kuckucks 38 Landhausentwürfe für den Königsberger Vorort Neuhausen-Tiergarten publiziert.39 Kuckuck brachte in den kleinen Sommer­ häusern das Hüttenmotiv zur Vollendung. Die Giebel der kleinen Häuser schienen holz­ verschalt. Die Dächer waren als Mansarddächer ausgebildet. Die Giebel und eingefügte Dachgauben ermöglichten die Belichtung der Dachkammern. Besonders betonte Kuckuck die Eingangsbereiche. Bei einem der Entwürfe tragen Säulen den zentralen Giebel, unter dem sich ein kleiner Vorplatz bildet – ein Tempel­ motiv entstand. Natürlich hatte Kuckuck die Sommerhäuser auch mit Erkern, Fensterläden und vor allem großen Veranden ausgestattet. Doch Kuckuck beließ es nicht bei den schon in ganz Mitteleuropa angewandten Elementen der Reformarchitektur. Gerade in den Gie­ belbereichen formte er aus dem Holzfachwerk eigenwillige Muster. In der „Neuen Kunst in Alt-Preussen“ hieß es: „Von England kommend bricht sich nach Osten wandernd mehr und mehr auch in Deutschland der Gedanke Bahn, dass ‚Arbeit in der Stadt, Wohnen auf dem Lande‘, das Leben reicher und schöner macht. Ein Kranz mit der Bahn leicht erreichbarer, wenn auch oft meilenweit vom Zentralkörper der Großstadt entfernter Villenvororte umgibt heute all die vielen mächtig angewach­ senen deutschen Gemeinwesen des Westens. […] Einen […] Versuch, den man als ei­ nen wohlgeglückten bezeichnen darf, hat der hiesige Architekt Walter Kuckuck in der 230

Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

Umschlag der vierten Ausgabe der Reform-Zeitschrift „Neue Kunst in Altpreußen“, 1911

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Landhauskolonie Neuhausen-Tiergarten gemacht. Nach seinen Entwürfen sind in die­ sem Frühjahr sechs Landhäuser auf diesem Terrain errichtet worden. […] Die Mauern sind massiv ausgeführt, das Dachgeschoß in Fachwerk ausgebaut. Diese Verwendung gerade ermöglichte reizvolle Details mit verhältnismäßig geringen Kosten.“ 40 Wir sollten hier die neue Begrifflichkeit beachten: man sprach plötzlich statt von Ornamenten von „reizvollen“, also wirkungsvollen „Details“. An die auf den Kern ver­ weisende Funktion der Gestaltung wurde also stets gedacht. Weiter heißt es, dass „je­ des dieser Häuser […] einen gewissen bodenständigen Typ“ darstellt. „Nicht nur in der äußeren Erscheinung, auch in der Raumeinteilung unterscheiden sich diese kleinen Landhäuser, die äußerlich einen ebenso allerliebsten Eindruck machen, wie sie im ­Innern das Gefühl traulicher Behaglichkeit hervorrufen.“ 41 Lokale Architekten wie Max Taut (in Königsberg geboren) oder Otto Walter Ku­ ckuck versuchten, die Reformprinzipien, die auf dem Monte Verità und anderswo ent­ wickelt worden waren, in eine regional gefärbten Formensprache umzuwandeln. In der Zeitschrift „Neue Kunst in Alt-Preussen“ wurde das neue Bauen veröffentlicht und propagiert. Doch trotz aller Bemühungen blieben in Ostpreußen die Möglichkeiten der Reformer begrenzt. Dank nur geringer Industrialisierung des Landes blieb bei den Bürgern der Wunsch nach Kompensation oder Gesundung, der Wunsch nach Auszug aus dem so bezeichneten gründerzeitlichen Chaos gering. Die Ostpreußen, auch die Königsberger, waren von Natur, Licht und Luft zweifellos weniger entfremdet als die Bewohner man­ cher westlichen Industriestädte. Die Reformansätze sollten die Situation folglich nur punktuell verbessern, sollten nur rund um Königsberg manche Brüche mildern, sollten vor allem eine neue, in den westlichen Zentren entstandene, eine als besser erkannte Ästhetik verbreiten. Hätte es keinen Krieg gegeben, wäre die Provinz Ostpreußen schwerlich Zentrum der Reformbemühungen geworden. Erst der Krieg führte zu einer umfassenden Neu­ ordnung des Landes im Sinne der Reform. Erst die Zerstörungen des Krieges ermög­ lichten einen Zeitsprung aus dem frühen 19. in das reformierte 20. Jahrhundert. Nach Kriegsausbruch im August 1914 konnten deutsche Grenztruppen das ostpreu­ ßische Gebiet nicht halten. Zwei russische Armeen besetzten drei Viertel des Terri­ toriums. Dabei verwüsteten die Armeen zahlreiche kleinere Ortschaften. Andere Orte hatten das Unglück, das die Front durch ihre Mitte lief, so dass während der Kampf­ handlungen deutsche und russische Granaten auf ihre Häuser fielen. Über 30 000 Ge­ bäude wurden vollständig zerstört.42 In den Schlachten bei Tannenberg (26. – 30. August 1914) und an den Masurischen Seen (6. – 15. September 1914) gelang es den deutschen Truppen, die Besatzer zurückzu­ drängen. Bereits im März 1915 war das ganze ostpreußische Territorium wieder unter deutscher Kontrolle.43 Damit unterscheidet sich die Situation des östlichen Kriegs­ schauplatzes wesentlich von der des westlichen. Dort verschob sich der Frontverlauf über Monate und Jahre nur um wenige Kilometer, dort starben erheblich mehr Men­ schen im Stellungskrieg. Der Wiederaufbau wurde dort während des Krieges kaum thematisiert (allein über einen Wiederaufbau im Elsass wurde bereits gesprochen). 232

Otto Walter Kuckuck, Landhausentwurf für Neuhausen-Tiergarten. Quelle: Aschenbeck 1991, S. 31

im Osten aus deutschem Gebiet vertrieben, und schon ist man emsig dabei, dessen Spuren zu beseitigen.“ 44 In der „Wochenkorrespondenz“ der „Wasmuths Monatshef­ te für Baukunst“ hieß es am 1. Dezember 1914: „Man wird schon jetzt, wo belgische Städte noch inmitten schweren Geschützfeuers liegen und wo im Osten noch stets er­ neute Einfälle russischer Mordbrenner zu erwarten sind, auf Mittel und Wege sinnen müssen, die künftig eine schnelle und zweckmäßige Organisation der erforderlichen Notstandsarbeiten ermöglichen.“ 45 Dabei war man sich in den ersten Tagen durchaus nicht einig, welche Arbeiten über erste Notstandsarbeiten hinaus ergriffen werden sollten. Ludwig Goldstein berichtet in seiner Zusammenfassung des Wiederaufbaus über folgenden Vorschlag: „Man lasse das Trümmerfeld einer zerstörten Stadt, etwa Schirwindts, stehen und liegen, wie es ist, – ein Denkmal von der Zeiten Schande, ein natürliches Kriegsmuseum!“ 46 Doch mehrheitlich wurde die Meinung vertreten, dass in allen zerstörten Ortschaften „für eine Wiederherstellung im Sinne moderner Kun­ stanschauungen Sorge zu tragen“ 47 sei. Eine „staatliche Bauberatung großen Stils“ 48 wurde von verschiedenen Seiten gefordert.49 Der Wiederaufbau würde Ostpreußen in den ersten harmonisch geordneten Landstrich Deutschlands verwandeln. Zum ersten Mal sollten die Reformbestrebungen unter staatlicher Kontrolle durchgeführt werden. „Auf den Trümmer- und Schuttstätten sollen neue Orte, wie der Phönix aus der Asche, entstehen, schöner und herrlicher als zuvor, ein Ruhmesblatt deutscher Archi­ tekten. Schmucke Häuschen in blühenden Gärten reihen sich zu Straßen und Plätzen zusammen, an denen die neuen öffentlichen Gebäude eine Zierde des Ortes bilden. Sie sind, soweit das Auge reicht, von wogenden Feldern umschlossen. Auf den breiten Straßen mit wiedererstandenen oder neuen Kunstbauten, die die Orte verbinden, herr­ sche bald geschäftiges Leben und Treiben einer arbeitsamen Bevölkerung. Schwerbe­ ladene Bahnzüge verteilen den Segen des Ackers und der Werkstätten, des Handels und der Schifffahrt über das ganze Land und weithin nach dem Osten und dem Wes­ ten.“ 50 Schmucke Häuser in blühenden Gärten über das ganze Land verteilt und mit­ tendrin besondere öffentliche Gebäude – das war der Traum der Reformer, der erst­

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In Ostpreußen dagegen konnte die Besichtigung der Schäden bereits beginnen, als sich das ganze Reich noch im begeisterten Kriegstaumel befand. „Kaum ist der Feind

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mals nicht nur auf einem Berg, der nicht in der Traumphantasie eines Schriftstellers, sondern in einer tatsächlichen Region real greifbar nahe schien. Ganz Ostpreußen soll­ te ideale Vorstadt, sollte Gartenstadt werden. Verschiedene Autoren forderten einhellig einen raschen gelenkten Wiederaufbau. Bereits unmittelbar nach den Kriegszerstörungen versprach der Kaiser schnelle Hilfe   51 und beschloss am 24. September 1914 die Einrichtung einer Kriegshilfekom­ mission.52 Unterdessen machte man sich im Reich Gedanken, überlegte intensiv, was konkret zu unternehmen sei. Dabei begrüßte man geradezu die Zerstörungen, freute sich über das zerstörerische Vorgehen der russischen Armeen. Erst der Krieg habe das Land auf den Nullpunkt gebracht, von dem aus eine harmonische Gesellschaft neu konstruiert werden könne. „Die russischen Truppen haben durch ihre Zerstörungen im Osten eine Anzahl Aufgaben gestellt, die ohne sie sobald nicht zur Lösung gekom­ men wären.“ 53 Doch die gestellten Aufgaben, darin waren sich die Beobachter einig, konnten von den Kräften, die vor Ort arbeiteten, nicht gelöst werden. Selbst in der Großstadt ­Königsberg gab es nicht genug Architekten, denen man einen Wiederaufbau im Sin­ ne der Reform zugetraut hätte. „Für das Gelingen des großen Kulturwerks, das schon jetzt in seinen weitverzweigten Einzelgebieten vorbereitet werden soll, wird es also im ­wesentlichen darauf ankommen, die besten vorhandenen Kräfte auch wirklich an die einer großzügigen und einheitlichen Bebauung harrenden Aufgaben heranzu­ bringen.“  54 Der Wiederaufbau der zerstörten Ortschaften wurde als deutsches Kulturwerk be­ griffen. Im Winter 1914 war die schlichte Wohnraumbeschaffung für die Obdachlosen ein offenbar schon zweitrangiges Problem! Man diskutierte vor allem in Westdeutsch­ land über die idealtypische Umsetzung der Reform. Der Krieg, der als Reformkrieg be­ gonnen worden war, zeigte, so die allgemeine Überzeugung, im Osten erste Früchte. Zerstörung und reformgemäßer Wiederaufbau wurden fast als logische Folge begriffen, als vorbildliche Reihenfolge auch für andere Landstriche. „Der Wiederaufbau des in Ostpreußen durch den Krieg Zerstörten soll großzügig und einheitlich in einer für die Zukunft vorbildlichen Weise geschehen. Alle techni­ schen, künstlerischen und wirtschaftlichen Errungenschaften und Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte sollen dabei zum ersten Male in großem Maßstabe und in innigs­ tem Zusammenhange zur Anwendung kommen, so dass der Wiederaufbau in seiner Gesamtheit nicht nur dem Umfange nach, sondern auch inhaltlich gleichsam eine Ge­ neralprobe unseres Könnens und Wollens wird. Ein Markstein fast unsrer gesamten kulturellen Friedensarbeit soll damit geschaffen werden, der für alle Zukunft um so bedeutungsvoller sein muss, als er mitten aus schwerster Kriegsbedrängnis heraus entsteht.“ 55 Wenn Ostpreußen erst ein ideales Land geworden sei, dann könne in Frie­ denszeiten mit dem Umbau des übrigen Deutschlands fortgefahren werden. Ostpreu­ ßen war ein Labor. Die Zerstörung sollte die Grundlage liefern für das vielleicht größte staatlich gelenkte Architektur-Experiment in der Geschichte Deutschlands. Das Wiedererstehen der zerstörten ostpreußischen Ortschaften wurde zur nationa­ len Frage erklärt.56 Der Deutsche Bund Heimatschutz 57, die Vereinigung der Berliner Architekten,58 der Verband deutscher Architekten- und Ingenieurvereine, natürlich 234

der Deutsche Werkbund 59 und andere 60 adressierten Eingaben an den Oberpräsiden­ ten von Ostpreußen, in denen sie einen schnellen und architektonisch wohlüberlegten Wiederaufbau forderten. Gerade der Aufruf des Werkbundes fand breites Gehör. Fünf­ hundert bis achthundert 61 Architekten meldeten sich freiwillig, wollten am Wieder­ aufbau teilnehmen. Zum Vorsitzenden der Kriegshilfekommission war Oberpräsident von Batocki be­ stimmt worden.62 Neben anderen gehörte der Provinzialkonservator Dethlefsen zu den Mitgliedern der Kommission. Zu den zur Sitzung am 18. 12. 1914 geladenen Teilneh­ mern gehörten ein Vertreter des Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieurver­ eine (Saran, Berlin), ein Vertreter der Königsberger Kunstakademie (Cauer, Königsberg), ein Mitglied der Vereinigung ostpreußischer Künstler und Kunstfreunde (Hugo Wag­ ner, ehemals Bremen, jetzt Berlin, uns bereits als Architekt der Kaffee-Handels-AG in Bremen bekannt) und zwei Vertreter der freien deutschen Architektenschaft (Kuckuck, Königsberg und Zühlke, Insterburg).63 Die Teilnehmer der Tagung hatten am 17. Dezember 1914 die zerstörten Ortschaf­ ten Domnau, Allenburg und Gerdauen und daneben die Dörfer Uderwangen und Ab­ schwangen besichtigt. In Gerdauen, einer Stadt mit ehemals 3000 Einwohnern, waren 100 von 236 Bauten zerstört worden.64 In Domnau und Allenburg waren die Verhält­ nisse vergleichbar. Die drei Städte wurden in den folgenden Jahren Musterstädte des Wiederaufbaus, Versuchsanordnungen im großen Maßstab. Nach dem von Hugo Wagner ausgearbeiteten Plan wurden in ganz Deutschland Pa­ tenschaften zwischen westlichen und den vom Krieg getroffenen östlichen Gemein­ den geschlossen.65 Über die Patenschaften sollten die Mehrleistungen finanziert wer­ den, die durch staatliche Entschädigungen nicht abgedeckt waren – Veränderungen der Stadtgrundrisse oder der Bau von Denkmälern. Das Interesse an Ostpreußen, das seinen Niederschlag in zahllosen Zeitungs­ artikeln und Zeitschriftenaufsätzen fand, war angesichts des andauernden Krieges im Westen bemerkenswert.66 „Wohl selten wurde über ein Thema in den Baufachzeit­ schriften so viel geschrieben und [wurden] so viele Ratschläge erteilt.“ 67

1. Viele vor allem junge Architekten sahen in der Wiederaufbautätigkeit die Chance, trotz Krieg und stillstehender Baustellen in ihrem eben gelernten Beruf arbeiten zu können. Hinzu kam, dass sie hier am nationalen Experi­ ment Reform unmittelbar beteiligt waren. Gerade die Jahrgänge von 1870 bis 1885 hatten die Reformideale verinnerlicht, sahen den Kontrast zwi­ schen gründerzeitlichem Chaos und neuer Ordnung. Ganz nebenbei (oder auch zuvorderst) konnten die Architekten so dem Kriegsdienst entgehen. 2 . Ostpreußen lag weit weg von den zentralen deutschen Orten. Ostpreußen­ war stets latent in seiner kulturellen Existenz bedroht. In Ostpreußen mus­ ste die Einheit der Nation wortreicher bestätigt werden als anderswo. Die ideale Wiederaufbauarchitektur sollte nicht zuletzt dieser Bestätigung die­ nen. Die Tätig­keit wurde als eine nationale Aufgabe verstanden.

Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

Folgende Ursachen des Interesses lassen sich ermitteln:

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3. Offensichtlich vermittelte der Wiederaufbau der zerstörten Ortschaften den Deutschen die Hoffnung, dass der Krieg tatsächlich einen Sinn habe, dass man sich also nicht mit der Begeisterung der ersten Tage getäuscht hatte. Mit dem Bewusstsein eines zumindest in einem Teilbereich begonnenen idealen Wieder­aufbaus konnte der Krieg im guten Sinne weitergeführt werden. 4 . In Ostpreußen bestand die Chance, Idealarchitektur im Sinne der Reform zu verwirklichen, Utopie Realität werden zu lassen.68 Ostpreußen wurde ein bislang noch nicht dagewesenes Experimentierfeld der Reform – alles was hier geschaffen wurde, schien für die Zukunft wichtig zu werden. Walter Curt Behrendt schrieb 1914, dass „die vom Kriegsunglück heimgesuchten Ort­ schaften in einem neuen schöneren Gewande“ 69 aufgebaut werden sollen. Er forderte, sie „zu größerem Ruhme des siegreichen Vaterlandes erstehen zu lassen“.70 Die Tätigkeit von hinzugezogenen Privatarchitekten hätte das Erreichen des hohen Ziels allein nicht versprochen – so die verbreitete Überzeugung. Zu groß war die Sor­ ge, dass sich ein Individualismus breit machte, der nicht der großen Idee des reform­ gemässen Wiederaufbaus entsprach. “Es muss also vollständig mit den Kunstbegrif­ fen des einfachen Bauherren eine Änderung vor sich gehen, und das wird keinesfalls ohne weiteres gelingen.“ 71 Um das Reformziel der Läuterung zu erreichen, sollten Bau­ beratungsstellen eingerichtet werden.72 Bereits vor 1914 hatte es in einigen deutschen Städten solche Beratungsstellen gegeben. Sie waren zumeist im Umfeld der Heimat­ schutz-Bünde zu finden. Die systematische, gesetzlich vorgeschriebene Bauberatung wurde zum wesentli­ chen Merkmal des Wiederaufbaus in Ostpreußen. Jeder Bauherr, der sein zerstörtes An­ wesen wiederherstellen wollte, durfte sich zwar einen Architekten nach seiner Wahl su­ chen (musste es ab einer gewissen Baugröße sogar), doch mussten die Entwürfe vorher der Beratungsstelle vorgelegt werden, sofern er Geld vom Staat bekommen wollte. In zahlreichen (erst 15, später 25) Städten der Provinz wurden im Frühjahr 1915 lokale Bau­ beratungsstellen eingerichtet, in Königsberg eine zentrale.73 Doch „was will – was kann nun die Bauberatung erreichen“? 74 Welche Erwartungen legten die Heimatschutz-Bün­ de und Architekten-Vereinigungen in die Beratung der Bauherren? Ludwig Goldstein versuchte, die Erwartungen zu formulieren. Das oberste Gesetz der neuen, unter der Anleitung der Bauberatung errichteten Gebäude sei die innere „Harmonie der Schön­ heit und der Zweckmäßigkeit [sic!]“.75 Desweiteren sei die „Ehrlichkeit der Bauausfüh­ rung“  76 wesentlich. „Beste Baukunst ist ohne Ehrlichkeit, Schlichtheit und Geradheit nicht denkbar.“  77 Wir stoßen hier auf Begriffe, die bereits vor 1914 zu den meistgebrauch­ ten Worten der Lebensreform gehörten. Ein Bauwerk sollte innere Werte besitzen, die zu repräsentieren seien. Die inneren Werte hießen etwas nebulös Ehrlichkeit, Schlicht­ heit und Gradheit, waren also Umschreibungen, die mehr durch die Abwesenheit der Formen auszudrücken waren als durch eine bestimmte Art der Gestaltung. Wenn wir Goldstein folgen, dann sollten die Bauberatungsämter die eingereichten Entwürfe auf ihre inneren Werte prüfen, also vor allem auf die Abwesenheit falscher Formen. Die Bauberatungsstellen waren folglich keineswegs Behörden, die die Angepasst­ heit der Bauten an die Umgebung oder an Nachbararchitektur prüften. Vielmehr 236

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kontrollierten die Beratungsstellen die Einhaltung der Parameter der Reform. Jedes Bauwerk der zukünftigen idealen Gesellschaft müsse auch in sich ideal sein, müsse gelungene Repräsentation ( = Harmonie) versprechen. Gerade die engagiertesten Vertreter der Reformbewegung frohlockten über die nun verbindlichen Beratungsstellen, über die staatlich garantierte Durchsetzung und Prü­ fung der Reform. Hugo Wagner, bis 1914 Architekt, Reformer und Bauberater in Bremen und nach 1915 Bezirksarchitekt in Johannisburg, beteiligte sich zentral an der Planung des Wieder­aufbaus. Auch Paul Schultze-Naumburg, der wohl exponierteste Reformer in Deutschland, meldete sich zu Wort: „Ganz Deutschland hat die Lehren, die sich aus der zu leistenden Kulturarbeit offen für das ganze Volk ergeben werden, dringend notwendig. Ist die Ar­ mut Ostpreußens an alter architektonischer Kultur eine Ausnahme in den Provinzen Deutschlands, so kann die Entstellung durch die neuere Bautätigkeit leider nicht zu den Ausnahmen gerechnet werden.“ 78 Schultze-Naumburg lieferte überhaupt erst die Begründung für einen veränderten Wiederaufbau. Die ländlichen Ortschaften in Ost­ preußen, seiner Ansicht nach sowieso arm an Kultur, seien im späten 19. Jahrhundert entstellt worden, seien von einer traditionellen Harmonie weggeführt worden. Diese Fehlentwicklung müsse der Wiederaufbau bereinigen. „Die Freunde der Überlieferung haben die Berechtigung der Forderung zugegeben, dass keine alten Formen gleichsam bloß als leblose Hüllen ohne innere Notwendigkeit nachgeformt werden dürfen, sondern in der lebenden Kunst nur dann weitere Berech­ tigung hätten, wenn sie sich aus gleichen Bedingungen ganz von selbst [sic!] ergäben, dass sie dann allerdings nicht künstlich gemieden werden sollten. Andererseits er­ kannten auch die ‚Modernen‘, dass sie den meisten ganz natürlichen Formen bloß des­ wegen im weiten Bogen aus dem Wege gegangen waren, weil ihr Glaubensbekenntnis es ihnen verboten hatte.“  79 Schultze-Naumburg beginnt hier mit einer Gegenüberstellung von modernen Re­ formern versus Heimatschützern. Dieses erste Aufbrechen eines Dualismus’, der in den 1920er Jahren als systemimmanenter Konflikt offen zutage treten sollte, zeigt, dass Schultze-Naumburg die Schriften von Behrens und Gropius gelesen hatte, dass er ­deren Hinwendung zur Ökonomie und Rationalität missbilligte. „Auch der Heimatschutz wird nur dann die große Aufgabe in seinem Sinne gelöst sehen, wenn jedes Bauwerk zwar durchaus aus seinem Zweck und Ziel heraus entsteht, das Ganze aber trotzdem seine Herkunft und seinen Boden nicht verleugnet, indem es alle noch lebenden Überlieferungen fortführt und den Werken dadurch ein inneres Le­ ben verleiht, das kalte internationale Konstruktionen nie besitzen können, die ebenso gut in irgendeinem andern Teile der Welt stehen könnten.“  80 Schultze-Naumburg beharrte auf eine bodenständige, eine verwurzelte Architek­ tur. Die neuen Strömungen, die die Maschine als wahren Kern sahen, beschrieb er als kalt und international und damit als nicht lokal verankert. Ein „Amerikanismus“,81 der sich mit Behrens und Gropius etabliert habe, dürfe in Ostpreußen nahe der russi­ schen Grenze unmöglich umgesetzt werden. Gerade hier, abseits der Großstädte, ab­ seits der technischen Geschwindigkeit, sei nationale Architektur notwendig. So sah es

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Schultze-­Naumburg, so oder ähnlich sahen es aber auch fast alle anderen am Wieder­ aufbau beteiligten Architekten. Hermann Muthesius, damals noch Vorsitzender des Deutschen Werkbundes, betei­ ligte sich an der Debatte über die zukünftige, hier zu verwirklichende Architektur der deutschen Nation. „In Ostpreußen ist jetzt schon die Bautätigkeit eingeleitet; wie sie sich in Belgien gestalten wird, ist jetzt noch nicht abzusehen. In dieser wiederaufbau­ enden Tätigkeit liegt nun die erste Arbeit des neuen Deutschland vor. Es wird darauf ankommen, sie in derselben Großzügigkeit zu erledigen, dieselbe vollendete Organi­ sation an ihr zu bestätigen, von der unsere militärische und wirtschaftliche Rüstung ein so glänzendes Zeugnis abgelegt haben […] Die Grundsätze des Heimatschutzes be­ stehen nicht so sehr in der Wiederholung der bisher an einem Orte üblich gewesenen guten oder weniger guten Bauformen als vielmehr in einer sinngemäßen Fortführung der örtlichen Bauüberlieferung im Geiste der Gegenwart 82 […] Sache des Heimatschut­ zes ist es jedoch, dafür zu sorgen, dass die Erscheinung auch eines neuartigen Bau­ ens sich dem Ortscharakter in einer Weise einfügt, dass Härten vermieden werden.“ 83 Muthesius glaubt, dass Moderne und Heimatschutz sich in einer richtigen, angemes­ senen Architektur vereinen können – eine Architektur, die das erste Zeugnis des neu­ en Deutschlands sein werde. Das neue Deutschland war eine Vision, war ein Bild einer harmonischen, besseren vorstädtischen Gesellschaft, die man 1915 immer noch als Kriegsziel erwartete. Im Gegensatz zu Schultze-Naumburg sah Muthesius den sich an­ kündigenden Konflikt zwischen den Modernen und Traditionalisten nicht bzw. er er­ wartete einen Ausgleich der Positionen. Er sah mit Idealismus das eine neue Deutsch­ land, in dem alle differierenden Ansichten zur Harmonie geführt werden können. Zwar musste Muthesius sicher an die Auseinandersetzung während der Werkbund-Tagung in Köln 1914 zurückdenken, auf der er als Typisierer abgestempelt worden war, doch durch den Krieg empfand er offenbar den Konflikt zwischen Künstlern und Pragma­ tikern als erledigt. Gerade beim Wiederaufbau in Ostpreußen, bei dem es auf kosten­ günstige Lösungen ankam, müssten Künstler Pragmatiker werden, sollten Künstler über Typisierung und Serienfertigung nachdenken. Der Wiederaufbau der zerstörten Ortschaften begann in der Jahresmitte 1915. Um unter Kriegsbedingungen den Wiederaufbau voranzutreiben, wurden Fran­ zosen, Belgier und Russen als Zwangsarbeiter auf die ostpreußischen Baustellen ge­ bracht.84 In den ersten Jahren lief der Wiederaufbau nach Plan. Bis zum Jahresende 1916 war bereits in etwa die Hälfte des Wiederaufbaus beendet.85 Doch ab 1917 kamen die Arbeiten ins Stocken, vor allem Baumaterial wurde knapp. Auch wurden immer mehr Arbeiter von den Militärbehörden eingezogen.86 Im Friedensjahr 1922 konnte dann der Wiederaufbau trotz aller Schwierigkeiten weitgehend abgeschlossen werden.87­ Ludwig Goldstein, Mitbegründer der Reformzeitschrift „Neue Kunst in Alt-Preus­ sen“, bereiste zahlreiche Orte und beschrieb seine Eindrücke vor dem Wiederaufbau. „Im Walde ist es still, bisweilen totenstill. Das Land ist leer. Nichts Lebendes! Nur selten ein Vogel, noch seltener ein Mensch. Ein Steinkreuz am Wege bezeichnet ein einsames Heidegrab. Auch hier ist im Spätsommer 1914 bitter gekämpft worden. Die Spuren der Russen erkennt man noch an rohen Abholzungen. Einmal sieht man sogar Reste eines Schützengrabens, der sich quer über die Chaussee hinzog. […] In Turoscheln ist nur die 238

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Kirche und ein Haus erhalten. Man wohnt noch heute in Baracken. Im ersten Jahre wa­ ren in einer solchen die Familie des Pfarrers, des Gendarms und des Hegemeisters so­ wie die kaiserliche Reichspost zusammengepfercht! Die Wände der Baracken sind mit Torfmull gefüllt, der leider Ungeziefer in Mengen mitbringt und anzieht.“  88 Goldstein beschreibt die Ausgangssituation der Reform. Als traurige Ruinenlandschaft werden Ida Hofmann und Henry Oedenkoven auch den verlassenen Monescia erlebt haben, als sie den Tessiner Hügel das erste Mal betraten, als sie auf die verfallenen Steinhäuser der Vorbesitzer trafen. Die ostpreußische Bevölkerung musste nach der Rückkehr in die zerstörte Heimat in Baracken und in Erdlöchern aushalten. Wiederaufgebaut wurden zuerst die Wirt­ schaftsgebäude, die Ställe und die Scheunen, erst anschließend die Wohngebäude und Herrenhäuser. Nur derjenige, der auf die staatliche Entschädigung verzichtete, brauch­ te sich nicht an diese Reihenfolge halten, brauchte auch nicht den Weisungen der Bau­ beratung zu folgen. Aber das Leben in Baracken und Notunterkünften sollte keine Dauerlösung wer­ den. Im Gegenteil: Der Wiederaufbau der zerstörten Ortschaften, der Aufbau eines neu­ en­Deutschlands, sollte neben der Einlösung hoher ästhetischer Ziele auch die sozia­ le­Lage der Bevölkerung verbessern. So waren die Bauberatungsstellen angewiesen zu prüfen, ob eine Veränderung der Grundrisse, eine neue Festsetzung der Geschoß­ höhenzahl und möglicherweise eine Umlegung der Grundstücke zu einer Verbesse­ rung der Lebensqualität und der äußeren Wirkung (die auf innere Qualität verweisen würde) führen könnten. Auch wurde für Arbeiterhäuser, in Ostpreußen „Insthäuser“ genannt, Mindestgrößen festgesetzt.89 Um den verbessernden Wiederaufbau zu recht­ fertigen wurden die Vorkriegs- Lebensbedingungen der ostpreußischen Landarbeiter verurteilt. „Eine Verbesserung der Arbeiterwohnweise“, so hieß es in der Bauwelt 1916, „ist in Ostpreußen allerdings unumgänglich. Die bisherigen Wohnungen sind den Fort­ schritten des übrigen Deutschland nur sehr zögernd gefolgt und haben an ihrem Tei­ le zu den schwierigen Arbeiterverhältnissen und der Zuziehung russischer Wander­ arbeiter beigetragen.“ 90 Die schlechte Wohnsituation, so kann man schlussfolgern, habe den Bestand der Nation gefährdet. Doch die sozialen Besserungen und das Wiederingangbringen der Landwirtschaft waren offenbar nicht vorrangige Ziele. Wichtiger war das Erscheinungsbild der wie­ deraufgebauten Ortschaften, ein Bild, das wiederum wesentlichen Einfluss auf das soziale Befinden der Bewohner haben sollte. Das Erscheinungsbild galt als ein Wert, der über den funktionalen Ansprüchen stand. Eine Besserung des Erscheinungsbildes würde geradezu automatisch eine funktionale und soziale Besserung nach sich ziehen. Um eine verbindliche angemessene Gestaltung, die in den Bauberatungsämtern propagiert werden konnte, zu finden, wurde die Orientierung an der tradierten Gestal­ tung vorgeschlagen. In der Bauwelt beispielsweise wurden 1916 vom Leiter der zen­ tralen Bauberatungsstelle in Königsberg, Fischer, traditionelle ostpreußische Bauern­ häuser vorgestellt.91 Zwei Abbildungen zeigen hölzerne Hütten, die der Thoreau-Hütte durchaus ähnlich sehen. Eine Bildunterschrift besagt, dass „diese Häuser […] in vieler Beziehung den Neubauten als Vorbilder dienen“  92 werden. Hans Schwab schrieb in der Neudeutschen Bauzeitung: „Das ostdeutsche Haus repräsentiert einen ganz be­

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Vorbilder des Neuaufbaus: Traditionelle Bauernhäuser, hier im Kreis Goldap. Quelle: Fischer 1916, S. 11 ff.

sonderen Bautypus, der doppelt interessant ist, da es als einer der Urtypen, auf denen sich unser Wohnhaus aufbaut, anzusehen ist. [sic!] Es ist ein einstöckiges Holzblockoder Fachwerkgebäude. Der Grundriss lässt sich stets auf einen rechteckigen dreisässi­ gen Grundtypus zurückführen, der entstanden ist durch Aneinanderreihung einzelner Räume: Küche, Stube und Wirtschaftsraum, in Masuren ‚Namas‘, ‚Stuba‘ und ‚Maltuwa‘ genannt. Charakteristisch für das ostdeutsche Haus sind die vorgebauten Lauben, die ursprünglich die ganze Breite des Hauses einnahmen. Später wurden sie oft zur Hälf­ te eingebaut, so dass Ecklauben entstanden; seltener vorkommende Ausbauten an der Längsfront des Hauses führten dann auch zu seitlichen Laubenanlagen. Diese Lauben, sowie die Blockwandkonstruktion werden oft auf einen nordischen Ursprung dieses Hauses gedeutet.“ 93 Das traditionelle ostpreußische Bauernhaus wurde zum architektonischen Urtyp schlechthin erklärt, an dem man nur anknüpfen müsse. Und tatsächlich verfügte der Urtyp bereits über das wesentliche Merkmal der Reformarchitektur – die Laube (oder 240

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Veranda oder Liegehalle). Weiter Schwab: „Als Schmuckformen kommen nur die ver­ schiedenartige Behandlung der Giebelverschalung und die Formgebung der Lauben­ säulen in Betracht sowie die mehr oder weniger reiche Profilierung und Ausbildung der Reithölzer, welche die Stroheindrücke am Firste zu halten haben, so dass das ost­ deutsche Haus, im Vergleich zu den süddeutschen Bauernhäusern, einen mehr stren­ gen Eindruck macht.“  94 Die ungestalten Urtypen konnten mithilfe einiger „reizvoller Details“, die nicht als Dekorationen zu verstehen waren, zur schönen, zeitgemäßen ­A rchitektur überführt werden.95 Selbst die tradierten Dachformen widersprachen nicht den von den Reformarchi­ tekten entwickelten Giebel- und Mansarddächern. „Ganz besonders aber sind hier die Dachformen vorbildlich. Diese sind im Verein mit den eigenartigen Lauben die mar­ kantesten Kennzeichen der ostdeutschen Bauart, durch welche äußerst malerische und zugleich praktische Lösungen erzielt worden sind.“ 96 Was für ein Zufall: das tradi­ tionelle ostpreußische Urhaus gleicht dem europäischen Reformhaus! Seine tradier­ ten schlichten Formen und Behandlungen der Giebelbretter verweisen auf – eine alte Wahrheit, auf ein Naturgesetz des Bauens. Oberbaurat Lange, nach Fischer Leiter des Hauptberatungsamtes in Königsberg, schrieb rückblickend: „Das Studium der noch vorhandenen guten Beispiele ergab, dass die ostpreußische Baukunst frei von Übertreibungen und Kaprizen war und in ihrer herben Schönheit, strengen Sachlichkeit und in ihrer kernhaften gesunden Art [sic!] den besten Architekturrichtungen gleicher Gebäudegattungen gleichgestellt zu wer­ den verdient. Sie ist dem Ornament und sonstigen Schmucke keineswegs abhold, will wohl gute Schmuckwerte zurückhaltend an richtiger Stelle tragen, sich aber nicht reich behängen.“ 97 Mit denselben Worten hätte ein Kritiker um 1910 gute Reformar­ chitektur beschreiben können. In Ostpreußen wurde eine völlige Kongruenz zwischen traditioneller und der Reformarchitektur entdeckt! Die in Westeuropa und im alpenländischen Raum entwickelte Reformarchitek­ tur wurde durch den Rückgriff auf die Tradition und die damit eingehende formale An­gleichung in Ostpreußen legitimiert. Dieses strategische Vorgehen führte zu einer ­erstaunlichen Einheitlichkeit der angewandten Formen. „Die Einheitlichkeit des Deckungsmaterials der Dächer, die alle annähernd gleiche Winkelneigung haben, die Einheitlichkeit der Baustoffe, des Stiles und der Verhältnisse verbinden alle Gebäude zu einer ruhigen Geschlossenheit. Solche Anlagen in guter Gesinnung erdacht und gewissenhaft ausgeführt, stehen mit ihren langgedehnten roten Dächern, mit weißen Wandflächen und straffgezogenen Umrisslinien ausdrucks­ voll in der weit sich ausbreitenden ostpreußischen Landschaft.“ 98 Lange verfasste die Beschreibung 1928, sechs Jahre nach weitgehendem Abschluss der Wiederaufbau­ arbeiten. Offenbar war er mit dem einheitlichen Ergebnis, das nicht zu letzt den Zwän­ gen der Bauberatung zu verdanken war, zufrieden. Die Bauberatung und die einheitlichen Vorstellungen der Architekten hatten dazu geführt, dass sich die jeweilige Architektur der wiederaufgebauten Orte oft nur mit Mühe unterscheiden ließ.99 Die Bauberatung hatte bis ins Detail der Entwürfe eingegriffen. „Alle Vorbauten und Rücksprünge, auch Balkone und Erker, sind für das Stadtbild von wesentlicher Be­

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deutung und dürften nur zugelassen sein, wenn sie von der Bauberatung empfohlen werden“, schrieb Hugo Wagner am 2. November 1914 im Auftrag des Ausschusses des Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine.100 Aus eigenem Antrieb oder gedrängt von der systematischen Bauberatung: Alle Architekten benutzen die in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten verinnerlichten Elemente der Reformarchitektur. Vor allem benutzten sie die Formensprache der von Schultze-Naumburg in seinen Kulturarbeiten vorgestellten biedermeierlichen Bürger­ hausarchitektur. Darüber hinaus jedoch versuchten sie den Anforderungen der moder­ nen, automobilen Zeit gerecht zu werden (die gerade der technisierte Krieg offenbart hatte), indem sie die Bauten in den Formen vereinheitlichten, sie „strafften“, Rhyth­ men entwickelten und in den Städten bevorzugt Reihenhäuser bauten. Hier folgten sie genau dem ökonomischen Zwang, den Gropius als gestaltbildend beschrieben hatte – trotz Schultze-Naumburgs Ablehnung. Lange schrieb weiter: Es „[…] stellten sich […] die Behörden und Privatarchitekten das höhere Ziel, wirtschaftlich, technisch und architektonisch möglichst reife Lösun­ gen im Sinne der Heimatkunstbewegungen anzustreben und zwar im Umfange des ganzen Wiederaufbaues in Stadt und Land. Es sollte schlicht, ohne Prunk und Über­ treibung, aber gesund, praktisch wertvoll und in künstlerisch guter Formgebung ge­ baut werden. Die ganzen Jahre hindurch ist dieses Ziel allen, beim Wiederaufbau täti­ gen gewissenhaften Kreisen unverändert vor Augen geblieben.“ 101 Doch so harmonisch, wie der Leiter des zentralen Bauberatungsamtes die Lage schilderte, schien sie zumindest in der Endphase des Krieges nicht gewesen zu sein. Zahlreiche verstimmte Äußerungen, die sich in Zeitschriften finden lassen, deuten da­ rauf hin, dass viele Architekten sich dem Gestaltungsdruck der Bauberatung unterord­ nen mussten, nicht ihre eigentlichen, von den Reformprinzipien längst abweichenden Vorstellungen umsetzen konnten. In der „Deutschen Bauhütte“ hieß es 1918: „So ist aus der ursprünglich geplanten Geschmacksberatung eine Geschmackspolizei geworden, die sich zu unerträglicher Geschmackstyrannei auswächst, wenn sie auch gegenüber künstlerisch reifen Persönlichkeiten und anerkannten Meistern der Baukunst unter den ausführenden Architekten in Anwendung kommt. Es ist daher auch kein Wunder, dass unter solchen Umständen wirklich hervorragende Architekten wie Schilling und Gräbner (Dresden) und Bruno Möhring (Berlin), die von den Patenstädten nach Ost­ preußen berufen waren, dort kein Feld für eine ersprießliche Tätigkeit finden konnten. […] Von autoritativer Stelle soll das bittere Wort gefallen sein, dass die ganze Einrich­ tung der Bauberatung ein Unglück für den Wiederaufbau Ostpreußens sei.“ 102 Möhring hatte Bauberater in Ortelsburg werden sollen und „machte denn auch bestimmte Vor­ schläge“.103 Möhring hatte daneben ein Einfamilienhaus in Rastenburg und einen Gas­ thaus in Juwendt entworfen, ohne sie offenbar zur Ausführung bringen zu können.104 Die Kritik am Reformexperiment Ostpreußen setzte erst in der Endphase des Krie­ ges ein, als der Krieg endgültig verloren schien. Wir erkennen auch hier einen Zusam­ menhang zwischen Krieg und Reformtätigkeit. Solange ein baldiger Sieg erhofft wurde, solange war die Tätigkeit in Ostpreußen der Beginn einer neuen Zeit, der Aufbau einer neuen Gesellschaft. Als jedoch der Krieg verloren schien, sah man in den aufwendi­ gen Bemühungen, vor allem in den zeitraubenden Bauberatungen, nur noch eine ver­ 242

gebliche Mühe, ein Hindernis für individuelle Experimente. Die Niederlage im gro­ ßen Reformkrieg zerstörte auch die Heilsvorstellungen von einem einheitlichen, einem harmonischen neuen Deutschland. Individualismen, die bisher unter dem Mantel der Reform durchaus existent waren, die aber gezügelt blieben, kamen jetzt regellos zum Ausbruch. Die etwa 500 oder mehr Reformarchitekten, die zum Jahreswechsel 1914 / 1915 nach Ostpreußen gezogen waren, versuchten ein ganzes Land mit ihren Bauvorstellungen zu durchdringen – vom Arbeiter- bis zum Herrenhaus. Die Landschaft wurde Raum eines Reformprogramms, das den besseren, den geläuterten Menschen zum Ziel hat­ te. In folgenden Orten fand damals ein Wiederaufbau statt: „Alembork / A llenburg (heute Druzba), Dzialdowo / Soldau, Elk / Lyck, Gierdawy / Gerdauen (heute Zelesnodo­ roznyj), Goldap / Goldap, Domnowo / Domnau, Nidzica / Neidenburg, Olsztynek / Hohen­ / Stallupönen / Ebenrode (heute Niestierov), Szczytno  / Ortelsburg, stein, Stolupiany  ­Szyrwinty  / Schirwindt (heute Kutusovo). Arbeiten unterschiedlichen Ausmaßes wur­ den auch in ermländischen Biskupiec Reszelski / Bischofsburg, Darkiejmy / Darkehmen (heute Ozèrsk), Ejtkuny / Eydtkuhnen (heute Cernysevskoje), Gumbinnen (heute Gus­ jev), Olecko / Magrabowa / Treuburg, Pilkaly / Pilkallen (heute Dobrowolsk) und Tapiau /

1. Schirwindt Der Wiederaufbau der kleinen Stadt an der Grenze zu Russland wurde vom Bremer Kriegshilfsverein unterstützt.107 Zwar garantierte der Staat, die zerstörten Gebäude im alten Umfang wiederaufzubauen, doch für Verbesserungen mussten andere Mittel auf­ gebracht werden. Entsprechend hieß es in der Satzung des im Juni 1915 gegründeten Bremer Vereins: „Der Verein bezweckt, die staatlichen Hilfsmaßnahmen für den Wie­ deraufbau der durch den Krieg zerstörten ostpreußischen Stadt Schirwindt im Wege privater Fürsorge zu ergänzen und die gedeihliche Neuentwicklung der Stadt in einer dem örtlichen Bedürfnis entsprechenden Weise zu fördern, und zwar in Fühlung mit den einheimischen Behörden und der Einwohnerschaft. In den Rahmen der Vereinstätigkeit fallen vornehmlich Maßnahmen zur besseren Gestaltung des Wohnungswesens, der Stadtanlage und des Stadtbildes, unter Berück­ sichtigung der Bestrebungen des Heimatschutzes. Seine nächstliegende größere Auf­ gabe sieht der Verein in einer Stadterweiterung durch Errichtung wohnlicher Eigen­ heime mit größeren Gartengrundstücken als Ersatz für unhygienische und unsoziale Mietwohnungen in der Stadt selbst.“ 108 Die Satzung sagt es deutlich: mit Bremer Geld sollten Veränderungen im Sinne des sogenannten Heimatschutzes und der Reform durchgeführt werden, sollten ideale Vorstädte auch da realisiert werden, wo staatliches Geld nicht ausreichte.

Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

Tapiawa (heute Gvardiejsk) durchgeführt.“ 105 Auf den folgenden Seiten werden einige herausragende oder typische Wiederauf­ bau-Beispiele dokumentiert. Vielfach ist nicht überliefert, welche Bauten die einzelnen Architekten jeweils errichtet haben. In den meisten Städten waren mehrere Architek­ ten gleichzeitig tätig, ohne dass sich ihre Arbeiten unterscheiden lassen.106 Wir kön­ nen die wiederaufgebauten Häuser also nur sehr vorsichtig einem Künstler zuordnen.

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In Schirwindt hatten die Kriegshandlungen von 118 Wohnhäusern nur 4, von 195 Wirtschaftsgebäuden nur 19 unzerstört gelassen. Auch die Kirche wurde beschädigt. Noch 1918 konnte ein Durchreisender folgende Beobachtungen machen: „Auf dem meterhohen Schutt wachsen wilde Blumen. Die Keller stehen voll Wasser und sehen wie Zisternen aus. In der Kirchhofsmauer starren noch die improvisierten Schießscharten. Die Einwohner sind längst heimgekehrt, aber sie hausen noch heute in Notwohnungen. Und was für welche! Es gibt acht Baracken zu achtzehn Abteilun­ gen; fast in jeder Abteilung lebt eine ganze Familie. Die Wohnungen sind jeder Kälte und Hitze ausgesetzt und üben auf das Ungeziefer eine unerhörte Anziehungskraft aus. Das ‚Rathaus‘ ist ein mit Dachpappe verklebter Schuppen. Das Hotel ‚Bremer Hof‘ […] ist eine Holzbaracke. Diese Zustände bestehen jetzt bald vier Jahre – ob sie noch vier Jahre bestehen werden?“ 109 Wie lange die geschilderten Zustände noch anhielten, ist nicht bekannt. Aus zahlreichen Abbildungen sind uns allerdings die neu errichteten und wohl bald nach 1918 oder 1920 bezugsfertigen Gebäude überliefert. In Schirwindt waren unter der Generalplanung von Kurt Frick neben anderen die Architekten Henry Brettschneider aus Danzig, Leymann & Luley 110 aus Bremen, Otto Walter Kuckuck 111 aus Königsberg und Erich Göttgen 112 ebenfalls aus Königsberg tätig.113 Die Fassaden der in der Regel zweistöckigen Bauten waren verputzt und farbig ge­ fasst (allerdings sind die überlieferten Abbildungen alle in schwarz-weiß). Sie wurden durch die Anordnung der Fenster sowie durch breite weiß gehaltene Gesimse, Profile und Lisenen gegliedert; sie haben so einen einheitlichen Rhythmus bekommen. Gele­ gentlich unterstützten zurückhalten eingesetzte klassizistische Elemente die Wirkung. Die Architektur hielt sich an das Vorbild um 1800, das Paul Schultze-Naumburg und Paul Mebes vor dem Krieg propagiert hatten. Wir sehen in Schirwindt das Wiederer­ stehen eines biedermeierlichen Klassizismus, einer ruhigen, bürgerlichen Architektur. Manche Details gehen ein wenig darüber hinaus.114 So sind einige Schaufenster aus­ kragend wie Bay-Windows in die Fassade gesetzt.115 Grundsätzlich erkennen wir hier ebenfalls bereits eine Rhythmisierung der Ar­ chitektur: Immer gleiche Elemente wurden gereiht und komponiert. Die beschränk­ ten finanziellen Mittel während des Krieges zwangen Bauherren und Architekten zur Ökonomie. Die Architekten, die womöglich die Schriften von Behrens und Gropius kannten, die wahrscheinlich die Werkbund-Jahrbücher gelesen und die Bilder der Fa­ briken und der Verkehrsbauten betrachtet hatte, die vielleicht sogar schon von den Fa­ gus-Werken oder der „Kaffee-HAG “-Fabrik gehört hatten, begrüßten womöglich sogar die Beschränkungen – sahen darin nicht zuletzt eine Bedingung der neuen Architektur. Wir entdecken hier bereits eine Nähe zum später sich durchsetzenden Neuen Bau­ en – allerdings waren die Häuser noch ortsbezogen, noch an regionale Grundformen oder an die Vorstellungen regionaler Grundformen angepasst. Schirwindt wurde abermals im Zweiten Weltkrieg und danach zerstört – die Wieder­aufbau-Architektur ist nicht erhalten.

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2. Gerdauen Die Stadt Gerdauen war um 1920 bereits zu großen Teilen wiederaufgebaut.116 Ger­ dauen gehört bis heute zu den bekanntesten Wiederaufbau-Städten, was an der un­ gewöhnlich formreichen Architektur liegen mag. An „der westlichen und nördlichen Marktfront entstand eine stilistisch [an] klassizistische und barocke Bürgerbauten an­ knüpfende Häusergruppe. Im Vergleich mit anderen ostpreußischen Entwürfen dieser Zeit verwendete man hier ziemlich reiches Detail (u. a. vorspringende Portale und Ge­ simse). H. Stoffregen strebte gleichzeitig nach Differenzierung und Mannigfaltigkeit der Bebauung. Darum entstand ein starker Akzent in der nordswestlichen Marktecke – Hotel Reich mit einem Laubenrisalit. Zu den bemerkenswerten Lösungen gehörte auch die Einführung der dekorativen Motive, wie Fachwerkwände und Erker (z. B. Haus Wolff an der Ecke der ehem. Berg- und Kanalstraße). Der Entwurf wurde mit Sorgfalt in kompositionellen und architektonischen Details bearbeitet. Sehr genau wurden nicht nur die Gestalt der wichtigsten Plätze, sondern auch die Bebauung der inneren Stall­ straßen und Winkel entworfen […]. Beachtenswert sind hier die zwei noch erhaltenen Fachwerkspeicher  117 […]. Auch die sicher bewusste Heraushebung der charakteris­ tischen Stadtsilhouette von der Westseite her ist zu betonen.“ 118

Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

Heinz Stoffregen, Entwurf Wiederaufbau in Gerdauen, ca. 1915. Quelle: Sammlung Aschenbeck

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Heinz Stoffregen, Wiederaufbau-Architektur in Gerdauen, Hotel „Reich“, zeitgenössische Aufnahmen. Quelle: Sammlung Aschenbeck

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Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

Heinz Stoffregen, Wiederaufbau-Architektur in Gerdauen und gutes Beispiel für Stoffregens detailreiche und ausdifferenzierte Bauweise, zeitgenössische Aufnahmen. Das Haus steht noch heute, siehe Farbteil. Quelle: Sammlung Aschenbeck

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Über Gerdauen schrieb der durchreisende Goldstein: „Das neu erstandene Gerdauen ist ein Hort der Romantik. Ich glaube, dem verantwortlichen Baumeister […] hat die Gemütlichkeit altersgrauer süddeutscher Städte vorgeschwebt. Ueberall zeigt sich ein zartes Bemühen um reizvolle Abwechslung, das den Laien geradezu entzückt, wäh­ rend der Fachmann gegen diese altertümelnde, lyrisch versonnene Richtung allerlei einzuwenden hat […]. Etwas Putziges und Poetisches, etwas Spielerisches und Nied­ liches liegt über dem Ganzen und äußert sich auch in Einzelheiten, vom Oberlicht­ fenster bis zum Türschloss. Mit besonderer Liebe ist natürlich der Gasthof ausgestat­ tet. Reichs Hotel an der Nordwestecke des Marktes ist beinahe eine Sehenswürdigkeit geworden, die freilich auch manche Kritik herausfordern wird. Über eine kleine Frei­ treppe betritt man eine offene Säulenhalle, deren freiliegende Deckenbalken eine mun­ tere, auf rot und gelb gestimmte Bemalung aufweisen. Auch drinnen luftige, kecke Far­ ben auf allem Hölzernen. Wirtschaftsräume, Wagenschuppen, Stall, Privatwohnung, Fremdenzimmer, Schwemme, alles ist praktisch unter einem Dach vereinigt. […] Eine gewichtige Rolle spielt in der Kleinstadt auch die Apotheke. Wie das Hotel ist es ein auffallendes Eckhaus, das später noch durch ein hübsches Aushängeschild auf sich aufmerksam machen soll. Im Innern des Apothekenraums liest man ein Spruch­ band: Der Herr lässt die Arznei aus der Erde wachsen, und der Vernünftige verachtet sie nicht. Jes. Sir. 38,4. Aber auch die Formen der reinen Nutzbauten gehen dem Ge­ wohnten und Verbrauchten aus dem Weg, suchen Wechsel und Anmut.“ 119 Goldstein sah in Stoffregens Wiederaufbau-Bauten ein Wagnis. Stoffregen, der mit fast kubisch zu nennenden Fabrikbauten 1910 bekannt wurde (Linoleumwerke „Anker­ marke“, Delmenhorst), benutzte alle in der Reformzeit noch erlaubten Dekorationen überaus reichlich, ja, er schien über das Erlaubte noch hinauszugehen. So rekonstruier­ te er selbst eine mittelalterlich anmutende Fachwerk-Speicherarchitektur – und form­ te eine historische Stadt, die es in dieser formal reichen Ausstattung vor dem Krieg in Ostpreußen nicht gegeben hatte. Stoffregen hatte diese formalen „Ausschweifungen“ zweifellos strategisch einge­ setzt. Nur durch übersteigerte Formen könne das Heimatgefühl in Ostpreußen wieder geschaffen werden. Nur wenn die Architektur eine ideale harmonische Gesellschaft bereits lautstark verspreche, werden die verängstigten Menschen in diese Gesell­ schaft zurückfinden. Stoffregen, bis 1914 ein typischer Vertreter der Reformarchitek­ tur, wider­setzt sich hier der Logik naturgesetzlicher Schlichtheit, schuf eine irritie­ rend emotionale Architektur und ging bis an die Grenze dessen, was in dem System der Reform-Bedeutungskonstitution noch hinnehmbar war. Seine Bauten bekamen Erker, Fachwerkelemente, Rundbögen, Natursteinsockel, wellenförmige Gesimse, aus der Bauflucht heraustretende Strebepfeiler und angedeutete Mauerhaken.120 Als Rat­ haustür wurde eine kriegsbenagelte eiserne Pforte nach dem Entwurf von Peter Beh­ rens eingesetzt.121 Die Vielfalt der Architektur wurde von Stoffregen so weit getrieben, dass für einen Außenstehenden der Eindruck des Wiederaufbaus völlig verwischte, dass zwischen Alt und Neu kaum noch zu unterscheiden war. Die neuen Bauten sollten wie selbstverständlich, wie tatsächlich alt erscheinen – und funktionierten unter die­ ser Voraussetzung dann doch im Sinne der Reform. Jan Salm hebt Stoffregens Talent hervor, „Abwechslung zu schaffen, die Struktur der Fassade aufzulockern und kleine 248

gemütliche Plätze zu schaffen, die wie Bühnenbilder wirken“ 122. Die Bewohner sollten in ein behagliches, geordnetes Umfeld zurückkehren, in dem sofort eine ideale rekur­ sive Beziehung entstehen, sofort Vertrauen statt Fremdheit herrschen würde. Stoffregen vertrat in Gerdauen die Position des individuellen Künstlers – und nicht die der Typisierer und Normer, nicht die der Rationalisten.123 Er konnte mit seiner Ar­ chitektur eindrucksvoll belegen, dass sein Ansatz berechtigt war, da er funktionierte. Der Wiederaufbau von Gerdauen war (teilweise) eine Gemeinschaftsarbeit des Ar­ chitekten Heinz Stoffregen und des aus Düsseldorf stammenden Bauberaters Paul Eng­ ler  124, die damals beide in Gerdauen ansässig waren. Ihr jeweiliger Anteil am Wieder­ aufbau lässt sich nicht auseinanderhalten. Da sich aber Gerdauen von den anderen wiederaufgebauten Orten abhebt, lässt sich vermuten, dass beide Architekten sich ge­ meinsam vorwagten, gemeinsam eine sehr starke formale Reduzierung ablehnten. Das zeigt sich besonders am Rathaus-Wettbewerb in Lyck. Dort nahmen sowohl Engler als auch Stoffregen teil. Beide reichten durchaus verwandte Entwürfe ein. Paul Engler er­ hielt den ersten Preis, Heinz Stoffregen den zweiten – von immerhin 77 eingereichten Arbeiten.125 Stoffregen hatte ein Rathaus entworfen, das an norddeutsche Backsteingotik ge­ nauso wie an venezianische Renaissance-Architektur erinnern mag. Eine hohe Schein­ fassade mit spitzbogig abgeschlossenen Fenstern und zwei Heiligenfiguren dominiert

Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

Heinz Stoffregen, Entwurf für ein Haus in Laukischken, Ostpreußen 1917. Quelle: Sammlung Aschenbeck

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Auch Hans Meier baute in Gerdauen. Realisierte Bauten am Markt. Quelle: Der Wiederaufbau Ostpreußens in Sonderheften über die Arbeiten einzelner Baukünstler, 1. Band, Hans Meier, Architekt B. D. A. , Angerburg, Sonderdruck aus Dokumente deutscher Baukunst, Band 53, Berlin o. J.

den Bau. Der durchgehende Arkadengang, der vom Delmenhorster Rathaus übernom­ men scheint, ist das letzte Verbindungsglied zwischen erhaltenem Altbau und phan­ tasiertem Neubau.126 Stoffregen bekam für seine Bauten Kritik und Lob. Besonders Karl Ernst Osthaus, Direktor des Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe in Hagen, zeig­ te sich an Stoffregens Arbeiten interessiert, die er auf einer Wanderausstellung zeigen wollte. Osthaus vertrat die Meinung, dass Stoffregens Arbeit „von programmatischen Wert ist“.127 Es erstaunt nicht, dass gerade Osthaus Stoffregens Bauten lobte. Im Streit des Deutschen Werkbundes von 1914, ob Typisierung angestrebt werden sollte, oder ob die Künstler alle Freiheit haben sollten, vertrat Osthaus letztere Position. Stoffregens Wiederaufbautätigkeit stand somit auch im Gegensatz zu der unmittelbar vor dem Krieg formulierten Geschwindigkeits- und Typisierungs-Ästhetik. Stoffregen beharrte 250

3.  Gut Heiligenstein Weitere herausragende Bauten, von anderen Architekten errichtet, lagen in der unmit­ telbaren Nachbarschaft Gerdauens. Folgen wir der Beschreibung von Goldstein: „Die Kunststraße von Gerdauen nach Nordenburg sah nach Vertreibung der Feinde jam­ mervoll aus. Die schöne alte Eichenallee war auf Kilometer abgesäbelt. Südlich der Chaussee nur rauchende Dörfer und Güter, darunter Birkenfeld und Sechserben. Große herrschaftliche Wohnhäuser, weite Gehöfte mit langen Scheunen, Ställen, Speichern bildeten wüste Trümmerhaufen. Dafür ist nun aber Neues und Schönes erstanden! Das von der Kreisstadt nur eine Meile entfernte Bauerndorf Assaunen, das samt seiner Ordenskirche von 1406 fast ganz niedergebrannt war, sieht jetzt schmucker aus als je. Von Heiligenstein, einem Gut der Grafen Klinkowström, war buchstäblich nur die kleine Schmiede übrig geblieben. Jetzt blinkt ein weißes stolzes Herrenhaus weithin durch die Ebene. Es wirkt sehr majestätisch durch den Mittelbau mit seinen mächti­ gen Säulen, der breit ausladenden Altane und der stattlichen Unterfahrt auf der Rück­ seite – ein wahres Renommierstück des Wiederaufbaus, das denn auch allen rund rei­ senden Abgeordneten und anderen Interessenten gerne gezeigt wird.“ 130 Das Renommierstück des Wiederaufbaus hatte Hans Meier entworfen. Meier war im April 1915 von Berlin nach Gerdauen gegangen, hatte dann aber bald seinen Wohn­ sitz nach Angerburg verlegt. Das Rittergut Heiligenstein bestand aus einem langgestreckten, 11-achsigen, nur eingeschossigem Bau mit einem hohen Krüppelwalmdach. Das schlichte Bild wurde von einem mächtigen Portikus unterbrochen. „Das Herrenhaus mutet deutsch-baltisch an, zeigt diese Formen aber durchaus eigenwillig verwendet. Der Mittelbau mit seinen hohen weißen Säulen erscheint vielleicht etwas zu bedeutend; aber die Volks- und Adelskraft des alten gräflichen Geschlechtes sollte wohl darin sich aussprechen.“ 131 Das Herrenhaus ist von zahlreichen Wirtschaftsgebäuden umgeben, die boden­ ständig aus roten Ziegeln und mit kleinen Fenstern und weit heruntergezogenen Dä­ chern gestaltet wurden. Hans Meier hat die Fassaden einiger Wirtschaftsgebäude durch breite weiße Gesimse gegliedert (Pferde- und Viehstall). Auch die Giebel hat er deutlich weiß profiliert. Andere Wirtschaftsgebäude sind als reine Bretterschuppen konstruiert oder haben eine Fachwerk-Giebelfront bekommen.

Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

darauf, dass allein der Künstler die wirksamen Formen schaffen können, die eine funk­ tionierende Repräsentation aufbauen, dass das baukünstlerische Handwerk nicht zu standardisieren und zu normen ist.128 Seine Architektur war somit individualistischer und künstlerischer als andere Wiederaufbauprogramme in anderen ostpreußischen Städten, die architektonische Wirkung vor allem mit rhythmischer Wiederholung von Gesimsen, Giebeln und Lisenen zu erreichen suchten. 1918, kurz vor Ende des Krieges, wurde Gerdauen vom deutschen Kaiser besucht und als vorbildliche Wiederaufbaustadt vorgestellt.129 Vermutlich konnte auch der Kaiser, dessen Kunstverständnis kaum in der Moderne angekommen war, mit dem Wiederaufbau Gerdauens mehr sympathisieren als mit dem anderer Orte. Trotzdem: In Gerdauen hatte die Reform, die um 1900 in den Bergen begonnen hatte, höchsten staatlichen Segen erhalten.

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Hans Meier, Wirtschaftsbauten Gut Heiligenstein. Quelle: Der Wiederaufbau Ostpreußens in Sonderheften über die Arbeiten einzelner Baukünstler, 1. Band, Hans Meier, Architekt B. D. A. , Angerburg, Sonderdruck aus Dokumente deutscher Baukunst, Band 53, Berlin o. J.

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Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

Hans Meier, Haus in Tiergarten. Quelle: Der Wiederaufbau Ostpreußens in Sonderheften über die Arbeiten einzelner Baukünstler, 1. Band, Hans Meier, Architekt B. D. A. , Angerburg, Sonderdruck aus Dokumente deutscher Baukunst, Band 53, Berlin o. J.

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Hans Meier, Gut Löwenstein. Quelle: Der Wiederaufbau Ostpreußens in Sonderheften über die Arbeiten einzelner Baukünstler, 1. Band, Hans Meier, Architekt B. D. A. , Angerburg, Sonderdruck aus Dokumente deutscher Baukunst, Band 53, Berlin o. J.

4. Goldap In und um Goldap baute der Architekt Hans J. Philipp.132 Auch Philipp hielt sich deut­ lich an das Vorbild der Architektur um 1800. Seine kleinen klassizistischen Bauten ge­ rieten in der Regel ein-, höchstens zweigeschossig. Sie waren zumeist glatt verputz und verfügten nur über angedeutete Rundbögen im Erdgeschoss, kleine Erker-Vorbauten, hell verputze Fensterumrahmungen und gelegentlich Naturstein-Sockel als Schmuck­ elemente. Besonders sehenswert war das Goldaper Wohn- und Geschäftshaus Elmer, das Phi­ lipp 1920 an der Töpferstraße errichtete. Philipp versetzte leicht die Fensterachsen. Die Eingangstür zum Laden und die Schaufenster waren zu einer eigenständigen Groß­ form verbunden. Die Architektur schien in ihrer Sparsamkeit und Schlichtheit von Tes­ senow übernommen worden zu sein. Philipps Architektur stand also ganz im Gegensatz zur Stoffregen-Bauweise in Ger­ dauen. Die Wiederaufbau-Städte Gerdauen und Goldap verdeutlichen die Spannbrei­ te im Experiment Reform, die bis 1918 unter staatlicher Aufsicht immer noch möglich war. In vergleichbaren Formen baute der Architekt Fritz Schopohl (1879 – 1948) ebenfalls in Stadt und Kreis Goldap.133 Der Einfluss des bauberatenden Architekten war vermut­ lich kein geringer. Walter Riezler schrieb über Schopohl: „Er ist den Weg der Mitte gegangen, der in künstlerischen Dingen sicher nicht immer gefahrlos ist, der aber in diesem Falle doch wohl der einzig richtige war: er hat es wohlweislich vermieden, zu sehr ins Heimat­ 254

Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

künstlerische und im alten Sinne Romantische zu gehen und weder den alten Fach­ werkbau künstlich belebt noch durch Erkerchen und malerische Winkel den Reiz des Alten vorgetäuscht – ein Versuch, der leider an anderen Stellen in Ostpreußen da und dort gemacht worden ist.“ 134 Schopohls Bauten sind schlichte weiße Putzbauten. Alle haben hohe Dächer be­ kommen, die jedoch nie als Krüppelwalm- oder als Mansarddach ausgebildet sind. Als einzigen Dachschmuck benutzte Schopohl schlichte rechteckige Gauben, vereinzelt auch Fledermausgauben. Bei Häusern auf dem Land verwendete Schopohl gelegentlich Fensterläden, fast nie setzte er Gesimse oder andere Schmuckelemente ein. Schopohls Bauten verweisen in ihrer formalen Reduzierung bereits auf die Ar­ chitektur der späten 1920er Jahre. Es erstaunt deswegen nicht, dass sie in einer Buchveröffent­lichung der der Neuen Sachlichkeit verpflichteten Werkbundzeitschrift „Die Form“ erschienen. Doch auch Schopohl verwirklichte in Ostpreußen noch keinen Siedlungsbau, in dem Bedürfnisserfüllung standardisiert wurde. Er folgte strikt den Grundsätzen des Wiederaufbaus, die eine Wiederherstellung vorhandener Strukturen vorsahen. Er baute Insthäuser genauso wie Rittergüter. Wichtig allerdings erscheint, dass er bei den unterschiedlichen Bauvorhaben im­ mer dieselben Formen benutzte, nicht zwischen groß und klein oder arm und reich differenzierte. Die Gesellschaft wurde unter Kriegsbedingungen zunehmen egalisiert – Schopohl reagierte auf dieses Phänomen. Schopohl war der Architekt, der in Ostpreußen am stärksten zum Mittel der Ty­ pisierung griff. „Er gab seinen Bauten klare Proportionen und gliederte sie lediglich durch die Formen und Anordnungen der notwendigen Fenster- und Türöffnungen, der Kamine und Dachgauben. … Innerhalb des relativ engen Architekturspektrums ver­ trat Schopohl am konsequentesten jene spezifische Moderne, die im Gegensatz zur ge­ rade aufkommenden radi­kalen Moderne des Neuen Bauens sich der jeweiligen Umge­ bung sowohl typologisch als auch formal anzupassen suchte und sich eher als Stifter neuer Konventionen der Alltagsarchitektur denn als Avantgarde einer techniktrun­ kenen traditionsfeindlichen Moderne verstand.“ 135 Wenn auch Hartmut Frank hier offenbart, dass mit traditionellen Schemata der Architekturbetrachtung der Wieder­ aufbau in Ostpreußen schwer zu fassen ist und er zu einer schwammigen Beschrei­ bung wie „neue Konventionen der Alltagsarchitektur“ greift, so zeigt er doch auch, wie sehr Schopohl den Weg von der Reform zum Neuen Bauen ging – er hatte einen Zwi­ schenschritt eingenommen, der noch keine Loslösung vom Boden beinhaltete, der aber schon ganz auf Typisierung setzte. Schopohls wohl wichtigste Wiederaufbau-Leistung war die Umbauung des Gol­ daper Marktes. Alle Gebäude wurden traufständig und dreigeschossig errichtet. Im Erdgeschoß war ein Arkadengang angedeutet. Die Geschäfte lagen leicht zurück ver­ setzt hinter den Rundbögen der Fassade. Besonders gelungen waren die Geschäftshäu­ ser Jahnke und Liebegut. Beim Haus Jahnke erweiterten sich die Erdgeschoß-Bögen zu einem kleinen Erker, während die beiden oberen Geschosse allein durch vier Fenster­ achsen gegliedert wurden. Das Dach wurde durch fünf kleine, eckige Gauben belebt, die in zwei Reihen stehen. Das Haus Liebegut erschien ähnlich. Nur blieben bei diesem

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Hans J. Philipp, Haus des Goldaper Tageblatts, 1917 – 19. Quelle: Paulsen 1922

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Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

Hans J. Philipp, Insthaus auf dem Rittergut Kosaken bei Goldap, 1920. Quelle: Paulsen 1922

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Fritz Schopohl, Häuserzeile am Markt in Goldap. Quelle: Riezler 1925, S. 107

Fritz Schopohl, Häuser am Markt in Goldap. Quelle: Riezler 1925, S. 106

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Fritz Schopohl, Gutshaus Lankehlischken, 1917 / 18 . Quelle: Riezler 1925, S. 62

Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

Fritz Schopohl, Stallansichten Gut Lankehlischken, 1917 / 18 . Quelle: Riezler 1925, S. 63

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Fritz Schopohl, Gutshaus Lankehlischken, 1917 / 18 . Quelle: Riezler 1925, S. 65

die Arkaden in der Bauflucht, während ein kleiner Erker im ersten Stock die beiden mittleren Fensterachsen zusammenband. Ein Bau, der fast an die Architektur der 50er Jahre erinnert, war das Wohn- und Ge­ schäftshaus der Kreisbank, ebenfalls am Goldaper Markt gelegen. Das siebenachsige Gebäude lehnte sich formal eng an seine Nachbarn an. Schopohl hatte Rundbögen im Erdgeschoß und zwei Reihen kleiner Dachgauben auf dem Dach gesetzt. Nur die mitt­ lere Fensterachse war ein wenig zurückgenommen – kleine Balkone wurden möglich. Während Schopohl am Marktplatz gleichwertige Häuser in eine Reihe stellte, mit­ telalterliche Stadtbilder wiederaufnahm, gestaltete er das Goldaper Kreishaus als ei­ nen herrschaftlichen Bau. Zwei lange, 11-achsige Flügel liefen in einem stumpfen Win­ kel aufeinander zu. In der Mitte führte eine Freitreppe zu dem hinter die Bauflucht zurückgesetzten Eingang, der als Portikus ausgebildet war. Das Kreishaus erschien in seiner Grundform geradezu wie ein Schloss des frühen 19. Jahrhunderts. Auf Zei­ chen fürstlichen Reichtums jedoch hatte der Architekt vollständig verzichtet. Allein die Großform bekundete die Rolle des Hauses im städtischen Kontext und fand so ihre Berechtigung. „Besonders interessant bot sich die [Goldaper] Hauptplatzbebauung dar. Sie bekam einen einheitlichen Charakter dank der Einführung zweistöckiger Häuser mit stren­ gen, axial gestalteten Fassaden und hohen Traufdächern mit Gauben. Die kompositio­ nelle und architektonische Homogenität der Marktfronten betonten auch flache Ar­ kaden in den Erdgeschossen. Sie bildeten charakteristische, rhythmisierte Züge mit einem großartigen plastischen Effekt. Verwandte Formen erhielten auch die Fenster­ 260

Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

Fritz Schopohl, Gut Lankehlischken, Detailansicht, 1917 / 18 . Quelle: Riezler 1925, S. 64

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öffnungen mit kreuzförmiger Sprossenteilung. F. Schopohl hat ein bescheidenes De­ tailrepertoire verwendet. Die verputzten Fassadenachsen betonten manchmal flache Risalite, Balkons und Erker.“ 136 Neben Stoffregen, Schopohl, Phillip und Meier müssen weitere Privatarchitekten er­ wähnt werden, die in Ostpreußen während des Ersten Weltkriegs tätig waren – auch wenn ihr Aufbau-Werk nicht in Monographien vorgestellt wurde. 5.  Projekte weiterer Architekten Zu nennen ist beispielsweise Hugo Häring (1882 – 1958), der zahlreiche Gutshäuser voll­ enden konnte. Auch war er am Wiederaufbau der Stadt Allenburg beteiligt.137 Der Schweizer Adolf Kellermüller (1895 – 1981) hat „Bauwerke im echt alt-ostpreu­ ßischen Sinne“ 138 errichtet. Von Kellermüller sind wenige Zeichnungen ganz schlich­ ter, kleiner Häuser überliefert – fast möchte man sagen, Hütten für ein ostpreußi­ sches Existenzminimum. In „Wasmuths Monatsheften“ hieß es zum „Mietwohnhaus Leitzki“: „Das Vorliegende zeigt ein Mietwohnhaus, wie es sich in den ostpreußi­ schen Dörfern aus den früheren ‚Looshäusern‘ (Häuser für freie Arbeiter) entwickelt hat. Es enthält eine Zwei- und eine Dreizimmerwohnung, welch jede im Giebel noch eine ‚Sommer-Schlafstube‘ hat. – An diesem Beispiele dürfte die ‚reine‘ Zweckbau­ art am besten gelungen sein und das ‚Alt-Ostpreußische‘ im neuen Sinne widerspie­ geln. – Dem Haus entsprechend ist auch der Stall erbaut […]. Beide sind einfach weiß gekalkt mit braun gestrichenen Fenstern und Türen. Im Innern kamen als Küchenfuß­ boden und für den Flur rote Klinker zur Anwendung. Die Stuben wurden farbig gekalkt und erhielten dunkelfarbige Öfen (grün und braun).“ 139 „Zweckbauart“ kennzeichnete in der Sprache der Reform die gelungene Repräsentation. Zu Kellermüllers Haus Hünck in Malryken, Kreis Goldap, hieß es weiter: „Die Putz­ flächen sind hellziegelrot gekalkt […], die Putzbänder und Gesimse gebrochen-weiß aufgesetzt. Fenster und Türen in schokoladenbrauner Ölfarbe, wiederum mit weißen Leistenaufsätzen.“ 140 Die Beschreibung bezeichnete die beim Wiederaufbau weit ver­ breiteten Gestaltungselemente. Peter Behrens und vor allem Hans Poelzig hatten mit den Putzbändern und Gesimsen bereits vor dem Ersten Weltkrieg gearbeitet. Wir se­ hen hier also keine formale Neuentdeckung der Wiederaufbauzeit. Doch es erstaunt, wie durchgängig und wie fast ausschließlich die einfachen, hüttenförmigen Bauten derart gestaltet und dekoriert wurden. Das die Konstruktion verdeutlichende Putz­ band geriet zum letzten gültigen formalen Mittel der Reformzeit. Mit Putzbändern und Gesimsen ließen sich eine formale Typisierung der Architektur und gleichzeitig eine diffuse heimatliche Form erreichen – ein letzter Kompromiss zwischen Traditionalis­ ten und Rationalisten. Nach dem Ersten Weltkrieg ging Kellermüller zurück in die Schweiz, wo er zu den modernen Architekten gehörte. Zusammen mit seinem Büropartner Hans Hofmann errichtete er die Schweizer Bauten auf der Weltausstellung in Barcelona 1929.141 Kurt Frick (1884 – 1963) aus Königsberg, der 1913 bereits einen Schulbau in der Gar­ tenstadt Dresden-Hellerau errichten konnte, der „die Planungen von Riemerschmid, Tessenow und Muthesius aus nächster Anschauung kannte“ 142, baute während des 262

Ersten Weltkriegs Siedlungen in Ponarth, Mohrungen und Guttstadt. Dieselben Gestaltungs­elemente finden wir auch bei diesen Siedlungen: a) Hüttenform mit Krüppel­walmdach, b) weiße Lisenen auf dunklem Putz sowie Fensterrahmungen.143 Daneben wirkte er als Bezirksarchitekt für Stallupönen-Schirwindt und entwarf zahl­ reiche Bauten für Schirwindt. Zu erwähnen ist desweiteren Max Schönwald aus Königsberg (geb. 1878), der eher traditionell baute. Von ihm sind zahlreiche Entwürfe überliefert, die alle mehr indivi­ duelle Gestaltung zeigen. Sein Hotel Reich in Domnau sollte an die Gotik anknüpfen. Bei seinen Hof-Entwürfen sorgten Dachreiter mit Uhr auf den Wirtschaftgebäuden für ­einen individuellen Akzent.144 Schönwald entwarf für den kleinen Ort Uderwangen bei Domnau die Mahlmühle und das Gehöft Sachze. Der fünfgeschossige Mühlenbau wurde durch verschiedene ge­ stalterische Eingriffe – Mansarddach, aufgebrochenes Dach, Dachgauben – verkleinert, der ländlichen Umgebung angepasst. Gleichzeitig jedoch sollte der Bau, der an einer Hauptverkehrsstraße stand, ein wenig tempelartig wirken, sollte Bedeutung vermit­ teln. Der zentrale Giebel erscheint wie ein Behrens-Pavillon, der auf den eher traditio­ nellen Mühlenbau aufgesetzt wurde. In unmittelbarer Nachbarschaft der Mühle errichtete Schönwald ein Gehöft in ganz traditionellen Formen. Auch hier erkennen wir eine Differenzierung der Form. Wäh­ rend die weithin sichtbare Mühle Bedeutung vermitteln, die moderne Zeit symbo­ lisieren sollte, schien das Gehöft rückwärtsgewandt und ganz in die traditionelle Länd­ lichkeit eingepasst. 6. Soldau Der Ort Soldau wurde durch den Bezirksarchitekten Philipp Kahm, Paul Böttgerund anderen wiederaufgebaut (Kahm starb bereits 1918, Böttger war sein Nachfolger).145 „Außer einer neuen Straße zum Bahnhof konnte man sich auf Verkehrsverbesserun­ gen durch Verbreiterung und Durchbrüche einzelner Straßenzüge beschränken. Fer­ ner sieht der Bebauungsplan weitgehend Baumschmuck in den Straßen und eine große Grünanlage in den Schlosswiesen vor, die dank der in Aussicht gestellten Unterstüt­

Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

Adolf Kellermüller, Haus Hünck, Kreis Goldap, 1918 / 19, Quelle: Fries 1923

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Max Schönwald, Entwürfe für Uderwangen bei Domnau. Entwurf aus dem Jahr 1915. Quelle: Deutsche Bauhütte, 1916

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zung der Patenstadt Charlottenburg unter der Bezeichnung ‚Charlottenburger Aue‘ ver­ wirklicht werden soll. Zur Erzielung geräumiger Grundstücke, zur Verhütung der bis­ herigen Siedlungsdichte und zur Ansiedlung neuer Wohnstraßen wurde die Umlegung einzelner Blöcke am Markt, Bergstraße, Mühlenstraße und an der Freiheit ins Auge gefasst.“ 146 Der Stadt wurde absichtsvoll eine neue Ordnung gegeben, die sowohl den Ver­ kehrsfluss als auch die Harmonie in den Stadtteilen verbessern sollte. Eine moderne Vorstadt wurde generiert. „Der ernsten Zeit entsprechend soll Einfachheit, Klarheit und reine Zweckmäßigkeit [sic!] herrschen; jeder Tand in Türmchen, Giebeln, Erkern und überflüssigen Zierrat soll vermieden werden. Nur so wird Soldau den alten gemütlichen Eindruck wieder­ bekommen, den es vor der Zersetzung durch die Fremdkörper der Großstadt besessen hat. Auch Spielereien, wie die Nachahmung mittelalterlicher Backsteingotik in An­ lehnung an die Ordensburgen, sollen vermieden werden, da sonst die beherrschende Wirkung der alten Burgen als Keimzellen der ostpreußischen Stadtsiedlungen verloren geht. Der Putzbau mit Pfannendach hat der Stadt Soldau ihr Gepräge gegeben. Dies Be­ streben nach klar gegliederten einfachen Putzbauten mit ihren ostpreußischen Herb­ heiten wird beizubehalten sein.“ 147 Die Einfachheit der Architektur sollte Bodenständigkeit und eine so genannte Be­ haglichkeit vermitteln – eine Logik der Reform (vor 1900 hätte das nicht funktioniert). Das gründerzeitliche Chaos, das den Architekten weiter als Schreckensbild vor Augen stand, sollte auf keinem Fall durch die Hintertür namens Kompensation wieder her­ einkommen. Stoffregens in Gerdauen geübte Vielfalt wurde von anderen Architekten, die gerade eine Reformordnung durch Ruhe erzeugen wollten, als fast verbotenes Ko­ kettieren mit dem Historismus gesehen. „Es muss sich […] jedes Häuschen als Einzelglied des zu schaffenden großen Ganzen fühlen und sich in dessen Rahmen als Erzeugnis einer großen Zeit willig einordnen, wenn das vorgezeichnete hohe Ziel erreicht werden soll. Schädigende Auswüchse und Hässlichkeiten in der Art der Bebauung und äußeren Gestaltung sollen hierbei grund­ sätzlich vermieden und das gesamte Bauwesen auf eine Höhe gebracht werden, die auch nach den Zeiten des Wiederaufbaus für die Stadt Soldau grundlegende Bedeutung und dauernden Wert behält. Können wir uns heute doch nicht mehr der Erkenntnis verschließen, dass die Bedeutung unserer Städte nicht allein auf ihr wirtschaftliches Leben, sondern auf die Schönheit zurückgeführt wird, die Einheimische wie Fremde bewusst oder unbewusst mit zwingender Kraft an sich fesselt, zur Seßhaftmachung reizt. Man darf nur an Danzig, Rothenburg o. Tauber, Nürnberg usw. erinnern.“ 148 Rothenburg ob der Tauber war ein Vorbild: Aber nur in seiner Einheitlichkeit und Geschlossenheit. Die Wiederaufbau-Städte sollten dieselbe Geschlossenheit – sieht man einmal von Gerdauen ab – in modernen der Ökonomie und der Tradition gehor­ chenden Formen erhalten. 7.  Weitere Projekte einzelner Architekten Zu den Wiederaufbau-Architekten gehörte Paul Klein.149 „Einige […] Entwürfe des Ar­ chitekten Paul Klein (Königsberg) müssen in ihrer Art der Auffassung als wohlgelun­

Paul Klein, Entwurf Wohnhaus Uderwangen, 1915. Quelle: Die Bauwelt, 7. 1916, Nr. 13

gen bezeichnet werden. Sie atmen den Geist schlichter Gradheit, wie er in Ostpreußen zuhause ist, sachliche Einfachheit, architektonische Wahrheit, möglichst vollkomme­ ne Befriedigung der dem Bedürfnis entsprechenden Erfordernisse. Sachliche Oekono­ mie ist die Quintessenz alles rationellen Bauens.“ 150 Doch Klein wagte trotz „sachlicher Ökonomie“ (sic!) mehr individuelle Gestaltung als viele seiner Kollegen.151 Für ein Eckhaus am Markt in Domnau entwarf er einen Treppengiebel, während andere Bauten die Architektur von um 1800 genau zu kopie­ ren schienen. Rudolph Vogel schrieb in der „Deutschen Bauhütte“: „Sie atmen den Geist schlichter Gradheit [sic!], wie er in Ostpreußen zuhause ist, sachliche Einfachheit, ar­ chitektonische Wahrheit, möglichst vollkommene Befriedigung der dem Bedürfnis entsprechenden Erfordernisse.“ Wir haben gesehen, dass diese Zuschreibungen auf Klein weniger zutreffen als auf andere Architekten. Dennoch lässt sich die Verein­ fachung der Reformarchitektur auf wenige Grundelemente auch bei Klein beobachten. Zu den Wiederaufbau-Architekten gehörte der Wiener Architekt Josef Hoffmann, der den Wiederaufbau des Ortelsburger Rathauses ab 1916 plante.152 Hoffmann gehörte zu den wenigen etablierten Architekten, die für den Wiederaufbau Ostpreußens aktiv waren. Das Projekt wurde jedoch nicht realisiert. Salm interpretiert den Hoffmann-Ent­ wurf als von „Formen aus dem Mittelmeergebiet“ 153 inspiriert – und somit war der Bau kein Ausdruck ostpreußischer Bodenständigkeit wie anerkannter Reformideale.154 Auch der damals noch unbekannte Hans Scharoun hatte sich am Wiederaufbau be­ teiligt; gegen Ende des Krieges war er stellvertretender Leiter der Bauberatungsstelle 266

Hans Scharoun, Notkirche für Walterkehmen, 1917. Quelle: Sammlung Aschenbeck

8. Lyck Die Stadt Lyck, das heutige Ełk, sowie die Dörfer der Umgebung waren ebenfalls im Sommer 2014 in Teilen zerstört worden. Der Wiederaufbau wurde hier vom Bezirks­ architekten Wilhelm Brurein (1878 – 1932), Schüler von Bruno Schmitz, geleitet. Bru­ reins Entwürfe sind wie die meisten Wiederaufbau-Arbeiten ganz an dem Architek­ turvorbild „Um 1800“ orientiert – und zeigen wie fast alle Arbeiten dieser Zeit die typischen, rhythmisierenden weißen Mauerbänder. Die Geschäftshäuser in Lyck, die erhalten sind, lassen allerdings auch noch ein wenig die historistische Schule erahnen, durch die Brurein bei Schmitz gegangen war. In Lyck sehen wir nicht die Einfachheit und Klarheit, zu der die Architekten beispielsweise in Schirwindt gefunden hatten. Zu den in Lyck tätigen Architekten gehörte Ernst Rossius-Rhyn, der sich als Land­ haus-Architekt in Berlin einen Namen gemacht hatte. Er entwarf auch Bauten in Prost­ ken nahe Lyck (heute Prostki).158

Wiederaufbau Ostpreußen 1914 – 1925

Insterburg geworden.155 Er errichtete damals eine Notkirche in Walterkehmen, ein Ge­ meindehaus in Kattenau, das Gutshaus Thierfeldt bei Gumbinnen und Siedlungshäuser bei Insterburg.156 Seine Bauten besitzen die typischen Merkmale der Reformarchitek­ tur wie Sockelgeschosse aus Naturstein und Dachgeschosse aus Holz. Bruno Taut, der zeitweise im Berliner Möhring-Büro gearbeitet hatte, entwarf Not­ bauten für ostpreußische Landwirte und transportable Wohnhäuser,157 typische Re­ formhütten, die vermutlich nicht ausgeführt wurden.

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Alfred Kraemer, Stallbauten für Gajowken bei Soldau. Quelle: Sammlung Aschenbeck

Entwurf für die Bebauung des Marktplatzes in Domnau vom Architekten Paul Klein, offenbar unter Mitwirkung des Beszirksarchitekten Hoffmann (so ist die Bildunterschrift der Bauwelt zu verstehen), Datum unleserlich. Quelle: Bauwelt Nr. 13, S. 11

Der Wiederaufbau in Ostpreußen gründete auf den Bestrebungen der Reformbewe­ gung seit 1900. Durch die komplette Neugestaltung einer Landschaft, die durch den Krieg in einen gleichsam ursprünglichen Rohzustand zurückversetzt war, sollte die allgemeine Harmonie noch mitten im Reformkrieg erreicht werden. Ostpreußen wur­ de Beispiel für ein herbeigesehntes „neues Deutschland“, für eine realisierte Utopie. In Ostpreußen wurde erstmals flächendeckend eine Architektur umgesetzt, die zuvor auf Bergsanatorien und Villenvororte beschränkt geblieben war. 268

Die Wiederaufbau-Städte bilden einen „link“ zum Neuen Bauen. Hier finden wir sowohl das Architekturbild der „Hütte“ als auch die neuen Prinzipien der Rationa­ lität – immer begründet mit einer funktionierenden Repräsentation. Der Wiederaufbau in Ostpreußen beweist, dass die Architektur der klassischen Moderne und des Neuen Bauens nicht Mitte der 1920er Jahre als Geist aus der Flasche kam, sondern dass sie seit 1900 vorbereitet wurde, dass sie auf einer logischen Ent­ wicklung aufsitzt. In Ostpreußen gab es allerdings noch weniger Dogmatismus als in den 1920er Jah­ ren: Es ließen sich widersprüchliche Architekturkonzepte wie in Gerdauen und Gol­ dap realisieren, ohne dass es darüber zu Richtungskämpfen und öffentlichen Anfein­ dungen kam. Doch mit der deutschen Niederlage im Krieg ging auch der Glaube an das Wieder­ aufbau-Projekt verloren. Gerade der Kompromiss zwischen Hütte und Rationalität wur­ de nach 1918 als zu ausdrucksschwach angesehen. Nach 1918 bauten Architekten wie Gropius wieder richtige Hütten aus Holzbohlen (wie einst auf dem Monte Verità); nach 1925 entstanden in Deutschland rationale Bauten ohne ortsbezogene Kompromisse.­ Der Wiederaufbau während des Ersten Weltkrieges wurde nach 1918 nicht verwor­ fen, sondern radikalisiert. Das hatte einen einfachen Grund: Die Verweisstruktur der Wiederaufbau-Architektur schien nach 1918 nicht mehr gut zu funktionieren. Die net­ ten Reihenhäuser der Wiederaufbaustädte schienen nach der traumatischen und exis­ tenzialistischen Erfahrung des Krieges mit einer zu schwachen Zeichensprache aus­ gestattet. Sie verkündeten, so dachten offenbar die Architekten nach 1918, nur leise Wahrheiten – sie sprachen keine klaren Worte.

Transformation der Reform

Wie kam es zu dieser Wandlung, die man in ganz Deutschland unter dem Oberbe­ griff Expressionismus beobachten kann? War Expressionsmus nicht wieder eine neue Ornamentierung, ein neue, eigentlich überwunden geglaubte Dekorationsleiden­ ­ schaft? Nein, es ging die Architekten, die nach 1918 fast durchgehend zum Expressionis­ mus fanden, nicht um eine Dekoration der Häuser, sondern um eine sinnfällige, ex­ pressive Repräsentation von Wahrheit. Nur hatten sich während des Ersten Weltkriegs die Wahrheitskerne geändert.

Transformation der Reform

Nach Ende des Ersten Weltkriegs ließ sich Hans Scharoun in der Stadt Insterburg als freier Architekt nieder und baute Wohnsiedlungen. Die so genannte „Bunte Reihe“Siedlung, die ab 1920 am Rande der Stadt errichtet wurde, zeigt eine signifikante Wei­ terentwicklung der Architektur. Scharoun baut hier zwar Wohnhausreihen wie in den anderen Wiederaufbaustädten auch, jedoch übersteigert er traditionelle Elemente wie Fenster über den Eingangstüren zu expressionistischen Formen. Auch gibt er den Fassaden eine bunte Farbigkeit – wie vorher schon von Bruno Taut in Berlin („Tusch­ kastensiedlung“) und Magdeburg (Siedlung „Reform“) erprobt.

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Gustav Gericke. Quelle: Sammlung Aschenbeck

1.  Der Boden- oder Traditionsbezug der Hütte oder des Reformhauses war im Krieg als inhaltsleere Romantik enttarnt worden. Nach den Erfahrungen in den Schützen­ gräben, als Landschaften durchpflügt wurden und Häuser zu Steinhaufen zerfielen, glaubte man nicht mehr, dass aus dem Boden Wahrheit wachsen könne. Ernst Jün­ ger schrieb als Teilnehmer des Krieges nicht mehr von dem Wandervogel-Ausflug in die Natur, sondern von „Stahlgewittern“ und dem „Das Wäldchen 125“, das unter dem Beschuss vollkommen zerrieben wurde, von dem keine Schönheit blieb, aus dem jede Romantik ausgetrieben war.159 Aus dem deutschen Wald, einst Hort der Wahrheit und Basis der Wahrheit-Reprä­ sentation war ein nummerierter Frontabschnitt geworden, Bäume und Boden von Gra­ naten zerfetzt. 2.  Auch die technische Ökonomie schien nach dem Krieg als bedeutungsgebender Inhalt beschädigt. Zu sehr hatte die Mensche im Krieg durch die Auswirkungen eben dieser Technik gelitten. Eine äußerste Ökonomie der Kriegsführung und des Tech­ nikeinsatzes hatte seine hässliche Seite gezeigt. In dieser Phase einer Orientierungs­ losigkeit reduzierten die Architekten die tieferliegende Wahrheit auf transzendente, schwer zu benennende Werte. Die Geschwindigkeit war nun nicht mehr das Tempo der E ­ isenbahnen, sondern die des Lichts usw. Mit dieser Übersteigerung und Tran­ szendierung der Bedeutung wollte man diese retten. Die übersteigerte expressionis­ 270

Heinz Stoffregen, Haus Gericke, Delmenhorst, 1922 – 2 3. Quelle: Sammlung Aschenbeck

Transformation der Reform

tische ­Or­namentik sollte die Übersteigerung, die Sakralisierung der Idee zum Aus­ druck bringen. Auch die Hütte wurde zurück in ihre alten Rechte gesetzt. Nun war es aber nicht mehr die regional gebundene ostpreußische Bauernhütte, die als Vorbild diente, ­sondern man baute zeit- und ortslose Blockhäuser, die genauso in kanadische Wild­ nis wie in deutsche Städte passten. Das Blockhaus wurde wieder als Gegenentwurf

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gegen die Zivilisation verstanden, als Rückgriff auf eine tiefere unverortbare Wahr­ heit. Gleichzeitig durfte das Blockhaus mit „ausdrucksstarken“ Ornamenten, wozu Dreiecks­formen gezählt wurden, versehen werden – als Zeichen der transzendenten Bedeutung. Zu den Blockhaus-Entwerfern gehörte damals Walter Gropius, der sich mit dem Haus Sommerfeld (1920 – 2 2), zusammen mit Adolf Meyer, wieder weit von der Ratio­ nalität der Fagus-Werke entfernt hatte. Aber auch Bruno Taut entwarf eine Rund­ hütte – ohne regionales Vorbild –, die ausgerechnet auf dem Nachbargrundstück sei­ nes Worpsweder Freundes Leberecht Migge (1881 – 1935) plagiiert wurde und heute als „Käse­glocke“ bekannt und in Worpswede zu besichtigen ist.160 Die expressionistische Hüttenarchitektur war ein Atavismus der Reform, eine durch die traumatische, wertezerstörende Wirkung des Ersten Weltkrieges bedingte Rückkehr zum Jahr 1900 – aber mit übersteigerten, expressiven Mitteln. Auch Heinz Stoffregen, den wir als Fabrikarchitekten und als Individualisten des ostpreußischen Wiederaufbaus kennengelernt hatten, wurde Anfang der 1920er Jahre Hüttenbauer. Für Gustav Gericke, inzwischen in Ruhestand gegangener Fabrikdirektor, ehemaliger Werkbund-Vorsitzender und Behrens-Auftraggeber, errichtete Stoffregen 1921 ein Haus mit Feldsteinen im Mauerwerk und schokoladenbraun gestrichener Fas­ sade – dass im Villenviertel der Stadt Delmenhorst ein eigenartiger, zeit- und ortloser Fremdkörper ist, ganz auf eine innere Idee bezogen, auf eine Wahrheit, die nun kaum mehr zu entschlüsseln ist.161 Doch diese expressionistischen Hütten und verschrobenen Schneckenhäuser blieben eine Übergangserscheinung, eine erste, erschrockene Antwort auf einen noch kaum begriffenen Krieg. Walter Gropius, Hans Scharoun, Bruno Taut, Heinz Stoffregen und unzählige weite­ re­Architekten kehrten um 1925 zu der Sachlichkeit zurück, die bereits vor 1914 defi­ niert worden war. Die Idee, dass die Ökonomie von Raum und Zeit die innere Wahr­ heit ­eines Bauwerks sei, wurde restituiert. Sachliches Bauen, jetzt aber befreit vom Orts­bezug, setzte sich durch. Expressionistische Dekorationen wurden ab 1925 mehr und mehr als unzeitgemäß wahrgenommen – nun doch wieder als weitgehend bloße Dekorationen. Der Expressionismus litt schnell unter Bedeutungsverlust – auch wenn Architek­ ten wie der Worpsweder Bernhard Hoetger (1874 – 1949) und der Hamburger Fritz Höger (1877 – 1949) bis in die 1930er Jahren an den inhaltsschwer aufgeladenen Dreiecksfor­ men und ausdrucksstarken figürlichen Plastiken aus Keramik festhielten. Architekten begannen abermals einzusehen, dass gerade die im Krieg vorange­ trieben Zeit- und Raumausnutzung ein Wesen der Moderne war, das es sie zu reprä­ sentieren galt. Nur die Geschwindigkeit des Krieges, die Gewalt der Technik konnte wirk­licher Inhalt, konnte wirkliche Wahrheit sein. Die Futuristen hatten Recht gehabt! Architektur begann also den technischen und materiellen Fortschritt zu repräsen­ tieren, der nicht zuletzt im Krieg und mit Hilfe des Krieges vorangetrieben worden war. Auch die Hütten verloren nun ihren Wahrheitsbezug – blieben zurück in der Literatur, als Orte eines verschwundenen Arkadiens.162 272

Transformation der Reform

Fritz Höger, Wasserturm in Hohenkirchen, Gemeinde Wangerland, 1934 . Quelle: Sammlung Aschenbeck

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Beispiel Alvar Aalto163 Das vorhergehende Kapitel endete mit der Architekturentwicklung ab etwa 1925 – und hier geht es mit dem Jahr 1961 weiter, dem Jahr der Fertigstellung des Aalto-Hochhau­ ses in Bremen. Wir überspringen knapp vier Jahrzehnte, denn bei einer genauen Schilderung des Ablaufs der weiteren Architekturgeschichte würde sich das Buch verzetteln, die eigent­liche Idee aus dem Auge verlieren. Der Sprung nach 1961 macht Sinn, denn mit dem Aalto-Hochhaus kann exempla­ risch belegt werden, dass das um 1900 etablierte System der Bedeutungssetzung und der Bedeutungsdechiffrierung auch noch 1961 unverändert Bestand hatte. Das Bauen von Alvar Aalto und den anderen Modernen fußt auf den Ideen der Reformer – ganz un­ mittelbar. Der hier vollzogene Zeitsprung soll die Kontinuität des Systems der Reform und der entsprechenden Bedeutungskonstituierung belegen. Wenn man sich dem Aalto-Haus nähert, schein es auf Stelzen zu stehen – vom Bo­ den gelöst. Das Erdgeschoß ist zwar nicht offen, doch die verglasten Büros liegen einige Meter zurückgesetzt zwischen den Betonpfeilern und hinter der Bauflucht. Der Besucher gelangt von Süden in die Eingangshalle. Ursprünglich war vorgese­ hen, dass er erst einen Pförtnerplatz passieren musste, bevor er zu den Fahrstühlen oder den Verkaufsräumen gelangen konnte. Nach ersten Plänen (datiert 25. 3. 1959) sollten neben einem größeren Büro-Trakt auch Kiosk-Läden in der Lobby ihre Waren anbieten. Daneben war ein Raum für Kinder­wagen vorgesehen. Die Materialwahl sollte der Lobby eine warme Ausstrah­ lung geben. So hat Aalto die Decke vertäfeln und die Wände halbhoch mit Keramik­ fliesen verkleiden lassen. Runde und halbrunde Elemente tragen zu der Wirkung bei, die ein Zuhause, eine Heimat signalisieren soll. Über zwei Fahrstühle gelangen die Mieter zu den 189 Wohnungen – alle als Single­ wohnungen angelegt. Die jeweiligen Grundflächen reichen von 34,40 bis 59,50 Qua­ dratmeter. Insgesamt bietet das Haus etwa 7860 Quadratmeter Wohnfläche. Die Fahrstühle enden auf einer Zwischenebene und bedienen jeweils zwei Etagen. Dadurch bleiben die Flure unberührt vom Fahrstuhllärm, die Wohnungen sind aller­ dings nicht behindertengerecht erreichbar. Über das Treppenhaus gelangt man direkt zu einem Wirtschaftsbalkon (eine Loggia), auf dem eine Teppichklopfstange angebracht ist (pro Wohnebene ein Balkon). Alle Tätig­ keiten, die Stäube oder Gase freisetzen, lassen sich hier verrichten. Der Wirtschaftsbal­ kon ist ein funktionaler Ersatz des Einfamilienhaus-Gartens oder einer Terrasse. Aalto hat – der Grundidee der Sanatorien folgend, die wie in Höhe und Länge du­ plizierte Licht-Luft-Hütten erscheinen – versucht, das Einfamilienhaus zu perfektio­ nieren, es dann zu reihen und zu stapeln. Die Flure des Aalto-Hauses sind großzügig gestaltet. Sie werden von der Ostseite – über ein Fensterband sowie ein Einzelfenster – und der Südseite belichtet. Nach Süden hin verbreitern sich die Korridore auf der jeweiligen Ebene und schlie­ ßen mit einem Panoramafenster ab. In den Bremer Nachrichten hieß es bei der Vorstel­ 274

Beispiel Alvar Aalto

lung der Pläne: „Aber auch an die Feiertage hat der Architekt gedacht. Er plante – mit der Front zum Süden und Osten – einen Gemeinschaftsraum ein, in dem sich alle Be­ wohner eines Stockwerks mit der Morgensonne treffen können.“ 164 Was genau die Mieter in dieser hellen, mit Aalto-typischen Holzlamellen versehe­ nen Halle unternehmen sollten, blieb allerdings recht unklar. Die Bremer Nachrichten: „Die Idee mit dem Gemeinschaftsraum gibt den Bewohnern auch die Möglichkeit der Freizeitbeschäftigung. Der Phantasie der zukünftigen Bewohner und der Baugesell­ schaft wird es überlassen bleiben, ob in diesen zwanzig Gemeinschaftsräumen Sitz­ ecken, Liegestühle, Spielreinrichtungen, Lese- und Schreibkabinette oder Tischtennis-­ Einrichtungen aufgebaut werden.“ 165 Die Eingänge zu den Wohnungen gehen nicht direkt von dem verbreiterten Flur ab; ein kleiner Vorraum, eine Art Nische vermittelt zwischen halböffentlichem Raum und Privatheit. Eine „intime Wohnatmosphäre“ 166 sollte so eingeleitet werden. „Das nervöse Leben soll draußen bleiben“ 167, hatte Aalto zu seinem Wohnungen er­ klärt und damit genau die Wortwahl der Reformer von um 1900 / 1910 wiederholt. Aaltos sah die Herausforderung darin, 180 Einheiten für Singles zu schaffen und dennoch keine Käfigbatterie zu bauen. Jede Wohnung sollte individuell erschei­ nen – wie eine Licht-Luft Hütte. Er wollte den Mietern das Gefühl nehmen, austausch­ bare Nummern zu sein. Durch eine fächerförmige Gruppierung der Wohnungen er­ reicht Aalto das angestrebte Ziel, jedes Wohnsegment ist ein wenig anders ausgerichtet als das des Nachbarn. „Die Wohnseite des mächtigen Hauses, also die ‚Finger‘, liegt im Westen. Der Handballen mit seinen Erschließungsanlagen ist nach Osten gerichtet. In dieser Anordnung zeigt sich schon die Planung nach dem Bedarf: Die zukünftigen ­Bewohner werden meist berufstätig sein. Sie brauchen in ihren Wohnungen die Nach­ mittags- und Abendsonne.“ 168 Jede Wohnung sollte am Nachmittag in voller Sonne liegen, schnell bekam das Aalto-Hochhaus auch den Namen „Feierabendhaus“ zuge­ wiesen. Doch nicht allein die Ausrichtung sorgte für eine gute Belichtung der Wohnungen, auch der trichterförmige Zuschnitt bedingte einen Lichteinfall an breiter Front. Bad und Küche wurden von dem Bauherren, der Bremer Wohnungsbaugesellschaft „GEWOBA“, komplett ausgestattet. In der Küche (3,0 bis 3,22 Quadratmeter Grund­ fläche) befanden sich Einbaumöbel mit Herd, Kühlschrank, Schränken und Hänge­ schränken. Auch Schübe für Schüttgut, die bereits in der Frankfurter Küche Einsatz fanden, gab es in den Bremer Aalto-Einbauschränken. Aus der Küche hatte man über eine Glasscheibe Sichtverbindung zum Wohn-Schlafraum, 21,7 bis 27,4 Quadratmeter groß. An der breitesten Stelle öffnete er sich mit einem Panoramafenster zur Loggia. Die Eckwohnungen besaßen ein zweites Zimmer, das als Abstellraum geplant war, das aber häufig als Schlafzimmer genutzt wurde. Idee von Alvar Aalto und der GEWOBA war, dass die derart in Platz, Helligkeit und technischer Ausstattung optimierten Wohnungen eine Durchgangsstation für junge Menschen würden. Wer schließlich eine Familie gründet, wer mehr Wohnraum benö­ tigt, bekam dann von der GEWOBA eine entsprechend größere Wohnung womöglich in der „Neuen Vahr“, an deren Bau Ernst May mitgewirkt hatte, oder in der benachbar­ ten „Gartenstadt Vahr“ zugewiesen.169

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Alvar Aalto, Entwurf für ein Hochhaus in der Neuen Vahr, Bremen 1961. Quelle: Archiv Gewoba, Bremen; Bauakte

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Alvar Aalto, erste Grundriss-Skizze für ein Hochhaus in der Neuen Vahr, Bremen. Quelle: Archiv Gewoba, Bremen; entnommen Aschenbeck 1998 , Abbildung auf dem Umschlag

Alvar Aalto, Wohnungsgrundriss im Hochhaus für die Neue Vahr in Bremen. Quelle: Archiv Gewoba, Bremen; entnommen Aschenbeck 1998 , S. 20

Beispiel Alvar Aalto

Alvar Aalto, Entwurf für ein Hochhaus in der Neuen Vahr, Bremen 1961. Quelle: Archiv Gewoba, Bremen; Bauakte

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Alvar Aalto, „Grundrissskizze eines Normalgeschosses des Hochhauses in der Bremer Vahr“, Bremen 1961. Quelle: Archiv Gewoba, Bremen

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Beispiel Alvar Aalto

Das Aalto-Hochhaus wurde ästhetische Schule und Jungbrunnen für noch aus­ zuformende Menschen. In den gefächerten Räumen sollten die noch alleinstehenden jungen Menschen gesünder leben als beispielsweise in der Bremer Altstadt. Das Aalto-­ Hochhaus war eine – „Reformmaschine“. Als Architekt war Alvar Aalto (1898 – 1976) den klassischen Weg der Reformer gegan­ gen. Er begann mit einem Hüttenbau in der finnischen Provinz – ein Sommerhaus für sich und seine Frau. 1929 errichtete er in Paimio ein riesiges Lungensanatorium – mit einem separierten, langgestreckten Liegehallentrakt. Aalto ging zeitversetzt den Weg der Reformer – von der Hütte zum idealen Sanato­ rium (der gestapelten Hütte). Mit dem 1961 in Bremen fertig gestellten Hochhaus machte Aalto einen weiteren Schritt: ein Wohnhochhaus wird Maschine und Sanatorium gleichermaßen. Aalto war nicht der erste, der eine Reformmaschine plante und umsetzte. Im Groß­ siedlungsbau der 1920er Jahre in Frankfurt am Main und Berlin hatte es vergleich­bare Ansätze gegeben; und Le Corbusier hatte die „Wohnmaschine“ (Unité d’Habitation) gedanklich bereits Mitte der 1920er Jahre entwickelt, die er dann von 1947 bis 1967 an verschiedenen Orten realisierte, u. a. in Berlin. Ähnlich wie die Le-Corbusier-Maschinen verkörpert auch das Aalto-Hochhaus idealtypisch das Architekturkonzept der erwachsen gewordenen Reformer. Von Außen ist das Haus zuerst das Abbild einer Apparatur. Es spiegelt mit seiner glatten Rasterfassade die Mechanisierung der Stadt und des Lebens. Eine Schnel­l­straße­ tangiert das Haus, andere Straßen umfließen es kreuzungsfrei. Das Haus bietet für den Betrachter keine Haken – die Blicke können ungebremst an der Fassade entlang fliessen. Im Erdgeschoss liegen Büros, Geschäfte und der Eingangsbereich mit Briefkästen und Fahrstühlen. Die Bewohner, die in das Haus kommen, werden nicht von einer heimatlichen Umgebung empfangen, sondern von einem effektiven Dienstleistungs­ betrieb. Mit dem Fahrstuhl geht es zur jeweiligen Etage, wo eine halb-pivate Welt beginnt, die aber dennoch straff organisiert ist: Tagsüber in der Wohnung oder auf der Loggia, am Wochenende auf der Gemeinschafts„terrasse“.170 In der winzigen Küche konnte die Hausfrau schnell das Essen zubereiten – durch die Glasscheibe erreichten sie selbst bei der Küchenarbeit noch ein paar Sonnenstrah­ len. Das Essen wurde in der Loggia eingenommen oder am Tisch am Fenster – immer sonnenbeschienen (sofern in Bremen die Sonne schien). Den weiten Blick in die Land­ schaft, den „Italienblick“ der Reformer, gab es gratis. Wer wollte, konnte auch hier ungestört sein Sonnengebet ausführen – die Wohnungen waren so ausgerichtet, dass Nachbarn nur mit Mühe und Kopfverrenkung Einblick bekamen. Abends wurde aus der Schrankwand das Bett ausgeklappt und dann bis zum Klin­ geln des Weckers geschlafen … bis der nächste Tag begann. Leben wurde ökonomisiert, in den frühen 1960er Jahren hatte der Taylorismus auch die privaten Wohnungen er­ fasst – nicht nur in Bremen. Begründet worden war die Reformarchitektur ab 1900 mit dem Menschen als Kern. Aber – wir haben diesen Prozess verfolgt – der Mensch wurde in die Maschine gesetzt, wurde selbst ein Maschinist.

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Sechs Jahrzehnte nach dem Bau der ersten Reformerhütte, acht oder sieben Jahr­ zehnte nach Bau der ersten Licht-Luft-Hütten – waren Mensch und Hütte ökonomisch optimiert worden, waren sie Maschinen mit Maschinisten geworden, die selbstlau­ fend, fast als Perpetuum Mobile eine bessere Gesellschaft entwickeln sollten – die dann ebenfalls eine optimierte Maschine mit optimierten Maschinisten sein würde, eine Gesellschaftsmaschine. Ein Blick auf die Großsiedlungen der 1970er Jahre zeigt das Ergebnis. – Vom Monte Verità zur Gartenstadt. – Von der Gartenstadt des Ebenezer Howard zur Wiederaufbaustadt in ­Ostpreußen. – Von Goldap und Gerdauen zur Großsiedlung des Neuen Bauens. – Von der Großsiedlung in Berlin oder Frankfurt am Main zur Wohnmaschine von Aalto und Le Corbusier. – Von der Wohnmaschine zu „Osterholz Tenever“, zum „Märkischen Viertel“, zu „Köln-Chorweiler“, zum „Klinikum Aachen“ usw. – Vom Märkischen Viertel zu … Hier endet meine Geschichte der Reform. Aber tatsächlich ist die Geschichte noch nicht an ihrem Ende angekommen. Das Denken der Reformer prägt bis heute unseren Um­ gang mit der Architektur. Das um 1900 gegründete Architektursystem funktioniert weiter – wenn auch mit anderen Lösungen, mit anderen Formen.

Zusammenfassung III Der Gang vom Berg quer durch Europa veränderte die Reform. Aus den individuel­ len Sanatorien entwickelten sich Wohnungsbauprojekte in den Vorstädten. Landhaus reihte sich an Landhaus, Siedlungen wurden errichtet, mit denen schnell die Frage nach einer Typisierung aufkam (und über die im Rahmen der Kölner Werkbund-Aus­ stellung 1914 heftig diskutiert wurde). Konnte mit einer Typisierung ein Reformstil geschaffen werden? Eine einheitliche, wiedererkennbare, immer gültige Ästhetik der besseren Welt? Beim Wiederaufbau zer­ störter Ortschaften in Ostpreußen wurde teilweise ein Konsens in der Gestaltung ge­ funden, noch unentschieden zwischen einer Hüttenästhetik und einer Idealisierung der Ökonomie und der Geschwindigkeit. Aber noch immer gab es Außenseiter wie Heinz Stoffregen, der sich jeder Typisierung widersetzte und gerade in Ostpreußen ­individuelle, künstlerische Bauten errichtet hatte. In den neuen Siedlungen und neuen Städten sollte über die wahrhaftige Archi­ tektur der bessere Mensch aufwachsen. Aus den Vorstädten und den ostpreußischen Kleinstädten sollte der neue Mensch die Zentren erobern – und der Reform zu Sieg ver­ helfen. An dieser historischen Logik wurde nicht gezweifelt. In den Konsens-Wiederaufbau-Städten Ostpreußens schien das avisierte Ziel nah. Doch der Siedlungsbau war nur eine Seite der modernen Welt. Der Bau von Fabriken 280

Hans Poelzig, Doppelwohnhaus, Berlin, 1928 . Quelle: Döcker 1929, S. 93

im bedeutungsgebenden Zentrum (mit dem Mensch als Maschinisten), hier ging es um Geschwindigkeit, um den Rhythmus der Großstadt. Das Funktionieren der Maschine repräsentiert die Logik der Physik und damit auch die Logik der Naturgesetze. Die Entwicklung des Wohnhauses aus der Hütte wurde als genauso folgerichtig verstanden wie die Entwicklung der modernen City und der In­ dustriebezirke aus der Maschine (… der Dampfmaschine, dem Auto und dem Schnell­ dampfer) heraus. Mit der Akzeptanz der Maschine als wahren Bedeutungsgeber von Architektur än­ derte sich die Ästhetik. Die Maschine wurden ab Mitte der 1920er Jahre ein Vorbild, wurde eine passende Analogie für den neuen Massenwohnungsbau in Berlin, Frank­ furt und anderen Städten. Dabei erwies sich der Passagierdampfer als ideale „Krücke“, als passende, verbindende Metapher zwischen Wohnhaus- und Industriearchitektur. Das „schwimmende Sanatorium“, dieses unverwirklichte Ideal der Reformer vor dem Ersten Weltkrieg, wurde nach dem Krieg auf dem Land verwirklicht. Die Schnelldamp­ fer entstanden auf festem Boden. Die neue Ästhetik repräsentierte die maschinelle Bauweise, die schnelllebige Zeit und den in dieser Zeit lebenden Menschen. Frederick Winslow Taylor hatte gezeigt, wie ein

Zusammenfassung III

und Verkehrsanlagen war eine andere. Hier hatte die „wahre“ Architektur einen ande­ ren Kern als im Wohnhausbau. Hier stand nicht der Mensch, hier stand die Maschine

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Hans Hopp, Mädchengewerbeschule Königsberg. Quelle: Fischer, 1929

wahrer Mensch beschaffen sein muss, der im 20. Jahrhundert lebt. Es war eben nicht mehr der Thoreau-Jünger, der in den Wald geht und sich seine karge Hütte selbst zim­ mert. Der moderne Mensch ist ein Großstädter, der in typisierten Reihenbauten lebt, dessen Küche mit modernsten Maschinen ausgestattet ist, dessen täglichen Wege und Handgriffe wie in der Frankfurter Küche oder wie im Aalto-Hochhaus optimiert sind. Das Leben der Menschen wurde als analog und auch als komplementär zum Funk­ tionieren der Maschine gesehen. Der Mensch gehorchte wie die Maschine übergeord­ neten Gesetzen – und konnte, so schien es, nur so, nur als Maschinist glücklich werden. Die Beschäftigung mit Ornamenten und Dekorationen, das Hingeben einer unnützen Sinnlichkeit widersprach dieser als naturgegeben angesehenen Ordnung. Wir erkennen, wie sehr das um 1900 entwickelte Denken auch in den 1920er und in den 1960er Jahren gültig blieb. Nur hatte man das Ideal der Urhütte aufgegeben und durch das Ideal der Wohnmaschine ersetzt. Weiter aber galt, dass die Architektur ei­ nen wahren Kern zu repräsentieren haben. Weiterhin galt, dass eine derart als wahr verstandene Architektur einen neuen Menschen und damit eine neue Gesellschaft for­ me. Und weiterhin galt, dass die neue Architektur, das Neue Bauen, den neuen Men­ schen selbst repräsentiere, der als Maschinist den neuen Kern darstellte. Das Modell erwies sich als leistungsfähig. Eine Architektur, die der Logik der Ma­ schine folgte, war einfach industriell zu errichten und dadurch preisgünstig. Eine Gleichstellung von Ethik und preiswerten Bauen konnte sich etablieren, eine Verbin­ dung, die sich in den folgenden Jahrzehnten als unschlagbar erwies. Das Zusammenwirken von Serienfertigung und Plattenbau mit den moralischen Werten (wahre Architektur statt der falschen Architektur der Gründerzeit – das Feind­ 282

1  Zitiert z. B. in Christa Baumgarth: Geschichte des Futurismus, Hamburg 1966 , S. 26 2 Alfred Walter Heymel: „Über die Förderung des Sports durch Klubhäuser“, in: Das Klubhaus der Kaffee Hag, Broschüre, Bremen o. J. (1911), S. 24 3 Der Text von Alfred Walter Heymel ist einer Broschüre vorangestellt, in der ein Klubhaus des Kaffee Handels AG beschrieben wird. Das Klubhaus selbst, das von den Bremer Architekten Scotland und Runge entworfen worden war, glich jedoch mehr einem idealen Reformtempel mit hohem spitzen Walmdach, quadratischem Grundriss und Säulenreihen denn einem Gebäude, das dem „rhythmischen Prinzip“ folgt, es gehörte noch in das Zeitalter der Hütte. – Ausgerechnet Heymel starb 1914 an den Folgen einer Tuberkulose-Erkrankung. 4 Paul Hoffmann, Innenarchitekt und verantwortlich für das Sonnendeck-Restaurant des Schnelldampfers „Bremen“, schrieb am 24 . 7. 1929 an seine Frau: „Der Tag fing mit dem Bad

im Schwimmbad an, dann Frühstück mit nachfolgendem Spaziergang an Deck.“ In: Nils Aschenbeck: Schnelldampfer Bremen, Die Legende, Bremen 1999, S. 81 5 Peter Behrens: „Einfluß von Zeit- und Raumausnutzung auf moderne Formentwicklung“, in: Jahrbuch des Deutschen Werkbundes, Der Verkehr, Jena 1914 , S. 7 – 10, hier S. 10 6  Der reisende Fremde – Ein eigentümliches Leitmotiv der Architekturkritik in den Jahren vor 1914 . 7 Peter Bruckmann, in: Württembergische Industrie ( 2)1914 , S. 38 f. 8 1911 schrieb Walter Gropius: „So wird aller Wahr­ scheinlichkeit nach die Blüte einer neuen Monumentalbaukunst von den gewaltigen Aufgaben ihren Ausgang nehmen, die die Technik und Industrie stellen. Den Bauten der Industrie wohnt eine gewisse Ursprünglichkeit und Mächtigkeit von Haus aus inne. Wucht, Strenge und Knappheit entsprechen dem organisierten Arbeitsleben, das sich darinnen abspielt. Sie besitzen Vorbedingungen

Anmerkungen

bild des Berliner Mietshauses hatte nicht an Gültigkeit verloren), bewirkte eine schnel­ le Ausbreitung des Neuen Bauens quer über alle Kontinente. Das um 1900 auf dem Monte Veritá und an anderen Orten etablierte neue Archi­ tekturverständnis, das das Architekturverständnis des 19. Jahrhunderts auf den Kopf gestellt hatte, war unmittelbare Ursache für einen weitreichenden architektonischen Wandel weltweit. Das moderne Appartementgebäude, das auf den ersten Blick sowohl einem Sanatorium als auch einem Schnelldampfer glich, gründete auf der Reform­ bewegung. Es ist – bis heute – der Standardtyp der Wohnarchitektur geblieben, wird kaum verändert von Trondheim bis Sydney gebaut. Wir sehen, dass die moderne Architektur, das Neue Bauen, die Neue Sachlichkeit, die Moderne oder auch die Zweite Moderne Weiterungen und Fortentwicklungen der Reform sind. Erst die Reform hat das Denken etabliert, das dieser Architektur zugrun­ de liegt. In den Nachkriegstädten von West- und von Ostdeutschland sollte ausdrücklich der neue demokratische oder sozialistische Mensch geformt werden. Wulfen in West­ deutschland oder Eisenhüttenstadt in Ostdeutschland waren späte Idealstädte der Re­ form. Die Definitionen der Wahrheit unterschieden sich, die Idee der gleichzeitigen Wirksamkeit und Repräsentation von Architektur blieb gleich.

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zur Monumentalität. Deshalb scheint die Annahme berechtigt zu sein, dass die Großbauten der modernen Industrie, denen sich bereits die besten unserer Architekten zuwenden, vermöge ihres ganz neuen formalen Charakters Vorboten eines kommenden monumentalen Stils bilden werden, dem vorläufig die notwendige ethische oder religiöse Grundlage noch fehlt.“ Walter Gropius: „Monumentale Kunst und Industriebau“ (1911), in: Wilhelm 1983, S. 116 9 Bruckmann 1914 , S. 40 10 Walter Gropius: „Die Entwicklung moderner Industriebaukunst“, in: Deutscher Werkbund, Die Kunst in Industrie und Handel, Jena 1913, S. 21 f. 11 Walter Gropius: „Die Entwicklung moderner Industriebaukunst“, a. a. O., S.  21 f. 12 Wilhelm 1983, S. 62 f. 13  Walter Gropius: „Der stilbildende Wert industrieller Bauformen“, in: Deutscher Werkbund, Der Verkehr, Jena 1914 , S. 29 – 32 , hier S. 32 14 Jessen, Peter: „Deutsche Form im Weltverkehr“, in: Deutscher Werkbund, Der Verkehr, Jena 1914 , S. 2 15 Vgl. Nils Aschenbeck: Paul Kossel, Pionier des Betonbaus, 1974 – 1950, Häuser Türme und Schiffe – gebaut aus Beton, Delmenhorst / Berlin 2003 , S. 112 – 113 , zum „Schnellbau-Kossel“ S. 51 – 5 8 16 Dazu Claudia Klinkenbusch (Texte): Holzbauten der Moderne, Architekturführer Holzbauten in Niesky, Niesky o. J. 17 Vgl. Klinkenbusch o. J., S. 57 18 Martin Wagner: Das wachsende Haus, Ein Beitrag zur Lösung der städtischen Wohnungsfrage, Katalog, Berlin 1932; siehe zu dem Thema vor allem auch die Dissertation von Anja Fröhlich: „Sonne, Luft und Haus für alle“ – das wachsende Haus, Weimar 2008 19 Vgl. Heinrich Klotz (Hg.): Ernst May und das Neue Frankfurt 1925 – 1930, Berlin 1986, S. 55 f. 20 Siedlungen der zwanziger Jahre – heute. Vier Berliner Großsiedlungen 1924 – 1984 , Katalog, Berlin 1984 , Vgl. vor allem Seite 120 f., Abbildung auf S. 120: „Normung verbilligt Fenster und Türen“.  21 Eksteins (1989) 1990, S. 293 22  Mann (1924) 1984 , S. 752 ff. 23 Walter Gropius, zit. in Isaacs 1983, S. 127 24 Walter Gropius, Zit. in Isaacs 1983, S. 128 25 Ebd. 26 Jünger (1925) 71 940, S. 6 27 Jünger (1925) 71 940, S. 55 28 Eksteins (1989) 1990, S. 155 29  Brod 1918 , S. 32 ff. 30 Brod 1918 , S. 32 ff. 31 Vier Arbeiten sind hervorzuheben: Nils Aschenbeck: Moderne Architektur in Ostpreußen, Hamburg 1991; Hartmut Frank: „Heimatschutz und typologisches Entwerfen. Modernisierung und Tradition beim Wiederaufbau von Ostpreußen 1915 – 1927 “, in: Lampugnani / Schneider 1992 , S. 105 – 132; Jan Salm: „Der Wiederaufbau der Städte im ehemaligen Ostpreußen“, in: Kunstgeschichte und Denkmalpflege: IV . Tagung des Arbeitskreises Deutscher und Polnischer Kunsthistoriker, Torun 2001, S. 189 – 200; zuletzt die ins Deutsche übersetzte Habilitationsschrift Salms: Ostpreußische Städte im Ersten Weltkrieg: Wiederaufbau und Neuerfindung, München 2012 32 Vgl. Felix Zdenek: Der Westdeutsche Impuls 1900 – 1914 , Kunst und Umwelt­ gestaltung im Industriegebiet, Essen 1984 33 Im Einleitungstext zur Zeitschrift „Neue Kunst in Alt-Preußen“ wird die neue künstlerische Bewegung, die „unsern fernen Strand“ grüßt, gegen „die Unkultur in Haustein, Stuck und Ziegel“ abgegrenzt. Neue Kunst in Alt-Preußen, (1)1911, S. 1 34 1904 errichtete der Königsberger Architekt Heit-

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mann ein Landhaus, das ganz den englischen Vorbildern, die Muthesius vermittelt hat, folgt. Die Innenausstattung übernahm der englische Künstler Baillie Scott. Siehe Z., „Wohnhaus Grenz“, in: Neue Kunst in Alt-Preussen, (1)1911, S. 238 f., S.  70 – 75 35 „Wohnhäuser in Tilsit“, in: Deutsche Konkurrenzen 1906, Bd. 19, H. 11, S. 4 – 3 1 36 Aufgeführt und abgebildet in: Akademie der Künste 1984 , S. 48 und 57 37 „Neue Kunst in Alt-Preußen, Zeitschrift für Baukunst, Malerei, Bildhauerkunst und Kunstgewerbe, herausgegeben vom Architekten Otto Walter Kuckuck“. Bei der bei Graefe und Unzer verlegten Zeitschrift wirkten die Autoren Albien, Cauer, Dettmann, Deibel, Glage, Goldstein, Haendcke, Hoffmann, Lahrs, Peise, Ulbrich, Weber und Wolff mit. 38 Geb. 1871 in Berlin. Ab 1904 Lehrer an der Baugewerksschule in Königsberg. Ab 1909 Privatarchitekt in Königsberg. 39 „Landhäuser in Neuhausen-Tiergarten“. In: Neue Kunst in Alt-Preussen, (1)1911, S. 24 ff. 40 „Landhäuser in Neuhausen-Tiergarten“, a. a. O., S.  25 41 „Landhäuser in Neuhausen-Tiergarten“, a. a. O., S.  26 42 Vgl. Goldstein (1920), S. 2 . In einer anderen Quelle ist von 100 000 verwüsteten „Wohnstätten und Wirtschaftsgebäuden“ die Rede. Fast 300 000 Schadensfälle wurden offiziell angemeldet. In: Göttgen 1928 , S. IX , XII . Nach Salm 2012, S. 53, sind die Angaben bei Göttgen aber zu hoch gegriffen. 43 Nach der Winterschlacht in Masuren vom 8 . bis 23. Februar 1915 44 Schwab, Hans: „Das ostdeutsche Haus und der Wiederaufbau Ostpreussens“, in: Neudeutsche Bauzeitung, (11)1915, S. 149 45 W.C. Behrendt: „Der Wiederaufbau im Osten“, in: Wochenkorrespondenz zu Wasmuths Monatshefte für Baukunst, (1)1914 , Nr. 9, 1. 12 . 1914 , S. 65 – 67 46 Goldstein (1920), S. 3 47 W.C. Behrendt: „Der Wiederaufbau im Osten“, a. a. O. 48 Gold­ stein (1920), S. 3 49 Der Bremer Hugo Wagner hatte bereits im Werkbundjahrbuch von 1912 eine verpflichtende Bauberatung gefordert – und konnte entsprechende Vorstellungen in Ostpreußen aktiv umsetzen. Hugo Wagner: „Bauberatungsstellen“, in Deutscher Werkbund, Die Durchgeistigung der deutschen Arbeit, Jena 1912, S. 100 – 104 50  F. Rudolph Vogel: „Ostpreußische Bürgerhäuser“, in: Deutsche Bauhütte, (20)1916, S. 254 51 Hartmut Frank gab 1992 einen Überblick über die Wiederaufbautätigkeit, im Wesentlichen über die Organisation der Bauberatung. Frank stellt den Einfluss des Deutschen Heimatbundes und vor allem des Vorsitzenden Lindner besonders heraus. Diese Zuspitzung auf einen, der Reformbewegung nahestehenden Bund scheint jedoch unzulässig. Der Wiederaufbau wurde als nationale Aufgabe begriffen, an der sich alle gesellschaftlichen Kreise zu beteiligen hatten. Vgl. dazu Frank 1992, a. a. O. 52 Kriegshilfekommission für die Provinz Ostpreußen (Hrsg.), Wiederaufbau der durch den Krieg zerstörten Ortschaften Ostpreußens. Bericht über die erste Tagung der Abteilung für den Wiederaufbau zerstörter Ortschaften am 18 . Dezember 1914 , o. O, o. J. 53 „Zum Aufbau von Ostpreußen“, in: Die Bauwelt, (6)1915, H. 3, S. 9 f. 54 W.C. Behrendt: „Der Wiederaufbau im Osten“, a. a. O. 55 Carl Zetsche: „Die Aufgaben des Wiederaufbaus in Ostpreußen“, in: Deutsche Bauhütte, (19)1915, S. 189 56 Werner Lindner vom Deutschen Bund

Chef der Provinz, war im Ersten Weltkrieg Reichsernährungskommissar gewesen; zuvor, Ende 1914 , nach dem Rückzug der russischen Armee, hatte er den Wiederaufbau der zerstörten ostpreußischen Städte geleitet und die Rückführung der Flüchtlinge überwacht. Er besaß einen scharfen Intellekt, war ideenreich, entscheidungsfreudig und energisch.“ Dönhoff 31991, S. 48 63 Kriegshilfekommission für die Provinz Ostpreußen (Hg.), Wiederaufbau der durch den Krieg zerstörten Ortschaften Ostpreußens. Bericht über die erste Tagung der Abteilung für den Wiederaufbau zerstörter Ortschaften am 18 . Dezember 1914 , o. O, o. J., S.14 – eine für die weitere Wiederaufbauarbeit keineswegs repräsentative ostpreußische Besetzung. 64 Kriegshilfekommission für die Provinz Ostpreußen, a. a. O., S.  27 f. 65 Vgl. Deutscher Bund Heimatschutz (Hrsg.), Ostpreußen – seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, 2 . Heft, München o. J., darin: „Vortrag des Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen, Herrn von Batocki-Bledau, gehalten in Berlin am 16. März 1915“, S. 21; eine vollständige Liste der Patenstädte in Göttgen 1928 , S. 169 – 172; auch in Amerika und in Schweden hatten sich Hilfsvereine konstituiert. 66 Auch Bruno Taut meldete sich zu Wort. In der Bauwelt veröffentlichte er ein schlichtes Notwohnhaus, ein Typenmöbel für Ostpreußen. Vgl. Kurt Junghanns: Bruno Taut 1880 – 1938 , Berlin 1983, S. 266 67 Louis Strunk: „Immer wieder: Zum Wiederaufbau Ostpreußens“, in: Bau-Rundschau, (6)1915, S. 45 – 4 6 68  So schreibt F.R. Vogel: „Auf den Trümmer- und Schuttstätten sollen neue Orte, wie der Phönix aus der Asche, entstehen, schöner und herrlicher als zuvor.“ F. R.  Vogel: „Ostpreußische Bürgerhäuser“, in: Deutsche Bauhütte (20)1916, S. 254 69 W.  C.  Behrendt: „Der Wiederaufbau im Osten“, a. a. O. 70 W.  C.  Behrendt: „Der Wiederaufbau im Osten“, a. a. O. 71 Kriegshilfekommission für die Provinz Ostpreußen (Hg.), Wiederaufbau der durch den Krieg zerstörten Ortschaften Ostpreußens. Bericht über die erste Tagung der Abteilung für den Wiederaufbau zerstörter Ortschaften am 18. Dezember 1914, o. O, o. J., S. 43 72 O. W. Kuckuck am 18 . 12. 1914: „Ich bitte deshalb, eine zentrale Bauberatungsstelle mit dem Sitz in Königsberg zu schaffen, die ihre Organe selbstverständlich auch in der Provinz haben kann; aber keine Kreisbauberatungsstellen, die nicht die Mittel haben, wirkliche Bauberater an die Spitze zu stellen.“ In: Kriegshilfekommission a. a. O., S. 54  73  Gold­ stein (1920), S. 4 74 Goldstein (1920), S. 6 75 Goldstein (1920), S. 6 76 Goldstein (1920), S. 6 77 Goldstein (1920), S. 7 78 Paul Schultze-Naumburg in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 24 . 12. 1914 , zit. in: Deutscher Bund Heimatschutz (Hrsg.), Ostpreußen – seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, 1. Heft, München o. J., S. 152 f. 79 Ebd. 80 Ebd. 81 Amerikanismus war der Begriff für großstädtisches Chaos, für scheinbar sinnlosen Fortschritt und für ungesteuerte Geschwindigkeit. Dennoch schienen die Amerikaner gerade durch ihre Unbekümmertheit viel natürlicher und viel mehr von der Natur geprägt als der Europäer. Dieser Widerspruch, der im Wort „Amerikanismus“ mitschwingt, fand seinen Widerhall in zahlreichen positiven wie negativen Einschätzun-

Anmerkungen

Heimatschutz am 18 . 12 . 1914: „Wir vom Deutschen Heimatschutz haben uns lebhaft für diesen Wiederaufbau interessiert und uns gesagt, es handele sich um eine deutsche Kulturangelegenheit.“ In: Kriegshilfekommission für die Provinz Ostpreußen (Hrsg.), o. O, o. J., S. 40 57 „1. Aufruf zum Wiederaufbau“, darin folgender bezeichnender Satz: „Ebenda muss eine aus dem Ernst der Zeit geborene, bewusste Einfachheit, Schlichtheit und einheitliche Durchgeistigung zum Stempel der neuen Werke werden, vom größten bis zum kleinsten.“ In: Heimatschutz, 10 Jg., H. 1, 1915, S. 26, zitiert in Hartmut Frank, „Heimatschutz und typologisches Entwerfen. Modernisierung und Tradition beim Wiederaufbau von Ostpreußen 1915 – 1927 “, in Lampugnani / Schneider 1992: S. 106 58 Kriegshilfekommission für die Provinz Ostpreußen (Hrsg.), a. a. O., S. 148 59 Der Vorstand des Werkbundes: „Der Deutsche Werkbund ist der Ansicht, dass die besten Kräfte aus ganz Deutschland (ohne Unterschied, ob sie Baubeamte sind oder nicht) ausfindig gemacht und herangezogen werden sollten. Bedingung wäre allerdings, dass die Betreffenden bereit wären, ihre ganze Kraft der Aufgabe zu widmen und zu ihrer Erledigung an Ort und Stelle überzusiedeln. […] Der Deutsche Werkbund ist bereit, ein Verzeichnis von Mitarbeitern einzureichen, die für die harrende bauliche Aufgabe geeignet und die bereit sind, an Ort und Stelle helfend mitzuwirken. Er erbietet sich ferner, bei der Frage des Hausgerätes tatkräftig mitzuwirken und ist überhaupt zu organisatorischer Hilfe jeder Art erbötig. Er bittet, zu ferneren Beratungen einen Vertreter des Vorstandes heranzuziehen, falls die Anwesenheit eines solchen für erwünscht erachtet wird.“ In: Deutscher Werkbund, „Der Wiederaufbau der zerstörten Wohnstätten in Ostpreußen und im Elsaß“, in: Der Industriebau (6)1915, Heft 4 , S. 32 f. Vgl. auch Deutscher Bund Heimatschutz, Ostpreußen, seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, 1. Heft, München o. J., S.14 f. 60 Darunter die Vereinigung ostpreu­ ßischer Künstler und Kunstfreunde zu Berlin, deren Vertreter der Architekt Hugo Wagner war. Im Dezember publizierte die Vereinigung die Ansicht, dass „eine fachmännische Bauberatung für nötig erachtet [wird], die am besten sofort vorzubereiten ist“. Und: „Eine vorbereitende Maßregel von größter Wichtigkeit ist die sofortige Beschaffung von Unterlagen für den Wiederaufbau durch Sammlung von Vermessungsmaterial.“ In: Wochenkorrespondenz zu Wasmuths Monatshefte für Baukunst, (1)1914 , Nr. 9, 1. 12 . 1914 , S. 67 61 Vgl. Deutscher Bund Heimatschutz (Hg.), Ostpreußen – seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, 2. Heft, München o. J., darin: „Vortrag des Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen, Herrn von Batocki-Bledau, gehalten in Berlin am 16. März 1915“, S. 20: „Die deutsche Architektenschaft hat sich mit Begeisterung in den Dienst dieses Werkes gestellt. Über 500 Meldungen namhafter Architekten liegen bei mir auf dem Schreibtisch.“ Vgl. auch Fischer, in: Zentralblatt der Bauverwaltung, Nr. 46, 9. 6. 1915, S. 297.: „Die Maßnahmen der Staatsregierung für den Wiederaufbau Ostpreußens“. 62  Marion Gräfin von Dönhoff schreibt über von Batocki: „Batocki, Oberpräsident von Ostpreußen, also der oberste

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gen der amerikanischen Lebensweise durch die Reformer. 82 Typische Floskel, mit der eine funktionierende Repräsentation eingefordert wird. 83 Hermann Muthesius in: Über Land und Meer, Berlin 1915, Nr. 9, zit. in: Deutscher Bund Heimatschutz (Hg.), Ostpreußen – seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, 1. Heft, München o. J., S. 153 84 Vgl. Goldstein (1920), S.  12 und auch Göttgen 1928 , S. 26 85 Göttgen 1928 , S. XIV 86 Vgl. Göttgen 1928 , S. 26 87 Nach Göttgen konnten sie erst 1925 beendet werden; Vgl. Göttgen 1928 , S. 99 88 Goldstein (1920), S. 32 89 Vgl. Goldstein (1920), S. 32 90 Paulsen: „Grundsätzliches zum Wiederaufbau Ostpreußens“, in: Die Bauwelt, (7 )1916, Nr. 4 , S. 14 f. 91 Fischer: „Rückblick und Ausblick auf den Wiederaufbau Ostpreußens“, in: Die Bauwelt, (7 )1916, Nr. 2, S. 11 – 15. Auch heute noch findet man diese ostpreußischen Urhütten im polnischen Teil, so an der Straße von Angerburg (Wegorzewo) nach Goldap, kurz nach der Ortsausfahrt Wegorzewo. 92 Fischer: „Rückblick und Ausblick auf den Wiederaufbau Ostpreußens“, a. a. O., S.  13 93 Schwab, Hans: „Das ostdeutsche Haus und der Wiederaufbau Ostpreussens“, in: Neudeutsche Bauzeitung, (11)1915, S. 149 94 Schwab, Hans: „Das ostdeutsche Haus und der Wiederaufbau Ostpreussens“, a. a. O., S.  150 95 Vgl. dazu die Reform-Sommerhäuser, die Otto Walter Kuckuck für den Ort Neuhausen Tiergarten entwarf. In: Neue Kunst in Alt-Preussen, (1)1911, S. 25 96 Schwab, Hans: „Das ostdeutsche Haus und der Wiederaufbau Ostpreussens“, a. a. O., S. 150 97 Lange 1928 , in: Göttgen 1928 , S. 49 98 Lange 1928 , in: Göttgen 1928 , S. 52 99 Die Bezirksarchitekten, die die Bauberatungsämter leiteten: Hoffmann in Domnau, Rother in ­Tapiau, Locke in Allenburg, Engler in Gerdauen, Hilscher in Hohenstein, Roswog in Ortelsburg, Wolf in Sensburg, Brurein in Lyck, Kahm in Soldau, Frick in Stallupönen, Keller in Goldap, Maul in Darkehmen, Werz in Lötzen, Lotz in Pillkallen, Wagner in Johannisburg, aufgeführt in: Carl Zetzsche: „Die Aufgaben des Wiederaufbaus in Ost­ preußen“, in: Deutsche Bauhütte, (19)1915 , S. 189 – 191, S. 205 – 207, S. 221 – 223, Liste auf Seite 207; dazu ergänzend, falls Abweichungen auftreten, die Angaben bei Goldstein: Schlemm in Neidenburg (S. 20), Kräutle in ­Hohenstein (S.  23), Lubowski und Neumann-Hartmann in Johannisburg (S. 30), Röver in Marggrabowa (S. 38), ab 1918 Huntemüller in Darkehmen (S. 45), Erdmenger in Pillkallen (S. 54), Pudor in Braunsberg (S. 56), erst Hoffmann, ab 1918 Maul in Domnau (S. 58), Gustav Wolf in Sensburg (S. 62) und Hempel in Angerburg (S. 65). Vgl. auch Krollmann 1915, S. 20; die Oberbauräte in Königsberg waren zeitweise die Architekten Fischer und Schmidt (S. 18); Krollmann 1918 schreibt zur Qualifikation der Architekten: „Es ist schon lange kein Geheimnis, dass der Zudrang wirklich tüchtiger Architekten zu den Beamtenstellen der Bauverwaltung kein überwältigender ist“ (S. 22). 100 „Wiederaufbau ostpreußischer Ortschaften“, darin Bericht von H. Wagner, z. Zt. Berlin, in: Zeitschrift des Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine, H. 3 , 1914 , S. 337 – 339, hier S. 338 101 Lange 1928 , in: Göttgen 1928 , S. 57 102 Krollmann: „Wiederaufbau Ostpreußens und

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Bauberatung“, in: Deutsche Bauhütte, (22)1918 , S. 153 f. Und Vgl. auch: „Erfahrungen beim Wiederaufbau in Ostpreußen“, in: Deutsche Bauhütte, (22)1918 , S. 133 – 134: „Dieser unerhörte Druck [der Bauberatungsämter, N. A. ] war so stark, dass die Bauherren regelmäßig ihren Architekten zum Nachgeben zwangen, um endlich mit dem Bau beginnen zu können, auf die Intentionen des Bezirksarchitekten einzugehen. Nicht genug damit. Das Ergebnis der Arbeit von Privat- und Bezirksarchitekten wurde in vielen, vielen Fällen von dem Hauptberatungsamte in Königsberg umgeworfen und dort ein völlig neuer Entwurf aufgestellt.“ 103 Goldstein (1920), S. 16 f. 104 Beide Entwürfe sind abgebildet in der Neudeutschen Bauzeitung, (12)1916, S. 100 105 Salm 2001, S. 193 106 „In mancher Stadt teilen sich fünf bis acht Architekten in der Bauaufgabe.“ In: „Erfahrungen beim Wiederaufbau in Ostpreußen“, in: Deutsche Bauhütte, (22)1918 , S. 133 – 134 107  Vgl. allgemein zu den Patenschaften: Göttgen 1928 , S. 75 108 Satzung des „Kriegshilfsvereins Bremen für Schirwindt (Ostpreußen) e. V.“, Zit. bei Wilhelm Lührs: Der Kriegshilfsverein Bremen für Schirwindt (Ostpreußen) e. V., in: Landsmannschaft Ostpreußen, Bremen (Hg.), 40 Jahre Landsmannschaft Ostpreußen in Bremen, Bremen o. J. (1988), S. 47 – 52 109 Goldstein (1920), S. 53 110 Diedrich Luley kam aus Bremen und hatte dort 1908 das Wasserkraftwerk „Weserwehr“ (Bremen-Hastedt) errichtet. 111 Otto W. Kuckuck aus Königsberg. 112 Vgl. dazu den Abbildungsnachweis von Göttgen, in: Göttgen 1928 , S. 186 113 Die Architekten werden genannt bei A. Blössner: „Der Wiederaufbau der Grenzstadt Schirwindt“, in: Der Baumeister, XXI Jg., Mai / Juni 1923, Heft 5 / 6, S. 17 – 24 , Tafel 23 – 30 114 Salm beurteilte den Wiederaufbau Schirwindts 2012 wie folgt: „Trotz ihrer geringen Ausmaße wiesen einige Gebäude ungewöhnliche Formen auf, wie seitliche Staffelgiebel und Erker bei mehreren Marktbauten.“ (S. 207 ) Salm dokumentiert auch den Bebauungsplan Schiwindts und zeigt einige Wiederaufbau-Beispiele. 115  Nur das Haus Ebner am Markt fällt völlig aus dem oben geschilderten Rahmen. Es zeigt einen gotisch anmutenden Stufengiebel und spitz zulaufende Rundbögen über den Türen. Der Architekt war offenbar Erich Göttgen. Vgl. dazu den Abbildungsnachweis von Göttgen, in: ­Göttgen 1928 , S. 186 116 Zum Zustand von Gerdauen Vgl. Aschenbeck: „Die Wiedergewinnung der Heimat, Pflegefälle: Die im Ersten Weltkrieg entstandene Reformstadt Gerdauen bei Königsberg verfällt“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. 8 . 1993; Nils Aschenbeck: „Im Schatten der EU -Außengrenze – Gerdauens Schicksal ist exemplarisch für das russische Grenzgebiet zur Republik Polen“, in: Preußische Allgemeine Zeitung, Nr. 24 , 15 . 6 . 2013 117  Die von Stoffregen errichteten historisierenden Fachwerkspeicher, für deren innere Stabilität Stahlträger sorgten (sic!), wurden 2014 abgerissen. 118 Salm 2001, S. 199 119 Goldstein (1920), S. 60 f. 120  Heinz Stoff­ regen errichtete rund um Gerdauen zahlreiche Land­ häuser, Dorfgaststätten und auch das Kriegerdenkmal in Rastenburg. Im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz findet sich eine Aufstellung von Stoffregen über

der Achse nach dem garten zu gelegen ist, und der rechts nach der Strasse. Gessner war ein sehr guter Miethaus­ architekt, Bestelmeyer und Bonatz kennen wir als gute Architekten, Schmitthenners Staaken ist gut, obwohl man gegen seine künstlich kleinstädtische Planung etwas sagen darf (Franz Oppenheimer hielt es für eine Verwirk­ lichung seiner eigenen genossenschaftlichen Gedanken). Über Schultze-Naumburg denke ich wie Sie: vor dem Kriege von 1914 war er einer der wichtigsten Kräfte in der Reform jener Zeit. Alle waren gediegene Architekten jener Reform, der auch Stoffregen angehört hat und welche nach dem Kriege – und noch viel später – nicht mehr gelten durfte.“  124 Biographische Angaben zu Paul Engler bei Salm 2012, S. 113 f. 125 Ohne Autor: „Preisausschreiben für den Wiederaufbau Lyck“, in: Deutsche Bauzeitung, 52. 1918 , Nr. 63, S. 277 f. Darin Abb. des Engler-Entwurfs. Vgl. auch Goldstein (1920) S. 35. Errichtet wurde das Rathaus dann aber von Wilhelm Brurein (Fertigstellung 1925). Vgl. Salm 2012 , S. 149 f. 126 Als Hans Poelzig 1903 bis 1906 das Rathaus zu Löwenberg in Schlesien erweiterte, schuf er einen dezidiert gotischen Bau, der sich ohne Bruch der hergekommenen Nachbarschaft anpassen sollte. Vgl. dazu Posener 1994 , S. 14 . Auch Scharouns Entwurf von Rathaus und Kirchplatz in Lyck im Jahr 1918 scheint erheblich angepasster als der Stoffregen-Entwurf. Vgl. Geist, Kürvers, Rausch 1993, S. 34 127 Zit. in: Aschenbeck 1990, S. 57 128 Allerdings war Gerdauen ein kleiner, abgelegener, kaum industrialisierter Ort. Die großstädtische Modernisierung, der von der Verkehrsgeschwindigkeit vorgegebene Rhythmus konnte hier leicht außer Acht gelassen werden. 129 Vgl. zum Besuch Wilhelm II . den Leserbrief Anne-Marie Grossers in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 4 . 9. 1993 130 Goldstein (1920), S. 61 131  H. von Planitz, „Der Wiederaufbau Ostpreußens“, in: Der Wiederaufbau Ostpreußens in Sonderheften über die Arbeiten einzelner Baukünstler, 1. Band, Hans Meier, Architekt B.D.A., Angerburg, Sonderdruck aus Dokumente deutscher Baukunst Band 53 , Berlin o. J. 132 Vgl. Paulsen 1922 133 Riezler 1925 134 Riezler 1925, S. 13. Ver­mutlich ein Hinweis auf Gerdauen. 135 Hartmut Frank: „Heimatschutz und typologisches Entwerfen. Modernisierung und Tradition beim Wiederaufbau von Ostpreußen 1915 – 1927 “, a. a. O., S.  110 136 Salm 2001, S. 197 f. 137 Vgl. zu Häring vor allem Schirren 2001 138 H. de Fries: „Wiederaufbau Ostpreußens“, in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst, (7 )1923, Nr. 5 / 6, S. 147 ff. 139 H. de Fries: „Wiederaufbau Ostpreußens“, a. a. O., Bildteil 140 H. de Fries: „Wiederaufbau Ostpreußens“, a. a. O., Bildteil 141 Vgl. Christoph Luchsinger (Hg.): Hans Hofmann – Vom neuen Bauen zur neuen Baukunst, Zürich 1985 142 Salm 2012 , S. 63 143  Zu Kurt Frick siehe H. de Fries, a. a. O., Bildteil, und Jan Salm 2007. 144 Zu Max Schönwaldts Entwürfen siehe Deutsche Bauhütte, (20)1916 , S. 282 , S. 322 f. und S. 342 145 Biographische Angaben zu Kahm bei Salm 2012, S. 184 146 „Der Wiederaufbau von Soldau“, in: Die Bauwelt, (8)1917, Nr. 6, S. 21 147 Ebd. 148 „Der Wiederaufbau von Soldau“, a. a. O., S.  21 149 Zu Paul Kleins Entwürfen siehe F. Rudolph Vogel: „Ostpreußische Bürger-

Anmerkungen

in Bau oder teilweise auch noch im Planungsstadium befindliche Projekte, datiert den 4 . 7. 1916: Kreis Gerdauen: Gutshof Gerdauenshöfchen, Gutshof Rasch, Gr. Bajohren, Gutshof Erdtmann, Looskeim, Haus Preuss, Altendorf, Haus Podack, Assaunen; Stadt Gerdauen: Hotel Reich, Wohn- und Geschäftshaus Wolff, Wohn- und Geschäftshaus Dangeleit, Wohnhaus und Schmiede Wichmann, Wohn- und Geschäftshaus Huy, Wohnhaus Deckert, Wohnhaus Grabowski, Wohnhaus und Stall Näth; Stadt Allenburg: Hotelneubau Klatt, Wohn- und Geschäftshaus Krutzky, Wohn- und Geschäftshaus Karbaum, Wohn- und Geschäftshaus Lipp, Wohn- und Geschäftshaus Jacobsohn, Scheune, Insthaus, Speicher der Schneidemühle Anker; Kreis Allenburg; Rittergut Kautern; Kreis Rastenburg: Geschäfts- und Gasthaus Major in Barten; Kreis Johannisburg: Dampfmühle Streich, Pianken. (Bestand Oberpräsidium, Res. 2 , des Staatsarchivs Königsberg, Signatur XX. H. A.  Res.2  / I I , Nr. 3696 Vol. 1, Bl. 254 – 2 55; den Hinweis verdanke ich Frau Romana Schneider, Frankfurt) 121 Goldstein (1920), S. 60 f. 122 Salm 2012, S. 119. Und weiter: „Noch verblüffendere, fast bühnenhafte Raum­ ein­ drücke entstanden im nördlichen Teil der Stadt. Der Blick wird durch die schmalen Wirtschaftswege zwischen den Hofseiten der Häuser geführt, an deren Ende sich individuell gestaltete, kompositorisch bedeutende Gebäude standen. Als Beispiel sei hier die Schmiede mit ihrer ausladenden dreibogigen Vorhalle genannt, die am Ende einer von der Kirche abgehenden Gasse lag. An anderen Gebäuden, wie dem Haus Wichmann, tragen Konsolen die vorstehenden oberen Etagen. Für die Konstruktion wäre dies nicht nötig gewesen, aber so entstanden Dekora­ tionselemente, die hervorragend ins Bild der idyllischen alten Kleinstadt passten und eine gemütliche Stimmung schufen.“ (S. 119) 123 Stoffregen näherte sich ab 1925 dem Neuen Bauen, in Bremen beteiligte er sich am Großsiedlungsbau (Hamburger Straße). Auch bei dieser Aufgabe setzte er nicht auf die weiße Moderne, sondern rea­ lisierte eine Klinkerarchitektur mit expressionistischen Ornamenten. 1928 trat er der konservativen Architektenvereinigung „Block“ bei. Vgl. Aschenbeck 1990, S. 70 f. und Vgl. auch einen Brief von Julius Posener an den Verfasser vom 18 . 3. 1987: „Man hat Stoffregen zu unrecht vergessen. Es mag etwas damit zu tun haben, dass er schließlich einer der Gründer des‚Block‘ geworden ist; aber Sie sagen mit Recht, dass der‚Block‘ im Augenblick seiner Gründung noch nicht das war, was er später geworden ist. Man kann wenig gegen seine Gründungsmitglieder sagen. Seek und Blunck habe ich gekannt: beide waren meine Lehrer. Wobei ich sagen muss, dass Blunck damals, etwa 1926, schon ein wenig penetrant antimodern gewesen ist. Ich habe ihn dennoch hoch geschätzt und gern gemocht, und bewohne augenblicklich ein Haus, das er im Jahre 1914 in Zehlendorf gebaut hat: ein gutes Beispiel für die Stilverhärtung der Jahre unmittelbar vor dem Kriege: Blunck, bis dahin Romantiker und sehr heimatbewusst (er kommt aus Lübeck) ist in diesem Haus streng klassizistisch – vielmehr nicht ganz streng: die beiden Seitenteile des Hauses sind dadurch ausgezeichnet, dass der große Raum links von

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häuser (Zu den Entwürfen von Arch. D.F.A. Paul Klein, mer: Die Käseglocke in Worpswede, Worpswede 2001 Königsberg)“, in: Deutsche Bauhütte, (20)1916, S. 166 f., 161  Das Gebäude steht noch heute an der Bismarkstraße S. 254 und siehe auch: Ohne Autor: „Der Wiederaufbau in 89 in Delmenhorst, Vgl. dazu auch Aschenbeck 1990, Domnau und Neidenburg“, in: Die Bauwelt, (7 )1916, Nr. 13, S. 57 f. 162 Sowohl bei Harry Graf Kessler als auch bei S. 11 – 13 150 F. Rudolph Vogel: „Ostpreußische Bürger- Ernst Jünger blieb die Hüttenmetapher bis in die 1930 er häuser“, in: Deutsche Bauhütte, 20.1916, S. 254 151 Als Jahre ein Ausdrucksmittel. Vgl. Nils Aschenbeck: „Die Hütweiteres Beispiel einer individuellen, formenreichen Ge- tenbilder bei Ernst Jünger und Harry Graf Kessler“, in Arstaltung sollten noch die Bauten, die in Darkehmen ent- chicultura, H. 2, Identität – Flucht, Bremen 2008 , S. 77 – 83 standen, erwähnt werden. Sie simulieren mehr noch als 163  Das Kapitel folgt der Schrift von Nils Aschenbeck: Das in Gerdauen die altdeutsche Kleinstadt mithilfe von viel Aalto-Hochhaus in Bremen, Ein Haus wie kein anderes, Fachwerk, Sockelgeschossen aus Feldstein etc. Der Archi- Bremen 1998 , vor allem ab S. 10. 164 „Bremens höchstes tekt ist leider unbekannt. Vielleicht war es Karl Kujath aus Haus mit 180 Wohnungen“ („As“), in: Bremer Nachrichten, Berlin, Vgl. Goldstein (1920), S. 47 152 Goldstein (1920), 23. 10. 1958 165 Ebd. 166 Ebd. 167 Zitiert im Weser KuS.17 153 Salm 2012, S. 171 154 Abbildung bei Salm 2012, rier vom 23. 10. 1958: „60 Meter hohe Wohnturm für die S. 171 155 Vgl. Akademie der Künste 1969 156 Vgl. Geist / Neue Vahr“ („bk. “) 168 „Bremens höchstes Haus mit 180 Kürvers / Rausch 1993, S. 30 ff. 157 Deutscher Bund Hei- Wohnungen“, a. a. O. 169 Bei der ab 1954 gebauten matschutz (Hrsg.), Ostpreußen, seine Vergangenheit, Ge- Großsiedlung „Gartenstadt Vahr“ (Architekten Säume & genwart und Zukunft, 1. Heft, München o. J., S. 150. Vgl. zu Hafemann) war schon der Name ein Rückverweis auf die den Taut-Entwürfen auch die Bauwelt, (5)1914 , Nr. 45, Zeit der Reform. 170 Tatsächlich wurden die Gemein12. 11. 1914 158 Zum Wiederaufbau von Lyck Vgl. vor al- schaftsräume von den Bewohnern nicht angenommen; lem Wilhelm Brurein: „Wiederaufbauarbeiten im Kreise hier war die ideale Idee der Architekten noch nicht ganz Lyck O.-Pr.“, in: Deutsche Bauzeitung, 4 . 8 . 1926, 60. Jg., bei den Menschen angekommen, die sich auch am Nr. 62 , S. 505 ff. 159 Ernst Jünger: Das Wäldchen 125 , ­Wochenende-Vormittag lieber in den Wohnungen verkroEine Chronik aus den Grabenkämpfen 1918 , Berlin 1925 chen – auch wenn sie dort nicht von der Sonne beschie160  Zur Baugeschichte der „Käseglocke“ Vgl. Jörg Teu- nen wurden.

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Nachbemerkung Dieses Buch schreibt eine andere Architekturgeschichte. Es will deutlich machen, wie Architektur und deren Bedeutung konstituiert werden. Historismus ist per se nicht schlechter als die moderne Architektur. Er funktioniert nur anders, d. h. die Menschen haben ihn anders begründet. Auch die Architektur der Moderne wird wie der Historismus nicht ewig bestehen. Nach mehr als einem Jahrhundert Reformarchitektur mag der Wandel längst im ­Gange­ sein … der Verfasser sieht ihn allerdings noch nicht.

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Werbepostkarte für das Santorium „Bilz“ in Radebeul bei Dresden um 1900. Die Karte zeigt die von Just und Rikli propagierte und offenbar auch in Dresden eingeführte naturgemäße Bekleidung und die beabsichtigte Regression der Zivilisation. Quelle: Sammlung Aschenbeck

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Eduard Scotland, Werbeplakat für den Reformkaffee „HAG“, ca. 1929. Quelle: Archiv Jacobs Douwe Egberts, Bremen.

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Wenzel Hablik, Tempelentwurf „Freitragende Kuppel mit fünf Bergspitzen als Basis“, 1924 , Öl auf Leinwand. Quelle: (c) Wenzel-Hablik-Stiftung, Itzehoe

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Figurengruppe, Kurhaus in Meran. Foto N. Aschenbeck

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Emil Fahrenkamp: Hotel Monte Verità, 1918 , Foto 2007. Foto: N. Aschenbeck

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Bruno Taut, „Das Baugebiet“. Es zeigt eine Bebauung am Luganer See mit einer „Stadtkrone“. Nicht zufällig wählte auch Taut das Tessin, den „Italienblick“ als Ort seiner Architekturutopie. Quelle: Taut, Alpine Architektur, 1919

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Der Barkenhoff um 2000, Vorderansicht. Foto: N. Aschenbeck

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Heinrich Vogeler, Sommerabend, 1905.

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Goethes Gartenhaus in Weimar – Idealbild der Architektur Anfang des 20. Jahrhunderts. Postkarte um 1900

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Georg Baehr, Landhaus in der Sächsischen Schweiz. Quelle: Haenel und Tscharmann 1913, S. 32 f.

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Heinrich Vogeler, Entwurf für ein Einfamilienhaus bei Worpswede, vor 1914 . Quelle: Barkenhoff Stiftung Worpswede

Heinrich Vogeler, Entwurf für ein Doppelhaus für eine Arbeitersiedlung, ca. 1911. Quelle: Barkenhoff Stiftung Worpswede; entnommen Arnold 2002, S. 175.

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Heinrich Vogeler, Entwurf für das Haus Löhnberg in Willingen, ca. 1912. Quelle: Barkenhoff Stiftung Worpswede; entnommen Arnold 2002, S. 184 (Ausschnitt).

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Fabrikgebäude der „Kaffee-Handels-AG “ in Bremen, 1906 – 1907, Röstgebäude, Zustand um 1995. Foto: N. Aschenbeck

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Heinz Stoffregen, Entwurf Wiederaufbau in Gerdauen, 1915. Quelle: Sammlung Aschenbeck

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Heinz Stoffregen, Wiederaufbau-Architektur in Gerdauen, ca. 1916 / 17, Zustand 2013. Foto: N. Aschenbeck

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Heinz Stoffregen, Wiederaufbau-Architektur in Gerdauen, ca. 1916 / 17, Zustand 2013. Foto: N. Aschenbeck

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Heinz Stoffregen, Wiederaufbau-Architektur in Gerdauen, ca. 1916 / 17, Zustand 2013. Foto: N. Aschenbeck

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Heinz Stoffregen, Wiederaufbau-Architektur in Gerdauen, ca. 1916 / 17, Zustand 2013. Foto: N. Aschenbeck

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Heinz Stoffregen, Wiederaufbau-Architektur in Gerdauen, ca. 1916 / 17, Zustand 2013. Foto: N. Aschenbeck

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Wiederaufbau-Architektur in Prostken bei Lyck. Fotos: N. Aschenbeck 2014

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Wiederaufbau-Architektur in Prostken bei Lyck. Foto: N. Aschenbeck 2014

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Walter Brasch, Mehrfamilienhaus in Delmenhorst, 1930. Brasch war Mitarbeiter von Hans Scharoun in Insterburg, bevor er nach Delmenhorst ging. Foto: N. Aschenbeck

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Hans Scharoun, Mehrfamilienhaus in der „Bunten Reihe“, Insterburg 1921 – 24 , Zustand 2013. Foto: N. Aschenbeck

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„Vertical Forest“, Mailand, Projekt der Architekten Stefano Boeri Architetti, realisiert 2009 – 2014 . Auch dieses Projekt, das hier bewusst an den Abschluss des Themas Reformarchitektur gesetzt wird, will die Gesundheit des einwohnenden Menschen verbessern (Luftqualität) und gleichzeitig eine besseres Stadtklima schaffen und damit die Stadt und die Gesellschaft reformieren. Darüber hinaus repräsentiert es fast symbolisch den ökologischen Stadtumbau, der im 21. Jahrhundert immer zentraler wird. Die Aufgaben mögen neu sein – die Grundprinzipien dieser Architektur wurden jedoch bereits seit 1900 eingeübt. Der einwohnende Mensch, der nun nicht mehr nur ein Maschinist ist, sondern sich auch als eine ökologisch bewusst handelnde Person versteht, wird nicht mehr nur durch eine rationale Fassade wie noch in den 1960 er Jahren bei Aalto, sondern auch durch eine um Bäume und Natur ergänzte Wabenarchitektur repräsentiert. Quelle: Wikipedia

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Literatur Akademie der Künste, Berlin (Hg.): Hans Scharoun, ­Berlin 1969 Akademie der Künste, Berlin (Hg.): Max Taut, 1884 – 1967. Zeichnungen, Bauten, Katalog, Berlin 1984 Alms, Barbara: Haus Coburg. Von der Bürgervilla zur Städtischen Galerie Delmenhorst, 1905 – 1995, ­Delmenhorst 1995 Altenrath, J.: „Die Gartenstadt Ratshof“, in: Zeitschrift für Wohnungswesen, (8)1910, H. 16, S. 217 Alvar Aalto, Bd. I, 1922 – 1962, Basel / Boston / Berlin 6  1995 Anonym [Laugier, Abbé Marc-Antoine]: Essai sur ­l’Architecture, Paris 1753, ed. Geert Bekaert, Brüssel 1979

Aschenbeck, Nils: „Zeit für alles Schöne. Anna Goetze, Schriftstellerin und Kunstkritikerin“, in: Weser Kurier, 17. 3. 1993, S. 19 Aschenbeck, Nils: „Reformarchitekten in Delmenhorst, Eine Dokumentation der Jahre 1905 – 1930 “, in: ­Mitteilungsblatt der Oldenburgischen Landschaft, Nr. 82, I. Quartal 1994, S. 11 – 17 Aschenbeck, Nils: „Tempelbauten eines neuen ­Jahrhunderts“, in: Drees-Hüttemann / Küster 1994, S. 196 – 215 Aschenbeck, Nils: Von der Hütte zum Sanatorium, Diss., Delmenhorst 1997 Aschenbeck, Nils: Das Aalto-Hochhaus in Bremen. Ein Haus wie kein anderes, Bremen 1998

Anonym [Julius Langbehn]: Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen, Leipzig 131890 / 1922 [aus beiden Ausgaben wird zitiert; jeweils belegt]

Aschenbeck, Nils: Die „Jute“ in Delmenhorst – erste ­Fabrik zwischen Weser und Ems (Delmenhorster Schriften 18), Delmenhorst 1999

Arnold, Beate (Hg.): „In erster Linie Hausbau …“ – Heinrich Vogeler und die Bremer Reformarchitekten, Oldenburg 2002

Aschenbeck, Nils (Redaktion): Ernst Becker. Einfaches Bauen, Delmenhorst 1999

Arnold, Klaus-Peter: Vom Sofakissen zum Städtebau. Die Geschichte der Deutschen Werkstätten und der Gartenstadt Hellerau, Dresden / Basel 1993 Asche, Kurt: Peter Behrens und die Oldenburger ­Ausstellung 1905, Berlin 1992 Aschenbeck, Nils: „Monument und Bedeutung“, in: Archithese, (4)1990, S. 14 – 21 Aschenbeck, Nils: Heinz Stoffregen 1879 – 1929. ­Zwischen Tradition und Avantgarde, ­Braunschweig / Wiesbaden 1990 Aschenbeck, Nils: Moderne Architektur in Ostpreußen, Hamburg 1991 Aschenbeck, Nils: „Aus einem Guß, Kaffeefabrik in ­Eisenbeton“, in: Bremer Landesmuseum 1992 Aschenbeck, Nils und Hans-Joachim Wallenhorst ­(Redaktion): Modell Neue Vahr, Katalog, Bremen o. J. (1993) Aschenbeck, Nils: „Die Wiedergewinnung der Heimat, Pflegefälle: Die im Ersten Weltkrieg entstandene Reformstadt Gerdauen bei Königsberg verfällt“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. 8.1993  

Aschenbeck, Nils: Architektur, Skulpturen und ­Parkanlagen in Delmenhorst, Delmenhorst 1993 Aschenbeck, Nils: „Turnhallen für die Arbeiterjugend. Die Reformer glaubten an eine moderne Körperkultur im ‚Jahrhundert des Kindes‘“, in: Delmenhorster Kreisblatt, 22. 4. 1993

Aschenbeck, Nils: Schnelldampfer Bremen. Die Legende, Bremen 1999 Aschenbeck, Nils: „Im Zeitalter der Hygiene“, in: Gerhard Kaldewei (Hg.): Linoleum – Geschichte, Design, ­Architektur 1882 – 2000, Ostfildern-Ruit 2000 Aschenbeck, Nils: „In the era of hygiene“, in: Kaldewei 2000, S. 140 – 161 Aschenbeck, Nils: „Zwischen Bauernidyll und Moderne – Heinrich Vogeler und die Bremer Reformarchitekten bauen Modelle für eine neue Zeit“, in: Arnold 2002, S. 27 – 65 Aschenbeck, Nils: „Der Barkenhoff. Vom Bauernhaus zur Künstlervilla – Die Baugeschichte“, in: Arnold 2002, S. 67 – 76 Aschenbeck, Nils: „Hugo Wagner – Heimatschutz und Moderne“, in: Arnold 2002, S. 111 – 124 Aschenbeck, Nils: „ ‚Das quecksilbrige Element‘ – Ludwig Roselius – Kindheit, Jugend, erste Erfolge“, in: ­Tallasch 2002, S. 28 – 41 Aschenbeck, Nils: „Das Architekturkonzept der Böttcherstraße“, in: Tallasch 2002, S. 55 – 63 Aschenbeck, Nils: „Das Wachstum des neuen ­Jahrhunderts aus den Zimmern der Reform –  Die Innenarchitektin Elisabeth von Baczko“, in: ­ansichten, Mitteilungsblatt des Deutschen ­Werkbundes Nord, Hannover, H. 1, 2002, S. 13 – 20

319

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Behrens, Peter: Ein Dokument deutscher Kunst. Die ­Ausstellung der Künstlerkolonie in Darmstadt 1901, München 1901

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Aschenbeck, Nils (Hg.): Archicultura, H. 2, ­Identität – Flucht, Bremen 2008

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Personenverzeichnis A

D

Aalto, Alvar  31, 274, 275, 276, 278, 279, 280, 282, 288

Deininger, Wunibald  210

Arneberg, Arnstein  181

Desmond, Olga  109

Asplund, Gunnar  181, 211

Dettweiler, Peter  53, 69

B Baczko, Elisabeth von  112, 199, 202, 206, 207, 211, 212

Diem, Karl  74, 75, 119 Dönhoff, Marion Gräfin von  285

Baczko, Felicitas von  212

E

Baehr, Georg  166

Eeg, Carl  118

Baillie Scott, Mackay Hugh  284

Ehmann, Arne  28, 31

Bara, Charlotte  98, 99, 100, 121

Ekici, Didem  35, 59, 60, 68, 116, 118

Batocki-Bledau (Oberpräsident von Ostpreußen)  235, 285

Emden, Max  109, 110, 121

Bauer, Leopold  171

Engler, Paul  249, 286, 287

Emerson, Ralph Waldo  103, 105, 121

Becker, Ernst  198, 199 Behrendt, Walter Curt  236, 284, 285

F

Behrens, Peter  29, 31, 96, 97, 136, 137, 138, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 152, 155, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 195, 196, 209, 210, 211, 220, 221, 227, 237, 244, 248, 262, 263, 272, 283

Fahrenkamp, Emil  31, 101, 198

Benjamin, Walter  48, 49, 117 Berg, Max  109 Bestelmeyer, German  287 Bleyer, Fritz  176 Blunck, Erich  287 Boberg, Ferdinand  150, 180, 181, 211 Bonatz, Paul  31, 287

Fidus (Hugo Höppener)  93, 96, 109, 120, 121, 162, 210 Fischer, Paul  148, 149, 239, 241, 282, 283, 285, 286 Fischer, Theodor  31, 181 Fitger, Arthur  110 Fontane, Theodor  44 Ford, Henry  221 Frank, Hartmut  255, 284, 285, 287 Freud, Sigmund  17, 35, 36, 42, 47, 70, 116 Frick, Kurt  244, 262, 286, 287

Böttger, Paul  263

G

Brehmer, Hermann  52, 53, 69 Breslauer, Alfred  109, 110, 140, 209

Gericke, Gustav  127, 152, 153, 155, 185, 196, 209, 271, 272

Breuer, Marcel  101

Gerson, Hans  133, 209

Brod, Max  109, 228, 284

Gerson, Oskar  133, 209

Brooks, Louise  106

Gessner, Hubert  287

Bruckmann, Peter  152, 220, 283, 284

Giedion, Siegfried  60, 68, 69, 85, 86, 101, 118, 119

Brurein, Wilhelm  267, 286, 288

Giesecke, Richard A.  108

Bubyr, Alexei  183

Giese, Fritz  108 Gildemeister, Friedrich  112, 122

C Cauer  235, 284 Coburg, Hermann  153, 210 Crettaz-Stürzel, Elisabeth  28, 31

Goethe, Johann Wolfgang von  50, 73, 117, 119, 163, 164, 210 Goetze, Anna  105, 106, 110, 111, 112, 113, 121, 122, 184, 199, 203, 204, 209, 211, 212

333

K

Goldstein, Ludwig  233, 236, 238, 248, 251, 284, 285, 286, 287, 288

Kahm, Philipp  263

Göttgen, Erich 244, 284, 285,  286

Kampffmeyer, Hans  211

Gräbner, Julius  242

Keller, Eduard  101, 102, 103, 121

Gräser, Gustav  77, 78, 80

Kellermüller, Adolf  262, 263

Gräser, Karl  77, 78, 80, 87

Kessler, Harry Graf  288

Grenander, Alfred  145

Key, Ellen  17, 24, 31, 70

Gropius, Walter  29, 31, 68, 101, 103, 157, 188, 189, 195, 196, 197, 210, 211, 220, 221, 222, 223, 226, 227, 237, 242, 244, 269, 272, 283, 284

Klein, Paul  265, 266, 268, 288

Grossers, Anne-Marie  287

Klinkowström, Grafen von  251

Großherzog Ernst Ludwig  138

Koch, Robert  47, 52

Klinke, Hans  168, 169

Koch-Weser, Erich  127, 152, 155 H Hablik, Wenzel  96, 121 Haenel, Erich  163, 164, 166, 167, 168, 169, 171, 174, 210

Kuckuck, Otto Walter  230, 232, 233, 235, 244, 284, 285, 286 Kühne, Max Hans  145 Kupffer, Elisar von  62, 101, 118

Hagemann-Boese, Hedwig  108 Hari, Mata  109 Häring, Hugo  262

Laban, Rudolf von  108, 109

Hartungen, Erhard von  117, 118

Landmann, Robert  81, 83, 119, 120, 121

Hattemer, Pauline Charlotte  78, 80, 85, 87

Langbehn, Julius  25, 31, 70, 71, 72, 73, 118, 119, 139, 160

Hegemann, Werner  48, 117 Hesse, Hermann  92, 119, 161 Heydt, Baron von der  101, 198 Heymel, Alfred Walter  218, 283 Hilberseimer, Ludwig  191 Hodler, Ferdinand  93, 120 Hoetger, Bernhard  161, 162, 210, 272 Hofer, Sigrid  28, 31, 120, 121 Hoffmann, Josef  78, 137, 171, 266, 268, 286 Hoffmann, Paul  283 Hofmann, Hans  262, 287 Hofmann, Ida  77, 78, 79, 84, 88, 89, 91, 120, 239 Hofmann, Jenny  78 Höger, Fritz  272, 273 Hörmann, Karl  108 Howard, Ebenezer  174, 211, 280 J Jaques-Dalcroze, Emile  96 Jessen, Peter  62, 63, 64, 65, 68, 223, 284 Jordi, Fritz  99, 121 Joyce, Alice  106 Jünger, Ernst  227, 270, 282, 284, 288 Just, Adolf  54, 56, 57, 58, 59, 76, 117, 118

334

L

Lange, Oberbaurat  19, 241, 242, 286 Lebental, Zdenko  54, 117, 118 Le Corbusier  74, 279, 280 Lewerentz, Sigurd  181 Leymann, Rudolf 244 Leyser, Erich  176, 211 Lichtwark, Alfred  111, 209 Lidvall, Fredrik  183 Lindau, Paul  119 Lindner, Werner  284 Löhnberg, Emil  99 Löns, Hermann  70, 118 Loos, Adolf  36, 47, 48, 116 Luley, Dietrich  244, 286 Lund, Frederik Konow  181, 182, 211 Lux, Joseph August  171, 174, 210 M M’ahesa, Sent  109 Mann, Heinrich  117 Mann, Thomas  62, 63, 68, 117, 118, 174, 210, 211, 226 Marinetti, Filippo Tommaso  217 May, Ernst  60, 68, 223, 275, 284

May, Karl  69, 70, 118

Rietzschel, Thomas  96, 121

Mebes, Paul  244

Riezler, Walter  254, 258, 259, 260, 261, 262, 287

Meier, Hans  250, 251, 252, 253, 254, 287 Meltser, Robert-Friedrich  183

Rikli, Arnold  53, 54, 55, 56, 59, 70, 75, 76, 77, 84, 117, 118, 120

Menzler, Dora  108

Rilke, Rainer Maria  161

Messel, Alfred  39, 128, 150

Roselius, Ludwig  189, 190, 195, 210, 211

Meyer, Adolf  272

Rossius-Rhyn, Ernst  267

Mies van der Rohe, Ludwig  31, 103, 179

Runge, Alfred  283

Migge, Leberecht  210, 272

Ruskin, John  131

Möhring, Bruno  181, 242, 267

Rutenberg, Lüder  117

Morris, William  131, 171

S

Mühlen, A. von zur  61, 118

Saarinen, Eliel  181

Müller-Wulckow, Walter  25, 31, 43, 48, 117

Salge, Adolf  109

Mumford, Lewis  5, 16, 17, 19, 38, 116

Salm, Jan  229, 248, 266, 284, 286, 287, 288

Musil, Robert  38, 44, 116

Scharoun, Hans  31, 68, 74, 220, 266, 267, 269, 272, 287

Muthesius, Hermann  25, 31, 131, 132, 133, 137, 138, 162, 163, 180, 209, 210, 211, 220, 238, 262, 284, 286

Schilling, Rudolf  242 Schinkel, Karl Friedrich  12, 13, 14, 15, 16, 117

N

Schmidt, Karl  145

Neuhausen-Tiergarten  230, 232, 233, 284

Schmitthenner, Paul  287

Nietzsche, Friedrich  5, 24, 25, 31, 56, 70, 71, 72, 89, 118, 122

Schmitz, Bruno  267

O

Schönwald, Max  263, 264

Oedenkoven, Henri  77, 78, 79, 80, 84, 88, 89, 119, 120, 239

Schopohl, Fritz  254, 255, 258, 259, 260, 261, 262

Schmoll, G. Th.  168, 170, 171

Ohmann, Friedrich  97

Schultze-Naumburg, Paul  31, 87, 103, 104, 112, 121, 129, 130, 131, 199, 209, 237, 238, 242, 244, 285, 287

Ol, Andrey  183

Schumacher, Fritz  96, 121, 145

Olbrich, Joseph Maria  139, 145

Schütte-Lihotzky, Margarete  197, 204, 212

Oppenheimer, Franz  287

Schwab, Hans  120, 239, 241, 284, 286

Osthaus, Karl Ernst  152, 250

Scotland, Eduard  283

Oud, Jacobus Johannes Pieter  223

Seidel, Gabriel von  127 Sielken, Heinrich 223

Pauli, Gustav  69, 70, 118

Sitte, Camillo  179

Pehnt, Wolfgang  19, 22, 31

St. Denis, Ruth  109

Peter, Gustav  206

Steiner, Rudolf  109

Philipp, Hans J.  254, 256, 257

Stern, Theodor  91, 120

Poelzig, Hans  96, 127, 140, 141, 142, 148, 194, 196, 209, 262, 281, 283, 287 Posener, Julius  28, 31, 141, 209, 287

Stoffregen, Heinz  20, 28, 31, 127, 128, 133, 134, 150, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 176, 177, 178, 179, 193, 196, 209, 210, 211, 222, 223, 245, 246, 248, 249, 250, 251, 254, 265, 271, 272, 280, 286, 287

Poulsson, Magnus  181, 211

Störtkuhl, Beate  9, 209

Poppe, Johann Georg  110, 127

Stubelius, Torsten  181 R Rathenau, Walther  152 Riemerschmid, Richard  137, 181, 209, 262

Szeemann, Harald  9, 82, 93, 95, 119, 120, 121, 210

Personenverzeichnis

Semper, Gottfried  14 P

335

T

Vester, Karl  120

Tappert, Georg  93, 94

Vischer, Julius  191, 211

Taut, Bruno  29, 115, 157, 210, 229, 230, 232, 267, 269, 272, 285, 288

Vogeler, Heinrich  21, 31, 93, 94, 99, 119, 121, 142, 143, 144, 160, 161, 165, 179, 206, 210, 211

Taut, Max  229

Vogel, Rudolph  266, 284, 287, 288

Taylor, Frederic Winslow  190, 211, 281

Voysey, Charles Annesley  132, 133

Tessenow, Heinrich  31, 59, 96, 97, 98, 118, 121, 142, 175, 181, 223, 254, 262

W

Thoreau, Henry David  25, 58, 59, 118

Wagner, Hugo  31, 120, 128, 154, 155, 179, 189, 190, 191, 196, 197, 210, 211, 235, 237, 242, 284, 285

Tolstoi, Lew Nikolajewitsch Graf  25 Tscharmann, Heinrich  145, 163, 164, 166, 167, 168, 171, 174, 210

Wagner, Martin  223 Wagner, Richard  96 Wahlmann, Lars Israel  181

U

Weidemeyer, Carl (Carlo)  98, 99, 100, 121, 161

Uphoff, Carl Emil  161

Wiegandt, Bernhard  136, 137

V

Wigman, Mary  93, 94, 120

van der Velde, Henry  137, 138

Wilder, Billy  44

Vanselow, Karl  107, 108, 109, 121

Wilhelmi, Clara  35, 116

Vasilyev, Nikolai  183

Wilhelm II von Preußen  287

Venner, Johannes Vincent  119

336

Ortsverzeichnis A

Breslau  140, 141, 209

Aachen  280

Brissago  108, 109, 110, 121

Abschwangen  235

C

Ägypten  70

Chile  89, 120

Alfeld an der Leine  189, 196, 197

Comer See  79, 80

Allenburg  235, 243, 262, 286, 287

Como  79

Alpen  12, 60, 79, 174 Angerburg  250, 251, 252, 253, 254, 286, 287

D

Ascona  77, 81, 89, 96, 98, 99, 101, 102, 103, 109, 114, 120, 121, 143, 160, 174

Danzig  244, 265 Darkehmen  243, 286, 288

Athen  69

Darmstadt  121, 138, 140, 183, 209

B

Davos  9, 62, 63, 64, 65, 68, 70, 80, 118

Bad Nauheim  139

Delmenhorst  9, 16, 20, 31, 117, 118, 121, 127, 128, 136, 137, 144, 146, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 184, 185, 193, 196, 209, 210, 222, 223, 229, 248, 250, 271, 272, 284, 288

Baltikum  61, 101, 174, 180, 181

Domnau  235, 243, 263, 264, 266, 268, 286, 288

Barcelona  262

Dresden  24, 31, 62, 66, 68, 96, 107, 120, 136, 145, 146, 148, 166, 174, 175, 181, 183, 189, 206, 209, 210, 212, 229, 242, 262

Bad Harzburg  168 Bad Lippspringe  52, 117

Bayern  28 Bayreuth  96 Berlin  13, 19, 24, 25, 28, 31, 39, 44, 45, 47, 48, 49, 50, 52, 57, 72, 76, 110, 117, 118, 119, 121, 122, 127, 133, 136, 138, 139, 155, 176, 181, 183, 184, 185, 196, 209, 223, 229, 234, 235, 242, 250, 251, 252, 253, 254, 267, 269, 279, 280, 281, 283, 284, 285, 286, 287, 288

Düsseldorf  72, 101, 117, 122, 139, 140, 143, 146, 198, 209 E Ebenrode  243 Elsass  232, 285

Birkenfeld  251

England  50, 110, 117, 131, 133, 136, 138, 174, 179, 230

Bischofsburg  243

Eydtkuhnen  243

Bled  53, 97, 117

F

Bourneville  179

Falkenstein  53, 69, 70, 76

Brasilien  89, 120

Frankfurt am Main  16, 19, 116, 117, 118, 121, 197, 211, 223, 275, 279, 280, 281, 282, 286, 287

Braunsberg  286 Bremen  9, 21, 24, 30, 31, 42, 43, 48, 49, 69, 70, 74, 75, 99, 105, 110, 112, 114, 117, 118, 121, 122, 127, 128, 133, 134, 150, 151, 153, 154, 155, 160, 174, 176, 177, 178, 179, 184, 189, 190, 191, 192, 195, 198, 199, 204, 206, 209, 210, 211, 212, 220, 223, 224, 229, 235, 237, 243, 244, 274, 275, 276, 278, 279, 280, 283, 284, 286, 287, 288 Bremen-Neustadt  199, 206 Bremen-Osterholz  190 Bremen-Vegesack  198 Bremen-Walle  190

Freiberg  119 G Gardasee  60, 117 Gävle  180 Gerdauen  235, 243, 245, 246, 248, 249, 250, 251, 254, 265, 280, 286, 287 Goldap  240, 243, 254, 255, 256, 257, 258, 260, 262, 263, 269, 280, 286 Görbersdorf  52, 53

337

Gumbinnen  243, 267

Marggrabowa  286

Guttstadt  263

Masuren  240, 284

H Hagen  152, 184, 210, 250 Hamburg  31, 39, 62, 69, 110, 111, 116, 117, 118, 127, 133, 138, 209, 230, 232, 233, 272, 283, 284, 287 Hampstead  179 Heiligenstein  251, 252 Hellerau  96, 97, 98, 133, 136, 142, 143, 145, 148, 175, 181, 223, 262 Helsinki  181, 211 Hessen  138, 139 Hohenhonnef  53 Hohenkirchen  272, 273 Hohenstein  243, 286

Meran  97, 98 Mexiko  89, 120 Mohrungen  263 Monte Verità  24, 26, 81, 82, 83, 84, 85, 87, 89, 90, 92, 93, 94, 96, 97, 100, 101, 119, 120, 121, 161, 198, 232, 269 München  31, 49, 72, 78, 79, 80, 110, 116, 117, 118, 122, 127, 130, 131, 133, 136, 138, 142, 181, 183, 209, 210, 211, 229, 285, 286, 288 N Neidenburg  243, 286, 288 Neuhausen-Tiergarten  230, 232, 233, 284 New York  49, 211 Nidden  174

I

Nordenburg  251

Insterburg  235, 267, 269

Norwegen  174, 181, 211

Italien  81, 217

Nürnberg  265

J

O

Java  109 Johannisburg  237, 286, 287

Oldenburg  96, 97, 122, 138, 141, 142, 143, 144, 146, 151, 184, 196, 209

Juwendt  242

Oranienburg  25, 76, 116 Ortelsburg  242, 243, 266, 286

K

Österreich  40, 106, 117, 120, 121, 180, 183

Karlsruhe  211

Ostpreußen  23, 25, 27, 29, 30, 31, 210, 225, 227, 229, 230, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 241, 242, 243, 248, 249, 251, 255, 262, 266, 268, 269, 280, 283, 284, 285, 286, 287, 288

Köln  31, 109, 115, 122, 137, 150, 151, 181, 227, 238, 280 Königsberg  130, 131, 168, 174, 175, 176, 210, 229, 230, 232, 234, 235, 236, 239, 241, 244, 262, 263, 265, 282, 283, 284, 285, 286, 287, 288 L

Paris  45, 57, 109, 209

Lago Maggiore  80, 81, 88, 93, 95, 99, 109, 121

Pillkallen  286

Letchworth  179

Ponarth  263

Levashovo  183

Portofino  174

Locarno  79, 80, 93, 95, 101, 119

Port Sunlight  179

Lohne  144

Potsdam  50, 117, 211

London  40, 46, 131, 132, 209, 211

Preßburg  109

Lötzen  286

Preussen  139, 230, 284, 286

Lugano  79

Prostken  267

Lyck  243, 249, 267, 286, 287, 288

338

P

R

M

Rastenburg  242, 286

Magdeburg  269

Riga  62, 118, 181, 211

Malmö  150, 181

Riva  60, 118

Malryken  262

Ronco s. Ascona  99, 100, 121

Rothenburg ob der Tauber  265

Tapiau  243, 286

Russland  183, 243

Tessin  9, 87, 100

S Sachsen  28, 119 Samoa  120 Schirwindt  243, 244, 263, 267, 286

Treuburg  243 Triest  53 Tschechien  26, 183 Turoscheln  238

Schlesien  141

U

Schleswig-Holstein  28

Uderwangen  235, 263, 264, 266

Schwabing  110

Ungarn  180, 183

Schweden  17, 71, 150, 180, 181, 211, 285

USA  26, 58, 60, 190

Schweiz  22, 23, 26, 28, 31, 49, 50, 51, 53, 62, 68, 70, 76, 90, 99, 110, 117, 118, 120, 121, 168, 174, 180, 262

V

Sechserben  251

Vammelsuu  183

Seebach  54

Veldes  53, 54, 60, 70, 76, 77, 79, 80, 84, 97, 120

Senftenberg  19

W

Sensburg  286

Waidberg  91, 120

Skandinavien  26, 180

Walthersdorf  166, 167

Slowenien  53

Weimar  163, 211, 284

Sokolowsko  52

Westmoreland  132

Soldau  243, 263, 265, 268, 269, 286, 287

Wien  36, 48, 57, 74, 97, 106, 116, 117, 119, 137, 171, 209, 210, 266, 283

Staaken (Gartenstadt)  19, 287 Stallupönen  243, 263, 286

Willingen  99, 121

Stapelburg  56, 60, 117, 120 St. Blasien  53

Worpswede  21, 93, 94, 98, 99, 100, 121, 122, 142, 160, 161, 165, 174, 179, 202, 210, 211, 272, 288

Stockholm  180, 181

Wuppertal-Barmen  24

St. Petersburg  183, 184, 185, 186, 211

Z

T

Zürich  9, 31, 91, 118, 120, 121, 211, 287

Tallinn  181, 183, 211

Ortsverzeichnis

Tannenberg  232

339

Layout und Covergestaltung: Jenna Gesse Satz: Kathleen Bernsdorf Lektorat: Verena Bestle Herstellung: Kathleen Prüfer Schrift: Franziska Pro Papier: Schleipen Fly 06 , 115 g/qm Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG , Göttingen Library of Congress Cataloging-in-Publication data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der ­Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der ­Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungs­anlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine ­Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Dieses Buch ist auch als E-Book (ISBN PDF 978-3-0346-0909-8; ISBN EPUB 978-3-03821-673-5) erschienen.

© 2016 Birkhäuser Verlag GmbH, Basel Postfach 44 , 4009 Basel, Schweiz Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH, Berlin / Boston Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞ Printed in Germany ISBN 978-3-0346-1590-7

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