Reformansätze und Reformwiderstände in der Agrarsozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland: Politikinhalte und ihre Bestimmungsgründe 1976-1990 [1 ed.] 9783428487165, 9783428087167

Wie die allgemeinen sozialen Sicherungssysteme, so war auch das Sondersystem der landwirtschaftlichen Sozialversicherung

149 67 53MB

German Pages 506 Year 1997

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Reformansätze und Reformwiderstände in der Agrarsozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland: Politikinhalte und ihre Bestimmungsgründe 1976-1990 [1 ed.]
 9783428487165, 9783428087167

Citation preview

PETER MEHL

Reformansätze und Reformwiderstände in der Agrarsozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland

Sozialpolitische Schriften Heft 72

Reformansätze und Reformwiderstände in der Agrarsozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland Politikinhalte und ihre Bestimmungsgründe

1976-1990

Von

Peter Mehl

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Mehl, Peter: Refonnansätze und Refonnwiderstände in der Agrarsozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland : Politikinhalte und ihre Bestimmungsgründe ; 1976- 1990 I von Peter Mehl. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Sozialpolitische Schriften ; H. 72) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08716-X NE: 2. GT

Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gennany ISSN 0584-5998 ISBN 3-428-08716-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 E>

FüR DOLORES, MILENA UND DOMINIK

Geleitwort Wenn wissenschaftliche Untersuchungen einen Erklärungsbeitrag oder sogar Gestaltungsvorschläge für den jeweils betrachteten Bereich der sozialen Wirklichkeit erbringen sollen, so verlangen sie nicht selten die Bereitschaft, unkonventionelle Wege zu gehen und originelle Analyseansätze auszuprobieren. Einen solchen Versuch bildet die vorliegende Arbeit, wobei drei Merkmale für die gewählte Vorgehensweise charakteristisch sind: eine tatsächlich praktizierte - und nicht nur geforderte - integrative Betrachtungsweise der Polity-, Politicsund Policy-Ebene, eine durch inhaltliche und methodische Kompetenz in zwei unterschiedlichen Forschungsbereichen abgesicherte Interdisziplinarität und schließlich die Wahl eines Politikbereichs, der sich während der gesamten Untersuchungszeit in einem tiefgreifenden Reformprozeß befand, wodurch die Untersuchungsergebnisse praktische Relevanz erlangten. Die Entscheidung für die eben genannte integrative Herangehensweise bedeutet für den gewählten Politikbereich eine Innovation, weil der Untersuchung agrarpolitischer Institutionen und Entscheidungsprozesse bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Zwar hat sich die Agrarökonomie seit langem intensiv mit Fragen der Agrarpolitik auseinandergesetzt; die Agrarpolitikforschung bildet sogar eine der wichtigsten Subdisziplinen der Agrarökonomie. Allerdings beschränkte sie sich im wesentlichen auf Untersuchungen, die dem in der herkömmlichen Theorie der Wirtschaftspolitik vorherrschenden ZielMittel-Denken entsprachen und sich auf den Bereich agrarpolitischer Maßnahmen konzentrierten. Eine über diesen instrumentalistischen Ansatz hinausgehende Auseinandersetzung mit den Eigenarten agrarpolitischer Prozesse sowie den institutionellen und organisatorischen Arrangements, unter deren Einfluß solche Prozesse ablaufen, ist bisher zu kurz gekommen. Offenbar bildete hier die Übertragung geeigneter methodischer Ansätze in das Feld der agrarökonomisch orientierten Agrarpolitikforschung den entscheidenden Engpaß. An diesem Punkt setzt die vorliegende Untersuchung an, indem sie das theoretische Konzept der Policy-Analyse zusammen mit anderen politik- und wirtschaftswissenschaftlichen Erklärungsansätzen anwendet, um einen konfliktbehafteten agrarpolitischen Entscheidungsprozeß empirisch detailliert und mit dem Ziel einer entsprechend fundierten theoretischen Erklärung zu durchdringen. Betrachtet wird zu diesem Zweck nicht nur eine Episode der Veränderung der agrarsozialen Sicherung, sondern es werden anband von vier zeitlich nacheinander gelagerten Fallstudien verschiedene Versuche zur Reform des landwirtschaftlichen Sozialversicherungssystems analysiert. Die methodische Schwerpunktsetzung zielt dabei auf das Interdependenzverhältnis von Policies und Po-

8

Geleitwort

litics und verdeutlicht daher, wie sektoral geprägte Politikinhalte die spezifischen Politikprozesse eines Politikfeldes und letztere wiederum die daraus resultierenden Politikinhalte beeinflussen. Dies führt zugleich dazu, daß anband eines aktuellen Beispiels die Erfahrungen zweier Wissenschaftsdisziplinen - der Politikwissenschaft und der Agrarökonomie - miteinander kombiniert werden können. Allerdings leistet die Arbeit nicht nur einen wissenschaftlichen Beitrag zur Weiterentwicklung der Agrarpolitikforschung, sondern dient ebenfalls der Politikberatung in einem durch schwierige Reformbemühungen gekennzeichneten Politikfeld. Eine Besonderheit der Agrarsozialpolitik besteht darin, daß hier im Unterschied zu den übrigen Systemen der gesetzlichen sozialen Sicherung über lange Zeit keine auf eine langfristige Konsolidierung der Finanzierungsansprüche ausgerichtete Reform vollzogen wurde, sondern eine besondere Widerstandskraft gegenüber Veränderungen zu beobachten war. Die systematische Auseinandersetzung mit dieser Sonderentwicklung eröffnet dieser Arbeit daher zugleich die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Begleitung der agrarsozialpolitischen Reformdiskussion.

Berlin, im Juli 1996

Konrad Hagedom

Dank An der Entstehung dieser Untersuchung sind viele beteiligt gewesen, denen ich herzlich für ihre Hilfe danken möchte. Zu nennen sind hier zunächst die Stiftung Volkswagenwerk, die das Projekt finanziert hat und die interviewten Experten, ohne deren Auskunftsbereitschaft die vorliegende Studie nicht hätte erstellt werden können. Mein besonderer Dank richtet sich an Herrn Prof. Dr. Konrad Hagedom vom Institut für Agrarpolitik, Marktlehre und Agrarentwicklung der Humboldt-Universität zu Berlin, der das Forschungsvorhaben initiiert, begleitet und nicht zuletzt durch zahlreiche eigene Untersuchungen zur Agrarsozialpolitik unterstützt hat und an Herrn Prof. Dr. Rudolf Hrbek vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen, der das Projekt als Dissertation betreute. Herrn Privatdozent Dr. Wolfgang Schumann, Universität Tübingen, danke ich für wichtige Hinweise und hilfreiche Diskussionen, Herrn Prof. Dr. Roland Sturm, Universität Nürnberg-Erlangen und Herrn Prof. Dr. Hans-Georg Wehling, Universität Tübingen, für ihre Zusatzgutachten im Rahmen des Promotionsverfahrens. Herrn Dipl.-Ing. agr. Reinhold Schneider verdanke ich umfangreiche Dokumentenrecherchen, Frau Bärbel Jantos die mit viel Umsicht und Sorgfalt erstellten Druckvorlagen und Register. Frau Barbara Römer, Frau Elisabeth Greupner, Frau Babette Danneberg, Frau Anja Herkner und Frau Ingrid Lütge haben mir bei weiteren technischen Arbeiten geholfen. Schließlich danke ich allen Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Strukturforschung der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft und dessen Leiter, Herrn Prof. Dr. Eckhart Neander, für das kooperative und anregende Forschungsklima im Institut, das zweifellos die Entstehung dieser Untersuchung positiv beeinflußt hat, sowie der Gesellschaft der Freunde der FAL für die Zuerkennung des Forschungsförderpreises 1994/'95.

Braunschweig, im Juli 1996

Peter Mehl

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Gegenstand, theoretische Grundlagen und Methodik der Untersuchung 1.

2.

3.

29

Kapitel: Gegenstand der Untersuchung ...........................................................

29

I. Problemstellung und Zielsetzung ..... ........ ... ... ...... .......... .. .... .. .. ....... .. .......

29

II. Eingrenzung von Untersuchungsgegenstand und untersuchtem Zeitraum

32

III. Erläuterung der Vorgehensweise ... ... ........ .. .. .. .. .... .. .... .. .. .. .. .. ..... .... .. ... ......

34

Kapitel: Agrar(sozial)politik als Gegenstand der agrarökonomischen und politikwissenschaftlichen Forschung ...............................................

35

I. Konvergente Entwicklungen in den Forschungskonzeptionen der agrarökonomischen Politikforschung und der Politikwissenschaft ..................

35

II. Politikwissenschaftliche Arbeiten zur Agrarpolitik in der Bundesrepublik Deutschland .... ...... .... ... ...... .. ....... ............ .. .... .... ........... ...... ...... .. ....... .. ... .. .

36

III. Untersuchungen der Agrarsozialpolitik aus dem Bereich der agrarökonomischen Politikforschung .....................................................................

38

Kapitel: Theoretische und methodische Grundlagen dieser Untersuchung .....

42

I. Das Konzept der Policy-Analyse ..............................................................

42

II. Zur Anlage der Untersuchung ..................................................................

47

III. Zur Organisation der Informationsbeschaffung ..... .... .. .. .. .. .. ....... .. .......... ..

56

1. Dokumentenanalyse ..... .... .......................... .. .. .. .... .. .. .. .. .. ....... .. ..... .......

57

2. Organisation und Kommunikationskonzept der Befragungen ..... .... .. ..

59

12

Inhaltsverzeichnis Zweiter Teil

Grundbedingungen und Bestimmungsfaktoren der Agrarsozialpolitik 4.

5.

67

Kapitel: Die Landwirtschaftliche Sozialversicherung und ihr Umfeld ............

69

I. Auf- und Ausbau der agrarsozialen Sicherung von 1955 bis 1976 ..........

69

1. Die Gründung der Landwirtschaftlichen Altershilfe (1955-1961) ......

70

2. Der Ausbau von Altershilfe und Unfallversicherung unter einkommenspolitischen Vorzeichen (1962-1965) ..........................................

75

3. Agrarsozialpolitik während der Rezession von 1966/67 .....................

78

4. Die Ausweitung der agrarsozialen Sicherung unter der sozial-liberalen Koalition (1969-1975) ........................................................................

80

II. Der Stand der agrarsozialen Sicherung im Jahr 1976 ...............................

85

1. Die Landwirtschaftliche Altershilfe .... .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. ...... .. .. ............ ....

85

2. Die Landwirtschaftliche Krankenversicherung ...................................

88

3. Die Landwirtschaftliche Unfallversicherung .......................................

90

Ill. Vertikale und horizontale Verflechtungen der Agrarsozialpolitik mit anderen Politikfeldern .... .. .. .. ...... ... .. .... .. .. .. .. .... .. ..... .. .. ............... ..... ... .. ... ..

92

l. Vertikale Verflechtung: HG-Agrarpolitik und nationale Agrarsozialpolitik ..................................................................................................

93

2. Horizontale Verflechtungen: Allgemeine Sozialpolitik und Haushaltspolitik ..................................................................................................

97

IV. Zusammenfassung: Vorgeschichte, Systemdynamik und Systemumwelt als Bestimmungsfaktoren der Politikentwicklung ....................................

99

Kapitel: Das Policy-Netz der Agrarsozialpolitik: Akteure und theoretische Ansätze zur Erklärung ihres Zusammenwirkens .... ........................ ...

102

I. Akteurskonstellation und politisches Kräftefeld der Agrarsozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland .........................................................

103

1. Konfliktlinien bei Fragen der Agrarsozialpolitik zwischen staatlichen Akteuren im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland ......

104

2. Der Deutsche Bauernverband ..............................................................

I 07

a) Die Interessenlage der landwirtschaftlichen Interessenvertretung

108

b) Interne Willensbildung im Deutschen Bauernverband ...... ............

I 09

c) Zentrale Adressaten der verbandliehen Einflußnahme ..................

110

3. Die Träger der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung ...................

111

Inhaltsverzeichnis a) Zur spezifischen institutionellen Struktur der Selbstverwaltung der Träger der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung ..............

112

b) Folgen der homogenen Zusammensetzung der Selbstverwaltung.

114

4. Sonstige Akteure .. .. .. .. ..... .. ... .. .... ... .... .. .. .... .. .. .... .. ......... .. ..... .. ... .... .......

115

5. Zusammenfassung ............................. ..... ... ...... ... ...... .. .. ... .. .. .... ........ ....

116

II. Ansätze zur Erklärung dominanter Interaktionsmodi der Akteure und zentraler Bestimmungsfaktoren der bundesdeutschen Agrarsozialpolitik

117

1. Kompensationsfunktion der Agrarsozialpolitik als Folge der Mehrebenenverflechtung zwischen EG- und nationalstaatlicher Ebene im agrarpolitischen Bereich ......................................................................

118

2. Agrarsozialpolitik als Folge von Verbandsmacht und wahlpolitischer Steuerung ..... .. .. .... .. ...... .... .......... ... ... .. .... .... .. ...... ....... .. ....... ... .. ......... ...

119

3. Der Ansatz eines sektoralen Korparatismus zur Bestimmung der Akteurskonfiguration und Erklärung von Interaktionsmustern der Agrarsozialpolitik .. ..... .. ..... .. ........ ... ............ .... .... .. .. .. ....... .. ... .......... .....

125

a) Motive korporatistischer Interessenvermittlung bei staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren .. ...... .. .. .... ..... .... .. .. .. .. ........ .. .......... .....

128

b) Verpflichtungsfähigkeit der Verhandlungspartner als zentrale Funktionsbedingung korporatistischer Interessenvermittlung ..... ..

130

c) Veränderungen im Policy-Netz und Spielformen korporatistischer Interessenvermittlung in der Agrarsozialpolitik ............................

133

aa)

Korporalistische Interessenvermittlung als "Räuber~Koalition" .

bb) Akteurskonstellationen und Bedingungen ihrer Veränderung cc)

6.

13

134 136

Korporalistische Interessenvermittlung als "Abwehr-Koalition" bei anstehenden redistributiven Politikveränderungen

138

III. Zusammenfassung: Akteurskonstellationen und Interaktionsmuster im Policy-Netz der Agrarsozialpolitik ...........................................................

139

Kapitel: Ablauf der Politikformulierung und Charakteristika der politischen Entscheidungsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland ..............

142

I. Phasen und formalisierter Ablauf im Policy-Zyklus ................................

143

I . Problemdefinition und Agenda-$etting ... .. ........... .... ....... ..... ... ..... ..... ..

143

2. Der formalisierte Ablauf der Politikformulierung im politischen System der Bundesrepublik .. .. ..................... .... .... .. .... ....... .. ....... .. ............. ..... ..

145

3. Notifizierung und Implementation ......................................................

147

II. Föderative Ordnung und Koalitionsregierung als Faktoren der Politikformulierung im politischen System der Bundesrepublik ........................

148

14 7.

Inhaltsverzeichnis Kapitel: Zusammenfassung: zentrale Annahmen über die Bestimmungsfaktoren der Agrarsozialpolitik ..............................................................

151

Dritter Teil Agrarsozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland von 1976 bis 1990 8.

155

Kapitel: Agrarsozialpolitik in der 8. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (1976-1980): Das Zweite Agrarsoziale Ergänzungsgesetz und Ansätze intrasektoraler Umverteilung in der Landwirtschaftlichen Krankenversicherung und der Landwirtschaftlichen Unfallversicherung ..

155

I. Das Zweite Agrarsoziale Ergänzungsgesetz .............................................

156

1. Entwicklungen in der allgemeinen Sozialpolitik als Rahmenbedingungen für die Diskussionen in der Agrarsozialpolitik .............................

156

2. Problemdefinition und Agenda-Setting: Der schwierige Weg zum Referentenentwurf eines Zweiten Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes vom Dezember 1978 ...........................................................................

159

a) Initiativen sektoraler Akteure aus den Regierungsparteien, der Opposition und der Interessenvertretung ......................................

159

b) Koalitionsinterne Differenzen und die Katalysatorenfunktion des 21. Rentenanpassungsgesetzes 1978 .............................................

162

c) Die koalitionsinterne Entscheidung für die Realisierung des "Witwengeldes" als Teil eines Komprornißpakets zwischen SPD und FDP ...............................................................................................

166

3. Politikformulierung: Vom Diskussionsentwurf 1978 zum verabschiedeten Zweiten Agrarsozialen Ergänzungsgesetz 1980 ................

168

a) Reaktionen auf den Kabinettsentwurf ...........................................

171

b) Koalitionsinterne Komprornißsuche und Strategiefähigkelt der Interessenvertretung ......................................................................

173

4. Das Ergebnis der Politikformulierung: Das Zweite Agrarsoziale Ergänzungsgesetz ... .... ... ... ... .... .... .. ..... .. .. .... ... .. ...... .. .. .. .... .. .. .... .. ... ... .. ... ...

177

a) Neue Leistungen an jüngere Hinterbliebene landwirtschaftlicher Unternehmer in der Landwirtschaftlichen Altershilfe ...................

177

b) Erweiterung des versicherten Person~nkreises in der Landwirtschaftlichen Altershilfe .. .... .................. ............ .... ...... .... ...... .. .......

181

c) Finanz- und verteilungspolitische Auswirkungen .........................

183

II. Ansätze intrasektoral redistributiver Policy in der Landwirtschaftlichen Krankenversicherung und der Landwirtschaftlichen Unfallversicherung

186

Inhaltsverzeichnis

9.

15

1. Spreizung der Beitragsklassen in der Landwirtschaflichen Krankenversicherung im Rahmen des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes 1977 .... .. .. .. .. ..... .. ... .... ........... .. ..... .. .. .. .. .. .. ... .. .. ... ......... ..

187

2. Umverteilung eines Teils der Bundesmittel zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung zwischen den Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften über einen veränderten Verteilungsschlüssel (79erSchlüssel) .. .. ............... ...... .. .. .............. .. .. ........ .... ......... .. .. ..... .. .... ... ......

189

III. Zusammenfassende Betrachtung der Agrarsozialpolitik in der 8. Wahlperiode .....................................................................................................

193

Kapitel: Agrarsozialpolitik in der 9. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (1980-1983) unter den Vorzeichen sozial-liberaler und christlich-liberaler Bemühungen um eine Konsolidierung des Bundeshaushaltes .................................................................................................

198

I. Sparpolitik und erste Reformversuche in der Endphase der sozial-liberalen Koalition ..................................................................................................

199

1. Problemdefinition: Kritik und Reformvorschläge des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) in einem Gutachten zur agrarsozialen Sicherung von 1979 und die Erwiderung einer Arbeitsgruppe aus dem BML von 1981 .............................................................................................

199

a) Unterschiedliche Grundausrichtung beider Gutachten ..................

200

b) Unterschiedliche Vorstellungen zur zukünftigen Ausgestaltung der Landwirtschaftlichen Altershilfe ................................ .. .......... ... ....

202

c) Strategische Gesichtspunkte des Gutachtens der ministeriellen Arbeitsgruppe ................................................................................

204

2. Der Bundeshaushalt 1981 und die Einführung eines Krankenversicherungsbeitrags der Rentner im Rentenanpassungsgesetz 1982 ... .

208

3. Das Zweite Haushaltsstrukturgesetz 1981 ...........................................

211

a) Vorgeschlagene Modifizierungen der Landwirtschaftlichen Altershilfe im Gesetzentwurf der Bundesregierung fiir ein Zweites Hilushaltsstrukturgesetz und die Reaktionen des Deutschen Bauernverbandes ...........................................................................................

213

b) Parlamentarische Beratung und Scheitern im Vermittlungsausschuß .............................................................................................

219

4. Veränderte Durchsetzungsstrategie der Regierungsseite in der Endphase der sozial-liberalen Koalition 1982 .......... ,................................

223

II. Agrarsozialpolitik in der Anfangsphase der christlich-liberalen Koalition: das Haushaltsbegleitgesetz 1983 .. .......... ........ ....... .. .... .. ............ .. .............

230

III. Zusammenfassende Betrachtung der Agrarsozialpolitik in der 9. Wahlperiode .....................................................................................................

235

16

Inhaltsverzeichnis

10. Kapitel: Agrarsozialpolitik in der 10. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (1983-1987): Kontinuität und "Wende" ...................................

241

I. Das Haushaltsbegleitgesetz 1984 .............................................................

241

II. Explorative Debatten und Vorentwürfe zur Umverteilung eines Teils der Bundesmittel zur Landwirtschaftlichen Altershilfe .............. :.............

246

l. Ein Vorentwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vom Juli 1983 .......................................................................

247

2. Der Referentenentwurf für ein Drittes Agrarsoziales Ergänzungsgesetz vom November I 983 ....................................................................

252

3. Interessenunterschiede im Deutschen Bauernverband und erste Anzeichen einer Positionskorrektur .........................................................

254

4. Der zweite Referentenentwurf für ein Drittes Agrarsoziales Ergänzungsgesetz und sein Scheitern ...........................................................

255

Ill. Die Beschlüsse zur gemeinsamen Agrarpolitik von 1984, das nationale Ausgleichsprogramm und die "Wende" in der Agrarsozialpolitik ............

256

1. Restriktive Entscheidungen der gemeinsamen Agrarpolitik und nationales Ausgleichsprogramm .............................................................

256

2. Die Wiederanhebung der Bundesmittel zur Landwirtschaftlichen Unfallversicherung und innerlandwirtschaftliche Auseinandersetzungen um ihre Verteilung ..............................................................................

258

IV. Der zweite Anlauf für ein Drittes Agrarsoziales Ergänzungsgesetz ( 1985)

264

1. Die Beschlüsse zur Gemeinsamen Agrarpolitik von 1984 und die Landwirtschaftliche Altershilfe ....... .... .. .. ................... .........................

264

2. Positionsänderung und Mitgestaltungsbemühungen des Deutschen Bauernverbandes .................................................................................

265

3. Die agrarpolitische Umdefinition des Problems durch sektorale Akteure ....................................................................................................

270

4. Gründe für die Abweichungen des Kabinettsentwurfs vom Vorschlag des Deutschen Bauernverbandes ... .... .. .. .. ....... .. ...... ..... ...... .. .. .... .... ......

272

5. "Nachbesserungen" im Verlauf der parlamentarischen Beratungen ....

275

6. Das Ergebnis der Politikformulierung: Das Dritte Agrarsoziale Ergänzungsgesetz - ein "Meilenstein in der Geschichte der Agrarsozialpolitik"? ························ ···················· ······························ ···················· · 278 a) Veränderungen im versicherten Personenkreis und der sozialen Absicherung .... ...... ...... .. ....... .. .. .... .. .. .... .... .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..... .. .. ... . 278 b) Intra- und intersektorale Verteilungswirkungen ............................

280

c) Dynamische Entwicklung des Beitragszuschußsystems und der Aufwendungen für die Landwirtschaftliche Altershilfe ................

282

Inhaltsverzeichnis

17

V. Das Sozialversicherungs-Beitragsentlastungsgesetz (SVBEG) 1986 .......

283

1. Agrarpreisbeschlüsse von 1985 und 1986 als Anstoß weiterer Ausgleichsforderungen in der Agrarsozialpolitik ......................................

284

2. Wahlboykotte der Landwirte und politische Reaktionen ....................

285

3. Politikformulierung im Eiltempo ........................................................

286

4. Ausgestaltung des Sozialversicherungs-Beitragsentlastungsgesetzes in Anlehnung an das Dritte Agrarsoziale Ergänzungsgesetz .... ....... ....

289

5. Schwierigkeiten für die Notifizierung des SozialversicherungsBeitragsentlastungsgesetzes gegenüber der EG-Kommission .............

293

VI. Zusammenfassende Betrachtung der Agrarsozialpolitik in der 10. Wahlperiode ......................................... ............... ................................. ............

294

11. Kapitel: Agrarsozialpolitik in der 11. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (1987-1990): Vom Plan einer umfassenden Weiterentwicklung der.Agrarsozialpolitik zur Verabschiedung einer besitzstandssichernden Minimallösung ................................................................

301

I. Aktivitäten der BML-Administration zur Vorbereitung der vorgesehenen "Neuorientierung" der Agrarsozialpolitik ..........................................

302

1. Die publizistische Vorbereitung .......... ..................................... .. ..... ....

303

2. Das von Maydell-Gutachten ................................................................

305

3. Die gemeinsame Arbeitsgruppe aus Vertretern des Bundeslandwirtschaftsministeriums und der landwirtschaftlichen Interessenvertretung

307

4. Die Meinungsbildung innerhalb des Deutschen Bauernverbandes und dessen Absage an eine korporatistische Interessenvermittlung .. .........

308

II. Inhalte und Rezeption des von Maydell-Gutachtens ................................

311

l. Zentrale Aussagen des von Maydell-Gutachtens .................................

311

a) Versicherter Personenkreis und soziale Sicherungsfunktion ........

312

b) Leistungen und Leistungsvoraussetzungen ...................................

312

c) Finanzierung .................................................................................

313

2. Reaktionen auf das Gutachten .............................................................

316

III. Die Konzeption einer umfassenden Agrarsozialreform aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium auf der Grundlage des von Maydell-Gutachtens und vor dem Hintergrund von Reformdiskussionen in den allgemeinen Sozialversicherungssystemen ......................................................

317

1. Einflüsse der zeitgleich verlaufenden Debatten um die Gesundheitsreform und die Rentenreform ........ ............. ..... .............. .................. ... .

317

2 Mehl

18

Inhaltsverzeichnis 2. Das Konzept einer Agrarsozialreform aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium und Gründe dafür, das Vorhaben einer umfassenden Reform in einem Schritt aufzugeben .............................................. .........

319

IV. Der Referenten- und Diskussionsentwurf für ein Viertes Agrarsoziales Ergänzungsgesetz vom März 1989 als geplanter erster Teil-Schritt der Reform .....................................................................................................

321

I. Zentrale Regelungen des Entwurfs......................................................

322

a) Änderungen mit Auswirkungen auf die intrasektorale Verteilung...............................................................................................

323

b) Kürzungen im Leistungsbereich ...................................................

327

2. Das Scheitern des Entwurfs .................................................................

331

V. Das Vierte Agrarsoziale Ergänzungsgesetz (1990) als besitzstandssichernde Minimallösung ...........................................................................

333

I. Initiativen der landwirtschaftlichen Interessenvertretung für eine Novellierung zur Sicherung der Mittel des Sozialversicherungs-Beitragsentlastungsgesetzes ......................................................................

333

2. Ausgestaltung und parlamentarische Beratung des Entwurfs ..............

338

a) Veränderungen der Beitragszuschußregelung ...............................

339

b) Verteilungswirkungen des neuen Systems ....................................

341

VI. Zusammenfassende Betrachtung der Agrarsozialpolitik in der 11. Wahlperiode .....................................................................................................

344

Vierter Teil

Politikinhalte und ihre Bestimmungsgründe 12. Kapitel: Die Entwicklung der agrarsozialen Sicherung von 1976 bis 1990 ....

351 351

I. Soziale Sicherungsfunktion ................................................................ ......

353

I . Landwirtschaftliche Altershilfe ...........................................................

353

a) Landwirtschaftliche Unternehmer .................................................

353

b) Mitarbeitende Familienangehörige ...............................................

355

c) Ehegatten der landwirtschaftlichen Unternehmer .........................

356

2. Landwirtschaftliche Unfallversicherung .............................................

358

3. Landwirtschaftliche Krankenversicherung ..........................................

358

li. Finanzierung des Systems der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung und Veränderungen bei dessen inter- und intrasektoralen Verteilungswirkungen ................................................................................................

359

Inhaltsverzeichnis

19

1. Landwirtschaftliche Altershilfe ............................................... ............

359

2. Landwirtschaftliche Krankenversicherung .... .. .. .... .... ...... .... .. .. .. .. .. .. .. ..

368

3. Landwirtschaftliche Unfallversicherung .............................................

372

III. Kumulative Politikveränderung oder Refonnblockade? ..........................

374

13. Kapitel: Bestimmungsfaktoren der Agrarsozialpolitik von 1976 bis 1990 .....

376

I. Bestimmungsfaktoren der Policy-Dimension: Systemdynamik und Umwelteinflüsse .............................................................................................

377

1. Annahmen über policy-bezogene Bestimmungsfaktoren der Agrarsozialpolitik ........................................................................................

377

2. Die Eigendynamik des Systems der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung .............................................................................................

378

3. Sozial- und haushaltspolitische Einflüsse auf die Agrarsozialpolitik .

380

4. Einflüsse der Gemeinsamen Agrarpolitik auf die Agrarsozialpolitik ..

383

5. Determination der Entwicklung der Agrarsozialpolitik durch System-

dynamik und Umwelteinflüsse? ..........................................................

386

II. Bestimmungsfaktoren der Politics-Dimension: Parteipolitische Zusammensetzung der Regierung, Verbandseinfluß und korporatistische Entscheidungsstruktur ...................................................................................

388

1. Annahmen über politics-bezogene Bestimmungsfaktoren der Agrarsozialpolitik ................................................................................. ........

388

2. Parteipolitische Zusammensetzung der Regierung als bestimmender Faktor der Entwicklung der Agrarsozialpolitik? .................................

390

3. Interessenverbandliehe Einflußnahme und Wahlsteuerung als Bestimmungsfaktoren agrarsozialpolitischer Reformresistenz? ...............

395

a) Positionsvorteile der landwirtschaftlichen lnteressenvertretung: Repräsentationsmonopol und Abschottung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .. .... .... .

396

b) Wahlsteuerung der Agrarsozialpolitik? .........................................

397

4. Sektoraler Korporatismus als Strukturmuster und Bestimmungsfaktor der Agrarsozialpolitik? ..................................................................

401

a) Sektoraler Korporatismus als "Räuber-Koalition" ........................

402

b) Sektoraler Korporatismus als Abwehrkoalition ............................

403

aa)

2*

Abwehrkoalitionen während der sozial-liberalen Regierungszeit........................................................................................

403

bb) Ansätze zur Initiierung einer Selbstregulation im Zeitraum von 1982 bis 1984 ................................................................

405

20

Inhaltsverzeichnis cc) Ein weiterer Versuch einer korporatistischen Interessenvermittlung in den Jahren 1986/87 .......................................

407

c) Stärken und Schwächen des Korporatismus-Ansatz .....................

408

lll. Bestimmungsfaktoren der Polity-Dimension: Entscheidungsregeln im politischen System der Bundesrepublik Deutschland als innovationshemmender Faktor ...................................................................................

410

1. Annahmen über polity-bezogene Bestimmungsfaktoren der Agrarsozialpolitik ............................................................................................

410

2. Die Rolle der FDP in der Agrarsozialpolitik bis 1982 ........................

411

3. Föderalismus und Koalitionsregierung nach dem Regierungswechsel 1982 ....................................................................................................

414

IV. Zusammenfassung: Annahmen und empirische Befunde der Bestimmungsgründe der Agrarsozialpolitik von 1976 bis 1990 ..........................

416

14. Kapitel: Politikentwicklung als Folge von Koalitionsbildungsprozessen und asymmetrischen Durchsetzungschancen im Policy-Netz der Agrarsozialpolitik .......................................................................................

421

I. Grundmuster der Politikprozesse in der Agrarsozialpolitik .....................

422

II. Koalitionsbildung und Durchsetzungschancen im Policy-Netz der Agrarsozialpolitik .............................. ................................................................

423

1. Erweiterungen des Policy-Netzes der Agrarsozialpolitik und AgendaSetting der Reform ... .... ........ ..... .. .. .. .. .... ..... .. .. .. .. .... .... ... ... .. .. .. ... ... .. ... ..

424

2. Asymmetrische Durchsetzungschancen im Policy-Netz der Agrarsozialpolitik ............................................................................................

427

III. Koalitionsbildungsprozeß im Policy-Netz und Policy-Entwicklung ........

429

15. Kapitel: Ausblick ............................................................................................

431

I. Die Reform des agrarsozialen Sicherungssystems in der 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages .....................................................................

431

II. Weiterführende Überlegungen .................................................................

436

Zusammenfassung

441

QueUen und Forschungsliteratur

446

Personenregister

484

Sachregister

486

Inhaltsverzeichnis

21

Anhang

491

1: Intensivbefragung von Personen, die an agrarsozialpolitischen Entscheidungsprozessen der Jahre 1976 bis 1990 beteiligt waren.............................................

491

2: Befragungszeitraum der einzelnen Gesprächspartner.........................................

501

3: Grundlagen und Methodik der Berechnung von Beitragsermäßigungen in der Landwirtschaftlichen Altershilfe .. ... .... ..... .. ... ..... ............. ... .. .. .. ...................... ... .

503

Verzeichnis der Übersichten 1: Novellierungen des agrarsozialen Sicherungssystems der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum von 1976 bis 1990 ...................................................

156

2: Leistungsvoraussetzungen der mit dem Zweiten Agrarsozialen Ergänzungsgesetz (1980) eingeführten Leistungen an jüngere Hinterbliebene landwirtschaftlicher Unternehmer..................................................................................

178

3: Dauer, Umfang und Finanzierung der durch das Zweite Agrarsoziale Ergänzungsgesetz (1980) eingeführten Leistungen an jüngere Hinterbliebene landwirtschaftlicher Unternehmer...........................................................................

180

4: Mehrausgaben durch mit dem Zweiten Agrarsozialen Ergänzungsgesetz (1980) zusätzlich eingeführte Leistungen in der Landwirtschaftlichen Altershilfe und ihre Verteilung auf Bund und Beitragszahler-Regierungsentwurf und verabschiedetes Gesetz im Vergleich ... .. ..... ...... .. .. .. .. ....... ... ...... .. .. ... ... .. ... .

184

5: Modelle zur Einführung sozial gestaffelter Beitragszuschüsse (vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung entwickelt und im Jahr 1982 zur Diskussion gestellt)................................................................................................

228

6: Eingriffe der Haushaltspolitik in die Finanzierung der Landwirtschaftlichen Altershilfe durch Haushalts- und haushaltsbegleitenden Gesetze im Zeitraum von 1981 bis 1983 ............................................................................................

245

7: Anteile der Beiträge zur sozialen Sicherung landwirtschaftlicher Vollerwerbsbetriebe am Gewinn nach Betriebsgrößenklassen im Zeitraum von 1979/80 bis 1983/84.........................................................................................

247

8: Mindestbetriebsgrößen der Landwirtschaftlichen Alterskassen zur Abgrenzung der Versicherungspflicht in der Landwirtschaftlichen Altershilfe und Durchschnittsgröße der Betriebe nach Bundesländern im Jahr 1983 ...............

251

9: Wiederaufstockung der Bundeszuschüsse zur Landwirtschaftlichen Unfallversicherung: Vergleich der Vorschläge zu ihrer Verteilung in ihren Auswirkungen für 1985................................................................................................

263

10: Methode der Berechnung der Zuschußberechtigung beim Dritten Agrarsozialen Ergänzungsgesetz 1985: Berücksichtigung des außerlandwirtschaftlichen Einkommens und des Einkommens aus Land- und Forstwirtschaft mit Hilfe des betrieblichen Wirtschaftswerts im Rahmen der "Zwei-KomponentenLösung"............................................................................................................

274

11 : Finanzierung der Sozialkostenentlastung ("Zuschuß zum Beitrag") im Dritten Agrarsozialen Ergänzungsgesetz 1985 über zusätzliche Bundesmittel oder über eine Umverteilung der bisher undifferenziert an alle versicherten Landwirte vergebenen Bundeszuschüsse? ...........•...........................................

277

Verzeichnis der Übersichten

23

12: Veränderung der Relationen zwischen dem Anteil der Bundesmittel für die allgemeine Beitragsbezuschussung und dem zur differenzierten Verteilung vorgesehenen Anteil der Bundesmittel in den verschiedenen Gesetzesentwürfen für ein Drittes Agrarsoziales Ergänzungsgesetz im Zeitraum 1983-1985 .........

281

13: Kriterien der Zuschußberechtigung, Abgrenzung der Zuschußklassen und Höhe der Beitragszuschüsse nach dem Dritten Agrarsozialen Ergänzungsgesetz, der GAL-Beitragszuschuß-Verordnung und dem SozialversicherungsBeitragsentlastungsgesetz ........... .. .. ... .. .... ..... .. .... ..... ..... .. .. .. .. ...... .. .. .. ... .. ........... .

290

14: Sozialkosten der Vollerwerbs-Betriebe 1986 (Bundesdurchschnitt) und potentielle Entlastung nach dem Sozialversicherungs-Beitragsentlastungsgesetz

292

15: Diskussions- und Referentenentwurffür ein Viertes Agrarsoziales Ergänzungsgesetz (1989): Mehrkosten(+) und Einsparungen(-) im Leistungsbereich in Mio. DM ...........................................................................................................

328

16: Dynamik der Beitragszuschüsse und daraus resultierende Spreizung der Effektivbeiträge in der Landwirtschaftlichen Altershilfe im Zeitraum von 1986 bis 1990 ...................................................................................................

335

17: Mehr- oder Minderbelastung landwirtschaftlicher Unternehmer durch die Änderungen der differenzierten Beitragsbezuschussung im Rahmen des Vierten Agrarsozialen Ergänzungsgesetzes (1990) in DM/Jahr.......................

342

18: Generelle Beitragsermäßigungen in der Landwirtschaftlichen Altershilfe im Vergleich zur Gesetzlichen Rentenversicherung im Zeitraum von 1976 bis 1991. Datengrundlage und Ergebnis bezogen auf ein Verheiratetenaltersgeld nach 30 Jahren Beitragsleistung .......................................................................

505

Verzeichnis der Schaubilder 1: Bestimmungsfaktoren der Agrarsozialpolitik (Gedankenmodell) .....................

52

2: Gedankenmodell aus dem Ersten Teil und Aufbau des Zweiten Teils der Untersuchung ......... .. .... ...... ..... .... ....... .. .. ....... .... ...... .. .... .. .. .... ... ......... .. .. .... ........... .

68

3: Konfliktlinien in der Agrarsozialpolitik der Bundesrepublik Deutschland.......

105

4: Wirkung der bislang geltenden Regelung und des Vorschlags der Bundesregierung zur Neuverteilung der Bundesmittel zur Landwirtschaftlichen Unfallversicherung (79er-Sch1üssel) .....................................................................

191

5: Berechnung landwirtschaftlichen Einkommens nach dem korrigierten Wirtschaftsweft zur Feststellung der Zuschußberechtigung im Rahmen des Diskussions- und Referentenentwurfs für ein Viertes Agrarsoziales Ergänzungsgesetz (1989) ....................................................................................................

325

6: Auswirkungen der Linearisierung der Altersgeldleistungen im Rahmen des Diskussions- und Referentenentwurfs für ein Viertes Agrarsoziales Ergänzungsgesetz.......................................................................................................

330

7: Vorgehensweise im Vierten Teil: "Politikinhalte und ihre Bestimmungsgründe"

352

8: Entwicklungen des Grundbetrages und des Höchstbetrages des Altersgeldes für Verheiratete in der Altershilfe der Landwirte im Vergleich zur Eckrente der Gesetzlichen Rentenversicherung im Zeitraum von 1976 bis 1990............

354

9: Entwicklung des durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienstes als Bemessungsgrundlage für Verletztenrenten an landwirtschaftliche Unternehmer im Bereich der Landwirtschaftlichen Unfallversicherung im Vergleich zur Entwicklung der allgemeinen Bezugsgröße im Zeitraum von 1976 bis 1990 ........................

357

10: Ausgabenentwicklung und Finanzierung der Landwirtschaftlichen Altershilfe im Zeitraum von 1976 bis 1991 ...............................................................

360

11: Entwicklung der Bundesanteile an der Finanzierung der Landwirtschaftlichen Altershilfe im Zeitraum von 1976 bis 1991 in% der laufenden Ge1d1eistungen..

363

12: Beitragsvergünstigungen in der Landwirtschaftlichen Altershilfe im Zeitraum von 1976 bis 1990 - Anteil des Einheitsbeitrages der Landwirtschaftlichen Altershilfe am Vergleichsbetrag der Gesetzlichen Rentenversicherung in% ...

365

13: Inter- und intrasektorale Verteilungswirkungen der differenzierten Beitragszuschüsse zur Landwirtschaftlichen Altershilfe im Zeitraum von 1986 bis 1991

367

14: Ausgabenentwicklung und Finanzierung der Landwirtschaftlichen Krankenversicherung im Zeitraum von 1976 bis 1990 ..................................................

369

15: Ausgabenentwicklung und Finanzierung der Landwirtschaftlichen Unfallversicherung im Zeitraum von 1976 bis 1990..................................................

373

Abkürzungsverzeichnis ABL

Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft

AID-Inf.

Information des Auswertungs- und Informationsdienstes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

ÄndG

Änderungsgesetz

AOK

Allgemeine Ortskrankenkasse

Art.

Artikel

ASEG

Agrarsoziales Ergänzungsgesetz

ASG

Agrarsoziale Gesellschaft e. V.

BBV

Bayerischer Bauernverband

BfA

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte

BG

Berufsgenossenschaft

BGBI

Bundesgesetzblatt

BKGG

Bundeskindergeldgesetz

BLB

Bundesverband der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften

BLK

Bundesverband der Landwirtschaftlichen Krankenkassen

BMA

Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung

BMF

Bundesministerium der Finanzen

BML

Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

BR-Drs.

Bundesratsdrucksache

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

CDU

Christlich Demokratische Union

csu

Christlich Soziale Union

DBK

Deutsche Bauern-Korrespondenz

DBV

Deutscher Bauernverband e. V.

EG

Europäische Gemeinschaft

EG-Kom.

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

26

Abkürzungsverzeichnis

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

FDP

Freie Demokratische Partei

GAL

Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte

GAP

Gemeinsame Agrarpolitik

GBG

Gewerbliche Berufsgenossenschaft

GG

Grundgesetz

GGLF

Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft

GKV

Gesetzliche Krankenversicherung

GLA

Gesamtverband der landwirtschaftlichen Altersklassen

GRV

Gesetzliche Rentenversicherung

GUV

Gewerbliche Unfallversicherung

ha

Hektar

HE

Haupterwerb

JAW

Jahresarbeitsverdienst

KVdR

Krankenversicherung der Rentner

KVKG

Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz

KVLG

Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte

LAH

Landwirtschaftliche Altershilfe

LAK

Landwirtschaftliche Alterskasse

LBG

Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft

LKK

Landwirtschaftliche Krankenkasse

LKV

Landwirtschaftliche Krankenversicherung

LSV

Landwirtschaftliche Sozialversicherung

LUV

Landwirtschaftliche Unfallversicherung

LVA

Landesversicherungsanstalt für Arbeiter

LW

Landwirtschaftliches Wochenblatt

MdB

Mitglied des Bundestages

MdE

Minderung der Erwerbsfähigkeit

Mifa

Mithelfende Familienarbeitskraft

RAG

Rentenanpassungsgesetz

RRG

Rentenreformgesetz

RVO

Reichsversicherungsordnung

SdL

Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft

Abkürzungsverzeichnis SGB

Sozialgesetzbuch

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

StBE

Standardbetriebseinkommen

SV BEG

Sozial Versicherungs-Beitragsentlastungsgesetz

svz

27

Schwerverletztenzulage

UVNG

Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz

VDR

Verband Deutscher Rentenversicherungsträger

ZLA

Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft

ZLF

Zusatzversorgungswerk für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft

ZVALG

Gesetz über die Errichung einer Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft

Erster Teil

Gegenstand, theoretische Grundlagen und Methodik der Untersuchung 1. Kapitel: Gegenstand der Untersuchung I. Problemstellung und Zielsetzung Die Landwirtschaftliche Sozialversicherung (LSV) insgesamt ist, zieht man einen Vergleich zu Sozialversicherungssystemen für Erwerbstätige in anderen Bereichen, spät eingeführt worden; dies gilt weniger für die Landwirtschaftliche Unfallversicherung (LUV), die bereits 1889 gegründet wurde, als für die Landwirtschaftliche Altershilfe (LAH - 1957) und insbesondere für die Landwirtschaftliche Krankenversicherung (LKV- 1972) 1 • Mittlerweile hat sich die LSV zu einem wichtigen Politikbereich entwickelt, was die finanziellen Aufwendungen des Bundes belegen: So entfallen im Bundeshaushalt 1992 mehr als 6 Mrd. DM und damit über 60% des Etats des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) auf die agrarsoziale Sicherung2 • Zukünftig ist zu erwarten, daß die Finanzierungsansprüche der LSV infolge des Strukturwandels in der Landwirtschaft und der demographischen Entwicklung dynamisch zunehmen werden. Mit den Bundeszuschüssen werden nicht allein soziale Sicherungszwecke erfüllt, sondern - und darin liegt eine wichtige Besonderheit der Agrarsozialpolitik - einkommens- und strukturpolitische Zielsetzungen verfolgt; der Einsatz öffentlicher Mittel führt insbesondere dazu, daß den versicherten Landwirten über die LSV intersektorale Einkommenstransfers in beträchtlichem Ausmaß zukommen3 , ohne daß eine Prüfung der individuellen Einkommenssituation erfolgt.

1 Dies ist sicherlich mit darauf zurückzuführen, daß selbständige landwirtschaftliche Unternehmer eine Personengruppe bilden, deren soziale Vorsorge nach den Grundsätzen des gegliederten bundesdeutschen Sozialversicherungssystems lange Zeit dem eigenverantwortlichen Handeln der Betroffenen zugewiesen wurde.

2 Damit überstiegen die Ausgaben für den Bereich der Agrarsozialpolitik im Jahre 1992 den gesamten Etat des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) im Jahre 1983. Vgl. Agrarpolitische Bilanz 1992. Rückblick und Ausblick. Agrarpolitische Mitteilungen o. Jg. (1992), Nr. 11, S. 4. 3 Legt man 45 Versicherungsjahre zugrunde und nimmt dabei an, daß die versiehe-

30

Erster Teil: Grundlagen

Die Ausgabenentwicklung des Systems, inhaltliche Inkonsistenzen und insbesondere Kritik an den umfangreichen intersektoralen Einkommenstransfers an die versicherten Landwirte haben dazu geführt, daß Forderungen nach einer Reform4 der agrarsozialen Sicherung seit Ende der 70er Jahre erhoben und seitdem auch immer wieder auf die politische Tagesordnung gebracht wurden. Eine ganze Reihe von inhaltlichen Reformvorschlägen und politischen Anläufen, diese durchzusetzen, sind zu verzeichnen; dies gilt sowohl für die Zeit des sozial-liberalen Regierungsbündnisses als auch danach unter der Regierungsverantwortung der christlich-liberalen Koalition. Obwohl die Agrarsozialpolitik in den vier Wahlperioden des Deutschen Bundestages von 1976 bis 1990 häufig novelliert wurde, ist in diesem Zeitraum eine langfristig tragfahige Systemkorrektur nicht erfolgt. Die LSV-Politik hat insofern im Vergleich zu den allgemeinen sozialen Sicherungssystemen in der Bundesrepublik eine Sonderentwicklung genommen. Die Unterschiede zwischen allgemeiner Sozialpolitik und Agrarsozialpolitik werden im Bereich der Alterssicherung besonders deutlich: Der in allen Alterssicherungssystemen der Bundesrepublik5 seit Mitte der 70er Jahre wahrgenommene Problemdruck führte in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) zunächst zu einer kurzfristig angelegten Konsolidierungsrechtlichen Bedingungen des Jahres 1992 für die gesamte Beitrags- und Rentenzeit eines Versicherten gelten, so beläuft sich die maximale Beitragsecmäßigung eines versicherten Landwirtes gegenüber einem in der GRV versicherten Arbeitnehmer auf 237 600,- DM. Vgl. P. Mehl/K. Hagedorn: Übertragung des agrarsozialen Sicherungssystems auf die neuen Bundesländer: Probleme und Perspektiven. Landbauforschung Völkenrode 42 (1992), H. 4, S. 276-292; Übersicht 4, S. 286. Da die Begünstigung der Landwirte in der Vergangenheit höher lag, und die relative Vorteilhaftigkeit der landwirtschaftlichen Alterssicherung bei kürzeren Beitragszeiten größer ist, unterschätzt der hier angestellte Vergleich die reale Begünstigung. 4 Unter Reform soll hier eine grundlegende Umgestaltung der geltenden Regelungen des Rechts der LSV verstanden werden mit dem Ziel, die zahlreichen Abweichungen der landwirtschaftlichen Sozialversicherung von der sozialen Sicherung für andere Bevölkerungsgruppen in bezug auf den versicherten Personenkreis, die soziale Sicherungsfunktion, die Finanzierung und die inter- und intrasektoralen Verteilungswirkungen zu verändern. 5 Die vergleichende Betrachtung der GRV und ihrer Entwicklung ist nicht normativ zu verstehen, sondern soll als Referenzsystem eine heuristische Funktion erfüllen. Unter der GRV werden die gesetzlichen Alterssicherungssysteme von Arbeitern und Angestellten verstanden. Diese waren bis 1992 in unterschiedlichen Gesetzen (die Reichsversicherungsordnung galt für Arbeiter, das Angestelltenversicherungsgesetz galt für Angestellte) weitgehend gleichlautend geregelt. Seit dem lokrafttreten des Rentenreformgesetz 1992 sind diese im Sechsten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VI) zusammengefaßt. Im Bereich der Alterssicherungssysteme der Bundesrepublik Deutschland weichen neben der LAH auch die Knappschaft, die Beamtenversorgung und die berufsständischen Sicherungssysteme stark von der GRV ab. Vgl. hierzu: Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Sachverständigenkonunission Alterssicherungssysteme - Berichtsband I. Vergleich der Alterssicherungssysteme und Empfehlungen der Kommission. Stuttgart u. a. 1983.

1. Kap.: Gegenstand der Untersuchung

31

rungspolitik der sozial-liberalen Koalition (20. und 21. Rentenanpassungsgesetz), die sich dann nach 1980 in eine kumulativ wirkende, in mehreren Schritten durchgeführte Strukturreform wandelte. Die Bemühungen um eine Reform der GRV führten über die Haushaltsbegleitgesetze 1983 und 1984 und das Hinterbliebenen- und Erziehungszeitengesetz 1985 schließlich zum Rentenreformgesetz (RRG) 1992, das konsensual von CDU/CSU, FDP und SPD 1989 verabschiedet wurde6 • Das RRG 1992 wurde als der "Abschluß eines Stabilisierungskonzepts" angesehen, "dessen Konturen sich bereits Ende der 70er Jahre angedeutet hatten", die Reform als "kumulativer Problemlösungsprozeß" bezeichnet, der in einer breiten politischen Allianz durchgesetzt wurde7 • Die Entwicklung der LAH gestaltete sich - trotz vergleichbarer Problemlage und im Grunde größeren Problemdrucks - insgesamt gegensätzlich: Von einer analogen Reform der LAH in diesen Jahren, und dies gilt für die LSV8 insgesamt, kann nicht die Rede sein; ihr kann insofern eine besondere Resistenz gegenüber Veränderungen unterstellt werden. Die zentralen Zielsetzungen dieser Untersuchung knüpfen an diese Feststellung an und sind in der Folge aufgelistet: (1) In dieser Arbeit soll diese Sonderentwicklung der Agrarsozialpolitik von 1976 bis 1990 auf ihre Bestimmungsgründe hin untersucht werden. (2) Die hierzu erforderliche differenzierte Analyse der Akteure und deren Zusammenwirken im Zusammenhang mit den daraus resultierenden Politikinhalten leistet gleichzeitig einen Beitrag zur "Politics of Policy-making"-Forschung im Bereich der Agrarpolitik9 •

6 F. Nullmeier/F. W. Rüb: Alterssicherungspolitik in der Bundesrepublik In: B. Blanke/ H. Wollmann (Hrsg.): Die alte Bundesrepublik Kontinuität und Wandel. Leviathan Sonderheft 12. Opladen 1991, S. 436-462; ZitatS. 459. 7 Ebenda Ausfiihrlich hierzu: F. Nullmeier/F. W. Rüb: Die Transformation der Sozialpolitik. Vom Sozialstaat zum Sicherungsstaat Frankfurt a. M. und New York 1993.

8 Allerdings war die LSV im Bereich der Krankenversicherung - in Folge der weitgehenden Übereinstimmung im Leistungsbereich - von den dort im Untersuchungszeitraum unternommenen, ebenfalls redistributiv ausgerichteten Reformversuchen weitgehend mitbetroffen; dies gilt jedoch nicht für die weiterhin existenten Sonderregelungen der LKV im Beitragsrecht und im Bereich der Finanzierung. 9 V gl. hierzu: A. Windhoff-Heritier: Policy-Forschung u~d "traditionelle" Politikwissenschaft. Möglichkeiten und Probleme einer Verklanunerung. In: H.-H. Hartwich (Hrsg.): Policy-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Selbstverständnis und ihr Verhältnis zu den Grundlagen der Disziplin. Opladen 1985, S. 191-199. Windhoff-Hentier sieht dabei einen generellen, nicht allein auf den Agrarbereich bezogenen Forschungsbedarf; zur politikwissenschaftlichen Erforschung des Agrarbereichs vgl. 2. Kapitel, Abschnitt II.

32

Erster Teil: Grundlagen

(3) Agrarsozialpolitik ist weitgehend national formulierte Politik in einem Politikfeld, über das ansonsten nahezu ausschließlich im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft entschieden wird. Eine Untersuchung hat infolgedessen komplexe Mehrebenenzusarnmenhänge 10 zu beachten und einzubeziehen. Eine Analyse der Agrarsozialpolitik kann so zusätzliche Erkenntnisse über das Zusammenwirken der unterschiedlichen Ebenen im Bereich der Agrarpolitik vermitteln, wobei die nationale Ebene im Mittelpunkt steht11 • (4) Die berufsständische Gliederung ist ein wesentliches Strukturprinzip der So-

zialversicherungssysteme der Bundesrepublik 12 • Diesem Umstand trägt die bisherige politikwissenschaftliche Forschung zur Sozialpolitik in der Bundesrepublik nicht Rechnung 13 .

II. Eingrenzung von Untersuchungsgegenstand und untersuchtem Zeitraum Die vorgegebene Aufgabenstellung dieser Arbeit, die Abläufe politischer Entscheidungsprozesse und die dabei wirksam werdenden Einflüsse der politischen, ökonomischen und sozialen Umwelt differenziert zu erfassen, ist insbesondere aus arbeitsökonomischen Gründen nur für einen beschränkten Zeitraum zu erfüllen14. Bei der Untersuchung nur eines einzelnen Entscheidungsprozesses wären dagegen allgemeine Schlußfolgerungen über diesen Einzelfall hinaus unmöglich gewesen. Die Wahl eines Untersuchungszeitraums, der mit der 8. Wahlperiode des Deutschen Bundestags im Jahr 1976 beginnt und mit seiner 11. Wahlperiode 1990 10 Vgl. hierzu: W. Schumann: EG-Forschung und Policy-Analyse. Die Milchquotenregelung von 1984. Kehl a. Rhein u. a. 1992, S. 1-8, sowie: B. Burkhardt-Reich/W. Schumann: Agrarverbände in der EG. Kehl u. a. 1983, S. 9-37.

11 Für die eingehende theoretische Begründung und empirische Anwendung vgl. Schumann, EG-Forschung und Policy-Analyse (FN 10). 12 Wie zuletzt durch die Schaffung einer Sozialunion zwischen alten und neuen Bundesländern deutlich wurde. V gl. für die Schwierigkeiten einer Transformation der sozialen Sicherungssysteme im Agrarbereich: P. MehUK. Hagedorn: Die agrarsoziale Sicherung im Prozeß der Vereinigung Deutschlands- Probleme des Übergangs zu einem sektoral gegliederten Sozialversicherungssystem. Deutsche Rentenversicherung o. Jg. (1993), H. 3, S. 120-147.

13 Als nach wie vor besten Überblick über die sektoralen Besonderheiten im Bereich der Alterssicherungssysteme in der Bundesrepublik Deutschland, wenn auch nicht mehr in allen Punkten auf dem aktuellen Stand, vgl. die Gutachten der Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme (FN 5).

14 Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse ist bei einem längeren Zeitraum kaum zu gewährleisten. Hier ist zu berücksichtigen, daß Experteninterviews eine zentrale Grundlage bilden; die Zahl möglicher Gesprächspartner und deren Erinnerungsvermögen nimmt natürlich ab, je weiter die untersuchten Entscheidungen zurückliegen.

1. Kap.: Gegenstand der Untersuchung

33

endet, stellt den Versuch dar, einen mittleren Weg zu gehen. Angestrebt wird dabei, die Vorzüge von Einzelfallstudien nutzen zu können, ohne die vergleichende Perspektive aufgeben zu müssen: Einmal können die in diesem Zeitraum diskutierten Reformentwürfe und verabschiedeten Gesetzesänderungen der LSV sehr differenziert in ihren Abläufen und Bestimmungsgründen verfolgt werden; zweitens wird eine vergleichende Perspektive eröffnet, die allgemeinere Schlußfolgerungen über den Einzelfall hinaus zuläßt; dabei versprechen Zäsuren im Untersuchungszeitraum, wie insbesondere der Regierungswechsel von 1982 oder etwa der grundlegende Kurswechsel der Gemeinsamen Agrarpolitik der EG (GAP) Mitte der 80er Jahre, interessante Aufschlüsse über deren Wirkungen auf die LSV-Politik. Das Jahr 1976 wird als Ausgangszeitpunkt gewählt, weil in diesem Jahr erstmals massive Kritik an der LSV geäußert wurde und Reformforderungen erhoben wurden 15 • In der allgemeinen Sozialpolitik erscheint die Mitte der 70er Jahre ebenfalls als eine "deutlich sichtbare Wendemarke" 16 , mit der die "Sozialpolitik der mageren Jahre" (Windhoff-Heritier)17 begann. Vorliegende Untersuchung bleibt auf die "alte Bundesrepublik" beschränkt18 . Angesichts der Zäsur der deutschen Vereinigung soll daher der Schlußpunkt der Untersuchung mit dem Ende der 11. Wahlperiode des Deutschen Bundestages 1990 gesetzt werden. Die Analyse beschränkt sich auf die drei genannten großen sektorspezifischen sozialen Sicherungssysteme LUV, LAH und LKV, die in ihrer finanziellen und politischen Bedeutung die Instrumente der Agrarsozialpolitik, die primär strukturpolitisch ausgerichtet sind 19 und auch die Zusatzversorgung für Iandwirt15 K. Hagedorn setzt in seiner Untersuchung: "Reformversuche in der Geschichte der Agrarsozialpolitik", ebenfalls das Jahr 1976 als Beginn der "Umschwungphase" an, von dem ab "weniger die Forderung nach zusätzlichen Leistungen, als die Frage nach der Korrekturbedürftigkeit des neuen Systems - gewissermaßen die "Reform der Reform" - die Diskussionen zur Agrarsozialpolitik bestimmte". Vgl. K. Hagedorn: Reformversuche in der Geschichte der Agrarsozialpolitik. Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 34 (1986), H. 2, S. 176-215; ZitatS. 197. 16 J. Alber: Der Sozialstaat in der Bundesrepublik 1950-1983. Frankfurt a. M. und New York 1989, S. 286. 17 A. Windhoff-Heritier: Sozialpolitik der mageren Jahre. Politik- und verwaltungswissenschaftliche Aspekte des Sparprozesses. In: H. Mäding (Hrsg): Sparpolitik. Ökonomische Zwänge und politische Spielräume. Opladen 1983, S. 77-99. 18 Zu den neuen Herausforderungen und Schwierigkeiten, die sich aus dem Beitritt der Neuen Bundesländer zur Bundesrepublik für den Bereich der agrarsozialen Sicherung ergeben, vgl. ausführlich: Mehl/Hagedorn, Agrarsoziale Sicherung im Prozeß der Vereinigung Deutschlands (FN 12). 19 Entsprechend eingeordnet werden die Landabgaberente, die Produktionsaufgaberente und der Nachentrichtungszuschuß. 3 Mehl

34

Erster Teil: Grundlagen

schaftliehe Arbeitnehmer weit übertreffen. Letztere werden nur in die Analyse miteinbezogen, wenn sie in Zusammenhang mit Veränderungen von LKV, LAH und LUV stehen. 111. Erläuterung der Vorgehensweise Die Vorgehensweise im einzelnen gestaltet sich wie folgt: Im Ersten Teil werden die theoretischen und methodischen Grundlagen der Untersuchung erörtert, wobei vorhandene Ansätze und abgeschlossene Forschungsarbeiten einbezogen werden. Es folgt eine Darstellung der Methodik und Organisation der empirischen Arbeit. Der Zweite Teil beschreibt die politischen, administrativen und ökonomischen Grundbedingungen der Agrarsozialpolitik, die zum Verständnis der nachfolgenden Fallbeispiel~;; notwendig sind. Außerdem sollen die Faktoren, von denen angenommen wird, daß sie Einfluß auf die Entwicklung der Agrarsozialpolitik genommen haben, benannt und systematisch dargestellt werden. Dazu gehören institutionelle und prozessuale Merkmale des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, die Analyse zentraler Akteure, deren Interessenstrukturen und Beziehungsmuster untereinander, sowie außerdem ökonomische und demographische Determinanten der Entwicklung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Der Dritte Teil enthält parallel angelegte Fallstudien zur Ausgestaltung und zum Zustandekommen politischer Entscheidungen zur bundesdeutschen Agrarsozialpolitik von 1976 bis 1990, die nach den einzelnen Wahlperioden des Deutschen Bundestages untergliedert sind. In jeder dieser Fallstudien geht es zunächst um den Ablauf des Entscheidungsprozesses, dessen Dauer sowie um die Veränderungen der zur Verhandlung anstehenden Politikinhalte. Danach werden die einzelnen Veränderungen in der Ausgestaltung der verschiedenen Zweige des agrarsozialen Sicherungssystems beschrieben und einer Wirkungsanalyse unterzogen. Die Untersuchung von Ablauf und Ergebnis des Entscheidungsprozesses bildet die Grundlage für die Analyse der Bestimmungsgründe der Politikentwicklung. Im Vierten Teil schließlich sollen die Überlegungen zu den Bestimmungsfaktoren der Agrarsozialpolitik vom Zweiten Teil und die Ergebnisse der empirischen Arbeit vom Dritten Teil im Zusammenhang betrachtet werden. Dazu wird zunächst das LSV-System am Ende des Untersuchungszeitraums mit dem LSV-System zum Ausgangszeitpunkt der Untersuchung verglichen. Dann wird untersucht, ob und inwieweit die im Zweiten Teil vorgestellten Bestimmungsfaktoren einen Beitrag zur Erklärung der LSV-Politik von 1976 bis 1990 leisten.

2. Kap.: Agrar(sozial)politik als Gegenstand der Forschung

35

2. Kapitel: Agrar(sozial)politik als Gegenstand der agrarökonomischen und politikwissenschaftlichen Forschung I. Konvergente Entwicklungen in den Forschungskonzeptionen der agrarökonomischen Politikforschung und der Politikwissenschaft Die sektorspezifische soziale Sicherung der Landwirte ist, einer Äußerung von Günter Schmitt aus dem Jahre 1982 zufolge, "lange Zeit von der Wissenschaft unbeachtet geblieben, sei es, weil die wissenschaftliche Sozialpolitik darauf keine Aufmerksamkeit verschwenden wollte, sei es, daß die Agrarökonomie keinen Zugang zu sozialpolitischen Fragestellungen fand, sei es, daß auch die politische Wissenschaft wenig Geschmack an dem hier so deutlich sichtbar gewordenen Einwirken von Verbands- und Gruppeninteressen auf die politische Willensbildung und Entscheidungsprozesse entwickelte" 20 . In den Jahren seitdem wurde das Instrumentarium der landwirtschaftlichen Sozialpolitik von seiten der wissenschaftlichen Agrarökonomie mehrfach untersucht. Sehr viel seltener waren dagegen Arbeiten, die agrarpolitische Institutionen und Entscheidungsprozesse und deren Zusammenhang mit der inhaltlichen Ausgestaltung der Agrarsozialpolitik erforschten. Dies verwundert nicht weiter, weil die hierfür erforderliche Zusammenschau verschiedener Politik-Dimensionen21 in den beiden von Schmitt genannten wissenschaftlichen Fächern, der wissenschaftlichen Agrarökonomie und der Politikwissenschaft, keineswegs selbstverständlich war und ist. Die integrative Sicht von Policy, Politics und Polity wird jedoch von Vertretern beider Disziplinen - unabhängig voneinander - zunehmend befürwortet: Im Bereich der wissenschaftlichen Agrarökonomie spielte dabei die Erfahrung eine Rolle, daß Analysen und Vorschläge kaum Eingang in die praktische Agrarpolitik fanden. Der Vorwurf "unzureichender Machbarkeit", den Politikempfehlungen der agrarökonomischen Forschung häufig vonseitender Agrarpolitik erfuhren, gab Anlaß zu der Forderung, eine Erweiterung des traditio-

20 G. Schmitt: Geleitwort zu: K. Hagedorn: Agrarsozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Kritik und Alternativmodelle zur Alterssicherung in der Landwirtschaft. Beiträge zur Sozialpolitik und zum Sozialrecht, Bd. 1. Berlin 1982, S. V. 21 Um die verschiedenen Dimensionen zu kennzeichnen, verwenden wir in der Folge die englische Dreiteilung des Begriffs Politik in Polity (d. h. die formale Dimension von Politik, wie etwa Institutionen; Spielregeln des politischen Systems), Politics (d. h. die prozessuale Dimension von Politik, etwa in politischen Konflikt- oder Konsensprozessen) und Policy (d. h. die inhaltliche Dimension von Politik). Während Untersuchungsgegenstände aus den Bereichen der Polity- und Politics-Dimension zu den traditionellen Gegenständen der Politikwissenschaft zählen, gehören Policy-Fragen zum Kernbereich der agrarökonomischen Politikforschung. 3*

36

Erster Teil: Grundlagen

nellen Gegenstandsbereichs der Instrumente zu betreiben und Entscheidungsprozesse und insbesondere Institutionen einzubeziehen22 . Ein Interesse an praktischer Politikberatung spielte auch eine wichtige Rolle für die Einrichtung einer neueren Forschungsrichtung der Politikwissenschaft, der Policy-Analyse23 , und der zunehmenden Rezeption dieses in den USA entstandenen Ansatzes in der Bundesrepublik seit den 70er Jahren. Im Unterschied zur "traditionellen" Politikwissenschaft, die sich schwerpunktmäßig mit der institutionellen und prozessualen Dimension von Politik befaßt, macht die Policy-Analyse Politikinhalte zum zentralen Gegenstandsbereich ihrer Bemühungen24 : "Policy analysis is finding out what govemments do, why they do it, and what difference it makes" 25 • Die Policy-Analyse und die oben skizzierte Interessenlage von Vertretern der agrarökonomischen Politikforschung stimmen mithin darin überein, daß eine desintegrative Betrachtung der verschiedenen Dimensionen zu suboptimalen Ergebnissen führt. Man kann insofern - vereinfachend - von gegenläufigen Entwicklungen - im Sinne unterschiedlicher Ausgangspositionen - mit gleichgerichteter Zielrichtung in diesen Disziplinen sprechen. Demzufolge hat ein Überblick über den Forschungsstand, der in der Folge gegeben werden soll, agrarökonomische und politikwissenschaftliche Arbeiten zu berücksichtigen. II. Politikwissenschaftliche Arbeiten zur Agrarpolitik in der Bundesrepublik Deutschland

Im Agrarbereich spielen staatliche Vorgaben eine zentrale Rolle; in kaum einem anderen Politikbereich scheint der Stellenwert politisch verfügter Eingriffe ähnlich bedeutend. Insofern müßte sich Agrarpolitik eigentlich für politikwis22 Vgl. hierzu G. Schmitt: Warum die Agrarpolitik ist, wie sie ist und nicht, wie sie sein sollte. Agrarwirtschaft 33 (1984), H. 5, S. 129-136. Grundlegend zur Notwendigkeit wie zu den Hemmnissen der Integration politischer Institutionen und Entscheidungsprozesse in den Gegenstandsbereich der agrarökonomischen Politikforschung vgl. K. Hagedorn: Das Institutionenproblem in der agrarökonomischen Politikforschung. Schriften zur Angewandten Wirtschaftsforschung, Bd. 72. Tübingen 1996. 23

17.

A. Windhoff-Heritier: Policy-Analyse. Frankfurt a. M. und New York 1987, S. 10-

24 Was mit Policy gemeint ist, wird im Deutschen am besten in den zusammengesetzten Ausdrücken wie Wohnungsbau-Politik, Agrar-Politik, Beschäftigungs-Politik anschaulich. Die beste deutsche Übersetzung von Policy wäre wohl der Begriff Politikfeld. Diese "Eindeutschung" hat allerdings den Nachteil, daß sie den Blick auf die Nominalkategorie verengt und andere Differenzierungen von Policies ausblendet; deshalb wird hier der englische Begriff Policy weiterhin verwendet. 25 Th. Dye: Policy Analysis. What Governments Do, Why They Do It And What Difference It Makes. Tucaloosa 1976, S. 1.

2. Kap.: Agrar(sozial)politik als Gegenstand der Forschung

37

senschaftliehe Forschung besonders eignen. Darüber hinaus erscheint der Politikbereich auch wegen der Zuweisung zentraler Regelungsbereiche der Agrarpolitik in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Gemeinschaft (EG) und der damit verbundenen Internationalisierung einer gemeinhin nationalstaatliehen Politik besonders interessant. Gemessen an den wissenschaftlichen Bemühungen zur Erforschung anderer Politikfelder bleibt gleichwohl die Anzahl politikwissenschaftlicher Arbeiten zur Agrarpolitik26 in der Bundesrepublik Deutschland gering. Dieses Ergebnis steht vermutlich mit der institutionellen und materiellen Komplexität des Agrarbereichs im Zusammenhang: Zum einen wird über Agrarpolitik infolge des EG-Bezugs in komplizierten Entscheidungsprozessen entschieden, die nach eigentümlichen Verfahrensregeln ablaufen, die zudem ständigen Veränderungen unterliegen. Zweitens erschwert die häufig komplizierte Ausgestaltung der agrarpolitischen Inhalte Nicht-Spezialisten den Zugang. Die Vermutung, daß die Komplexität der Politikinhalte diese Zurückhaltung erklären kann, wird dadurch gestützt, daß Forschungslücken der politikwissenschaftlichen Agrarforschung weniger im Bereich der Politics-Dimension27 als im Bereich der Politikinhalte, der Policy-Dimension, bestehen28 •

26 "Agrarpolitik wird in der Politikwissenschaft -vergleicht man die Produktion der Disziplin zu einzelnen Feldern staatlicher Politik - außerordentlich stiefmütterlich behandelt. Das vorrangige Interesse gilt Bereichen wie Umwelt-, Wirtschafts-, Forschungsund Technologie- oder Gesundheitspolitik. Die von ihrem Umfang her bescheidene politikwissenschaftliche Forschung zum Schwerpunkt Agrarpolitik weist deutlich erkennbare Schwerpunkte auf. Stark verkürzt ... läßt sich sagen, daß sie sich primär mit dem institutionellen Rahmen von Agrarpolitik, einzelnen Akteuren und deren Verhältnis zueinander sowie Willensbildungsprozessen beschäftigt. Die inhaltliche Dimension, die Auseinandersetzung mit konkreten Maßnahmen der Agrarpolitik, etwa der Beschaffung einzelner Verordnungen oder Richtlinien der EG, den darin formulierten Zielen und den eingesetzten Steuerungsinstrumenten, bleibt dagegen weitestgehend ausgeblendet. Das heißt, auch im Verhältnis der wissenschaftlichen Disziplinen Politikwissenschaft und Agrarökonomie ist bislang die Art von Arbeitsteilung zu beobachten, die Hagedom zwischen praktischer Agrarpolitik und Agrarökonomie konstatiert." W. Schumann: Politikergebnisse in der Gemeinsamen Agrarpolitik. - Ein Erklärungsversuch aus der Sicht der Politikfeldanalyse. In: K. Hagedorn!F. Isermeyer/D. Rost/A. Weber (Hrsg.): Gesellschaftliche Forderungen an die Landwirtschaft. Schriften der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues e. V., Bd. 30. Münster-Hiltrup 1994, S. 131-142; S. 131. 27 Mit dem Deutschen Bauernverband haben sich im Rahmen der Verbändeforschung eine Reihe von Untersuchungen beschäftigt. Als neuere Arbeiten, die auch den Forschungsstand referieren, vgl. R. Sontowski: Der Bauernverband in der Krise. Frankfurt a. M. 1990; R. G. Heinze: Verbandspolitik zwischen Partikularinteressen und Gemeinwohl- der Deutsche Bauemverband. Gütersloh 1992.

28 Vgl. hierzu Schumann, Politikergebnisse in der Gemeinsamen Agrarpolitik (FN 26). Als durchaus symptomatisch erscheint in diesem Zusammenhang, daß der Artikel zum Bereich der Agrarpolitik in einem politikfeldbezogenen Sammelband zur "Politik in der Bundesrepublik Deutschland" durch den Freiburger Historiker Kluge verfaßt wurde. Vgl.

Erster Teil: Grundlagen

38

Auch neuere Arbeiten zu agrarpolitischen Gegenständen in der Bundesrepublik Deutschland, wie etwa die von Sontowski oder Gabriet29 , weisen Defizite auf, weil keine systematische Berücksichtigung von Politikinhalten erfolgt. In beiden genannten Untersuchungen werden Aussagen im Zusammenhang mit agrarpolitischen Inhalten getroffen, die jedoch methodisch nur unzureichend abgesichert erscheinen und daher in erheblichem Maße der Gefahr von Fehldeutung und willkürlich erscheinender Gewichtung ausgesetzt sind30 ; gerade am Beispiel der eben genannten Arbeiten kann m. E. die Notwendigkeit belegt werden, Politikinhalte systematisch auch in Amilysen einzubeziehen, die auf die Politics-Ebene konzentriert sind 31 •

ill. Untersuchungen der Agrarsozialpolitik aus dem Bereich der agrarökonomischen Politikforschung

Im Unterschied zur Politikwissenschaft, die bislang keine Untersuchung vorzuweisen hat, sind im Bereich der agrarökonomischen Politikforschung eine ganze Reihe von Arbeiten angefertigt worden, die sich explizit mit der Agrarsozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland befassen32 . U. Kluge: Staatliche Agrarpolitik. In: K. von Beyme IM. G. Schrnidt (Hrsg.): Politik in der Bundesrepublik Deutschland. Opladen 1990, S. 18-35. Vgl. außerdem Kluges ausführliche Darstellung: U. Kluge: Vierzig Jahre Agrarpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I und II. Harnburg und Berlin 1989. Kluges Arbeit ist überaus umfangreich, indes sehr unübersichtlich und kann v. a. auf Grund einer Fülle überwiegend apologetisch erscheinender Wertungen der bundesdeutschen Agrarpolitik nicht überzeugen. Vgl. beispielsweise Band I, S. 389; Band II, S. 302, S. 370; vgl. außerdem den Besprechungsaufsatz von G. Sehnritt in der Zeitschrift Agrarwirtschaft 38 (1989), H. 9, S. 283286. 29 Sontowski (FN 27); J. P. Gabriel: Grundstrukturen agrarpolitischer Willensbildungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1990. Opladen 1993. 30 Sontowskis zentrale These von der Gefährdung des Einheitsverbands wird zwar korporatismustheoretisch begründet, nicht aber empirisch untersucht und belegt und erscheint so letztlich spekulativ. Ähnliche Einwände wie gegenüber der Arbeit Sontowskis gelten m. E. -in abgeschwächter Fonn- den Arbeiten von Heinze, Verbandspolitik zwischen Partikularinteressen und Gemeinwohl (FN 27) und Gabrie1 (FN 29). Viel weniger aktuell aber gleichwohl infonnativer erscheint weiterhin die bereits 1970 erschienene Arbeit von Ackermann, in der Binnenorganisation und politisches Agieren des DBV vennittels einer akribisch durchgeführten Fallstudie untersucht werden. V gl. P. Ackermann: Der Deutsche Bauernverband im politischen Kräftespiel der Bundesrepublik. Die Einflußnahme des DBV auf die Entscheidung über den europäischen Getreidepreis. Tübinger Studien zur Geschichte und Politik, Nr. 27. Tübingen 1970.

31 Vgl. hierzu F. W. Scharpf: Plädoyer für einen aufgeklärten Institutionalismus. In: Hartwich (FN 9), S. 164-170. 32

Da politikwissenschaftliche Arbeiten zur Agrarsozialpolitik bislang nicht vorliegen,

2. Kap.: Agrar(sozial)politik als Gegenstand der Forschung

39

Wie bereits erwähnt, galt die agrarökonomische Erforschung der Agrarsozialpolitik zunächst dem Bereich des Instrumentariums und dessen Wirkungen. Seit Mitte der 70er Jahre ist eine Fülle von Arbeiten entstanden, die die Fortentwicklung dieses Politikbereichs insbesondere im Hinblick auf die soziale Absicherung der versicherten Personengruppen, die inter- und intrasektoralen Verteilungswirkun~en des Finanzierungssystems und die agrarstrukturellen Effekte untersuchten3 . Nicht selten waren die Untersuchungsergebnisse mit Vorschlägen verbunden, wie eine Aus- bzw. Umgestaltung als kritikwürdig eingestufter Bestandteile des LSV-Systems erfolgen sollte. Die geringe Resonanz auf diese Vorschläge von seiten der praktischen Agrarpolitik gab zweifellos Anstöße für Arbeiten mit der Zielsetzung, den Ursachen für die Diskrepanzen zwischen wissenschaftlicher Politikberatung und praktischer Agrarpolitik über eine Untersuchung der Bestimmungsgründe der Agrarsozialpolitik nachzugehen34 ; diese Untersuchungen sollen nun vorgestellt werden. Die erste Arbeit hierzu stammt von Wangler und folgt einem deskriptiven Ansatz, wobei die agrar~ozialpolitische Entwicklung von der Gründung der LAH bis in das Jahr 1969 nachgezeichnet und ihre Bestimmungsgründe mit hermeneutischen Verfahren untersucht werden35 . Spätere Arbeiten von Agrarökonomen der Universität Göttingen nehmen Public Choice-Ansätze zum Ausgangspunkt36 . Erste Untersuchungen deutscher Agrarökonomen auf dieser theoretischen Grundlage37

werden methodisch relevante Untersuchungen dieser Disziplin, die insbesondere zur allgemeinen Sozialpolitik angestellt wurden, im 3. Kapitel angesprochen. 33 Eine Wiedergabe des umfangreichen Forschungsstandes zum Instrumentarium der Agrarsozialpolitik findet sich im Literaturverzeichnis dieser Arbeit. Nachweise werden außerdem, da Forschungsergebnisse nicht selten Gegenstand der politischen Auseinandersetzung waren, ausführlich im Dritten Teil dieser Arbeit geführt. 34 Hier werden nur die Arbeiten aus dem Bereich der Agrarökonomie genannt, die sich explizit mit der LSV befassen. Einen umfassenden Überblick über den Stand der agrarökonomischen Politikforschung, die auch die politikwissenschaftliche Erforschung des Agrarbereichs berücksichtigt, gibt Hagedorn, Das Institutionenproblem in der agrarökonomischen Politikforschung (FN 22), S. 456-481.

35 Vgl. W. Wangler: Der Mechanismus der agrarpolitischen Willensbildung- dargestellt am Beispiel der Agrarsozialpolitik. In: H.-G. Schiotter (Hrsg.), Die Willensbildung in der Agrarpolitik. Schriften der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues e. V., Bd. 8. München 1971, S. 413-431, sowie: W. Wangler: Landwirtschaftliche Sozialpolitik und soziale Sicherheit in der Landwirtschaft. Materialsammlung der Agrarsozialen Gesellschaft e. V. Göttingen 1969. 36 V gl. insbesondere die unten diskutierten Arbeiten von Hagedom und Scheele; sowie K. Haase: Die politische Ökonomie der Agrarpolitik. Eine Untersuchung zur Anwendbarkeit der Neuen Politischen Ökonomie auf die Entscheidungen in der deutschen und europäischen Agrarpolitik. Agrarwirtschaft, Sonderheft 98. Hannover 1983. 37 Dem Analyseansatz der Neuen Politischen Ökonomie liegt in einer stark vereinfachten Darstellung ein Marktmodell der Politik zugrunde, in dem Wähler und Bürger als

40

Erster Teil: Grundlagen

zeigen jedoch, daß die durch die GAP besonders komplexen, mehrere Ebenen umfassenden Entscheidungsvorgänge in der Agrarpolitik kaum geeignet sind, vorwiegend über den Einfluß allgemeiner Wahlen erklärt werden zu können38 • Die Überprüfung der theoretischen Annahmen mittels sogenannter politometrischer Modelle, mit deren Hilfe Zusammenhänge zwischen dem Wählerverhalten der Landwirte und agrarpolitischen Entscheidungsprozessen überprüft werden sollten, sprechen gegen die Auffassung, mit Hilfe dieses einfachen Ansatzes Agrarpolitik erklären zu können39 . Die Komplexität golitischer Prozesse wird damit offenbar nicht hinreichend differenziert erfaßt . Nachfrager nach öffentlichen Leistungen, Politiker und Parteien als Anbieter solcher öffentlicher Güter fungieren. Ausgehend von der ökonomischen Theorie der Demokratie (Downs), wurden eine ökonomische Theorie des politischen Wahl- und Abstimmungsverhaltens (Buchanan!fullock) entwickelt und zusätzliche Akteursgruppen und politische Zusammenhänge (ökonomische Theorie der Bürokratie; ökonomische Theorie der Verfassung) erfaßt. Im Agrarpolitiksektor fanden außerdem die Theorie des Rent-Seeking und der Exit- and- Voice-Ansatz Hirschmans häufiger Berücksichtigung. Im Mittelpunkt steht also das Verhalten von Akteuren und Akteursgruppen, wobei von der individuellen Nutzenmaximierung als verhaltensleitendem Prinzip ausgegangen wird. Die genannten Teiltheorien über das Verhalten einzelner Akteure müssen integriert werden, um den politischen Entscheidungsprozeß und seine Ergebnisse erklären zu können. V gl. A. Downs: Ökonomische Theorie der Demokratie. Tübingen 1968. J. M. Buchanan/ G. Tullock: The Calculus of Consent. Logical Foundations of Constitutional Democracy. Ann Arbour 1971. A. 0 . Hirschman: Exit, Voice and Loyalty: Further Reflections and a Survey of Recent Contributions. Social Science Information 13 (1974), H. I , S. 7-26. 38 Die Betonung von Wahlen und der dabei unterstellte direkte Zusammenhang zwischen dem Wählerverhalten und der politischen Programmatik von Parteien basiert auf Downs (FN 37). 39 Der Einwand unzureichender Differenzierung betrifft insbesondere die vorgenommene Betrachtungsweise der einzelnen Akteure, dergestalt, daß Aussagen über die Landwirte, die Bürokratie, die Politiker getroffen werden. Als wesentlich anzusehende intraorganisatorische Differenzierungen werden dabei nicht vorgenommen. Die Statik der Betrachtungsweise versäumt es, die einfache logische, nach Kosten-Nutzen-Erwägungen erfolgende Zuordnung der Interessen und Konfliktlinien durch eine differenzierte Prozeßanalyse der sich wandelnden Positionen und Gegenpositionen im Verlauf eines Entscheidungsprozesses zu ergänzen. Die genannten theoretischen Ansätze unterliegen außerdem der Beschränkung auf die Verhaltensweisen einzelner Akteursgruppen. Empirische Arbeiten haben zumeist eine Vielzahl interagierender Akteure, Organisationen und Faktoren zu berücksichtigen. 40 V gl. hierzu Haase (FN 36). Die Problematik einer deterministischen Betrachtung des Politikverlaufs, wie sie sich in solchen Modellen ausdrückt, wird in Teilen der Arbeit von M. Scheele: Die politische Ökonomie landwirtschaftlicher Einkommenspolitik im Rahmen der Agrarsozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Kiel 1990, ebenfalls deutlich. Scheeles "Politik-Reaktionsfunktion" zieht die Entwicklung externer Faktoren (Gesamtverschuldung des Bundes; Gesamtausgaben der öffentlichen Haushalte für soziale Maßnahmen; Entwicklung des Agrarhaushalts des Bundes; einkommenspolitische Erwartungen der Landwirtschaft) zur Erklärung des Ausmaßes der über die Agrar-

2. Kap.: Agrar(sozial)politik als Gegenstand der Forschung

41

Diese - durchaus registrierten - Defizite führen gerade in neueren Arbeiten zur Agrarsozialpolitik zu der Konsequenz, die genannten Theorien durch Ansätze aus anderen sozialwissenschaftliehen Disziplinen zu ergänzen. Insbesondere dem dynamischen Charakter politischer Prozesse und Faktoren der Polity-Dimension wird stärker Rechnung getragen. Zu erwähnen ist hier zunächst eine Arbeit von Hagedorn, in der die dynamischen Aspekte der Agrarsozialpolitik durch die Verwendung des Konzepts der Reformkonjunkturen (Ruß-Mohl) berücksichtigt werden41. Der Ansatz verhilft dazu, die im Bereich der Neuen Politischen Ökonomie vorherrschende Statik zu dynamisieren42 . Das Konzept von Ruß-Mohl ist als Idealtypus konstruiert und birgt in der Vorstellung von Aufschwung, Umschwung und Abschwung einer Reform deterministische Züge. Die zyklische Betrachtungsweise ist auch ein wichtiger Bestandteil des in vorliegenden Untersuchung verwendeten, unten vorgestellten Konzepts des Policy-Zyklus. Neue Ansätze, die zu neuen Erkenntnissen führen, kennzeichnen auch die Arbeit von Scheele43 • Scheeles "theoretische Fundierung landwirtschaftlicher Einkommenspolitik" stützt sich auf Ansätze der "Neuen Politischen Ökonomie" und enthält u. a. ein Kapitel, in dem ein politometrischer Ansatz verfolgt wird. Den Schwerpunkt der Arbeit bildet eine umfangreiche empirische Analyse der historischen Abläufe, die sich auf aufwendige Dokumentenanalysen stützt. Im Mittelpunkt der empirischen Analyse Scheeles stehen interpretativ-hermeneutisch getroffene Aussagen über die Bestimmungsgründe der Agarsozialpolitik. Die Verbindung zwischen der empirischen Ablaufanalyse der Entscheidungsprozesse und der theoretischen Grundlage der Arbeit bleibt eher locker und Scheele verzichtet in seinen Schlußfolgerungen "auf eine unmittelbare Bezugnahme auf die ökonomische Theorie der Politik". Er betont lediglich ihren Wert als "äußerst brauchbares exploratives Konzept" bei der Suche nach den Determinanten des agrarsozialpolitischen Willensbildungsprozesses44 •

sozialpolitik abgewickelten Einkommenstranfers heran. Scheele kommt zu einem Ergebnis, das seiner Politik-Reaktionsfunktion hohe Erklärungskraft zuweist. In Scheeles Modell sind jedoch die erklärenden Variablen sehr eng korreliert: Die Interkorrelation der Einflußgrößen erreichen Werte zwischen 0,77 und 0,94. Infolgedessen verstößt sein Modell in gravierender Weise gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit der Variablen. Vgl. hierzu die Rezension von R. Struff in: Sociologica Ruralis 32 (1992), Nr. 2/3, S. 344 f.

41 Vgl. S. Ruß-Mob!: Reformkonjunkturen und politisches Krisenmanagement. Opladen

1981. 42

Vgl. Hagedorn, Reformversuche in der Geschichte der Agrarsozialpolitik (FN 15).

43

Scheele, Politische Ökonomie landwirtschaftlicher Eirikornmenspolitik (FN 40).

Gleichwohl sieht Scheele seine theoretischen Ausgangsüberlegungen zu den politisch-ökonomischen Bestimmungsgründen der agrarsozialen Sicherung "zu einem wesentlichen Teil bestätigt", allerdings ohne diese Aussage durch eine Gegenüberstellung von theoretischen Aussagen und empirischen Ergebnissen zu untermauern. Scheele, Politische Ökonomie landwirtschaftlicher Einkommenspolitik (FN 40), S. 248; S. 67. 44

42

Erster Teil: Grundlagen

Dennoch erbringen insbesondere die historischen Kapitel der Arbeit Scheeles neue und vertiefte Einsichten in komplexe Realisierungszusammenhänge der Agrarsozialpolitik. Der - forschungsökonomisch nachvollziehbare - Verzicht, auch die interne Interessenaggregation zentraler Akteure, etwa der Bundesregierung oder des DBV, stärker einzubeziehen, klammert jedoch Zusammenhänge aus, die m. E. als wesentlich angenommen werden können45 . Da Dokumentenanalysen die einzige Quelle der empirischen Arbeit sind, ergibt sich außerdem eine Einschränkung auf die Phasen im Policy-Zyklus, die stärker schriftlich dokumentiert und zugleich öffentlich zugänglich sind46 . Notwendigerweise bleiben dadurch informelle Vorgänge ausgeblendet und werden Bestimmungsfaktoren vernachlässigt, die in den untersuchten Quellen nicht entsprechend repräsentiert waren47 • In diesen letzten Anmerkungen zur Arbeit Scheeles sind zugleich wesentliche Bestandteile und Ansatzpunkte des in vorliegender Untersuchung verwendeten und nachstehend erläuterten Analysekonzeptes angesprochen.

3. Kapitel: Theoretische und methodische Grundlagen dieser Untersuchung Die theoretische Grundlage dieser Untersuchung bildet die Policy-Analyse, insbesondere Ansätze zur Klassifizierung von Policies und die Konzepte des PolicyZyklus und des Policy-Netzes, die zunächst umrissen werden. Die Policy-Analyse ermöglicht eine sehr offene, differenziert am Untersuchungsgegenstand und am jeweiligen Erkenntnisinteresse auszurichtende Forschungskonzeption, die dann erörtert wird. Abschließend erfolgt eine Darstellung der Überlegungen, die für die Organisation der empirischen Arbeit leitend waren. I. Das Konzept der Policy-Analyse

Wie bereits erwähnt, steht die inhaltliche Dimension von Politik, d. h. die Art und Weise staatlicher Aktivitäten, die Problembewältigung und ihre Instrumente im Zentrum der Policy-Analyse, wobei das zentrale Erkenntnisinteresse darin liegt, deren Bedingungszusammenhänge mit Politik-Institutionen und Politik45 Scheele regt selbst diesbezüglich weiterführende empirische Forschung an. Scheele, Politische Ökonomie landwirtschaftlicher Einkommenspolitik (FN 40), S. 238. 46 Vgl. hierzu ausführlich die Rezension zur Arbeit Scheeles von P. Mehl, Agrarwirtschaft 40 (1991), H. 6, S. 188-190.

Die Schlußbetrachtung von Scheeles Arbeit enthält die Feststellung, es gelte die "BlackBox" politischer Entscheidungsprozesse durch "weiterführende empirische Forschung aufzuhellen". Scheele, Politische Ökonomie landwirtschaftlicher Einkommenspolitik (FN 40), S. 238. 47

3. Kap.: Theoretische und methodische Grundlagen

43

prozessen zu erforschen. Der Schwerpunkt des politikwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses liegt somit zum einen auf den Inhalten staatlicher Policies und deren Einordnung. Zweitens interessieren die Grunde für deren Zustandekommen und deren spezifische Ausgestaltung. Politikinhalte werden dabei als abhängige Variable aufgefaßt. Die ihnen zugrundeliegenden Bestimmungsfaktoren, etwa sozioökonomische Faktoren, politische Machtverteilung oder politische Institutionen werden als unabhängige Variablen betrachtet. Sie interessieren insoweit, als sie die Inhalte von Policies beeinflussen. Im Unterschied zu den von den Wirtschaftswissenschaften inspirierten Theorien der Neuen Politischen Ökonomie ist die politikwissenschaftliche PolicyAnalyse keine Theorie im Sinne eines Systems von in sich konsistenten Aussagen über "Gesetzmäßigkeiten" politischen Geschehens oder Verhaltens, sondern eher als Satz von Konventionen für empirische Analysen zu verstehen. Geliefert wird ein analytischer Rahmen zur Erfassung und Einordnung politischer Entscheidungsprozesse und deren Ergebnisse, der dazu verhelfen soll, die "Black Box" des politischen Entscheidungsystems, seine Struktur und internen Prozesse zu erfassen und zu verstehen. Eine solche "Beschränkung" ist nicht allein Ausdruck des Forschungsstands, sondern gründet auch auf der Komplexität des Gegenstandes, dessen Bedingungsfaktoren weder leicht isolierbar noch klar umrissen sind, und die sich daher auch nicht mit Hilfe von wenigen Variablen beschreiben lassen48 . Welche analytischen Konzepte bietet nun die Policy-Analyse für die Umsetzung der Erkenntnisabsicht an, Zusammenhänge zwischen externen Faktoren, strukturellen und prozessualen Merkmalen des politischen Systems und den Inhalten politischer Entscheidungen systematisch erfassen zu können? Wesentlich sind zunächst einmal Ansätze zur Systematisierung von Politikinhalten. Windhoff-Heritier unterscheidet hier anhand der Merkmale Nominalkategorie, Wirkung, Steuerungsprinzipien und Beschaffenheit49 : (1) Die Klassifizierung von Policies nach der Nominalkategorie, mit der die Be-

zeichnung einzelner Politikfelder wie Bildungspolitik, Umweltpolitik, Sozialpolitik usw. gemeint ist, mag zunächst trivial erscheinen. Sie ist indes wichtig, weil sie auf institutionelle Zuständigkeiten der Bearbeitung hinweist. So verweist etwa die Bezeichnung Agrarsozialpolitik auf die Zuständigkeit zweier Ministerien im Geschäftsbereich der Bundesregierung, des Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) und des Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML).

(2) Die Unterscheidung nach Wirkungen gibt wichtige Hinweise auf den Charakter der mit der Entstehung einer Policy ablaufenden Prozesse. Zentral ist hier die Unterscheidung distributiv - redistributiv, die die Wirkung vorge48 49

Vgl. R. Mayntz (Hrsg.): Implernentation politischer Programme II. Opladen 1983, S. 15. Windhoff-Heritier, Policy-Analyse (FN 23), S. 21-42.

44

Erster Teil: Grundlagen schlagener politischer Maßnahmen auf gesellschaftliche Gruppen und Individuen thematisiert. Distributive Palieies sind Leistungen, die einzelnen Empfängern oder Gruppen infolge politischer Maßnahmen zugedacht werden, ohne daß dadurch andere Gruppen sich benachteiligt sehen. Die politischen Prozesse verlaufen in einer Atmosphäre der Permissivität. Ganz anders dagegen redistributive Policies, die Kosten - Nutzen zwischen Gruppen umschichten. Eine Gruppe erfährt einen Nutzenzuwachs, während eine andere Gruppe Verluste erleidet50 • Die Schlüsselfrage bei der Klassifizierung einer Policy nach ihren Wirkungen hängt also von der subjektiven Wahrnehmung einer Policy ab. Entscheidend ist die Frage: Wie reagieren politische und gesellschaftliche Akteure auf vorgeschlagene Policies? Die Klassifizierung einer Policy nach Wirkung eröffnet so eine Perspektive auf die konkrete Politik-Arena, in der über Politikinhalte entschieden wird.

(3) Eine dritte Merkmalsebene unterscheidet Palieies nach Steuerungsprinzipien. Hier wird nach der Art der Einwirkung unterschieden. Im wesentlichen werden die Steuerungstypen Gebot und Verbot, Anreiz und Angebot, Überzeugung und Aufklärung sowie Vorbild unterschieden. Die Klassifizierung von Palieies nach Steuerungsprinzipien ist vor allem für Fragestellungen der Implementationsforschung wesentlich und bildet daher für den dieser Arbeit zugrundeliegenden Gegenstandsbereich eine weniger relevante Kategorie. (4) Gleiches gilt für die Beschaffenheit einer Policy, wo gefragt wird, aus was eigentlich eine Policy besteht. Unterschieden werden materielle Leistungen, immaterielle Leistungen und verhaltensnormierende Programme ohne Leistungscharakter.

Bei der Klassifizierung von Palieies nach diesen Merkmalsebenen - und das gilt in besonderem Maße für die komplizierten Regelungen des landwirtschaftlichen Sozialversicherungssystems- ist zu bedenken, daß Palieies sehr vielschichtige Gebilde sind, die "analytisch nie restlos bestimmt" werden können51 • Der Ansatz der Policy-Analyse enthält nun einige analytische Konzepte, mit deren Hilfe Zusammenhänge zwischen Palieies und politischen Institutionen und politischem Verhalten untersucht werden können. Für die hier verfolgten Zielsetzungen ist erstens das Konzept des Policy-Netzes und zweitens das des Policy-Zyklus von Bedeutung. Der Begriff des Policy-Netzes wird hier verstanden "als das Zusammenwirken der unterschiedlichsten exekutiven, legislativen und gesellschaftlichen Institutionen und Gruppen bei der Entstehung und Durchführung einer bestimmten Policy" 52 . Zugrunde liegt die Auffassung, daß eine genaue Analyse der beteilig-

50

51 52

Vgl. ebenda, S. 23 f. Vgl. ebenda, S. 41. H. Heclo: lssue Networks and the Executive Establishement. In: A. King (Hrsg.):

3. Kap.: Theoretische und methodische Grundlagen

45

ten Akteure, insbesondere in ihren formalisierten Beziehungen untereinander, einen wichtigen Beitrag zur Erklärung einer Policy leisten kann. Dabei genügt es nicht, die nach verfassungsrechtlichem Lehrbuch wichtigsten Institutionen wie Parlament, Regierung, Parteien, Verbände zu beachten. Notwendig ist vielmehr die differenzierte Erfassung der im jeweiligen Politikfeld existierenden Konfliktund Kooperationsmuster zwischen den Akteuren. Das Policy-Netz der Agrarsozialpolitik umfaßt Gruppen und Akteure aus dem politisch-administrativen System und der Gesellschaft. Wesentlich ist allein ihr Beitrag bei der Entstehung und Durchführung agrarsozialpolitischer Maßnahmen. Dem Konzept des Policy-Netzes liegt die Vermutung zugrunde, daß aus unterschiedlichen Beziehungsmustern unterschiedliche Problemlösungen resultieren, die Vorstellung also, daß je nach Art und Anzahl der an der Entstehung einer Policy beteiligten Akteure die jeweiligen Politikergebnisse, die als Folge ihres Zusammenwirkens entstehen, variieren. In dieser Untersuchung wird ferner davon ausgegangen, daß auch Policy-Netze innerhalb eines einzelnen politischen Systems in der diachronischen Perspektive variieren. Diese Variationen sind zu erfassen und dann auf ihre Wirkungen auf die Politik-Inhalte zu überprüfen. Verursacht werden können Veränderungen des Policy-Netzes etwa durch RegierungswechseL Maßgeblich können aber auch eine endogene Systemdynamik der LSV oder Entwicklungen im Bereich der "Umwelten" der LSV-Politik sein. Eine solche Festlegung heißt gleichzeitig, daß mit dem Begriff des PolicyNetzes nicht automatisch die Vorstellung eines bestimmten Öffnungs- oder Schließungsgrades impliziert wird53 • Vielmehr wird die genaue Beschaffenheit des Policy-Netzes, die den Grad von Öffnung oder Schließung beinhaltet, als empirische Frage behandelt54 • Das jeweilige Policy-Netz wird zwischen den

The New American Political System. Washington D.C., S. 87-124, zitiert nach WindhoffHeritier, Policy-Analyse (FN 23), S. 45. 53 Damit wird einer in der jüngeren Forschung gängigen Verwendungsweise entsprochen - im Unterschied zu dem ursprünglich von Heclo eingeführten Begriff des "IssueNetwork". Hier eine Auswahl der verwendeten Begriffe und Typisierungen: "Policy-Subsystem", "Sub-Government", "Issue-Network", "Policy-Community". Die gleichen Begriffe sind in Untersuchungen überdies z. T. unterschiedlich belegt. Vgl. hierzu auch: G. Jordan: Sub-Govemments, Policy-Communities and Networks. Refilling the Old Bottles? Journal ofTheoretical Politics 2 (1990), H. 3, S. 313-338. 54 "A Policy network is described by its actors, their linkages and by its boundary. It includes a relatively stable set of mainly pubÜc and private corporate actors. The linkages between the actors serve as communication channels and for the exchange of information, expertise, trust and other policy resources. The boundary of a given policy network is not primarily determined by formal institutions but results from a process of mutual recognition dependent on functional relevance and structural embeddedness." P. KenisN. Schneider: Policy Networks and Policy Analysis: Scrutinizing a New AnaJytical Toolbox. In: B. Marin/R. Mayntz: Policy Networks. Empirical Evidence and Theoretical Considerations. Frankfurt a. M. und Boulder 1991, S. 25-62; ZitatS. 41 f.

46

Erster Teil: Grundlagen

Polen des "Issue-Network" 55 und dem Begriff des "Iron Triangle" 56 einzuordnen sein. Während mit dem Begriff des "Issue-Network" die Vorstellung einer offenen, wechselhaften und eine Vielzahl von Akteuren umfassende Konstellation verbunden ist, hebt der Begriff des "Iron Triangle" eher auf die Vorstellung von Abschottung und Exklusivität ab. Daß hier von einem Policy-Netz der Agrarsozialpolitik und nicht von dem der Agrarpolitik gesprochen wird, liegt daran, daß über Agrarpolitik weitgehend in BQ-Zuständigkeit entschieden wird. Das Policy-Netz der EG-Preispolitik unterscheidet sich demnach - sowohl was die beteiligten Akteure als auch was die institutionellen Bedingungen ihres Zusammenwirkens angeht - beträchtlich von den Bedingungen und Akteur(s)konstellationen, unter denen nationale Agrarsozialpolitik formuliert und implementiert wird. Eine solche Unterscheidung soll nicht dazu führen, die engen Berührungspunkte zwischen der Agrarsozialpolitik und anderen Bereichen der Agrarpolitik zu ignorieren. Die Wahrscheinlichkeit einer Außenbeeinflussung der LSV-Entwicklung durch die GAP ist hoch. Ebenso ist zu vermuten, daß wesentliche Anstöße für Entwicklungen der LSV aus der allgemeinen Sozial(versicherungs)politik kommen können. Der zweite hier einzuführende zentrale Begriff des Policy-Zyklus ist Ausdruck der dynamischen Ausrichtung der Policy-Analyse. Die Policy-Analyse betrachtet Politikinhalte nicht als statisch, sondern nimmt im Gegenteil eine dynamische, prozeßorientierte Sicht ein, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf die Veränderung von Politikinhalten richtet. Sie fragt nach der Entstehung, Durchführung und Beendigung bzw. Neuformulierung einer Policy. Unterschieden werden hier die Phasen: Problemdefinition, Agenda-Setting, Politikformulierung, Politikimplementation, sowie Evaluation.

55 Heclo definiert wie folgt: "... issue networks ... comprise a large number of participants with quite variable degrees of mutual comrnitment or of dependence on others in their environment, in fact it seems impossible to say where.a network leaves off and its environment begins." Zitiert nach K. Schubert: Politikfeldanalyse. Opladen 1991, S. 95. 56 Hinter dem Begriff des "Iron Triangle" steht die Vorstellung einer starken Fragmentierung von Politik in einzelne Bereiche und die Auffassung einer starken Policy-bezogenen Verflechtung zwischen Kongreßausschuß, staatlicher Fachbehörde und jeweiligem Interessenverband, die auf diese Weise ein Dreieck bilden. Dabei ist zu beachten, daß der Begriff aus der Perspektive des US-amerikanischen politischen System entstanden ist. Der Begriff "lron Triangle" scheint sich deshalb für westeuropäische Bedingungen nur bedingt zu eignen, weil dort das Element der Parteiendemokratie i. d. R. eine wesentliche Rolle spielt. Andererseits wiederum sind parteipolitische Einflüsse im Bereich der Agrarpolitik, bedingt durch dessen starke Segmentierung und das große Ausmaß parteienübergreifender Übereinstimmung der politikbereichsspezifischen Akteure, als relativ untergeordnet einzustufen.

3. Kap.: Theoretische und methodische Grundlagen

47

"... ein Problem tritt als solches ins öffentliche Bewußtsein, wird aufgrund der Forderungen bestimmter Gruppen und dominanter gesellschaftlicher Wertvorstellungen als handlungsrelevantes Problem definiert und auf die politische Entscheidungsagenda gesetzt. Begleitet von Auseinandersetzungen und Aushandlungsprozessen zwischen verschiedenen politischen Gruppen wird 'das Problem' in die Form einer politischadministrativ verbindlichen Entscheidung gebracht, die dann im Durchfiihrungsprozeß durch nachgeordnete politische und administrative Akteure, gesellschaftliche Gruppen und Organisationen sowie Einzelbürger ihre konkrete Ausgestaltung erfährt. Die daraus resultierenden konkreten Policy-Ergebnisse und Wirkungen schließlich rufen eine politische Reaktion der Zustimmung oder Ablehnung hervor, die wiederum politisch umgesetzt wird und zur Weiterfiihrung, Veränderung oder Beendigung der Policy führt" 57 . Diese Phasenunterscheidung ermöglicht es, die Veränderung von Politikinhalten zu erfassen und mit Hilfe des Konzepts des Policy-Netzes, situativ wirksamer Faktoren und externer Variablen zu interpretieren. Einige Phänomene der Agrarsozialpolitik des Untersuchungszeitraumes deuten auf die Signifikanz einer solchen dynamischen Betrachtungsweise hin58 . Zusammengefaßt bietet die politikwissenschaftliche Policy-Analyse ein Konzept zur Einordnung einer Policy nach verschiedenen Merkmalsgruppen, sowie mit dem Begriff Policy-Netz und der Differenzierung nach Phasen im PolicyZyklus Hilfestellungen, die Novellierungen der Agrarsozialpolitik in unserem Untersuchungszeitraum auf politisch-administrative und externe Faktoren zu beziehen. Zusätzlich zu diesen analytischen Konzepten der Policy-Analyse sind Forschungsergebnisse aus Arbeiten zur politischen Willensbildung, Verbandsforschung und Föderalismusforschung heranzuziehen. Wie die Umsetzung dieser abstrakten Analysekonzepte für die oben aufgeführten Fragestellungen unseres Forschungsgegenstandes aussehen soll, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.

II. Zur Anlage der Untersuchung Aus dem Forschungsinteresse der Policy-Analyse, Zusammenhänge zwischen politisch-administrativen Faktoren, sozioökonomischen Faktoren und Politikinhalten zu untersuchen, ist eine Vielzahl unterschiedlicher "Forschungsdesigns" entstanden, wobei mit komplexen Politikfeldstudien, vergleichenden "OutputStudien" und Fallstudien idealtypisch drei Grundrichtungen unterschieden werden können59 •

Windhoff-Heritier, Policy-Analyse (FN 23), S. 65. Wie z. B. die Notwendigkeit mehrere Anläufe (2., 3. und 4. Agrarsoziales Ergänzungsgesetz) zu nehmen, bis ein Gesetzentwurf verabschiedungsreif erschien oder die vorgenommenen inhaltlichen Veränderungen im Laufe der parlamentarischen Beratung. 59 Vgl. S. von Bandemer /H. Cordes: Policy-Forschung und Regierungslehre. Der po57

58 ·

48

Erster Teil: Grundlagen

Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Untersuchung und der oben skizzierte Stand der politikwissenschaftlichen Agrarforschung legen es nahe, einen fallstudienorientierten Ansatz zu wählen60 . Die in Einzelprozessanalysen mögliche und hier angestrebte exakte Nachzeichnung der tatsächlichen Abläufe, des Vollzugs und der Wirkung einer Policy und die Erfassung sehr vieler potentieller Einflußfaktoren sprechen ebenfalls dafür. Einzelfallstudien sind jedoch nicht unproblematisch: Eine Schwierigkeit liegt im Fehlen eines Vergleichsmaßstabs, wodurch der Blick auf alternative Handlungsmöglichkeiten verstellt und eine deterministische Sicht der Politikverläufe begünstigt werden. Eine weitere Schwierigkeit ist darin zu sehen, daß Einzelfallanalysen und deren Ergebnisse nur bedingt verallgemeinerungsfähig erscheinen. Gleichwohl hat die makrosoziologische, vergleichende Betrachtung der Sozialpolitik in westlichen Industrieländern politisch-konfliktuellen Faktoren einen zentralen Stellenwert zufewiesen und damit die Notwendigkeit weiterer Einzelprozeßanalysen betont6 • Mittlerweile liegen auch für die Sozialpolitik in der Bundesrepublik eine Reihe von Untersuchungen vor, an die diese Untersuchung methodisch und inhaltlich anknüpfen kann. Hervorzuheben sind dabei die Arbeiten von RosewitzJWebber62 , die den Gründen für Reformblockaden im Bereich der Gesundheitspolitik nachgegangen sind, sowie die Untersuchung von NullmeiertRüb zur Rentenreform 19926!. Methodisch basieren diese Untersulitikwissenschaftliche Beitrag zur Erklärung politischer Ergebnisse. In: S. von Bandemer/ G. Wewer (Hrsg.): Regierungssystem und Regierungslehre. Fragestellungen, Analysekonzepte und Forschungsstand eines Kernbereichs der Politikwissenschaft Opladen 1989, s. 289-306. 60 Gleichwohl bildet eine vergleichende Untersuchung der agrarsozialen Sicherung der Mitgliedstaaten der EG unter politikwissenschaftlichen Vorzeichen ein Desiderat künftiger Forschung. 61 "Trotz enormer Fortschritte im Bereich der international vergleichenden PolicyAnalyse zur Sozial(versicherungs)politik gilt die Einzelanalyse sozialpolitischer Entscheidungsprozesse als Forschungsdesiderat Und dies, obwohl die historisch-vergleichende Betrachtung den politisch-konfliktuellen Faktoren höchste Bedeutung zugernessen hatte." Vgl. F. Nullmeier/F. W. Rüb/B. Blanke: Sozialpolitische Entscheidungsprozesse als Transformation von Bedürfnissen in relative Verteilungspositionen. In: H. Abromeit/U. Jürgens (Hrsg.): Die politische Logik wirtschaftlichen Handelns. Berlin 1992, S. 89-116; Zitat S. 89. Vgl. außerdem Nullmeier/Rüb, Transformation der Sozialpolitik (FN 7). 62 Vgl. B. Rosewitz/D. Webber: Reformversuche und Reformblockaden im deutschen Gesundheitswesen. Frankfurt a. M. und New York 1990. 63 Nullmeier/Rüb, Transformation der Sozialpolitik (FN 7). Zum Bereich der Alterssicherung vgl. außerdem die Arbeiten von J. Reichsthaler: Die mittelfristige Rentensanierung 1975 bis 1978. Politische Faktoren, Akteure, Entscheidungsprozesse, Maßnahmen (19. RAG, 20. RAG, KVKG, 4. Novelle des AFG, 21. RAG). Tübingen 1985; sowie R. Roth: Rentenpolitik in der Bundesrepublik. Zum Verhältnis zwischen wirtschaft-

3. Kap.: Theoretische und methodische Grundlagen

49

chungen auf dem Vergleich mehrerer Entscheidungsprozesse über einen bestimmten Zeitraum hinweg, die auf der empirischen Grundlage von Dokumentenanalysen und leitfadenorientierten Interviews64 erstellt wurden. Dem früheren Arbeiten gegenüber erhobenen Vorwurf, als "bloße Fallstudien" kein generalisierungsfähiges Wissen zu erzeugen und über die "bloße Zeitgeschichte" nicht hinauszukommen65, wird also über die diachronische Betrachtung längerer Zeitabschnitte begegnet. Überdies i!!t den Einwänden gegenüber Einzelfallanalysen eine Äußerung von Scharpf entgegenzuhalten, der anführt, man könne "dieser Gefahr auch nicht durch die vorschnelle Hinwendung zu generalisierenden Theorieansätzen entfliehen, in denen die unaufhebbare Kontingenz des Untersuchungsgegenstandes nicht aufgehoben, sondern einfach ignoriert wird". Scharpf führt weiter aus, notwendig sei "die sorgfältige Rekonstruktion der Funktionszusammenhänge jeweils konkreter Konfigurationen von politischen Institutionen und Politik-Inhalten mit dem Ziel, die darin wirksamen (restriktiven und faszilitativen) Einflüsse institutioneller Strukturen zu identifizieren"66 . Die Anlage dieser Untersuchung strebt an, die notwendige "sorgfältige Rekonstruktion der Funktionszusammenhänge" mit einer über den Einzelfall hinausgehenden Analyse zu verbinden. Einerseits wird die Zielsetzung aufrechterhalten, Politikprozesse und die dabei verhandelten Politikinhalte differenziert zu rekonstruieren und auf ihre Bestimmungsgründe hin zu analysieren67 ; andererseits wird in doppelter Hinsicht - diachronisch und intersektoral - eine vergleichende Perspektive angestrebt. Die Anlage der Untersuchung ist daher wie folgt zu kennzeichnen: (1) Gegenstand der Untersuchung wird nicht ein einzelner Entscheidungsprozeß sein, sondern es sollen die agrarsozialpolitischen Entscheidungen in vier Wahlperioden des Deutschen Bundestages auf ihre Bestimmungsgründe, gewisser-

lieber Entwicklung und der Gestaltung eines sozialstaatliehen Teilbereichs 1957 bis 1986. Marburg 1989. 64 Allerdings wird in beiden Arbeiten die Methodik des empirischen Teils nicht explizit gemacht. Für die vorliegende Untersuchung vgl. unten 3. Kapitel, Abschnitte II und III. 65 F. W. Scharpf: Plädoyer für einen aufgeklärten Institutionalismus. (FN 31), S. 168. Kritisch zu detaillierten Entscheidungsprozeß-Analysen beispielsweise W: Hennis: Politik als praktische Wissenschaft. München 1968, S. 88; R.-H. Dorff/J. Steiner: Decision Cases in Western Democracies. A data banl