Réécriture und Rezeption : Wandlungen des Artusromans 97831106267423110626748

King Arthur could only develop into a modern “myth” because the Arthurian literature created in the High Middle Ages was

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Réécriture und Rezeption : Wandlungen des Artusromans
 97831106267423110626748

Table of contents :
Frontmatter
Pages: I–IV

Inhalt
Pages: V–VI

Vorwort der Herausgeber
Pages: VII–XVIII

I Réécriture, Adaptation und Rezeption des Artus-Stoffs im Mittelalter

Intermediale Resonanz
Zur Übersetzbarkeit medialer Räume am Beispiel des Chastel de Pesme Avanture
Christian Buhr
Pages: 3–26

Hartmann von Aue als Bearbeiter von Chrétiens de Troyes Yvain
Danielle Buschinger
Pages: 27–36

Adaptation als Restauration
Zur Entsakralisierung des Perceval im Peredur und in Sir Percyvell of Gales
Friedrich Wolfzettel
Pages: 37–50

The Literary Legacy of Esclabor
Genealogical Considerations on the translatio imperii in the Roman de Meliadus
Jessica Quinlan
Pages: 51–68


II Artusrezeption in der Frühen Neuzeit

The Matter of Britain and Rome in early 14th-century Tuscany
Reflections on Dante’s Inferno V and the anonymous poem L’Intelligenza
Franziska Meier
Pages: 71–88

Ein kurtzweyl und schimpfliches lachen?
Arthurische Tugendproben im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit
Christoph Schanze
Pages: 89–114

Artus cornutus
Die Tafelrunde auf der Bühne
Gesine Mierke
Pages: 115–132

Artus im Elysium
Über das Fortleben arthurischer Figuren um 1500
Christoph Fasbender
Pages: 133–150

Tristan-Referenzen als Blick hinter die Kulissen: Ritter Galmy
Cora Dietl
Pages: 151–164

King Arthur Rides a Camel
The curious case of three sixteenth-century images
Geert van Iersel
Pages: 165–172


III Artusrezeption im 19., 20. und 21. Jahrhundert

Entblößung und Verhüllung in Der kurze Mantel von Benedikte Naubert
Michaela Wiesinger
Pages: 175–196

Gawan, Gral und Tod
Eduard Stuckens Gawan-Drama im Kontext
Matthias Meyer
Pages: 197–212

Klingsor und Kappi
Zu Stoff und Form in Friedrich Schnacks Zaubermärchen
Lena Zudrell
Pages: 213–228

Morgane moderne
Angelica Rieger
Pages: 229–242

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Réécriture und Rezeption

Schriften der Internationalen Artusgesellschaft

Deutsch-österreichische Sektion Herausgegeben von Cora Dietl, Klaus Ridder, Brigitte Burrichter, Nathanael Busch, Friedrich Wolfzettel, Jörg O. Fichte

Band 14

Réécriture und Rezeption Wandlungen des Artusromans Herausgegeben von Cora Dietl, Christoph Schanze und Friedrich Wolfzettel

ISBN 978-3-11-062674-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-062810-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-062680-3 ISSN 1869-7070 Library of Congress Control Number: 2019931210 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Christoph Schanze, Gießen Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhalt Vorwort der Herausgeber | IX

I

Réécriture, Adaptation und Rezeption des Artus-Stoffs im Mittelalter 

Christian Buhr  Intermediale Resonanz Zur Übersetzbarkeit medialer Räume am Beispiel des Chastel de Pesme Avanture | 3  Danielle Buschinger  Hartmann von Aue als Bearbeiter von Chrétiens de Troyes Yvain | 27  Friedrich Wolfzettel  Adaptation als Restauration Zur Entsakralisierung des Perceval im Peredur und in Sir Percyvell of Gales | 37  Jessica Quinlan  The Literary Legacy of Esclabor Genealogical Considerations on the translatio imperii in the Roman de Meliadus | 51 

II Artusrezeption in der Frühen Neuzeit  Franziska Meier  The Matter of Britain and Rome in early 14th-century Tuscany Reflections on Dante’s Inferno V and the anonymous poem L’Intelligenza | 71  Christoph Schanze  Ein kurtzweyl und schimpfliches lachen? Arthurische Tugendproben im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit | 89 

VI | Inhalt Gesine Mierke  Arturus cornutus Die Tafelrunde auf der Bühne | 115  Christoph Fasbender  Artus im Elysium Über das Fortleben arthurischer Figuren um 1500 | 133  Cora Dietl  Tristan-Referenzen als Blick hinter die Kulissen: Ritter Galmy | 151 Geert van Iersel  King Arthur Rides a Camel The curious case of three sixteenth-century images | 165

III Artusrezeption im 19., 20. und 21. Jahrhundert  Michaela Wiesinger  Entblößung und Verhüllung in Der kurze Mantel von Benedikte Naubert | 175  Matthias Meyer  Gawan, Gral und Tod Eduard Stuckens Gawan-Drama im Kontext | 197 Lena Zudrell  Klingsor und Kappi Zu Stoff und Form in Friedrich Schnacks Zaubermärchen | 213 Angelica Rieger  Morgane moderne | 229

Vorwort der Herausgeber Im Zuge von Kanonisierungstendenzen wurde und wird ›der‹ Artusroman gerne auf die Werke Chrétiens de Troyes sowie wenige andere ›Klassiker‹, im Mittelhochdeutschen etwa die Romane Hartmanns von Aue und Wolframs von Eschenbach, eingegrenzt – abgesehen von Textgruppen und einzelnen Texten, die von der Forschung immer wieder aufs Neue ›entdeckt‹ werden. Der Artusstoff generell und die Figur des Königs Artus im Speziellen wurde jedoch nur deshalb zu einem modernen ›Mythos‹,1 der nichts von seiner ›alten‹ Strahlkraft eingebüßt hat, sondern sich ganz im Gegenteil auch heute noch in den verschiedensten Medien größter Beliebtheit erfreut,2 weil die Artustradition über Jahrhunderte hinweg produktiv weiterlebte und die mittelalterlichen Texte wieder und wieder neu rezipiert, umgeschrieben, in andere Gattungen und Medien transformiert und so der jeweils aktuellen Zeit und ihren Geschmäckern und Bedürfnissen angepasst wurden. Auf diese Weise entstand im Lauf der Zeit eine kaum überschaubare Fülle von im engeren und im weiteren Sinne arthurischen Texten als Übersetzungen, Adaptationen und kulturellen Translationen, Kürzungen, Umschreibungen oder Fortsetzungen, Nachahmungen, Parodien oder Kontrafakturen von älteren Texten oder als Transformationen in andere Literaturformen und Medien. Noch häufiger sind freiere Bezugnahmen auf den Artus-Mythos, sei es in Form von Figuren-, Struktur- oder Motivzitaten in verschiedenen Genres, sei es in bildlichen Darstellungen oder performativen Nachahmungen (etwa Artus-Turnieren im Spätmittelalter oder Computerspielen heute). Während bislang zumeist die Erforschung der modernen Artusrezeption v. a. des 19./20. Jh.3 auf der einen und mediävistische Untersuchungen zur mittelalter-

|| 1 Vgl. z. B. Stephanie Wodianka, Zwischen Mythos und Geschichte. Ästhetik, Medialität und Kulturspezifik der Mittelalterkonjunktur (Jeanne d’Arc / Matière de Bretagne), Berlin, New York 2009 (spectrum Literaturwissenschaft 17), die anhand zweier Beispielfälle die französische und italienische populärkulturelle Artusrezeption ab 1945 nachzeichnet. Zum mittelalterlichen Artusmythos vgl. Friedrich Wolfzettel u. a. (Hrsg.), Artusroman und Mythos, Berlin, Boston 2011 (SIA 8). 2 Vgl. z. B. die umfangreiche, aber sicher nicht annähernd vollständige Liste auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Artusepik_in_Kunst,_Literatur,_Musik,_Film_und_Computerspiel [letzter Zugriff: 12. Januar 2019]. 3 Vgl. dazu die Auswahlbibliographie bei Wolfgang Achnitz, Deutschsprachige Artusdichtung des Mittelalters. Eine Einführung, Berlin, Boston 2012, 434–37; Ulrich Müller u. a. (Hrsg.), Mittelalter-Rezeption, 5 Bde., Göppingen 1979–96; Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki (Hrsg.), Rezeptionskulturen. Fünfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Populärkultur, Berlin, Boston 2012 (TMP 27). https://doi.org/10.1515/9783110628104-201

VIII | Vorwort der Herausgeber

lichen Réécriture des Artusstoffes4 auf der anderen Seite mehr oder weniger unverbunden nebeneinander standen, nimmt der vorliegende Band beide Pole des ›Weiterlebens‹ in den Blick. Als Bindeglied dient dabei die in der Forschung lange Zeit ausgeblendete oder nur marginal beachtete Artusrezeption im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit.5 In der romanistischen Artusforschung hat sich das in den letzten Jahren deutlich geändert,6 für die germanistische Forschung gilt dieser Befund nach wie vor. Dieses Desinteresse an diesem Bereich verwundert insofern, als es hier – in einer Zeit, in der die großen epischen Ausformungen des Artusstoffes aus der Mode kommen,7 – eine überbordende Fülle an Artus-Testimonien in den verschiedensten Gattungen und Rezeptionskontexten gibt; erinnert sei etwa an die Artushöfe im Ostseeraum8 oder an die v. a. in der frühen Neuzeit europaweit beliebten Reihen der Neun Helden, zu denen auch König Artus gehört.9 Allerdings liegt der Fokus bei der Erforschung der Literatur des 15.–17. Jh. allzu deutlich auf dem ›Neuen‹ der Zeit: auf dem Renaissance-Humanismus, der Antikenrezeption, dem Narrendiskurs und der konfessionellen Streitkultur, so dass literarische Formen der Mittelalterrezeption wenig beachtet werden oder noch immer mit dem Label der ›Trivialisierung‹ versehen sind.10

|| 4 Vgl. z. B. Douglas Kelly (Hrsg.), The Medieval ›Opus‹: Imitation, Rewriting, and Transmission in the French Tradition. Proceedings of the symposium held at the Institute for Research in Humanities, October 5–7 1995, the University of Wisconsin-Madison, Amsterdam u. a. 1996 (Faux titre 116); Dorothea Kullmann und Shaun Lalonde (Hrsg.), Réécritures. Regards nouveaux sur la reprise et le remaniement de texts, dans la littérature française et au-delà, du Moyen Âge à la Renaissance, Toronto 2015. 5 Vgl. Dorothee Ader, Prosaversionen höfischer Epen in Text und Bild. Die Rezeption des Tristrant im 15. und 16. Jahrhundert, Heidelberg 2010; Christine Ferlampin-Acher (Hrsg.), Arthur après Arthur. La matière arthurienne tardive en dehors du roman arthurien (1270–1530), Rennes 2017. 6 Vgl. den Überblick bei Leah Tether, Publishing the Grail in Medieval and Renaissance France, Cambridge 2017 (Arthurian Studies, 85.). 7 Im Deutschen schafft lediglich Wolframs Parzival, oftmals ergänzt durch den Jüngeren Titurel, den Sprung in das Druckzeitalter (1477 erschienen bei Mentelin in Straßburg; GW: M51783). Zu den gänzlich anderen Verhältnissen in Frankreich vgl. Jane H. M. Taylor, Rewriting Arthurian Romance in Renaissance France. From Manuscript to Printed Book, Cambridge 2014 (Gallica 33); Brigitte Burrichter, ›Die frühen Drucke der französischen Artusromane‹, unveröffentlichter Vortrag, gehalten auf dem XXV. Internationalen Artuskongress in Würzburg, 28.7.2017. 8 Vgl. Stephan Selzer, Artushöfe im Ostseeraum. Ritterlich-höfische Kultur in den Städten des Preußenlandes im 14. und 15. Jahrhundert, Frankfurt a. M. u. a. 1996 (Kieler Werkstücke D 8). 9 Vgl. Horst Schroeder, Der Topos der Nine Worthies in Literatur und Bildender Kunst, Göttingen 1971. 10 Immer noch präsent: Helmut Melzer, Trivialisierungstendenzen im Volksbuch. Ein Vergleich der Volksbücher Tristrant und Isalde, Wigoleis und Wilhelm von Österreich mit den mittelhochdeutschen Epen, Hildesheim, New York 1972 (Deutsche Volksbücher in Faksimiledrucken B 3).

Vorwort der Herausgeber | IX

Um zu klären, was Artus zu dem modernen Mythos gemacht hat, als welcher der ›sagenhafte‹ König mitsamt den Geschichten, die von ihm und seinen Rittern erzählen, uns heute entgegentritt, werden in den Beiträgen des Bandes unter den Schlagwörtern ›Réécriture‹ und ›Rezeption‹ Prozesse der Übertragung, Bearbeitung und Fortschreibung einzelner Romane sowie verschiedene Formen der Rezeption von Figuren, Motiven, Erzählkomplexen oder Erzählschemata analysiert und historisch kontextualisiert, kurz: Der Band zeichnet anhand exemplarischer Fallstudien die vielfältigen Wandlungen des Artusromans nach, die er bei seiner Wanderung zwischen Kulturen und Zeiten erfahren hat. Als ein gesamteuropäisches Phänomen ist die über Jahrhunderte hinweg immer wieder neue Artusrezeption von bedeutendem kulturhistorischem Wert. Im vorliegenden Band unterscheiden wir grundsätzlich zwischen zwei Formen bzw. ›Mechanismen‹ der produktiven Auseinandersetzung mit den hochmittelalterlichen Artusromanen, die beide im weitesten Sinne der Intertextualität11 oder vielmehr der Transtextualität in Genettes Sinne zuzurechnen sind.12 In der deutschsprachigen Forschung bislang wenig und v. a. in der Hagiographie-Forschung13 gebräuchlich ist der Begriff der ›Réécriture‹.14 In der französischen Literaturwissenschaft ist er fest etabliert,15 aber nicht immer scharf definiert,16 denn »ses formes et ses hybridations sont pour ainsi dire infinies«.17 Letztlich kann ›Réécriture‹ mit dem Genette’schen Begriff der ›Hypertextualität‹

|| 11 Vgl. Friedrich Wolfzettel (Hrsg.), Artusroman und Intertextualität. Beiträge der deutschen Sektionstagung der internationalen Artusgesellschaft vom 16.–19. Nov. 1989 an der Universität Frankfurt, Gießen 1990 (Beiträge zur deutschen Philologie 67 [SIA 2]). 12 Vgl. Gérard Genette, Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe, übers. von Wolfram Bayer und Dieter Hornig, Frankfurt a. M. 1982, 9–18. 13 Vgl. Monique Goullet und Martin Heinzelmann (Hrsg.), La réécriture hagiographique dans l’Occident médiéval. Transformations formelles et idéologiques, Ostfildern 2003 (Beihefte der Francia 58); Daniel Nuß, Die hagiographischen Werke Hildeberts von Lavardin, Baudris von Bourugueil und Marbods von Rennes. Heiligkeit im Zeichen der Kirchenreform und der Réécriture, Stuttgart 2013 (Beiträge zur Hagiographie 12). 14 Vgl. dazu grundlegend Emmanuel Fraisse und Bernard Mouralis, Questions générales de littérature, Paris 2001, 250–54. 15 Vgl. Danielle Buschinger, ›Réécriture et écriture dans la littérature médiévale allemande (XIIe–XIIIe siècles)‹, in: Emannuèle Baumgartner und Christiane Marchello-Nizia (Hrsg.), Théories et pratiques de l’écriture au Moyen Age, Paris 1988 (Littérales 4), 87–99; Anne Besson (Hrsg.), Le roi Arthur au miroir du temps. La légende dans l’histoire et ses réécritures contemporaines, Dinan 2007. 16 Vgl. dazu Martina Stemberger, La Princesse de Clèves, revisited. Postmoderne Re-Interpretationen eines Klassikers zwischen Literatur, Film und Politik, Tübingen 2018, 24f. mit Anm. 64. 17 Fraisse und Mouralis (wie Anm. 13), 254.

X | Vorwort der Herausgeber

gleichgesetzt werden.18 Genette fasst unter diesen Begriff Parodien und Travestien, Persiflagen, Pastiches, Weiterführungen, Supplemente und Fortsetzungen, Transpositionen, Übersetzungen, Versifikationen, Prosifikationen, Transmetrisierungen, Transstilisierungen, Kürzungen, Verdichtungen und Resümees, Erweiterungen und Amplifikationen und vieles mehr: Als Hypertext bezeichne ich also jeden Text, der von einem früheren Text durch eine einfache Transformation (wir werden einfach von ›Transformation‹ sprechen) oder durch eine 19 indirekte Transformation (durch ›Nachahmung‹) abgeleitet wurde.

So breit gefasst freilich kann der Begriff beinahe auf jeden mittelalterlichen Text angewandt werden, denn »la réécriture y est la norme plus que l’exception«,20 was auch für den entsprechenden englischen Begriff des ›rewriting‹21 zutrifft. Als »arch-exponents of rewriting«22 bezeichnet Jane Taylor die mittelalterlichen Autoren – so auch Chrétien – und versteht unter ›rewriting‹: »translate, continue, adapt, of course, but also reframe, refashion, revise, reinterpret«.23 Im vorliegenden Band fassen wir den Begriff etwas enger und verstehen unter ›Réécriture‹ das gezielte Anpassen eines oder auch mehrerer konkreter Texte24 – also nicht nur einer vage genannten »conte d’avanture« (V. 13) in Chrétiens Erec et Enide25 – an die veränderten Bedingungen in neuen zeitlichen, räumlichen und/oder gesellschaftlichen Kontexten oder auch an andere Gattungen und Medien durch veränderndes Umschreiben, wobei der ›Kern‹ der erzählten Geschichte jedoch im Wesentlichen bestehen bleibt. Hierzu zählen z. B. Hartmanns Übertragung von Chrétiens Yvain, Ulrich Füetrers Umgestaltung des Iwein in den strophischen Iban, Felicitas Hoppes Umsetzung des Iwein in ein modernes Jugendbuch (Iwein Löwenritter), Ulrichs von Türheim Tristan-Fortsetzung, die frühneuzeitli|| 18 Vgl. Sophie Rabau, L’Intertextualité, Paris, 22002, 244f. 19 Genette (wie Anm. 11), 18. 20 Rabau (wie Anm. 17), 239. 21 Vgl. dazu Kelly (wie Anm. 4), und ders., The Conspiracy of Allusion: Description, Rewriting and Authorship from Macrobius to Medieval Romance, Leiden 1999 (Studies in the History of Christian Traditions 97). 22 Jane H. M. Taylor, ›Rewriting: Translation, Continuation and Adaptation‹, in: Leah Tether und Johnny McFadyen (Hrsg.), Handbook of Arthurian Romance. King Arthur’s Court in Medieval European Literature, Berlin, Boston, 2017, 167–81, hier: 167. 23 Ebd., 177. 24 Vgl. auch die Definition der Réécriture als Umgestaltung nur eines konkreten Hypotexts bei Racha Kirakosian, Die Vita der Christina von Hane. Untersuchung und Edition, Berlin, Boston 2017 (Hermaea NF 144), 47. 25 Benutzte Ausgabe: Chrétien de Troyes, Erec et Enide. Altfrz./Dt., übers. und hrsg. von Albert Gier, Stuttgart 1987.

Vorwort der Herausgeber | XI

che Prosaisierung von Eilharts Tristrant oder auch Richard Wagners Oper Tristan und Isolde, in der er verschiedene Vorlagen (›Hypotexte‹) fusioniert. Unter den Begriff ›Réécriture‹ subsumieren wir damit verschiedene bisher verwendete Beschreibungsmuster, wie u. a. ›Adaptation‹ bzw. ›adaptation courtoise‹,26 ›Retextualisierung‹27 oder ›Wiedererzählen‹.28 Im Hinblick auf das Thema des Bandes ist die ›Réécriture‹ ein Sonderfall der produktiven Rezeption, dessen spezifische Konfiguration durch die Zielrichtung des Rezeptionsprozesses und den Umgang mit der Vorlage (oder den Vorlagen) bedingt ist. ›Rezeption‹ ist dagegen weiter zu fassen: Die produktive Rezeption von Artusromanen kann entweder deutlich näher am Text bleiben, etwa im Falle von Textvarianten in der handschriftlichen Überlieferung, oder sie kann wesentlich freier sein, wenn etwa ein neues Werk durch ein bereits bestehendes oder durch eine Textsorte nur locker inspiriert ist – oder wenn lediglich einzelne Elemente oder Zitate bestehender Texte aufgenommen werden, was Genette als »Intertextualität«29 bezeichnet. Z. B. lässt sich insbesondere im späteren Mittelalter ein reges Ausstrahlen der Artusdichtung in andere Genres beobachten,30 wobei die spätmittelalterliche Literatur damit letzten Endes nur das fortführt, was in den Anfängen der Artusliteratur bereits angelegt war: nämlich die Integration der Artusgeschichte in die Historie (wie bei Geoffrey of Monmouth) oder die Verbin-

|| 26 Grundlegend dazu Michel Huby, L’adaptation des romans courtois en Allemagne au XIIe et au XIIIe siècle, Paris 1968, und Alois Wolf, ›Die adaptation courtoise. Kritische Anmerkungen zu einem neuen Dogma‹, GRM NF 27 (1977), 257–83. Vgl. z. B. auch Ricarda Bauschke, ›Adaptation courtoise als »Schreibweise«. Rekonstruktion einer Bearbeitungstechnik am Beispiel von Hartmanns Iwein‹, in: Elizabeth Andersen u. a. (Hrsg.), Texttyp und Textproduktion in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin, New York 2005 (TMP 7), 65–84. 27 Vgl. Ursula Peters und Joachim Bumke (Hrsg.), Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur, Berlin 2005 (Sonderheft zur ZfdPh 124). 28 Vgl. Franz-Josef Worstbrock, ›Wiedererzählen und Übersetzen‹, in: Walter Haug (Hrsg.), Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze, Tübingen 1999 (Fortuna vitrea 16), 128–42. 29 Genette (wie Anm. 11), S. 21. 30 Damit nimmt die Literatur ein generelles Interesse des Spätmittelalters an Artus und seinen Rittern auf, das sich auch außerhalb der Literatur zeigt, im deutschsprachigen Bereich etwa in der spätmittelalterlichen Adelstradition, arthurische Namen zu führen, oder in der oben bereits erwähnten auch in städtische Räume ausgreifenden Tradition, Artusfeste zu feiern und Artushöfe einzurichten. Vgl. dazu Bernd Schirok, Parzivalrezeption im Mittelalter, Darmstadt 1982 (Erträge der Forschung 174), 152–71; William H. Jackson, ›The Arthurian Material and German Society in the Middle Ages‹, in: ders. und Silvia A. Ranawake (Hrsg.), The Arthur of the Germans. The Arthurian Legend in Medieval German and Dutch Literature, Cardiff 2000 (Arthurian Literature in the Middle Ages 3), 280–92; Jürgen Wolf, Auf der Suche nach König Artus. Mythos und Wahrheit, Darmstadt 2009, 79–86.

XII | Vorwort der Herausgeber

dung verschiedener Erzählstoffe und Erzählräume (wie in Chrétiens Cligès). Aber erst nachdem sich die Artusliteratur im Hochmittelalter als eigenes Genre (oder besser als eigene matière) etabliert hatte, können Anspielungen auf Arthurisches als intertextuelle oder intergenerische Referenzen mit Signalfunktion wirken.31 Häufig werden arthurische Figuren – meist als Exempelfiguren – in Texten anderer Gattungen erwähnt.32 Daneben treten Artusritter und ihre Damen in nichtarthurischen Texten auch als handelnde Figuren auf und verhalten sich dabei zum Teil markant anders als in der Artusliteratur. Im Falle der produktiven Rezeption bestimmter Erzählmotive33 wie zum Beispiel des Sperbers als Schönheitspreis, des unsichtbar machenden Rings oder der Entführung der Königin ist eine Identifikation als genuin arthurisch dagegen angesichts ihrer weiten Verbreitung in der Regel kaum möglich. Réécriture und Rezeption sind keineswegs immer scharf voneinander zu trennen; wenn Gottfried von Straßburg z. B. den Tristan aus der Artusliteratur herausnimmt, indem er den »sælige[n] Artûs« (V. 16861)34 in eine durch seine Protagonisten übertroffene Vergangenheit stellt, ist dies Artusrezeption innerhalb der Réécriture von Thomas’ Tristan-Roman. Der Band ist primär nach chronologischen Kriterien, die sich jedoch mit systematischen Kriterien überschneiden, in drei Abschnitte gegliedert: Den Anfang machen vier Beiträge, die sich unterschiedlichen Facetten der Réécriture und der Rezeption des Artusstoffes im Mittelalter widmen (I), darauf folgen sechs Beiträge zur Artusrezeption im späteren Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (II), den Abschluss bilden vier Beiträge zur ›modernen‹ Rezeption und Réécriture arthurischer Texte im Deutschland des ›langen‹ 19. Jh. sowie im Frankreich des 20./21. Jh. (III). Die ersten beiden Beiträge befassen sich mit dem Verhältnis des Iwein Hartmanns von Aue zu seiner Vorlage, dem Yvain Chrétiens de Troyes, und fragen danach, welche Veränderungen und Verschiebungen Hartmanns mittelhoch-

|| 31 Vgl. Cora Dietl u. a. (Hrsg.), Gattungsinterferenzen. Der Artusroman im Dialog, Berlin, Boston 2016 (SIA 11). 32 Vgl. dazu Christoph Schanze und Cora Dietl, ›L’univers arthurien dans la littérature non arthurienne tardive‹, in: Christine Ferlampin-Acher (Hrsg.), LATE (1270–1530). La matière arthurienne tardive en Europe/Late Arthurian Tradition in Europe, Rennes 2019 [im Druck]. Ein systematischer Überblick über das ›Leben‹ und das ›Weiterleben‹ arthurischer Figuren ist ein dringendes Desiderat. 33 Vgl. dazu z. B. Dietl u. a. (wie Anm. 31). 34 Benutzte Ausgabe: Gottfried von Straßburg, Tristan, nach dem Text von Friedrich Ranke neu hrsg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkomm. und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, 3. neu bearbeitete Aufl., 3 Bde., Stuttgart 1991.

Vorwort der Herausgeber | XIII

deutsche Réécriture des altfranzösischen Romans zeitigt. C h r i s t i a n B u h r legt anhand der Episode des Chastel de Pesme Avanture im vergleichenden Blick auf Chrétien und Hartmann sowie unter Einbezug der mittelenglischen und altschwedischen Rezeption dar, dass ein textzentriertes Analyseparadigma wie das des ›Wiedererzählens‹ (Worstbrock) oder der ›Retextualisierung‹ (Bumke) der spezifischen intermedialen Konfiguration der mittelalterlichen Romane nur in Teilen gerecht werden kann. Die meisten höfischen Romane sind nicht als ›Texte‹ konzipiert, sondern als intermediale Ensembles aus Text, Bild, Klang und Performanz, was sich v. a. im Prozess der Übertragung in eine andere Sprache als große Herausforderung für die Réécriture entpuppt, auf die die verschiedenen Bearbeiter je anders reagieren. Christian Buhr schlägt daher vor, bei der Analyse von Übertragungen höfischer Romane den textzentrierten Blick auf die Réécriture durch ein Konzept der ›intermedialen Resonanz‹ zu ersetzen. Einen stärker textvergleichenden Ansatz wählt D a n i e l l e B u s c h i n g e r , die mit ihrem Beitrag verdeutlicht, dass Hartmanns Iwein – auch wenn Hartmann hier wesentlich näher an seiner Vorlage bleibt als im Erec – eher eine Adaptation von Chrétiens Yvain darstellt als eine Übersetzung im engeren Sinne. Im Rückblick auf bereits bestehende Forschungsergebnisse, also gewissermaßen als ›Réécriture zweiter Ordnung‹, unterstreicht sie, dass Hartmann zwei grundsätzliche Parameter von Chrétiens Yvain abändert: Iweins Versagen wird von einer primär persönlichen Ebene auf eine gesellschaftliche verlagert, was Iweins vollständigen Ehrverlust zur Folge hat; damit einher geht eine neue Rolle für Laudine, die als Königin in sich ›wahre‹ gegenseitige Liebe und soziale Ansprüche vereinigt und so Artus als Repräsentanten der erstrebenswerten höfischen Ideale ablösen kann. F r i e d r i c h W o l f z e t t e l wendet sich in seinem Beitrag der insularen Réécriture von Chrétiens Perceval zu, die eigene Wege geht und sich dabei deutlich von der kontinentaleuropäischen Tradition der Gralsdeutung abhebt. Das geht so weit, dass man von einer Art ›Rezeptionsverweigerung‹ sprechen kann. Deren Auswirkungen geht Friedrich Wolfzettel anhand zweier Beispiele nach. Die mittelenglische Romanze Sir Percyvell of Gales löst die Perceval-Geschichte zu weiten Teilen aus arthurischen Kontexten und erzählt stattdessen eine Familiengeschichte; die Langversion des walisischen Peredur übernimmt zahlreiche Schlüsselmotive aus Chrétiens Roman, weist aber deren religiös-symbolische Ebene ab und setzt an ihre Stelle Elemente der eigenen einheimischen Tradition. Diese Mischung aus Entsakralisierung und Rezeptionsverweigerung (aus Widerstand gegen eine literarische Überfremdung?) wirkt aber nicht agonal, sondern geht mit der Suche nach neuen literarischen Lösungen für die mit dem Symbol des Grals zusammenhängenden Probleme einher. ›Restauration‹ bedeutet dem-

XIV | Vorwort der Herausgeber

nach im Prozess der Réécriture in beiden Fällen sowohl eine Erneuerung als auch eine Korrektur der adaptierten Vorlage. Ein Beispiel für die Rezeption des Artusstoffes mit gänzlich anderen Vorzeichen und in einem neuen Gattungsrahmen bietet am Ende des ersten Abschnitts des Bandes der Beitrag von J e s s i c a Q u i n l a n . Sie analysiert, wie im Roman de Meliadus, einem Teil des Guiron le Courtois-Zyklus, das Modell der translatio imperii narrativ funktionalisiert wird. Der Roman de Meliadus befasst sich auf zwei Ebenen mit ›Ursprüngen‹: Einerseits erzählt er die Abstammungsgeschichte mehrerer zentraler Figuren der Prosatristan-Tradition, andererseits reflektiert er darüber, wie historiographisch ausgerichtete Episoden der Artusgeschichte in ›Aventüren‹ transformiert werden – ein zentrales Kennzeichen des arthurischen Erzählens. Anhand der Episode um den paganen Ritter Esclabor, den Vater des Palamèdes, und seinen Aufenthalt am römischen Hof beleuchtet der Beitrag das Zusammenspiel von (historisch orientiertem) translatio-Prinzip und dem spezifisch arthurischen Schema der Genealogie als Grundlage der Reflexion über arthurisches Erzählen, die ein wesentliches Element des Romans ausmacht, wobei diese Art der Beschreibung des arthurischen Erzählens und seiner Rezeption zugleich wiederum selbst Züge eines genealogischen Prinzips trägt. Den zweiten Abschnitt des Bandes, der sich mit der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Artusrezeption in nicht-arthurischer Literatur befasst, wobei einerseits einzelne Figuren oder Figurenensembles, andererseits ›typisch‹ arthurische Erzählmotive im Zentrum stehen, eröffnet der Beitrag von F r a n z i s k a M e i e r . Sie setzt sich anhand zweier Beispiele mit dem Weiterleben der matière de Bretagne im frühen 14. Jh. in der Toskana auseinander und weist nach, dass die weitverbreitete Forschungsmeinung, italienische Autoren hätten sich in der Regel eher von der Artuswelt distanziert, in einigen Fällen einer Revision bedarf. Artusrezeption heißt hier (wie meistens), dass arthurisches Personal in anderen Kontexten funktionalisiert wird. Am Beispiel von Dantes Inferno und der anonymen Dichtung L’Intelligenza zeichnet Franziska Meier nach, wie durch die punktuelle Erwähnung arthurischer Figuren als Exempelfiguren versucht wird, eine quasi-genealogische Anbindung an das Artusreich zu erreichen, wobei wiederum dessen römische Abstammung im Vordergrund steht. Auch hier geht es also um translatio, aber in gänzlich anderen Zusammenhängen als im Meliadus. Die beiden folgenden Beiträge befassen sich mit der produktiven Rezeption arthurischer Tugend- und Treueproben in anderen Gattungen. C h r i s t o p h S c h a n z e legt zunächst dar, dass diese ein zentrales Motiv des Artusromans sind (allerdings erst in den Romanen der zweiten Generation), mittels dessen die vermeintliche Idealität des Artushofs kritisch hinterfragt werden kann. Er untersucht dann zunächst, wie das Motiv in zwei anonymen Erzählliedern des 15. Jh.,

Vorwort der Herausgeber | XV

die von einer Trinkhornprobe (König Artus’ Horn) und von einer Mantelprobe (Luneten Mantel) berichten, aufgenommen wird, und wendet sich anschließend der Treueprobe mittels einer Brücke zu, von der Hans Sachs 1530 in einer historia und 1545 in einem Meisterlied erzählt hat. Neben generischen und stoffgeschichtlichen Überlegungen geht es Christoph Schanze um die Frage, wie die Texte mit den antiquierten Normen und Werten des überkommenen literarischen ArtusHochmittelalters umgehen und welche Relevanz sie ihnen unter neuen und anderen gesellschaftlichen Vorzeichen zuschreiben. Hier setzt auch G e s i n e M i e r k e an, die drei Nürnberger Spiele aus der zweiten Hälfte des 15. Jh. untersucht, mit denen dem Artusstoff der Sprung auf die Theaterbühne gelingt und die sich derselben Motive bedienen; die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Erzählliedern und den Spielen sind jedoch unklar. Das Doppelspiel K 80/81 verknüpft eine Mantelprobe mit einer Kronenprobe, K 127 hat die Trinkhornprobe zum Thema. Standen bisher die komischen Aspekte dieser drei Spiele sowie die Funktion von Komik und von Sexualmetaphorik als Distinktionsmarker im Zentrum des Forschungsinteresses, legt Gesine Mierke den Fokus nun auf deren gesellschaftskritisches Potential, das sich in der Auseinandersetzung mit Ritualen und kulturellen Mustern zeigt. Am Beispiel des Fastnachtsspiels um König Artus’ Horn (K 127) verdeutlicht sie mit Blick auf die Überlieferung zunächst die Nähe zwischen weltlichem und geistlichem Spiel, um dann zu untersuchen, welche Rolle dem performativen Ritual der Johannesminne mit seiner gemeinschaftsstiftenden Funktion für das Verständnis des Spiels und seine gesellschaftskritische Relevanz zukommt. In einem gänzlich anderen Umfeld sind die um 1500 entstandenen Texte angesiedelt, die der Beitrag von C h r i s t o p h F a s b e n d e r behandelt, denn ihre Verfasser waren allesamt Akademiker im Hofdienst. Davon abgesehen zeigen die Texte die für ihre Zeit typischen Züge der Artusrezeption: Kataloge von Namen arthurischer Figuren werden in anderen Kontexten für bestimmte Zwecke funktionalisiert. Neben heuristischen Aspekten interessiert Christoph Fasbender die Frage, welches spezifische Vorwissen die Texte an die jeweiligen Namenslisten knüpfen. In Johannes von Kitzschers Dialogus de Sacri Romani Imperii rebus (1496/1504), einer literarischen Jenseitsreise, trifft der Protagonist im Elysium neben antiken Gestalten auf eine Reihe von arthurischen Figuren, die allesamt Vorbildfunktion haben. Ebenfalls als positive Exempelfiguren dienen arthurische Liebespaare in Augustins von Hammerstetten Prosa-Minnerede Der Hirsch mit dem goldenen Geweih (1496). Ludwig von Eyb der Jüngere schließlich rekurriert in den Geschichten und Taten Wilwolts von Schaumberg (1507) mehrfach auf Artus und die Ritter seines Hofes, deren Verhalten er in Beziehung zu dem seines Protagonisten setzt. Insgesamt zeigt sich, dass die höfischen Prätexte im akademisch-

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humanistisch gelehrten Kontext zwar keine zentrale Rolle spielen, dass ihnen aber punktuell als Bildungsgut neben anderem immer wieder Bedeutung zugemessen wird. Von einer ähnlichen Beobachtung geht C o r a D i e t l aus, wenn sie für den höfisch-galanten Roman des 16. Jh. zunächst konstatiert, dass dort das Modell der höfischen Liebe, wie es für den Artusroman konstitutiv ist, keinen Platz mehr zu finden scheint, weil der ›moderne‹ Prosaroman eher an zeitgenössischen oder historischen Referenzen, der Anbindung an reale Räume und Herrscherfamilien sowie politischen oder moraldidaktischen Tendenzen interessiert ist. Arthurisches fungiert daher meist nur als zu übertreffende Vergleichsfolie. Umso aufschlussreicher ist es, wenn Cora Dietl den durch intertextuelle Bezugnahmen konstruierten arthurischen Subtext des Ritter Galmy (1539) freilegt, der – wenn er denn vom Publikum verstanden wird – das Verständnis des Romans entscheidend beeinflusst. Auf der Oberfläche erzählt Ritter Galmy die Geschichte einer betont keuschen ehebrecherischen Liebe zwischen Galmy und der Herzogin der Bretagne, wobei durch Struktur- und Motivzitate immer wieder ein Vergleich mit der tatsächlich ehebrecherischen Tristan-Geschichte nahegelegt wird. Mit einem Blick auf bildkünstlerische Rezeptionszeugnisse des frühen 16. Jh. beschließt G e e r t v a n I e r s e l den zweiten Abschnitt des Bandes. Drei eng miteinander zusammenhängende Bildzeugnisse aus den Niederlanden und aus Dänemark (ein Holzschnitt, ein Glasfenster sowie ein Fresko) zeigen Artus, wie er in die Schlacht reitet – auf einem Kamel. Der Beitrag beleuchtet zunächst die Verbindung der drei Bildmotive, die im Kontext der Darstellung der Neun Helden zu sehen sind, und sucht dann nach Gründen für die Wahl dieses ungewöhnlichen Darstellungsmusters. Ein möglicher Grund könnte der Reiz des Exotischen sein. Der dritte Teil des Bandes setzt sich mit der ›modernen‹ Rezeption und Réécriture des Artusstoffes auseinander. Die ersten drei Beiträge befassen sich anhand dreier exemplarischer Einzelanalysen mit der seit der Romantik verstärkt auftretenden Wiederaufnahme des Artusstoffes im deutschsprachigen Raum im ›langen‹ 19. Jh. M i c h a e l a W i e s i n g e r beginnt im späten 18. Jh. mit dem modernen Feenmärchen Der kurze Mantel, das Benedikte Naubert in ihrer fünfbändigen Märchensammlung Neue Volksmährchen der Deutschen publizierte. Naubert verschränkt darin zwei Narrative, nämlich das mit der mittelalterlichen Artustradition in Verbindung stehende der Mantelprobe sowie das Märchen von Frau Holle. Michaela Wiesinger zeichnet nach, wie – ausgehend vom ›Zeichenwert‹ der Mantelprobe – Motive von Entblößen und Verhüllen den Text durchziehen: Tugendhafte Frauen sind in dieser Erzählwelt sauber und einfach gekleidet und stellen Stoffe und Kleidung her, untugendhafte Frauen sind protzig gewandet und zerstören Kleidung – sowohl im Wortsinn als auch übertragen im Hinblick da-

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rauf, dass sie in böswilliger Absicht Geheimnisse offenlegen und Intrigen spinnen. Der Prototyp dieser negativen Frauengestalten ist Frau Hulla/Hulda (›Frau Holle‹), die in zahllose Hüllen gekleidet ist und sogar ihr Äußeres und ihr Geschlecht wechseln kann, wodurch sie ihre übernatürliche Macht verschleiert. Naubert beschränkt sich also nicht darauf, das mittelalterliche Motiv der Mantelprobe nachzuerzählen, sondern sie be- und überarbeitet es, indem sie den Stoff ausweitet und seine Symbolik produktiv auf die gesamte Textstruktur überträgt. 1907 wurde am Münchener Residenztheater Eduard Stuckens Drama Gawân – Ein Mysterium uraufgeführt. M a t t h i a s M e y e r analysiert Stuckens Drama mit Blick auf dessen Vorlage: Es handelt sich dabei um eine Réécriture von Sir Gawain and the Green Knight, die dem mittelalterlichen Roman zunächst recht eng folgt, bevor Stucken eine christlich gefärbte Schlusswendung wählt, in der des Burgherrn Gattin, Marie de Hautdesert, zu einem Instrument des Teufels wird, mittels dessen Gawan verführt werden soll. Der Beitrag zeichnet Stuckens Vorgehensweise bei der Umwandlung der mittelalterlichen Romanhandlung in eine dramatisierte Gralsgeschichte nach und arbeitet die verschiedenen vorgängigen und zeitgenössischen Einflüsse heraus, die Stuckens Arbeitsweise prägten. Trotz der Nähe zu Sir Gawain and the Green Knight erweisen sich Wagners Parsifal und sein Tannhäuser als die eigentliche Inspirationsquelle für Stuckens Gawan-Drama. L e n a Z u d r e l l setzt sich in ihrem Beitrag mit Friedrich Schnacks Klingsor. Ein Zaubermärchen (1922) auseinander und analysiert dessen narrative Strategien. Das Märchen berichtet vom Kampf des Erzählers mit dem Zauberer Klingsor um seine Geliebte Melusine, die im Schloss Uruk gefangen gehalten wird. Schnack verbindet Elemente aus Wolframs von Eschenbach Parzival und Richard Wagners Parsifal, um seine Klingsor-Figur zu profilieren, und kombiniert diese Mittelalterrezeption in einer abenteuerlich anmutenden Mischung mit Versatzstücken aus sumerischen Erzählungen – einige Charaktere und die Ortsbezeichnung ›Uruk‹ stammen aus dem Gilgamesch-Epos. Die voraussetzungs- und beziehungsreiche inhaltliche Seite des Textes steht in auffälligem Kontrast zu seiner äußeren Form, die zwar eine transzendent-märchenhafte Atmosphäre evoziert, aber recht einfach gehalten ist und strukturell einem klaren Gerüst folgt, das hilft, die überbordende Stoffmasse zu kanalisieren. Der Beitrag von A n g e l i c a R i e g e r rundet den dritten Teil des Bandes ab, indem er sich mit der Rezeption der Figur der Fee Morgane in der französischen Populärkultur des 20. und 21. Jh. auseinandersetzt und danach fragt, was die Faszination der Figur Morganes ausmacht. Angelica Rieger setzt an der Beobachtung an, dass kein anderer sekundärer arthurischer Charakter eine so intensive aktuelle Rezeption erfahren hat, zeichnet dann das Panorama der Morgane-Rezeption in Literatur, Kunst, Film und Musik nach und analysiert in einem dritten Schritt

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als repräsentatives Fallbeispiel Fabien Clavels vierbändigen Zyklus L’Apprentie de Merlin (2010–13) und die Rolle, die Morgane als ›Ana‹ dort im Spannungsfeld zwischen Frau, Zauberin und Fee spielt. Damit zeigt sich am Ende des Bandes nochmals, welche Spannbreite die produktive Rezeption des Mythos der ›alten‹ Artusgeschichten haben kann. Die Beiträge des Bandes basieren auf Vorträgen, die auf dem XXV. Kongress der Internationalen Artusgesellschaft in Würzburg (24.–29. Juli 2017) gehalten wurden. Der herzliche Dank der Herausgeber gilt den Kolleginnen und Kollegen, die sich dort in guter Tradition der Artusgesellschaft im generationenübergreifenden interdisziplinären Gespräch an den intensiven und fruchtbaren Diskussionen der einzelnen Sektionen beteiligt haben. Einen wesentlichen Beitrag zur positiven Atmosphäre des Kongresses leistete die perfekte Organisation, die in den Händen von Brigitte Burrichter und ihrem Würzburger Team lag – ihnen gebührt größter Dank! Bedanken wollen wir uns auch beim Verlag Walter de Gruyter, unserer Lektorin Elisabeth Kempf und ihrer Kollegin Lydia White sowie bei Anne Rudolph, die den Satz und die Herstellung des Bandes begleitet hat, für die wie immer ausgesprochen angenehme Zusammenarbeit und die stets hilfsbereite und zuvorkommende Betreuung bis zur allerletzten Minute. Ein besonderer Dank gebührt Michael Shields (Galway), der erneut die Mühe auf sich genommen hat, die englischen Abstracts zu überarbeiten, sowie unseren Hilfskräften Adrian Verscharen und Anna Verena Mencke für ihre große Hilfe bei der Redaktion des Bandes.

Gießen, im Januar 2019

Cora Dietl Christoph Schanze Friedrich Wolfzettel

Christian Buhr

Intermediale Resonanz Zur Übersetzbarkeit medialer Räume am Beispiel des Chastel de Pesme Avanture Abstract: It is generally agreed that intermediality as encountered in narrative literature is not an exclusively modern phenomenon; several early examples of intermediality can notably be found in courtly romance. This paper analyses the medial implications of the Chastel de Pesme Avanture as realised in Chrétien de Troyes’ Chevalier au lion, before exploring how its treatment of medieval domains is adapted and transformed in contemporary and later medieval translations. By examining intermedial configurations in four versions, this paper seeks more fully to understand processes of retextualisation of the Pesme Avanture in the high and late Middle Ages, framing them in a way that is sensitised to the observable effects of transgressing medial boundaries.

1 Intermedialität als Übersetzungsproblem Das von Marshall McLuhan in Understanding Media1 erstmals umrissene und seither beständig weiterentwickelte und ausdifferenzierte Konzept der ›Intermedialität‹ hat sich in den vergangenen Jahrzehnten besonders in der Beschäftigung mit neuerer und neuester Literatur, mit Film und Fernsehen sowie mit Videospielen und virtuellen Welten im Forschungsdiskurs etabliert. Inzwischen haben unzählige wissenschaftliche Beiträge und Studien den Mehrwert erkannt, der sich aus einer Perspektive ergibt, die nicht nur den kulturellen Intertext verschiedener Kunstprodukte in den Blick nimmt, sondern die gezielt danach fragt, was geschieht, wenn innerhalb desselben Artefakts offensichtlich und nachweislich zwei oder mehr Ausdrucks- oder Kommunikationsmedien einbezogen werden, die »konventionell als distinkt angesehen werden«.2 Obgleich McLuhans Intermedialitätsparadigma einem modernen Mediendiskurs verpflichtet ist, hat die Mittelalter- und Frühneuzeitforschung in den letzten

|| 1 Marshall McLuhan, Understanding Media. The extensions of man, New York 1964. 2 Werner Wolf, ›Intermedialität‹, in: Ansgar Nünning (Hrsg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart 52013, 344–46, hier: 344. https://doi.org/10.1515/9783110628104-001

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Jahren durchaus erkannt, dass auch in ihrem Bereich kulturelle Zeugnisse vorliegen, die nicht nur ein gleichsam multimediales Nebeneinander medialer Elemente aufweisen, sondern diese auch in ein konzeptionelles Miteinander überführen und dabei durch charakteristische »(ästhetische) Brechungen und Verwerfungen neue Dimensionen des Erlebens und Erfahrens eröffnen«.3 Auch die Rezeption eines höfischen Romans scheint nicht allein auf den inhaltlichen Nachvollzug eines epischen Handlungsgeschehens ausgerichtet zu sein. Viele der uns überlieferten literarischen Zeugnisse aus der Zeit um 1200 repräsentieren und reflektieren Formen des Hörens, des Lesens und des Vorlesens, imaginieren musikalische Klangräume, bieten Bild-, Landschafts- und Architekturbeschreibungen und inszenieren (para-)rituelle Handlungen. Ferner tritt in ihnen häufig ein Autor/Erzähler auf, der eine konkrete Ansprache an sein Publikum zumindest suggeriert und dieses gelegentlich sogar in metapoetische Gespräche zu verwickeln scheint. Zu bedenken wäre darüber hinaus, dass viele Textpassagen in einem gleichsam dramatischen Modus gehalten sind, der sich nicht nur durch eine ausgesprochen dialogfokussierte Erzählhaltung und einen physisch präsenten Erzähler auszeichnet,4 sondern auch durch eine sehr kompakte Szenenregie. So hat sich im Allgemeinen die Einsicht durchgesetzt, dass es sich bei höfischen Romanen um intermediale Ensembles aus Bild, Klang und Performanz handelt, die nicht nur an alle Sinne appellieren, sondern mit den Mitteln der Narration die Präsenz verschiedener älterer und neuerer Medien imaginieren und diese damit gleichermaßen tradieren wie transformieren. Auch wenn es uns ein grundsätzlicher Mangel an gesicherten Zeugnissen hinsichtlich der historischen Aufführungspraxis verbietet, die höfische Epik als körperliche, quasi-dramatische Form zu denken, so ließe sich in Anlehnung an McLuhan und Eisenstein zumindest formulieren, dass die intermediale Figuration des höfischen Romans nach seiner Inszenierung und Illustration drängt, so wie auch der Stummfilm nach dem Ton und der Tonfilm nach der Farbe verlangt.5

|| 3 Jürgen E. Müller, Intermedialität. Formen moderner kultureller Kommunikation, Münster 1996 (Film und Medien in der Diskussion 8), 83. 4 Zur Präsenz von Stimme und Körper im volkssprachigen Erzählen des Hochmittelalters vgl. Christina Lechtermann, Berührt werden. Narrative Strategien der Präsenz in der höfischen Literatur um 1200, Berlin 2005 (Philologische Studien und Quellen 191), und C. Stephen Jaeger, ›Charismatic Body – Charismatic Text‹, Exemplaria. A Journal of Theory in Medieval and Renaissance Studies 9 (1997), 117–37. 5 Vgl. McLuhan (wie Anm. 1), 49. In analoger Weise kommentieren Sabine und Ulrich Seelbach den intermedialen Drang der Ruel-Szene im Wigalois Wirnts von Grafenberg: »Man muss sich die Worte Wirnts als filmisch umgesetztes Drehbuch vorstellen, um zu ermessen, wie subtil vom

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Diese medienhistorischen und gattungspoetischen Einsichten gilt es nicht nur im Rahmen von Einzeltextanalysen zu berücksichtigen. Sie wirken sich auch auf komparatistisch orientierte Ansätze aus, insofern nun die kulturelle und historische Varianz der intermedialen Beschaffenheit dieser literarischen Texte zu erfassen wäre, und sie fordern uns damit zugleich in besonderer Weise dazu auf, den textzentrierten Blick auf die Retextualisierung höfischer Romane und Erzählungen im Akt des Übersetzens durch eine Perspektive zu ersetzen, welche die spezifische Konstruktion medialer Räume im Verhältnis von Text und Prätext wahrzunehmen versucht. Ein derartiger Lektüreansatz soll im Folgenden anhand einer prominenten Stelle aus Chrétiens de Troyes Chevalier au lion erprobt werden – anhand eines Romans also, der nicht nur in medialer Hinsicht sehr vielschichtig und raffiniert konstruiert ist, sondern der auch mit Bearbeitungen in mittelhochdeutscher, mittelenglischer, altnordischer und altschwedischer Sprache als Experimentierfeld vergleichender Betrachtungen prädestiniert erscheint.6 Die intermedialen Figurationen höfischer Romane werden vielerorts sichtbar. In der altfranzösischen Erzählung vom Löwenritter Yvain zeigen sie sich etwa im Rahmen der Episode vom Aufenthalt des Helden im Chastel de Pesme Avanture. Wie Chrétien gleich zu Beginn durch die auktoriale Namensnennung signalisiert, ist es hier nicht der verwunschene Wald von Broceliande, sondern die Burg selbst, welche die Aventüre beherbergt – und diese Aventüre wird sich dann auch als eine von der übleren Sorte erweisen. Was der Erzähler hierüber berichtet, ist auf der Ebene der histoire in allen überlieferten Fassungen nahezu identisch: Yvain/ Iwein gelangt nach langer Reise an eine Burg, die von zwei riesenhaften Torwächtern kontrolliert wird. Im Inneren der Burg finden wir einen herrlichen Garten, dort einen älteren Burgherrn und seine Ehefrau sowie seine ebenso schöne wie kluge Tochter, die aus französischen Büchern vorzulesen vermag und die – wie sich später herausstellen wird – als die eigentliche Belohnung für das Abenteuer zu betrachten ist. Der Ritter wird im Fortgang dieser Szene mit einem prächtigen Mantel eingekleidet und so herrlich bewirtet, dass er den Verdacht hegt, es könnte hier ein falsches Spiel mit ihm getrieben werden. In der Tat handelt es sich bei den beschriebenen Vorgängen um ein Ritual, das – ähnlich der Joie de la Curt aus den Erec-Romanen – offenbar schon an vielen Rittern vollzogen worden ist.

|| Erzähler die Spannung gesteigert wird«; Wirnt von Gravenberg, Wigalois. Text der Ausgabe von J. M. N. Kapteyn, übers., erläutert und mit einem Nachwort versehen von Sabine Seelbach und Ulrich Seelbach, Berlin, New York 2005, 303. 6 Der Vollständigkeit halber seien an dieser Stelle auch die walisische Bearbeitung Iarlles y Ffynnawn und der fragmentarische Yvain en prose aus dem 14. Jh. erwähnt, die im vorliegenden Beitrag keine Berücksichtigung finden werden.

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Die Kehrseite der vermeintlichen Burgidylle stellen indessen nicht allein die beiden Riesen dar, die den Helden am Ende seines Aufenthalts als Gegner gegenüberstehen werden. Als dem Prinzip steigernder Repetition geschuldete Vervielfältigungen des Riesen Harpin gehören sie grundsätzlich noch jener Gruppe von Feinden an, die im Rahmen einer ritterlichen Bewährungsfahrt zu erwarten sind. Die eigentliche Kehrseite wird vom Erzähler in einem Arbeitshaus und auf einer angrenzenden Wiese präsentiert. Es handelt sich um 300 Frauen von der Insel der Jungfrauen (V. 5257: »Isle as Puceles«),7 die auf der Burg Tag und Nacht für einen Hungerlohn textile Arbeitsdienste verrichten müssen, wovon die ganze höfische Pracht des Burgherrn finanziert wird. Ihr Schicksal ist nicht selbstverschuldet. Verantwortlich im moralischen ebenso wie im rechtlichen Sinne ist für diesen Zustand der Landesherr dieser Damen – ein König, der vor mehr als zehn Jahren als unerfahrener Ritter an diesen Ort geriet und sich von einem für ihn aussichtlosen Kampf gegen die Riesen mit einer Tributzahlung von jährlich 30 weiblichen Arbeitskräften freizukaufen vermochte. Das traurige Schicksal der 300 Textilarbeiterinnen rührt nicht nur das Heldenherz, es ist auch in der Forschung auf großes Interesse gestoßen, dringt hier doch wenigstens einmal das Reale in die idealisierte höfische Welt des Königs Artus und seiner Ritter ein. Die sozialgeschichtlichen Implikationen dieses Textabschnitts können im Rahmen dieses Beitrags jedoch nur am Rande behandelt werden. Vielmehr sollen der Entwurf Chrétiens mit der Bearbeitung Hartmanns von Aue sowie der mittelenglischen und der altschwedischen Fassung des Yvain verglichen werden – und das muss bedeuten, gerade dort verstärkt auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu achten, wo ursprünglich distinkte Medienelemente in den Text inseriert und textimmanent relationiert werden.8 Medien sollen dabei nicht allein über ihre Träger- und Vermittlerfunktion bestimmt werden. Im Sinne der historischen Medienanthropologie möchte ich Medien in einer ›Sphäre des Dazwischen‹ ansiedeln, als spezifische und dynamische kommuni-

|| 7 Benutzte Ausgabe: Chrestien de Troyes, Yvain, übers. und eingeleitet von Ilse Nolting-Hauff, München 1962 (Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 2). Die Übersetzungen stammen hier und im Folgenden von mir. 8 Nicht berücksichtigt werden in diesem Beitrag damit Ulrich Füetrers strophische Bearbeitung (ca. 1481–91/95), in der sich der Erzählkomplex aus Arbeitshaus und Baumgarten auf gerade einmal zwei ausschließlich am plot orientierte Strophen reduziert, sowie die in Prosa gehaltene altnordische Ívens saga (13./14. Jh.). Letztere ist zwar durchaus darauf bedacht, die Lebensumstände der Arbeiterinnen sowie die höfische Pracht des Burgherrn und seiner Familie zu schildern, von einer wie auch immer gearteten literarischen Erfahrung ist jedoch auch hier nicht die Rede.

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kative Konzepte, in denen sich – gerade im Hinblick auf den höfischen Roman – Praxis, Gebrauchszusammenhang, Kultur und Technik an einem je konkreten historischen Ort überschneiden.9

2 Die Pesme Avanture bei Chrétien und Hartmann Im Rahmen einer vergleichenden Lektüre fällt zunächst auf, dass beide Erzähler in dieser Episode mit Mitteln und Verfahren der Psychonarration experimentieren. In beiden Texten folgt die Darstellung der Szenerie auf der ›Burg zum Schlimmen Abenteuer‹ also ganz der Wahrnehmung des Ritters Yvain/Iwein.10 Hartmann intensiviert den Fokalisierungseffekt noch einmal dadurch, dass er die wenigen auktorialen Äußerungen des altfranzösischen Prätexts tilgt und den Informationsfilter noch konsequenter umsetzt. Entgegen einer allgemein auf Disambiguierung zielenden Bearbeitungstendenz bleiben etwaige Leerstellen dadurch ungefüllt, und die Ungewissheiten auf Seiten der Rezipienten werden vergrößert. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die quantitativen Relationen: Für das Geschehen vom Ritt zur Burg bis zum Kampfbeginn benötigt Chrétien ca. 400 Verse (V. 5107–511). In der mittelhochdeutschen Fassung, die allein schon aus sprachlichen Gründen immer etwas mehr Raum benötigt, werden für denselben Handlungsgang ca. 570 Verse beansprucht (V. 6080–653). Nur knapp 30 Prozent der Verse des altfranzösischen Texts und immerhin etwas mehr als 40 Prozent der Verse Hartmanns von Aue sind jeweils der Handlungsvermittlung und der Szenenbeschreibung durch den Erzähler gewidmet.11 Klar zu erkennen ist hier also einmal mehr die immense Bedeutung, die von den Erzählern den Monologen und Dialogen zugemessen wird. Es ist dies eine erhebliche und in erster Linie der Performanz geschuldete Akzentuierung des gesprochenen Wortes, eine Illusion

|| 9 Vgl. Hans Ulrich Reck, ›Inszenierte Imagination. Zu Programmatik und Perspektiven einer historischen Anthropologie der Medien‹, in: Wolfgang Müller-Funk und Hans Ulrich Reck (Hrsg.), Inszenierte Imagination. Beiträge zu einer historischen Anthropologie der Medien, Wien, New York 1996, 231–44, hier: 242f., und Lechtermann (wie Anm. 4), 38f. 10 Vgl. Gert Hübner, Erzählform im höfischen Roman. Studien zur Fokalisierung im Eneas, im Iwein und im Tristan, Tübingen, Basel 2003 (Bibliotheca Germanica 44), 151f. 11 Einen ausführlichen Vergleich der erzählerischen Anlage der verschiedenen Yvain-Bearbeitungen bietet Johannes Frey, Spielräume des Erzählens. Zur Rolle der Figuren in den Erzählkonzeptionen des Yvain, Îwein, Ywain und Ívens saga, Stuttgart 2008 (Literaturen und Künste der Vormoderne 4), mit Blick auf die Pesme Avanture: 60–63.

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von Mimesis, die den höfischen Romanen zumindest phasenweise einen gleichsam dramatischen Charakter verleiht.12 Der besondere Darstellungsmodus höfischen Erzählens wirft allerdings Fragen nach dem kommunikativen Stellenwert intradiegetischer Äußerungen auf: Wie unterscheidet sich das gesprochene Wort des Erzählers vom gesprochenen Wort der Figuren? Wie unterscheidet sich dialogische Figurenrede von Monologen und von intradiegetischen Erzählungen? Und v. a.: Wie und wo lassen sich überhaupt mediale Distinktionen vornehmen, wenn sämtliche Elemente ohnehin ein und demselben medialen Akt angehören?

2.1 Der Baumgarten Selbstverständlich ist Erzählen im Hochmittelalter längst kein Phänomen originärer Mündlichkeit mehr im Sinne von oral poetry, sondern die Nachahmung bzw. die Inszenierung eines real präsenten Erzählers. Doch auch wenn literarische Äußerungen um 1200 immer schon vertextet sind und uns aus den Handschriften sämtliche Informationen in schriftmedialer Vermittlung entgegentreten, ist das private Lesen im Rahmen des epochalen Verschriftlichungsprozesses bekanntlich (noch) nicht der primäre Rezeptionsmodus. Der semi-orale Charakter mittelalterlicher Erzählungen lässt sich auf formaler, stilistischer und inhaltlicher Ebene erkennen. Über die oben beschriebene Bevorzugung des dramatischen Modus hinaus zeigt sich ›Vokalität‹13 an einer klugen Gliederung in konsumierbare Einheiten und am Einsatz von Erinnerungsschleifen, die der inhaltlichen Orientierung dienen, ebenso wie etwa an fingierten Publikumsansprachen, an Zuschauereinwürfen oder an der Bitte um einen möglichst störungsfreien Ablauf des Vortrags.14 Anhand von Quellenangaben und intertextuellen Verweisen sowie am Übergang von den Strophen und Laissen der Heldenepik zum höfischen || 12 Vgl. Gérard Genette, Die Erzählung, aus dem Französischen von Andreas Knop, München 2 1998, 117. Ausführlich behandelt werden derartige Performanzphänomene des mittelalterlichen Erzählens in dem Band Evelyn Birge Vitz u. a. (Hrsg.), Performing Medieval Narrative, Cambridge 2005. 13 Zum Begriff der ›Vokalität‹ grundlegend Ursula Schäfer, Vokalität. Altenglische Dichtung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Tübingen 1992 (ScriptOralia 39). 14 Als Beispiel mag hier der Prolog aus Eilharts Tristrant dienen, wo vermeintliche Störenfriede aufgefordert werden, sich während der rede des Erzählers still zu verhalten: »her ist klûkir sinne ein kint, / swer solhe rede vorstôret / die man gerne hôret / und die nutze ist vornomen / und gûten lûten wol mag vromen. / ich sage ûch, wolt ir swîgen stille« (V. 26–31). Benutzte Ausgabe: Eilhart von Oberge, Tristrant, hrsg. von Franz Lichtenstein, Straßburg 1877 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Völker 19).

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Reimpaarvers wird zugleich die konstitutive Gebundenheit dieser Texte an die Schriftsprache sichtbar. Besonders deutlich artikuliert sich der transitorische Charakter höfischer Romane überall dort, wo – wie im Baumgarten der ›Burg zum Schlimmen Abenteuer‹ – das Vorlesen literarischer Werke textimmanent reflektiert wird. Die Stelle lautet in der altfranzösischen Fassung folgendermaßen: Mes sire Yvains el vergier antre et aprés lui tote sa rote. apoiié voit dessor son cote un prodome, qui se gisoit sor un drap de soie, et lisoit une pucel devant lui an un romanz, ne sai de cui. et por le romanz scouter s’i estoit venue acuter une dame, et c’estoit sa mere, et li prodon estoit ses pere, si se point esjoïr mout de li veoir et oïr; car il n’avoient plus d’anfanz; ne n’avoit pas dis et set anz, et s’estoir si bele et si jante, qu’an li servir meïst s’antante li Des d’Amors, s’il la veïst, ne ja amer ne la feïst autrui se lui meïsme non. (V. 5360–79) Herr Yvain betritt den Obstgarten und nach ihm seine Begleiter. Seitlich aufgestützt erblickt er dort einen Edelmann, der auf einem Seidentuch Lager genommen hatte, und vor ihm ein Mädchen, das aus einem Roman liest – ich weiß nicht von wem. Und um den Roman zu hören, hatte sich dort eine Dame niedergelassen, und dies war die Mutter des Mädchens und der Edelmann war sein Vater. Und sie durften sich sehr am Anblick und an den Worten des Mädchens erfreuen, denn sie hatten keine weiteren Kinder. Kaum siebzehn Jahre war sie alt, und sie war so schön und so liebreizend, dass selbst der Gott der Liebe ihr mit seinem Dienst aufwarten würde, wenn er sie erblickte, und sie keinen anderen lieben machte als ihn allein.

Zum unmittelbaren Vergleich hier nun dieselbe Stelle in Hartmanns Fassung: dô nam er einer stiege war. diu selbe stiege wîste in in einen boumgarten hin, der was lanc und wît daz er vor des noch sît deheinen schœnern nie gesach. dar in het sich durch gemach

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ein altherre geleit. dem was ein bette gereit, des wære gewesen frô diu gottine Iûnô, dô si in ir besten werde was. der schœnen bluot, daz reine gras, bâren im vil süezzen smac. der herre hêrlîche lac. er het einen schœnen alten lîp, und wæne wol, si was sîn wîp, ein frouwe diu dâ bî im saz. si ne mohten beidiu niht baz von sô alten iâren getân sîn noch gebâren. und vor in beiden saz ein magt, diu vil wol, ist mir gesagt, wælsch lesen kunde. diu kurzte in die stunde. ouch mohte sî ein lachen lîhte an in gemachen. ez dûhte sî guot swaz sî las, wande sî ir beider tohter was. ez ist reht daz man sî krœne, diu zuht unde schœne, hôhe geburt unde iugent, gewizzen und ganze tugent, kiusche und wîse rede hât. daz was an ir und gar der rât des der wunsch an wîbe gert. 15 ir lesen was et dâ vil wert. (V. 6434–70) Da erblickte er eine Treppe. Und diese Treppe führte ihn in einen Baumgarten hinein, der so lang und breit war, dass er weder vorher noch nachher einen herrlicheren gesehen hatte. Ein alter Herr hatte sich dort aus Behaglichkeit niedergelegt. Ein Bett war ihm dort gerichtet worden, über das sich selbst die Göttin Juno in der Zeit gefreut hätte, als sie in ihrem höchsten Ansehen stand. Die schönen Blüten und das makellose Gras spendeten ihm höchst angenehmen Geruch. Der Herr lagerte prächtig. Er hatte einen schönen alten Körper, und ich meine doch, die Dame, die dort bei ihm saß, war seine Ehefrau. In Aussehen und Verhalten hätten beide in so hohem Alter nicht edler sein können. Auch saß vor ihnen ein Mädchen, das, wie mir gesagt worden ist, sehr gut Französisch lesen konnte. Die vertrieb ihnen die Zeit. Sie vermochte ihnen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Es gefiel ihnen alles gut, was sie las, denn sie war ihrer beider Tochter. Man soll diejenige auszeichnen, die über höfische Erziehung und Schönheit, edle Abkunft und Jugend, Klugheit und vollkommene

|| 15 Benutzte Ausgabe: Hartmann von Aue, Iwein, hrsg. und übers. von Rüdiger Krohn, Stuttgart 2011. Die Übersetzungen stammen hier und im Folgenden von mir.

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Tugend, Reinheit und Beredsamkeit verfügt. Das alles hatte sie – und auch sonst all das, was man sich an einer Frau nur wünschen kann. Auch darum galt dort ihr Vorlesen viel.

In beiden Fassungen wird die Vorleserin als eine junge Adlige geschildert – Chrétien taxiert ihr Alter auf unter siebzehn Jahre –, die ihre Eltern mit einer Erzählung in französischer Sprache erfreut. Der altfranzösische Begriff romanz lässt prinzipiell im Unklaren, ob es sich bei ihrer Lektüre um ein romanartiges Erzählwerk oder lediglich um einen wie auch immer gearteten Text in der Volkssprache handelt. Im Hinblick auf Chrétien, dessen Artusdichtung für die engen literarischen Zirkel nordfranzösischer Fürstenhöfe geschrieben wurde, könnte bereits die Bedeutung ›Romanwerk‹ plausibel gemacht werden. Passend hierzu folgt bei Chrétien unmittelbar auf die Schilderung der Lektüre-Szene ein kleiner Exkurs über Amor. Die darin enthaltene Klage über den Verfall der Liebe in der Gegenwart ruft einen ähnlichen Passus in der Beschreibung des arthurischen Hoffests im Eingangsteil seines Romans in Erinnerung. Schon dort findet sich eine laudatio temporis acti, die das neue höfische Liebesmodell in die kulturelle Vorzeit verschiebt und zugleich lamentiert, dass der Orden der Liebe, der am Hofe des Königs Artus in höchstem Ansehen gestanden habe, heute nur noch wenige Jünger finde.16 Aus dieser motivischen Engführung resultieren textimmanente Kontiguitäten, die vermuten lassen, dass Chrétien seine Erzählung vom Löwenritter Yvain nicht nur in erster Linie als Liebesroman verstanden haben will, sondern dass er auch im Kontext der vorliegenden Szene konkret Liebesliteratur im Sinne hat; mit einem Augenzwinkern wird er dabei wohl – die stark antikisierenden Anspielungen legen das nahe – an seine eigenen Ovidiana gedacht haben, die er, sofern wir den Aussagen aus dem Prolog seines zweiten Romans Glauben schenken dürfen, aus dem Lateinischen übersetzt hat.17 Eine selbstreferentielle Potenzierung dieser

|| 16 »Mes ore i a mout po de suens; / que a bien pres l’ont tuit leissiee, / s’an est amors mout abeissiee; / car cil, qui soloient amer, / se feisoient cortois clamer / et preu et large et enorable« (V. 18–23: »Heute aber gibt es nur noch wenige von ihnen, denn fast alle haben sie verlassen, so dass die Liebe nun ganz und gar herabgesunken ist; die aber, die früher zu lieben verstanden, die durften sich höfisch, edel, freigiebig und ehrenhaft nennen«). 17 »Cil qui fist d’Erec et d’Enide / et les Comandemanz d’Ovide / et l’art d’Amors en romanz mist / et le Mors de l’Espaule fist, / del roi Marc et d’Iseut la Blonde« (V. 1–5: »Der, der die Erzählung von Erec und Enite gefertigt und der die Gebote des Ovid und die Kunst der Liebe ins Französische gesetzt hat, und der den Schulterbiss gemacht hat und die Geschichte von König Marke und der blonden Isolde«). Benutzte Ausgabe: Chrétien de Troyes, Cligès. Text und Übers., auf der Grundlage des Textes von Wendelin Foerster übers. und komm. von Ingrid Kasten, Berlin, New York 2006, V. 1–5. Die Übersetzung stammt von mir.

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Art, bei der Analogien zwischen dem Haupttext und internen Lektüreszenen hergestellt werden, wäre in der Literatur um 1200 jedenfalls keine Seltenheit.18 Im altfranzösischen Text verbleibt die mediale Spiegelung allerdings insofern an der Oberfläche, als Chrétien dem Inhalt der Lektüre sehr viel weniger Bedeutung beizumessen scheint als der selbstbezüglichen Frage, wer den Roman verfasst haben könnte. Als Übersetzer der altfranzösischen Vorlage vermag Hartmann das mutmaßlich an Chrétiens primäre Rezipienten adressierte Spiel um die Verfasserfrage wiederum kaum aufzugreifen. Chrétiens Rätselworte verlagert er vom literarischen Gegenstand auf die Ehefrau des Burgherrn (V. 6450f.: »und wæne wol, si was sîn wîp / ein frouwe diu dâ bî im saz«). Da es Hartmann im Fortgang der Episode zunächst einmal darum geht, Iweins Widerstandsfähigkeit gegenüber sexuellen Verlockungen zu illustrieren, wird der Liebesexkurs hier nun auch der persönlichen Begrüßung des Helden durch das anmutige Mädchen nachgeschaltet, während Chrétiens antikisierende Anspielungen auf Amor dem christlichen Engelsbild weichen, nur um letztendlich im Verweis auf das Bett der Juno wieder aufzuscheinen. Im Rahmen der untersuchten Textstelle sorgt der mittelhochdeutsche Bearbeiter somit für eine Trennung von Liebesreflexion und literarischer Reflexivität, deren Signifikanz erst im unmittelbaren Textvergleich deutlich wird. Schlechterdings ungewiss muss bleiben, ob Hartmann von Aue bereits beide semantischen Aspekte des Begriffs romanz gekannt hat. Seine weitausgreifende Periphrase des Wortes als ein zum Vorlesen gedachtes französisches Buch scheinen jedenfalls von der Not des Übersetzens zu künden, das mediale Konzept der Vorlage für ein literarisch noch recht unbedarftes Publikum zu adaptieren, das wir mit einiger Sicherheit an den Fürstenhöfen des oberdeutschen Sprachraums lokalisieren können.19 Seine Imagination des Literaturerlebnisses betont aber, wie schon der Prätext, das große Vergnügen, das den beiden exklusiven Zuhörern durch das Vorgelesene bereitet wurde.20 Beiden Entwürfen ist außerdem ge-

|| 18 In ähnlicher Form findet sich dieses Verfahren etwa in den Floris- und Tristan-Romanen und nicht zuletzt auch an vielen Stellen im Werk Chrétiens. Vgl. Christian Buhr, Zweifel an der Liebe. Zu Form und Funktion selbstreferentiellen Erzählens im höfischen Roman, Heidelberg 2018 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 57). 19 Vgl. René Pérennec, ›Adaptation et société. L’adaptation par Hartmann d’Aue du Roman de Chrétien de Troyes Erec et Enide‹, Études Germaniques 28 (1973), 289–303, und Ricarda Bauschke, ›adaptation courtoise als ›Schreibweise‹. Rekonstruktion einer Bearbeitungstechnik am Beispiel von Hartmanns Iwein‹, in: Elizabeth Andersen u. a. (Hrsg.), Texttyp und Textproduktion in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin, New York 2005 (TMP 7), 65–84, hier: 71. 20 Die Hervorhebung der Kurzweil, die mit dem Hören literarischer Texte verbunden ist, erinnert an Hartmanns Selbstdarstellung im Prolog des Iwein, wonach er seinen Fleiß auf dasjenige

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meinsam, dass sie die Lektüresituation mit dem lieblichen Baumgarten exakt in jenem höfischen Sonderbereich lokalisieren, der auch in anderen zeitgenössischen Erzählungen als bevorzugter Ort literarischer Unterhaltung präsentiert wird.21 Auch die textimmanente Inszenierung des Vorlesens aus volkssprachigen Handschriften und die den primären Adressaten unterlegten Rezeptionsmuster, die auf eine Vertrautheit mit Texten in französischer Sprache schließen lassen, können mithin als indirekte Indizien für einen Text mit eher weltlichem Inhalt gewertet werden. Natürlich geht auch Hartmanns Erzählung nicht einfach kommentarlos über die Lektüreszene hinweg. Vielmehr ist zu beobachten, dass der mittelhochdeutsche Text den Fokus vom konkreten literarischen Gegenstand und seinem Urheber gezielt auf die hohe Wertschätzung richtet, die dem Vorgelesenen ebenso wie der jungen Vorleserin entgegengebracht wird. In beiden Bearbeitungen ist diese hohe Wertschätzung auf der Ebene des Familienidylls vorwiegend affektiv besetzt – ein Ehepaar in fortgeschrittenem Alter erfreut sich an der Belesenheit und der Klugheit der Tochter, auf der alle Hoffnungen ruhen, da sie das einzige Kind ihrer Eltern ist. Mit dem Eintritt des Helden in den Baumgarten, dessen Blick beide Erzähler folgen, kommt es zu einer Neubewertung der Szene. Im altfranzösischen Text scheint Yvain primär von den erotischen Reizen des Mädchens affiziert zu werden. Hartmann ergänzt jedoch die optischen Vorzüge der Vorleserin rasch um weitere Aspekte wie Adel, Jugendlichkeit, Anstand oder Gelehrsamkeit und entwirft so beiläufig ein höfisches Idealbild von Weiblichkeit, das mit dem Inhalt der Lektüre ebenso zu korrelieren scheint wie mit dem höfischen Ambiente des lieblichen Baumgartens. Wird also bei Chrétien die Lektüre des geschriebenen Texts in gewisser Hinsicht erotisiert, so geht bei Hartmann der verführerische Reiz vom Gesamteindruck höfischer Idealität aus, den der Anblick des Mädchens und die von ihr gesprochenen Worte ebenso wie das satte Gras und

|| gerichtet habe, »daz man gerne hœren mac« (V. 26). Vgl. Manfred Kern, ›Iwein liest ›Laudine‹. Literaturerlebnisse und die ›Schule der Rezeption‹ im höfischen Roman‹, in: Matthias Meyer und Hans-Jochen Schiewer (Hrsg.), Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hochund Spätmittelalters. FS Volker Mertens, Tübingen 2002, 385–414, hier: 395. 21 Die wohl prägnanteste Imagination des Baumgartens als höfisch-literarischer Sonderzone bieten die mittelalterlichen Flore-Romane, die eine kunstinteressierte Hofgesellschaft im Umfeld einer Königstochter aus Karthago nutzen, um innerhalb der Rahmenerzählung einen Raum zu evozieren, aus dem die Geschichte von den beiden Kindern, die sich seit dem Tag ihrer Geburt lieben, emergiert. Anders als in den Entwürfen Hartmanns und Chrétiens ist der Baumgarten allerdings zunächst eine Sphäre der Oralität, während schon die Liebenden der Haupterzählung dieselbe Szenerie nutzen werden, um schriftlich überlieferte Textzeugnisse zu rezipieren und ihrerseits – mit goldenen Schreibgriffeln – Liebesdichtung zu produzieren.

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der Duft der Blumen vermitteln. Höfische Liebe und die Liebe zum Höfischen erscheinen hier somit einmal mehr als zwei Seiten einer auf Exklusivität und Distinktion bedachten Adelskultur.22 Im Zentrum dieser Evokation höfischer Idealität steht fraglos die Dichtung, die sich hier textimmanent bereits im handschriftlichen Codex spiegelt, noch ehe mit dem Wigalois Wirnts von Grafenberg der erste Roman in deutscher Sprache seine Beschaffenheit als buoch explizit artikulieren wird. Stärker als Chrétien inszeniert und begründet Hartmanns Bearbeitung höfische Dichtung als eine kulturelle Errungenschaft von hohem sozialem Prestige. Die Geltung der Literatur scheint für ihn indessen in wechselseitiger Abhängigkeit zum höfischen Wesen der Vorleserin einerseits und zur schriftmedialen Gebundenheit des Vorgelesenen andererseits zu stehen. Die sakrale Weihe des Buchs geht in diesem Arrangement – vermittelt über den höfischen Körper des Mädchens – auf den weltlichen Codex über und auratisiert auf diese Weise das ehemals profane Erzählen von Liebe und Ritterschaft.

2.2 Das Arbeitshaus Das exakte Gegenbild zu der vom Baumgarten und seinem Inventar repräsentierten höfischen Idealwelt stellt das Arbeitshaus jener 300 Frauen dar, die auf dem Chastel de Pesme Avanture gefangen sind. Beide Sphären sind sowohl über ihre topographische Nachbarschaft als auch durch eine programmatische Inversion der Motive miteinander verbunden. Der Schönheit, der Pracht und der Verführungskraft des locus amoenus stehen der Schmerz, der Schrecken und die Gewalt des werchgadem gegenüber, dem höfischen Zeitvertreib, der Muße und dem verschwenderischen Reichtum des Burgherrn die Kulturferne, die Ruhelosigkeit und die Armut der Insassinnen. Während die einen auf Seidentüchern lagernd dem Fluss des literarischen Texts folgen, sind die anderen die ausgebeuteten Produzentinnen luxuriöser Textilien aus Gold und Seide. Die kontrastive Darstellung beider Sphären gibt uns einen (gewiss poetisch überformten) Einblick in den Alltag jener, welche die Last des feudalen Gesellschaftsmodells tragen, und sie führt uns auf die Fährte der transkontinentalen Handelsnetzwerke des Mittelalters, die Textilproduktion und Menschenhandel aufs Engste miteinander verknüpfen.23 || 22 Vgl. James A. Schultz, Courtly Love, the Love of Courtliness, and the History of Sexuality, Chicago 2006, 79–98, und Evelyn Birge Vitz, ›Erotic reading in the Middle Ages. Performance and re-performance of romance‹, in: Birge Vitz u. a. (wie Anm. 12), 73–88, hier: 83f. 23 Vgl. E. Jane Burns, Sea of Silk. A Textile Geography of Women’s Work in Medieval French Literature, Philadelphia 2009, 37–69, und Peter Frankopan, The Silk Roads. A New History of

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Doch einen Sonderstatus hat die Pesme Avanture nicht allein durch den verblüffenden Detailrealismus der beschriebenen Szenerie. Auffällig ist auch, dass die höfische Sphäre – im Gegensatz zur Joie de la Curt des Erec oder zur Brunnenaventüre des Iwein – kein Wissen über die Lebensumstände der Frauen zu besitzen scheint. Selbst die Bewohner des nahegelegenen Marktfleckens kennen zwar die Gefahren um die beiden Wächtergestalten, wissen von einem Arbeitshaus aber nichts zu berichten, wenngleich sie zumindest bei Hartmann eine allgemeine Sorge um das Schicksal der Begleiterin des Helden artikulieren (V. 6034f.: »si riuwet iuwer êre / und daz rîterlîche wîp«). Den Arbeiterinnen selbst scheint indessen kein Mittel gegeben, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Weder steht eine Botin zur Verfügung, die, wie Kundrie in Wolframs Gralsroman, den Gefangenen bei der Vermittlung einer Nachricht dienlich sein könnte, noch wird von der Option Gebrauch gemacht, das textile Material – bei Chrétien handelt es sich u. a. um das häufig mit Schriftelementen verzierte ›Aurifrisium‹ (V. 5223: »orfrois«) – zum Träger einer Bildbotschaft zu machen, die das Leid der Frauen über die Mauern der Burg dringen lassen könnte.24 In den Iwein-Romanen werden an dieser Stelle also zwei alternative intermediale Konfigurationen zurückgewiesen, deren narrative Grundlagen im motivischen Vorrat höfischer Epik grundsätzlich vorhanden gewesen wären. Woran liegt das? Einerseits scheint die Sprachlosigkeit die stark eingeschränkte Handlungsmacht der Insassinnen, die auch innerhalb der höfischen Sphäre ein gleichsam insulares Dasein fristen, zu illustrieren. Andererseits deutet sich an, dass womöglich gar kein Adressat vorhanden wäre, der sich für die Not der dreihundert Frauen interessierte, die von beiden Erzählern ja nicht nur als arbeitende Frauen ausgewiesen werden, sondern zugleich als fremd und verarmt gelten und so auf mehrfache Weise stigmatisiert sind. Zu bedenken wäre auch, dass es im

|| the World, London, New York 2015, 117–35 (Kap. 7: ›The Slave Road‹). Einen Versuch, die 300 Frauen der Isle as Puceles mit den unter Roger II. nach Sizilien verschleppten griechischen Seidenweberinnen zu identifizieren, unternimmt Krijnie Ciggaar, ›Chrétien de Troyes et la matière byzantine. Les demoiselles du Château de Pesme Aventure‹, Cahiers de Civilisation Médiévale 32 (1989), 325–31. 24 Vgl. Burns (wie Anm. 23), 51. Zumindest im Romanwerk Chrétiens ist diese Option durch die aus Ovids Metamorphosen bekannte Sage um Philomela präsent, die durch ihren Schwager Tereus zuerst sexueller Gewalt ausgesetzt und ihrer Stimme beraubt wird, dann aber Rettung findet, indem sie Bilder ihrer eigenen Lebensgeschichte in einen kostbaren Mantel einwebt. Chrétien selbst verwendet textile Zeichen dieser Art in seinem Cligès. Hier ist es die Gaweinschwester Soredamurs, die als Zeichen ihrer Liebe zu dem jungen Helden Alexander eines ihrer goldblonden Haare in ein Seidenhemd einwebt. Vgl. dazu auch Matilda Tomaryn Bruckner, ›Of Cligés and cannibalism‹, Arthuriana 18 (2008), 19–32.

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vorliegenden Arrangement eines mitleidsvollen Helden bedarf, den der Anblick der Frauen erbarmt, ehe die Elenden eine Stimme erhalten. Kommt hier also primär erzählende Figurenrede zum Einsatz, so ist das ganz auf die Wahrnehmung des gesprochenen Wortes durch den Protagonisten zugeschnitten. Der medialen Beschränkung auf die Oralität käme dann in besonderer Weise die Funktion zu, den vormaligen Abenteuerritter mithilfe hagiographischer Darstellungsmittel als Erlöserfigur zu überzeichnen. Der mündliche Bericht, den eine der Damen nun bietet, ist mit jeweils ca. 85 Versen in beiden Fassungen zu lang, als dass es sinnvoll wäre, ihn am Stück wiederzugeben. Ich werde mich daher zunächst auf den Anfang der Textstelle konzentrieren und beginne wie zuvor mit Chrétiens Entwurf: L’une respont: ›Des vos an oie, que vos an avez apelé! il ne vos iert celé, que nos somes e de quel terre. espoir ce volez vos anquerre.‹ ›por el‹, fet il, ›ne ving je ça.‹ ›sire! il avint mout grant pieç’a, que li rois de l’Isle as Puceles aloit por aprandre noveles par les corz et par les païs, s’ala tant come fos naïs, qu’il s’anbati an cest peril. an mal eur i venist il! que nos cheitives, que ci somes, la honteet le mal an avomes, qui onques ne le desservimes. et sachiez bien, que vos meïmes i poez mout grant honte atandre se reançon n’an viaut an prandre! mes tote voie einsi avint, que mes sire an cest chastel vint, ou il a deuz fiz de deable, si nel tenez vos mie a fable!‹ (V. 5250–72) Die eine von ihnen antwortet: ›Gott, den Ihr angerufen habt, möge Euch erhören. Euch soll nicht vorenthalten werden, wer wir sind und woher wir kommen, wenn Ihr das zu erfahren wünscht.‹ ›Nichts anderes‹, sagt er, ›ließ mich hierher kommen.‹ ›Es ist ein gutes Stück her, dass der König der Insel der Jungfrauen von Hof zu Hof und von Land zu Land zog, um Neuigkeiten zu erfahren. Immer weiter zog er, wie ein Tor, bis er diesen gefährlichen Ort erreichte. Zu unserem Unheil ist er hier hergekommen. Denn wir Unglückseligen, die wir uns hier befinden, wir haben davon die Schmach und das Elend, ohne dass wir es verdient hätten. Und seid Euch gewiss, dass Ihr selbst großer Schmach entgegensehen werdet, wenn sie Euch nicht durch ein Lösegeld erlassen wird! Gleichwie, es ist doch so gekommen, dass

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mein Herr an diese Burg geriet, wo es zwei Teufelssöhne gibt, wenn Ihr das nicht für ein bloßes Märchen halten wollt.‹

Hartmann hat die Dialogführung gegenüber Chrétien etwas verschlankt. Einer längeren Frage des Ritters folgt ohne vorherige Wechselrede der ausführliche Bericht der Dame: Diz was der einer antwuort: ›unser leben und unser gebuort suln wir iu vil gerne sagen, got und guoten liuten clagen wie uns grôz êre ist benomen und sîn in diesen kuomber chomen. herre, ez ist unser lant der iunchfrouwen wert genant und lît dem mer unverre. des selben landes herre gewan den muot daz er reit niuwan von sîner kintheit suochen âventiure, und von des weges stiure leider uns sô chom er rehte alsam ouch ir dâ her, und geschach im als ouch iu geschiht. wan dâ ne ist wider rede niht irn müezzet morgen vehten mit zwein des tiuvels knehten.‹ (V. 6319–38) Dies antwortete eine von ihnen: ›Unsere Lebensweise und unsere Abkunft teilen wir Euch sehr gerne mit. Gott und edelmütigen Menschen wollen wir klagen, wie wir unseres hohen Ansehens beraubt wurden und wie wir in diese Not geraten sind. Herr, unser Land heißt Jungfraueninsel und liegt dem Meer nicht fern. Dem Herrn dieses Landes kam in den Sinn, aus jugendlichem Übermut heraus auszureiten, um Aventüre zu suchen. Und zu unserem Leidwesen führten ihn die Wege genauso wie Euch hierher, und es erging ihm so, wie es auch Euch ergehen wird. Denn morgen müsst Ihr – da wird es keine Widerworte geben – gegen zwei Teufelsdiener kämpfen.‹

Sowohl bei Hartmann als auch bei Chrétien werden die Geschehnisse, welche die 300 Frauen auf die ›Burg zum Schlimmen Abenteuer‹ brachten, nur grob konturiert. Klar scheint, dass die Frauen als Tributleistung eines namentlich nicht genannten Königs zu betrachten sind, der bereits in jungen Jahren ausgezogen war, um seinen Durst nach ritterlichen Taten zu stillen. Seine törichte (Chrétien) bzw. leichtsinnige Abenteuerfahrt (Hartmann) führt ihn schließlich auf die von den beiden Riesen bewachte Burg, wo er im Kampf unterliegt und seinen Kopf rettet, indem er die jährliche Lieferung jener 30 Frauen garantiert, die nun für einen

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Hungerlohn Seide und – allerdings nur bei Hartmann – auch Flachs verarbeiten müssen. Als Herkunftsort der Frauen wird ein von Wasser umgebenes Jungfrauenreich genannt; wahrscheinlich eine Analogie zum Feenreich Avalon, die es den Erzählern erlaubt, die Spuren des Transfers menschlicher Arbeitskräfte im Hochmittelalter in den Nebel keltischer Anderwelten zu hüllen.25 Die wenigen inhaltlichen Details dieser Geschichte werden in beiden Entwürfen nahezu identisch präsentiert. Chrétien zeigt sich in der Darstellung ›frühkapitalistischer‹ Ausbeutungsverhältnisse um größere Exaktheit bemüht. Demgegenüber sieht sich der mittelhochdeutsche Erzähler aufgefordert, die mythische Isle as Puceles etwas profaner als eine Art Flussinsel in Meeresnähe zu bestimmen. Ein gravierenderer Unterschied betrifft allerdings die Motivierung jener ritterlichen Fahrt, welche die 300 Frauen überhaupt erst in ihre missliche Lage gebracht hatte. Beide Erzähler zeichnen den König als einen verantwortungslosen Jungspund, dessen Handeln die gesellschaftliche Funktion des Rittertums pervertiert. Macht sich der junge Mann in der altfranzösischen Fassung wie Alexander der Große in den zeitgenössischen Antikenromanen v. a. der curiositas schuldig (V. 5258: »por aprandre noveles«), so durchstreift er bei Hartmann – wie auch in der mittelenglischen und in der schwedischen Iwein-Bearbeitung – die Lande betontermaßen auf Abenteuersuche (V. 6331: »suochen aventiure«). Durch diese Konkretisierung erscheint der Protagonist dieser Binnenerzählung wie ein Doppelgänger jener Artusritter vom Schlage Iweins und Kalogrenants, deren defizientes Verständnis von Ritterschaft der zentrale Gegenstand des ersten Romanteils gewesen ist. Doch wie ist nun der mediale Status der zitierten Äußerungen zu beurteilen? Was könnte die Dame zur intradiegetischen Erzählerin qualifizieren und was verliehe ihren Worten einen Stellenwert, der über den pragmatischen Redezusammenhang hinauswiese? Neben der Länge der Äußerungen und deren syntagmatischer Verknüpfung zu einem Narrativ sind in diesem Kontext v. a. bei Chrétien einige charakteristische Sprachmuster zu erkennen, die allgemein eher in den Bereich mündlichen Erzählens gehören. Dazu zählen besonders direkte Anreden des Adressaten (»sire«) und Imperative (»sachiez«). Hinzu treten eine Wahrheitsbeteuerung (»si nel tenez vos mie a fable«) und eine märchenhafte ›es-war-einmal‹-Formel (»il avint mout grant pieç’a«), die beide in bemerkenswerter Weise daran erinnern, wie Calogrenant seine Erzählung begonnen hatte.26

|| 25 Vgl. Burns (wie Anm. 23), 38. 26 »Car ne vuel pas parler de songe, / ne de fable ne de mançonge / don maint autre vos ont servi, / ainz vos dirai ce, que je vi. / Il avint, pres a de set anz, que [...]« (V. 171–75: »Denn ich werde nicht von Träumereien reden, nicht von Märchen und von Lügen, wie sie Euch andere

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Auch bei Hartmann entheben Länge, Stil und Wahrheitsbeteuerungen den mündlichen Bericht der weiblichen Sprecherin einer ›konventionellen‹ Figurenrede. Dass es sich um einen narrativen Sprechakt handelt, wird in seiner Fassung außerdem dadurch unterstrichen, dass Iwein die Äußerungen seiner Gesprächspartnerin später als »mære« (V. 6564) bezeichnet. Bemerkenswert ist ferner, dass er aus dem Dialog zwischen Iwein und der Dame eine kurze Vorrede geformt hat, die den Inhalt der nachfolgenden Erzählung ankündigt. Darin hebt die Rednerin hervor, dass es allein Iweins edler Charakter sei, der ihn neben Gott zum geeigneten Zuhörer mache. Vielleicht sollten wir das als eine religiös gefärbte Variante der Vorstellung von den edelen herzen verstehen, die Gottfried von Straßburg in seinem Tristan-Roman evozieren wird. Dann folgt auch hier die direkte Anrede des Adressaten. Ansonsten unterlässt es Hartmann jedoch allgemein, den Bericht der Dame auszuschmücken oder zu erweitern. So bleibt dem Betrachter auch im mittelhochdeutschen Text kaum mehr als der nackte Erzählkern. Das Fenster, das den Blick auf die geheimnisvolle Jungfraueninsel freigeben könnte, wird nur einen Spalt weit geöffnet.27

2.3 Intermediale Reflexionsräume In der untersuchten Textstelle stehen sich die beiden medialen Konfigurationen ›Arbeitshaus‹ und ›Baumgarten‹ trotz einer gewissen motivischen und räumlichen Nähe letztlich unverbunden gegenüber. Innerhalb der ›Burg zum Schlimmen Abenteuer‹ bilden sie zwei insulare Sphären, die einzig durch den Protagonisten (und seine Begleiter) durchschritten werden. So bedarf die Dynamisierung der starren Szenenbilder des Ritters Yvain/Iwein. Erst durch seine Bewegung von einem Raum zum nächsten, die wir als Betrachter des Romans verfolgen, wird die Pesme Avanture als konzeptionelles Ganzes erkennbar. Auf der Ebene der Raumsemantik entspricht dem Wechsel von Arbeitshaus und Garten, von Innen und Außen ein Gegensatz von Arbeit und Muße sowie von Armut und Reichtum; einem Leben in Schande, Leid und Erniedrigung steht ein Leben in höfischer Freude, Muße und Pracht gegenüber. Bezieht man ferner die

|| auftischen mögen, sondern ich werde Euch sagen, was ich gesehen habe. Es geschah vor etwa sieben Jahren, dass …«). 27 Zur ›Fenstertechnik‹ der Iwein-Erzähler vgl. Hartmut Kugler, ›Fenster zum Hof. Die Binnenerzählungen von der Entführung der Königin in Hartmanns Iwein‹, in: Harald Haferland und Michael Mecklenburg (Hrsg.), Erzählungen in Erzählungen. Phänomene der Narration in Mittelalter und Früher Neuzeit, München 1996 (Forschungen zur Geschichte der Älteren deutschen Literatur 19), 115–24.

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mediale Verfasstheit der Szenen mit ein, dann korreliert Iweins Bewegung durch die erzählten Räume zugleich mit dem medialen Umbruch von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit und von der illiteraten Feudalkultur zum neuen höfischen Bildungsideal. Kurzum: Auf der ›Burg zum Schlimmen Abenteuer‹ werden wir – ähnlich wie in den höfischen Versionen des Tristan-Romans – zu Zeugen jenes epochalen Umbruchs, der die Krieger- und Herrscherkaste des hohen Mittelalters in schneller Generationenfolge von schriftunkundigen und unkultivierten Laien in höfische Ritter und Damen transformiert, von denen neben Jagd- und Waffenkunst, neben Tanz und Spiel eben auch Wortgewandtheit und literarische Kompetenz erwartet wird – Fähigkeiten also, wie sie Hartmann von Aue sehr viel stärker als sein altfranzösischer Vorgänger sowohl im Rahmen des arthurischen Hoffests als auch am Beispiel der jungen Vorleserin exponiert, der – im offenkundigen Gegensatz zu ihren Eltern – das ›moderne‹ Schriftmedium dank neuer Formen laikaler Gelehrsamkeit in vollem Umfang zugänglich ist.28 Vor diesem Hintergrund stellt sich Iwein als höfischem Ritter und potenziellem Frauenretter eine durchaus komplexe Aufgabe. Er muss nicht nur Empathie beweisen und den Frauen jene mitleidsvolle Frage stellen, an der die zweite große Erlöserfigur der Artuswelt zunächst scheitern wird.29 Er muss auch die höfische Freude des Baumgartens, die vergnügliche Lektüre sowie die herrliche Pracht des anschließenden Gastmahls auf sich wirken lassen und schließlich die verschiedenen Eindrücke in der richtigen Weise einzuordnen versuchen. Er muss, um im Bild zu bleiben, erkennen, dass die von der schönen Tochter des Burgherrn vollführte Einkleidung in einen kostbaren Seidenmantel das textile Symbol einer drohenden Korrumpierung darstellt. Iweins Aufgabe ist also eine gleichsam hermeneutische. Dieses Rätsel manifestiert sich in den vielen suchenden und tastenden Bewegungen, die sowohl Hartmann als auch Chrétien beschreiben: im Blick durch das Fenster (V. 6190), im Erbitten von Auskunft (V. 6236: »frâgen mære«), im suchenden Umherlaufen (V. 6425: »suochende gân«) und Nachschauen (V. 6427: »gienc er schouwen«) sowie im kritischen Hinterfragen des ihm gebotenen schönen Scheins (V. 6560:

|| 28 Zur Kultivierung des Laienadels im 12. und 13. Jh. vgl. C. Stephen Jaeger, Die Entstehung höfischer Kultur. Vom höfischen Bischof zum höfischen Ritter, aus dem Amerikanischen übers. von Sabine Hellwig-Wagnitz, Berlin 2001 (Philologische Studien und Quellen 167), hier v. a. 284–315. Vgl. auch Kern (wie Anm. 20), 396. 29 Vgl. dazu ausführlich Andreas Kraß, ›Die Mitleidsfähigkeit des Helden. Zum Motiv der compassio im höfischen Roman des 12. Jahrhunderts (Eneit, Erec, Iwein)‹, Wolfram-Studien 16 (2000), 282–304, hier: 298–302.

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»der antfanc ist ze suezze«).30 Hartmann scheint den Charakter dieser Aufgabe indessen deutlicher herausstellen zu wollen als der Verfasser seiner altfranzösischen Vorlage. Nur konsequent erscheint es daher, dass er zu Beginn der gesamten Episode darauf verzichtet, die Pesme Avanture gleich vorneweg mithilfe eines Titels zu markieren. Ihren Charakter zu dechiffrieren, ist im mittelhochdeutschen Roman daher eine Erkenntnisleistung, die der Text von seiner Hauptfigur ebenso verlangt wie von seinen Rezipienten. Zu diesem ›Rätselspiel‹ gehört indessen auch die Wahrnehmung jener narrativen Muster, die auf der ›Burg zum Schlimmen Abenteuer‹ zitiert und collagiert werden. Erinnert die Bedrohung des Ritters durch die beiden Riesen deutlich an den Harpin-Kampf auf der einen und an die Gefangenschaft zwischen den Toren der Burg Laudines auf der andere Seite, so erscheint die Bewirtung Iweins durch die junge Dame wie eine Reminiszenz des Baumgartens aus der Erzählung Kalogrenants.31 Signifikant sind jedoch v. a. die Bezüge zwischen dem Auszug des Königs von der Isle as Puceles und dem Initialabenteuer des Romans. Beide Begebenheiten liegen ungefähr zehn Jahre zurück, sind in erster Linie durch ritterliche Abenteuerlust motiviert und bringen anstelle des erstrebten Ruhms nur Schande und Schmach. Hatte Iwein in Kalogrenant nicht ein Zerrbild höfischer Ritterschaft erkannt, sondern nichts mehr gewünscht, als seine Aventüre zu imitieren, so bietet der distanzierte Bericht über das Schicksal der Arbeiterinnen dem Helden nun die Chance, zu begreifen, dass ihm in der mündlich vermittelten Gestalt des Königs von der Jungfraueninsel so etwas wie sein alter ego entgegentritt – eine frühere Erscheinungsform seiner eigenen ritterlichen Existenz, die ihn dereinst selbst an den Rand des Abgrunds geführt hatte und deren fatale gesellschaftliche Folgekosten ihm nun in aller Deutlichkeit aufgezeigt werden.32 Die anschließende Lektüre-Szene im Baumgarten des Burgherrn steht hierzu nur bedingt in Widerspruch. Auch der Baumgarten spricht sämtliche Sinne an, appelliert an das höfische Empfinden des Ritters und fordert gerade durch den Akt des Lesens dazu auf, die sinnlichen Eindrücke in der richtigen Weise einzuordnen und zu sortieren. Manfred Kern hat erwogen, dass es sich bei dem von der jungen Dame vorgelesenen Text – in Analogie zur Szene am Hofe des Königs der || 30 Den aktiven Suchbewegungen des Ritters entspricht im Chevalier au lion die Aussage des Erzählers, wonach Yvain herausfinden wolle, welche Miene die Leute in der Burg machen werden (V. 5344: »savoir, quel chiere il me feront«). Auch wird der Verdacht, dass die Gastgeber Yvain zu täuschen versuchen könnten (V. 5407: »je ne sai, se il le deçoivent«), bei Chrétien nicht von der Figur, sondern vom Erzähler geäußert. 31 Vgl. Peter Kern, ›Interpretation der Erzählung durch Erzählung. Zur Bedeutung von Wiederholung, Variation und Umkehrung in Hartmanns Iwein‹, ZfdPh 92 (1973), 338–59, hier: 353–55. 32 Vgl. ebd., 354.

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Phaiaken in Homers Odyssee – zumindest im Falle Hartmanns um einen Vortrag aus dem Yvain handeln könne, der exakt in dem Moment hinfällig werde, wenn der Held den Baumgarten betritt.33 Auch wenn sich textseitig keine expliziten Signale finden, die diese Deutung stützen, so korrelierten mit dem Medienwechsel doch nicht nur zwei verschiedene Formen literarischer Selbstreferenz, sondern auch zwei Varianten der Iwein auferlegten Selbsterfahrung. Reproduziert die Pesme Avanture also gleichsam zitathaft das spätestens seit Kalogrenants Bericht im Raum stehende Narrativ vom Scheitern des Abenteuerritters, so ließe sich abschließend beobachten, dass in den Iwein-Romanen Hartmanns und Chrétiens schriftmediale Inszenierungen des gesprochenen Wortes nicht zuletzt genutzt werden, um eine Metaebene zu generieren, die der selbstreferentiellen Betrachtung des Erzählens durch das Erzählen dienlich ist. Aus intermedialer Perspektive entscheidend ist hierbei jedoch, dass die geforderte Denkanstrengung in ein narratives Arrangement eingebettet ist, das nicht aus reinem Erzähltext besteht, sondern das Rede und Erzählung, Wort und Schrift, Bild und Handlung in ein komplexes mediales Miteinander überführt. Erst durch dieses Arrangement wird so etwas wie ein intermedialer Reflexionsraum geschaffen, der die intendierte Erkenntnisleistung überhaupt erst ermöglicht.

3 Mittelenglische und altschwedische Rezeption Bei allen individuellen Unterschieden zwischen den Entwürfen Hartmanns und Chrétiens ist gerade in Bezug auf die intermedialen Konfigurationen der Pesme Avanture eine erstaunliche Stabilität zu erkennen. Mit Blick auf die im Rahmen des vorliegenden Beitrags herausgearbeiteten Implikationen scheint sich diese Stabilität nicht jener Prätexttreue zu verdanken, die man Hartmanns zweitem Artusroman gemeinhin unterstellt, sondern vielmehr der Einsicht in die innere, strukturelle Notwendigkeit der Abfolge von mündlichem Bericht im Arbeitshaus und schriftgebundener Lektüreerfahrung im Baumgarten. Mit Blick auf die übrigen Rezeptionszeugnisse des altfranzösischen Yvain lässt sich dieser Befund erhärten. V. a. die mittelenglische Versbearbeitung Ywain and Gawain (ca. 1325–60) und der schwedische Hærra Ivan (13./14. Jh.) folgen dem vorgegeben Muster nicht nur auf der Ebene der histoire, sondern auch hinsichtlich der intermedialen Anlage. Auch hier finden wir allerdings einige charakteristischer Eingriffe, die der Bearbeitung Hartmanns von Aue nicht unähnlich

|| 33 Vgl. Kern (wie Anm. 20), 396.

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sind. Dass es für Ywain auf dem Castel of þe Hevy Sorow primär um die »Erkenntnis und Anwendung ritterlicher Wertvorstellungen«34 geht, akzentuiert die mittelenglische Bearbeitung. Dazu passt der stärkere Einsatz prologartiger Elemente und erzählerspezifischer Wendungen (V. 3009: »Sir, ye sal understand«).35 In direkter Nähe zum Prätext bleibt die Herkunft der rettungsbedürftigen Frauen allerdings unklar (V. 3010: »we er al of Maydenland«). Die schwedische Bearbeitung weist in der erzählerischen Anlage der Szene wiederum eine größere Treue zu Chrétien auf, tilgt jedoch die mythische Jungfraueninsel nahezu restlos und strafft – wie Hartmann – das dialogische Gefüge. Besonders bedeutsam erscheint mir, dass beide Entwürfe – wie auch der mittelhochdeutsche Text – die Suche des Ritters nach Neuem mithilfe des AventüreBegriffs konkretisieren. Der altschwedische Hærra Ivan benennt neben Turnieren das Finden von Abenteuern als Motivation des jungen Königs (V. 4651: »ævintyr at finne«).36 In Ywain and Gawain heißt es: oure kyng opon his jolite passed thurgh many cuntre aventures to spir and spy forto asay his owen body. (V. 3011–14) Unser König durchritt in seinem Übermut viele Länder auf Abenteuersuche, um seine eigene Kraft auf die Probe zu stellen.

Sollten wir für diese erstaunlich gleichförmigen Transformationen nicht eine verlorene Yvain-Redaktion voraussetzen wollen, in der diese Modifikationen bereits vorgezeichnet sind, so müssen wir wohl von einer gemeinsamen Bearbeitungstendenz ausgehen, die auf die Markierung der Figurenrede als intradiegetischer Narration und auf die Vereindeutigung des Königs als alter ego des Helden zielt. Ähnliches lässt sich auch in der nachfolgenden Lektüre-Szene beobachten. Beide Entwürfe präsentieren den Baumgarten als einen lieblichen Ort, in dem die höfische Pracht des Burgherrn Entfaltung findet. Wie Hartmann von Aue zielen

|| 34 Ulrike Discherl, Ritterliche Ideale in Chrétiens Yvain und im mittelenglischen Ywain and Gawain. Von amour courtois zu trew luf, vom frans chevaliers deboneire zum an of mekyl myght, Frankfurt a. M. u. a. 1991 (Sprache und Literatur 33), 139. Vgl. dazu auch die Magisterarbeit von Birgit Salzmann, Hartmanns Iwein und die mittelenglische Erzählung Ywain and Gawain. Ein Vergleich, Wetzlar 2001 (Schriftenreihe und Materialien der Phantastischen Bibliothek Wetzlar 47), 132f. 35 Benutzte Ausgabe: Ywain and Gawain, hrsg. von Jörg O. Fichte, Stuttgart 2017 (Relectiones 5). Die Übersetzungen stammen im Folgenden von mir. 36 Benutzte Ausgabe: Hærra Ivan, hrsg. von Marianne E. Kalinke, Cambridge 1999 (Norse romance 3).

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die Bearbeitungen in der Beschreibung des lesenden Mädchens nicht nur auf deren erotischen Reiz, sondern ergänzen Attribute wie Klugheit und höfisches Wesen (V. 4780: »baþe høvisk klok«) sowie Güte, Edelmut und Liebreiz (V. 3094: »sho was both gracious, gode and fare«). Während der mittelenglische Text nach dem Eintritt des Helden ohne weitere Umschweife auf das Begrüßungszeremoniell zu sprechen kommt und so v. a. das von Chrétien in dieser Episode angelegte Liebesthema aus dem Roman herausschreibt,37 liefert der Erzähler des Hærra Ivan noch einen längeren Exkurs über Liebe und Schönheit, der Chrétiens antikisierende Impulse aufnimmt und diese mit einem literarisch voraussetzungsreichen und rhetorisch komplexen Ginover-Vergleich verbindet.38 Bemerkenswert ist jedoch v. a., wie die beiden Bearbeitungen mit dem medialen Aspekt der Szene umgehen. Im schwedischen Text ist dezidiert vom Lesen eines Buchs die Rede (V. 4779 »las þe bok«), daneben wird jedoch auch der Begriff romanz aus der Vorlage übernommen – schon in Hartmanns Fassung ein erklärungsbedürftiger Terminus, der hier mit dem explizierenden Zusatz versehen wird, dass man auf solche Weise in französischer Sprache ein Buch zu bezeichnen pflegt (V. 4776: »ena bok man kallar sva a franz«). In dieser Erklärungsnot scheint sich der mittelenglische Bearbeiter nicht zu befinden. Vorlagentreu übernimmt er das Rätselspiel (V. 3090: »but I ne wote, of wham it was«), das allerdings ohne den hintergründigen, wohl primär an Chrétiens literarische Zirkel adressierten Selbstbezug sichtlich an Reiz verliert. Auch in der Benennung folgt der Bearbeiter dem Prätext, da ein zeitgenössisches Gattungswissen in der mittelenglischen Literatur bereits vorausgesetzt werden kann: »þe mayden red, at þai myght here, / a real romance in þat place« (V. 3088f.). Der ohne translatorische Not hinzugefügt Zusatz real wird daher wohl weniger darauf verweisen, dass es sich um einen ›echten‹ Roman gehandelt habe, sondern zielt vermittels der Referenz auf den ›königlichen‹ Inhalt auf die Nobilitierung der Textlesung.39

|| 37 Vgl. Ojars Kratins, A Comparative Study of the Structure and Meaning of Chrétien de Troyes’ Yvain, Hartmann von Aue’s Iwein and the Middle English Ywain and Gawain, Cambridge 1964, 427. 38 »Hvat man sæghir af Genovere / æller af andra frughur flere, / æn þo at þe varo rika, / þe matto þo eigh vara hænna lika; / til tokt ok høviskæ sinnæ / var hon en for andra qvinnæ; / sum sol var hon ivir andra stiærna, / þy þiænte man hænne omata giærna« (V. 4781–88: »Was auch immer von Ginover oder von anderen Damen berichtet wird – und wären sie auch noch so vortrefflich, so wären sie ihr doch nicht vergleichbar. In höfischer Erziehung und in höfischem Wesen stand sie über anderen Frauen, so wie die Sonne die anderen Sterne übertrifft; deswegen war man ihr umso lieber zu Diensten«). 39 Früher als in anderen europäischen Literatursprachen hat sich der Begriff romance im Mittelenglischen als Bezeichnung für eine literarische Quelle oder für eine (meist fiktionale) Erzäh-

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4 Ergebnisse Mit Ausnahme der altnordischen Prosafassung und des Iban aus Ulrich Füetrers Buch der Abenteuer scheinen fast alle auf Chrétiens Yvain basierenden Bearbeitungen die innere Notwendigkeit und die medialen Implikationen der Abfolge von Arbeitshaus und Baumgarten erkannt zu haben. In der Folge erscheint die Pesme Avanture in allen Überlieferungszeugnissen erstaunlich stabil. Wie zu sehen war, sollte dieser Befund jedoch nicht dazu verleiten, den Bearbeitern ein rein reproduktives Verhältnis zur Vorlage zu unterstellen. Vielmehr hat sich gezeigt, dass es den Verfassern des mittelhochdeutschen, des mittelenglischen und des altschwedischen Iwein-Romans nicht allein um die sprachliche und kulturelle Einpassung sowie die rhetorische Ausgestaltung des ihnen vorgegebenen Stoffs geht. Ihren Texten können wir nur gerecht werden, wenn wir sie als eigenständige Aneignungen betrachten, die signifikante semantische Umwertungen vornehmen und sich zugleich sensibel zeigen für die von Chrétien geschaffenen intermedialen Konfigurationen, die sie im Akt der Adaptation durch spezifische erzählerische Eingriffe verändern und so neu zum Erklingen bringen.40 Der vorliegende Befund ließe sich ausweiten auf vergleichbare intermediale Phänomene, die über die Einzeltextanalyse hinaus einer komparatistischen Betrachtung harren. Zu denken wäre dabei an die Erzählung Kalogrenants mit dem audiovisuellen Spektakel des Zauberbrunnens, an die Warnung Gaweins mit ihren zitathaften Anspielungen auf den Erec oder an das narrative Fenster zur Entführung Ginovers, das gerade von Hartmann in so eigentümlicher Weise geöffnet wird, dass die Forschung zuweilen geneigt war, dem mittelhochdeutschen Dichter jede eigenständige poetische Schaffenskraft abzusprechen.41 Für weiterführende komparatistische Vorhaben kann dabei die anhand der vergleichenden Analyse des Chevalier au lion und seiner Bearbeitungen gewonnene Einsicht fruchtbar gemacht werden, dass die historische Praxis des Übersetzens höfischer Romane nach altfranzösischen Vorlagen mit einem textzentrierten

|| lung im Allgemeinen etabliert. Spätestens bei Geoffrey Chaucer lassen sich Belege für den Terminus romance royales bzw. real romance finden, die eindeutig auf Erzählungen zielen, die von Königen handeln. Vgl. Reinald Hoops, Der Begriff romance in der mittelenglischen und frühneuenglischen Literatur, Heidelberg 1929 (Anglistische Forschungen 68), 39f. 40 Vgl. auch Frey (wie Anm. 11), 182–218. 41 So etwa Wendelin Foerster, ›Einleitung‹, in: Christian von Troyes sämtliche Werke, Bd. 2: Der Löwenritter (Yvain) von Christian von Troyes, hrsg. von Wendelin Foerster, Halle 1887, VII– XXXIII, hier: XVII: »Dieses platte Zeug hat Hartmann, der den Lancelot nicht kannte, selbst zusammgestoppelt und man sieht, was er leistet, wenn er auf eigenen Füssen steht.«

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Modell, wie es Franz Josef Worstbrock mit seinem Paradigma des ›Wiedererzählens‹ formuliert hat,42 nicht vollständig erfasst und beschrieben werden kann. Die wissenschaftliche Debatte um die Retextualisierung mittelalterlicher Romane und Erzählungen aus der Zeit um 1200 wäre daher künftig zu ergänzen um ein Konzept der intermedialen Resonanz.

|| 42 Vgl. Franz Josef Worstbrock, ›Wiedererzählen und Übersetzen‹, in: Walter Haug (Hrsg.), Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze, Tübingen 1999 (Fortuna vitrea 16), 128–42.

Danielle Buschinger

Hartmann von Aue als Bearbeiter von Chrétiens de Troyes Yvain Abstract: Adaptation or réécriture is a basic phenomenon of Arthurian literature, as can clearly be seen from the earliest German Arthurian romances, which are adaptations rather than translations from Chrétien. This paper (which understands itself as réécriture of former research) focuses on Hartmann von Aue’s Iwein, an adaptation that profoundly alters the two basic ideas of Chrétien’s Yvain. On the one hand Hartmann changes the protagonist’s fault from a personal failure into a social misdemeanour which results in a total loss of honour; on the other hand he gives Laudine a new role as a queen who combines true reciprocal love with social values, and thus (to a certain degree) can replace Arthur as representative of the gained courtly ideal.

Auf der Grundlage eines Vergleichs der Hartmann’schen Artusromane mit den Werken Chrétiens hat Jean Fourquet die Grundregeln der Adaptation im Bereich der frühen Artusliteratur folgendermaßen formuliert: L’adaptateur, ayant lu et médité un poème déjà existant, se propose de raconter à son public la même histoire, la même jusque dans le détail des comportements et des événements, mais de la raconter à sa façon, et nous donnons ici à façon le sens fort que Chrétien lui donne dans la préface de son Lancelot: une mise en œuvre nouvelle, d’une technique litté1 raire qui rivalise avec celle du prédécesseur.

Im Folgenden möchte ich die façon, nach der Hartmann Chrétiens Romane neu erzählt, am Beispiel des Iwein/Yvain untersuchen.2 Im Iwein besteht für Hartmann nicht mehr – wie noch im Erec – die Notwendigkeit, das einem deutschen Publikum neue Genre des Artusromans einführen, weshalb er hier noch freier eigene Akzente setzen kann.3

|| 1 Jean Fourquet, Wolfram d’Eschenbach et le Conte del Graal. Les divergences de la tradition du Conte del Graal de Chrétien et leur importance pour l’explication du Parzival, Paris 21966 (Publications de la Faculté des Lettres de l’Université de Strasbourg 87), 3. 2 Benutzte Ausgabe: Hartmann d’Aue, Erec. Iwein. Extraits accompagnés des textes correspondants de Chrétien de Troyes avec introduction, notes et glossaires, hrsg. von Jean Fourquet, Paris 1944. Im Folgenden eigene Übersetzung. 3 Zum Vergleich des deutschen Textes mit der französischen Vorlage vgl. Fourquet (wie Anm. 1), 119–226. https://doi.org/10.1515/9783110628104-002

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Moshé Lazar nennt Le Chevalier au Lion »un roman d’Erec à rebours«.4 Derlei Aussagen kennen wir von Chrétien selbst allerdings nicht. Nur Hartmann spielt in seinem Iwein auf den Erec an: Gawein sagt zu Iwein, er solle sich nicht verligen wie Erec, der seine Frau zu sehr geliebt habe (V. 2787–97). Durch diese direkte Anspielung auf seinen ersten Roman – eine Anspielung, die vielleicht durch V. 2563 motiviert wurde, wo Chrétiens Held fürchtet, dass man ihn für einen Feigling hält (»Que l’an ne l’apialt recreant«)5 – macht Hartmann seinen Iwein zum Gegenstück des Erec und expliziert, was bei Chrétien nur implizit angedeutet ist. Vergleicht man Hartmanns Text mit Chrétiens Chevalier au lion genauer, so stellt man fest, dass Hartmann den französischen Text an vielen Stellen ganz einfach übersetzt. Manchmal allerdings erweitert Hartmann seine Vorlage beträchtlich (z. B.: Chrétien, V. 2486–540 / Hartmann, V. 2770–912). Öfters gestaltet er den Text auch völlig neu, übergeht ganze Passagen (etwa die Probleme der Liebe und der persönlichen Beziehungen zwischen dem Helden und Laudine) und unterstreicht das, was er wohl als den tieferen Sinn des Werkes betrachtete: dass man über die Liebe nicht vergessen darf, seinen Rang in der Gesellschaft unbedingt zu wahren. Wer wie Erec das Rittertum für die Liebe aufopfert, verliert sîn êre, d. h. jedes Ansehen bei seinen Mitmenschen, jede soziale Achtung, sogar seinen Rang in der Gesellschaft. Um dieser Gefahr zu entgehen, muss Iwein wie in der Vergangenheit, vor seiner Hochzeit mit Laudine, Ruhmestaten vollbringen und ein höheres Ansehen anstreben (V. 2899–904): Dies ist die Pflicht eines »guot[en] kneht[es]« (V. 2901). Hartmann legt also den Schwerpunkt auf die soziale Position des Helden. Um seinem Rat mehr Nachdruck zu verleihen und Iwein nachgerade zu erschrecken, entwirft Gawein, dem Hartmann in der Folge die Mitschuld am Vergehen Iweins gibt (V. 3028f. und 3052–58), mitten in seiner Rede (V. 2807–58) das Porträt eines Landjunkers, eines ›Krautjunkers‹, der nach seiner Hochzeit auf jedes soziale Leben verzichtet, sich auf sein Landgut zurückzieht, sich nicht mehr pflegt und sich von den materiellen Sorgen ersticken lässt, über den Hagel, der seine Ernte zerstört, und über seine Armut stöhnend. Dieses Exempel Gaweins, das wahrscheinlich eine persönliche zeitgenössische Anspielung seitens Hartmanns enthält, die wir nicht mehr entziffern können,6 betont ebenfalls den sozia-

|| 4 Moshé Lazar, Amour courtois et ›Fin’Amors‹ dans la littérature du XIIe siècle, Paris 1964 (Bibliothèque française et romane. Série C, 8), 244. 5 Benutzte Ausgabe: Chrétien de Troyes, Œuvres complètes, hrsg. von Daniel Poirion, Paris 1994 (Bibliothèque de la Pléiade 84). 6 Vgl. Volker Mertens, Laudine. Soziale Problematik im Iwein Hartmanns von Aue, Berlin 1978 (Beihefte zur ZfdPh 3), 37f.

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len Aspekt ritterlichen Verhaltens: Der Landjunker soll sich zwar auf seinem Landgut aufhalten und sich um seine Geschäfte kümmern (V. 2851–53), aber er darf deshalb nicht darauf verzichten, das Leben eines Ritters zu führen (V. 2856– 58); er muss beweisen, dass er noch Ritter genannt werden darf (V. 2855: »ob er noch rîters muot habe«). Man hat den Eindruck, Hartmann wollte den Stand der Ritter und ihre Lebensweise verteidigen und das Problem erweitern, indem er die epikureische Seite Gaweins beseitigte und den sozialen Aspekt der Sache betonte. Hartmann unterstreicht das soziale Motiv auch in der Szene, in der Lunete, Laudines Botin (bei Chrétien ist es eine anonyme Botin), zum Artushof kommt, um Iwein zu verurteilen. Chrétien betont Laudines Schmerzen, da sie vergeblich auf Yvain gewartet hat, sowie das Motiv des Herzensdiebes (V. 2727–63). Außerdem begnügt sich Laudine im französischen Roman damit, Yvain mitzuteilen, er dürfe nie wieder zu ihr kommen und er solle den Ring zurückgeben (V. 2769–75); sie schilt den Helden einen Lügner und einen Betrüger (V. 2721f. und 2726). Hartmann, der die beiden ersten Punkte, das heißt den persönlichen Aspekt des Problems, weglässt, aber sowohl die vorgebrachten Anklagen (V. 3118: »verrâtære«; V. 3183: »triuwelôse[r] man«; V. 3195: »ungetriuwe[] hant«) als auch das Verbot, zu Laudine zurückzukommen (V. 3190f.), und den Befehl, den Ring zurückzugeben (V. 3193), beibehält, fügt eine bedeutungsvolle Anklage hinzu, die eine immense Tragweite besitzt und wohl ihren Ausgangspunkt in der Vorlage hat: Das Stichwort lautet »desleal« (V. 2722). Indem Iwein sein Versprechen nicht einhält, vor Jahresende zurückzukehren,7 hat er einen schweren Fehler begangen, den er übrigens völlig einsieht (V. 3222f.): Er hat sich der untriuwe schuldig gemacht und die Verpflichtungen gegenüber seiner Herrin nicht eingehalten, was hier sicher das schlimmste Verbrechen ist, das begangen werden kann. Wer triuwelôs handelt und die triuwe gegenüber seinem Herrn (dabei geht es um die triuwe in der Liebe) verrät, ist nicht mehr würdig, unter Menschen zu bleiben, da er der Gesellschaft nicht mehr nützlich ist, und zwar im ursprünglichen Sinne des Adjektivs vrum (V. 3179f.: »daz nimmer ein wol vrumer man / âne triuwe werden kan«). Infolgedessen ist er nicht mehr würdig, am Hofe zu bleiben. Artus, der der triuwe und der êre einen so großen Wert beimisst, wäre gar von Schande befleckt, wenn er ihn länger unter seinen Rittern duldete (V. 3187–89). Da die Schande eines Individuums die Gemeinschaft trifft, zu der es gehört, muss er aus dieser Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Infolgedessen wird Iwein auf Befehl seiner Herrin nicht nur aus deren Gegenwart verbannt, sondern auch aus der Gesellschaft, und dieser Ausschluss wird durch den Verlust seines Ranges in der Gesellschaft be|| 7 Die Jahresfrist ist vom feudalen Recht reglementiert; vgl. Mertens (wie Anm. 6), 43–46.

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gründet (sîn êre; bei Chrétien hat Yvain sein Glück verloren; V. 2795–97). Es ist bemerkenswert, dass Artus nichts unternimmt, um Iwein zurückzuhalten, sondern dem Befehl Laudines auf der Stelle Folge leistet. Er hat allerdings Mitleid mit dem Helden, der die Flucht ergriffen hat, und lässt ihn suchen, um ihn zu trösten. Die tiefgreifenden Änderungen, die Hartmann an seiner Vorlage vornimmt, verschieben das Problem der Beziehung zwischen Mann und Frau auf die Ebene der Gesellschaft. Der Fehler des Helden wird mit dem sozialen Stand in Beziehung gesetzt, zu dem er gehört und dessen Werte er respektieren soll. Jeder Verstoß gegen das Wertesystem dieses sozialen Standes verursacht Schande, und dies sowohl für das schuldige Individuum als auch für die Feudalgesellschaft, deren Mitglied er ist. Indem er einen Fehler begeht, gefährdet er die soziale Kohäsion der Gesellschaft:8 Die ganze soziale Pyramide gerät ins Wanken. Deshalb muss das Individuum eine Zeit lang aus der Gesellschaft ausgestoßen werden und kann erst dann wieder aufgenommen werden, wenn es bewiesen hat, dass es wieder ein beispielhaftes Mitglied dieser Gesellschaft sein kann. Ein ähnlicher Vorgang begegnet im Erec, wo das Rittertum die Stelle der Liebe einnimmt. Nun findet sich das Motiv des Fehlers eines Individuums, das die ganze Gemeinschaft, zu der der Schuldige gehört, in Mitleidenschaft zieht, häufig in der mittelhochdeutschen höfischen Literatur. Genau wie im Iwein (V. 3187–89) wird im Parzival Artus’ Hof durch den persönlichen Fehler des Helden in Mitleidenschaft gezogen (314, 23–315, 16).9 Auffälligerweise fehlt dieses Motiv jeweils bei Chrétien. Das Motiv begegnet auch in der Crône Heinrichs von dem Türlin. Hier ist das ganze Elend des alten Herrn in seiner Burg auf einen Brudermord zurückzuführen, der in Percevals Sippe begangen worden ist; daz künne al (V. 29503),10 seine ganze Familie, ist dann von Gott verdammt worden. Während bei Chrétien Yvain von selbst die Rittergemeinschaft verlässt (V. 2798) und wahnsinnig wird, weil er sich für sein eigenes Unglück verantwortlich fühlt (V. 2794 und 2797), wird er bei Hartmann im Ende von Laudine verjagt, nachdem er schon vor der Verurteilung die Welt um sich nicht mehr wahrnimmt, als wäre er ein »tôre« (V. 3095). Sein endgültiger Wahnsinn wird verursacht durch den Verlust seiner Ritterehre, seines sozialen Rangs, durch den Umstand, || 8 Vgl. René Pérennec, Recherches sur le roman arthurien en vers en Allemagne aux XIIe et XIIIe siècles, Göppingen 1984 (GAG 393 I/II). 9 Benutzte Ausgabe: Wolfram von Eschenbach, Parzival, nach der Ausgabe Karl Lachmanns revidiert und komm. von Eberhard Nellmann, übertragen von Dieter Kühn, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1994 (Bibliothek des Mittelalters 8/Bibliothek deutscher Klassiker 110). 10 Benutzte Ausgabe: Heinrich von dem Türlin, Diu Crône, kritische mittelhochdeutsche Leseausgabe mit Erläuterungen, hrsg. von Gudrun Felder, Berlin, Boston 2012.

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dass seine triuwe angezweifelt wurde, den Verlust seiner Güter und erst an letzter Stelle den Kummer, den ihm der Verlust seiner Frau bereitet. Auch hier lässt Hartmann die persönliche Seite der Sache außer Acht und unterstreicht den sozialen Aspekt. Da Iwein alles verloren hat, was einen Menschen ausmacht, muss er das Dasein eines Tieres führen, das seine Speisen roh und ohne Pfeffer und Salz isst (V. 3278). Zudem sagt Hartmann, Iwein sehe aus wie ein Mohr (V. 3348f.), das heißt wie ein Heide. Es scheint, als ob er gleichfalls aus der Gesellschaft der Christen ausgeschlossen worden wäre. Jetzt geht es für Iwein darum, alles zurückzuerobern, was er verloren hat, um dadurch wieder ein Mensch zu werden. Es gibt sehr viel mehr Beispiele dafür, dass Hartmann die soziale Thematik im Roman unterstreicht. Eines sei exemplarisch genannt: In der Episode des Schlimmen Abenteuers tilgt Hartmann das Motiv der tollen Kühnheit Iweins (V. 5176f.: »Mes mes fos cuers leanz me tire: / Si ferai ce que mes cuers vialt«), das nicht mehr zum neuen Bild des Helden passt, das der Dichter vermitteln will. Der Protagonist ist fortan derjenige, der denen Hilfe leistet, die in Not sind, wie es Hartmann Iwein in einem hinzugefügten Kommentar ausdrücklich sagen lässt: ichn hân gnâden niht: swem mîns dinestes nôt geschiht unde swer vrumer des gert, dern wirt des niemer entwert (V. 6001–04). Das ist keine Gunstbezeugung: Wer immer meine Unterstützung benötigt und jedem Rechtschaffenen, der sie erbittet, dem wird sie niemals verweigert.

Von dem Augenblick an, in dem Iwein die in der Kapelle eingesperrte Lunete getroffen (eine Szene, die sich genau in der Mitte des Romans befindet) und ihr versprochen hat, für sie zu kämpfen, nimmt er Partei für die verfolgte Unschuld. Er kämpft für die anderen und gewinnt dadurch wieder einen Platz in der Gesellschaft, die ihn verstoßen hat. Hartmann zeigt seinen Helden zutiefst berührt von der Not der armen Damen und ergänzt zwei kurze Passagen.11 Immer betont Hartmann, Iwein handle aus Selbstlosigkeit. Dies gilt auch für die Harpinepisode. Nicht zuletzt misst Hartmann dem Thema der triuwe des Helden seiner Herrin gegenüber ein größeres Gewicht bei als Chrétien, und zwar in drei Episoden, in denen er in seiner Liebe und seiner Treue Laudine gegenüber auf die Probe gestellt wird: in der Episode der Frau von Narison, in der Harpinepisode und in der ›Pesme Aventure‹, bei der es sich um einen Zusatz handelt: Während Yvain bei || 11 »Dô erbarmet in ir ungemach: / er siufte sêre unde sprach« (V. 6407f.); »Mir ist iuwer kumber leit: / unde wizzet mir der wârheit, / sô sêre erbarmet ir mich, / ich benæme in iu gerne, möht ich« (V. 6413–16).

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Chrétien zu seinem Bett gebracht und allein mit seinem Löwen zurückgelassen wird (V. 5448f.), schläft der Held bei Hartmann in derselben Kammer wie das Fräulein, das ihn begleitet. Hartmann kommentiert: swer daz nû vür ein wunder im selbem sagt daz im ein unsippiu magt nahtes alsô nâhen lac mit der er anders niht enpflac, dern weiz niht daz ein biderbe man sich alles des enthalten kan des er sich enthalten wil (V. 6574–81). Wer sich nun darüber wundert, dass ein Mädchen, mit dem er nicht verwandt ist, in der Nacht so nahe bei ihm lag und er sie nicht anrührte, der weiß nicht, dass ein rechtschaffener Mann auf all das verzichten kann, auf das er verzichten will.

Iwein war der untriuwe bezichtigt worden. Jetzt ist er der Inbegriff der triuwe. Der Dichter greift wiederholt in den Text seiner Vorlage ein, aber nur punktuell und ohne die Grundstruktur des Werkes zu berühren. Eine Änderung ist jedoch tiefgreifend: Es geht um die Beziehung zwischen Iwein und Laudine. Bei Chrétien erscheint Laudine nicht im besten Licht; dies mag zum Teil auf ein antikes oder keltisches Substrat zurückgehen (etwa auf Figuren wie Jocaste im Roman de Thèbes, die Witwe von Ephesus, oder Dido bzw. auf das Erzählschema der ›gestörten Mahrtenehe‹). Als stolze, grausame, unerbittliche Herrin, die rasch von Liebe zu Hass und von Hass zur Liebe übergehen kann, scheint sie auch dem Topos der Herrin der okzitanischen Trobadors zu entsprechen. Hartmann verteidigt die Frauen im Allgemeinen und Laudine im Besonderen, indem er Laudines Beschluss, rasch nach dem Tod ihres Mannes wieder zu heiraten, allein auf Lunetes Argument, dass Artus’ Ankunft zur Verteidigung des Brunnens eine Heirat notwendig mache, zurückführt. In der Folge ergreift Hartmanns Erzähler ausdrücklich Partei für die Frauen. Er behauptet, dass er niemals denen zustimmen werde, die Böses über die Frauen sagen und sie der Wankelmütigkeit bezichtigen, und er schließt mit dem Bekenntnis: »ich wil in niuwan guotes jehen, / allez guot müeze in geschehen« (V. 1887f.). Diesem Grundsatz folgt er, wenn er Laudine immer in einem guten Licht präsentiert. Ihre Rehabilitierung erfolgt auf zwei Gebieten: In der bereits erwähnten Episode ihrer Wiederverheiratung und in ihren Beziehungen zu Iwein. Ich wende mich hier lediglich der letzten Szene des Romans zu. Hier verhält sich Hartmann seiner französischen Vorlage gegenüber sehr frei, zumindest in der Version der Handschrift B (V. 8121–36). Schon vor der Ankunft des Löwenrit-

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ters zeigt Laudine, dass sie nicht die unerreichbare Herrin ist. Sie will dem fremden Ritter entgegengehen, denn sie brauche ihn (V. 8034f.). Dieser Zusatz ist umso bedeutungsvoller, als Hartmann im ganzen Passus sehr nahe an seiner Quelle geblieben ist. Nachdem sich der Held vor Laudine zu Boden hat fallen lassen und Lunete letzterer enthüllt hat, der Löwenritter sei Yvain/Iwein selbst (Chrétien, V. 6720–60; Hartmann, V. 8040–74), erkennt Laudine in beiden Texten, dass Lunete sie hintergangen hat. Sie fühlt sich aber jeweils durch ihren Eid gebunden und muss ihm verzeihen, denn sonst würde sie meineidig (Chrétien, V. 6770–79; Hartmann, V. 8102–13), was sie mit allem Nachdruck betont. Daraufhin bricht der Held in Freude aus (Chrétien, V. 6785–88; Hartmann, V. 8114–17). Bis dahin folgt Hartmann Chrétiens Text sehr genau. Nun aber weicht der deutsche Text in der Fassung B plötzlich und entscheidend vom französischen Text ab. Im französischen Text hat Yvain harte Bewährungsproben bestanden, und seine Herrin hat ihm – nur halbherzig – ihre Liebe zurückgegeben. Die Versöhnung der Eheleute ist aber nur formell und gekünstelt. In der Fassung B des deutschen Textes dagegen fleht Laudine ihrerseits Iwein an, ihr die Qualen zu verzeihen, die er ihretwegen ertragen musste (V. 8122–29), und wie vorher Iwein, so wirft sie sich ihm nun demütig zu Füßen. Beide Partner sind gleichermaßen schuldig, denn weder der eine noch der andere hat das rechte Maß eingehalten. Iwein hat nicht das Gleichgewicht zwischen Minne und Rittertum gewahrt; Laudine hat in ihrem Zorn den Schuldigen verstoßen. Hartmann (bzw. der B-Redaktor) wollte mit der gegenüber Chrétien neuen Schlussszene zeigen, dass nur eine gegenseitige, tiefe und aufrichtige Liebe eine Liebe ist, die auch ihrer sozialen Aufgabe gerecht werden kann. Ich schließe mich Jean Fourquet12 und Joachim Bumke13 an, die die Meinung vertreten, dass die zwei Fassungen A und B des Iwein »gleichwertige Parallelversionen«14 sind, dass der B-Redaktor denselben Chrétien-Text als Vorlage hatte

|| 12 Vgl. Fourquet (wie Anm. 1), 225. Dieser Passus (V. 8121–36) steht nur in drei Handschriften, die aber nicht zur selben Klasse gehören. Die Tradition ist so komplex, dass es nicht möglich ist, zu bestimmen, ob der Originaltext nur in diesen Handschriften erhalten geblieben ist oder ob diese Handschriften eine Interpolation widerspiegeln. Dies vermutet Werner Schröder, Laudines Kniefall und der Schluss von Hartmanns Iwein, Stuttgart 1997 (Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse 1997/2). 13 Vgl. Joachim Bumke, Die vier Fassungen der Nibelungenklage. Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte und Textkritik der höfischen Epik im 13. Jahrhundert, Berlin, New York 1996 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte NF 8), 32–42. 14 Ebd., 32. Bumke zitiert Karl Stackmann, ›Mittelalterliche Texte als Aufgabe‹, in: William Foerste und Karl Heinz Borck (Hrsg.), FS Jost Trier, Köln, Graz 1964, 240–67, hier: 264.

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wie der A-Redaktor und dass es sich zweifelsohne um zwei unabhängige Fassungen handelt. Wahrscheinlich hat es sogar »mehrere echte Iweine«15 gegeben. Im Anschluss an Joachim Bumke16 verweise ich auf Jean Rychner, der von der muance der mittelalterlichen Texte spricht, sowie auf den folgenden Satz von Bernard Cerquiglini: »L’écriture médiévale ne produit pas des variantes, elle est variance«.17 Ich habe zeigen wollen, dass Hartmann von Aue im Iwein den Sinn seiner Vorlage tiefgreifend geändert hat. Einerseits betont er den sozialen Aspekt der Schuld Iweins. Dieser wird nicht ausschließlich in seinem Verhältnis zu seiner Herrin gesehen, sondern auch im Verhältnis zu den Rittern, zu der sozialen Gruppe, zu der er gehört und deren Verhaltenskodex er beachten soll. Jeder Verstoß gegen diesen Kodex hat den Verlust der Ehre sowohl für den Schuldigen als auch für die Gruppe, zu der er gehört, zur Folge. Wir begegnen demselben Problem im Parzival Wolframs von Eschenbach, der sich vom Ende des Iwein inspirieren ließ, um den unvollendeten Conte del Graal zu beenden.18 Andererseits hebt er deutlich die Gleichheit der Ehepartner hervor – im Hinblick auf die Rechte, aber auch die Pflichten. Iwein kehrt am Ende seiner Aventürenreihe zwar an den Artushof zurück, und sein Sieg über Gauvain zeigt, dass er nun wieder des Artushofs würdig ist; er verlässt jedoch Artus und die Seinen alsbald, um zu Laudine zurückzukehren. Der Hof der Königin Laudine19 – bei Chrétien ist sie nur Herzogin (V. 2152f.) – wird zum zweiten Pol der Handlung neben oder vor dem Artushof.20 Indem Hartmann den sozialen Aspekt der Schuld des Helden betont und diesen nicht nur von Laudine, sondern im Anschluss daran auch vom gesamten Artushof verurteilen lässt, unterstreicht Hartmann die im französischen Roman bereits angelegte Rangfolge der Höfe. Artus’ Hof ist nicht mehr die höchste Instanz; eine andere, eine höhere

|| 15 Hartmann von Aue, Iwein der Ritter mit dem Löwen, hrsg. von Emil Henrici, Bd. 1–2, Halle 1891–93 (Germanistische Handbibliothek 8), XXXII. Vgl. auch Bumke (wie Anm. 13), 42. 16 Vgl. ebd., 50 und 54. 17 Bernard Cerquiglini, Éloge de la variante. Histoire critique de la philosophie, Paris 1989, 111. Das Zitat steht auch bei Bumke (wie Anm. 13), 54. 18 Vgl. z. B. Christine Wand, Wolfram von Eschenbach und Hartmann von Aue. Literarische Reaktionen auf Hartmann im Parzival, Herne 1989. 19 Vgl. dazu Mertens (wie Anm. 6), 34–46. 20 Aus diesem Grund hat Kurt Ruh angemerkt, dass der ›doppelte Cursus‹ ein ›einfacher Cursus‹ sei, da der Held zu Laudine zurückkehrt. Mithin sei der Chevalier au lion kein »Erec à l’envers«; Kurt Ruh, ›Zur Interpretation von Hartmanns Iwein‹, in: Hugo Kuhn und Christoph Cormeau (Hrsg.), Hartmann von Aue, Darmstadt 1973 (WdF 359), 408–25, v. a. 423–25.

Hartmann von Aue als Bearbeiter von Chrétiens de Troyes Yvain | 35

Instanz ist geschaffen worden: die der Minneherrin, deren Willen und Entscheidungen sich der Artushof anschließt. In diesem Sinn ist der Chevalier au lion und noch entschiedener der deutsche Iwein der Wegbereiter des Parzival, in dem das arthurische Ideal von einem nochmals ganz anderen Ideal übertroffen wird: dem Ideal des Grals.

Friedrich Wolfzettel

Adaptation als Restauration Zur Entsakralisierung des Perceval im Peredur und in Sir Percyvell of Gales Abstract: Arthurian scholars were not slow to heighten the prestige of their field by insisting on the apparently universal prestige of the Grail, rather than critically questioning the foundations of this symbol of a collective mania, or reflecting upon factors that might explain the diversity of the reception of the myth in different cultures. Moreover, critics have probably underrated the problems of the inconsistencies of Chrétien’s Conte du Graal as a model of reception. In light of these presuppositions, the very special insular reception of Perceval in Great Britain and the concomitant rejection of the continental Grail conception both in the Middle English and the Welsh tradition may be interpreted as a case in point. While the Middle English romance of Sir Percyvell of Gales dearthurianizes his model by transforming it into an aristocratic family enfances-romance, the Long Version of the Welsh Peredur seems to ironically adopt certain key motifs of Chrétien’s romance only in order to refuse the religious symbolism by reverting to the archaic cauldron of sovereignty and rebirth. In both cases, the ›universal‹ function of the continental myth has been sacrificed to the political and mental prerequisites of the British Isles.

In der anhaltenden Hochkonjunktur der Gralsforschung gilt das Interesse nach wie vor den ästhetischen und ideologischen Implikationen des Mythos sowie der Funktion des Motivs, dem nicht wenige Forscherpersönlichkeiten mit einer Art identifikatorischer Komplizität begegnen. Wenn die Schriften des Gralskorpus, wie z. B. Servane Rayne-Michel mit Blick auf Augustinus gezeigt hat,1 den Makel der bloßen fabula abzustreifen und der auctoritas ähnlich der Heiligen Schrift nahezukommen suchen, so ist dies ironischerweise auch insofern gelungen, als Generationen aufgeklärter Forscher das Korpus mit heiliger Ehrfurcht als transnationale Botschaft begriffen haben, ohne nach den jeweiligen regionalen Rezeptionsbedingungen des Mythos zu fragen. Den verdienstvollen Beginn einer neuen lokalen Fragestellung bezeichnet erst seit 2015 eine Reihe der University of Wales-

|| 1 Vgl. Servane Rayne-Michel, La Table Ronde et les deux cités. Pour une lecture augustinienne des cycles arthuriens en prose du XIIIe siècle, Paris 2016 (Nouvelle Bibliothèque du Moyen Âge 117), 172. https://doi.org/10.1515/9783110628104-003

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Press mit Einzelbänden über die arthurische Rezeption in Italien, in der Iberia, in Skandinavien usw. Ein in Frankreich erstmals verschriftlichtes Epochensyndrom, das ohne Frage auch Züge kollektiver Hysterie trägt, wurde so zum Menschheitssymbol und Inbegriff des abendländischen Mittelalters aufgewertet. Von einem Symbol »menschheitlicher Geistesgeschichte«2 sprach seinerzeit Gerhard von dem Borne, dessen Buch zudem wie selbstverständlich die gesamteuropäische Perspektive anspricht. Dass letztere aber keineswegs eindeutig erscheint, wird bei einer solchen emphatischen Betrachtungsweise gern vergessen, wie ja auch die großen geistesgeschichtlichen Synthesen nur implizit den nationalliterarischen Rahmen überschreiten – denken wir an Hans Bayer und sein Werk über die hochmittelalterliche Glaubenskrise, an Jean-René Valette und seine Deutung des großen theologischen Projekts vor dem Hintergrund des 4. Laterankonzils, an die rezente Spiritualitätsthese von Thomas Ollig oder an die oben genannte Arbeit von Servane Rayne-Michel über die Rolle der augustinischen Geschichtsphilosophie.3 Dabei hilft z. B. der übliche Blick auf die eucharistische Debatte schon deshalb nicht weiter, weil die Problematik ihren Niederschlag fast ausschließlich im nordfranzösischen Sprachraum fand, während ausgerechnet im hispanischen und v. a. im italienischen Bereich keine vergleichbare Entwicklung zu verzeichnen ist. Das große Gralsprojekt blieb so in der Forschung bis vor Kurzem ohne entscheidende rezeptionsgeschichtliche Breite. In Wahrheit kann man nämlich eine konsequente Rezeptionsgeschichte nur innerhalb der alt- und mittelfranzösischen Literatur geltend machen.4 Nur hier wird man von einem lebendigen Erbe sprechen können, das wie selbstverständlich auch in nicht am Gral orientierte Werke Eingang fand. Demgegenüber wirkt die außerfranzösische Rezeption seltsam widersprüchlich und zufällig. Um nur einige Fragen anzudeuten: Warum spielt der Gründungsroman Chrétiens nur im mittelniederländischen Percheval und bei Wolfram von Eschenbach eine zentrale Rolle, und kann man angesichts des kontroversen Verhältnisses von Wolfram zu Chrétien schon hier von einer Rezeptionsverweigerung sprechen?5 Und warum

|| 2 Gerhard von dem Borne, Der Gral in Europa. Wurzeln und Wirkungen, Frankfurt a. M. 1987, 7. 3 Vgl. Hans Bayer, Gral. Die hochmittelalterliche Glaubenskrise im Spiegel der Literatur, Stuttgart 1983 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 28); Jean-René Valette, La Pensée du Graal. Fiction littéraire et théologique (XIIe–XIIIe siècle), Paris 2008 (Nouvelle Bibliothèque du Moyen Âge 85); Thomas Ollig, Elemente christlicher Spiritualität im altfranzösischen Gralskorpus, Münster 2012 (Erudiri Sapientia 8); Rayne-Michel (wie Anm. 1). 4 Vgl. Friedrich Wolfzettel, ›De la quête spirituelle à la félicité terrestre: le Graal et l’Au-delà dans le Moyen Âge tardif‹, Médiévales 57 (2015), 331–36. 5 Vgl. z. B. Frank Teichmann, Der Gral im Osten. Motive aus der Geistesgeschichte Armeniens und Georgiens, Stuttgart 1986, 196–213.

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blieb der Stoff schon in der skandinavischen Perceval-Saga weitgehend unverstanden6 und wurde in den kymrischen Fassungen und in der mittelenglischen Bearbeitung vollends seiner spirituellen Symbolik beraubt? Robert W. Ackermann fasst seinen Überblick über ›English Rimed and Prosa Romances‹ folgendermaßen zusammen: »The legend of the sacred vessel in this form has left no impress on the vernacular literature of England«.7 Eine vertiefte, doch nicht mehr relevante Beschäftigung mit dem ursprünglichen Gralsstoff finden wir hier bekanntlich erst im Spätmittelalter: in Lovelichs History of the Holy Grail (um 1429) und in Malorys Le Morte Darthur (um 1470). Und warum konzentrieren sich die zahlreichen Adaptationen des Stoffs auf der iberischen Halbinsel, in Katalonien, Kastilien und Portugal, auf die Queste del saint Graal, während der Perceval keine Rolle spielt? Ganz abgesehen davon, dass María Rosa Lida de Mackiel die sehr unterschiedliche Qualität der Bearbeitungen geltend gemacht und dabei die hohe Qualität der portugiesischen Demanda im Vergleich mit der kastilischen Fassung betont hat.8 Letztere Thematik steht aber wiederum paradoxerweise gerade in Italien, dem Land des Kirchenstaats, nicht im Zentrum, obwohl das Land wie kein anderes der matière de Bretagne gegenüber aufgeschlossen und der Stoff, wie eine eben veröffentliche Fassung des Prosa-Lancelotto zeigt,9 bei den namhaften Autoren des Trecento und Quattrocento wohl präsent war.10 Auch wird man mit Jean Frappier fragen müssen, wie intensiv und überzeugend die Gralsbotschaft in den jeweiligen Bearbeitungen umgesetzt wurde. Frappier hatte bekanntlich schon 1954 gezeigt, wie sehr das genannte Verhältnis in den Bearbeitungen nach der Queste, also in der Estoire, im Tristan en prose, aber auch in den Demandas in Spanien und Portugal oder in der mittelenglischen Morte Darthur, verwässert, fast aufgelöst, »estompée ou diluée ou dissociée«,11 anmutet. In ähnlicher Perspektive hat z. B. Danielle Buschinger jüngst eine wachsende Profanisierung des Grals im 13. Jh. geltend gemacht.12 Offensichtlich ist das abend-

|| 6 Vgl. Philip M. Mitchell, ›Scandinavian Literature‹, in: Roger Sherman Loomis (Hrsg.), Arthurian Literature in the Middle Ages. A collective history, Oxford 1959, 462–71. 7 Robert W. Ackerman, ›English Rimed and Prose Romances‹, in: Sherman Loomis (wie Anm. 6), 480–519, hier: 505. 8 Vgl. María Rosa Lida de Malkiel, ›Arthurian Literature in Spain and Portugal‹, in: Sherman Loomis (wie Anm. 6), 406–18, hier: 408f. 9 Vgl. Lancelotto. Versione italiana inedita del Lancelot en prose, hrsg. von Luca Cadioli, Florenz 2016 (Archivio Romanzo 32). 10 Vgl. ebd., 412; vgl. auch Gloria Allaire und F. Regina Psaki (Hrsg.), The Arthur of the Italians. The Arthurian Legend in Medieval Italian Literature and Culture, Cardiff 2014. 11 Jean Frappier, ›Le Graal et la chevalerie‹, Romania 75 (1954), 165–210, hier: 207f. 12 Vgl. Danielle Buschinger, Le Graal dans les pays de langue allemande, Paris 2017.

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ländische ›Menschheitssymbol‹ von einer einheitlichen und konsequenten Rezeption doch ein gutes Stück entfernt.13 Wahrscheinlich würde es sich lohnen, nach Antworten auf solche Fragen zu suchen und das allzu homogene Mittelalterbild zu diversifizieren. Aber das ist hier nicht das Thema. Da es jedoch im Folgenden um die Perceval-Rezeption bzw. Rezeptionsverweigerung in der britischen Tradition geht, sei auch daran erinnert, dass der französische Autor die Rezeption zwar anstößt, doch zugleich in seinem Conte du Graal seltsam inkonsistent und zögerlich wirkt und dass die Gralsthematik erst nach Chrétien durch die Vorgaben von Robert de Boron ihr volles Gewicht erhielt. Gerade der Perceval-Roman dürfte sich daher nur sehr bedingt für Adaptationen geeignet haben. In einem wichtigen Beitrag hat denn auch Jan-Dirk Müller – wie mir scheint, zu Recht – Bedenken gegen die vereinheitlichte romanistische Sicht des Romans »aus der Perspektive der Fortsetzungen«14 und ihrer fortschreitenden Spiritualisierung angemeldet. Geht es nämlich um Rezeption und Adaptation, hat Uneindeutigkeit sicherlich ihren Preis. Hierzu nur einige Aspekte: Erinnern wir uns zunächst an den Prolog, in dem der am Ende genannte Werktitel Conte du Graal durch nichts vorbereitet wird. Die u. a. von Carl Uitti und Barbara Sargent-Baur zentral interpretierten biblischen Gleichnisse15 haben mit dem Gralsthema kaum etwas zu tun. Und warum Gralserzählung? In welcher Beziehung steht die doppelte Jenseitswanderung von Perceval und Gauvain zu diesem Thema? V. a. Philippe Walter und Laurent Guyénot16 haben in der Begegnung mit den Toten im Gralsschloss und im Château des Merveilles und nicht im Gral selbst den eigentlichen Kern des nach wie vor rätselhaften Romans gesehen. Der nächtliche, männlich konnotierte Palast des Fischerkönigs steht nach Philippe Walter dem weiblich konnotierten »palais du soleil«17 gegenüber, Percevals Gang zu den Vätern der Rückkehr Gauvains zu den Müttern. Guyénot spricht überdies von einem adligen Totenkult, der nicht unmit-

|| 13 Vgl. Antonio Viscardi, ›Arthurian Influence on Italian Literature from 1200 to 1500‹, in: Sherman Loomis (wie Anm. 6), 419–29. 14 Jan-Dirk Müller, ›Percevals Fragen – oder ein Parzival ohne Mitleidsfrage?‹, Wolfram-Studien 23 (2014), 21–49, hier: 23. 15 Vgl. Carl Uitti, Chrétien de Troyes Revisited, New York 1994; Barbara N. Sargent-Baur, La Destre et la Senestre. Etude sur le Conte du Graal de Chrétien de Troyes, Amsterdam, Atlanta 2000 (Faux Titre 185). 16 Vgl. Philippe Walter, Gauvain le Chevalier solaire, Paris 2013; Laurent Guyénot, La Lance qui saigne. Métatextes et hypertextes du Conte du Graal de Chrétien de Troyes, Paris 2010 (Essais sur le Moyen Âge 44), 90 und 208. 17 Walter (wie Anm. 16), 269.

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telbar mit religiösen Themen verbunden ist.18 Doch auch die Rückkehr zur Vergangenheit bleibt bekanntlich zwiespältig, insofern Chrétien die logische Vorgeschichte weitgehend getilgt hat. Mit Brigitte Cazelles kann man auf ältere quellengeschichtliche Arbeiten und den ursprünglichen Kern einer zugunsten der Gralshandlung aufgegebenen vengeance quest verweisen,19 die ja tatsächlich in der mittelenglischen Fassung neues Gewicht gewinnen wird. Und dann das Gralsschloss selbst: Goulven Péron hat kürzlich auf den möglichen Einfluss einer Szene aus Ovids Metamorphosen (IX), die Szene der Bewirtung des Theseus durch den Flussgott Acheloos, verwiesen.20 Das Motiv der Flussnymphe mit dem Füllhorn stünde dann für die ursprünglich von Chrétien gewollte Einarbeitung des antiken Mythos in die ›keltischen Wurzeln der Artussagen‹.21 Das Füllhornmotiv, an dessen keltischem Ursprung nach den Forschungen von Alfred Nutt kein Zweifel bestehen kann,22 ist auch im Chrétien’schen Roman zunächst vorrangig. Wir haben es mithin mit einem mythischen Szenario zu tun, das der Autor merkwürdigerweise selbst erst verspätet, nämlich in der Eremitenszene, im christlichen Sinn neu oder uminterpretiert, um die fortan heilige Gralsgeschichte der burlesken Tendenz der Gauvain-Handlung gegenüberzustellen. Jan-Dirk Müller spricht denn auch von einer widersprüchlichen »Verrätselung der Welt«,23 durch die Chrétien seine eigene Konzeption subvertiert und die angedeutete Mythisierung seiner arthurischen Welt gleichsam widerruft.24 Bei den Landsleuten und Zeitgenossen muss diese Form der revocatio gut angekommen sein, wie aber sollten z. B. die Bearbeiter auf der britischen Insel damit umgehen? Rezeption hieße aus dieser Sicht zunächst Arbeit am Stoff, gegebenenfalls auch Rezeptionsverweigerung und Korrektur. So könnte die Erzählung zu älteren Traditionen zurückgeführt werden wie etwa durch die an ein mittelalterliches road movie erinnernde Abenteuerhäufung und die Aufbruchsmotivik in den kymrischen Fassungen oder die betont jugendliche enfances-Stimmung in der mittelenglischen Bearbeitung. Korrektur hieße auch Rückkehr zu bekannten archetypischen Mustern, also vengeance quest statt Gralssuche, Verzicht auf die Verdoppelung

|| 18 Vgl. Walter (wie Anm. 16), 90. 19 Vgl. Brigitte Cazelles, The Unholy Grail: A Social Reading of Chrétien de Troyes’s Conte du Graal, Stanford 1996. 20 Vgl. Goulven Péron, ›L’influence des Métamorphoses d’Ovide sur la visite de Perceval au château du Roi Pêcheur«, JIAS 4 (2016), 119–34. 21 Stefan Zimmer, Die keltischen Wurzeln der Artussage, Heidelberg 2006. 22 Vgl. Alfred Nutt, Studies in the Legend of the Holy Grail (with especial reference to the hypothesis of its Celtic Origin), London 1888. 23 Müller (wie Anm. 14), 32. 24 Vgl. ebd., 37f.

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der Handlung und Konzentration auf den einen Helden Perceval, Zurücknahme arthurischer Handlungsmuster zugunsten epischer Klischees oder familiärer Bezüge, der Sohn-Mutter-Beziehung im Sir Percyvell oder der Clanbildung um den Helden und seine Vetter im Peredur. So oder so zeugt die Rezeption des Chrétien’schen Romans in den beiden hier zu untersuchenden britischen Adaptationen, wie wir sehen werden, nicht nur von einer konservativen, ja zutiefst antiutopischen Skepsis gegenüber dem arthurischen Potential der kontinentaleuropäischen Tradition, sondern auch von dem Bemühen, das Gralsmotiv als überflüssig zu erweisen. Beschäftigen wir uns zunächst – entgegen der Chronologie – mit der mittelenglischen Romanze vom Anfang des 14. Jh., die programmatisch zur Tradition der epischen enfances und ihrer präromanesken, konservativ genealogischen Symbolstruktur zurückkehrt.25 Der sozusagen gutgelaunte und auch gut erzählte Roman in Schweifreimstrophen mit einem kunstvollen coblas cap-caudadas-Effekt erzählt von einem sehr jungen Helden und scheint sich an ein noch junges Publikum zu richten, welches die anglonormannische Tradition längst abgelegt hat und auch kein Interesse an der kontinentalen Gralsthematik gehabt haben dürfte. Der Autor, der diese gleichwohl gekannt haben muss, sei es inhaltlich, wie Jörg O. Fichte in seiner hier zugrunde gelegten zweisprachigen Edition annimmt,26 sei es im direkten Textbezug, wie etwa David Fowler oder Keith Busby zu bedenken geben,27 reduziert offensichtlich bewusst die komplexe Handlung des Conte du Graal auf die enfances des fünfzehnjährigen Helden und restituiert zugleich konsequent die von Brigitte Cazelles postulierte Vorgeschichte des Vaters und die Rache des Sohnes für den verratenen und ermordeten Vater.28 Die eigentliche Aufgabe ist daher nicht mehr die Suche nach einem Gral und nach einer neuen postarthurischen Gralsherrschaft, wie sie etwa noch Erich Köhler vor dem Hintergrund des arthurischen Herrschaftsmodells angenommen hatte, son-

|| 25 Vgl. Friedrich Wolfzettel, ›Zur Stellung und Bedeutung der Enfances in der altfranzösischen Epik‹, Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 83 (1973), 317–48. 26 Mittelenglische Artusromanzen. Sir Percyvell of Gales, The Awntyrs off Arthure, The Weddynge of Sir Gawain and Dame Ragnell, hrsg. von Jörg O. Fichte, Stuttgart 2014 (Relectiones 1), 3–133. 27 Vgl. David C. Fowler, ›Le Conte du Graal and Sir Perceval of Galles‹, Comparative Literature Studies 12 (1975), 5–20; Keith Busby, ›Sir Perceval of Galles, Le Conte du Graal and La Continuation Gauvain. The Methods of an English Adaptor‹, Etudes Anglaises 31 (1978), 198–202, sowie ders., ›Chrétien de Troyes English’d‹, Neophilologus 71 (1987), 596–613. 28 Vgl. Cazelles (wie Anm. 19), 225: »The Grail discourse [...] erases the life-enhancing value of maternal instruction in order to inscribe a mortuary law of vendetta.«

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dern schlicht die Kontinuität einer adligen Familie. Die Dialektik der Rezeption besteht so in der Verweigerung der Rezeption und im genannten Rückgriff auf ein scheinbar überholtes Schema der epischen Vaterrettung bzw. der Rache für den Vater. Die Gralstradition erscheint demgegenüber ohne Belang und ist einfach ausgeblendet. Der Besuch Percyvells auf der gastlichen Burg (ab V. 937) wird so zu einem einfachen Gastmahl; der kranke Fischerkönig ist – in charakteristischer Weise – Artus selbst (V. 1060). Die Abenteuer Gauvains sind ebenfalls getilgt, und nur das Maidenland der geliebten, vom Helden geretteten Lady Lufamour ist vielleicht ein entferntes ironisches Echo von dem Schloss der Wunder Gauvains, der im Übrigen nur noch in einer an die Blutstropfenepisode erinnernden Episode eine kurze Rolle spielt. Im Mittelpunkt steht mithin – mit Fichte – die »Identitätsfindung des jungen Helden«.29 Fichte postuliert eine gattungsgeschichtliche »Eigenentwicklung des mittelalterlichen Typus«;30 er spricht vom Aufstieg eines »männlichen Aschenbrödels«31 in die durch Verrat verlorene Welt des mit allen männlichen Tugenden gezeichneten Vaters und der Suche nach der verlorenen Mutter, die noch vor der gelungenen Liebesgeschichte mit Lufamour gerettet werden muss. Gleichzeitig hat Fichte deutlich gemacht, wie sehr dieser ›starke Hans‹, dem in märchenhafter Weise alles gelingt, außerhalb der ritterlichen Ordnung angesiedelt ist, das heißt, wie wenig – abgesehen vom Motiv des simpleton32 – das Schema des arthurischen Romans noch als Vorbild getaugt haben kann. Nicht um den ritterlichen, zu Großem berufenen Helden geht es daher, sondern um den von Natur aus guten Jüngling, der aus dem ›wilden Wald‹ kommt und durchaus Züge des rustikalen epischen Helden trägt – man denke an den jungen Haveloc oder den Rainouart der Wilhelmsepik –, aber in seinem Kampf gegen alles Diabolische, gegen Riesen, Hexen, Verräter und Tyrannen, dem Recht zum Durchbruch verhilft. Die Bewahrung oder Wiederherstellung der als ideal geschilderten väterlichen Ordnung und die Bewahrung des Gegebenen stehen im Vordergrund. Überlegungen zur narrativen Wahrscheinlichkeit haben dabei keine Funktion. Die zentrale, schon für die kontinentale enfances-Tradition typische Formel »That the kynde wolde oute springe« (V. 355: »dass sich die Natur durchsetzt«) trägt eben diesem zivilisatorischen Auftrag des jungen Adligen || 29 Jörg O. Fichte, ›Das Andere (Hexen, Heiden, Riesen) in Sir Perceval of Gales. Anmerkungen zu einer mittelenglischen Version des Perceval-Stoffes‹, Wolfram-Studien 23 (2014), 71–89, hier: 73. 30 Fichte (wie Anm. 26), 21. 31 Ebd., 30. 32 Vgl. dazu v. a. Caroline D. Eckhardt, ›Arthurian Comedy: The Simpleton-Hero in Sir Perceval of Galles‹, The Chaucer Review 8 (1974), 205–20.

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Rechnung und betont zugleich im Sinne der altfranzösischen ›nourriture und nature-Dialektik‹ von Erziehung und Veranlagung die fundamental konservative, genealogische Ideologie der mittelenglischen Romanze, die weit davon entfernt ist, sich der utopischen Gralsthematik und romanhaften Experimenten zu öffnen. Daher rührt natürlich, wie schon gesagt, die große Bedeutung des bei Chrétien bewusst verkürzten Anfangs über den edlen Vater Percyvell und die neidvoll ränkische Rivalität des Roten Ritters, mit dessen Tötung der Sohn den ersten Schritt auf dem Weg zur Beseitigung der dämonischen Gegenwelt tut. Der zweite und entscheidende Aspekt ist die Rückkehr des gereiften jungen Helden zu seiner mittlerweile umnachteten Mutter, die durch sein Kommen geheilt wird. Dabei sind, wie auch Fichte betont hat, die ödipalen Konnotationen in der Erklärung Percyvells unüberhörbar: »Me aughte to bryng hir of wa: / I laye in hir syde« (V. 2175f.: »Ich, der in ihrem Schoß gelegen hat, muss sie von ihrem Schmerz erlösen«).33 Nach dem Aufstieg in die Welt des Vaters und der kämpferischen Bewährung erfolgt nach Fichte der Abstieg in den mütterlichen Schoß, symbolisiert nicht zuletzt durch das Motiv des Waldes.34 Mit der Rückkehr in die nächtliche mütterliche Sphäre schließt sich der Kreis in einer erstaunlich tiefenpsychologisch anmutenden Konsequenz. Zu erinnern wäre hier vielleicht auch an die Kreisform des Zauberringes, den die Mutter dem Jungen als Erkennungszeichen und Schutz bei seinem Auszug aus dem Wald mitgegeben hatte (V. 425): Die Wiedergewinnung des Rings führt Perceval zunächst in eine intime, quasi-inzestuöse Beziehung zurück, die auch durch die kreisförmige Struktur der Romanze unterstrichen 35 wird.

Die Heilung der Mutter – das Motiv ihres Überlebens könnte der Autor aus der Seconde Continuation oder dem Perlesvaus übernommen haben – verbindet mithin das epische Motiv der vengeance quest auf höchst originelle Weise mit dem der Muttersuche, welche offensichtlich die Suche nach dem Gral ersetzt. Ohne weiter auf bekannte psychoanalytische Deutungen der weiblich konnotierten Gralsschale einzugehen, muss man doch von einer verblüffend treffenden Neufunktionalisierung der Füllhornsymbolik auf der Grundlage des genealogischen Handlungsschemas sprechen. David C. Fowler hat sicher zu Recht eine »secula-

|| 33 Vgl. Glenn Wright, ›Þe kynde wolde oute sprynge: Interpreting the Hero’s Progress in Sir Perceval of Galles‹, Studia Neophilologica 72 (2000), 45–53. Wright verbindet das Zitat mit der These einer Entwicklung des Helden (z. B. gegen Caroline D. Eckhardt), zieht aber keine gattungsgeschichtlichen Folgerungen aus dem Befund. 34 Fichte (wie Anm. 29), 85. 35 Ebd.

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rization of the Grail theme«36 geltend gemacht. Rezeptionsverweigerung hieße dann in diesem betont jugendlichen Roman Aufstand der Jungen gegen eine in die Jenseits- und Totenwelt hineinreichende religiöse Wahnvorstellung der Alten, die in einem betont realistischen Umfeld anthropologisch umgedeutet und den Erfordernissen der postanglonormannischen Adelsgesellschaft angepasst wird. Die Chrétien lediglich nachempfundene, doch in wesentlichen Elementen markant vom Vorbild abweichende Geschichte des simpleton-hero verrät nämlich nach Fowler gerade deshalb eine gute Kenntnis der Quellen, weil sie ein hohes Maß an Kritikfähigkeit erkennen lässt.37 Eine offensichtlich bekannte, umfangreiche und geschichtsphilosophisch überfrachtete kontinentale Tradition wird in gewisser Weise ›vom Kopf auf die Füße gestellt‹ und entzaubert. In seinem Plädoyer für eine neue, positive Sichtweise auf die populäre mittelenglische Romanzenliteratur hat Ad Putter kürzlich die Rolle der Muttererlösung ins Zentrum seiner These der »narrative transparency«38 gerückt und gezeigt, wie die mythenkritische Rezeption verlaufen sein könnte. Die Mutterrettung verleiht dem enfances-Helden nicht nur eine ganz neue Dimension und Würde, sie gibt eben auch, wie schon angedeutet, der Gralsgeschichte eine neue Richtung. Das abstrakte Motiv statischer Verzückung in einer hieratischen, mythischen Konstellation der Konfrontation mit dem magischen Gral wird durch das konkrete, körperhafte Motiv der angedeuteten Rückkehr in den Mutterleib gleichsam ersetzt und korrigiert. Das ist Rezeptionsverweigerung als Akt der Aufklärung und Entmystifizierung. Der Begriff ›Entmystifizierung‹ liefert auch das Stichwort für die Behandlung des bislang ausgesparten chronologischen Mittelglieds der Rezeptionsgeschichte, des kymrischen Peredur, dessen aus unserer Sicht zutiefst ironische Rezeption des Chrétien’schen Romans das Werk paradoxerweise zugleich näher an Chrétien heranrückt und weiter vom arthurischen Erzählschema entfernt. Hier zeigt sich auch, dass die Rezeptionsverweigerung als Widerstand gegen die religiöse Überhöhung und Instrumentalisierung des mythischen keltischen Motivensembles zu verstehen ist:

|| 36 David C. Fowler, ›Le Conte du Graal and Sir Perceval of Galles‹, Comparative Literature Studies 12 (1975), 5–20, hier: l8. 37 Vgl. ebd. 38 Ad Putter, ›Story line and story shape in Sir Percyvell of Gales and Chrétien de Troyes’s Conte du Graal‹, in: Nicola McDonald (Hrsg.), Pulp Fictions of Medieval England. Essays in popular romance, Manchester, New York 2004, 171–96, hier: 177.

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The tale of Peredur is a tale of a quest for vengeance, a quest to regain lost sovereignty, fashioned from legends which had been related by the British in the Old North, and later in 39 Wales, about local chieftains and their acquisition of sovereignty.

Die walisische Fassung restituiert mithin den ursprünglichen mythisch-politischen Kern des Gralsmotivs, den u. a. auch Antonella Sciancalepore angesprochen hat.40 Wie Helmut Birkhan, dessen Übersetzung wir hier folgen wollen,41 und die walisischen Herausgeber der Mabinogion,42 Gwyn Jones und Thomas Jones, bringt sie die magische Schale mit sovranità und politischer Wiedergeburt in Verbindung. Tatsächlich spielt der Zauberkessel in den Mabinogion insgesamt eine zentrale Rolle. In der Erzählung Die Beraubung der Unterwelt43 geht es um eine Seefahrt Arthurs nach Irland, um Kessel und Schwert der Anderswelt zu rauben. Der Kessel der Wiedergeburt für tapfere Krieger ist hier zugleich mit der traditionellen Füllhornfunktion versehen: In einer lichtvollen Halle aufgestellt, verbreitet er ähnlich wie der Gral einen wundersamen Glanz. In der Erzählung von Bran und Branwen schenkt Bran der Gesegnete dem irischen König Matholwch den kostbaren Kessel der Wiedergeburt, um sich mit ihm politisch zu versöhnen. Im Dritten Zweig der Mabinogion, in der Erzählung Zauber und Fluch über Dyfeduch, erweist sich die magische Schale aus Gold als gefährliches Objekt, das denjenigen, der es berührt, nicht mehr loslässt und zur Stummheit verurteilt. Schon diese fest verankerte Motivtradition wirft im Übrigen natürlich die Frage auf, welchen Grund der oder die Verfasser der keltischen Erzählsammlung der Mabinogion hätte haben sollen, ausgerechnet im letzten Teil der adaptierten französischen Geschichten bzw. der französisch überarbeiteten eigenen Tradition die mythischen Elemente durch eine andersartige christlich eucharistische Deutung zu ersetzen. Birkhan spricht denn auch von einer »eigenständigen Sagentradition« und der möglichen Einfügung einer »ursprünglich ganz eigenen Erzählung«44 in den adaptierten Text.

|| 39 Glenys Goetinck, Peredur. A Study of Welsh Tradition in the Grail Legends, Cardiff 1975, 283f. 40 Vgl. Antonella Sciancalepore, ›Perceval, l’uomo del peir. Una nota etimologica‹, Quaderni di filologia romanza 22 (2014), 113–36. 41 Keltische Erzählungen vom Kaiser Arthur, aus dem Mittelkymrischen übertragen, mit Einführung, Erläuterungen und Anm. von Helmut Birkhan, Bd. 1, Kettwig 1989, 108–76. 42 The Mabinogion, übers. von Gwyn Jones and Thomas Jones, London, New York 1970 (Everymans Library 1097). 43 Benutzte Ausgabe: Keltische Sagen, hrsg. von Helga Kratzer, Wien 2005. 44 Beide Zitate Birkhan (wie Anm. 41), ›Einführung‹, 41.

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Ohnehin zeigt der walisische Text, der offensichtlich zugleich nach Chrétien entstanden ist und auf die Zeit vor Chrétien zurückverweist, eine gewollte Rückkehr zur älteren oralen Tradition. In seiner gründlichen narratologischen Untersuchung hat Bollard das »journey motif«45 hervorgehoben, das den Helden ohne Unterlass von Abenteuer zu Abenteuer führt und den geschilderten Lebensweg des Helden in eine Erzähltradition reintegriert, deren vielfältige Abenteuer kaum mehr etwas mit arthurischem Erzählen gemein haben. Der arthurische Rahmen gerät mithin nach den Chrétien nachempfundenen Anfängen zunehmend aus dem Blick. So gesehen emanzipiert sich die kymrische Erzählung nicht nur von den Implikaten des Gralsmotivs. Die wahrscheinlich ursprüngliche Kurzfassung in Ms. Peniarth 7 und 14 der National Library of Wales stellt eine geschlossene enfances-Erzählung in der Tradition der kymrischen cynnydd dar, in der die Begegnung mit dem ersten Onkel in Entsprechung zur Gournemant-Episode als Phase der Belehrung gekennzeichnet ist, während die Begegnung mit dem zweiten, lahmen Onkel auf der Gralsburg, die hier keine mehr ist, die endgültige Emanzipation des jungen Helden symbolisch durch die Insignien Lanze und Kessel rahmt. Nach der Lernphase ist nun alles auf die Herrschafts-Qualifikation Peredurs, eben das Motiv der sovereignty, bezogen. Nach der dreimaligen Schwertprobe heißt es von Seiten des Gastgebers: »In diesem Königreich bist du der beste Mann im Schwertkampf. Zwei Teile deiner Kraft hast du schon erlangt, nur der dritte fehlt dir noch« (122). Nach Goetinck ist auch das magische Schwert ein initiatisches Anderweltmotiv,46 das hier zu dem Motiv der riesigen blutenden Lanze und dem einer großen Schale mit dem im Blut schwimmenden Kopf eines Mannes überleitet. Letzteres ist nach Goetinck wiederum der genealogischen Symbolik und dem Ziel der sovereignty untergeordnet,47 wobei die angedeutete Symbolik des Johanneshauptes vielleicht ebenfalls auf ein kommendes Reich der Erlösung verweist und die religiöse Dimension so politisch vereinnahmt. Nicht die Herkunft des Motivs, das schon Mary R. Williams mit der Geschichte von Bran und Branwen in Verbindung gebracht hat,48 ist hier v. a. von Interesse, sondern die – freilich nur aus unserer Sicht – brutale Neufunktionalisierung des Gralsmotivs, das jede sakrale Bestimmung verloren hat und zur mythischen Bedeutung des Namens Peire-dur zurückweist: »la sorgente del calderone«, Quelle der Schale, wie Antonella Sciancalepore die Beziehung zur Schale der Wiedergeburt defi-

|| 45 John K. Bollard, ›Theme and Meaning in Peredur‹, Arthuriana 10 (2000), 73–98, hier: 77. 46 Vgl. Goetinck (wie Anm. 39), 282. 47 Vgl. ebd., 128–55, 291, 295f. und 302. 48 Vgl. Mary R. Williams, Essai sur la composition du roman gallois de Peredur, Paris 1909, 47.

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niert.49 In dem Motiv des Quells der Regeneration ist das Füllhornmotiv ganz offensichtlich mit enthalten. Die im Vergleich mit Chrétien auffällige Betonung des Blutes, sowohl bei der Lanze als auch bei der Schale, verweist wohl zugleich auf politische Implikationen. Die eingangs genannte Arbeit von Brigitte Cazelles legt hier eine vor-Chrétien’sche Sinnkonstitution nahe. Nicht der künftige Gralskönig, sondern der in seine Rolle initiierte walisische Erlöserheld steht im Zentrum. Als Herrscher von Konstantinopel – ein beinahe schon obsessives Erzählmotiv der kontinentalen Erzähltradition – wird Peredur am Ende der Kurzfassung freilich in merkwürdig ungeschickter Weise seiner eigentlichen politischen Wirklichkeit entzogen. Von daher rührt wohl das Bemühen der nur inhaltlich leicht differierenden Langversionen in dem z. T. lückenhaften White Book of Rhydderch (Aberystwyth) und im Red Book of Hergest (Oxford), den Helden nach vierzehn Jahren der Herrschaft erneut in das Artusreich zu versetzen und mit dem Schlussmotiv der besiegten Hexen von Gloucester zum Befreier der Heimat zu stilisieren. Es scheint so, als hätte der Chrétien-Adaptor zu spät bemerkt, dass er wichtige Details der Anfangsgeschichte bis zum Besuch der Gralsburg zu erzählen vergessen hatte, und wollte dies nun irgendwie nachholen. Zugleich könnte man von einer betont ironischen Zurückweisung Chrétiens bei gleichzeitiger Übernahme einzelner bekannter Motive sprechen. In denkbar wenig plausibler Weise lässt der kymrische Adaptor den Helden also aus Konstantinopel zurückkehren, um ihn jetzt erstmals mit bislang ausgesparten Motiven des altfranzösischen Romans zu konfrontieren: der Begegnung mit dem hässlichen Fräulein, das ihm vorwirft, die heilende Frage nicht gestellt zu haben, der Freundschaft mit Gauvain-Gwalchmei, schließlich der Begegnung mit einem Priester-Einsiedler am Karfreitag, der ihn wegen der Missachtung des Feiertages tadelt, ihm aber dennoch den Weg zum Schloss der Wunder weist. Peredur wird hier den das Land knechtenden Schwarzen Mann töten. Auch erhält der Rezipient Aufschluss über Einzelheiten des Geschehens auf der Gralsburg (die ja keine ist). In Wirklichkeit geht es um eine leicht alternative Version der ursprünglich in der Kurzversion erzählten Geschichte. Ein Jüngling gibt sich nämlich jetzt als das damals in Erscheinung getretene Mädchen mit der blutigen Schale zu erkennen: Und ich trug das blutige Haupt auf der Schüssel und die Lanze, an der von der Spitze bis zur Hand den Schaft entlang ein Blutstrom rann. Und das Haupt war das deines Vetters, den die Hexen von Gloucester erschlagen hatten, die auch deinen Oheim lähmten. Ich aber bin dein Vetter. (175)

|| 49 Vgl. Sciancalepore (wie Anm. 40).

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Der abschließende Sieg über die Hexen schließt sich dann zwanglos an, verleiht dem Ganzen aber keine überzeugende narrative Struktur. Das Gralsgeschehen wird auch in dieser Fassung nicht restituiert, und genau dies stellt die eigentliche Ironie der Langversionen dar. Den Versuch der Langversionen, die ausufernde Folklorisierung der Artuswelt wieder zum Chrétien’schen Kerngeschehen zurückzuführen, kann man mit Birkhan als »kompositorische Schwäche«50 bezeichnen, eigentlich ist dies aber noch untertrieben. Wahrscheinlich müsste man weitergehend von einem grundlegend missglückten Entwurf sprechen. Doch wie schon angedeutet: Gerade das offensichtliche Bedürfnis, einen Chrétien nahen Abschluss zu finden, ist für uns aufschlussreich. Eben die misslungene Insistenz, mit der bekannte Motive aus dem Perceval-Roman gleichsam nachgeschoben werden, zeigt in ironischer Weise, wie weit dieser Korrekturversuch von der Gralsthematik entfernt ist. Will man nicht von Verständnislosigkeit oder Versehen sprechen, bleibt nur die These eines bewussten Versuchs, das Gerüst des Chrétien’schen Romans aus der Gralsthematik herauszulösen und seine Vereinbarkeit mit der keltischen Symbolik der Zauberschale zu beweisen. Nach Brynley F. Roberts legt die längere Version den Chrétien’schen Perceval so offensichtlich nahe, dass die Ersetzung der Gralsgeschichte durch die vengeance quest nur Absicht gewesen sein konnte.51 Das blutige Haupt auf der Schüssel retransformiert das Gralsmotiv in die Thematik der vengeance quest, wobei es jedoch nicht mehr um den toten Vater, sondern um einen getöteten Vetter geht. Umgeben von Vettern, agiert der kymrische Perceval mithin in einem Umkreis gleichgesinnter oder zu Tode gekommener junger Verwandter, die ähnlich wie im mittelenglischen Sir Percyvell das Motiv der Jugend und des Neuanfangs und zugleich eine Clanbildung nahelegen, die nicht ohne politische Implikationen ist. Die Langversion hat offensichtlich die Funktion, den prädestinierten Erlöserhelden aus seinem extravaganten Konstantinopelabenteuer zu heimatlichen Aufgaben zurückzurufen. Der abschließende Sieg über die Hexen von Gloucester ist zwar nicht sehr eindrucksvoll, er erinnert aber an die Aufgaben Percyvells im Land der riesigen Hexen und Dämonen und impliziert die Absage an die kosmopolitische und kontinentaleuropäische Versuchung. Man wäre versucht, nicht nur von einem – wenn man so sagen darf – indigenen Widerstand, sondern auch von einem generationsspezifischen Widerstand gegen das kontinentale Gralsmotiv zu sprechen. Dies trifft natürlich umso mehr zu, als die Kritik nicht nur die Kenntnis der Gralsgeschichte und insbesondere der Queste

|| 50 Birkhan (wie Anm. 41), 50. 51 Vgl. Brynley F. Roberts, ›Peredur son of Efrawg: A Text in Transition‹, Arthuriana 10 (2000), 57–72, hier: 64.

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del saint Graal geltend gemacht hat, sondern auch die entscheidenden religiösen Motive ostentativ übernommen worden sind (die heilende Kraft des Fragens, das Motiv des Karfreitags und der Begegnung mit dem Priester), und dies, obwohl die religiöse Bedeutung des Grals selbst übergangen wird. Offensichtlich wird die Gralstradition seit Robert de Boron bewusst ignoriert. Natürlich ist auch die Problematisierung des Helden selbst hier unerwünscht. Vor dem Hintergrund des Kessels der Wiedergeburt geht es um die Wiedergeburt der eigenen Tradition und die Wiederbesinnung auf das inzwischen fremdgewordene Eigene. Ähnlich wie die Treue zum verstorbenen Vater und die Liebe zur Mutter in der mittelenglischen Romanze die Vorbildhaftigkeit des Helden ausweisen, genügt auch hier schlicht die erlösende Tat: »Peredur is always trying to do the right thing.«52 Wie in keinem anderen Rezeptionsbeispiel sagt sich die inselkeltische Adaptation des Chrétien’schen Gralsromans von der kontinentaleuropäischen Sakralisierung des Grals los, um zu verschiedenen Elementen der einheimischen Tradition zurückzukehren. Rezeptionsverweigerung als Widerstand gegen literarische Überfremdung verbindet sich jedoch zugleich mit der Suche nach neuen Lösungen. In beiden Fällen, sei es der keltischen Mythentradition, sei es der adligen Familienideologie, heißt Restauration zugleich Erneuerung und Korrektur der adaptierten Textvorlagen. Bemerkenswert ist, dass sowohl die nationalkonservativen kymrischen Bearbeiter als auch der anonyme Vertreter des mittelenglischen Landadels offensichtlich Kenntnis von der weitergehenden kontinentalen Gralsmystik der Estoire und der Queste hatten und so bewusst gegen das heilsgeschichtliche Diktat Front bezogen, indem sie diesen Widerstand auf die Perceval-Bearbeitung zurückprojizierten. Das postulierte ›Menschheitssymbol‹ à la Gerhard von dem Borne erscheint in dieser inselpatriotischen Perspektive als Ausdruck kontinentaler Hybris, der man mit bewusster Nichtbeachtung oder ironischer Subversion begegnet, um einen gralsfreien Raum des Erzählens mit Blick auf die Zukunft zu entfalten. Sollte man hier abschließend eine Parallele zu unserer politischen Gegenwart ziehen? Hony soit qui mal y pense!

|| 52 Roberts (wie Anm. 51), 86.

Jessica Quinlan

The Literary Legacy of Esclabor Genealogical Considerations on the translatio imperii in the Roman de Meliadus Abstract: This contribution discusses the narrative treatment of the translatio imperii motif in the Roman de Meliadus, which has come down to us as part of the Guiron le Courtois cycle. At the centre of the translatio action, genealogical considerations reveal a contrast between the strong lineage of the pagan knight Esclabor and the deficient dynastic structures surrounding the Roman emperor. The translatio also embraces the fate of the Arthurian realm in this romance, the depiction of which answers to the broader fundamental significance of genealogy as the basis of narration in this text. The present contribution examines the use of the principle of continuity, which forms the core of the translatio motif, in the fiction’s reflection on Arthurian narration.

In the Roman de Meliadus, an extension of the Tristan en Prose which tells the story of Tristan’s father and other knights of his generation (Uterpandragon, Urien, Lac, Ban, Claudas, Morholt), genealogical considerations stand at the core of the narrative, constituting the foundation of the plot material and providing the fundamental justification of the narrative act. This is a text of origins – not only in the sense that it establishes the lineage of certain central characters from the prose Tristan tradition (and beyond) and the genetic predisposition determining the idiosyncrasies which characterise them, but also owing to the abundance of embedded narratives that continually reflect the transformation of Arthurian gestes into aventure as a moment of Arthurian narration. The Roman de Meliadus and the Roman de Guiron, which is devoted to a newcomer with no pre-existing place in Arthurian genealogy, originally existed as two distinct texts which were subsequently brought together to form the cycle known today as Guiron le Courtois.1 The texts can be dated to approximately 1240;

|| 1 On the implications of Guiron’s lineage, see Sophie Albert, ›Brouiller les traces. Le lignage du héros éponyme dans le roman en prose de Guiron le Courtois‹, in: Christine Ferlampin-Acher and Denis Hüe (eds.), Lignes et lignages dans la littérature arthurienne. Actes du 3e colloque arthurien organisé à l’université de Haute-Bretagne, 13–14 octobre 2005, Rennes 2007, 73–84. https://doi.org/10.1515/9783110628104-004

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they are variously transmitted together, apart and in connection with the vast Arthurian compilation of Rusticien de Pise.2 As yet, no critical edition of the entire cycle or of the Roman de Meliadus alone has been published.3 Two prints were made of the Meliadus in Paris – Denis Janot’s edition of Meliadus de Leonnoys, dating from 1532 (or 1533), is virtually a reproduction of that made by Galliot Du Pré in 1528.4 Janot’s text, much of which corresponds closely to the Roman de Meliadus as transmitted by the fifteenth-century manuscript BnF fr. 355, was made accessible in facsimile form by Cyril Pickford in 1980; in the absence of a critical edition, it is to this text that the following remarks refer.5 The beginning of the Roman de Meliadus has been discussed by Sophie Albert in terms of a series of thresholds which the text crosses with some difficulty, the Arthurian sujet eventually emerging as the focal point of an elaborate prequel.6 The author’s prologue to the Roman de Meliadus, which is retained in the Paris

|| 2 For a recent systematic overview of the extraordinarily complex manuscript tradition, see Lino Leonardi and Richard Trachsler, ›L’édition critique des romans en prose: le cas de Guiron le Courtois‹, in: David Trotter (ed.), Manuel de la philologie de l’édition, Berlin, Boston 2015 (Manuals of Romance Linguistics 4), 44–80. 3 Parts of the cycle have been edited as follows: Guiron le Courtois. Une anthologie. Sous la direction de Richard Trachsler, éditions et traductions par Sophie Albert, Mathilde Plaut et Frédérique Plumet, Alessandria 2004; Guiron le Courtois. Roman arthurien en prose du XIIIe siècle, ed. by Venceslas Bubenicek, Berlin, Boston 2015 (Beihefte zur ZrP 363). Eilert Löseth, Le roman en prose de Tristan, le roman de Palamède et la compilation de Rusticien de Pise. Analyse critique d’après les manuscrits de Paris, Paris 1891, reprint New York 1990, 423–74, devotes an appendix to the cycle; Roger Lathuillère, Guiron le Courtois. Étude de la tradition manuscrite et analyse critique, Genève 1966 (Publications romanes et françaises 86), remains a standard work of reference. The international ›Gruppo Guiron‹ is currently preparing a collaborative edition of the full Guiron cycle under the direction of Lino Leonardi and Richard Trachsler; for preliminary considerations, see Lino Leonardi et al. (eds.), Le Cycle de Guiron le Courtois. Prolégomènes à l’édition intégrale du corpus, Paris 2018 (Civilisation médiévale 31). 4 The relationship between the prints is described by Barbara Wahlen, L’Écriture à rebours. Le Roman de Méliadus du XIIIe au XVIIIe siècle, Genève 2010 (Publications romanes et françaises 252), 299–304. 5 Meliadus de Leonnoys. 1532, Introduction by C. E. Pickford, London 1980. Wahlen (see note 4), 315–18, shows that Janot’s print was based not directly on BnF fr. 355, but on a closely related manuscript. For a compact overview of the composition of the printed Meliadus de Leonnoys in relation to the Roman de Meliadus as we find it in BnF fr. 355 and a number of further texts (the Roman de Guiron, the Continuation du Roman de Guiron, the Compilation by Rusticien de Pise and the Tristan en Prose), see ibid., 433. The portion of the Meliadus considered in this contribution refers exclusively to the early part of the print, which corresponds to BnF fr. 355. 6 See Sophie Albert, Ensemble ou par pieces. Guiron le Courtois (XIIIe–XVe siècles). La cohérence en question, Paris 2010 (Nouvelle Bibliothèque du Moyen Âge 98), 31.

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prints,7 defines and describes the place of the text and its author in the continuity of Arthurian writing, while the first episode in the diegesis depicts the beginning of the plot in terms of a journey to the Arthurian realm in the miniature tale of the knight Esclabor which is clearly centred on the principle of translatio imperii. The present contribution seeks to demonstrate the function of genealogical considerations surrounding the action of the translatio in the broader context of the interest taken by this text in the genesis of the narrative tradition. While reflections on lineage take on central significance in the depiction of the emergence of Arthurian narrative, its reception, which guarantees the continuity of the tradition, is also viewed as a fundamentally genealogical phenomenon. The Esclabor episode narrates the fate of a pagan knight sent with a number of family members from Babylon to Rome as part of a tribute paid by the pagan East to the Roman emperor. Shortly after his arrival, festivities at the court of the Roman emperor are interrupted by the escape of a lion who embarks on a bloody rampage; when Esclabor sees that the emperor intends to remain in situ while everybody else flees, he resolves to protect him, and ultimately slays the lion. As a reward, Esclabor and his family are granted freedom and enjoy privilege at the imperial court. The special affection of the emperor for Esclabor, however, quickly gives rise to jealousy among the other well-placed Roman courtiers, and as a result, they resolve to kill him. Under cover of darkness, the emperor’s nephew is mistaken for Esclabor and killed in his place. Esclabor is blamed and imprisoned for the act, but is later exonerated and the true culprit punished. Against the emperor’s wishes, Esclabor departs Rome with his family to set sail for the kingdom of Logres. The broader depiction of the general decline of the Roman Empire in the Roman de Meliadus since the time when the emperors ceded to papal command (chap. 1, fol. 2r: »commandement des papes«) has been discussed by Barbara Wahlen as a backdrop against which the translatio imperii – the transfer of power, glory and civilisation from East to West via Rome – takes on the character of a necessary consequence.8 Wahlen discusses the hierarchy postulated by the text between the Roman Empire and the kingdom of King Arthur in terms of the discrepancy between the projection of an idealized Arthurian chivalry and the sub-

|| 7 The author’s prologue is retained in the prints with a number of modifications – see Wahlen (see note 4), 296–97 and 330–34. 8 See Wahlen (see note 4), 82, and Barbara Wahlen, ›Nostalgies romaines: le parcours de la chevalerie dans le Roman du roy Meliadus, première partie de Guiron le Courtois‹, in: Margherita Lecco (ed.), Materiali arturiani nelle letterature di Provenza, Spagna, Italia, Alessandria 2006, 165–81, here: 165–72.

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liminal elements of treachery prevalent at the Roman court.9 This fundamental shortcoming is directly underlined and reflected in the diegesis by means of the emperor’s open condemnation of his subjects’ cowardice when faced with the bloodthirsty lion10 and in the later denunciation of the degenerate state of the court by the Roman subject who identifies the true murderer of the emperor’s nephew (chap. 7, fol. 5v: »vostre court va a rebours!«). Ex negativo, the spineless anxiety of the Romans is accentuated by the account of the deliberations which lead Esclabor to decide that if the emperor, whom he views – a mere two days after his arrival in Rome – as his »seigneur« (chap. 4, fol. 3r), should die in the clutches of the lion, he will die with him (chap. 3, fol. 2v: »il vouloit mourir avecques luy«). The Roman Empire, therefore, appears inferior in dignity and valour not just to the Arthurian sphere but also to the values embodied by the pagan knight.11 The exclusively positive characterisation of Esclabor begins, however, not with the show of bravery inspired by an uncompromising reflection on the moral demands of loyalty, but with the depiction of a strong lineage. Esclabor is introduced in this narrative as a knight blessed with many children all born by one woman; the son he loves most, Palamedes, is among the offspring who have made the journey to Rome with him: [...] et si fut envoie ung gentil homme payen ieune chevalier a merveille. Et avec luy vint ung sien frere gentil homme et assez ieune, et avoit a nom Esclabor et estoit ne de la cite de Babiloine, et avec luy vint sa femme qui avoit eu plusieurs enfans de luy, et de ses filz estoit

|| 9 See Wahlen (see note 8), 169–70. 10 The emperor addresses the following admonition to his men: »L’empereur [...] fait ses hommes rappeler et venir devant luy et leur dist: ›Mauvaisement avez tous fait, il n’a mie tenu a vous que n’aie este mort, car tous vous en estes fuiz mauvaisement et honteusement.‹« (chap. 4, fol. 3r). 11 The reference to the lion as »le lyon de l’empereur« (chap. 3, fol. 2v) underlines the implication of an attack from within, indicating a weakness inherent to the court and ultimately deriving from the emperor himself. As Claudio Lagomarsini, ›Le lyon de l’empereor est eschapez. L’inizio del Roman de Meliadus e il motivo del leone evaso‹, in: Antonio Pioletti and Stefano Rapisarda (eds.), Forme letterarie del Medioevo romanzo: testo, interpretazione e storia. XI Congresso. Società Italiana di Filologia Romanza (Catania, 22–26 settembre 2015). Atti, Soveria Mannelli 2016, 271–86, here: 283, notes in his study of sources and analogues to this episode, we are told that the lion breaks out here for the second time (chap. 3, fol. 2v), suggesting that a crisis has been pending for a longer period. Dirk Jäckel, Der Herrscher als Löwe. Ursprung und Gebrauch eines politischen Symbols im Früh- und Hochmittelalter, Köln et al. 2006 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 60), here: 183–85, draws attention to an old motif in which a rampant lion – himself the king of the animal realm – acknowledges regal qualities by refusing to attack his human counterpart. Might this episode, in which the death of the emperor at the claws of the lion seems imminent, imply a reversal of that accolade?

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avec luy celluy que mieulx aymoit. Cestuy estoit nomme Palamedes pour l’amour d’ung sien ayeul qui Palamedes estoit appelle. (chap. 3, fol. 2v) [...] and a pagan nobleman, a wonderous young knight, was also sent. And with him came a brother of his, a relatively young nobleman, and his name was Esclabor and he had been born in the city of Babylon, and with him came his wife who had had many children by him; and of his sons the one he loved most was with him. He was called Palamedes for the love of an ancestor of his whose name had been Palamedes.

The text twice underlines the role of love as a binding force in the patrilinear group here: the primary object of Esclabor’s paternal love not only consolidates the future of the line in a context indicative of demonstrative solidarity between father and son, but also serves as a focal point for the memory of an ancestor ›for the love of whom‹ Palamedes was named.12 The references to love indicate a lineage which views its own future by means of active remembrance of its past, providing an unmistakable image of genealogical promise which is enhanced by the reference to Esclabor’s further family members. He is accompanied by his wife, whose record in child-bearing is noted by the narrator, and his brother, who reinforces the sense of dynastic stability – the doubling of the brothers in Esclabor’s generation reflecting the profusion of siblings in the next. The problems which beset the imperial court are not limited to faint-hearted loyalty and a lack of moral courage in the entourage of the emperor; the clear accentuation of the favourable genealogical structures as the defining element of Esclabor’s family at the outset of the episode forms a backdrop which highlights striking deficiencies of lineage at the Roman court. While the Arthurian heroes are identified in this text largely by their sons, who guarantee the longevity of the narrative tradition, it is notable that the description of the court of the Roman emperor lacks any reference whatsoever to a son. We learn only that the emperor has a daughter, for Esclabor’s arrival at the court coincides with the nuptial festivities in honour of her marriage to a young nobleman: [...] advint que l’empereur donna sa fille a ung gentil homme qui en son hostel avoit long temps demoure, et pour celle feste veoir s’assemblerent de maintes estranges contrees tous les gentilz hommes, et moult fut grande la ioye et la feste qui fut faicte aux nopces. (chap. 3, fol. 2v) It came to pass that the emperor gave his daughter in marriage to a nobleman who had resided for a long time at his home, and all the noblemen of many foreign lands assembled to behold that celebration, and great was the joy and celebration at the wedding.

|| 12 The solidarity characteristic of this family is noted also by Albert (see note 6), 218.

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The wedding is clearly marked as an occasion of unmitigated rejoicing which unites the noblemen of many countries; yet although the emperor is seen here in the act of giving his daughter away (»l’empereur donna sa fille«), the text stops short of depicting the new alliance as an explicitly exogamous union. Certainly, the task of designating the new son-in-law as a true outsider might have created difficulties, considering the extent of the Roman Empire – as Barbara Wahlen has shown, the sense of decay evident at the imperial court predominantly affects the condition of chevalerie rather than the political structures.13 Not only, however, is the young man in question openly portrayed as an insider; the fact that he has long resided at the imperial court is the sole item of information the text provides with regard to him. The emperor, therefore, is depicted in the act of divesting himself of the only offspring which this text grants him, and of doing so in a manner which would seem to offer remarkably little dynastic potential. The celebration descends into chaos with the helter-skelter abandonment of the emperor by his men and the many noble guests whose presence at the wedding celebrations might under other circumstances have been taken as a sign of the successful consolidation of the Roman Empire: [...] ilz ne attendent tant ne quant, ains se tournent en fuyte diligemment, et vuyderent le palays le plus tost que ilz peurent en telle maniere que les ungs n’y attendoient les aultres, n’y le pere n’y attendoit le filz. (chap. 3, fol. 2v) They waited for nothing, but applied themselves single-mindedly to the flight, and they vacated the palace as quickly as they could, such that one did not wait for the other, nor father for son.

Viewing this crisis of loyalty in terms of the breakdown of the kinship bond fundamental to the patriarchal structure would seem to imply that imperial consolidation is unthinkable in the absence of the stability of lineage guaranteed by solidarity between father and son; conversely, this reference suggests, the latent deficiency which characterises the genealogical structures of the emperor’s family extends to the social cohesion and the dynastic consciousness of the Empire itself. A further shadow is cast over the festivities – and, by association, the occasion they mark – when the bloodshed caused by the lion disrupts the celebrations and definitively removes the daughter’s wedding from the focal point of the narrative. For the narrator implies that, when the banquet resumes, the wedding

|| 13 See Wahlen (see note 8), 172. The narrator refers to the emperor as »ung empereur a Romme vieil homme de grant aage et de grant puissance, et moult avoit este courtois, de belles parolles, et moult redoubte par le monde« (chap. 3, fol. 2v).

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seems forgotten, to be replaced by the adventure as the primary object of attention: Grant ioye firent et grant feste les barons a l’empereur de ceste adventure, et se devant avoit este la feste grande et merveilleuse pour les nopces de la damoiselle, or est greigneur a celluy poinct pour l’adventure de l’empereur. (chap. 4, fol. 3r) The emperor’s men greatly rejoiced and celebrated at this adventure, and if beforehand the celebrations had been great and wondrous for the wedding of the young woman, they were greater now in honour of the emperor’s adventure.

While the opposition between grant and greigneur might initially suggest a culmination of rejoicing, the image of invincibility thrust upon the Roman emperor in the wake of his survival of the lion attack is quickly debunked. The guests begin by attributing all credit for the slaying of the lion to the emperor: Et adonc dient entre eulx que vraiement estoit ce fait d’empereur et emprinse de hault homme comme il doit estre et que voirement ung tel homme doit bien tenir tout le monde en sa main. (chap. 4, fol. 3r) And so they remarked to one another that, truly, this was the deed of an emperor and the work of a great man, such as he must be, and that, truly, such a man must indeed hold the entire world in his hand.

Their assumption is erroneous – yet even after the emperor himself has identified the »bachelier« Esclabor (chap. 4, fol. 3r) as the hero of the day, his men continue to view the incident as »l’adventure de l’empereur«. This magnifies the emperor’s passive reaction in the face of danger ex negativo; more importantly, however, the implied reluctance of the barons to acknowledge the feat of Esclabor suggests a narrative failure at the imperial court, for the attempt to make a hero of the emperor involves an embedded narrative which ignores the facts of the diegesis.14 In its turn, this micro-festivity also proves short-lived, brought to an end by the return of the messenger from the kingdom of Logres, whose tales of the superlative

|| 14 A further and by far more serious narrative failure occurs when Esclabor is unanimously and somewhat implausibly declared the villain of the whodunnit surrounding the murder of Gratiam: »Et ceulx qui a Esclabor vouloient mal de mort disrent incontinent: ›Sire, qui le peust avoir fait sinon celluy qui chevauchoit avecques luy? Esclabor estoit avecques luy et nul autre n’y avoit‹« (chap. 6, fol. 4v). Esclabor, who had saved the emperor from death, is recast in this narrative in the role of the murderer of the latter’s closest male relative, while the passivity of the emperor – initially a courageous onlooker at the slaying of the lion, here the hapless listener duped by a narrative consisting exclusively of fake news – is vastly intensified.

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magnificence of King Arthur’s court herald a fundamental threat, if a less immediate one than the lion, to the integrity of Roman rule.15 While gaps in the imperial family tree are not explicitly addressed, it is noteworthy that the fulsome affection displayed by the emperor towards Esclabor is described in terms of overt kinship comparisons. Subsequent to the lion episode, we are told, Esclabor is treated by the emperor as a brother: »[...] Esclabor que il tenoit entour luy ainsi honnorablement comme se il feust son frere, et luy vouloit donner grant terre et grant richesse se il la voulsist prendre« (chap. 6, fol. 4r). Later, the depth of the emperor’s horror at the alleged murder of his nephew at the hands of Esclabor is exemplified by an intensification of this comparison: »Il aymoit de si grant amour Esclabor que, si il feust son filz, plus ne le peust aymer« (chap. 6, fol. 4v). Esclabor, therefore, is alternately viewed by the emperor as a (potential) surrogate brother and son, implying a void in the emperor’s lineage in precisely those positions occupied in Esclabor’s family by the male relatives who accompany him to Rome. It is significant in this context that the Roman emperor is given a nephew with whom he entertains a close bond. Here, the text seems to quietly advance the prospect of those strong and effective kinship ties associated with the avuncular relationship:16 Adonc l’empereur avoit ung nepveu moult bel damoiselet moult preux qui bien avoit quinze ans, si gratieux de son aage et si prise de toutes gens que c’estoit une merveille a veoir de luy. Le damoiseau eut nom Gratiam. Deslors qu’il sceut le hardement de Esclabor et il veit le grant honneur que l’empereur luy portoit, il se commenca a accointer de Esclabor. Et le commenca si bien a aymer pour la courtoisie que il veoit en luy, et pour la grant valleur que il avoit, que s’il feust son frere charnel il ne l’eust peu mieulx aymer de greigneur amour que il l’aimoit, et s’entreaimoient de si grant amour que l’ung ne povoit estre sans l’autre, tousiours estoient ensemble, ne nul ne les povoit departir d’ensemble tant s’entreaimoient de bonne amour. (chap. 6, fol. 4v) At that time, the emperor had a nephew, a most handsome young man of great prowess who was fully fifteen years of age, so gracious for his age and so praised by all people that it was a wonder to behold. The young man’s name was Gratiam. As soon as he learned of

|| 15 As Wahlen (see note 8), 170, notes, Arthur’s coronation is interpreted within the diegesis as a demonstration of divine approval for the supremacy of his court. 16 On the importance of the relationship between nephew and maternal uncle in Arthurian romance (with particular reference to Wolfram von Eschenbach’s Parzival), see Elisabeth Schmid, Familiengeschichten und Heilsmythologie. Die Verwandtschaftsstrukturen in den französischen und deutschen Gralromanen des 12. und 13. Jahrhunderts, Tübingen 1986 (Beihefte zur ZrP 211), 171–77.

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the bravery of Esclabor and registered the great honour shown him by the emperor, he began to seek out Esclabor’s company. And he began to love him so much for the courtliness he saw in him and for his great worthiness that if he had been his brother he could not have loved him with a greater love than the love he bore him, and they loved one another with such great love that one could not suffer to be without the other; they were always together, nor could anyone separate them, such was the great love with which they loved one another.

A number of factors combine here to suggest a further move towards the integration of Esclabor into the emperor’s lineage. For the younger man not only seems to wish to emulate the pagan knight by adopting him as something of a role model; the stark proliferation of instances of the lexical field of amour also unmistakably draws attention to the intensity of the mutual affection which binds these young men to the extent that they cannot be separated – not only does Gratiam’s love elevate Esclabor to the status of a frere charnel, it would seem that it is ultimately not even possible to tell the two apart, for when (in the darkness) Gratiam is killed in Esclabor’s place, the fate planned for Esclabor is allotted to Gratiam. Esclabor is not just compared, therefore, to a close relative of the emperor by means of the tertium comparationis of love; rather, he is implicated in a moment of action which identifies him completely with Gratiam, and so, unwittingly, and however briefly, the pagan knight usurps the privileged place of the emperor’s nephew. For the Roman emperor, the consequences of the encounter with Esclabor are ultimately disastrous: his efforts to incorporate the attractive stranger into his family definitively fail, while the only strong link in his lineage – the avuncular relationship to Gratiam – is annihilated with the murder of the nephew, a crime inspired by hatred for Esclabor. Finally, the emperor loses the man of whom he had tried to make a son to his worst enemy, Arthur. At the moment of his departure, the emperor seems to equate Esclabor with a man of imperial nobility who merely plans a prolonged absence from home: Et quant l’empereur veit et congneut que il estoit tout appareille de partir, il luy donna grant avoir, et largement luy donna ce que mestier luy estoit comme a haultesse d’empereur convenoit pour demourer hors de sa terre longuement. (chap. 8, fol. 6v) And when the emperor saw and understood that he was ready to leave, he gave him an abundance of possessions and generously provided him with all that he would need, befitting the nobility of an emperor, to remain outside of his land for a long period.

It seems difficult not to be reminded here of Gurnemanz’ mournful farewell to the young hero of Wolfram von Eschenbach’s Parzival (177, 14: »ir sît mîn vierder sun

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verlorn«):17 Esclabor repeats an argument often favoured by characters influenced by the Perceval and Lancelot traditions, who are keen to extricate themselves from intense parental or adoptive relationships in order to seek out the chivalric splendour of the Round Table, when he makes indirect reference to his lack of knightly experience: »Pour apprendre usage d’armes me veulx ie de vostre hostel partir« (chap. 8, fol. 6r). L’usage d’armes seems strangely absent from the lethargic Roman court.18 Esclabor’s reasoning draws additional justification from his concern for the future of his sons: J’ayme enfans de tel aage qu’ilz apprendront nourriture de chevalier en celuy hostel, et apprendront l’usage de porter armes, la doctrine des bons chevaliers qui en icelle court demeurent [...]. (chap. 8, fol. 6v) My children are at an age to grow up learning of knighthood in that house, and they will learn to carry arms, which is the teaching of the good knights who reside at that court.

Esclabor’s is not a quest centered on the prospect of individual success, but a decisive step in support of the translatio of chivalric honour and with it the narrative interest towards the Arthurian realm, a process which – at plot level – the Roman emperor, in apparent acknowledgement of the deterioration of his Empire, does all in his power to hinder. The (narrative) demise of the emperor is clearly foretold when Esclabor’s unmitigated courage and loyalty cause him to emerge naturally as the hero of the adventure falsely attributed to the sovereign; that a character thus lacking in narrative potential should be associated with a comparatively impoverished lineage is thoroughly consistent with the interests of this text, which presents itself as a preface to the adventures of the generation to come. Conversely, the determination shown by Esclabor to see his children come of age at the Arthurian court also effectively serves to establish patrilinear thinking as a factor essential to the advancement of the narrative action. As Sophie Albert has noted, the translatio imperii from Rome to Britain is illustrated at two separate points. We are told of Uterpandragon’s decision to halt the payment of tribute to Rome, of the murder of the Roman senator who travels to the kingdom of Logres to seek the tribute and of the decision of the Romans in view of the promise shown by the young King Arthur to refrain from further activity (chap. 2, fol. 2r) – there can be no doubt, therefore, even before the advent of Esclabor is narrated, as to the effective annihilation of the supremacy of Rome.19 || 17 Edition cited: Wolfram von Eschenbach, Parzival, ed. by Karl Lachmann, translated by Peter Knecht, Introduction by Bernd Schirok, Berlin, New York 2003. 18 See Wahlen (see note 8), 169: »Rome est devenue synonyme de félonie et de recreantise«. 19 See Albert (see note 6), 220–21.

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The later translatio associated with Esclabor’s departure towards the court of King Arthur merely confirms the efficacy of Uterpandragon’s measures – which is further illustrated by the messenger’s description of the overwhelming magnificence of Arthur’s coronation ceremony – and immediately shifts the narrative focus from a setting associated with the decline of sovereignty, the disruption of courtly order, and dysfunctional narrative to a milieu noted not only for its chivalric excellence but also overtly marked as a centre of narrative activity. There can be no question of an adequate discussion of the crucial structural function of metadiegetic insertions in the Arthurian action of this text here, but I would like to attempt to outline one aspect of their importance with reference to two examples drawn from the action surrounding Pharamond, the King of Gaule, who arrives at the court of King Arthur shortly after Esclabor and his brother. On his arrival, Arthur, who recognizes the anonymous newcomer, describes a previous encounter and thereby essentially foretells the initial part of the action of the impending episode (chap. 14, fol. 10r–11r). Pharamond’s remark to Arthur – »tel mestier fais comme feist mon pere, c’est de demener chevalierie« (chap. 14, fol. 11r) – highlights the devotion to knighthood as a hereditary quality, assuring continuity from father to son, while the king’s tale, on the other hand, functions as a protonarrative which engenders the action of the scene to follow. In this episode, incognito gives rise to a second flourish of narrative activity: Bliobéris recounts an adventure manifesting Pharamond’s prowess and intelligence, with no knowledge of the presence of the latter (chap. 16, fol. 13v–14v), while Arthur intentionally rebounds with a story depicting Morholt as a knight of surpassing excellence (chap. 16, fol. 14v–16v) and candidly requires Pharamond to decide – with »loyal iugement« (chap. 16, fol. 13v) – which of the two heroes is the more worthy. While Bliobéris is unaware of Pharamond’s identity and Pharamond remains oblivious to the fact that he is recognized by his host, Arthur is in a position to manipulate the multiple act of narration to his advantage, so that the narrative act begins to rival more conventional forms of chivalric prowess as a means of establishing superiority. Most importantly, however, embedded narratives of adventure provide Arthurian characters with a past. As a means of intradiegetic reflection on that past, they also enhance the significance of chivalry in the narrated present, implying the value of chivalrous deeds as the subject of tales yet to be told. As a result, the narration of adventure itself takes on genealogical character, as stories of the Arthurian past both shape and illuminate the narrative present, intertwining themselves with the temporal structure of the diegesis, safeguarding the continuity of Arthurian glory and all the while underlining its importance as the product of narrative.

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Arising from the observation that every famous knight is the son of his father, the Arthurian sphere is fundamentally characterised by productive genealogical and narrative structures; nonetheless, the prolepsis at the opening of the text noting the ultimate victory of Charlemagne and relating his judgement on Arthur’s failure to expand his territories openly belie the faith in the kingdom of Logres as the culmination of the translatio imperii (chap. 2, fol. 2r); the apex of imperial might will be reached only with Charlemagne.20 Even as Esclabor fixes his sights on the Arthurian realm, therefore, the waning of its heyday looms on the horizon. The first encounters with the Arthurian sphere indeed include subliminal warning signs whose significance becomes apparent in the juxtaposition with Esclabor and his brother. Firstly, Esclabor and his family do not make their way directly to Camelot, but settle initially in Northumberland, on the periphery of Logres, where Esclabor’s children will stay while Esclabor and his brother continue unencumbered on their journey to Camelot. The protagonist’s decision to leave his children is clearly at odds with the determination of his vow to see them educated in chivalric skills at the Arthurian court. On one level, the sudden loss of interest in Esclabor’s offspring on the part of the romance might suggest that their primary function indeed lies in highlighting the absence of a promising lineage at the Roman court. In addition, however, Esclabor’s change of plan seems to challenge the standing of the Arthurian court by tacitly advancing the Kingdom of Northumberland as a potential alternative focal point for the protagonists. On the part of both the text and its protagonist, the choice of Northumberland appears particularly remarkable in view of Sophie Albert’s observation regarding the characteristically problematic connotations of the region in Arthurian romance.21 The text makes clear, in any case, that Northumberland provides a more than adequate setting for the education of young knights, which at the very least denies the Arthurian court the exclusivity of its claim to chivalric excellence: En telle maniere comme je vous ay compté demoura Esclabor et toute sa mesgnie dedans le royaulme de Norhombelande. Et la dedans fut nourry Palamedes qui fut tres bon chevalier au temps que Lancelot et Tristan regnerent. (chap. 12, fol. 9r)

|| 20 On the role of Charlemagne in the romances related to the Tristan en Prose, see Lynette Muir, ›Le personnage de Charlemagne dans les romans en prose arthuriens‹, Boletín de la Real Academia de Buenas Letras de Barcelona 31 (1965/66), 233–41. 21 See Albert (see note 6), 224: »Le pays d’au-delà du Hombre est pourvu de traits ambigus dans les textes arthuriens: tantôt décrit comme une terre inculte et sauvage, aux franges de la merveille ou de la magie noire, tantôt, on le verra à propos du Roman de Guiron, comme un royaume aux usages illégitimes, il est toujours enveloppé d’une aura inquiétante«.

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In the manner in which I related to you, Esclabor and his entire entourage stayed in the kingdom of Northumberland. And there Palamedes was raised, who was a great knight in the reign of Lancelot and Tristan.

Secondly, initial impressions strongly suggest that the idealised image of the Arthurian court is besmirched by problems perhaps less rampant than those which beset the Roman court, but which contrast nonetheless starkly with the stable social structures represented and propagated by the brothers Esclabor and Alphazar. For the first, indirect encounters with the Arthurian realm offer two – unfavorable – variations on the theme of fraternal relations. The first Arthurian knights to appear in the diegesis arrive as intruders in the Northumberland scenery, a pair of brothers »de Kamalot mesmes« (chap. 11, fol. 8r), who seek to kill King Pellinor of Northumberland by stealth, hoping to surprise him unarmed during a hunt. When Esclabor and his brother spring to the defence of the king, it is clear that the confusion arising from the narrator’s references now to »les deux freres«, now to »les freres« (chap. 11, fol. 8v), is no accident, but serves to highlight the negative symmetry between the perfidious brothers stemming from the heart of Arthur’s realm on the one hand and the unbending loyalty which inspires every act of Esclabor and Alphazar on the other. The underhanded tactics of the Arthurian brothers present a dire negation of chivalric dignity. The theme of problematic fraternal relationships recurs soon after, when, on their arrival at Camelot, the brothers find the court in upheaval – »courrouce et marry« (chap. 13, fol. 9v) – as a result of the death of Nestor, murdered at the hands of his own brother. In marking the successful conclusion of a personal quest, the arrival of Esclabor and Alphazar at the court of King Arthur testifies to the role of enduring fraternal solidarity in chivalric endeavours; accordingly, their very presence in Camelot combines with the king’s dismay to highlight the potential for genealogical dysfunction in the Arthurian sphere. All in all, therefore, the first encounters with the Arthurian world are attended by a sense of moral unease visible in fraternal configurations which seems to presage the crumbling of Arthurian grandeur. The ultimate demise of the Arthurian realm is established by the prolepsis concerning Charlemagne, yet Esclabor and Alphazar are transfixed and fulfilled by Arthur’s regal qualities: »sa bonte et la courtoisie, sa valleur et sa gentillesse et sa grant largesse« (chap. 13, fol. 10r). The pair now promptly retreat from the foreground of the action, their story at a happy end, so that the Arthurian court, if not the ultimate culmination of the translatio imperii, sets a fermata with the character of a (preliminary) conclusion in the overall movement from East to West. It is significant that the narrative interest is definitively established in the time and space of King Arthur; the two later references to the supremacy of Charlemagne are couched as acts of homage on his part to prominent Arthurian heroes,

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confirming the status of Arthurian chivalry as the standard by which all subsequent acts of knighthood are to be measured. Charlemagne’s visits to the monuments erected by Arthur to the memory of Meliadus – the silver statue (chap. 47, fol. 72r) and the chapel with great copper doors dedicated to Meliadus and Ariohan (chap. 127, fol. 176r–v) – portray him as the recipient of depictions of superior chivalry; the doors of the chapel are inscribed with faithful portraits of each knight alongside a verse description of their battle composed in the first person, so that here Charlemagne becomes in the strict sense a reader of Arthurian adventure.22 His admiration of Meliadus is absolute, and – remarkably – phrased in terms which fundamentally question the value of his own dominion: ›Ha!‹ dist il. ›Se ie trouvasse maintenant ung tel homme comme celluy dont la figure est entaillee icy, comme ie feroye grant merveilles pour sa compaignie.‹ Et ses chevaliers luy commencerent a demander, ›Sire, pour Dieu, que feriez vos?‹ ›Or sachez‹, dist l’empereur Charlemaigne, ›que ie le couronneroye de ma couronne s’il luy plaisoit, et laisseroye tout l’honneur que i’ay pour luy donner, saulve l’honneur de chevalerie, par convenant seulement qu’il voulsist estre mon compaignon.‹ (chap. 127, fol. 176v) ›Oh!‹ he said. ›If I were to come upon such a man now as the one whose image is carved here, what wonders I would do to win his companionship!‹ And his knights asked him: ›Sire, in God’s name, what would you do?‹ ›For know‹, said Emperor Charlemagne, ›that I would crown him with my crown, if he so wished, and I would forgo my entire renown in order to give it to him, bar the renown of chivalry, on the sole condition that he agree to become my companion.‹

While the insertion of Charlemagne’s reflections on his position vis à vis Arthurian chivalry, therefore, serves as a repeated reminder that the translatio imperii as narrated within the time frame of the primary diegesis is incomplete, the emperor’s unequivocal laudatio temporis acti radically relativizes the importance of its final stage. Apparently overwhelmed by the accounts of Arthurian chivalry he cannot touch, Charlemagne willingly volunteers to relinquish his very crown – by implication challenging the direction of the translatio, while insisting that he retain his renown as a knight. At the same time, the feats of Meliadus thus commemorated are viewed by the text (at least partially) from the perspective of their endurance as a narrative subject, so that Charlemagne’s devotion entails a moment of intradiegetic reflection not only on the wonders of Arthurian chivalry, but also – and perhaps even primarily – on the mechanisms and impact of Arthurian narrative. It is significant in this context that the text does not posit the fame attached to the remarkable Arthurian monuments as a simple matter of course,

|| 22 See Wahlen (see note 4), 86–94.

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but insists at considerable length on the oral transmission preceding Charlemagne’s decision to visit them. Particularly striking in this regard is the description of his reception of knowledge pertaining to the chapel:23 [...] et les anciens du pays luy compterent ainsi comme ilz avoient ouy compter a leurs peres et a leurs antecesseurs la grant bataille qui avoit este entre les Sesnes et ceulx de Logres, et comment ilz se estoient accordez des deux pars, et comment pour ceste bataille derniere se combatirent ces deux bons chevaliers le roy Meliadus et Ariohan de Soissongne, et comment la bataille avoit este si merveilleuse que devant celluy temps n’avoit eu nulle si fiere de deux chevaliers. Et pour recordance d’icelle bataille avoit illec le roy Artus fait faire une chappelle, la plus belle et la plus riche du pays. (chap. 127, fol. 176v) And the old people of the country recounted to him the great battle which had taken place between the Saxons and those of Logres, just as they had heard their fathers and forefathers recount it, and how the two sides had come to an agreement and how in this final battle those two good knights King Meliadus and Ariohan of Saxony had fought and how the battle had been so wondrous that never before that time had such vigorous combat between two knights taken place. And in memory of that battle, King Arthur had had a chapel built, the most beautiful and the most sumptuous in the country.

In this passage, Charlemagne is depicted as a recipient of Arthurian material many times over, his visit to the commemorative monuments preceded and seemingly shaped by his encounter with the orally transmitted narrative. By implication, when the »anciens du pays« convey the tale of the duel handed down from father to son to Charlemagne, he is integrated in a genealogy defined by this oral transmission. The continuity thus established seems to enable the emperor to partake personally in the Arthurian legacy. For in both scenes, the emperor purposefully modifies the monument, in one form or another leaving his mark before moving on. In the case of the statue, where he has the stone upon which Meliadus’ image sits replaced by a structure fashioned of gold embedded with gems (chap. 47, fol. 72r), Charlemagne’s expression of reverence towards Meliadus seems clear.24 The significance of his addition to the chapel, however, is somewhat less

|| 23 Charlemagne’s wish to see the statue of Meliadus is also depicted as the result of a narrative process: »Quant il [Charlemagne, J. Q.] vint en la grant Bretaigne et i l o u y t l e s h a u l t e s o e u v r e s d u R o y M e l i a d u s , et comment le Roy Artus avoit faict faire ung chastel en la remembrance de luy, aussi que dessus le chastel en la maistresse tour avoit faict mettre des images qui estoient telles que plus belles ne peult on trouver en celluy temps. Si dist adoncques qu’il vouloit veoir les images et le chastel« (chap. 47, fol. 72r, my emphasis). 24 In the medieval manuscript tradition, Charlemagne modifies Meliadus’ crown – replacing a crown either of silver or of gold, but lacking in gems, with one of gold and precious stones. On the variations and contradictions surrounding this point, see Albert (see note 6), 249. Specific reference is made to BnF fr. 355, where Arthur sets a crown of gold on the head of the statue of

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so. Charlemagne vows, »pour l’amour des bons chevaliers qui icy se combatirent feray ie honneur a ceste chappelle« (chap. 127, fol. 176v), and thereupon orders that his shield and helmet be suspended inside. Wahlen rightly points to the metonymic significance of the items as expressions of chivalric dignity and views the gesture as a move on the part of the emperor to situate his own renown within Arthurian commemoration, while »eclipsing« the place of King Arthur.25 It seems to me that Charlemagne’s wish to promote his own chivalry is considerably more prominent here than an intention to negate the standing of Arthur, for his act is one of addition rather than of replacement, and his vow to honour the chapel would indeed suggest a moment of reverence. Charlemagne’s decision to insert – and, indeed, display – the emblems of his chivalry in the commemorative narrative setting established by King Arthur is also a sign of adherence to an Arthurian model of commemorating and dignifying what Charlemagne himself calls »l’honneur de chevalerie«.26 If the logic determining that the translatio imperii which began with the transfer of pagan knights from Babylon to Rome must end with the ruler whose conquests are unparalleled is not questioned, there is a level at which Charlemagne cannot supersede the Arthurian realm: by processes of narrative and to narrative ends, he is drawn to defer to its influence, ultimately seeking a place for himself in the Arthurian story. Charlemagne’s reception of the story describing the battle between Meliadus and Ariohan illustrates the perpetuation of a narrative tradition which is envisaged intradiegetically in the simple form of oral transmission from father to son. On the one hand, this reflects the goal of illuminating the origins of Arthurian tradition – understood in the immediate sense as a quest to uncover the previous generation – which lies at the centre of this retrospective prequel; the implied correspondence between genealogical continuity and narrative sustainability also answers to a consideration which shapes the action surrounding Esclabor. In an episode which both emphatically rules out the possibility of stable and resilient imperial governance in an environment characterised by the absence of a strong lineage and questions the capacity of such an environment to support narrative development, Esclabor – portrayed continuously in the context of genea-

|| Meliadus which Charlemagne later replaces with a gold crown embedded with gems. Albert (ibid.), 245f., also outlines the difficulty in pinpointing the precise semantic implications of the crown in this passage. 25 See Wahlen (see note 4), 94. 26 See ibid., 87: »Charlemagne en confirmant l’historicité du monument et donc de la geste arthurienne, s’inscrit du même mouvement dans une continuité temporelle et s’insère dans la lignée des chevaliers arthuriens. Or, il s’agit bien [...] de mettre en scène une filiation [...]«.

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logical considerations of one form or another – emerges as the subject and vehicle of narrative focus. As the unsung hero of the lion attack and the falsely convicted victim of an intrigue at the heart of a vulnerable regime, the character of Esclabor gives rise to a reflection on narrative malfunction. While the implication of a truncated lineage at the Roman court seems to signal an impending rupture in the continuity of Roman rule, Esclabor’s depiction as the head of a flowering dynasty ready to establish a new branch based on chivalric ideals reflects an immediately palpable optimism in the text surrounding the viability of the Arthurian project. This finds confirmation in the proliferation of metadiegeses surrounding the deeds of Arthurian heroes defined in significant part by the promise of the generation to come. Meliadus outlines the prehistory of a realm whose enduring greatness, ultimately acknowledged and fostered by Charlemagne himself, is of a narrative order. In principio the text places a character of more modest dimensions whose trajectory demonstrates the role of strong lineage in the generation of narrative.

Franziska Meier

The Matter of Britain and Rome in early 14th-century Tuscany Reflections on Dante’s Inferno V and the anonymous poem L’Intelligenza Abstract: The article reflects upon the way in which Tuscan authors dealt with the Matter of Britain at the beginning of the 14th century. Contrary to a widely-held belief that Italians swiftly distanced themselves from Arthur’s fabulous world, this article shows how Dante in Inferno V and the anonymous writer of the poem L’Intelligenza made significant efforts to link Arthur’s lustful empire, which claimed direct descent from Rome and was doomed to collapse, with notions of a perennial Rome and of virtuous Romans whom they ultimately regarded as their own ancestors.

The picture that literary histories and handbooks of early Italian literature use to sketch out the way in which the Matter of Britain was received in 13th- and 14thcentury Italy is a rather confusing one. You rarely find specific articles in Italian handbooks about how the Matter of Britain was diffused or about the reason or the extent to which Italian writers found delight and inspiration in it. Although an article in the Atlante della letteratura italiana is dedicated to French literature in medieval Italy, its focus is on Provençal poetry.1 Through graphics and statistics, it makes a strong case for the profound impact made by the troubadours on early vernacular poetry, while considering the impact of Old French romances to be limited. However, there can be no doubt that, from the 12th century onward, the matière de Bretagne infiltrated the peninsula – to which the presence of names such as Tristan and Lancelot in early documents bears testimony – and continued to hold Italy under its sway throughout the 14th century.2 As far as Dante Alighieri, Giovanni Boccaccio and Francesco Petrarca are concerned, Arthurian

|| 1 Cf. Luca Morlino, ›La letteratura francese e provenzale nell’Italia medievale‹, in: Sergio Luzzatto and Gabriele Pedullà (eds.), Atlante della Letteratura Italiana, Turin 2010, 27–40. 2 A different impression of the reception of the matter is conveyed by Krauss in his still-valid overview: Henning Krauss, ›Der Artus-Roman in Italien‹, in: Hans Robert Jauss and Erich Köhler (eds.), Grundriß der Romanischen Literaturen des Mittelalters, vol. 4: Le Roman jusqu’à la fin du XIIIe siècle, Heidelberg 1978, 667–75. https://doi.org/10.1515/9783110628104-005

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characters do still figure in their poetry, but only at the margins. Apart from very few exceptions,3 it has become commonplace in research to say that the ›Three Crowns‹ were increasingly committed to distancing themselves from the notorious knights and ended up dumbing them down.4 Dante, then, marks a tentative starting point to this policy of extermination. He was too much indebted to the erstwhile popular Italian infatuation with the Matter of Britain, famously paying tribute to the delightful langue d’oïl and to the romans in De Vulgari Eloquentia (I, X, 2). Even more confusing is the picture of the impact that, according to current research, the Matter of Britain had on different geographic areas. Its reception seems to have been confined to the very north and south of the country, that is, to those areas whose feudal structures shared a sociological familiarity with Arthur’s Round Table and tended to knowingly imitate French courtly manners as closely as possible. However, a slight distinction is usually made, as Italian sociopolitical circumstances have shifted interest away from the knights at Arthur’s court toward his courtly rebels. As for Tuscany, the city communities are said to have been immune to the intrusion and spread of Arthurian romances due to their political and social organization. However, it is in this very place that the Matter of Britain, mostly copied in the Genovese and Pisan area, was rewritten and transformed by some very talented compilers – among them Rustichello da Pisa – and originally appropriated by poets, among them the ›Three Crowns.‹

|| 3 Some scholars, most of all Karlheinz Stierle, are convinced that Dante’s journey to the afterlife was inspired and modelled on the traces of Percival’s search. Yet, Stierle’s reading is a highly typological interpretation which cannot be confirmed by any documentary evidence of Dante’s reading of Chrétien de Troyes. Cf. Karlheinz Stierle, Das große Meer des Sinns: Hermenautische Erkundungen in Dantes Commedia, Paderborn 2007, 305–34. 4 Christopher Kleinhenz, for instance, has traced a growing historical consciousness from Dante, who took the Arthurian knights as historical figures, to Boccaccio, who took them with a pinch of salt, and finally to Petrarca, who discarded them as mere, but unfortunately tempting dreams. By distancing themselves from the Matter of Britain, Boccaccio and Petrarca are supposed to mark the rising humanism distinguished by a more accurate historical consciousness. Cf. Christopher Kleinhenz, ›The Arthurian Tradition in the Three Crowns‹, in: Gloria Allaire and F. Regina Psaki (eds.), The Arthur of the Italians: The Arthurian Legend in Medieval Italian Literature and Culture, Cardiff 2014, 158–75. Cf. also Daniela Branca, I romanzi italiani di Tristano e la tavola ritonda, Florence 1968, 14: »Tra il secondo Duecento e il primo Trecento, le nostre migliori esperienze letterarie sembrano estranea alla materia arturiana, che pure cominciava propria allora a diffondersi largamente in Italia grazie ai primi volgarizzamenti. Oltre profonde diversità di cultura e d’intenti artistici, non è da escludere che tanto gli stilnovisti che l’Alighieri considerassero questa letteratura, se non proprio con un certo disprezzo, almeno con l’aristocratico distacco di chi è desideroso di navigare per un’acqua che ›già mai non corse‹.«

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The aim of this article is not to give a more precise picture of the lines along which this reception evolved in Italy, but to find out more about what happened to the Matter of Britain in Tuscany around 1300. My question is whether and to what extent poets in Tuscany at the turn of the 14th century, who proudly walked in the footsteps of the Romans, took a fresh look at Breton knights and ladies and, specifically, at how they connected with other matters, most of all to the history of Rome. In other words: The question is whether the manifold Arthurian traces are to be looked upon as the innocuous remnants of the medieval encyclopedic traditions with which the poets happily, though decreasingly, continued to meddle,5 or if they rather point towards a high-flown ambition within the emerging Tuscan culture, i. e. to assign a new position to Arthur’s court within an Italian, Rome-based vision of order and world history.6 It is from this second perspective that I would like to reconsider Dante and his way of tackling Arthur’s knights and ladies in the Inferno. I would therefore prefer to leave aside what is described as his and his contemporaries’ naivety in taking Breton characters to be historical figures. It is more worthwhile to compare and contrast the Inferno with the literary adventures of Dante’s time and to sound out the extent to which they also tried to put the Arthurian knights into a new perspective. For reasons of genre and space, this article does not take into account the collection of short narrations Il Novellino, in which similar, self-conscious ways of dealing with Arthurian characters are deployed,7 instead examining only the anonymous poem L’Intelligenza.8

|| 5 According to Marco Berisso, the poem L’Intelligenza is to be placed within the encyclopedic poetry of the 13th century. Similar to the poem Il mare amoroso, it is pervaded by »lo stesso gusto, un po’ paradossale, per l’accumulo di sintagmi e figurazioni percepite ormai come cristallizzate«; cf. his introduction in: L’Intelligenza, poemetto anonimo del secolo XIII, ed. by Marco Berisso, Parma 2000, IX–XXXVI, here: XXII. 6 Cf. Roberta Capelli, who takes Antonio Viscardi’s saying as a starting point: »›As the verses of the troubadours were placed on an equal plane with academic Latin poetry by the cultivated classes of Italy, so also the Matter of Britain was adopted into the historical manuals along with the narratives of the Bible and of pagan antiquity.‹ The immense success of King Arthur’s adventures produced socio-literary icons whose stylized and highly evocative nature turned them into symbolic examples of human, cultural and rhetorical values, absorbed by the Italian artistic and ideological framework and adapted to its need and directions«; Roberta Capelli, ›The Arthurian presence in Early Italian Lyric‹, in: Allaire and Psaki (see note 4), 133–44, here: 133. 7 Cf. for more information about the underlying educational program, Franziska Meier, ›Vom Schicksal der Artus-Ritter in der italienischen Novellistik um 1300: Ur-Novellino und Novellino‹, in: Wolfgang Asholt et al. (eds.), Engagement und Diversität. FS Frank-Rutger Hausmann, Munich 2018 (Romanische Studien, Beiheft 4), 105–19. 8 Concerning the probable background of the compiler, cf. the well-researched and accurate introduction by Marco Berisso in the edition of L’Intelligenza (see note 5), IX–XXXVII.

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1 Arthurian knights in Dante’s Inferno: Building up a second line of translatio imperii It is in the fifth canto of the Divine Comedy – the place to which the lustful are condemned – that the errant knights make their first brief appearance on Dante’s stage. In the previous canto – about Limbo – the poet introduces a specific and enduring pattern that he deploys throughout the Commedia. By presenting groups of dead souls, he handpicks the figures and separates them into groups, which he ranks. In Limbo, for instance, he does not omit Arab figures. Here, Dante conjures up Saladin, but makes him a marginal character. While he might not differentiate between legendary and historical figures, he is certainly sensitive to cultural differences and is keen on dividing up the characters according to the civilizations they belong to. Dante resumes this pattern in the fifth canto when applying it to the first group of real sinners. He starts with the biblical and/or ancient world, and ends with the modern era, which comprises a period starting in the Middle Ages and stretching right up to his own time. In the fifth canto, it is Virgil who sets out the ›who’s who‹ of sinful lovers. He begins with the Babylonian queen Semiramis and spends an entire terzina on her incestuous desire as an unparalleled exemplar of criminal lust. He then passes on to Dido and Cleopatra: in a single terzina he highlights Dido’s unfaithfulness to her dead husband, mentioning neither Aeneas nor her unhappy love for him, while summing up the character of Cleopatra with the all-inclusive adjective lussuriosa, i. e. the very essence of the punished sin. In the following terzina, Virgil takes his pupil Dante back to Troy. He highlights Helen and then Achilles. In the first verse of the next terzina, he moves on to the Trojan Paris and, all of a sudden, to Tristan: »Vedì Parìs, Tristano« (Inferno V, 67).9 Here, Virgil’s speech ends abruptly. It is the comma that continues to puzzle readers, as it consumes the centuries that separate the Bronze-Age hero from the medieval knight. From the outset, the first commentators seemed driven to expunge the gap and tell the story of Tristan and Iseult, as Boccaccio did in his commentary, or to explain it away by relating the name Paris to an eponymous Arthurian knight whom Dante could not have known because the romance was composed after his death.10 If the

|| 9 Cited edition: The Divine Comedy of Dante Alighieri: The Italian text with a translation in English blank verse and a commentary by Courtney Langdon, vol. 1, Cambridge 1918. 10 Cf. Dante Alighieri, Commedia, ed. by Anna Maria Chiavacci Leonardi, vol. 1, Milan 1991, 148–49: »Si deve escludere di intendere qui l’omonimo cavaliere medievale amante di Vienne, perché il romanzo a loro intitolato è posteriore al tempo di Dante (Renucci).«

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reader does not want to write off the unlikely succession as an unconscious leftover of medieval practice, as Antonio Viscardi claimed in the 1930s,11 he or she will always face the question as to why Dante’s Virgil names Paris and Tristan without any connection, explanation, or distinction: Elena vedi, per cui tanto reo tempo si volse, e vedi ’l grande Achille, che con amore al fine combatteo. Vedì Parìs, Tristano (Inferno V, 64–67). See Helen, for whose sake so long a time of guilt rolled by, and great Achilles see, who fought with love when at the end of life. Paris and Tristan see.

The four verses are distinguished by several movements or shifts. Following the series of names, the reader shifts from the East, from Asia – the very continent that the Romans associated with lust – to Asia Minor, i. e. to Troy, and from there directly to the medieval northwest, the empire of Brittany. The Romans are visibly left out in this movement. Of course, Cleopatra hints at them and so does Dido, but only indirectly. Women associated with the Orient represent the dangers and temptations to which Roman virtue was exposed but would overcome in the end. It is also interesting to note that Dante chose the unusual form Parìs.12 His ›master‹, Brunetto Latini had picked Parì,13 while the common Italian form is Paride; the poem L’Intelligenza features the still more telling name Parigi (stanza 71). Even though Arthurian names were frequently and confusingly altered in Italian,14 this unusual form could be taken as an implicit hint at the topographical meaning, connecting Troy with the capital of France. By doing so, Dante might have wanted to bring a second line of transmission into play, going from Troy to Old French culture and thereby creating a kind of sinful peer to Virgil that culminates in Rome. However, either way, it is hard to prove whether Dante had an understanding of the previous Norman kings’ political ambitions to counterbalance the many burgeoning legends around Charlemagne, the prestigious heir to

|| 11 Cf. Antonio Viscardi, ›Arthurian Influences on Italian Literature from 1200 to 1500‹, in: Roger Sherman Loomis (ed.), Arthurian Literature in the Middle Ages: A Collaborative History, Oxford 1959, 419–29, reprinted in Antonio Viscardi, Richerche e interpretazioni mediolatine e romanze, Milan 1970, 657–68. 12 The form Paris also occurs (passim) in Binduccio dello Scelto’s volgarizzamento La Storia di Troia. Cf. Binduccio dello Scelto, La storia di Troia, ed. by Maria Gozzi, Milan 2000. 13 Cf. Brunetto Latini, La Rettorica, ed. by Francesco Maggini, Florence 1968, 189. 14 Cf. Maria Luisa Meneghetti, Storie al muro: Temi e personaggi della letteratura profana nell’arte medievale, Turin 2015, 155 and 175–76. The most confusing case is the Italian version of Galeotto, whose title refers to two different characters.

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the Roman Empire, by creating the mythical King Arthur, whose ancestors just happened to be the early kings of Rome. From this enumeration of sinners emerges a second shift that concerns gender. Up to the terzina above, women largely prevail. Then, Helen gives way to men. But Virgil briefly allows himself to indulge in Achilles’ defeat and only drops the names of Paris and Tristan. Does Dante want to keep male lust out of the limelight? And why is he suddenly so keen on forming a couple? It is true that he keeps Helen and Paris separated, but using the same, though inverted formula is strongly suggestive, that is, using vedì in the two openings of the respective terzine. While Achilles is left to an exclusive struggle with Amor, the name ›Tristan‹ following Paris may automatically imply the female lover. Shortly afterwards, when Dante the poet resumes the narration, he slides from the »più di mille / ombre« (Inferno V, 67–68), in which, due to the enjambement, the word mille is – briefly – suspended, to the formula of the »donne antiche e ’cavalieri« (Inferno V, 71), which Ariosto would quote two centuries later and which somehow forges the sinful lovers into couples. This strategy is fully deployed in Francesca and Paolo. The third shift concerns time and occurs between Paris and Tristan. Whereas Dante’s challenge in the fourth canto was to find a place in the Christian afterlife for his great pagans, in the fifth canto it was to bring together figures from very different epochs – while always maintaining his commitment to a neatly organized and hierarchized order. Ancient pagans in the Commedia usually enjoy a kind of splendid isolation among their Christian fellows because they keep their haughty appearance and impressively unaffected grandeur in hell. For this reason, too, the simple juxtaposition of Paris and Tristan is puzzling. At first sight, the sharp succession, in fact, may look like a remnant of Amor’s levelling dictatorship, which takes neither cultural nor social distinction and ranks into consideration. The description of Achilles is but one case in point, and Dante passes over the insidious trap that Polixena’s family sets. What is more, Inferno V actually ignores Amor’s triumph in favor of God’s justice, which punishes those who have yielded to their own sexual desire instead of following the voice of reason – of living up to their free will (libero arbitrio). Consequently, the bizarre juxtaposition is unlikely to be due to Amor’s levelling dictatorship. The enigmatic passage is too short to allow for a clear interpretation. The juxtaposition could imply a downgrading of the Trojan Paris, which is unlikely, because Dante, in the footsteps of Virgil, preferred the Trojans to the Greeks and did not condemn Paris. Inversely, the juxtaposition may be meant as an ›upgrading‹ of the medieval knight. However, such an valorization is unlikely, as Virgil breaks off without adding anything more, and the narrator, Dante, places Tristan in the

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midst of »mille / ombre« (Inferno V, 67–68). Instead, the name Tristan seems to be used as a surrogate for all of the other knights and contemporaries who are not worth mentioning for their own sake. This reading becomes more convincing if we turn to Giovanni Boccaccio, who employs a similar generic formula in his Visione Amorosa as a slightly derisory allusion to the proliferation of knights in the Middle Ages.15 If we believe the commentators of the Divina Commedia, Tristan’s brief appearance simply paves the way for the modern world and, in particular, for the exchange with Francesca and Paolo, whose sad end is heavily based on Arthurian romances and most of all on the Prose Lancelot.16 But this would mean that Dante dropped a name for purely structural reasons without considering order. Again, this is an unlikely proposition. Why, then, did Dante play on this bold juxtaposition? The terzina is also striking because, in Helen’s case, Virgil speaks neither about her sexual desire nor about her breaking the oath she had sworn to her Greek husband – as he did in the case of Semiramis or Dido. Our attention is entirely drawn to the universal disaster and crime centered on her and brought about by her beauty. If we leave aside Achilles’ topical fight against the God Amor, in Paris and Tristan – whose story precedes the story of the destruction of Arthur’s kingdom in La Mort le Roi Artu17 – Dante may again be reminding the reader of individuals whose passion drove not only themselves, but also a city and even a civilization to destruction and self-destruction.18 Retrospectively, the same is true of Semiramis, who is said to have ruled a territory that, as Virgil adds, is now governed by the Sultan.19 By picking the verb correggere, the Sultan’s reign

|| 15 Cf. Canto XI, l. 1–3: »Venia dopo costor gente gioconda / ne’ loro aspetti, tutti cavalieri / chiamati della Tavola Rotonda«. Cited edition: Giovanni Boccaccio, Amorosa visione, ed. by Vittore Branca, Milan 1974. 16 Cf. Chiavacci Leonardi (see note 10), 149: Tristan »serve da ponte fra gli antichi cavalieri del mondo classico e la moderna storia che si sta per narrare«; cf. also Kleinhenz (see note 4), 158. 17 La Mort le Roi Artu, according to Daniela Delcorno Branca, enjoyed particular enthusiasm in 13th-century Italy. The story of the destruction is also featured in the later Tuscan Tavola ritonda as well as in several Cantari from the end of the 14th century; cf. Daniela Delcorno Branca, ›Prospettive per lo studio della Mort Artù in Italia‹, in: A. M. Finoli (ed.), Modi e forme della fruizione della materia arturiana nell’Italia dei sec. XIII–XIV, Milan 2006 (Incontro di studio 41), 67–83. 18 It is telling that Dante turns to Arthur’s fatal end in Inferno XXXII, 61–62. Among the traitors he recalls Arthur’s son Mordret as a particularly bleak example of treason towards family members. Nonetheless, Mordret is said to be largely beaten by the profound evil of two Italian counts, the brothers Alberti. 19 Cf. Inferno V, 60: »tenne la terra che ’l Soldan corregge«. Semiramis did not refrain from changing laws in order to legitimize her incestuous love. Inferno V, 55–57: »A vizio di lussuria fu sì rotta, / che libito fé licito in sua legge, / per tòrre il biasmo in che era condotta.«

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is ultimately qualified as a correction, that is, as the belated punishment of Semiramis’ sins. Undoubtedly, the interdependency of unlawful love and political destruction does matter to Dante. From this perspective, his policy of cutting out any lust-driven Roman from the list of sinners takes on an even more ambitious, political connotation. Roman citizens are not only immune to lustfulness, their virtuousness is also the foundation of their empire’s stability as well as its perpetuation. Inversely, Dante, by juxtaposing Tristan with Paris, highlights the line from the Orient – to which Troy at least partially belongs – to the Arthurian world. Crucially, both are susceptible to passion and end up in a state of self-induced disaster. Under the heading of such an underlying political warning, Tristan and Paris may fit together rather nicely after all. With all due reservations, I would argue that, in the fifth canto, featuring the first sin of lust, Dante wants to suggest a second line of transmission that serves as a negative counterpart to the equally audacious juxtaposition he ventures in Inferno II. There, Dante the wayfarer shrinks back from the prospect of the arduous travel proposed by Virgil, as previously only great and awe-inspiring heroes such as the pious Trojan Aeneas, who founded Rome, and Saint Paul, who visited the third heaven, had been admitted to the afterlife. He did not dare to tread in their footsteps. In the fifth canto, Dante establishes another line of connection between Paris, that is, the history of Troy, and Tristan, that is, the Old French Romances. Dante then goes on to explain the disaster of the two contemporaries, Francesca and Paolo, thereby revealing the risk that he, the wayfarer, has run. From both a political and an individual point of view, this line is distinguished by pitfalls. Of course, this translatio had already been well established in Italy. Wace had presented the reign of Brittany as one of the foundations of Rome in his Roman de Brut (1155) – a legend that was diffused by Old French romances and left its mark on Dante’s master Brunetto Latini and his Tresor.20 However, when Dante resumes it, he pursues a different political aim.21 He erases Rome, which is so fundamental to the myth of Arthur, and presents the Arthurian knights as heirs to the Trojan Paris, who should be distinguished from the morally uncorrupted

|| 20 Cf. Brunetto Latini, Tresor, ed. by Pietro Beltrami et al., Turin 2007: »Brutus son frère passa en une terre qui par le nom de lui fu apelee Bretagne, qui ore est Angleterre clamee, et il fu le comencement des rois de la Grant Bretaigne. Et des ses generacions nasqui puis le bon roi Artus, de cui le romanz parolent, qui fu rois corronez .cccc. et .lxxxiii. anz de l’incarnacion Jesu Crist, au tems que Zeno fu empereor de Rome, et regna entor .l. anz« (I, 35.1). 21 It is worthwhile remembering that, from the beginning, the Matter of Britain was subjected to political strategies that were modified in relation to the changing political world. Dante’s remodeling is just one example in a long series that culminated in Sir Thomas Malory’s rewriting of Le Morte Darthur in 1485.

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Aeneas of Virgilian descent, who prevailed in Italy. By choosing this second line of transmission, Dante not only enhances the unity of all the Western reigns that stem from the same great Trojan civilization that founded Rome, but also separates Italy as well as the eternal Roman Empire from the northwestern empire, which was doomed to wane.

2 Arthurian knights in the poem L’Intelligenza A very similar predilection for Rome is projected through the poem L’Intelligenza, which, after its rediscovery in the 19th century, was attributed to Dino Compagni, the chronicler of Florence. This attribution has recently been questioned. Marco Berisso, the last editor of the poem, argues in his introduction that, for linguistic reasons, it is likely to have been drafted around 1300 in Siena or in southern Tuscany. He sympathizes with Marcello Ciccuto’s understanding that the compiler, who was profoundly influenced by Old French literature, must have been familiar with late-13th-century Bolognese poetry as well as the Dolce Stil Nuovo. It would seem that the manuscript was not widely circulated in the course of the 14th century, as Franco Sacchetti is the only author who mentions it.22 Since the poem of 309 stanzas in the unusual metrical form of a nona rima is far from being complete, it may be possible that it was not finished at all. It tells the tale of a man who falls in love with a lady and sets out to describe her beauty, her crown with its sixty-six precious stones, her rich palace and its decorative mural. The bizarre ending of the poem divulges the poet’s real aim: that the beloved lady is an allegory and, specifically, the ›Madonna Intelligenza‹. The poem describes both the history of Rome and of Arthur’s Round Table as being depicted in the mural cycles. However, whereas the former is described at great length and with clear delight (stanzas 77–215), the Briton knights and ladies are recalled in only two small passages (stanzas 72–75 and 287–88).23 This rough observation reveals how strongly Roman history appealed to the compiler, while he largely neglects the Matter of Britain. It is striking that the Arthurian passages in the poem differ from all the other descriptions with the exception of the open-

|| 22 On the reception of the poem, cf. Berisso’s insightful remarks in his introduction to the edition (see note 5), XXXVI. 23 In the first (the stones of the crown) and last part (the allegorical reading) of the poem, single facets of the Matter of Britain are mentioned. Among the stones, which is due to the source book, the oriental provenance is clearly dominant; very few stones are located in Britain (stanza 31 and 53) which, at one point, is described as very distant.

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ing collection of love topoi, as they are not gleaned from one source alone. However, this could be due to the specificity of the Round Table stories. But it is far from clear whether and, if so, to what extent the compiler was familiar with the Matter of Britain. Marco Berisso holds that his knowledge is superficial,24 while Keith Busby comes to the exciting conclusion that the compiler must have even known Chrétien de Troyes’ verse romances.25 The question, however, which this article is asking is: does this poem present another attempt to reflect upon how to treat Roman and Arthurian stories or to at least show a certain uneasiness about how to make the two fit together? Or does it just carelessly meddle with encyclopedic items for their own sake? In contrast to Latini’s Tesoretto, the compiler does not present a personification of Nature or Intelligence, thereby gradually introducing a first-person narrator to history and to the secrets of the cosmos. The encyclopedic ambition in L’Intelligenza is embedded within a typical 13th-century poetical frame of love for a Lady, which may itself be considered the sum of topoi that were fashionable at the time. The poem also differs from Dante’s Convivio, in which commentaries on the verses of love poems unfold a whole range of seemingly encyclopedic knowledge. Here, it is Amor who introduces a lady to a man so as to stimulate his observation and curiosity. It is the lady’s abundantly ornamented appearance that serves as a frame within which both natural and historical summaries find a place. Similar to the Convivio, however, the poem considers love, a personal emotional relation, to be the most efficient way to trigger and support the long process of learning. Whereas 13th-century love poetry usually exploited single items from the encyclopedic tradition to explain the miraculous impact that a lady has on her lover, in this epic poem, it is the Lady herself who, from the beginning, serves as a gate to, if not a mirror of, the natural and historical world. Apart from rare and brief references to the Matter of Britain in the description of the precious stones that mostly derive from the Orient, Arthurian knights make their first major appearance in the description of the Lady’s palace. To be more precise, they feature in the section referring to the palace’s vault, which showcases the triumph of Amor. It is, however, a peculiar triumph. Notably, the second stanza of the passage (stanza 72) is endowed with the same constellation of

|| 24 Cf. Berisso’s comments (see note 5) on stanzas 267 and 544. 25 Cf. Keith Busby, ›Arthuriana in the Italian Regions of Medieval Francophonia‹, in: Allaire and Psaki (see note 4), 11–20, here: 17: »It seems clear enough in light of the above that Italian poets knew Chrétien and expected their audiences and readers to do so as well.« Cf. also F. Regina Psaki’s summary of the argument: F. Regina Psaki, ›Arthur in Medieval Italian short narrative‹, in: Allaire and Psaki (see note 4), 145–58, here: 149.

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characters as the fifth canto of the Inferno in the Divine Comedy.26 After having recalled Paris and Helen at the end of stanza 71, the depiction shifts from another Trojan War couple, Polixena and Achilles, to Dido despairing at Aeneas’ departure. Similar to Inferno V, the stanza accurately respects the chronological order, leaving out the Romans. In contrast to Dante, Aeneas is depicted at the very moment that he leaves for Rome to accomplish his mission. The stanza ends with Iseult and Tristan. With regard to the trysts, the writer opts for the very scene in which the two, to their own surprise, fall in love. He explicitly asserts that Amor is vano, which is probably meant to refer to their being duped by magic, but it may also characterize other couples who were doomed to love’s sad, futile end. Finally, the stanza’s last verse pays a stereotypical tribute to Amor’s invincible might: he is able to destroy empires. The compiler does not add any criticism to it as Dante did, though he was evidently concerned with issues of political struggle and, in particular, with forms of civil discord and war.27 The propinquity to Dante’s thoughtful way of organizing the examples of love seems to gradually disappear in stanzas 73 and 74. The chronological order is no longer respected, and the characters seem to come along heedlessly. However, a closer look reveals that stanza 73 also deploys the nexus between Britain and Troy. Geneviève and Lancelot, who lead the group of lovers enchained by Amor, are featured along with Bersenda, who is likely to be the enslaved Trojan girl Briseida, who caused the struggle between Achilles and Agamemnon. Medea, who played a role in what is defined as the first destruction of Troy in the Roman de Troie tradition, is also present, as is Penthesilea, who rushed down to defend Troy with her women in the aftermath of Hector’s death. The compiler does not say why Penthesilea figures among the lovers – he may have had Brunetto Latini’s witty aside from the Tresor in mind.28 More puzzling is the reason why Lavinia is named among all the other women connected with Troy’s doom. Does she belong to the same group because, like Briseida, she caused a ferocious fight between two men, Turnus and Aeneas, who both proposed to her? Or is she in-

|| 26 »La bella Pollisena v’è piagente / Quand’Accillesse la prese ad amare; / e la regina Didon v’è, piangente / quand’Eneas si partïo per mare, / che d’una spada si fedio nel ventre / quando le vele li vide collare; / e la bell’Isaotta e ’l buon Tristano, / sì come li sorprese est’ Amor vano / che molti regni ha già fatti disfare.« 27 This concern may occasionally be grasped in the description of the precious stones’ miraculous effects. The compiler cherishes those which have an appeasing impact on human beings and on communities. Cf. stanza 28 and 41; stanza 34 goes »Lo sangue stagna sanz’ altr’ argomento, / contra i tiranni è buon’ a spegner l’ira«. 28 Cf. Tresor I, 30, 2: »Et ce fist Pantasilee lor roine, que dit que ele ama Hector par amors. Mes de ce ne sot l’en onques la certeineté, fors que ele morut ou grant partie des damoiseles.«

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stead included due to the letter in which, according to the Roman d’Enéas, she declared her love to Aeneas and her vehement intention to commit suicide should he not win the decisive battle against Turnus? In the final verse, the poet turns once again to a picture of destruction: the sacked Troy. Bearing in mind the contribution that Lancelot’s love for Geneviève made to Arthur’s decisive downfall, the compiler, like Dante, may have intended to strengthen that which joins Troy to Britain, rather than to Rome. In stanza 74, the writer draws upon characters from several seemingly haphazard historical contexts.29 However, except for those drawn from the third-century Greek novel Historia Apollinii regis Tyri, written about family members torn apart and finally reunited, and apart from Diomedes and another Bersenda, who is meant to be Criseida, the examples clearly focus on married – i. e. virtuous – couples, such as Alexander and Rossana,30 Chrétien de Troyes’ Erec and Enide, Penelope and Odysseus, and, finally, Aeneas and Lavinia. The poem thus presents quite an unusual triumph of Amor, placing traditional examples of disruptive passion alongside instances of constructive love. The fact that in the preceding stanzas the names of the founding couple of Rome are muddled with the names of other, less virtuous lovers does not seem to affect or lessen their virtue. They both have known the disruptive violence of love, but through different strategies have learnt to control it: Aeneas by courageously departing from Dido, and Lavinia by falling happily in love with the man who was to be her husband. If we now connect the last verse to the last lines of the previous stanzas, it is tempting to understand the founding couple of Rome as a radiant counterpart to the scenes of destruction in Troy and Britain. In the following concluding stanzas 75 and 76, in which medieval knights and ladies abound – the only exceptions are King David and Narcissus in the last stanza – the compiler slowly leaves the arena of married couples.31 Subsequent to the two couples who personify a sense of going through tough times of separa-

|| 29 »Èv’Allessandro e Ros(s)enna d’Amore, / messere Erecco, ed Enidia davante, / et èvi Tarsia e ’l prenze Antinogore, / e d’Apollonio la lira sonante, / e Archistrate regine di valore, / cui sorprese esto Amore al gaio sembiante; / èvi Bersenda e’l buono Diomedes(se), / èvi Penolopé ed Ulizesse, / ed Eneasse e Lavina davante« (stanza 74). 30 Within the poem, Berisso’s understanding of a contamination with the Macedonian king Alexander’s wife Rossane (see note 5, 264) is more convincing than Busby’s (see note 25) guess based on Santorre Debenedetti’s review on an early edition in 1929: »the first line of stanza 75 clearly refers to Alexandre and Soredamors from Chrétien’s Cligès« (17). 31 »La bella Analidà e’l buonn-Ivano; / èvi intagliato Fiore e Blanzifiore / e la bell’Isaotta Blanzesmano. / Sì com’ella morio per fin amore, / cotanto amò Lancialotto sovrano, / èvi la nobile Donna del Lago / quella di Maloalto col cuor vago, / e Palamidès cavalier pagano.«

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tion before being happily reunited, the writer brings into play some Arthurian ladies and a lonely knight whose combination is hard to detect. As a matter of fact, it is this unlikely cast of rather secondary Arthurian characters (Yseult with the white hands, Tristan’s unhappy and virgin wife; the Lady of the Lake who raised Lancelot; and the Lady Malahaut, a widowed queen who fell in love, first with Guiron the Courteous, then with Lancelot, but set aside her passion once she had witnessed his love encounter with Queen Geneviève), from which Marco Berisso deduces the compiler’s scarce familiarity with the Britons. He is right to point out that the two verses about a woman who died of fin amore are incongruent with Tristan’s wife Yseult and the Lady of the Lake. But there is no doubt that these two verses contain the only clue as to what may bind the ladies together. Except for the Lady of the Lake, all of them share the fate of unrequited love, at which the cuor vago may also hint. The knight, an outsider in the Arthurian world, may be subsumed under the same heading – that is, the heathen Palamidès, who is known for being Tristan’s friend and unhappy rival. The pick of characters actually remains unusual, but, in my view, it is far from clear whether it stems from a superficial knowledge of the respective verse romances and prose cycles. The choice of supporting characters who are loosely connected but could not hold a candle to the famous knights Tristan and Lancelot may also be due to the compiler’s wish to show off. Furthermore, the short narrative is hardly in line with the surrounding ladies. Nonetheless, it may well bear testimony to the compiler’s familiarity with the material, for instance, with its oral transmission in Italy. It accurately summarizes the short, sad story of the Damigella di Scalot, which the Florentine compilers of Il Novellino had extracted from La Mort le roi Artú and rewritten according to the constraints of the novelistic genre,32 as well as to their sophisticated educational program, which this first Italian collection of short prose promotes.33 Contrary to the Florentine compilers, who from a mercantile perspective ended up staging the appealing and sophisticated fin’amor, the very essence of courtly love, in an ambiguous way by pointing out its beautiful coherence as well as the inherent risk of destruction and selfdestruction, the poem’s compiler indulges in the delight of Arthurian stories, which from the beginning were appreciated for being »vain et plaisant«,34 as Jean

|| 32 Cf. the brilliant analysis in Cesare Segre, ›Decostruzione e ricostruzione di un racconto (dalla Mort le roi Artú al Novellino)‹, in: id., Le strutture e il tempo, Turin 1974, 79–86. 33 The ambiguous representation of the fin’amor in the Novellino may be described as a strategy of ›Aufhebung‹ in the three Hegelian senses. Cf. Meier (see note 7), 115–19. 34 Cited edition: Jean Bodel, Chanson des Saisnes, ed. by F. Menzel and E. Stengel, Marburg 1906, l. 9

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Bodel put it. Stanza 75, then, might be understood as a tribute to a noble and ennobling form of love that came about in the Middle Ages and left a mark on vernacular love poetry as well as on Arthurian knights and ladies. Contrary to Dante’s Inferno V, which is highly critical of the concept of fin’amour, the poem’s compiler remains faithful to it and its ennobling power35 – though shifting the accent from a sophisticated form of social behavior to knowledge and philosophy. It is telling that the last two Arthurian stanzas (287–88) in the poem have given rise to another discussion about the compiler’s extended familiarity with the Matter of Britain. The last editor dismisses them as poor reading, whereas Franco Carbone admires their lightness, anticipating Ariosto’s Orlando Furioso.36 On the palace wall Arthur’s Round Table is not entirely removed by the overwhelming interest which the compiler takes in Roman history. Arthur and his knight keep their place at the end of this sort of encyclopedic diorama of world history, which, incidentally, does not proceed chronologically: the siege of Troy immediately precedes Arthur’s empire. The Arthurian stanzas, however, differ greatly from the previous examples in three regards: whereas the previous compilation is deeply indebted to specific sources – e. g. the compiler compiles the history of the Roman Civil War from the vernacular manuscript I Fatti di Cesare – and chronologically accurate, he does not rely upon a single text in the last two Arthurian stanzas, nor does he sequence events. He revives Arthur’s world in two very colorful and vivid pictures. In relation to their precursor, the Arthurian stanzas look like a radiant, delightful counterpoint to so much dreariness. The Roman

|| 35 While stanza 75 is mostly concerned with female lovers who seem to enact the concept of medieval courtly love, stanza 76 turns to male lovers, whose passion either caused their death or led them to commit crimes. Along with the Old Testament David, who sent Bathsheba’s husband to his death, and beautiful Narcissus, who drowned himself, the stanza extensively focusses on the magician Merlin: »E la foresta d’Armante dov’èe / Merlino ’nchiuso per gran maestria; / èvi la tomba per incantamento, / com’e ’medesmo insegnò lo spermento / a quella che l’avea ’n sua segnoria.« The compiler recalls how Merlin fell victim to the beloved Viviana, the Donna del Lago, whom he taught his own magic tricks. Compared with the previous elegiac female lovedeath, Merlin’s end seems rather burlesque and gives an almost carnivalesque accent to the Triumph of Amor. He incidentally inserts a similarly burlesque effect at the end of Alexander’s history, where he mentions Aristotle being ridden by a woman. Cf. stanza 239; cf. also Capelli (see note 6), who highlighted Merlin’s notable presence in »satirical-comic poetry of the thirteenth and fourteenth centuries« (135). 36 Berisso (see note 5) quotes Carbone’s jubilation in the following way: »Ma chi non darebbe tutte quelle filze di nomi e di cose spesso abborracciate (delle parti precedenti) per queste due stanze leggiadrissime, che le potresti metter ad epigrafe dell’Orlando Furioso« (267). In a similar, though less exalted way, Branca (see note 4) assigned to the two stanzas »l’atmosfera del mondo fantastico ormai noto ai lettori, con i suoi clichés narrativi e descrittivi« (18).

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Civil War ended with the dreadful Ides of March, and Alexander’s death is marked by distributing his empire and founding the twelve cities. Conversely, the Trojan War astonishingly ends with the Greeks’ triumphant return to their homeland, as if the compiler is trying to give a dazzling conclusion to the depressing destruction of a civilization. Against this backdrop, the Arthurian stanzas may well have provided the compiler with joyful relief. He gave in to his infatuation with a noble, chivalric world centered on love and battles between men – and suspended it in an eternal present. It does not come as a surprise that, in the poem, the four most famous knights and ladies have to wait until stanza 287 to make their appearance. Of course, Lancelot and Geneviève have already appeared, but it is only at the end that the two intrigue-laced trios are brought to the fore.37 The fact that the two cuckold kings, Arthur and Mark, are named side by side with their unfaithful wives and lovers may indicate that this world is far from being perfect. The verses, however, do not emphasize any fissures or fractures. The characterization of Lancelot as pazzo, though being a topos and very present in the novelistic genre, may even have been meant to render the ménage à trois less harmful. The way in which Mark, Tristan and Yseult are peacefully lined up does not hint at any conflict at all, unless the pine and the fountains are not to be read as an allusion to the lovers’ secret encounters and the King’s eavesdropping. The compiler, however, goes on, adding other places without any underlying allusion or any other chivalric amusements. The compiler and his readers certainly would have had in mind the numerous pictorial representations as well as the novelistic adaptations of these encounters. However, the paintings are more interested in peaceful reunion than in the potential for conflict. In the preceding histories, female characters did show up occasionally. However, it is only in the Arthurian civilization that both sexes enjoy equal importance. Here, love and battles are deeply interconnected. The stanzas therefore seem to resurrect Chrétien de Troyes’ verse romances, which were set in the twelve peaceful years of Arthur’s reign, allowing for individual adventures, grappling with love and nefarious liaisons. After the previous butcheries, the violence of war seems to be sublimated into jousts – the word giostre occurs three times – and converted into an amusing courtly spectacle filled with the pleasures of tournaments and weapons. Only horses cannot help dying.38 The court of the Arthu-

|| 37 »ed èv’ Artù e Ginevra gioconda / per cui ’l pro’ Lancialotto venne pazzo, / March’ e Tristano ed Isolta la blonda, / e sonv’i pini e sonvi le fontane, / la giostr’ e le schemaglie e le fiumane«. 38 The only reference to casualities is in the phrasing: »quivi sono li bei combattimenti / aste troncando e squartando destrieri« (L’Intelligenza, Stanza 288, l. 5–6).

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rian knights and ladies is depicted as an ideal civilization, offering refuge or at least rest and relaxation to a Tuscan writer who had been suffering from the ongoing political and social tensions of the time.39 The very characters who may have hinted at the tragic end of Arthur’s world in the triumph of Amor return in their splendor as the livelier end of the ›good old‹ chivalric world. The impression of an ideal, somehow timeless society is further enhanced by the concise description of a landscape, even if it is somewhat topical. It is the first time that the compiler sets history in an idyllic countryside. What is more, the painting is said to have used expensive gold to depict the ›figure‹ as well as »le cacc’ e ’ corni, vallett’ e scudieri«.40 The Arthurian world is thus represented as a stunning festivity that continues to hold the citizens of Tuscan communities under its sway, and probably those of Ghibeline Siena more so than the Guelphs in Florence. However, the very celebration of Arthur’s courts makes a strong contribution to flattening what was once considered to be a historical empire into a timeless dreamlike realm that casts a spell on the compiler – and in his wake: his readers.41

3 Conclusion Apart from the qualitative difference that separates the Divina Commedia and, in particular, the fifth canto of the Inferno from the poem L’Intelligenza, both texts give the reader an insight into the extent to which the reception of the Matter of Britain in Italy was manifold and based on a wide range of written and oral sources that are nigh on impossible to pin down. They both strengthen the suspicion that the Italian reception of the Matter of Britain had arrived at a turning point by around 1300, at least it is at around the turn of the century that literary texts bear testimony to a specific change. Both Dante and the compiler of the poem – and the same is true of the Florentine compilers of the Novellino – were

|| 39 In this respect it would be interesting to compare the two stanzas with the later Tavola Ritonda, in which the Arthurian world is also transformed into an ideal of justice and social political harmony. Cf. Branca (see note 4), 187: »La cavalleria non è per lui la splendida veste allegorica per narrare lotte, sconfitte e trionfi dell’anima cristiana alla ricerca di Dio, ma è vista essenzialmente come una istituzione umana diretta alla tutela della giustizia e alla pratica delle più alte virtù.« 40 L’Intelligenza, Stanza 288, l. 9. 41 Even in the final allegorical reading, the compiler takes care to insert something Arthurian, in this case a lai of the dying Tristan is performed. Cf. stanza 294: »cantand’ u llai onde Tristan morie«.

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susceptible to what may amount to a general tendency in Tuscany, i. e. to adopt and appropriate the Arthurian knights and ladies for the new expectations and ambitions of the mercantile audience that the rapidly evolving and burgeoning cities were creating. In other words: the Matter of Britain in medieval Italy does not cease to enjoy great popularity; despite the troubles they were having with their own native aristocrats, the Tuscans evidently remained under the spell of a courtly world embroiled in battle and love. The Arthurian presence in the poems thus cannot be dumbed down to a mere remnant of an encyclopedic ambition. However, in the poem Intelligenza as well as in the Commedia, a fresh need to analyze, divide and order the inherited material comes to the fore, which is triggered by a growing sense of unease about the Breton source. Tuscan poets increasingly felt the urge to reflect on how to link Arthur’s empire, which was claimed to descend directly from the Trojan founder of Rome Aeneas and which collapsed under the weight of the knights’ vices and sins, with perennial Rome and its virtuous citizens, whom the Tuscans proudly revered as their own ancestors. Dante and the poem’s compiler took separate paths as they tried to come to terms with their own inner contradictions. Undoubtedly, Dante condemned the world of love, as enacted by Arthurian knights and ladies in the fifth canto. However, he also made a considerable contribution to its preservation in his readers’ memory – which still holds true to this day. The poem’s compiler, conversely, indulges in the Arthurian milieu. However, he makes a point of transcending the history of the doomed Arthurian empire, offering an ideal golden landscape and the fantasy of repose from the hardships and conflicts of communal life. By doing so, the two writers unconsciously give way to what Petrarca will fully unfurl: neatly distancing the Bretons, who he dismisses as mere fictional characters, from the privileged Romans that dominate world history.

Christoph Schanze

Ein kurtzweyl und schimpfliches lachen? Arthurische Tugendproben im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit Abstract: Tests of virtue and fidelity are an important motif in Arthurian literature, functioning as a means to question the would-be flawlessness of the Arthurian court. The present contribution discusses the reception of this motif in two anonymous narrative songs dating from roughly 1400 and in the work of Hans Sachs. In addition to questions concerning relationships of literary dependency and the history of the narrative material, I examine the manner in which these texts treat the outdated norms and values associated with the image of the High Middle Ages transmitted by Arthurian literature and the relevance they attach to them in a changed social context.

1 Vom Sinn der Probe Das Motiv der Tugend- oder Treueprobe ist kulturgeschichtlich wie literarisch weit verbreitet1 und hat auch in der hochmittelalterlichen Artusliteratur seinen festen Platz,2 ja, man kann geradezu die Frage stellen, ob nicht »Tugendproben ein konstitutives Element des ›Artusmythos‹ selbst«3 sind. In Form von Individualproben dient das literarische Motiv dort als Ausweis der besonderen Tugendhaftigkeit einer einzelnen Figur; so etwa der Tugendstein, der als ›Prüf-Stein‹ für

|| 1 Einen breiten Überblick über Tugendproben in der mittelalterlichen deutschen Literatur gibt die äußerst materialreiche, aber in den Interpretationen meist oberflächliche und zudem wenig strukturierte motivgeschichtliche Arbeit von Christine Kasper, Von miesen Rittern und sündhaften Frauen und solchen, die besser waren: Tugend- und Keuschheitsproben in der mittelalterlichen Literatur vornehmlich des deutschen Sprachraums, Göppingen 1995 (GAG 547). Dort finden sich auch Hinweise auf Tugendproben in der antiken und außereuropäischen Literatur; vgl. ebd., 410–35. Zu Treueproben vgl. Kathleen Coyne Kelly, Performing Virginity and Testing Chastity in the Middle Ages, London, New York 2000 (Routledge Research in Medieval Studies 2). 2 Vgl. den Überblick bei Kasper (wie Anm. 1), 83–305. 3 Alfred Ebenbauer, ›Der Truchseß Keie und der Gott Loki. Zur mythischen Struktur des arthurischen Erzählens‹, in: Matthias Meyer und Hans-Jochen Schiewer (Hrsg.), Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. FS Volker Mertens, Tübingen 2002, 105–31, hier: 127. https://doi.org/10.1515/9783110628104-006

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die Protagonisten im Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven (V. 5177–98) und im Wigalois Wirnts von Grafenberg (V. 1475–91) fungiert.4 Häufiger werden Tugendproben jedoch als Kollektivproben realisiert, oftmals im Rahmen eines Festes am Artushof. Hierbei werden meist die Ehre und die sexuelle Integrität der einzelnen Artusritter und ihrer Partnerinnen getestet, wobei in der Regel alle Geprüften durchfallen. Gelegentlich bestehen zwar die Protagonisten der Romane und ihre Partnerinnen oder auch das Königspaar die Probe, oft sind aber auch Artus und Ginover selbst nicht davor gefeit, dass bei ihnen Verfehlungen aufgedeckt werden. Im frühen Artusroman Chrétien-Hartmann’scher Prägung spielen Tugend- und Treueproben keine bedeutende Rolle. Zumindest im Falle der mittelhochdeutschen Texte scheint das Erzählmotiv erst in den Romanen der zweiten Generation von größerer Relevanz zu sein – abgesehen von seinem punktuellen Vorkommen etwa in Wolframs von Eschenbach Parzival (die Lit marveile-Episode dient dem Ausweis der Fehlerlosigkeit Gawans, auch wenn Wolfram das TugendprobenMotiv im Vergleich zu Chrétien abgeschwächt hat)5 und dem bereits erwähnten Sonderfall des Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven. Dort gibt es, ähnlich wie in Wirnts Wigalois, mit dem Tugendstein eine Einzelprobe für Lanzelet als Protagonisten, mit der Mantelprobe (V. 5811–6228) aber auch eine Kollektivprobe am Artushof, bei der Lanzelets Partnerin Iblis vor allen anderen Damen des Hofes ausgezeichnet wird. Als eigenständige Episode ausgestaltet ist eine Mantelprobe im sogenannten Mantel-Fragment, das im Ambraser Heldenbuch den fehlenden Anfang des Erec-Romans ersetzt. In der Crône Heinrichs von dem Türlin spielen zwei umfangreiche Treueproben-Episoden eine zentrale Rolle: die Becherprobe (V. 457– 3273) während des weihnachtlichen Hoffestes, mit der der Roman beginnt, sowie die Handschuhprobe (V. 22502–5549) während des Pfingstfestes im letzten Viertel des Romans.6 || 4 Benutzte Ausgaben: Ulrich von Zatzikhoven, Lanzelet, hrsg. von Florian Kragl, Bd. 1: Text und Übers., Berlin, New York 2006; Wirnt von Grafenberg, Wigalois. Text der Ausgabe von J. M. N. Kapteyn, übers., erläutert und mit einem Nachwort versehen von Sabine Seelbach und Ulrich Seelbach, Berlin, New York 2005. Vgl. dazu Kasper (wie Anm. 1), 256–62 (v. a. motivgeschichtlich), sowie Sandra Linden, ›Tugendproben im arthurischen Roman. Höfische Wertevermittlung mit mythischer Autorität‹, in: Hans-Jochen Schiewer und Stefan Seeber (Hrsg.), Höfische Wissensordnungen, Göttingen 2012 (Encomia Deutsch 2), 15–38, hier: 17–22. Eine Abwandlung des Tugendsteins in Form einer magischen Badewanne findet sich im Wigamur (V. 1100–234). Benutzte Ausgabe: Wigamur. Kritische Edition, Übersetzung, Kommentar, hrsg. von Nathanael Busch, Berlin, New York 2009. Vgl. dazu Kasper (wie Anm. 1), 263–66. 5 Vgl. dazu ebd., 282–86. 6 Benutzte Ausgabe: Diu Crône. Kritische Mittelhochdeutsche Leseausgabe mit Erläuterungen, hrsg. von Gudrun Felder, Berlin, Boston 2012. Vgl. dazu Kasper (wie Anm. 1), 141–45, 170–74 und 586–605; siehe auch unten, Anm. 13.

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Die Forschung zu Tugend- und Treueproben im höfischen Roman war zunächst v. a. motivgeschichtlich orientiert,7 ohne dabei mögliche generische Zusammenhänge wirklich erhellen zu können. Eine wichtige Rolle als Vorbilder spielen kürzere französische Erzählungen wie der Mantel-Lai (Le Mantel mautaillé) und der Lai du Cor, aber das Verhältnis der deutschen Texte zu den französischen ist nach wie vor unklar. Mit Blick auf die mittelhochdeutschen Tugendproben hat Jan-Dirk Müller unter dem Stichwort ›Magie der Tugendprobe‹ die Relationierung von Innen und Außen beleuchtet und die Tugendproben-Episoden als Möglichkeiten zur punktuellen Figuren-Innensicht beschrieben, mittels derer »ein Paradox der höfischen Gesellschaft« inszeniert wird, nämlich »daß ihr Selbstwertgefühl auf die Intaktheit ihrer inneren Ordnung angewiesen ist, daß aber diese innere Ordnung unter der schönen äußeren Form verborgen liegen muß«.8 Karina Kellermann hatte bereits zuvor diese besondere Körperlichkeit der höfischen Tugendproben hervorgehoben, deren Verhältnis zum mittelalterlichen Rechtsdiskurs betont und daraus sowie aus der blockartigen Einbindung in den Text poetologische Implikationen abgeleitet.9 Sandra Linden hat nach dem didaktischen Impetus solcher Episoden gefragt, ihre mythische Strukturierung herausgearbeitet und aus der »Diskursivierung der höfischen Moral«,10 die die Tugendproben ermöglichten, eine »nachsichtige Ethik« abgeleitet, die eine Orientierung an Werten ohne Durchsetzung mittels Bestrafung möglich macht und ihre Wirkkraft zwar zentral über den psychischen Mechanismus der Scham entfaltet, aber durch ihre Herausgehobenheit aus dem Alltag und ihre Zugehörigkeit zu einer Anderwelt 11 immer auch ein Entlastungspotential bereithält.

Wichtig scheinen mir bei den arthurischen Tugend- und Treueproben in erster Linie zwei Aspekte:

|| 7 Neben Kasper (wie Anm. 1) ist hier v. a. die alte, aber dennoch nicht überholte Arbeit von Otto Warnatsch zu nennen: Der Mantel. Bruchstück eines Lanzeletromans des Heinrich von dem Türlin, nebst einer Abhandlung über die Sage von dem Trinkhorn und Mantel und die Quelle der Krone, hrsg. von Otto Warnatsch, Breslau 1883; Nachdruck Hildesheim, New York 1977 (Germanistische Abhandlungen 2). 8 Beide Zitate: Jan-Dirk Müller, Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik, Tübingen 2007, 323–33 (›Magie der Tugendprobe‹), hier: 333. 9 Vgl. Karina Kellermann, ›Entblößungen. Die poetologische Funktion des Körpers in Tugendproben der Artusepik‹, Das Mittelalter 8/1 (2003), 102–17. 10 Linden (wie Anm. 4), 34. 11 Beide Zitate ebd., 38.

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1. Mit dem verwendeten ›Tugendmessgerät‹12 und über den Weg, auf dem es zum Artushof oder in die arthurische Welt gelangt – meist durch Boten –, bricht eine Anderwelt in die Artuswelt ein. Nicht zuletzt deshalb sind die Proben als eine Art mythisches Substrat ausgewiesen, mittels dessen dem arthurischen Weltentwurf ein anderer kontrastiv gegenübergestellt wird, der die vermeintliche Idealität des Artushofes kritisch hinterfragt und als schönen Schein bloßstellt. 2. Dennoch haben die Tugend- und Treueproben, auch und gerade wenn sie als längere eigenständige Erzählblöcke in die Narration inseriert sind, in der Regel kaum Relevanz für die eigentliche Romanhandlung. Man nimmt es zwar beschämt zur Kenntnis, wenn im Lauf einer Probe fast der gesamte Artushof seine Ehre verliert bzw. sich als bereits entehrt erweist – im Mantel-Fragment oder der Crône wird das überdies durch bissig-spöttische Kommentare des Truchsessen Keie untermauert13 –, für die folgenden Ereignisse sowie für die Figurenkonzeption ist das jedoch kaum von Bedeutung. Primär in der Crône beziehen sich die Treueproben selbstreflexiv auf die arthurische Gattungstradition:14 Keies Kommentare eröffnen intertextuelle Bezüge, die über die erzählte Welt der Crône und das romaninterne Publikum der Proben hinaus auf das eigentliche Romanpublikum zielen und in einer Art »Literaturquiz«15 das literarische Vorwissen der Rezipienten aufrufen – auch wenn Keie immer wieder recht ungewöhnliche Deutungen einzelner Episoden der vorgängigen Artusliteratur zum Besten gibt. Jedenfalls wird damit ein pseudo-literaturgeschichtliches Panorama entworfen, und zwar in der Form eines »unterhaltsamen Gesellschaftsspiel[s]«, das dank seiner feststehenden Regeln »einen Sonderraum aufmacht und keinerlei Sanktionen in der realen Welt nach sich zieht«.16 Zusammenfassend lässt sich zunächst einmal festhalten, dass es bei Tugendund Treueproben nie in erster Linie darum geht, worauf es eigentlich ankommt

|| 12 »Das Arsenal magisch-mythischer Probeutensilien umfasst Proben mit Wasser, Spiegel, Stein, Tal, Mantel, Trinkhorn, Becher, Gürtel, Brücke, Schwert, Krone, Handschuh, Truhe, Säule oder – selbst diese Variante gibt es – Grabdeckel«; Linden (wie Anm. 4), 15. Vgl. auch den Überblick bei Kasper (wie Anm. 1), 447–58. 13 Vgl. dazu Matthias Däumer, ›Truchsess Keie. Vom Mythos eines Lästermauls‹, in: ders. u. a. (Hrsg.), Artusroman und Mythos, Berlin, New York 2011 (SIA 8), 69–108, hier: 94–102, und Claudia Ansorge, ›(De)stabilisierende Provokationen. Zur Tugendprobe im Ambraser Mantel-Fragment‹, in: Cora Dietl u. a. (Hrsg.), Ironie, Polemik und Provokation, Berlin, Boston 2014 (SIA 10), 183–210. 14 Vgl. Kellermann (wie Anm. 9), 114, und Linden (wie Anm. 4), 26f. 15 Thomas Gutwald, Schwank und Artushof. Komik unter den Bedingungen höfischer Interaktion in der Crône des Heinrich von dem Türlin, Frankfurt u. a. 2000 (Mikrokosmos 55), 173. 16 Linden (wie Anm. 4), 32.

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bzw. ankommen sollte: nämlich die Tugendhaftigkeit und Integrität einer Figur zu überprüfen. Ich will im Folgenden eruieren, wie in der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Artusrezeption mit diesen Vorgaben umgegangen wird.

2 Vom Weiterleben arthurischer Tugendund Treueproben Mit Blick auf das spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Weiterleben des Artusstoffes außerhalb der Artusliteratur im engeren Sinne fällt auf, dass es häufig arthurische F i g u r e n sind,17 die in anderen Gattungen begegnen, und zwar meist als Exempelfiguren, mittels derer allgemeine oder auch gruppenspezifische Wissensbestände aufgerufen werden. Artusritter und arthurische Damen treten aber auch als handelnde Figuren auf, wobei sich ihr Verhalten oft deutlich von demjenigen in der Artusliteratur unterscheidet. Im Falle der exemplarischen Rezeption wird entsprechendes literarisches Vorwissen bei den Rezipienten stillschweigend vorausgesetzt, bei handelnden Artusfiguren ist es für das Verständnis der Geschichte nicht unbedingt nötig, bietet aber einen interpretatorischen Mehrwert. Beim Fortleben bestimmter Erzählmotive18 ist eine Identifikation als genuin arthurisch dagegen angesichts ihrer weiten Verbreitung in der Regel kaum möglich. Das gilt auch für Tugend- und Treueproben, die ja nicht per se arthurisch sind, sondern auch in anderen Erzählkontexten begegnen.19 Die Beispiele, die ich näher analysieren werde, sind insofern Sonderfälle, als sie das Motiv ›Tugendprobe‹ explizit am Artushof situieren und mit arthurischem Personal verbinden. Zudem vollziehen sie einen Gattungs- und damit zum Teil auch einen Medienwechsel, und sie separieren das Motiv und machen es zum Hauptthema der Narration. Dass das Motiv der Probe für solche Verselbständigungsprozesse bestens geeignet ist, überrascht angesichts seiner narrativen Ausgestaltung im Artusro-

|| 17 Vgl. dazu Christoph Schanze und Cora Dietl, ›L’univers arthurien dans la littérature non arthurienne tardive‹, in: Christine Ferlampin-Acher (Hrsg.), LATE (1270–1530). La matière arthurienne tardive en Europe/Late Arthurian Tradition in Europe, Rennes 2019 [im Druck]. Siehe auch die übrigen Beiträge im zweiten Abschnitt des vorliegenden Bandes (›Artusrezeption in der Frühen Neuzeit‹, v. a. Meier, Mierke, Fasbender und Dietl) sowie die Einleitung. Ein umfassender und systematischer Überblick über das ›Leben‹ und das ›Weiterleben‹ arthurischer Figuren ist ein dringendes Desiderat. 18 Vgl. dazu z. B. Cora Dietl u. a. (Hrsg.), Gattungsinterferenzen. Der Artusroman im Dialog, Berlin, Boston 2016 (SIA 11). 19 Vgl. z. B. die entsprechenden Kapitel bei Kasper (wie Anm. 1).

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man als eines abgeschlossenen, separaten Teils innerhalb der Gesamterzählung nicht weiter. Im Folgenden werde ich untersuchen, wie im 15. und 16. Jh. außerhalb der im engeren Sinne ›arthurischen‹ Literatur, also der unmittelbaren produktiven Réécriture der hochmittelalterlichen Artusromane, von arthurischen Tugend- und Treueproben erzählt wird und welche Bedeutung diesem ›alten‹ Motiv und den damit zusammenhängenden Normen und Werten zugesprochen wird. Der einer historia des Hans Sachs (siehe dazu unten, Abschnitt 4) entnommene Haupttitel meines Beitrages – ein kurtzweyl und schimpfliches lachen – deutet eine rein unterhaltende Funktion des antiquierten Rituals an, wie man sie auf den ersten Blick wohl durchaus annehmen könnte. Diese Vermutung – und damit auch das Zitat im Titel – ist allerdings mit einem Fragezeichen zu versehen.

3 Arthurische Tugend- und Treueproben im Erzähllied um 1400 Mein erstes Beispiel sind zwei Erzähllieder, die um 1400 entstanden sind und jeweils von einer Treueprobe am Artushof berichten. Die beiden Sujets kommen in ähnlicher Ausgestaltung auch in Fastnachtsspielen des 15. Jh. vor.20 Die Quellenverhältnisse zwischen den Erzählliedern und den Fastnachtsspielen sind allerdings unklar, auch wenn die Lieder älter sein dürften; vermutlich sind in beiden Fällen die Lieder und die Spiele unabhängig voneinander entstanden, gehen aber jeweils auf ähnliche (nicht erhaltene) Vorlagen zurück.21 Erzähllieder bilden als »Randerscheinung«22 eine Art Subgattung im Bereich der meisterlichen Lied-

|| 20 Siehe dazu den Beitrag von Gesine Mierke im vorliegenden Band. 21 Zu den Abhängigkeitsverhältnissen vgl. Warnatsch (wie Anm. 7), 65–68 und 74–77, sowie die entsprechenden Verfasserlexikon-Artikel: Frieder Schanze, Art. ›König Artusʼ Horn I‹, in: 2VL, Bd. 5, 69f., und ders., Art. ›Luneten Mantel‹, in: 2VL, Bd. 5, 1068f. Im Falle von Luneten Mantel vermutet Schanze, 1069 (gegen Warnatsch, 75f.), dass das Erzähllied als Vorlage für den zweiten Teil des aus dem Fastnachtspiel mit der Kron sowie Luneten Mantel bestehenden Doppelspiels (K 80/81) gedient haben könnte. Kasper (wie Anm. 1), 160, sieht das Lied von König Artus’ Horn als »Anregung« für das stoffverwandte Spiel (K 127). Die Annahme von Martin W. Walsh, ›Arthur cocu. Comic abuse of the round table in fifteenth-century Fastnachtspiele‹, Fifteenth Century Studies 15 (1989), 305–21, die Lieder seien die »respective immediate sources« (307) für die Spiele, ist so sicher nicht haltbar. 22 Ingeborg Glier, ›Hans Sachsens »Schwänke«‹, in: Walter Haug und Burghart Wachinger (Hrsg.), Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts, Tübingen 1993 (Fortuna vitrea 8),

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kunst, die nicht thematisch (wie die Sangspruchdichtung, der Meistersang und auch ein Großteil der meisterlichen Liedkunst), sondern rein stofflich determiniert ist. Sie stehen in der Balladen-Tradition23 und dienten der breiten Unterhaltung – und das zum Teil mit großem Erfolg, wie die Überlieferung mit zahlreichen Drucken im 16. Jh. zeigt.24 Dem Erzählmotiv der Tugend- bzw. Treueprobe widmen sich nur Einzelstücke, obwohl das Thema eigentlich bestens zur moraldidaktischen Grundtendenz der Sangspruch-Tradition wie auch zu ihrer Vorliebe für Mikronarrative passen würde. Einige Erzähllieder behandeln beispielsweise die Sage von der Bocca della Verità.25 Die beiden Lieder, um die es hier gehen soll – König Artus’ Horn sowie Luneten Mantel –, sind die einzigen arthurischen Vertreter der Gruppe.26 Überliefert sind sie gemeinsam als vorangestellter (vermutlicher) Nachtrag in der Hamburger Parzival-Handschrift L (Hamburg, SUB, cod. germ. 6, König Artus’ Horn: S. 2–4, Luneten Mantel: S. 4–6)27 sowie an unterschiedlicher Stelle in der Kolmarer Liederhandschrift (München, Cgm 4997, König Artus’ Horn: fol. 730v– 31r, Luneten Mantel: fol. 268r–69r). Das Lied von Artus’ Horn findet sich zudem in zwei weiteren Meisterlied-Sammlungen (München, Cgm 5198, die sogenannte

|| 55–70, hier: 58. Glier verweist auf Frieder Schanze, Meisterliche Liedkunst zwischen Heinrich von Mügeln und Hans Sachs, 2 Bde., München 1983/84 (MTU 82/83), Bd. 1, 14 und 24. 23 Zu erinnern ist hier etwa an die Minnesängerballaden des 14. Jh. vom Bremberger, Moringer und Tannhäuser; vgl. dazu Hanno Rüther, Der Mythos von den Minnesängern. Die Entstehung der Moringer-, Tannhäuser- und Bremberger-Ballade, Köln, Weimar 2007 (Pictura et Poesis 23). Die Stoffe fanden durch die Verwendung populärer Töne Eingang in die meisterliche Liedkunst. 24 Vgl. dazu Schanze (wie Anm. 22). 25 Vgl. dazu den Überblick bei Kasper (wie Anm. 1), 356–58, sowie Gesine Mierke, ›Transformationen Vergils in der spätmittelalterlichen Literatur: Sangspruchdichtung und Ablassverzeichnisse‹, Daphnis 44 (2016), 425–63, hier: 446 und 448–56, und Gabriel Viehauser, ›Treueproben in Sangspruchtönen. Zur Ausprägung des weltlichen Erzähllieds am Übergang der Gattung zur Mehrstrophigkeit‹, in: Horst Brunner und Freimut Löser (Hrsg.), Sangspruchdichtung zwischen Reinmar von Zweter, Oswald von Wolkenstein und Michel Beheim, Wiesbaden 2017 (JOWG 21), 335–48. 26 Ähnlich angelegt ist das breit überlieferte Lied Die Königin von Avignon, das von einer Kronenprobe berichtet, mit der die Treue der Männer überprüft wird. Diese findet allerdings nicht am Artushof statt, sondern am Hof des Königs von Avignon. Das Lied dürfte in der Mitte des 15. Jh. entstanden sein und ist vermutlich nach dem Vorbild der beiden älteren Tugendproben-Lieder (König Artus’ Horn und Luneten Mantel) gestaltet; zusammen mit Luneten Mantel könnte es als Vorlage für das Doppelspiel K 80/81 gedient haben. Vgl. dazu Frieder Schanze, Art. ›Die Königin von Avignon‹, in: 2VL, Bd. 5, 98f., sowie den Eintrag im RSM: 1Zwing/3/13a–e. 27 Die Handschrift enthält auch den Wigalois Wirnts von Grafenberg, den König im Bade und weitere kleinere Texte.

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›Wiltener Handschrift‹, fol. 103r–04v; Berlin, mgq 414, fol. 344v–46r; die Handschrift stammt von Hans Sachs).28

3.1 König Artus’ Horn König Artus’ Horn29 besteht aus neun Strophen im ›Goldenen Ton‹, der in der Meisterlied-Tradition Wolfram von Eschenbach zugeschrieben wird, aber eigentlich von dem Sangspruchdichter Gast stammt. Das Lied dürfte zwischen dem Ende des 14. Jh. und der Mitte des 15. Jh. entstanden sein30 und berichtet von einer Becherprobe mit einem Trinkhorn am Artushof, mittels derer die Treue der Da|| 28 Zu den Überlieferungsverhältnissen vgl. die Verfasserlexikon-Artikel (siehe oben, Anm. 21) sowie die Einträge im RSM: 1Wolfr/2/2a–d (König Artus’ Horn) und 1Regb/1/527a und b (Luneten Mantel). Die beiden Textzeugen von Luneten Mantel ähneln sich stark, bei König Artus’ Horn zeichnen sich dagegen drei Fassungen ab: Näher verwandt sind die Textzeugen der Hamburger Parzival-Handschrift und der Kolmarer Liederhandschrift, die der Wiltener Handschrift und v. a. der Berliner Hans Sachs-Handschrift weichen teils deutlich davon ab, auch formal. Schanze, Art. ›König Artus’ Horn I‹ (wie Anm. 21), 69, sieht dagegen nur zwei unterschiedliche Fassungen (die der Hamburger Handschrift und der Kolmarer Liederhandschrift einerseits, andererseits die der Wiltener und der Berliner Handschrift). Frances H. Ellis, ›The Meisterlied of the Magic Drinking Horn in Berlin 414‹, Philological Quarterly 26 (1947), 248–58, vermutet, dass die vier vorliegenden Fassungen »at different times by different authors« (248) geschrieben wurden. Das ist aber sicher nicht haltbar, die Unterschiede sind überlieferungsbedingt. 29 Wenn nicht anders angegeben, lege ich den Text der Hamburger Handschrift (des ältesten Überlieferungsträgers) zugrunde; er ist abgedruckt bei [Johann Joachim] Eschenburg, ›Zwei Erzählungen im Meistergesang‹, Bruns Beiträge zur kritischen Bearbeitung unbenutzter alter Handschriften und Drucke 2 (1802), 134–47, hier: 139–43. Ich habe Eschenburgs Textabdruck mit dem Digitalisat der Handschrift abgeglichen und gegebenenfalls korrigiert. Das Digitalisat ist online verfügbar unter: http://digitalisate.sub.uni-hamburg.de/ppnresolver.html?tx_sub_ppnresolver%5bppn%5d=HANSh496 [letzter Zugriff: 07. Januar 2019]. Der Text der Wiltener Handschrift ist abgedruckt bei I[gnaz] v[on] Zingerle, ›Das goldene Horn‹, Germania 5 (1860), 101–05, derjenige der Berliner Sachs-Handschrift bei Ellis (wie Anm. 28), 255–58. Bei der Wiltener Handschrift habe ich ebenfalls das online verfügbare Digitalisat vergleichend herangezogen: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0006/bsb00069128/ images/ [letzter Zugriff: 07. Januar 2019]. Ein Abdruck des Textes der Kolmarer Liederhandschrift fehlt, Bartsch führt lediglich die erste Zeile an; vgl. Meisterlieder der Kolmarer Handschrift, hrsg. von Karl Bartsch, Stuttgart 1862 (BLV 68), Nachdruck Hildesheim 1962, 74 (Nr. 806). Ein Digitalisat der Handschrift ist online verfügbar unter: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0010/ bsb00105055/images/ [letzter Zugriff: 14. Januar 2019]. 30 Vgl. Schanze, Art. ›König Artus’ Horn I‹ (wie Anm. 21), 69. Den terminus ante quem bildet die Schreiber-Datierung der Hamburger Parzival-Handschrift auf 1451. In der Hamburger Handschrift findet sich eine falsche Tonangabe, nämlich Konrads von Würzburg ›Aspis‹. Vgl. den RSM-Eintrag: 1Wolfr/2/2b.

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men geprüft wird. Dieses Motiv geht vermutlich auf den Lai du Cor aus dem 12. Jh. oder ähnliche französische Quellen zurück, ist aber auch in der deutschen Literatur bekannt (erinnert sei nur an die Becherprobe in der Crône Heinrichs von dem Türlin); vermutlich ist eine verlorene mittelhochdeutsche Übertragung des Lai du Cor als Zwischenstufe anzusetzen, die dann auch als Vorlage für das stoffverwandte Fastnachtsspiel gedient haben könnte.31 Das Lied erzählt davon, dass eine Botin »ein horn von helffenbeinen« (Str. 1, V. 12) mit goldener Inschrift (Str. 1, V. 13f.) und einem »sussen« Klang (Str. 2, V. 6)32 an den Artushof bringt, wo Artus »uber tysche saß« (Str. 1, V. 1), allerdings nicht hungrig auf Aventüre wartend, sondern gerade den ersten Gang verzehrend (Str. 1, V. 5). Das Setting stimmt also nicht genau mit demjenigen des Artusromans überein, zitiert aber dessen typische Ausgangssituation, weshalb es nicht weiter verwundert, wenn die folgenden Ereignisse am Ende des Liedes rückblickend vom Erzähler als eine Aventüre (Str. 9, V. 9: »die abentuer«) bezeichnet werden. Das Horn stamme, so die Jungfrau, nachdem sie das Horn geblasen und dadurch das Mahl unterbrochen hat, von der »schon frau tristerat / [...] von Saphoer lant« (Str. 2, V. 14f.).33 Artus lässt, wie die Jungfrau aufgetragen hatte, einen Schreiber die Inschrift verlesen, der sich erst ziert, ihren Inhalt öffentlich kundzutun, und die Inschrift lieber nur dem König mitteilen möchte (Str. 3). Nach Artus’ erneuter Aufforderung liest er laut vor, dass das Horn demjenigen, der daraus trinke, die Untreue seiner Frau offenbare, indem es ihn begösse (Str. 4).34 Die Botin überreicht das Horn und verabschiedet sich »mit listen« (Str. 5, V. 3) – an-

|| 31 Vgl. Warnatsch (wie Anm. 7), 65–68, zustimmend Schanze, Art. ›König Artus’ Horn‹ (wie Anm. 21), 70. Warnatsch, 66, listet die zahlreichen Übereinstimmungen zwischen dem Lai und dem Lied auf; vgl. dazu auch Kasper (wie Anm. 1), 155f. Zur Motivgeschichte vgl. auch Edmund Kurt Heller, ›The story of the Magic Horn. A study in the Development of a Medieval Folk Tale‹, Speculum (1934), 38–50. 32 In der Wiltener Handschrift ist es sogar ein »don so übersüsse«. 33 So auch die Überschrift des Liedes in der Hamburger Handschrift: »Dis ist frauw tristerat horn von Saphoien«. Die Überschrift der Kolmarer Liederhandschrift lautet »von kunig artus horn«, die beiden anderen Handschriften haben lediglich die Tonangabe. »Saphoer lant« bzw. »Saphoien« wird wohl ›Savoyen‹ bezeichnen, was auch die Variante der Kolmarer Liederhandschrift (»saphyer lant«) meinen dürfte. In der Wiltener Handschrift steht »Syrneyer lant« (mit dem ›Sirenenland‹ – wenn dieses denn gemeint sein sollte – wäre also eine mythische Herkunft des Horns gewählt), in der Berliner »sosheier lant«. Die Herrin der Botin heißt in der Berliner Handschrift »die schon astermey«, die beiden anderen Handschriften bieten Varianten von Tristerat (Kolmarer Liederhandschrift: »Tristiant«, Wiltener Handschrift: »Tristro«). 34 Mit Blick auf die arthurischen Treue- und Tugendproben ist es eher ungewöhnlich, dass man hier bei der Hornprobe schon vorher weiß, was überprüft wird und dass es sich um eine Treueprobe handelt.

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scheinend weiß sie, was gleich passieren wird. Artus testet nun seine in allen vier Handschriften namenlose Frau, indem er aus dem Becher trinkt. Sogleich wird er zum ersten Opfer des Trinkhorns: »Da leyt er vor den fursten scham / Da er wart alles naß« (Str. 5, V. 7f.). Einer der Ritter – in der Wiltener Handschrift heißt er »yban« (Str. 5, V. 12: ›Iwein‹), in den anderen Fassungen ist der Name nicht mit einem bekannten Artusritter zu identifizieren35 – hält ihn davon ab, seine Gattin wegen ihrer Untreue zu verprügeln. Danach offenbart das Horn weiteren namentlich nicht genannten Königen realer Länder (in der Hamburger Handschrift: Ungarn, England, Russland, Griechenland, Frankreich und Kerlingen)36 die Untreue ihrer Gattinnen, indem es die trinkenden Könige benässt (Str. 6f.). Einzig der König von Spanien (Str. 8, V. 1: »Der konig von spangen«) besteht die Probe, obwohl er zunächst aus Angst vor dem Ergebnis zögert, aus dem Becher zu trinken: Seine Frau, die »die allerschonste waz / under ander koniginnen« (Str. 9, V. 1f.), ermuntert ihn jedoch, sie beide seien zwar arm, aber »erentrich« (Str. 8, V. 8). Da sie »die stetest an der er« (Str. 9, V. 3) und »rin clar recht alz ein spiegel glaß« (Str. 9, V. 5) ist, wie der Sprecher in einer Publikumsadresse eigens betont (Str. 9, V. 4: »daz glaubet sicherlich«), bestehen die beiden die Probe. Sie erhalten das Horn als Auszeichnung37 und dazu reiche Belohnung (Str. 8). Das Lied endet – nach der Begründung für die Tugendhaftigkeit der Gattin des spanischen Königs im Aufgesang der neunten Strophe – mit der Abreise der beschämten Königinnen (und sicher auch ihrer ebenso beschämten begossenen Gatten): »Alz het die abentuer ein ende genomen« (Str. 9, V. 9), alle sind »in großer qual« (Str. 9, V. 13), und die Ehre der Königinnen ist dahin. Zwei Aspekte dieses Erzählliedes seien hervorgehoben: 1. Nachdem Artus seine Gattin, deren Schönheit eigens erwähnt wird (Str. 5, V. 9: »Konig artus sprach zu siner schonen frauwen«), in der fünften Strophe getestet und auf das Ergebnis mit einem Zornausbruch und einer nur mühsam unterdrückten Prügelattacke reagiert hat, äußert er einen sentenzartigen Lehrsatz, dessen misogyner Einschlag angesichts der Situation durchaus nachvollziehbar ist und durch den weiteren Verlauf der Probe gewissermaßen bestätigt wird. Artus sagt: »Nu sol sych nyemer biederman / Dem sinen wib getruwen« (Str. 5, V. 10f.). Damit ist innerhalb seines Verhaltens ein erster Umschwung vollzogen:

|| 35 Hamburger Handschrift bzw. Kolmarer Liederhandschrift: »alapan« (Str. 5, V. 15); Berliner Handschrift: »rubein« (Str. 5, V. 15). 36 Die Ländernamen variieren in den verschiedenen Fassungen. Vgl. den Eintrag im RSM: 1 Wolfr/2/2a (›Namen II)‹. 37 Das ›Messgerät‹ fungiert also zugleich als Preis; seine anderweltlich-mythische Dimension spielt dabei keine Rolle, sie wird nicht problematisiert.

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Auf den emotionalen, grob-körperlichen Wutausbruch folgt eine kühl-rationale Belehrung, die sich innerhalb der Erzählung zwar an die Königin richtet, aber eigentlich auf alle zielt: auf das textinterne Publikum der Treueprobe am Artushof, aber auch auf das textexterne Publikum, das dem Sänger des Liedes lauscht. Ein weiterer Umschwung erfolgt, allerdings nur in der Wiltener Handschrift, in der nächsten Strophe mit der Reaktion des Königs Artus auf die Probe des Königs von Griechenland (in der Hamburger Handschrift ist es der König von Ungarn), der den Becher »in also freyem muete« (Str. 6, V. 2) entgegennimmt, dem aber dasselbe widerfährt wie König Artus: »er begoß sein reichen wat« (Str. 6, V. 3). Von Artus heißt es daraufhin: »des da kinig Artaus lacht« (Str. 6, V. 4). Mit diesem Lachen des Königs ist ein weiterer Bruch angedeutet. Das Lachen hat hier natürlich eine sublimierende Funktion, es nimmt der gesamten Situation aber auch den existentiellen Ernst, den sie zuvor durch Artus’ Reaktion auf sein eigenes Versagen und die dadurch offengelegte Untreue der Königin erhalten hatte. Erst die Komisierung des Nicht-Bestehens der Treueprobe ermöglicht es, den Reigen der Versuche fortzusetzen; erst Artus’ befreiendes Lachen sanktioniert das Versagen der anderen Könige; und erst die lange Reihe der Gescheiterten lässt den armen König von Spanien und seine arme, aber wunderschöne Gattin am Schluss als das beste Paar hervortreten, wie es die Funktionslogik der Tugendprobe ja vorsieht. König Artus ist also derjenige, der als unfreiwilliger Zeremonienmeister den Ablauf der Treueprobe und ihr stringentes Zulaufen auf ihr Ziel steuert. 2. Auffällig ist das Verhältnis von äußerer Schönheit und innerer Qualität. Am Artus-Königspaar wird vorgeführt, dass diese beiden Faktoren nicht immer deckungsgleich sein müssen: Die Königin ist schön, gibt sich aber heimlicher Liebe hin (mit Blick auf die vorgängige Tradition ist ihre Untreue bekanntlich keine große Überraschung). Die Allerschönste, die Frau des Königs von Spanien, ist dann aber doch treu und damit die allerbeste Ehefrau. Das Kalokagathie-Prinzip wird brüchig, aber diese Brüchigkeit wird am Ende aufgefangen. Damit gekoppelt ist ein auffälliges Interesse an pekuniären Faktoren: Armut ist kein Hindernis für besondere Ehre und Tugendhaftigkeit, die wiederum die Voraussetzung für reiche Be- oder vielleicht besser Entlohnung sind. Der Schluss des Liedes ist gleichwohl pessimistisch: »die abentuer [hat] ein ende genomen« (Str. 9, V. 9), alle reiten »heym / [...] in großer qual« (Str. 9, V. 11f.), viele Frauen haben ihre Ehre verloren. Dass damit auch ihre Männer ihre Ehre verloren haben, wird nicht expliziert, ist aber aus dem Verlauf der Probe und den Reaktionen der ›gehörnten‹ Männer mehr als deutlich geworden. Die Version der Berliner Handschrift fasst das in drastische Worte: was der fürssten und der heren an den hoff waren kümen

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die zügen wider heim in scham mit grimigklichen füg itlicher was seinr frawen gram und ir die haüt vol schlüg. (Str. 9, V. 10–15) Alle die Fürsten und Herren, die an den Hof gekommen waren, zogen beschämt wieder nach Hause. Jeder von ihnen war äußerst zornig auf seine Frau und verprügelte sie.

Damit wird die »nachsichtige Ethik«,38 die in der Wiltener Handschrift durch das Lachen des Artus als Option im Raum steht und dort mit dem zwar pessimistischen, aber vergleichsweise harmlosen Ende auch realisiert wird, negiert. Dementsprechend lacht Artus in der Fassung der Berliner Handschrift auch nicht über den griechischen König (die beiden übrigen Fassungen lassen Artus auch nicht lachen, verzichten aber auf ein drastisches Ende mit körperlichen Strafen für die Frauen). Bei der Hornprobe, wie sie in König Artus’ Horn erzählt wird, handelt es sich zwar um eine Treue- oder Keuschheitsprobe für die Frauen, die aber am Körper der Männer vollzogen wird. Dieser lässt die Qualität des Paares sichtbar werden und ist »als gesellschaftlicher Körper Repräsentant für Frau und Mann«.39 Wenn am Ende der Berliner Fassung die untreuen Königinnen Prügel beziehen, wird dieses einseitige Repräsentationsverhältnis ins Gleichgewicht gebracht, indem auch die Körper der Frauen die Zeichen der Verfehlung tragen.

3.2 Luneten Mantel Ähnlich wie in König Artus’ Horn ist die Treueprobe im vermutlich in der ersten Hälfte des 15. Jh. entstandenen40 Erzähllied Luneten Mantel gestrickt, das in sieben Strophen in Regenbogens ›Briefweise‹41 von einer Probe am Artushof mittels eines Mantels berichtet, der die Untreue der geprüften Damen aufdeckt. Auch für das Motiv der Mantelprobe sind französische Vorlagen anzusetzen, etwa die be-

|| 38 Linden (wie Anm. 4), 38. 39 Kellermann (wie Anm. 9), 106, hier in Bezug auf die Mantelprobe im Lanzelet, wo die Rollen vertauscht sind: Die Frauen werden mittels des Mantels geprüft, weshalb hier der Körper der Frauen als »gesellschaftlicher Körper« (ebd.) nicht nur die Frau, sondern auch den Mann repräsentiert. 40 Vgl. Schanze, Art. ›Luneten Mantel‹ (wie Anm. 21), 1068. Bartsch (wie Anm. 29), 176, setzt als Entstehungszeit frühestens das Ende des 14. Jh. an. 41 So die Tonangabe in den beiden erhaltenen Handschriften: »in der bruff wis Reg« (Kolmarer Liederhandschrift) bzw. »Jm pruff tone« (Hamburger Handschrift). Vgl. den Eintrag im RSM: 1 Regb/1/527a und b.

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reits erwähnte Erzählung Le Mantel mautaillé. Die frühe deutsche Rezeption – eventuell wiederum über eine verlorene mittelhochdeutsche Übertragung des Lai – belegen Ulrichs von Zatzikhoven Lanzelet und (vielleicht) das Mantel-Fragment des Ambraser Heldenbuches. Im Erzähllied Luneten Mantel42 fungiert, wie gesagt, ein Mantel als Instrument der Treueprobe, der nur der ehrenvollsten und tugendhaftesten Dame am Artushof passt. Hier werden also ebenfalls die Frauen getestet, aber nicht auf dem Umweg über ihre Männer, sondern unmittelbar. Auffällig ist, dass das Lied von Luneten Mantel das Gerüst der Tugendprobe mit einer deutlich voluminöseren narrativen Hülle umgibt, wodurch die Probe in einem anderen Kontext steht als in König Artus’ Horn. Der Erzähler berichtet nach einer einleitenden Publikumsadresse – »Nu hort ir herren« (Str. 1, V. 1) – von einem Ereignis am Artushof, das er als »ein abentuer von hoher art« (Str. 1, V. 1) bezeichnet:43 Es geht um einen Streit zwischen der ohne Namen eingeführten Frau des Königs Artus und Lunete, der Nichte des Königs (Str. 1, V. 5). Lunete, die zu Beginn gleich zweimal als »ein reyne meyt« (Str. 1, V. 2 und 8, hier: »Die reine meyt«) bezeichnet wird, hatte aus Freigiebigkeit ihren gesamten Besitz verschenkt, woraufhin die Königin sich weigerte, ihr zu helfen, und ihr stattdessen die Ehre absprach und sie »der mynne tat« (Str. 1, V. 11) bezichtigte, also einer vermutlich heimlichen, jedenfalls unzulässigen Liebesgeschichte. Der Text der Kolmarer Liederhandschrift ist noch deutlicher, dort heißt es: »sie zech sye f a l s c h e r mynne tat« (Str. 1, V. 8, Hervorhebung C. S.). Lunete wendet sich daraufhin an einen mächtigen Zwerg, der ein Freund ihres Vaters ist, und bittet ihn um Hilfe. Dieser schenkt ihr einen prachtvollen Mantel, mit dem sie sich am Artushof und in erster Linie an der Königin rächen könne, zudem ersetzt er Lunetes Besitz, den sie zuvor aus milte weggegeben hatte: »Daz zwergelin gab ir gut nach yrem wille gar« (Str. 2, V. 6). Damit sind die Voraussetzungen für die Tugendprobe am Artushof geschaffen. Bei Lunetes Rückkehr lästert die Königin erneut über sie und wiederholt in aller Öffentlichkeit ihre ehrenrührigen Anschuldigungen. Sie äußert gegenüber der gesamten Hofgesellschaft und offenbar in Anwesenheit Lunetes den Ver|| 42 Wenn nicht anders angegeben, beziehe ich mich auf den Text der Hamburger Handschrift und benutze den Abdruck von Eschenburg (wie Anm. 29), 143–47, den ich mit dem Digitalisat der Handschrift (siehe oben, Anm. 29) abgeglichen und gegebenenfalls korrigiert habe. Der Text der Kolmarer Liederhandschrift ist abgedruckt bei Bartsch (wie Anm. 29), Nr. 69, 373–76, das Digitalisat online verfügbar (siehe oben, Anm. 29). 43 Wie in König Artus’ Horn handelt es sich also um eine ›typisch‹ arthurische Aventüre, auch wenn in Luneten Mantel, anders als in König Artus’ Horn, nicht deren typische Ausgangssituation, das (Fest-)Mahl am Artushof, aufgerufen ist.

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dacht, Lunete habe »heymlich [...] ein richen man« (Str. 2, V. 12) und ergänzt: »Sie ist ein valsch mynnerin / Und hat jr ere verhauwen« (Str. 2, V. 15f.). Lunete tritt nun – in prächtiger Weise mit dem Mantel bekleidet – vor die Hofgesellschaft und kündigt an, den wunderschönen Mantel, dessen Beschreibung einen Großteil der dritten Strophe füllt, derjenigen zu schenken, der er besser stehe als ihr selbst. Die Königin probiert ihn hocherfreut als erste an, nicht ohne vorher einen süffisanten Kommentar in Lunetes Richtung abzugeben, indem sie mit unverkennbar ironischem Unterton sagt: »Ach stunt er mir also glich alz er stet lanethen / Der vil reinen kuschen meyde« (Str. 4, V. 4f.). Natürlich passt ihr der Mantel nicht, wie der Erzähler mit einer Publikumsadresse kundtut: »Daz ein flenschin herwand ir oberhalp dem kny / das ander zocht ir hinden nach jr mercket wie« (Str. 4, V. 6f.). Die Königin reagiert empört: »wie hat der tufel mich begauckelt hie« (Str. 4, V. 8). Sie wirft den Mantel schnell von sich, um – so der Erzähler – ihr Laster zu verdecken. Danach scheitern alle anderen Damen ebenfalls. Artus reagiert »usser massen« (Str. 5, V. 1) zornig, dass seiner geliebten Ehefrau der Mantel nicht passte, und fordert von Lunete Aufklärung. Sie gibt ihm im Stillen die folgende Begründung, die zugleich eine Deutung der Mantelprobe ist (siehe dazu unten): »Din schone frauw hat mich mit worten ser geslagen / Dar umb muß sye das laster hut hie von mir tragen« (Str. 5, V. 12f.). Daraufhin kassiert sie – gemeint sein muss doch wohl die Königin, nicht Lunete44 – einen Schlag ins Gesicht: »So bald konig artus daz vernam / er slugs ir under augen« (Str. 5, V. 14f.). Der Erzähler merkt dann an, dass insgesamt 350 Damen an der Mantelprobe scheiterten, bitter von ihren Männern wegen des Ehrverlusts gescholten. Die einzige Ausnahme bildet eine junge Dame, die mit dem »aller elsten ritter« (Str. 6, V. 6) verheiratet ist. Ihr passt der Mantel perfekt, denn »sye het kein andern lyep / Dann yeren rechten herren« (Str. 6, V. 8f.). Sie und ihr Gatte sind damit vor allen anderen ausgezeichnet, der alte Ritter ist überglücklich. Wiederum bittet Artus, noch immer nicht besser gelaunt – Lunete ermahnt ihn: »wiltu dinen zorn verkern« (Str. 7, V. 5) –, seine Nichte um Aufklärung. Lunete hebt zu einer zweiten Deutung der Mantelprobe an und betont die beständige Tugendhaftigkeit der jungen Dame: »Wan sie nye hat gedretten uß der eren ban« (Str. 7, V. 10). Besonders hebt sie hervor, »Daz sye ir dru behalten hat an yrem man« (Str. 7, V. 12). || 44 Anders der Eintrag im RSM (1Regb/1/527a): »Darüber ergrimmte König Artus und schlug Lunete ins Gesicht« (20) – aber warum sollte Artus seine Nichte schlagen? Allenfalls, weil sie die Königin beschuldigt und blamiert, was mir aber nicht sehr plausibel scheint, weil der Kontext doch eher auf die Königin als Adressatin des Schlages hinweist. Auch Kasper (wie Anm. 1), 119, vermutet, dass Artus die Königin schlägt, zieht aber mit Blick auf das Fastnachtspiel mit der Kron (K 80) auch Lunete als Opfer in Erwägung. Einen »Kinnhaken« (ebd.) verteilt Artus allerdings nicht, das Schlagen »under augen« verweist eindeutig auf einen Backenschlag.

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Damit wird am Ende des Liedes deutlich, dass die Mantelprobe eigentlich eine Treueprobe ist, was bei der Prüfung der Königin nicht wirklich ersichtlich war, denn als Begründung dafür, dass dieser der Mantel nicht gepasst hatte, führte Lunete die Lügengeschichten an, die die Königin zuvor über sie verbreitet hatte. Auch der Zwerg hatte angekündigt, dass die Mantelprobe üble Nachrede entlarven würde. Er hatte Lunete zusammen mit dem Mantel mit auf den Weg gegeben: »Spricht yeman zu dir arge wort / So laß in [den Mantel] auch versuchen« (Str. 2, V. 4f.). Damit ist freilich nicht gesagt, dass der Königin der Mantel nicht doch aufgrund ehelicher Untreue nicht passte, was wiederum den Schlag erklären würde, den die Königin nach der Mantelprobe vom König versetzt bekommt. Es ist offensichtlich, dass man es bei Luneten Mantel mit einer wesentlich komplexeren narratio45 als im Falle von König Artus’ Horn zu tun hat. Die Tugendprobe ist demnach hier als funktionales Mittel zum Zweck in einen breiteren Erzählzusammenhang eingebettet. Sie wird nicht von außen an den Artushof herangetragen, sondern kommt von innen, aus der Mitte der Artusgesellschaft; lediglich das Mittel, mit dem die Probe vollzogen wird, trägt durch seine Herkunft anderweltliche Züge. Entscheidend aber ist, dass beides zusammen – das anderweltliche Prüfinstrument und Lunete als ›Botin‹ aus der Mitte der Artusgesellschaft – primär Lunetes Rache an der Königin dient, die sich Lunete gegenüber falsch verhalten hatte. Alles andere sind gewissermaßen ›Kollateralschäden‹. Ich beschränke mich über diesen Befund hinaus auch hier auf zwei punktuelle Beobachtungen. 1. Eine Komisierung der nicht bestandenen Tugendprobe innerhalb der Erzählwelt wie in der Wiltener Fassung von König Artus’ Horn ist hier nicht zu konstatieren. Artus verfällt in übermäßigen Zorn und züchtigt seine Gattin, nachdem er davon erfahren hat, wie sie seine Nichte behandelt hatte und dass sie ihm möglicherweise untreu war. Insgesamt macht die Königin eine alles andere als gute Figur, und das Lied führt vor, wie man sich mit List und entsprechender Unterstützung gegen solche Ungerechtigkeiten zur Wehr setzen kann. Auch insofern hat die Tugendprobe hier einen völlig anderen Zweck als in König Artus’ Horn.46 2. Auffällig ist wiederum das Interesse an pekuniären Fragen, das das Lied erkennen lässt. Der Auslöser für den Streit zwischen der Königin und Lunete war || 45 Warum Kasper (wie Anm. 1) die Erzählung in Luneten Mantel als »reichlich verworren[]« (118, ähnlich auch 119) einstuft und das Lied als »wirre Fassung« (177) der Mantelproben-Geschichte bezeichnet, ist mir nicht ersichtlich. 46 Die doppelte Funktionalisierung der Probe – als eines Instruments der Rache Lunetens und als eines Prüfsteins für den Zustand der Artusgesellschaft – erklärt auch die Struktur des Liedes mit der verdoppelten Ausdeutung der Mantelprobe durch Lunete. Es handelt sich also mitnichten um einen »wirren, aus sich heraus kaum verständlichen Aufbau«, wie Kasper (wie Anm. 1), 119, meint.

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ja, dass letztere aufgrund ihrer »edel mylt« (Str. 1, V. 5) ihr gesamtes Hab und Gut verschenkt hatte, weshalb sie mittellos und auf Hilfe angewiesen ist. Diese übermäßige, allerdings nicht als negativ ausgewiesene Freigiebigkeit ist es, an der die Königin Anstoß nimmt und die sie dazu veranlasst, Lügengeschichten über Lunete zu verbreiten. Sie ist offenbar neidisch oder zumindest missgünstig. Der weitere Verlauf der narratio macht dann allerdings deutlich, dass nicht die Mittellosigkeit Lunetes das Problem ist – diese ließ sich durch den Besuch beim befreundeten Zwerg ja problemlos beheben –, sondern ihr Ehrverlust in der Hofgesellschaft aufgrund der üblen Nachrede der Königin. Das komplizierte Arrangement der Mantelprobe dient zunächst ausschließlich der Beseitigung dieses Makels. Das Ergebnis der Massenprüfung ist dann nur noch surplus, denn Lunetes Rache ist bereits nach dem allerersten Manteltest an der Königin vollzogen; dass auch alle anderen bis auf eine die Prüfung nicht bestehen, ist – wie gesagt – lediglich ein ›Kollateralschaden‹ von Lunetes Rache an der Königin, die aber nicht Rache um der Rache willen ist, sondern der Wiederherstellung der Ehre dient. Wie in König Artus’ Horn sind es aber auch hier wieder die underdogs, die am Ende der Probe als Sieger dastehen: der älteste, mithin unattraktivste Artusritter und seine junge Frau, die nicht nur äußerlich schön ist (ihr passt der Mantel), sondern auch ethisch in jeder Hinsicht untadelig. Gerade an diesem auf den ersten Blick ungleichen Paar erweist sich wahre eheliche Treue. Die Frau, die angesichts ihres alten Mannes von außen betrachtet am ehesten Anlass zur Untreue hätte, hat »ir dru behalten [...] an yrem man« (Str. 7, V. 12). Das Lied endet mit Lunetes Preis eben dieser Treue: »Ee sie noch brech jr wilplich zucht / Ee wolt sie lyden smertzen« (Str. 7, V. 13f.). Beiden Liedern eignet ohne Zweifel eine auf ein breiteres Publikum zielende Unterhaltungsfunktion,47 wie sie der Gattung des Erzählliedes gemäß ist. Dass Luneten Mantel in dieser Hinsicht attraktiver ist als König Artus’ Horn, ist offensichtlich – weiter verbreitet war ausweislich der Überlieferung jedoch das Lied von der Becherprobe, aber das sagt nicht allzu viel. Auffällig ist jedenfalls der deutlich unterschiedliche Stellenwert, der dem Motiv der Treue- bzw. Tugendprobe jeweils zukommt – und damit auch die ›moralische‹ Botschaft der beiden Texte, wobei augenfällig ist, dass diese nicht im Zentrum steht: Beide Lieder wollen primär eine interessante, reizvolle und daher unterhaltsame Geschichte erzählen. Dass dabei der Artushof desavouiert wird und am Ende die ›kleinen‹ Leute – das verarmte spanische Königspaar in König Artus’ Horn, die mittellose, verspottete

|| 47 Sie deswegen als »spätmittelalterliche Trivialliteratur« abzuqualifizieren, wie es Kasper (wie Anm. 1), 119, in Bezug auf Luneten Mantel tut, ist wenig angemessen.

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Lunete und die junge Dame mit dem alten Mann in Luneten Mantel – die Gewinner sind, mag ein Hinweis darauf sein, dass beide Lieder nicht bei Hofe zu verorten sind, sondern eher in städtischen Kontexten,48 was angesichts des Gattungsrahmens naheliegt. Zu denken ist an öffentliche Darbietungen auf dem Marktplatz oder halböffentliche bei bürgerlichen Festen oder in Patriziergemeinschaften. Das heißt freilich nicht, dass die beiden Lieder nicht auch in höfischen Kontexten auf Interesse gestoßen sein könnten, erzählen sie doch spannende und unterhaltsame Geschichten. Dabei ist der Artushof, situiert in einer nicht näher spezifizierten grauen Vorzeit, weit genug von der eigenen Lebensrealität entfernt, um sich auch als Adeliger des 15. Jh. von dieser offensichtlich verkommenen Gesellschaft untreuer Frauen und jähzorniger Ritter distanzieren zu können: Früher war eben auch nicht alles besser. Damit wird dann aber – quasi durch das Hintertürchen – auch die moralische Dimension der Treue- und TugendprobenErzählungen wieder relevant. Der Artushof fungiert als »Trägermedium«49 zur Diskursivierung überzeitlicher und überständischer ethischer Werte, weshalb die Lieder durchaus auch gesellschaftskritisches Potential aufweisen. Ob dieses ›aktiviert‹ wird oder nicht, hängt in erster Linie von der Haltung und von den Bedürfnissen der Rezipienten sowie von den jeweils gegebenen Rezeptionsumständen ab.

4 Ehebrecher als getaufte Mäuse und nasse Dachse bei Hans Sachs Wie sich die Spannung zwischen einer primär unterhaltenden Funktion und einer ›moralisch‹-didaktischen Intention der Erzählungen von arthurischen Tugend- bzw. Treueproben im 16. Jh. darstellt, will ich mit einem abschließenden Blick auf die beiden einzigen im engeren Sinne arthurischen Texte des Hans Sachs (abgesehen von seinen Bearbeitungen des Tristan-Stoffs) eruieren. Dass die beiden Texte von einer Treueprobe erzählen, die in der von Sachs gewählten || 48 Anders als in den stoffverwandten Spielen – siehe dazu Mierke (wie Anm. 20) – bedienen sich die Lieder nicht des Mittels der Komisierung, um sich von den überkommenen Normen und Wertvorstellungen des Artushofes abzusetzen. Zu den Komisierungstendenzen der Spiele vgl. Andrea Grafetstätter, Ludus compleatur. Theatralisierungsstrategien epischer Stoffe im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Spiel, Wiesbaden 2013 (Imagines medii aevi 33), 61–126; Mierke (wie Anm. 20) verdeutlicht in ihrem Aufsatz in überzeugender Weise, dass diese Komisierung nur vordergründig im Zentrum der Spiele steht. 49 Ebd., 122.

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spezifischen Ausformung alles andere als gängig ist (siehe dazu unten), ist angesichts dessen sowie v. a. des augenscheinlichen Desinteresses an Arthuriana seitens Hans Sachs’ auffällig.50 Eine Erklärung dafür kann ich nicht bieten, aber es dürfte im Folgenden immerhin deutlich werden, was Sachs an dem Stoff so reizte, dass er ihn gleich zweimal bearbeitet hat, wenn auch mit großem zeitlichem Abstand. Bei den beiden Texten handelt es sich um ein auf den 9. Januar 1530 datiertes, als historia ausgewiesenes Reimpaargedicht und ein am 17. März 1545 verfasstes Meisterlied im ›Langen Ton‹ Heinrichs von Mügeln,51 die beide von der Ehebrecher-Brücke berichten. Dieses Motiv ist zuerst im Jüngeren Titurel zu finden (Str. 2298–449)52 – dessen Bedeutung für die spätmittelalterliche Artusrezeption grundsätzlich nicht hoch genug eingeschätzt werden kann53 –, und davon abhän-

|| 50 Hans Sachs hatte generell deutlich weniger Interesse an genuin mittelalterlichen als an antiken oder biblischen Stoffen. Vgl. Danielle Buschinger, ›Zur Mittelalter-Rezeption bei Hans Sachs‹, in: Wolfgang Spiewok (Hrsg.), Deutsche Literatur des Spätmittelalters. Ergebnisse, Probleme und Perspektiven der Forschung, Greifswald 1986 (Deutsche Literatur des Mittelalters 3), 362–75, Albrecht Classen, ›Mittelalterliche Chronistik und Literatur im Werk von Hans Sachs. Rezeptionshistorische Perspektiven im 16. Jahrhundert‹, Colloquia Germanica 37 (2004), 1–25, und v. a. Winfried Neumann, Zeitenwechsel. Weltliche Stoffe des 12. bis 14. Jahrhunderts in Meisterliedern und motivverwandten Dichtungen des Hans Sachs, Heidelberg 2005 (Jenaer germanistische Forschungen NF 19); Buschinger und Classen erwähnen einen der beiden hier interessierenden Texte, Neumann beschränkt sich auf explizite Bezugnahmen Sachs’ auf über sein Bücherverzeichnis greifbare Werke. – Wenn Sachs mittelalterliche Versromane bearbeitet hat, dann wählte er eher die bereits vorliegenden Prosaisierungen denn die Versromane selbst als Vorlage – weil sie kürzer und damit leichter handhabbar waren, weil sie frühneuhochdeutsch waren oder auch weil sie gedruckt vorlagen und daher leichter erhältlich waren. Ich danke Cora Dietl für diesen Hinweis. 51 Das Autograph der historia ist nicht erhalten (der entsprechende Band von Sachs’ eigenhändiger Werksammlung ist verloren), die historia ist aber Teil der fünfbändigen Sachs-Werkausgabe von 1558–91, vgl. die Angaben bei Nicole Dentzien, ›Hans Sachs’s Arthurian Chastity Test‹, Arthuriana 13 (2003), 43–65, hier: 44 (ebd., 57–63, findet sich auch ein Textabdruck mit englischer Übersetzung). Das Meisterlied ist in insgesamt fünf Handschriften (eine sechste war in dem verschollenen siebten Band der eigenhändigen Sammlung aller Sachs’schen Meisterlieder enthalten) sowie einem Druck überliefert. Vgl. die Übersicht im RSM: 2S/1631a–g. 52 Benutzte Ausgabe: Albrechts [von Scharfenberg] Jüngerer Titurel, Bd. 2 (Str. 1958–4394), hrsg. von Werner Wolf, Berlin 1968 (DTM 55/61). Vgl. dazu z. B. Kasper (wie Anm. 1), 180–83 und 613–25, sowie Dietrich Huschenbett, ›Nicht erzählte Geschichten. Zur Tugendbrücke im Jüngeren Titurel – ein Versuch‹, in: Trude Ehlert (Hrsg.), Chevaliers errants, demoiselles et l’Autre: höfische und nachhöfische Literatur im europäischen Mittelalter. FS Xenja von Ertzdorff, Göppingen 1998 (GAG 644), 375–88. 53 Vgl. Rüdiger Krüger, Studien zur Rezeption des sogenannten Jüngeren Titurel, Stuttgart 1986 (helfant-studien 1), sowie Schanze und Dietl (wie Anm. 17), passim.

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gig auch in Ulrich Füetrers Buch der Abenteuer (Str. 530–37).54 Woher Sachs Kenntnis des Stoffes hatte, ist unklar.55 Die Verbindung zwischen dem Motiv der Treueprobe mittels einer Brücke und der Figur des Zauberers Virgilius (siehe dazu unten) scheint jedenfalls auf sein Konto zu gehen.56 Die historia mit der Überschrift König Artus mit der ehbrecher brugk57 berichtet nach einer einleitenden Situierung der folgenden Geschichte in einer nicht näher bestimmten Vorzeit (262, 1: »Vor jarn«) davon, dass Artus äußerst schlechter Laune ist. Wieso er »betrübet wart / Von hertzen gar unmutig hart« (262, 6), ist zunächst unklar. Alle aus seinem Umfeld versuchen ihr Bestes, doch Artus ist und bleibt untröstlich. Erst Vergil in seiner seit dem Mittelalter üblichen Rolle als sagenhafter Magier und Schwarzkünstler – »Virgilius / Der kunst ein nigromanticus« (262, 10f.)58 – kann nach mehrmaligem Insistieren zu Artus durchdringen,

|| 54 Benutzte Ausgabe: Ulrich Füetrer, Das Buch der Abenteuer. Nach der Handschrift A (Cgm. 1 der Bayerischen Staatsbibliothek), hrsg. von Heinz Thoelen, 2 Teile, Göppingen 1997 (GAG 638). Vgl. dazu z. B. Kasper (wie Anm. 1), 183–87. 55 Kasper (wie Anm. 1) geht von »einer Kontinuität zwischen der Brückenprobe und Vergils Ehebrecherbrücke« (187) aus; vgl. dazu ebd., 385–89. 56 Sachs’ Bearbeitung des Themas ist produktiv aufgenommen worden. Nur am Rande erwähnt sei, dass Martin Montanus die Geschichte von der Ehebrecher-Brücke als Prosaauflösung in die Schwanksammlung seiner Gartengesellschaft (1557–66) aufgenommen hat und dass Hans Wilhelm Kirchhof für den zweiten Teil seines Wendunmuth (nach 1598) ebenfalls eine ausführliche Prosabearbeitung erstellte, die er mit einer umfangreichen moralisatio versehen hat. Benutzte Ausgaben: Martin Montanus, Schwankbücher (1557–1566), hrsg. von Johannes Bolte, Tübingen 1899 (BLV 217), 420–23 (cap. 112); Hans Wilhelm Kirchhof, Wendunmuth, hrsg. von Hermann Österley, 5 Bde., Tübingen 1869 (BLV 95–99), Bd. 2, 38–47 (Nr. 22). Vgl. auch den Überblick bei Kasper (wie Anm. 1), 379–82, die auch Bildzeugnisse aufführt (ich ergänze, soweit möglich, Exemplarnachweise, die bei Kasper fehlen): einen Holzschnitt von Georg Pencz, der ein nach 1530 gedrucktes Nürnberger Flugblatt mit Sachs’ historia schmückt (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung, Inventar-Nr. HB 12432, Kapsel-Nr. 1292; Kasper, 382, lässt die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Sachs’ historia und dem Holzschnitt offen, es dürfte aber kein Zweifel daran bestehen, dass Penczs Holzschnitt eine Illustration zu Sachs’ historia darstellt); einen nach 1560 entstandenen großformatigen Holzschnitt von Jost Amman (British Museum, Department Prints & Drawings, Registration nr. 1889,0806.1); schließlich einen Kupferstich von Virgil Solis, um 1580. Vgl. zu den drei Bildzeugnissen, v. a. zu Ammans Holzschnitt, auch K[arl] Wassmannsdorff, ›Zur Erinnerung an Hans Sachs. Die Ehebrecher-Brücke des Hans Sachs und des Jost Amman‹, Deutsche Turn-Zeitung 44 (1894), 861–64. 57 Benutzte Ausgabe: Hans Sachs, hrsg. von Adelbert von Keller, 26 Bde., Bd. 2, Tübingen 1870 (BLV 103), 262–67. 58 Vgl. dazu z. B. den Überblick bei Mierke (wie Anm. 25); dort finden sich auch zahlreiche Hinweise auf die vorgängige Forschung. Weit verbreitet ist die fest mit Vergil als Zauberer verbundene Sage von der Bocca della verità (›Virgils Zauberbild‹). Vgl. dazu Frieder Schanze, Art. ›Virgils Zauberbild‹, in: 2VL, Bd. 10, 381–84, und ausführlich Kasper (Anm. 1), 341–75.

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auch wenn dieser der Meinung ist, sein Problem ließe sich nicht einmal durch »schwartze kunst« (262, 14) lösen. Schließlich stellt sich heraus, dass Artus seine Gattin, die hier ebenfalls namenlos bleibt, des Ehebruchs mit einem »ritter wolgestalt« (262, 22) verdächtigt. Natürlich weiß Virgilius doch Abhilfe. Er erklärt dem König, Artus müsse eine Brücke errichten lassen, die er magisch präparieren werde. Läute er dann ein Glöckchen, würden alle Ehebrecher von der Brücke in den Fluss stürzen (262, 27–63, 9). Die Funktionsweise der Treueprobe mittels einer magischen Brücke als Testinstruments ist also von vorneherein bekannt, allerdings nur dem König, seinem Berater Virgilius, dem Erzähler sowie den Rezipienten des Textes, nicht aber den Rittern und Damen des Artushofes. Damit ist die Ausgangssituation eine deutlich andere als in den bisherigen Proben: Artus ist derjenige, der aufgrund seines Verdachts den Anstoß zur Treueprobe gibt, und Virgilius gibt ihm die Mittel dazu an die Hand. Die Spannung richtet sich nicht darauf, was es mit einem ominösen Gegenstand obskurer Herkunft auf sich hat, dessen Erscheinen am Artushof zunächst große Freude über die willkommene Abwechslung, kurz darauf umso größere Ernüchterung angesichts des verlotterten Zustandes der Artusgesellschaft bringt, sondern darauf, wie die Probe verlaufen wird: Ist die Königin wirklich untreu? Artus lässt nun vor der Stadt über »das gross wasser Ramesis« (263, 13; gemeint ist die Themse, lat. Tamesis; die Form Ramesis begegnet auch andernorts häufig) eine »schöne brucken« (263, 15) schlagen, die ausführlich beschrieben wird (263, 14–26): Sie hat 32 Joche, ist neun Ellbogen hoch, ihr Pflaster ist aus poliertem, spiegelhell glänzendem Marmor und nur drei Spannen breit. Ein Geländer gibt es jedoch nicht. Mitten auf der Brücke steht ein Turm, dessen Wände »künstreich ergraben« (263, 26), also mit Bildschmuck versehen sind. Nachdem die Brücke fertig ist, nimmt »Fillius« (263, 29; so die seit dem späteren Mittelalter häufig vorkommende verballhornte Abwandlung von Virgilius) die magische Einrichtung vor, was ähnlich ausführlich geschildert wird (263, 27–38): Er hängt ein Glöckchen in den Turm, bringt allerlei magische Zeichen und griechische Buchstaben an und spricht eine Beschwörung. Nach Vollendung aller Vorbereitungen lässt Artus einen Hoftag ausrufen und lädt den gesamten Adel seines Reiches, Männer und Frauen, in die Hauptstadt »Trimoantem« (264, 8; die von Brutus gegründete Hauptstadt am Fluss Ramesis/Tamesis – so etwa in der Schedel’schen Weltchronik) ein. Die höfischen Vergnügungen während des Hoftages in einer Zeltstadt vor den Toren der Hauptstadt werden detailliert referiert (264, 13–27), wobei die allgemeine Freude in einem deutlichen Kontrast zum Kummer des König steht, der noch immer »ein betrübet hertz« (264, 29) hat. Am dritten Tage lässt Artus alle Anwesenden bitten, mit ihm über die Brücke zu reiten. Der Erzähler betont eigens, dass keiner ahnt, was es damit auf sich hat,

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obwohl natürlich alle gerne der Einladung folgen: »Das war ihn wol gemaynet allen. / Nyemand die haymligkeyt da west« (264, 39f.). Nachdem der Hofmeister die Gruppe geordnet hat, reiten alle auf die Brücke: vorneweg Artus, dann die Königin mit ihrem Gefolge – »Leis, fuß für fuß, nach adels sitten« (265, 11) –, danach der restliche männliche Adel. Als sich alle auf der Brücke befinden, läutet Virgilius sein Glöckchen. Bei der Schilderung der nun folgenden Ereignisse spannt uns der Erzähler gehörig auf die Folter: Artus blickt sich sofort nach seiner Frau um (265, 17f.), sieht aber zunächst seinen Marschall fallen (265, 19–22), dann alle anderen; das daraus resultierende Chaos wird in zwölf Versen genüsslich ausgemalt (265, 23–34; siehe unten). Erst nachdem sich der Erzähler dann auch noch darüber ausgelassen hat, dass niemandem etwas passiert ist, erfährt man nebenbei, dass sowohl die Königin als auch der Ritter, den Artus verdächtigt hatte, die Probe bestanden haben, und dass der König nun zufrieden ist: »Darob [er] hertzliche freud entpfing« (266, 5). Alle anderen sind zwar durch den Sturz in die Themse entehrt, wissen das aber nicht, denn der Wassersturz hat keinerlei Folgen, wie die schwankhafte Schlusswendung der historia – noch bevor die Treue der Königin bestätigt wird – festhält: Im wasser wart ein grosses zabeln, Ein sollich durch-einander-krabeln Von roß und man, ein solch aufschwimen, Zu land ein uber sehr auffklimmen An den stauden und dem gestreuß, Driff-naß als die getaufften meuß. Iedoch geschach nyemand kein schad Inn diesem kalten wasserbad, Wann ieder auff sein pferdlein saß Und reyt also dahin drieff-naß Und wurd auß den ernstlichen sachen Ein kurtzweyl und schimpfliches lachen, Wann niemandt west die ursach schwer. Mann maynet, es gschech angefer. (265, 29–66, 3) Im Wasser gab es ein großes Gezappel und ein ebenso großes Durcheinanderkrabbeln von Pferden und Menschen. Alle kamen durcheinander an die Wasseroberfläche und schwammen an Land, und sie kletterten mühsam mithilfe des Ufergestrüpps an Land, triefnass wie die getauften Mäuse. Es nahm aber niemand Schaden bei diesem Kaltwasserbad, denn jeder saß auf sein Pferdchen und ritt triefnass davon. So wurde aus der ernsten Sache ein spaßiger Zeitvertreib, denn niemand ahnte den schwerwiegenden Hintergrund der Angelegenheit. Man dachte, es sei einfach so passiert.

Die begossenen Pudel des Hofstaates wissen also gar nicht, wie ihnen widerfahren ist, weshalb sie die ›ernste‹ Angelegenheit (265, 39) als »kurtzweyl und

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schimpfliches lachen« auffassen. Doch auch Artus scheint sich nicht weiter an der Verkommenheit seines Hofes zu stören, ihm genügt wohl die Unschuld der Königin. Das fröhliche Hoffest dauert weitere dreizehn Tage an, als ob nichts gewesen wäre, danach reisen alle bestens gelaunt nach Hause. Der umfangreiche »beschluß« (266, 16) der historia bietet aber, eingeleitet durch eine mahnende Publikumsadresse des Erzählers mit unverkennbar didaktischem Impetus (266, 17: »Hört, was die bruck bedewten sey«), eine heftige Invektive gegen das »laster der ehbrecherey« (266, 18), denn: »Das ist verzaubert und verglenst / Mit eytel teuflischem gespenst« (266, 19f.) usw. Dazu unternimmt der Erzähler eine quasi-allegorische Ausdeutung der in der historia angeführten baulichen Eigenheiten der Brücke, indem er die symbolische Dimension der Schmalheit der Brücke und ihrer Glattheit betont: Nun ist die bruck an ehren schmal, Unlöblich, schendlich uberal, Darzu sie auch kein lehnstain hat, Darzu gantz häl, schlüpfrig und glat. [...] Auch ist die bruck fast lang und hoch Und hat in trübsal mannich joch (266, 29–36). Nun ist die Brücke schmal an Ehren und überall nicht zu loben und schändlich. Zudem hat sie auch kein Geländer und ist dazuhin völlig heimtückisch, rutschig und glatt. [...] Auch ist die Brücke sehr lang und hoch und hat viele Joche der Trübsal.

Im Umkehrschluss heißt das: Der Weg der Tugend ist schmal, mühsam und gefährlich. Wenn dann das Glöckchen klingelt, schlägt dem Ehebrecher im wahrsten Sinne das letzte Stündlein: »Bedeut, das zeyt das stündlein bringet« (267, 6). Er tritt fehl und stürzt nicht nur in »unglück, schanden und trübsal« (267, 8), sondern auch »Inn armut, kranckheit, angst und not, / Inn feindschaft gen menschen und Got« (267, 9f.). Und nicht nur das, er ist zudem auch der Lächerlichkeit preisgegeben: Wenn man denn sicht im unglück baden, Wirdt er den leuthen ein gelechter. Man spricht: Ey, ey, das ist ein rechter. Er bulet creutzweiß durch die stat. Den spot er denn zum schaden hat Und sitzt da, wie ein nasser dachs. (267, 12–17) Sieht man ihn im Unglück baden, machen sich die Leute lustig über ihn. Man spricht: ›Ei, ei, das ist ein Rechter. Er buhlt sich kreuz und quer durch die Stadt.‹ Dann hat er zum Schaden den Spott und sitzt da wie ein nasser Dachs.

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Auf diese Weise kontrastiert der Sprecher Hans Sachs – »So spricht zu Nürenberg Hans Sachs« (267, 18), lautet wie üblich die Autorsignatur – im Rückblick auf die historia das sorglose Verhalten des Artushofes mit seiner schweren und folgenreichen Sündhaftigkeit und distanziert sich so von der schwankhaft-komischen, das moralische Versagen der Artusgesellschaft eher maskierenden Schlusswendung der historia. Die Moral ist rein extradiegetisch angelegt und steht in deutlichem Gegensatz zur narratio.59 Gerade aus der Distanz heraus – erinnert sei an den Beginn der historia: »Vor jarn ein mechtig könig saß« (262, 2) – lässt sich das Exempel aktualisieren: Dem überkommenen höfischen Liebesbegriff wird in affirmativer Weise ex negativo eine bürgerlich-protestantische Ehemoral gegenübergestellt,60 wie sie auch andernorts bei Hans Sachs begegnet.61 Dass Sachs seine protestantisch gefärbte Botschaft hier an eine vordergründig recht harmlose, von jeder tagesaktueller Bezugsmöglichkeit denkbar weit entfernte Geschichte bindet und auf jegliche Konfessionspolemik verzichtet, hat vielleicht mit der Entstehungszeit des Textes zu tun.62 1527 war Sachs vom Rat der Stadt Nürnberg mit einem Publikationsverbot belegt worden, denn er hatte sich »nach dessen Auffassung mit seiner Auslegung der wunderlichen weissagung von dem papstum in der Kritik an der röm[ischen] Kirche zu weit vorgewagt«.63 Das Ende dieses Verbots ist nicht dokumentiert, aber es wird vermutet, dass Sachs u. a. mit dem auf den 20. Februar 1530 datierten Lobspruch der statt Nürnberg versuchte, das Wohlwollen des Rates zurückzuerlangen,64 was ihm anscheinend auch gelang.

|| 59 Vgl. dazu grundsätzlich Björn Reich und Christoph Schanze (Hrsg.), narratio und moralisatio, Oldenburg 2018 (BME Themenheft 1), online unter: http://ojs.uni-oldenburg.de/ojs-3.1.0/index.php/bme/issue/view/1/Themenheft_1 [letzter Zugriff: 10. Januar 2019]. 60 Vgl. Dentzien (wie Anm. 51), 50, die festhält: »the chastity test of medieval court literature has developed into a manifestation of sixteenth-century German burgher values«. 61 Vgl. z. B. Barbara Könneker, ›Die Ehemoral in den Fastnachtspielen von Hans Sachs. Zum Funktionswandel des Nürnberger Fastnachtspiels im 16. Jahrhundert‹, in: Horst Brunner (Hrsg.), Hans Sachs und Nürnberg. Bedingungen und Probleme reichsstädtischer Literatur. Hans Sachs zum 400. Todestag am 19. Januar 1976, Nürnberg 1976 (Nürnberger Forschungen 19), 219–44. 62 Ich danke Cora Dietl herzlich für diesen Hinweis. 63 Barbara Könneker und Dieter Wuttke, Art. ›Sachs, Hans‹, in: 2Killy, Bd. 10, 141–46, hier: 142; vgl. auch Niklas Holzberg, Art. ›Sachs, Hans‹, in VL Frühe Neuzeit, Bd. 5, 407–21, hier: 408. Die Ratsdokumente sind abgedruckt bei Gerhard Hirschmann, ›Archivalische Quellen zu Hans Sachs‹, in: Brunner (wie Anm. 61), 14–54, hier: 42–46 (Beschluss vom 28. März 1527: »Hans Sachsen, schuster, sol man sagen, das er sich enthalt eynich buchlin oder reymen zu machen oder ausgeen zu lassen«). Holzberg (ebd.) vermutet, dass aufgrund des Publikationsverbots 213 der 244 zwischen April 1527 und Februar 1530 entstandenen Sachs’schen Texte Meisterlieder sind. 64 Vgl. Könneker und Wuttke (wie Anm. 63), 142, und Holzberg (wie Anm. 63), 408.

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Im Zusammenspiel zwischen narratio und moralisatio der historia von König Artus mit der ehbrecher brugk bleiben die zahlreichen ziemlich fragwürdigen Details der historia außer Acht, etwa das Wirken des Virgilius als eines Schwarzmagiers,65 das an die Stelle der anderweltlichen Anbindung der arthurischen Tugend- und Treueprobe tritt, überhaupt der Umstand, dass Virgilius als Vertrauter des Königs und heimlicher Rat fest zur Artusgesellschaft zählt, oder das heimliche Agieren des Artus. Mit Blick auf die ›Funktionsweise‹ der Treueprobe ist schließlich noch festzuhalten, dass das ›Problem‹ hier nicht von außen an die Artusgesellschaft herangetragen wird, sondern dass Artus als deren Zentrum selbst den Anstoß zur Probe gibt.66 Dass sich dabei fast der gesamte Hof als untreu erweist – auch das ein Unterschied zu den vorgängigen Proben (die Ehebrecher-Brücke testet Frauen und Männer gleichzeitig und erweist sowohl die Frauen als auch die Männer als ehebrecherisch) –, ist letztlich nur ein ›Kollateralschaden‹, denn Artus wollte lediglich wissen, ob seine Gattin treu ist oder nicht. Insofern ist es konsequent, wenn die historia die moralische Verkommenheit der Artusgesellschaft nicht weiter thematisiert und das Problem vordergründig als »kurtzweyl und schimfliches lachen« einstuft. 15 Jahre später hat Sachs den Stoff erneut aufgegriffen, vielleicht, weil ihn dessen didaktische Möglichkeiten gereizt haben, vielleicht aber auch nur, weil ihm die Geschichte gefiel. Das auf den 17. März 1545 datierte dreistrophige Meisterlied Die eprecher pruck67 im ›Langen Ton‹ Heinrichs von Mügeln erzählt in Kurzfassung von denselben Ereignissen wie die historia.68 In der ersten Strophe wird

|| 65 Kasper (wie Anm. 1), 382–84, vermutet, dass Virgilius an Merlins Stelle gerückt ist. 66 Vgl. dazu auch Dentzien (wie Anm. 51), 49. Im Jüngeren Titurel ist die Brückenprobe ein Arrangement, mittels dessen der König von Marokko (2332, 1: »Clarisidun, der riche von Marroch zuem lande«) den Ruf des Artushofes und die Würde seiner Mitglieder überprüft; sie ist also ›schemagerecht‹ eine Provokation, die von außen an den Artushof herangetragen wird. Die Bedingungen der Prüfung liegen offen zutage, sie sind nämlich auf einem »prief« (2392, 1) niedergeschrieben, der an der Brücke angeschlagen ist: »der spot und falscheit truege, daz si den warf mit ros und ouch mit kleiden / in daz wasser. het er wandel grozen, / ie dar nach viel er tiefer. so riten sunder val di valscheit blozen« (2391, 2–4). 67 Benutzte Ausgabe: Hans Sachs, Sämtliche Fabeln und Schwänke, hrsg. von Edmund Goetze und Carl Drescher, 6 Bde., Bd. 3, Halle a. d. S., 1900, 351–53 (Nr. 182). 68 Ein auf den 23.10.1593 datiertes dreistrophiges Meisterlied des Benedict von Watt (Erlangen B 83, fol. 473r–v) hat ausweislich des RSM-Eintrags (2Wat/26) denselben Inhalt, steht aber in einem anderen Ton (Hopfgart, ›Langer Ton‹). Auch die Schlusspointe (siehe unten) ist bei Benedict von Watt dieselbe, so dass davon auszugehen ist, dass er die Sachs’sche Vorlage nachgedichtet hat, auch wenn offen bleiben muss, auf welchem Wege er davon Kenntnis erlangt hatte. Der einzige erhaltene Druck des Sachs’schen Liedes (RSM: 2S/1631g) ist jedenfalls jünger (Augsburg:

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als Exposition das ebenfalls in einer unbestimmten Vergangenheit (Str. 1, V. 1: »Vor jaren«) angesiedelte Problem von Artus’ Argwohn sowie der Lösungsvorschlag des »Fillius« (Str. 1, V. 4; hier nur diese Namensform) vorgestellt, dann wird ausführlich vom Aussehen der Brücke und ihrer magischen Einrichtung berichtet und schließlich die Funktion der Brücke beschrieben. Die zweite Strophe bringt – nun eher als Erzählung denn als Bericht – das Fest, die dritte den Brückenritt, die Schande der Artusgesellschaft, allerdings nicht so bunt ausgemalt wie in der historia, und die Schuldlosigkeit der Königin. Die Moral (hier in den letzten vier Versen der dritten Strophe) ist aber entschieden abgemildert und zielt in eine gänzlich andere Richtung. Am Schluss heißt es lediglich: Wenn die Brücke noch stünde, müssten auch heute sicherlich viele baden gehen (Str. 3, V. 15– 17). Der Sprecher selbst würde es jedenfalls lieber nicht darauf ankommen lassen: Ich wagtz auch nit; On gfer mich schluepfen möcht ain fus! Den spot het ich zumb schaden! (Str. 3, V. 18–20) Ich würde es auch nicht wagen; mir könnte ja unabsichtlich ein Fuß wegrutschen! Dann hätte ich zum Schaden den Spott!

Nach dem primär unterhaltsamen Scherz der beiden Erzähllieder aus dem 15. Jh. und dem Ernst der Sachs’schen historia steht hier also wieder ein Augenzwinkern am Ende – und die Mahnung, am besten überhaupt die Finger von Tugendproben zu lassen. Die Verfasser unserer vier Texte haben sich zum Glück nicht daran gehalten, bieten diese doch aufschlussreiche Einsichten, wie man im 15. und 16. Jh. auf die Artusliteratur und ihre narrativen Mechanismen zurückgeblickt hat.

|| David Franck, um 1610?); vielleicht hat ein nicht erhaltener früherer Druck existiert. Andere Arthuriana des Benedict von Watt sind nicht bekannt.

Gesine Mierke

Artus cornutus Die Tafelrunde auf der Bühne Abstract: The article focuses on so-called Artusspiele (German King Arthur plays), which enjoyed great popularity in the 15th century. The socio-critical potential of the texts has received special attention in recent research. In particular, the examination of rituals and cultural patterns has been the object of careful analysis. Based on the example of two plays, König Artus Horn (K 80/81) and Fasnachtspiel mit der Kron (K 127), the article re-examines the function of the trials of virtue and the importance of the rituals staged in the plays. The study concentrates mainly on the analysis of the tradition and the performance of the texts.

1 Einleitung Um die Mitte des 15. Jh. gelingt Artus und den Tafelrundern der Sprung auf die Bühne, wie die drei Fastnachtspiele um König Artusʼ Horn (K 127) und Luneten Mantel sowie das Fastnachtspiel mit der Kron (K 80/81) bezeugen.1 Dies sind freilich nicht die einzigen Spiele, die sich des arthurischen Personals oder ausgewählter Motive aus der Artusliteratur bedienen,2 allerdings übernehmen sie Ele-

|| 1 Vgl. Edmund Kurt Heller, ›The story of the Magic Horn. A study in the Development of a Medieval Folk Tale‹, Speculum. Journal of Medieval Studies 9 (1934), 38–50; Martin W. Walsh, ›Arthur cocu. Comic abuse of the round table in fifteenth-century Fastnachtspiele‹, Fifteenth Century Studies 15 (1989), 305–21; Andrea Grafetstätter, Ludus compleatur. Theatralisierungsstrategien epischer Stoffe im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Spiel, Wiesbaden 2013 (Imagines medii aevi 33), 61–126; Christoph Schanze und Cora Dietl, ›L’univers arthurien dans la littérature non arthurienne tardive‹, in: Christine Ferlampin-Acher (Hrsg.), LATE (1270–1530). La matière arthurienne tardive en Europe/Late Arthurian Tradition in Europe, Rennes 2019 [im Druck]. Die genannten Spiele stehen in einem thematisch-motivischen, wohl aber keinem generischen Zusammenhang mit den Erzählliedern König Artusʼ Horn und Luneten Mantel; vgl. Frieder Schanze, Art. ›König Artusʼ Horn I‹, 2VL, Bd. 5, 69f.; ders., Art. ›Luneten Mantel‹, in: 2VL, Bd. 5, 1068f.; ders., Art. ›Luneten Mantel‹, in: 2VL, Bd. 11, 941. Siehe dazu ausführlich den Beitrag von Christoph Schanze in diesem Band. 2 Vgl. etwa auch das Tristan-Fastnachtspiel von Hans Sachs (Tragedia mit 23 personen, Von der strengen lieb Herr Tristrant mit der schönen königin Isalden, 7.3.1553); dazu ausführlich Danielle Buschinger, ›Die Rezeption des Mittelalters bei Hans Sachs. Ein Beispiel: Der Tristanstoff‹, in: Peter H. Andersen und Barbara Lafond-Kettlitz (Hrsg.), Die Bedeutung der Rezeptionsliteratur https://doi.org/10.1515/9783110628104-007

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mente in größerem Umfang und greifen somit bewusst auf literarische Traditionen zurück.3 Zwei der Spiele – Luneten Mantel und das Fastnachtspiel mit der Kron – sind in der Münchener Handschrift Cgm 714 überliefert und gelten als Doppelspiel (K 80/81); sie werden dem Nürnberger Hans Rosenplüt zugeschrieben.4 Das anonym überlieferte Spiel um König Artusʼ Horn wird hingegen in Schwaben verortet.5 Da mit der passenden Krone, dem Mantel und dem Becher Tugendproben für Männer und Frauen im Zentrum der Stücke stehen, lässt sich von vornherein antizipieren, dass die Artusgesellschaft desavouiert wird und v. a. wohl Artus und seine Königin der Ehrlosigkeit bezichtigt werden. Umfassend hat sich jüngst Andrea Grafetstätter mit diesen in der älteren Forschung nur wenig berücksichtigten Spielen beschäftigt und sie im Bachtin’schen Sinne als Medien der karnevalesken Fest- und Lachkultur interpretiert.6 Dabei hat sie v. a. auf die komischen Aspekte der Stücke wie etwa die Rollendiskrepanz und auch auf die Performanz der Fastnachtspiele hingewiesen.7 Grafetstätter hebt besonders darauf ab, dass Sexualität und Geschlechtsverkehr durch den Einsatz von Metaphern zum Ausdruck gebracht würden. Diese, so Grafetstätter, könne das Publikum durch die Freude an ihrer Auflösung als eine Art Rätsellösung goutieren; die Fähigkeit dazu verbindet die Teilnehmenden zu einer Wissensgemeinde, deren äußere Zugehörigkeit sich durch Lachen manifestiert.8

Insbesondere in der »Vorführung adeliger Personen in ihrer Abhängigkeit von körperlichen Bedürfnissen«9 sieht sie ein komisches Potential, das die Aberkennung der Idealität der arthurischen Figuren nachdrücklich unterstütze. In ähnlicher Weise hat auch Helmut von Ahnen in diesem Zusammenhang die man-

|| für Bildung und Kultur der Frühen Neuzeit (1400–1750), Bd. 3, Bern u. a. 2015 (Jahrbuch für Internationale Germanistik 120), 343–64, hier: 346f.; dazu auch Schanze und Dietl (wie Anm. 1). 3 Vgl. Klaus Ridder, ›Fastnachtstheater. Städtische Ordnung und fastnächtliche Verkehrung‹, in: ders. (Hrsg.), Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten, Tübingen 2009, 65–81, hier: 70f. 4 Vgl. Ingeborg Glier, Art. ›Rosenplütsche Fastnachtspiele‹, in: 2VL, Bd. 8, 211–32, hier: 222. 5 Vgl. Grafetstätter (wie Anm. 1), 105, Anm. 249. 6 Vgl. ebd., 61–126. 7 Vgl. ebd., 81. 8 Ebd. Dazu auch dies., ›Der Held als Witzfigur. Artus und Dietrich im Spätmittelalter‹, in: Christian Kuhn und Stefan Bießenecker (Hrsg.), Valenzen des Lachens in der Vormoderne (1250– 1750), Bamberg 2012 (Bamberger Historische Studien 8), 117–42, hier: 123–30. 9 Grafetstätter (wie Anm. 1), 84.

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gelnde Selbsterkenntnis des Adels,10 der hier offenbar besonders vorgeführt werden soll, betont. Die Lachgemeinde, so gemeinhin der Tenor, könne sich in der Rezeptionssituation vom Gesehenen distanzieren, so dass die Spiele als Ausdruck »bürgerlichen Selbstbewusstseins« zu verstehen seien. Die Artuswelt gelte folglich als überholt, und Artus werde als »subalterne[r] Pantoffelheld[]«11 verlacht. Überblickt man das gesamte thematische Spektrum der überlieferten Nürnberger Spieltexte, fällt auf, dass v. a. Themen wie Sexualität, Körperlichkeit, Ehe, ständische Ordnung, also Probleme des städtischen Zusammenlebens, inszeniert werden.12 Dennoch ist dies, so konstatiert Klaus Ridder, bei weitem nicht alles. Ridder betont, dass auch Themen der Reichspolitik,13 »Fragen der sozialen Ordnung«14 sowie »übergreifende kulturelle Ordnungsmodelle«15 angesprochen werden. Unter dieser Prämisse findet insbesondere das gesellschaftskritische Potential der Spieltexte größere Beachtung. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit Ritualen und kulturellen Mustern, die ich im Folgenden am Beispiel der Spiele König Artus’ Horn und dem Fastnachtspiel mit der Kron fokussieren möchte. Diese spielen, so meine leitende These, eine weitaus größere Rolle, als die den Stücken immer wieder als charakteristisches Merkmal zugeschriebene Sexualmetaphorik.16 Für meine Analyse werde ich den Blick noch einmal auf die Tugendproben lenken und deren Funktion beleuchten. Dabei werde ich v. a. anhand von K 127

|| 10 Vgl. Helmut von Ahnen, Das Komische auf der Bühne. Versuch einer Systematik, München 2006 (Münchener Universitätsschriften: Theaterwissenschaft 6), 17. 11 Grafetstätter (wie Anm. 1), 107. 12 Vgl. dazu v. a. Beatrice von Lüpke, ›Theater des Widerstandes? Die vorreformatorischen Nürnberger Fastnachtspiele‹, in: Iuditha Balint u. a. (Hrsg.), Protest, Empörung, Widerstand. Zur Analyse von Auflehnungsbewegungen, Konstanz, München 2014, 175–90, hier: 176. Katja Scheel hat die hier in Rede stehenden Stücke im Hinblick auf männliches und weibliches Rollenverständnis im Kontext der Eheproblematik untersucht; vgl. Katja Scheel, ›Von fremdgehenden Frauen und untreuen Ehemännern. Tugendprobe und Eheproblematik im Fastnachtspiel des 15. Jahrhunderts‹, in: dies. (Hrsg.), Et respondeat. Studien zum deutschen Theater des Mittelalters, Leuven 2002 (Mediaevalia Lovaniensia I, 32), 237–58. 13 Vgl. etwa Des Türken Fastnachtspiel (K 39). 14 Ridder (wie Anm. 3), 65. Vgl. dazu auch Beatrice von Lüpke u. a., ›Ordnungskonflikte auf der Bühne des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit‹, in: Elke Huwiler (Hrsg.), Das Theater des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Kulturelle Verhandlungen in einer Zeit des Wandels, Heidelberg 2015, 135–57, hier: 135–37. 15 Ridder (wie Anm. 3), 71. In diesem Zusammenhang hat Beatrice von Lüpke (wie Anm. 12), 176, jüngst betont, dass die Fastnachtspiele auch als unmittelbare Reaktion auf die insbesondere in Nürnberg in der zweiten Hälfte des 15. Jh. sich »verstärkende Zensur« zu verstehen sei. 16 Vgl. Grafetstätter (wie Anm. 1), 79–82 und 99f.

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nach der Bedeutung von Ritualen fragen, wozu ich auch das Überlieferungsumfeld sowie performative Aspekte des Textes in meine Ausführungen mit einbeziehe.

2 Das Fastnachtspiel mit der Kron (K 80/81) Setting dieses Spiels ist das arthurische Fest, zu welchem König Artus die großen Fürsten Europas an seinen Hof lädt. Die drei Herolde, welche das Spiel eröffnen, markieren die höfische Kulisse, und sie sprechen sogleich verschiedene Rezipientengruppen an. Der erste begrüßt das textinterne und -externe Publikum, das sich zum Spiel versammelt hat, und bezieht damit die anwesende Festgemeinde mit in den Akt der Aufführung ein: Nu hört zu ir fürsten al, die her geladen sein auf disen sal 17 Zu meinem herrn Artaus her (654, 3–5). Nun hört zu, ihr Fürsten, die ihr hierher zu meinem Herrn Artus, in diesen Saal, eingeladen seid!

Erst der zweite Herold wendet sich an die Akteure des Stückes, nämlich an die Fürsten, die der Einladung Artusʼ gefolgt und an den Artushof gekommen sind: »Sie sein kumen ob sie darzu döchten, / das sie euch und eur frauen wol gedienen möchten« (655, 20f.). Der dritte Herold schließlich lenkt den Blick auf die bevorstehende Tugendprobe. Mit der dreistufigen Anrede der Anwesenden verdichtet sich die Handlung bereits in den Eingangsreden der drei Herolde. Der dritte Herold berichtet nun von einem Fürsten, der von weit her, aus einer anderen als der Artuswelt, nämlich aus Abian komme. Er bringt ein besonderes Geschenk dar: Der hat ein kron so künstenleich, Die ist von gold und stainen reich Und hat in ir verporgene kunst. (655, 1–3) Der hat eine sehr kunstvolle Krone, sie ist aus Gold und mit vielen Edelsteinen verziert. Und sie trägt verborgene Kunst in sich.

Die Krone wird, da sie aufgrund ihrer außergewöhnlichen Artifizialität besticht, zudem verborgene Künste in sich birgt und »groß wunder« (655, 12) vollbringen || 17 Benutzte Ausgabe: Fastnachtspiele aus dem 15. Jahrhundert, Teil 2, hrsg. von Adalbert von Keller, Stuttgart 1853 (BLV 29), 654–63. Die Übersetzungen stammen hier und im Folgenden von mir.

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kann, textintern als ein Relikt aus einer Anderwelt, folglich als ›mythisches Substrat‹ ausgewiesen. Zuletzt hat sich Sandra Linden mit den Tugendproben des arthurischen Romans beschäftigt und diese v. a. als »Signaturen einer mythischen Denkweise« bezeichnet, die »gerade in der Einfachheit ihrer Aussage und der zeichenhaften Verdichtung massiv deutungstragend«18 seien. Als solche waren ihre Mechanismen im 15. Jh. aus dem Artusroman bekannt und fanden mithin auch in den in Rede stehenden Fastnachtspielen ihren Niederschlag. Im Kontext der Tugendproben verfehlt die Krone ihre Funktion nicht; sie bringt die vermeintliche Wahrheit unumwunden ans Licht bzw. lässt sie am ›Körper des Königs‹19 sichtbar werden: »Und wem die kron am paßten stat, / Der sol sie erlich tragen davon« (655, 26f.). Nach kurzem Hin und Her, wer die Krone zuerst aufsetzen soll, wird schließlich ihr Geheimnis offenbar. Der Hofmeister kommentiert die sich darbietende Verwandlung, das Wunder, das mit der ›Krönung‹ vollzogen wird: Numerdum nam, was ist das hie? Kains solchs wunder gesach ich nie, Herr künig, seit ir zu eim narrn worn? Oder warümb tragt ir hie die horn? Wie thut ir neur als leppischen? (656, 35–57, 4) Im Namen des Herrn, was ist das hier? Ein solches Wunder habe ich noch nie gesehen! Herr König, hält man Euch zum Narren? Oder warum tragt Ihr jetzt die Hörner? Warum seid Ihr neuerdings so töricht?

Die Verwandlung wird durch die beschwörende lateinische Interjektion (in nomine domini), die dem Geschehen eigentlich – wäre sie nicht verballhornt – zusätzlich größere Heiligkeit und Macht verleiht, unterstützt, wodurch der magische Prozess auch auf verbaler Ebene markiert ist. Aus der kron werden, vermutlich als

|| 18 Beide Zitate Sandra Linden, ›Tugendproben im arthurischen Roman. Höfische Wertevermittlung mit mythischer Autorität‹, in: Hans-Jochen Schiewer und Stefan Seeber (Hrsg.), Höfische Wissensordnungen, Göttingen 2012 (Encomia Deutsch 2), 15–38, hier: 20 und 21. 19 Vgl. dazu Karina Kellermann, ›Entblößungen. Die poetologische Funktion des Körpers in Tugendproben der Artusepik‹, Das Mittelalter 8 (2003), 102–17, hier v. a.: 109, die sich am Beispiel der Tugendproben mit Körperzeichen beschäftigt und auf die grundlegende Studie von Ernst Kantorowicz Bezug nimmt: Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990.

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Allusion auf Moses coronatus und cornutus,20 die horn, die am Kopf des Königs als Zeichen seines Fehlverhaltens wachsen.21 Der Herold erläutert in Bezug auf einen alten Meister, der wie die lateinische Formel das Geschehen glaubhaft machen soll, sogleich die symbolische Verwandlung und legt das Geschehene aus: Die kron bedeut uns die warhait, als uns der maister hat gesait, Das die kron niemants wol an stat, Der sein ere übergangen hat. (657, 23–26) Die Krone offenbart uns die Wahrheit. Wie uns der Meister gesagt hat, steht die Krone niemandem, der seine Ehre verletzt hat.

In diesem Sinne erklärt er die Ursache des Hornwuchses mit der heimlichen Buhlschaft des Königs, der daraufhin von seiner Frau aufs Äußerste beschimpft wird. Gerade die obszöne Metaphorik in der Antwort der Königin ist als negative Hyperbolik, als höfischer Normverstoß einer Frau zu deuten, die ihren Mann in der Öffentlichkeit diskreditiert.22 Somit erscheint der gesamte Artushof nicht zuletzt deshalb in negativem Licht, weil die Drastik der Szenerie durch ihre Wiederholung gesteigert wird und schließlich niemandem die Krone richtig zu passen scheint. Dennoch verfehlt die Zauberei ihre Wirkung, da der Herold die Szene beendet, indem er die Krone als »zaubernus« (661, 22) vom Hof verbannt. Die Tugendprobe verliert ihre Wirkmächtigkeit, da Mechanismen einer vergangenen mythischen Welt in die Gegenwart transferiert werden, in deren Weltbild die Magie

|| 20 Zur ikonographischen Tradition vgl. Hanspeter Schlosser, Art. ›Moses‹, in: LCI, Bd. 3, 282– 97, hier: 285f. 21 Das Spiel mit der Bedeutung des Hörneraufsetzens ist hier bewusst intendiert und wird in der spätmittelalterlichen Literatur umfassend tradiert. Vgl. zum Motiv des gehörnten Ehemannes Christine Kasper, Von miesen Rittern und sündhaften Frauen und solchen, die besser waren: Tugend- und Keuschheitsproben in der mittelalterlichen Literatur vornehmlich des deutschen Sprachraums, Göppingen 1995 (GAG 547), 432–35. Kasper hält m. E. gegen den Text fest, dass man sich unter den genannten Hörnern, die dem König aus dem Kopf wachsen, keine »Hörner vorzustellen habe« (434). Auch Grafetstätter (wie Anm. 1), 79, sieht keine Verbindung zum ›gehörnten Ehemann‹. Dagegen bleibt m. E. allerdings einzuwenden, dass der Text bewusst mit den semantischen und phonologischen Verschiebungen spielt, was nicht zuletzt wesentliches Element seiner Performativität und Komik ist. 22 »Wann du hast mir meine pfenbert tragen auß, / Der ich selber wol pedörft in meim haus. / Du wolltest nie rains wasser nützen / Du thest recht sam ain sau in einer pfützen, / Die sich unsauber köste fleist / Und die sich unfletiglich pescheist« (657, 34–58, 3).

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jedoch keine Geltung mehr besitzt und somit verfemt wird.23 Gerade durch das Wunder der Verwandlung und dessen Enttarnung als Zauberei wird der Abstand zwischen der mythischen Welt und der inszenierten Gegenwart besonders hervorgehoben. Das ethische Fehlverhalten des Königs wird erneut in der Gegenwart des Spiels präsent, da Artus zusätzlich von seiner Schwester korrumpiert wird, die seine Frau vor dem versammelten Artushof des Ehebruchs bezichtigt und damit die Verfehlung einer noch größeren Öffentlichkeit offenbart. Wie vormals die Krone, so wird nun auch die Schwester als ›Sündenbock‹24 aus der Artusrunde verjagt, sodass die Störung des Hofes, die sich aus der Vergangenheit übertragen hat und erneut in der Gegenwart hervorbricht, am Ende beseitigt scheint. Die Gesellschaft bleibt oberflächlich stabil; die Ordnung scheint aus der Perspektive des Artushofes wiederhergestellt. Das ist aber mitnichten der Fall, denn die Sündenböcke – Krone und Schwester, nicht zuletzt auch das Ergebnis der Tugendprobe – hinterlassen ein ›Unbehagen‹ beim Publikum, das die ethische Integrität des Hofes, im Besonderen der Frauen, dauerhaft infrage stellt. Schließlich formuliert ein einzelner Ritter, der als Letzter auftritt, die Konsequenz aus der Handlung und fordert die Männer auf, nicht auf ihre Frauen zu hören.25 In dem korrespondierenden Spiel um Luneten Mantel geht es dann auch um eine Tugendprobe für die Frauen.26 Luneta wird mit einem Mantel an den Artushof geschickt, der bei Anprobe die Ehrhaftigkeit der Frauen offenbart. Auch hier ist absehbar, dass der Mantel keiner der anwesenden Damen passen wird: Er ist zu kurz, zu lang, zu weit, zu eng. In Parallelität zu K 80 sprechen die Frauen nun den Männern die Schuld für diesen Missstand zu. Schließlich aber passt er doch der jüngsten Königin. Die Tugendprobe wird hier ebenfalls als ein mythisches Substrat inszeniert, was nicht zuletzt durch die Inschrift, die das Geheimnis des Mantels preisgibt, zum Ausdruck gebracht wird.27

|| 23 Vgl. zur Wirkung von Zaubersprüchen Karl A. Wipf, ›Die Zaubersprüche im Althochdeutschen‹, Numen 22 (1975), 42–69, hier: 59f. 24 Ich verweise auf den Mechanismus, negative Konfliktpotentiale aus einer Gesellschaft abzuleiten, in Anlehnung an die Arbeiten René Girards. Vgl. dazu ausführlich René Girard, Ausstoßung und Verfolgung. Eine historische Theorie des Sündenbocks, Frankfurt a. M. 1992. 25 »Der sich aller rede wolt nemen an, / Die von seiner frauen wirt gethan, / Der het selten guten mut, / Sein herz wer allzeit ungerut« (662, 30–33). 26 Vgl. dazu Schanze, ›Luneten Mantel‹ (wie Anm. 1), 941. 27 Die Inschrift lautet: »Welche frau den mantel will tragen an / Und thut ir der mantel übel stan, / Die hat gethan irem man groß schaden, / Si hat ainn fremden kromer gelaßen in ir gaden /

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In beiden bisher besprochenen Texten, so lässt sich an dieser Stelle resümieren, bleibt die Tugendprobe, die aus einer mythischen Vorzeit stammt, scheinbar wirkungs- und folgenlos. Dennoch setzt sie, da sich das Muster nicht erfüllt, einen Prozess in Gang, der die ethische Integrität des gesamten Personals infrage stellt. Das Vergehen, das als Unbehagen im kollektiven Gedächtnis verhaftet bleibt, bricht am Artushof auch nach Verbannung der magischen Requisiten erneut hervor und ist so auch in der Gegenwart präsent. Auf diese Weise fungiert der Artushof als Trägermedium, um ethische Werte zu diskursivieren. Sandra Linden hat in Bezug auf die Tugendproben im arthurischen Roman von einer »nachsichtigen Ethik«28 gesprochen, die m. E. auch für die hier benannten Fastnachtspiele in Anschlag zu bringen ist. Unter dieser Prämisse findet in den Stücken weniger eine Ironisierung des Hofes und seiner Angehörigen statt, vielmehr wird das Bekannte, Vorgängige dazu genutzt, um die eigenen Werte – sozial übergreifend – erneut zu hinterfragen. Der Artushof, der für das Stadtbürgertum lange schon seine Wirkmächtigkeit verloren hatte, bietet gerade deshalb ein geeignetes Ensemble, da man sich von ihm – durchaus auch kritisch – zu distanzieren vermochte. Gerade diese Distanz aber ist nicht nur die Voraussetzung des Verlachens, sondern in einem zweiten Schritt Voraussetzung dafür, das eigene Sein zu reflektieren. Folglich lässt sich die scheinbare Komisierung der adeligen Gesellschaft als primäres Phänomen an der Oberfläche beschreiben. Dessen Sinnpotentiale sind jedoch in einem zweiten Schritt auf seine tieferliegenden Schichten – v. a. durch Kontextualisierung – zu entschlüsseln. Entscheidend für den benannten Reflexionsprozess sind performative Strategien (Publikumsanreden, semantische Offenheit und Verschiebung, Präsenzeffekte), durch die es gelingt, die Anwesenden mit in das Spiel einzubeziehen und so eine größere Wirkung zu erzeugen. Dies möchte ich anhand meines zweiten Textbeispiels noch etwas eingehender verdeutlichen.

3 Das Fastnachtspiel um König Artusʼ Horn (K 127) Auch in Hinblick auf K 127 wurde in der jüngeren Forschung das »satirische Potential[]«, das sich etwa in den »lange[n] affektierten Reden« zeige, betont und die »Ridikülisierung des Adels«29 – insbesondere des Königs Artus – hervorgeho|| Und hat einen andern pauen laßen ir felt, / Das keiner hin ließ ümb gelt; / Und welche ir eere hat übergangen, / Die mag in disem mantel nit wol prangen« (668, 5–11). 28 Linden (wie Anm. 18), 38. 29 Alle Zitate Grafetstätter (wie Anm. 1), 107.

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ben. Unabhängig von der Komik der gesamten Szenerie, dem scheinbar pervertierten Adel und dem kathartischen Lachen, welches das Spiel evoziert, stehen mit dem gemeinsamen Mahl am Artushof und der Tugendprobe wiederum zwei symbolische Handlungen im Mittelpunkt des Stückes. Beides sind zeichenhafte Handlungen, die zunächst auf die Integrität des adeligen Körpers verweisen und den Hof als gesellschaftlichen Körper intakt halten. Beide Handlungen lassen sich, da sie in einem kultischen Kontext angesiedelt sind, überdies aufeinander beziehen. Bereits zu Beginn des Stückes wird die Tafelrunde, die sich mit dem gemeinsamen höfischen Festmahl konstituiert, ins Zentrum gerückt. Entsprechend ruft der Einschreier diese in Erinnerung: Nun hört mich eben, lieben leut, was ich euch kurzlich hie bedeut Von aim gar mechtigen kunkreich! An reichtum vand man nit sein gleich. Darzuo an landen vnd an adel Was es geziert on allen tadel. [...] Die tavel kung Artus regiert Der milt und tugentlich helt, 30 Von dem man sagt in aller welt. (183, 8–23) Nun hört mir zu, liebe Leute, was ich euch in aller Kürze mitteile über ein mächtiges Königreich! An Reichtum fand man kaum Seinesgleichen, auch mit Ländereien und edlen Geschlechtern war es ohne Tadel ausgestattet. [...] Die Tafel regierte König Artus, jener freigiebige und tugendhafte Held, von dem man sich in aller Welt erzählt.

Er setzt mit dem Aufrufen der Tafelrunde und indem er an die besondere Tugendhaftigkeit ihres Regenten erinnert die Handlung in Gang. Im darauf folgenden Schlafkammergespräch zwischen Artus und seiner Frau wird das bevorstehende Fest geplant. Für die Auswahl der Gäste bittet der König seine Frau um ihren Rat, und sie beschließen gemeinsam, Boten mit den Einladungen auszusenden. Da Artus es jedoch sogar nach mehrfacher Aufforderung ablehnt, seine Schwester einzuladen, ist auch hier dem Erzählmuster gemäß die Störung des Festmahles vorhersehbar. Um ihre Abwesenheit zu rächen, lässt die Schwester ein wundersames Horn an den Artushof bringen, dessen Symbolkraft bereits allein durch seinen »grausenlichen thon« (196, 36) weithin vernehmbar ist: Er unterbricht den fröhlichen Schall der Festgesellschaft und gleicht, so Dietz-Rüdiger Moser, »der Posaune des

|| 30 Benutzte Ausgabe: Fastnachtspiele aus dem 15. Jahrhundert (wie Anm. 17), 664–78.

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Jüngsten Gerichtes«.31 Überdies vermag aus dem Horn, das die »wahrhait« (201, 6) hervorbringen soll, nur der zu trinken, dessen Gattin makellos ist: Ich han hie gar ein costlich horen, Mit dem will ich schaffen neid und zoren. Das nym und füer es mit dir hin! Es hat darumb ain cluogen sinn Und ist gemacht mit sollichen list, Wer auß dem horen trinken ist Hat er ain weyb mit wancklem muot, So schitt er aus dem horen guot Den wein, daß er wird aller nas. Ist aber sein fraw frum an eren, So tuot im sein trincken frewden meren. (195, 21–31) Ich habe hier ein kostbares Horn, mit diesem will ich Neid und Zorn säen. Das nimm und führe es mit! Es hat eine besondere Eigenschaft und ist daher mit großer Klugheit gemacht: Wenn jemand aus dem Horn trinkt, der eine wankelmütige Frau hat, so verschüttet er aus dem schönen Horn den Wein, so dass er nass wird. Wenn aber seine Frau ehrenhaft ist, so wird mit dem Trinken seine Freude umso größer.

Die sogenannte Horn- oder Becherprobe,32 die ebenfalls symbolische Bedeutung hat, stört das gemeinsame Mahl. Das Horn, das aus einer mythischen Vorzeit stammt, fungiert auch hier als Wahrheitsgarant: Es bringt die Ehebrüche der Königinnen hervor und korrumpiert so die Festgemeinde, die sich aus den wichtigen europäischen Herrschern zusammensetzt. Das Festmahl wird zum Desaster, denn die Könige begießen sich der Reihe nach beim Trinken aus dem Horn. Allein dem König aus Spanien, der der Ärmste unter den Anwesenden ist, gelingt es schließlich, unbefleckt aus dem Horn zu trinken. Das kollektive Mahl verdichtet sich in der Becherprobe, womit ein weiteres Ritual – das Minnetrinken – narrativ ins Zentrum gerückt wird, denn die falsch praktizierte Minne ist der Grund des Verschüttens. Aufs Ganze gesehen lässt sich

|| 31 Dietz-Rüdiger Moser, ›Brauchbindung und Funktionsverlust. Zum Nachwirken der ArtusTradition in Fastnachtsbrauch und Fastnachtsspiel‹, in: Karl Heinz Göller (Hrsg.), Spätmittelalterliche Artusliteratur. Ein Symposion der neusprachlichen Philologien auf der Generalversammlung der Görres-Gesellschaft Bonn, 25.–29. September 1982, Paderborn u. a.1984 (Beiträge zur englischen und amerikanischen Literatur 3), 22–39, hier: 29. 32 Zum Motiv der Becher- bzw. Hornprobe vgl. Der Mantel. Bruchstück eines Lanzeletromans des Heinrich von dem Türlin, nebst einer Abhandlung über die Sage von dem Trinkhorn und Mantel und die Quelle der Krone, hrsg. von Otto Warnatsch, Breslau 1883; Nachdruck Hildesheim, New York 1977 (Germanistische Abhandlungen 2), 55–84; Moser (wie Anm. 31), 24f.; Kasper (wie Anm. 21), 134–64.

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dieses Ritual als bindende Metapher für das gesamte Spiel verstehen, wird es doch auch handlungsextern am Ende des Spiels erneut aufgerufen und der Johannessegen explizit für die anwesende Gemeinde gefordert: »Doch gebt mir auch vor sant Johans segen, / Wan ich ye auch muoß trinckens pflegen« (215, 7f.). Die Johannesminne, die v. a. im süddeutschen Raum gepflegt wurde, verehrt in diesem Kontext Johannes Evangelista als Beschützer der Ehen und Spender von Fruchtbarkeit. Johannes, der einen Becher vergifteten Weines trank, überstand dies schadlos. Daher schütze insbesondere der Wein des Johannessegens vor schadhafter, vergifteter oder verhexter Speise.33 Der Johannistag an sich wird als Versöhnungsfest gefeiert. Durch die Verknüpfung von bekannten Erzählmustern und Ritualen unterscheidet sich K 127 in seiner Komplexität von den eingangs behandelten Spielen (K 80/81), und es zeigt die enge Verbindung zwischen weltlichem und geistlichem Schauspiel bzw. die Herkunft des geistlichen aus ersterem.34 Dietz-Rüdiger Moser hat mehrfach auf die Einbindung der Fastnacht in die liturgische Ordnung hingewiesen und insbesondere für K 127 deutlich gemacht, dass mit der Artuswelt im Sinne des augustinischen Zwei-Staaten-Modells eine Gegenwelt aufgebaut werde, in der ira und invidia herrschten und der civitas dei gegenüberstünden.35 Dabei hat er v. a. auf die Perikope für den Fastnachtsonntag (Dominica Quinquagesima) »Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem« (Lk 18, 31– 42) und die damit verbundene Auslegung hingewiesen. Diese liefere, so resümiert Moser, auch das didaktische Ziel für die in K 127 inszenierte tugendlose Artuswelt.36 Hier stünden sich, so spitzt er zu, Babylon und Jerusalem gegenüber und erläuterten dem Gläubigen die Sündhaftigkeit der Welt.37 Ohne diese rein negative Interpretation des Artushofes in K 127 unvermittelt übernehmen zu wollen, muss man dennoch anerkennen, dass Mosers Interpretation die zum Teil enge Verbindung zwischen weltlichen und geistlichen Inhalt-

|| 33 Vgl. dazu ausführlich Ignaz von Zingerle, Johannissegen und Gertrudenminne. Ein Beitrag zur deutschen Mythologie, Wien 1862, 180f.; dazu auch Johann Andreas Schmeller (Hrsg.), Bayerisches Wörterbuch: Sammlung von Wörtern [...], Stuttgart, Tübingen 1837, 593. 34 Die Nähe des Fastnachtspiels zum Geistlichen Spiel wurde des Öfteren betont, wobei auch auf einen möglichen festen Aufführungsort hingewiesen wurde; vgl. etwa Grafetstätter (wie Anm. 1), 106. 35 Vgl. Moser (wie Anm. 31), 22–39, hier v. a.: 29; darüber hinaus auch ders., ›Fastnachtsbrauch und Fastnachtsspiel im Kontext liturgischer Vorgaben‹, in: Ridder (wie Anm. 3), 151–65; ders., Fastnacht – Fasching – Karneval. Das Fest der ›Verkehrten Welt‹, Graz u. a. 1986. 36 Vgl. Moser (wie Anm. 31), 30f. 37 Vgl. ebd. 20.

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en in den Spielen zu Recht betont.38 Dass das Spiel K 127 als geistliches Spiel weltlichen Inhalts zu verstehen und vor diesem Hintergrund zu deuten ist, zeigt schließlich auch seine Überlieferung. K 127 ist in einer Augsburger Handschrift überliefert (Staats- und Stadtbibliothek, 4 Cod H 27=Cim 31, fol. 136r–58v). Die Handschrift wurde unmittelbar vor 1494 von dem Augsburger Kaufmann Claus Spaun geschrieben.39 Es handelt sich dabei um eine sekundäre Sammelhandschrift, die im ersten Teil geistliche Spiele wie das Augsburger Georgsspiel, ein Heiligkreuzspiel, aber auch Spiele mit reichspolitischen Themen wie Des Türken Fastnachtspiel oder Spiele moraldidaktischen Inhalts wie das Spiel Meister Aristoteles enthält. Augenfällig ist, dass hier offenbar in eine Handschrift mit vorrangig geistlichen Spielen zwei Spiele – Artusspiel und Aristotelesspiel – eingegliedert wurden, die weltliche Autoritäten ins Zentrum rücken und wie auch Des Türken Fastnachtspiel moraldidaktischen Charakter aufweisen. Die beiden Spiele um Artus und Aristoteles sind durch die Minnesklaventhematik miteinander verbunden, denn wie der König fällt auch der antike Gelehrte einer Frau zum Opfer, wie die ganzseitige Illustration des gerittenen Aristoteles in der Augsburger Handschrift zeigt (siehe Abb. 1). Auch Artus war als Minnesklave in der Literatur des Spätmittelalters präsent,40 wie etwa die Illustration in der ›Süddeutschen Tafelsammlung‹ (Washington, D. C., Library of Congress, Rosenwald Collection, Ms. No. 4, fol. 7v) verdeutlicht (siehe Abb. 2). Artus ergänzt hier neben den Minnesklaven des Alten Testaments (Adam, Samson, Absalon etc.) die Reihe derjenigen, die aus der weltlichen Literatur stammen (z. B. Parzival).41

|| 38 Die Analysen Dietz-Rüdiger Mosers sind, da sie den liturgisch-kulturgeschichtlichen Kontext der Spiele fokussieren und diese als genuin geistliche Spiele verstehen, durchaus erhellend. Allerdings kommt bei aller Verwurzelung der Spiele im christlichen Glauben gerade der temporären Befreiung von sämtlichen Ordovorgaben und -zwängen in der Karnevalskultur der spätmittelalterlichen Stadt eine besondere Rolle zu. Vgl. zur Kritik an Moser v. a. Christoph Auffarth, ›Glaubensstreit und Gelächter: Religion – Literatur – Kunst. Eine Einführung‹, in: ders. und Sonja Kerth (Hrsg.), Glaubensstreit und Gelächter. Reformation und Lachkultur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Berlin 2008 (Religionen in der pluralen Welt 6), 1–18, hier: 5. 39 Vgl. Margot Westlinning, Art. ›König Artus Horn II‹, in: 2VL, Bd. 5, 70–72, hier: 70. Zur Beschreibung der Handschrift vgl. Elke Ukena, Die deutschen Mirakelspiele des Spätmittelalters. Studien und Texte, Teil 2: Texte, Bern u. a. 1975 (Arbeiten zur Mittleren Deutschen Literatur und Sprache 1), 363–76, hier: 363. 40 Vgl. 1Wolfr/2/2 (RSM), dazu Schanze ›König Artusʼ Horn I‹ (wie Anm. 1), 69f.; Kasper (wie Anm. 21), 154. Siehe auch den Beitrag von Christoph Schanze in diesem Band. 41 Zu dieser Handschrift vgl. ausführlich Marcus Castelberg und Richard F. Fasching, Die ›Süddeutsche Tafelsammlung‹. Edition der Handschrift Washington, D. C., Library of Congress, Lessing J. Rosenwald Collection, ms. no. 4., Berlin, Boston 2013 (Scrinium Friburgense 34); Marcus

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Abb. 1: Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek, 4 Cod H 27=Cim 31, fol. 159v

|| Castelberg, ›Beschädigte Bilder und Texte. Entstehung, Thematik und Funktion einer spätmittelalterlichen Tafelsammlung‹, in: Eckart Conrad Lutz u. a. (Hrsg.), Literatur und Wandmalerei II. Konventionalität und Konversation. Burgdorfer Colloquium 2001, Tübingen 2005, 303–33, hier: 304f. Zum Topos von den Minnesklaven allgemein vgl. Rüdiger Schnell, Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, München 1985 (Bibliotheca Germanica 27), 475–505; Friedrich Maurer, ›Der Topos von den Minnesklaven‹, in: ders., Dichtung und Sprache des Mittelalters. Gesammelte Aufsätze, 2., stark erw. Aufl., Bern u. a. 1971 (Bibliotheca Germanica 10), 224–48.

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Abb. 2: Washington, D. C., Library of Congress, Lessing J. Rosenwald Collection, Ms. No. 4,fol. 7v

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Die Artus-Miniatur der Washingtoner Handschrift wird zusätzlich durch einen Text gerahmt.42 Hier heißt es: Chunikch artus michel scham von seiner frawen wegen nam, daz er sich wegöz mit einem horen. 43 Daz sahen all d do pe ym woren. König Artus erlitt große Scham wegen seiner Frau, deshalb begoss er sich mit dem Horn, und alle, die bei ihm waren, konnten es sehen.

Weil seine Frau ihn betrogen hat, so wird hier erneut betont, vermag Artus nicht aus dem Horn zu trinken. Diese Lesart, die auch der Augsburger Handschrift zugrunde liegt, wird hier zusätzlich durch die Zusammenbindung mit dem Aristotelesspiel verdeutlicht. Somit ist für die Sammelhandschrift eine lehrhaft-moraldidaktische Absicht evoziert: Die falsch praktizierte Minne wird zum Fallstrick für die Artusgesellschaft. In diesem Kontext wird das christliche Ritual des Minnetrinkens in der karnevalesken Gegenwelt aufgegriffen und auf andere Weise interpretiert bzw. zum Schlüssel für das Verständnis des gesamten Spiels. Unter dieser Prämisse schafft das Minnetrinken als performative Strategie von vornherein semantische Spielräume, deren vielschichtige Dimensionen (christliches Ritual, Reflexion über höfisches Minneverständnis, Verkehrung der Minne) gedeutet werden können, letztlich aber nicht müssen. In der von Moser genannten Perikope wird in den Schlussworten auf die Caritas verwiesen, die die Grundlage für die augustinische Gemeinschaft ausmache.44 Diese Art der kollektiven Verbindung ist in K 127 im gemeinschaftsstiftenden Ritual des Minnetrinkens intendiert, was aus christlicher Perspektive ebenso eine Verbindung zu geistlichen Texten der Handschrift herstellt. Schließlich verweist auch das Spiel am Ende explizit auf die Johannesminne, wenn der Precursor wie folgt schließt:

|| 42 Im Vergleich zu der Erzählung um Artus als Minnesklaven ist das Motiv ikonographisch neben der Washingtoner Handschrift noch in den Miniaturen des ›Hauses zur Kunkel‹ in Konstanz bezeugt. Zudem weisen die Darstellungen, die auf die Strophe Pseudo-Frauenlobs (Str. V, 204) zurückgehen, Unterschiede in ihrer Ausgestaltung auf. Vgl. dazu Marcus Castelberg, Wissen und Weisheit. Untersuchungen zur spätmittelalterlichen ›Süddeutschen Tafelsammlung‹ (Washington, D. C., Library of Congress, Lessing J. Rosenwald Collection, ms. no. 4), Berlin, Boston 2013 (Scrinium Friburgense 35), 216f.; Sangsprüche in Tönen Frauenlobs. Supplement zur Göttinger Frauenlob-Ausgabe, 1. Teil: Einleitungen, Texte, hrsg. von Jens Haustein und Karl Stackmann, Göttingen 2000 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Phil.-Hist. Klasse. 3. Folge 232), 65f. 43 Benutzte Ausgabe: Castelberg und Fasching (wie Anm. 41), 208. 44 Vgl. Moser (wie Anm. 31), 31.

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Her wirt und ouch fraw wirtin cluog, So es dan yetz sein mag mit fuog, So gebt uns urlaub zuo der frist, Wan ›zeit hat er‹ ein sprichwort ist. Doch gebt mir auch vor sant Johans segen, Wan ich ye auch muoß trinckens pflegen. (215, 3–8) Herr Wirt und Frau Wirtin, die Ihr klug seid, wenn es jetzt passt, so gebt uns für eine bestimmte Zeit frei, denn ›Zeit schafft Ehre‹ heißt ein Sprichwort. Doch gebt uns auch den Johannessegen, denn ich muss allezeit das Trinken pflegen.

Eben dieses Ritual der Johannesminne wird im Text auf verschiedenen Ebenen ausgelegt. Dabei wird zunächst mittels des traditionellen Festmahls am Artushof das Gemeinschaft stiftende Essen und Trinken thematisiert und auf der Handlungsebene in extenso vorgeführt. So ruft etwa König Artus seinen Rittern zu: Nun tragt uns her! Wir sindt gesessen Und frolich mit ain ander essen. Darumb schweben auff mit fleyß, Das wir kain mangel haben an speyß, Des gleichen auch an guotem drank! So verdienest du umb uns ein dank. (127, 12–17) Nun tragt auf! Wir sitzen hier und wollen fröhlich miteinander speisen. Darum tragt fleißig auf, an Speisen soll es uns nicht mangeln und auch nicht an gutem Trank! So verdienst Du um unseretwillen Dank.

Mehrfach wird explizit auf das Essen und Trinken verwiesen oder die Platzierung der Anwesenden bei Tisch wiederholt. Gerade das aufwendige Repetieren der Gästeliste oder die Wiederholung der Botengänge evozieren die Bedeutung des Rituals. Aus performativer Perspektive dient dies nicht zuletzt dazu, die textexternen Anwesenden mit in das Spiel einzubinden und Präsenz des Verhandelten zu erzeugen.45 Darüber hinaus ruft das Trinken aus dem Horn das Ritual des Minnetrinkens auf, das einerseits die soziale Bindung unter den Anwesenden erneuert,46 andererseits im vorliegenden Zusammenhang an die Tugendprobe gebunden ist, in der das Minneverhalten jedes Einzelnen überprüft wird. Das Motiv der Hornprobe und das Ritual werden auf diese Weise gekoppelt; beides geht aber nicht auf bzw. wird aus seinem eigentlichen Kontext gelöst.

|| 45 Vgl. etwa auch Grafetstätter (wie Anm. 1), 111: »Dies zeigt einmal mehr die Bedeutung des Gesamtkunstwerks der Fastnachtspiele, bestehend aus Aufführenden und Zuschauern.« 46 Vgl. Christiane Zimmermann, ›Minne und Minnetrinken‹, in: Heinrich Beck u. a. (Hrsg.), Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Bd. 20, Berlin 22002, 49–56, hier: 50.

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Derjenige, der aus dem Horn trinken kann, erhöht das Ansehen seiner Frau und damit auch der sie verbindenden Minne: »Ist aber sein fraw frum an eren, / So tuot im sein trincken frewden meren« (195, 31f.). Insofern wird die zu erneuernde Minnebindung durch die doppelte Codierung von Minnetrank und Minneprobe sogleich infrage gestellt. Der repräsentative adelige Körper wird mit dem Wein des Horns besudelt und korrumpiert: Brauch und Minne sind gestört. Die Gesellschaft kann sich somit nicht ›neu‹ stabilisieren. Als Lösung des Dilemmas wird das Horn als ›Sündenbock‹ vom Hof verstoßen und sofort vergessen.47 Nachdem das Unheil stiftende Utensil vom Hof verbannt ist, wird in einem zweiten Teil die Ehrhaftigkeit von Artus’ Frau erneut in Zweifel gezogen. Ihre Unschuld muss schließlich der Ritter Weigion, der als ihr Buhle gilt, in einem Zweikampf unter Beweis stellen. Nachdem dies erfolgt ist und Weigion seine und ihre Unschuld erweisen konnte, fordert Artus zum fröhlichen und versöhnlichen Tanz auf, sodass sich die Gemeinschaft erneut konstituieren kann. Doch auch hier bleibt die Störung des Hofes zumindest dem spielexternen Publikum präsent. Mit der Aufforderung zum Tanz werden alle Anwesenden einbezogen, die so wiederum Teil der rituellen Gemeinschaft werden. Auch die abschließende Forderung Weigions, den Johannessegen zu trinken, bezieht alle Anwesenden ein. Am Ende richtet sich der Precursor direkt an die extradiegetische Festgemeinde und formuliert die deutliche christliche Moral des Spiels (Mt 19, 30: »Die Letzten werden die Ersten sein«). Die Moral weist den Weg ins Himmlische Jerusalem oder in eine bessere städtische Gegenwart. Das in der Artuswelt pervertierte Minnetrinken wird spielintern diskursiviert, so dass sich die Karnevalsgemeinde von der Artusgesellschaft abgrenzen kann. Tanz und Minnetrinken überlagern sich (und damit die jeweilige Gemeinde), denn Artus fordert schließlich zum Tanz auf und Weigion zum Minnetrinken.

4 Fazit Es wurde in der Forschung mehrfach darauf hingewiesen, dass die Fastnachtspiele als Teil der urbanen Festkultur aufzufassen sind und als solche einer breiten Öffentlichkeit zugänglich waren. Da sie als Ausdruck einer dynamischen Geselligkeitskultur verstanden werden können, changiert auch ihre Form zwischen textgebundenen und textfreien Spielen. Insbesondere für das Spiel K 127, das einerseits durch die Verwendung bekannter Muster schematisch organisiert ist, an-

|| 47 »Des horens wellen wir gar vergessen« (212, 11).

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dererseits durch zahlreiche wiederholende Partien (Botengänge, Sitzordnungen etc.) und die Bezugnahme auf die räumliche Ordnung gekennzeichnet ist, hat sich in der vorgenommenen Analyse gezeigt, dass es ganz wesentlich auf die Einbeziehung des Publikums in die Aufführung und damit auf den gemeinsamen Vollzug des Mahls und des Ritus ausgerichtet ist.48 Insbesondere am Ende wendet sich der Precursor an den Wirt und fordert alle zum gemeinsamen Trinken auf (vgl. 215, 3–8, siehe oben). Damit werden schließlich intra- und extradiegetisches Trinken verbunden, und die Lehre aus der Artusgeschichte gewinnt auch für die Anwesenden an Relevanz. Folglich besteht für das Publikum die Möglichkeit, sich gegen das Gehörte abzugrenzen oder es auf seine eigene Lebenswirklichkeit, die dann als die ethisch gereinigte und integere erscheint, zu beziehen. Im Anschluss daran kann sich die Gemeinschaft neu konstituieren und das Ritual vollziehen. Während der Zuschauer einerseits im Rahmen der Aufführung die Möglichkeit hat, dem adeligen Mahl beizuwohnen, kann er sich andererseits durch die Abschlussrede des Precursors ebenso davon abgrenzen und aus der Distanz sein eigenes Verhalten reflektieren. Das Lachen hat unbestritten ganz im Sinne der Karnevalstradition kathartische Funktion und dient letztlich der Stabilisierung der Gesellschaft. Es beschreibt allerdings nur eine (erste) Dimension des Stückes, liefert aber keineswegs eine ausreichende Würdigung des Inhalts, v. a. nicht der Performativität des Textes. Gerade die spezifische Verbindung von Hornproben-Motiv und Ritual lässt sich, da beides gemeinhin bekannt ist, auf verschiedene soziale Schichten applizieren. Damit ist das Stück nicht nur als Abgrenzung des Stadtbürgertums gegen den Adel zu verstehen, sondern thematisiert auf eine komplexe Weise gesamtgesellschaftliche Rituale und Werte, derer es sich in einer dynamischen Gesellschaft erneut zu vergewissern galt. Vor diesem Hintergrund bleibt zu überlegen, ob die Diskursivierung von Festen und Ritualen nicht auch auf die Ordnungspolitik, also auf Satzungen und Reglementierungen der Städte Bezug nimmt.49 Artus ist auch in diesem Spiel mehr als der »subalterne Pantoffelheld[]«,50 von dem sich die städtische Gesellschaft durch gemeinschaftliches Gelächter distanziert. Aufs Ganze gesehen tritt er auch in K 127 – im Sinne der verkehrten Welt freilich – als ethischer Lehrmeister auf.

|| 48 Vgl. auch Grafetstätter (wie Anm. 1), 110f. 49 Vgl. dazu etwa Ridder (wie Anm. 3), 72f. 50 Grafetstätter (wie Anm. 1), 107.

Christoph Fasbender

Artus im Elysium Über das Fortleben arthurischer Figuren um 1500 Abstract: This contribution examines the literary presence of Arthurian characters in the epoch following Ulrich Füetrer’s Buch der Abenteuer (1487). Around 1500, they mostly appear in name recitals, lists and enumerations (Spruch von den Tafelrundern, Ehrenbrief). Now and again, catalogues of Arthurian characters are found in other text genres. Not only is the heuristic investigation far from complete in this respect, but we also need to clarify what knowledge of the characters is activated on the part of the readers and in what form that knowledge is activated. In its discussion of this question, the present contribution draws on Johannes von Kitzscher’s Dialogus de Sacri Romani Imperii rebus (1496/1504), Augustin von Hammerstetten’s Hirsch mit dem goldenen Geweih (1496) and Ludwig von Eyb Jnr.’s Geschichten und Taten Wilwolts von Schaumberg (1507).

Die erhaltene Fülle von Zeugnissen, die das Fortleben des Artus-Stoffes vom ausgehenden 15. Jh. an belegt (man müsste mindestens bis zu Johann Fischart1 gehen), steht bisher in keinem Verhältnis zu ihrer Erforschung. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt darin, dass die produktive Rezeption im engeren Sinne mit Ulrich Füetrers Buch der Abenteuer (vor 1487) und dem dort zelebrierten Untergang des Artusreichs ihren Abschluss findet.2 Indem Füetrers Erzähler am Schluss des Lantzilet resigniert konstatiert, dass die »höfischen Ideale der minne und triuwe [...] nicht zum Erfolg« führten, »sondern zu schmertz und clagen«,3 weist er seine strophische Monumental-Genealogie der arthurischen Helden zugleich als deren kollektives Epitaph aus. Nach Füetrer – wenn auch nicht: wegen Füetrer – ent-

|| 1 Zu Fischarts Rezeption des Artus-Stoffes vgl. Ulrich Seelbach, Ludus lectoris. Studien zum idealen Leser Johann Fischarts, Heidelberg 2000 (Beihefte zum Euphorion 39), 399. 2 Benutzte Ausgabe: Das Buch der Abenteuer. Nach der Handschrift A in Zusammenarbeit mit Bernd Bastert hrsg. von Heinz Thoelen, 2 Bde., Göppingen 1997 (GAG 638); Forschungsstand bei Wolfgang Achnitz, Deutschsprachige Artusdichtung des Mittelalters. Eine Einführung, Berlin, Boston 2012, 344–61. 3 Michael Müller, Namenkataloge. Funktionen und Strukturen einer literarischen Grundform in der deutschen Epik vom hohen Mittelalter bis zum Beginn der Neuzeit, Hildesheim 2003 (Documenta onomastica litteralia medii aevi. Studien 3), 454. https://doi.org/10.1515/9783110628104-008

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stehen keine arthurischen Großepen mehr, die das alte Personal nach minne und triuwe streben lassen. Dem Mangel an großepischen Texten steht die angesprochene Fülle disparater Testimonien, die das Fortleben des Artus-Stoffes über Füetrer hinaus belegen, nicht entgegen. Diese Zeugnisse verteilen sich auf ganz unterschiedliche Textsorten – nicht immer kann man, wie noch beim Meisterlied und beim Fastnachtspiel, von ›literarischen Gattungen‹ sprechen – und erfüllen ganz unterschiedliche Funktionen.4 Um 1500 besteht, wenn man so will, eine augenscheinliche Diskrepanz zwischen der in den Epen verfügbaren Tradition des Artus-Stoffes und ihrer diskursiven Präsenz in allen möglichen Zusammenhängen: in Listen und Katalogen verschiedenster Art, in Exempelreihen, Sprichwortsammlungen, Geschichtswerken, Kommentaren oder Paratexten. Wir verfügen plötzlich über viel mehr Artus-Zitate, aber sie lassen uns mitunter ratlos zurück – ratlos, weil das ›Funktionieren‹ dieser Zitate (und damit ihre Deutung) offenbar an Voraussetzungen gebunden ist, die wir nicht immer mehr vollumfänglich durchschauen. Ich möchte dies an einer kleinen Beispielreihe demonstrieren, die in Ludwigs von Eyb Geschichten und Taten Wilwolts von Schaumberg kulminiert. Der Wilwolt ist dabei der Text, der den Bezug auf die höfischen Romane am explizitesten hervorhebt, seine Leser damit aber auch vor die größten Herausforderungen stellt. Die Glieder meiner Beispielreihe verbindet, dass sie alle in der Dekade zwischen 1496 und 1507 entstanden sind, dass ihre Verfasser Akademiker im Hofdienst waren und dass sie, über die Beispieltexte hinaus, unseres Wissens nichts weiter auf dem Feld der höfischen Literatur verfasst haben. Dass sie samt und sonders Bezüge entweder zum ernestinischen Hof Friedrichs des Weisen oder zum albertinischen Hof Albrechts bzw. seines Sohnes Heinrich von Sachsen aufweisen, hilft uns vielleicht, allgemeine Überlegungen mit Blick auf einen greifbaren Kommunikationsraum zu konkretisieren.5 Ansonsten handelt es sich mit einer Jenseitsreise, einer Minnerede und einer Lebensbeschreibung um drei grundverschiedene literarische Gattungen.

|| 4 Eine Übersicht der bekanntesten Testimonien bietet Bernd Schirok, ›Wolfram und seine Werke im Mittelalter‹, in: Joachim Heinzle (Hrsg.), Wolfram von Eschenbach. Ein Handbuch, Bd. 1: Autor, Werk, Wirkung, Berlin, Boston 2011, 1–81, v. a. 61–63. 5 Vgl. Armin Kohnle und Uwe Schirmer (Hrsg.), Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen. Politik, Kultur und Reformation, Leipzig 2015 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 40). Der verdienstvolle Band ist, was die literarische Kultur im Umfeld des Kurfürsten angeht, nicht immer auf der Höhe der Diskussion. Vgl. meine Anmerkungen zu den behandelten Autoren.

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1 Artus im Elysium Beginnen möchte ich mit einem bemerkenswerten, von den betroffenen Philologien noch unbeachteten Text des sächsischen Adligen und Diplomaten Dr. Johannes von Kitzscher.6 Kitzscher, Sohn des kurfürstlichen Amtmannes zu Großenhain, unternahm im September 1496 eine literarische Jenseitsreise.7 Deren »Prima pars« führt den Protagonisten, der sich gerade zu Rom im Jagdgefolge des Kardinals Ascanio Sforza befindet, in einen Wald, wo er einem besonders prächtigen Hirschen folgt, der ihn zu einer Lichtung führt, wo er dann einschläft. Im Traum geleiten ihn ein Engel und der kürzlich (1494) verstorbene Pico della Mirandola ins Jenseits. Nachdem Charon die drei über den Acheron gesetzt hat, gelangen sie – vorbei an den Selbstmördern – zum Tartarus, ziehen mit Entsetzen durch die Folterkammern für Jähzornige, Habsüchtige und sonst Lasterhafte weiter bis hin zu einem Tor, durch das sie die Gefilde des Elysiums betreten: Ringsum liegen herrliche Städte ohne Mauern und Gräben. Einer betritt Stadt und Haus des Andern ohne Falsch, ewiger Friede herrscht, treue Liebe, einträchtiger Wille, kein Neid, keine Begehrlichkeit plagt die Bewohner. [...] Jede Stadt hegt die Bewohner, die sich im 8 Kriege, durch Geisteskraft und durch Rechtlichkeit auszeichneten.

Der staunende sächsische Beamte erblickt Alexander den Großen, Darius und Porus, Agamemnon und die Griechen, Dido von Karthago, Hannibal, Priamus und die für das Vaterland gefallenen Trojaner – sowie Tristan, Lanzelot (»Lancillotus«), Parzival, Kaylet (»gaylet«), Gawan, Anfortas, Gahmuret, Tschinotulander und Feirefiz (»ferafis«), »qui olim sub Artu regum summo meruere« (fol. Ciir). Plötzlich wird mit Getöse die Ankunft Kaiser Friedrichs III. (gestorben 1493) im Jenseits verkündet, was Caesar und Augustus zum Anlass nehmen, den gegenwärtigen Zustand des Reiches scharfer Kritik zu unterziehen. Kitzschers reichspublizistische Jenseitsreise, sein Dialogus de Sacri Romani Imperii rebus, hat viele geistige Väter. Dante wäre an erster Stelle zu nennen,9 Lu-

|| 6 Zu ihm vgl. Franz Josef Worstbrock, Art. ›Kitzscher, Johannes von‹, in: VL-Humanismus 1 (2008), 1286–97. 7 Der Text, der in zwei etwa zeitgleichen Ausgaben vorliegt, ist nicht ediert: Dialogus de Sacri Romani Imperij rebus perquam utilis cum epithomatibus historiarum ne dum Romanarum sed et externarum fere omnium, [Wittenberg] 1504 (VD 16, K 1097). 8 Gustav Bauch, ›Dr. Johannes von Kitzscher. Ein meißnischer Edelmann der Renaissance‹, Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde 20 (1899), 286–321, hier: 294. 9 Leider taucht Kitzscher im nagelneuen Band zur Dante-Rezeption nicht auf: Stephanie Heimgartner und Monika Schmitz-Emans (Hrsg.), Komparatistische Perspektiven auf Dantes Divina

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kian und Vergil, aber v. a. auch das 1495 verfasste und Friedrich dem Weisen gewidmete Insomnium des im Dienst des Magdeburger Erzbischofs stehenden Vogtländers Johann von Hermannsgrün.10 Über lange Strecken liest sich der Dialogus im Wittenberger Druck (1504) wie ein Handbuch der antiken Mythologie, und genau das war wohl auch beabsichtigt, als Johannes von Kitzscher das 1496 angeblich auf einer Badereise verfasste Werk acht Jahre später mit einer Kommentierung, die »den Umfang des Grundtextes um mehr als das Vierfache übersteigt«,11 Friedrich dem Weisen dedizierte. Im blockweisen Wechsel von Grundschrift und Petit-Satz tritt der Kompendiencharakter des Dialogus zu Gunsten der Stringenz der erzählten Jenseitsreise hervor. Damit eignete sich der Text nicht nur für die fürstliche Handbibliothek, sondern auch und in erster Linie für den Vorlesungsbetrieb der jungen Wittenberger Universität. Da die Figuren des höfischen Romans im Elysium in einfacher Reihung, ohne ergänzende Epitheta erscheinen, bleiben sie unprofiliert und lässt sich ihre literarische Abkunft nicht leicht ermitteln. Lediglich König Artus erhält eine qualifizierende Einordnung. Sie ist zugleich für die Quellenkunde von einigem Wert: ARTVS Britanorum inclitus fuit rex cuius uirtus uictoria & fama passim uniuerso terrarum orbe sunt diffusa. Hic inter alia milites habuit qui errantes appellabantur / hi toto orbe militiam querentes famam & immortalitatem sibi & eorum regi pepererunt. Dicitur eum hunc habuisse morem quod nunquam aliqua die prandiderit / qua non ab uno suorum militum / singulare aliquod decus percepisset. De hoc rege & militubus hic enumeratis plures in uulgari eloquio exstant libri quorum est precipuus qui tafelrunth intitulatur: Ille codex omnium hic enumeratorum gesta describit & cum uideantur nonnulla ob sui magnitudinem a ueritate declinare consulto pretermittenda censui. (fol. Ciiv) Artus war ein berühmter König der Briten, dessen Tapferkeit, Ruhm und Ruf sich nahezu über den ganzen Erdkreis erstrecken. Er hatte neben anderen Ritter, die errantes genannt wurden, die in der ganzen Welt Ritterschaft suchten und Ruhm und Unsterblichkeit für sich selbst und ihren König erstrebten. Von diesem erzählte man, dass er die Gewohnheit hatte, dass er niemals frühstückte, wenn er nicht von einem seiner Ritter irgendetwas Glanzvolles gehört hatte. Von diesem König und seinen Rittern sind zahllose Bücher in der Volkssprache überkommen, deren berühmtestes Die Tafelrunde genannt wird. Dieser Codex verzeichnet unzählige Geschichten, und wer ihn ansieht, wird schon seiner Größe wegen nicht glauben, dass er von der Wahrheit abweicht.

|| Commedia. Lektüren, Transformationen und Visualisierungen, Berlin, Boston 2017 (spectrum Literaturwissenschaft 56). 10 Vgl. Claudia Märtl, Art. ›Hermannsgrün, Johannes‹, in: VL-Humanismus 1 (2008), 1063–66. 11 Worstbrock (wie Anm. 6), 1292.

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Alle Figuren gehören, sieht man von Tristan und Lanzelot ab, dem Parzival-Titurel-Komplex an. Es handelt sich überwiegend um Prominente. Daher fällt die Figur Kaylets etwas aus dem Rahmen. Wolfram hat sie über seine Quelle, den Conte du Graal, hinaus eingeführt.12 Der randständige Vetter Gahmurets hat seine Auftritte lediglich im Parzival und im Jüngeren Titurel (Str. 2409), in letzterem aber bereits v. a. als Serienheld in der Tugendprobe, die König Clarisidun von Marroch den Artusrittern zumutet.13 Johann von Würzburg nutzt die nahezu unbesetzte Figur, um seinen Helden Wilhelm von Österreich in die Parzival-Genealogie zu integrieren.14 Im Spruch von den Tafelrundern finden wir Kaylet zwischen Gramoflanz und Garel (V. 144f.), und er erhält dort immerhin drei qualifizierende Verse: Iwein und Lunete bekommen gemeinsam vier (V. 136–39), Gauriel, der Ritter mit dem Bock, indes nur einen einzigen (V. 140).15 Johannes von Kitzschers Reihung arthurischer Beispielfiguren könnte also – Kaylet sei Dank – einem Katalogwerk wie dem Spruch von den Tafelrundern oder Jakob Püterichs Ehrenbrief entsprungen sein. Allerdings hat bereits Hermann Menhardt herausgearbeitet, dass der Spruch von den Tafelrundern Kaylet von spanie lanndt aus Füetrers Buch der Abenteuer kennt.16 Könnte also auch Füetrer als unmittelbare Vorlage in Betracht kommen? Franz Josef Worstbrock hat das vermutet, allerdings ohne es weiter auszuführen.17 Bekanntlich findet sich der Gesamttitel Buch der Abenteuer in keiner der Handschriften der Füetrer’schen Epen.18 Tatsächlich wurde er 1841 von Heinrich Hoffmann von Fallersleben durch dessen Verzeichnis der altdeutschen Hand-

|| 12 Was der Parzival über Kaylet weiß, verzeichnen Elke Brüggen und Joachim Bumke, ›FigurenLexikon‹, in: Heinzle (wie Anm. 4), Bd. 2, 835–939, hier: 894. 13 Benutzte Ausgabe: Albrechts von Scharfenberg Jüngerer Titurel, hrsg. von Werner Wolf, Bd. II/I (Strophe 1958–3236), Berlin 1964 (DTM 55), Str. 2298–18. 14 Vgl. Klaus Ridder, Mittelhochdeutsche Minne- und Aventiureromane. Fiktion, Geschichte und literarische Tradition im späthöfischen Roman. Reinfried von Braunschweig, Wilhelm von Österreich, Friedrich von Schwaben, Berlin, New York 1998 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte NF 12), 115–20. 15 Benutzte Ausgabe: Hermann Menhardt, ›Ein Spruch von den Tafelrundern‹, PBB 77 (1955), 136–64; ein aktueller Abdruck bei Achnitz (wie Anm. 2), 370–76, eine kurze Diskussion bei Müller (wie Anm. 3), 462–65. 16 Menhardt (wie Anm. 15), 156. 17 Für Worstbrock (wie Anm. 6) ist die Vorlage »vermutlich Ulrich Füetrer« (1291). 18 Vgl. Erich Petzet, Die deutschen Pergament-Handschriften Nr. 1–200 der Staatsbibliothek in München, München 1920, 1–6 (Cgm 1): »Ein Gesamttitel fehlt, ebenso eine Überschrift für das 1. Buch« (2).

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schriften zu Wien in die Literaturgeschichte eingeführt: »doch wohl mit urkundlicher Begründung«, wie Wilhelm Wackernagel mutmaßte.19 Sollte sich Johannes von Kitzscher auf ein Buch mit dem Titel Die Tafelrunde beziehen und damit Füetrers Buch der Abenteuer meinen, wäre dies also zumindest keine Titulierung gegen die ihm vorliegende Überlieferung. Muss Die Tafelrunde aber deswegen ein aus Bezeichnungsnot geborener Fantasietitel sein? Dagegen spricht eine zweifellos jüngere, aber mutmaßlich doch in die Zeit um 1500 zurückweisende Tradition. Wolfgang Prommer, Hofbibliothekar Albrechts V., notierte auf der Rückseite eines Pergamentblatts, das sich als fol. I im Cgm 247 befindet: Table ronde regis Arturi de Brita. Dise abenteur und alt geschichten hat Ulrich Furtrer zu München für mein g. F. und h. herrn Albrecht herzogen in obern und nidern Beyrn etc. in einem grossen volumine in regal auf pergamen beschriben und wirt dises daz erst buch genanndt . Steet auch am anfang . Welches er auß etlichen historien und gestis von herren Lancilot von Lack geboren auß dem kunigreich Bonabick genomen. Liber primus von 20 abentheur und allt geschichten St. 2 N° 32.

Prommers Vermerk bietet gleich beide Titel-Varianten des Füetrer’schen Werkes: Am Schluss den liber [...] von abentheur [...], im Eingang die Table ronde. Es ist davon auszugehen, dass der Bibliothekar bei einem derart prominenten Codex, der im April 1579 aus dem Besitz der Münchener Franziskaner in fürstlichen Besitz überging, nicht nach eigenem Ingenium titelte, sondern seinen Vermerk »mit urkundlicher Begründung« tätigte.21 Dass diese Urkunde ausgangs des 15. Jh. (und vor 1504) noch vorlag, dass Johannes von Kitzscher, der sich zwischen 1490 und 1498 vorwiegend in Rom und Bologna aufhielt, vorübergehend auch in München war und dort einen Codex mit dem Füetrer’schen Zyklus gesehen hat, der Die Tafelrunde hieß oder genannt wurde, scheint mir außer Frage zu stehen.22 Es muss gar nicht der Cgm 247 gewesen sein, der nur Buch I des Zyklus enthält. Ent-

|| 19 Vgl. Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Verzeichnis der altdeutschen Handschriften der K. K. Hofbibliothek zu Wien, Leipzig 1841, 198; Wilhelm Wackernagel, Geschichte der deutschen Litteratur bis zum Dreissigjaehrigen Kriege. Ein Handbuch, Basel 1872, 197, Anm. 60. 20 Zitiert nach Karin Schneider, Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Cgm 201–350 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis V, 2), Wiesbaden 1970, 131f. 21 Es ist nicht davon auszugehen, dass der Band im Franziskanerkloster geschrieben wurde. 22 Zu Kitzschers italienischen Reisen vgl. Worstbrock (wie Anm. 6), 1287f. Zwischen 1508 und 1512 hielt er sich erneut in Rom auf. Er könnte die ital. Tavola ritonda gekannt haben, worauf mich Cora Dietl freundlicherweise aufmerksam macht.

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scheidender ist, dass der spätere Vermerk im Cgm 247 die Titulierung des Gesamtwerkes als Die Tafelrunde historisch legitimiert. So viel zur Heuristik. Die Jenseitsreisenden treffen die höfischen Ritter im Elysium, weil sie sich, wie Pico della Mirandola seinem Begleiter erklärt, zu Lebzeiten »im Kriege, durch Geisteskraft und durch Rechtlichkeit auszeichneten«.23 Die Aufnahme des ArtusKreises ins Elysium kann man eine geglückte translatio nennen. Man kann sie als eine notwendige Internationalisierung auch des Jenseits betrachten, kann aber auch, wie Augustus und Caesar das gesprächsweise tun, nach vorne, dem Erben des Reiches entgegen schauen und im Arsenal der verstorbenen Tugendhaften wie in einem Fürstenspiegel Orientierungsgrößen für den künftigen Regenten Maximilian erblicken.24

2 Augustin von Hammerstetten, Der Hirsch mit dem goldenen Geweih Wir bleiben in Wittenberg bzw. Torgau, wir bleiben am Hof Friedrichs des Weisen. Augustin von Hammerstetten, Kanzlist des Kurfürsten, hatte 1496 ein deutsches Prosawerk verfasst, das er Friedrich in einer – heute davon abgetrennt aufbewahrten – Reimvorrede widmete.25 Der Hirsch mit dem goldenen Geweih setzt ein mit dem Traum seines Protagonisten, der von den Zinnen seiner Burg einen prächtigen Hirsch erblickt und ihm in den Wald folgt, auf einer amönen Lichtung aber nicht das Tier, sondern eine derangierte Dame trifft, die ihm ihr Liebesleid klagt. Der Zusammenhang mit dem Dialogus Kitzschers ist, wie ich meine, offenkundig, wenn auch bisher weder erkannt noch untersucht. Leider halten Teile der Forschung unerschütterlich an der im 18. Jh. im Umkreis des Dresdener Hofes aufgekommenen Vorstellung fest, es handele sich beim Hirsch mit dem goldenen Geweih um einen ›Schlüsselroman‹, ohne dies methodisch auch nur im geringsten absichern zu können.26 Noch 2015 konnte man un-

|| 23 Bauch (wie Anm. 8), 294. 24 Vgl. Worstbrock (wie Anm. 6), 1291. 25 Benutzte Ausgabe: Erich Busse, Augustin von Hamersteten. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur im Ausgange des Mittelalters, Diss. Marburg 1902. 26 Vgl. Ingeborg Glier, Artes amandi. Untersuchung zu Geschichte, Überlieferung und Typologie der deutschen Minnereden, München 1971 (MTU 34), 358; Walter Blank, Art. ›Augustin von Hammerstetten‹, in: 2VL 1 (1978), 543–45, v. a. 544; Jan-Dirk Müller, Gedehtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I., München 1982 (Forschungen zur Geschichte der Älteren deutschen Literatur 2), 348.

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befangen über »Friedrichs erotische Gesinnung oder sogar Befindlichkeit«,27 über die Augustins Text Auskunft gebe, philosophieren. Im Rahmen dieses Bezugssystems ist es nur konsequent, wenn die von der Forschung lange favorisierte Amelie von Schwarzburg nun einer polnischen Prinzessin Elzbieta weichen soll.28 Der Hirsch mit dem goldenen Geweih ist demgegenüber zunächst einmal, wie ich an anderer Stelle zu zeigen versucht habe, bis auf die Prosaform durch und durch eine Minnerede.29 Das betrifft nicht nur sämtliche zentralen Motive und Strukturen; es betrifft auch – und das ist mir wichtig – den der Gattung eigenen Quellgrund: einen Vorrat an Texten und insbesondere an Beispielfiguren, auf die in den Minnereden unablässig rekurriert wird.30 Ich will vor diesem Hintergrund gar nicht behaupten, Augustin von Hammerstetten habe etwa die Reden Hermanns von Sachsenheim gekannt.31 Die Schnittmenge des Hirschen mit dem Schleiertüchlein freilich ist dermaßen groß, dass mir sein Ausschluss aus dem (ansonsten verdienstvollen) Handbuch der Minnereden inakzeptabel erscheint.32 Wie in der Gattung Minnerede üblich, führt Augustin von Hammerstetten das in Liebesangelegenheiten einschlägige Personal der biblischen und antiken Literatur sowie des höfischen Romans an: Adam und Eva, Samson und Delila, Salomo und »die swartz mörinn« (Z. 250f.), Aristoteles und Phyllis (Libia), Paris und Helena, sogar Claudius und Messalina – die Liste der großen Paare ist lang.33 Als Verbindendes zwischen ihnen allen stellt Augustin die List der Frauen heraus, die Verderben über die Männer brachte. Als prominente Single-Frauen, »die in solichen hendeln und praktika aller ander weiber ubertraffen« (Z. 267f.), treten ihnen Thais und Lesbia zur Seite. Verkürzend kann man feststellen, dass für den

|| 27 Iris Ritschel, ›Friedrich der Weise und seine Gefährtin. Überlegungen und Erkenntnisse zu fünf verdächtig(t)en Kunstwerken‹, in: Kohnle und Schirmer (wie Anm. 5), 73–105, hier: 96. 28 Vgl. Mila Horký, ›Anna, die Anmutige, werde ich genannt. Eros und Virtus in den weiblichen Porträts von Lucas Cranach d. Ä.‹, in: Simone Roggendorf und Sigrid Ruby (Hrsg.), (En)gendered. Frühneuzeitlicher Kunstdiskurs und weibliche Porträtkultur nördlich der Alpen, Marburg 2004, 38–53, hier: 48f.; Ritschel (wie Anm. 27), 96f. 29 Vgl. Christoph Fasbender, ›Als Minnerede in Prosa ein Unicum. Augustins von Hammerstetten Der Hirsch mit dem goldenen Geweih (1496)‹, in: Iulia-Emilia Dorobanţu u. a. (Hrsg.), Zwischen Anthropologie und Philologie. Beiträge zur Zukunft der Minneredenforschung, Heidelberg 2014, 289–310. 30 Vgl. das Register von Jacob Klingner und Ludger Lieb (Hrsg.), Handbuch Minnereden. Mit Beiträgen von Iulia-Emilia Dorobanţu u. a., 2 Bde., Berlin, Boston 2013, Bd. 2, 279–82. 31 In diesem Sinne Blank (wie Anm. 26), 544. Einen Zusammenhang mit der Mörin deutet auch Peter Strohschneider, Ritterromantische Versepik im ausgehenden Mittelalter, Frankfurt a. M. u. a. 1986 (Mikrokosmos 14), 216, an; vgl. außerdem die Belege bei Fasbender (Anm. 29), 303f. 32 Vgl. dazu Fasbender (wie Anm. 29). 33 Vgl. Fasbender (wie Anm. 29), 297f.

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Verfasser des Hirschen Bibel und antike Mythen keine Beispiele für vorbildhafte Paarbeziehungen bieten. Aus dem Bereich der höfischen Literatur nennt Augustin nun ebenfalls Paare.34 Hauptzeugen für einen richtig verstandenen Frauendienst und ein reziprokes Minneverständnis sind ihm Tschinotulander und Sigune sowie Parzival und Condwiramurs. Beide Paare sind in den Minnereden ubiquitär.35 Der Verwendung im Hirschen kommen das Minneturnier (Sigune und Tschinotulander) und Hermanns von Sachsenheim Schleiertüchlein (Parzival und Cundwiramurs) am nächsten.36 Die Annahme, der Verfasser habe sein Wissen um die Figuren einem fertigen Exempelkatalog entnommen, liegt daher nahe. Allerdings verweist Augustin darauf, dass die Tötung Tschinotulanders und die Trauer Sigunes »im Tytterel als begriffen« (Z. 408) sei. Tatsächlich hat Augustin, wie zu zeigen wäre, zumindest den Jüngeren Titurel genauer gekannt.37 Für seine Kenntnis der Blutstropfenszene, die nicht in den Titurel-Komplex eingegangen ist, müssen wir zudem wohl auch eine mindestens rudimentäre Kenntnis des Parzival unterstellen.38 So viel zur – bisher vernachlässigten – Quellenkunde; nun zur beispielhaften Verwendung arthurischer Figuren. Ich greife zwei Stellen heraus. 1. Im Dialog mit seiner Dame, den Augustin von Hammerstetten seinen Protagonisten führen lässt, weiß der zu berichten, dass Herr »Tschionachtülander« (Z. 399) »durch den ritter Orillus in beysein derselben königin Sigaunen errannt und zetod gestochen« (Z. 400–02) worden sei: [...] durch welhs sterben willen von ir die allerhohst clag, so vormal auf erden, auch darnach nymmermer von frawen yee erhort worden ist, noch hinfur nicht mer gehort werden mag, dann sy in also tod balzamiret und auf eym paum langzeit behalten, tag, und nacht pey im weynend und clagent pliben. (Z. 402–07) [...] um dessen Tod von ihr die eindringlichste Klage vernommen wurde, wie sie zuvor oder seitdem nicht von Frauen gehört wurde oder jemals zu hören sein wird; denn sie behielt ihn einbalsamiert für lange Zeit bei sich auf einem Baum und verblieb Tag und Nacht weinend und klagend bei ihm.

|| 34 Im Gegensatz zu den antiken und biblischen Paaren werden sie von Blank (wie Anm. 26), 544, nicht erwähnt. 35 Vgl. Klingner und Lieb (wie Anm. 30), Bd. 2, 281. 36 Vgl. Fasbender (wie Anm. 29), 302–04. 37 Vgl. ebd., 299. 38 Vgl. ebd., 299–304. Augustins beträchtliche Belesenheit wäre auch mit seinem Besitz zweier Gothaer Handschriften zu erklären, deren eine Michel Beheims Buch von den Wienern, deren andere Reden des Teichners, Konrad von Würzburg und Peter Suchenwirt enthält; summarisch Blank (wie Anm. 26), 544.

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Er sei nun »gleich desselben gemutes, willens undt fursatzes, daz er sein leib und leben und was er vermöchte in iren dinst und namen darstreken, darumb sterben oder aber ir gnad, dinst und willen erwerben« (Z. 409–13) wolle. Da die außerordentliche Trauer Sigunes das eigentliche Skandalon der Episode ist, wirkt das herangezogene literarische Exempel Tschinotulanders auf den ersten Blick nicht ganz überzeugend – es sei denn, das Anliegen des Ritters bestehe nicht allein in der Absicht, seine eigene Entschlossenheit kundzutun, sondern zudem in der Hoffnung, dass seine Dame ihm diese Entschlossenheit mit der gleichen Bedingungslosigkeit wie Sigune trauernd vergelte. 2. Als Augustins Protagonist auf seiner Seereise ins Heilige Land über die Treue seiner Dame nachsinnt, kommt ihm die bekannte biblisch-antike Beispielreihe der von ihren Frauen Genasführten in den Sinn: Und versenket alsdann sein hertze und gemute so gar damit: als her Partzefalen beschah, do er dy drey plutztröpfel in dem snee verröret sah, und gedaht, das seins hertzen trost frawe Gundwiramirs wie milh und plute, also weren auch dy drew plutztröpfel in dem weissen schnee verwappent. (Z. 567–73) Und da versenkte er sein Herz und seinen Sinn vollständig darein: wie es Herrn Parzival geschah, als er die drei Blutstropfen in den Schnee getropft sah und er dachte, dass seines Herzens Trost, die milch- und blutfarbene Frau Cundwiramurs, gerade so wie die drei Blutstropfen im Schnee als ein Feldzeichen erschien.

Augustins Blutstropfen-Episode ist gleichsam als Kommentar zum Minnesklaven-Topos zu verstehen.39 Parzival, dem sich im Weiß und Rot der Blutstropfen Condwiramurs offenbart, steht in seiner Treue zwar den antiken Vorbildern zur Seite; die in den drey plutztröpfeln anwesende Abwesende indes übertrifft, ohne dass dies explizit gesagt würde, ihre Vorgängerinnen in dem für die Episode zentralen Gesichtspunkt: der triuwe – einer triuwe, die über das Sinnbild der drei Blutstropfen im Schnee verwappent, also heraldisch verbindlich aufgerufen ist. Wir stellen fest, dass die arthurischen Exempelfiguren, die Augustin von Hammerstetten im Hirsch mit dem goldenen Geweih aufruft, nicht allein zur illustrierenden Verifizierung des in der Minnehandlung Erzählten eingefügt wurden. Man versteht das Beispiel Sigunes nur, wenn man seinen Einsatz als notwendigen Teil eines indirekten Sprechaktes begreift, der etwa zum Ausdruck bringen soll: ›Ich bin dir so treu wie Tschinotulander; nun sei auch du mir so treu wie Sigune.‹ Das Beispiel Condwiramurs’, derer Parzival gedenkt, als ihm die Heerscharen gefoppter Männer in den Sinn kommen, ist ebenfalls nicht auserzählt. Es

|| 39 Die Szene wird kommentarlos erwähnt bei Schirok (wie Anm. 4), 34, der den Text immerhin unter den Minnereden subsumiert.

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bricht unvermittelt ab, wenn man nicht weiß, für welches Beziehungsmodell der Name in Wolframs Roman eigentlich steht. Die Verwendung der arthurischen Beispielfiguren im Hirschen ist elliptisch. Sie erfordert die denkende Mittäterschaft des Publikums, das die Sinnhaftigkeit der gewählten Beispiele aus eigener Textkenntnis evaluieren muss. Auch dieses Verfahren ist, wie schon Huschenbett herausstellte, in der Bezugsgattung des Hirschen ubiquitär.40

3 Ludwig von Eyb, Geschichte und Taten Wilwolts von Schaumberg Ich komme damit zur Lebensgeschichte des Ritters Wilwolt von Schaumberg (1446–1510), die, wie wir heute wissen, in der überkommenen Form ein Werk des fränkischen Adligen Ludwig der Jüngere von Eyb ist.41 Ludwig, der vielleicht kein akademisches Studium absolvierte, begann seine Ämterkarriere als Hofmann des Bischofs von Eichstätt (1479–86) und brachte es bis zum Hauptmann des markgräflichen Oberlandes (1510–12).42 Zeitlebens entfaltete er sich, wie sein Vater, als Verfasser von Schriften zur Hof- und Landesverwaltung. »Lebensraum und Selbstverständnis des reichsritterschaftlichen Adels an der Wende zum 16. Jh. sind der gemeinsame Nenner.«43 1507 vollendete Ludwig die Geschichten und Taten Wilwolts von Schaumberg, eines Bruders seines Schwagers Georg von Schaumburg.44 Der sächsische Bezug ist diesmal über den Protagonisten selbst gegeben, der über weite Strecken als Söldner Herzog Albrechts von Sachsen (1464–1500) und dessen zweitem Sohn Heinrich (geb. 1473, reg. 1539–41) agiert. Die Geschichten und Taten sind als Fundgrube der Realien- wie der Geisteskultur der Epoche erst vor nicht allzu langer Zeit entdeckt worden und noch

|| 40 Vgl. Dietrich Huschenbett, Hermann von Sachsenheim. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte des 15. Jahrhunderts, Berlin 1962 (Philologische Studien und Quellen 12), 81–92; weiterführend Strohschneider (wie Anm. 31), v. a. 256–78. 41 Benutzte Ausgabe: Ludwig von Eyb der Jüngere, Geschichten und Taten Wilwolts von Schaumberg, kritische Edition, hrsg. von Helgard Ulmschneider, Münster und New York 2018 (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 21). Die Autorschaft Ludwigs von Eyb zuerst bei Heinrich Ullmann, ›Der unbekannte Verfasser der Geschichten und Thaten Wilwolt’s von Schaumburg‹, Historische Zeitschrift 39 (1878), 193–229. 42 Vgl. Helgard Ulmschneider, Art. ›Ludwig von Eyb d. J. zum Hartenstein‹, in: 2VL, Bd. 5, 1006– 15, v. a. 1006f. 43 Ebd., 1007. 44 Vgl. ebd., 1009.

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längst nicht ausgeschöpft.45 Im vorliegenden Zusammenhang interessiert uns allein die Präsenz des höfischen Romans bzw. seiner vom Verfasser herbeizitierten arthurischen Figuren. Sie ist, anders als in den eben vorgestellten Werken, bereits wiederholt – und mit seltener Einmütigkeit – Gegenstand der akademischen Diskussion gewesen.46 Ich skizziere zunächst den Textbefund, wobei ich sinnvoll nur von einem Text und einem Verfasser (Ludwig von Eyb) ausgehe und mögliche Text-Schichtungen unberücksichtigt lasse.47 Artus, sein Hof und seine Ritter kommen in den Geschichten und Taten an verschiedenen Stellen vor. Implizit werden sie gleich zu Beginn des Werkes, in der »Epistell des setzers diser hystorienn« genannten Vorrede, bemüht. Nachdem der setzer Exponenten der griechisch-römischen Geschichte hat aufmarschieren lassen (Eneas ist darunter, Tarquinius Superbus, Lucretia), kommt er auf die deutschen »ritterpuecher« zu sprechen, die verfasst worden seien vmb kurzweyll der lesennden, vnnd das die iung ritterschafft sich als in einem spigel menlicher tugennt vnnd manheytt darinen beschawenn, zucht vnnd eer lernnen, nach ritterlichem preis an sich zwnemen streben sollen. (80)

|| 45 Vgl. zuletzt Sven Rabeler, Niederadlige Lebensformen im späten Mittelalter. Wilwolt von Schaumberg (um 1450–1510) und Ludwig von Eyb d. J. (1450–1521), Würzburg 2006 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte IX, 53). 46 Vgl. etwa Horst Wenzel, Die Autobiographie des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, Bd. 1: Die Selbstdeutung des Adels, München 1980 (Spätmittelalterliche Texte 3), 54–91, v. a. 56; ders., Höfische Geschichte. Literarische Tradition und Gegenwartsdeutung in den volkssprachigen Chroniken des hohen und späten Mittelalters, Bern u. a. 1980 (Beiträge zur älteren deutschen Literaturgeschichte 5), v. a. 285–303; ders., ›Exemplarisches Rittertum und Individualgeschichte. Zur Doppelstruktur der Geschichten und Taten Wilwolts von Schaumburg‹, in: Christoph Gerhardt u. a. (Hrsg.), Geschichtsbewußtsein in der deutschen Literatur des Mittelalters. Tübinger Colloquium 1983, Tübingen 1985 (Publications of the Institute of Germanic Studies 34), 162–74; Xenja von Ertzdorff, Romane und Novellen des 15. und 16. Jahrhunderts in Deutschland, Darmstadt 1989, 168–73, v. a. 172; Sonja Kerth, ›Die letzten taflrunder? Krieg in adligen Autobiographien des 15. und 16. Jahrhunderts‹, in: Horst Brunner u. a. (Hrsg.), Dulce bellum inexpertis. Bilder des Krieges in der deutschen Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts, Wiesbaden 2002 (Imagines Medii Aevi 11), 175–245, v. a. 210–13. 47 Die Frage nach den Anteilen Wilwolts an Ludwigs Geschichten und Taten wurde lange kontrovers diskutiert. Sie ist mit philologischen Mitteln nicht zu lösen. Der Text gibt keine Auskunft darüber, wie der Stoff an den Verfasser geraten ist. Sonja Kerth (wie Anm. 46), 213, glaubte, Wilwolt für die Kriegsschilderungen vollumfänglich verantwortlich machen zu dürfen. Für eine Geschichte der Autobiographie, wie sie Wenzel (wie Anm. 46) vorschwebte, ist der Text aber ebenfalls nur unter Vorbehalt zu verwenden.

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zur Unterhaltung der Leser und damit sich die jungen Ritter darin wie in einem Spiegel männlicher Tugend und Mannheit betrachten, sich Anstand und Ehre aneignen und danach streben sollen, Ritterruhm zu erlangen.

Ludwig rät dem Adressaten seiner Epistel, den er als belesenen jungen Mann imaginiert, »nit zwfallen lassenn« (82), was er gelesen habe, »sünder an auffhörn weyther vnnd mer zwerforschenn, aus allen künsten der lateinischen vnd teütschen ritterpücher, hystorienn vnnd cronicen zuuersameln« (ebd.). Der zweite Passus, der die arthurischen Scharen nun explizit aufmarschieren lässt, gibt sich als prosaische »clag des ystory setzers« um den verstorbenen Herzog Albrecht von Sachsen. Es handelt sich um eine klassische Totenklage, die den ubi sunt-Topos nutzt, um ein Who is who der Weltgeschichte auszurollen: »Ey weltt, dw seyß verwassen! Was gibstw im zw lonn? Den todt, einen sarch, dar inn sein werder leichnam gelegt vnnd in das erttrich begraben wartt« (313). Nicht anders ging es zuvor schon Adam, Noah, Abraham und Moses, Samuel, David und den Makkabäern, Aristoteles, Vergil und Plato, Hektor, Paris und Troilus, Karl dem Großen, Artus und Gottfried von Bouillon, aber auch Vivianz, Tschinotulander, Gahmuret, Gawan, Tristan, Orilus, »Zenteflurs«, »Galoes«, »Jlinot« und dem starken Morolt, Wilhelm von Orlens, »Loherangerin«, »Hardis«, »Ardibollen«, »Iter«, »Zitigast«, »Stoyt« und »Gurtzegrin« (314).48 Ansonsten hält sich Ludwig von Eyb innerhalb der Geschichten und Taten Wilwolts mit der höfischen Literatur zurück. Wo dieser Kontext aufgerufen wird, da geschieht das etwa nach dem folgenden Muster. Der Erzähler kündigt an, das folgende Ereignis damit »vergleichen« zu wollen, »wie die altten taffellrunder vor zeitten allein abentheür zwsuchenn geritten sein. Wilwolt vonn Schaumburg reitt allein zw Anelspach aus zw Jorgen von Schaumburg« (168). Der Passus, dem in der Forschung das meiste Gewicht aufgebürdet wurde, findet sich vor der zweiten Schlacht, die Wilwolt für die Sachsen in Holland schlagen muss. Anführer und Heer sind von den letzten Kämpfen überaus erschöpft; dennoch greifen sie an. Ludwig erläutert: da sein vill Parciuall gewest, vnd sunderlich die khünheitt des haubtmans [Wilwolts] mag als hoch gewegenn werden wie Tschionachtulannders, do er als müd vnnd hungerig mit den seinen den grossen hauffen der morn vor Betalamundt bestreytt. (226) Es gab dort viele Parzivale, und besonders die Tapferkeit des Hauptmanns Wilwolt kann so hoch bewertet werden wie diejenige Tschinotulanders, als er müde und hungrig mit den Seinen gegen das große Mohrenheer vor Betalamunt kämpfte.

|| 48 Vgl. Wenzel, Höfische Geschichte (wie Anm. 46), 295f., und Kerth (wie Anm. 46), 208f.

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Ein letztes Mal meldet sich Ludwig in einer kurzen Nachrede zu Wort. Der Verfasser beteuert, dass er in den Ritterbüchern und Chroniken keinen gefunden habe, »der so manch abentheür gestanden« (323), und er glaubt, bereits tief in der captatio benevolentiae: »woe künig Arttus noch lebtt, er würd disen ritter als einen werdenn tafellrunder die statt vnnd recht der taffelln nit versagt haben« (324). Das sind, im Großen und Ganzen, die Bezugnahmen Ludwigs von Eyb auf den höfischen Roman. Zur Heuristik kann ich mich kurzfassen. Es existieren bisher keine Untersuchungen.49 Lediglich Sonja Kerth hat beiläufig darauf hingewiesen, dass einige der im Kontext der Totenklage um Herzog Albrecht aufgerufenen Helden dem Katalog der ›Nine Worthies‹ entsprungen seien.50 Tatsächlich enthält aber gerade der Tschinotulander-Vergleich Wilwolts einen wesentlichen, bisher – wenn ich nichts übersehen habe – nicht beachteten Hinweis auf eine Vorlage Ludwigs von Eyb. Dass Tschinotulander »müd vnnd hungerig mit den seinen den grossen hauffen der morn vor Betalamundt bestreytt« (226), geht eindeutig auf den Jüngeren Titurel zurück (ungefähr ab Str. 2611).51 Da sich dort viele, vielleicht sogar die meisten, aber eben nicht alle Namen aus dem Katalog der Totenklage um Albrecht von Sachsen finden, müssen hier weitere Untersuchungen ansetzen. Damit komme ich zur Funktion der aufgerufenen Figuren. In seltener Einmütigkeit hat sich die germanistische Forschung darauf verständigt, dass Ludwigs von Eyb »kalkulierte[r] Rückbezug auf die Vorbilder des höfischen Romans«52 mit der erzählten Lebensgeschichte des raubeinigen Hauptmanns Willibald nicht auf einen Nenner zu bringen sei.53 »Wilwolts Rolle«, so formulierte es zuletzt Sonja Kerth, »unterscheidet sich meist völlig von der eines Parzival oder Tschionatulander in den höfischen Romanen«.54 Die arthurischen

|| 49 Die Liste der Eigennamen mit Parzival-Bezug bei Schirok (wie Anm. 4), 62, ist unvollständig. So fehlt etwa »Patelamunt« (Betalamunt, 115). Vgl. noch Helgard Ulmschneider, ›Greker, Troianer, die edln Romer und König Artus’ Tafelrunde. Exempel für den fränkischen Adel in den Geschichten und Taten Wilwolts von Schaumberg‹, in: Dorothea Walz (Hg.), Scripturus vitam. Lateinische Biographie von der Antike bis in die Gegenwart. FS Walter Berschin, Heidelberg 2002, 1077–99, v. a. 1090f.; Ludwig von Eyb der Jüngere (wie Anm. 41), 9–42. 50 Vgl. Kerth (wie Anm. 46), 209, Anm. 103. 51 Vgl. Jüngerer Titurel (wie Anm. 13), ca. Str. 2611–55 (Kapitulation der Heiden). 52 Wenzel, Die Autobiographie (wie Anm. 46), 56. 53 Vgl. Wenzel, Höfische Geschichte (wie Anm. 46), 299 und 301f. Müller (wie Anm. 26), 194, erklärte: »Der Vergleich überschreitet gelegentlich die Grenze zur Karikatur«. 54 Kerth (wie Anm. 46), 212.

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Kommentare, »die aus Wilwolt einen realen taflrunder machen«, wirkten daher »meist aufgepfropft auf die Handlung«.55 Diese Einschätzung, die repräsentativ ist für alle weiteren, reflektiert ein methodisches Grundproblem im Umgang mit dem hier vorgetragenen Sachverhalt. Man könnte sicher monieren, dass das Netz, das mit der »Rolle [...] eines Parzival oder Tschionatulander in den höfischen Romanen« ausgeworfen wird, doch relativ weitmaschig sei. Bei genauerer Betrachtung würde sich vielleicht sogar zeigen, dass insbesondere der Vergleich Wilwolts mit dem übermüdeten und ausgehungerten Heerführer Tschinotulander gar nicht so sehr an dessen ›Rolle‹ (im Jüngeren Titurel) vorbeigeht. Tatsächlich beruht der Vergleich, den Ludwig anstellt, ja lediglich auf der Entschlossenheit der Heerführer.56 »Aufgepfropft« wirkt der Vergleich erst vor einem Erwartungshorizont, der seitens des Verfassers möglichst zahlreiche (und für Germanisten ›einschlägige‹) Merkmale der Figur Tschinotulanders berücksichtigt sehen will. Das aber hat Ludwig von Eyb explizit an keiner Stelle beabsichtigt. Ähnliches gilt auch für den angesprochenen Ausritt Wilwolts, den Ludwig mit dem Ausritt der Artusritter verglich und in dessen Verlauf dem Protagonisten auf dem Weg nach Ansbach ein mit einer Armbrust bewaffneter Schweizer auflauert. V e r g l e i c h e n wollte der Erzähler die Fälle in der Hinsicht, dass beide – Wilwolt wie einst die Artusritter – a l l e i n ausritten. Mit dieser Aktion, die sich für den Adligen eher als leichtfertig erweisen sollte, ist Wilwolt noch längst kein Erec oder Iwein. Die von Müller attestierte »Schwierigkeit« bei der »Applikation auf die eigenen Lebensverhältnisse«57 machte sich frühestens dann störend bemerkbar, wenn der Erzähler seine Helden ineins setzte. Davon kann indes keine Rede sein. Ludwig von Eyb geht es, wenn man genau hinsieht, um ähnliche Konfigurationen: ähnlich, dieweil Wilwolt mitunter handelt, wie es dem Publikum nicht nur aus der Realität der Fehde- und Kriegsführung, sondern auch aus bestimmten, diese Realität aufgreifenden und gegebenenfalls stilisierenden Szenen der höfischen Romane bekannt ist – und nicht etwa, weil Ludwig seinen Protagonisten in toto zu einem höfischen Romanhelden umwidmete.

|| 55 Kerth (wie Anm. 46), 212. 56 Auch Müller (wie Anm. 26), 194, verkennt das Vergleichsmoment, wenn er zur Stelle erklärt: »Die Ritterlichkeit bemißt sich schon hier vornehmlich an der Zahl der erschlagenen Gegner.« 57 Beide Zitate ebd., 195.

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4 Höfische Literatur im gelehrten Umfeld Um die Aktionen der Akteure also geht es, die nicht im Sinne einer kohärenten Figuren-Interpretation, sondern punktuell – oder besser: punktgenau – mit bekannten literarischen Traditionen abgeglichen werden.58 Wilwolt reitet alleine aus wie ein Artusritter, besteht alleine einen Zweikampf, und er greift wie Tschinotulander aus einer prekären Lage heraus in zahlenmäßiger Unterlegenheit an. Nicht viel anders verhält es sich mit der Blutstropfenszene im Hirschen mit dem goldenen Geweih. Augustin von Hammerstetten vergleicht die Versunkenheit seines Helden mit der Parzivals beim Anblick der drei Blutstropfen. In dieser weltvergessenen Treue – und nur darin – ›ist‹ dieser Held ein Parzival, so wie die drei Tropfen auf die verwappnete Treue seiner Dame verweisen: eine Deutung der Szene im übrigen, die Augustin von Hammerstetten wohl gegen die gesamte moderne Forschung ganz für sich allein hat. Auch im Hirschen sind die angeführten Figuren und Figurenensembles mit bestimmten Eigenschaften assoziiert. Und gewiss werden sie aufgerufen, um das Handeln der Protagonisten im Vergleich abkürzend an Traditionen rückzubinden, die uns als ›literarisch‹ benennbar scheinen.59 Wie komplex aber ist die Präsenz dieser Traditionen in der realen Kommunikationssituation vorzustellen? Rasch wird man sich darauf verständigen, dass mit Samson und Delila oder Paris und Helena weniger literarische als ›mythische‹ Figuren herbeizitiert werden, deren Erscheinen nicht die Kenntnis biblischer Bücher oder homerischer Epen, sondern konventionalisierter Epitheta abfragt. Einzeluntersuchungen haben dies etwa für das ungleiche Paar Aristoteles und Phyllis aufgewiesen.60 Ihr Erscheinen in Listen so genannter Minnesklaven ist kaum anders zu erklären als das auf Einfassungen von Spiegeln, Kämmen und Schmuckkästchen. In den seltensten Fällen wird sich ein konkreter Text als Vorlage ausheben lassen.

|| 58 Strohschneider (wie Anm. 31) sah in den literarischen Figuren, die die Minnereden Hermanns von Sachsenheim aufrufen, äußerst raffinierte Anklänge an die Prätexte. Das Zitationsverfahren Ludwigs von Eyb scheint mir ein anderes zu sein. Hermann potenziert Literatur. Ludwig will zeigen, dass literarische Bildung ein Stück adliger Lebenswelt erschließen kann. 59 Vgl. Wenzel, Autobiographie (wie Anm. 46), 56, und Strohschneider (wie Anm. 31), 246–52. 60 Vgl. Wolfgang Stammler, ›Der Philosoph als Liebhaber‹, in: ders., Wort und Bild. Studien zu den Wechselbeziehungen zwischen Schrifttum und Bildkunst im Mittelalter, Berlin 1962, 12–44; Cornelia Hermann, Der ›Gerittene Aristoteles‹. Das Bildmotiv des ›Gerittenen Aristoteles‹ und seine Bedeutung für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung vom Beginn des 13. Jahrhunderts bis um 1500, Pfaffenweiler 1991. Die meisten neueren Abhandlungen zur Sache konzentrieren sich auf Gender-Aspekte und tragen für historisch-philologische Fragestellungen wenig aus.

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Wie steht es dem gegenüber mit den Figuren des höfischen Romans? Auf Grund welcher Prämissen setzen wir voraus, dass die rezipierenden Autoren generell komplexere Szenarien im Blick hatten? Die Frage, warum keiner der Autoren seinen Protagonisten eins zu eins nach einem der aufgerufenen literarischen Modelle gebildet hat, drängt sich auf. Hätte Wilwolt von Schaumberg keinen brauchbaren zweiten Tschinotulander, der Minneritter des Hirschen keinen plausiblen Parzival abgegeben? Der fingierte Einwand, dass Wilwolt sonst hätte mit Konsequenz als Minneritter sterben und Augustins Minneritter hätte Gralskönig werden müssen, macht das Verfahren der Autoren erst eigentlich sichtbar. Man müsste daher geradezu andersherum argumentieren: Es ist nicht die literaturgeschichtliche Inkompetenz der Verfasser, die sie in einen fröhlichen Eklektizismus triebe; es ist vielmehr ihr literaturhistorischer Sachverstand, der sie die höfischen Figuren lediglich über (für sie) wesentliche Handlungen und Szenen aufrufen ließ. Von diesen Beobachtungen ausgehend, ließe sich vielleicht ein Ansatz entwickeln, der – was die arthurischen Beispielfiguren angeht – einen zeitgenössischen Verstehenshorizont rekonstruieren könnte.61 In ihn wäre unbedingt einzubeziehen, was wohl aus Gründen fachlicher Zuständigkeit bisher weitgehend unterblieb: die von allen Autoren aufgerufenen Zusammenhänge biblischer und antiker, von Ludwig von Eyb dezidiert herbeigerufener lateinischer und historiographischer Referenztexte. Wenn etwa der Verfasser der Epistel seinen Adressaten ermuntert, Orientierung »aus allen künsten der lateinischen und teütschen ritterpücher, hystorienn vnnd cronicen zuuersameln« (82), eröffnet dies ganz andere Referenzen als die teutschen ritterpuecher für sich genommen. Es zwingt freilich auch dazu, das, was unter »menlicher tugentt vnnd manheytt«, unter »zucht vnnd eer« und »ritterlichem preis« (80) zu verstehen sein könnte, gegebenenfalls weiter zu fassen als das, was uns der höfische Roman auf diesem Feld anbietet. »Ritterliche Existenz«, so hielt es bereits Gerhild Scholz Williams für den Adel des europäischen 15. Jh. fest, »ist immerwährender Krieg, wenn nicht realiter, dann im Turnier oder auf der Jagd.«62 Sollte sich Wilwolts Leben nicht im Gewölk einer arthurischen Landschaft auflösen – einer Landschaft, für die allenfalls noch der atemlose Wigalois eine Folie hätte abgeben können –, musste Ludwig mit ander-

|| 61 Werner Fechter, ›Absalom als Vergleichs- und Beispielfigur im mittelhochdeutschen Schrifttum‹, PBB 83 (1961), 303–16, hat das vor sehr langer Zeit mit der Figur des biblischen Absalom getan, wie sie im mittelalterlichen Schrifttum bezeugt ist. 62 Gerhild Scholz Williams, ›Historiam narrare: Geschichte und Mittelalter-Rezeption im spätmittelalterlichen Deutschland‹, in: Peter Wapnewski (Hrsg.), Mittelalter-Rezeption. Ein Symposion, Stuttgart 1986 (Germanistische Symposien. Berichtsbände 6), 32–45, hier: 38.

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weitigen Referenztexten operieren. Chroniken, die erfolgreiches Plündern und Verwüsten in seiner strategischen Notwendigkeit rühmend hervorhoben, boten – und bieten dem jungen Leser – in dieser Hinsicht eine sinnvolle Quellgruppe.63 Dies gilt, worauf abschließend noch einmal hingewiesen werden sollte, auch für das Thema der adligen Liebe. Es ist bezeichnend, dass Ludwig von Eyb das Thema gerade nicht im Rückgriff auf Minnesang und Artusroman, sondern auf Ovid entfaltet, der erklärt hatte, »das ein yeglich fraw von eren sunderlich lieb, lust vnnd wollgeuallen zw menlichen, vnerschrocken vnd keckenn, ernnsthafften manen tragen« (160).64 Wiederum täte man gut daran, weder das ethische Gesamtprogramm der Ars amatoria, noch gar das Gesamtwerk Ovids als Bezugsrahmen aufzurufen; man denke nur an die in causae amoris wenig zimperlichen Metamorphosen. Dennoch wird man Ludwig auch nicht vorhalten können, er verstehe zu wenig vom Liebesleben der höfischen Literatur. Er verstand offenbar gerade so viel von ihr, um seinen Protagonisten nicht in die Endlosschleife der Minnesänger oder in die Fallgrube der unreifen Artusritter zu schicken. Nimmt man all dies zusammen, mag das zunächst die Erwartungen, die die Germanistik an spätmittelalterliche Werke wie die Geschichten und Taten Wilwolts von Schaumberg herantrug, ein wenig dämpfen. Es scheint zuzutreffen, dass den höfischen Prätexten gerade im Kontext akademisch-humanistischer Gelehrsamkeit nicht mehr die maßgebliche konzeptionelle Rolle zuteil wurde, die sie zu einem früheren Zeitpunkt vielleicht gespielt hätten. Sie müssen ihre Verbindlichkeit nunmehr neben antiker, biblischer und historiographischer Literatur behaupten, und zuweilen treten sie – wie bei Johannes von Kitzscher oder Ludwig von Eyb – schon rein quantitativ hinter jene Textgruppen zurück. Eine qualitative Analyse der arthurischen Themen und Figuren in der zumal im 16. Jh. entstandenen Literatur, die den komplizierten Implikationen der nunmehr einander flankierenden Textgruppen gerecht wird, steht wohl, solange selbst die Heuristik noch nicht geleistet ist, noch eine ganze Weile aus.

|| 63 Vgl. die Hinweise bei Scholz Williams (wie Anm. 62), 39f. 64 Auf die Stelle, die »keineswegs ironisch oder gar kritisch« zu verstehen sei, wies bereits von Ertzdorff (wie Anm. 46), 171, hin; vgl. Ludwig von Eyb der Jüngere (wie Anm. 41), 9, 25 (Zitat nicht entschlüsselt).

Cora Dietl

Tristan-Referenzen als Blick hinter die Kulissen: Ritter Galmy Abstract: In 16th-century German literature, Arthurian romance seems to have reached an end. The modern fashion of chivalrous prose novel stresses public etiquette so strongly and is so clearly influenced by a Lutheran concept of marriage that there seems to be no space left for the medieval concept of courtly love, which is central to Arthurian romance. German 16th-century prose novels, however, continue to refer to Arthurian romance, and if these intertextual references are understood by the audience, they might form a subtext influencing the reception of the respective novel. This paper seeks to reconstruct the Arthurian subtext of Ritter Galmy. On the surface, Galmy tells the story of the chaste love of the hero for the duchess of Bretagne, all the while, however, recalling Tristan’s adulterous involvement with Isold. Thus, the novel could be read as a commentary on the dichotomy between the visible world of facts and the invisible world of thoughts and emotions.

1 Der höfisch-galante Roman des 15./16. Jh.: ein Schlussstrich unter der Tradition des Artusromans? Mit der Verbreitung der Prosaromane im deutschsprachigen Gebiet im 15. Jh. und v. a. mit dem Aufkommen der Mode der höfisch-galanten Romane im 16. Jh. scheint der Artusroman weitgehend ausgedient zu haben.1 Die Haltung vieler dieser Prosaromane zum Arthurischen bringt Thüring von Ringoltingen im Nachwort seiner Melusine (1456) auf den Punkt: Vnd ich hab auch gesehen vnd gelesen vil schöner hystori vnd bücher Es sey von künig Artus hof vnd von vil seiner Ritter von der Tafelrund Es sey von her Ywan vnd her Gawan / her Lanczelot / her Tristan / her Parcefal / der yeglicher sein besünder hystori vnd lesen hat Darzů von sant Wilhalm. von Pontus. von herczog wilhalm von Orliens vnd von Merlin Vnd

|| 1 Zu den folgenden Ausführungen vgl. auch: Christoph Schanze und Cora Dietl, ›L’univers arthurien dans la littérature non arthurienne tardive‹, in: Christine Ferlampin-Acher (Hrsg.), LATE (1270–1530). La matière arthurienne tardive en Europe/Late Arthurian Tradition in Europe, Rennes 2019 [im Druck]. https://doi.org/10.1515/9783110628104-009

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mich beduncket aller der hystorien keine frömder noch abentewrlicher zesein dann diese [Melusine; C. D.] / besunder so halt ich auch dauon mer dann von den andern allen / von sach wegen das dye vorgemelten grosse geschlächt alle da her kommen vnd erboren seind / 2 darumb nun das bůch für ein warheit geschriben vnd erzelt worden mag (176, 2–13). Und ich habe auch viele schöne Geschichten und Bücher gesehen und gelesen, vom Hof des Königs Artus und von vielen seiner Ritter von der Tafelrunde, von Herrn Iwein und Herrn Gawain, von Herrn Lancelot, Herrn Tristan, Herrn Parzival, von denen jeder seine eigene Geschichte hat, die man lesen kann, außerdem von Sankt Willehalm, von Pontus, von Herzog Willehalm von Orlens und von Merlin. Ich denke aber, dass von all diesen Geschichten keine abenteuerlicher und fremdartiger ist als diese [Melusine; C. D.], und insbesondere halte ich von ihr auch mehr als von den anderen, da die vorher erwähnten großen Geschlechter alle dort herkommen und davon abstammen, weshalb nun dieses Buch als Wahrheitsbericht geschrieben und erzählt werden kann.

Man kennt die alten Bücher und hat sie gelesen, aber sie scheinen an Reiz und Relevanz verloren zu haben, da sie fiktional und allzu weit entfernt von der (politischen) Gegenwart sind. Der Prosaroman des deutschen Spätmittelalters zeichnet sich häufig durch eine Verstärkung zeitgenössischer oder historischer Referenzen, durch eine Bindung an reale und nahe Räume und existierende Herrscherhäuser sowie durch eine Betonung politischer oder (moral-)didaktischer sowie wissensvermittelnder Tendenzen aus.3 Die eigene ›wahre‹ Historie wird als der erdichteten arthurischen überlegen angesehen; und trotzdem wird der arthurische Kosmos immer wieder hinzugezogen, nämlich als Vergleichsgröße, die es zu übertreffen gilt – auch in genealogischer Hinsicht. In der Melusine etwa wird das übernatürliche Wesen der Protagonistin, Stammmutter des Hauses Lusignan, von ihrer Herkunft aus dem »berg Awalon« (11, 3) abgeleitet.4 In Avalon wird spä|| 2 Benutzte Ausgabe: Thüring von Ringoltingen, Melusine, in: Jan-Dirk Müller (Hrsg.), Romane des 15. und 16. Jahrhunderts, Frankfurt a. M 1990 (Bibliothek der Frühen Neuzeit. Literatur im Zeitalter des Humanismus und der Reformation 1/Bibliothek deutscher Klassiker 54), 9–176. 3 Vgl. Jan-Dirk Müller, ›Volksbuch/Prosaroman im 15./16. Jahrhundert. Perspektiven der Forschung‹, IASL Sonderheft 1 (1985), 1–128, hier: 18f. und 66–68; Cora Dietl, Minnerede, Roman und historia. Der Wilhelm von Österreich Johanns von Würzburg, Tübingen 1999 (Hermaea 87), 298–303; Jan-Dirk Müller, Art. ›Prosaroman‹, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 3 (2007), 174–77, hier: 175; Christa Bertelsmeier-Kierst, ›Erzählen in Prosa. Zur Entwicklung des deutschen Prosaromans bis 1500‹, ZfdA 143 (2014), 141–65, hier: 159f. und 163. Bertelsmeier-Kierst weist darauf hin, dass dies generelle Tendenzen des Spätmittelalters und nicht allein der Prosaromane sind. Reinhold Jacobi, Jörg Wickrams Romane. Interpretation unter besonderer Berücksichtigung der zeitgenössischen Erzählprosa, Diss. masch., Bonn 1970, 38f., unterscheidet zwei Typen von Prosaromanen, von denen der eine auf eine historische Fixierung verzichte, der andere sich auf eine historische Zeit festlege. 4 Müller (wie Anm. 3), 1042, ist der Meinung, Thüring habe nicht mehr an die Feeninsel der Artusdichtung gedacht, eher an die gleichnamige Stadt in Burgund. Dafür ist m. E aber die Rolle

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ter auch Melusines Sohn Geffroy über die Geschichte der (Feen-)Familie seiner Mutter aufgeklärt (128–44). Die Verbindung der Familie zum Magisch-Numinosen dient fraglos deren Überhöhung. Dass etwa Melusines erster Sohn gerade »Vriens« (43, 25)5 heißt wie der Vater Iweins und der Ehepartner Morganes im Prosalancelot, vermag auf seine späteren Kampferfolge und den Gewinn von Königstochter und Königreich vorauszudeuten. Der Name seines jüngeren Bruders, »Gyott« (51, 3), erinnert an das Gralsgeschlecht und bereitet die spätere Heidenkriegsthematik im Text vor. Palantina, die Schwester Melusines, ist schließlich als Hüterin des Schatzes ihres Vaters gefangen in einer Burg, die von Drachen und wilden Tieren bewacht ist, aber nur von einem Ritter aus der eigenen Familie befreit werden kann. Ein englischer Ritter versucht es. Er ist ausdrücklich Mitglied der Tafelrunde und Verwandter Tristans (166, 21–23). Nur bis zur Tür der Schatzkammer dringt er vor, dann wird er vom Wachtier verschlungen (169, 25) und sein Knappe flieht hilfesuchend zu einem Schüler Merlins (170, 13). Die Aventüre ist weder durch die Tapferkeit der Artusritter noch durch Magie zu bestehen; der erfolgreiche Held muss aus dem Hause Lusignan stammen (171, 16f.),6 das damit deutlich über die Tafelrunde gestellt wird. Die Tendenz, sich durch Zitate vom Arthurischen abzusetzen, sei es durch Überbietung, sei es durch Kontrast, verstärkt sich im 16. Jh. Einen Extremfall stellt sicherlich der deutsche Amadis dar, der seine Handlung in einer Abenteuerzeit v o r Artus situiert, also vor Beginn der Zivilisation,7 sprich: Ihm ist die Artuszeit nicht weit genug entfernt von der Gegenwart, nicht abenteuerlich genug. Solche Referenzen belegen, dass der Artusroman dem intendierten Publikum nach wie vor präsent ist, und so bietet es sich an, intertextuelle Referenzen auf Artus- und Tristanromane auch im 16. Jh. ernst zu nehmen als Fenster in eine literarische Welt, die zum Teil dem im ›modernen‹ Roman der Zeit Beschriebenen widerspricht.

|| »Awalons« im Text als des Bergs, der nur von Mitgliedern der Familie betreten werden kann und in dem sich die Feengeschichte Melusines aufklärt, zu bedeutend. 5 Müller (wie Anm. 3), 1052, verweist darauf, dass dieser Name im Hause Lusignan nicht existiert und dass die Anspielung auf Uriens offensichtlich nicht von allen Schreibern verstanden wurde, denn es existiert die Schreibvariante Brien. 6 Vgl. ebd., 1083. Auch für ›Tristan‹ gibt es in den Handschriften Schreibvarianten (Crisan), was wiederum darauf hinweisen dürfte, dass die Tristan-Geschichte nicht allen Schreibern vertraut war (vgl. ebd., 1084). 7 Benutzte Ausgabe: Amadis. Nach der ältesten deutschen Bearbeitung hrsg. von Adelbert von Keller, Bd. 1, Stuttgart 1857 (BLV 40), 26.

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2 Beginn eines ›neuen‹ Romans? Ritter Galmy (1539) Der 1539 anonym bei Jacob Frölich in Straßburg erschienene Prosaroman Ritter Galmy ist lange Zeit dem Colmarer Dichter Jörg Wickram zugeschrieben worden,8 insbesondere wegen inhaltlicher Ähnlichkeit zu Wickrams Romanen Gabriotto und Reinhart (1551), Der Jungen Knaben Spiegel (1554), Vom Guten und Bösen Nachbaurn (1556) und Goldfaden (1557). Heute wird, insbesondere gestützt auf die Argumentation Kartschokes, der u. a. aus sprachlichen und stilistischen Gründen die Entstehung des Texts ins Jahr 1511 zurückdatiert,9 eine Autorschaft Wickrams nicht mehr angenommen10 oder zumindest höchst kontrovers diskutiert. Der Ritter Galmy scheint eher Wickrams Romanen vorauszugehen. Die Handlung des Romans, die sich über 59 Kapitel erstreckt, ist kurz zusammengefasst: Der schottische Ritter Galmy, der sich am Herzoghof der Bretagne aufhält, ist verliebt in die Herzogin. Durch Vermittlung seines Freundes Friedrich gelingt ihm ein Gespräch mit ihr, woraufhin auch sie eine tiefe Zuneigung zu ihm empfindet. Am Hof aber hat Galmy Neider und als diese allzu argwöhnisch auf ihn und die Herzogin schauen, muss Galmy das Land verlassen. Er geht zu seinen Eltern an den schottischen Hof. Als der Herzog der Bretagne auf Pilgerfahrt geht, macht ein Marschall der Herzogin Avancen. Da er von ihr abgewiesen wird, bringt er sie in Verruf, ein Verhältnis mit einem Küchenknaben zu haben. Der Küchenknabe wird hingerichtet und der heimkehrende Herzog will auch die Herzogin hinrichten lassen. Es gelingt ihr durchzusetzen, dass ein Gerichtskampf über ihre Schuld oder Unschuld befinden soll. Als Mönch verkleidet kommt Galmy in letzter Sekunde, nimmt der Herzogin zuerst die Beichte ab, um sicher zu sein, dass sie unschuldig ist, und besteht dann den Gerichtskampf für sie. Danach zieht er sich unerkannt wieder nach Schottland zurück. Erst als der Herzog nach Jahren

|| 8 So noch bei Jens Haustein, Art. ›Wickram, Georg‹, in: 2Killy, Bd. 12, 369–71, hier: 370; Barbara Lafond-Kettlitz, ›Die Genesis des frühneuhochdeutschen Romans am Beispiel von Jörg Wickrams Ritterromanen Galmy (1539) und Gabriotto und Raimund (1551) – eine Ästhetik bürgerlicher Lebensmuster‹, in: Alfred Noe und Hans-Gert Roloff (Hrsg.), Die Bedeutung der Rezeptionsliteratur für Bildung und Kultur der Frühen Neuzeit (1400–1750) II, Bern u. a. 2014 (Jahrbuch für Internationale Germanistik A 116), 119–46, hier: 120f. 9 Vgl. Dieter Kartschoke, ›Ritter Galmy vß Schottenland und Jörg Wickram aus Colmar‹, Daphnis 31 (2002), 469–90, hier: 487. 10 Vgl. Jan-Dirk Müller, Art. ›Wickram, Georg‹, in: VL Frühe Neuzeit, Bd. 6, 517–38, hier: 522. Gudrun Bamberger, Poetologie im Prosaroman. Fortunatus, Wickram, Faustbuch, Würzburg 2018 (Poetik und Episteme 2), 152, spart bei den Romanen Wickrams den Ritter Galmy aus.

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stirbt, kommt er in die Bretagne, gibt sich der Herzogin als ihr damaliger Retter zu erkennen und heiratet die Witwe. Clemens Lugowski sieht im Ritter Galmy und den Romanen Wickrams den Beginn einer Ablösung vom ›mythischen Analogon‹, welches das mittelalterliche Erzählen präge.11 Auf die zahlreichen Schwachstellen seiner Darstellung hat JanDirk Müller hingewiesen und zugleich angemerkt, dass die Prosaromane des 15. und 16. Jh. dennoch für verschiedene Veränderungen des Erzählens stehen können, wie etwa das Ausblenden von übergeordneten Sinnmustern, das Aufbrechen von Erzählmustern oder das Durchkreuzen verschiedener Erzählmodelle.12 Für den Ritter Galmy ist sicherlich zu bestätigen, dass er ›anders‹ erzählt als ältere oder auch zeitgenössische Liebes- oder Ritterromane. Auffällig ist zunächst der Verzicht auf eine historische Verankerung der Romanhandlung, wie sie etwas später Wickram im Gabriotto sucht, wenn er den Roman mit dem Satz beginnen lässt: »Zů der zeit als Künig Ludolffus zů Frankreich mit gewalt regirt« (3, 1).13 Wickrams ausdrücklich didaktisch ausgerichteter Der Jungen Knaben Spiegel14 dagegen benennt zwar konkrete Städte und Herrschaftsgebiete, die Figuren aber tragen dort sprechende Namen. Die mangelnde historische Verortung des Galmy allerdings durch eine didaktische Ausrichtung zu rechtfertigen, fällt schwer, und gänzlich zeitlos ist er auch nicht. Der Roman spielt am Hof eines ungenannten Herzogs von »Britannia« (I, 3, 7)15 und erst nach einiger Zeit wird dies konkretisiert zum Hof in Vannes in der Bretagne (XI, 49, 4). Der Protagonist selbst stammt aus Schottland, sein Vater ist Vertrauter des schottischen Königs in Edinburgh. Die durch den Handlungsraum anzitierte matière de Bretagne wird allerdings durch die wenigen im Roman gegebenen Figurennamen aufgebrochen: Abgesehen vom Freundespaar ›Galmy‹ und ›Friedrich‹ sind die Figuren mit Namen Nebenfiguren: ›Lupoldt‹, ›Heinrich‹, ›Rupert‹ und ›Wernhardt‹. Diese Namen sind weder historisch fassbare Namen aus der Geschichte

|| 11 Vgl. Clemens Lugowski, Die Form der Individualität im Roman, Frankfurt a. M 1976, 52–98. 12 Vgl. Jan-Dirk Müller, ›Der Prosaroman – eine Verfallsgeschichte? Zu Clemens Lugowskis These des »Formalen Mythos« (mit einem Vorspruch)‹, in: Walter Haug (Hrsg.), Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze, Tübingen 1999 (Fortuna vitrea 16), 143– 63, hier: 156, und ders., ›Volksbuch/Prosaroman‹ (wie Anm. 3), 92–98. 13 Benutzte Ausgabe: Georg Wickram, Sämtliche Werke, hrsg. von Hans-Gert Roloff, Bd. 2: Gabriotto und Reinhart, Berlin 1968 (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts 2). 14 Benutzte Ausgabe: Georg Wickram, Knaben Spiegel, in: ders., Sämtliche Werke, hrsg. von Hans-Gert Roloff, Bd. 3: Knaben Spiegel, Dialog vom ungeratnen Sohn, hrsg. von Hans-Gert Roloff, Berlin 1968 (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts 4), 1–122. 15 Benutzte Ausgabe: Georg Wickram, Sämtliche Werke, hrsg. von Hans-Gert Roloff, Bd. 1: Ritter Galmy, Berlin 1967 (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts 1).

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der Bretagne oder Schottlands, noch sind es arthurische Namen – sie verweisen eher auf eine Zeit n a c h König Artus. Terminus ante quem für die Handlung ist 1532, nämlich das Jahr, als das Herzogtum Bretagne unter Franz I. von Frankreich, dem Ehemann Herzogin Claudias von der Bretagne, seine Eigenständigkeit gegenüber Frankreich verlor. Dieser historische Kontext könnte eine Druckauflage des Galmy 1539 angeregt haben. Die Entstehung des Romans selbst aber dürfte, akzeptiert man Kartschokes Datierungsvorschlag, noch in die Regierungszeit von Claudias Mutter Anna fallen. Ein Herzogtum Bretagne in der Hand einer Frau wäre damit keine Markierung für eine vergangene, ›ferne‹ Zeit; die zweimalige Verheiratung Annas dagegen (mit Karl VIII. und Ludwig XII. von Frankreich) könnte kaum ausreichen, um die Handlung zeitgenössisch zu verorten. Offenbar will der Text eine literarisch oder historisch nicht klar fixierbare Geschichte aus jüngerer Vergangenheit erzählen. ›Anders‹ erzählt der Ritter Galmy insbesondere von der Liebe. Als »Gegenentwurf«16 zu Romanen wie dem Tristrant, dem Prosa-Lancelot, Euryalus und Lucretia und Guiscardo und Sigismunda hat ihn Xenja von Ertzdorff bezeichnet, als »gezähmten«17 Roman Walter Haug, weil er die körperliche Liebe durch eine innerliche Liebe ersetze und Seelisches von Sinnlichem dissoziiere. In der Trennung von Körperlichem und Innerlichem und in der Betonung der Affektkontrolle sieht die Forschung die Anfänge des psychologisierenden Romans bzw. des bürgerlichen Beziehungsromans,18 auch wenn Braun zu Recht fragt, ob das Konzept der ›Innerlichkeit‹ für den Ritter Galmy nicht anachronistisch gedacht sei.19 Die Forschung hat wiederholt betont, dass im Roman die Liebeshandlung verschoben wird: in die Phantasie der Protagonisten,20 die sich mit literarischen Figuren iden-

|| 16 Xenja von Ertzdorff, Romane und Novellen des 15. und 16. Jahrhunderts in Deutschland, Darmstadt 1989, 111. 17 Walter Haug, ›Jörg Wickrams Ritter Galmy. Die Zähmung des Romans als Ursprung seiner Möglichkeit‹, in: ders. und Burghart Wachinger (Hrsg.), Traditionswandel und Traditionsverhalten, Tübingen 1991 (Fortuna vitrea 5), 96–120, hier: 101. 18 Vgl. Jutta Eming und Elke Koch, ›Geschlechterkommunikation und Gefühlsausdruck in Romanen Jörg Wickrams (16. Jahrhundert)‹, in: Ingrid Kasten (Hrsg.), Kulturen der Gefühle in Mittelalter und Früher Neuzeit, Stuttgart 2002 (Querelles 7), 203–21, hier: 204 und 217. 19 Vgl. Manuel Braun, Ehe, Liebe, Freundschaft. Semantik der Vergesellschaftung im frühneuhochdeutschen Prosaroman, Tübingen 2001 (Frühe Neuzeit 60), 192. 20 Vgl. Ingrid Bennewitz, ›»Du bist mir Apollo« / »Du bist mir Helena«. »Figuren« der Liebe im frühneuhochdeutschen Prosaroman‹, in: Hans-Jürgen Bachorski (Hrsg.), Ordnung und Lust. Bilder von Liebe, Ehe und Sexualität in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Trier 1991 (LIR 1), 185– 210, hier: 206–08. Vgl. auch Braun (wie Anm. 19), 277, der anmerkt, dass im Ritter Galmy die literarischen Exempel nur genannt werden, um den Protagonisten zur Diskretion zu mahnen.

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tifizieren, in die Träume der Protagonisten sowie in den Liebesdiskurs im Dialog oder Brief.21 Mit der »Zähmung« des Liebesromans verbunden ist selbstverständlich auch die Ausrichtung des Romans auf die Ehe der Protagonisten »als Handlungsziel gelungener sozialer Integration«.22 Der einzige Raum, in dem die Liebe an die Oberfläche treten kann, ist die Ehe.23 Barbara Lafond-Kettlitz sieht den Galmy daher als eine protestantische Korrektur des höfischen Liebesromans, bei dem der amour courtois durch den amour marié ersetzt werde.24 Die Liebespassion werde im Galmy »durch die Institutionalisierung in die Liebesehe ihres subversiven Gehalts entleert«.25 Manuel Braun dagegen weist auf die narratologischen Folgen der Betonung der Ehe im Liebesroman hin; dies »verzerrt vorgegebene Strukturen bis zur Unkenntlichkeit«,26 wodurch der Galmy auf zwei Ebenen lesbar werde. Die Anregung von Ingrid Bennewitz aufgreifend, dass Literaturzitate im Prosaroman als »Fortsetzung«27 der Liebe, auf deren Körperlichkeit die Figuren verzichten, gelesen werden können, sei im Folgenden eine etwas andere Lesart des Galmy vorgeschlagen. Nicht nur direkte Nennungen literarischer Figuren in der Figurenrede der Protagonisten können eine Liebe evozieren, die »im Kopf«28 der Figuren existiert, sondern intertextuelle Referenzen und Motivzitate können, insbesondere dann, wenn der Rezipient einmal durch die explizite Nennung einer literarischen Figur auf den intertextuellen Bezug hingewiesen worden ist, im Auge des Rezipienten neben der Textoberfläche einen anderen Text entstehen lassen. Rüdiger Schnell weist auf den Vergleich als geläufige Form der Emotions-

|| 21 Vgl. Lafond-Kettlitz (wie Anm. 8), 137; dies., De l’amour courtois à l’amour marié. Le roman allemand (1456–1555), Bern u. a. 2005 (Contacts III, 61), 155; Braun (wie Anm. 19), 250–56; Christine Pfau, ›Drei Arten, von Liebe zu träumen. Zur Traumsemantik in zwei Prosaromanen Jörg Wickrams‹, ZfG 8 (1998), 282–301. 22 Jan-Dirk Müller, ›Jörg Wickram zu Liebe und Ehe‹, in: Heide Wunder und Christina Vanja (Hrsg.), Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1991, 27– 42, hier: 29. 23 Vgl. Elisabeth Wåghäll, Dargestellte Welt – reale Welt: Freundschaft, Liebe und Familie in den Prosawerken Georg Wickrams, Bern u. a. 1996, 168f. 24 Vgl. Lafond-Kettlitz (wie Anm. 21), 229f. und 232. Der Hinweis auf eine protestantische EheAuffassung schließt freilich die von Kartschoke (wie Anm. 9), 487, vorgeschlagene Frühdatierung des Romans aus. Müller (wie Anm. 22), spricht vorsichtiger von der »bürgerlichen Ordnung des Reformationszeitalters« (42). 25 Lafond-Kettlitz (wie Anm. 8), 136. 26 Braun (wie Anm. 19), 188. 27 Bennewitz (wie Anm. 20), 207. 28 Ebd, 208.

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beschreibung hin,29 ebenso wie auf die Zurückhaltung Wickrams bei direkten Darstellungen von Emotionen, die seinen Rezipienten vertraut sind.30 Legitim erscheint es daher, intertextuelle Verweise als bildhafte Beschreibungen einer Liebe zu lesen – als Nachricht an die Rezipienten, in deren Auge der Subtext entsteht, unabhängig von der Handlungsebene. Das reiche Netz intertextueller Referenzen zu frühneuzeitlichen Texten, das Lüdtke, Jacobi und Lafond-Kettlitz für den Galmy konstruieren,31 zum Teil auf der Grundlage der angenommenen Autorschaft Wickrams, zum Teil aufgrund der Annahme einer etwas verwinkelten mündlichen Überlieferung,32 möchte ich hier ausblenden und mich auf eine der Referenzfiguren konzentrieren, auf welche der Text selbst seine Rezipienten hinweist: auf Tristan.

3 Der Ritter Galmy als Tristan-Rezeption Der Roman beginnt mit einer Darstellung der Liebeskrankheit des Protagonisten, der seinem Freund Friedrich erklärt, er folge der langen Reihe von berühmten und durchaus tapferen Minnesklaven: Adam, David, Samson, Paris, Achill, Jason etc. Außerdem fragt er: Ist nit Pontus auch ein manlicher unnd kner Held geweßen? Herr Tristrant nit wenig gefrligkeyt durch liebe willen bestanden hat / ich geschwig des Piramus / der sich umb seiner Tyspe willen / willigklich inn den todt ergeben thet (II, 9, 21–25). War nicht auch Pontus ein tapferer und kühner Held? Herr Tristan hat nicht wenige Gefahren um der Liebe willen bestanden. Ich schweige von Pyramus, der sich wegen seiner Thisbe freiwillig getötet hat.

Mehr als dass Tristan viele Gefahren um der Liebe willen durchgestanden habe, wird nicht gesagt; allein dass der Minnetod des Pyramus die großen Leiden Tristans noch deutlich übertreffe, wird aus der Zusammenstellung der Exempel er-

|| 29 Vgl. Rüdiger Schnell, ›Gefühle Gestalten. Bausteine zu einer Poetik mittelalterlicher Emotionsbeschreibungen‹, PBB 138 (2016), 560–606, hier: 574. 30 Ebd., 598. 31 Vgl. Lafond-Kettlitz (wie Anm. 8), 122f.; dies. (wie Anm. 21), 128–30; Jacobi (wie Anm. 3), 104–13; The Erl of Tolous and the Emperes of Almayn. Eine englische Romanze aus dem Anfange des 15. Jahrhunderts, hrsg. von Gustav Lüdtke, Berlin 1881 (Sammlung englischer Denkmäler in kritischen Ausgaben), 132f., 163 und 187. 32 Vgl. Lafond-Kettlitz (wie Anm. 8), 125.

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kennbar.33 Der Tod Tristans scheint also außerhalb der Perspektive der Erzählung zu liegen; scheinbar hatte der Verfasser Gottfrieds Tristan vor Augen und nicht, wie man im 16. Jh. sonst vermuten würde, den gedruckten Prosaroman, der den Liebestod Tristrants beschreibt (Z. 5060f.).34 An welche der in den verschiedenen Tristan-Versionen geschilderten Gefahren man dabei denken könnte, legen Titel und Argument des Ritter Galmy nahe. Der Titel beginnt mit den Worten: EIn schne vnd liebliche History / von dem edlen vnd theüren Ritter Galmien / vnd von seiner züchtigen liebe / So er zů einer Hertzogin getragen hat / welche er in eines Münches gestalt / vor dem feür / vnd schendtlichen todt erlßt hat [...] (Titel). Eine schöne und erquickliche Geschichte von dem edlen und ehrenwerten Ritter Galmy und von seiner züchtigen Liebe, die er zu einer Herzogin hatte, welche er in der Verkleidung als Mönch vor dem Feuer und vor einem schändlichen Tod erlöste.

Im Argument heißt es: INhalt diser History ist / von eim edlen und theüren Ritter Galmy / uß Schottenland geboren / wie der in so einer inbrünstigen züchtigen lieb / gegen einer Hertzogin von Britania entzündt / deßhalb er von der hertzogin uß Britania verschickt / zů bewarung ihres gůten leümbdens. Wie auch die Hertzogin [...] als ein Eebrecherin gegen dem Landtfürsten verklagt / und zům feür verurteylet. Und wie Galmy in eins münchs gestalt [...] ein kampff mit dem verrterischen Marschalck bestůnd / der hertzogin unschuld an den tag bracht [...] (Argument, 1, 1–15). Der Inhalt dieser Geschichte handelt von einem edlen und ehrenwerten Ritter Galmy, geboren in Schottland, wie er von einer so inbrünstigen, [aber] züchtigen Liebe zu einer Herzogin von der Bretagne entflammt wurde, dass er deshalb von der Herzogin zur Bewahrung ihres Leumunds aus der Bretagne weggeschickt wurde. Außerdem [geht es darum], wie die Herzogin [...] vor dem Landesfürsten als Ehebrecherin verklagt und zum Feuertod verurteilt wurde und wie Galmy, verkleidet als Mönch, [...] einen Kampf gegen den verräterischen Marschall bestand und die Unschuld der Herzogin aufdeckte [...].

Auch die Titelillustration des Erstdrucks von 1539 zeigt den als Mönch verkleideten Ritter, der die als Ehebrecherin angeklagte Landesherrin im Rahmen eines Gottesgerichts rettet. Zwar betonen Titel und Argument die Züchtigkeit der Liebe Galmys zur verheirateten Landesfürstin, aber die Inbrunst der Liebe steht außer

|| 33 Zur Referenz auf den Liebestod Isolds in Wickrams Gabriotto, 38, vgl. Lafond-Kettlitz (wie Anm. 8), 127. 34 Benutzte Ausgabe: Tristrant und Isalde. Prosaroman. Nach dem ältesten Druck aus Augsburg vom Jahre 1484, versehen mit den Lesarten des zweiten Augsburger Druckes aus dem Jahre 1489 und eines Wormser Druckes unbekannten Datums, hrsg. von Alois Brandstetter, Tübingen 1966 (ATB Ergänzungsreihe 3).

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Diskussion. Natürlich ist die Konstellation hier eine andere als im Tristan, aber die Kombination der Motive Ehebruchsliebe – Gottesurteil – Verkleidung als Geistlicher dürfte bei einem Straßburger Publikum spätestens dann, wenn das Stichwort ›Tristrant‹ fällt, Assoziationen an das Gottesgericht in Gottfrieds Tristan (V. 15560–764)35 wachrufen und damit hinter dem explizit »züchtigen« Geschehen einen weniger züchtigen Bezugsrahmen aufscheinen lassen.36 Wie bereits erwähnt, ist der Ort der Handlung der Hof eines Herzogs »in Britannia« (I, 3, 7). Zudem erfahren wir, dass Galmy als junger Knabe an den Hof gekommen und aufgrund seines vorbildlichen Verhaltens vom Herzog selbst zum Ritter geschlagen worden ist (III, 13, 12f.). Erst danach ist die Minne zur Herzogin entstanden, als er sie nämlich, um sie auf gefährlichem Weg sicher zu geleiten, auf ihr Geheiß hin bei der Hand genommen hat. Dabei ist er gleichsam unwillkürlich in Liebe zu ihr entbrannt. Wir erfahren davon nur aus der Retrospektive, durch Galmy selbst: [...] so bald aber ewer schne weisse hand / inn die mein verschlossen ward / augenblicklich mich ein brinnender flamm umb mein hertz entzünden thet / und | von solchem tag an / die liebe sich in mir sttigs gemeret / und so krefftigklich zůgenummen / das mir nit müglich ist / euch die zů erzalen / hab doch mit grossen sorgen mein lieb gegen eüch aller welt unwissen getragen / hardurch ich in ein solche harte und schwre kranckheyt kumen bin / davon mich dann keyn mensch dann ir hett mügen entledigen (IIII, 19, 33–20, 6). Sobald aber Eure schöne weiße Hand in die meinige geschlossen wurde, in diesem Augenblick entflammte eine heiße Flamme rings um mein Herz, und von diesem Tage an mehrte sich die Liebe in mir stetig, und sie hat so mächtig zugenommen, dass es mir nicht möglich ist, Euch davon zu erzählen, habe ich doch meine Liebe zu Euch mit großer Sorgfalt vor der Welt verborgen, wodurch ich mir eine so harte und schwere Krankheit zugezogen habe, von der mich kein Mensch hätte befreien können außer Euch.

Es ist zwar kein Minnetrank, der die plötzliche Liebe herbeiführt, aber die Parallele ist auffällig.37 Es ist in beiden Fällen eine quasi unfallhaft entstehende Minne, die ebenso plötzlich wie unwillkürlich und stetig voranschreitend den Helden überkommt wie eine schwere Krankheit, die nur die Geliebte heilen kann. Auch || 35 Benutzte Ausgabe: Gottfried von Straßburg, Tristan, nach dem Text von Friedrich Ranke neu hrsg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkomm. und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, 3. neu bearbeitete Aufl., 3 Bde., Stuttgart 1991. Im Prosa-Tristrant, der Eilharts Tristrant folgt, fehlt das Gottesurteil. 36 Braun (wie Anm. 19), 186, spricht in Bezug auf Galmy von »latente[m] Ehebruch«. 37 Haug (wie Anm. 17), 100, weist darauf hin, dass die Liebe hier entgegen »allen diesbezüglichen Romankonventionen« nicht durch die Schönheit der Dame entsteht, sondern aufgrund körperlicher Berührung, dass dann aber die sinnliche Seite der Liebe völlig vom Seelischen dissoziiert werde. Darin sieht er einen deutlichen Unterschied zum Tristan (vgl. ebd., 101).

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wenn der Text sehr deutlich auf das Züchtige der Liebe abhebt, so sind die durch die Tristan-Assoziation wachgerufenen Lesererwartungen dem Text immer ein Stück voraus. Wie kurz nach der Minnetrank-Szene (Tristan, V. 12134–82) führt die Vertrauensperson (Friedrich bzw. Brangäne) eine Begegnung zwischen Geliebter und Liebendem her, um den Liebenden von seiner Liebeskrankheit zu heilen. Dass diese Begegnungsszene auch noch in einer Baumgartenszene eingefädelt wird, bei der sich Friedrich und die Herzogin just unter einem Apfelbaum bei einer Quelle niedersetzen (III, 12, 4f.), um über Galmys Liebe zu reden, verstärkt die Tristan-Assoziation, indem die Ikonographie des Baumgartengesprächs zwischen Tristan und Isold mit der Szene der ›heilenden Begegnung‹ überblendet wird. Der A p f e l baum und auch die spätere Darstellung der Herzogin, dass sie mit ihren Zofen durch den Garten gegangen sei, um die »edlen frücht [zu] beschawen« (IIII, 17, 31f.), wecken nun ihrerseits durch Anspielungen auf den biblischen Sündenfall die Erwartung einer sündhaften, fleischlichen Vereinigung zwischen Galmy und der Herzogin. Und die Baumgartenszene wirft bereits jetzt die Frage auf, ob die Liebe beobachtet werden wird. Auf das von Friedrich eingefädelte Gespräch und Liebesgeständnis Galmys folgt zwar nicht wie im Tristan die Liebesvereinigung (V. 12169f.), wohl aber ein Ringtausch: Die Herzogin gibt Galmy ihren Ring »zů einem zeychen warer und rechter liebe« (IIII, 20, 14). Dadurch wird der »halb gestorbne[] / von dem todt erquicket« (IIII, 20, 27) – wie Riwalin oder wie Tristan nach dem Liebesvollzug. Zum Ring t a u s c h freilich gehört auch die umgekehrte Aktion. Diese findet zeitversetzt statt, als sich Galmy und die Herzogin nach einem Turnier in Frankreich, in dem Galmy brillierte, heimlich im Baumgarten treffen und Galmy ihr den Ring, den er im Turnier gewonnen hat, überreicht (XII, 55, 25). Wie Tristan, so hat auch Galmy Neider am Hof (allen voran Wernhardt), die fürchten, dass der aus dem Ausland stammende Jüngling so sehr die Gunst des Herzogs erreichen könnte, dass er schließlich über sie alle herrschen werde (VII, 32, 23–28). Unter anderem hat Galmy die herzogliche Gunst dadurch erlangt, heißt es, dass er ihm im völlig aussichtlos scheinenden Kampf gegen die Iren half (VII, 33, 23–29), ein Detail, das innerhalb des Galmy eher isoliert stehen bleibt, aber deutlich auf den Tristan verweist. Aus Angst, künftig hinter Galmy zurücktreten zu müssen, versucht Wernhardt wiederholt, den Argwohn des Herzogs gegen Galmy zu schüren (VII und XIIII). Nur nebenbei erfahren wir schließlich, als Friedrich der Herzogin einen Liebesbrief Galmys übermittelt, dass die Herzogin in der Musik und v. a. im Harfenspiel »mer dann einem weib müglich sein solt / erfaren was« (XVII, 71, 32f.) – auch das offensichtlich ein Isold-Verweis.

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Bei aller Unterschiedlichkeit und bei aller Züchtigkeit, so möchte ich behaupten, sind die Tristan-Anspielungen im Text so deutlich, dass der Rezipient die »züchtige[]« Liebe zwischen Galmy und der Herzogin doch als Ehebruchsliebe wahrnimmt, auch wenn faktisch und körperlich kein Ehebruch vorliegt. Im Geiste (zumindest dem des intertextuell mitdenkenden Lesers) liegt ein Ehebruch vor, und so erscheint auch die Trennung der Liebenden (nach komplettiertem Ringtausch) als ein keineswegs überspitztes, sondern notwendiges Mittel, um den Nachstellungen der Höflinge zu entkommen. Die Rückkehr des Helden übers Meer ins heimatliche Land reflektiert Tristans Heimkehr nach Parmenien und Nordfrankreich im Tristan, und so erscheint auch der in der Trennungszeit wiederholt geäußerte Verdacht der Herzogin, Galmy könnte eine andere Frau genommen und sie vergessen haben, durchaus als plausibel, weiß doch der Rezipient von der Heirat Tristans mit Isold Weißhand. Als schließlich – die Reihenfolge der Ereignisse ist gegenüber dem Tristan umgestellt – die Herzogin wegen des Verdachts auf Ehebruch in Verruf geraten ist und sich der Herzog, ähnlich wie Marke (V. 15327f.), zu einer Reaktion gezwungen sieht und ein Gottesgericht ansetzt, sendet die Herzogin (wie Isold) einen Brief an ihren Geliebten und bittet um seine Hilfe. Die Absurdität, dass Galmy es sich nicht getraut, beim Gerichtskampf offen aufzutreten und die Geliebte zu retten, fällt dem Rezipienten kaum auf, weil er die Tristan’sche Schuld an der Verurteilung der Geliebten mitdenkt. Galmy hat mit dem Verdacht, weswegen die Herzogin angeklagt wird, nichts zu tun, und auch seine Jahre zurückliegende Flucht war nur eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme und hatte objektiv nichts mit einer Schuld zu tun. Aber, überlagert mit der Tristan-Geschichte, erscheint die Situation im Kopf der Rezipienten entgegen den Fakten auf dem Papier als pikant. Die Verkleidung und Verstellung als Mönch, die nicht zuletzt der List dient, der Herzogin eine Beichte zu entlocken, um den Sieg im Gerichtskampf zu garantieren, klingt so eng an die Pilger-List in der Gottesgericht-Szene im Tristan an, dass man fast vergisst, dass hier keine Fälschung des Gottesgerichts nötig ist, zumal nicht nur im Tristan (V. 15735f.), sondern auch im Ritter Galmy betont wird, dass Gott die Liebe der Protagonisten unterstütze (XII, 13–17).38 Zur Listhandlung gehören dann auch das Verschwinden und die Verleugnung der Identität des ›Mönchs‹. Es hilft nichts, dass der Herzog, als er später vermutet, der Retter der Herzogin könnte Galmy gewesen sein, diesem keinerlei Vorwürfe macht: Der Riter ist warlich inn den schrancken gewesen / in eines Münches gestalt / Dann ich weyß / mich mein gesicht nicht betrogen hat. Nun verwundret mich / was in doch darzů

|| 38 Vgl. dazu Müller, ›Jörg Wickram zu Liebe und Ehe‹ (wie Anm. 22), 37 und 39.

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geursachet hab / es hat mirs warlich mein eyen hertz gesagt / so ist auch die red Galmien des edlen und theüren Ritters gewesen. Ach warumb hab ich in nit bey mir behalten / ich wolt in warlich an stat des marschalck gesetzt haben (LVII, 217, 17–24). Dieser Ritter war wahrlich auf dem Turnierplatz in der Verkleidung als Mönch. Ich weiß, dass mich meine Augen nicht betrogen haben. Es wundert mich nur, was ihn dazu [d. h. zu der Verkleidung, C. D.] veranlasst hat. Es hat mir fürwahr mein Gefühl gesagt, und so sagen es auch die Leute, dass es der edle und ehrenwerte Ritter Galmy war. Ach, warum habe ich ihn nicht bei mir behalten! Ich hätte ihn wahrlich gerne an die Stelle des Marschalls gesetzt.

Unwillkürlich erscheint der Herzog hier vor dem Auge des Betrachters als der Betrogene, der nicht weiß, warum Galmy sich verleugnet hat, und der sich auch bald weiter täuschen lässt, indem er sich einreden lässt, dass der Mönch doch ein ganz anderer war. Dem Rezipienten drängt sich der Eindruck auf, dass Galmy als Marschall gleichsam der Bock wäre, der zum Gärtner gemacht würde. Aber: Wäre dem so? Oder wäre das nur bei Tristan so? Die Rückkehr Galmys nach dem Tod des Herzogs und die rasche Heirat der Herzogin mit ihm zeigt freilich, dass innerlich die Liebe und damit auch innerlich der Ehebruch durchaus bestanden haben. Alles darüber Hinausgehende aber existiert nur im Kopf des Betrachters. Doch es existiert so deutlich, dass es die Handlung zu beherrschen vermag.

4 Erwig zůvor den außgang – Überwindung der Tristantradition ›von hinten‹ Liegt im Ritter Galmy also eine Ablösung des amour courtois durch den amour marié vor? Eher ist es doch ein amour courtois, der ganz klar mit Bildern der verbotenen Liebe spielt – und nur am Ende, nach langer Existenz der Ehebruchsminne, wie in anderen höfischen Romanen, in einen amour marié einmündet. Das Ehebruchsgeschehen im Kopf des Betrachters und die keusche Liebe auf der Handlungsebene stehen nebeneinander. Sichtbare Welt und unsichtbare Welt der Gedanken und Emotionen – der Rezipienten, vielleicht aber auch (freilich auch für den Rezipienten unsichtbar) der Figuren – fallen auseinander. In der Gedankenwelt des Rezipienten ist Galmy zwar ebenso ein Ehebrecher wie Tristan, auf der Ebene der Fakten aber nicht – und deswegen kann seine Liebe auch ein positives Ende finden, in gemeinsamer Herrschaft mit der Geliebten, in einem fast gemeinsamen Sterben, »Demnach sye beyd mit einander die ewig freüd besassen. Darzů uns allen helff / Gott der vatter / Sun und heyliger Geyst / AMEN.« (LIX, 228, 22–25). Galmy ist Tugendvorbild und darf es sein, da ja die größte Schuld bei der Phantasie des Rezipienten liegt. Vom Ende her ist auf der Ebene

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der Fakten seine Liebe gerechtfertigt, und der Rest bleibt ungreifbar. Aber es fällt auf, dass Galmy nicht zum Begründer einer Dynastie wird. Dies könnte dem literarischen Vorbild geschuldet sein oder auch dem zeitgenössisch-politischen Vorbild, das auf den Untergang des Herzogtums Bretagne vorausweist. Oder liegt der Fokus der Erzählung so sehr auf dem Ende einer Erzähltradition, dass eine Fortsetzung nicht denkbar ist? Steht der Tristan Gottfrieds (der, wie gesagt, eher als der Prosa-Tristrant hier Pate zu stehen scheint) für ein erzählerisches Überwinden der Artusliteratur, so steht der Galmy für ein erzählerisches Überwinden der Tristanliteratur, denn das Erzählen von der vernichtenden Kraft der leidenschaftlichen Liebe gehört der Vergangenheit an; in der erzählerischen Gegenwart wird die leidenschaftliche Liebe nur noch gedacht und vermag im Kopf des Rezipienten eine Parallelhandlung wachzurufen, die auf der Ebene der Fakten nicht existiert. Das aber setzt die Vertrautheit der Rezipienten mit der älteren Literatur voraus, aus der am Ende, indem sie widerlegt wird, etwas ›Gutes‹ gemacht wird. So endet auch das Argument des Galmy mit den Worten: »Ich bitt nit urtheyl den anfang / Erwig zůvor den außgang« (Argument, 1, 24f.).

Geert van Iersel

King Arthur Rides a Camel The curious case of three sixteenth-century images Abstract: The early sixteenth century has left us three evidently related images of King Arthur as a warrior on camelback: a woodcut and a roundel from the Low Countries, and a fresco in Denmark. This paper first discusses the connection between the three images and their association with Arthur. It then presents a hypothesis concerning the circumstances that led to King Arthur being depicted on a camel: that it flowed from a simple desire to add interest to the image by drawing on the relatively exotic status of camels around 1500.

The ›Met Cloisters‹ in New York are well-known amongst Arthurian scholars for housing a large, late-medieval tapestry depicting King Arthur as one of the Nine Worthies. There is another work in the Cloisters’ collections, however, which is of considerable interest for those interested in representations of Arthur, even if it does not share the tapestry’s fame: a silver-stained roundel dated to 1500–1510, on which is depicted a mounted warrior accompanied by three words in Dutch: »coninck kersten artus« (»[the] Christian King Arthur«).1 This detail is not, in itself, necessarily surprising, yet the mount Arthur is riding is: it is a camel (see Fig. 2). There does not appear to be any particular scene in the medieval Arthurian tradition that would account for Arthur being depicted on camelback. The roundel is not entirely unique, however: it is one of three very similar images, all of the same period, though executed in different mediums. In addition to the roundel, we find a ca. 1500 woodcut (see Fig. 1) and a fresco (see Fig. 3) of the early sixteenth century.2 They all depict a camel rider who appears to be engaged in combat. One or more arrows have struck the camel, which has turned its head to the right, seemingly eager to get away from the battle. The rider himself is clad in || 1 For the dating see e. g. Timothy B. Husband, Stained Glass before 1700 in American Collections: Silver-Stained Roundels and Unipartite Panels, Washington 1991 (Studies in the History of Art 39), 139. 2 For the dating of the woodcut see Horst Schroeder, Der Topos der Nine Worthies in Literatur und bildender Kunst, Göttingen 1971, 142–43; Wim van Anrooij, Helden van Weleer, Amsterdam 1997, 176. For the dating of the fresco see Olaf Olsen, ›De ni helte: Rytterkampbillederne i Dronninglund kirke‹, Fra Nationalmuseets Arbejdsmark 1955, 119–28, here: 121. https://doi.org/10.1515/9783110628104-010

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armour and wears a helmet whose decorations resemble a crown. He holds a sword in his left hand. The roundel and the fresco also show the rider holding up a buckler with his right hand. The woodcut is likely to have featured a similar detail, yet the section in which it would have appeared is missing. In this article, I will first discuss the connection between the three images, and their association with Arthur. Subsequently, I will set out to answer the question of how the legendary King of the Britons came to be depicted on a camel. The woodcut has been identified as belonging to a series of Dutch or Flemish prints depicting the Nine Worthies, four of which survive, albeit in a fragmentary state.3 They were discovered in Brussels in the nineteenth century in the binding of a book containing the writings of Jan Hus.4 The text and details that remain allow three of the figures to be identified as Hector of Troy, King David, and Godfrey of Bouillon.5 Such evidence is lacking in the case of the figure on camelback: what remains of the woodcut contains no inscriptions and no attributes specific to any of the Nine Worthies. Various authors have taken the exotic mount to indicate that its rider is Alexander the Great, who appears riding an elephant in various other sixteenth-century depictions of the Nine Worthies.6 The identification of the camel rider as King Arthur would then have to be attributed to the maker of the roundel, who otherwise appears to have based their design on the woodcut.7 The evidence provided by the Dronninglund fresco has made such an interpretation highly unlikely, however. The fresco was discovered on one of the walls of Dronninglund Church in Denmark in 1941, as part of a decorative programme which also includes depictions of the other eight Worthies.8 Written above and next to the images are the

|| 3 That the series is Dutch or Flemish – admittedly a somewhat anachronistic distinction – is evident from the fact that the text, where it survives, is in Dutch. 4 The book in question appears to be Royal Library of Belgium VB 2.268 A RP, which contains Jan Hus’s De anatomia Antichristi and Otto Brunfels’ De ratione decimarum. See Schroeder (see note 2), 142–43; Jan van der Stock, The Print Collection of the Royal Library of Belgium: Early Prints, Turnhout 2002, 51–52, items 122–25. 5 See Schroeder (see note 2), 142–143, and van Anrooij (see note 2), 174–75. 6 See Édouard Fétis, ›Les neuf preux‹, Documents iconographiques et typographiques de la Bibliothèque Royale de Belgique, I/5, Brüssel 1873, 72; Wouter Nijhoff, Nederlandsche Houtsneden: 1500–1550. Reproducties: Tekst bij de 334 bladen, ’s-Gravenhage 1933–36, 153; Timothy B. Husband, The Luminous Image: Painted Glass Roundels in the Lowlands, 1480–1560, New York 1995, 75–76. Nijhoff does point out that the text on the roundel identifies the rider as Arthur, and that »Alexander meestal op een olifant zit« (»Alexander usually sits on an elephant«). Husband mistakenly claims that »by convention, the hero on camelback was the pagan Alexander the Great« (75). 7 See Nijhoff (see note 6), 153. 8 See Olsen (see note 2).

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names of the figures they represent.9 That of the camel rider is »Artus«, the name given to King Arthur in a wide variety of medieval sources. That the man on camelback represents the legendary King of the Britons is also confirmed by the coat of arms that is depicted on his buckler: three vertically arranged golden crowns on a red background. This is a common variation of the three crowns associated with Arthur in many portrayals of the Nine Worthies.10 Even disregarding the evidence provided by the roundel, it is unlikely that the artist who painted the Dronninglund fresco independently decided to depict Arthur as a camel rider. As was noted by Olsen and, later, Schroeder, the depictions of Hector of Troy, King David, Godfrey of Bouillon, King Arthur, Charlemagne, and Joshua resemble woodcuts from two series depicting the Nine Worthies: the one discovered in Brussels, and another series, likewise incompletely preserved, from the same era. The first four depictions resemble the woodcuts discovered in Brussels, while the last two resemble woodcuts from the other series.11 The painter appears to have been working from these prints, or, at least, something very much like them:12 Olsen points out that even the shading technique used by the Dronninglund painter is reminiscent of woodcuts.13 This is relevant since, with the sole exception of the camel rider, all of the figures on the woodcuts can be identified on the basis of their accompanying text and/or details, and in every instance the written names in the Dronninglund frescoes co|| 9 Underneath the images there are also remains of Latin text, most of it heavily damaged. In two cases, however, those of Charlemagne and Joshua, that text is mostly intact. From those it is evident that what accompanied the images were short descriptions of the Worthies’ lives. Interestingly, that text appears to have been based on that used for three unrelated engravings by the so-called ›Master of the Banderoles‹. See Olsen (see note 2), 122–24; Schroeder (see note 2), 139. 10 This feature does not appear on the roundel. Concerning the Nine Worthies’ coats of arms see Schroeder (see note 2), 225–50. 11 It is worth noting that the second series in its present state only includes prints depicting Charlemagne, Joshua and Hector, making further comparisons with the frescoes impossible. The prints survive in multiple collections, among which the Kupferstichkabinett in Berlin. See Schroeder (see note 2), 143–44. 12 Cf. Olsen (see note 2), 124–26; Schroeder (see note 2), 153–54. It has also been suggested that the two series are, in fact, one and the same: Kurt Steinbart, Das Holzschnittwerk des Jakob Cornelisz van Amsterdam, Burg bei Magdeburg 1937, 24–25; Husband 1995 (see note 6), 75–76; Egbert Haverkamp-Begemann, ›The Netherlands, Fifteenth and Sixteenth Centuries‹, in: Fifteenthto Eighteenth-Century Drawings: Central Europe, The Netherlands, France, England, New York 1999 (The Robert Lehman Collection 7), 103–46, here: 126. This is highly unlikely, however, as the depictions of Hector from the two series are clearly distinct. See Nijhoff (see note 6), 154–55, and Schroeder (see note 2), 153. Both authors also observe that the Brussels woodcuts are less skilfully carved than those from the other series. 13 See Olsen (see note 2), 121.

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incide with those identifications.14 If we wanted to argue that the Dronninglund painter changed the original identification of the camel rider, we would therefore have to assume that it was the exception to the rule. On the basis of the evidence provided by the roundel and fresco, it is likely that the woodcut, too, was meant to represent King Arthur.15 As both the roundel and the woodcut appear to be of Dutch or Flemish origin, and may furthermore predate the frescoes in Dronninglund, it also seems likely that the underlying design originated from the Low Countries. This leaves the question of what suggested the idea of depicting Arthur on a camel. Olsen postulates that Arthur’s humpbacked mount was meant as a play on ›Camelot‹.16 Van Anrooij suggests that Arthur’s depiction as a camel rider was inspired by the practice of dressing up horses as exotic animals in urban processions.17 I would here like to propose a third option, albeit one which need not conflict with either of the previous explanations: that the presentation of Arthur on camelback may have flowed from a desire to produce an image that was fanciful and engaging, facilitated by a looser conception of Arthur than the one to which we are accustomed. To fifteenth- and sixteenth-century audiences, camels must have inhabited a sphere verging on that of fantasy, to an extent that we would likely find difficult to comprehend in an age of internet, zoos, and television. It was not entirely unheard of for camels to be taken to Northern Europe. Charles the Bold (1433–77) had, indeed, held camels and dromedaries in his park in Quesnoy in the 1470s.18 Yet few would actually have seen such creatures: in the sixteenth century, camels were among the animals whose depictions artists often had to construct through creative guesswork.19 Particularly suggestive when it comes to the position camels occupied in the popular imagination is a scene witnessed by the company of Philip II when they visited Breda in 1549: among the entertainments provided

|| 14 For the identifications see Schroeder (see note 2), 142–44. 15 Cf. Olsen (see note 2); Schroeder (see note 2), 153–54; van Anrooij (see note 2), 176–77. 16 See Olsen (see note 2), 122. 17 See van Anrooij (see note 2), 179. 18 See the entry Archives de Lille, 13 février 1476, in: Léon de Laborde (ed.), Les Ducs de Bourgogne: études sur les lettres, les arts et l’industrie pendant le XVe siècle, et plus particulièrement dans les Pays-Bas et le duché de Bourgogne, Paris 1849, 229; Petra Ehm, Burgund und das Reich: Spätmittelalterliche Außenpolitik am Beispiel der Regierung Karls des Kühnen (1465–1477), München 2002 (Pariser Historische Studien 61), 274. 19 See Dániel Margócsy, ›The Camel’s Head: Representing Unseen Animals in Sixteenth-century Europe‹, Netherlands Yearbook for History of Art 61 (2011), 62–85.

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was a camel upon which were seated six children with drawn swords, engaged in a fight with two giants.20 The idea of drawing King Arthur on camelback is likely to have stimulated the imagination of the original artist and their contemporary audience. In terms of its relationship to established conventions, however, it may have been a more neutral, less obviously deviant choice than it is likely to be to modern eyes – especially those of scholars used to studying Arthurian traditions. Around 1500, when the woodcut and roundel were made, representations of the Nine Worthies were undoubtedly popular in the Dutch-speaking Low Countries.21 Interest in Arthur as a literary character appears to have been low, however. Indeed, the only Arthurian work of fiction in the Dutch language known to have been written in the fifteenth and sixteenth centuries is a prose translation of the Middle English romance Of Arthour and of Merlin, published in Antwerp around 1540.22 This is likely to have lowered the general awareness of Arthurian traditions, and thus to have removed some of the creative impediments imposed by tradition. More thought may well have gone into our attempts to determine how Arthur came to be depicted on a camel than into the moment of creativity that produced the original image.

|| 20 See Iuan Cristoual Caluete de Estrella (Juan Cristóbal Calvete de Estrella), El felicissimo viaje del muy alto y muy poderoso Príncipe don Phelippe, hijo del emperador don Carlos Quinto Máximo, desde España a sus tierras de la baxa Alemana: con la descripción de todos los Estados de Brabante y Flandes, 4 vols., Antwerp 1552, vol. 1, 266. I came across this source thanks to a post by Mario Damen: ›Ridders op kamelen‹, online at: https://burgundiannobility.wordpress.com/ tag/vier-heemskinderen [last accessed 1 February 2018]. 21 See van Anrooij (see note 2). 22 See Jozef Janssens, ›De Middelnederlandse Arturroman‹, in: Wouter Verbeke et al. (eds.), Arturus Rex, 2 vols., vol. 1: Koning Artur en de Nederlanden, Leuven 1987, 263–97; Jozef Janssens, ›Het Naleven van Koning Artur‹, ibid., 303–10, here: 303; Bart Besamusca, ›The Medieval Dutch Material‹, in: W. H. Jackson and S. A. Ranawake (eds.), The Arthur of the Germans: The Arthurian Legend in Medieval German and Dutch Literature, Cardiff 2000 (Arthurian literature in the Middle Ages 3), 187–228, here: 222–23.

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Fig. 1: Ca. 1500 woodcut depicting a warrior mounted on camelback. Image reproduced by kind permission from the Koninklijke Bibliotheek van België (Belgian Royal Library)

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Fig. 2: Ca. 1500–10 roundel depicting King Arthur on camelback. Image placed in the public domain by the Metropolitan Museum of Art

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Fig. 3: Early sixteenth-century fresco depicting King Arthur on camelback in Dronninglund Church, Denmark. Image released under the Creative Commons Attribution-ShareAlike License by the Nationalmuseet (National Museum of Denmark)

Michaela Wiesinger

Entblößung und Verhüllung in Der kurze Mantel von Benedikte Naubert Abstract: In her modern fairy tale Der kurze Mantel, Benedikte Naubert draws upon two literary narratives, which she then weaves together: the medieval Mantelprobe and the fairy tale Frau Holle. The trial of virtue of the medieval narrative serves as a thematic model for the story, in which an enchanted coat not only covers or exposes the body of the woman wearing it but also divulges all her moral transgressions. The degree to which it covers the lady’s body corresponds to the degree of her virtue. Motifs of revealing and covering recur throughout the entire tale: virtuous women distinguish themselves through clean, simple clothing and the production of fabric, while immoral ladies, portrayed in excessively showy dress, set about destroying textiles not only literally, but also figuratively as they ›uncover‹ secrets and ›expose‹ intrigues involving their fellow women. This interweaving of virtue and veiling culminates in the figure of Frau Hulla/ Hulda, who appears covered in countless layers of cloth (German Hüllen) and can change her shape and even her sex. In this way, the power of the (supernatural) woman is kept hidden from the view of society.

1 Einleitendes In den 90er-Jahren des 18. Jh. veröffentlichte Benedikte Naubert ihre insgesamt fünf Bände umfassende Märchensammlung Neue Volksmährchen der Deutschen, in der auch Der kurze Mantel erstmals erschien. Naubert hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits als erfolgreiche Schriftstellerin hervorgetan, ihre Texte verkauften sich gut und machten es ihr so möglich, ihre Familie durch ihre schreibende Tätigkeit finanziell zu unterhalten. Doch ihren Namen kannte niemand, ihre Texte wurden anonym veröffentlicht. Erst zwei Jahre vor ihrem Tod im Jahr 1819 wurde ihre wahre Identität ohne ihre Einwilligung aufgedeckt, der Absatz ihrer Bücher ging zurück, und eine der meistgelesenen Autorinnen des 18. Jh. verschwand fast völlig aus dem Kanon der Literatur.1 || 1 Vgl. dazu Hilary Brown und Manfred Heidenreich, Art. ›Naubert, Benedikte‹, in: Killy Literaturlexikon, Bd. 8, Berlin, New York 2010, online über die Verfasserdatenbank des Verlags abrufbar: https://www-degruyter-com.uaccess.univie.ac.at/view/VDBO/vdbo.killy.4614 [letzter Zugriff: 05. Januar 2018]. https://doi.org/10.1515/9783110628104-011

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Benedikte Naubert war die Hauptvertreterin des historischen Romans im ausgehenden 18. Jh., ein Genre, bei dem man davon ausging, dass es aufgrund der benötigten Bildung nur Männer meistern konnten.2 Ihre Geschichten waren meist in der Vergangenheit angesiedelt oder verfügten über eine Rahmenhandlung, die Stoffe aus dem Mittelalter aufgriff und weiterführte – so auch beim Kurzen Mantel. Dieses umfangreiche Kunstmärchen verbindet zwei Stofftraditionen miteinander: die der Mantelprobe3 und die des Märchens um Frau Holle.4 Die

|| 2 Vgl. Marianne Henn, ›Historiographie und Märchenfiktion: Benedikte Nauberts Neue Volksmärchen der Deutschen‹, Seminar 43 (2007), 545–53, hier: 545f.; vgl. auch Tatiana Korneeva, ›Cross-dressing Strategies in Benedikte Naubert’s Fairy Tale Novella Der kurze Mantel‹, German Life and Letters 65 (2012), 281–94, hier: 282–84; Waltraud Maierhofer, Hexen – Huren – Heldenweiber. Bilder des Weiblichen in Erzähltexten über den Dreißigjährigen Krieg, Köln u. a. 2005 (Literatur – Kultur – Geschlecht. Große Reihe 35), 69f.; Anne Thiel, Verhinderte Traditionen: Märchen deutscher Autorinnen vor den Brüdern Grimm, Diss. masch., Washington D. C. 2001, 20 und 231. 3 Zur Stofftradition der Mantelprobe vgl. den Kommentar zur neuen Ausgabe der Volksmärchen von Naubert: Benedikte Naubert, Neue Volksmärchen der Deutschen, hrsg. von Marianne Henn u. a., Bd. 4, Göttingen 2001, 272–77, hier: 272f.; vgl. auch Karl Polheim, ›Der Mantel‹, in: Corona Quernea. FS Karl Strecker, Leipzig 1941 (Schriften des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde/MGH 6), 41–64; Isolde Margret Müller, Norms vs. Narrative: The Impossibility of Representing Femininity in Late Eighteenth-Century German Literature, Diss. masch., Minneapolis 1996. Zu mittelalterlichen Tugendproben im Allgemeinen vgl. Christine Kasper, Von miesen Rittern und sündhaften Frauen und solchen, die besser waren. Tugend- und Keuschheitsproben in der mittelalterlichen Literatur vornehmlich des deutschen Sprachraums, Göppingen 1995 (GAG 547). Die Forschung geht davon aus, dass Benedikte Naubert sich bei der Mantelprobe von der englischen und deutschsprachigen Tradition inspirieren ließ (vgl. Müller, 57); doch auch die französische Tradition darf nicht außer Acht gelassen werden, da die Namen der Protagonist/-innen in ihrer Schreibweise mit dem französischen Lai Du Mantel Mautaillé übereinstimmen. Hinzu kommt, dass eine Variante dieses Lais den Titel De cort mantel trägt. Naubert könnte hier einfach übersetzt und damit den gleichen Titel auch für ihr Märchen verwendet haben. Dass aber auch die englische Quelle The boy who brings the mantle, die Percy in seine Reliques of Ancient English Poetry (1765) aufgenommen hat, als Vorlage verwendet wurde, ist wahrscheinlich, da nur die Geschichte, die Percy nacherzählt, all die Elemente aufweist, die auch im Kurzen Mantel vorkommen: Zunächst bringt ein Junge den Mantel an den Hof, mit dem die Tugend aller anwesenden Frauen geprüft werden soll. Die Frauen versagen, woraufhin die Becherprobe erzählt wird. Als letzte Probe fungiert ein Messer, das der Bote in einen Wildschweinkopf steckt, aus dem es nur der Mann ziehen kann, dessen Geliebte wahrhaft tugendhaft ist. Die Anordnung dieser drei Geschichten kommt so nur in diesem englischen Märchen vor und könnte – gerade weil Benedikte Naubert nachweislich auch die englischen Mythen kannte – als Vorbild für ihr Volksmärchen vom kurzen Mantel gedient haben. 4 Ob das bekannte Märchen von Frau Holle wirklich in der deutschsprachigen Märchentradition zu verorten ist oder nicht schlicht von Benedikte Naubert erdacht wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen; vgl. Anne Thiel, ›From Woman to Woman: Benedikte Naubert’s Der kurze

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Mantelprobe findet, wie in den mittelalterlichen Erzählungen, auch im Kurzen Mantel am Hof des König Artus statt, den Naubert in Großbritannien verortet, und bildet die Rahmenhandlung des Märchens.5 Genelas, ein walisisches Waisenmädchen, wurde von Königin Guenevre am Hof aufgenommen und dort großgezogen. Aufgrund ihrer Schönheit und Tugendhaftigkeit hat sie bereits die Liebe und Achtung des Helden Karados gewinnen können, wird aber von der Königin als Bedrohung wahrgenommen und soll mit Hilfe einer List vom Hof verstoßen werden. Morgane, die bei Naubert als Hexe dargestellt wird und als Figur in keiner Mantel-Vorlage zu finden ist, wird als Erzfeindin der Königin eingeführt, die sich v. a. durch ihre dauernden Affären auszeichnet. Guenevre will Morgane bloßstellen und bedient sich dafür der unschuldigen Genelas, die in der Folge vom Hof vertrieben wird. Auch Morgane flieht. Genelas kann erst am Ende der Geschichte über die erfolgreiche Anprobe eines wunderschönen Zaubermantels, dessen Stoff sie selbst gewoben hat und der als Tugendprobe für die Damen an den Hof gebracht wird, wieder rehabilitiert werden und Karados heiraten. Genelas ist die einzige, die den Mantel anprobieren kann, ohne dass dieser die Kleidung darunter in Unordnung bringt und sie entblößt, und ist damit auch die einzige Dame am Hof, die sich als ehrenhaft auszeichnet. In der Binnenhandlung wird die Geschichte von Rose erzählt, die die verstoßene Genelas bei sich aufnimmt: Rose wuchs selbst nicht bei ihren Eltern auf, sondern bei ihrer Tante und deren Tochter, die Rose aber nicht wohlgesonnen sind. Insbesondere die Cousine, Magdalena, macht Rose immer wieder das Leben schwer und versucht, aus deren Leid einen Vorteil zu gewinnen. Rose muss die Hausarbeit für ihre Verwandten erledigen und kann nur am Sonntag, während jene die Kirche besuchen, ihrer Leidenschaft, dem Spinnen, nachgehen. Eines Tages fällt die Spindel in den Brunnen, Rose springt ihr nach und gelangt in das Reich von Frau Hulla oder Hulda, die aber nur als ›die Hausfrau‹ bezeichnet werden möchte. Da Rose sich tugendhaft verhält, verspricht Hulla ihr Hilfe, die sie ihr auch zukommen lässt: zunächst in Form eines bleiernen Ringes, der sie immer wieder in Hullas Reich trägt, dann in Form von Spinnunterricht, damit sie ihren Lebensunterhalt verdienen kann. Später gibt Hulla Rose eine goldene Zauberspindel, die sie aber verliert. Trotzdem unterstützt Hulla Rose weiter; auch Ge|| Mantel‹, in: Laura Martin (Hrsg.), Harmony in Discord. German Women Writers in the Eighteenth and Nineteenth Century, Oxford u. a. 2001, 125–43, hier: 129. Man weiß, dass die Brüder Grimm, deren Sammlung erst einige Jahre nach den Neuen Volksmährchen erschien, Benedikte Naubert einen Besuch abstatteten und sich eine umfassende Kopie ihres Œuvres besorgten. Vgl. dazu Thiel (wie Anm. 2), 283; vgl. auch Jeannine Blackwell, ›Fractured Fairy Tales: German Women Authors and the Grimm Tradition‹, The Germanic Review 62 (1987), 162–74, hier: 163. 5 Benutzte Ausgabe: Benedikte Naubert, Der kurze Mantel, in: dies. (wie Anm. 3), Bd. 1, 69–161.

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nelas profitiert von ihrer Hilfe. Hullas Unterstützung verliert Rose immer nur für kurze Zeit und immer durch Einmischung von außen: Entweder ihr Ehemann, Martin, der aus Gram über seine Handlungen schließlich stirbt, oder Magdalena sind die Verursacher der Trennung. Roses Handeln, ihr Fleiß und ihre Tugendhaftigkeit bringen ihr jedoch immer wieder die Unterstützung ihrer Wohltäterin ein. Schon an dieser Zusammenfassung des Kurzen Mantels lässt sich erkennen, dass das Märchen eine Geschichte der Frauen ist. Sie intrigieren, helfen einander, sorgen für ihren eigenen Lebensunterhalt und verfügen auch über eine eigene Stimme. Anders als in den Grimm’schen Märchen, in denen die guten Mädchen schweigen und nur die bösen Frauen sprechen, haben bei Benedikte Naubert alle Frauenfiguren etwas zu sagen. Auch das Märchen von Frau Holle ist als Ich-Erzählung der Heldin in den Text eingebunden und wird damit im Gegensatz zu gängigen Märchensammlungen der Zeit nicht anonym wiedergegeben, sondern in Form einer Lebensgeschichte der Protagonistin in den Mund gelegt. Die handelnden Frauenfiguren werden dabei von seelenlosen Schablonen, von Typen, zu Protagonistinnen, die über Emotionen, Wünsche und auch Wissen verfügen.6

2 Entblößen und Verhüllen Motive des Ver- und Enthüllens bestimmen die Rahmenhandlung, die auf die am Ende der Erzählung stattfindende Tugendprobe hin ausgerichtet ist. Wie in den mittelalterlichen Vorlagen wird auch in Benedikte Nauberts Märchen die Treue der Frauen mit Hilfe eines Kleidungsstückes geprüft, das sich entweder verhüllend oder entblößend an den Körper der Frau schmiegt. Tugendlosigkeit wird dabei nicht nur im übertragenen Sinne, sondern ganz plastisch über das unangemessene und unfreiwillige Zeigen der Haut sichtbar gemacht. Die Tugendprobe veranschaulicht den Zustand des Hofes und zeigt die moralische Ambivalenz und Defizienz des Artushofs.7 Der Schönheitspreis, den die Ritter den Damen angedeihen lassen, nimmt nur die an der Oberfläche sichtbaren Merkmale in den Blick, die Tugendprobe hingegen zielt darauf ab, »deren innere Befindlichkeiten nach außen zu kehren und sie danach zu bewerten.«8 Der Mantel, der als repräsentatives Kleidungsstück Herrschaft anzeigen, schmücken und v. a. die Frauen

|| 6 Vgl. dazu Thiel (wie Anm. 4), 125–43, hier: 130–34, und Henn (wie Anm. 2), 550. 7 Vgl. Claudia Ansorge, ›(De)stabilisierende Provokationen. Zur Tugendprobe im Ambraser Mantel-Fragment‹, in: Cora Dietl u. a. (Hrsg.), Ironie, Polemik und Provokation, Berlin, Boston 2014 (SIA 10), 183–210, hier: 184. 8 Ebd., 194.

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vor dem Blick der Männer schützen soll, wird im Zuge der Tugendprobe zu jenem Gegenstand, der das zu Verhüllende gnadenlos vorführt: Der Mantel verhüllt nicht, sondern deckt auf, und er tut dies ohne Rücksicht auf die Verletzbarkeit der Probandinnen; er ist repräsentativ, aber eben nur für eine tugendhafte Dame. Allein seine Funktion als Symbol der Rechtsprechung bleibt indirekt erhalten: Der 9 Mantel selbst ist Richter und Beweismittel zugleich.

Doch nicht nur die am Textende des Kurzen Mantels angesiedelte Probe operiert mit Gesten des Entblößens und Bedeckens, um Charaktereigenschaften der Damen darzustellen; der gesamte Text spielt mit diesen Motiven und schafft somit eine untrennbare Verbindung zwischen dem Verhüllen des Körpers, dem damit in Verbindung stehenden Bereich des Bekleidens bzw. Kleidung-Herstellens und der Tugendhaftigkeit. Das unfreiwillige Entblößen am Ende des Märchens stellt nur das auf die Spitze getriebene Spiel mit Motiven des Zeigens und Verdeckens dar, das aber aufgrund der Natur der Vorlage als Inspirationsquelle für die von Naubert ersonnene Geschichte gelten darf. Entblößen und Verhüllen ist damit nicht nur unverrückbar mit ganz bestimmten (weiblichen) Charakteren in der Rahmen- und der Binnenhandlung verschränkt, sondern verweist auch auf deren Verhalten: Tugendhaftigkeit – so auch in den Mantel-Vorlagen – wird durch einen verhüllten Körper sichtbar, ein tugendloses Leben wird nicht nur durch den (nicht verhüllenden) Mantel, sondern auch über unethisches Verhalten entblößt. Dabei spielt die Nacktheit selbst eine untergeordnete Rolle. Vielmehr ist es der Akt des Entblößens, dieser Moment des Ent-deckens, der im Vordergrund steht. Hinzu kommt das Motiv des Spinnens, das den gesamten Text durchzieht: Ein tugendhafter Charakter zeichnet sich bei Naubert nicht nur durch Häuslichkeit, Reinlichkeit und Fleiß, sondern auch durch eine Affinität zum Spinnen aus. Frauen, die spinnen, legen durch ihr Handwerk die Grundlage für die Stoffproduktion und erzeugen durch ihre Tätigkeit jenes verhüllende Material, das ihre Tugendhaftigkeit bewahrt. Das Spinnen wird bei Naubert nicht als eine Arbeit gesehen, die schlecht bezahlt wurde und eine Überlebensmöglichkeit für arme Frauen darstellte, sondern als edles Handwerk, als Domäne der Frau, als ökonomische Eigenständigkeit beschrieben.10 Es ist mehr als der erste Schritt für die Herstellung von Kleidung. Es ermöglicht über die Produktion von Gewebe – und damit über die Herstellung von stofflichen Hüllen der Frau – die Partizipation an der männlich dominierten Gesellschaft. Durch

|| 9 Ansorge (wie Anm. 7), 196. 10 Vgl. Lena Margaret Quillmann Heilmann, Entkleide mich! Underneath Naubert’s Vestal Veil in Der kurze Mantel, Masterthesis masch., Colorado at Boulder 2006, 25.

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das richtige Verhüllt-Sein können Ehre und – im Falle von Genelas – auch ein Ehemann errungen werden. Möglich wird das alles durch den weiblich konnotierten Prozess des Spinnens. Im Folgenden werde ich auf Szenen des Entblößens und Verhüllens am Beispiel der wichtigsten Frauenfiguren im Kurzen Mantel eingehen, um zu zeigen, dass das mittelalterliche Motiv der Mantelprobe, das mit dem Zeigen und Verdecken spielt, als konstituierend für den gesamten Text angesehen werden muss.

3 Guenevre, Morgane und Genelas Der kurze Mantel beginnt mit der Erwähnung eines Mannes: König Artus wird eingeführt, doch nicht seine Heldentaten, sein Rittertum oder seine Tafelrunde werden hervorgehoben, sondern das Faktum, dass er genau wie Karl der Große von seiner Frau betrogen wurde. In diesem Zusammenhang wird seine Gattin Guenevre zum ersten Mal erwähnt. Bei ihr am Hof leben Genelas und Artus’ Schwester Morgane, die zeitgleich vorgestellt werden, aber unterschiedlicher nicht sein könnten: Morgane wird als Zauberin dargestellt, als schöne Frau und Verführerin, während Genelas tugendhaft und naiv ist und im Gegensatz zu Morgane »keine Zauberei [kannte] als die ihrer Nadel und der Spindel« (71). Guenevre, die selbst unehrlich und intrigant ist, hat es sich zum Ziel gesetzt, die unliebsame Schwägerin vom Hof zu vertreiben, sie möchte Morgane, die durch Zauber und Schein dafür gesorgt hat, dass sie überall als ehrbar bekannt ist, vorführen und ihr den »Schleier [der Tugendhaftigkeit] entreißen« (75). Dazu bedient sie sich der naiven, kleinen Genelas, die auf Befehl der Königin in den verschlossenen Garten Morganes eindringt und sich auch von den dichten Hecken nicht aufhalten lässt (vgl. 78). Genelas findet Morgane völlig nackt beim Bade und in Gesellschaft ihres Geliebten vor, bringt es aber nicht über sich, die Prinzessin zu verraten. Daraufhin macht sich die ganze Hofgesellschaft – auch Artus und seine zornige Frau – zu Morganes Garten auf und erwischt sie in flagranti mit ihrem Geliebten. Morganes Liebschaft wird somit aufgedeckt und ihr nackter Körper dem gesamten Hof vorgeführt. Alle von ihr kreierten zauberischen Trugbilder lösen sich auf, als sie nach dieser erniedrigenden Begegnung den Hof verlässt. V. a. die Damen sind es, die sich an diesem Schauspiel ergötzen und sich voller Schadenfreude an dem Enthüllungsspiel beteiligen. Lediglich Genelas, deren Blick durch natürliche Scham gesteuert und durch einen »jungfräulichen Schleier« (79) verhüllt wird, ist beschämt über den Vorfall: »Sie war so verlegen, als ob sie selbst die Verbrecherin gewesen wär, und ihre Bitten, ihre Tränen flehten so innig Morga-

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nens Geheimnis seinen Schleier zu lassen« (80). Guenevre nutzt die Unerfahrenheit und Tugendhaftigkeit des Mädchens schamlos aus, um die Schuld an dieser Situation, die auch König Artus quält, Genelas in die Schuhe zu schieben und sie ehrlos vom Hof zu vertreiben. Schon auf den ersten Seiten der Erzählung spielt Naubert im übertragenen, aber auch wörtlichen Sinn mit Bildern des Enthüllens und Verdeckens. Die Mantelprobe, die erst ganz am Ende des Märchens ausgeführt wird, wird mit dieser Passage, die sich in keiner mittelalterlichen Vorlage findet, vorbereitet und über die Figur der Morgane auch vorweggenommen: Die Zauberin, die sich durch Promiskuität und die Erzeugung von Trugbildern auszeichnet, wird von der Erzählerin in ihrer Verschlagenheit über alle anderen Hofdamen gestellt; sie ist es auch, die als einzige Dame im Text völlig entkleidet vorgestellt wird – und das noch lange vor der eigentlichen Mantelprobe, der sie sich gar nicht mehr stellt. Die Nacktheit Morganes ist v. a. durch die Blickführung der anwesenden Damen und Herren interessant. Die Damen freuen sich einerseits über den tiefen Fall und die moralische sowie körperliche Entblößung der Zauberin – sie sind »sprachlos vor hämischer Schadenfreude« (89) –, sie schämen sich aber auch und wenden die Augen ab (vgl. 80); lediglich die Königin hält als einzige dauerhaft dem Anblick stand. Naubert bezeichnet die Episode aus der Sicht Guenevres sogar als »Triumpf« (82). Der Blick der Männer ist – mit Ausnahme von König Artus, der sich für seine Schwester schämt und die Augen zum Himmel hebt – voller Begierde: »die Ritter strengten alle ihre Sehkraft an, um nichts von dem überraschenden Schauspiel zu verlieren« (80). Morgane fühlt »Entsetzen, Zorn und Beschämung« (80) und löst sich und die von ihr geschaffenen Illusionen im nächsten Augenblick mit Hilfe ihrer Zauberkunst in Luft auf. Die Blicke der Beistehenden auf die nackte Frau changieren zwischen Begehren und Abscheu. Der männliche Blick will Besitz ergreifen; über den männlichen Blick auf den weiblichen Körper wird jener von und für die Gesellschaft konstituiert. Die Frau wird dabei weniger als Mensch, sondern eher als Statue, als Objekt des Begehrens wahrgenommen, das sich v. a. über dessen Nacktheit generiert.11 Der weibliche Blick funktioniert in dieser Szene anders, da die Frau in der Gesellschaft über einen anderen Status verfügt und damit über andere Verhaltensregeln determiniert ist: Selbst wenn die Damen beim Anblick Morganes Schadenfreude empfinden, muss Scham das dominierende Gefühl sein. Eine Frau muss sich in der Öffentlichkeit verhüllen, v. a. wenn Männer zugegen sind, da Schamhaftigkeit kein individuelles Gefühl ist,

|| 11 Vgl. dazu Martina Feichtenschlager, Entblößung und Verhüllung. Inszenierungen weiblicher Fragilität und Verletzbarkeit in der mittelalterlichen Literatur, Göttingen 2016 (Aventiuren 11), v. a. 17–24.

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sondern eine gesellschaftliche Vorschrift darstellt.12 Scham zeigt damit eine gesellschaftliche Grenzüberschreitung auf bzw. setzt gesellschaftliche Grenzen, auf die bei Nichteinhaltung durch Gesten der Verhüllung reagiert wird: Wie auch im Kurzen Mantel wird der Blick abgewendet oder das Gesicht verdeckt. Die Schamlosigkeit hingegen nimmt den Menschen für kurze Zeit aus diesem alltäglichen, durch Grenzen bestimmten Zustand heraus.13 Das Zügel- und Schamlose an Morgane, die mit Hilfe von Zauberei nicht nur sich selbst und ihre Untugenden, sondern auch ihren Zaubergarten versteckt halten möchte, wird über die physische Nacktheit enttarnt, den Blicken des gesamten Hofstaates ausgesetzt und damit sichtbar gemacht. Guenevre entreißt Morgane damit wortwörtlich den Schleier. Das natürliche Schamgefühl, das Genelas empfindet, wird bei den Hofdamen durch die oben erwähnte kulturelle Verpflichtung zur Scham ersetzt. Sie empfinden auch Schadenfreude, eine Emotion, die den Beginn der Erzählung mit der Mantelprobe am Ende verknüpft. Nur Genelas kann die Probe am Ende der Geschichte unbeschadet überstehen, da sie als einzige keine unangebrachten Emotionen verdecken muss, die wiederum durch die Zauberkraft des Mantels über das Zeigen ihrer Haut entblößt werden müssten.

4 Rose und Frau Hulla/Hulda Nachdem Genelas vom Hof vertrieben worden ist, findet sie nach einer Zeit der Entbehrung und völligen Erschöpfung schließlich bei Rose Unterschlupf. Rose, deren Namen erst sehr viel später in der Erzählung erwähnt wird, wird als »alte freundliche Frau« mit »saubere[r] Kleidung« (85) in den Text eingeführt, auch ihre kleine Hütte wird als »reinlich« (85) beschrieben. Sie nimmt Genelas auf, versorgt sie mit Essen und Trinken und »verhüllte sie eigenhändig in das reinliche Leinen, das ihr zur Decke diente« (86). Am nächsten Tag findet Genelas Rose beim Spinnrocken und beginnt damit, ihr beim Spinnen zu helfen. Die zwei Frauen teilen sich den Ertrag ihrer Arbeit, und Genelas bleibt bei Rose, die ihr nach einiger Zeit ihre Lebensgeschichte erzählt und dabei – wie könnte es anders sein – beim Spinnrocken sitzt (vgl. 88): Nachdem Rose als Waisenkind von ihrer Base aufgenommen und dort schändlich behandelt worden war, benutzte sie an Sonn-

|| 12 Vgl. Katja Gvodzdeva und Hans Rudolf Velten, ›Einleitung‹, in: dies. (Hrsg.), Scham und Schamlosigkeit. Grenzverletzungen in Literatur und Kultur der Vormoderne, Berlin, Boston 2011 (TMP 21), 1–24, hier: 15. 13 Vgl. ebd., 5–9.

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tagen, wenn ihre Verwandten in der Kirche waren, unerlaubt die Spindel Magdalenas. Für Rose ist das Spinnen keine Arbeit, sondern ein Vergnügen, etwas, das sie nur heimlich und alleine machen kann und das ihr Freude bereitet (vgl. 90f.). Eines Tages fällt Magdalenas Spindel in den Brunnen, und voller Verzweiflung springt Rose dieser nach und landet im Reich der Hulla/Hulda. Als Rose ihre Tugendhaftigkeit und Ehrlichkeit unter Beweis stellt (schwer beladene Obstbäume müssen gestützt und Essen vor dem Verbrennen gerettet werden), stößt sie in einem großen Schloss auf einen Raum mit dem herrlichsten Spinnzeug (vgl. 95). Sie ist inmitten von Spindeln aus Gold und Silber auf der Suche nach der ihrigen, die aus einfachem Blei gefertigt und mit grünem Firnis überzogen ist, als sie entdeckt wird. Frau Hulla/Hulda steht Rose gegenüber: »Ich drehte mich voll Entsetzen herum und sah eine lange weibliche Figur in tausend Tücher gehüllt stehen« (96). Rose erkennt sie, doch sie anzusprechen ist nicht so einfach: Gnädige Frau Hulda, sagte ich, indem ich auf die Knie fiel. – Nenne mich nicht Hulda, schrie sie, du siehst, daß ich diesen Namen nicht verdiene. Gnädige Frau Hulla fuhr ich fort. – 14 Nenn mich nicht so, rief sie mit noch viel fürchterlicherer Stimme, dies ist ein Eckelname [!], der sich auf meine Kleidung bezieht, und den ich nicht dulden will. (96)

Als Hausfrau will sie bezeichnet werden, und sie befiehlt Rose nach dem Abendessen, sie zu entkleiden (vgl. 98). Dieses Unterfangen erweist sich aber als schwierig, da die Hausfrau in »eine Welt von Tüchern« (98) gehüllt ist und ihr Körper selbst noch unter so vielen Haaren verschwindet, dass Rose vier Stunden braucht, um ihre Herrin von allem zu befreien. Doch nach getaner Arbeit ist Hulla/Hulda dankbar und nimmt sich Roses an. Ihre Zuwendung zeigt sie anhand von Gaben und Werken, die mit der Kleidererzeugung zu tun haben: Sie lehrt Rose das Spinnen und das Weben, schenkt ihr u. a. eine zauberkräftige goldene Spindel, die sie ihr nach Verlust mehrmals zurückbringt, und nähert sich Rose auch in verkleideter Gestalt,15 um ihr magische Geschenke zu überbringen.

|| 14 ›Eckel‹ ist die veraltete Schreibweise des Wortes ›Ekel‹. Vgl. dazu den entsprechenden Eintrag im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, 16 Bde., Leipzig 1854–1961, Bd. 3 (1862), 394–97. 15 Bei den ›Verkleidungen‹ handelt es sich weniger um Frau Hulla/Hulda, die ihr Aussehen durch Kleidung etc. verändert, als um völlig neue Figuren, die sogar das Geschlecht wechseln. Frau Hulla/Hulda kann als Gestaltwandlerin verstanden werden: Drei Männer tauchen im späteren Verlauf des Textes auf, die sowohl Rose als auch Genelas durch ihre Geschenke zu Glück verhelfen: Ein armer Hirte schenkt Rose ein unendliches Garn (vgl. 127f.), ein Kreuzritter verhilft ihr durch einen magischen Segen zu sehr viel schöner Leinwand (vgl. 130f.); Genelas erhält von demselben Kreuzritter sonderbare und schöne Wolle, die sie zu einem ganz feinen Faden spinnt,

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Mit der Hausfrau wird die Figur in den Text eingeführt, die für das Verstehen der ganzen Geschichte wichtig ist. Hulla/Hulda verkörpert die Eigenschaften, über die eine ideale Frau im Kurzen Mantel verfügen soll, und verbildlicht die Verschränkung von Tugendhaftigkeit und Verhüllung. Schon ihre sprechenden Namen deuten auf diese Verbindung hin: Hulda ist die verehrte und Hulla die verschleierte Frau.16 Die Hausfrau meint selbst, dass sie die Ehre des Namens Hulda nicht verdient, doch Hulla will sie aufgrund der Verbindung zu ihrer Kleidung auch nicht genannt werden. Ihr Erscheinungsbild ist sowohl respekteinflößend als auch furchterregend; gerade die vielen Schichten Tuch, die ihren Körper verhüllen, wirken gespenstisch, da an dieser Stelle das Motiv der bekleideten, tugendhaften Frau bis ins Groteske überzeichnet wird und damit eine völlig andere Wirkung erhält. Doch verhüllt sich die Hausfrau nicht nur: Wann immer sie die Welt der Menschen betritt, wechselt sie nicht nur ihre Kleidung, sondern gleich auch ihr Geschlecht. Die übernatürliche Frau verbirgt sich in einer Hülle, verbirgt die Wahrheit und damit auch die Macht ihrer Identität hinter einem Hirten, einem Pilger und einem Knappen. Auch ihr Reich, das unter der ›normalen‹ Welt liegt und nur über einen beherzten Sprung in einen Brunnen erreicht werden kann, bleibt verborgen. Es ist ein Reich der Frau, das nicht jeder betreten darf und zu dem man erst durch die Erfüllung häuslicher Pflichten und das Erlernen von klassisch weiblichen Fertigkeiten Zutritt erhält. Tugendhaftigkeit und eine ehrbare Persönlichkeit sind dafür Grundvoraussetzungen. Erst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, kann – wie das bei Rose der Fall ist – die Entwicklung weitergehen. Rose darf bei der Hausfrau das Spinnen und Weben lernen, da sie die Prüfung bestanden und sich als tugendhaft erwiesen hat; für die Produktion von Kleidung sind bestimmte Charaktereigenschaften offenbar unerlässlich. Auch im Ablauf dieser Begegnung mit Frau Hulla/Hulda in der Unterwelt lässt sich die unauflösbare Verschränkung von Tugendhaftigkeit und Bekleidung bereits erkennen; das ehrbare Verhalten der Frauen und deren handwerkliche Fertigkeiten, Fäden und Stoffe zu produzieren, sind untrennbar miteinander verbunden.17 Auch Magdalena versucht ihr Glück bei Frau Hulla/Hulda. Nachdem Roses Geheimnis entdeckt worden ist, wollen auch deren Base und ihre Tochter einen || aus dem später der Zaubermantel gewebt wird (vgl. 139f.). Schließlich taucht auch noch ein Edelknabe auf, der den Mantel an den Hof von König Artus bringt und der ganz plötzlich verschwindet – Genelas weiß, dass es sich um Frau Hulla/Hulda handeln muss (vgl. 160f.). Vgl. zu diesem ›Cross-Dressing‹ im Kurzen Mantel Korneeva (wie Anm. 2), 281–94. 16 Vgl. Quillmann Heilmann (wie Anm. 10), 47. 17 Diese Verbindung zeigt Feichtenschlager (wie Anm. 11), 30, indirekt auf, wenn sie schreibt, dass Kleidung als Fortführung des (weiblichen) Körpers gelesen wird und die Femininisierung des weiblichen Körpers in erster Linie über dessen Bekleidung geschieht.

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Teil des Reichtums: Magdalena zieht »ihre besten Kleider« an, »damit sie vor der Frau des Brunnens mit Anstand erscheinen könnte« (112), doch die Hausfrau lässt sich von Verkleidungen, von ›Hüllen‹ nicht blenden. Magdalena kommt völlig entstellt zurück: Ihre Kleidung hängt in Fetzen an ihr herab, ihr Gesicht und ihre Hände sind mit Geschwülsten und Beulen übersät (vgl. 114). Sie hat gegen die Regeln im Reich der Hausfrau verstoßen und wurde von Geistern, die Frau Hulla/Hulda untergeben sind, gepeinigt (vgl. 115). Doch selbst im Moment der Flucht unterlässt Magdalena es nicht, auch noch goldene Kleinodien zu stehlen, die sich an der Oberwelt allerdings in Kröten verwandeln (vgl. 116). Die ehrlose Magdalena muss aufgrund ihres Charakters Schmach und Schande erleiden. Sie wird nicht mit der Fähigkeit, Kleider zu produzieren, ausgestattet, sondern muss die »kläglichste Zerstörung ihres Putzes« (115) ertragen. Ihre Hülle wird zerfetzt. Da aber die Hausfrau trotzdem versucht, »ihre Widersacher zahm zu machen« (115), also auch den wenig ehrenvollen Charakteren ihre Werte aufzuzwingen, stattet sie Magdalena mit einem etwas anderen Kleid aus: Sie entstellt ihre Haut und verhüllt damit ihr eigentliches Aussehen mit Geschwülsten und Beulen, die nie wieder verschwinden werden. Magdalena wird damit so dargestellt, wie sie ist. Sie erfährt über ihr Äußeres eine Abwertung, die Charakter und Erscheinung in Einklang bringt. Tugendhafte Frauen wie Rose werden über deren Bekleidung nicht nur als ehrenhaft dargestellt,18 sondern können auch die notwendigen Fertigkeiten erlernen, um sich und andere dauerhaft einzukleiden und so die Tugend zu erhalten. Verkleidung bzw. Kleidung im Allgemeinen ist damit das, was den wahren Charakter des Menschen, der die Kleidung trägt (oder auch nicht trägt), zum Vorschein bringt. Magdalenas Verhalten ist so schändlich, dass nicht nur ihr Kleid in Fetzen an ihr herunterhängt, nicht nur ihre Haut entblößt wird, sondern sogar diese Haut selbst, die intimste Körperhülle, über die ein Mensch verfügt, entstellt wird. Keine Kleidung kann ihren Charakter mehr verdecken; ein Blick auf ihre Haut genügt, um sie als den Menschen zu erkennen, der sie ist. Dass an dieser Stelle (und auch in der gesamten Erzählung) natürlich – wie bei allen Märchen – nach dem Prinzip der Kalokagathia verfahren wird, ist keine Überraschung; doch Naubert bricht die Korrelation von ›gut‹ und ›schön‹ ein wenig auf: Morgane und auch Guenevre werden beide nicht als sonderlich gut dargestellt, sind aber definitiv schön; Rose wird nie als schön bezeichnet, ist aber eindeutig gut, sprich: tugendhaft. Frau Hulla/Hulda, die bereits über ihren Namen als ehrenvoll ausgewiesen ist, wird als Gespenst, als klapperdürr und schlichtweg unansehnlich beschrieben. Die Di-

|| 18 Das erste Bild, das Genelas von Rose erhält, ist jenes einer »alte[n] freundliche[n] Frau, deren saubere Kleidung in der Tat eine Art von bäurischen Wohlstand verriet« (85).

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chotomie von gut/schön und böse/hässlich wird daher um eine weitere Dimension erweitert: Gutheit kann zwar wie im Falle Genelas’ auch über Schönheit offensichtlich werden, ist jedoch im Kurzen Mantel kein sicheres Merkmal für eine tugendhafte Frau. In allen Fällen korreliert ›gut‹ aber mit ›bekleidet‹, d. h. tugendhafte Damen sind immer in schöne und »saubere« (85) Kleidung gehüllt. Das Entblößen, das wie im Falle Morganes auch einen schönen, höfischen Körper zum Vorschein bringen kann, enthüllt in diesem Märchen immer das moralisch Zweifelhafte. Magdalena ist die einzige Figur, deren Verhalten so verwerflich ist, dass das Entblößen allein nicht ausreicht, um ihren Charakter offenzulegen. Über die Entstellung des Gesichts und der Hände werden ihre Bosheit und ihr unehrenhaftes Verhalten in ihre Haut eingeschrieben.

5 Rose und Magdalena Die Figur der Magdalena ist antagonistisch zur mildtätigen, sanften und eifrigen Rose angelegt. Magdalena ist die Tochter der Base, die Rose nach dem Tod ihrer Eltern bei sich aufnimmt, und wird als faul und intrigant beschrieben. Sie gerät andauernd mit Rose in Konflikt und versucht, deren Gutgläubigkeit auszunützen, was ihr häufig gelingt. Magdalena schafft es auch mehrmals, Rose angestachelt durch ihren Neid von ihrer Gönnerin zu entfremden und deren gesamten Besitz zu zerstören. Obgleich Frau Hulla/Hulda sich ihres Schützlings zwar wiederholt annimmt, erfährt Rose durch die Intrigen ihrer Verwandten viel Leid. Während Rose ihr zerbrochenes Glück jedes Mal durch erneuten Eifer und die Produktion von Fäden und Gewebe wiederherstellen kann, zeichnet sich Magdalena durch eher zweifelhafte Fertigkeiten aus: Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt als Wahrsagerin, wird sogar von Guenevre zu Rate gezogen und damit mit der Figur der Morgane in Verbindung gebracht. Es besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Damen: Während Morgane als echte Zauberin beschrieben wird, die durch ihre Kunstfertigkeit lebensnahe Täuschungen erzeugen kann und dazu imstande ist, die Realität zu verschleiern, ist Magdalena lediglich eine geschickte Betrügerin. Sie zieht im Land herum, um die »Wahrsagerin zu spielen« (133), was ihr deshalb gelingt, weil sie über »List, Kenntnis des menschlichen Herzens, eine gute Gabe, die Leute auszuforschen [...] und etwas Erfahrung« (133) verfügt. So schafft sie es, Reichtum anzuhäufen, den sie aber nie als groß genug ansieht, sondern sich anschickt, Rose noch um das Wenige zu betrügen, was ihr nach mehreren Begegnungen mit Magdalena noch geblieben ist.

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Rose erfährt eines Tages wiederholt Frau Hullas/Huldas Zuneigung: Ein Pilger, der im Nachhinein als Frau Hulla/Hulda identifiziert wird, kommt in einem erbärmlichen Zustand bei Roses Haus vorbei, die sich seiner annimmt, ihn wäscht, pflegt und versorgt und ihm – passend zur Geschichte – auch Kleidung schenkt, die sie zum Teil sogar aus selbstgefertigter Leinwand herstellt (vgl. 130). Tags darauf erwacht der Pilger, nimmt all seine Geschenke und macht sich »ohne sonderlichen Dank« (131) auf den Weg. Ein paar seltsame Segensworte richtet er an Rose, die erst später in der Geschichte wiedergegeben werden: »sie enthielten in verhüllten Worten ohngefähr den Wunsch, daß ich die erste Arbeit, die ich an diesem Morgen ergriff, vor Abends nicht endigen möchte« (132). Genau das passiert Rose auch: Sie hat den Wunsch, ihre wenige Leinwand und das Nähwerk, das noch unordentlich auf dem Tisch lag, zu sortieren, und beginnt damit, die Leinwand zu messen. Gemäß dem eigenartigen Segen hört sie mit dem Messen nicht mehr auf – die Leinwand vermehrt sich wundersam unter ihren Händen –, bis Magdalena sie stört und der Zauber gebrochen ist (vgl. 131). Da der Pilger seine Wiederkehr in einem Jahr angekündigt hat und Rose in ihrer aufgeregten Naivität Magdalena das ganze Geheimnis mitteilt, vertreibt Magdalena ihre Base durch eine Intrige aus ihrem eigenen Haus und will selbst in den Genuss des Segens kommen. Tatsächlich kehrt der Pilger wieder und bleibt erneut in Roses Haus, das jetzt aber von ihrer Verwandten bewohnt wird. Alles läuft ab wie im Jahr zuvor; Magdalena kümmert sich um ihren Gast und wird tags darauf mit dem gleichen Segen verabschiedet. Sie hatte sich vorgenommen, Goldmünzen zu zählen und so ihren Reichtum zu vermehren (vgl. 134), doch es kommt ein wenig anders, als sie sich das gedacht hatte: Schon war sie im Begriff über die Schwelle zu schreiten, schon streckte sich ihr Arm nach der einträglichen Arbeit aus, als sie gewahr ward, daß eine große Spinne [...] ihr Gewebe zwischen den Türpfosten angelegt hatte [...]. Sie erhub die Hand, das ohnmächtige Hindernis aus dem Weg zu räumen, aber kaum war die ekelhafte Türhüterin getötet, und ihre Netze zerrissen, so zeigte sich eine andere an ihrer Stelle, welche ihre Vorgängerin an Größe und Abscheulichkeit übertraf [...]. (134)

Magdalena tötet weiter eine Spinne nach der anderen, doch kaum ist eine getötet, erscheinen 20 neue, jede noch schrecklicher als die zuvor. Sie zerfetzt auch deren Gewebe, das sich überall ausbreitet, doch »jetzt zettelten sich zwischen den zerrissenen Fäden des Gespinsts immer andere und andere Gewebe an« (134). Erst ihr Hilferuf holt Rose herbei, die schließlich den Segen bzw. Fluch des Pilgers durchbrechen kann. Auch hier korrelieren ehrbares Verhalten und die Produktion von Gewebe: Rose, die sich zu diesem Zeitpunkt der Erzählung als Leinwandhändlerin verdingt, aber jegliche übernatürliche Hilfe der Hausfrau verloren hat, gibt freiwillig

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und ohne von Gier oder Selbstsucht getrieben zu sein einen Teil ihres letzten Reichtums dem vorbeiziehenden Pilger, ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen. Sie agiert im Sinne der Nächstenliebe und sorgt sich – wie sie das auch später für Genelas tut – um den entkräfteten Wanderer. Sie stattet ihn mit Kleidung aus, näht ihm zwei Hemden aus dem Rest der Leinwand, der ihr noch geblieben ist, und gibt ihm auch den Mantel ihres verstorbenen Mannes mit. Dieses Verhalten wird wiederum durch die wundersame Produktion von noch mehr Stoff belohnt, wenn Rose, ohne eine Pause machen zu können, ihre selbstgefertigte Leinwand durch den Prozess des Messens vermehrt. Für die intrigante Magdalena kann ein Segen, der Selbstlosigkeit belohnt, sich nur in einen Fluch verwandeln: Sie versorgt den Pilger nicht, weil es das richtige Verhalten ist, sondern weil sie sich eine Vermehrung ihres ohnehin bereits beträchtlichen Vermögens erwartet. Der Segen wendet sich gegen sie und hat zur Folge, dass sie im Gegensatz zu Rose, die Gesponnenes und Gewebtes vermehrt, jenes unaufhörlich zerstören muss. Die Erweiterung des Spinn- und Webmotivs auf das Tier ›Spinne‹ und deren Gewebe ist hier nicht nur originell und bleibt der Bildsprache der Erzählung treu, sondern beschreibt darüber hinaus auch die Figur der Magdalena genauer. Magdalena muss, gefangen in dem unglückbringenden Segen, das feine Gewebe, das Produkt der Spinnerin, aus der Welt schaffen. Die Spinne ist dabei der ›natürliche‹, nicht domestizierte und unkultivierte Gegenpart zur spinnenden Frau. Sie zeichnet sich zwar durch ihren Fleiß und ihre Webkunst aus, doch als Teil der Natur ist ihre Produktivität nicht zielgerichtet und damit noch nicht auf das Weiblich-Tugendhafte hin ausgerichtet, das sich durch den gesamten Text zieht. Magdalena, die selbst unkultiviert, wild und untugendhaft ist, muss sich gegen die Natur behaupten und unterliegt. Es stellt sich auch die Frage, ob nicht der Zusammenhang zwischen Gewebe und Texterzeugung hier mitschwingt. Zuvor sitzt Rose, die ja als Erzählerin ihrer eigenen Geschichte beschrieben wird, während des Erzählens am Spinnrocken. Für das Märchen ist diese Verbindung bereits gut untersucht;19 im Kurzen Mantel wird das Erzeugen von Gewebe über die Figur der Rose mit dem Erzeugen von Sätzen und Geschichten enggeführt. Beides beschreibt die tugendhafte Frau und macht im Umkehrschluss auch Magdalenas Verhalten deutlich: Das Erzeugen von Gewebe auf textueller Ebene und im wörtlichen Sinn steht damit im Gegensatz zu dessen Zerstörung. Der Bericht von Roses Leben, ihre bescheidene und ehrliche Erzählung ist der Tätigkeit Magdalenas, die sich als Schwindlerin und Lügnerin ihren Lebensunterhalt verdient, völlig entgegengesetzt. Im Falle Roses ist das Geschichten-Erzählen (wie

|| 19 Vgl. Helga Volkmann, Purpurfäden und Zauberschiffchen. Spinnen und Weben in Märchen und Mythen, Göttingen 2008; Thiel (wie Anm. 1), 301; Quilmann Heilmann (wie Anm. 10), 21.

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ihre Spinnkunst) ein Zeugnis ihrer Kunstfertigkeit und damit auch ein Zeugnis der Kultur; Magdalena wird über die Zerstörung des Gewebes nicht nur als unkultiviert enttarnt, sondern von den zahllosen Spinnen regelrecht eingesponnen. Sie ist nicht nur den Spinnen, sondern auch der Geschichte – dem mehrdeutigen Gewebe – hilflos ausgeliefert, und ihre eigenen Fähigkeiten reichen nicht aus, um sich aus dieser Situation zu befreien. Bereits weiter vorne im Text wird Magdalena nicht nur als unkultiviert, sondern als entmenschlicht dargestellt, nachdem sie nach ihrem missglückten Besuch im Reich der Frau Hulla/Hulda an die Oberfläche zurückkehrt. Rose beschreibt in ihrer Erzählung der Geschehnisse die Episode wie folgt: Schon wollte ich mich erheben um durch die Tür Hülfe für sie [Magdalena, M. W.] herbei zu rufen, als ich von weitem eine Gestalt erblickte, die ich, ich weiß selbst nicht warum, für die ihrige hielt, ob sie gleich fast nichts menschliches an sich hatte und je näher sie kam, desto abscheulicher wurde. (114)

Der kurze Ausflug in das unterirdische Reich hat nicht nur ihr Gesicht entstellt und sie so als unehrenhaft gezeichnet, ihr ganzes Äußeres hat sich verwandelt und wirkt nicht mehr menschlich, nicht mehr kultiviert oder zivilisiert. Diese Entmenschlichung wird später in der Szene mit der Spinne nochmals aufgerufen, wenn eine hilflose Magdalena, gebannt durch einen Segen bzw. Fluch, sich der Natur und ihrer Erzeugnisse (Spinne und Gewebe) nicht erwehren kann und fast von dieser verschluckt oder vielmehr eingesponnen wird. Magdalena, die sich von selbst nicht in eine Welt einfügen kann, die durch eine Koppelung von Ehrbarkeit und Gewebe- bzw. Kleidungsproduktion bestimmt ist, wird, wie schon zuvor im Reich der Frau Hulla/Hulda, auch in dieser Szene gewaltsam mit diesen Prämissen konfrontiert. Für sie, die sich bewusst untugendhaft verhält, erhält die Produktion von Gewebe etwas Bedrohliches und Unbezwingbares, das bekämpft werden muss. Relevant ist dabei, dass nicht erst der Mensch, sondern schon die Natur spinnt, Verhüllendes produziert, auch wenn die Produktion in ihrer ursprünglichsten, natürlichsten Form noch nicht ›gerichtet‹ und damit nicht immer nützlich ist. Die Kultivierung des Spinnmotivs führt zur Aufwertung der Spinne und damit der Spinnerin: Als Genelas später in der Geschichte die Fäden erzeugt, aus denen der Zaubermantel gewebt wird, heißt es im Text, dass ihre Spindeln sich mit einem Gespinst füllen, »das an Feinheit Arachnens Fäden [...] beschämte« (139). Arachne ist sowohl Spinne als auch mythische Figur. Diese Textstelle lässt nicht klar erkennen, ob hier von einem Menschen oder einem Tier die Rede ist, doch in beiden Fällen wird die Kunst Arachnes übertroffen und damit entweder die Natur mit Hilfe von Kunstfertigkeit oder die beste Spinnerin durch eine noch größere Kunstfertigkeit in den Schatten gestellt.

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Dass im Zuge der Pilgergeschichte bereits ein Mantel20 erwähnt wird, ist sicherlich kein Zufall. Der Mantel ist in der Literatur nach Claudia Ansorge nicht nur ein Herrschafts- und Rechtssymbol, sondern dient auch dazu, das, was sich unter dem Mantel verbirgt, vor Sichtbarkeit und Gefahr zu schützen. Neben der repräsentativen Funktion dieses Kleidungsstückes – und v. a. im Zusammenhang mit Damen kommt der Mantel in der Literatur eigentlich nur in dieser ›offiziellen‹ Form vor – verfügt er auch über eine Tarn- und Schutzfunktion.21 Jene wird in dieser Episode, in der Rose dem Pilger den Mantel schenkt, virulent. Doch auch der Status des Pilgers kommt durch die Gabe des Mantels zum Vorschein: Rose empfindet große Ehrfurcht vor dem Pilger, der zwar aufgrund seiner langen Reise seine Kleidung bereits sehr strapaziert hat, aber die »ehrwürdige Tracht« (130) des Ordens lässt sich noch erahnen. Als sie ihn zu sich in ihr Haus bittet, steht sie »ehrerbietig gegen ihn auf« (130). Hier vereinen sich wieder die beiden Eigenschaften, die schon bei Frau Hulla/Hulda relevant waren: Das Ehrbare und das Verhüllen begegnen sich auch im Pilger, der ja als eine Erscheinungsform der Hausfrau zu verstehen ist. Der Mantel, der noch dazu ein »Sonntagsmantel« (131) und damit ein ganz besonderes Kleidungsstück ist, verfügt hier auch über jene repräsentative Funktion, die Herrschaft und in diesem Fall auch moralische Überlegenheit anzeigt.

6 Die Mantelprobe Magdalena und Morgane versuchen beide, Genelas während ihrer Zeit bei Rose zu verführen und ihre Naivität und Ehrlichkeit für ihre Zwecke auszunutzen. Rose sperrt ihren Schützling daraufhin an den Tagen, an denen sie auf dem Markt ist, in ihre Kammer ein. Der Pilger, von dem Rose zuvor erzählt hatte, kann sie aber trotz der verschlossenen Tür besuchen und bringt ihr auch etwas mit: Genelas erhält wunderbare bunte Wolle, die sie verspinnen soll. Sie erzählt weiter: »[Der Pilger] verspricht mir doppelten Lohn für meine Arbeit, verspricht, daß es mir, bis sich mein Schicksal ändert, nie an Stoff zum Fleiße fehlen soll, und sagt noch oben drein, ich legte mit meiner Spindel den Grund zu meinem Glücke« (139). Genelas beginnt mit der Arbeit, und »[d]ie Spindeln füllten sich schnell mit einem Gespinste, daß an Feinheit Arachnens Fäden, und an Farbe den Bogen des Him|| 20 Rose gibt dem Pilger den Sonntagsmantel ihres verstorbenen Mannes mit auf den Weg, da seine eigene Kleidung bereits so abgetragen ist, dass man kaum mehr das Zeichen des Ordens auf dem Gewand erkennen kann (130). 21 Vgl. Ansorge (wie Anm. 7), 195f.

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mels beschämte« (139). Jede Woche holt der Pilger, während Rose den Markt besucht, die gesponnenen Fäden und bringt neue Wolle zur Verarbeitung. Bei jedem Besuch sagt er ihr: »Spinne Mädchen den Stoff zu deinem Ehrengewand; spinne Mädchen, spinne, spinne den Faden deines Glücks!« (139). Als der Pilger keine neue Wolle mehr bringt, weiß Genelas, dass sie bald das Haus von Rose verlassen muss, und tatsächlich schickt die Königin nach dem Mädchen. Zurück am Hof von König Artus muss sie aber, da sie von Guenevre noch immer verachtet wird, niedrige Dienste verrichten. Als das Pfingstfest ansteht, finden sich alle Damen und Herren für die Feierlichkeiten ein, Genelas bleibt jedoch abseits vom Geschehen in einer Kammer zurück. Ein Bote trifft ein, er wird als »zierlicher Edelknabe« beschrieben, der »auf einem schneeweißen Zelter« reitet und den »eine sehr hohe Dame des Auslands« (alle Zitate 147) zu Artus schickt. Der Edelknabe, der zunächst nur von den Männern am Hof empfangen wird, bringt einen wunderbaren Mantel, »groß und weit, wie der Krönungstalar des Kaisers, mit allen Farben des Regenbogens geziert, durchsichtig, wie Edelstein, und von einem Gewebe, so zart und so fein« (148), dass man es kaum als gewebt ausmachen kann. Der Bote führt weiter aus, dass das Gewand von jungfräulichen Händen gesponnen und im Feenland gewebt wurde (vgl. 148), dass nur einer einzigen Frau der Mantel passen wird und dass diese Frau sich dadurch auszeichnet, dass sie »ihrem Gatten oder ihrem Geliebten nie eine Untreue bewies, und sonst an Tugend und innerer Vortrefflichkeit jede andere ihrer Zeitverwandtinnen übertrifft« (148). Jede Frau am Hof soll den Mantel anlegen, um diejenige zu finden, der er wahrhaftig passt und die ihn dann auch behalten darf. Dieser Teil des Märchens erzählt die Geschichte der Mantelprobe so, wie sie auch in den mittelalterlichen Vorlagen zu finden ist: Die Damen – allen voran Guenevre – probieren den wunderbaren Mantel an, doch dieser schmiegt sich nicht an deren Körper, sondern bringt in allen Fällen die darunterliegende Kleidung derartig in Unordnung, dass mehr entblößt wird, »als die sittsame Mode ihres Zeitalters verstattete« (150). Guenevre, die als erste den Zaubermantel überwirft, weiß zunächst nicht, dass es sich um eine Tugendprobe handelt, sie wird von den Männern in dem Glauben gelassen, der Schönsten würde der prächtige Mantel überlassen werden. Die Männer freuen sich über das Schauspiel, lachen, reiben sich die Hände (vgl. 148) und machen sich schon vor der Probe über die zu erwartenden Ergebnisse lustig. Hier werden die Ereignisse des Anfangs nochmals aufgegriffen: Die Betrachter/-innen der Probe empfinden zunächst Schadenfreude und machen sich über die körperliche und damit auch moralische Enthüllung der jeweiligen Dame lustig. Doch diese Häme schlägt bei vielen schnell in Scham um: König Artus wird beim Anblick seiner öffentlich entblößten Gattin rot und versucht, sie mit seinem

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weit ausgebreiteten Talar zu bedecken (vgl. 150). Guenevre zwingt nach ihrer eigenen Schande auch alle anderen Damen dazu, den Mantel anzuziehen, die eine nach der anderen mit gesenktem Haupt am Rande des Raumes auf einer Bank Platz nehmen und die Augen niederschlagen (vgl. 152). Auch hier zeigt sich wieder, dass auf das öffentliche Entblößen, auf die »Blicke der Gaffer« (152) und damit auf die öffentlich produzierte kollektive Scham mit Gesten des Verhüllens reagiert wird, wie es Katja Gvodzdeva und Hans Rudolf Velten beschreiben.22 Hier ist die Scham der Frauen und auch der meisten Männer, deren Damen sich der Tugendprobe unterziehen müssen, im Gegensatz zur Morgane-Episode aber nicht kulturell erzwungen, sondern als ›echte‹ Scham, als moralische Grenzverletzung und Resultat der individuellen Entblößung, zu verstehen. So, wie die Damen – allen voran Guenevre – zu Beginn des Textes Morgane bloßstellen wollten, werden sie jetzt eine nach der anderen selbst mit demselben Schicksal konfrontiert. Ihnen wird der ›Schleier‹ entrissen, ihre Täuschungen, die zwar nicht wie im Falle Morganes explizit aus dem Bereich der Zauberkunst kommen, doch ähnlich wie Morganes Zauber die Wahrheit verhüllen sollten, werden offengelegt und über die Entblößung der Haut für den ganzen Hof sichtbar gemacht. Morgane, die sich zum Zeitpunkt des Beginns der Mantelprobe ebenfalls unter den Damen befunden hat, verschwindet in dem Moment, als sie bemerkt, dass nicht die Schönheit, sondern die Tugendhaftigkeit der Frauen geprüft werden soll. Sie löst sich praktisch in Luft auf, und nur der Edelknabe, der den Mantel an den Hof brachte, bemerkt es (vgl. 154). Morgane als Figur in die Erzählung einzubauen und den Anfang der Geschichte ihrer Bloßstellung zu widmen, ermöglicht es, den Bogen am Ende zu schließen und die Mantelprobe als logischen Endpunkt in den Ablauf zu integrieren. Die Schande der öffentlichen Entblößung der Damen ist das Resultat ihres unsittlichen Verhaltens zu Beginn der Geschichte und gerade aufgrund dieser Episode auch motiviert und nachvollziehbar. Im Verhältnis zum Rest des Märchens nimmt die tatsächliche Tugendprobe nur einen untergeordneten Teil ein. Die Anprobe des Mantels ist schnell auserzählt, alle Damen werden enttarnt und bloßgestellt und Genelas, die auch am Ende der Geschichte noch als treu und naiv dargestellt wird, verlässt schließlich erleichtert mit Karados und ihrem Mantel den Hof von König Artus (vgl. 161). Kai, der in den mittelalterlichen Vorlagen als Spötter einen Hauptteil der Rede übernimmt und zu jeder entblößten Dame Stellung bezieht,23 hat kaum Raum in Nau-

|| 22 Vgl. Gvodzdeva und Velten (wie Anm. 12), 9. 23 Vgl. z. B. das Mantel-Fragment, wie es im Ambraser Heldenbuch überliefert ist, oder auch die Mantelprobe im Lanzelet Urichs von Zatzikhoven. Auch die altfranzösischen Vorlagen (z. B. Du mantel mautaillé) spielen mit dem Motiv des Spötters Kai.

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berts Erzählung. Obwohl der Blick des Mannes auf die Frau und deren moralische und physische Entblößung immer wieder als Motive im Text erscheinen,24 liegt das Hauptaugenmerk der Erzählung woanders: Der Blick der Frau auf ihre Geschlechtsgenossinnen steht im Zentrum der Aufmerksamkeit und steuert von Beginn an die Handlung. Neid, Schadenfreude und Rache sind die Triebkräfte von Guenevres Handeln, die auch Magdalena motivieren. Die untugendhaften, ›bösen‹ Frauen treiben durch ihre Emotionen die Handlung voran und werden am Ende der Geschichte entlarvt; die ehrbaren Damen re-agieren auf ihre Widersacherinnen, fügen sich in ihre Schicksale und zeigen somit Beständigkeit an Tugend. Lediglich Frau Hulla/Hulda lässt sich als übernatürliche Figur in keine der beiden Kategorien zwingen: Sie überschreitet nicht nur Geschlechter- und räumliche Grenzen, sondern übernimmt als belohnende und bestrafende Figur auch die Funktion der Richterin, die aber im Gegensatz zur weltlichen Herrschaft von König Artus über moralische Vergehen entscheidet. Über die Bloßstellung der Hofdamen, die Frau Hulla/Hulda mit Hilfe der Mantelprobe initiiert, wird aber nicht nur das Verhalten der Frauen, sondern auch jenes der Männer kritisiert, die sich genauso unehrenhaft und schamlos verhalten wie ihre Geliebten und von Naubert damit ebenso in den Blick genommen werden.

7 Schlussbemerkungen Die mittelalterliche Geschichte der Mantelprobe wird von Benedikte Naubert nicht nur wiedererzählt, sondern be- und überarbeitet. Sie erweitert den Stoff grundlegend, verbindet ihn mit dem der Frau Holle und überträgt dabei die Motive des Enthüllens und Verdeckens der mittelalterlichen Vorlage, die einen Teil der Rahmenerzählung bildet, produktiv auf die gesamte Textstruktur. Schon in den mittelalterlichen Varianten der Mantelprobe korreliert Nacktheit bzw. das Bedeckt-Sein mit Tugendhaftigkeit und ehrbarem Verhalten. Die verschiedenen mittelalterlichen Erzählungen operieren aber mit unterschiedlicher Ernsthaftigkeit, die vom Burlesken und Satirischen bis hin zum Obszönen variiert.25 Allen Varianten der Geschichte ist jedoch gemeinsam, dass die untreue oder untugendhafte Frau als solche zur Schau gestellt und entsprechend dem Grad ihrer Verfehlungen physisch entblößt wird. Benedikte Naubert geht in ihrer

|| 24 König Artus blickt auf Morgane, seine Frau und die anderen Damen und vergeht vor Scham. Der Text spricht von »Gaffern« (152) und auch von den lüsternen Blicken der Ritter. 25 Vgl. dazu Ansorge (wie Anm. 7).

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Geschichte noch einen Schritt weiter, lässt Morgane völlig verschwinden und Magdalena körperlich entstellt zurück. Den misogynen Charakter des Stoffes hier außer Acht lassend, zeigt sich eine nicht von der Hand zu weisende Korrelation von Tugendhaftigkeit und VerhülltSein, die Naubert nicht nur aufgreift, sondern in der Bearbeitung der Vorlagen auf die Spitze treibt. Motive des Entblößens und Verhüllens werden auch auf die Sprache übertragen, wenn z. B. vom »Entreißen des Schleiers« (75) die Rede ist, und konstituieren sämtliche Frauenfiguren, die im Text vorgestellt werden. Auch der Fokus der Erzählung wird verschoben: Der männliche Blick auf die unverhüllte Frau wird auf den weiblichen Blick hin ausgeweitet und in der Folge deutlich entsexualisiert. Die Scham, die sowohl die enthüllten Damen als auch die BetrachterInnen empfinden, hat weniger mit dem Entblößen des Körpers, sondern mehr mit dem Enttarnen des wahren Charakters zu tun. Dabei wird klar, dass eine tugendhafte Frau sich nicht davor fürchten muss, enttarnt zu werden. Sie kann gar nicht enttarnt werden, da sie über keine Charaktereigenschaften verfügt, die es geheim zu halten gilt. Das führt dazu, dass der lüsterne und schadenfrohe Blick wie in den Vorlagen gar nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen kann, da im Kurzen Mantel die Tatsache verhandelt wird, dass wahre Tugend nie diesem Blick ausgesetzt sein wird. Genelas empfängt ihrem Charakter entsprechend am Ende der Geschichte mit Freude und Naivität den Mantel, der ihr wahres Wesen enttarnen soll. Sie weiß nicht, dass es sich um eine Probe handelt, man hat ihr lediglich mitgeteilt, dass diejenige, der der Mantel passt, diesen auch behalten dürfe. In ihrer Gutgläubigkeit, Beständigkeit und Treue traut sie dem Hof, der sie schon einmal betrogen hat, keine anderen Motive zu und wirft sich den Mantel völlig unbedarft über. Entgegen der Hoffnung der Beobachterinnen wird Genelas nicht entblößt. Ganz im Gegenteil, der Mantel schmiegt sich perfekt an ihre Figur und unterstreicht ihre Schönheit. Wahre Tugend kann eben nicht versteckt werden. Sie zeigt sich paradoxerweise daran, dass alle Hüllen intakt bleiben. Vielmehr noch: Die tugendhaften Charaktere in Nauberts Märchen verfügen sogar über die Fähigkeit, neue Hüllen, neue Kleidung zu produzieren. Obwohl diese intakten Hüllen Frauen als ehrenwert offenbaren, dienen sie ebenfalls dazu, etwas zu verdecken. Dabei steht nicht das Vertuschen von unehrenhaftem Verhalten wie Rache, Ehebruch oder Verleumdung im Vordergrund, sondern die Schutzfunktion der Kleidung. V. a. anhand der Figur der Frau Hulla/ Hulda lässt sich diese wesentliche Eigenschaft der Hülle gut erklären. Außer Rose und Magdalena, die sich über den Brunnen Zugang zu ihrem Reich verschaffen, sieht niemand Frau Hulla/Hulda in ihrer eigentlichen Form. Wenn sie sich den Menschen zeigt, dann nicht nur verhüllt, sondern in einer gänzlich anderen Form, die nicht geschlechtsstabil ist. Diese Form des Shape-Shifting ist die per-

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fekte (Ver-)Kleidung, da nicht nur die Haut, sondern der ganze Mensch, vielmehr noch: die Frau als Frau verdeckt wird. So wie Frau Hulla/Hulda ist auch ihr Reich vor fremden Blicken geschützt. Es liegt im Verborgenen, im Unterirdischen und ist von König Artus’ Reich umgeben. Die Ländereien des Königreichs dienen somit als Hülle, die verdeckt, dass ein weiteres Reich unterhalb der männlich dominierten Welt existiert. Der Zugang über den Brunnen26 kann als Riss in dieser Hülle verstanden werden, der nach dem missglückten Besuch Magdalenas ausgemerzt wird. Der (männliche) Blick auf die wahre Form von Frau Hulla/Hulda ist damit nicht mehr möglich. Rose ist die einzige Person, die nach dem Betreten des unterirdischen Reiches nicht nur der Hausfrau begegnet, sondern diese auch entkleidet und ihre unverhüllte, ungeschützte Form zu Gesicht bekommt. So wie der Talar von König Artus dessen Macht und auch dessen Schutzverpflichtung in Bezug auf seine Untertanten repräsentiert,27 verweisen all die Hüllen von Frau Hulla/Hulda – sei es ihre »Welt aus Tüchern«, ihre Geschlechterwechsel oder auch ihr verborgenes Reich – auf deren Macht. Im Gegensatz zu Artus agiert Frau Hulla/Hulda aber im Verborgenen. Der kurze Mantel offenbart somit über die Motive des Enthüllens und Verdeckens die wahre Macht des Weiblichen: Mächtige Frauenfiguren operieren nie in der Öffentlichkeit. Morgane umgibt sich mit einem Zauberhain, den man kaum betreten kann; nur dahinter wiegt sie sich in Sicherheit und entblößt sich auch. Ihre Zauberkraft ist eine Form der Verhüllung, die im Umkehrschluss auf deren Macht verweist. Morgane verliert ihre Zauberkraft und damit ihre Macht auch nicht. Sie entzieht sich dem Geschehen und deckt alles vormals Verhüllte auf, doch am Ende der Geschichte wird sie wieder an den Hof eingeladen und kann als einzige vor der Mantelprobe fliehen. Gerade am Ende der Geschichte wird klar, dass nicht sexuelle Vergehen und Untreue eine wirklich untugendhafte Frau ausmachen; vielmehr ist es das Enthüllen anderer Frauen und der Wunsch nach dem Bloßstellen und dem Aufdecken der Vergehen anderer Frauen, die schwerwiegende Folgen haben. Der Wunsch nach der Entmachtung anderer Frauen geht mit dem eigenen Machtverlust einher und wird

|| 26 Der Brunnen als Motiv gehört in den Bereich des Mythisch-Weiblichen. Wasser im Allgemeinen, Quellen, Brunnen und Seen im Speziellen sind nicht nur Eingänge in die Anderswelt, sondern lassen sich motivgeschichtlich auch mit dem Bereich der Fee und damit dem Reich der Frau in Verbindung bringen; vgl. dazu u. a. Friedrich Wolfzettel, ›Brunnen und Unterwelt oder: Der problematische Mythos im arthurischen Roman‹, in: Friedrich Wolfzettel u. a., Artusroman und Mythos, Berlin, Boston 2011 (SIA 8), 205–25, hier: 209f.; Sue Ellen Holbrook, ›Elmental Goddesses: Nymue, the Chief Lady of the Lake and Her Sisters‹, in: Bonnie Wheeler und Fiona Tollhurst (Hrsg.), On Arthurian Women. Essays in Memory of Maureen Fries, Dallas 2001, 71–88, hier: 83. 27 Artus wirft ihn seiner entblößten Frau über (vgl. 150); auch Ansorge (wie Anm. 7), 195f., setzt sich mit dem Motiv des Mantels und seiner repräsentativen Funktion auseinander.

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am Beispiel der Figuren Guenevre und Magdalena eindrücklich vorgeführt. Am Ende wird die Untreue dem eigenen Geschlecht gegenüber bestraft und über die physische Entblößung aufgedeckt. Solidarische Frauenfiguren zeichnen sich über deren Bescheidenheit, Fleiß und Treue aus und können nicht entblößt werden. Frau Hulla/Hulda übernimmt neben ihrer Funktion als verborgene Herrscherin und Richterin im Gegensatz zum öffentlich agierenden Artushof auch die Verpflichtung, ihre Verbündeten zu schützen und die verborgene Macht treuer Frauenfiguren zu bewahren. Die Mantelprobe dient für diese Geschichte als Blaupause. Die Motive des Entblößens und Verhüllens werden über die Einbettung des Frau-Holle-Stoffes entsexualisiert und explizit auf den gesellschaftlich-hierarchischen Bereich des Weiblichen übertragen. Dabei stehen weniger die Beziehungen der Frauen zu ihren Männern, sondern die Frauenbeziehungen untereinander im Vordergrund, die mit Hilfe von Motiven und Metaphern des Verdeckens und Entblößens als funktional oder dysfunktional beschrieben werden.

Matthias Meyer

Gawan, Gral und Tod Eduard Stuckens Gawan-Drama im Kontext Abstract: The article focuses on Gawân. Ein Mysterium, a drama by Eduard Stucken which is modelled in Sir Gawein and the Green Knight. I trace the main differences and show how Stucken offers a Christianized version, where Lady Bertilak is an instrument of devil’s attempt to seduce Gawan. In order to achieve this, she is turned into a semblance of the Virgin Mary who in the finale in the Green Chapel rescues Gawan. While the salvation by the ›eternal female‹ is an echo of Goethe’s Faust, other elements are closely linked to Wagner’s reception of medieval matters in Tannhäuser and Parsifal, in spite of Stucken’s professed aversion to Wagner’s literary style.

Sir Gawain and the Green Knight gehört zu denjenigen Texten, die die interpretatorische Phantasie seit Langem inspirieren. Ich kann als Germanist dem Text und seiner vielfältigen Interpretationsgeschichte nicht auch nur annähernd gerecht werden, will aber zu Beginn kurz auf einige mich faszinierende und mein Verständnis dieses Textes leitende Aspekte hinweisen.1 Die erzählte Zeit des Textes umfasst ein Jahr – und die Jahreszeiten, die Gawain in diesem Jahr durchlebt, sowie die geradezu rituelle Vorbereitung seiner Reise gegen Ende dieses Jahreszeitenturnus verweisen auf die zyklische Zeitstruktur des Mythos. Mythische Aspekte hat auch die symbolträchtige Verzierung von Gawains Ausstattung mit einem Schild, welcher das Pentagramm als Zeichen der fünf Tugenden auf der Außenseite und ein Marienbildnis auf der Innenseite trägt. Die Zyklizität, die Kreisform (die ja schließlich auch zu Gawains Rückkehr führt, auch wenn dies eine Rückkehr ist, die das Durchbrechen des Kreises zu-

|| 1 Benutzte Ausgabe: Sir Gawain and the Green Knight, revised ed., hrsg. und übers. von William Vantuono, Notre Dame 1999. Vgl. auch Sir Gawain and the Green Knight. Sir Gawain und der Grüne Ritter, Englisch/Deutsch, hrsg. und übers. von Manfred Markus, Stuttgart 1974; Markus verwendet die verbesserte Edition von Tolkien/Gordon. Der Text hat nicht nur eine lange Interpretationsgeschichte, sondern auch eine abwechslungsreiche Editionsgeschichte. Allerdings ist auffällig, dass die Renaissance dieses Textes eigentlich erst mit Tolkiens und Gordons Edition 1925 wirklich einsetzt und er vorher zumindest außerhalb Englands nicht zu den populären Texten gehört. Vgl. auch Ad Putter, An introduction to the Gawain-Poet, Harlow, New York 1996. https://doi.org/10.1515/9783110628104-012

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mindest am Horizont des Denkbaren aufscheinen lässt, weil Gawain sich seiner selbst und seiner bisherigen Gesellschaft entfremdet hat)2 ist das eine; das andere sind Oppositionen, die den Text prägen: Diejenige zwischen Artusgesellschaft und dem Grünen Ritter liegt an der Textoberfläche, darunter liegen Oppositionen wie die zwischen einer brüchigen Zivilisation und einer feindlichen Natur; zwischen Christentum und alter, heidnischer Religion, worauf auch die Spannung zwischen den beiden Festen Weihnachten und Silvester einerseits und der Abreise Gawains an Allerheiligen andererseits hinweisen könnte; die zwischen Lebensfeindlichkeit (Winter) und Lebensfreude (Sommer, Artusgesellschaft, aber auch zwischen Winternatur und der Burg Hautdesert, auf der Gawain die Weihnachtstage verbringt) und schließlich die zwischen Erlösung und Verdammnis. Grundlegend für den Text ist auch die Dichotomie männlich/weiblich: die männlich dominierte Artusgesellschaft, die höfische Kultur, die der Frau eine passive Rolle zuspricht, und die weiblich dominierte Gesellschaft in der Burg Hautdesert.3 Gleichzeitig aber wird Gawain – wie so oft – feminisiert: Es ist Bercilak, der Burgherr, der auf Jagd geht (eine klassische Liebesmetapher), während Gawain zum Jagdwild einer aggressiven Frau wird;4 eine Frau, die aus Gawains Perspektive als bedrohlich und als Problem beschrieben wird, während die zurückgegebenen Küsse zwischen den Männern durchaus, auch aufgrund der detailliert beschriebenen Physis von Bercilak, erotisiert werden.5 Rituelle Elemente finden sich im Spielmotiv, das in vielfältigen Erscheinungen den Text durchzieht, angefangen bei der Spielsehnsucht des Artushofs zu

|| 2 Während der Artushof einmal mehr Gawains Erlebnisse leicht nimmt und den grünen Gürtel in ein Ehrenzeichen umdeutet, bleibt dieser dabei, den Gürtel als Zeichen der Schande als permanente Auszeichnung und offensichtlich zu tragen (V. 2505–12). 3 Wichtig für eine Interpretation ist ja auch die Spannung zwischen der erst spät als handelnde Figur enthüllten Morgane und Ginover, die im Text nicht erklärt wird, aber im Hintergrund die Inzestmotivik aufscheinen lässt. 4 Werden schon die Dialoge zwischen Gawain und der Dame mit Kampfmetaphorik aufgeladen, so zeigt sich Gawains Passivität vielleicht am besten in den Kussszenen, denn die Dame küsst Gawein lange und beugt sich über ihn nieder, umarmt ihn, während Gawain keine reziproke Aktivität zeigt (z. B. V. 1305f.). 5 Vgl. etwa die Beschreibung vor dem letzten Kuss, die den Kleiderluxus des vorgeblichen Provinzlers Bercilak ausstellt, den Gawain offenkundig gerne küsst (V. 1922–37); dies nachdem er in den vorgängigen Verführungsszenen in die (weiblich-passive) Rolle gedrängt wurde, während zeitgleich die laute Jagd die Männlichkeit von Bertilak ausstellt. Gawain verfällt bei diesen Küssen zumindest in die Rolle der empfangenden Hausfrau, wenn nicht der Geliebten; vgl. z. B. Gayle Ashton, ›The Perverse Dynamics of Sir Gawain and the Green Knight‹, Arthuriana 15 (2005), 51–74.

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Beginn des Textes.6 Am auffälligsten sind natürlich die beiden Wiederholungsspiele, über deren Verschränkung weder Gawain noch die Rezipienten etwas wissen: das Enthauptungsspiel und das Rückgabespiel. Es liegt also eine äußerst komplexe Spielstruktur vor: Gawain glaubt, ein Enthauptungsspiel zu spielen, dann aber weiß er nicht (oder merkt es nicht, weil er arthurisch verblendet ist), dass dieses Enthauptungsspiel mit einem Geschenkübergabespiel verknüpft wird und dass er nicht die Mittel aus dem einen in dem anderen Spiel einsetzen muss (dies entspräche der Logik von Artusromanen ebenso wie von heutigen adventure games), sondern dass er das eine Spiel bestehen müsste, um dem anderen zu entgehen. Dennoch: Die eher der Natur als der höfischen Gesellschaft zugewandten Burgbewohner Hautdeserts verstehen Gawain gut, sie setzen das Leben höher als die Ehre (vgl. V. 2390–401), nur Gawain hat jetzt ein Problem, das auch die Artusgesellschaft mit ihrer spielerischen Antwort, den grünen Gürtel als Ehrenzeichen zu tragen, nicht lösen kann. Schließlich aber ist in der letzten Volte des vielschichtigen Textes das Ganze nur ein Spiel zwischen Frauen, die Männer hingegen sind nur Spielfiguren in einem Eifersuchtsdrama um Artus.7 Was macht nun Eduard Stucken aus dieser Vorlage? Im Jahre 1901 veröffentlichte er Gawan. Ein Mysterium, ein Stück, das sein erfolgreichstes Drama bleibt.8 Es wird 1907 in München am Residenztheater mit erstaunlich positiven Rezensionen uraufgeführt, eine Aufführung in Berlin an den Berliner Kammerspielen, zur Zeit der Ära von Max Reinhardt, folgt. Das Stück ist die früheste von Stuckens Artusstoffbearbeitungen. Später wurde es in seinen geplanten, aber nicht mehr vollständig ausgeführten Gralszyklus integriert, der aus zwölf Theaterstücken bestehen sollte (eigentlich erinnern die späteren noch vollendeten Stücke eher an Lesedramen). Von der mittelalterlichen Vorlage her kommend, drängt sich die Frage auf, wie Gawan, das Enthauptungsspiel und der Gral zusammenkommen.9 Natürlich

|| 6 V. 37–84 beschreiben ein hochamüsantes, turbulentes Weihnachts- und Neujahrsfest. Selbst nach der Abreise des Grünen Ritters nimmt Artus den Vorgang auf die leichte Schulter und bezeichnet ihn als typischen »craft vpon Cristmasse« (V. 471), also als Weihnachtstrick oder Weihnachtsspiel. 7 Der Auftritt des Grünen Ritters am Artushof auf Veranlassung Morganes soll Ginover immerhin zu Tode erschrecken (vgl. V. 2459–62). 8 Die Erstauflage erscheint 1901 im Verlag Dreililien, Berlin. Ich zitiere im Folgenden nach der mir vorliegenden Ausgabe: Eduard Stucken, Gawân. Ein Mysterium, Berlin 1902. Stucken schreibt auf dem Titel und im Personenverzeichnis ›Gawân‹, im Text selbst ›Gawan‹, ich verwende durchgehend die letztere Form. 9 Diese Frage stellt sich jedenfalls, wenn man von Sir Gawain and the Green Knight ausgeht, das ja eindeutig die Vorlage Stuckens war. Wenn man von der ersten anonymen Perceval-Fortsetzung

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ist die offensichtliche (und auch die richtige) Antwort: überhaupt nicht, und darin zeigt sich eines der ersten konzeptionellen Probleme des Stücks. Der Gral, der immer wieder aufscheint, hat keine eigentliche Funktion innerhalb der Handlung, er ist auch als Objekt nicht präsent, aber er ist eine Chiffre, bei der zunächst einfach auffällt, dass sie immer dann benannt wird, wenn die Sprache auf Religion kommt, ohne dass damit das konkrete Objekt direkt evoziert würde. Zudem setzt auch Stucken auf Zyklizität: Sein Drama beginnt auf leerer Bühne in Artus’ großer Halle, der gesamte Artushof hört in einer Kapelle, links hinten, die Messe. Es folgt eine lange Rede von Artus, der »verzückt, wie abwesend« (11), so die Regieanweisung, aus der Kapelle kommt und von einer kollektiven Marienvision berichtet: »wir sahn, wie in seliger Lust am Weihnachtstag / An eines Mädchens Brust das Gotteskind lag« (11).10 Mit einem Auftritt Marias und

|| und Heinrichs Crône ausgeht, dann besteht natürlich ein indirekter Zusammenhang zwischen dem Enthauptungsspiel und dem Gral. In Heinrichs Roman ist die Episode insofern zentral für die Gralshandlung, als Gaweins dortiger Gegenspieler, Gansguoter, schließlich die zentrale Figur wird, die das Bestehen der Gralsaventüre ermöglicht. Für Stucken spielt dies allerdings keine Rolle. 10 Ein Wort zur Form: Stucken imitiert die mittelalterlichen Langzeilen, allerdings ohne die wohl um 1900 zu wagnerisierenden Alliterationen, wie sie für die Vorlage im Stil der alliterative revivals typisch sind. Stucken verwendet Paarreime mit in der Position wanderndem Zäsurreim. Die genaueste – und positivste – Beschreibung seines Stils findet sich bei T. M. Campbell, ›The Arthurian Dramas of Eduard Stucken‹, The Sewanee Review 21 (1913), 210–22: »In the first place, Stucken’s chosen verse in these dramas [den arthurischen Theaterstücken] is anything but simple. It is capable of great freedom. It might briefly be described as an anapestic movement with five stressed syllables. Yet the character of the verse is seldom purely anapestic, since the poet omits at will anywhere from one to five of the unstressed syllables, thus ranging as far as a plain iambic pentameter. The omission of the unstressed syllable is skillfully used by the author to get a retarding effect in his line when he wishes it. The plain pentameter is much more infrequent than the full anapest, but the latter is not allowed to make the rhythm monotonous. To these rhythmic effects must be imagined those of double rhymes, one in the line, often at a pause, and rhyming with a word in the next line that may or may not be in an exactly corresponding position; the other at the end of the line, rhyming with the end of the next line. There is usually a pause in the verse, coming at intervals of two or three stressed syllables, though sometimes after the first or fourth, while now and then a line flits by without any breathing space« (211). Campbells Beschreibung ist akkurat, aber sehr wohlmeinend. Man kann auch den Eindruck bekommen, dass Stucken die gewählte Versform nicht wirklich souverän bändigen kann: Binnenreime finden sich häufig an inhaltlich irrelevanten Stellen, der permanente Rhythmuswechsel stört das Verstehen der dann holpernden Verse. Immerhin kann Campbell als zeitgenössische, sehr positive Stimme gelten. Matthias Däumer, der den einzigen neueren Forschungsbeitrag zu Stuckens Artusdramen verfasst hat, bescheinigt der Sprache der Stücke »hohe Musikalität, durch die hohe Stilisierung jedoch auch figurenpsychologische Schwerfälligkeit«; Matthias Däumer, ›Artus ex machina. Theatrale (Re-)Mythisierung in Eduard Stuckens Artus-Dramen‹, in: Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki (Hrsg.), Das Mittelalter des Historismus. Formen und

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des Grals wird das Stück auch enden. Und es dauert nur wenige Verse, bis das Stichwort ›Mysterium‹ fällt: Im Gotteshaus beugten wir stumm anbetend das Knie Vor diesem Mysterium, Jungfrau Marie. Und Du zeigtest Dich uns wie ehdem mit kirschroter Lippe; 11 Unser Geist sah in Bethlehem den Stall und die Krippe. (11)

Wie eben angekündigt, ist auch der Gral nicht weit: »Du Selige, Du Arme! Uns hast du erhellt / Mit dem Gral in Deinem Arme, mit dem Licht der Welt« (12). Zwar spielt der Text immer wieder auf den Gral als Objekt an, doch ist schon hier deutlich, dass mit dem Gral eigentlich Christus oder das Christentum gemeint ist. Oder anders: Der Gral erhält gleich zu Beginn des Stücks eine gesteigerte Verbalpräsenz; er scheint, dieser Eindruck soll erweckt werden, in Stuckens remythisiertes Mittelalter zu gehören, ohne eine präzise benennbare Funktion zu erhalten. Dass aber der Gral dazu gehören muss (und dass er hier, mit einer eher unpräzisen Gleichsetzung mit Maria und Christus, bereits zu Beginn des Stücks schon beinahe Dan Brown’sche Dimensionen einnimmt), ist, man kann es nicht anders sagen, eine Wagner-Folge – ich komme im Laufe des Beitrags darauf zurück. In diese christliche Weihnachtsidylle hinein bricht der Auftritt des Grünen Ritters. Eingeleitet wird er durch das klassisch-arthurische Motiv, dass Artus, bevor er etwas isst, entweder von exzeptionellen Rittertaten hören oder sie sehen möchte (was hier allerdings auf das Christnachtessen beschränkt wird).12 Die Abenteuermöglichkeiten, die Artus hier aufzählt, verweisen – von der Queste nach dem Gral über die Verteidigung von Einsiedlergräbern gegen Dämonen und verwünschten Kapellen bis hin zum Widerstehen der Verlockungen von Morgan la fee (die einzige Erwähnung dieser für Sir Gawain and the Green Knight wichtigen Figur in diesem Text) – auf eine gute Kenntnis der arthurischen Tradition (etwa des Prosalancelots oder auch der englischen Prosatradition nach Malory) und nehmen dabei auch in nuce das Drama vorweg.13

|| Funktionen in Literatur und Kunst, Film und Technik, Würzburg 2015 (Rezeptionskulturen in Literatur- und Mediengeschichte 3), 295–320, hier: 302. Däumer bietet auch eine kurze, wichtige Zusammenstellung zeitgenössischer Theaterkritiken. 11 Soviel auch zur oft eher durchwachsenen sprachlichen Qualität Stuckens, der hier v. a. über die Binnenreime stolpert. 12 »Nein! Speise und Trank, Ginover, hab ich nicht vergessen! / Doch hielt ich es so seither beim Christnachtessen, / Dass ich nichts vom Wein, dass ich nichts von Speise mir nahm, / Eh ich nicht den Tod eines Wichts durch Helden vernahm« (13). 13 Vgl. die Rede auf den Seiten 13f. am Schluss der ersten Szene. Sprachlich bietet Artus’ Rede mit dem Reim ›tjosten / (Speisen) kosten‹ allerdings einen der komischen Tiefpunkte: »Und eh

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Der Grüne Ritter wird von Kei angekündigt – und in dieser Rede spiegelt sich prunkende Detailverliebtheit, sie glänzt funkelnd mit sprachlichen Pretiosen des fin de siècle (denn nicht alles bei Stucken ist stilistisch problematisch).14 Der Auftritt des Grünen Ritters betont das Dämonische: Agravain lehnt den Kampf mit ihm ab. Vor Menschen habe er keine Scheu, aber vor »Höllenqualme« (18). Artus schließlich will den Kampf gegen die ›im Höllenglanz funkelnde‹ Gestalt aufnehmen: »Ich will in Rubine verwandeln Dein Smaragdgestein!« (19). Schließlich übernimmt Gawan den Kampf gegen das »grüne[] Phantom« (ebd.). Das Enthauptungsspiel beginnt nach etlichen verzögernden Reden, und der erste Akt schließt mit der unerwarteten Rede des Grünen Ritters, der Gawans aussichtslose Position deutlich macht: Was hast Du gethan! Du verlorst Deine arme Seele! Nun halte wohl, was Du schworst mit sündhafter Kehle, – Eidzeugen sind Gott und des Reiches vornehmste Barone, – Und finde mich, dass ich durch gleiches Bluturteil Dir lohne! (23)

Stucken lässt jedenfalls keinen Zweifel daran, dass der Grüne Ritter eine Ausgeburt der Hölle ist, dass Gawan und der Artushof hier gegen den Teufel kämpfen und dass Gawan der sichere Tod erwartet. Der erste Akt bringt nicht mehr als dies, und damit fehlen in der Konzeption Stuckens nicht nur die – wohl verzichtbare und auch in der Vorlage ja rudimentäre – Reise Gawans, sondern auch die Vorbereitung der Abreise und Ausstattung, auf deren symbolischen Gehalt man in den kommenden Akten deswegen eher mühsam hinweisen muss.15 Gawan bricht offenkundig sofort auf, denn der zweite Akt bringt bereits die Ankunft des nach einjähriger Suche todmüden Ritters auf dem Schlosse Bernlaks de Hautdesert (so hier der Name). Gawan ist nicht nur verzweifelt, weil er die Grüne Kapelle nicht finden kann (und sie ja auch schon ein Jahr lang sucht), er ist – dies wird immer wieder betont – frosterstarrt und »hustet mit fiebrigen Lungen« (31) und voller Todessehnsucht; denn das Einhalten der Verabredung be-

|| nicht ein Sänger mit neuer Ballade kam, / Oder mir ein Abenteuer, wild, wundersam, / Hier im Saal zustiess, ein Tournier, ein Zweikampf, ein Tjosten, / Will ich nichts von der Speise hier auf dem Teller kosten / Und will hungern und warten der Grossthat, will vom Becher nicht nippen! / Sagt an, wer von Euch einen Stoss that in Satans Rippen!« (14). 14 Vgl. Keies Rede 14f. 15 Wenn man Stuckens Drama mit der Oper von Harrison Birtwistle auf ein Libretto von David Harsent (UA 1991) vergleicht, dann zeigt sich hier nicht nur der Vorteil der Oper (die Ausstattung und Reise weitgehend musikalisch abhandeln kann), sondern auch die deutlich konzisere Konzeption von Birtwistle und Harsent, die diese rituellen Aspekte der Vorlage ausstellen.

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deutet für ihn Folgendes: »Meinen Leib versprach ich schon Raben und Geiern« (ebd.). Kurz: Gawan hat sich auf seiner Suche in einen tuberkulösen, anämischbleichen und enervierten fin de siècle-Jüngling verwandelt, den man nach Davos ins Sanatorium schicken möchte. Wie in der Vorlage verlangt man auch in Stuckens Drama auf Hautdesert nach Arthurischem – und zeigt sich über den Hof besser informiert als Gawan selbst.16 Was man vom Hof wissen will, verweist letztlich – nimmt man es ernst – auf eine zyklische Grundstruktur der dargestellten Welt, denn gleichzeitig wird nach Merlins Gefangenschaft durch die Frau vom See, nach dem berauschenden Duft des Gralsgefäßes, nach Ywain, Sir Dodinel und Sir Pellinore sowie nach der Liebe von Lancelot und Ginover gefragt (32f.). Der Gral ist aber nicht nur in diesem Verlangen erstaunlich präsent, Hautdesert nennt Gawan »der Ritterschaft gralähnlichste Blume« (32). Was genau allerdings diese Formulierung bedeuten soll, außer einem sehr allgemeinen Hinweis auf Gawans bekannte ethische Qualität, ist hier noch nicht wirklich deutlich. Auch das durch den Untertitel des Stücks zentrale Wort ›Mysterium‹ darf nicht fehlen: Gawan sagt über die sich ihm bislang entziehende Grüne Kapelle: »Kein Mensch betrat des Mysteriums Schwelle« (34). Bislang waren auf Hautdesert nur der Schlossherr und der Schatelier zu sehen. In der dritten Szene schleicht sich nun, nachdem Gawan alleingelassen wurde, des Burgherrn Gattin, Marie de Hautdesert, herein und eröffnet Gawan, dass sie die Grüne Kapelle kennt – eine Offenbarung, die Gawan mit leidenschaftlichen Küssen auf Hände und Locken belohnt (39). Hautdesert kommt dazu, eröffnet dem errötenden Gawan, dies sei seine Gattin und nicht die Tochter, wie Gawan vermutete. Der Akt schließt mit der Verzögerung von Gawans Abreise bis zum nächsten Abend, die ihn in letzter Sekunde zur Grünen Kapelle bringen soll, und der bekannten Wette des Geschenketauschs, der somit auf eine Nacht und einen Tag verkürzt wird. Der dritte Akt spielt in Gawans Schlafzimmer am folgenden Morgen: Die erste Szene bietet einen kurzen Fieberwahnmonolog Gawans. Hier werden Strukturparallelen zu Wagners Opern deutlicher: Gawan erinnert sich (und uns) an den Auftritt des Grünen Ritters, an sein Versprechen, an das Teufelsverhängnis, das sich an die Figur knüpft, und an die Versuchung, die von Marie ausgeht. Zu Beginn des dritten Aktes (und nach einer vermutlichen Pause) werden damit die zentralen Leitmotive des Dramas enggeführt, eine an Wagners epische Monologe erinnernde Praxis; konkret könnte Tristans allerdings deutlich längerer Fiebermono-

|| 16 Dies könnte man als Hinweis auf die Verbindung zwischen Hautdesert und dem Artushof deuten, wenn nicht genau dieses Motiv der Verbindung zwischen den beiden Orten von Stucken gekappt worden wäre.

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log aus dem dritten Aufzug hier Pate gestanden haben.17 Die zweite Szene bringt einen Dialog mit dem Schatelier, die dritte, längste, den Verführungsversuch durch Marie, den Kuss und das Geschenk – hier ein unverwundbar machendes Schwertgehenk.18 Natürlich ist damit auch eine Steigerung in der Länge der Szenen verbunden – und eine Steigerung der Verzweiflung Gawans, seines Gefühls der Ausweglosigkeit und der Verstrickung. Der Fiebermonolog Gawans nimmt bereits Bezug auf die Maid (warum eigentlich ›Maid‹, wenn sie doch Ehefrau ist? – Stucken erzeugt hier eine Irritation, die er erst später auflöst): »Ihr Mädchenleib ist wie der Brodem der Mondviolen« (49)19 – die übrigens hier wohl nicht nur wegen des Reims, sondern wegen ihrer anderen Bezeichnung, nämlich Judaspfennig, Verwendung finden. Bei der Blume handelt es sich um einen stark duftenden Nachtblüher (lat. Lunaria rediviva). Hiermit sind in einer Blume Mondlicht, betörender Duft, Blässe und Verrat, zentrale Themen des Dramas wie des fin de siècle, zusammengefasst. Darüber hinaus wird die Ambivalenz der Marie

|| 17 Zeitlich näher, aber wohl nicht bekannt genug ist Heinrichs Fiebermonolog aus dem ersten Akt der Oper Der Arme Heinrich von Hans Pfitzner (UA 1895). 18 Vielleicht ist es ahistorisch, jenseits der Mittelalterfaszination der Zeit um 1900 und jenseits der zu Preziosen neigenden Sprache der Zeit gedacht, aber dieses Wort verdankt seine Existenz im Text eigentlich nur dem auf mich eher abgeschmackt wirkenden Reim ›Gehenk / Geschenk‹, die Personen sprechen sonst meist vom ›Gürtel‹ oder ›Gurt‹: »Ihr habt vielleicht auf den Reif deshalb verzichtet, / Weil zu kostbar sein Geschleif und zu sehr Euch verpflichtet. / Darum nehmt von mir ein Geschenk geringer an Wert: / Da seht mein Gurtgehenk! Euch sei es beschert« (64). Der ›Gürtel / das Gehenk‹ selbst wird dennoch als äußerst kostbares Objekt beschrieben, auf dem sich einmal mehr die den Text durchziehende Edelsteinmetaphorik realisiert, denn »seine Schmelzfarben« blenden »in Smaragdglut«; und weiter heißt es: »Es floss für den Gürtel viel Blut von Mädchenhänden« (ebd.), es sind zudem grüne Kapellen auf Goldgrund aufgestickt. Schließlich erhält er noch eine arthurische Geschichte, die Marie berichtet: »Mein Vater brachte ihn aus Palästinas Küsten, / Wo er ihn fand in Grüften der wilden Moslem; / Doch hing der Gurt an den Hüften des Klinschor vordem, / Der ihn als Teufelspfründe Merlins erworben, / Bevor des Teichmädchens Sünde Merlin verdorben. / Dieses Gürtels Magie ist der Welt seit Pendragon kundbar. / Wer diesen Gürtel erhält, ist unverwundbar« (65). Diese exotische Geschichte, die in sich stimmig ist, wird nur durch die später enthüllte dämonische Existenz der falschen Marie und die sich damit anschließende Frage, wer ihr Vater denn sein könnte (der Tod selbst, der seine Überwindung immer mit sich trägt?) problematisiert. Jedenfalls ist allem, was Marie hier über den Gürtel sagt, nicht zu trauen. Die endgültige Annahme des Gürtels hätte Gawan, anders als in der Vorlage, zum Tode verurteilt. Im letzten Akt ist es ja gerade die rechtzeitige Buße und Rückgabe des Gürtels, die Gawan rettet. 19 In seiner Fieberrede verteidigt sich Gawan wegen einer verspäteten Ankunft in der Grünen Kapelle: »Du lügst, wenn Du sagst, ich bestöhle Dich! Bin ich ein Dieb? / Hier ist all mein Blut: schöpf es ab! Dass ich früher nicht kam, / Geschah, weil die Maid vor dem Grab in die Arme mich nahm! / Ihr Mädchenleib ist wie der Brodem der Mondviolen ... / Doch wie Viperngift haucht mich Dein Odem an! Kommst mich schon holen?« (49).

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de Hautdesert, die eben nur Marie heißt, aber keine Maria ist, ausgestellt. Den akustischen Hintergrund der ersten beiden Szenen bildet der Aufbruch der Jagdmeute des Schlossherrn, der Gawan ausdrücklich darum gebeten hatte, auszuschlafen und die Frühmette zu versäumen. Gawan vergleicht den Lärm dem Schatelier gegenüber mit »Hackelberendt mit seinen Gesellen« (51) und verweist damit auf das Motiv der Wilden Jagd oder des wütenden Heers aus der germanischen Mythologie (denn Stucken folgt hier sicher eher der Grimm’schen Erklärung des Namens Hackelbernd als Beiname Wotans denn der sagengeschichtlichen Herleitung von einem historischen Jäger namens Hackelnberg).20 Die Gefahren von Gawans winterlichem Ritt werden – nicht nur in diesem Gespräch mit dem Schatelier, aber hier besonders intensiv – mythisiert als Küsse von »Schneeengels Schwestern« (50), Küsse der Eisfrau – die auch an Gawans Rückenmark gesaugt hat, so der Schatelier (52)21 – etc., kurz: weibliche Verführung wird dämonisiert und mit Todesgefahr gleichgesetzt. Damit werden die Zeichen für Maries kommenden Auftritt gesetzt. Vorher noch gibt sich der Schatelier als Führer zur Grünen Kapelle zu erkennen, und Gawan will von ihm sofort dem ›Mysterium‹ zugeführt werden »und dem grünen Gespenst« (53). Doch dieser lehnt ab – das wäre gegen den Auftrag, die Frau zu bewachen, bis der Herr abends von der Jagd zurückkehrt. Gawan sieht sich »mit Seilen der Freundschaft gefangen! [...] / Eine Seele fing Satans Leim – darum weinen nicht Welten« (54). Und er legt sich wieder schlafen, obwohl er im letzten Traum gesehen hat, wie ihn Engel verflucht haben. In der folgenden Szene mit Marie werden aus den Seilen der Freundschaft fesselnde Mädchenlocken: Marie tritt auf, in der Regieanweisung heißt es: »Sie scheint völlig verwandelt zu sein, ihre Bewegungen sind nervös, flink und katzenhaft« (55). In ihrer ersten Rede hält sie fest: Euch hält im Locken-Kerker ein loses Mädchen! Ihr entkommt mir nicht! Ein Verhängnis ist Frauenhaar! 22 Nun liegt Ihr im goldnen Gefängnis für immerdar. (56)

|| 20 Vgl. Jacob Grimm, Deutsche Mythologie, Bd. 2, Frankfurt a. M. u. a. 1981, 765 [870]–92 [902] zum wütenden Heer allgemein, zu Hackelbernd v. a. 767 [873]–70 [76]. 21 Womit auch das Motiv des weiblichen Vampirs anklingt, der Männern das Mark aussaugt (und, man denke an die berühmte Szene in Bram Stokers Dracula, noch ganz andere Dinge). 22 Stucken hatte diese Haarmetaphorik in der zweiten Szene des Aktes vorbereitet. Dort beschreibt der Schatelier den Umschwung von Winterstürmen zu einem sonnigen Wintertag mit Schneeregenbögen als Vertreiben der Windsbraut durch das dem Bade entsteigende Sonnenmädchen mit »Lockengezaus« (52) – sprachlich wird hier ein Effekt erzeugt, der an den ersten Aufzug von Wagners ›Walküre‹ (»Winterstürme wichen dem Wonnemond«) denken lässt, auch

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Stellt Stucken also zunächst eine inverse Samson-Motivik (der Name fällt gleich in der ersten Rede Maries)23 aus, so folgt eine Änderung in Stil und Metaphorik nach der Kussszene. Gawan hat sich unter der Maske des höfischen Spiels zu einem Kuss bereit erklärt, die Regieanweisung lautet: »Marie beugt sich über Gawan und küsst ihn lange. Plötzlich reisst sich Gawan wie verstört los« (60).24 Er stößt Marie zurück, doch die fährt in ihren Verführungsversuchen fort, was ihr folgende Reaktion einträgt: GAWAN angstvoll. Weib geh! Ich fürchte Dich! Fort, Teufelin! MARIE. Bin ich weniger lieblich, wenn ich Frau Venus bin? Bin ich weniger vampyrgleich und glutenverzehrt? Bin ich weniger weiss, und weich und begehrenswert? [...] Die Liebe der Himmelshöhn und der Höllenschlünde Ist Gottes Tochter; und schön ist der Engel der Sünde! (60)

Gawan kann den Versuchungen kaum widerstehen, will aber »Rein, ohne Versündigung« (61) sterben. Und weiter verführt ihn Marie: Euch brannten noch nicht die Hitzen todsündlichen Weins; Euch hat nie Frau Venus berückt, des Hörselbergs Zierde; Und ihr habt nie das Tollkraut gepflückt unersättlicher Gierde. Schad um die Knospe im Frost! Was ihr versäumt, Wie wenig Ihr wachend genosst, wie viel Ihr verträumt, Wisst Ihr’s? Kennt Ihr den Most, der im Mädchen schäumt? Es ist so traurig im Grabe, im Würmerpalast, Wenn man fröstelnd sich sagt: Ich habe das Leben verpasst! Es ist so traurig im Dust der Grüfte zu modern So lange in junger Brust noch Flammen lodern! (62)

Die Passage pointiert den Gegensatz zwischen dem baldigen Tod Gawans und den Freuden der Liebe, die der keusche Gawan bislang noch nicht kennt, daraufhin Satan wittert und St. Julian anruft.25 Er bleibt nach diesem Kuss standhaft, nimmt aber schließlich das Gurtgehenk, das ihn unverwundbar macht, und will

|| wenn es hier natürlich Winter bleibt. Allerdings werden die Frühlingsbilder in der folgenden Verführungsszene durch Marie weitergetrieben. 23 »Und wärt Ihr ein Simson und stärker, – Ihr zerreisst nicht die Fädchen [...]« (56). 24 Weiter geht es mit Gawans erster Reaktion: »Geht fort! Ich bitte Euch, geht! Lasst mich allein!« (60). 25 Warum St. Julian, ist mir ebenso wenig bekannt wie die Antwort auf die Frage, welcher der Heiligen Juliane gemeint sein könnte.

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es sofort nach dessen Annahme zurückgeben, was Marie verweigert: »Was ich vergeben habe, nehm ich nimmer zurück« (66).26 So schließt der dritte Akt. Der vierte Akt bringt wie der dritte Akt, in leicht geänderter Reihenfolge, Szenen zwischen dem Schatelier und Gawan, einen Monolog Gawans, in dem er die Annahme des Gürtels als Satansgeschenk beklagt, und einen Dialog zwischen Marie und Gawan, in dem sie sich als Gattin des Todes inszeniert und droht, ihm das Lebenslicht auszublasen, was er dann doch nicht will und was sie mit großer Ironie kommentiert – vielleicht die beste Szene im Stück.27 Beinahe kommt es bei Ankunft von Hautdesert dazu, dass Gawan ihm den Gürtel zeigt, was Marie zu verhindern weiß; Gawan ist durch sein Versprechen ihr gegenüber gebunden. Er gibt nur den Kuss – ein keuscher Wangenkuss, der nichts mit dem Original zu tun hat – zurück und verweigert die Auskunft, von wem er ihn erhalten habe. Seine letzten Worte, bei Abreise und nach nochmaliger Frage, ob er alles abgeliefert habe, bilden den Aktschluss: »Mir hilft nichts mehr! Ich verlor und verdarb meine Seele« (86). Im fünften Akt entpuppt sich die Grüne Kapelle als Loch in einer Felswand, vor der ein unheimlicher Friedhof steht, ein Ort, in dem, so der Schatelier, »Liliths Kaplan« (90) haust.28 Doch findet sich in diesem grausigen grünen Ort neben einem großen Sarg auch eine Madonnenstatue,29 vor der Gawan – einmal mehr in einem Monolog – beichtet und den Gürtel niederlegt, sodass er dem Grünen Ritter, den er dann ruft und der dem Sarg entsteigt, doch ungeschützt gegenüber|| 26 Die abschließende Regieanweisung: »Marie geht hinaus. Gawan betrachtet angstvoll und doch fasziniert den Gürtel. Der Vorhang fällt« (66). 27 Vgl. besonders Maries Rede 77f. 28 Gawans erste Reaktion ist drastisch: »Dies die grüne Kapelle? Was! Dies Loch in Basalten? / Hier mag Herr Satanas seine Frühmetten halten! / Hier mögen gottvergessen, halbnackt in Schleiern, / Verruchte Nonnen Messen und Orgien feiern / Und Kruzifixe schänden; und Hostien und Wein / Auf frechentblössten Lenden mit Spottlitanein / Darbringen vergötterten Sternen durch schandbaren Kuss / Und vom Buhlteufel Todlaster lernen, vom Inkubus!« (89). 29 Die ausführliche Regieanweisung: »Die Kapelle ist eine geräumige und tiefe Felsenkammer. In der Mitte vorn ist ein Sarg aufgebahrt, um den vier mannshohe Kandelaber aus Gold stehen; in jedem brennt je eine armdicke Wachskerze. Im Hintergrunde, in einer erhöhten Nische hinter dem Altar, steht eine holzgeschnitzte, bemalte Madonnenstatue. Als ›Ewige Lampe‹ brennt davor, an einer schweren Eisenkette von der Decke herabhängend, eine Ampel aus grünem Kristall, deren intensives Licht die ganz Kapelle grün färbt. / Gawan tritt etwas zögernd und sichtlich verwundert ein. Er scheint anderes erwartet zu haben. Langsam, sich mehrmals umschauend, schreitet er in den Hintergrund der Kapelle und wirft sich vor der hölzernen Madonnenstatue auf die Kniee« (92f.). Was Gawan erwartet hatte, haben wir gerade gehört; in der Tat ist, nach diesem Vorspann, die dunkle Felsenhöhle zunächst eine Antiklimax. Allerdings nutzt sie Stucken recht gekonnt für Grand Guignol-Effekte für den Auftritt des Grünen Ritters. Das, was Gawan zu sehen wünschte oder befürchtete, ist auch auf einer Bühne des frühen 20. Jh. nicht darstellbar.

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tritt. Dieser will ihn enthaupten, doch die Marienstatue schreitet ein. Als der Grüne Ritter darauf verweist, dass Gawan den Gürtel nicht zurückgegeben habe und also nur, um sein Leben zu retten, gelogen habe, wird die Marienstatue lebendig. Sie tritt, mit dem Christuskind auf dem Arm, in die Szene ein und verweist auf die gerade erfolgte Beichte und Rückgabe des Gurtgehenks. Beim Näherkommen, so die Regieanweisung, erkennt man, »dass die Mutter Gottes dieselben Gesichtszüge hat wie Marie de Hautdesert« (97). Sie fordert den Grünen Ritter auf, sein Visier zu öffnen, der sich als Bernlak entpuppt. Gawan war, wie Hiob, Objekt einer Wette, er wurde geprüft, und als leidender und bereuender Sünder ist er dem Gral, der Christus ist, lieber als ein homo perfectus. Bernlak und der Grüne Ritter aber sind der Tod, Gawan war »eine Nacht und zwei Tage beim Tode zu Gaste« (100). Die Marie von Akt zwei bis vier ist die Gattin des Todes, die während der Wette die Gestalt Marias annehmen durfte, Akt fünf zeigt uns, im gleichen Aussehen, die ›echte‹ Maria.30 Was hat aber das Ganze mit einem Mysterium und nun wirklich mit dem Gral zu tun? Dies wird erst in den letzten Worten des Madonnenbilds und der abschließenden Regieanweisung deutlich: DAS MADONNENBILD zu Gawan. [...] Wer durch Sünde und Todesgrauen hindurchgegangen, Ist wert, den Gral zu schauen und den Kelch zu empfangen. Aus dem Hintergrunde der Kapelle nähert sich ein in Weiss gekleideter Mädchen-Engel, der mit beiden Händen den verhüllten Gralkelch trägt. Der Engel kniet vor der Mutter Gottes nieder. Diese nimmt das hüllende Seidentuch vom Gral. Der Gral erstrahlt. Dann reicht das Madonnenbild dem noch immer knieenden Gawan den Gral. Gawan küsst den Kelch und trinkt vom Gral. Leise Musik. Engelgesang aus der Höhe. Der Vorhang fällt. (100)

Wie kann man also Stuckens Bearbeitung seiner Vorlage charakterisieren? Einerseits ist es eine klare Vereindeutigung und gleichzeitig eine noch deutlichere Dichotomisierung: Der Grüne Ritter ist der Tod, die ganze Handlung wird auf die

|| 30 Man kann bei dieser fatalen Doppelung nicht nur an die christliche Doppelung von Eva, die den Tod in die Welt brachte, und Maria, die durch Christus des Todes Endgültigkeit beseitigt, denken; ganz konkret mag hinter dieser Doppelung auch das Motiv der gedoppelten Frau liegen, wie es in Georges Rodenbachs Roman Bruges-la-Mort (1892) Verwendung findet, der allerdings erst 1903, also nach Erscheinen des Gawan-Dramas, als Das tote Brügge erstmalig von Friedrich von Oppeln-Bronikowski ins Deutsche übersetzt wurde. Erotische Obsession, Tod, Verführung, spirituelle Elemente sind hier, ebenso wie bei Stucken, eng miteinander verwoben. Stucken verfolgt die gleiche symbolistische Grundstimmung; ob er Rodenbachs Werk kannte oder zumindest von ihm wusste, ist mir nicht bekannt.

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Opposition von Gott und Teufel, hier vertreten durch Maria und den Tod, heruntergebrochen, ohne dass dies von Anfang an deutlich wäre – Stucken folgt darin seiner Vorlage, wo wir von Morganes Plänen auch erst am Schluss erfahren (hier liegt der Unterschied sowohl zur biblischen Hiob-Erzählung als auch zu Goethes Faust). Es kommt aber hinzu, dass Mariens Rede offenbart, dass die ganze Handlung nicht, wie der von ihr auch zitierte Hiob nahelegt, auf eine Wette zurückzuführen ist. Satan wird zwar im Stück immer wieder auf die eine oder andere Weise beschworen, aber er nimmt keine aktive Rolle ein. Maria hält ausdrücklich fest, dass die ganze Handlung eine göttliche Gnade darstellt: Weil Deinen Wandel mit Rührung Sein Auge erblickt, Hat er Dir die Verführung als Segen geschickt. In Gottes Auftrag betrat der Tod meine Klause. (98)

Und nur, weil der Tod weiß, dass Gawan nicht zu verführen ist, leiht er sich die Gestalt der Mutter Gottes u n d ihre Jungfräulichkeit für eine Sylphe, die entsprechend verwandelt wird, aus. Damit erklärt sich im Nachhinein auch die Bezeichnung Maries de Hautdesert als ›Maid‹ – Gawan wird, man mag dies bewerten, wie man will, von einer perfekten Imitation der Mutter Gottes (beinahe) verführt. Matthias Däumer verweist auf Stuckens Tendenz, einen eigenen Mythos zu schaffen. Für die Gesamtanlage, für Stuckens großen Entwurf, mag das gelten. Gelten mag für diesen Gesamtentwurf auch die folgende Aussage Stuckens selbst: »[Ich] lernte Wagners Noten lieben und Worte – nicht lieben«.31 Das kann sein, und Stuckens Sprache kommt in ihrer feinnervigen Verspanntheit auch eher aus dem Hofmannsthal als aus Wagners Villa Wahnfried, dessen exaltierten Alliterationswahnsinn Stucken vermeidet – doch sein Konzept für Gawan. Ein Mysterium ist reiner Wagner. Dies zeigt sich nicht nur in der arbiträren Verwendung des Grals, die offenkundig einem gewissen, durch Wagners Parsifal ausgelösten Gralszwang folgt, sondern auch in der die Semantik des Wortes dehnen-den Verwendung von ›Mysterium‹ (während wir am Schluss wirklich einer Art ›Mysterium‹ beiwohnen, wenn Maria Gawan den Gral reicht, meint Gawan zwischendurch mit diesem Wort eher ›a mystery‹, etwa wenn er die Lage der sich ihm entziehenden Grünen Kapelle ein ›Mysterium‹ nennt). Dass Stucken der reinen Kraft der Worte selbst misstraut, zeigt auch der Einsatz von »leiser Musik« und dem »Engelgesang aus der Höhe« (100), der das Stück auf musikdramatische

|| 31 Zitiert bei Däumer (wie Anm. 10), 302. Das Zitat schließt vielleicht – via Musik – Wagners dramatische Konzeption ein; dieser verdankt, wie zu zeigen ist, Stucken viel. Stuckens Tendenz, einen eigenen Mythos zu schaffen, korreliert mit seinen wissenschaftlichen und/oder essayistischen Werken.

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Weise beschließt. In dieser Anweisung folgt Stucken genau der ausführlich vorgeschriebenen Klangregie Wagners am Schluss des Parsifal.32 Weitere Wagner-Bezüge sind im bisherigen Textdurchgang deutlich geworden und seien kurz expliziert: Der Verweis auf Frau Venus im Hörselberg zielt auf den Tannhäuser. Genau wie Tannhäuser sich der immer stärker und offensiver werdenden Erotik der Venus widersetzt und dem Venusberg durch die Anrufung Marias entfliehen kann, genau so kann Gawan sich aus seiner Verstrickung mit der erotischen Marie, die sich als Venus geriert, durch die wahre Maria retten. Dass sich gerade die Gattin des Todes, die Marie heißt und sich die Gestalt von der Jungfrau Maria geliehen hat, als Frau Venus im Hörselberg inszeniert, nimmt die Janusköpfigkeit der Wagner’schen Konstruktion von Venus und Elisabeth/Maria auf, die bekanntlich (nicht immer zum musikalischen Vorteil) in vielen Inszenierungen von einer Person gesungen wird. Anders als bei Wagner, bei dem Venus und Elisabeth durch das Motiv des Abendsterns (der die Venus ist) verbunden sind, sind bei Stucken die verführerische Gattin des Todes und die Jungfrau Maria wirklich, wenn auch nur für begrenzte Zeit, eins – femme fatale und femme fragile fallen in einer Figur zusammen, Marie nimmt nicht nur die Erbsünde aus der Welt, sie ist gleichzeitig Eva. Stuckens Gawan fehlt jedoch die Virilität des Wagner’schen Tannhäusers, der, soweit menschenmöglich, dem permanenten Genuss nicht abhold ist. Gawan muss Jungfrau bleiben und rein in den ja auch nur vermeintlichen Tod gehen. Diese jungfräuliche Reinheit verweist wiederum auf Wagners Parsifal, der bekanntlich als Erlöser verheißen wird mit der Formel: »Durch Mitleid wissend, der reine Tor«.33 Als Tor wird Gawan zweimal durch Marie entlarvt: Sein Unwissen, was Sexualität und Liebe betrifft, ist zentrales Thema ihrer Dialoge und der Verführung im dritten Akt, sein Unwissen über den Tod wird auf ähnliche Weise || 32 Am Schluss des dritten Aktes heißt es zunächst in der Regieanweisung: »Parsifal besteigt die Stufen des Weihtisches, entnimmt dem von den Knaben geöffneten Schreine den ›Gral‹ und versenkt sich, unter stummem Gebete, kniend in seinen Anblick. Allmähliche sanfte Erleuchtung des ›Grales‹. Zunehmende Dämmerung in der Tiefe bei wachsendem Lichtschein in der Höhe). / Alle: (Mit Stimmen aus der mittleren, sowie der oberen Höhe, kaum hörbar leise) / Höchstes Heiles Wunder! /Erlösung dem Erlöser!« Es ist dieser Klangeffekt, der ähnlich am Schluss des ersten Aktes inszeniert wird, für dessen Realisierung Wagner beim Bau des Festspielhauses größte Vorkehrungen getroffen hat und den Stucken nun imitiert. Das Parsifal-Libretto ist z. B. online abrufbar unter: http://www.operafolio.com/libretto.asp?n=parsifal#Act3 [letzter Zugriff: 27. März 2018]. 33 Die Formel begegnet zuerst in der Rede des Anfortas in Akt eins, Szene eins. Sie beschließt, durch eine Stimme aus der Höhe (also in der von Stucken zitierten Klangregie des Wagner’schen Gralstempels), auch den ersten Akt. Die Mitleidsmotivik spielt allerdings für Stucken, wenn ich recht sehe, keine Rolle.

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im vierten Akt thematisiert. Dass Stucken gerade Tannhäuser und Parsifal zitiert, setzt einen schon bei Wagner gegebenen Konnex beider Werke fort.34 Einen weiteren Bezug des Dramas zu Parsifal zeigt auch die oben bereits etwas länger zitierte Kussszene: Sie ist eine vergleichsweise genaue Paraphrase des Kusses zwischen Kundry und Parsifal in Klingsors Blumengarten im zweiten Aufzug des Wagner’schen Bühnenweihfestspiels. Und wie Parsifal auf den Kuss mit dem Ausruf »Amfortas! Die Wunde! Die Wunde! Sie brennt in meinem Herzen« (Akt zwei, Szene zwei) reagiert und Kundry von sich stößt, so weist auch hier Gawan nach dem Kuss Marie ab – und beide reagieren mit erneuten Verführungsversuchen; natürlich ist Kundry nicht die Ehefrau des Todes, aber doch immerhin »Urteufelin, Höllenrose!« (Akt zwei, Szene eins), wie Klingsor sie bei ihrer Heraufbeschwörung nennt. Der preziösen Sprache der Verführerin Marie entspricht die preziös-funkelnde Landschaft der orientalisch inspirierten Blumenmädchen in Klingsors Zaubergarten. Schließlich glaubt Parsifal zunächst, in Kundry seine verstorbene Mutter zu erkennen, und auch Gawan wird bei seiner ersten Begegnung mit Marie an seine Mutter erinnert.35 Auf den ersten Blättern, vor der Widmung an seine Ehefrau,36 steht in der Ausgabe, dieses Drama lehne sich zum Teil an eine altenglische Sage an (4). Ob-

|| 34 Beide Werke zeigen einen Protagonisten, der zwischen Sinnlichkeit und Keuschheit schwankt. Tannhäuser gibt nicht nur seine Sinnlichkeit und Lust zur körperlichen Liebe auf (eine Einstellung, der ja Elisabeth durchaus zu folgen bereit wäre, wie ihre Reaktionen im Sängerwettstreit zeigen), er gibt dafür auch seine Kunst, die ihn ja gerade aus der katholisch-thüringischen Atmosphäre vertrieben hat, auf. Er wird errettet, obwohl ihn am Schluss der römische Gesang ekelt, wie in der Romerzählung deutlich wird. Parsifals Moment der Sinnlichkeit ist – ähnlich wie der Gawans bei Stucken – nur kurz und der nötige Anstoß für das Mitleid. Er ist die eindimensionalere Figur, teilt aber zumindest passager mit Tannhäuser die Neigung zur unmöglichen Sinnlichkeit. Venus und Kundry entsprechen hier durchaus einander. 35 »Ich sah Euch nie; / Und Eure Stimme klingt doch mir bekannt und vertraut, / Als hört ich, ein Knabe noch, meiner Mutter Laut!« (36). 36 »MEINER FRAU ZUGEEIGNET« (5). – Angesichts der Tatsache, dass die einzige Ehefrau, die eine umfangreiche Rolle im Stück spielt, Marie, die verführerische Ehefrau des Todes, ist, wirkt diese Widmung etwas seltsam; denkt man allerdings an biographische Verflechtungen wie etwa bei Pfitzner, der das Mädchen im Armen Heinrich Agnes wie seine Tochter nennt, so ist diese Widmung unauffällig-geschmackvoll. Frau Venus (und damit implizit auch das Venus-Motiv) spielen auch in Stuckens Lanzelot-Drama eine Rolle: Der dortige Lanzelot (der hauptsächlich in Zusammenhang der Elaine-Geschichte gezeigt wird) erkennt Elaine als die ideale Frau (allerdings erst, als sie bereits tot ist) und sieht sich aufgrund seiner Liebe zu Ginover als unrettbar mit Frau Venus verbunden, wird aber, wiederum wie Tannhäuser, durch den Tod einer reinen Frau gerettet. Dies steht gegen jede englische Lancelot- und Elaine-Version; vgl. Campbell (wie Anm. 10), 219.

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wohl diese Einschränkung37 angesichts der Nähe der Handlungsführung zu Sir Gawain and the Green Knight merkwürdig wirkt, hat Stucken mit dieser recht distanzierten Quellenangabe nicht unrecht. Denn als seine eigentlichen Inspirationsquellen erweisen sich, jedenfalls wenn man dem Stück folgt, Wagners Parsifal und Tannhäuser. Dabei scheint zunächst der Parsifal mit Kundryszene und Gralsschluss die Oberhand zu behalten, doch Stucken verweigert sich der Marginalisierung des Weiblichen, die der Parsifal auch leistet. Wie im Tannhäuser – und wie in Goethes Faust – ist es bei Stucken doch das ›Ewig Weibliche‹, ist es Maria, die Gawan, der anders als Parsifal und genau wie Tannhäuser selbst keine Erlösung bringen kann und muss, intensiv anzieht. Gawan ist rein, er ist, vielleicht, auch ein Tor, ein Parsifal ist er nicht – das ist dann in Stuckens Gesamtplan doch noch späteren Stücken vorbehalten.

|| 37 Jenseits dieses expliziten Hinweises auf eine ›altenglische‹ Quelle (womit wohl eigentlich eine mittelenglische Quelle gemeint sein dürfte) muss die Frage, ob Stucken eine der Perceval-Fortsetzungen kannte, in denen das Enthauptungsspiel (lose) mit dem Gralsstoff verbunden ist, einstweilen offen bleiben. So, wie das Motiv im Drama verwendet wird, liegt eine solche Verbindung m. E. allerdings nicht sehr nahe.

Lena Zudrell

Klingsor und Kappi Zu Stoff und Form in Friedrich Schnacks Zaubermärchen Abstract: Friedrich Schnack published Klingsor. Ein Zaubermärchen in 1922. An unnamed narrator has to fight the magician Klingsor in order to release his beloved Melusine, who is held captive at the castle of Uruk. A dying old woman as well as her enchanted lover in the shape of the bird Kappi figure as assistants to the narrator. While Schnack uses elements of Wolframs Parzival and Richard Wagner’s Parsifal in the conceptualisation of the figure of Klingsor, he also draws on Sumerian narrative traditions: for example, characters Kappi and Ishtar and a location Uruk are known from the Epic of Gilgamesh. The text’s narrative strategy displays a divergence between content and form: whereas content-related elements are characterized by a vast number of implicit allusions and citations, the formal structure of Klingsor follows a relatively simple folktale framework.

1 Friedrich Schnack: Leben und Werk Friedrich Schnacks Prosadebüt Klingsor. Ein Zaubermärchen1 erschien 1922 bei Jakob Hegner in Hellerau und beschreibt auf knappen 85 Druckseiten in phantastisch-magischer Atmosphäre die Bezwingung des Zauberers Klingsor. Etliche Erzählungen und Romane Schnacks sollten in den 1920er und 30er Jahren folgen, bevor sich der Schriftsteller nach dem zweiten Weltkrieg mit einigem Erfolg auf naturkundliche Sachbücher konzentrierte – Hans-Rüdiger Schwab verzeichnet ein »weit über 100 Bücher umfassende[s] Werk[]«.2 Vor Klingsor jedoch und zu Beginn der 1920er Jahre war Schnack vornehmlich als Lyriker tätig. Gedichtbände wie etwa Das kommende Reich (1920) oder Vogel Zeitvorbei (1922) sind ebenso beim Hellerauer Verleger Hegner erschienen wie der Roman Die goldenen Äpfel (1923), welcher gemeinsam mit den frühen Gedichten, Klingsor und Die Hochzeit zu Nobis (1924) Schnacks »ersten Stoff- und Wesenskreis« begründet, der – nach Ruth Kilchenmann – das Märchen als »notwendige Ausdrucksform« priorisiert, anstatt etwa eine »neue Daseinsberechtigung« der Gattung finden zu wollen oder

|| 1 Benutzte Ausgabe: Friedrich Schnack, Klingsor. Ein Zaubermärchen, Hellerau 1922. 2 Hans-Rüdiger Schwab, Art. ›Schnack, Friedrich‹, in: 2Killy, Bd. 10, 482f., hier: 482. https://doi.org/10.1515/9783110628104-013

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»ästhetische Spielerei« und ein »Sich-Verlieren in Fabelei und Wohlklang«3 zu sein. Schnack selbst beschreibt seine drei Romane Klingsor, Die goldenen Äpfel und Die Hochzeit zu Nobis als »phantastisch[e] und phantasmagorisch[e] Erzählungen«, nach denen er »die Schönheit und Wahrheit des einfachen Lebens«4 entdeckte. So beweglich und vielfältig Schnacks literarischer Stil ist,5 so durchgängig sind thematische Ähnlichkeiten in Schnacks Gesamtwerk vorhanden, denn »[n]ahezu ausschließliches Thema [...] ist die Natur und ihre Wechselbeziehung mit dem Menschen«.6 Ähnlich wechselhaft wie Schnacks jeweilige Konzentration auf literarische Gattungen und Stile verläuft seine Biographie. Am 5. März 1888 wurde Friedrich Schnack in Rieneck/Unterfranken geboren, absolvierte eine kaufmännische Lehre in Berchtesgaden und Breslau und war zunächst als Bankbeamter sowie im Handelsgewerbe tätig. Schnack studierte an den Universitäten Breslau und Würzburg unter anderem Botanik, Geologie und Kunstgeschichte, bevor er als Soldat in den ersten Weltkrieg einrückte. In den Jahren 1918/19 war er Gefangener auf der türkischen Insel Prinkipo, bevor er nach seiner Rückkehr ab den frühen 1920er Jahren als Feuilletonredakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten und schließlich der Neuen Badischen Landeszeitung tätig wurde. Seit 1926 lebte Schnack als freier Schriftsteller und Presse- sowie Rundfunkmitarbeiter in verschiedenen deutschen Städten, war Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste sowie Mitbegründer der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Im Jahr 1926 erhielt er den Lessing-Preis, 1956 den Adalbert-Stifter-Preis und 1965 den

|| 3 Alle Zitate Ruth J. Kilchenmann, ›Traum und Wirklichkeit in den Werken Friedrich Schnacks‹, The German Quarterly 34 (1961), 257–63, hier: 257. 4 Zitiert nach ebd., 258. 5 Albert Soergel, Dichter aus deutschem Volkstum: Dichtung und Dichter der Zeit. Eine Schilderung der deutschen Literatur der letzten Jahrzehnte, 3. Folge, Leipzig 1934, bemerkt zu diesen ersten drei Romanen: »Sie alle sind die Vorbedingung für das spätere aus ganz schlichten Linien kunstsicher aufgebaute Werk. Nur wer erst wild wuchern lassen kann, kann später sparsam gestalten« (172). Dass innerhalb Schnacks literarischer Produktion eine Zäsur festzustellen ist, wird an mehreren Orten betont, etwa bei Augustine Hölzl, Die Kindergeschichten von Friedrich Schnack, Diss. masch. Wien 1941: »Friedrich Schnack läßt sofort einen tiefen Einschnitt erkennen. Die Teilung in zwei Epochen ist ganz eindeutig festzulegen. Wie alles, was in Auflehnung oder im Gegensatz zu einem Zweiten steht, übertrieben stark gerade diesen Gegensatz herausarbeitet, so sind die ersten Werke, die in Ausgleich zu den Strömungen seiner Zeit und zu seinem Beruf entstanden sind, Gebilde seiner dichterischen Phantasie, deren Stil und Sprache barockes Gepräge trägt. Dann müssen große Veränderungen im Dichter vorgegangen sein, da eine plötzliche Wandlung in den Themen, in Stil und Kunstauffassung zu bemerken ist. Das Jahr dieser Veränderung läßt sich nicht genau feststellen, jedenfalls muß es vor 1926 gewesen sein« (9f.). 6 Schwab (wie Anm. 2), 482.

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ersten Kulturpreis der Stadt Würzburg. Am 6. März 1977 starb Friedrich Schnack, der auch unter dem Pseudonym Charles Ferdinand veröffentlichte, in München.7 In Nachschlagewerken zur Literatur und Literaturproduktion des sogenannten Dritten Reichs ist nachzulesen, dass Schnack im Oktober 1933 als einer von 88 deutschen Schriftstellern das Treuegelöbnis vor Adolf Hitler unterzeichnete. Schnacks jüdischer Verleger Hegner wurde 1936 aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen, verließ Deutschland und emigrierte 1938 schließlich nach London.8 1940 nahm Friedrich Schnack an einer »Dichterfahrt ins Kampfgebiet des Westens« teil, einer von Staat und Wehrmacht veranlassten Besichtigung von Kampfstätten, über die Otto Henning im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel berichtete und zu der »vierzehn namhafte deutsche Dichter«9 eingeladen wurden. Abgesehen von Einträgen in einschlägigen Lexika und Nachschlagewerken ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Friedrich Schnacks Werk v. a. seit den 1960er Jahren überschaubar und konzentriert sich gerade nicht auf dessen frühe Prosawerke.10 Einzig Ruth Kilchenmann widmet den drei Märchenromanen einige Zeilen, bevor sie den Fokus auf Schnacks zweite Werkphase und damit auf die Romane Beatus und Sabine, Sebastian im Walde und Die Orgel des Himmels setzt – jene Romantrilogie, die Schnack einem breiteren Publikum bekannt machen sollte.11 Zu den Märchenromanen schreibt Kilchenmann: Die seelisch-geistige Struktur dieser Märchen wurzelt nicht im zwanzigsten Jahrhundert, sondern zeigt Anklänge an die mystisch-gläubige Haltung des Mittelalters und zugleich an die Formensprache des 17. Jahrhunderts. Die Einheit von Form und Gehalt macht eine objektive Wirklichkeitsschau bei dem traumhaften Geschehen fast unmöglich, und doch werden sogar in diesem Märchen [Klingsor, L. Z.] die Vorgänge geschildert, wie sie sich auf der

|| 7 Für biographische Daten zu Friedrich Schnack vgl. Schwab (wie Anm. 2); Die deutschsprachige Presse. Ein biographisch-bibliographisches Handbuch, bearb. von Bruno Jahn, Bd. 2, München 2005, 953; Ingrid Bigler-Marschall, Art. ›Schnack, Friedrich‹, in: Heinz Rupp und Carl Ludwig Lang (Hrsg.), Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch, begründet von Wilhelm Kosch, 3., völlig neu bearb. Aufl., Bd. 15, Bern 1993, 528–32. 8 Vgl. Heinrich Wild, Art. ›Hegner, Jakob‹, in: Neue Deutsche Biographie 8 (1969), 234f., online unter: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118709542.html [letzter Zugriff: 07. Mai 2018]. 9 Otto Henning, ›Dichterfahrt ins Kampfgebiet des Westens‹ [1940, Auszug], in: Sebastian GraebKönneker (Hrsg.), Literatur im Dritten Reich. Dokumente und Texte, Stuttgart 2001, 128–30. 10 Für einen Überblick zur Forschungsliteratur zu Friedrich Schnack vgl. etwa Bigler-Marschall (wie Anm. 7). 11 Vgl. Manfred Bosch, ›Der Sekretär des Ewigen. Friedrich Schnack und seine Überlinger Jahre‹, in: ders., Boheme am Bodensee. Literarische Leben am See von 1900 bis 1950, Lengwil am Bodensee 1997, 207–11, hier: 208.

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Ebene der Wirklichkeit abspielen. Unglaubhaftes und Unwirkliches wird durch das geformte künstlerische Umsetzen von Gedanken und Visionen in Bilder glaubhaft und wirk12 lich.

Als Beispiel für Schnacks Neigung zur Wirklichkeitsbeschreibung bei gleichzeitiger Darstellung von Märchenhaft-Phantastischem nennt Kilchenmann die vergleichbar detaillierte Beschreibung der Flugbahn des Vogels Kappi. In Klingsor bringt Kappi den Ich-Erzähler, diesen auf dem Rücken tragend, übers Meer zum Schloss des Zauberers und kämpft dabei, obwohl die menschliche Last von der »arabische[n] Sonne ausgedörrt« (31) war, mit dem ungewohnten Gewicht. Während der Ich-Erzähler – eine einigermaßen ungewöhnliche Erzählperspektive für einen Märchentext – ohne Namen bleibt, ist die Vogelgestalt Kappi aus dem GilgameschEpos bekannt. Die Gattung des Märchens erlebt während des frühen 20. Jh. eine regelrechte Konjunktur; Kunstmärchen, Bearbeitungen der Kinder- und Hausmärchen und orientalische Märchen erscheinen in zahlreichen Auflagen und Versionen, und auch die Forschung zum Märchen, wie etwa der Aarne-Thompson-Index13 oder Propps Morphologie des Märchens,14 etabliert sich als Teil der Erzählforschung. Dass Schnack, der auch in seinen frühen lyrischen Arbeiten, die von der Kritik durchweg positiv aufgenommen wurden,15 ein großes Interesse für phantastische Inhalte zeigt, seine Prosaarbeit mit einem Märchen, genauer mit einem Zaubermärchen, beginnt, kann also dem literarischen Interesse der Zeit geschuldet sein; dass Klingsor jedoch – neben einem dem Zaubermärchen durchaus inhärenten Formwillen – eine bemüht dichte Stoffmischung aufweist, ist immerhin auffällig. Die verhältnismäßig klaren Strukturen des Zaubermärchens, deren ›Funktionen‹ oder ›Handlungskreise‹ in der Terminologie Propps, füllt Schnack mit einer enormen stofflichen Vielfalt.16 Dass er Figuren der sumerischen Literatur in sein Märchen integriert, entspricht wohl ebenso einer literarischen Vorliebe der 1920er

|| 12 Kilchenmann (wie Anm. 3), 258. 13 Basierend auf Vorarbeiten Antti Aarnes von 1910 veröffentlichte Stith Thompson 1927 eine erste Erweiterung des Systems, 1961 eine zweite. 14 1928 im russischen Original, 1972 erstmals in deutscher Übersetzung erschienen. 15 Für entsprechende Zitate aus der Literaturkritik vgl. Felix Wittmer, ›Leitmotive und thematische Gestaltung in den Heimatromanen Friedrich Schnacks‹, The Germanic Review 9 (1929), 260–76, hier: 260. 16 Wittmer (wie Anm. 15), der sich vornehmlich mit Schnacks Heimatromanen beschäftigt, sieht in Klingsor zwar »die Atmosphäre aus Parsival, aus Dornröschen, aus der Zauberflöte verwoben« (262), nennt jedoch keinen Stoff abseits der deutschsprachigen Tradition.

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Jahre,17 darf aber dennoch als frühe literarische Rezeption des Gilgamesch-Epos gelten. Zwar datiert die erste deutschsprachige Übersetzung des Stoffes von Alfred Jeremias unter dem Titel Izdubar-Nimrod18 aus dem Jahr 1891, größere Bekanntheit jedoch erlangte erst die Übersetzung Albert Schotts von 1934.19 Schotts Lehrer, Peter Jensen, legte 1906 den ersten und 1928 den zweiten Band von Das Gilgamesch-Epos in der Weltliteratur20 vor und sorgte damit »für eine kontrovers geführte Diskussion über die Verbreitung und Wirkung des Epos«.21 Schnack verbindet also zumindest zwei ›Modeerscheinungen‹ der Zeit, indem er sich einerseits auf die Gattung Märchen und andererseits auf die Rezeption sumerischer Stoffe konzentriert.

2 Klingsor: Figuren und Stoffe In traumhaft-transzendenter und zugleich märchenhaft-magischer Atmosphäre erzählt der namenlose Ich-Erzähler von der Befreiung seiner Geliebten Melusine aus dem Schloss Uruk, in dem der Zauberer Klingsor noch etliche andere Gefangene hält. Mit Hilfe einer sterbenden Greisin und ihres Geliebten, der in den Vogel Kappi verwandelt wurde, kann der Ich-Erzähler Uruk erreichen, dort den zahlreichen magischen Versuchungen, die Klingsor für ihn bereithält, widerstehen und so den Zaubermeister besiegen und Melusine befreien. Als handelnde Figuren der Haupthandlung lässt Schnack den erwähnten Ich-Erzähler und dessen Geliebte Melusine auftreten, dann die Greisin und deren Geliebten Mollah Izzet in Gestalt des Vogel Kappi und schließlich Klingsor selbst. Die Erzählung ist in Ara-

|| 17 Vgl. Volkert Haas, ›Die junge Wissenschaft Assyriologie in der Schönen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts‹, in: Wolfgang Schuller (Hrsg.), Antike in der Moderne, Konstanz 1985 (Xenia. Konstanzer Althistorische Vorträge und Forschungen 15), 71–104, hier: 98. 18 Izdubar-Nimrod. Eine altbabylonische Heldensage. Nach den Keilschriftfragmenten dargestellt, hrsg. von Alfred Jeremias, Leipzig 1891. 19 Schotts Ausgabe wurde von Wolfram von Soden mehrfach überarbeitet und herausgegeben: Das Gilgamesch-Epos, neu übers. und mit Anm. versehen von Albert Schott, durchges. und ergänzt von Wolfram von Soden, Stuttgart 1958. Auf Basis der Übersetzung Andrew R. Georges legte Stefan M. Maul 2005 eine der neuesten deutschsprachigen Übersetzungen des Epos vor: Das Gilgamesch-Epos, neu übers. und komm. von Stefan M. Maul, München 52012. 20 Peter Jensen, Das Gilgamesch-Epos in der Weltliteratur, Bd. 1: Die Ursprünge der alttestamentlichen Patriarchen-, Propheten- und Befreier-Sage und der neutestamentlichen Jesus-Sage, Straßburg 1906; ders., Das Gilgamesch-Epos in der Weltliteratur, Bd. 2: Die israelitischen Gilgamesch-Sagen in den Sagen der Weltliteratur, Marburg 1928. 21 Das Gilgamesch-Epos, übers., komm. und hrsg. von Wolfgang Röllig, Stuttgart 2009, 8.

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bien angesiedelt, auf dem Berg Zeitun und dem Schloss Uruk; nach dem Tod Klingsors, durch den sein dunkler Zauber beendet und die Figuren wieder in ihre ursprüngliche Gestalt verwandelt werden, führen zwei Binnenerzählungen nach Frankreich (die phantastische Erzählung des ehemaligen Küchenchefs Gustav Malmaitre, der von Klingsor entführt und in einen pferdehufigen Boten verwandelt wurde) sowie Bagdad (die Erzählung des Mollah Izzet, der von Klingsor in den Vogel Kappi verwandelt wurde und dessen Geliebte zur Buhle des Zauberers und später zur verfluchten Greisin wurde). Dabei schöpft Schnack aus einer geradezu unerschöpflichen Quelle an historischen, literarischen sowie religiösen Traditionen und Erzählstoffen. Sowohl der Ich-Erzähler als auch die übrigen Figuren geraten bei Schnack in ein dichtes Fahrwasser von Anspielungen, Zitaten und Entlehnungen, die dem Protagonisten dienlich sind und an denen der Antagonist Klingsor letztlich zugrunde geht. Während der Ich-Erzähler neutestamentliche Wertvorstellungen repräsentiert (10: »Sie [die sterbende Greisin, L. Z.] bot einen grauenvollen Anblick. Aber ich ertrug ihn, denn ich hielt mich an das Wort Christi«) und Klingsor den Artusstoff, konzentriert sich Schnack in Bezug auf die übrigen Figuren sowie auf die Orte der Erzählung vermehrt auf Stoffe aus dem arabischen Raum. Das Schloss Uruk etwa ist wohl eine Reminiszenz an die mesopotamische Stadt Uruk – aus historischer Perspektive eines der Zentren der sumerischen Kultur, aus literarischer Perspektive einer der wesentlichen Schauplätze des Gilgamesch-Epos; der namengebende König Gilgamesch war der sumerischen Königsliste zufolge selbst Herrscher über die Stadt. 1912 begannen im Gebiet um Uruk (das heutige Warka im Irak) Grabungen der Deutschen OrientGesellschaft, nicht zuletzt, weil das öffentliche Interesse an den ›Ländern der Bibel‹ in der zweiten Hälfte des 19. Jh. stark gestiegen war.22 Schon zu Beginn des 20. Jh. wurden vom Archäologen Walter Andrae Grabungen in Assur aufgenommen. Er erforschte »vornehmlich Befestigungswerke, Palastbauten und Heiligtümer wie die der Kriegs- und Liebesgöttin Ischtar.«23 Ischtar wiederum gilt als Hauptgöttin der Stadt Uruk und liebt im Gilgamesch-Epos den Vogel Kappi; deren Abbildung ziert in Schnacks Klingsor als Symbol von Sinnlichkeit und Erotik das Schloss Uruk. Ein weiteres Beispiel für Schnacks Verweis- und Montagetechnik ist Mollah Izzet. Er war ein osmanischer Dichter (1785–1829) und Vater des Staatsmannes Mehmed Fuad Pascha. Auch Schnack inszeniert Mollah Izzet als Dichter, in der zweiten Binnenerzählung gibt dieser selbst Auskunft über seine poetische Vergangenheit:

|| 22 Vgl. dazu etwa die Informationen auf den Seiten der Deutschen Orient-Gesellschaft; online unter: http://www.orient-gesellschaft.de/dog.html [letzter Zugriff: 07. Mai 2018]. 23 Ebd.

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Frühzeitig gab ich mich dem Studium der Wissenschaften und der Liebe für die Künste hin. Ich versenkte meinen Geist in die Dichtkunst des Abendlandes und vergrub mein Herz in die Reichtümer der persischen und arabischen Meisterwerke. Ich selbst habe es als Dichter zu einer gewissen Vollkommenheit und Ehre gebracht. (72f.)

Demzufolge endet das Märchen mit einem Lied des Mollah Izzet über die Heimat. Die zeitlich doch sehr weitreichenden Bezüge auf die literarische, mythische sowie historische und politische Tradition des geographisch weit gefassten Orients reichen somit vom zweiten vorchristlichen Jahrtausend bis ins 19. Jh. und konzentrieren sich vornehmlich auf die Schauplätze der Erzählung sowie auf das Liebespaar Greisin/Mollah Izzet, das Schnacks Ich-Erzähler als Helferpaar zur Seite steht. Diese offensichtliche stoffliche Überfrachtung des Textes, die, so scheint es zumindest, abgesehen von räumlich-geographischen Gemeinsamkeiten von funktionaler Beliebigkeit geprägt ist, steht zunächst im Widerspruch zum Titel. In Klingsor werden Figuren präsentiert, die aus je unterschiedlichen literarischen Traditionen entlehnt sind, die demzufolge zunächst vereinzelt und aus ihren ursprünglichen Stoffkreisen entrissen erscheinen, die jedoch im Zusammenspiel des Textes schließlich zu einem funktionierenden Ensemble werden. Was die Figur des Klingsor betrifft, hält sich Schnack – anders als einige frühere Klingsor-Rezeptionszeugnisse, etwa bei den Romantikern Novalis und E. T. A. Hoffmann oder auch nahezu zeitgleich bei Hermann Hesse – tendenziell an den Figurenentwurf aus Wolframs Parzival sowie Wagners Parsifal und weniger an die Klingsor-Figur des Sängerwettstreits auf der Wartburg. Während Wolframs Text jedoch Ambiguitäten in Bezug auf die Beurteilung der Figur inszeniert, entwirft Schnack eine eindeutig dem Bereich des Bösen zuzuordnende Figur ohne jegliche positive Qualitäten, ohne lautere und ehrbare Vorgeschichte, ohne dass sie ein in irgendeiner Weise angemessenes Verhalten zeigte. Während Wolframs Klingsor trotz seiner ehemaligen Verfehlung das Höfische nicht völlig abhandengekommen ist – Klingsors illegitime Liebe zu Iblis resultierte in seiner Kastration, daraufhin lernte er in Persida die Kunst der Zauberei; er sinnt auf Rache und wird dennoch als »hövesch unde wîs« (Parzival, 618, 1)24 beschrieben –, zeigt Schnacks Figur keine Entwicklung vom Guten und Menschlichen hin zum Bösen und Magischen.

|| 24 Benutzte Ausgabe: Wolfram von Eschenbach, Parzival, nach der Ausgabe Karl Lachmanns revidiert und komm. von Eberhard Nellmann, übertragen von Dieter Kühn, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1994 (Bibliothek des Mittelalters 8/Bibliothek deutscher Klassiker 110).

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3 Kappi im Zaubermärchen Die erste Erwähnung findet Klingsor in den Worten der sterbenden Greisin, die dem Ich-Erzähler gleichermaßen Helfer- wie Schenkerfigur ist. Die Alte prophezeit dem Ich-Erzähler, er werde finden, was er sucht: ›Ihr werdet es finden!‹ sagte sie wieder und bestimmter. ›Durch mich werdet Ihr Eure Geliebte finden...‹ [...] ›Klingsor, der Erzzauberer, hält sie auf seinem Schloss Uruk gefangen. Er will sie zu seiner Geliebten machen, wenn der Herbstpunkt über dem gespaltenen Erdenapfel steht.‹ (13f.)

Die Geliebte – so weiß die Alte zu berichten – muss bis zum Herbst befreit werden und wird ansonsten von Klingsor bezwungen, ein Schicksal, das – wie die Alte wenig später berichtet – ihr eigenes ist. Auf die Frage des Ich-Erzählers, warum Klingsor Melusine nicht schon heute bezwingt, antwortet diese: Ha! Ha! Gewiß, oh gewiß! Wenn es daran läge! Hört: Auf Klingsors Leben lastet ein Fluch. Er ist die Hälfte des Jahres zur Schwäche verdammt. Nur ein halbes Jahr darf er Mann sein. Erst die Wiederkehr des Herbstzeitpunktes bringt ihm seine Kraft zurück! (14)

Die Greisin, die Klingsors Gewalt erlebt hat, ist daran zerbrochen – zur Wiederkehr des Frühlingspunktes war sie »ein altes, häßliches Weib« (15). Schnack entwirft einen Zauberer, der – ganz im Gegensatz zur Figur bei Wolfram25 – nur halbjährig entmannt ist und die andere Hälfte des Jahres nach Lust und sexueller Erfüllung strebt, seine Gefährtinnen jedoch zugrunde richtet. Schon ein flüchtiger vergleichender Blick von Chrétiens Zauberer ohne Namen über Wolframs Clinschor und Richard Wagners Klingsor hin zu Schnack zeigt das narrative Potenzial der Figur. Während im altfranzösischen Text biographische Details fehlen, liefert Arnive im Gespräch mit Gawan die entsprechenden Informationen über die ehebrecherische Liebe Clinschors zu Iblis und die Kastration durch den gehörnten sizilianischen König Ibert. Wolfram lässt seine Clinschor-Figur zwar nicht aktiv handeln, deren Schikanen sind im Text jedoch umso präsenter und mit dem verzauberten Litmarveile auch als sexualisierter Ausdruck der Rache zu verstehen. Noch expliziter agiert Wagners Klingsor, der zwar selbst für seine (ebenso permanente) Entmannung verantwortlich zeichnet, jedoch dafür sorgt,

|| 25 »er wart mit küneges henden / zwischenn beinn gemachet sleht. / des dûhte den wirt, ez wær sîn reht. / der besneit in an dem lîbe, / daz er decheinem wîbe / mac ze schimpfe niht gefrumn« (657, 20–25).

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dass Amfortas den Versuchungen der Kundry erliegt, wie auch Parsifal den Verlockungen im Zaubergarten erliegen soll. Wagners Klingsor sexualisiert Kundry und macht sie zum Werkzeug, um andere aufgrund derer sexuellen Verfehlungen zu vernichten. Schnack schließlich beschränkt die Entmannung des Zauberers auf eine jährlich wiederkehrende sechsmonatige Frist, konzentriert die Gewaltund Rachephantasien der Figur auf das übrige Halbjahr und inszeniert als Akteur der vernichtenden Sexualität – dies unterscheidet Schnack von seinen Vorlagen – den Zauberer selbst: »Wer Klingsors Buhlin war, liebt nie wieder, wird nie wieder geliebt« (15). Der Zauberer jedoch – das nimmt die Alte in derselben Szene, in der sie den Ich-Erzähler über die Halbjahresfrist informiert, vorweg – wird besiegt werden: ›Ich hasse ihn... Oh!... Aber Ihr werdet ihn töten [...].‹ Mein Herz schlug laut. Ich war tief erregt. Wie sollte ich mit Klingsor, dem Urzauberer, fertig werden? [...] ›Beunruhigt Euch nicht!‹ tröstete sie zerrissen. ›Ihr werdet sie ja befreien und den Zauberer töten.‹ (15)

Die Alte hat dem Zauberer »in den Augenblicken seiner Lust« (16) – für Klingsor ein Moment der Unachtsamkeit – einige Zaubersteine und Zaubersprüche geraubt und gibt dem Ich-Erzähler einen Stein. Sie instruiert ihn: »›Hier ist der Stein. Nehmt ihn! Mit ihm werdet Ihr gegen Klingsor kämpfen. Wenn Ihr mich begraben habt, ruft den Vogel Kappi. Er wird Euch führen.‹« (17). Wäre Schnacks Klingsor eines der 100 russischen Zaubermärchen, die Propps Korpus formten, würde diese Szene als 14. Funktion ›Empfang eines Zaubermittels‹ klassifiziert werden.26 Ein Vogel Kappi jedenfalls wird im Gilgamesch-Epos erwähnt; auf der sechsten Tafel spricht Gilgamesch zu Ischtar, der Göttin für Sexualität und Krieg: Dumuzi, deinem Jugendgeliebten, ihm hast du Jahr für Jahr zu weinen bestimmt. Als du den bunten allalu-Vogel liebtest, hast du ihn geschlagen, seinen Flügel zerbrochen, 27 in den Wäldern weilt er nun und ruft ›kappi‹ (d. h. ›mein Flügel‹). (Tafel IV, V. 46–50)

Dumuzi oder der Hirtengott Tammuz, ehemals König von Uruk, wurde – so Röllig – »als Ersatz für die dort zunächst festgehaltene Göttin [Ischtar, L. Z.] jeweils für die Hälfte des Jahres ins Totenreich gebracht und mit vielen Klagegesängen

|| 26 Vgl. Vladimir Propp, ›Morphologie des Märchens (Auszug aus Morphologie des Märchens, übers. von Christel Wendt, ausgewählt und komm. von Christiane Hauschild)‹, in: Wolf Schmidt (Hrsg.), Russische Proto-Narratologie. Texte in kommentierten Übersetzungen, Berlin, New York 2009 (Narratologia. Contributions to Narrative Theory 16), 131–61, hier: 144. 27 Zitierte Ausgabe: Röllig (wie Anm. 21).

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beweint.«28 Jeremias sieht darin den Keim des Tammuz-Kultus, der an den Adonis-Kultus sowie an den Balder-Kultus erinnere, und stellt – möglicherweise nicht zu Unrecht – die Frage: »Welcher Vogel schreit kappi?«29 Im Epos jedenfalls wird Dumuzi als Geliebter vom Vogel Kappi abgelöst. Schnack vermengt die babylonische Mythologie mit Wolframs und Wagners Klingsor-Figur, nimmt Motive (wie etwa die Halbjahresfrist), Schauplätze (wie Uruk) oder Figuren (wie Kappi oder Ischtar) auf und integriert diese in die Erzählung, die formal wiederum – bei allen berechtigten Zweifeln am wissenschaftlichen Mehrwert von Propps morphologischen Analysen – den strukturellen Auffälligkeiten des Zaubermärchen zu entsprechen scheint.

4 Klingsor auf Schloss Uruk Wir haben es mit einem Text zu tun, der mit einem bekannten Namen aus der Gralssage betitelt ist und dessen Inhalt aufs Kürzeste zusammengefasst davon erzählt, dass der namenlose Held den mächtigen, aber dunklen Zauberer Klingsor besiegt und dadurch seine Geliebte wiedergewinnt. Wir haben es außerdem mit einem Text zu tun, der durch seinen Untertitel sowie einige formale Merkmale vorgibt, ein Zaubermärchen zu sein, und neben der Gralssage narrative Elemente aus anderen epischen sowie mythologischen Traditionen verarbeitet. Wollte man einen aus diesen Beobachtungen resultierenden kleinsten gemeinsamen Nenner bestimmen, könnte man den Umstand, dass Literatur hier aus Literatur hervorgeht, anführen. Schnack präsentiert einen Text, der aus etlichen anderen Texten zu bestehen scheint. Die spezifische Poetologie Klingsors resultiert in der Ambivalenz zwischen Stoff und Form; einer äußerst dichten inhaltlichen Gemengelage, die mitunter fragwürdig anmutet, steht eine formale Schlichtheit gegenüber, die wiederum von Reduktion und Strenge geprägt ist. Ob diese ambige Konzeption der literarischen Qualität zuträglich ist, sei hier – nicht zuletzt aufgrund des gewiss vorhandenen, jedoch keinesfalls affirmativ aufgenommenen satirischen Potentials des Textes – zumindest in Frage gestellt. Als die Alte auf dem Berg Zeitun, wo die Begegnung mit dem Ich-Erzähler stattfindet, stirbt, möchte sie mit dem Gesicht nach Süden begraben werden. Auf die Nachfrage des Ich-Erzählers antwortet sie: »Allah wird mir verzeihn! Dies sei mein Triumph im Grabe: Uruk liegt im Süden!« (18). Der Ich-Erzähler begräbt

|| 28 Röllig (wie Anm. 21), 153. 29 Jeremias (wie Anm. 18), 49f.

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seine Helferin, macht sich auf den Weg und gerät bald darauf in ein Schussgefecht, das der Zauberstein ihn unverwundet überstehen lässt. Daraufhin ruft er, wie von der Alten aufgetragen, den Vogel Kappi: »Da rauschte es in den Lüften, ein riesiger Adlervogel stürzte sich herab« (23), der den Ich-Erzähler bald an einen mythischen Vogel erinnert, an einen Greifen oder Phönix, später sogar an einen Herold und Liebesboten. »Kappi! Kappi! lockte ich freundlich. Führ mich zu Klingsors Schloss Uruk. Ich habe mit dem Zaubermeister zu schaffen« (25). Kaum im Schlossgarten angekommen, entdeckt der Ich-Erzähler ein Tuch und ein Buch: Das Tüchlein war seiden und gehörte meiner Geliebten. Ich roch daran und spürte die zarte, versonnene Duftflamme. Im Buch aber stand in hohen, fliegenden Schriftzügen der Namen ›Melusine‹. (34)

Die Ambiguität des Namens – entweder als Exlibris oder als Buchtitel verstanden – rührt (nicht nur) den Ich-Erzähler. Von Thürings von Ringoltingen Melusine, gleichzeitig Mahrtenehenerzählung sowie Gründungssage eines Adelsgeschlechts, borgt Schnack jedoch nichts als den Namen. Ganz im Gegenteil gleicht Schnacks Melusine weniger einer französischen Schlangenfrau als einer »nordischen Liebesmythe« (36), jedoch mit »Brüsten einer Undine und dem Schoß einer jungen Sylphide« (44f.). Schnacks Klingsor gerät hier beinahe zur Groteske, liest sich eher wie ein Index mythischer Gestalten denn als Charakterisierung einer literarischen Figur, denn kaum anzitiert, lässt der Ich-Erzähler etwaige narrative Fäden wieder fallen, anstatt diese funktional produktiv zu machen. Das Zitat scheint bei Schnack von der Ebene des discours kaum auf die Ebene der histoire übersetzbar zu sein; dass der Text mit auffallend wenig genutzten narrativen Möglichkeiten experimentiert, ist schnell deutlich: Das ›Wie‹ des Erzählens ist geprägt durch die Vielzahl an genannten Namen und Stoffen, das ›Was‹ des Erzählens jedoch bleibt trotz inhaltlicher Überfrachtung der reduzierten Struktur des Märchens verhaftet. Das Schloss selbst wird schließlich von einem Lindwurm bewacht. Kappi besiegt den Drachen, der Ich-Erzähler badet in dessen schwarzem Blut und fühlt sich dadurch Klingsor gewachsen: »Nun war ich völlig frei. Nun fürchtete ich Klingsor nicht mehr« (38). Tatsächlich lässt der Zauberer nicht lange auf sich warten: Eine Stimme schrie mit Höllenschall von oben, und ich sah einen hageren, schwarzhaarigen Mann mit erschreckend gelben Gesichtszügen in einem roten Burnus auf einem kleinen Balkon über dem Schloßeingang stehn. ›Halt!‹ donnerte er. ›Werde zum Hunde‹. (38f.)

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Klingsors Magie jedoch versagt, der Ich-Erzähler grüßt freundlich, während der Zauberer Hass, Gift und Erstaunen versprüht. Das Schloss, das Gefängnis, steht dabei im Zeichen einer übernatürlichen Sexualität: Über einem Eingang, dessen Bogenrund aus Alabaster war, leuchtete das Bildnis der assyrischen Liebesgöttin Ischtar. Die Blüten ihrer Brüste waren mit Diamanten besteckt, aus denen ein feuriges Licht blutete, und ihr Nabel glich dem Becher einer gierig geöffneten Lotosblume. Ihr Antlitz glühte von starrer, leidenschaftlich düsterer Brunst. (41)

Sexualität eignet den meisten Bearbeitungen der Klingsor-Figur; eine Sexualität, die von Gewalt und Zwang bestimmt ist, was wiederum den Zuständigkeitsbereichen von Ischtar, der Göttin für Krieg und Sexualität, entspricht.30 Um die Figuren Klingsor und Ischtar konzentriert Schnack die Themenfelder Gewalt und Sexualität, der Ich-Erzähler und Melusine erweitern den thematischen Diskurs um die Liebe – eine Liebe jedoch, die erst im letzten Augenblick, denn das Herbstäquinoktium naht, von den Gefahren der sexuellen Gewalt gerettet werden kann, was wiederum Mollah Izzet und seiner ehemaligen Geliebten respektive dem Vogel Kappi und der Greisin nicht gelungen ist. Mollah Izzet und seine Geliebte können so als transgressive Elemente verstanden werden, die zwischen der sexuellen Gewalt einerseits und der reinen Liebe andererseits vermitteln, wodurch wiederum für den Ich-Erzähler die Rettung der reinen Liebe (sowie der Geliebten) vor Klingsors angewandter Sexualität ermöglicht wird. Der Ich-Erzähler ist mittlerweile in das Schloss vorgedrungen und eilt durch die Zimmerfluchten, bis er in ein Zimmer gelangt, »in dessen Mitte ein breites Himmelbett aufgeschlagen war« (43): Das Holz des Bettes flimmerte. Ein Flammen ging von den Teppichen aus, unwirkliches Leuchten schwebte im Zimmer, ein Duft von Märzenblumen, Narzissen und Veilchen wehte auf mich ein. Da blitzte, schmal und drohend wie ein Schwert, ein nacktes Weib in dem matten, unbegreiflichen Glanz und breitete die Arme gegen mich aus. (44)

Aus dem Litmarveile Wolframs wird bei Schnack der Anfang einer Reihe von Versuchungen, denen der Ich-Erzähler – das weiß er – widerstehen muss, um Melusine zu retten: »Ich ahnte die entsetzliche Gefahr: berührte ich das Mädchen, war ich verfallen« (46). Während der Ich-Erzähler die reine Liebe Melusines den wollüstigen, wilden und obszönen Zaubergestalten entgegenhält, wird die Szene im-

|| 30 Zur Figur der Ischtar vgl. Claus Wilcke, Art. ›Inanna/Išhtar (Mesopotamien), A. Philologisch‹, in: Dietz-Otto Edzard (Hrsg.), Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie, Bd. 5, Berlin, New York 1976–1980, 74–87; Louise M. Pryke, Ishtar, New York 2017.

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mer dichter, bunter, lauter. Nackte Mädchen, Schultern, Brüste, in lasziven Stellungen, bieten sich dem Ich-Erzähler an und werden dabei von unsichtbaren Geigen, Harfen, Schalmeien und Flöten begleitet: »Das schwärmerische, glühende, erregende Orchester entlud sich, strömte aus, überschwemmte mich purpuren, granaten und blutlüsternrot« (47). Der Ich-Erzähler weiß jedoch: Ich muss durch diese Anfechtungen, Versuchungen und teuflischen Dinge und Gefahren hindurch, eh ich an der Brust der Geliebten ausatmen, ruhen und das Glück der Beständigkeit und der Weltweisheit finden kann. (48)

Mit letzter Kraft ruft er seine Geliebte an: »Hilf mir. Ohne dich bin ich nichts. Schütze mich« (48), woraufhin die verzauberten Geschöpfe verschwinden und der Ich-Erzähler ihnen im Zeichen Christi vergeben kann. Was in Wagners Parsifal Kundry überantwortet wird, wird in Schnacks Klingsor namenlosen Gestalten anvertraut: nämlich die Vernichtung durch Verführung. Als der Ich-Erzähler schließlich auf den Urzauberer trifft, stemmt sich dieser gegen eine Tür, hinter der der Ich-Erzähler Melusine wissen will: Die Tür hatte eine reiche und kunstvolle Intarsienarbeit von Gold, Elfenbein und rotem Achat. Es war Ishtar, die assyrische Liebesgöttin, begriffen in einer brünstigen Umarmung des Sonnengottes Schamach, der sie wie eine Fanfare durchdrang. (52)

Der Ich-Erzähler jedoch kann Klingsor vor dieser Tür und mit Hilfe des Zaubersteines besiegen: »›Oh Zauberer! Ischtar und Schamasch scheinen keine Zeit für dich zu haben. Stör sie nicht: sie sind beschäftigt! Zu ihren Füßen mußt du sterben [...].‹« (53). Begleitet von einer tosenden, qualmenden Feuersbrunst stirbt Klingsor schließlich, und Melusine wird aus ihrem Gefängnis befreit. Während Wolframs Clinschor auf seine Entmannung mit erzwungenem Zölibat für seine Gefangenen reagiert31 und Litmarveile die Gefahren des Minnedienstes repräsentieren soll, die erst Gawan überwinden kann, agiert Schnacks Klingsor die ihm verbleibende Sexualität auf gewalttätige und exponierte Weise aus. Dazu will er auch den Ich-Erzähler verleiten, beide jedoch – Schnacks Ich-Erzähler und Wolframs Gawan – berufen sich im entscheidenden Moment auf Christus: »›Im Zeichen Christi, der die Liebe ist, sei euch vergeben!‹« (48), ruft Schnacks Ich-Erzähler den weiblichen Versuchungen zu; Gawan hat schon vor der Litmarveile-Episode (Parzival, 566–73) erfahren, dass es schlussendlich an Gott liegt, für den guten oder eben schlechten Ausgang des Abenteuers zu sorgen:

|| 31 »sît si Clinschores kraft / mit sînen listen überwant. / si wârn ein ander unbekant, / unt beslôz se doch ein porte, / daz si ze gegenworte / nie kômen, frouwen noch die man« (637, 18–23).

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dar an ze lîden iu geschiht swaz got an iu wil meinen: nâch freude erz müeze erscheinen. (561, 28–30) Ihr werdet auf dem Bett erdulden, was von Gott für Euch bestimmt ist. Gebe Gott, es ende gut.

Wolframs Clinschor, weiß Arnive im Gespräch mit Gawan zu berichten, ist seit der Kastration durch den König ein »kapûn« (657, 8): der besneit in an dem lîbe, daz er decheinem wîbe mac ze schimpfe niht gefrumn. (657, 23–25) Er stutzte ihn dort so zurecht, daß er nie mehr einer Frau Lust bereiten kann.

Zu Scherzen oder Kurzweil mag aber auch Schnacks Klingsor nicht taugen, im Gegenteil liegt Melusine, als der Ich-Erzähler endlich »Ischtars Tür« (54) zu ihrem Zimmer öffnen kann, ohnmächtig und leichenblass am Boden. Durch den Tod Klingsors wird dessen magischer Bann aufgehoben, der Vogel Kappi kann sich zurückverwandeln in einen »schlanke[n] und schöne[n] arabische[n] Jüngling« (59) und stellt sich dem verwunderten Paar als Dichter Mollah Izzet vor. Auf die Rückverwandlung folgen die beiden schon erwähnten Binnenerzählungen: Hungrig in der Küche sitzend hören der Ich-Erzähler, Melusine und Mollah Izzet die Geschichte der Entführung des Gustav Malmaitre, die sich »um die Mitte des Monats März 19..« in Frankreich (65) zugetragen habe. Daran schließt der arabische Dichter seine Lebensgeschichte an. Während eines Treffens mit seiner Geliebten an einem Friedhof nahe Bagdads überfällt Mollah Izzet ein Frösteln, er verwandelt sich in einen riesigen Vogel, seine Geliebte erschrickt: »Meine Braut rief nach mir in zerreißendem Schmerz. Sie rief mich mit meinem Kosenamen: Kappi! Kappi!« (74). Ein Mann nähert sich der jungen Braut: Er hatte ein unheimlich düsteres und teuflisches Gesicht, war hoch und schlank von Gestalt und mit jenem Mantel bekleidet, der auch unserm Freund Gustav Malmaitre und wahrscheinlich auch unserer verehrten Freundin Melusine zum Verhängnis geworden war. (75)

Mollah Izzets Geliebte jedenfalls wurde von Klingsor geraubt, geschändet und zum Frühlingspunkt, als »die Zeit der Askese« (78) wieder anbrach, verstoßen.

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5 Die Form zum Schluss Nachdem die beiden intradiegetischen Erzähler ihre Geschichten beendet haben, kommt Schnack zum Schluss seiner Erzählung, der im Zeichen der Liebe steht. Auf eine Umarmung des Ich-Erzählers mit Melusine im entzauberten Zaubergarten folgt schließlich ein Lied des Mollah Izzet, womit das Märchen endet und die Rezipienten mit der Gewissheit entlässt, dass Klingsor mit Hilfe des GilgameschEpos besiegt wurde. Über der exzessiven und vernichtenden Sexualität Klingsors steht die Liebe des Ich-Erzählers zu Melusine, die den Sieg über den Zauberer erst möglich macht. Wie bei Wolfram, der mit Anfortas einen Gralskönig inszeniert, dessen Leid aus der illegitimen sexuellen Beziehung zu Orgeluse resultiert, wodurch der Fortbestand der Gralsgesellschaft gefährdet ist und erst durch die legitimen Nachkommen Parzivals gewährleistet werden kann, wird auch in Klingsor der sexuelle Regelverstoß durch beständige Liebe korrigiert. In Schnacks Text jedoch wird die überbordende, durch verschiedene Figuren und Quellen überladene stoffliche Masse durch die formale Gestaltung des Textes kontrolliert. Stoff und Form stehen einander in Klingsor diametral entgegen, indem die Form den Zusammenhalt des Stoffes garantiert, der erstens aufgrund seiner Thematik (Gewalt und Sexualität als prinzipiell unkontrollierbare Zustände), zweitens aufgrund seiner zahlreichen literarischen Entsprechungen und Entlehnungen aus den Fugen zu geraten scheint. Was stofflich ausgebreitet wird, schränkt Schnack formal wieder ein, indem etwa der Ausgang des Textes sowie einzelner Szenen vorgegeben zu sein scheint. Dass Klingsor bezwungen wird und Melusine überlebt, wissen sowohl die Rezipienten als auch der Ich-Erzähler des Textes schon bevor der Zauberer überhaupt auftritt. Dass der Ich-Erzähler Hilfe in Gestalt eines Vogels erhält, verkündet die Alte ebenso gleich zu Beginn. Die Greisin – könnte man sagen – moderiert und dirigiert das Geschehen durch ihre Prolepsen, fügt alles und bereitet die einzelnen Erzählstränge vor, die schließlich nur noch erzählt werden müssen. So zeichnet neben dem Ich-Erzähler jene Figur für den Zusammenhalt des Textes verantwortlich, die gerade nicht aus einer bekannten literarischen Tradition entstammt, sondern wie der Ich-Erzähler namenlos bleibt und Schnacks eigenes ›Produkt‹ zu sein scheint. Die Alte und der Ich-Erzähler bewegen sich somit nicht nur in einer Erzählwelt, die von Zitaten anderer Erzählwelten geprägt ist, sie sind auch aktiv daran beteiligt, dass aus diesen entlehnten Figuren und Motiven ein formal verhältnismäßig streng strukturierter Text mit nachvollziehbarer Handlung wird. So scheinen die Kompetenzen der einzelnen Figuren in Schnacks Text je unterschiedlich realisiert zu sein; während die aus anderen Tex-

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ten übernommenen Figuren die ihnen eigene literarische Tradition in das Zaubermärchen integrieren sollen, sind es die namen- und traditionslosen Figuren, die für das Entstehen des neuen Textes verantwortlich zeichnen. Schnacks Klingsor ist eine literarische Konzentration auf die Rezeption diverser Erzählstoffe und Figuren, eine abenteuerliche Mischung literarischer Traditionen, aus denen der Autor entlehnt und auf die der Text selbst mit einem formalen Strukturwillen zu antworten versucht im Bestreben, den zitierten Elementen narrativ beizukommen. Der Ich-Erzähler, die Greisin, Melusine, Klingsor, Ischtar, Kappi bzw. Mollah Izzet sind Figuren einer Märchenerzählung des 20. Jh., die auf Ambivalenzen gründet und deren Ordnung letztlich über formale Strukturen gewährleistet werden soll.

Angelica Rieger

Morgane moderne Abstract: What is the fascination with Morgane? What ensures her survival in modern literature, art, cinema and music? No other secondary character of the Arthurian legends has been as successful in the 21st century. We will try to follow the traces she has left behind by exploring her myth, her origins and her appearances. A double-faced fairy, good to some people, and wicked to others, she inspires numerous artists. As a representative example of Morgane’s wide-ranging appearances, this contribution offers a closer study of Fabien Clavel’s cycle L’Apprentie de Merlin (2010), Le Dragon et l’Épée (2010), L’Ogre et le Bouclier, La Fée et le Bâton and La Sorcière et la Coupe (2010–13).

Quelle est la fascination de la fée Morgane?1 Qu’est-ce qui assure sa survie dans la littérature, l’art, le cinéma et la musique modernes? Parmi les figures secondaires de la légende arthurienne, aucune n’a poursuivi son chemin jusqu’au XXIe siècle comme elle. Evidemment, il ne nous sera pas possible de suivre ses traces en retraçant son mythe, ses origines et ses nombreuses manifestations depuis ses débuts jusqu’à nos jours.2 Magicienne à double face, bonne fée pour les uns, mau-

|| 1 Nous utiliserons le nom en français moderne, « Morgane », pour désigner la protagoniste des narrations que nous analyserons ici. Pour les variétés du nom, cf. p. ex. Friedrich Wolfzettel, ‹ Fee / Feenland ›, in : Enzyklopädie des Märchens, vol. 4, éd. par Kurt Ranke, Berlin, New York 1984, 945–64, ici : 956–60 : « Fata Morgana » ; voir infra. 2 Pour un résumé cf. p. ex. Federico Gasparotti, Morgana. Donna, fata, strega, dea, Turin 2016 ; Jill Marie Hebert, Morgan le Fay, Shapeshifter, New York 2013, 119–51. Cf. aussi les études plus anciennes par Laurence Harf-Lancner, Les fées au Moyen Age : Morgane et Mélusine. La Naissance des Fées, Paris 1984 (Nouvelle Bibliothèque du Moyen Âge 8) ; Katharine Mary Briggs, ‹ Morgan Le Fay ›, in : ead., An Encyclopedia of Fairies. Hobgoblins, Brownies, Bogies and Other Supernatural Creatures, New York 1976, 303sq. ; Lucy Allen Paton, Studies in the Fairy Mythology of Arthurian Romance, New York 1903. Il faut également renvoyer, de manière exemplaire, aux recherches sur la littérature arthurienne, les lieux arthuriens et Merlin dans lesquelles Morgane est présente, cf. p. ex. Christine Ferlampin-Acher, Mythes et réalités. Histoire du Roi Arthur, Rennes 2009 ; Jean Markale, Le Roi Arthur et la société celtique, Paris 1983 ; Wolf-Dieter Lange, ‹ Keltisch-romanische Literaturbeziehungen im Mittelalter ›, in : Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters, t. 1 : Généralités, éd. par Maurice Delbouille et Hans-Ulrich Gumbrecht, Heidelberg 1972, 163–205 ; Dictionnaire des lieux et pays mythiques, éd. par Olivier Battistini et al., Paris 2011 (‹ Avalon ›, 113–16 ; ‹ Brocéliande, forêt de ›, 171–77 ; ‹ Îles fortunées ›, 509–18 ; ‹ Val sans retour ›, 1228–30) ; Nicolas Koberich, Merlin, l’enchanteur romantique, Paris 2008. https://doi.org/10.1515/9783110628104-014

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vaise pour les autres – « Shapeshifter », comme l’appelle Jill Hebert3 –, son ambivalence ne cesse de stimuler les artistes de siècle en siècle : depuis la célèbre image de Morgan Le Fay de Sandys (1864) ou encore les cycles de bandes dessinées comme Camelot 3000 (1982–1985) ou Excalibur Chroniques de Jean-Luc Istin (2002–2003), en passant par la Morgane qui charme le grand public dans Le Cycle d’Avalon de Marion Zimmer Bradley (The Mists of Avalon, 1983), par celle des séries télévisées comme Merlin (2008) ou Kaamelott (2005–2009), par la noire Morgane Le Fay du groupe heavy metal allemand Grave Digger et jusqu’à l’héroïne du cycle fantasy de Fabien Clavel, L’Apprentie de Merlin, (Morg)Ana. Il me faudra donc procéder de manière strictement exemplaire : je commencerai par (1.) un portrait de Morgane telle qu’elle nous est présentée dans la tradition arthurienne pour ensuite envisager (2.) quelques remarques sur ma perception de ses transformations comme témoignages de la culture de la mémoire de ses admirateurs, puis, me concentrerai (3.) sur une étude de cas respective à L’Apprentie de Merlin.4

1 Portrait de Morgane Morgane s’impose à la mémoire culturelle : « Si l’on faisait une liste des plus grandes fées de tous les temps », affirment Izzi et Petti, « Morgane figurerait sans nul doute sur le podium ».5 Malgré cette célébrité, elle est très peu présente au centre de la littérature arthurienne médiévale de langue française, chez Chrétien de Troyes. Nous ne rencontrons la magicienne que comme guérisseuse dans Yvain et surtout dans Érec, où elle fournit des onguents guérisseurs.6 Elle résider-

|| 3 Cf. Hebert (voir note 2). 4 Éditions citées : Fabien Clavel, L’Apprentie de Merlin, 4 vols., t. 1 : Le Dragon et l’Épée, Paris 2010 ; t. 2 : L’Ogre et le Bouclier, Paris 2011 ; t. 3 : La Fée et le Bâton, Paris 2012 ; t. 4 : La Sorcière et la Coupe, Paris 2013. Les renvois aux chapitres sont abrégés avec le numéro du volume ainsi que du chapitre, les citations avec le titre et la page. 5 Massimo Izzi et Lavinia Petti, ‹ Morgan le Fay ou fée Morgane ›, in : id., Fées – De Morgane aux Winx, Rome 2011, 72–80, ici : 74. 6 Yvain (composé vers 1177), 410sq. : « Car d’un oignemant me sovient / Que me dona Morgue la sage ; / Et si me dist que si grant rage / N’est an teste, qu’il ne l’en ost » (vv. 2954–57 : « Je me souviens d’un onguent que me donna la savante Morgane. Elle m’affirma qu’il chassait de la tête la rage la plus furieuse ») ; et Erec (composé vers 1165–70), pp. 103sq. : « Li rois mout parfont en sospire, / Puis feta porter un antret / Que Morgue sa suer avoit fet. / Li antrez ert de tel vertu, / Que Morganz ot doné Artu, / Que la plaie qui an est ointe, / Ou soit sor nerf ou soit sor jointe, / Ne faussist qu’an une semainne / Ne fust tote senee et sainne » (vv. 4218–26 : « Le roi soupira

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ait au Val Périlleux ;7 et son amant, Guiguemar, est cité comme le seigneur de l’île d’Avalon.8 Ses qualités de ‹ fileuse d’or › dans l’épisode de la chasuble offerte à Énide par Guenièvre et donnée à l’Église à l’occasion de son mariage avec Érec9 constituent une réminiscence de son passé légendaire (voir infra). Et ses évocations dans d’autres narrations médiévales ne sont guère plus fréquentes.10 Pour plus de détails, il faudra se tourner du côté anglophone, où ses traces s’embrouillent, où le nombre d’explications de son nom est presque aussi grand que celui de ses amants et il est impossible de résumer ici les différents rôles qu’elle jouera au cours des siècles : The transformation of Morgain’s role in the prose romances is due in a large measure to the difference in the nature and the purpose of the successive works in which she appears. It is not her character, but the changing context which determines the part assigned to her. The 11 process of blackening her character is a gradual one.

|| profondément et fit apporter un onguent que sa sœur Morgue avait préparé pour lui. Cet onguent était si merveilleusement efficace que si l’on en enduisait une plaie une fois par jour pendant une semaine, il guérissait entièrement aussi bien les os que les nerfs »). Édition citée : Chrétien de Troyes, Œuvres complètes, éd. par Daniel Poirion, Paris 1994 (Bibliothèque de la Pléiade 408). Cf. ibid., 1497, s. v. ‹ Morgane ou Morgue › ; cf. aussi E. H. Ruck, ‹ Magic and Mystery ›, in : id., An Index of Themes and Motifs in 12th-Century French Arthurian Poetry, Cambridge 1991 (Arthurian Studies 25), 167–75 – ‹ Morgain la Fée › : Y-a-3, 167. 7 Érec, p. 59 : « l’uevre an fist Morgue la fee / El Val Perilleus, ou estoit » (vv. 2375sq. : « l’œuvre de la fée Morgue du Val périlleux où elle réside »). 8 Érec, p. 48 : « Et Guingamars ses frere i vint, / De l’isle d’Avalons fu sire: / De cestui avons oï dire / Qu’il fu amis Morgant la fee, / Et ce fu veritez provee » (vv. 1918–22 : « et y vint aussi avec son frère, Guinguemar qui était seigneur de l’île d’Avalon et dont on nous affirme qu’il était l’ami de la fée Morgue, et c’était vérité prouvée »). 9 Érec, p. 59 : « Et une grant chasuble ovree, / Tote a fin or estoit brosdee. / Et ce fu veriez provee / Que l’ueve an fist Morgue la fee / El Val Perilleus, ou estoit ; / Grant antante mise i avoit. / D’or fu de soie d’Aumarie. / La fee fet ne l’avoit mie / a des chasubles por chanter, / Mes son ami la volt doner / Por feire riche vestemant, / Car a mervoille ert avenant » (vv. 2371–83 : « Et une grande chasuble garnie de broderies d’or fin. Et c’est une vérité prouvée que cette broderie était l’œuvre de la fée Morgue du Val Périlleux où elle réside. Morgue y avait mis tous ses soins. Ce drap était d’or et de soie d’Aumarie. Inutile de dire que Morgue n’avait pas fabriqué ce tissu pour en faire une chasuble à être portée pendant l’office religieux, mais elle avait donné ce merveilleusement beau tissu à un ami pour en faire un riche vêtement »). 10 Ruck (voir note 6), Le lai de Tyolet, v. 630 ; René de Beaujeu, Le Bel Inconnu, v. 4349. 11 Fanny Bogdanow, ‹ Morgaine’s Role in the Thirteenth-Century French Prose romances of the Arthurian Cycle ›, Medium Ævum 38 (1969), 123–33, ici : 130 (cf. son résumé, 123sq.) ; ainsi Briggs (voir note 2).

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Son surnom « Morgan le Fay » – Fata Morgana – confirme son origine féerique, mais ses origines remonteraient à la déesse-mère celtique Modron, vénérée comme les trois Deae Matres, représentées comme de vieilles fileuses. Ce « thème traditionnel » survit chez Chrétien de Troyes dans « celui des merveilleux tissus faits par la fée Morgue ».12 Nous devons sa première mention comme fée à Geoffrey of Monmouth, auteur de l’Historia Regum Britanniae, vers 1150, dans sa Vita Merlini. Elle y est « présentée comme la plus importante des neuf fées guérisseuses de l’île d’Avalon, une enchanteresse capable de changer d’apparence à son gré ».13 C’est à lui que Chrétien de Troyes doit, selon Poirion, l’idée de « Morgane la sage » : Dans cette œuvre, Morgane soigne son frère Arthur qui séjourne avec elle en Avalon après avoir été mortellement blessé. Morgane connaît la vertu des plantes et herbes médicinales ; elle l’enseigne volontiers aux médecins et guérisseuses ; cela explique, sans doute, l’adjec14 tif sage (savant) que lui applique Chrétien.

Thomas Malory l’a dotée, dans Le Morte d’Arthur, de parents – Gorlois, duc de Cornouailles et son épouse Ygerne –, de deux sœurs – Elaine et Morgause – et d’un demi-frère, le roi Arthur, conçu par sa mère Ygerne et Uther Pendragon, roi de Bretagne. Elle aurait reçu une éducation classique de jeune femme noble dans un couvent où elle aurait étudié les sept arts libéraux avant de passer aux leçons de magie avec son maître, Merlin l’enchanteur. La légende lui attribue de nombreux amants, à commencer par Merlin lui-même – qu’elle aurait quitté après avoir absorbé tout son savoir –, en passant par Guyomar (ou Guigemar), le cousin de Guenièvre, et son demi-frère, Arthur, avec qui elle aurait eu Mordred. Après la bataille de Camlann (537 av. notre ère), elle aurait emmené Arthur mourant sur l’île d’Avalon, en attente de sa résurrection. Dans la Suite Vulgate, par contre, elle est l’épouse du roi Urien et la mère d’Yvain. Ennemie d’Arthur, qui est protégé par sa rivale, Viviane (ou Ninmuë, Ninianne, Nina), la Dame du Lac, mère adoptive de Lancelot, elle cherche en vain à lui extorquer Excalibur pour son amant Accalon. En outre, ces deux fées, la sombre Morgane et la claire Viviane, sont si étroitement liées qu’elles se superposent parfois, et c’est un réseau étroit de légendes qui relie le monde d’Arthur et celui des fées.

|| 12 Poirion (voir note 6), 1088, note 1. 13 Izzi et Petti (voir note 5), p. 75 ; pour les détails cf. p. ex. Wolfzettel (voir note 1), 956sq. ; Hebert (voir note 2), 39–64 ; et le titre explicite de Gasparotti. 14 Poirion (voir note 6), 1211, note 1.

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2 Mémoire de Morgane Ce réseau participe à plusieurs identités culturelles. La mémoire collective de Morgane fait partie intégrante de la culture de mémoire de ces différentes cultures telles qu’elles se conservent par la littérature. La fonction élémentaire du médium ‹ littérature › dans la constitution de la mémoire collective est, selon Astrid Erll, « Inhalte (bzw. Gegenstände) des kollektiven Gedächtnisses zu speichern und durch die Zeit hindurch zur Verfügung zu halten ».15 Ces contenus sont ancrés dans la mémoire par ce qu’elle appelle des cues, qui déclenchent le rappel d’un contenu particulier.16 Ces cues diffèrent d’une culture à l’autre et cette différence, ancrée dans la mémoire culturelle de chacun, est relativement stable à travers le temps. D’une part, la puissance de Morgane ressort clairement de cette appartenance à différentes identités culturelles et, par conséquent, surtout de deux cultures de mémoire, une anglophone et une française. Ceci permet de formuler l’hypothèse selon laquelle ‹ Morgane moderne › change de visage selon les cultures de mémoire dont elle dépend – de Marion Zimmer Bradley à Fabien Clavel. Il est évident que ces changements peuvent aussi être considérés comme des jeux intertextuels17 soumis au medievalism18 et qu’ils témoignent aussi bien de la réception que du temps qui passe. Fanni Bogdanow et Brigitte Burrichter ont déjà souligné l’historicité de la fonction des fées et notamment de Morgane. Celle-ci, en effet, ne cesse de se transformer au cours des siècles.19

|| 15 Astrid Erll, ‹ Literatur als Medium des kollektiven Gedächtnisses ›, in : Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft. Theoretische Grundlegung und Anwendungsperspektiven, éd. par ead. et Ansgar Nünning, Berlin, New York 2005 (Medien und kulturelle Erinnerung 2), 249–76, ici : 254. 16 Ibid., 255. 17 Mon focus porte sur la culture de la mémoire, et je ne développerai donc pas cette perspective par la suite. Cf. p. ex. Marjolein Hogenbirk, ‹ Intertextuality ›, in : Handbook of Arthurian Romance. King Arthur’s Court in Medieaval Literature, éd. par Leah Tether et Johnny McFayden, Berlin, Boston 2017, 183–98. 18 Andrew B. R. Elliott établit, dans medievalism – in: Tether et McFayden (voir note 17), 293– 306 – une liste des innovations narratologiques du medievalism, basé sur la liberté des narrateurs vis-à-vis de leurs sources : « It is precisely this freedom from fidelity that brought about a tradition within twentieth-century Arthurian fiction of retelling the tale from traditionally marginalized narrative perspectives » (298) – dont la plus importante ouvre aussi le chemin à Morgane : « to shift the narrative perspective to other characters in the Arthuriad is what opens up the field » (ibid.). Parmi ses exemples, Elliott cite une autre adaptation de Morgane, par Nancy Springer, I Am Morgana Le Fay (2001). 19 Cf. Bogdanow (voir note 11) ; Brigitte Burrichter, ‹ Die narrative Funktion der Feen und ihrer Welt in der französischen Artusliteratur des 12. und 13. Jahrhunderts ›, in : Das Wunderbare in

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Mais d’autre part, à l’heure de la globalisation, ces deux réseaux d’origine, celui d’une Morgane française et celui d’une Morgane britannique, finissent par se superposer dans une mémoire globalisée déterminée par une sélection limitée des mêmes cues. Ces derniers peuvent se constituer de stéréotypes, de symboles, de motifs ou de matières qui assurent leur présence dans la mémoire collective actuelle. Un exemple de la culture populaire : trois des cues collectifs qui suscitent la mémoire de Morgane sont sa beauté, son ambivalence et sa sournoiserie. Tous les trois sont également attribués aux chats et aux femmes. Or, ‹ Morgane › est devenu un nom de chat autant en vogue que ‹ Merlin › et un nom de femme fatale par excellence. Dans un médium littéraire, les cues sont évidemment plus complexes et il s’agira, dans mon étude de cas, de déterminer les cues constitutifs de l’image de la ‹ Morgane moderne › de Clavel.

3 Cues de Clavel Fabien Clavel (*1978) crée depuis 2007 des séries de fantasy et de science-fiction pour les éditions Mango Jeunesse dont le cycle de quatre volumes L’Apprentie de Merlin fait partie. De formation classique, il se spécialise dans les romans jeunesse20 et c’est par cette voie que la Matière de Bretagne et l’image de Morgane arrivent chez un large public de jeunes lecteurs de langue française du XXIe siècle. Clavel raconte l’histoire des chevaliers de la table ronde depuis la perspective de la jeune protagoniste, (Morg)Ana, apprentie de Merlin. Il admet que la fée se prête bien au genre : « C’est vrai que c’est pratique, parce que souvent, ce qu’on demande en littérature jeunesse, c’est d’avoir un héros qui soit à peu près de l’âge, ou un peu plus, des lecteurs ». Inspiré par les légendes qui courent sur « Morgane et Viviane, qui dans certaines œuvres sont les disciples de Merlin », Clavel choisit consciemment une protagoniste « apprenti-e » de Merlin : Je pense que le thème comme ça, il se prête bien à la littérature jeunesse, puisqu’on a effectivement, on reprend le roman d’apprentissage, qui est un grand classique de la fantasy. On a souvent le héros très jeune qui grandit petit à petit, qui devient très puissant, qui arrive

|| der arthurischen Literatur. Probleme und Perspektiven, éd. par Friedrich Wolfzettel, Tübingen 2003 [SIA 5], 281–96, ici : 281 : « Die Rolle der Fee ist allerdings in der Artusliteratur nicht konstant, sie ändert sich je nach Autor und Jahrhundert ». 20 Outre une douzaine de romans pour adultes il est, aussi sous le nom de John Gregan, l’auteur d’une vingtaine d’œuvres qui relèvent de ce genre, comme p. ex. La Dernière Odyssée (2007–09) ou Panique dans la mythologie (2016–17) ; cf. https://fr.wikipedia.org/wiki/Fabien_Clavel, https:// fr.wikinews.org/wiki/Interview_de_Fabien_Clavel et http://clavelus.blogspot.de/ [2017-12-15].

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presque au début de l’âge adulte, à la fin du cycle ou du roman. Et en même temps, ça permet d’aborder la littérature arthurienne sous un point de vue un petit peu neuf. Donc c’est 21 très pratique, je pense que c’est pour ça que ça va être intéressant.

Quelle est donc cette nouvelle approche de la littérature arthurienne ? En gros, nous suivons la protagoniste dans une véritable jungle de réminiscences diverses du mythe. Clavel puise généreusement dans ses sources pour donner une identité neuve à Morgane. Quels sont les cues qu’il y retient ? Un regard en arrière : que savons-nous de Morgue après la lecture déjà évoquée de Chrétien de Troyes ? Elle habite le Val Périlleux avec son amant Guigemart ; elle est savante, réussit à fabriquer des onguents guérisseurs et à filer des draps d’or. C’est tout. Si Clavel ne savait que cela, ce serait un vrai défi de développer le thème, mais il s’inspire évidemment de beaucoup de détails empruntés à des narrations plus tardives, des lectures rassemblées pêle-mêle, puisées dans la littérature arthurienne anglo- et francophone. Il n’est pas question de retrouver et discuter ces sources ici. Ce qui m’intéresse, c’est ce que Clavel en a retenu dans ses quatre volumes dédiés à sa Morgane-apprentie. Comme il se doit pour une héroïne du genre ‹ roman jeunesse ›, la protagoniste est une jeune femme de quatorze ans, au seuil de l’adolescence où elle sera maintenue artificiellement par un sort. Elle ne changera donc pas d’âge du premier au quatrième volume, tandis que le temps, beaucoup de temps, passera. L’astuce de Clavel consiste en l’axiome que les magiciens doivent – d’une aventure à l’autre – dormir longtemps pour récupérer leurs forces. Pour dormir, Morgane se retire, comme Merlin, dans une cabane magique au cœur de la forêt de Brocéliande, l’Esplumeor. Comme sa vie est étroitement liée à celle d’Arthur, dont elle partage les étapes essentielles, cet état d’adolescence éternelle durera de la naissance d’Arthur à sa mort, une vie d’homme. Le premier sommeil de Morgane dure quinze ans, de la naissance d’Arthur à Tintagel à la veille de sa consécration par l’épisode de l’extraction d’Excalibur du rocher. À son réveil, Morgane retrouvera donc un Arthur adolescent, de son âge. Son deuxième sommeil la sépare de lui au moment de la création de la table ronde, à Camaloth, et sera encore plus long que le précédent. Lorsqu’elle se réveille de nouveau à l’Esplumeor, Arthur, homme mûr, règne sur Logres depuis déjà vingt ans. Lors de son troisième sommeil, le plus long de tous, elle se repose de sa métamorphose d’Ana en Morgana et ne se réveille que vingt-cinq ans plus tard, quand Arthur est l’homme âgé qu’elle accompagnera à Avalon, où ils commenceront, lui rajeuni et elle libérée de son sort d’éternelle adolescence, une vie nouvelle. Au total, les soixante ans de

|| 21 Les citations proviennent de https://fr.wikinews.org/wiki/Interview_de_Fabien_Clavel [2017-12-15].

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sommeil de Morgane permettent de raconter la légende arthurienne complète depuis sa perspective personnelle, ce qui l’accentue d’une manière particulière. Nous suivrons Morgane dans sa quête identitaire rebelle, dans ce monde d’hommes, dont les principaux représentants seront son maître mystérieux, Merlin, et son grand amour impossible, Arthur. Le scénario de sa quête identitaire est le monde arthurien au grand complet, perçu dans la perspective d’une adolescente. Au début du cycle, Morgane est encore Ana, une jeune fille placée dans une famille nourricière – des voleurs qui la nourrissent d’ailleurs tant bien que mal. Elle est brune et son signe distinctif est « la mèche blanche qui contraste avec sa crinière châtain » (Le Dragon et l’Épée, 12), dont la raison d’être n’est dévoilée que très tardivement. Ana ignore son passé, mais la recherche de son identité la pousse à le reconstituer et à se mettre à la recherche de ses parents biologiques. Néanmoins, au courant du cycle, ce passé n’est dévoilé que par bribes. Le premier volume ne fait qu’une allusion discrète à son père. Uther la reconnaît sur son lit de mort (1/31) : La jeune fille se retrouva seule auprès de Pendragon. Il rouvrit les yeux et la dévisagea comme s’il la voyait pour la première fois. [...] Il lui agrippa le bras. Ses iris bleus la transpercèrent. – Toi ? murmura-t-il encore. C’est bien toi ? (Le Dragon et l’Épée, 311).

Ce n’est qu’au moment où elle aura appris à voyager dans le temps par « La voie cachée des cairns » (L’Ogre et le Bouclier, 297) que l’identification de son père sera mise à sa portée (2/34sq.). Ce pouvoir lui permet de retourner au Mont Badon. Lors d’une attaque, sa mère – qu’elle ne réussit pas à reconnaître – la protège des feux du dragon Glamorgan dans une bulle magique, jusqu’à l’arrivée d’un cavalier. Ana, toute petite, court vers lui : « L’inconnu serra contre lui sa fille, la dévorant de ses yeux bleus très clairs. [...] Ana sentit son sang se figer dans ses veines : l’homme n’était autre qu’Uther » (L’Ogre et le Bouclier, 305). Merlin confirmera cette découverte et le tabou prononcé déjà plus tôt : Arthur « n’est pas pour toi » (L’Ogre et le Bouclier, 120), mais refusera de lui révéler le nom de sa mère. Les allusions à celle-ci sont plus fréquentes, mais tout aussi discrètes. Par mégarde, Merlin appelle souvent Ana Viviane ou Niniane. La ressemblance entre les deux semble le frapper et lui rappeler des souvenirs. Sans la connaître, Ana croise sa mère – à son insu – pour la première fois sous l’aspect d’une sorcière au tombeau d’Uther (2/4) : Ana [...] se retrouva nez à nez avec une vieille femme décrépite en robe noire. Son visage était horriblement ridé comme desséché de l’intérieur. Des cheveux blancs sales s’échappaient de sa large capuche sombre. Seuls ses yeux couleur d’automne avaient échappé aux ravages du temps. Ils brillaient d’une inépuisable énergie. [...]

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Avant de partir, elle lança un coup d’œil aigu à l’apprentie. Son regard s’attarda sur la mèche blanche [...] d’Ana (L’Ogre et le Bouclier, 37).

Ce n’est qu’au début du troisième volume du cycle, La Fée et le Bâton, qu’Ana perce l’identité de sa mère (3/2sq.). Elle réussit à se servir du bâton magique de Merlin pour découvrir ses souvenirs. Le premier flash-back montre son maître en train de jouer avec une jeune fille : Quand l’enfant se retourna, Ana reçut un coup au cœur. Elle lui ressemblait d’une façon troublante ! Mêmes yeux noisette, mêmes lèvres ourlées, même air un peu boudeur. La vérité se fit jour dans son esprit : elle était la fille de cette fameuse Niniane ! (La Fée et le Bâton, 24)

Lorsqu’elle évoque la recherche de Viviane, Merlin refuse de l’aider (3/16). Bien qu’elle la retrouvera lors d’un retour à Avalon au tombeau d’Uther, ce n’est que dans le dernier volume du cycle que mère et fille se rencontreront enfin (4/15sq.). Un autre flash-back explique la mèche blanche d’Ana : le marché conclu entre Viviane et ses amants, Uther et Merlin, pour la mettre en sécurité de la persécution du nécromant Eliavrès (4/17). Dans le combat des magiciens, « Sa tête heurta une pierre. L’enfant ne poussa pas un cri quand sa plaie au crâne se mit à saigner en abondance » (La sorcière et la coupe, 141) : D’une caresse sur le front, il [Merlin] dégagea la plaie, dissimulée par les cheveux poisseux de sang. Les runes de sa paume s’allumèrent quand il l’appliqua sur la blessure. Lorsqu’il ôta sa main, l’entaille était refermée et les cheveux avaient repoussé. Blancs (ibid., 142).

Cette mèche blanche est donc le signe distinctif de la jeune femme marquée par la magie. Quand les deux femmes, mère et fille, se rencontrent enfin pour la première fois (4/29sq.), elles ont peu de temps pour échanger sur leurs destins, mais doivent faire face à un immense défi : pour libérer le monde d’Éliavrès, elles doivent récupérer l’objet magique, ancienne possession de Merlin que Viviane s’était appropriée et qu’elle avait déposé chez les nains. Dans le combat décisif contre lui, Viviane meurt, et Ana survit (4/33). La constitution de l’identité d’Ana, achevée par cette union de la mère et de la fille, est complétée par sa fusion avec la fée Morgue. Elle connait la dame du Lac dès le début de son séjour chez Merlin. Il la charge de l’éducation d’Ana et Morgue lui apprend les runes et le latin. Mais elle est aussi présentée comme la fée instable (1/9) et, mère adoptive de Lancelot, elle prendra parti pour lui et contre Ana et Merlin, qui soutiennent Arthur dans le combat pour la couronne britannique (2/17sq.). Plus tard, nous apprendrons que Morgue est passée du côté d’Éliavrès, de la magie noire, toujours pour remplacer Arthur par Lancelot. Dans

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une dernière confrontation (3/37sq.), Ana réussit à consumer et absorber Morgue. Cette union de magie noire et de magie blanche la rendra complète. Le combat l’ayant épuisée, elle part se reposer à l’Esplumeor et s’y endormira sur ces pensées : Elle n’était plus vraiment Ana, la petite voleuse, la magicienne. Elle n’était pas vraiment Morgue non plus. Elle était désormais une fusion des deux. [...] Ses dernières pensées furent pour des prénoms dont les sons et les lettres se mélangeaient. Morgue. Ana. Morgana (La fée et le bâton, 321).

La magicienne Morgana, moitié être humain moitié fée, a réussi à se rendre inoubliable, voire incontournable, pour la mémoire culturelle collective. Quels sont donc les cues constitutifs de cette image de la ‹ Morgane moderne › de Clavel ? Reprenons les trois éléments fondateurs de son identité : 1. Elle est femme, 2. Elle est magicienne, 3. Elle est fée. Ce sont ces trois éléments qui la rendront l’égale de Merlin, homme-fée et magicien. Reprenons un par un ces trois aspects dans des scènes-clés.

3.1 Morgana est la représentante de la lutte éternelle pour l’égalité de la femme et du pouvoir féminin, depuis le matriarcat des sociétés anciennes à nos jours22 Ana reçoit le titre d’apprentie de Merlin. Mais dès sa « Première leçon » (1/6), elle pose, au goût de Merlin, trop de questions : « À peine levée et elle m’interroge déjà » (Le dragon et l’Épée, 61), soupire-t-il, face à cette curiosité ‹ typiquement féminine ›. Au bout d’un mois d’introduction aux secrets de Brocéliande, Merlin veut soumettre sa disciple à l’épreuve du « Souffle du dragon » (1/7), mais elle échoue. Merlin, lui reproche sa faiblesse ‹ de jeune fille › : « Je n’aurais pas dû te mener au Dragon. Tu n’étais pas prête à pénétrer dans le cairn et tu ne le seras || 22 De ce point de vue – que nous ne pouvons que frôler ici –, elle correspond assez bien au caractère subversif de ses prédécesseuses comme « an enchantress who works to subvert, to interrogate and to thwart the masculine enterprise », où le féminin est, selon Carolyne Larrington, complémentaire au monde masculin : « Ladies, damsels and sorceresses challenge the dominant gender model, insisting that emotional intimacy, friendship, creativity have their place beside the drive for adventure » ; Carolyne Larrington, ‹ Gender/Queer Studies ›, in : Tether et McFayden (voir note 17), 259–72, ici : 270.

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jamais. Les filles sont faibles » (Le dragon et l’Épée, 73), grommèle-t-il. Ana se révolte immédiatement contre cette tirade misogyne et, de son point de vue, injuste : Ana secoua la tête, amère : – vous ne m’enseignez rien. Morgue m’a appris à lire, à écrire... Vous vous contentez de prononcer quelques mots mystérieux qui se prétendent sages et c’est tout ! [...] Vous me laissez seule avec mes questions. [...] Vous m’appelez apprentie, mais je ne suis qu’une servante (ibid.)

Elle l’accuse injustement de tous les méfaits que l’on raconte sur lui dans le pays ; au point culminant de leur dispute, il l’emmène dormir sur la plaine de Camlaan, où il commence sa vraie formation pour sa tâche de trouver un roi pour Britannia et de le protéger ensuite. Ana gardera cette mentalité rebelle, comme, entre autres exemples, dans l’épisode du dragon qu’elle doit affronter avec Vortimer. Elle réussit à fuir seule de la caverne du dragon et y retournera, après le refus de Merlin, tout aussi seule pour sauver son compagnon (1/21sq.). Pendant le cycle entier, elle reste, d’un côté, dans des situations extrêmement périlleuses, dépendante de la grande expérience de Merlin, mais elle conserve, de l’autre côté, son esprit critique et son indépendance spirituelle.

3.2 Morgana est la représentante du monde de la magie Le cycle suit une longue et parfois pénible prise de conscience d’Ana de ses pouvoirs magiques, ainsi que de leur usage adéquat et de leurs limites. Bien entendu, elle maîtrise aussi le répertoire classique de la magie, comme la lecture des grimoires, la manipulation des cartes de Tarot (p. ex. 1/24 et 27) et la métamorphose en un animal. À Camaaloth, pour surprendre le rendez-vous de Lancelot et Guenièvre dans le verger royal fermé, elle recourt à la magie pour se transformer en « rouge-gorge dans le chèvrefeuille » (3/19) : Un courant d’énergie afflua dans ses membres. Les runes brûlaient. L’acrobate prit élan avec ses bras pour sauter, mais ses mains perdirent tout à coup leur forme. Elles rétrécirent à une vitesse étonnante et se couvrirent de duvet, puis d’un plumage brun. Avant d’avoir compris ce qui lui arrivait, la magicienne voletait dans les airs. Elle était devenue un oiseau, un rouge-gorge, à en juger par la couleur orange foncé qui s’étendait sous son cou. Un petit bec avait remplacé son nez. La peur l’oppressa. Maîtrisant mal sa direction, elle manqua tomber à terre, puis les réflexes prirent le dessus (La Fée et le Bâton, 159).

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Peu sûre encore de ce procédé – elle ne l’avait pas encore exercé elle-même et le connaissait seulement parce qu’« elle avait déjà été transformée en hase par Merlin » (ibid., allusion à 1/10) – sa métamorphose lui fait d’abord peur et, à la fin, elle la termine par une chute peu élégante. Malgré ce regard amusé sur les revers de la magie, il s’agit d’un pouvoir important et Ana doit, pas à pas, apprendre à utiliser ses pouvoirs magiques. Le premier est le bon usage du pouvoir des runes tatouées dans sa peau, le second celui de « la voie des cairns » (1/15) pour se déplacer en un instant d’un endroit à l’autre. Son maître endormi, elle réussit à se rendre seule à Tintagel (1/33sq.) pour sauver l’enfant d’Uther et Ygerne, Arthur, et le ramener à Carduel où elle le place dans la famille d’Antor (qui l’élèvera comme le petit frère de leur fils Keu). Le pas suivant sera de découvrir que « La voie cachée des carins » (2/34) peut aussi la mener dans le passé : « Les carins ne permettent pas seulement de voyager dans l’espace. Ils nous transportent aussi dans le passé » (L’Ogre et le Bouclier, 302) pour « explorer une mémoire des événements » (ibid.). Elle apprendra ensuite l’usage du bâton magique de Merlin, qu’il lui interdit au début. Éveillé à l’Esplumeor avant Merlin après son second sommeil, elle y découvre « Un monde dans une émeraude » (3/2) : la lumière bleuâtre de l’émeraude qui le couronne révèle les souvenirs de Merlin, p. ex. sa jeunesse (3/5) ou son rôle d’entremetteur entre Uther et Ygerne (3/7). Ana quitte la cabane magique – et emporte le bâton miniaturisé par ses soins – à la découverte des bribes de son passé attachées aux souvenirs de Merlin. Elle comprend que le bâton, planté en terre à côté d’un endroit important, est lié, comme celui des cairns, à la magie de la terre (3/8) et lui fera découvrir petit à petit sa propre histoire ainsi que celle de Merlin (3/13sq.). Au fil des expériences, elle perfectionnera sa formation de magicienne et finira comme l’égale de Merlin, dont elle accomplira la dernière volonté d’annihilation dans leur ultime « Duel des magiciens » (4/39). Lors de grandioses tremblements de terre, et après le départ et la disparition des licornes dans la forêt de Brocéliande, Elle aspira la puissance de Merlin, comprenant qu’il s’agissait de sa dernière leçon. Il lui confiait tout son savoir d’un seul coup. [...] Ana se sentit traversée par les souvenirs de son maître. Elle revit ses différentes métamorphoses : la vieille et ses fagots, le bûcheron malodorant, le petit garçon velu et enfin le lion superbe. Elle revécut ces mois passés avec lui, les grimoires, les cartes, le loup, le bâton, le cairn et tout le reste, qui défaillait dans sa tête en une ronde folle (La Sorcière et la Coupe, 323).

Après cette transmission des pouvoirs, Merlin part dans l’autre-monde, où Morgana doit encore emmener Arthur.

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3.3 Morgana est la représentante de l’autre-monde Son pouvoir magique s’accroit, voire se double, par l’acceptation de la leçon d’Eliavrès selon laquelle: « La nécromancie n’a rien d’une pratique contre-nature. C’est un simple transfert d’énergie. [...] Magie blanche et magie noire ne sont que les deux faces d’une même pièce » (La Fée et le Bâton, 314).23 Piégée par Morgue dans le lac de Rigomer – « Le Souffle du Dragon entoure Rigomer. Il ne laisse passer que mes invités » (La Fée et le Bâton, 308), affirme Morgue avant de passer à l’attaque – Ana, après plusieurs tentatives d’évasion avortées, finit par absorber son adversaire : Au lieu de tenter vainement de résister au déferlement de puissance de son ennemie, elle ouvrit toutes ses runes pour l’accueillir. [...] Le pouvoir l’emplit comme une gorgée de vin pur, l’enivrant immédiatement. [...] Elle engloutit toute la magie de son ennemie sans pouvoir s’arrêter. Des rayons bleus et verts pénétraient les runes allumées et s’y intégraient, les faisant rougeoyer (La Fée et le Bâton, 316).

Par cette absorption de Morgue, qui la transforme en Morgane, elle devient partie intégrante du monde féerique et appartient, par là, à cet autre-monde médiéval peuplé d’êtres fabuleux comme les dragons et la licorne.24

4 Conclusion Pourquoi nous souvenons-nous de Morgane, tandis que la reine Guenièvre25 et encore moins les autres femmes arthuriennes26 n’ont pas trouvé leur chemin dans la mémoire collective ? Si nous poursuivons son évolution jusqu’à aujourd’hui, il faut constater que c’est précisément son caractère ambigu qui la rend si at-

|| 23 Cf. aussi 3/20. Morgane se répète ces deux phrases prononcées par Eliavrès lors de sa tentative pour l’attirer vers la magie noire (La Fée et le Bâton, 170). 24 Aussi bien le dragon que la licorne disposent d’ailleurs de cues aussi efficaces que Morgane – nous assistons actuellement à une grande vague de licornes dans le marketing de produits de consommation comme le chocolat – et mériteraient une étude à part. 25 Elle est aussi l’héroïne d’une trilogie médiévalisante, The Guinevere Trilogy par Lavinia Collins (cf. https://laviniacollins.com/2016/02/14/the-guinevere-trilogy-lavinia-collins/ [2017-12-15]) mais n’a jamais exercé la même fascination sur les lecteurs de ce type de littérature que Morgane ; cf. l’étude que lui a consacré Dietmar Rieger, Guenièvre, Reine de Logres, Dame courtoise, Femme adultère, Paris 2009. 26 Cf. p. ex. la liste dans http://www.timelessmyths.com/arthurian/women.html#Guinevere [2017-12-15].

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trayante. C’est la conjonction de ces trois éléments qui font son attractivité : l’aspect gender seul ne suffirait pas – ce n’est pas assez d’être femme pour s’établir dans la mémoire collective. La magie seule ne suffirait pas non plus ; elle la rend capable de réussir des actions qu’un être humain ne réussirait pas : changer d’aspect, jeter des sorts, guérir des licornes, lire les cartes, se servir d’objets magiques, voyager dans le temps – mais elle partage ces qualités avec beaucoup d’autres habitant(e)s du monde fantasy. C’est plutôt sa nature ambivalente, que lui confère sa nature féerique, moitié magicienne blanche, moitié fée noire, qui fait son charme intemporel – et interculturel. Elle ne fait ni partie du Bien ni du Mal, et même si ces concepts changent de culture en culture, elle conservera toujours son statut intermédiaire et finalement insaisissable qui cadre si bien avec ce monde de plus en plus complexe qui l’entoure de siècle en siècle. Et même si nous assistons à une stéréotypisation des cues jusqu’à leur vulgarisation, Morgane témoigne d’une nouvelle culture de la mémoire éclectique, un mélange pêle-mêle de différentes traditions. Morgane, la fée multiforme, avec ses capacités de métamorphoses et de changements de lieux, s’adapte parfaitement à la société actuelle des nouveaux médias. Elle est porteuse de cues facilement adaptables à la culture de la jeunesse moderne, multiforme, mobile, avide de changements rapides, de tatouages, etc. Morgane remplit parfaitement son rôle « as a shapeshifter », pour revenir à la formule de Jill Hebert : « Morgan’s presence often heralds the need for change within literary works ; seemingly she announces the same need in our perception of the literature in which she, and characters like her, appear ».27 Et, pour en retourner – dans cet esprit – aux perspectives médiévales, notons que la réception actuelle pose à nouveau la question des principaux destinataires visés par ces romans médiévaux, et je pense qu’il faut bien envisager – quand on considère le grand nombre de jeunes nobles présents dans les cours médiévales pour leur formation et éducation – qu’il s’agissait également de romans jeunesse destinés à un public très jeune.

|| 27 Hebert (voir note 2), 157.