Rede über den Geist des Positivismus 9783787327096, 9783787311484

Im "Discours sur l'esprit positif" (1844) begündet Auguste Comte (1798-1857) seinen utopischen Entwurf ei

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Rede über den Geist des Positivismus
 9783787327096, 9783787311484

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AUGUSTE COMTE

Rede über den Geist des Positivismus Übersetzt, eingeleitet und herausgegeben von IRING FETSCHER

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 468 1915 PhB 155, deutschsprachige Ausgabe, »Abhandlung über den Geist des Positivismus«, übersetzt und hrsg. von Friedrich Sebrecht 1956 PhB 244, zweisprachige Ausgabe, »Rede über den Geist des Positivismus«, übersetzt und hrsg. von Iring Fetscher 1966 2., in der Bibliographie ergänzte Auflage 1979 3., um ein Vorwort und einen Nachtrag zur Bibliographie ergänzte Auflage 1994 PhB 468, Neuausgabe ohne französischen Text, mit durchgesehe­ nem Literaturverzeichnis und neuen Registern

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprünglichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra­phi­­ sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. isbn 978-3-7873-1148-4 ISBN eBook: 978-3-7873-2709-6

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1994. Alle Rechte vor­ behalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck­papier, hergestellt aus 100 % chlor­frei gebleich­tem Zellstoff. Printed in Germany.  www.meiner.de

INHALT Einleitung von lring Fetscher I. Comtes Leben und die Entwicklung seiner Philosophie Il. Die Grundideen der Comteschen Philosophie Ill. Auguste Comte und die Philosophie des deutschen Idealismus N. Zur Textgestaltung und Übersetzung Literaturverzeichnis

XV XVI

XX

XXXVI XLII

XLIII

Auguste Comte Rede über den Geist des Positivismus

DER GEGENSTAND DIESER REDE (1)

3

ERSTER TEIL

Die intellektuelle Vberlegenheit des Geistes des Positivismus ERSTES KAPITEL

Das Gesetz der Geistesentwiddung der Menschheit oder das Dreistadiengesetz (2) I. Das theologische oder fiktive Stadium (3)

5

1. Phase- Der Fetisdrlsmus (4) 2. Phase - Der Polytheismus (5) 3. Phase- Der Monotheismus (6) seine geistige Rolle (7) seine soziale Rolle (8)

II. Das metaphysische oder abstrakte Stadium Die Notwendigkeit dieses Zwisdtenstadiums (9) Seine rein kritisdte Natur (10) Seine hi~torisdte Rolle: die Auflösung der bestehenden Ordnung (11)

11

Inhaltsverzeidmis

VI

111. Das positive oder reale Stadium

1. Hauptsädlliche Eigentümlichkeit: Das Gesetz oder die ständige Unterordnung der Einbildungskraft unter die Beachtung (12) . 2. Die relative Natur des positiven Geistes (13) . a) In Bezug auf unsere Organisation (13) b) In Bezug auf die Sozialentwiddung (14) 3. Der Endzwedc der positiven Gesetze: rationale Voraussicht (15) 4. Universelle Ausdehnung des Grundlehrsatzes von der Unwandelbarkeit der Naturgesetze (16) .

15 15 17

18 21

ZWEITES KAPITEL

Die Bestimmung des Geistes des Positivismus Diese Bestimmung ist eine doppelte: geistig und sozial (17)

I. Die vollständige und dauerhafte Herstellung der geistigen Harmonie dadurm, daß alles auf die Mensmheit bezogen wird . . . . . . . . . . . .

23

11. Die Harmonie zwismen Wissensmatt und Temnik, positiver Theorie und Praxis . .

31

111. Die letztlime Unvereinbarkeit von Wissensmaft und Theologie . . . . . . . . . . . .

37

1. Die Herstellung der Einheit eines jeden Verstandes dadurch, daß unsere verschiedenen Vorstellungen zusammenhängend und homogen gemacht werden. Von zwei Arten von Gesetzen. (18) 2. Die geistige Einheit kann nicht objektiv sein, d. h. nicht auf das Universum bezogen werden, wie der Materialismus behauptet. (19) 3. Die geistige Einheit ist subjektiv: dadurdt, daß all unsere Vorstellungen auf die Mensdtheit bezogen werden, wird die Einheit vollständiger und stabiler, als wenn alles auf Gott bezogen würde. (20) 4. Die Wissensdtaft von der Mensdtheit ist die einzige, weldte die Gesellsthaft systematisdt zu ordnen und sdtließlidt die Einheit des Mensdtengesdtledttes zu begründen vermag.(21)

1. Die Wissensdtaft organisiert die Tedtnik, worunter die rationale Einwirkung des Mensdten auf die nidtt allein anorganisdte und biologisdte, sondern vor allem audt politisdte und moralisdte Natur verstanden wird. (22) 2. Der soziale Endzwedc bestimmt, präzisiert und ergänzt die Erforsdtung der Gesetze. (23) 3. Das industrielle Leben unterstützt die Ersetzung des theologismen Glaubens durdt den positiven, direkt: durdt seinen Gegenstand, indirekt: durm seinen antitheologisdten Charakter. (24)

1. Dieser anfangs implizierte, stets aber radikale Gegensatz betrifft sowohl die Denkweise wie die Lehre. (25)

Inhaltsverzeidmis

VII

2. Dieser Gegensatz hat siw erst im Laufe der Entwidclung deutliw gezeigt: die Wissenswaft war der treibende Faktor bei der Umwandlung der (ursprüngliwen) Theologie in den Monotheismus. (26) 3. Dieser Gegensatz hat siw swließliw auf den Monotheismus selbst ausgedehnt, dessen doppelte geistige und soziale Aufgabe von der Wissenswaft übernommen wird. (27) 4. Offenbarwerden des Einflusses des positiven Geistes: metaphysiswer Ausgleiwsversuw (zwiswen Theologie und positivem Geist) durw Verbindung des Gottesbegriffes mit dem Naturbegriff und der Gesetze mit dem (göttliwen) Willen. (28) 5. \Veiteres Offenbarwerden: Die Einsetzung des Prinzips der Existenzbedingungen an die Stelle des Dogmas der Endursawen läßt immer mehr die Unvollkommenheit der wirkliwen Ordnung hervortreten, in deren Verbesserung das tägliwe Ziel der menswliwen Tätigkeit besteht. (29) DRITTES KAPITEL

Die einander entspremenden Eigensmaften von positivem Geist und gesundem Mensmenverstand I. Das Wort «positiv»: seine verschiedenen Bedeutungen fassen die Eigenschaften des wahren philosophischen Geistes zusammen

44

ll. Zunächst spontane und später systematische Entsprechung von positivem Geist und aUgemeinem gesunden Menschenverstand

49

1. Die Eigenswalten der ewten Philosophie sind in den verswiedenen Bedeutungen des Wortes »positiv>aHection« entgegenbringen zu können. Seine Liebe bleibt unerhört. Am Palmsonntag 1846 stirbt Madame de Vaux und läßt einen zutiefst Verwandelten zurüdc. Fortan nimmt die >>Liebe« in ihrer 5

Vgl. Henri Gauhier Einleitung in A. Comte, CEuvres moisies, Paris, 1953.

Comtes Leben

xrx

hömsten Form als freiwillige Hingabe ohne jede Selbstsumt eine zentrale Stellung in Comtes Gedankensystem ein. « On ne peut pas toujours penser, mais on peut toujours aimer >>, hatte er am Tage seiner Liebeserklärung zu seiner Geliebten gesagt und diese Einsimt führte ilm zu einer Fortbildung seiner Lehre, die sim in dem zweiten großen Hauptwerk, dem Systeme de politique positive, ou traite de sociologie instituant Ia religion de l'Humanite, niedergesdJ.Iagen hat. Aum auf dieses von 1851-1854 crsmeinende Werk folgten eine Reihe von popularisierenden Smriften: der Catemisme positiviste, der Appel aux conservateurs und die Synthese subjective. Hinzu kommen eine große Anzahl ausführlimer Sendsdlreiben und Briefe an seine Anhänger in aller Welt. Diese Briefe hat der zu immer übertriebenerer Selbsteinsmätzung gelangte mit den Apostelbriefen verglimen. Wie er in der ersten Hälfte seines Lebens die Aufgabe eines neuen Anstoteies übernommen habe, so nun die eines neuen Paulusl Während seiner letzten Lebensjahre unterstützten eine Reihe namentlim englismer Anhänger den >>ersten Directeur du positivisme« durm >>SubsidienMeister« wenigstens vor der äußersten materiellen Not bewahrten. Von seinen Smülern wie ein Heiliger verehrt starb Comte am 5. September 1857 in Paris. Die von ihm ins Leben gerufenen Societe positiviste besteht ncxh heute und in Brasilien ist die Comtesme Religion der Mensdlheit offizielle Staatsreligion. Aber derartige unmittelbare Namfolge besmränkt sid1 auf kleine exzentrisme Kreise, im übrigen ist die Wirkung Comtes mit derjenigen Mills, Spencers und anderer Positivisten des 19. Jahrhunderts versmmolzen. Von seinen ihm eigentümlidzen Ideen ist nur sehr wenig lebendig geblieben, viele von ihnen sind so gut wie unbekannt und andere wieder werden von der allgemeinen Vorstellung vom Positivismus, die sim im Bewußtsein der Mensmen festgesetzt hat, übersmaUet und verdeckt. Heute aber, nachdem fast hundert Jahre seit dem Tode Comtes vergangen sind, haben sich die Perspektiven versmoben. Was gestern nom von der Polemik des Tages leidensmaftlim umkämpft war, ist heute Gegenstand distanzierter, historismer Betrachtung geworden.

XX

Einleitung li

Die Grundideen der Comteschen Philosophie Keine Philosophie entsteht aus dem subjektiven Belieben einer isolierten Persönlidllceit. Zahlreühe Erlebnisse, Ereignisse und Begegnungen formen und entwidceln die denkende Reaktion des Individuums auf seine Umwelt, die in einem Werk dann endgültigen Niedersdllag findet. Comte hat selbst um sold1e Bedingtheiten gewußt und spätere Forsdmngen haben weitere zu entdedcen versumt. Hier können sie nur kurz bei Namen genannt werden, zugleim mit der Bemerkung, daß gründliche und braumbare neuere Forsmungen zu dieser Frage - trotz des reimen Sduifttums - nimt eben zahlreim sind. Smon unsere kurze Biographie hat einige dieser Büdungs- und Lebensmämte berührt, denen Comte sein geistiges Wesen zu danken hat: in der Jugend der Katholizismus, den er als Organisation und Mittel der- sozialen Ordnung im Mittelalter zeitlebens hodl gesdlätzt hat, wenn er aum smon als 14jähriger den Glauben verlor. Diese funktionale Wertsmätzung des Katholizismus übernahm Comte von de M aistre und Bonald8 , deren restaurative Tendenzen er jedom ablehnte. Aum Saint-Simon hatte diese neue Wertsmätzung des Mittelalters geteüt, die am frühesten vielleimt von Novalis in seiner berühmten Smrift »Die Christenheit oder Europa« vertreten worden war. Ein zweiter, ganz andersartiger Gedankenkreis, mit dem Comte smon früh in Berührung kam und der für ihn lange Zeit von großer Wimtigkeit war, ist der revolutionäre. Er selbst nennt Autoren wie Turgot und Condorcet 1 • Gouhier weist in seinem Hauptwerk auf die zwei geistigen Strömungen in der französismen Revolution hin: die antiklerikal-liberale und die religiös-totalitäre, die nameinander für Comtes Denken bestimmend wurden. Es gelingt Gouhier zu zeigen, daß die von vielen als >>Brum« in Comtes Entwidclung empfundene Wendung zur religion de l'Humanite smon sehr früh bei ihm angelegt ! 8 Vgl. Cours Band IV, S. 180 dt., Soziologie 1., S. 131. 7

Vgl. Cours Band IV, S. 252 f. dt., Soziologie 1., S. 184 f.

Grundideen der Comtesdlen Philosophie

XXI

ist und eine direkte Fortsetzung verwandter (religiös-totalitärer) Bestrebungen der Revolutionsjahre darstellt8• Zu diesen tragenden politisch-weltanschaulichen Tendenzen kommt nun als entscheidender Faktor die naturwissensdwftlime Ausbildung hinzu, die Comte auf der :E:cole Polytechnique in Paris, der ersten modernen Technischen Hochschule, empfing. Hier begeisterte er sich für die klare Sicherheit und eindeutige Gewißheit naturwissenschaftlicher Forschungen und faßte - radikaler als Descartes, der sich wunderte, daß man auf der Grundlage der Mathematik nichts »höheres errichtet habe>militärism« zu bekämpfen, obgleim er selbst den polemismen Charakter von pontismen Begriffen wie >>Volkssouveränität« usw. erkannt hatte14• Namdem Comte die mit gesetzmäßiger Notwendigkeit auf Grund einer erkannten Entwidclungstendenz heraufkommende wissensmaftlim-industrielle Epome marakterisiert hat, unternimmt er es - wiedertim angeblim wissensmaftu Vgl. hierzu Carl Sdtmitt, Der Begriff des Politisdten, Hamburg. 1933.

XXVIII

Einleitung

lid:t - die dieser Epod:te angemessenen politisd:ten Institutionen in groben Zügen zu entwerfen. Wie die theologisd:tmilitärisd:te wird aud:t diese letzte Epoc:he wieder eine >>Organisme« sein. Deshalb ist in ihr kein Platz mehr für die einseitig-negativ-kritischen Prinzipien der metaphysisd:t-juristisd:ten Zeit. Ja der Hauptirrtum der Anhänger des >>Fortsd:tritts« zu Comtes Zeit lag seiner Meinung nad:t darin, daß sie diese kritisch-metaphysisd:ten Prinzipien zur Grundlage eines staatlid:t-gesellsd:taftlid:ten Neubaus mameh. wollten. Gewissensfreiheit, Volkssouveränität und Wahl der >>Oberen durd:t die Unteren>defensiver Militarismus«. Endlim aber ist die These von der prinzipiellen Friedlimkeit der industriellen .Ära durm zwei Weltkriege nur allzunamdrüdclim widerlegt worden. Industrielle Gesellsmaft und theologism-metaphysismes Denken auf politismem Gebiet haben sim als durmaus vereinbar erwiesenn. Tiefer und prinzipieller als Moscas Kritik geht die von M ax Scheler in seiner Arbeit >>Über die positivistisme Gescllimtsphilosophie des Wissens (Dreistadiengesetz)«11 • Smeler hat gezeigt, daß die der Religion, der Metaphysik und der positiven Wissensmaft zugrundeliegenden Intentionen keineswegs identism sind. Religion und Metaphysik sumen nimt eine Antwort auf die Frage nam der objektiven BesmaHenheit der Wirklimkeit zu geben, wenigstens ist das nimt ihr entsmeidendes Anliegen. Im religiösen Wissen geht es vielmehr um unser je eigenes Heil, im metaphysisdien Wissen um Wesen und Sinn der Welt und unserer Existenz in ihr. Diese Fragen kann aber die positive Wissensmaft, die aussmließlim auf Herrsmaft aus ist und deshalb die kausalen Zusammenhänge erforsmt, nimt beantworten. Religion, Metaphysik und Wissensmaft stehen daher als drei gleimursprünglime und gleimnotwendige Formen mensclllimen Wissens nebeneinander und 2!

23

Gaetano Mosca, Die herrsmende Klasse, übersetzt von F. Borkenau, Bem, 1950, Seite 81 ff. Max Scheler. Über die positivistische Geschichtsphilosophie des Wissens (Dreistadiengesetz), in Moralia, Sdrriften zur Soziologie und Weltanscbauungslehre, Leipzig, 1923, S. 26---40. Interessante Er· gänzungen finden sieb in »Die Wissensformen und die Gesellschaft•, Leipzig, 1926.

Grundideen: c) Kritiken

XXXV

können sich legitim nicht wechselseitig vertreten. Ebensowenig wie Theologie und Metaphysik für die Zwecke der Wirklichkeits-Beherrschung geeignet sind, worauf Comtes Kritik letztlich beruht, ist die Wissenschaft in der Lage das Heils- und Wesenswissen zu ersetzen. überall wo sie es wie z. B. im Falle Comtes und des naturwissenschaftlichen Monismus - dennoch zu tun vorgibt, überschreitet sie in Wahrheit ihre Grenzen und hört damit auf Wissenschaft zu sein. Es handelt sich dann um pseudowissenschaftliche W eltansduzuungen, die sich über ihren eigenen Charakter nicht im klaren sind und im allgemeinen an Unduldsamkeit und dogmatischer Starre anderen Weltanschauungsformen gegenüber nicht nachstehen. Noch radikaler verfährt eine Kritik an Comte, die aufzeigt, daß er ja gar nicht positiv-wissenschaftlich verfährt, sondern von ganz bestimmten - historisch bedingten Wertungen und Vorentscheidungen ausgeht, die er gar nicht erst in Frage gestellt oder auch nur ins Bewußtsein gehoben hat. >>Wenn Comte wirklich auf positiver Basis vorgegangen wäre, d. h. mit der Sachlichkeit des Wissenschaftlers, der sich von der Überschätzung der Bedeutung des Menschen im Weltall femhält, so hätte er weder das Gesetz des Fortschritts >>entdecktSystemsReligionsstifter> (Systeme, app. S. 92). Wie der Weltgeist bei Hegel sich der großen Politiker usw. bedient, um die Geschichte in seinem Sinne voranzutreiben, so bedient sich der Geist des wissenschaftlichen Fortschritts bei Comte der großen Erfinder. Zufall und Genialität spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. Ihr Erfolg erklärt sich rational aus der in ihnen zum Durchbruch kommenden objektiven Tendenz der Gesellschaft. Die übliche Täuschung besteht darin, daß >>wenn die verschiedenen politischen Operationen weltlicher oder geistlicher Natur nur insoweit eine soziale Wirksamkeit haben

XL

Einleitung

konnten, als sie mit den entsprechenden Tendenzen der Menschheit übereinstimmten, sie für die voreingenommenen oder unüberlegten Zuschauer das hervorgebracht zu haben scheinen, was im wesentlichen allein eine spontane aber wenig hervortretende Entwidclung herbeigeführt hat.« (Soziologie I. S. 292, Cours, IV. 289). Den prinzipiellen Unterschied der beiden Systeme erlaßt man, wenn man die beiden Schlüsselbegriffe: Weltgeist und Menschheit miteinander vergleicht. Ihre Funktion isf etwa entsprechenq: beide sind das eigentliche Subjekt der Geschichte. Während aber der Weltgeist nur ins zeitliche Nacheinander auslegt, was .er in seiner wesenhaften Tiefe bereits ist (ontologische Logik als vorgeschichtliche Basis), soll das Wesen der Menschheit allein aus Beobachtung und Vergleich mit der Tierheit entnommen werden. Aber auch die Menschheit muß irgendwie schon vor Ablauf der geschichtlichen Ent-widdung fertig vorhanden sein, nur, daß diese Vorhandensein vor der zeitlichen Auseinanderlegung bei Comte einen fragwürdig-naturalistischen Charakter erhält. Dittmaim meint, Comte wende im Gegensatz zur dialektischen Methode Hegels die kausale an und wendet sich gegen Mehlis, der auch bei Comte dialektische Anklänge findet 27 • Aber »es liegt auf der Hand, daß diese Konstruktion (Comtes) trotz aller Naturgesetze und Milieubetrachtungen doch ganz und gar teleologisch ist und als Hebel die dialektischen Gegensätze und Versöhnungen reichlich benutzt« (Troeltsch S. 46). Das Dreistadiengesetz läßt sich leicht als dialektisches Schema interpretieren, Schon in dem ganz äußerlidlen Sinne, als auf das erste, positive Stadium ein negatives und auf dieses - Hegelisch gesprochen - durch eine Negation der Negation - ein neues positives Stadium folgt. Aber ~•

Dittmann, Die Gesdtichtsphilosophie Comtes und Hegels. Vgl. die

genaue Angabe in der Bibliographie. Bezeidmend für die Wertschätzung, die Comte der deutschen Philosophie - trotz seiner g~­ . ringen Kenntnisse - entgegenbrachte, ist die Tatsache, daß unter den >>TagesheiligenErsclieinung« der Weltansiclit erblidcen. Zu solcli dialektisclier Konstruktion gelangt das Denken notwendig immer, wenn eine niclit bloß quantitative Reilie von Phänomenen als Vorstufe zu einem feststehenden Endziel angesehen werden soll. Dermodi erscliien Comte das Ideal der gesellscliaftliclien Entwiddung in der größtmögliclien Annäht)rung an eine glatte, kontinuierlicli steigende Linie. Aufgabe der positiven Politik sollte es gerade sein, die »Oscillations progressives .. « so kurz und rascli zu maclienwie irgend möglicli (Systeme, app. S. 98). Zusammenfassend läßt sicli sagen, daß der Gegensatz zwisclien Comte und Hege! kleiner ist, als man auf den ersten Blidc annehmen könnte, weil Comte - trotz seiner andersartigen Ahsiclit - ebenso wie Hege! eine spekulative Gescliiclitsphilosophie entworfen hat. Heute, naclidem a 11 e Versuclie einer philosophisclien oder wissenscliaftliclien Gesamtdeutung der Gescliiclite als gesclieitert anzusehen sind, ersclieinen Comtes und Hegels Gescliiclitskonstruktionen nur nocli als Spielarten eines urtd desselben Irrtums, wobei freilicli die größere Tiefe und gedankliclie Gesclilossenheit des Hegeismen Systems niclit in Abrede gestellt werden soll.

XLII

Einleitung IV

Vorbemerkung zur Textgestaltung und Übersetzung Der vorliegenden Ausgabe liegt der Text der Comteschen Originaledition von 1844 zu Grunde. Jedoch wurde die Einteilung des zusammenhängenden Textes in Kapitel und Abschnitte aus der französischen Zentenarausgabe (1906) übernommen. Derartige Einteilungen stellen ein nützliches Hilfsmittel für die Seminararbeit dar und, da einmal eine Gliederung der Rede vorlag, wollte ich nicht von mir aus eine neue schaffen. Die Übersetzung sucht dem Original so nahe zu bleiben, wie es im Interesse der leichten Lesbarkeit möglich ist. Dabei wurde auf stilistische Glätte kein entscheidendes Gewicht gelegt. Der sprachliche Duktus ·des großen Rhetors Comte erweist sich im deutschen oft als unerträglich, -gelegentlich mußten daher überlange Perioden aufgelöst werden. So weit es irgend anging, wurde jedoch je ein Satz durch einen deutschei1 wiedergegeben. Auch die Häufung von Adjektiven mußte - so unschön sie im deutschen wirkt - in Kauf genommen werden. Den Titel habe ich abweichend vom Herkommen »Rede über den Geist des Po;itivismus