Der Terroranschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 hat zu einer erheblichen gesetzgeberisch
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German Pages 360 Year 2011
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1174
Rechtsschutz gegen geheimdienstliche Aktivitäten Von Thorsten Kornblum
Duncker & Humblot · Berlin
THORSTEN KORNBLUM
Rechtsschutz gegen geheimdienstliche Aktivitäten
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1174
Rechtsschutz gegen geheimdienstliche Aktivitäten
Von Thorsten Kornblum
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen.
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Meinen Eltern und Christina
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2009/2010 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Die Arbeiten am Manuskript habe ich im Juni 2009 abgeschlossen. Für die Buchfassung wurde neuere Literatur und Rechtsprechung bis April 2010 berücksichtigt. Mein verehrter Doktorvater, Herr Prof. Dr. Bodo Pieroth, hat die Bearbeitung des Themas angeregt. Er hat mir jede wissenschaftliche Freiheit gelassen und stand mir stets mit Rat und Tat zur Seite. Seitdem er mich im dritten Semester als studentische Hilfskraft eingestellt hat, durfte ich von seinem Denken und seiner Methodik rechtswissenschaftlichen Arbeitens profitieren. Als wissenschaftliche Hilfskraft hat er mir großzügige Freiräume und hervorragende Arbeitsbedingungen in dem von ihm geleiteten Institut für öffentliches Recht und Politik gewährt. Ich danke ihm herzlich für die fachliche und menschliche Betreuung meiner Promotion. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und entsprechende Anregungen habe ich ferner Prof. Dr. Hans-Michael Wolffgang zu danken. Ohne die freundschaftliche Atmosphäre am Institut wäre die Erstellung der Arbeit wesentlich mühevoller gewesen. Die Zeit dort werde ich stets in bester Erinnerung behalten. Stellvertretend für die Kolleginnen und Kollegen möchte ich Herrn PD Dr. Christoph Görisch und Herrn Dr. Philip Seel, LL.M., für die wertvollen freundschaftlichen Gespräche und die förderliche Kritik danken. Besonderen Dank schulde ich ferner Herrn Tobias Schimmöller, der das Manuskript durchgelesen hat und mir in allen Lebenslagen mit Rat und Tat zur Seite stand. Die Erstellung der Arbeit wäre nicht ohne die liebevolle Unterstützung, Motivation und Kraft meiner Freundin Christina Dickebohm möglich gewesen. Gerade in der Schlussphase hat Christina mich an die schönen Seiten des nichtjuristischen Lebens erinnert. Sie hat auch die mühsame Arbeit auf sich genommen, als Fachfremde das Manuskript durchzusehen. Schließlich möchte ich mich bei meinen Eltern, Annette und Karl-Heinz Kornblum, bedanken, denen auch die Arbeit gewidmet ist. Ohne ihre Unterstützung und Förderung auf meinem bisherigen Lebensweg hätte diese Arbeit nicht entstehen können. Münster, im April 2010
Thorsten Kornblum
Inhaltsverzeichnis Einleitung und Grundbegriffe
25
A. Geheimdienste, staatliche Macht und rechtsstaatlich-demokratische Kontrolle
25
B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
C. Stand der Diskussion in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
1. Teil Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
37
A. Der Ausbau nachrichtendienstlicher Strukturen seit 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bundesnachrichtendienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Militärischer Abschirmdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bundesamt und Landesämter für Verfassungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . .
37 38 42 43
B. Die Kompetenzen der Dienste heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aufbau und gesetzlicher Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nachrichtendienstliche Struktur der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zu den Polizei- und Strafverfolgungsbehörden . . . . . . . . 3. BVerfSchG als grundlegende Kompetenznormierung . . . . . . . . . . . . . II. Datenerhebung und -verarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Generalklauseln zur Datenerhebung und -verarbeitung . . . . . . . . . . . . a) Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Offene Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Heimliche Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Spezialbefugnisse zur Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Befugnisse nach dem BVerfSchG, nwVSG, BNDG, MADG . . . . . aa) Besondere Auskunftsverlangen (offene Erhebung) . . . . . . . . . bb) Besondere Überwachungsmaßnahmen (verdeckte Erhebung) . b) Befugnisse nach dem G 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Spezialbefugnisse zur Datenverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50 50 50 51 56 57 57 57 58 58 59 61 62 62 64 65 68
10
Inhaltsverzeichnis III. Datenübermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Amtshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Die Kontrollinstanzen jenseits des gerichtlichen oder gerichtsähnlichen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bundes- und Landesdatenschutzbeauftragte sowie Petitionsausschüsse . . 1. Datenschutzbeauftragte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Petitionsausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Parlamentarisches Kontrollgremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorläufergremien (insbesondere die PKK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufgaben und Befugnisse des PKGr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktionen außerhalb des G 10-Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . b) Funktionen innerhalb des G 10-Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . c) Aufgabenzuweisung durch Einzelgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzesinitiative zur Fortentwicklung des PKGrG 2009 . . . . . . . . . . III. Vertrauensgremium und Bundesrechnungshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Untersuchungsausschuss sowie Innen- und Verteidigungsausschuss . . . . 1. Der Untersuchungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausschluss der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geheimschutz im Ausschuss und Vorlage von sächlichen Beweismitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Aussage von Amtsträgern vor dem Ausschuss . . . . . . . . . . . . . 2. Innen- und Verteidigungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. ZFdG-Gremium und Gremium nach Art. 13 Abs. 6 GG . . . . . . . . . . . . . . 1. ZFdG-Gremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gremium nach Art. 13 Abs. 6 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Informationsrechte der Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Dienst- und Fachaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Öffentlichkeit und Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71 77 79 80 80 84 86 86 88 89 91 92 93 95 97 97 98 99 100 102 104 105 106 106 108 108 110 112
2. Teil Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
115
1. Abschnitt System des einfach-gesetzlichen Rechtsschutzes im Recht der Nachrichtendienste
116
A. Der gerichtliche Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 I. Eröffnung des Rechtswegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
Inhaltsverzeichnis
11
II. Suspendierung des Rechtswegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kenntnisgewähr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nach Normen des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht-prozessuale Informationsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG, § 7 BNDG, § 9 MADG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Voraussetzungen, § 15 Abs. 1 BVerfSchG . . . . . . . . . . . . (3) Versagungsgründe, § 15 Abs. 2 BVerfSchG . . . . . . . . . . . (4) Reichweite der Auskunft, § 15 Abs. 3 BVerfSchG . . . . . . (5) Begründung der Ablehnung einer Auskunft, § 15 Abs. 4 BVerfSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auskunftsanspruch nach § 19 BDSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Auskunftsanspruch nach § 39 StVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sonstige Informationsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prozessuale Informationsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anspruch auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG . . . . . . . . . . . . bb) Auskunftsanspruch nach § 23 SÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Weitere Ansprüche auf Akteneinsicht in besonderen förmlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Anspruch auf Akteneinsicht in gerichtlichen Verfahren . . . . . c) Unterrichtungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nach Normen der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nicht-prozessuale Informationsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auskunftsansprüche in den Landesverfassungsschutzgesetzen (1) Zu den Voraussetzungen nach § 15 Abs. 1 BVerfSchG . . (2) Zu den Versagensgründen nach § 15 Abs. 2 BVerfSchG . (3) Zur Reichweite der Auskunft nach § 15 Abs. 3 BVerfSchG (4) Zur Begründung der Ablehnung nach § 15 Abs. 4 BVerfSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonstige Auskunftsansprüche aus den Landesgesetzen . . . . . . b) Prozessuale Informationsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterrichtungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unterrichtung nach den Datenschutzgesetzen . . . . . . . . . . . . . bb) Ausschlussnormen in den Landesverfassungsschutzgesetzen . cc) Unterrichtungspflichten unter Berücksichtigung der Ausschlussnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119 122 124 124 125 125 127 131 135 137 137 138 141 145 145 148 149 151 153 154 154 154 154 155 155 156 157 159 160 160 161 162 162 162
12
Inhaltsverzeichnis (3) Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (9) Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (10) Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (11) Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (12) Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (13) Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (14) Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (15) Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (16) Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere Vorschriften über die Beweiserhebung bzw. Aktenbeiziehung 1. Akten-, Urkundsvorlage und Auskunft an das Gericht . . . . . . . . . . . . . a) § 99 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorlage- und Auskunftspflicht nach Abs. 1 Satz 1 . . . . . . . . . . cc) Verweigerung aus Gründen des Staatsschutzes nach Abs. 1 Satz 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Sog. „in camera“-Verfahren nach Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 96 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Amtshilfe und Einschränkungen aus Gründen des Staatswohls bb) „In camera“-Verfahren im Strafprozess? . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Regelungen in den übrigen Verfahrensordnungen . . . . . . . . . . . . . . aa) Normen des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Normen der Länder (Landesverfassungsgerichte) . . . . . . . . . . 2. Aussagegenehmigung für Amtsträger i.w. S. als Zeugen . . . . . . . . . . .
172 175 176 176 178 180 180 183 183
B. Der parlamentarische Rechtsschutz insbesondere nach dem G 10 . . . . . . . . . . . I. Aufgaben und Befugnisse der G 10-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nachträgliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorbeugende Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mitteilungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorschriften über die Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185 186 186 189 191 194
IV.
163 163 163 164 164 165 165 165 166 166 166 167 167 168 168 169 169 169 171
Inhaltsverzeichnis
13
2. Abschnitt Verfassungsrechtliche Einflüsse auf den Rechtsschutz in nachrichtendienstrechtlichen Fällen
196
A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I.
Art. 19 Abs. 4 GG als Garantienorm im System der Justizgewährung . . . 198 1. Gewährleistungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Garantie der Rechtswegöffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 aa) Grammatische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 bb) Historische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 cc) Genetische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (1) Legislativer Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (2) Auslegungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 dd) Systematische Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (1) Allgemeiner Rechtsschutzstandard (Kongruenzbereich) . 209 (a) Erkenntnisse aus dem Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . 209 (aa) Justizgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 (bb) Gemeinsamer rechtsstaatlicher Mindeststandard
211
(cc) Konkretisierung des Mindeststandards . . . . . . . 212 (α) Gerichtszugang und -entscheidung . . . . . . . 213 (β) Verfahren der Entscheidungsfindung . . . . . . 214 (γ) Insbesondere: Gebot des fairen Verfahrens . 215 (b) Erkenntnisse aus Art. 92, Art. 97, Art. 98 und 101 Abs. 1 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (c) Erkenntnisse aus Art. 95 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . 220 (d) Erkenntnisse aus Art. 103 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . 220 (e) Erkenntnisse aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz . . 222 (2) Bestimmung des besonderen Rechtsschutzstandards . . . . 224 (a) Eigenständiger Gewährleistungsgehalt . . . . . . . . . . . . 224 (b) Inhalt des besonderen Rechtsschutzstandards . . . . . . 225 (aa) Allgemeine Kontrollüberlegung . . . . . . . . . . . . . 226 (bb) Vorläufiger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 (cc) Kontrolldichte im nachträglichen Rechtsschutz . 227 (dd) Auswirkungen auf das Verwaltungsverfahren . . 228 (c) Verhältnis zu den materiellen Grundrechten . . . . . . . 229 ee) Verfassungsrechtliche Gewährleistung der Kenntnisnahme . . . 232 (1) Ableitung aus Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
14
Inhaltsverzeichnis
II.
(2) Erweiterung des Kenntnisnahmeanspruchs aus Art. 19 Abs. 4 GG auf das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kenntnisnahme aus der Verfahrenskomponente materieller Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Kenntnisnahme aus dem Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Kenntnisnahme aus der Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 2. HS GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Kenntnisnahme aus dem Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz bei Rechtsverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundlegung: Schutznormtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) In welche Rechte greift nachrichtendienstliches Handeln ein? (1) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . (2) Folgerungen für die Tätigkeit der Nachrichtendienste . . . (a) Personenbezogene Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Datenerhebungsmethode und -quelle . . . . . . . . . . . . . (aa) Datenerhebung mit nachrichtendienstlichen Mitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Datenerhebung durch Befragung . . . . . . . . . . . . (cc) Offene Datenquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Präventiver Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgestaltungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgestaltungsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Regelungen des nachrichtendienstrechtlichen Rechtsschutzsystems 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollidierende Verfassungsgüter in nachrichtendienstrechtlichen Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bzw. Ordnung und Staatswohl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gefährdung der Aufgabenerfüllung des Nachrichtendienstes / Ausforschungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Geheimhaltung nach Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Geheimhaltung dem Wesen nach und Interessen Dritter / Quellenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Allgemeine Abwägungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ungeschriebene Gemeinschaftsgüter in nachrichtendienstrechtlichen Fällen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
235 236 238 238 239 240 240 241 242 244 244 244 245 247 247 249 254 254 255 257 258 263 264 267 269 271 273 275 275
Inhaltsverzeichnis III. Das nachrichtendienstrechtliche System des gerichtlichen Rechtsschutzes im Lichte der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtswegeröffnung und deren Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kenntnisgewähr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsschutzrelevante Problembereiche der Auskunftsansprüche . aa) Darlegung eines konkreten Sachverhalts und eines besonderen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eingeschränkte Ablehnungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zulässigkeit des Negativtests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Reichweite der Auskunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsschutzrelevante Problembereiche der Unterrichtungspflichten aa) Keine Unterrichtungsgeneralklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterrichtung erst nach Abschluss der Maßnahme . . . . . . . . . 3. Besondere Vorschriften über die Beweiserhebung bzw. Aktenbeiziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Effektiver Rechtsschutz trotz Verweigerungsrechte . . . . . . . . . . . . c) Verfahrensordnungen ohne „in camera“-Verfahren . . . . . . . . . . . . d) Sperrerklärungen im vorläufigen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Präventiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bestimmtheit der Kompetenznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einflüsse auf den parlamentarischen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG als Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Auslegung im ersten Abhörurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Auslegung im zweiten und dritten Abhörurteil . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslegung der Schutzgüter des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG . . . . . . . . . . II. Abgrenzung zwischen Art. 10 Abs. 1 GG und den übrigen Grundrechten III. Das nachrichtendienstrechtliche System des parlamentarischen Rechtsschutzes im Lichte der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handhabung des Beweisrechts durch die G 10-Kommission . . . . . . . . 2. Gefahr im Verzug-Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eröffnung des gerichtlichen Rechtswegs bei unbeabsichtigter Offenlegung und Inzidentkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mitteilungsüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Negativtest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Präventiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
277 278 278 279 279 282 283 285 287 287 288 289 289 290 291 293 294 296 297 298 299 301 304 306 308 309 309 310 310 313 313
16
Inhaltsverzeichnis 3. Teil Besondere prozessuale Fragen im gerichtlichen und parlamentarischen Rechtsschutz
315
A. Probleme der Zulässigkeit und des Rechtswegs gerichtlicher Rechtsbehelfe . . . I. Eröffnung des jeweiligen Rechtswegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Statthafte Klage- und Antragsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Speziell: Beschwerdebefugnis bei verfassungsgerichtlichen Verfahren . . IV. Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
315 316 318 321 322
B. Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beweisrechtliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beweisvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
323 323 323 324
Zusammenfassung
327
A. Begriffliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 B. Struktur und Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 C. Kontrollinstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 D. Einfach-rechtliches Rechtsschutzsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 E.
Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
F.
Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
G. Verfassungsrechtliche Einflüsse auf das einfach-rechtliche Rechtsschutzsystem 336 H. Besondere prozessuale Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
Abkürzungsverzeichnis A 16 A. A. Abs. a.E. AEAO a.F. AfNS Amtsbl. AO AöR AP APN ArbGG arg. e contr. Art. Art45cG ASBw ATDG Aufl. AWG AW-Prax Az. AZRG B6 BArchG bayAGG 10 bayArchG bayBG bayDSG BayObLG bayPAG bayPKGG BayVBl. bayVerf
Besoldungsgruppe A 16 (Bundesbesoldungsordnung A) andere Ansicht Absatz am Ende Anwendungserlass zur Abgabenordnung alte Fassung Amt für nationale Sicherheit Amtsblatt Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Associated Press Außenpolitischer Nachrichtendienst Arbeitsgerichtsgesetz argumentum e contrario Artikel Gesetz nach Art. 45c des Grundgesetzes Amt für die Sicherheit der Bundeswehr Anti-Terror-Datei-Gesetz Auflage Außenwirtschaftsgesetz Außenwirtschaftliche Praxis (Zeitschrift) Aktenzeichen Ausländerzentralregister-Gesetz Besoldungsgruppe B 6 (Bundesbesoldungsordnung B) Bundesarchivgesetz bayerisches Ausführungsgesetz zum G 10 bayerisches Archivgesetz bayerisches Beamtengesetz bayerisches Datenschutzgesetz Bayerisches Oberstes Landesgericht bayerisches Polzeiaufgabengesetz bayerisches Parlamentarisches Kontrollgremium-Gesetz Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) bayerische Verfassung
18 bayVfGHG bayVSG BBG bbgDSG bbgVerfGG bbgVerfSchG Bd. BDSG BeamtStG BfV BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BHO BKAG blnDSG blnVerfGHG blnVSG BND BNDG BR-Drs. bremDSG bremIFG bremVerfSchG BRHG BRRG bspw. BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerfSchG BVerwG BVerwGE bwLDSG bwLVSG BZRG bzw.
Abkürzungsverzeichnis bayerisches Verfassungsgerichtshofgesetz bayerisches Verfassungsschutzgesetz Bundesbeamtengesetz brandenburgisches Datenschutzgesetz brandenburgisches Verfassungsgerichtsgesetz brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz Band Bundesdatenschutzgesetz Beamtenstatusgesetz Bundesamt für Verfassungsschutz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Bundeskriminalamtgesetz berlinisches Datenschutzgesetz berlinisches Verfassungsgerichtshofgesetz berlinisches Verfassungsschutzgesetz Bundesnachrichtendienst Gesetz über den Bundesnachrichtendienst Bundesratsdrucksache bremisches Datenschutzgesetz bremisches Informationsfreiheitsgesetz bremisches Verfassungsschutzgesetz Bundesrechnungshofgesetz Beamtenrechtsrahmengesetz beispielsweise Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverfassungsschutzgesetz Bundesverwaltungsgericht amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts baden-württembergisches Landesdatenschutzgesetz baden-württembergisches Landesverfassungsschutzgesetz Bundeszentralregister-Gesetz beziehungsweise
Abkürzungsverzeichnis CD CDU CIA CILIP CM CR CSU DDR Der Staat ders., dies., dass., diff. Diss. DÖV dpa DRig DuD DVBl. E -E EGMR EMRK etc. e.V. f. / ff. FDGO FDP FGG FGO FZV G 10 G10-Gremium geh. gem. Gestapo GG ggf. GOBT GPS GPU GrS
19
compact disc Christlich Demokratische Union Deutschlands Central Intelligence Agency Bürgerrechte & Polizei (Zeitschrift) counter man Computer und Recht Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. Deutsche Demokratische Republik Der Staat (Zeitschrift) der-, die-, dasselbe differenzierend Dissertation Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsche Presseagentur Deutsches Richtergesetz Datenschutz und Datensicherheit (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) amtliche Entscheidungssammlung Entwurf Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention et cetera eingetragener Verein folgende Seite(n) freiheitlich-demokratische Grundordnung Freie Demokratische Partei Gesetz über die Freiwillige Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Fahrzeug-Zulassungsverordnung Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses Parlamentarisches Gremium nach dem G 10 geheim gemäß Geheime Staatspolizei Grundgesetz gegebenenfalls Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Global Positioning System Politische Hauptverwaltung der UdSSR Großer Senat
20 GSOGB GVBl. / GVOBl. GVG Habil. HChE hessDSG hessLVerfSchG hessSOG hessStGHG hessVerf hib hmbDSG hmbIFG hmbVerfSchG HRG Hrsg. HS HV A i. E. i. H.v. i.V. m. i.w. S. IFG IMEI IMSI insb. JA JöR Jura JuS JZ Kap. KGB KJ KRG KritV KStG KWG LKV lt. LT-Drs.
Abkürzungsverzeichnis Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Habilitation Herrenchiemsee-Entwurf des Grundgesetzes hessisches Datenschutzgesetz hessisches Landesverfassungsschutzgesetz hessisches Sicherheits- und Ordnungsgesetz hessisches Staatsgerichtshofgesetz hessische Verfassung Heute im Bundestag hamburgisches Datenschutzgesetz hamburgisches Informationsfreiheitsgesetz hamburgisches Verfassungsschutzgesetz Hochschulrahmengesetz Herausgeber Halbsatz Hauptverwaltung Aufklärung im Ergebnis in Höhe von in Verbindung mit im weiteren Sinne Informationsfreiheitsgesetz International Mobile Equipment Identity International Mobile Subscriber Identification insbesondere Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Jahrbuch des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristen-Zeitung (Zeitschrift) Kapitel Komitee für Staatssicherheit der UdSSR Kritische Justiz (Zeitschrift) Kontrollrats-Gesetz Kritische Vierteljahresschrift (Zeitschrift) Körperschaftsteuergesetz Kreditwesengesetz Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) letzte(r,s) Landtagsdrucksache
Abkürzungsverzeichnis m.E. m.w. N. MAD MADG MdB MfS Mio. MRRG mvDSG mvLVerfGG mvSOG MVVerfG mvVerfSchG MWD n.F. NADIS NATO ndsDSG ndsVerf ndsVerfSchG NJW NKWD Nr. NStZ NVA NVwZ nwAGG 10 nwArchG nwDSG nwIFG nwLBG nwLOG nwSÜG NWVBl. nwVerf nwVSG OLGR OVG Bremen OVG NRW OVG Rhl.-Pf. p.
meines Erachtens mit weiterem / weiteren Nachweis(en) Militärischer Abschirmdienst Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst Mitglied des Bundestages Ministerium für Staatssicherheit Millionen Melderechtsrahmengesetz mecklenburg-vorpommersches Datenschutzgesetz mecklenburg-vorpommersches Landesverfassungsgerichtsgesetz mecklenburg-vorpommersches Sicherheits- und Ordnungsgesetz Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern mecklenburg-vorpommersches Verfassungsschutzgesetz Ministerium für innere Angelegenheiten der UdSSR neue Fassung Nachrichtendienstliches Informationssystem North Atlantic Treaty Organization niedersächsisches Datenschutzgesetz niedersächsische Verfassung niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Volkskommissariat des Innern der UdSSR Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht (Zeitschrift) Nationale Volksarmee Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift) nordrhein-westfälisches Ausführungsgesetz zum G 10 nordrhein-westfälisches Archivgesetz nordrhein-westfälisches Datenschutzgesetz nordrhein-westfälisches Informationsfreiheitsgesetz nordrhein-westfälisches Landesbeamtengesetz nordrhein-westfälisches Landesorganisationsgesetz nordrhein-westfälisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) nordrhein-westfälische Verfassung nordrhein-westfälisches Verfassungsschutzgesetz OLG-Report Bremisches Oberverwaltungsgericht Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz page
21
22 PaßG PDB PDS PersAuswG PERWIS PFLP PKGr PKGrG PKK PKKG PKV pp. PrOVGE PUAG PVMG PZD RAF RGSt rlpBürgerBG rlpLDSG rlpVerfGHG rlpLVerfSchG RmBereinVpG Rn. S. saarDSG saarIFG saarVerfSchG sächsDSG SächsVerfGH sächsVerfGHG sächsVSG saDSG saIZG saLVerfGG saVerfSchG SD SG SGB SGG
Abkürzungsverzeichnis Paßgesetz automatisierte Personendatenbank Partei des Demokratischen Sozialismus Personalausweisgesetz Personalwirtschaftssystem für Soldaten Popular Front for the Liberation of Palestine Parlamentarisches Kontrollgremium Parlamentarisches Kontrollgremiums-Gesetz Parlamentarische Kontrollkommission Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes Paulskirchen-Verfassung perge, perge Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Parlamentarischer Untersuchungsausschuss-Gesetz Parlamentarisches Vertrauensmännergremium Personenzentraldatei Rote Armee Fraktion Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen rheinland-pfälzisches Bürgerbeauftragtengesetz rheinland-pfälzisches Landesdatenschutzgesetz rheinland-pfälzisches Verfassungsgerichtshofgesetz rheinland-pfälzisches Landesverfassungsschutzgesetz Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess Randnummer Seite saarländisches Datenschutzgesetz saarländisches Informationsfreiheitsgesetz saarländisches Verfassungsschutzgesetz sächsisches Datenschutzgesetz Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen sächsisches Verfassungsgerichtshofgesetz sächsisches Verfassungsschutzgesetz sachsen-anhaltinisches Datenschutzgesetz sachsen-anhaltinisches Informationszugangsgesetz sachsen-anhaltinisches Landesverfassungsgerichtsgesetz sachsen-anhaltinisches Verfassungsschutzgesetz Sicherheitsdienst Soldatengesetz Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz
Abkürzungsverzeichnis shIFG shLBG shLDSG shLVerfSchG shLVwG shVerf SJZ sog. SOUD SPD SS Stasi StGB StPO str. geh. StrafV stRSpr StUG StVG StVO StVZO SÜG thürDSG thürIFG ThürVBl thürVerfGHG thürVSG TKG Tscheka u. a. u.Ä. u.U. UCA UdSSR US USA usw. v. VBlBW VerwArch
23
schleswig-holsteinisches Informationsfreiheitsgesetz schleswig-holsteinisches Landesbeamtengesetz schleswig-holsteinisches Landesdatenschutzgesetz schleswig-holsteinisches Landesverfassungsschutzgesetz schleswig-holsteinisches Landesverwaltungsgesetz schleswig-holsteinische Verfassung Süddeutsche Juristenzeitung (Zeitschrift) so genannte(r,s) System der vereinten Erfassung von Informationen über den Gegner Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutz-Staffel umgangssprachlich für MfS Strafgesetzbuch Strafprozessordnung streng geheim Strafverteidiger (Zeitschrift) ständige Rechtsprechung Stasi-Unterlagengesetz Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrsordnung Straßenverkehrszulassungsordnung Sicherheitsüberprüfungsgesetz thüringisches Datenschutzgesetz thüringisches Informationsfreiheitsgesetz Thüringer Verwaltungsblätter (Zeitschrift) thüringisches Verfassungsgerichtshofgesetz thüringisches Verfassungsschutzgesetz Telekommunikationsgesetz Außerordentliche Allrussische Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage der UdSSR und andere und Ähnliche(s) unter Umständen undercover agent Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United States United States of America und so weiter vom Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg (Zeitschrift) Verwaltungs-Archiv
24 VG VGH BW vgl. VISZG V-Leute / -Person / -Mann VS VS – NfD VS – Vert. VVDStRL VwGO VwVfG WaffG WBeauftrG WEWIS WRV z. Zt. ZBR ZER ZEVIS ZFdG zit. ZKA ZOV ZPO ZRP ZStV
Abkürzungsverzeichnis Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vergleiche Visa-Informationssystem-Zugangsgesetz Vertrauensleute / -person / -mann Verschlusssache VS – Nur für den Dienstgebrauch VS – Vertraulich Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Waffengesetz Wehrbeauftragtengesetz Informationssystem für das Wehrersatzwesen Weimarer Reichsverfassung zur Zeit Zeitschrift für Beamtenrecht (Zeitschrift) Zentrales Einwohnerregister Zentrales Verkehrsinformationssystem beim Kraftfahrtbundesamt Zollfahndungsdienstgesetz zitiert als Zollkriminalamt Zentrales Objektverzeichnis Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift) Zentrales Staatsanwaltschaftliches Verfahrensregister
Einleitung und Grundbegriffe A. Geheimdienste, staatliche Macht und rechtsstaatlich-demokratische Kontrolle Überwachung ist Bedingung für Kontrolle. Überwachung ist Bedingung für Repression, für Disziplinierung. Überwachung allein führt nicht zwangsläufig zu gesellschaftlicher oder staatlicher Macht, ist aber eine notwendige Bedingung für effektive Machtausübung. Dieser Zusammenhang wurde bereits von Michel Foucault belegt. 1 Zwar geht er in seiner historischen Untersuchung von Machtdemonstration und -ausübung durch das mittelalterliche Strafsystem aus, zeigt aber auch, dass Machtausübung in modernen Gesellschaften subtiler, effektiver und umfassender durch das Zusammenspiel von Überwachung, Kontrolle und Disziplinierung insbesondere jenseits des Strafsystems erfolgt. Überwachung ist demnach ein essentieller Bestandteil der Macht, denn die Machtinstrumente Kontrolle und Disziplinierung setzen zwingend Überwachung voraus. Je umfassender die Überwachung des Machtunterworfenen erfolgt, desto effektiver wird die Machtausübung. 2 Geheimdienste überwachen für den Staat. Sie überwachen das Ausland, ausländische Bürger, ausländische Regierungen, ausländische Unternehmen. Sie überwachen Ausländer im eigenen Land, potentielle Spione und Staatsgefährder. Sie überwachen das Inland, die eigenen Bürger, eigene Unternehmen, sogar Mitglieder eigener Staatsorgane und Regierungsmitarbeiter. Sie arbeiten verdeckt und lösen dadurch keine schützenden Vorkehrungen beim Betroffenen aus. Nicht selten werden sie Zeuge der Willensbildung und unverfälschten Gesinnung der Betroffenen. Durch ihre Geheimheit ist ihre Überwachung effektiver als die jeder anderen Institution. Geheimdienste werden zur Mitbedingung effektiver staatlicher Macht. Staatliche Macht bedarf in einer modernen rechtsstaatlichen Demokratie aber selbst der Kontrolle. Diese Staats- und Regierungsform zeichnet sich gerade durch Machtteilung und Machtkontrolle aus. 3 Die Machtkontrolle ist zuvorderst 1
Vgl. Foucault, Überwachen und Strafen. So auch Arndt, DÖV 1996, S. 459 (462 f.) in Abwandlung der bekannten Wendung des englischen Philosophen Francis Bacons: „Wissen ist stets Macht und geheimes Wissen besonders gefährliche Macht.“ 3 Umfassend: Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 297 ff. 2
26
Einleitung und Grundbegriffe
eine gesellschaftliche. In der Tradition aufgeklärter Staatsdenker nehmen sie die Bürger selbst wahr. Nur diese verleihen dem Staat gesellschaftsvertraglich Macht. 4 Jede Kontrolle setzt aber die Kenntnis staatlicher Handlungen und staatlichen Wissens voraus. 5 Nur so ist ein öffentlicher Diskurs im Sinne der geistesgeschichtlichen Aufklärung denkbar, indem in dialektischer Wahrheitssuche ein rational begründeter Mehrheitswille gebildet wird, der dem Gemeinwohl entspricht. Publizität wird dadurch zur Grundvoraussetzung eines an Vernunft orientierten Staatswesens. 6 Geheimdienste üben zwar staatliche Macht aus, ihnen ist jedoch die Offenbarung ihres Wissens und ihrer Handlungen schon von der Anlage her fremd. Aber auch Geheimdienste müssen sich in einer Demokratie dem Publizitätsgebot unterwerfen, denn fehlende Publizität ist in einer Demokratie nicht akzeptabel. Mit anderen Worten: Das Herrschaftsgeheimnis, das staatliche Arkanum, ist nicht demokratisch legitim. Es gehört nicht zur Demokratie, sondern zum absolutistischen Staat. 7 Ein Berufen auf das Arkanum in einer Demokratie entlarvt sich daher selbst. So erkannte bereits Max Weber, dass das Geheimwissen der Verwaltung, das im sog. Dienstgeheimnis kondensiert ist, letztlich lediglich ein Mittel ist, die Verwaltung gegen ihre Kontrolle zu sichern. 8 Geheimes Wissen, kombiniert mit Überlegenheit auf der einen und Unsicherheit auf der anderen Seite, verstärkt das bestehende Machtgefälle zwischen Bürger und Staat und damit die ausgeübte Hoheitsgewalt. 9 Dem demokratischen Gemeinschaftswesen ist daher auch die Kontrolle von Geheimdiensten als Institutionen staatlicher Machtausübung immanent. 10 Die Dienste dürfen kein kontrollfreier Raum bleiben. Wie die Kontrolle ausgestaltet wird, also ob sie etwa das Parlament als Repräsentativorgan wahrnimmt, ist dann eine Frage der Staatsstruktur, insbesondere der Machtverteilung zwischen den staatlichen Gewalten. Zwar ist die durch einen offenen Diskurs geprägte gesellschaftliche Machtkontrolle ein bedeutender Faktor insbesondere der Kontrolle der Geheimdienste. Aber diese Kontrolle wäre unwirksam, wenn aus einem Diskursergebnis, einem gesellschaftlichen Konsens, keine Konsequenzen für die kontrollierte staatliche Institution folgen würden. Neben den gesellschaftlichen Teil der Machtkontrolle 4
Vgl. dazu Frotscher / Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 129. Vgl. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 352. 6 Vgl. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 141 f.; Kant, Der Streit der Facultäten, S. 108; Pieroth, Freundesgabe Müller, S. 171 (183 ff.); Wegener, Der geheime Staat, S. 124 ff. 7 Vgl. Wegener, Der geheime Staat, S. 31 ff. 8 Vgl. Weber, Parlament und Regierung, S. 58; ders. Wirtschaft und Gesellschaft, S. 863. 9 Vgl. Rupp, Rechtsschutz und Verfassungsschutz, S. 157 (162). 10 Vgl. umfassend dazu und den Anforderungen des Demokratieprinzips nach Art. 20 Abs. 1 GG, Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung, S. 332 ff. m.w. N. 5
A. Geheimdienste und rechtsstaatlich-demokratische Kontrolle
27
muss daher eine Ergänzung treten, die den gesellschaftlichen Konsens durchsetzt und seine Einhaltung fortlaufend kontrolliert. Diese Ergänzung ist der rechtsstaatliche Teil der Machtkontrolle. Der demokratische Souverän bindet durch seine Entscheidungen, durch Gesetze, durch das Recht, staatliche Macht. Nur wenn das Recht als kondensierter Mehrheitswille Einschränkungen bürgerlicher Freiheit vorsieht, ist es der ausführenden Staatsgewalt auch erlaubt, Einschränkungen vorzunehmen. Die Bindung staatlicher Gewalt durch das Recht wird so zum zentralen Bestandteil rechtsstaatlich-demokratischer Machtkontrolle. Das Grundgesetz spricht daher auch in Art. 20 Abs. 3 GG aus, dass die Exekutive − zu der Geheimdienste gehören − an Gesetz und Recht gebunden ist. Um diese Bindung und die Machtkontrolle und -begrenzung sicherzustellen, muss das Recht aber selbst geschützt werden, sonst kann es nicht machtkontrollierend und -begrenzend wirken. Rechtsschutz ist im Folgenden zunächst wörtlich als Schutz des Rechts zu verstehen. Schutz meint unmittelbare Rechtsdurchsetzung. Unter „Rechte“ sind aber ausschließlich subjektive Rechte zu verstehen. Beides ergibt sich zum einen aus historischen, zum anderen aus rechtstheoretischen Überlegungen: Historisch ging die Entwicklung des Rechtsstaates stets mit der Forderung einher, Schutz vor Übergriffen der Staatsgewalt in die unveräußerlichen Freiheiten der Bürger zu gewährleisten. 11 Darin kommt bereits der Gedanke zum Ausdruck, dass Freiheit nicht lediglich objektiv, nur durch den Staat geschuldetes Gerechtes ist, sondern dass Freiheit auf das einzelne Individuum bezogen werden muss und diesem naturrechtlich zusteht. Der Einzelne wird so zum Rechtsträger aufgrund seines Menschseins. Das Recht auf Freiheit steht nicht der Menschengesamtheit, sondern dem einzelnen Menschen zu. Es wird auf den Einzelnen bezogen und damit zum subjektiven Recht. 12 Der Rechtsstaat des Grundgesetzes geht daher insbesondere vom Schutz subjektiver Rechte, besonders gegen staatliche Eingriffe aus. Der Machtunterlegene oder der in seiner Rechtsstellung Gefährdete muss konsequenterweise durch die Rechtsordnung eine Möglichkeit erhalten, seine Rechtsinteressen durchzusetzen, d. h. sich unmittelbar aus der Situation der Gefährdung oder der Machtunterlegenheit zu befreien. Ihm muss mit anderen Worten die Chance gegeben werden, sein Recht selbst zu erkämpfen und dadurch staatliche Macht in ihren rechtlichen Schranken zu halten. 13 Dazu bedarf es einer Institution, die einer rechtsstaatlichen Friedensordnung entsprechend verfährt und umfassenden Rechtsschutz gewährleistet. Die Institution ist nach heutigem Verständnis das Gericht, so dass Rechtsschutz grundsätzlich Gerichtsschutz bedeutet. 14 11 12 13 14
Vgl. Grzeszick, Maunz / Dürig, Art. 20 VII Rn. 3 f. Vgl. Böckenförde, Rechtsphilosophie, S. 326 f. Vgl. Henkel, Rechtphilosophie, S. 170 f., 408 f. Vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 839.
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Einleitung und Grundbegriffe
Wie wirksam allein der Gerichtsschutz als demokratisch-rechtsstaatliche Machtkontrolle und -begrenzung ist und wie gefährlich seine Eingrenzung ist, zeigt ein Blick auf diktatorische Systeme, wie etwa das nationalsozialistische Regime. So bestimmte § 7 des Gesetzes über die Geheime Staatspolizei (Gestapo) vom 10. Februar 1936 15, dass „Verfügungen und Angelegenheiten der geheimen Staatspolizei [...] nicht der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte [unterliegen]“. Es war die konsequente Folge der Herauslösung einer geheim operierenden politischen Polizei aus der allgemeinen, gesetzesgebundenen Verwaltung und sollte die Kontrolle der nahezu unbeschränkten Mittel der Gestapo verhindern. 16 Die Gestapo, später als Teil des Reichssicherheitshauptamtes, wurde auch dadurch in den folgenden Jahren zu einem unkontrollierten Instrument der Brutalisierung und Entzivilisierung nationalsozialistischer Herrschaft. 17 Zwar endete mit dem Auflösen dieser Behörde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 dieses Extrem der exekutiven Willkür. 18 Die Befugnisse und Praxis nationalsozialistischer Sicherheitsbehörden vor Augen, setzte es sich der seit 1949 bestehende bundesrepublikanische Rechtsstaat zum Ziel, zukünftig einer ausufernden „Selbstherrlichkeit der Exekutive“, insbesondere durch eine effektive Kontrolle der Tätigkeit der Verwaltung durch Gerichte entgegen zu wirken. 19 Das traf auch die Geheimdienste der jungen Bundesrepublik. Sie waren allerdings keine politischen Polizeien, in Befugnissen und Ermittlungspraxis auch sicher nicht mit der Gestapo vergleichbar. Als Teil der Verwaltung sollten aber auch sie dem Ziel einer effektiven Kontrolle genügen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat der Verfassungsgeber Art. 19 Abs. 4 GG geschaffen. Um des Individualrechtsschutzes des Bürgers willen überträgt die Norm das Letztentscheidungsrecht über die Rechtmäßigkeit der Akte der öffentliche Gewalt, die subjektive Rechte tangieren, der Judikative. 20 Nach seiner Entstehungsgeschichte stellt die Norm die Vervollständigung des Ausbaus des deutschen Staatswesens zum Rechtsstaat dar. 21 Ein vervollständigter Rechtsstaat muss dabei das gesamte Staatswesen mit all seinen Institutionen erfassen. 22 Die 15 Preußische Gesetzessammlung 1936, S. 21, abgedruckt in: Brodersen, NS-Gesetze, S. 24 ff. 16 Vgl. Frotscher / Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 666; zur Unmöglichkeit, die vielgestaltigen Machtmittel der Gestapo erfassen zu können: Evers, Privatsphäre und Verfassungsschutz, S. 79. 17 Vgl. Frotscher / Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 666. 18 Vgl. Evers, Privatsphäre und Verfassungsschutz, S. 80. 19 Vgl. Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 1 m.w. N. 20 Vgl. Papier, HbdStR IV, § 154 Rn. 4. 21 Vgl. vMangoldt, Grundgesetz, S. 117. 22 Art. 19 Abs. 4 GG wurde dementsprechend von Richard Thoma als „Schlußstein“ im „Gewölbe des Rechtsstaates“ bezeichnet, vgl. Recht-Staat-Wirtschaft, Band 3 (1951),
A. Geheimdienste und rechtsstaatlich-demokratische Kontrolle
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gerichtliche Überprüfung darf nach Art. 19 Abs. 4 GG also nicht vor den Geheimdiensten halt machen. Nun könnte man meinen, die Effektivität der Geheimdienstarbeit stünde einem wirksamen Rechtsschutz entgegen. Im historischen Beispiel der Gestapo war die verwaltungsgerichtliche Kontrolle dem Geheimdienst eines totalitären Staates im Wege, d. h. sie behinderte aus der Sicht des nationalsozialistischen Staates seine Effektivität. 23 Zwar ist ein Gleichsetzen der heutigen Dienste mit jener verbrecherischen Institution nicht zulässig. Allerdings bleibt die Frage, ob auch in der Bundesrepublik die Effektivität des Rechtsschutzes der Bürger zugunsten der Effektivität von Geheimdiensten eingeschränkt werden muss. In der Eigenschaft des heutigen Deutschland als rechtsstaatliche Demokratie liegt aber gleichzeitig die Beantwortung dieser Frage. Fehlender Schutz des Rechts und fehlende Publizität staatlicher Machtausübung wären dieser Staatsund Regierungsform fremd. Vielmehr muss sich das Wirken staatlicher Organe der Kritik der öffentlichen Meinung aussetzen 24 und im Rahmen der Gewaltenteilung kontrolliert werden. Das ist aus Sicht staatlicher Machtausübung auch nicht zu bedauern, denn es geht es immer nur um Kontrolle und nicht um Beschneidung bestehender materieller Befugnisse der Dienste. Es wird nur überprüft, ob die Dienste ihre enormen Kompetenzen rechtmäßig, d. h. auf dem Boden des Rechtsstaates ausüben. Zudem steht eine effektive Machtkontrolle auch im Interesse der Dienste, die anderenfalls, etwa nach Skandalen, das Vertrauen der Öffentlichkeit verlieren und zum Opfer öffentlichen Drucks auf Abgeordnete und Regierung werden könnten. 25 Insbesondere der Rechtsschutz gegen Geheimdienste ist daher nicht nur aus rechtsstaatlichen Gründen, sondern auch im eigenen Interesse der Dienste notwendig. Er wird darüber hinaus zum Schutz subjektiver Rechte auch immer nötiger. Im Zuge des technischen Fortschritts sind die Datensammlungsmethoden revolutioniert und erheblich erweitert worden. Mit den steigenden Überwachungsmöglichkeiten steigt aber auch die dadurch vermittelte staatliche Macht. Die Rechte des Bürgers sind davor zu schützen. Ein umfassender Rechtsschutz ist daher gerade heute notwendig, um im Hinblick auf den Schutz einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie „nicht mehr [nur] den Anfängen, sondern einem bitteren Ende zu wehren“ 26. S. 9. Walter Jellinek bezeichnete ihn gar als „königlichen Artikel[...]“, VVDStRL 8 (1950), S. 65. Friedrich Klein konstatierte schließlich, Art. 19 Abs. 4 GG bringe den Rechtsstaatsgedanken ein gutes Stück seiner Ideallösung näher und vollende den deutschen Rechtsstaat, vgl. VVDStRL 8 (1950), S. 67 bzw. 77 f. 23 Vgl. bzgl. der Rassendiskriminierung: Wesel, Die Geschichte des Rechts, Rn. 303. 24 Vgl. Friesenhahn, Kontrolle der Dienste, S. 87 (88). 25 Den Zusammenhang zwischen Vertrauen der Öffentlichkeit und Erfolg des Verfassungsschutzes betont auch Schmidt, Verfassungsschutz, S. 15 (35).
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Einleitung und Grundbegriffe
B. Gang der Untersuchung In der Arbeit soll der Rechtsschutz gegen geheimdienstliche Maßnahmen umfassend untersucht werden. Rechtsschutz wurde bereits als die Durchsetzung subjektiver Rechte mittels Gerichte definiert. Die subjektiven Rechte sollen gegen geheimdienstliche Maßnahmen durchgesetzt werden. In einem ersten Schritt ist daher zu beleuchten, welche Kompetenzen die Geheimdienste besitzen und welche Maßnahmen sie treffen können, die subjektive Rechte möglicherweise tangieren können. Dabei muss die Untersuchung zweckmäßiger Weise auf die bundesdeutschen Dienste beschränkt werden. Insbesondere diese Dienste sind aber für Rechtsschutzfragen besonders interessant, da sie im Laufe ihrer kurzen Geschichte einen erheblichen Kompetenzzuwachs erhalten haben. Ein umfassendes Verständnis der Maßnahmen und der Notwendigkeit von Rechtsschutz ist nur möglich, wenn die jeweiligen Kompetenzveränderungen auch in ihrem zeitgeschichtlichen Zusammenhang dargestellt werden. Die Entwicklung der Dienste und die Darstellung der Kompetenzen sind dem 1. Teil der Arbeit vorbehalten. Ebenso in diesem Teil sollen überblicksartig die Kontrollinstanzen neben dem gerichtlichen Rechtsschutz betrachtet werden. Sie dienen zwar nicht unmittelbar der Durchsetzung subjektiver Rechte, sind jedoch mittelbar mit dem gerichtlichen Rechtsschutz verzahnt und können weiteren Aufschluss über Notwendigkeit des Rechtsschutzes und faktische Alternativen zu einer gerichtlichen Durchsetzung geben. Ab dem 1. Teil werden die deutschen Geheimdienste als Nachrichtendienste bezeichnet. Umgangssprachlich wird Nachrichtendienst und Geheimdienst zwar regelmäßig synonym verwendet. 27 Nachrichtendienst ist jedoch der engere Begriff. Er wird als staatliche Institution verstanden, die nur rezeptive Tätigkeiten ausführt, d. h. die Beschaffung und Auswertung von Informationen leistet. Vom Betreiben weiterer aktiver Maßnahmen ist er ausgeschlossen. 28 Geheimdienste hingegen führen neben der Sammlung von Informationen auch aktive Handlungen zur Störung oder Beeinflussung politischer Gegner im In- und Ausland durch. 29 Zu den aktiven Handlungen gehören etwa Agitation, Desinformation, Diversion, Sabotage, Subversion, politischer Mord etc. 30 Traditionelle 26 Die Richterinnen Jaeger und Hohmann-Dennhardt in einem Sondervotum zu BVerfGE 109, 279 (382 ff., 391) bezüglich der Befürchtung einer zukünftigen geheimen Wohnraumüberwachung unter Ausschluss des Rechtswegs. 27 Vgl. nur Brockhaus, Stichwort „Nachrichtendienst, Geheimdienst“. 28 Vgl. Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG Rn. 4. 29 Vgl. Gröpl, Nachrichtendienste, S. 36 f.; Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG Rn. 4, der Geheimdienste auch als Nachrichtendienste im weiteren Sinne und die hier beschriebenen Nachrichtendienste als Nachrichtendienste im engeren Sinne bezeichnet. 30 Vgl. Nachweise bei Gröpl, Nachrichtendienste, S. 37.
B. Gang der Untersuchung
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geheimdienstliche Arbeit ist zudem die Spionageabwehr bzw. Gegenspionage, weil sie auch Elemente aktiver Handlungen enthält. 31 Spionage ist das rechtswidrige Auskundschaften von militärischen, politischen oder wirtschaftlichen Geheimnissen (besonders Staatsgeheimnissen), v. a. für einen anderen Staat. Gegenspionage dementsprechend die Aufklärung der gegnerischen Nachrichtendienste 32 und Spionageabwehr die Verhinderung der Informationsbeschaffung durch gegnerische Geheimdienste. 33 Wie der Begriff Geheimdienst bereits sagt, führen Geheimdienste ihre Tätigkeit geheim durch, um die Effektivität ihres Handelns zu steigern bzw. um überhaupt aktionsfähig zu sein. Nachrichtendienste können hingegen geheim oder offen erheben. 34 In der Geschichte haben Geheimdienste stets nicht nur nachrichtendienstliche Tätigkeit wahrgenommen, sondern wehrten häufig auch mit polizeilichen Mitteln, d. h. Zwangsmitteln, 35 Gefahren für die innere Ordnung des Staates ab, erfüllten also die eigentlich polizeiliche Aufgabe der Gefahrenabwehr. Diese geheim operierenden Polizeien wurden aber regelmäßig dazu eingesetzt, nicht nur den Staat zu schützen, sondern daneben die jeweilige gesellschaftliche und staatliche Herrschaftsgruppe. 36 Es ging also nicht um den Schutz des Staates, sondern den der herrschenden Machtverhältnisse im Staat. Das führte zur Bekämpfung des politischen Gegners. Die entsprechend eingesetzte Polizeibehörde wurde zur sog. (geheime) politischen Polizei. 37 Zu nennen sind hier die „haute police“ Ludwigs des XIV., die 1699 frankreichweit entstand und unter dem Polizeiminister Joseph Fouché ab 1796 stark ausgebaut wurde, die österreichische Polizei zur Zeit Metternichs unter dem Polizeichef Sedlnitzky, der sowjetische KGB mit seinen Vorgängern Tscheka, GPU, NKWD und MWD, und die Gestapo zur Zeit des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland. 38
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Vgl. Gröpl, Nachrichtendienste, S. 37. Definition nach § 1 Nr. 1 HS. 2 der Dienstanweisung für den Bundesnachrichtendienst vom 04. 12. 1968, abgedruckt im Untersuchungsausschussbericht „Guillaume“, BT-Drs. 7/3249, S. 47 f. 33 Vgl. Gröpl, Nachrichtendienste, S. 37. 34 Insoweit irrt Gröpl, Nachrichtendienste, S. 38, wenn er in der Bezeichnung „geheimer Nachrichtendienst“ einen Pleonasmus sieht. Zwar erheben Nachrichtendienste regelmäßig verdeckt, sie können aber auch offen erheben, vgl. für die deutschen Dienste unter 1. Teil B. II. 1. b) aa). 35 Vgl. Gusy, DVBl. 1991, S. 1288 (1290); Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG Rn. 200. 36 Vgl. Arndt, NJW 1961, S. 897. 37 Vgl. Evers, Privatsphäre und Verfassungsschutz, S. 72 ff. 38 Vgl. Evers, Privatsphäre und Verfassungsschutz, S. 73 Fußn. 4, Gröpl, Nachrichtendienste S. 46 ff., jeweils mit umfangreichen Nachweisen. 32
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Einleitung und Grundbegriffe
Die hier behandelten bundesdeutschen Geheimdienste sind aber gesetzlich als Nachrichtendienste konzipiert, 39 wobei ihnen zusätzlich aus dem geheimdienstlichen Bereich die Spionageabwehr zugeordnet wurde. 40 Im 1. Teil werden auch die für subjektive Rechte der Bürger in der Bundesrepublik wichtigen Verfassungsschutzbehörden als Inlandsnachrichtendienste vorgestellt. Die Verfassungsschutzbehörden sind Teil des sog. Staatsschutzes. Dieser Begriff meint den umfassenden Schutz eines jeden Staates vor Gefahren, die allgemein seine Sicherheit oder konkret seinen Bestand oder seine Einrichtungen bedrohen. 41 Verfassungsschutz ist der engere Begriff und meint nur den Schutz der verfassungsrechtlichen Grundordnung des Staates. 42 Er entstand, als sich die Staaten des europäischen Kulturkreises im Laufe des 19. Jahrhunderts geschriebene Verfassungen gaben, und diente dem Schutz bürgerlicher Freiheitsrechte vor dem absolutistischen Staat. 43 Auf den heutigen bundesrepublikanischen freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat bezogen bedeutet dies, dass Verfassungsschutz die freiheitliche Verfassungsordnung des Grundgesetzes schützt. Diese garantiert im Wesentlichen Freiheit und Demokratie, deren Abschaffung verhindert werden muss, insbesondere wenn sie selbst als Mittel zu ihrer eigenen Abschaffung missbraucht werden. 44 Der Verfassungsschutz schützt 39 Vgl. etwa Frisch, DuD 1996, S. 533. Falsch ist daher die Einordnung von MayerMetzner, Auskunft aus Dateien, S. 51 f., der die bundesdeutschen Dienste explizit als Geheimdienste bezeichnet. 40 Vgl. unter 1. Teil A. Allerdings deutet die vor dem BNDG für den BND maßgebliche Dienstanweisung v. 4. 12. 1968 in § 1 Nr. 1 HS. 3 („Der Bundesnachrichtendienst hat folgende Aufgaben: (...) die Erledigung sonstiger nachrichtendienstlicher Aufträge des Bundeskanzlers und der Bundesregierung im Ausland“), abgedruckt in BT-Drs. 7/3246, S. 47, darauf hin, dass jedenfalls der BND auch aktive Handlungen vornehmen sollte. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auf militärischem Gebiet die informationelle Beeinflussung des Gegners im Rahmen der sog. psychologischen Kriegs- bzw. Kampfführung dem Zentrum für Operative Information, einer Streitkräftebasis der Bundeswehr mit eigenem Einsatzbataillon, zugewiesen ist, vgl. den Internetauftritt des Zentrums unter: http://www.opinfo.bundeswehr.de. 41 Eine umfassende Darstellung insbesondere der Geschichte des strafrechtlichen Staatsschutzes bietet der Beitrag von Lange, Geschichte des Staatsschutzes. 42 Vgl. zu beiden Begriffen: Gröpl, Nachrichtendienste, S. 301 f., der aber zu Recht darauf hinweist, dass durch die Einfügung von Art. 74 Abs. 1 Nr. 10 GG im Jahre 1972 der Verfassungsschutz auch den Staatsschutz umfasst und so beide Begriffe verschwimmen. So sei es leichter möglich, dass der Schutz der Verfassung missbräuchlich mit dem Schutz des staatlichen Machtapparates gleichgesetzt werde; Schäfer, Verfassungsschutz, S. 37 (38); Schwagerl / Walther, Verfassungsschutz, S. 7. 43 Vgl. Herzog, Auftrag der Verfassungsschutzbehörden, S. 1 (3). 44 Vgl. Maurer, Staatsrecht I, § 23 Rn. 1 ff. Die historische Notwendigkeit des so verstandenen Verfassungsschutzes wird durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten deutlich, die der spätere nationalsozialistischen Reichspropagandaministers Joseph Goebbels im Jahre 1928 in einer zynischen Bemerkung vorwegnimmt. Danach würden die Nationalsozialisten in den Reichstag gehen, um die „Weimarer Gesinnung mit ihrer eige-
B. Gang der Untersuchung
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daher die Gefahren für die Verfassung von den Staatsorganen selbst und aus der Gesellschaft. 45 Zum Verfassungsschutz gehören primär die im Grundgesetz befindlichen so genannten Verfassungsschutzbestimmungen der Art. 9 Abs. 2, 10 Abs. 2, 11 Abs. 2, 18, 20 Abs. 4, 21 Abs. 2, 73 Abs. 1 Nr. 10 lit. b, 79 Abs. 3, 87a Abs. 4 Satz 1, 91 GG. Das Bundesamt für Verfassungsschutz bzw. die entsprechenden Landesämter werden ausschließlich in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 lit. b und in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG erwähnt. Die erste Vorschrift gibt eine Gesetzgebungskompetenz über die Zusammenarbeit des Bundes auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes, die andere schafft die Befugnisse einer entsprechenden bundeseigenen Verwaltung. Die Ämter für Verfassungsschutz stellen demnach nur einen Teil des grundgesetzlichen Verfassungsschutzes dar und sind nicht, wie die Bezeichnung der Ämter andeuten mag, Kern des Schutzes des Grundgesetzes und seiner Ordnung. Im Anschluss an die Darstellung der Entwicklung, Kompetenzen und Kontrollinstanzen werden im 2. Teil die den Rechtsschutz gewährenden Rechte, sog. Justizgewährleistungsrechte, der von nachrichtendienstlichen Maßnahmen betroffenen Bürger dargestellt. Verfassungsrechtliche Kernnorm für die Durchsetzung der Rechte auf gerichtlichem Wege ist Art. 19 Abs. 4 GG. Die sich aus der Norm ergebenden Anforderungen für einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz werden durch umfassende Auslegung herausgearbeitet. Dabei werden die übrigen, den Rechtsschutz gewährenden Verfassungsnormen angemessene Berücksichtigung finden. Neben verfassungsrechtlichen Rechtsschutznormen existiert ein einfach-rechtliches Rechtsschutzsystem hinsichtlich nachrichtendienstlicher Maßnahmen. Allerdings ist dieses System nicht geschlossen. Die Regelungen sind vielmehr über sämtliche Verfahrensordnungen und Nachrichtendienstgesetze sowie weiterer Spezialgesetze des Bundes und der Länder verstreut. Bevor die verfassungsrechtlichen Normen ausgelegt werden können, muss das zerklüftete einfach-rechtliche System vorgestellt und strukturiert werden, um mögliche Rechtsschutzdefizite herauszuarbeiten und daraus Auslegungsfragen für Art. 19 Abs. 4 GG u. a. entwickeln zu können. Im Anschluss können die problematischen Normen dann auf ihre Verfassungskonformität untersucht werden. Zunächst einfaches Recht vorzustellen, dann einschlägiges Verfassungsrecht auszulegen und anschließend erneut das einfache Recht im Lichte der Verfassung zu betrachten, ist im Hinblick auf die Breite und Komplexität des einfachrechtlichen Rechtsschutzsystems ein methodisch klarer Weg; anderenfalls würde man bei der Auslegung der Verfasnen Unterstützung lahm zu legen“. Er führt weiter aus: „Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrtkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafsherde einbricht, so kommen wir [...]“, zitiert nach Schrübbers, Organisation und Aufgabe des Verfassungsschutzes, S. 63 (65). 45 Vgl. Herzog, Auftrag der Verfassungsschutzbehörden, S. 1 (5).
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Einleitung und Grundbegriffe
sungsnormen die gegenständlichen Auslegungsfragen nicht erkennen und kaum zielführend arbeiten können. Bei der Vorstellung des Rechtsschutzes gegen nachrichtendienstliche Maßnahmen bleibt ein Spezialfall zunächst ausgeklammert, der im Anschluss an das allgemeine Rechtsschutzsystem dargestellt wird. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG (i.V.m Art. 19 Abs. 4 Satz 3 GG) bestimmt für Beschränkungen der subjektiven Rechte aus Art. 10 GG, die dem Schutze der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes dienen, dass durch Gesetz die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane an die Stelle des gerichtlichen Rechtswegs treten kann. Von dieser Ermächtigung wurde durch das sog. G 10-Gesetz (G 10) 46 Gebrauch gemacht. 47 Dieser spezielle (parlamentarische) Rechtsweg wird ebenfalls beleuchtet werden. Die bereits in und seit BVerfGE 30, 1 schwelende Frage, ob Art. 19 Abs. 4 Satz 3 GG verfassungswidriges Verfassungsrecht nach Art. 79 Abs. 3 GG darstellt, wurde jedoch schon umfassend in Schrifttum und Rechtsprechung diskutiert und bleibt ausgeklammert. 48 Ebenso kann nicht zu der Frage Stellung genommen werden, welche Anforderungen das europäische Recht, insbesondere das Recht der EMRK, an einen Rechtsschutz gegen Nachrichtendienste stellt. Die Weite dieses Rechtsgebiets mit der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung würde die vorliegende Arbeit überfrachten. Der Rechtsschutz gegen nachrichtendienstliche Aktivitäten wird auch ohne die europäischen Bezüge umfassend beleuchtet, ist doch der Kern der Anforderungen etwa der EMRK an Rechtsschutz gegen staatliche Gewalt im Wesentlichen mit den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG gleich. 49 Schließlich gilt es im 3. Teil besondere prozessuale Fragen des gerichtlichen und parlamentarischen Rechtsschutzes zu beantworten, soweit sie nicht bereits im Zusammenhang mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein Rechtsschutzsystem erörtert wurden. Dabei geht es insbesondere um Zulässigkeitsfragen, wie den richtigen Rechtsweg oder die richtige Klageart, aber auch um beweisrechtliche Probleme.
46 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, BGBl. 1968 I S. 949. Umfassend zur Entstehungsgeschichte des G 10 und der Ermächtigung in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG, vgl. Evers, Rechtsgutachten, S. 35 ff. 47 Vgl. Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 10 Rn. 23. 48 Vgl. schon das Sondervotum der Richter Geller, von Schlabrendorff, Rupp, E 30, 1 (33 ff.) und Dürig / Evers, Rechtsgutachten, sowie die weiteren Nachweise in Fußnote 1196. 49 Vgl. dazu etwa Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 57 f. Zur Vereinbarkeit des G 10 mit der EMRK, siehe EGMR, NJW 1979, S. 1755, dazu Schwan, NJW 1980, S. 1992 ff.
C. Stand der Diskussion in Literatur und Rechtsprechung
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C. Stand der Diskussion in Literatur und Rechtsprechung „Erst relativ spät hat sich die Literatur [...] für die Rechtsposition eines durch die Tätigkeit des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes Betroffenen interessiert“, resümierte Schwagerl 1985 im Hinblick auf die Rechtsschutzmöglichkeiten. 50 Und Kutscha sekundiert noch 2003, dass die Problematik des Rechtsschutzes gegenüber heimlicher Maßnahmen zwar vom strafprozessrechtlichen Schrifttum für seinen Bereich aufgegriffen, jedoch im Bereich anderer Sicherheitsbehörden kaum zur Kenntnis genommen worden sei. 51 Tatsächlich finden sich nur wenige Abhandlungen, die schwerpunktmäßig den Rechtsschutz gegen geheimdienstliche Maßnahmen behandeln. 52 Meist wird die Darstellung auf die Zulässigkeit der Verfassungsänderung in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG bzw. auf die einfach-gesetzlichen Konkretisierung (G 10) verengt, 53 oder Rechtsschutzfragen werden, oft exkursorisch, am Ende einer schwerpunktmäßigen Behandlung der materiellen Befugnisse angefügt. 54 Eine grundsätzliche und umfassende Darstellung des Rechtsschutzes, insbesondere im Hinblick auf die jüngeren Befugniserweiterungen der Dienste als Reaktion auf die Anschläge auf das World-TradeCenter in New York vom 11. 9. 2001, existiert allerdings nicht. Die Rechtsprechung befasste sich erstmals grundlegend mit der Arbeit der bundesdeutschen Nachrichtendienste in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Änderung des Art. 19 Abs. 4 Satz 3 i.V. m. 10 Abs. 2 Satz 2 GG. 55 Dort wurde auch die Verfassungsmäßigkeit des G 10 untersucht und in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht konnte wegen des engen Streitgegenstandes aber nur einen Teil zur Diskussion um die Arbeit der Nachrichtendienste und den dazugehörigen Rechtsschutz beitragen. In einer späteren Entscheidung jedoch übertrug das Bundesverfassungsgericht die für die Ermittlung, Speicherung, Verarbeitung und Weitergabe von personenbezogenen Daten in E 65, 1 (sog. Volkszählungsurteil) gefundenen Rechtsschutzanforderungen auf 50
Vgl. Schwagerl, Verfassungsschutz, S. 309. Vgl. Kutscha, NVwZ 2003, S. 1296 (1297). 52 Explizit nur: Evers, ZRP 1980, S. 110; Gusy, DÖV 1980, S. 431; Rupp, Rechtsschutz und Verfassungsschutz; Schneider, NJW 1978, S. 1601; Wiese, DVBl. 1976, S. 317. 53 Vgl. etwa Alberts, JuS 1972, S. 319 ff.; Arndt, G 10-Verfahren; ders., DÖV 1991, S. 459 ff.; Dürig und Evers, Rechtsgutachten; Gusy, NJW 1981, S. 1581 ff.; Häberle, JZ 1971, S. 145 ff.; Hall, JuS 1972, S. 132 ff.; NJW 1969, S. 18 ff.; Schatzschneider, Ermittlungstätigkeit und Grundrechte, S. 242 ff.; Schlink, Der Staat 12 (1973), S. 85 ff.; Schwan, NJW 1980, S. 1992 ff. 54 Vgl. Droste, HbdVS, S. 602 ff.; Evers, Privatsphäre und Verfassungsschutz, S. 256 ff.; Rottmann, AöR 88 (1963), S. 228 (241); Schwagerl, Verfassungsschutz, S. 309 ff. 55 Vgl. BVerfGE 30, 1. 51
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Einleitung und Grundbegriffe
die Auslegung des Art. 10 Abs. 1 GG. 56 Dies erneuerte die Diskussion um eine datenschutzrechtlich angemessene Verfahrenssicherung, insbesondere auch im Bereich des Individualrechtsschutzes. 57 Allerdings wurde wieder nur der Bereich des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG untersucht; ein Gesamtsystem der Rechtsschutzanforderungen nachrichtendienstlichen Handelns deutet sich durch diese Entscheidung wegen des Verweises auf E 65, 1 nur an.
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Vgl. BVerfGE 100, 313 (359). Vgl. Wollweber, ZRP 2001, S. 213 ff.
1. Teil
Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen A. Der Ausbau nachrichtendienstlicher Strukturen seit 1945 Nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 setzten die alliierten Besatzungsmächte den sog. alliierten Kontrollrat zur Ausübung der obersten Regierungsgewalt über das Gebiet des ehemaligen Deutschen Reichs ein. 1 Der Rat erließ am 01. Juli 1949 das Kontrollratsgesetz Nr. 31 2, nach dessen Art. 1 „alle deutschen Polizeibüros und -agenturen, die die Überwachung oder Kontrolle der politischen Betätigung von Personen zum Zweck haben“, aufgelöst werden. In Art. 2 wird schließlich jede Neueinrichtung sowie Tätigkeit der in Art. 1 bezeichneten Institutionen verboten. Insbesondere traf diese Anordnung das sog. Reichssicherheitshauptamt, das die zentralen Hauptämter der Sicherheitspolizei (Sammelbezeichnung für das Reichspolizeikriminalamt und das Geheime Staatspolizeiamt) und des Sicherheitsdienstes (SD – Nachrichtendienst der Partei) umfasste. 3 Damit wurde der politischen Polizei in Deutschland ein Ende gesetzt. Die Überwachung politischer Betätigung übernahmen die Alliierten selbst. 4 In der Folgezeit bildeten sich jedoch in den Besatzungszonen selbstständige Nachrichtendienste heraus. In den Besatzungszonen der sog. west1 Vgl. die sog. Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 (=Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands durch die Regierungen des Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken und durch die Provisorische Regierung der Französischen Republik), Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 7 ff., sowie die Feststellung seitens der Regierungen des Vereinigten Königreichs, der Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken und der Provisorischen Regierung der Französischen Republik vom 5. Juni 1945, des Kontrollrats in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 10. 2 Amtsblatt des alliierten Kontrollrates, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 163. 3 Das Reichssicherheitshauptamt wurde durch Befehl des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei v. 27. 9. 1939 geschaffen, vgl. Nachweise auch zur genauen Struktur bei Evers, Privatsphäre und Verfassungsschutz, S. 79, Fußnoten 15 f. 4 Vgl. Schatzschneider, Ermittlungstätigkeit und Grundrechte, S. 12.
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
lichen Alliierten (Großbritannien, Frankreich und die Vereinigten Staaten von Amerika) war es die Vorläuferin des heutigen Bundesnachrichtendienst (BND), die sog. „Organisation Gehlen“. Später kamen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland der Vorläufer des heutigen Militärischen Abschirmdienstes (MAD), das sog. „Amt Blank“, und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die jeweiligen Landesämter bzw. -abteilungen hinzu. Auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone wurde mit dem Ressort K5 in der Deutschen Verwaltung des Innern ein Dienst mit geheimpolizeilichen Aufgaben und faktisch kaum beschränkten Befugnissen geschaffen. K 5 ging nach der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik zusammen mit der Hauptverwaltung (vorher Ausschuss) zum Schutze der Volkswirtschaft durch Gesetz vom 08. Februar 1950 5 in das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) 6, das auch als Staatssicherheit (Stasi) bezeichnet wurde, auf. Später kam der seit 1951 existierende Außenpolitische Nachrichtendienst (APN) als Hauptabteilung XV zum MfS hinzu, der ab 1956 als Hauptverwaltung Aufklärung (HV A) firmierte, sowie die sog. operative Grenzaufklärung der Grenzpolizei bzw. Grenztruppe (1961) und die Sabotageeinheit der Nationalen Volksarmee (NVA) als militärischer Geheimdienst (1962). 7 Dem MfS stand insbesondere ein Datenverbund mit den zentralisierten Verwaltungsdateien, wie der automatisierten Personendatenbank (PDB), dem darin enthaltenen zentralen Einwohnerregister (ZER) und dem Strafregister beim Generalanwalt der DDR zur Verfügung. Der Datenabgleich erfolgte über eine einheitliche Personenkennzahl. Darüber hinaus war das MfS in dem Datenverbund östlicher Geheimdienste, dem System der vereinten Erfassung von Informationen über den Gegner (SOUD) eingebunden. 8 Nachfolgend soll dem Zwecke der Arbeit folgend aber nur die Entwicklung der noch heute existierenden bundesrepublikanischen Dienste nachgezeichnet werden. Dabei wird insbesondere der über die Zeitachse erhebliche Zuwachs an Befugnissen und Aufgaben deutlich.
I. Bundesnachrichtendienst Das KRG Nr. 31 beschränkte sich auf die Beseitigung der politischen Polizei in Deutschland, damit das Wiedererstehen einer Geheimpolizei nach Art der Gestapo verhindert wird. Es hatte damit nicht das Ziel, Geheim- oder Nachrich-
5 Gesetz über die Bildung eines Ministeriums für Staatssicherheit (Gesetzblatt der DDR vom 21. Februar 1950, S. 1). 6 Ab 1989 für ein Jahr Amt für Nationale Sicherheit (AfNS). 7 Vgl. umfassend zur Geschichte des MfS: Gieseke / Hubert, DDR-Staatssicherheit, S. 9 ff. 8 Vgl. zum Ganzen: Mayer-Metzner, Auskunft aus Dateien, S. 62 m.w. N.
A. Der Ausbau nachrichtendienstlicher Strukturen seit 1945
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tendienste insgesamt zu verbieten. 9 Auch daher gelang es dem ehemaligen Wehrmachtsgeneral Reinhard Gehlen, den Teil der von ihm befehligten Abteilung des ehemaligen Heeresnachrichtendienstes für die sog. Ostaufklärung („Fremde Heere Ost“) in die Nachkriegszeit zu retten. Die US-Amerikaner unterstellten diese ehemalige Abteilung des Oberkommandos der Wehrmacht („Amt Ausland / Abwehr“) erst dem US-Kriegsministerium, später dem amerikanischen Auslandsnachrichtendienst CIA. Er war ein hinsichtlich Mitarbeiterauswahl, Gliederung und Arbeitsweise unabhängiger Verband innerhalb des Dienstes und hatte die Aufgabe, seine Tätigkeit aus dem Krieg weiterzuführen und Nachrichten über die Sowjetunion zu sammeln, d. h. Ostaufklärung zu betreiben. Diese nicht-polizeiliche Einrichtung führte die Bezeichnung „Organisation Gehlen“. 10 Die Organisation verblieb nach der Gründung der Bundesrepublik zunächst unter amerikanischer Leitung. 11 Durch geheimen Bundeskabinettsbeschluss vom 11. 06. 1955 wurde sie zum 1. April 1956 als Bundesnachrichtendienst vom Bund übernommen. 12 Der BND fand sich im Etat des Bundeskanzleramtes wieder, war dem Amt angegliedert und unterstand seiner Dienstaufsicht. 13 Die Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes wurden allerdings nicht in einem formellen Gesetz kodifiziert, sondern zunächst nur in Organisationsbeschlüssen und Dienstanweisungen der Bundesregierung niedergelegt. 14 Nach § 1 Nr. 1 der Dienstanweisung von 1968 war er für die Auslandaufklärung, Gegenspionage, sonstiger nachrichtendienstlicher Aufträge im Ausland und der eigenen Spionageabwehr zuständig. Nach Nr. 2 war Tätigkeit auf innenpolitischem Gebiet unzulässig. 15 Nach Nr. 3 bedurfte es für etwaige Exekutivbefugnisse einer eigenen bundesgesetzlichen Regelung, die allerdings nie erging. Eine besondere 9
So auch Brenner, Bundesnachrichtendienst, S. 5. Vgl. Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, Einl. Rn. 11; Brenner, Bundesnachrichtendienst, S. 3 ff. 11 Vgl. Evers, Privatsphäre und Verfassungsschutz, S. 80. 12 Vgl. Bundeskabinettsbeschluss vom 11. 06. 1955, Bezug im Untersuchungsausschussbericht „Guillaume“, BT-Drs. 7/3246, S. 47 f. Weitere Nachweise bei Brenner, Bundesnachrichtendienst, S. 6. Zwar wird in der Literatur darüber diskutiert, ob der Kabinettsbeschluss vom 11.06 oder 11.07 stamme (für letzteres Hansalek, Parlamentarische Kontrolle, S. 17 m.w. N.), aufgrund der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses „Guillaume“ ist jedoch vom 11.06 auszugehen. 13 Vgl. Rieger, ZRP 1985, S. 3, mit Hinweis auf Kap. 0404 des Haushaltplans in BTDrs. 2/300; Untersuchungsausschussbericht „Guillaume“, BT-Drs. 7/3246, S. 49. 14 Vgl. Beschlüsse der Bundesregierung vom 7. 11. 1950 und 2. 10. 1963, sowie Dienstanweisung vom 4. 12. 1968, letzterer abgedruckt im Untersuchungsausschussbericht „Guillaume“, BT-Drs. 7/3249, S. 47 f. (auf jene Beschlüsse wird Bezug genommen). 15 Der BND überschritt die Grenze jedoch. So wurde bekannt, dass eine Sonderkartei angelegt bzw. aus der Zeit der Organisation Gehlen weitergeführt wurde, in der Dossiers über prominente Bundesbürger angelegt wurden, vgl. Untersuchungsausschussbericht „Guillaume“, BT-Drs. 7/3246, S. 51 ff. 10
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
Antragsberechtigung für Abhörmaßnahmen bezüglich Post und Telekommunikation fand sich erst ab 1968 im G10. 16 Des Weiteren gab es nur vereinzelt Nennungen des BND oder Ermächtigungen in anderen Gesetzen (bspw. §§ 12 Abs. 2 BDSG, 18 Abs. 3 MRRG, 72 SGB X, 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO). 17 Ein formelles BND-Gesetz trat erst 1990 in Kraft. 18 Grund dieser Kodifikation war in erster Linie das Volkszählungsurteil des BVerfG vom 15. 12. 1983 19. Es mussten im Anschluss Ermächtigungsgrundlagen für den Eingriff der Dienste in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. 1 Abs. 1 GG geschaffen werden. 20 Der gesetzliche Auftrag des Bundesnachrichtendienstes, der in § 1 Abs. 2 BNDG festgeschrieben wurde, ist seit dem die Informationssammlung und -auswertung zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik sind. Zudem wurde ihm gemäß § 2 Nr. 1 und 2 BNDG noch die Spionageabwehr im Rahmen der Eigensicherung und die Sicherheitsüberprüfung der für ihn tätigen Personen zugewiesen. Innerhalb des Auftrages sind aber auch weiterhin die einzelnen Bereiche der Tätigkeit des BND durch ein Interessens- und Auftragsprofil der Bundesregierung festgelegt worden. 21 Polizeiliche Befugnisse standen dem BND nach § 1 Abs. 3 BNDG nicht zu. Neben der allgemeinen Datenerhebungs- und Datenverarbeitungsgeneralklausel des § 2 BNDG, hatte der BNDG für sein Aufgabengebiet dieselben Kompetenzen wie das BfV. Das wurde durch mannigfaltige Verweise auf das BVerfSchG 1990 sichergestellt, vgl. §§ 3 ff. BNDG. Diese Regelungstechnik wurde auch bis heute durchgehalten, so dass die Kompetenzentwicklung des BND seit Schaffung des BNDG im Wesentlichen parallel zu denen des Bundesverfassungsschutzes verlief. Eine Ausnahme bildete lediglich die sog. strategische Fernmeldeüberwachung 22 nach dem G 10, zu der bis heute nur der BND ermächtigt ist. Diese war seit Schaffung des G 10 in § 3 nur zur Sammlung von Informationen über die Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland möglich, vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 G 10 1968. Durch Art. 13 des sog. Verbrechensbekämpfungsgesetzes vom 28. 10. 1994 23 wurde diese Befugnis jedoch qualitativ enorm ausgeweitet. Trotz 16
Vgl. § 1 G 10 a.F. (BGBl. 1968 I, S. 949). Rechtslage vor Kodifikation des BNDG (1986). 18 Gesetz vom 20. 12. 1990 (BGBl. 1990 I, 2954, 2979). 19 Vgl. BVerfGE 65, 1. 20 Vgl. BT-Drs. 11/4306, S. 1. Kritisch zum Gesetzgebungsverfahren, in dem die Gesetzesentwürfe bis zur Einbringung als Verschlusssache behandelt wurden, vgl. den Kommentar von Seifert, KJ 19986, S. 42 ff. 21 Vgl. Graulich, Justizgewährung, S. 155; Soiné, DÖV 2006, S. 204. 22 Siehe dazu unter 1. Teil, B. II. 2. b). 23 BGBl. I S. 3186 (3194). 17
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mehrerer kleinerer Änderungen des G 10 24 hatte der BND bis zu diesem Zeitpunkt lediglich dieselben Befugnisse zur Überwachung des Post- und Telekommunikationsverkehrs wie die anderen Dienste. Durch die strategische Kontrolle in Ausgestaltung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes erhielt der BND jedoch auch die Möglichkeit, präventiv-polizeilich zu arbeiten, indem er nach Art. 13 § 3 die internationalen, nicht leitungsgebundenen Fernmeldeverkehrsbeziehungen überwachen darf, wenn Kenntnisse erforderlich sind, um auch kriminellen Gefahren zu begegnen. Dazu gehören nach Art. 13 § 3 Abs. 1 Satz 2 die Begehung internationaler terroristischer Anschläge in der Bundesrepublik (Nr. 2), Kriegswaffenverbreitung und unerlaubter Außenwirtschaftsverkehr (Nr. 3), die Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Nr. 4), im Ausland begangene Geldfälschungen (Nr. 5) und Geldwäschen, die im Zusammenhang mit den in den Nummern 3 bis 5 bezeichneten Handlungen stehen. 25 Diesen Schritt zur polizeilich-präventiven Arbeit erachtete das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 14. Juli 1999 (BVerfGE 100, 313) im Wesentlichen für verfassungsgemäß und hat nur verfahrensrechtliche Ergänzungen gefordert. Diese sind durch die Novellierung des G 10 vom 26. Juni 2001 26 erfüllt worden. Zudem wurde die strategische Kontrolle (§ 5 G 10 n.F.) an den neuen technischen Gegebenheiten angepasst (Überwachung von gebündelten Übertragungen) und vermeintliche Schutzlücken durch Ausbau materieller Aufgaben und Befugnisse des BND geschlossen. 27 Nach weiteren unwesentlichen Änderungen des Gesetzes wurde jüngst am 27. 03. 2009 ein Erstes Gesetz zur Änderung des Artikel 10-Gesetzes beschlossen 28, nach dem die strategische Kontrolle auf den Gefahrenbereich der Schleuserkriminalität, vgl. Art. 1 Nr. 4 § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 des Entwurfs, ausgedehnt werden soll.
24 Gesetze vom 13. 09. 1978 (BGBl. I S. 1546), 08. 06. 1989 (BGBl. I S. 1026), 09. 07. 1990 (BGBl. I S. 1354), 28. 02. 1992 (BGBl. I S. 372), 27. 05. 1992 (BGBl. I S. 997), 20. 04. 1994 (BGBl. I S. 867), 14. 09. 1994 (BGBl. I S. 2325). 25 Kritisch zu dieser Ausweitung der strategischen Kontrolle und der Kompetenzen des BND: Roggan, HbdRIS, S. 427 ff. 26 Gesetz zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (BGBl. I S. 1254, 2298). 27 Vgl. BT-Drs. 14/5655, S. 1. 28 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 16/509, und die entsprechende Beschlussempfehlung des Innenausschusses, BT-Drs. 16/12412, sowie Beschlussmitteilung an den Bundesrat vom 24. 04. 2009, BR-Drs. 350/09.
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
II. Militärischer Abschirmdienst Der Vorläufer des militärischen Abschirmdienstes war in der sog. „Dienststelle bzw. Amt Blank“ 29 angesiedelt. Nach der Gründung der Bundesrepublik hatte die Dienststelle, die sich, wie auch die Organisation Gehlen, hauptsächlich aus dem ehemaligen Heeresnachrichtendienst „Amt Ausland / Abwehr“ rekrutierte, 30 die Aufgabe, sich Fragen der Wiederbewaffnung und der Aufstellung von neuen deutschen Streitkräften zu widmen. Eine ihrer Abteilungen, die sog. Sicherungsgruppe, sammelte auch schon vor Aufstellung der Streitkräfte auf militärischem Gebiet Informationen. Mit der Strukturierung von Streitkräften 1955/56 bildete sich aus der Sicherungsgruppe schließlich das Amt für Sicherheit der Bundeswehr (ASBw). 31 Es wurde durch Organisationserlass des Bundesministers für Verteidigung von 1956 gegründet 32 und hatte die Aufgabe die Bundeswehr gegen Spionage, Sabotage und Zersetzung abzuschirmen und aufgrund von Sonderweisungen für die Bundeswehr auf den Gebieten der Absicherung, der Sicherheitslage und des Schutzes der Verteidigungswirtschaft tätig zu werden. 33 Unter dem Amt gliederten sich für jeden Wehrbereich sog. Militärische Abschirmdienst-Gruppen (MAD-Gruppen). 34 Das ASBw wurde schließlich 1984 nach der sog. Kießling-Affäre 35 umstrukturiert und, wie schon die untergeordneten Gruppen, in Militärischer Abschirmdienst / MAD-Amt umbenannt. 36 Es unterstand in truppendienstlicher Hinsicht dem Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und dem Inspekteur der Streitkräftebasis sowie in fachlicher 29 Benannt nach Theodor Blank (1905 – 1972), MdB (CDU), ab 1950 sog. Beauftragter des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen. 30 Vgl. Gusy, DÖV 1983, S. 60. 31 Vgl. Borgs / Ebert, Nachrichtendienstsrecht, Einl. Rn. 10; Brenner, Bundesnachrichtendienst, S. 12; Gröpl, Nachrichtendienste, S. 54; Schatzschneider, Ermittlungstätigkeit und Grundrechte, S. 17. 32 Der MAD gibt auf seiner Homepage (http://www.mad.bundeswehr.de) unter der Rubrik „Wir über uns“ / „Geschichte“ als Gründungsdatum den 30. 01. 1956 an. Das dürfte das Datum des Organisationserlasses sein. Damals wurde danach die Unterabteilung „Innere Sicherheit der Streitkräfte“ (Unterabteilung IV J -Sicherheit-) im Amt Blank gebildet, die dann durch Tagesbefehl vom 03. 10. 1957 in „Amt für die Sicherheit der Bundeswehr (ASBw)“ umbenannt wurde. 33 Auf den Erlass wird in BT-Drs. 10/4738, S. 4, Bezug genommen. Zum Inhalt bzgl. der Aufgabe des Amtes vgl. Untersuchungsausschussbericht „Fallex 68“, BT-Drs. 5/ 4208, S. 2. 34 Vgl. Brenner, Bundesnachrichtendienst, S. 13; auch die Selbstdarstellung des MAD auf seiner Homepage (http://www.mad.bundeswehr.de) unter der Rubrik „Wir über uns“ / „Geschichte“; ferner Brenner, Bundesnachrichtendienst, S. 12 f. 35 Vgl. dazu den Untersuchungsausschussbericht, BT-Drs. 10/1604. 36 Vgl. Gröpl, Nachrichtendienste, S. 54. Zu den Details der Umstrukturierung vgl. die Antwort der Bundesregierung vom 30. 01. 1986 auf die kleine Anfrage der SPD-Fraktion zur Reform des MAD, abgedruckt in BT-Drs. 10/4993.
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Hinsicht (Fach- und Rechtsaufsicht) einem beamteten Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung. 37 Ebenso wie der BND arbeitete das ASBw bzw. der MAD lange Zeit auf Grundlage von Exekutivbeschlüssen. Gesetzlich fanden sich nur vereinzelt Ermächtigungen. Dazu gehörte ab 1968 insbesondere eine Antragsberechtigung für Abhörmaßnahmen bezüglich Post und Telekommunikation im G 10. 38 Eine umfassende Regelung wurde aber erst aufgrund des Volkszählungsurteils für notwendig erachtet 39 und führte 1990 zum MADG. 40 Der im MADG kodifizierte Auftrag war gemäß § 1 MADG die Gegenspionage, Spionageabwehr, Sicherheitsüberprüfung von Mitarbeitern und Informationssammlung und -auswertung über Bestrebungen, die sich gegen die freiheitlichdemokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten, soweit sich die Spionage oder die Bestrebung gegen Personen, Dienststellen oder Einrichtungen im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung richten, bzw. soweit die zu überprüfenden Mitarbeiter im Geschäftsbereich tätig werden. Polizeiliche Befugnisse standen ihm nach § 4 Abs. 2 MADG nicht zu. Der Auftrag wurde 2004 durch Anfügung des § 14 MADG 41 dahingehend ausgedehnt, dass der MAD auch für die Abschirmung der deutschen Kontingente während besonderer Auslandsverwendungen der Bundeswehr oder bei humanitären Maßnahmen zuständig ist. Aufgrund der Verweise auf das BVerfSchG in den §§ 4 ff. MADG gilt hinsichtlich der Kompetenzen und der Kompetenzentwicklung das Gleiche wie für den BND. Diese verlief weitgehend parallel zum BfV.
III. Bundesamt und Landesämter für Verfassungsschutz Die Entwicklung eines Inlandsnachrichtendienstes zur Überwachung politischer Aktivitäten wurde durch KRG Nr. 31 eingeschränkt. Dennoch teilten die alliierten Militärgouverneure (Kontrollrat) dem Parlamentarischen Rat durch den sog. Polizeibrief vom 14. 4. 1949 42 mit, dass es der Bundesregierung gestattet werde, eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerischen Tätigkeiten einzurichten. 43 Da dem Inlandsnachrichtendienst keine Po37 Vgl. BT-Drs. 10/4993, S.3; auch die Selbstdarstellung des MAD auf seiner Homepage (http://www.mad.bundeswehr.de) unter der Rubrik „Wir über uns“ / „Geschichte“. 38 Vgl. Art. 1 § 1 G 10 a.F. (BGBl. 1968 I, S. 949). Weitere Beispiele (schon zur Rechtslage vor der Kodifizierung des MADG): § 18 Abs. 3 MRRG oder § 72 SGB X (Rechtslage 1989). 39 Vgl. BT-Drs. 10/4738, S. 1 ff., und 11/4306, S. 65. 40 Gesetz vom 20. 12. 1990 (BGBl. 1990 I S. 2954, 2977). 41 Vgl. § 14 Nr. 4 des Gesetzes vom 08. 03. 2004 (BGBl. I S. 334). 42 Abgedruckt bei Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG Rn. 189 Fußn. 197.
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lizei- bzw. Exekutivbefugnisse eingeräumt wurden, hielt sich die Gestattung im einschränkenden Rahmen des KRG Nr. 31. 44 In das Grundgesetz wurde infolgedessen eine Ermächtigungsnorm für die Einrichtung dieser Stelle aufgenommen (Art. 73 Nr. 10, 87 Abs. 1 Satz 2 GG). 45 Danach hatte der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über „die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder [...] in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes“, vgl. Art. 73 Nr. 10 a.F., und die Verwaltungskompetenz, „durch Bundesgesetz [...] Zentralstellen [...] zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes [... einzurichten]“, vgl. Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG. Nach Inkrafttreten des Grundgesetzes wurde mit dem Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom 27. 9. 1950 46 das BfV gegründet. 47 Das Bundesamt wurde gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes dem Bundesinnenminister unterstellt. Nach Gründung des Bundesamtes (teilweise sogar vorher) folgte die Errichtung der jeweiligen Landesämter oder Abteilungen der Landesinnenministerien zunächst in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern. 48 Der Auftrag des Bundesamtes und der Landesbehörden wurde in § 3 BVerfSchG festgelegt. Danach waren die Behörden für die „Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstigen Unterlagen über Bestrebungen, die eine Aufhebung, Änderung oder Störung der verfassungsmäßigen Ordnung im Bund oder in einem Land oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder der Länder zum Ziel haben“, zuständig. Wie von den Alliierten gefordert, wurden für das Bundesamt polizeiliche Befugnisse ausgeschlossen, vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG. Ähnliche Formulierungen fanden sich in allen Landesgesetzen bzw. -erlassen.
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Vgl. Polizeibrief unter Ziffer 2: „The Federal Government will also be permitted to establish an agency to collect and disseminate concerning subversive activities directed against the Federal Government. This agency shall have no police authority.“ Warum die Alliierten überhaupt bereit waren, der Bundesrepublik einen Inlandsnachrichtendienst zuzugestehen, ist nicht geklärt. Für die westlichen Alliierten lag der Grund wahrscheinlich in der beginnenden Ost-West-Konfrontation im Rahmen des sog. Kalten Krieges, vgl. Gröpl, Nachrichtendienste, S. 53. 44 So auch Droste, HbdVS, S. 10. 45 Vgl. Schatzschneider, Ermittlungstätigkeit und Grundrechte, S. 13. 46 BGBl. I S. 682. 47 Vgl. dazu die aufgrund von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes ergangene Anordnung der Bundesregierung v. 7. 11. 1950 zur Errichtung der Behörde, abgedruckt in BT-Drs. 2/ 3728. 48 Vgl. für Niedersachsen: Abschnitt III der Niederschrift über die 93. Sitzung des Niedersächsischen Staatsministeriums vom. 5.1. 1950 mit Änderung vom 7. 2. 1950, als Abteilung des Innenministeriums; Schleswig-Holstein: Gesetz vom 30. 5. 1950 (GVBl. S. 223), als in das Innenministerium eingegliederten Landesamtes; Bayern: Gesetz vom 22. 11. 1950 als Landesamt. Weitere Nachweise für die übrigen Bundesländer bei Schwagerl / Walther, Verfassungsschutz, S. 66.
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Anfang der 70er Jahre kam es zur Zunahme politisch motivierter Gewalttaten militanter Ausländergruppen, die sich weniger gegen die verfassungsmäßige Ordnung, als vielmehr von deutschem Boden aus gegen das Ausland richteten. Im Gesetzgebungsverfahren wurde darauf hingewiesen, dass die Polizei aus rechtlichen, personellen und sachlichen Gründen Ausländerextremismus nicht hinreichend erkennen bzw. entgegenwirken könne. Daher müsse dieser Extremismus der Beobachtung durch den Verfassungsschutz unterworfen werden, auch um Störung auswärtiger Belange der Bundesrepublik entgegenzuwirken. Daneben sollte klargestellt werden, dass auch die Spionageabwehr zum Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes gehöre. 49 Das daraufhin erlassene Gesetz vom 7. 08. 1972 50 ergänzte zum einen die Aufgabennorm um die genannten Punkte „Gefährdung auswärtiger Belange“ (Art. 1 § 3 Abs. 1 Nr. 3) und Spionageabwehr (Art. 1 § 3 Abs. 1 Nr. 2). Zum anderen wurde aber der ursprüngliche Auftrag des Nachrichtendienstes dahingehend umformuliert, dass der Verfassungsschutz „Bestrebungen, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben“, beobachten sollte (Art. 1 § 3 Abs. 1 Nr.1). Zum Dritten ging man über die beabsichtigten Änderungen noch hinaus und verankerte den Auftrag zu Sicherheitsüberprüfungen (sog. Geheim- und Sabotageschutz) für das Inland (Art. 1 § 3 Abs. 2), führte eine generalklauselartige Befugnisnorm ein, indem man dem Verfassungsschutz ohne nähere Erläuterung zugestand sog. nachrichtendienstliche Mittel zu verwenden (Art. 1 § 3 Abs. 3) und verpflichtete die Gerichte, Behörden und das Bundesamt für Verfassungsschutz zu gegenseitiger Amtshilfe im Sinne des Art. 35 GG (Art. 1 § 3 Abs. 4). Dem Gesetz vorhergegangen war eine entsprechende Ausweitung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz des Bundes durch Grundgesetzänderung vom 28. 7. 1972. 51 Im Grundgesetz fügte der Gesetzgeber auch eine Legaldefinition des Begriffs „Verfassungsschutz“ ein, die dem umformulierten einfachgesetzlichen Auftrag des Bundesverfassungsschutzes entsprach. Danach ist Verfassungsschutz als Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder verstanden worden, vgl. Art. 73 Nr. 10 lit. b GG.
49 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 6/1179, auch schriftliche Antwort der Bundesregierung vom 22. 05. 1970 auf eine Große Anfrage der CDU / CSUFraktion, BT-Drs. 6/872. Umfassend zum Gesetzgebungsverfahren, vgl. Droste, HbdVS, S. 18 ff.; Roewer, Nachrichtendienstrecht, Einl. BVerfSchG Rn. 4 ff. 50 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes (BGBl. I S. 1382). 51 BGBl. I S. 1305.
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Schließlich wurde das Bundesverfassungsschutzgesetz im Jahr 1990, zusammen mit dem Ersterlass des MADG und BNDG, grundlegend neugestaltet und löste das BVerfSchG 1950 ab. 52 Das BVerfSchG 1990 bildet bis heute die Grundlage für die Arbeit des Dienstes. Neben dem Volkszählungsurteil, das bereits bei den anderen Nachrichtendiensten zu Kodifikationsprozessen geführt hatte, wurde eine Novellierung notwendig, da das BVerfSchG 1950 seit 1972 zwar eine generalklauselartige Befugnisnormen in § 3 Abs. 3 Satz 2 BVerfSchG, darüber hinaus aber nur die bloße Aufgabennorm (§ 3 Abs. 1, 2 BVerfSchG 1950) aufwies. Nach der zwischenzeitlichen Entwicklung in Wissenschaft und Rechtsprechung reichte aber weder eine Generalbefugnisnorm und erst recht nicht die bloße Aufgabennorm aus 53, um das mannigfaltige grundrechtseingreifende Handeln des Bundesamtes zu rechtfertigen. Auch die vereinzelten Ermächtigungen in anderen Gesetzen (insb. § 1 G 10) umfassten nicht das gesamte Handlungsspektrum des Dienstes. Daher sah sich der Gesetzgeber gezwungen, spezielle Befugnisnormen zu schaffen. 54 Im Anschluss an die Novellierung des BVerfSchG haben auch die Länder ihre Verfassungsschutzgesetze grundlegend überarbeitet. 55 In der Folgezeit wurden die Befugnisse der Dienste immer weiter ausgebaut, wobei sich der Kompetenzzuschnitt aller Dienste regelmäßig an den Änderungsgesetzen zum BVerfSchG 56 orientierte. Hervorzuheben sind insbesondere das sog. Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 14. 12. 2001 57 als Reaktion des Gesetzgebers auf die Anschläge vom 11. September auf das World-Trade-Center 58, das sog. Gemeinsame-Dateien-Gesetz vom 22. 12. 2006 59 und das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz vom 05. 01. 2007 60. 52
Gesetz vom 20. 12. 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970). Vgl. zur Kritik der Rechtslage bis 1972: Schlink, NJW 1980, S. 562 f., für den der Schluss von der Aufgabe auf die Befugnis nicht mit der Logik des Rechtsstaates vereinbar ist. 54 Vgl. BT-Drs. 10/4737, S. 49 und 11/4306, S. 59 (Neuentwurf aufgrund der Diskontinuität). 55 Vgl. für Nordrhein-Westfalen: Gesetz über den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen (Verfassungsschutzgesetz NRW – nwVSG) vom 20. 12. 1994 (GVBl. 1995, S. 28). Die jeweiligen Nachweise für die Landesverfassungsschutzgesetze der übrigen Bundesländer finden sich bei Droste, HbdVS, S. 23 Fußn. 67. 56 Vgl. Gesetze vom 20. 04. 1994 (BGBl. I S. 867), 17. 06. 1999 (BGBl. I S. 1334), 02. 08. 2000 (BGBl. I S. 1253), 18. 05. 2001 (BGBl. I S. 904), 26. 06. 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), 09. 01. 2002 (BGBl. I S. 361), 16. 08. 2002 (BGBl. I S. 3202), 21. 06. 2005 (BGBl. I S.1818), 22. 12. 2006 (BGBl. I S. 3409), 05. 01. 2007 (BGBl. I S. 2), 19. 08. 2007 (BGBl. I S. 1970), 23. 11. 2007 (BGBl. I S. 2590). 57 Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, BGBl. I 2002, 361. 58 Vgl. BT-Drs. 14/7386, S. 35 ff. 59 Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder, BGBl. I S. 3409. 60 Gesetz zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes, BGBl. I S. 2. 53
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Mit Art. 1 § 3 des Terrorismusbekämpfungsgesetzes wurde der Auftrag des BfV dahingehend erweitert, dass es Informationssammlung und -auswertung auch bezüglich Bestrebungen durchzuführen hat, „die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind“. 61 Art. 2 und 3 erweiterten die Aufträge des MAD und BND entsprechend. Gleichzeitig wurde das BfV ermächtigt, Auskünfte über Kontobestände, Geldbewegungen und -anlagen, Postverkehre, Reisen und andere Transporte über den Luftweg, Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstnutzungsdaten von den jeweiligen Unternehmen einzuholen (vgl. Art. 1 § 8 Abs. 5 bis 8). Die Regelungen über Post- und Telekommunikationsdaten enthalten dabei Verweise auf das G 10. Da dieses Gesetz einen Datenabruf jedoch nur für einen (Teil-)Auftrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG (Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder) ermöglicht, nicht aber für die Aufträge des Verfassungsschutzes nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 BVerfSchG (Spionageabwehr, militante Bestrebungen, die auswärtige Belange gefährden, völkerverständigungswidrige Bestrebungen), erweiterte der Gesetzgeber das BVerfSchG, um Kommunikationsüberwachungen in den letztgenannten Beobachtungsbereichen vorzubereiten. 62 Die Anordnung sollte aber auch für diese Zwecke nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 G 10 möglich sein. Nach Art. 1 § 9 Abs. 4 wurde dem Bundesamt zudem der Einsatz des sog. IMSI-Catcher 63 erlaubt. Die genannten Ermächtigungen gestand der Gesetzgeber auch MAD (Art. 2) und BND (Art. 3) zu, allerdings hinsichtlich den Auskunftsermächtigungen mit den Ausnahmen, dass der MAD nur Telekommunikationsdaten (vgl. Art. 2 Nr. 10) und der BND nur Telekommunikations- und Finanzdaten (vgl. Art. 3 Nr. 1 und 2) abfragen darf. Gemäß Art. 22 Abs. 2 des Gesetzes wurden seine Änderungen auf den 11. 01. 2007 befristet und gemäß Abs. 3 zudem einer Evaluationspflicht unterworfen. Mit dem Gemeinsame-Dateien-Gesetz wurde die sog. Antiterrordatei errichtet. Sie ist eine zentralisierte und standardisierte Datei beim Bundeskriminalamt, auf die die sog. beteiligten Behörden zur Erfüllung ihrer jeweiligen gesetzlichen Aufgaben zur Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Zugriff haben. Die beteiligten Behörden sind das Bundeskriminalamt, die Bundespolizeidirektion, die Landeskriminalämter, die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der militärische Ab61 Vgl. zu den Bestimmtheitsproblemen des Tatbestandsmerkmals „Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind“: Baldus, ZRP 2002, S. 400 ff. 62 Vgl. BT-Drs. 14/7386, S. 39 f. 63 Siehe dazu unter 1. Teil B. II. 2. a) bb).
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
schirmdienst, der BND und das Zollkriminalamt. 64 In der Datei werden mannigfaltige Daten über Personen und Vereinigungen, die im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Bekämpfung des Terrorismus stehen, 65 gespeichert (darunter Bankverbindungen, Religionszugehörigkeit, Kontaktpersonen, besondere Fähigkeiten, Telekommunikationsanschlüsse), vgl. Art. 1 §§ 2 f. des Gesetzes. 66 Schließlich wurde durch das Gesetz noch das BVerfSchG und das BNDG dahingehend geändert, dass beide Dienste ermächtigt werden, sog. (befristete) projektbezogene Dateien anzulegen, in denen Daten der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des MAD, des BND, der Polizeibehörden des Bundes und der Länder und des Zollkriminalamts abgelegt werden können, vgl. Art. 2 § 22a bzw. Art. 3 § 9a des Gesetzes. Die Dateien dienen dem Austausch der Daten zwischen den beteiligten Behörden und der gemeinsamen Auswertung. Nach Ablauf der Evaluationsfrist des Terrorismusbekämpfungsgesetzes trat als weitere Stufe des Kompetenzausbaus das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz in Kraft. Dieses übernahm nach Art. 1 die durch das erste Bekämpfungsgesetz für das BfV geschaffenen Auskunftsbefugnisse (§ 8 Abs. 5 bis 12 a.F.) und ordnete sie in den neugeschaffenen § 8a BVerfSchG ein. Die Auskunftsbefugnisse umfassten das gesamte Spektrum der Aufgaben nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG. Auf einen entsprechenden Verweis auf die einschränkenden Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 G 10, wie er sich noch im Terrorismusbekämpfungsgesetz befand, wurde jedoch verzichtet. 67 Zudem hat das BfV jetzt die Möglichkeit, Personen oder Sachen im Polizeisystem nach dem Schengener Durchführungsabkommen zur Mitteilung über ihr Antreffen auszuschreiben, vgl. Art. 1 § 17 Abs. 3. Art. 3 § 4a des Gesetzes schafft für den MAD nun einen Verweis auf die vollen Auskunftsbefugnisse § 8a BVerfSchG n.F. für seine gesamten Aufgaben. Art. 4 § 2a parallelisiert auch für den BND die Auskunftsbefugnisse mit denen des BfV nach § 8a BVerfSchG n.F. Dieses gilt für das Aufgabenspektrum des BND nach § 1 Abs. 2 BNDG (Erkenntnisse über das Ausland von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung), konkretisiert durch die Gefahrenbereiche des § 5 Abs. 1 64 Vgl. die Legaldefinitionen von „Antiterrordatei“ und „beteiligten Behörden“ in Art. 1 § 1 Abs. 1 des Gesetzes. 65 Zur Speicherung kann nach Art. 1 § 2 Nr. 2 und 3 des Gesetzes sogar das Befürworten von rechtswidriger Gewaltanwendung zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange und der Kontakt zu befürwortenden Personen oder Vereinigungen führen. Der Datenschutzbeauftragte Schleswig-Holstein pointierte dazu, dass die Sicherheitsbehörden folglich verpflichtet seien, jeden zu speichern, der einen völkerrechtswidrigen Militäreinsatz gutheiße, vgl. Tätigkeitsbericht, LT-Drs. 16/1250, S. 40. 66 Kritisch dazu: Roggan / Bergemann, NJW 2007, S. 876 (877 f.). 67 Der Gesetzgeber hielt dieses für angemessen, da die Auskunft von Verkehrsdaten ein geringeres Gewicht als die Überwachung von Telekommunikationsinhalten habe, vgl. BTDrs. 16/2921, S. 4 f.
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Satz 3 G 10 (mit Ausnahme der Nr. 5 – Beeinträchtigung der Geldwertstabilität), die nach der Gesetzesbegründung typisierte schwerwiegende Gefahren für die außen- und sicherheitspolitischen Belange der Bundesrepublik darstellen. Durch den Bezug auf die genannten Bereiche ist der Einsatz für die Eigensicherung des Dienstes nach § 2 Nr. 1 BNDG im Umkehrschluss nicht zulässig. 68 Schließlich erklärte Art. 5 die Regelungen über die Auskunftsbefugnisse der Dienste im G 10 hinsichtlich dessen Regelungen für unberührbar und ordnete eine Befristung und Evaluation des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes und damit insgesamt der Kompetenzerweiterungen auch des Terrorismusbekämpfungsgesetzes zum 10. 01. 2012 in Art. 10 f. an. Die bisher letzte Kompetenzerweiterung des Bundesamtes erfolgte durch das Erste Gesetz zur Änderung des Artikel 10-Gesetzes. Das Gesetz wurde am 27. 03. 2009 durch den Bundestag beschlossen. 69 Nach Inkrafttreten wird der Bundesverfassungsschutz gemäß § 18 Abs. 3a BVerfSchG n.F. die Möglichkeit haben, die Finanzbehörden um Auskunft zu der Frage zu ersuchen, ob eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG (Gemeinnützigkeit etc.) erfüllt. Die Finanzbehörden sind zu dieser Auskunft verpflichtet. Die Länderebene folgte den Änderungen im BVerfSchG regelmäßig mit den jeweiligen Landesverfassungsschutzgesetzen. Teilweise ging man aber darüber hinaus. So wurde in Nordrhein-Westfalen versucht, im nwVSG die sog. Online-Durchsuchung zu implementieren, d. h. die heimliche Durchsuchung von Computern mittels Online-Zugriff, vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 11 a.F nwVSG 70. Diese Regelung erklärte das Bundesverfassungsgericht jedoch mit Entscheidung vom 27. 02. 2008 71 für nichtig. Bayern erließ in jüngerer Zeit ein Änderungsgesetz zum Verfassungsschutzgesetz u. a., das eine verfassungskonforme Regelung der Online-Durchsuchung enthalten soll und zusätzlich heimliche Wohnungsdurchsuchungen zur Installation entsprechender Software / Hardware ermöglicht, vgl. § 1 des Gesetzes. 72 68
Vgl. BT-Drs. 16/2921, S. 19. Vgl. dazu den Regierungsentwurf in der Fassung der Beschlussempfehlung des Innenausschusses, BT-Drs. 16/509, 16/12448, und die Beschlussmitteilung an den Bundesrat vom 24. 04. 2009, BR-Drs. 350/09. 70 Fassung des Gesetzes vom 20. 12. 2006 (GVBl. S. 620). 71 Az.: 1 BvR 370/07, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen /rs20080227_1bvr037007.html (abgerufen am 21. 07. 2008). 72 Vgl. Gesetz vom 08. 07. 2008 (GVBl. S. 357), Inkraftreten: 01. 08. 2008; vgl. dazu auch LT-Drs. 15/10313 (Entwurf), LT-Drs. 15/10999 (Gesetzesbeschluss vom 03. 07. 2008). Nach der Landtagswahl am 28. 09. 2008 musste die bisher allein regierende CSU aber mit der FDP eine Koalition eingehen. Auf S. 61 f. des Koalitionsvertrages findet sich nun eine Absichtserklärung, nach der die Ermächtigung zur Online-Durchsu69
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
B. Die Kompetenzen der Dienste heute I. Aufbau und gesetzlicher Auftrag 1. Nachrichtendienstliche Struktur der Bundesrepublik Die bundesrepublikanischen Geheimdienste gliedern sich auch heute in die Inlandsdienste mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und den jeweiligen Landesbehörden, dem Bundesnachrichtendienst (BND) als Auslandsaufklärungsdienst und dem militärischen Abwehrdienst (MAD) als Aufklärungsdienst für den Bereich der Bundeswehr. 73 Dabei ist der BND dem Bundeskanzleramt unterstellt, vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 BNDG, der MAD dem Bundesministerium der Verteidigung, vgl. § 1 Abs. 1 MADG, und das BfV dem Bundesinnenministerium, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG. Die Landesverfassungsschutzämter bzw. -abteilungen sind regelmäßig dem jeweiligen Innenministerium zugeordnet. 74 Gestützt auf Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG ist das BfV zur Sammlung, Auswertung und Weitergabe verfassungsschutzrelevanter Informationen als Zentralstelle ausgestaltet. 75 Zentralstellen sind Bundesbehörden der unmittelbaren Bundesverwaltung, die den Bundesministerien nachgeordnet sind und, wie Bundesoberbehörden nach Art. 87 Abs. 3 GG, keinen eigenen Verwaltungsunterbau besitzen. Sie unterscheiden sich von den Bundesoberbehörden dadurch, dass sie auf Koordinationsaufgaben des Handelns des Bundes und der Länder in bestimmten Verwaltungsbereichen beschränkt sind. 76 Ihnen kann ein auf die Zusammenarbeit gerichtetes Weisungsrecht gegenüber Landesbehörden eingeräumt werden, da auf ihren Gebieten beziehungslose Parallelzuständigkeiten vermieden werden sollen. 77 Dadurch ist ausnahmsweise die Möglichkeit einer Mischverwaltung zwischen Bund und Ländern gegeben. 78 Für das Gebiet des Verfassungsschutzes chung überprüft werden und die heimliche Wohnungsdurchsuchung gestrichen werden soll, vgl. den im Internet abrufbaren Koalitionsvertrag unter: http://www.csu.de/dateien /partei/beschluesse/081025_koalitionsvereinbarung.pdf (abgerufen am 01. 06. 2009). 73 Vgl. Übersicht bei Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 2 Rn. 20 ff.; ferner: Graulich, Justizgewährung, S. 153. 74 Exemplarisch § 2 Abs. 1 Satz 2 nwVSG (i.V. m. § 4 Abs. 1 nwLOG, Art. 55 Abs. 2 nwVerf). 75 Die Bezeichnung als Bundesoberbehörde in § 2 Abs. 1 BVerfSchG wird aufgrund der systematischer Auslegung mit Art. 87 Abs. 3 GG als falsa demonstratio gewertet (vgl. Dittmann, Bundesverwaltung, S. 234). 76 Vgl. Lerche, Maunz / Dürig, Art. 87 Rn. 129; Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 87 Rn. 5 und 8. 77 Vgl. Lerche, Maunz / Dürig, Art. 87 Rn. 129; Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 87 Rn. 5; a. A. Hermes, Dreier, Art. 87 Rn. 72; Gröpl, Nachrichtendienste, S. 104; Gusy, BayVBl. 1982, S. 201 (205). 78 Vgl. Lerche, Maunz / Dürig, Art. 87 Rn. 130.
B. Die Kompetenzen der Dienste heute
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wird die Kompetenz des Bundesgesetzgebers zur Schaffung eines verbindlichen Weisungsrechtes teils aus Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, 79 teils aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 GG abgeleitet. 80 In § 7 BVerfSchG wurde dementsprechend ein Weisungsrecht kodifiziert, das aber nicht dem Bundesamt, sondern der Bundesregierung zusteht (sog. politisches Weisungsrecht). 81 Danach kann die Bundesregierung bei einem Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung den obersten Landesbehörden die erforderlichen Weisungen auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes erteilen. 82 Keine Zentralstelle im Sinne des Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG sind der BND, der als Bundesoberbehörde ausgestaltet wurde, und der MAD. 83 Der MAD ist Teil der Bundeswehr (Streitkräfte) und wird organisatorisch im MAD-Amt zusammengefasst. 84 Die Verwaltungskompetenz des Bundes ergibt sich für den BND aus Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG i.V. m. Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG und für den MAD aus Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG. 85 2. Abgrenzung zu den Polizei- und Strafverfolgungsbehörden Die Aufgabe der Nachrichtendienste unterscheidet sich von den Aufgaben der Polizeien und Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaften). Polizeien haben die Aufgabe der Gefahrenabwehr, wozu auch die Verhütung künftiger 79
Vgl. Brenner, Bundesnachrichtendienst, S. 39. Vgl. Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, A § 5 Rn. 4. Hinsichtlich der hier nicht relevanten Diskussion um das Verhältnis von Art. 73 Nr. 10 GG und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG, vgl. Lerche, Maunz / Dürig, Art. 87 Rn. 133 ff. 81 § 7 BVerfSchG wurde im Zuge der Novellierung des BVerfSchG von 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970) geschaffen und löste den alten § 5 BVerfSchG ab. Dieser sah in Abs. 1 das politische Weisungsrecht des heutigen § 7 BVerfSchG vor, daneben aber noch ein sog. administratives Weisungsrecht, nach dem der Bundesinnenminister den Landesverfassungsschutzbehörden direkt Weisungen für die Zusammenarbeit erteilen konnte. Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung wurde wegen einer nicht explizit in Art. 73 Nr. 10 GG vorgesehenen Umgehung der Weisungsrechte nach Art. 84, 85 Abs. 3 GG stark angezweifelt, vgl. Gröpl, Nachrichtendienste, S. 104; Gusy, BayVBl. 1982, S. 201 (205). 82 Umfassend hierzu: Gröpl, Nachrichtendienste, S. 104 ff. 83 Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 87 Rn. 7. 84 Vgl. Dittmann, Bundesverwaltung, S. 236, Fußnote 47, der aufgrund des Datums der Monographie noch vom Amt für die Sicherheit der Bundeswehr spricht. 85 Vgl. Dittmann, Bundesverwaltung, S. 237, der allerdings für den BND (wohl versehentlich) Art. 87b GG zusätzlich mit angibt; Lerche, Maunz / Dürig, Art. 87 Rn. 145 Fußnote 147; ferner Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 87 Rn. 7, 87a Rn. 4; auch Gröpl, Nachrichtendienste, S. 230, für den MAD. Eine umfassende und überzeugende Herleitung den BND betreffend findet sich bei Brenner, Bundesnachrichtendienst, S. 34 ff. Die Gesetzgebungskompetenz für den BND sieht das BVerfG in Art. 73 Nr. 1 GG („auswärtige Belange“ und „Verteidigung“), vgl. E 100, 313 (368 ff.). Mit derselben Herleitung dürfte sich auch die Gesetzgebungsbefugnis für den MAD aus diesen Normen ergeben. 80
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
Straftaten gehört. 86 Sie dürfen erst dann einschreiten (sog. Einschreit- oder Eingriffsschwelle), wenn eine Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut vorliegt. 87 Eine Gefahr ist eine Sachlage oder ein Verhalten, das bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein polizeiliches Schutzgut schädigen wird. 88 Staatsanwaltschaften haben daneben die Aufgabe der Strafverfolgung, wozu grundsätzlich auch die Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten gehört, und dürfen erst dann einschreiten, wenn die Schwelle des Straftatverdachts überschritten wurde, d. h. zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen, vgl. § 152 Abs. 2 StPO. Die Aufgabenaufteilung ergibt sich aus der Gesetzgebungskompetenz zum einen des Bundesgesetzgebers für die Strafverfolgung aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (gerichtliches Verfahren unter Einschluss des Strafverfahrens) und zum anderen des Landesgesetzgebers für die Gefahrenabwehr aus Art. 30, 70 GG. 89 Aufgabe der Nachrichtendienste ist es dagegen, bereits im Vorfeld der polizeilichen Gefahrenabwehr bzw. der staatsanwaltschaftlichen Strafverfolgung Informationen zu sammeln, diese in Lagebilder und -einschätzungen umzuwandeln und Berichte zu erstellen, die der politischen Führung ermöglichen, entsprechend zu handeln. 90 Dabei richtete sich ihr Handeln regelmäßig nicht gegen einzelne Personen, sondern sie untersuchen vielmehr soziale Strukturen und Organisationen (sog. Personenzusammenschlüsse), wenn in ihnen oder für sie sog. Bestrebungen, d. h. politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen gegen ein nachrichtendienstliches Schutzgut, erkennbar sind. 91 Die Schutzgüter bestimmen sich nach den Aufgabennormen, deren Entwicklung bereits nachgezeichnet wurde. 92 86
Vgl. dazu umfassend: Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 5 Rn. 1 ff. m.w. N. Vgl. Gusy, Polizeirecht, Rn. 101; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 4 Rn. 1. 88 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR § 4 Rn. 2. 89 Vgl. grundlegend, auch zu möglichen Überschneidungen: BVerfGE 113, 348 (368 ff.); Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 2 Rn. 8, § 5 Rn. 6b m.w.N; Schenke, POR, Rn. 11, 29 ff. 90 Vgl. Graulich, Justizgewährung, S. 153; Müller-Terpitz, Jura 2000, S. 296; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 2 Rn.18. 91 Vgl. Denninger, Recht in globaler Unordnung, S. 145; siehe auch für das BfV § 4 Abs. 1 BVerfSchG. 92 Schutzgüter des BfV sind gemäß § 3 Abs. 1 BVerfSchG die freiheitlich-demokratische Grundordnung, der Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder, sowie die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder im Bezug auf amtsführungsbehindernde Bestrebungen (Nr. 1), die Integrität der Bundesrepublik im Bezug auf Spionage (Nr. 2), die auswärtigen Belange im Bezug auf militante Bestrebungen gegen das Ausland (Nr. 3) und die Völkerverständigung (Nr. 4). Schutzgüter des BND sind gemäß § 1 Abs. 2 BNDG die außen- und sicherheitspolitischen Belange der Bundesrepublik im Bezug auf das Ausland und gemäß § 2 BNDG seine eigene Integrität im Bezug auf Spionage. Schutzgüter des MAD sind gemäß § 1 MADG die freiheitlich-demokratische Grundordnung, der Be87
B. Die Kompetenzen der Dienste heute
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Zusammengenommen sollen Nachrichtendienste Institutionen zur Beobachtung abstrakt staatsgefährlicher Bestrebungen und Ausspähungen etc. ohne jede Zwangsbefugnis sein, die ihre Arbeit vornehmlich heimlich verrichten. 93 Dem entsprechend ist auch heute einfach-gesetzlich normiert, dass sie im Sinne des sog. Trennungsgebotes keine polizeilichen Befugnisse wahrnehmen dürfen, vgl. § 8 Abs. 3 BVerfSchG, 94 § 2 Abs. 3 BNDG, § 4 Abs. 2 MADG. 95 Polizeiliche Befugnisse in diesem Sinne sind traditionell solche Befugnisse der Polizei, die unter Einsatz rechtlicher oder faktischer Zwangsmittel geschehen, 96 d. h. wenn der Widerstand eines Betroffenen zur Durchsetzung gebrochen werden muss. 97 Diese klassische Aufgabenteilung zwischen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden einerseits und Nachrichtendiensten andererseits wird aber seit den 1980er Jahren tendenziell immer durchlässiger. Auf der einen Seite werden den Nachrichtendiensten etwa mit dem Beobachtungsauftrag für die organisierte Kriminalität nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 5 bayVSG (sogar explizit auch für Einzelpersonen), § 2 Abs. 2 Nr. 5 hessVerfSchG, § 3 Abs. 1 Nr. 4 saarVerfSchG, § 2 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4 thürVSG, § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, Nr. 4 und 6 G 10 (Terrorismusbekämpfung, Betäubungsmitteleinfuhr und Geldfälschung) 98 verstärkt Aufgaben der Polizeien und Staatsanwaltschaften zugewiesen. 99 Auch werden immer eingriffsintensivere (Informationserhebungs-)Befugnisse, wie etwa die sog. OnlineDurchsuchung nach § 5 Abs. 2 Nr. 11 a.F nwVSG, Art. 6e bayVSG und die heimstand und die Sicherheit des Bundes und der Länder, die Integrität der Bundesrepublik im Bezug auf Spionage, soweit sich Spionage oder Bestrebung gegen Personen, Dienststellen oder Einrichtungen im Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung richten bzw. die zu überprüfenden Mitarbeiter im Geschäftsbereich tätig werden, vgl. dazu oben unter 1. Teil A. 93 Vgl. Denninger, Recht in globaler Unordnung, S. 146; Lisken / Denninger, HbdPolR, C 114. 94 Beispielhaft für die Landesverfassungsschutzämter: § 5 Abs. 6 Satz 2 nwVSG. 95 Auf die umstrittene Frage nach einem auch verfassungsrechtlichen Trennungsgebotes zwischen Polizei und Nachrichtendienste muss im vorliegenden Zusammenhang nicht eingegangen werden. Dennoch sei angemerkt, dass Art. 73 Nr. 10 und 87 Abs. 1 Satz 2 GG vor dem Hintergrund des sog. Polizeibriefs geschaffen wurden und daher die genetische Auslegung beider Normen für eine solche Trennung spricht, vgl. Albrecht, KritV 2000, S. 273 (279 f.); Baldus, NVwZ 2003, S. 1289 (1293 f.); Denninger, Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 107 (156); Kniesel, Datenschutz für Sicherheitsbehörden, Rn. 35; Roggan / Bergemann, NJW 2007, S. 876 f.; Staff, KJ 1999, S. 586 (589); angedeutet in BVerfGE 97, 198 (217). Im Ergebnis auch Salzwedel, FS Peters, S. 756 (757). 96 Vgl. Gröpl, Nachrichtendienste, S. 311; Gusy, DVBl. 1991, S. 1288 (1290); Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG Rn. 200; Schäfer, Verfassungsschutz, S. 37 (45). 97 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 12 Rn. 14. 98 Zukünftig auch Schleuserkriminalität, vgl. Art. 1 Nr. 4 § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 G 10 des Gesetzbeschlusses des Bundestags vom 17. 03. 2009, BR-Drs. 350/09 (Beschlussmitteilung). 99 Kritisch dazu: Roggan, HbRIS, S. 412 ff.
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
liche Wohnungsdurchsuchung nach Art. 6g bayVSG, geschaffen, die hinsichtlich ihrer Intensität typischerweise nur den Polizeien und Staatsanwaltschaften zugestanden wurden. 100 Auf der anderen Seite fand bei den Polizeien und Staatsanwaltschaften eine Verschiebung in Richtung nachrichtendienstlicher Tätigkeit durch den weiteren Ausbau von (auch heimlichen) Informationserhebungsbefugnissen im Bereich der sog. Vorfeldarbeit statt (vgl. etwa Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 bayPAG („verdachtslose“ Schleierfahndung 101), Art. 29 Abs. 1 Nr. 5 a.F. mvSOG („Jedermannkontrolle“) 102 oder § 26 Abs. 1 Satz 1 hessSOG (Rasterfahndung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten) 103). 104 Vorfeldarbeit meint ein Tätigwerden von Polizeien bzw. Gefahrenabwehrbehörden oder Staatsanwaltschaften, auch wenn noch keine konkrete Gefahr, d. h. eine auf einen zeitlich und räumlich bestimmten Einzelfall bezogene Gefahr, oder ein Tatverdacht vorliegt. 105 Die Eingriffsschwellen „Gefahr“ und „Tatverdacht“ sind als traditionelle (vorkonstitutionelle) Voraussetzungen rechtsstaatlichen Handelns der Polizei und Staatsanwaltschaft allerdings keine starren verfassungsrechtlich verankerten Grenzen der Zulässigkeit eines solchen Handelns. Sie sind (heute) als Teil des grundgesetzlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips vielmehr nur Regelanforderungen für verhältnismäßige Gefahrenabwehreingriffe und strafprozessuale Ermittlungseingriffe. 106 Verhältnismäßige Eingriffe sind so auch im Vorfeld konkreter Gefahren möglich. 107 Dieses gilt insbesondere für die traditionelle Gefahrenvorsorge, bei
100 Vgl. Mehde, JZ 2005, S. 815 (817); Schenke, POR, Rn. 444, der hinsichtlich der Informationseingriffsbefugnisse des BfV davon ausgeht, dass sich der Dienst und die Polizei nicht mehr grundlegend voneinander unterscheiden. Ferner das BVerfG, E 120, 274 (330 f.), das hinsichtlich der Eingriffsschwellen bei der Onlinedurchsuchung keinen Unterschied mehr macht, ob Nachrichtendienste oder Polizei- bzw. Strafverfolgungsbehörden auf das informationstechnische System zugreifen. M.E. könnte es sich bei dem Eindringen in das System in Fällen der Zerstörung oder Beschädigung des Systems sogar um polizeilichen Zwang handeln, der den Nachrichtendiensten nach traditioneller Auffassung nicht zusteht. 101 Vom BayVGH v. 7. 2. 2006 – Vf. 69-VI-04 aber verfassungskonform dahingehend ausgelegt, dass eine abstrakte Gefahr als Eingriffsschwelle vorliegen muss. 102 Durch das MVVerfG vom 21. 10. 1999 – LVerfG 2/98, LKV 2000, S. 149 im Wesentlichen für verfassungswidrig erklärt. 103 Unvereinbar mit BVerfGE 115, 320, die für Rasterfahndungen mindestens eine konkrete Gefahr als Eingriffsschwelle vorsieht, vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 15 Rn. 55, 56. 104 Vgl. zu dieser Entwicklung: Möstl, DVBl. 2007, S. 581 ff.; Volkmann, JZ 2006, S. 918 ff. 105 Vgl. Möstl, DVBl. 1999, S. 1394 (1398). 106 Vgl. BVerfGE 100, 313 (383); 115, 320 (345 f.); ferner BVerfGE 109, 279 (350 ff.); auch Möstl, DVBl. 1999, S. 1394 (1398). 107 Für ein Verbot heimlicher Vorfeldarbeit der Polizei- und Strafverfolgungsbehörden aber Lisken / Denninger, HbdPolR, C 88.
B. Die Kompetenzen der Dienste heute
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der gegenwärtig abstrakte Gefahren bekämpft werden, die sich sonst zukünftig zu konkreten Gefahren verdichten. 108 Wie weit die Ermittlungstätigkeiten in das Vorfeld verlagert werden dürfen, ergibt sich aus der Abwägung des zu schützenden Rechtsgutes und den Interessen des von der Ermittlungshandlung Betroffenen. Je tiefgehender der Grundrechtseingriff beim Betroffenen ist, desto höher sind die Anforderungen an Wahrscheinlichkeitsprognosen und Tatsachenbasis bezüglich des Schadenseintritts bei den Rechtsgütern, die durch die entsprechende Behörde zu schützen ist. Je gewichtiger das jeweilige Rechtgut ist und je weitreichender die drohende Beeinträchtigung wäre, desto geringer sind die Anforderungen. 109 Aber selbst bei höchstem Gewicht der drohenden Rechtsgutbeeinträchtigung darf auf das Erfordernis einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung und auf eine Verankerung von behördlichen Annahmen und Schlussfolgerungen in konkret umrissenen tatsächlichen Umständen nicht verzichtet werden. Unzulässig sind demnach sog. „Verdachtsgewinnungs-“ oder „Gefahrenermittlungsmethoden“. Das sind Befugnisse, die Informationserhebungen in grundrechtlich geschützte Bereiche eines Jeden erlauben, also Vorfeldermittlungen „ins Blaue hinein“ bzw. „im Nebel“. 110 Jenseits dieser Untergrenze ergibt sich aber aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ein abgestuftes System von Gefahren- oder Verdachtsstufen, die jeweils vor bestimmten Grundrechtseingriffen schützen. 111 Die Eintrittsschwellen für die Nachrichtendienste werden aufgrund anderer Aufgaben bzw. Zielsetzungen und damit anderer Zwecke und Verwendungen der gewonnenen Informationen für den jeweiligen Eingriff abweichend bestimmt und befinden sich regelmäßig unterhalb der der Polizeien und Staatsanwaltschaften (sie können sogar unter engen Voraussetzungen bei Verdachtslosigkeit angesiedelt sein). 112 Aufgrund der oben angesprochenen Aufgabenänderung nähern sich diese Stufen aber immer weiter an und sind bei der sog. Online-Durchsuchung sogar gleich. 113 Durch den weiteren Ausbau der Vorfeldarbeit der Polizeien und Staatsanwaltschaften wird die Gefahr der Aufgabenübertretung schrittweise größer. 114 Der 108
Vgl. dazu Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 4 Rn. 15 ff. Vgl. BVerfGE 113, 348 (386). 110 Vgl. BVerfGE 115, 320 (361); MVVerfG, LKV 2000, S. 149, 152 ff. Lisken / Denninger, HbdPolR, C 38, 88. 111 Vgl. BVerfGE 100, 313 (383 f.); 115, 320 (361). 112 Vgl. BVerfGE 100, 313 (383);120, 274 (329 ff.); Möstl, DVBl. 1999, S. 1394 (1402). 113 Vgl. BVerfGE 120, 274 (329 ff.). 114 Vgl. Lisken / Denninger, HbdPolR, C 88. Schenke, POR, Rn. 444 geht davon aus, dass die Schwellen für heimliche Informationseingriffsbefugnisse der Polizeien und 109
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
Gesetzgeber reagiert auf diese Gefahr − paradoxerweise − allerdings nicht mit materiell-rechtlichen Kompetenzbeschränkungen, um wieder den traditionellen Eingriffsschwellen mit ihren Aufgabenbereichen zu entsprechen, sondern mit einer noch weiteren Annährung der sachlichen Zuständigkeiten der Sicherheitsbehörden, so dass eine Abgrenzung der (heutigen) Aufgabenbereiche wiederum immer schwieriger wird. 115 3. BVerfSchG als grundlegende Kompetenznormierung Trotz der eingangs dargestellten inneren Zuständigkeitsverteilung zwischen den Diensten ist das grundlegende Gesetz für die Kompetenzen der Dienste das BVerfSchG. Zwar zeichnet sich die Normierung der nachrichtendienstlichen Befugnisse durch ein kompliziertes Normengeflecht aus. 116 MADG und BNDG Verweisen aber an verschiedenen Stellen auf das BVerfSchG und gehen selten über die Kompetenzen in diesem Gesetz hinaus. Ähnliches gilt für die Befugnisse der Landesverfassungsschutzämter, deren Zuständigkeiten überdies bereits für den Bereich der Zusammenarbeit mit dem Bundesamt durch das Gesetz festgelegt wurde, vgl. §§ 5, 7 BVerfSchG. 117 Nachfolgend sollen daher die Befugnisse in der Regel anhand der Struktur des BVerfSchG dargestellt werden. Auf die anderen Dienstgesetze wird verwiesen und näher eingegangen, sofern es Besonderheiten oder Abweichungen vom BVerfSchG gibt. Dabei werden im jeweiligen Abschnitt auch das für alle Dienste geltende G 10 und weitere Spezialgesetze, soweit sie besondere Ermächtigungen enthalten, vorgestellt. Das BVerfSchG beginnt nach allgemeinen Bestimmungen mit den Befugnissen zur Datenerhebung ab § 8 BVerfSchG, setzt dann fort mit den Datenverarbeitungskompetenzen ab § 10 BVerfSchG und führt schließlich die Datenübermittlungsvorschriften ab § 17 BVerfSchG auf. Die Struktur erinnert an der Einteilung des allgemeinen BDSG. Allerdings wird im BDSG die Datenübermittlung auch unter Datenverarbeitung subsumiert, vgl. § 3 Abs. 4 Satz 1 BDSG. Das BVerfSchG trennt die Verarbeitung jedoch explizit von der Übermittlung. Zudem werden hinsichtlich der Erhebung, Verarbeitung und Übermittlung von personenbezogenen Daten zur Erfüllung des Auftrages des Bundesverfassungsschutzes
Staatsanwaltschaften einfach-gesetzlich bereits so tief abgesenkt wurden, dass es zu einer Annährung zwischen jenen Behörden und den Nachrichtendiensten gekommen ist. 115 Vgl. Gröpl, Nachrichtendienste, S. 308 f. Zur Aufgabenüberschreitung bereits Evers, Verfassungsschutz und Polizei, S. 65 (66 f.). Volkmann, NVwZ 2009, S. 216 (217 ff.) spricht für das Polizeirecht treffender Weise von Entgrenzung der Zwecke, des Handlungsrahmens und der Mittel des Polizeirechts. 116 Vgl. Kretschmer, Jura 2006, S. 336 (340). 117 Im Weiteren wird für die Landesämter für Verfassungsschutz exemplarisch auf das nordrhein-westfälische Landesverfassungsschutzgesetz (nwVSG) verwiesen.
B. Die Kompetenzen der Dienste heute
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gemäß § 27 BVerfSchG 118 die entsprechenden Normen des BDSG gänzlich ausgeschlossen. Die folgende Darstellung folgt daher dem Aufbau des BVerfSchG und nicht, wie im Bereich des Datenschutzes üblich, dem BDSG.
II. Datenerhebung und -verarbeitung 1. Generalklauseln zur Datenerhebung und -verarbeitung a) Begriffe Der Begriff der Datenerhebung scheint auf Nachrichtendienste zunächst nicht unmittelbar zuzutreffen. Nach der allgemeinen Formulierung der Aufgabennorm im BVerfSchG sammeln Nachrichtendienste Informationen, vgl. § 3 Abs. 1 BVerfSchG. Der Begriff Informationen umfasst zwar Daten im Sinne des BDSG. 119 Erheben ist aber enger als das Sammeln und setzt das aktive und gezielte Beschaffen von Daten voraus. 120 Sammeln kann dagegen auch als nur passive und ungezielte Informationserlangung verstanden werden (sog. Mosaiksystem), wobei zunächst gleichgültig ist, wie die Information den jeweiligen Dienst erreicht hat. 121 Das verdeutlicht insbesondere die nicht abschließende Aufzählung besonderer weitgefächerter Informationsquellen (Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen) in § 3 Abs. 1 BVerfSchG. 122 Für das nur passive Sammeln, trifft das BVerfSchG keine weiteren Regelungen bzw. Voraussetzungen, sondern belässt es bei der Sammlungsermächtigung in der Aufgabennorm des § 3 BVerfSchG. Für das aktive Sammeln, das Datenerheben, finden sich hingegen in §§ 8 ff. BVerfSchG weitere Regelungen. Neben der Datenerhebung über die in §§ 3 f. BVerfSchG genannten Bestrebungen bzw. Personenzusammenschlüsse spricht insbesondere § 8 Abs. 1 BVerfSchG von der Möglichkeit, auch personenbezogene Daten zu erheben. Das sind gemäß §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 3 BDSG Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmte oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener). Personenbezogene Daten sind dabei auch Daten über Personengruppen, wenn die Daten zugleich etwas über die Verhältnisse der einzelnen Mitglieder aussagen und diese bestimmbar sind; dann sind es deren personenbezogene Daten. 123
118
Vgl. die entsprechenden Ausschlussklauseln in den anderen Geheimdienstgesetzen: § 11 BNDG, § 13 MADG, sowie beispielhaft für die Länder: Art. 10 bayVSG, im Ergebnis auch: § 28 nwVSG. 119 Vgl. Gola / Schomerus, BDSG, § 3 Rn. 3; Dammann, Simitis, § 3 Rn. 5. 120 Vgl. Gola / Schomerus, BDSG, § 3 Rn. 24. 121 Vgl. Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, A § 3 Rn. 11; Droste, HbdVS, S. 88; Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG Rn.8: „Sammlung von Informationen ist ihr bewusstes Festhalten“; ferner Schafranek, Kompetenzverteilung, S. 57f. 122 Vgl. Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG Rn. 7 zur alten Rechtslage.
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
Die Daten werden offen und verdeckt, mittelbar und unmittelbar erhoben. Dabei beziehen sich Offenheit und Verdecktheit sowohl auf das Verhältnis zum Betroffenen als auch zum Dritten, d. h. sowohl zu dem, über den die Daten erhoben werden, als auch zu dem, bei dem sie erhoben werden. Verdeckt ist die Erhebung, die sowohl für den Betroffenen, als auch für den Dritten nicht als nachrichtendienstliche Datenerhebung erkennbar ist. Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit beziehen sich allein auf das Verhältnis zum Betroffenen. 124 Die Datenverarbeitung als anschließender Arbeitsschritt umfasst nach § 3 Abs. 4 BDSG grundsätzlich das Speichern der Daten zum Zwecke ihrer weiteren Verarbeitung oder Nutzung, sowie das Verändern, Übermitteln, Sperren und Löschen von Daten. Da alle Gesetze über die Dienste aber umfassende Übermittlungsvorschriften besitzen, ist für diesen Bereich davon auszugehen, dass die Übermittlung nicht vom Begriff der Verarbeitung umfasst ist. b) Rechtsgrundlage Die Gesetze der Dienste weisen alle Normen auf, die sie dazu ermächtigen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben (nach § 3 BVerfSchG, § 3 nwVSG, § 2 Abs. 1 BNDG, § 1 MADG) erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten zu erheben, verarbeiten und nutzen, soweit nicht die Bestimmungen der jeweiligen Datenschutzgesetze oder des jeweiligen Gesetzes selbst entgegenstehen, vgl. § 8 Abs. 1 BVerfSchG, § 5 Abs. 1 nwVSG, § 2 Abs. 1 BNDG, § 4 Abs. 1 MADG. Für den Aufgabenbereich der Sicherheitsüberprüfung gelten jeweils die §§ 11, 12 Abs. 3 und 5 SÜG bzw. die entsprechenden Vorschriften in den SÜGe der Länder (etwa §§ 12, 13 Abs. 4 und 5 nwSÜG). aa) Offene Datenerhebung Die offene Datenerhebung ist unter den Voraussetzungen der vorstehenden Normen möglich. Die Normen sind sog. Befugnisnormen. Befugnisnormen sind dann erforderlich, wenn ein Handeln der staatlichen Behörden in Grundrechte eingreift. 125 Ansonsten genügen die sog. Aufgabennormen, die lediglich die Aufgaben beispielsweise einer Behörde umschreiben. 126 Im Fall des BVerfSchG ist die Aufgabennorm § 3 BVerfSchG. Bis zur Gesetzesnovelle von 1990 127, also 123 Vgl. Dammann, Simitis, § 3 Rn. 19, explizit mit einem Hinweis auf die Beobachtung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen durch die Verfassungsschutzämter. 124 Vgl. zum Ganzen: Petri, HbdPolR H 158 ff., auch zu Grenzfällen; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 13 Rn. 1. 125 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 2 Rn. 47. 126 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 2 Rn. 45. 127 Gesetz vom 20. 12. 1990, BGBl. I S. 2954, 2970.
B. Die Kompetenzen der Dienste heute
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35 Jahre nach Erlass des BVerfSchG, ging man davon aus, dass generell eine Aufgabennorm für nachrichtendienstliches Handeln genügt. 128 Die Befugnisnormen sind aber denkbar weit als Generalklauseln formuliert. Generalklauseln ermächtigen umfassend zu den für die Aufgabenerfüllung notwendigen Maßnahmen. 129 Aufgrund des Verhältnisses zu Spezialbefugnissen, also Ermächtigungen zu einem bestimmten Eingriff, ist die Ermächtigung der Generalklauseln aber zweifach beschränkt. Zum einen entfalten die Spezialbefugnisse in ihrem Anwendungsbereich eine Sperrwirkung zulasten der Generalklausel, so dass eine Maßnahme, die die Voraussetzungen der spezielleren Befugnisse nicht erfüllten, nicht durch den Rückgriff auf die Generalklausel gerechtfertigt werden können. 130 Zum anderen ist der Rückgriff aber auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Spezialbefugnisse insoweit gesperrt, 131 als dass die Generalklausel grundsätzlich nur Eingriffe bzw. Datenerhebungen geringerer Intensität rechtfertigt: Wenn eine Datenerhebung eine Intensität erreicht oder überschreitet, die denjenigen Erhebungen zu eigen ist, zu der Spezialbefugnisse ermächtigen, rechtfertigt die Generalklausel nur noch Datenerhebungen, die unerwartet oder ausnahmsweise anstehen. 132 Die beschränkte Rechtfertigungswirkung der Generalklausel ist der sog. Wesentlichkeitstheorie geschuldet, wonach es Aufgabe des Gesetzgebers ist, die wesentlichen Entscheidungen über die Voraussetzungen, Umstände und Folgen von Grundrechtseingriffen, soweit sie einer Regelung zugänglich sind, selbst zu entscheiden und nicht an die Verwaltung zu delegieren. Die Wesentlichkeit der Entscheidung bemisst sich dabei nach der Intensität, in der die Grundrechte betroffen sind. 133 Erkennt der Gesetzgeber eine typische bzw. typisierbare intensive Eingriffssituation als regelungsbedürftig und -fähig, muss er sie auch durch Spezialbefugnisse regeln; insoweit ist ein Rückgriff auf die Generalklauseln grundsätzlich versperrt. 134 bb) Heimliche Datenerhebung Nachrichtendienste haben für verdeckte bzw. heimliche Maßnahmen besondere Generalklauseln (vgl. § 9 Abs. 1 i.V. m. § 8 Abs. 2 BVerfSchG, § 7 Abs. 1 i.V. m. § 5 Abs. 2 (außer Nr. 2 lt. HS und Nr. 11) nwVSG, § 3 BNDG, § 5, 1. HS 128
Vgl. BVerwGE 85, 375 (382); sowie BT-Drs. 10/4737, S. 49 und 11/4306, S. 59. Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 7 Rn. 2. 130 Vgl. Rachor, HbdPolR, F 781; Pieroth / Schlink / Kniesel, § 7 Rn. 14. 131 Zur Diskussion über die Sperrwirkung der Spezialbefugnisse außerhalb ihres Anwendungsbereichs, vgl. die Darstellung bei Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 7 Rn. 16 ff. m.w. N. 132 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 13 Rn. 24. 133 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 266. 134 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 7 Rn. 20; im Ergebnis ebenso Rachor, HbdPolR, F 789 ff. 129
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
i.V. m. § 4 Abs. 1 Satz 1 MADG). Dazu dürfen sie insbesondere eine Vielzahl der sog. nachrichtendienstlichen Mittel anwenden. Das sind geheime Ermittlungsmethoden, die zu einem Erkenntnisgewinn führen. 135 Diese Ermittlungsmethoden sind u. a. in § 8 Abs. 2 BVerfSchG ohne spezifische Voraussetzungen 136 beispielhaft aufgeführt: Erlaubt ist danach der Einsatz von Vertrauensleuten (V-Leute) und Gewährspersonen, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen und der Einsatz von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen. V-Leute sind Personen, die nicht Mitarbeiter der Nachrichtendienste sind, aber auf längere Zeit gegen Honorar für den Nachrichtendienst Informationen besorgen und diese Tätigkeit gegenüber ihrer Umwelt verheimlichen. V-Leute sind entweder in die Zielobjekte eingeschleust oder „herausgebrochen“ worden. 137 Eine besondere V-Person ist der sog. Counter-Man (CM). Er gehört einem gegnerischen Geheimdienst an und wurde zur Mitarbeit im eigenen Dienst als freier Mitarbeiter angeworben, nachdem er als Spion erkannt worden ist. Er arbeitet faktisch als „Doppelagent“ zulasten seines früheren „Arbeitgebers“. 138 Die Gewährspersonen unterscheiden sich von den V-Leuten dadurch, dass sie nur gelegentlich Informationen liefern. Eine Gewährsperson, die nicht weiß, dass der Adressat der Informationen ein Nachrichtendienst ist, wird Informant genannt. 139 Wenn sich die Beziehung zwischen Verfassungsschutz und Gewährsperson verfestigt und auf Dauer angelegt, wird die Gewährsperson zum V-Mann. Observation meint das planmäßige Beobachten einer Person mit dem Ziel, deren Verhalten, Vorhaben oder Kontakte zu erheben. 140 Als nachrichtendienstliches Mittel geschieht dieses gemäß § 8 Abs. 2 BVerfSchG verdeckt. Neben den bereits vorgestellten Vertrauensleuten u.ä., den in § 8 Abs. 2 BVerfSchG genannten technischen Mitteln (Bild- und Tonaufzeichnung) und den besonderen Datenerhebungsmöglichkeiten 141, geschieht die Observation regelmäßig durch Bedienstete der Dienste (als verdeckte Ermittler). Diese treten dann unter einer 135
Vgl. Schlink, NJW 1980, S. 552 (554). Der im obigen Klammerzusatz ebenfalls aufgeführte § 9 Abs. 1 BVerfSchG enthält lediglich allgemeine Verhältnismäßigkeitsanforderungen. Insbesondere enthält er keine Regelungen zum Schutz des Kernbereichs persönlicher Lebensgestaltung [vgl. dazu unter 1. Teil B. II. 2. a) bb)]. Letzteres ist aber für das etwaige Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes erforderlich, vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 14 Rn. 119. 137 Vgl. Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, A § 3 Rn. 157; Droste, HbdVS, S. 266 f.; Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG Rn. 149. 138 Vgl. Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, A § 3 Rn. 162; Droste, HbdVS, S. 275; Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG Rn. 157. 139 Vgl. Droste, HbdVS, S. 275; Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG Rn. 160. 140 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 14 Rn. 100. 141 Siehe unten unter 1. Teil B. II. 2. a) bb). In den Vorschriften der besonderen Überwachungsmaßnahmen findet sich keine Ermächtigung für das in der Praxis oft durchge136
B. Die Kompetenzen der Dienste heute
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Legende auf, d. h. eine ihnen verliehene, auf Dauer angelegte, veränderte Identität, 142 und ermitteln entweder aufgrund eines einzelfallbezogenen Auftrags für eine bestimmte Zeit oder als sog. undercover agent (UCA) langfristig zur umfassenden Aufklärung des Zielobjekts. 143 Von Juni 2005 bis April 2007 wurde als nachrichtendienstliches Mittel auch die so genannte Online-Durchsuchung durchgeführt. Sie wurde vom BfV auf die Generalklausel für die heimliche Datenerhebung in Verbindung mit einer Dienstvorschrift gestützt. 144 Nordrhein-Westfalen hingegen hat mit § 5 Abs. 2 Nr. 11 nwVSG eine Spezialermächtigung geschaffen, die aber das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt hat. 145 Eine neue Ermächtigung wurde noch nicht geschaffen. Im Übrigen findet sich eine Ermächtigung nur in Bayern, vgl. Art. 6e bayVSG. 2. Spezialbefugnisse zur Datenerhebung Neben den Generalklauseln gibt es eine Vielzahl von Spezialbefugnissen. Die Spezialbefugnisse sind in zwei Gruppen zu unterteilen: Die eine Gruppe besteht aus denjenigen, die in dem BVerfSchG, den Verfassungsschutzgesetzen der Länder (am Beispiel des nwVSG), dem BNDG und dem MADG aufgeführt sind. Denn gegen diese ist grundsätzlich der Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 GG eröffnet. Die zweite Gruppe besteht aus den Spezialbefugnissen, die das G 10-Gesetz aufführt. Hier ist der Rechtsschutz aufgrund der Ermächtigung in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG einem parlamentarischen Organ überantwortet und führte Anbringen eines Peilsenders mit GPS-Ortung. Ob die Ermächtigung im hiesigen § 8 Abs. 2 BVerfSchG durch das Merkmal „Observation“ den Bestimmtheitsanforderungen zu einer solchen Maßnahme noch genügt, erscheint im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfGE 112, 304 höchst zweifelhaft. 142 Legaldefiniert beispielsweise in § 110a Abs. 2 StPO. 143 Vgl. Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 BVerfSchG Rn. 141 ff; sowie Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 14 Rn. 109 für die polizeiliche Tätigkeit. Keine Unterscheidung zwischen UCA und verdeckter Ermittler treffen Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, A § 3 Rn. 164 und Droste, HbdVS, S. 277. 144 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage des Abg. Hartfried Wolff (FDP-Bundestagsfraktion), Arbeits-Nr. 3/107, März 2007; hib-Meldung vom 25. 04. 2007, abrufbar im Internet unter: http://www.bundestag.de/aktuell/hib/2007/2007 _108/03.html (abgerufen am 10. 08. 2007). Die Online-Durchsuchung wurde nach einer Entscheidung des 3. Strafsenats des BGH, der allerdings die fehlende Rechtsgrundlage für Strafverfolgungsbehörden in der StPO betraf (Beschluss v. 31. 01. 2007 – StB 18/06), ausgesetzt, obwohl das Innenministerium betonte, der Beschluss des BGH betreffe nur die Strafverfolgungsbehörden und die Nachrichtendienste benötigten keine gesetzliche Grundlage, vgl. die oben genannte hib-Meldung; AP / dpa-Meldung vom 27. 04. 2007, in: Süddeutsche Zeitung vom 27. 04. 2007, abrufbar im Internet unter: http://www.sueddeutsche .de/computer/artikel/842/111731/ (abgerufen am: 25. 08. 2008). 145 Vgl. BVerfGE 120, 274.
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folgt eigenen Regeln. Da es im Gegensatz zu den Generalklauseln jeweils für Erhebung und Verarbeitung von Daten gesonderte Spezialbefugnisse gibt, sollen diese auch getrennt vorgestellt werden. Zunächst werden die Spezialbefugnisse zur Datenerhebung betrachtet. a) Befugnisse nach dem BVerfSchG, nwVSG, BNDG, MADG Die Datenerhebungsspezialbefugnisse gliedern sich in der ersten Gruppe wieder in offene und verdeckte Erhebungsbefugnisse. Sog. besondere Auskunftsverlangen sind offen durchzuführen, eingriffsintensive Abhör- und Überwachungsmaßnahmen können verdeckt erfolgen. aa) Besondere Auskunftsverlangen (offene Erhebung) Die Gesetzesüberschrift „besondere Auskunftsverlangen“ meint Auskunftsverlangen gegenüber Privatunternehmen, die sensible Kundendaten erheben und speichern, d. h. Daten, die Auskunft über die Kommunikation (über Telekommunikations- und Postverkehr), die finanzielle Situation und die Bewegungsmuster mittels Luftfahrzeugen geben. Die Nachrichtendienste 146 sind zunächst befugt, allgemeine Bestandsdaten von Postdienstleitungs- und Teledienstunternehmen einzuholen (vgl. § 8a Abs. 1 BVerfSchG, § 2a BNDG, § 4a MADG) 147. Bestandsdaten sind gemäß § 8a Abs. 1 BVerfSchG Daten über die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung von Vertragsverhältnissen. Des Weiteren dürfen aber auch Verkehrsdaten erhoben werden. Diese Daten enthalten nach § 8a Abs. 2 BVerfSchG die Informationen über die jeweils in Anspruch genommenen Dienstleistungen der aufgeführten Unternehmen. Im Einzelnen dürfen Verkehrsdaten von Luftfahrtunternehmen (§ 8a Abs. 2 Nr. 1 BVerfSchG, § 2a BNDG, § 4a MADG) 148, von Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten sowie Finanzunternehmen (§ 8a Abs. 2 Nr. 2 BVerfSchG, § 5a Abs. 1 nwVSG, BND und MAD über obigen Verweis), von Postdienstleistern (§ 8a Abs. 1, 2 Nr. 3 BVerfSchG, BND und MAD wie oben) 149 und von Telekommunikationsdienstleistern (§ 8a Abs. 2 Nr. 4, 5; § 5a Abs. 2 nwVSG, BND und MAD wie oben) erhoben werden. 150 146
Nordrhein-westfälischer Landesverfassungsschutz soweit aufgeführt. In den Landesverfassungsschutzgesetzen finden sich explizite Regelungen für Bestandsdaten, z. B. in Bayern: Art. 6c Abs. 1 bayVSG. 148 Diese Befugnis findet sich nicht in Nordrhein-Westfalen, jedoch beispielsweise in Bayern, vgl. Art. 6c Abs. 2 Nr. 1 bayVSG und Hessen, vgl. § 4 Abs. 11 hessVerfSchG. 149 Diese Befugnis findet sich nicht in Nordrhein-Westfalen, jedoch beispielsweise in Bayern, vgl. Art. 6c Abs. 2 Nr. 3 bayVSG und Hessen, vgl. § 4 Abs. 7 hessVerfSchG. 150 In Bayern ist das Landesamt sogar dazu ermächtigt, auf Daten der sog. Vorratsdatenspeicherung nach § 113a TKG (Gesetz vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190) in 147
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Für die Anordnungen bei Maßnahmen gegenüber Luftfahrtunternehmen und Kreditinstituten pp. (§ 8a Abs. 1 Nr. 1 und 2 BVerfSchG) ist das zuständige Bundesministerium, bei Maßnahmen gegenüber Post- und Teledienstleistern nach § 8a Abs. 1 Nr. 3 bis 5 BVerfSchG die G 10-Kommission zuständig. Ausnahmen bestehen bei Gefahr im Verzuge. In den Ländern sind für die Anordnungen grundsätzlich die Landesinnenminister bzw. die G 10-Kommission des Landes zuständig. 151 Allerdings dürfen Landesverfassungschutzämter gemäß § 8a Abs. 8 BVerfSchG die entsprechenden Maßnahmen nach Nr. 3 bis 5 nur durchführen, wenn ein der G 10-Kommission äquivalentes Verfahren parlamentarischer Kontrolle besteht. Leider sind die genannten Maßnahmen auf Bundes- und Länderebene grundsätzlich nicht in den jeweiligen G 10-Gesetzen aufgeführt, vielmehr arbeiten die Dienstgesetze mit mannigfaltigen, kaum überschaubaren Verweisungen untereinander und auf das jeweilige G 10-Gesetz und andere Gesetze 152. der Fassung vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198)) zuzugreifen. Aufgrund der gesetzlich angeordneten Vorratsdatenspeicherung sind öffentlich zugängliche Telekommunikationsdienstleister für Endnutzer verpflichtet, die von den Kunden bei der Nutzung ihres Dienstes erzeugte oder verarbeitete Verkehrsdaten sechs Monate im Inland oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu speichern. Die Verkehrsdaten betreffen die gesamte Telekommunikation bis hin zu der Nutzung des Internets. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Abruf jedoch mit einstweiliger Anordnung vom 28. 10. 2008 – 1 BvR 256/08 (in Erweiterung und Verlängerung der Anordnung vom 11. 03. 2008 – 1 BvR 256/08 betreffend Strafverfolgungsbehörden, wiederholt und verlängert durch Beschlüsse vom 01. 09. 2008, 22. 04. 2009 und 15. 10. 2009) eingeschränkt und angeordnet, dass der Abruf nur erfolgen darf, wenn gemäß der Anordnung des Abrufs neben den Voraussetzungen der die Behörde zum Abruf der Verkehrsdaten ermächtigenden Rechtsnormen auch die Voraussetzungen von § 1 Abs. 1, § 3 des G 10 in der Fassung vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) vorliegen. In den übrigen Fällen, in denen die Voraussetzungen der die ersuchenden Behörde zum Abruf ermächtigenden Rechtsnormen nach der Abrufanordnung erfüllt sind, ist von einer Übermittlung der Daten einstweilen abzusehen. Das wären nach dem denkbar weiten Art. 6c Abs. 2 bayVSG alle Fälle, in denen der Abruf zur Erfüllung der Aufgaben nach der allgemeinen Aufgabennorm des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 bayVSG erforderlich ist. Letztendlich wurde das Gesetz zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung in der geltenden Form jedoch wegen Verstoßes gegen Art. 10 Abs. 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Die Vorratsdatenspeicherung an sich sei danach jedoch nicht verfassungswidrig, so dass die Ermächtigung nach einem neuen verfassungskonformen Gesetz zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung wieder aufleben könnte, vgl. zum Ganzen das diesbezüglich Urteil des BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2. 3. 2010, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html (abgerufen am 01. 06. 2010). 151 In Nordrhein-Westfalen ist der Innenminister berechtigt, dem Antrag auf Auskunftseinholung zu genehmigen, wobei er vor dem Vollzug (außer bei Gefahr im Verzug) die G 10-Kommission zu unterrichten hat und diese die Maßnahme verbieten kann. Die G 10 Kommission entscheidet systemwidrig auch über die Abfrage bei Kreditinstituten pp., vgl. § 5a Abs. 3 nwVSG. In Bayern beispielsweise findet das Verfahren entsprechend Anwendung, allerdings mit der Abweichung, dass die G 10-Kommission nur über Datenerhebungen entscheidet, die in den Schutzbereich von Art. 10 GG fallen, vgl. Art. 6 f. Abs. 3 bayVSG.
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bb) Besondere Überwachungsmaßnahmen (verdeckte Erhebung) Neben den Spezialbefugnissen für eine offene Erhebung enthalten alle Nachrichtendienstgesetze auch Befugnisse zur verdeckten Erhebung, die in ihrer Intensität regelmäßig über die in § 8 Abs. 2 BVerfSchG aufgeführten nachrichtendienstlichen Mittel hinausgehen. Dazu gehören der sog. große und kleine Lauschangriff (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 1, 2 BVerfSchG bzw. § 9 Abs. 2 Satz 8 BVerfSchG, § 7 Abs. 2 nwVSG, § 3 BNDG, § 5 MADG). Beide meinen das Aufnehmen von Bild und Ton aus der Wohnung mit technischen Mitteln. Im Falle des großen Angriffs dient es aber zur Gewinnung von Informationen über den Betroffenen und im Falle des kleinen dem Schutz des eingesetzten Geheimdienstmitarbeiters. 153 Beide Formen des Lauschangriffs stehen unter einem Richtervorbehalt (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 3, 4 und 11 BVerfSchG, § 7 Abs. 2 Satz 3, 4 und 11 nwVSG, § 3 BNDG, § 5 MADG). Allerdings sehen die Gesetze keine Regelungen für den sog. Kernbereichsschutz vor. Für Lauschangriffe hat das Bundesverfassungsgericht aber festgestellt, dass nicht in den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung eingegriffen werden darf. Dieses folge unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG. 154 Die Entscheidung des Verfassungsgerichts ist zwar zum Lauschangriff zwecks Strafverfolgung ergangen, wegen des Bezugs zur Menschenwürde gilt der Kernbereichsschutz jedoch in allen Rechtsgebieten und für alle Formen von Lauschangriffen und optischer Überwachung. 155 Zur Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung gehört danach die Möglichkeit, „innere Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse höchstpersönlicher Art zum Ausdruck zu bringen, und zwar ohne Angst, dass staatliche Stellen dies überwachen. Dazu gehören auch Gefühlsäußerungen, Äußerungen des unbewussten Erlebens sowie Ausdrucksformen der Sexualität“ 156. Deuten Anhaltspunkte darauf hin, dass Informationen aus dem Kernbereich erhoben werden, ist die Erhebung abzubrechen, gewonnene Informationen zu löschen und eine etwaige Verwertung unzulässig. 157 Gewichtige Indizien für den Bezug zum Kernbereich und damit zur Menschenwürderelevanz stellen insbesondere Gespräche in Ehe und Familie, Gespräche mit Geistlichen und Seelsorgern, Ärzten und Verteidigern dar. 152
Vgl. etwa Bayern mit einer dynamischen Verweisung auf das Bundesrecht: Art. 6c Abs. 2 bayVSG i.V. m. § 118a TKG. 153 Vgl. zur Definition: Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 14 Rn. 122. Es bestehen beim Einsatz zu nachrichtendienstlichen Zwecken aber erhebliche Zweifel, ob Art. 13 Abs. 4 GG die präventive Wohnraumüberwachung durch Verfassungsschutzbehörden deckt, vgl. dazu Baldus NVwZ 2003, S. 1289 ff. 154 Vgl. BVerfGE 109, 279 (313 ff.). 155 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 272 Rn. 125 a. 156 BVerfGE 109, 279 (313). 157 Vgl. BVerfGE 109, 279 (318).
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Gespräche mit Presseangehörigen und Abgeordneten weisen jedoch keinen unmittelbaren Bezug zum Kernbereich auf. 158 Um den Schutz der Menschenwürde genüge zu tun, sind gesetzliche Regelungen erforderlich, die sicherstellen, dass der Kernbereich nicht verletzt wird. Dabei sind im Sinne von Normenklarheit auch die typisierenden Indikatoren aufzunehmen. 159 Der hier fehlende Schutz führt demnach zur Verfassungswidrigkeit der Regelungen. Des Weiteren gibt es in § 9 BVerfSchG die Befugnis einen sog. IMSI-Catcher (International Mobil Subscriber Identification (IMSI)) einzusetzen (vgl. § 9 Abs. 4 BVerfSchG, § 7 Abs. 4 nwVSG, § 3 BNDG, § 5 MADG). Der Catcher ist ein Gerät, das die Basisstation eines Mobilfunknetzes simuliert. Dadurch kann ein Handy, das sich in der Umgebung des Catchers befindet, geortet werden. Zudem ist die Ermittlung der Handy-Indentifikationsnummer (Geräte- und Kartennummer (IMEI)) möglich. 160 Der Einsatz des IMSI-Catchers wird regelmäßig von der Genehmigung der jeweiligen G 10-Kommission abhängig gemacht (vgl. § 9 Abs. 4 Satz 7 BVerfSchG, § 7 Abs. 4 Satz 6 nwVSG, § 3 BNDG, § 5 MADG). Auch zitiert der Gesetzgeber die Einschränkung des Art. 10 GG (vgl. etwa § 9 Abs. 4 Satz 8 BVerfSchG). Das Bundesverfassungsgericht geht jedoch von einem bloßen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG aus, so dass es danach keiner Anordnung eines G 10-Verfahrens bedurft hätte. 161 Schließlich ist noch auf die bereits genannte Ermächtigung des Bayerischen Verfassungsschutzes zur Online-Durchsuchung und heimlichen Wohnungsdurchsuchung nach Art. 6e und Art. 6g bayVSG hinzuweisen. Sie steht gemäß einer unübersichtlichen Verweisungskette auf Art. 6b bayVSG insbesondere unter einem Richtervorbehalt. 162 b) Befugnisse nach dem G 10 Für Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 GG durch Nachrichtendienste befinden sich im G 10 Spezialbefugnisse. Das Gesetz diente ursprünglich dazu, die Art. 10 GG betreffenden Befugnisse der Nachrichtendienste umfassend aufzuführen. Wie gezeigt, befinden sich aber heute auch 158
Vgl. BVerfGE 109, 279 (321 ff.). Vgl. BVerfGE 109, 279 (318). 160 Ausführlich zum technischen Verfahren: BVerfG v. 22. 08. 2006 – 2 BvR 1345/ 03, Absatz-Nr. 11 ff., abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen /rk20060822_2bvr134503.html. 161 Vgl. BVerfG v. 22. 08. 2006 – 2 BvR 1345/03, abrufbar im Internet unter: http:// www.bverfg.de/entscheidungen/rk20060822_2bvr134503.html, auch mit Nachweisen der Gegenansicht in Literatur und Rechtsprechung (insb. bei Absatz-Nr. 59). 162 Zu dieser Regelungstechnik siehe noch unter 2. Teil 2. Abschnitt A. III. 5. 159
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
entsprechende Eingriffsbefugnisse in den einzelnen Dienstgesetzen, obwohl sie systematisch ins G 10 gehören. Es wird mit Verweisen gearbeitet, die diesbezüglich zu einer schwer überschaubaren Gesetzeslage führen. Das G 10 enthält aber weiterhin zwei wichtige Eingriffsbefugnisse: Zum einen die Telekommunikations- und Postüberwachung für Einzelfälle und zum anderen die Telekommunikationsüberwachung als sog. strategische Kontrolle. Diese Aufteilung ergibt sich aus § 1 G 10, der die Befugnisse der Dienste allgemein aufführt. In § 1 Abs. 1 Nr. 1 G 10 ist die Überwachung für Einzelfälle normiert: Danach werden alle Dienste, also der Bundesverfassungsschutz, die Landesverfassungsschutzämter, 163 BND und MAD ermächtigt, die inländische Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen und die dem Brief- und Postgeheimnis unterliegenden Sendungen zu öffnen und einzusehen. Dies gilt allerdings nur, wenn die Maßnahme der Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes einschließlich der Sicherheit der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikvertrages dient, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 G 10. Ergänzende materielle Voraussetzungen finden sich explizit in § 3 G 10, wonach tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen müssen, dass der Betroffene eine schwere Katalogstraftat plant, begeht oder begangen hat. Die strategische Kontrolle ist in § 1 Abs. 1 Nr. 2 G 10 angesprochen. Zu ihr ist nur der Bundesnachrichtendienst und nur unter den weiteren Voraussetzungen der §§ 5 ff. G 10 ermächtigt. 164 Sie ist auf internationale Telekommunikationsverbindungen, soweit eine gebündelte Übertragung erfolgt 165, beschränkt. Im Gegensatz zur Telekommunikations- und Postüberwachung nach §§ 1, 3 G 10 163
Die notwendigen Anpassungen, die sich aus der Überwachung durch die Landesverfassungsschutzämter ergeben (etwa die Festlegung der zuständigen obersten Landesbehörde im Sinne des § 10 Abs. 1 G 10), finden sich in den jeweiligen Ausführungsgesetzen zum G 10 der Länder, vgl. etwa für Nordrhein-Westfalen: Gesetz über die Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz (nwAGG 10) vom 18. Dezember 2002 (GVBl. 2003, S. 2). 164 Aufgrund der unklaren Formulierung in § 5, die auf § 1 insgesamt Bezug nimmt und nicht nur auf Abs.1 Nr. 2 G 10, bleibt unklar, ob der BND nicht auch den nationalen Telekommunikationsverkehr und den Verkehr, der nicht gebündelt übertragen wird, allein unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V. m. den Überwachungszwecken aus § 5 und § 8 im Rahmen seines Auftrages überwachen darf. Die unklare Formulierung ist durch die Änderungen im Rahmen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes 1994 entstanden und auch nicht durch die Novellierung von 2001 beseitigt worden. Zur genaueren Präzisierung muss § 5 einen expliziten Bezug auf § 1 Nr. 2 G 10 aufweisen und entsprechend § 3 Abs. 1 Satz 1 G 10 formuliert sein. Der Gesetzgeber geht nach der Begründung zu den Änderungsgesetzen jedoch davon aus, dass § 1 G 10 nur die allgemeinen Befugnisse darstellt und § 1 Abs. 1 Nr. 2 G 10 nur die strategische Überwachung meint, die nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen der §§ 5 ff. G 10 möglich sind, vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 43 und 14/5655, S. 14, 18, ebenso BVerfGE 100, 313 und Droste, HbdVS, S. 353.
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dient die strategische Kontrolle nicht der Einzelfall- und damit personenbezogenen Kontrolle, sondern ermöglicht eine sachbezogene, anonyme Kontrolle, die aber in großem Ausmaß erfolgt und ereignis- bzw. verdachtsunabhängig ist. 166 Zu diesem Zweck wird gemäß § 5 Abs. 2 G 10 über Suchbegriffe die internationale Telekommunikation zu und von bestimmten Staaten abgehört, um sachbezogene Erkenntnisse von strategischer und verteidigungspolitischer Relevanz zu gewinnen. Die Durchführung der Maßnahme ist technisch so angelegt, dass relevante Erkenntnisse über Einzelpersonen die Ausnahme bleiben und in jedem Fall zufällig sein müssen. 167 Die Staaten, deren Ziel- und Quellkommunikation in die Überwachung mit einbezogen werden sollen, werden gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 G 10 vom zuständigen Bundesministerium mit Zustimmung des Parlamentarischen Kontrollgremiums in generalisierender Weise festgelegt. Die Suchbegriffe sind in der Anordnung im Einzelnen aufzuführen, vgl. § 10 Abs. 4 Satz 1 G 10. 168 In der Anordnung ist zudem festzulegen, welcher Anteil der auf diesen Übertragungswegen zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität überwacht werden darf. In den Fällen des § 5 G 10 darf dieser Anteil höchstens 20% betragen, vgl. § 10 Abs. 4 Satz 3, 4 G 10. Materielle Voraussetzungen für die strategische Kontrolle sind in § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V. m. §§ 5, 8 G 10 festgelegt: Danach darf der BND die Maßnahme im Rahmen seines Auftrages nach § 1 Abs. 2 BNDG entweder dazu nutzen, Informationen über Sachverhalte internationaler organisierter Kriminalität durch Telekommunikationsüberwachung zu sammeln (§ 5 G 10) oder, um eine im Einzelfall bestehende Gefahr für Leib oder Leben einer Person im Ausland rechtzeitig zu erkennen oder ihr zu begegnen, falls dadurch Belange der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar in besonderer Weise berührt sind (§ 8 G 10). Die einschlägigen Tatbestände bezüglich der internationalen organisierten Kriminalität finden sich in § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 bis 6 G 10 (internationale terroristische Anschläge, internationale Verbreitung von Kriegswaffen und unerlaubter Außenwirtschaftsverkehr, Verbringung von Betäubungsmittel nach Deutschland, erhebliche im Ausland begangene Geldfälschungen, erhebliche international organisierte Geldwäsche) 169. Bei der Durchführung der Maßnahmen können personenbezogene Daten erhoben werden, die aber zu kennzeichnen sind. Sie dürfen 165 Zum technischen Verfahren und dem Wegfall der Beschränkung auf die nichtleitungsgebundende Kommunikation (§ 3 Abs. 1 G 10 a.F.), vgl. BT-Drs. 14/5655, S. 17 f. 166 Vgl. Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, B § 3 Rn. 2; Müller-Terpitz, Jura 2000, S. 296 (298); Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 3 G 10 Rn. 4. Sie wird daher auch als verdachtslose Rasterfahndung bezeichnet, vgl. Badura, BK, Art. 10 Rn. 84; Löwer, vMünch / Kunig, Art. 10 Rn. 51. 167 Vgl. Riegel, G 10, § 3 G 10 Rn. 12 f. 168 Huber, NJW 2001, S. 3296 (3298) zählt (allerdings ohne Nachweise) mögliche Suchbegriffe auf, die auf eine Personalisierung hinweisen: Telekommunikationsnummern, Namen von Personen, Firmen und Institutionen, militärische oder naturwissenschaftliche Fachbegriffe und Produktbeschreibungen etc.
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
nur zu den gesetzlich festgelegten Zwecken und nur zu Übermittlungen nach § 7 Abs. 1 bis 4 G 10 verwendet werden, vgl. §§ 5 Abs. 1 Satz 2, 6 Abs. 2 G 10. 170 Dabei werden insbesondere in § 7 Abs. 4 G 10 verschiedene Übermittlungsschwellen angeordnet, die davon abhängen, welche Straftaten durch die Übermittlung verhindert werden sollen. 171 Auch das G 10 enthielt bis in jüngster Zeit keine Vorschriften zum Schutze des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Ein solcher Schutz ist aber insbesondere bei der Telekommunikationsüberwachung erforderlich. 172 Auch ein Entwurf zur Änderung des G 10, der 2006 erneut in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht wurde, enthielt noch keine Regelungen zum Kernbereichsschutz. 173 Im federführenden Innenausschuss wurden jedoch solche Regelungen eingefügt, vgl. Art. 1 §§ 3 a, 5 Abs. 2 Satz 2, 5a des Entwurfs in der Fassung der Beschlussempfehlung. 174 Gleichzeitig wurde in Art. 1 § 3b ein besonderer Schutz von zeugnisverweigerungsberechtigten Personen eingefügt. Danach sind Maßnahmen nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 G 10 gegenüber Geistlichen, Verteidigern und Abgeordneten unzulässig, § 3b Abs. 1 G 10. Gegenüber Personen nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder Nr. 5 StPO findet hingegen nur eine Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Überwachung statt. Da sich unter diesen Personen jedoch auch Ärzte befinden und Gespräche mit dieser Berufsgruppe nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts in den Kernbereichsschutz fallen, muss die Abwägung nach verfassungskonformer Auslegung immer zugunsten einer unzulässigen Überwachung führen. Der Gesetzentwurf in Gestalt der Beschlussempfehlung des Innenausschusses wurde am 27. 03. 2009 vom Bundestag verabschiedet. 175 3. Spezialbefugnisse zur Datenverarbeitung Die Nachrichtendienstgesetze und das G 10 weisen zudem Spezialklauseln auf, die Voraussetzungen zur Speicherung, Veränderung und Nutzung von Daten aufstellen, vgl. § 10 BVerfSchG, § 8 nwVSG, § 4 BNDG i.V. m. § 10 BVerfSchG, § 6 MADG i.V. m. § 10 BVerfSchG und § 1 Abs. 1 a.E. G 10. Zwar ermächtigen auch die Generalklauseln zur Verarbeitung, allerdings sind die unter dieser 169
Zukünftig auch bei erheblichen Fällen von Schleuserkriminalität, vgl. den vom Bundestag beschlossenen Gesetzentwurf BT-Drs. 16/509 in der Fassung des Beschlussvorschlags des Innenausschusses, BT-Drs. 16/12448. 170 Vgl. Badura, BK, Art. 10 Rn. 84. 171 Umfassend dazu Schafranek, DÖV 2002, S. 846 (850). 172 Vgl. BVerfGE 113, 348 (391 f.). 173 Vgl. BT-Drs. 16/509. 174 Vgl. BT-Drs. 16/12448, S. 5, 8. 175 Vgl. Beschlussmitteilung vom 24. 04. 2009, BR-Drs. 350/09.
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Überschrift genannten Vorschriften für ihren Bereich legis specialis. Voraussetzung für die Verarbeitung von Daten ist grundsätzlich, dass sie für die Erfüllung der Aufgaben des jeweiligen Dienstes erforderlich sind. Zum Schutz von Minderjährigen gelten Sonderreglungen. Die Speicherung ihrer Daten ist nur unter engeren Voraussetzungen möglich, vgl. § 11 Abs. 1 BVerfSchG, § 9 Abs. 1 nwVSG, § 4 Abs. 2 BNDG i.V. m. § 11 Abs. 1 BVerfSchG. Lediglich der MAD darf personenbezogene Daten Minderjähriger ohne besondere Einschränkungen verarbeiten. Allerdings weist das MADG besondere Datenüberprüfungs- und Datenlöschvorschriften für Daten Minderjähriger auf, vgl. § 6 Abs. 2 MADG. Eine entsprechende Vorschrift findet sich ebenso in den anderen Dienstgesetzen, vgl. § 11 Abs. 2 BVerfSchG, § 9 Abs. 2 nwVSG, § 4 Abs. 2 BNDG i.V. m. § 11 Abs. 2 BVerfSchG. Schließlich weisen alle Dienstgesetze, insbesondere dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts entsprechend 176, Löschungsund Berichtigungspflichten der Dienste auf. Die Dienste haben die gespeicherten Daten von Amts wegen zu berichtigen, wenn sie feststellen, dass die Daten unrichtig sind, vgl. etwa § 12 Abs. 1 BVerfSchG, sie müssen die gespeicherten Daten löschen, wenn sie zur Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind, vgl. § 12 Abs. 2 BVerfSchG, und sie haben nach einem festgelegten Zeitpunkt (in der Regel 5 Jahre) zu überprüfen, ob die Daten zu löschen sind, vgl. § 12 Abs. 3 BVerfSchG. Für personenbezogene Daten in Akten gibt es Sonderregelungen (insb. die sog. Datensperrung 177), vgl. § 13 BVerfSchG. Da die Amtspflichten zur Berichtigung, Löschung und Sperrung auch im Interesse des Betroffenen bestehen, sind sie, aufgrund des Folgenbeseitigungsgedankens aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), auch Ansprüche des Betroffenen. 178 Zwischen den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder dient das sog. NADIS (Nachrichtendienstliches Informationssystem) als gemeinsame Speicherdatei für den automatisierten Abruf (auch Verbunddatei genannt) 179. Es wurde seit April 1970 stufenweise beim BfV in Köln installiert und enthielt bereits im September 1992 Datensätze über mindestens 1442291 Personen. 180 Die Rechtsgrundlage des NADIS findet sich in § 6 BVerfSchG. Nach § 6 Satz 2 BVerfSchG darf das NADIS nur die Daten enthalten, die zum Auffinden von Ak-
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Vgl. BVerfGE 65, 1 (46). Die Datensperrung führt zu einem Nutzungs- und Übermittlungsverbot der jeweiligen Daten. 178 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 15 Rn. 83. Dafür spricht beispielsweise auch die Formulierung in § 13 Abs. 1 BVerfSchG: „Stellt das Bundesamt für Verfassungsschutz fest, daß in Akten gespeicherte personenbezogene Daten unrichtig sind oder wird ihre Richtigkeit von dem Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken (...)“. 179 Vgl. Droste, HbdVS, S. 418. 180 Vgl. Mayer-Metzner, Auskunft aus Dateien, S. 56, der Nachweise aufführt, die von 1,5 bis sogar 3 Mio. Datensätzen ausgeht. 177
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
ten und der dazu notwendigen Identifizierung von Personen erforderlich sind. 181 Dementsprechend enthält das NADIS Unterdateien, zu denen insbesondere die Personenzentraldatei (PZD) und das zentrale Objektverzeichnis (ZOV) zählen. Im PZD sind im Wesentlichen die Personengrunddaten relevanter Personen (auftragsbezogene Zielpersonen, gefährdete Personen, Zielpersonen gegnerischer Nachrichtendienste, sicherheitsüberprüfte Personen) und das oder die Aktenzeichen, unter dem bzw. denen entsprechenden Informationen zu finden sind, enthalten. 182 Personengrunddaten sind der Name, Vorname, Geburtstag und -ort, Staatsangehörigkeit, Beruf, Anschriften, Telefonangaben, Kfz-Kennzeichen, sowie Konto- und Schließfachnummern. 183 Die ZOV ermöglicht Aktenbestände zu Organisationen, Veröffentlichungen und Zeitschriften aufzufinden. Betroffen sind sowohl Objekte, die auftragsgemäß beobachtet werden, als auch nicht beobachtete Objekte. 184 Schließlich ist noch auf eine Datei zur organisierten Kriminalität hinzuweisen. Diese wird nur zwischen den Landesverfassungsschutzämtern aufrechterhalten, die einen entsprechenden Beobachtungsauftrag haben (z. Zt. Bayern, Hessen, Saarland und Thüringen) 185. Das Bundesinnenministerium hat aber dem Bundesdatenschutzbeauftragten zugesichert, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nur die technische Pflege der Datei übernimmt, aber sonst keinen Zugriff auf die Daten erhält. 186 Insgesamt wird deutlich, dass das NADIS als Findex-Kartei 187 zur Auffindung von Aktenbeständen angelegt ist, vgl. § 6 Satz 2 BVerfSchG. Beteiligt sind nur Verfassungsschutzämter, also nicht BND und MAD, vgl. § 6 Satz 4 BVerfSchG. Wollen die beteiligten Dienste genauere Informationen erhalten, ist dieses nicht im automatisierten Verfahren möglich, sondern muss auf konventionellem Wege über eine Datenübermittlungsanfrage unter ihren jeweiligen Voraussetzungen erfolgen, vgl. § 5 BVerfSchG. Gleiches gilt, wenn Nichtverfassungsschutzbehörden einen Zugriff auf die NADIS begehren, vgl. dazu §§ 19 Abs. 1, 20 BVerfSchG, § 10 MADG, § 8 MADG. 188 Bei gemeinsamen Dateien zwischen verschiedenen Sicherheitsbehörden ist die Abgrenzung zur Datenübermittlung schwierig. Datenübermittlung meint die 181 Ausnahmen sind nur für eng umgrenzte Anwendungsgebiete zur Aufklärung von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder von Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltanwendung vorzubereiten, vgl. § 6 Satz 8 BVerfSchG. 182 Vgl. Droste, HbdVS, S. 419; Riegel, HbDSR, Kap. 8.4 Rn. 47. 183 Aufzählungen bei Droste, HbdVS, S. 419; Haedge, Das neue Nachrichtendienstrecht, S. 116; Mayer-Metzner, Auskunft aus Dateien, S. 57. 184 Vgl. Droste, HbdVS, S. 419. 185 Vgl. oben unter 1. Teil B. I. 2. 186 Vgl. Droste, HbdVS, S. 420. 187 Vgl. Haedge, Das neue Nachrichtendienstrecht, S. 117. 188 Vgl. Droste, HbdVS, S. 421; Haedge, Das neue Nachrichtendienstrecht, S. 117.
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Übermittlung von Daten an einen Dritten, vgl. § 3 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 BDSG. Dritter ist jede Person oder Stelle außerhalb der verantwortlichen Stelle, vgl. § 3 Abs. 8 Satz 2 BDSG. Für Datenübermittlung zwischen öffentlichen Stellen ist entscheidend, ob die übermittelnde Stelle als Verwaltungseinheit eng oder weit zu betrachten ist, ob die empfangende Stelle also bereits außerhalb der übermittelnden Stelle steht oder nur ein Teil von ihr ist. Unterschiedliche Behörden stehen aber außerhalb der jeweils anderen, so dass sie immer Dritte sind. Die übermittelnde Stelle als Verwaltungseinheit ist insoweit eng zu betrachten. 189 Aufgrund der Gefahren der Übermittlung an Dritte, vor denen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützen will, ist dabei grundsätzlich von einem funktionellen Behördenverständnis auszugehen. 190 Das bedeutet, dass eine öffentliche Stelle schon dann eine eigenständige Behörde ist, wenn und soweit sie zur hoheitlichen Durchführung konkreter Verwaltungsmaßnahmen im Außenverhältnis berufen ist. 191 Nach diesem Verständnis sind das BfV und die jeweiligen Landesverfassungsschutzämter Behörden in diesem Sinne, obwohl sie ein gemeinsames Dateiensystem unterhalten und innerhalb des Systems Daten austauschen. Dem steht auch nicht das politische Weisungsrecht des § 7 BVerfSchG entgegen. Zum einen hat es einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich, der nur gegeben ist, wenn ein Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes vorliegt. Zum anderen steht es nur der Bundesregierung gegenüber der obersten Landesbehörde, also dem jeweiligen Landesministerium, zu und ermächtigt nicht unmittelbar das BfV, dem jeweiligen Landesamt Weisungen zu erteilen. Anders wäre die Rechtslage u.U. bei einem unmittelbar wirkenden administrativen Weisungsrecht wie § 5 BVerfSchG a.F. zu beurteilen. Das administrative Weisungsrecht wurde aber 1990 wegen verfassungsrechtlicher Bedenken abgeschafft. 192 Demnach ist der Datenaustausch und -abruf innerhalb des NADIS als Datenübermittlung anzusehen, auch wenn das Gesetz von Datenspeicherung spricht, vgl. § 6 Abs. 1 Satz 3 und 5 BVerfSchG. 193
III. Datenübermittlung Unstrittig wird dem Bereich der Datenübermittlung aber die Übertragung von Daten unter den Verfassungsschutzämtern außerhalb des NADIS und zwischen den Ämtern und dem MAD, BND und anderen in- bzw. ausländischen Stel189
Vgl. Dammann, Simitis, § 3 Rn. 231. Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 15 Rn. 59; im Ergebnis auch Gola / Schomerus, BDSG, § 3 Rn. 52. 191 Vgl. Maurer, Verwaltungsrecht, § 21 Rn. 32. 192 Vgl. dazu oben unter 1. Teil B. I. 1. 193 A. A. Droste, HbdVS, S. 420. 190
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
len zugeordnet. Die Rechtsgrundlage für den Austausch von Daten zwischen den Verfassungsschutzbehörden findet sich in §§ 5 Abs. 1, 6 Satz 4, 19 Abs. 1 BVerfSchG und § 17 Abs. 1 nwVSG. Für die Datenübermittlung zwischen BND, MAD und den Verfassungsschutzbehörden in jede Richtung gelten die §§ 19 Abs. 1, 20 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2, 21 Abs. 2 BVerfSchG, § 17 nwVSG, §§ 8 Abs. 1 und 3, 9 BNDG, §§ 3 Abs. 3, 10, 11 MADG. Die Zulässigkeit der Datenübermittlung richtet sich pauschal danach, ob die Datenübermittlung zur Erfüllung der Aufgabe des oder der betreffenden Nachrichtendienste erforderlich ist oder der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt. Insbesondere letzteres Tatbestandsmerkmal ist denkbar weit und daher nicht dazu geeignet, den Grundrechtsträger vor der Übermittlung seiner Daten angemessen zu schützen. 194 Besondere Übermittlungsbefugnisse an die Nachrichtendienste durch die Nachrichtendienste kennt auch das G 10, vgl. §§ 4 Abs. 4, 7 Abs. 1 und 2 G 10. Erstere Vorschrift befasst sich mit der Übermittlung von Daten aus der Individualkontrolle, letztere mit den Daten aus der strategischen Kontrolle. Auch sie knüpfen daran an, ob der Empfänger die Daten zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt, stellen aber noch weitere Voraussetzungen auf. Vor Erlass des Verbrechensbekämpfungsgesetzes 1994 und der Novellierung des G 10 im Jahre 2001 war die Übermittlung dieser Daten grundsätzlich nur zur Verhütung von Straftaten im Sinne des § 3 G 10 bzw. § 138 StGB möglich. Mit der Erweiterung auf Tatbestände insbesondere der organisierten Kriminalität in § 5 G 10 n.F. ist es zu einer bedenklichen Schwächung der Zweckbindung der Informationen gekommen. 195 Mit dem ersten Änderungsgesetz zur Änderung des G 10 wird zukünftig sogar die Möglichkeit zur Datenübermittlung an ausländische öffentliche Stellen geschaffen. 196 Damit dürfte die Datenschutzkontrolle marginalisiert sein. Weiter ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Übermittlung von Daten auch zwischen Nachrichtendiensten und der Polizei bzw. Staatsanwaltschaft möglich, vgl. §§ 20 bis 22 BVerfSchG, §§ 17 f. nwVSG, § 9 BNDG, § 11 MADG, §§ 4 Abs. 4, 7 Abs. 4 G 10, § 161 Abs. 1 Satz 1 StPO bzw. §§ 18 Abs. 1 bis 3, 22 BVerfSchG, § 8 BNDG, § 16 nwVSG, §§ 474 Abs. 2 Satz 2, 477 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, 480 StPO. Zu einer Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden ist der Nachrichtendienst jedoch nicht grundsätzlich verpflichtet, auch wenn insbesondere § 20 Abs. 1 BVerfSchG, der Übermittlungen im Bereich der Staatsschutzdelikte behandelt, dieses andeutet („übermittelt (...) von sich aus“). Im Nachrichtendienstrecht gilt das Opportunitäts-, nicht das Legalitätsprinzip, so dass dem Dienst ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zugestanden wird. 197 Er prüft, 194 195 196 197
Vgl. Riegel, HbDSR, Kap. 8.4 Rn. 109. Vgl. Riegel, HbDSR, Kap. 8.4 Rn. 105. Vgl. BT-Drs. 16/509, S. 5 f., sowie BR-Drs. 350/09. Vgl. Haedge, Das neue Nachrichtendienstrecht, S. 165.
B. Die Kompetenzen der Dienste heute
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ob tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. Selbst wenn eigentlich schon genug Erkenntnisse zur Unterrichtung der Strafverfolgungsbehörden vorliegen, kann der Dienst Maßnahmen zur Erforschung des Sachverhalts einstweilen selbst weiterführen. Der Spielraum der Opportunität reduziert sich jedoch in Fällen der §§ 138, 258 StGB (Nichtanzeige geplanter (schwerster) Straftaten bzw. Strafvereitelung) auf Null; der Dienst ist dann verpflichtet die erforderlichen Daten an die Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln. 198 Es ist jedoch keinesfalls mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar, wenn der Dienst rechtswidrig erlangte Daten übermittelt, insbesondere nicht, wenn sie dann ein Ermittlungsverfahren in Gang setzen, das regelmäßig erhebliche Konsequenzen für den Betroffenen nach sich zieht. 199 Zusammenfassend wird deutlich, dass die Übermittlungsvorschriften unübersichtlich sind. Dazu trägt auch bei, dass nahezu durchgehend mit Verweisen auf andere Nachrichtendienst- oder allgemeine Bundesgesetze gearbeitet wird (beispielsweise auf das GVG, AWG oder die StPO). Darüber hinaus findet sich in § 22 BVerfSchG sogar eine Übermittlungsvorschrift für Daten der Staatsanwaltschaften an den MAD. Diese gehört freilich systematisch in das MADG. Jedenfalls dient die Vielzahl von Übermittlungsvorschriften offensichtlich dazu, in allen denkbaren Fällen Datenübermittlungen zu gewährleisten, wenn dieses zur Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. Empfänger können auch andere Stellen als die Nachrichtendienste und Staatsanwaltschaften bzw. Polizeien sein. Dazu zählen alle übrigen inländischen öffentlichen Stellen, wobei eine Datenübermittlung unter denselben niedrigen Voraussetzungen wie die Übermittlung unter den Diensten möglich ist (Übermittlung zur Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stelle erforderlich; zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigte Daten), vgl. § 19 Abs. 1 BVerfSchG, § 17 Abs. 1 nwVSG, § 9 Abs. 1 BNDG, § 11 Abs. 1 MADG. Eine Übermittlung an private Stellen ist grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, sie ist zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Gewährleistung der Sicherheit von lebens198
Vgl. Zöller, HbdRIS, S. 500 f. Problematisch wird der Spielraum auch bei den anderen Übermittlungsvorschriften zu den Staatsanwaltschaften, insbesondere vor dem Hintergrund der Beobachtung organisierter Kriminalität. Da die Nachrichtendienste nicht an das Legalitätsprinzip gebunden sind, die Staatsanwaltschaften allerdings schon, können die Dienste bis zur Grenze des §§ 138, 258 StGB nach geheimdienstlichen Aspekten entscheiden, welche Daten übermittelt werden (der Dienst entscheidet nach den Übermittlungsregelungen, was zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Empfängers erforderlich ist) und damit, gegen wen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, vgl. dazu Roggan, HbdRIS, S. 423 f., 434 f. m.w. N. 199 Vgl. Zöller, HbdRIS, S. 501.
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
oder verteidigungswichtigen Einrichtungen nach § 1 Abs. 4 SÜG erforderlich, so insbesondere § 19 Abs. 4 BVerfSchG. Für die Übermittlung an ausländische Behörden und NATO-Streitkräfte gilt insbesondere § 19 Abs. 2 und 3 BVerfSchG mit einem detaillierten Regelungssystem. Grundsätzlich ist aber eine Übermittlung erlaubt, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der empfangenden Stelle erforderlich ist. Für die Übermittlung anderer Stellen an die Dienste gibt es Spezialnormen in vielen Einzelgesetzen. Dazu gehören insbesondere die sog. Registereinsichtsbzw. Auskunftsrechte. Die Nachrichtendienste können Auskünfte aus dem Ausländerzentralregister nach § 20 AZRG (auch automatisiert, vgl. § 22 Abs. 1 Nr. 9 AZRG), aus dem Bundeszentralregister 200 nach § 41 Abs. Nr. 3 BZRG (gemäß § 31 BZRG unbeschränkt und u.U. gemäß § 21a BZRG auch automatisiert) 201, aus den Fahrzeugregistern im ZEVIS (Zentrales Verkehrsinformationssystem beim Kraftfahrtbundesamt) nach § 35 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 Nr. 1 c) StVG (auch automatisiert, vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 3 StVG), aus den Melderegistern nach § 18 Abs. 1 und 3 MRRG, aus den Personalausweis- bzw. Passregistern nach § 2b Abs. 2, 3 PersAuswG bzw. § 22 Abs. 2, 3 PaßG (nicht automatisiert, vgl. § 2c PersAuswG bzw. § 22a Abs. 2 PaßG), aus dem Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister (ZStV) 202 nach § 492 Abs. 4 StPO i.V. m. § 18 Abs. 3 BVerfSchG bzw. § 8 Abs. 3 BNDG oder § 10 Abs. 2 MADG und aus dem VisaInformationssystem nach §§ 2 ff. VISZG erhalten. Daneben gibt es noch Übermittlungspflichten an den MAD aus den Registern PERWIS (Personalwirtschaftssystem für Soldaten) und WEWIS (Informationssystem für das Wehrersatzwesen) 203 im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung nach § 29 Abs. 3 SG. Des Weiteren können die Nachrichtendienste noch Übermittlungen aufgrund von Suchvermerken verlangen. Suchvermerke sind Hilfsmittel zur Ermittlung von Informationen über eine Person. Sie dienen insbesondere zur Ermittlung des Aufenthalts. Um eine regelmäßige und rechtzeitige Ermittlung zu erleichtern, wird ein Suchvermerk bei anderen Behörden niedergelegt, von denen angenommen wird, dass der Gesuchte dort zukünftig registriert wird bzw. bereits registriert ist. 204 Sobald bzw. wenn dieses der Fall ist, übermittelt die Behörde die erforderlichen Informationen an die anfragende Stelle, vgl. beispielsweise §§ 27 ff. BZRG, § 5 AZRG. Schließlich können eingeschränkt Unterlagen vom „Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demo200 Es besteht jedoch kein Anspruch auf Datenübermittlung aus dem Erziehungsregister, vgl. § 61 Abs. 3 BZRG. 201 Vgl. aber das Verwertungs- und Nachteilsverbot gemäß § 51 BZRG für im Register getilgte oder zu tilgende Eintragungen über Veruteilungen. 202 Vgl. zur Genese Droste, HbdVS, S. 494 Fußnote 1588. 203 Genauere Informationen dazu finden sich bei Droste, HbdVS, S. 506. 204 Vgl. Riegel, HbDSR, Kap. 8.4. Rn. 116.
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kratischen Republik“ angefordert werden, vgl. § 25 StUG, 205 es können jeweils subsidiär 206 und eingeschränkt Sozialdaten gemäß § 72 SGB X von den Sozialversicherungsträgern bzw. der Sozialverwaltung und Steuerdaten von der Finanzverwaltung gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 5 a) AO (speziell gemäß § 18 Abs. 3a BVerfSchG i.V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG (Gemeinnützigkeitsprüfung)) angefordert werden. Die Finanzverwaltung ist neuerdings im Rahmen der Prüfung steuerbegünstigter Körperschaften nach § 51 Abs. 3 Satz 3 AO auch verpflichtet, den Verfassungsschutzbehörden Tatsachen mitzuteilen, die den Verdacht von Bestrebungen im Sinne des § 4 BVerfSchG oder des Zuwiderhandelns gegen den Gedanken der Völkerverständigung begründen. Falls selbst die detaillierten und umfassenden Übermittlungsvorschriften der Einzelgesetze nicht zur Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste ausreichen, enthalten die Dienstgesetze noch eigene Befugnisse, auf Anfrage eine Übermittlung herbeizuführen, und Übermittlungspflichten anderer Behörden, vgl. §§ 18 BVerfSchG, 10 MADG, 8 BNDG. 207 Freilich könnte man auch die besonderen Auskunftsverlangen nach § 8a BVerfSchG zu den Übermittlungsvorschriften zählen, 208 allerdings sollen sie hier entsprechend der Gesetzessystematik der Datenerhebung zugerechnet werden. Die Übermittlungsvorschriften für andere Behörden in den Dienstgesetzen sind mit Ausnahmen (vgl. etwa § 18 Abs. 1a BVerfSchG) generalklauselartig formuliert und dienen der „Vorbeugung aller Eventualitäten“ 209. Das Verhältnis zwischen ihnen und den Spezialbefugnissen bestimmt sich aber nach der dargestellten Systematik zwischen Generalklauseln und Spezialbefugnissen, so dass bei korrekter Anwendung ein angemessener Grundrechtsschutz gewahrt bleibt: 210 Generalklauseln sind im Anwendungsbereich der Spezialbefugnisse gesperrt, außerhalb des Anwendungsbereichs bestimmt sich die Rechtmäßigkeit einer Übermittlung aufgrund der Generalklauseln nach der Wesentlichkeitstheorie.
205
Beachte aber das besondere Verwertungsverbot in § 5 StUG. Eine Herausgabe von Sozial- oder Steuerdaten ist wegen des hohen Stellenwerts des sog. Sozialgeheimnisses nach § 35 SGB I bzw. des sog. Steuergeheimnisses nach § 30 Abs. 1 AO erst dann möglich, wenn die Daten von anderen Behörden, insbesondere der Meldebehörden, nicht erhalten werden können. Dabei ist das Steuergeheimnis wegen der umfassenden Offenbarungspflichten des Steuerpflichtigen an das Finanzamt zuletzt zu brechen, vgl. Droste, HbdVS, S. 504 f. 207 Gegen die Bemühungen des Gesetzgebers zur Routinisierung der Datenübertragung wendete sich bereits Simitis im Jahre 1986, vgl. NJW 1986, S. 2795 (2803 ff.). 208 Vgl. Riegel, HbDSR, Kap. 8.4 Rn. 118. 209 Riegel, HbDSR, Kap. 8.4. Rn. 117. 210 Dieses gilt auch für generalklauselartige Registereinsichtsrechte, da die Übermittlung von Daten jenseits des Erhebungs- und Speicherungszweckes immer auch einen Grundrechtseingriff darstellt, vgl. BVerfGE 65, 1 (44 ff.); 100, 313 (360); a. A.: Riegel, HbDSR, Kap. 8.4 Rn. 117. 206
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Für die genannten allgemeinen Übermittlungsvorschriften in den Nachrichtendienstgesetzen sind allgemeine Beschränkungen nur zum Schutz von Minderjährigen in § 24 BVerfSchG vorgesehen, die aber durch das Erste Gesetz zur Änderung des Artikel 10-Gesetzes 211 zu Gunsten von Übermittlungen an ausländische Stellen aufgeweicht werden, vgl. § 24 Abs. 2 BVerfSchG n.F. Ansonsten ist grundsätzlich eine Abwägung zwischen dem Allgemeininteresse und dem schutzwürdigen Interesse des Betroffenen vorzunehmen, vgl. § 23 BVerfSchG. Ein weiterer Schutz soll durch eine Prüfpflicht des Empfängers dahingehend erfolgen, ob die Daten für seine Aufgabenerfüllung erforderlich sind, vgl. § 25 BVerfSchG. Neuerdings werden die Nachrichtendienste verpflichtet, einen großen Datensatz personenbezogener Dateien in einer gemeinsamen Datei (sog. Anti-TerrorDatei) zwischen dem Bundeskriminalamt, bei dem die Datei angelegt wird, den Landeskriminalämtern, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, den Landesverfassungsschutzämtern, dem Bundesnachrichtendienst, dem Militärischen Abschirmdienst, der Bundespolizei, dem Zollkriminalamt und weiterer Polizeibehörden zu speichern, vgl. §§ 2, 3, 5 ATDG. Darüber hinaus können sog. Gemeinsame-Projektdateien zwischen Sicherheitsbehörden geschaffen werden, vgl. § 22 BVerfSchG, § 13 nwVSG, § 9a BNDG. Wie bei der Anti-Terror-Datei ist der Abruf hier automatisiert, vgl. arg. e contr. § 22a Abs. 3 Satz 1 BVerfSchG i.V. m. § 6 Satz 4 BVerfSchG bzw. § 5 Abs. 1 ATDG. Im Ergebnis wird das detaillierte System der Datenübermittlungsvorschriften und der damit verbundene Grundrechtsschutz durch das Einpflegen großer und umfassender Datenbestände in gemeinsamen Dateien durch verschiedene Behörden mit unterschiedlichen Aufträgen weiter ad absurdum geführt, da nahezu sämtliche Dateien jederzeit und für jede Behörde automatisiert zu Verfügung stehen. Schließlich kann zur Datenübermittlung auch die Weiterleitung von Informationen der Verfassungsschutzämter an das jeweilige Innenministerium, insbesondere zum Zwecke der Erstellung des Verfassungsschutzberichts, gezählt werden, vgl. § 16 BVerfSchG oder etwa § 15 nwVSG. Das ist nach dem hier vertretenen engen Behördenverständnis konsequent und auch § 15 Abs. 1 Satz 2 nwVSG spricht dafür („übermitteln“). Der Verfassungsschutzbericht enthält Informationen und auch personenbezogene Daten zum Zwecke der Aufklärung der Öffentlichkeit und wird in der Regel jährlich von der Behörde und / oder dem jeweiligen Innenminister im Sinne des § 16 Abs. 2 BVerfSchG oder § 15 Abs. 2 nwVSG vorgestellt und veröffentlicht.
211 Beschlossen durch den Bundestag am 27. 03. 2009, vgl. dazu den Regierungsentwurf in der Fassung der Beschlussempfehlung des Innenausschusses, BT-Drs. 16/509, 16/12448, und die Beschlussmitteilung an den Bundesrat, BR-Drs. 350/09.
B. Die Kompetenzen der Dienste heute
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IV. Amtshilfe Abschließend ist noch zu klären, ob die dargestellten Kompetenzen der Datenerhebung, -verarbeitung und -übermittlung durch die Regelungen der sog. Amtshilfe modifiziert werden müssen. Amtshilfe ist nach der Legaldefinition in § 4 Abs. 1 VwVfG ergänzende Hilfe, die eine Behörde einer anderen auf Ersuchen leistet. Ergänzende Hilfe meint, dass es bei der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung bleibt und die Amtshilfe nur der zweckmäßigen und angemessenen Erledigung von Teilakten dient. 212 Im Bereich der Datenerhebung und -verarbeitung haben die Regelungen des §§ 4 ff. VwVfG, die die Amtshilfe weiter konkretisieren, aber keine Auswirkungen. Insbesondere werden dadurch die Kompetenzen der Nachrichtendienste gegenüber dem Bürger nicht erweitert. Zwar scheint § 5 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG gerade eine Kompetenzerweiterung zu fordern, indem er ein Amtshilfeersuchen für den Fall zulässt, dass die ersuchende Behörde eine Amtshandlung aus rechtlichen Gründen nicht vornehmen kann. Würde dieses aber als Kompetenzerweiterung verstanden werden, geriete diese Regelung gleich wieder in den Konflikt mit § 5 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG, nach dem die ersuchte Behörde Hilfe nicht leisten darf, wenn sie aus rechtlichen Gründen nicht dazu in der Lage ist. Zudem gehört gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG die Erfüllung eigener Aufgaben nicht zur Amtshilfe. Materiell-rechtlich verstanden, darf die ersuchende Behörde also nichts fordern, was außerhalb ihrer Kompetenzen liegt, die ersuchte Behörde darf aber auch nichts erfüllen, was außerhalb ihrer Kompetenzen liegt. Darüber hinaus ist die Erfüllung eigener Aufgaben innerhalb des Kompetenzbereichs gerade keine Amtshilfe. Um dieses Paradoxon zu lösen, werden die Regelungen des VwVfG formell-rechtlich so verstanden, dass sie sich nur auf die Zuständigkeiten der Behörden und nicht auf ihre Kompetenzen beziehen: Nur wenn die örtliche Zuständigkeit der ersuchenden Behörde fehlt, darf sie zur Überwindung um Hilfe ersuchen; aber wenn der ersuchten Behörde die sachliche Zuständigkeit fehlt, muss sie die Hilfe verweigern. 213 Daher kann die verwaltungsverfahrensgesetzliche Amtshilfe nur zur Überwindung der örtlichen Zuständigkeitsregelung genutzt werden. Dieses entspricht auch der verfassungsrechtlichen Konzeption: Nach Art. 35 Abs. 1 GG leisten sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe. Dieses kann wörtlich wieder als Kompetenzerweiterung der ersuchenden Behörde verstanden werden, dient aber aus systematischen und genetischen Gründen 214 nur der Überwindung der ausschließlichen bundesstaatli212 213
Vgl. Clausen, Knack, § 4 Rn. 6. Vgl. Schlink, NVwZ 1986, S. 249 (254); Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 4 Rn. 2, § 5
Rn. 8. 214
Vgl. dazu Schlink, NVwZ 1986, S. 249 (250 ff.).
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
chen Zuständigkeitsordnung zwischen Bund und Ländern. 215 Zwar kann mithilfe des Wortlautes für den Bereich der Innenverwaltung auch eine sachliche Kompetenzerweiterung vertreten werden. Im Bereich der grundrechtseingreifenden Datenerhebung, -verarbeitung und -übermittlung bleibt es aber bei dem systematischen Befund, da für Grundrechtseingriffe wiederum die anderen verfassungsrechtlichen Anforderungen wie der Gesetzes- bzw. Parlamentsvorbehalt im Sinne der Wesentlichkeitstheorie, das Bestimmtheits- und Verhältnismäßigkeitsprinzip hinzutreten. Der Gesetzgeber muss für Grundrechtseingriffe demnach Eingriffsbefugnisse schaffen, die je nach Intensität bzw. Typik generalklauselartig oder spezialgesetzlich sein müssen. In wesentlichen Bereichen sind zur Überwindung der sachlichen Zuständigkeit oder der materiell-rechtlichen Kompetenzen einer Behörde aber immer Spezialgesetze erforderlich, nur zur Überwindung der örtlichen Befugnisse genügen sog. Querschnittsgesetze wie die §§ 4 ff. VwVfG. 216 Demnach kann die ersuchende Behörde bereits aus den genannten Gründen ihre Kompetenzen gegenüber Grundrechtsträgern nicht über die Amtshilfe erweitern. 217 Dieses verdeutlicht letztlich auch § 8 Abs. 3 HS 2 BVerfSchG, der dem Bundesverfassungsschutz verbietet, die Polizei um Maßnahmen zu ersuchen, die dem Bundesamt selbst nicht zustehen. Für den Bereich der Datenerhebung- und -verarbeitung kommt noch hinzu, dass das Bundesverfassungsgericht aufgrund der Gefahr der immer stärkeren Verknüpfungsmöglichkeit von Daten besondere Bestimmtheitsanforderungen für Eingriffsgesetze in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung festgelegt hat: Das eingreifende Gesetz muss den Verwendungszweck der zu erhebenden Daten bereichsspezifisch und präzise bestimmen und darf die Zweckbestimmung nicht der Verwaltung überlassen. 218 Daraus wird erkennbar, dass die allgemeinen Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz nicht ausreichen, um eine Kompetenzerweiterung der Dienste bei Datenerhebung und -verarbeitung zu ermöglichen. 219 Fraglich bleibt nur noch, ob zumindest die Befugnisse der Datenübermittlung durch die Amtshilfe, auch Informations- oder Datenhilfe genannt, 220 erweitert werden können. Aber auch die Datenübermittlung stellt regelmäßig einen Eingriff in 215
Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 35 Rn. 2; Schlink, NVwZ 1986, S. 249. Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 35 Rn. 2; Schlink, NVwZ 1986, S. 249 (251). 217 Vgl. Clausen, Knack, § 5 Rn. 7; Gusy, Polizeirecht, Rn. 146; Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 5 Rn. 8, 18; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 24 Rn. 16. 218 Vgl. BVerfGE 65, 1 (46). 219 Allgemein für Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht: Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 58; Kugelmann, Informatorische Rechtsstellung des Bürgers, S. 260; ebenso für fehlende Exekutivbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden: Clausen, Knack, § 5 Rn 7. 220 Vgl. Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 5 Rn. 20; Schlink, NVwZ 1986, S. 249 (254). 216
C. Die Kontrollinstanzen jenseits des gerichtlichen Rechtsschutzes
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das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar 221 und bedarf spezifischer Regelungen, um die Zweckbindung der Datenerhebung und -verarbeitung im Sinne einer „informationellen Gewaltenteilung“ 222 nicht leerlaufen zu lassen. Anderenfalls könnten die Daten in einem neuen Kontext, einen neuen Verwendungszusammenhang und beispielsweise von Behörden mit anderen Aufgaben zu erheblichen Nachteilen für den Grundrechtsträger führen. Zwar sind solche Zweckänderungen nicht gänzlich ausgeschlossen, bedürfen aber einer spezialgesetzlichen Grundlage. Zudem darf der Verwendungszusammenhang, zu dem die Erhebung erfolgt ist, und der veränderte Verwendungszweck nicht miteinander unvereinbar sein und es müssen bestimmte Übermittlungsschwellen beachtet werden. 223 Nach alledem ist klar, dass auch im Bereich der Datenübermittlung die Regelungen der Amtshilfe zu allgemein sind und nicht zu einer Erweiterung der Datenübermittlungskompetenzen der Nachrichtendienste führen können. 224
C. Die Kontrollinstanzen jenseits des gerichtlichen oder gerichtsähnlichen Rechtsschutzes Für die Überwachung der dargestellten Kompetenzen der Nachrichtendienste gibt es mehrere Kontrollinstanzen. Zum einen sind das die Gerichte bzw. die gerichtsähnlichen G 10-Kommissionen, die jeweils Rechtsschutz vermitteln und im Zentrum 2. und 3. Teils stehen. Daneben gibt es aber noch Instanzen, die entweder nur mittelbar der Rechtsdurchsetzung dienen und nicht die institutionellen Voraussetzungen wie die Gerichte aufweisen (Bundes- und Landesdatenschutzbeauftragte sowie Petitionsausschüsse 225 (dazu unter I.)) und / oder 221
Vgl. BVerfGE 65, 1 (44 ff.); 100, 313 (360). Begriff nach BVerfGE 65, 1 (69). 223 Vgl. BVerfGE 100, 313 (360, 394). 224 Vgl. BVerfGE 65, 1 (46): „amtshilfefester Schutz“; Clausen, Knack, § 4 Rn. 12; Kniesel, Datenschutz für Sicherheitsbehörden; Rn. 752; Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 5 Rn. 20 f.; Petri, HbdPolR, H Rn. 414; Schlink, NVwZ 1986, S. 249 (254 f.); Simitis, NJW 1986, S. 2795 ff.; auch Schünemann, NStZ 2008, S. 305 ff., für den Fall Zumwinkel, bei dem − soweit der Sachverhalt derzeit bekannt ist − gegen den Genannten und mehrere weitere Steuerschuldner wegen Steuerhinterziehung ermittelt wird, weil der BND aufgrund der ebenso allgemeinen Amtshilfevorschrift in der AO (§ 116) eine CD mit gestohlenen Kontodaten von liechtensteiner Banken für 4000000 € für die Steuerfahndung gekauft hat. Die eigentliche Datenübermittlungsvorschrift des § 9 Abs. 1, 3 BND i.V. m. § 20 BVerfSchG für Datenübermittlungen des BND an Strafverfolgungsbehörden gestattet eine Datenübermittlung nur zu Zwecken des Staatsschutzes, so dass diese Spezialnorm schon aus systematischen Gründen die allgemeine Amtshilfenorm des § 116 AO sperrt. A. A. noch Meyer-Teschendorf, ZBR 1979, S. 261 ff. 225 Nicht dargestellt werden der Wehrbeauftragte nach Art. 45b GG bzw. dem WBeauftrG und der sog. Bürgerbeauftragte Rheinland-Pfalz nach dem rlpBürgerBG. Sie sind aber mit den Petitionsausschüssen vergleichbar und haben bisher keine erkennba222
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nicht der Durchsetzung subjektiver Rechte dienen, 226 sondern nur der objektiven Rechtskontrolle oder der bloßen Information des Parlaments bzw. der Öffentlichkeit (Parlamentarisches Kontrollgremium (II.), Vertrauensgremium und Bundesrechnungshof (III.), Untersuchungsausschuss sowie Verteidigungs- und Innenausschuss (IV.), ZFdG-Gremium und die Gremien nach Art. 13 Abs. 6 GG (V.), Informationsrechte der Abgeordneten (VI.), Dienst- und Fachaufsicht (VII.), Öffentlichkeit und Presse (VIII.)). Diese Instanzen gewähren wegen der genannten Defizite aber nach der hier erarbeiteten Definition 227 keinen Rechtsschutz. Sie können den gerichtlichen Rechtsschutz auch nicht ersetzen. Das gilt insbesondere für parlamentarische Kontrollgremien, da sie nicht die Kompetenzen der Gerichte oder der G 10-Kommission haben. Sie zielen auf die Wahrnehmung politischer Verantwortung des Parlaments, insbesondere der gesetzgeberischen Beobachtung der Eignung und Folgen von geschaffenen eingreifenden Maßnahmen, und nicht auf eine nachträgliche parlamentarische Rechtmäßigkeitskontrolle einzelner Maßnahmen. 228 Die genannten parlamentarischen und nichtparlamentarischen Kontrollinstanzen im Bereich der Nachrichtendienste können jedoch Transparenz schaffen und dadurch gerichtliche Überprüfungen bisher nicht bekannter nachrichtendienstlicher Aktivitäten anstoßen. Aufgrund dieses Aspekts, wegen der vereinzelten Möglichkeit der mittelbaren Rechtsdurchsetzung und zum Zwecke der Abgrenzung zu Gerichten bzw. zur G 10-Kommission sollen sie im Überblick dargestellt werden. Im Übrigen wird insbesondere bei den Untersuchungsausschüssen das Spannungsverhältnis zwischen Kontrollanspruch und dagegenstehenden nachrichtendienstlichen Schutzgüter deutlich.
I. Bundes- und Landesdatenschutzbeauftragte sowie Petitionsausschüsse 1. Datenschutzbeauftragte Der Bundesdatenschutzbeauftragte und die Landesdatenschutzbeauftragten sind nach den Datenschutzgesetzen des Bundes und der Länder befugt, im re Relevanz für nachrichtendienstliche Tätigkeiten aufgewiesen, vgl. umfassend zu den beiden Institutionen: Gusy, Der Staat 47 (2008), S. 511 (540 ff., 546 f.). 226 Ausdrücklich für die Datenschutzbeauftragte, selbst nach erfolgten Beanstandungen, OVG NRW, NWVBl. 1994, S. 468 (469) („verwaltungsinterner Vorgang“). 227 Siehe oben unter „Einleitung und Grundbegriffe“, A. 228 Vgl. BVerfGE 109, 279 (373); Peitsch / Polzin, NVwZ 2000, S. 387 (388). Daher wird im Zusammenhang von parlamentarischen Kontrollgremien von einer nur passiven Grundrechtssicherung, vgl. Berkemann, Alternativkommentar, Art. 13 Rn. 192, oder einer zusätzlichen Vorkehrung gegen Missbrauch gesprochen, vgl. Ricke, Wolffgang / Simonsen, § 23c ZFdG Rn. 17.
C. Die Kontrollinstanzen jenseits des gerichtlichen Rechtsschutzes
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jeweiligen Geltungsbereich die Vorschriften der Datenschutzgesetze und der Datenschutzvorschriften in anderen (Spezial-)Gesetzen zu kontrollieren, vgl. § 24 Abs. 1 BDSG bzw. exemplarisch § 22 Abs. 1 nwDSG. Unabhängige Datenschutzbeauftragte sind von erheblicher Bedeutung für einen effektiven Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. 229 Die Kontrolle erstreckt sich auch auf personenbezogene Daten, die die Nachrichtendienste erlangt haben, da gerade die Normen über die Befugnisse des Datenschutzbeauftragten nicht von den Nachrichtendienstgesetzen ausgeschlossen wurden, vgl. beispielsweise § 27 BVerfSchG. Dem Datenschutzbeauftragten dürfen auch keine Geheimhaltungsvorschriften (Berufs-, Amts- oder sonstiges Geheimnis) entgegengehalten werden, vgl. arg. e contr. § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BDSG („insbesondere das Steuergeheimnis“). 230 Für den Bundesdatenschutzbeauftragten sind allerdings solche personenbezogenen Daten von der Kontrolle ausgeschlossen, die der Kontrolle der G 10-Kommission nach § 15 G 10 unterliegen oder die nach dem SÜG in Akten befindlichen personenbezogenen Daten, wenn der Betroffene im Einzelfall widerspricht, vgl. § 24 Abs. 2 Satz 3, 4 BDSG. Hier sind aber Variationen vorhanden. So findet sich im nwDSG keine vergleichbare Einschränkung. Allen Datenschutzgesetzen gemein ist aber eine Unterstützungspflicht öffentlicher Stellen für die Erfüllung der Aufgaben des Datenschutzbeauftragten, insbesondere ein Auskunftsrecht für Fragen im Rahmen des Auftrages, ein Einsichtsrecht in Unterlagen und Dateien und ein Zutrittsrecht zu den Diensträumen der datenerhebenden und -speichernden Behörden, vgl. § 24 Abs. 4 BDSG, § 22 Abs. 2 nwDSG. Die Auskunfts- und Einsichtsrechte können dem Bundesdatenschutzbeauftragten aber ausdrücklich im nachrichtendienstlichen Bereich verwehrt werden, soweit die jeweilige oberste Bundesbehörde, in deren Geschäftsbereich der Nachrichtendienst tätig ist, im Einzelfall feststellt, dass die Auskunft oder Einsicht die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden würde (sog. Sicherheitsvorbehalt) 231, vgl. § 24 Abs. 4 Satz 4 i.V. m. § 19 Abs. 3 BDSG. Dabei hat die Behörde aber das besondere Vertrauen und die 229 Vgl. BVerfGE 65, 1 (46). Missverständlich spricht das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang aus, dass die Beauftragten „auch im Interesse eines vorgezogenen Rechtsschutzes durch rechtzeitige Vorkehrungen“ wirken. Da der Datenschutzbeauftragte aber keine Möglichkeiten des Rechtsschutzes im hiesigen Sinne ergreifen kann, ist hier vielmehr die Vorbeugung eines Rechtsschutzfalles, d. h. Vorkehrungen, die eine Rechtsgefährdung oder -verletzung möglichst verhindern, gemeint. Der Beauftragte arbeitet im Vorfeld des Rechtsschutzes. Dementsprechend spricht das Verfassungsgericht auch nicht von vorläufigem oder vorbeugendem Rechtsschutz, sog. präventiver Rechtsschutz, sondern untechnisch von vorgezogenem Rechtsschutz. 230 So auch Riegel, HbDSR, Kap. 8.4 Rn. 132. Explizit in Länderdatenschutzgesetzen, vgl. etwa § 22 Abs. 2 Satz 2 nwDSG oder § 41 Abs. 1 Nr. 1 HS. 2 shLDSG. 231 Vgl. Riegel, HbDSR, Kap. 8.4 Rn. 130; auch Staatswohlklausel genannt, vgl. Droste, HbdVS, S. 617.
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demokratische Legitimation, die die Wahl des Bundesbeauftragten durch den Bundestag nach § 22 BDSG mit sich bringt, und die Geheimhaltungspflicht etwa nach Art. 19 Abs. 6 Satz 2 BDSG gegenüber dem Bürger zu berücksichtigen. Nur wenn trotz dieser beiden Aspekte eine Gefahr für die Sicherheit des Bundes oder des Landes durch die Offenlegung bestimmter Vorgänge gegenüber dem Datenschutzbeauftragten besteht, können dessen Rechte versagt werden. Da sich diese Gefahr aber regelmäßig erst durch die Offenlegung der Vorgänge gegenüber dem Bürger bzw. der Öffentlichkeit ergibt, kommt der Sicherheitsvorbehalt nur in Ausnahmefällen zum Tragen. 232 Einige Landesgesetze treffen für ihre Datenschutzbeauftragten dementsprechend Regelungen, die die Auskunfts- und Einsichtsrechte weit weniger als das BDSG beschneiden, vgl. etwa § 22 Abs. 2 Satz 2, 4, 5 nwDSG, § 22 Abs. 4 Satz 3 ndsDSG. 233 Der Beauftragte kann allerdings die Beseitigung eines festgestellten Verstoßes gegen Datenschutzbestimmungen nicht rechtlich erzwingen. Das härteste Mittel, das den Beauftragten lediglich zur Verfügung zusteht, ist die sog. Beanstandung: Stellt der Datenschutzbeauftragte entweder aufgrund von Hilfeersuchen Betroffener oder von Amts wegen Verstöße gegen die Vorschriften des jeweiligen Datenschutzgesetzes oder gegen andere Vorschriften über den Datenschutz oder sonstige Mängel bei der Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten fest, so kann er dieses bei der jeweils höchsten Stelle oder Aufsichtsbehörde beanstanden und fordert unter Fristsetzung zu einer Stellungnahme auf, vgl. § 25 Abs. 1 BDSG, § 24 Abs. 1 nwDSG. Die Stellungnahme soll dann Maßnahmen erhalten, mit denen die Mängel abgestellt werden, vgl. § 25 Abs. 3 Satz 1 BDSG, § 24 Abs. 4 Satz 1 nwDSG. Stellt die betroffene Behörde oder Stelle jedoch fest, dass keine Mängel vorliegen oder hat sie eine andere Rechtsauffassung wie der jeweilige Datenschutzbeauftragte, bleibt dem Beauftragten nur zu hoffen, dass die jeweilige Aufsichtsbehörde seine Auffassung teilt und eine entsprechende Weisung erlässt. Eine weitere Möglichkeit liegt darin, die Öffentlichkeit, evtl. auch über den regelmäßigen Datenschutzbericht nach § 26 Abs. 1 BDSG bzw. § 27 nwDSG, zu informieren und so einen für ihn günstigen öffentlichen Druck auf Entscheidungsträger zu erzeugen. Im nachrichtendienstlichen Bereich hat der jeweilige Datenschutzbeauftragte noch vereinzelte Interventionsmöglichkeiten, die in den Dienstgesetzen geregelt sind. Die wichtigste ist die stellvertretende Auskunftserteilung nach § 15 Abs. 4 Satz 4 BVerfSchG. Begehrt ein Betroffener nach § 15 Abs. 1 BVerfSchG Auskunft über die über ihn gespeicherten Daten und lehnt das Bundesamt die Auskunft gemäß Abs. 2 rechtmäßig ab, so ist der Antragssteller mit der Ablehnung 232 Vgl. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 185, im Ergebnis auch Droste, HbdVS, S. 617; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 88 f. 233 Ebenso restriktiv wie im BDSG aber Bayern, vgl. Art. 32 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 bayDSG.
C. Die Kontrollinstanzen jenseits des gerichtlichen Rechtsschutzes
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u. a. darauf hinzuweisen, dass er sich an den Datenschutzbeauftragten wenden kann, vgl. Abs. 4 Satz 3. Diesem ist dann stellvertretend für den Betroffenen Auskunft zu erteilen. Der Beauftragte ist verpflichtet, auf Antrag von den Rechten der Sätze 3 und 4 Gebrauch zu machen. 234 Auch hier gibt es allerdings wieder den Vorbehalt, dass eine Auskunft unterbleibt, wenn die zuständige oberste Bundesbehörde die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet sieht. Da sich aber schon die Begründung der Versagung der Auskunft regelmäßig auf die Sicherheit des Bundes oder eines Landes stützt, wird der BfD grundsätzlich keine Begründung erhalten. 235 Die Mitteillungen des Datenschutzbeauftragten an den Betroffenen über den Bearbeitungsstand der Anrufung u.ä. dürfen aber in keinem Falle Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand des Verfassungsschutzes zulassen. Die anderen Gesetze der Bundesdienste verweisen auf die Auskunftsregelung, vgl. § 7 BNDG und § 9 MADG. Einige Länder haben wieder weitergehende Auskunftsrechte an den Datenschutzbeauftragten vorgesehen, vgl. etwa § 14 Abs. 4 Satz 3 bis 5 nwVSG oder § 13 Abs. 3 Satz 5, 6 ndsVerfSchG. 236 Die Regelung auf Bundesebene ist vergleichbar mit § 19 Abs. 6 BDSG, der die stellvertretende Auskunft für rechtmäßig abgelehnte Auskunftsersuche allgemein für datenverarbeitende Stellen festlegt. § 19 BDSG ist jedoch in Gänze für den Bereich der Nachrichtendienste ausgeschlossen, vgl. nur § 27 BVerfSchG. Der einzige Unterschied zwischen der Regelung in § 19 Abs. 6 BDSG und in § 15 Abs. 4 BVerfSchG ist lediglich, dass bei ersterer der Betroffene bei der Stelle selbst verlangen kann, dass dem Datenschutzbeauftragten Auskunft zu erteilen ist, bei letzterer muss sich der Betroffene hingegen an den Beauftragten wenden, damit dieser daraufhin den Dienst um Auskunft ersucht. Weiter ist der Bundesdatenschutzbeauftragte noch vor Erlass von Dateianordnungen zur Errichtung von automatisierten Dateien als allgemeiner Speicherdatei, Verbunddatei oder Projektdatei zu hören, vgl. § 14 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG, § 6 BNDG, § 8 MADG, § 22a Abs. 6 Satz 3 BVerfSchG, § 9a Abs. 6 Satz 3 BNDG. Daneben besteht auch ein Anhörungsrecht vor Erlass oder Änderung von Dienstvorschriften betreffend der Übermittlung von Daten an den MAD, vgl. § 10 Abs. 2 Satz 6 MADG. Schließlich kann dem Bundesdatenschutzbeauftragten von der G 10-Kommission zu Fragen des Datenschutzes in ihrem Wirkbereich nach § 15 Abs. 5 Satz 4 G 10 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Weitergehend kann der Bundesbeauftragte nach § 24 Abs. 2 Satz 3 HS. 2 BDSG auch durch die G 10234
Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 197. So auch Geiger, DVBl. 1990, S. 748 (755). 236 Eine ebenso restriktive Regelung wie der Bund hat beispielsweise wieder Bayern, vgl. Art. 11 Abs. 4 Satz 3 bayVSG. 235
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Kommission ersucht werden, die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz bei bestimmten Vorgängen oder in bestimmten Bereichen zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu berichten. Seine Ergebnisse nimmt er dann nicht in den Datenschutzbericht auf. 237 Insoweit wird er dann wieder partiell für Vorgänge zuständig, die eigentlich der Kontrolle der G 10-Kommission unterliegen. Seine Kontroll- und Mängelbeseitigungsmöglichkeiten erweitern sich dadurch aber nicht. Das BDSG erklärt ihn lediglich mit den Kontrollmaßnahmen nach dem BDSG für den Datenbereich der Nachrichtendienste für zuständig. 2. Petitionsausschüsse Petitionsausschüsse werden im Bund und in den Ländern gebildet. Dem Petitionsausschuss des Bundestages obliegt die Behandlung der nach Art. 17 GG an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden, vgl. Art. 45c Abs. 1 GG. Art. 17 GG enthält das Petitionsrecht, nach dem jedermann das Recht hat, sich insbesondere mit Bitten und Beschwerden an die Volksvertretung zu wenden. In den Ländern wurden vergleichbare Regelungen geschaffen, vgl. etwa Art. 41a nwVerf oder Art 26 ndsVerf. Petitionen ist der Oberbegriff für Bitten und Beschwerden. Letztere lassen sich nicht genau voneinander abgrenzen. Beschwerden meinen aber in erster Linie Petitionen, die vergangenes Verhalten von Behörden etc. betreffen. 238 Der Ausschuss bereitet die Petitionen zur Beschlussfassung im Parlament vor, vgl. etwa § 1 Art45cG, § 112 GOBT. Dieses geschieht meist in Form einer Sammelübersicht, die für die einzelnen Petitionen anhand eines in der Praxis eingeübten Katalogs verschiedene Möglichkeiten der Erledigung vorsieht. 239 Das Verfahren und die Befugnisse des Petitionsausschusses sind auf Bundesebene in dem Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages (Gesetz nach Art. 45c des Grundgesetzes – Art45cG) und in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT) in den §§ 108 ff. GG geregelt. Im Übrigen gelten die allgemeinen Bestimmungen für die Arbeit der Ausschüsse des Deutschen Bundestages. 240 Insbesondere verhandelt der Ausschuss in der Regel nichtöffentlich, vgl. § 69 Abs. 1 Satz 1 GOBT. Nach § 1 Art45cG haben zwar die Bundesregierung und die Behörden des Bundes dem Petitionsausschuss zur Vorbereitung von Beschlüssen über Beschwerden Akten vorzulegen, Auskunft zu erteilen und Zutritt zu ihren Ein237
Vgl. Gola / Schomerus, BDSG, § 24 Rn. 9. Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 17 Rn. 3, Art. 45c Rn. 2. 239 Vgl. dazu vertiefend: Bauer, Dreier, Art. 45c Rn. 26; Stein, Alternativkommentar, Art. 45c, Rn. 19 f. 240 Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 45c Rn. 1, Art. 45a Rn. 1; siehe auch § 54 Abs. 2 GOBT. 238
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richtungen zu gestatten. Die Zusammenarbeitspflicht der Behörden besteht ebenso bei Bitten, auch wenn dieses nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. 241 Weiter darf der Ausschuss nach § 4 Art45cG den Petenten, Zeugen und Sachverständige anhören. Zudem sind Gerichte und Behörden nach § 7 Art45cG zur Amtshilfe verpflichtet. Allerdings bestehen Akteneinsichts-, Auskunfts- und Zutrittsrechte dann nicht, wenn nach Feststellung der zuständigen obersten Aufsichtsbehörde der Vorgang nach einem Gesetz geheim gehalten werden muss oder sonstige zwingende Geheimhaltungsgründe bestehen, vgl. § 3 Art45cG. Als Geheimhaltungsgründe sind solche zu verstehen, die gegenüber einem Bürger ebenfalls geheim gehalten werden müssten. Gerade im geheimdienstlichen Bereich werden dadurch die Rechte des Ausschusses weitgehend eingeschränkt. 242 Ihm bleibt dann nur, die Möglichkeit nach § 109 Abs. 1 Satz 2 GOBT in Anspruch zu nehmen und die Sache an das Parlamentarische Kontrollgremium zu verweisen. Zu beachten bei der Auslegung des § 3 Art45cG sind aber die verfassungsrechtlichen Anforderungen nach einer umfassenden parlamentarischen Kontrolle außerhalb des Kernbereichs exekutivischer Eigenverantwortung, also bei abgeschlossenen Vorgängen. 243 Darüber hinaus wird zu prüfen sein, ob es für die Geheimhaltung ausreichend ist, wenn der Ausschuss nach § 2 der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages 244 grundsätzlich einen der zur Verfügung stehenden Geheimhaltungsgrade 245 festlegt, denen für die Arbeit des Ausschusses verschiedene Sicherungsmaßnahmen folgen, vgl. insbesondere § 7 der Geheimschutzordnung. Der Geheimschutz wird insoweit auch durch § 353b Abs. 2 StGB verstärkt. 246 Aber trotz der dargestellten Defizite bei der Überprüfung gerade nachrichtendienstlicher Vorgänge auf Petitionen von Bürgern, hat der Petitionsausschuss 241
Vgl. BVerfGE 67, 100 (129); Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 45c Rn. 2. Vgl. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 141. 243 Vgl. BVerfGE 67, 100 (129, 139). 244 Anlage 3 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom 25. 06. 1980, BGBl. I S. 1237. 245 Von niedrig nach hoch: Verschlusssache (VS) – Nur für den Dienstgebrauch (VS – NfD); VS – Vertraulich (VS – Vert.); geheim (geh.); streng geheim (str. geh.). 246 Insoweit ist es höchst bedenklich, wenn Droste, HbdVS, S. 620 und Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 1 PKKG Rn. 43, für geheimhaltungsbedürftige Mitteilungen der Bundesregierung ausschließlich auf das Parlamentarische Kontrollgremium verweisen, weil sich trotz der Sicherungen der Geheimschutzordnung in der Praxis gezeigt habe, dass bestimmte Sachverhalte öffentlich geworden seien. Zwar mag dieses in der Praxis bereits geschehen sein, allerdings darf den Abgeordneten nicht unterstellt werden, sie würden den Geheimnisschutz trotz Strafandrohung unterlaufen. Abgeordnete genießen demokratische Legitimation und Vertrauen, so dass zunächst immer angenommen werden muss, dass sie sich korrekt verhalten. Die Gefahr der Geheimnisoffenbarung ist der Preis der demokratischen Kontrolle. Zudem besteht diese Gefahr genauso bei Mitarbeitern der Dienste. 242
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dennoch die Möglichkeit, erheblichen öffentlichen Druck gegenüber den jeweiligen Entscheidungsträgern aufzubauen. Dazu gehört auch, dass die von ihm für das Parlament vorbereiteten Entscheidungen im Beschlussfalle die Wirkung von (schlichten) Parlamentsbeschlüssen haben, in der das Parlament die Regierung mit Mehrheit politisch auffordert, einem Petitum – ggf. unter Fristsetzung – nachzukommen bzw. Mängel abzustellen. 247
II. Parlamentarisches Kontrollgremium Das parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) geht auf das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über parlamentarische Gremien 248 zurück, mit dem das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes 249 grundlegend geändert und die Kurzbezeichnung „Kontrollgremiumsgesetz“ (PKGrG) in die Gesetzesüberschrift angefügt wurde. Das Kontrollgremium folgte außerhalb des G 10-Anwendungsbereichs der sog. Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) und innerhalb des G 10-Anwendungsbereichs dem „Parlamentarischen Gremium nach dem G 10“ (sog. G 10-Gremium). Wie auch seine Vorgänger tagt das PKGr geheim, also nicht öffentlich, vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 PKGrG. 1. Vorläufergremien (insbesondere die PKK) Die PKK selbst entstand durch das bereits erwähnte Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes, damals noch geläufig mit PKK-Gesetz (PKKG) abgekürzt, als Nachfolger des Parlamentarischen Vertrauensmännergremiums (PVMG). Die Schaffung des PKK wurde notwendig, weil das PVMG u. a. nur auf einem Errichtungsbeschluss der Regierung Adenauer von 1956 beruhte 250 und somit keine gesetzliche Grundlage hatte, die ihm die notwendigen Befugnisse zur hinreichenden Kontrolle der Dienste verlieh. Beispielsweise entschied der Bundeskanzler über die Einberufung des mit Parlamentariern besetzten Gremiums, Beschlüsse wurden nicht gefasst und das Gremium hatte keinerlei formelle Informationsrechte. Die Informationsdichte des Gremiums stand im Ermessen der Bundesregierung. 251 Auch 247
Vgl. Achterberg / Schulte, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 45c Abs. 2, Rn. 53. Gesetz vom 19. Juni 1999 (BGBl. I S. 1334). 249 Gesetz vom 11. April 1978 (BGBl. I S. 453). 250 Die Regierung gab damit dem Druck der Bundestagsfraktionen nach und wollte das Vertrauen des Bundestages zur sog. Organisation Gehlen sichern, vgl. Hansalek, Parlamentarische Kontrolle m.w. N. Missverständlich insoweit Droste, HbdVS, S. 622. 251 Vgl. Hansalek, Parlamentarische Kontrolle, S. 35 f.; Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 145 f. 248
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scheiterten zwei umfassende Reformversuche: Zum einen sollte aufgrund des Berichts des Abgeordneten Hirsch (SPD) vom 16. Mai 1969 (Schriftlicher Bericht des 2. Untersuchungsausschusses, „Fallex 68“-Untersuchungsausschuss) 252 das PVMG durch einen in Art. 45a GG verankerten Ausschuss für Angelegenheiten der Nachrichtendienste aufgehen, der auf diesem Gebiet, wie der Verteidigungsausschuss, auch die Rechte eines Untersuchungsausschusses hätte wahrnehmen können. 253 Obwohl ein entsprechender gemeinsamer Antrag aller Fraktionen 254 in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde, fand der Antrag in der Sitzung vom 01. 07. 1969 keine Mehrheit. 255 Zum anderen empfahl eine 1973 eingesetzte Enquêtekommission („Verfassungsrecht“) 256 zwar keinen verfassungsrechtlich abgesicherten parlamentarischen Kontrollausschuss und auch keine Einsetzung eines gesetzlich abgesicherten Gremiums, jedoch eine Änderung des Aufbaus und der Verfahrensweise des PVMG. 257 Diesen Empfehlungen wurde zwar gefolgt, allerdings blieben die Defizite mangelnder Kontrollfähigkeit erhalten und der Streit um die Zielsetzungen schwelte weiter, so dass das Gremium ab der 8. Legislaturperiode nicht mehr tagte und sich faktisch auflöste. 258
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BT-Drs. 5/4208. Der Entwurf des entsprechenden Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes lautet (BT-Drs. 5/4208, S. 8 f.): „Artikel 45a erhält folgende Fassung: Artikel 45 a (1) Der Bundestag bestellt einen Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, einen Ausschuß für Verteidigung und einen aus fünf Abgeordneten bestehenden Ausschuß für Angelegenheiten der Nachrichtendienste. Diese Ausschüsse werden auch zwischen zwei Wahlperioden tätig. (2) Der Ausschuß für Verteidigung hat auch die Rechte eines Untersuchungsausschusses. Auf Antrag eines Viertels der Mitglieder hat er die Pflicht, eine Angelegenheit zum Gegenstand seiner Untersuchungen zu machen. Artikel 44 Abs. 1 findet auf dem Gebiet der Verteidigung keine Anwendung. (3) Der Ausschuß für Angelegenheiten der Nachrichtendienste übt die parlamentarische Kontrolle über die Nachrichtendienste aus und nimmt auf dem Gebiete die Rechte eines Untersuchungsausschusses ausschließlich wahr. Auf Antrag von zweien seiner Mitglieder oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages hat er eine Angelegenheit zum Gegenstand seiner Untersuchung zu machen. 254 Vgl. BT-Drs. 5/4445. 255 Vgl. ausführlich zu den Gründen: Hansalek, Parlamentarische Kontrolle, S. 41 f. 256 Die Enquêtekommission hatte nach seinem Einsetzungsbeschluss von 1973 (BTDrs. 7/214 (neu)) die Aufgabe zu prüfen, „ob und inwieweit es erforderlich ist, das Grundgesetz den gegenwärtigen und voraussehbaren zukünftigen Erfordernissen – unter Wahrung seiner Grundprinzipien – anzupassen.“ 257 Vgl. Abschlussbericht vom 9. 12. 1976, BT-Drs. 7/5924, S. 60 ff. 258 Vgl. Hansalek, Parlamentarische Kontrolle, S. 47 f.; Roewer, Nachrichtendienstrecht, Einl. PKKG Rn. 3. 253
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Die PKK wiederum hatte zwar eine gesetzliche Grundlage in der gemäß § 2 Abs. 1 PKKG a.F. eine umfassende Unterrichtungspflicht seitens der Bundesregierung über die allgemeine Tätigkeit der Dienste und Vorgänge von besonderer Bedeutung verankert war. Die Unterrichtungspflicht wurde mit der Gesetzesnovellierung von 1992 259 auch auf alle Vorgänge von besonderer Bedeutung ausgedehnt, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 PKKG n.F., weil sich die bisherige Unterrichtungspflicht als unzureichend für die parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung hinsichtlich der Dienste erwies. 260 Aus diesem Grunde wurden auch die Mitteilungsverweigerungsrechte der Bundesregierung auf den Fall eingeschränkt, dass die Verweigerung aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzuganges notwendig ist (Quellenschutz und Schutz der Partnerdienste), vgl. § 2 Abs. 2 PKKG n.F. 261 Zugleich erhielt die PKK das Recht zur Mitberatung der Wirtschaftspläne der Dienste und die Bundesregierung die Berichtspflicht über den Vollzug der Wirtschaftspläne, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 PKKG n.F. Allerdings fehlten wieder formelle Informationsrechte, wie Akten- und Dateieinsichtsrechte, und die Möglichkeit, Mitarbeiter der Dienste zu befragen oder die Dienste zu besuchen. Darüber hinaus konnten sich Bedienstete der Dienste nicht direkt an die PKK wenden, sondern nur über den Dienstweg. Die genannten Rechte wurden der PKK (mit Ausnahme des Besuchsrechts) lediglich durch eine Absichtserklärung der Bundesregierung zugestanden, die zu Beginn jeder neuer Legislaturperiode erneuert werden sollte. 262 Das Fehlen gesetzlich verankerter Rechte führte so zu einer geringeren Effektivität der Kontrolle. 263 2. Aufgaben und Befugnisse des PKGr Um die Mängel bei der parlamentarischen Kontrolle der Dienste zu beseitigen, wurden die angemahnten Informationsrechte aber bei der Novellierung des PKKG zum PKGrG im Jahre 1999 geschaffen. 264 Des Weiteren wurde die poli259 Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes und zur Änderung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 27. Mai 1992 (BGBl. I S. 997). 260 Vgl. dazu Geiger, DVBl. 1990, S. 748 (752 f.) m.w. N. 261 Vgl. BT-Drs. 12/1643, S. 1, 4. 262 Vgl. BT-Drs. 12/1643, S. 4 f. (der Abdruck der Erklärung befindet sich auf Seite 5 der Drucksache). 263 Vgl. BT-Drs. 14/539, S. 1. 264 In den Landesverfassungsschutzgesetzen oder den Parlamentarischen Kontrollgesetzen der Länder finden sich ähnliche Regelungen für die parlamentarische Kontrolle der Landesverfassungsschutzämter. Teilweise entsprechen sie der Kontrollmöglichkeit des Bundes-PKGrG, vgl. etwa §§ 23 ff. nwVSG, §§ 23 ff. ndsVerfSchG i.V. m. Art. 24 ndsVerf. Teilweise sind sie noch auf dem Stand des alten Bundes-PKKG, vgl. etwa § 15
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tische Grundsatzkontrolle, die vorher dem sog. G 10-Gremium nach § 9 Abs. 1 G 10 a.F. oblag, in das PKGr überführt, um die Kontrollaufgaben stärker zu bündeln und so dem Kontrollauftrag des Parlaments besser nachkommen zu können. 265 Wie bisher blieben die Rechte des Deutschen Bundestages, seiner Ausschüsse und Organe aber gemäß § 1 Abs. 2 PKGrG weiter unberührt, so dass sich auch die Ausschüsse und andere parlamentarische Kontrollgremien mit Fragestellungen aus dem Bereich der Nachrichtendienste befassen können. a) Funktionen außerhalb des G 10-Anwendungsbereichs Nach der Novellierung hat das PKGr außerhalb des G 10-Bereichs die Möglichkeiten, Einsicht in Akten und Dateien der Dienste zu nehmen, die Anhörung von Mitarbeitern der Dienste vorzunehmen und Besuche bei den Diensten abzustatten, vgl. § 2a PKGrG. Daneben wurde die Unterrichtungspflicht neben den Informationen über allgemeine Tätigkeiten der Dienste und besondere Vorgänge auch auf andere Vorgänge ausgedehnt, wenn das Gremium es verlangt, vgl. § 2 Satz 2 PKGrG. Die genannten Rechte können nach § 2b Abs. 2 Satz 1 PKGrG nur beschränkt werden, wenn dies aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzuganges notwenig oder der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung betroffen ist. Eine Beschränkung ist darüber hinaus möglich, wenn die Geheimhaltung aus Gründen des Schutzes von Persönlichkeitsrechten Dritter notwendig ist. Der erste Verweigerungsgrund wurde vom PKKG 1992 übernommen. Die beiden letzteren Gründe ergeben sich aus dem Verfassungsrecht: Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Leitentscheidung 266 zur parlamentarischen Kontrolle des Regierungshandelns, insbesondere zu Untersuchungsausschüssen, 267 festgestellt, dass parlamentarische Kontrolle aufgrund der Gewaltenteilung dort ende, wo der sog. Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung beginnt. D. h., der Regierung müsse ein nicht ausforschbarer Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich verbleiben, der insbesondere die Willensbildung innerhalb der Regierung umfasse. Die Kontrollkompetenz des Bundestages beziehe sich daher erst auf bereits abgeschlossene Vorgänge. 268 Sofern die parlamentarischen KonbwVSG oder bayPKGG. Die im Vergleich zum Bundes-PKGrG geheimhaltungsfördernden Regelungen zur Verweigerung der Auskunft etc. dürften aber vor dem Hintergrund von BVerfGE 67, 100 restriktiv auszulegen sein. Schleswig-Holstein hat von anderen Ländern abweichend die Möglichkeit geschaffen, dass das PKK einen Beauftragten für Einzelfalluntersuchungen ernennen kann, der dann die Akteneinsichtsrechte für das PKK wahrnimmt, vgl. § 27 shLVerfSchG. 265 Vgl. BT-Drs. 14/539, S. 1, ferner BT-Drs. 16/6880, S. 3. 266 BVerfGE 67, 100. 267 Die Grundsätze sind aber ausdrücklich auch auf andere parlamentarische Gremien übertragbar, vgl. BVerfGE 67, 100 (129 f., 135 f.). 268 Vgl. BVerfGE 67, 100 (139); ebenso aus jüngster Zeit: BVerfG, 2 BvE 3/07 vom 17. 6. 2009, Absatz-Nr. 123, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de
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trollgremien öffentliche Gewalt ausüben, wären sie zudem über Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden, so dass die Rechte Dritter im Einzelfall, insbesondere im Hinblick auf Aspekte des Datenschutzes, eine Schranke für die Kontrollkompetenz darstellen können. 269 In der Gesetzesbegründung zum PKGrG wird zwar auch der erste Verweigerungsgrund, der sich auf den schützenswerten Nachrichtenzugang bezieht, implizit als verfassungsrechtlich zwingend genannt. 270 In der − dort ebenfalls zitierten − Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird dieser Grund allerdings nicht ausdrücklich zu den verfassungsrechtlich zulässigen Versagungsgründen gezählt. Vielmehr wird darauf hingewiesen, dass zu prüfen sei, ob nicht die Möglichkeiten der Geheimschutzordnung des Bundestages ausreichten, um der Geheimhaltung ausreichend Rechnung tragen zu können. 271 Es ist kaum ein Fall vorstellbar, in dem dieses nicht möglich sein sollte. Daher kommt eine Verweigerung der Unterrichtung oder Auskunft aus Gründen des schützenswerten Nachrichtenzuganges nur in Betracht, falls auch einer der beiden anderen Gründe einschlägig ist. Im Bereich der schützenswerten Grundrechte Dritter sind diesbezüglich u. a. folgende Fallgestaltungen denkbar: Gefährdung des Informanten hinsichtlich Leben und Gesundheit, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Offenbarung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen im Bereich der Spionageabwehr, Art. 12 Abs. 1 GG. Der Schutz der Willensbildung der Regierung ist dann einschlägig, wenn der Nachrichtenzugang einem (zum Zeitpunkt des Auskunftsersuchens noch nicht abgeschlossenen) Willenbildungsprozess innerhalb der Regierung dient. Die Fallbeispiele verdeutlichen, dass der erste Verweigerungsgrund deklaratorischer Natur ist, soweit die jeweilige Fallgestaltung auf die letzteren Gründe rekurriert. Sofern die letzteren Gründe nicht einschlägig sind, ist eine Kenntnisnahmeverweigerung aus Gründen des Nachrichtenzuganges verfassungsrechtlich unzulässig. 272 Zu den weiteren Neuerungen des PKGrG zählen ein Eingaberecht der Mitarbeiter der Dienste an das PKGrG, vgl. § 2d PKGrG, die Befugnis des Gremiums, für den Einzelfall einen Sachverständigen zu Wahrnehmung der Kontrollauf/entscheidungen/es20090617_2bve000307.html (abgerufen am 01. 06. 2010). Bei politisch brisanten Vorgängen handelt es sich aber faktisch um eine mitlaufende Kontrolle, vgl. Peitsch / Polzin, NVwZ 2000, S. 387 (390 f.). 269 Vgl. BVerfGE 67, 100 (142 f.). 270 Vgl. BT-Drs. 14/539, S. 7. 271 Vgl. BVerfGE 67, 100 (138). 272 Wenn Droste, HbdVS, S. 630 ausführt, eine Auskunftsverweigerung selbst unter Wahrung des Geheimnisschutzes sei zulässig, weil V-Leute eine parlamentarische Kontrolle als Vertrauensmissbrauch einstufen könnten und so die Gefahr der Verweigerung künftiger Zusammenarbeit bestünde, erkennt sie einen Verweigerungsgrund an, der die vom Verfassungsgericht erkannten Kontrollbefugnisse des Parlaments missachtet.
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gaben zu beauftragen, vgl. § 2c PKGrG, und ein Teilnahmerecht bestimmter Mitglieder des Gremiums für Beratungen des Vertrauensgremiums nach § 10a BHO, vgl. § 2e PKGrG. Insgesamt sind die Mitglieder zur Geheimhaltung verpflichtet, vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 PKGrG. Diese Klausel ist ein Hinweis auf § 353b Abs. 2 Nr. 1 StGB, 273 so dass die Geheimhaltung mit erheblicher Strafandrohung (bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe und Versuchsstrafbarkeit nach Abs. 3 gesichert ist. Dennoch ist es dem Gremium nicht verwehrt, öffentlich aktuelle Vorgänge zu bewerten, wenn zwei Drittel der Mitglieder es so beschließen, vgl. § 5 Abs. 1 Satz 5 PKGrG. Die genannten umfassenden Kontrollrechte sehen sich der Kritik ausgesetzt, dass mit dem PKGr gleichsam ein ständiger Untersuchungsausschuss geschaffen wurde, der die Gewaltenteilung zur Exekutive zu unterlaufen drohe. 274 Dieses Argument geht insofern fehl, als dem Gremium gegenüber nach § 2b Abs. 2 Satz 1 PKGrG gerade Vorgänge geheim gehalten werden dürfen, die den Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung betreffen. Insbesondere hat das PKGr nicht die einschneidenden Möglichkeiten der entsprechenden Befugnisse aus der StPO, vgl. dazu Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG bzw. §§ 17 ff. PUAG. Dadurch wird ein Initiativ-, Beratungs- und Handlungsspielraum der Regierung definitiv geschützt. 275 Somit kann es nach der gesetzlichen Konzeption nicht zu einer Verletzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes kommen. Zudem muss das Parlament abgeschlossene Vorgänge kontrollieren dürfen, sofern nicht Grundrechte Dritter oder Kernbereichsvorgänge der Regierung betroffen sind. Zum einen folgt dieses aus dem Wesen der parlamentarischen Demokratie und der damit einhergehenden parlamentarischen Kontrolle der Exekutive, welche allen Bundestagsausschüssen und nicht nur den Untersuchungsausschüssen zufällt, 276 und zum anderen aus der historischen Erfahrung, nach der Kontrollausschüsse mit weniger Kontrollrechten ihrer Aufgabe nicht effektiv nachkommen können. b) Funktionen innerhalb des G 10-Anwendungsbereichs Neben den dargestellten Aufgaben und Befugnissen nach dem PKGrG wurden dem Gremium, wie dargestellt, auch die Aufgaben des früheren G 10-Gremiums übertragen. Die diesbezüglichen Regelungen finden sich weiterhin im G 10. Nach der grundlegenden Norm, § 14 G 10, ist das jeweils zuständige Ministerium verpflichtet, dem PKGr im Abstand von höchstens 6 Monaten allgemein über die Durchführung der Regelungen des G 10 Bericht zu erstatten. Dabei geht es nicht um Einzelfälle, sondern um eine Gesamtübersicht der Beschränkungsmaßnah273 274 275 276
Vgl. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 153 zum PKKG. Vgl. Droste, HbdVS, S. 627. Vgl. BVerfGE 67, 100 (139). Vgl. BVerfGE 67, 100 (129 ff.).
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men und ihrer Ergebnisse, sowie um Grundsatzfragen bei Eingriffen in das Grundrecht aus Artikel 10 GG. Das PKGr muss dabei nicht nur den Bericht passiv entgegennehmen, sondern hat selbstverständlich nach dem PKGrG auch die Möglichkeit, selbst um Auskunft zu bitten. Aufgrund dieser Berichte muss das PKGr dann den Bundestag jährlich einen Bericht über Durchführung sowie Art und Umfang der Maßnahmen nach den §§ 3, 5 und 8 G 10 erstatten, vgl. § 14 Abs. 1 G 10. Die Berichte enthalten einen detaillierten Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum ergriffenen Beschränkungsmaßnahmen. 277 Aber auch materielle Befugnisse stehen dem PKGr nach dem G 10 zu. Sie betrifft zum einen die strategische Fernmeldeüberwachung nach § 5 G 10: Zunächst legt das Bundesministerium des Innern in einer Bestimmung fest, in welchen Gefahrenbereichen nach § 5 Abs. 1 Satz 3 G 10 die Fernmeldeüberwachung stattfinden darf und auf welche Fernmeldeverkehre (Gebiete) sie zu beschränken ist. Diese Bestimmung bedarf der Zustimmung des Parlamentarischen Kontrollgremiums, vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 G 10. Innerhalb dieses vom Gremium genehmigten Rahmens kann das Bundesministerium des Innern – auf Antrag des BND – eine Überwachung des Fernmeldeverkehrs anordnen. 278 Zum anderen hat das PKGr konsequenterweise dieselben Befugnisse hinsichtlich einer strategischen Überwachung nach § 8 G 10, vgl. dessen Abs. 1 Satz 2. Schließlich hat das PKGr nach dem G 10 noch die Aufgabe, die G 10-Kommission zu wählen, vgl. § 15 Abs. 1 Satz 4 G 10. c) Aufgabenzuweisung durch Einzelgesetze Es entspricht der Tendenz neuerer Gesetzgebung zur Unübersichtlichkeit, dass das PKGrG noch zusätzliche Regelungen durch Einzelgesetze außerhalb des PKGrG und G 10 erfährt. Das BVerfSchG enthält vor dem Hintergrund umfassender Unterrichtungspflichten im PKGrG eine beinahe deklaratorische Regelung, nach der die Unterrichtungspflicht des Innenministeriums auch diejenige Dienstvorschrift umfasst, die zugelassenen nachrichtendienstlichen Mittel und Zuständigkeit für ihre Anordnung enthält, vgl. § 8 Abs. 2 Satz 2, 3 BVerfSchG. Eine detaillierte, die Unterrichtungspflichten konkretisierende Regelung findet sich hingegen in § 8a Abs. 6 BVerfSchG. Danach muss das PKGr halbjährlich über die Anordnung von Verkehrsdatenabfragen nach Abs. 2 unterrichtet werden. Der Überblick über die Anordnungen zu diesen Maßnahmen muss über Anlass, 277
Vgl. zum Ganzen BT-Drs. 16/6880, S. 3. Der Rahmen enthält auch die abstrakt zulässigen Suchbegriffe. Über die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Anordnung (im Einzelfall) – einschließlich der Verwendung von Suchbegriffen – entscheidet dann die G10-Kommission nach § 15 Abs. 5, 6 G 10, vgl. auch BT-Drs. 16/6880, S. 7; 16/2551 S. 9. 278
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Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der Maßnahmen Auskunft geben. Eine dem PKGrG entsprechende effektive parlamentarische Kontrolle der genannten Maßnahmen in den Ländern sichert dabei Abs. 8. Weisen danach Länder eine solche Kontrolle nicht auf, dürfen sie bestimmte Abfragen über Verkehrsdaten nicht durchführen. Nach § 9 Abs. 3 Nr. 2 BVerfSchG werden noch gesonderte Unterrichtungspflichten für besonders einschneidende Maßnahmen angeordnet. So muss das PKGr über eine Maßnahme, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln durchgeführt wurde, vgl. § 8 Abs. 2 i.V. m. § 9 Abs. 1 BVerfSchG, oder, die zu einem sog. Lausch(Seh-)angriff führt, vgl. § 9 Abs. 2 BVerfSchG, unterrichtet werden, wenn sie in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses gleichkommen. Als gesetzliches Beispiel für eine solche Maßnahme ist das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel genannt. Schließlich gibt es noch eine Unterrichtungspflicht für eine Dienstanweisung, die die Zulässigkeit von Ersuchen um Datenübermittlung von den Diensten zu grenzpolizeilichen Zwecken regelt, vgl. § 17 Abs. 2 Satz 3 BVerfSchG. Die anderen Dienstgesetze übernehmen die entsprechenden Unterrichtungspflichten regelmäßig durch Verweise auf die Befugnisse des Bundesverfassungsschutzes. Lediglich im MADG findet sich für die relativ neue Möglichkeit der Auslandsverwendung des MAD eine Unterrichtungspflicht vor jedem Einsatz im Ausland, vgl. § 14 Abs. 7 MADG. 3. Gesetzesinitiative zur Fortentwicklung des PKGrG 2009 Im Zuge des 1. Untersuchungsausschusses der 16. Wahlperiode, der sich u. a. mit der Rolle der Nachrichtendienste im Irakkrieg und dem Komplex sog. CIAGeheimgefängnisse befasste, 279 wurde für eine Mehrheit im Deutschen Bundestag deutlich, dass insbesondere hinsichtlich der Ausführung von Informationspflichten der Bundesregierung gegenüber dem PKGrG Nachbesserungsbedarf besteht. 280 Dieser Eindruck war Auslöser zweier Gesetzesentwürfe der Fraktionen der CDU / CSU, der SPD und der FDP, 281 die am 29. 05. 2009 vom Bundestag in der Fassung der Beschlussempfehlung des Innenausschusses beschlossen wurden. 282 Nach Inkrafttreten wird zum einen in das Grundgesetz ein Artikel 45d mit der Überschrift „Parlamentarisches Kontrollgremium“ eingefügt, der folgenden 279
Siehe dazu BT-Drs. 16/1179, 16/3191, 16/6009. Vgl. BT. Drs. 16/12 411, S. 1 und 16/12412, S. 4. 281 BT-Drs. 16/12411 und 16/12412. 282 Vgl. Plenarprotokoll der 225. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 29. 05. 2009, S. 24907 f., 24910 C, und Beschlussempfehlung des Innenausschusses, BT-Drs. 16/ 12411. 280
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Wortlaut hat: „(1) Der Bundestag bestellt ein Gremium zur Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit des Bundes. (2) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“ Die Änderung soll die Bedeutung des Gremiums, insbesondere hinsichtlich der Informationsrechte gegenüber der Bundesregierung, herausstellen und stärken. 283 Es wird von Verfassungswegen zu einem Pflichtgremium. Es wird, ausweislich der Bezeichnung „Gremium“, allerdings nicht zu einem Ausschuss, sondern bleibt ein Hilfsorgan des Bundestages, was insbesondere Auswirkungen auf die Zusammensetzung haben wird, die weiterhin einfach-gesetzlich geregelt werden kann. Ebenso wenig soll das Gremium ein Verfassungsorgan werden. 284 Materiell darf der Bundestag die Kontrollkompetenzen des Gremiums nicht mehr entziehen und auf andere Ausschüsse verlagern. Er darf das Gremium ebenso nicht auflösen oder mit anderen Ausschüssen vereinigen oder zusammenlegen. Die Kompetenzen des Gremiums dürfen in Zukunft nicht mehr ausgehöhlt werden, da diese jetzt verfassungsrechtlich vorausgesetzt werden. 285 Zum anderen wird das schon nach der Novellierung von 2001 bestehende Kontrollniveau verdeutlicht und teilweise erweitert. Dazu wird das PKGrG neu gefasst und umstrukturiert. Materiell werden in erster Linie die Informationsrechte und -möglichkeiten verbessert: Das bisher einfache Recht auf Akteneinsicht wird zum Anspruch auf Herausgabe von Akten und Daten auch im Original erweitert und die Zutrittsmöglichkeit zu Dienststellen wird explizit zu einem Recht des Gremiums, § 5 Abs. 1 PKGrG n.F. Weiter wird das Befragungsrecht von Mitarbeitern der Dienste etc. ausgebaut und eine entsprechende Wahrheitspflicht normiert, § 5 Abs. 2 PKGrG n.F. Die Mitarbeiter können sich spiegelbildlich dazu in Zukunft auch direkt, ohne Umweg über die Behördenspitze, an das Gremium wenden, vgl. § 8 Abs. 1 PKGrG n.F. Beiden Rechten hat die Bundesregierung dabei unverzüglich nachzukommen, § 5 Abs. 3 PKGrG n.F. Sie behält aber die Verweigerungsrechte zum Schutz des exekutivischen Kernbereichs, von Dritten und des Nachrichtenzuganges, soweit zwingende Gründe vorliegen, § 6 Abs. 2 PKGrG n.F. Die Frage der Erfüllung der Informationspflichten soll fester Bestandteil des regelmäßigen Berichts des Gremiums an den Deutschen Bundestag werden, § 13 Satz 2 PKGrG. Weiter wird die Pflicht zur Amtshilfe von den Nachrichtendiensten auf alle Gerichte und Behörden ausgeweitet, § 5 Abs. 4 PKGrG n.F. Mit der Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder kann beschlossen werden, dass für die Darstellung und Bewertung bestimmter Vorgänge unter Beachtung der Belange des Geheimschutzes die Öffentlichkeit informiert werden kann. Dabei wird den einzelnen Mitgliedern das Recht eingeräumt, eine 283
Vgl. BT-Drs. 16/12412, S. 1. Vgl. BT-Drs. 16/12412, S. 4 f.; Huber, NVwZ 2009, S. 1321. 285 Vgl. zum Ganzen: Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 45a Rn. 1, 45c Rn. 1 zum Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und zum Petitionsausschuss. 284
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abweichende Bewertung in einem Sondervotum abzugeben, vgl. § 10 PKGrG n.F. Neben den Informationsrechten wird die organisatorische und personelle Ausstattung verbessert, insbesondere können die Mitglieder Informationsrechte etc. durch die Mitarbeiter ihrer Fraktion wahrnehmen lassen. Die Mitarbeiter unterliegen denselben Geheimhaltungspflichten und bedürfen der Zustimmung des PKGr, vgl. § 11 f. PKGrG. Schließlich wird für Streitigkeiten zwischen dem PKGr und der Bundesregierung der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht eröffnet. Erforderlich ist dafür der Beschluss von zwei Dritteln der Mitglieder des Gremiums oder ein Antrag der Bundesregierung, vgl. § 14 PKGrG n.F. Diese Streitigkeit wird vom Innenausschuss in seiner Beschlussempfehlung mit Blick auf die parallele Grundgesetzänderung (Art. 45d GG) als Organstreitigkeit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG qualifiziert. 286 Folgerichtig wird in § 66a BVerfGG ein Satz 2 eingefügt, der es aus Gründen des Geheimschutzes dem Bundesverfassungsgericht ermöglicht, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
III. Vertrauensgremium und Bundesrechnungshof Das sog. Vertrauensgremium ist ein nach § 10a Abs. 2 BHO gebildetes Gremium von Mitgliedern des Haushaltsausschusses. Nach Satz 1 kann der Bundestag aus zwingenden Gründen des Geheimschutzes ausnahmsweise die Bewilligung von Ausgaben, die nach geheim zu haltenden Wirtschaftsplänen bewirtschaftet werden sollen, im Haushaltsgesetzgebungsverfahren von der Billigung der Wirtschaftspläne durch das Vertrauensgremium abhängig machen. Nach Satz 2 sind die Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste grundsätzlich dem Gremium zur Bewilligung vorzulegen. Zurzeit sind dieses auch die einzigen Wirtschaftspläne, die nach Satz 1 von der Billigung des Gremiums abhängig gemacht wurden. 287 Die Mitglieder des Gremiums sind, wie in diesem Bereich üblich, zur Geheimhaltung gemäß Satz 4 verpflichtet. Das Vertrauensgremium teilt (nur) die Abschlussbeträge dem Haushaltsausschuss mit, vgl. Satz 3. 288 Schließlich setzt sich die Verzahnung zwischen Vertrauensgremium und PKGr nach dem PKGrG auch 286
Vgl. BT-Drs. 16/13220, S. 15 f. Vgl. vKöckritz / Ermisch, BHO, § 10a Rn. 3. 288 Die Haushaltsansätze befinden sich auch im jüngeren Bundeshaushaltsplan 2009 (Entwurf: BT-Drs. 16/9900) an der in der Staatspraxis üblichen Stelle (vgl. zu den früheren Jahren: vKöckritz / Ermisch, BHO, § 10a Rn. 1): 1. Bundesnachrichtendienst (Kapitel 0404 Titel 54101): Zuschuss i.H.v. 460 765 000 €, 2. Bundesamt für Verfassungsschutz (Kapitel 0609 Titel 54101): Zuschuss i.H.v. 181 800 000 € und 3. Militärischer Abschirmdienst (Kapitel 1401 Titel 53505): verfügbar zu diesem Zwecke 3 025 000 €. 287
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in den Regelungen der BHO fort. So sind bestimmte Mitglieder des PKGr befugt, beratend an den Sitzungen des Vertrauensgremiums teilzunehmen; bei der Beratung der Wirtschaftspläne der Dienste und deren Vollzug gilt dieses für alle Mitglieder, vgl. die Sätze 5 und 6. Das Vertrauensmännergremium ersetzt demnach die im Rahmen der üblichen Budgetkontrolle eigentlich zuständige Instanz, den Haushaltsausschuss. Gesetzlich dauerhaft verankert wurde das Gremium erst im Jahre 1986. 289 Zuvor waren entsprechende Bestimmungen in den jährlichen Haushaltsgesetzen enthalten (zuletzt in § 4 Abs. 9 des Haushaltsgesetzes 1986). 290 Das Vertrauensgremium firmierte dort noch unter der Bezeichnung Kontrollgremium und folgte wiederum aus einem Unterausschuss des Haushaltsausschusses. Die Bestimmungen der Haushaltsgesetze waren insbesondere in den Jahren ab 1984 politisch umstritten, weil die 1983 erstmals in den Deutschen Bundestag eingezogene Partei DIE GRÜNEN Mitsprache bei den Wirtschaftsplänen der Nachrichtendienste verlangte. Als sie mit § 4 Abs. 9 des Haushaltsgesetzes 1984 keinen Sitz im Kontrollgremium erhielt, beantragten der Abgeordnete Hubert Kleinert und die Bundestagsfraktion DIE GRÜNEN im Wege des Organstreits nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG festzustellen, dass insbesondere das Verfahren nach der genannten Vorschrift die Rechte der Antragssteller aus dem Grundgesetz verletzen. Die Anträge wurden aber mit BVerfGE 70, 324 abgewiesen, so dass mit der Änderung der BHO eine dauerhafte verfassungsmäßige Regelung geschaffen werden konnte. 291 Nach dem ebenfalls 1986 eingefügten § 10a Abs. 3 BHO übernimmt die Rechnungsprüfung (inklusive Wirtschaftlichkeits- und Ordnungsmäßigkeitsprüfung der Haushalts- und Wirtschaftsprüfung) der Nachrichtendienste wie bei den anderen staatlichen Institutionen der unabhängige Bundesrechnungshof, vgl. Art. 118 Abs. 2 GG. Absatz 3 ordnet dabei aber das besondere Verfahren nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 BRHG an. Danach darf die Prüfung nur vom sog. Dreierkollegium durchgeführt werden, wodurch die Zuständigkeit des Senats und des Großen Senats des Bundesrechnungshofes entfällt, vgl. § 19 Satz 1 BRHG. Das Dreierkollegium setzt sich nach § 9 Abs. 1 BRHG (nur) aus dem Präsidenten oder seinem Stellvertreter und dem sog. Zweiergremium (zuständiger Abteilungsleiter und zuständiger Prüfungsgebietsleiter) zusammen. Der Rechnungshof unterrichtet über das Ergebnis seiner Prüfung das Vertrauensgremium, das PKGr, die jeweils zuständige oberste Bundesbehörde und das Bundesfinanzministerium. Die Rechnungsprüfung nach Absatz 3 ist ein gesetzlich geregelter Spezialfall der Regelung in Absatz 1. Danach können Ausgaben, deren Verwendung ge289 Drittes Gesetz zur Änderung der Haushaltsordnung vom 6. Oktober 1986 (BGBl. I, S. 1275). 290 Vgl. vKöckritz / Ermisch, BHO, § 10a Rn. 1. 291 Vgl. umfassend und detailliert zur Geschichte des Gremiums: Hansalek, Parlamentarische Kontrolle, S. 105 ff.
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heim zu halten ist, durch eine Bestimmung im Haushaltsplan der Prüfung durch den Bundesrechnungshof nach § 19 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 BRHG unterworfen werden. Die Prüfung nach Nr. 2 ist sogar noch enger als das Dreierkollegium und umfasst nur den Präsidenten des Bundesrechnungshofes bzw. seinen Stellvertreter. Da Absatz 3 gesetzlich eine Prüfung nach § 19 Satz 1 Nr. 1 BRHG für die Wirtschaftspläne der Dienste anordnet, bedarf es keiner Bestimmung im Haushaltsplan. Für nachrichtendienstlich interessante Anwendungsbereiche des Absatz 1 bleiben dann noch Ausgaben zur Verfügung des Bundeskanzlers zu allgemeinen Zwecken (sog. Geheimfond des Bundeskanzlers) 292 und die geheimen Ausgaben für besondere Zwecke des Auswärtigen Amts (sog. Geheimfond des Auswärtigen Amts). 293 Beide werden nach § 19 Satz 1 Nr. 2 BRHG geprüft. Andere geheim zu haltende Ausgaben (auch auf nicht-nachrichtendienstlichem Gebiet) finden sich zurzeit nicht. 294
IV. Untersuchungsausschuss sowie Innen- und Verteidigungsausschuss 1. Der Untersuchungsausschuss Der Untersuchungsausschuss dient der Wahrnehmung des Untersuchungsrechtes des Parlaments (Enquêterecht) und damit der gezielten parlamentarischen Kontrolle eines bestimmten Sachverhalts (Untersuchungsauftrag). 295 Der Untersuchungsausschuss ist ein Hilfsorgan des Bundestages und führt Befugnisse des Bundestages aus. 296 Der Ausschuss ist verfassungsrechtlich in Art. 44 GG abgesichert, einfach-gesetzlich wurde das Recht der Untersuchungsausschüsse 2001 umfassend im Untersuchungsausschussgesetz (PUAG) geregelt. 297 Die Länder haben entsprechende Regelungen in der jeweiligen Landesverfassung und ebenso, mit Ausnahme von Hessen, Niedersachsen und dem Saarland, 298 eigene Untersu-
292 Im Bundeshaushaltsplan 2009 findet sich diese Haushaltsstelle mit der entsprechenden Bemerkung nach § 10a Abs. 1 BHO in Kapitel 0401 Titel 52904 mit einem Volumen von 102 000 €. 293 Im Bundeshaushaltsplan 2009 findet sich diese Haushaltsstelle mit der entsprechenden Bemerkung nach § 10a Abs. 1 BHO in Kapitel 0502 Titel 52902 mit einem Volumen von 1 112 000 €. 294 Vgl. vKöckritz / Ermisch, BHO, § 10a Rn. 1 f. 295 Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet dieses Recht als eines der ältesten und wichtigsten Rechte des Parlaments, vgl. BVerfG, 2 BvE 3/07 vom 17. 6. 2009, AbsatzNr. 105, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/es20090617 _2bve000307.html (abgerufen am 01. 06. 2010). 296 Vgl. BVerfGE 77, 1 (40 f.); Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 44 Rn. 8. 297 Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1142).
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chungsausschussgesetze gefasst. 299 Die Regelungen der Länder stimmen regelmäßig mit denen des Bundes überein. In der Parlamentspraxis steht die Aufklärung von Missständen im Vordergrund (sog. Missstands- bzw. Skandalenquête). 300 a) Allgemeines Der Bundestag hat zum einen gemäß Art. 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG das Recht, den Ausschuss mit Mehrheit einzusetzen (sog. Mehrheitsenquête), die Mehrheit hat aber zum anderen gemäß Art. 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG auch die Pflicht, den Ausschuss einzusetzen, wenn ein Viertel der Mitglieder des Bundestages es beschließt (sog. Minderheitsenquête). Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist wegen des niedrigen Quorums und der starken Verknüpfung von Mehrheit und Regierung ein klassisches Instrument der Parlamentsopposition zur Kontrolle der Regierung. 301 Der Ausschuss gibt sich einen Untersuchungsauftrag und endet mit einem Untersuchungsbericht vor dem Bundestag. 302 Untersuchungen über den nachrichtendienstlichen Bereich machten in der Geschichte der Bundesrepublik einen nicht unerheblichen Teil der Enquête aus. 303 Im Gegensatz zu den bereits vorgestellten parlamentarischen Gremien tagen beide Formen des Untersuchungsausschuss grundsätzlich öffentlich. Der Öffentlichkeitsgrundsatz nach Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG gilt zwar nur für das Bundestagsplenum und nicht auch für die Ausschüsse. Für Untersuchungsausschüsse ist das Öffentlichkeitsprinzips aber direkt in der Spezialregelung des Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG verankert. 304 Allerdings kann die Öffentlichkeit unter bestimmten Voraussetzungen ausgeschlossen werden, vgl. Abs. 1 Satz 2.
298 Das Saarland hat die Regelungen in sein Landtagsgesetz (§§ 38 ff.) integriert (Gesetz über den Landtag des Saarlandes vom 20. Juni 1973 (Amtsbl. S. 517)). Die niedersächsische Regelung in Art. 27 der Verfassung gehört zu den detailliertesten. 299 Vgl. etwa Nordrhein-Westfalen: Art. 41 nwVerf und das Gesetz über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Landtags Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 1984 (GVBl. 1985 S. 26). 300 Vgl. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 137; Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 44 Rn. 1; Weisgerber, Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 79 f. 301 Vgl. Morlok, Dreier, Art. 44 Rn. 11; Weisgerber, Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 33; allgemein zur parlamentarischen Kontrolle: Maurer, Staatsrecht I, § 13 Rn. 125. Die wichtige Rolle der Opposition zur (häufig alleinigen) parlamentarischen Kontrolle der Dienste spricht Friesenhahn, Kontrolle der Dienste, S. 87 (96) an. 302 Vgl. dazu auch § 2 Abs. 2 und § 3 sowie § 33 PUAG. 303 Vgl. Aufzählung bis zur 13. Wahlperiode bei Droste, HbdVS, S. 620 Fußnote 47. Aus neuerer Zeit ist noch der „El-Masri / Kurnaz“-Untersuchungsausschuss aus der 16. Wahlperiode zu ergänzen, vgl. Einsetzungsantrag, BT-Drs. 16/990. 304 Vgl. BVerfGE 1, 144 (152); Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 42 Rn. 1.
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Auf dem Gebiet der Verteidigung dürfen Untersuchungsausschüsse nicht gebildet werden. Dort hat der Verteidigungsausschuss nach Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG die Rechte eines Untersuchungsausschusses, wobei Satz 2 auch das Minderheitsenquête gewährleistet. Abs. 3 schließt die Regelungen des Art. 44 Abs. 1 GG für einen Untersuchungsausschuss auf dem Gebiet der Verteidigung ausdrücklich aus. Das bedeutet, dass der Bundestag auf dem Gebiet der Verteidigung keinen Untersuchungsausschuss einsetzen darf, dem Verteidigungsausschuss keinen Untersuchungsauftrag geben darf und die Öffentlichkeit nicht vorgeschrieben ist, so dass es bei der grundsätzlichen Nichtöffentlichkeit nach § 69 Abs. Satz 1 GOBT bleibt. 305 Im nachrichtendienstlichen Bereich ist diese Regelung insbesondere für den MAD von Bedeutung. 306 b) Verfahrensfragen Für das Verfahren der Untersuchung im Rahmen des Untersuchungsauftrages finden sich Regelungen im PUAG. Für die Beweiserhebungen trifft das Grundgesetz selbst in Art. 44 Abs. 2 GG die Regelung, dass die Vorschriften der StPO sinngemäß Anwendung finden. Zwar regelt das PUAG ebenso in §§ 17 ff. die Beweiserhebung. Die Normen der StPO und des PUAG konkurrieren aber nicht. Vielmehr konkretisieren die Reglungen des PUAG den allgemeinen Verweis auf die StPO durch explizite Verweise auf Einzelvorschriften der StPO. Teilweise treffen sie spezielle Verfahrensregelungen, die aus der unterschiedlichen Natur von Untersuchungsausschuss und Strafprozess folgen und dem Sinn parlamentarischer Kontrolle entsprechen sollen. 307 Eine für die Beweiserhebung spezielle Verfahrensregelung betrifft den Schutz der Minderheit im Ausschuss: Damit die Minderheit auch nach der Einsetzung umfassend bei der Untersuchung mitwirken kann, sind gemäß § 17 Abs. 2 PUAG Beweise grundsätzlich zu erheben, wenn sie von einem Viertel der Mitglieder des Untersuchungsausschusses beantragt wurden. 308 Dieses gilt auch für die Anwendung von Zwangsmitteln nach §§ 21 Abs. 1, 27 Abs. 1, 28 Abs. 6, 29 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 PUAG. Der Untersuchungsausschuss darf dabei nur prüfen, ob das Antragsrecht sachwidrig oder missbräuchlich ausgeübt wird. 309 Wenn 305
Vgl. Pieroth, Jarass, Pieroth, Art. 45a Rn. 2; implizit: Heun, Dreier, Art. 45a Rn. 9. Vgl. etwa Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zum Antrag auf Einsetzung des 1. Untersuchungsausschusses der 16. Wahlperiode („El-Masri / Kurnaz“), BT-Drs. 16/1179, S. 2, 6 f. 307 Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 44 Rn. 8; Weisgerber, Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 150 f. 308 Insoweit ist § 17 Abs. 2 PUAG nur deklaratorischer Natur, indem er einfach-gesetzlich festschreibt, was bereits aus der Verfassung, Art. 44 Abs. 1 GG, folgt, vgl. BVerfGE 105, 197 ff. 309 Vgl. BVerfGE 105, 197 (225); Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 44 Rn. 9. 306
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die Beweiserhebung dennoch von der Mehrheit abgelehnt wird, steht der Minderheit mit demselben Quorum das Recht zu, gemäß § 17 Abs. 4 PUAG den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes anzurufen, der dann abschließend entscheidet. Soweit der jeweilige Untersuchungsauftrag den nachrichtendienstlichen Bereich betrifft, kommt es bezüglich der Themen Öffentlichkeit der Sitzung (dazu unter aa)), Geheimschutz, Vorlage von sächlichen Beweismitteln (beides unter bb)) und der Vernehmung von Amtsträgern (unter cc)) regelmäßig zu verfahrensrechtlichen Konflikten zwischen Opposition und Koalition einerseits und Ausschuss und Regierung andererseits. 310 aa) Ausschluss der Öffentlichkeit Das grundsätzliche Öffentlichkeitsgebot für Untersuchungsausschüsse findet bereits in der Verfassung eine Ausnahme, vgl. Art. 44 Abs. 1 Satz 2 GG („kann ausgeschlossen werden“). Allerdings sind keine weiteren Voraussetzungen aufgeführt. Der Ausschluss kann, wie Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG allgemein vorgibt, mit einfacher Mehrheit erfolgen. 311 Zu beachten ist dabei aber die Bedeutung des Öffentlichkeitsprinzips im demokratischen Parlamentarismus, dem insbesondere bei Missstandsenquêten ein besonderes Gewicht zukommt. Teilweise wird noch ausdrücklich gefordert, das Willkürverbot bei der Entscheidung über den Ausschluss der Öffentlichkeit einzuhalten. 312 Jedenfalls versucht die einfach-gesetzliche Ausgestaltung in § 14 PUAG beiden Anforderungen gerecht zu werden. Zum einen führt die Norm in Abs. 1 enumerativ Gründe auf, bei deren Vorliegen die Öffentlichkeit auszuschließen ist. Der Ausschluss muss demnach einen Sachgrund haben, so dass er (bei tatsächlichem Vorliegen) nicht willkürlich sein kann. Zum anderen erklärt § 14 PUAG damit aber gleichzeitig die Öffentlichkeit zum Regelfall, vgl. auch § 13 Abs. 1 Satz 1 PUAG. 313 Die Ausschlussgründe, die für nachrichtendienstliche Enquête primär in Betracht kommen, sind die des § 14 Abs. 1 Nr. 2 und 4 PUAG. Nach Nr. 2 wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen, 310 Vgl. nur die Zusammenfassungen des Deutschen Bundestags – Parlamentskorrespondenz (hier: hib-Redaktion) zu den Anhörungen des jüngsten Untersuchungsausschusses („El-Masri / Kurnaz“) unter http://www.bundestag.de/ausschuesse/ua/1_ua/hib/index .html (abgerufen am 01. 10. 2008): „Konflikt um Ausschluss der Öffentlichkeit bei BNDZeugen“ (29. 06. 2006), sowie „Zeugenvernehmung wegen fehlender Akten demonstrativ ausgesetzt“ (01. 03. 2007). 311 Vgl. BVerfGE 67, 100 (136 f.), auch zur historischen Entwicklung des Ausschlussquorums; sowie BVerfGE 77, 1 (47). In einigen Bundesländern bedarf es dazu einer Zwei-Drittel-Mehrheit: vgl. Art. 25 Abs. 5 Satz 1 bayVerf; Art. 92 Abs. 1 Satz 3 hessVerf; Art. 27 Abs. 3 Satz 3 ndsVerf; Art. 41 Abs. 1 Satz 3 nwVerf; Art. 18 Abs. 1 Satz 4 shVerf. 312 Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 44 Rn. 7. 313 Zur Frage der Medienöffentlichkeit, vgl. Morlok, Dreier, Art. 44 Rn. 42.
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wenn eine Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit von einzelnen Zeugen oder einer anderen Person zu besorgen ist. Bei den Nachrichtendiensten also in erster Linie Mitarbeiter der Dienste oder V-Leute und Gewährspersonen. Nach Nr. 4 erfolgt ein Ausschluss, wenn besondere Gründe des Wohls des Bundes oder eines Landes entgegenstehen, insbesondere wenn Nachteile für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder ihrer Beziehungen zu anderen Staaten zu besorgen sind. Auch wenn das Gesetz imperativisch formuliert („schließt ... aus“), heißt es dennoch nicht, dass der Ausschuss bei Vorliegen der Gründe zwingend einen Ausschluss beschließen muss. Da Art. 44 GG keinen Gesetzesvorbehalt zugunsten des PUAG enthält, sondern in Abs. 2 Satz 1 nur sinngemäß eine (dynamische) Verweisung auf das Strafprozessrecht, 314 können die Rechte des Ausschusses nicht durch dieses einfache Gesetz beschränkt, sondern nur im Rahmen des Verfassungsrecht konkretisiert werden. 315 Der Ausschuss ist vielmehr selbst „Herr über die Öffentlichkeit seiner Verhandlung“ 316 und hat dabei das mit Verfassungsrang ausgestattete Öffentlichkeitsprinzip zu beachten. Andere Verfassungsprinzipien, insbesondere die Grundrechte der vom Untersuchungsauftrag Betroffenen, können jedoch im Einzelfall der Öffentlichkeit entgegenstehen und zu einem Ausschluss zwingen. Der Ausschuss muss jedoch stets die Abwägung neu treffen. 317 Dieses kann selbstverständlich auch dazu führen, dass jenseits der genannten Ausschlussgründe in § 14 PUAG ein Ausschluss in Betracht kommt. 318 Nur soweit sich die Normen des PUAG mit denen des Strafverfahrens decken (etwa §§ 170 ff. GVG), kommt ein zwingender Ausschluss aufgrund einfachen Rechts in Betracht, da Art. 44 Abs. 2 GG die Normen des Strafverfahrens explizit zu Schrankengesetzen bestimmt. Aufgrund der Anordnung einer sinngemäßen Anwendung ist dabei aber auch immer die verfassungsmäßige Aufgabe des Untersuchungsausschusses zu beachten, die wiederum zu einer verfassungsrechtlichen Reduzierung des Verfahrensrechtes führen kann. 319 Grundsätzlich erkennt das Bundesverfassungsgericht in den Normen der Gerichtsverfassung, die auch für das Strafverfahren gelten, aber eine angemessene Regelung der widerstreitenden Interessen. 320 314 Daraus will Wiefelspütz, PUAG, S. 174 einen „stillschweigende[n] Gesetzesvorbehalt“ für die gesamte Materie des PUAG ableiten. Dieser Ansatz ist aber mit dem Wortlaut des Abs. 2 Satz 1 nicht vereinbar. 315 Vgl. Morlok, Dreier, Art. 44 Rn. 18. 316 BVerfGE 67, 100 (137). 317 BVerfG, 2 BvE 3/07 vom 17. 6. 2009, Absatz-Nr. 133 f., abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/es20090617_2bve000307.html (abgerufen am 01. 06. 2010). 318 Vgl. BVerfGE 77, 1 (47 f.); Achterberg / Schulte, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 44 Abs. 1 Rn. 109. 319 Vgl. BVerfGE 67, 100 (137). 320 Vgl. BVerfGE 77, 1 (47 f.).
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Insbesondere der Tatbestand des § 14 Abs. 1 Nr. 4 PUAG hat aber einen Wortlaut, der bei seinem weitesten Verständnis (bloße „Nachteile für die Sicherheit der Bundesrepublik“ u.s.w.) dem Öffentlichkeitsprinzip nicht gerecht wird. Dieses gilt jedenfalls bei Missstandsenquêten, bei denen etwa Versäumnisse der Nachrichtendienste aufgedeckt werden sollen. Daher sollte die Öffentlichkeit, der Regelung aus dem GVG entsprechend, erst bei Nachteilen, die einer Gefährdungen der Staatssicherheit oder der Beziehungen zu anderen Staaten oder des Wohls des Bundes oder eines Landes nahe kommen, ausgeschlossen werden. 321 § 14 Abs. 1 Nr. 2 PUAG, der sich mit § 172 Nr. 1a GVG deckt, begegnet hingegen keinen Bedenken. Wenn eine Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit von einzelnen Zeugen oder einer anderen Person zu besorgen ist, in nachrichtendienstlichen Fällen also Informanten oder Mitarbeitern der Dienste im weitesten Sinne, ist die Öffentlichkeit auszuschließen. Dieses ergibt sich schon aus den Schutzanforderungen der Grundrechte der Betroffenen. 322 bb) Geheimschutz im Ausschuss und Vorlage von sächlichen Beweismitteln Die Vorlage von beantragten sächlichen Beweismitteln, also insbesondere Akten, ist nach § 18 Abs. 1 PUAG eine umfassende Pflicht der Bundesregierung, der Behörden des Bundes sowie der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Die Vorlage kann aber nach Abs. 2 von der Bundesregierung bzw. den zuständigen Ministern abgelehnt werden oder von einer Einstufung als Verschlusssache im Sinne des Geheimschutzes abhängig gemacht werden. Wann aber die Vorlage abgelehnt werden darf, richtet sich nach § 96 StPO, der auch nach Inkrafttreten des PUAG über den Verweis in Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG aus dem Strafprozessrecht flankierend herangezogen wird, um die Verweigerungsgründe in § 18 Abs. 2 PUAG zu ergänzen. Nach jener Norm darf die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, dass das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde. Das Bekanntwerden des Inhalts kann aber im Untersuchungsausschuss stets durch Geheimschutzeinstufung verhindert werden. Der Geheimschutz richtet sich nach § 15 PUAG. Danach kann der Untersuchungsausschuss Beweismittel, 321 A. A. wegen des hohen Gewichts der zu schützenden Staatsgüter: Weisgerber, Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 367 f. Die Autorin sieht aber nicht die unterschiedliche Formulierung in § 172 Nr. 1 GVG und in § 14 Abs. 1 Nr. 4 PUAG. 322 Vgl. BVerfGE 77, 1 (47) zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.
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Beweiserhebungen und Beratungen mit einem Geheimhaltungsgrad versehen. Für die Einordnung gilt gemäß Abs. 2 Satz 1 die Geheimschutzordnung des Bundestags. Auch wenn die Bundesregierung gemäß Abs. 2 Satz 3 i.V. m. § 14 Abs. 3 PUAG ein Antragsrecht auf Einstufung hat, so muss der Ausschuss die Geheimhaltung nicht beschließen. Allerdings schränkt eine fehlende Einstufung die Pflicht der Bundesregierung zur Vorlage bestimmter Beweismittel ein. 323 Nach dem oben ausgeführten bedeutet dieses aber auch, dass dem Ausschuss bei einem ausreichenden Geheimschutz die parlamentarische Kontrolle der Regierung durch Beweiserhebung mittels sächlicher Beweismittel mit Ausnahme des exekutiven Kernbereichs nicht versagt werden darf. 324 Eine dementsprechende Regelung trifft auch § 30 PUAG für die (zwangsweise) Herausgabe der Beweismittel, die insbesondere nicht verwehrt werden darf, wenn der Untersuchungsausschuss die Einstufung GEHEIM für das Beweismittel getroffen hat. 325 Daneben gilt selbstverständlich, dass die Bundesregierung als Partei im Untersuchungsverfahren erst recht nicht Beweismittel zurückhalten darf, die für sie belastendes Materials darstellt oder den Ausschuss auf die Spur von belastendem Material bringen könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dient der Untersuchungsausschuss vielmehr gerade der Aufdeckung von Missständen der Regierungsführung: Durch die Aufdeckung werde das Vertrauen in eine effektiv kontrollierte und damit korrekte Regierungsführung gestärkt und so das Ansehen der Bundesrepublik erhöht. 326 Die Auseinandersetzungen über Beweismittelvorlagen drehen sich demnach kaum um das „Ob“ der Vorlage. Zur Verweigerung der Vorlage ist die Regierung schließlich nur befugt, wenn der Kernbereich exekutivischer Verantwortung betroffen ist. 327 Vielmehr geht es im nachrichtendienstlichen Bereich oft um das „Wie“ der Beweismittelvorlage, also um die Einstufung nach der 323
Vgl. BVerfGE 67, 100 (137); Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 44 Rn. 7. Vgl. auch BVerfGE 67, 100 (139); BVerfG, 2 BvE 3/07 vom 17. 6. 2009, AbsatzNr. 130, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/es20090617 _2bve000307.html (abgerufen am 01. 06. 2010); Morlok, Dreier, Art. 44 Rn. 49; Wiefelspütz, PUAG, S. 232. Wenn Droste, HbdVS, S. 620 f., die Herausgabe geheimer Beweismittel an ein parlamentarisches Organ für das Geheimhaltungsbedürfnis der Regierung als schwierig erachtet, so mag sie aus praktischer Sicht u.U. Recht haben. Sie verkennt dabei allerdings, dass parlamentarische Kontrolle ein Wesensbestandteil der parlamentarischen Demokratie ist. 325 Zur Aufhebung der Einstufung nach Durchsicht und Prüfung, sowie den Rechtsweg zum Ermittlungsrichter des BGH bei Widerspruch gegen die Aufhebung durch den Verfügungsberechtigten, vgl. § 30 Abs. 3, 4 PUAG. 326 Vgl. BVerfGE 67, 100 (138). 327 Hier genügt aber kein pauschales Berufen darauf, dass der Bereich der Willensbildung der Regierung betroffen sei, vgl. BVerfG, 2 BvE 3/07 vom 17. 6. 2009, Absatz-Nr. 125, 138, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen /es20090617_2bve000307.html (abgerufen am 01. 06. 2010). 324
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
Geheimschutzordnung, da mit einer höheren Einstufung auch stärkere Geheimnisschutzmaßnahmen in Kraft treten, die regelmäßig verhindern, dass der Ausschuss die Beweismittel öffentlich verwerten kann. Wenn der Ausschuss oder ein Viertel der Mitglieder mit einer Einstufung nicht einverstanden sind, kann deshalb der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof gemäß § 18 Abs. 3 PUAG angerufen werden. Sollte es andererseits um das „Ob“ der Herausgabe gehen, so ist nach dieser Vorschrift der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht zu beschreiten. 328 cc) Aussage von Amtsträgern vor dem Ausschuss Die Zeugenaussage von Mitarbeitern der Dienste richtet sich in der Regel nach den besonderen Vorschriften für Amtsträger als Zeugen in Untersuchungsausschüssen. Nach § 23 Abs. 1 PUAG ist dazu § 54 StPO anzuwenden. Dies Norm wiederum ordnet an, dass für die Vernehmung von Richtern, Beamten und anderen Personen des öffentlichen Dienstes als Zeugen über Umstände, auf die sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, und für die Genehmigung zur Aussage die besonderen beamtenrechtlichen Vorschriften gelten. Beispielhaft sei hier der für die in den Bundesdiensten beschäftigten Bundesbeamten geltende § 67 BBG genannt. Nach dessen Abs. 3 darf ein Beamter ohne Genehmigung des Dienstvorgesetzten nicht über solche Angelegenheiten vor Gericht oder außergerichtlich aussagen oder Erklärungen abgeben, die ihm bei seiner amtlichen Tätigkeit bekannt geworden sind. Er braucht demnach stets zur Aussage, insbesondere in einem Untersuchungsausschuss, eine sog. Aussagegenehmigung. Diese ist jedoch grundsätzlich zu erteilen. Eine Ausnahme besteht nach § 68 Abs. 1 BBG nur, wenn die Aussage dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde. Der erste Teil des Tatbestandes umfasst jedoch die bereits bekannten Tatbestandsmerkmale des § 96 StPO, insoweit gilt also das bereits Gesagte: Wenn der Ausschuss für die nötige Geheimhaltung durch eine entsprechende Einstufung nach der Geheimschutzordnung sorgt, ist die Genehmigung zu erteilen, wenn nicht der Kernbereich der exekutiven Verantwortung durch die Aussage betroffen ist. 329 Auch der zweite Teil des Tatbestandes von § 68 Abs. 1 BBG kann nicht zu einer Verweigerung der Aussagegenehmigung führen. Der Untersuchungsaus328 Zur in BVerfGE 67, 100 (138 f.) in diesem Zusammenhang angedachten, aber vom PUAG nicht aufgegriffenen Möglichkeit des sog. Vorsitzenden-Verfahrens, vgl. Achterberg / Schulte, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 44 Abs. 2 Rn. 151 f. 329 Vgl. Weisgerber, Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 359 f.
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schuss will gerade Missstände und Unregelmäßigkeiten innerhalb der Verwaltung bzw. Exekutive aufdecken und muss dazu in den Verwaltungsablauf eingreifen. Der Schutzzweck der Aussageverweigerungsnorm darf insoweit nicht gegen die parlamentarische Kontrolle zielen. Im Rahmen der Missbrauchsgrenze für Beweiserhebungen darf eine Aussagegenehmigung also nicht mit Verweis auf den ungestörten Verwaltungsablauf dem Untersuchungsausschuss gegenüber verweigert werden. 330 Dem Vorstehenden entsprechend ordnet auch § 23 Abs. 2 PUAG an, dass die Bundesregierung verpflichtet ist, Aussagegenehmigungen für ihre Zuständigkeit zu erteilen. Im Übrigen gelten die bereits erläuterten Vorschriften über die sächlichen Beweismittel in § 18 Abs. 1 bis 3 HS. 1 PUAG entsprechend. Schließlich ist noch anzumerken, dass selbstverständlich für Amtsträger die allgemeinen Aussage-, und Zeugnisverweigerungsrechte bzw. Zeugenschutzregelungen gelten, vgl. § 22 PUAG i.V. m. §§ 53, 53a StPO bzw. §§ 171b f. GVG. Dieses folgt daraus, dass der Amtsträger durch die Untersuchung freilich auch in seinen Grundrechten außerhalb der dienstlichen Sphäre als Privatperson betroffen sein kann. 2. Innen- und Verteidigungsausschuss Der Innen- und Verteidigungsausschuss des Bundestages ergänzt die parlamentarische Kontrolle der Dienste. Der Innenausschuss ist dabei als „Spiegelausschuss“ zum Innenministerium für das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig. Auf Länderebene gilt grundsätzlich das Gleiche für den jeweiligen Innenausschuss des Landtages und das entsprechende Landesamt für Verfassungsschutz. Für den BND fehlt die Zuständigkeit eines bestimmten Bundestagsausschusses, da dem Bundeskanzleramt, dem der BND unterstellt ist, kein Ausschuss gegenübersteht. 331 Für die Arbeit der Ausschüsse gilt §§ 54 ff. GOBT. Danach befassen sich die Ausschüsse mit Vorgängen aus ihrem Geschäftsbereich, d. h. sie bearbeiten vom Bundestag überwiese Aufgaben und bereiten Beschlüsse des Bundestages vor oder sie bearbeiten (eigenständig) Fragen aus ihrem Geschäftsbereich und erstatten dem Bundestage Bericht, vgl. §§ 62 Abs. 1 Satz 2 und 3, 64 Abs. 1, 66 GOBT. Insbesondere haben sie die Möglichkeit, die Anwesenheit eines Mitgliedes des Ausschusses zu verlangen (Zitierrecht), vgl. Art. 43 Abs. 1 GG, sowie § 68 GOBT. Die Ausschüsse tagen grundsätzlich nichtöffentlich, vgl. § 69 Abs. 1 Satz 1 GOBT. Für ihre verfassungsmäßigen Rechte zur Ausübung der parlamentarischen Kontrolle, insbesondere der Dienste, gilt das zum Petitionsausschuss und PKGr Ausgeführte entsprechend.
330 Vgl. Morlok, Dreier, Art. 44 Rn. 48; Weisgerber, Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, S. 359; ferner BVerfGE 67, 100 (138). 331 Vgl. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 135.
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V. ZFdG-Gremium und Gremium nach Art. 13 Abs. 6 GG Neben der allgemeinen parlamentarischen Kontrolle gibt es zwei Gremien, die in Teilbereichen einen nachrichtendienstlichen Bezug aufweisen. Dieses ist zum einen das Gremium nach § 23c Abs. 8 des Zollfahndungsdienstgesetzes (ZFdG) 332, sog. ZFdG-Gremium, 333 und das Gremium nach Art. 13 Abs. 6 des Grundgesetzes. 1. ZFdG-Gremium Das vom Bundestag mit neun Bundestagsabgeordneten zu besetzende ZFdGGremium dient gemäß § 23c Abs. 8 ZFdG der parlamentarischen Kontrolle der Maßnahmen des Zollkriminalamtes und der ihm unterstellten acht Zollfahndungsämter 334 hinsichtlich der präventiven Telekommunikations- und Postüberwachung nach den §§ 23a bis 23 f. sowie §§ 45 und 46 ZFdG. Die Tätigkeit des Zollkriminalamtes ist jedoch keine nachrichtendienstliche Tätigkeit, auch wenn es mit nachrichtendienstlichen Mitteln der heimlichen Überwachung im Bereich des Art. 10 GG arbeitet. 335 Dem Gremium kommt die Überwachung der Nachrichtendienste nur partiell und mittelbar zu. Das Zollkriminalamt darf gemäß § 23 ZFdG Post- und Fernmeldekontrollen durchführen, um bestimmte Verstöße gegen die Kriegswaffenkontrolle oder das Außenwirtschaftsrecht zu verhüten. Die Nachrichtendienste haben mit Ausnahme des BND für die in § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 G 10 genannten Fälle diese Aufgabe nicht. Das Verfahren im ZFdG zur Genehmigung der Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 GG sind dem G 10 nachgebildet, vgl. §§ 23b f. ZFdG. Da das Zollkriminalamt mit der Beschränkung 332 Gesetz über das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsämter vom 16. August 2002 (BGBl. I S. 3202). 333 Das Gremium war früher ein Gremium des AWG (sog. AWG-Gremium), vgl. § 41 Abs. 5 AWG a.F. Allerdings hatte das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 3. März 2004 – Az. 1BvF 3/92 (=BVerfGE 110, 33 ff.) festgestellt, dass die bisherige Ausgestaltung der präventiven Telekommunikations- und Postüberwachung durch das Zollkriminalamt (ZKA) in den §§ 39 und 41 AWG mit Art. 10 GG unvereinbar ist. Mit Art. 1 und 2 des Gesetzes zur Neuregelung der präventiven Telekommunikations- und Postüberwachung durch das Zollkriminalamt und zur Änderung der Investitionszulagengesetze 2005 und 1999 vom 21. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3603) hat der Gesetzgeber versucht, dieser Entscheidung zu entsprechen und u. a. das ZFdG-Gremium geschaffen, dass sich in seiner Kontrollkompetenz aber nicht vom AWG-Gremium unterscheidet. 334 Die Behörden befinden sich gemäß § 1 ZFdG im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. 335 Vgl. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 175; Ricke, Wolffgang / Simonsen, § 23c ZFdG Rn. 18.
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aber andere Ziele als den Schutz der in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Schutzgüter verfolgt, kann der Eingriff nicht mit den entsprechenden verfahrensmäßigen Beschränkungen einhergehen. 336 Daher erfolgt die Genehmigung der Beschränkung durch ein Gericht (z. Zt. Landgericht Köln, vgl. § 23b Abs. 3 ZFdG) und nicht durch ein parlamentarisches Gremium, die Benachrichtigung darf nur unter erhöhten Voraussetzungen zurückgestellt werden und der Rechtsweg gegen die Genehmigung ist ebenso jederzeit eröffnet. Das ZFdG-Gremium wird vom Bundesfinanzministerium in Abständen von höchstens sechs Monaten über die Durchführung der §§ 23a bis 23 f. und 23g (Abs. 6 i.V. m. § 23c Abs. 8) sowie §§ 45 und 46 des ZFdG unterrichtet. Dabei ist insbesondere über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis, Kosten und Benachrichtigung Betroffener von im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu berichten. Zusätzlich zu dieser Überwachung der Maßnahmen des Zollkriminalamtes führt eine Verzahnung zwischen dem Zollkriminalamt und den Verfassungsschutzbehörden, dem MAD und dem BND aber auch dazu, dass das ZFdGGremium den Informationsfluss zu den Nachrichtendiensten kontrolliert: Das Zollkriminalamt ist gemäß § 23d Abs. 4 und 5 berechtigt, seine Daten an die Nachrichtendienste unter niedrigen Voraussetzungen weiterzuleiten. Die Weiterleitung der Daten unterliegt als Maßnahme der §§ 23a bis 23g ZFdG der Kontrolle des Gremiums, so dass ihm eine Kontrollfunktion über die Datenübermittlung an die Dienste zukommt. Da das Gremium aber nur Informationsrechte und keine Kompetenzen der Maßnahmenbeschränkung besitzt, ist eine wirksame Kontrolle einzelner Maßnahmen nicht möglich. Wie beim PKGr betrifft die Überwachung nur die Gesamtheit der Maßnahmen, über die dann dem Bundestag Bericht erstattet wird. Das Gremium dient, neben den Gerichten und den übrigen Verfahrenssicherungen in den §§ 23 ff. ZFdG, der allgemeinen, zusätzlichen Missbrauchskontrolle. 337 Ergänzend zur allgemeinen Berichterstattung soll das Gremium nach Art. 23c Abs. 8 Satz 2 dem Bundestag einmalig im Jahr 2008 einen Bericht erstellen, der zur Evaluation der Neufassung des ZFdG hinsichtlich der Überwachungsmaßnahmen beitragen soll. 338 Da es sich bei den Maßnahmen nach den §§ 23 ff. ZFdG um keine nachrichtendienstlichen Maßnahmen handelt, ist kein Grund für eine Geheimhaltung der Berichte erkennbar. 339
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Vgl. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 176. Vgl. Ricke, Wolffgang / Simonsen, § 23c ZFdG Rn. 17. 338 Die Evaluations-Berichterstattung ist, soweit erkennbar, noch nicht geschehen. Siehe bisher nur den allgemeinen Bericht für das Jahr 2007 vom 17. 09. 2008, BT-Drs. 16/ 10300. 339 So auch Ricke, AW-Prax 2007, S. 288 (291). 337
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2. Gremium nach Art. 13 Abs. 6 GG Nach Art. 13 Abs. 6 GG muss die Bundesregierung jährlich den Bundestag über den Einsatz der technischen Mittel nach Art. 13 Abs. 3 GG (sog. großer Lauschangriff zu repressiven Zwecken), nach Art. 13 Abs. 5 GG (sog. kleiner Lauschangriff), soweit sie richterlich überprüfungsbedürftig sind, und nach Art. 13 Abs. 4 GG (sog. großer Lauschangriff zu präventiven Zwecken), soweit der Bund zuständig ist, unterrichten. Diese öffentliche Unterrichtungsspflicht ist an eine US-amerikanische Tradition, den sog. wire-taps-reports, angelehnt. 340 Da der Bund im nachrichtendienstlichen Bereich die Möglichkeit zum Eingriff in Art. 13 GG durch den präventiven großen Lauschangriff und durch den kleinen Lauschangriff für seine Dienste geschaffen hat, ist eine Unterrichtung also auch für diesen Bereich vorgeschrieben. Soweit die Länder den Diensten ebenso Befugnisse zu Lauschangriffen zugestanden haben, müssen sie gemäß Art. 13 Abs. 6 Satz 3 GG eine gleichwertige parlamentarische Kontrolle schaffen. Nach Art. 13 Abs. 6 Satz 2 GG übt ein vom Bundestag gewähltes Gremium die parlamentarische Kontrolle auf Grundlage des Berichts, dessen Inhalt nicht vorgeschrieben ist, aus, das sog. Gremium nach Art. 13 Abs. 6 GG. Es erfüllt die am Anfang vorgestellten Funktionen der parlamentarischen Kontrollinstanzen: Das Gremium dient der politischen Kontrolle und der Wahrnehmung der Prüfung der Normeneffizienz. Das Gremium ist aber weder Rechtswegersatz noch Rechtswegkontrolle. Das Parlament könnte außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG diese Kontrolle auch gar nicht durchführen. Das Gremium dient vielmehr der Effektivierung der Kontrolle und findet seine Rechtfertigung in der Intensität des Grundrechtseingriffs. Es schränkt nicht die Rechte des Plenums, seiner Ausschüsse oder Organe, d. h. weiterer Instanzen parlamentarischer Kontrolle, ein. 341 Seine Rechte richten sich nach den bereits vorgestellten allgemeinen Voraussetzungen einer effektiven parlamentarischen Kontrolle. Daran muss sich auch der Inhalt des Berichts, der nicht in Absatz 6 festgelegt wurde, orientieren. 342
VI. Informationsrechte der Abgeordneten Auch der einzelne Abgeordnete hat die Möglichkeit, die Bundesregierung im Hinblick auf die ihr unterstellten Nachrichtendienste zu kontrollieren. Dazu stehen ihm verfassungsrechtlich verankerte Rechte zu. 343 Ein zentrales Recht 340
Vgl. Gornig, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 13 Abs. 6 Rn. 143. Vgl. ebenso für die Aufgaben des Gremiums: Gornig, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 13 Abs. 6 Rn. 145; Meyer / Hetzer, NJW 1998, S. 1023 (1025); Hansalek, Die parlamentarische Kontrolle, S. 98 f.; auch Berkemann, Alternativkommentar, Art. 13 Rn. 194. 342 Vgl. Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 13 Rn. 3. 343 Die folgenden Ausführungen gelten für Landtagsabgeordnete entsprechend. 341
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zur Kontrolle ist das Recht auf Information, das unmittelbar aus seinem Abgeordnetenstatus aus Art. 38 GG fließt. 344 Danach hat der Abgeordnete einen Informationsanspruch zur Erfüllung der ihm durch sein Mandat zukommenden Rechte. Er muss in die Lage versetzt werden, die mit seinem Mandat zusammenhängenden Aufgaben sachverständig erfüllen zu können. Das Informationsrecht wird insbesondere durch das Interpellationsrecht, d. h. das Fragerecht, verwirklicht. Wenn der Abgeordnete von diesem Recht gegenüber der Bundesregierung Gebrauch macht, muss die Antwort zutreffend und vollständig sein. Die notwendigen Instrumente zur Verwirklichung des Interpellationsrechts sind in der Geschäftsordnung geregelt. Dazu zählen die Kleine und Große Anfrage nach den §§ 104 bzw. 100 ff. GOBT, kurze mündliche Fragen für die wöchentliche Fragestunde oder schriftliche Einzelfragen nach § 105 GOBT i.V. m. Anlage 4 zur GOBT, Befragung der Bundesregierung bei Fragen von aktuellem Interesse nach § 106 Abs. 2 GOBT i.V. m. Anlage 7 zur GOBT und die Fragemöglichkeit innerhalb einer ggf. beantragten aktuellen Stunde nach § 106 Abs. 1 GOBT i.V. m. Anlage 5 zur GOBT. Manche Rechte stehen dem einzelnen Abgeordneten zu, manche können entweder nur oder nur effektiv auf Antrag einer bestimmten Anzahl von Abgeordneten genutzt werden. Eine Fraktion, also ein Zusammenschluss von Abgeordneten in wesentlicher Hinsicht übereinstimmender politischer Überzeugungen, 345 erfüllt stets die Voraussetzungen, um alle Rechte der Interpellation wirkungsvoll umsetzen zu können. Die Konkretisierungen und Einschränkungen der Rechte des einzelnen Abgeordneten auf Grundlage der Geschäftsordnung, sind vor dem Hintergrund der Geschäftsordnungsautonomie aus Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG im Sinne der Arbeitsfähigkeit des Parlaments oder im Interesse der Verhandlungsgegenstände aber verfassungsrechtlich zulässig, wenn sie für die vom Bundestag zu erfüllenden Aufgaben geeignet, erforderlich und angemessen sind. 346 Soweit die Geschäftsordnung aber die Statusrechte des Abgeordneten konkretisiert, ist die Bundesregierung aus Art. 38 GG auch an die Beantwortung der Fragen in der gewünschten Form gebunden. Sie kann sich dann nicht darauf zurückziehen, dass die Geschäftsordnung nur den Bundestag bindet. Die Geschäftsordnung hat das Interpellationsrecht nur ausgestaltet. 347 Die Antwort kann nur aus den allgemeinen Gründen abgelehnt werden, nach denen die parlamentarische Kontrolle beschränkt werden kann: Zum einen, wenn 344 Vgl. BVerfG, 2 BvE 5/06 vom 1. 7. 2009, Absatz-Nr. 123, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/es20090701_2bve000506.html (abgerufen am 01. 06. 2010) m.w. N., das das Recht auch aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ableitet; Achterberg / Schulte, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 38 Abs. 1 Rn. 90; Maurer, Staatsrecht I, § 13 Rn. 71; Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 38 Rn. 34. 345 Vgl. Achterberg / Schulte, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 38 Abs. 1 Rn. 96. 346 Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 38 Rn. 32, implizit BVerfGE 10, 4 (12 ff.) jeweils zum Rederecht des Abgeordneten. 347 Vgl. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 143.
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es Grundrechte Dritter gebieten und zum anderen, wenn der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung betroffen ist. 348 Im Einzelfall ist die Berufung auf das Staatswohl möglich, aber nur, wenn eine tatsächlich vorliegende Geheimhaltungsbedürftigkeit nicht im Rahmen der Geheimschutzordnung befriedigt werden kann. Dieses ist beispielsweise bei öffentlichen Interpellationsinstrumenten der Fall. Die parlamentarische Kontrolle muss aber anderweitig sichergestellt werden, etwa durch eine Information spezieller Kontrollgremien oder durch ein anderes Interpellationsinstrument (etwa schriftliche Beantwortung der Frage als Verschlusssache etc.). 349 Bei jeder Ablehnung der begehrten Information gilt aber, dass sie angemessen zu begründen ist und stets der Status des Abgeordneten zu beachten ist, so dass die jeweiligen Ablehnungstatbestände eng ausgelegt werden müssen. 350 Schließlich kommt für die Kontrolle im Bereich der nachrichtendienstlichen Regierungstätigkeit noch ein weiteres Recht der Abgeordneten in Betracht: § 16 Abs. 1 GOBT normiert ein Akteneinsichtsrecht. Allerdings ist dieses Recht beschränkt auf Akten, die sich in der Verwahrung des Bundestages oder eines Ausschusses befinden. Ein Akteneinsichtsrecht in Akten der Bundesregierung außerhalb des Bundestages oder seiner Ausschüsse steht dem Abgeordneten jedoch nicht zu und ergibt sich auch nicht aus seinen Statusrechten aus Art. 38 GG. 351 Der Abgeordnete kann aber u.U. die Einsicht von Regierungsakten außerhalb des Bundestages über die bereits dargestellten besonderen Ausschüsse und Kontrollgremien wahrnehmen. 352
VII. Dienst- und Fachaufsicht Neben der parlamentarischen Kontrolle, der Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten und durch die Rechnungshöfe, findet auch eine exekutivische Bin348
A. A. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 143, der auch auf die Parlamentspraxis hinweist, nach der auch Fragen zur (noch) laufenden Regierungstätigkeit beantwortet werden. 349 Allgemeiner Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 143. 350 Vgl. zum Ganzen: BVerfG, 2 BvE 5/06 vom 1. 7. 2009, Absatz-Nr. 123 ff., abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/es20090701_2bve000506.html (abgerufen am 01. 06. 2010); so auch Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 143. 351 Vgl. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 144; implizit: Achterberg / Schulte, v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 38 Abs. 1 Rn. 90. 352 Der einzelne Abgeordnete hat aber grundsätzlich kein Recht auf Mitgliedschaft in einem bestimmten Ausschuss oder Gremium. Lediglich seine Interessen und Qualifikationen sind zu berücksichtigen, vgl. BVerfGE 44, 308 (316); 80, 188 (226). Selbst einer Fraktion kann das Recht zur Teilnahme eines bestimmten Ausschusses oder Gremiums unter Geheimschutzgesichtspunkten versagt werden, vgl. BVerfGE 70, 324 (363 ff.), a. A. aber mit guten Gründen die abweichenden Voten der Richter Mahrenholz (BVerfGE 70, 324 (366 ff.)) und Böckenförde (BVerfGE 70, 324 (380 ff.)).
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nenkontrolle der Nachrichtendienste statt. Da die Bundes- und Landesverwaltung grundsätzlich hierarchisch aufgebaut ist, kommen der übergeordneten Behörde Aufsichts- und Weisungsbefugnisse 353 zu, die mit einer entsprechenden Gehorsamspflicht der jeweils untergeordneten Behörde korrespondieren. Die Aufsichtsbehörden verfügen zur Ausübung der Aufsichts- und Weisungsbefugnisse insbesondere über einen umfassenden Informationsanspruch, dem auch im nachrichtendienstlichen Bereich weder Geheimhaltungsvorschriften noch Absprachen mit anderen Diensten u.ä. entgegengehalten werden dürfen. 354 Die Befugnisse der übergeordneten Behörden, die grundsätzlich vom Ministerium bis zur untersten Behörde reichen, dienen der Koordinierung und Vereinheitlichung der Verwaltungstätigkeit und der Kontrolle einzelner Behörden. Zudem kann so die demokratische Kontrolle der Exekutive verwirklicht werden, da eine (mittelbare) Kontrolle der Verwaltung durch das Parlament über die Kontrolle der Regierung erfolgt. 355 Die Aufsicht, die die Weisungskompetenz enthält, ist zu unterteilen in Dienstund Fachaufsicht. Die Dienstaufsicht ist die Aufsicht der übergeordneten über die untergeordnete Behörde sowie des Vorgesetzten über den ihm unterstellten Beamten in dienstrechtlichen Angelegenheiten (innere Ordnung, allgemeine Geschäftsführung und Personalangelegenheiten 356). Die Fachaufsicht kontrolliert die Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns der untergeordneten Behörde. Die Aufsichtsarten können auch von verschiedenen Behörden wahrgenommen werden. 357 Bei den Diensten wird die Dienst- und Fachaufsicht jedoch gebündelt ausgeführt: Wie bereits dargestellt, ist der BND dem Bundeskanzleramt unterstellt, 358 vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 BNDG, der MAD dem Bundesministerium der Vertei353 Die Weisungsbefugnisse reichen bis hin zum Selbsteintritt, vgl. für das Innenministerium gegenüber dem Bundesverfassungsschutz: Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 2 BVerfSchG Rn. 11 (auch zu der Grenze des Selbsteintritts). Für den Bereich der Polizei: Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 6 Rn. 14. 354 Vgl. Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 2 BVerfSchG Rn. 12. 355 Vgl. zum Ganzen: Maurer, Verwaltungsrecht, § 22 Rn. 31. 356 Die politischen Beamten in den Diensten, die jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können, beginnen bei den Bundesdiensten ab der Besoldungsstufe B 6, vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 3 BBG. Nach alter Rechtslage war dieses schon ab einer Einstufung A 16 möglich, vgl. auch zur Kritik an dieser Regelung: Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 2 BVerfSchG Rn. 13. In Nordrhein-Westfalen etwa betrifft die entsprechende Regelung nur den Leiter der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung, vgl. § 37 Abs. 1 Nr. 3 nwLBG. 357 Vgl. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 129; Maurer, Verwaltungsrecht, § 22 Rn. 32. 358 Zum sog. Geheimdienstkoordinator, der den Chef des Bundeskanzleramtes bei der Dienst- und Fachaufsicht des BND und bei der Koordinierung der Bundesdienste zu unterstützen hat, siehe umfassend Droste, HbdVS, S. 612 ff.
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digung, vgl. § 1 Abs. 1 MADG, und das BfV dem Bundesinnenministerium, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG. Die Landesverfassungsschutzämter bzw. -abteilungen sind regelmäßig dem jeweiligen Innenministerium zugeordnet. 359 Der einzelne Bürger hat jedoch keinen Anspruch auf das Tätigwerden der Aufsichtsbehörden, da die Regelungen über die Aufsicht objektive Funktionen erfüllen und keinen drittschützenden Charakter haben. D. h. sie dienen nicht auch dem Schutz des Bürgers und vermitteln ihm keinen Anspruch auf Einschreiten. 360 Er kann jedoch ein Tätigwerden anregen, indem er sich formlos über ein Verhalten oder eine Maßnahme der jeweils untergeordneten Behörde, also hier der Dienste, bei der Aufsicht beschwert. Die Beschwerde wird dann je nach Art der Aufsicht als Dienstaufsichtsbeschwerde oder (Fach-)Aufsichtsbeschwerde bezeichnet. 361 Der Beschwerdeführer muss wegen Art. 17 GG jedenfalls über die Art der Erledigung unterrichtet werden. 362 Ob die Behörde dann tätig wird, steht in ihrem Ermessen. 363 Allerdings ist davon bei der Fachaufsicht eine Ausnahme zu machen: Wenn die Aufsichtsbehörde von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns (positiv) weiß, muss sie einschreiten. In einem Rechtsstaat darf nicht sehenden Auges rechtswidrig gehandelt oder rechtswidriges Handeln geduldet werden. 364 Insoweit ist das Ermessen der Aufsichtsbehörde auf Null reduziert.
VIII. Öffentlichkeit und Presse Die Öffentlichkeit, gemeint als die Gesamtheit der Mitglieder der Gesellschaft inklusive der staatlichen Institutionen, ist der entscheidende Wirkungsfaktor der dargestellten Kontrollinstanzen. Dieses gilt insbesondere für die parlamentarische Kontrolle. Ein Skandalenquête etwa ist nahezu wirkungslos, wenn aus der Empörung der Abgeordneten des Untersuchungsausschusses nicht auch die Empörung der Öffentlichkeit wird. Außer in Ausnahmefällen kann nur die Öffentlichkeit den nötigen politischen Druck auf die Entscheidungsträger aufbauen, 359 Exemplarisch § 2 Abs. 1 Satz 2 nwVSG (i.V. m. § 4 Abs. 1 nwLOG, Art. 55 Abs. 2 nwVerf). 360 Vgl. dazu Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 5 Rn. 52 ff. 361 Vgl. Maurer, Verwaltungsrecht, § 22 Rn. 33. 362 Vgl. Evers, Privatsphäre und Verfassungsschutz, S. 274 f.; Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 17 Rn. 9. 363 Als zusätzliches Problem neben der richtigen Ausübung des Ermessens führt Riegel, Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden, S. 171, an, dass vielen Aufsichtsbehörden die nötige Spezialisierung auf dem Gebiet der zu kontrollierenden Behörde fehlt, um die Rechtmäßigkeit der Handlung vollends beurteilen zu können. 364 Vgl. dazu Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 24 Rn. 33, zur Vollstreckung evident rechtswidriger Verwaltungsakte im gestreckten Zwangsverfahren (mit Verweis auf BVerwG, NJW 1984, S. 2591 (2592)).
C. Die Kontrollinstanzen jenseits des gerichtlichen Rechtsschutzes
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der zur Aufklärung und Beseitigung der jeweiligen gegenwärtigen Missstände und zu einer zukünftig besseren Kontrolle führt. Notwendig für die Verbindung zwischen den Kontrollinstanzen und der Gesellschaft ist zweifellos die Presse, die die Informationen zwischen Staat und Gesellschaft transportiert und für die Kontrollinstanzen erst die nötige „Öffentlichkeit herstellt“. Die Presse kann aber auch selbst aktiv werden und Missstände aufdecken, die von den Kontrollinstanzen vorher nicht wahrgenommen wurden. Die von ihr dann erzeugte Öffentlichkeit kann dann wiederum zu einem entsprechenden öffentlichen und politischen Druck auf die Entscheidungsträger führen. In nachrichtendienstlichen Fällen hat die Presse in der Vergangenheit nahezu alle großen Missstände aufgedeckt. Zu nennen wäre hier etwa die sog. Kießling-Affäre 365, die den MAD betraf, die sog. Plutoniumaffäre 366 und aus jüngerer Zeit die Affäre um Khaled el-Masri 367. Die beiden letztgenannten Affären betrafen hauptsächlich den BND. Essentiell für die Aufklärungsarbeit der Presse sind aber immer ein effektiver Informantenschutz und der damit einhergehende Schutz der Journalisten vor strafrechtlicher Verfolgung und entsprechenden strafprozessualen Maßnahmen bei der Aufdeckung von Missständen. Dennoch gab es Fälle, in denen Strafverfahren gegen Journalisten eingeleitet wurden, um „undichte Stellen“ in Sicherheitsbehörden zu schließen. Dazu wurde unter der Konstruktion der Beihilfe zum Geheimnisverrat gemäß §§ 353 b, 27 StGB ein Verfahren gegen die betreffenden Journalisten eingeleitet mit dem Ziel, die Identität des Informanten und damit der „undichten Stelle“ herauszufinden. Da die Journalisten dann Beschuldigte waren, wurde ihnen dadurch der strafprozessuale Schutz vor Zwangsmaßnahmen, etwa gemäß § 97 Abs. 5 StPO, genommen. Ein solcher Fall beschäftigte als sog. Cicero-Fall das Bundesverfassungsgericht. 368 Das Gericht stellte fest, dass es mit dem verfassungsrechtlichen Informantenschutz nicht vereinbar sei, wenn das Ermittlungsverfahren gegen den jeweiligen Journalisten mit dem ausschließlichen oder überwiegenden Ziel eingeleitet wird, auf diese Weise den Informanten festzustellen. Dieses gelte jedenfalls dann, wenn nur die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses vorliege und darüber hinaus keine weiteren spezifischen tatsächlichen Anhaltspunkte für eine bezweckte Veröffentlichung des Dienstgeheimnisses. Die entsprechenden 365
Maßgeblich aufgedeckt vom Nachrichtenmagazin Der Spiegel in seiner Ausgabe 4/1984 vom 30. 01. 1984. 366 Maßgeblich aufgedeckt vom Nachrichtenmagazin Der Spiegel in seinen Ausgaben 15/1995 vom 10. 04. 1999 und 17/1995 vom 24. 04. 1995. 367 Maßgeblich aufgedeckt von der US-amerikanischen Tageszeitung The New York Times in der Ausgabe vom 09. Januar 2005: Van Natta / Mekehnnet: German’s Claim of Kidnapping Brings Investigation of U.S. Link, abrufbar im Internet unter: http://www.nytimes.com/2005/01/09/international/europe/09kidnap.html (abgerufen am 01. 06. 2009). 368 BVerfGE 117, 244 ff.
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1. Teil: Die Entwicklung der Dienste, ihre Kompetenzen und Kontrollen
strafprozessualen Normen seien dementsprechend verfassungskonform auszulegen. 369 Für die strafrechtliche Verfolgung von Geheimnisverrat im nachrichtendienstlichen Bereich gilt diese Rechtsprechung freilich ebenso. Die Nachrichtendienste haben aber auch die Befugnis zur Eigensicherung, vgl. etwa § 2 Abs. 1 Nr. 1 BNDG. Sie erheben damit auch Daten, um den Verrat von Dienstgeheimnissen zu verhindern bzw. aufzuklären, sog. Eigensicherung. Auch Journalisten wurden in der Vergangenheit Ziele von Observationen aus Gründen der Eigensicherung. 370 Durch Observationen und andere nachrichtendienstliche Mittel wird aber in den Schutzbereich der Pressefreiheit eingegriffen. Offene Observationen oder andere Maßnahmen können einschüchternde Wirkung haben oder bestehende bzw. potentielle Informanten abschrecken. 371 Die Grundsätze des Cicero-Urteils dürften also auch auf die Eigensicherung übertragbar sein: Wenn die Nachrichtendienste lediglich aus einer bloßen Veröffentlichung (im Sinne des Cicero-Urteils) von einer „undichten Stelle“ wissen, dürfen sie den jeweiligen Journalisten nicht observieren, nur, um den Informanten zu ermitteln. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit dürfte zudem noch hinzutreten, dass sie erst alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen müssen, um den Informanten im Dienst bzw. mit anderen Mitteln zu identifizieren, bevor sie Maßnahmen gegenüber Journalisten ergreifen.
369
Vgl. BVerfGE 117, 244 (266). Vgl. etwa den Fall des Buchautors Schmidt-Eenboom und eines Focus-Redakteurs, dazu: Ramelsberger, Wissenschaftler und Journalisten beschattet, Abgeordnete werfen BND illegale Aktion vor, in: Süddeutsche Zeitung vom 10. 11. 2005, abrufbar im Internet unter: http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/98/64034/ (abgerufen am 07. 10. 2008); sowie Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs. 16/81, S. 1. 371 Vgl. BVerfGE 117, 244 (259). 370
2. Teil
Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen Die historische Entwicklung zeigt den enormen Zuwachs der Kompetenzen der Nachrichtendienste. Ihnen wurde auch im Laufe der bundesrepublikanischen Geschichte nie ein Weniger, sondern stets ein Mehr an Kompetenzen zugestanden. Das führte schließlich dazu, dass auf dem Boden der Verfassung weitere Instrumente zur noch umfassenderen Informationserhebung kaum denkbar sind. Der erreichte Gipfel der denkbaren Erhebungskompetenzen ist verbunden mit einem erheblichen Eingriffspotenzial in Grundrechte, die insbesondere personenbezogene Daten im Allgemeinen oder in speziellen Lebensbereichen schützen. Die betroffenen Grundrechte verlangen aber nach Durchsetzung, wollen sie nicht wertlos sein. Dazu wurde ein einfach-gesetzliches Rechtsschutzsystem geschaffen, das die Grundrechte und auch einfach-gesetzliche Rechte speziell gegen Maßnahmen der Nachrichtendienste schützen soll. Es wird im ersten Abschnitt dieses Teils der Arbeit vorgestellt. Jede einfach-gesetzliche Regelung muss sich aber an der Verfassung messen lassen. Im zweiten Abschnitt wird daher herausgearbeitet, welche Anforderungen die verfassungsrechtlich verbürgten Justizgewährleistungsrechte an ein Rechtsschutzsystem im Allgemeinen und gegen nachrichtendienstliche Maßnahmen im Besonderen stellen. Dabei steht Art. 19 Abs. 4 GG im Vordergrund. Die darin enthaltene Rechtsweggarantie ist die Zentralnorm für den gerichtlichen Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt, zu denen auch die Nachrichtendienste zählen. Ausgespart werden muss zunächst aber noch der Regelungsgehalt von Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG, der Rechtsschutzanforderungen für ein bestimmtes System des Rechtsschutzes, den parlamentarischen Rechtsschutz, enthält. Diese Form des Rechtsschutzes spielt bei nachrichtendienstlichen Aktivitäten im Bereich des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 GG die entscheidende Rolle und weist Besonderheiten gegenüber dem gerichtlichen Rechtsschutz auf. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG wird daher gesondert im Anschluss vorgestellt. In beiden Bereichen wird nach der Erarbeitung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein Rechtsschutzsystem gegen Nachrichtendienste das bestehende einfach-rechtliche Rechtsschutzsystem auf seine Verfassungskonformität untersucht.
116
2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
1. Abschnitt
System des einfach-gesetzlichen Rechtsschutzes im Recht der Nachrichtendienste Das einfachrechtliche Rechtsschutzsystem gegen nachrichtendienstliche Aktivitäten ist zweigeteilt: Auf der einen Seite steht der gerichtliche Rechtsschutz, der grundsätzlich zur individuellen Kontrolle zur Verfügung steht. Er ist primär in das verwaltungsrechtliche Rechtsschutzsystem eingebettet und enthält vereinzelte Sonderregelungen für Verfahren auf nachrichtendienstlichem Gebiet (dazu unter A.). Auf der anderen Seite steht der parlamentarische Rechtsschutz. Er findet regelmäßig Anwendung bei Maßnahmen, die das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 GG betreffen. In dieser Form des Rechtsschutzes findet die Kontrolle zunächst nicht durch Gerichte statt, sondern durch die sog. G 10-Kommission nach § 15 G 10 und die entsprechenden Kommissionen der Länder, die sämtlich gerichtsähnliche Befugnisse zur Rechtsdurchsetzung besitzen (dazu unter B.). In Anlehnung an die Terminologie des Art. 19 Abs. 4 GG, des G 10 und des Bundesverfassungsgerichts soll der gerichtliche Verfahrensweg auch weiterhin als Rechtsweg im Sinne von Gerichtsweg und der parlamentarische Verfahrensweg allgemein als (parlamentarische) Rechtskontrolle bezeichnet werden. 1
A. Der gerichtliche Rechtsschutz Der gerichtliche Rechtsschutz erfüllt im Gegensatz zu den bereits vorgestellten Kontrollinstanzen zwei Funktionen: Er ermöglicht die unmittelbare und individuelle Durchsetzung subjektiver Rechte gegen nachrichtendienstliche Aktivitäten. Um gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, ist es erforderlich, den Rechtsweg beschreiten zu können. Der Rechtsweg muss mit anderen Worten von den Verfahrensordnungen für Streitgegenstände aus dem nachrichtendienstlichen Bereich eröffnet werden (dazu unter I.). Unabhängig von der Art des Rechtswegs gibt es allerdings sowohl rechtliche, als auch tatsächliche Hindernisse, die insbesondere in nachrichtendienstlichen Fällen immer wieder zum Tragen kommen. Zunächst gibt es rechtlich normierte zeitliche Rechtswegausschlüsse, die zu Verzögerungen des Rechtswegzugangs von verschiedener Dauer führen (II.). Daneben gibt es aber auch tatsächliche Verhinderungen der Rechtswegeröffnung: Um den Rechtsschutz beschreiten zu können, ist es zuvorderst nötig, überhaupt von (heimlichen) Aktivitäten der 1
Vgl. etwa § 13 G 10 bzw. BVerfGE 30, 1 (28); auch BVerfGE 67, 157 (171) zu § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG.
1. Abschn. A. Der gerichtliche Rechtsschutz
117
Nachrichtendienste Kenntnis zu erhalten, die zu einem Rechtsschutzbegehren führen können. Wird das Begehren nicht erzeugt, weil der Betroffene nichts von Aktivitäten der Dienste weiß, ist der Rechtsweg faktisch verschlossen. Wegen des essentiellen Zusammenhangs zwischen Rechtsschutz und Kenntnisnahme entsprechender Maßnahmen werden die Besonderheiten der Ausgestaltung der Kenntnisgewähr im Bereich nachrichtendienstlicher Verfahren im Anschluss dargestellt (III.). Schließlich ist es für einen umfassenden Rechtsschutz auch erforderlich, dass der dem jeweiligen Verfahren zugrunde liegende Sachverhalt hinreichend ermittelt werden kann. Anderenfalls wäre eine richtige rechtliche Würdigung des Rechtsfalls nicht möglich. Im Rahmen der gerichtlichen Beweiserhebung bzw. -sicherung kommt es aber regelmäßig zu Interessenskonflikten zwischen dem Geheimhaltungsinteresse der Dienste auf der einen und dem Aufklärungsinteresse des Betroffenen respektive des Gerichts auf der anderen Seite. Auch in diesem Bereich gibt es Sonderregelungen, die anschließend vorgestellt werden (IV.). Dabei geht es zunächst nur um die Regelungen zur Beweiserhebung als solche mit ihren Erhebungsmöglichkeiten und Versagungstatbeständen. Die prozessualen Folgen der rechtlichen und tatsächlichen Unerreichbarkeit von Beweismitteln sind dem 3. Teil der Arbeit vorbehalten.
I. Eröffnung des Rechtswegs Die Nachrichtendienste sind Teil der öffentlichen Verwaltung. 2 Für den Rechtsweg gegen nachrichtendienstliche Aktivitäten kommt daher der Verwaltungsrechtsweg in Betracht. Die Eröffnung des Rechtswegs ist einfach-gesetzlich unter den Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO gewährleistet. Danach ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art eröffnet, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz oder gemäß Satz 2 für den Bereich des Landesrechts durch Landesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Eine Streitigkeit nach dieser Norm ist dann öffentlich-rechtlich, wenn sie aus einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung entstehen, aber auch, wenn die streitentscheidende Norm öffentlich-rechtlich ist. 3 Vorweggenommen werden soll hier, dass diese Voraussetzungen bei Streitigkeiten gegen Aktivitäten der Nachrichtendienste grundsätzlich gegeben sind. Ausnahmsweise sind Sonderzuweisungen an die ordentliche Gerichtsbarkeit im Rahmen des FGG vorgesehen, vgl. etwa § 9 Abs. 2 Satz 6 BVerfSchG. Zusammenfassend bleibt aber festzustellen, dass der Rechtsschutz gegen die Nachrichtendienste in das allgemeine Rechtsschutz-
2 3
Vgl. Hirsch, Die Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 122. Vgl. insbesondere GSOGB 1/88, BGHZ 108, 284 f.
118
2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
system eingebettet ist und darin der Verwaltungsrechtsweg regelmäßig eröffnet ist. 4 Mit der Mannigfaltigkeit nachrichtendienstlichen Handelns korrespondiert allerdings eine Vielzahl möglicher Gerichtsprozesse aus unterschiedlichen Rechtsbereichen, für die gegebenenfalls auch die übrigen Rechtswege beschritten werden müssen. Zu diesen Prozessen gehören etwa der arbeitsgerichtliche Prozess im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen, 5 der Strafprozess aufgrund von Erkenntnissen der Nachrichtendienste 6, der Amtshaftungsprozess insbesondere bei deliktischem Handeln der Dienste 7 oder der Schadensersatzprozess wegen Verletzungen von gesetzlichen Datenschutzbestimmungen nach § 7 BDSG 8. Auch der Rechtsschutz durch diese Prozesse mit ihren jeweiligen Rechtswegen ist für den Betroffenen essentiell, da gerade in einem Strafprozess und einem arbeitsgerichtlichen Prozess etc. die Wirkung nachrichtendienstlicher Tätigkeit für den Betroffenen (durch Verlust der Freiheit, des Arbeitsplatzes, der gesellschaftlichen Stellung etc.) besonders belastend ist und existentielle Wirkungen entfalten kann. Bei den beiden erstgenannten Prozessen geht es aber meist um Rechtsschutz gegen andere Behörden oder private Dritte, wobei die streitgegenständlichen Handlungen durch nachrichtendienstliche Aktivitäten (mit-)verursacht wurden. In diesen Fällen wird dann Rechtsschutz ermöglicht, der aber nur mittelbar gegen Nachrichtendienste wirkt. Die übrigen Prozesse, der Amtshaftungs- oder Schadensersatzprozess, sind zwar direkt gegen die Nachrichtendienste gerichtet, allerdings gewähren sie nur sog. Sekundärrechtsschutz, der im Gegensatz zum Primärrechtsschutz nicht der Abwehr von Rechtsverletzungen dient, sondern nur dem finanziellen Ausgleich für die gleichwohl erfolgte Rechtsverletzung. 9 Die Klagen auf dem Verwaltungsgerichtsweg gewährt aber Primärrechtsschutz, der regelmäßig unmittelbar gegen nachrichtendienstliche Aktivitäten gerichtet ist. Er steht somit im Mittelpunkt gerichtlichen Rechtsschutzes gegen Nachrichtendienste. Da es in der folgenden Darstellung zunächst nur darauf ankommt, dass überhaupt geklagt werden kann, 4
Vgl. auch Droste, HbdVS, S. 602; Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 125. Vgl. etwa BAG, NJW 1984, 324 ff. 6 Vgl. etwa BGH, NStZ 1981, 270; dazu BayObLG München, 16. Mai 1980, Az: 3 St 11/79 (nicht veröffentlicht); auch der Beschluss über die gegen die Entscheidung des BGH erhobene Verfassungsbeschwerde in BVerfGE 57, 250 ff. (der Beschluss über den einschlägigen Antrag auf einstweilige Anordnung findet sich in BVerfGE 56, 396 ff.). 7 Vgl. OLG München, OLGR München 2006, 486 f.; Hirsch, Kontrolle der Dienste, S. 125. 8 Vgl. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 126. 9 Vgl. Maurer, Verwaltungsrecht, § 26 Rn. 32. Er kann aber kumulativ geboten sein, vgl. dazu jüngst das BVerfG, Urteil 1 BvR 256/08 vom 2. 3. 2010, Absatz-Nr. 253, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608 .html (abgerufen am 01. 06. 2010). 5
1. Abschn. A. Der gerichtliche Rechtsschutz
119
und noch nicht, welches Gericht nun im jeweiligen Einzelfall anzurufen ist, wird vom Verwaltungsrechtsweg ausgegangen. Die Besonderheiten der anderen Rechtswege werden dabei einbezogen, soweit es für die vorliegende Fragestellung zweckmäßig ist.
II. Suspendierung des Rechtswegs Der nach allgemeinen Prozessnormen, also insbesondere nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnete Rechtsweg greift zwar generell für Maßnahmen der Nachrichtendienste. Für die Anordnung und Durchführung bestimmter Maßnahmen, die in den Bereich des G 10 fallen, wird der Rechtsweg jedoch ausnahmsweise zeitlich ausgeschlossen bzw. im Ergebnis suspendiert. 10 D. h. auch bei diesen Maßnahmen wäre der Verwaltungsrechtsweg durchaus nach den Voraussetzungen des § 40 VwGO eröffnet, gäbe es nicht eine Spezialregelung im Nachrichtendienstrecht. Das G 10 bestimmt in § 13 11, dass der Rechtsweg gegen die Anordnung von bestimmten Beschränkungsmaßnahmen und ihren Vollzug vor der Mitteilung über die Maßnahme an den Betroffenen nicht zulässig ist. Zuständig für die Mitteilung ist die G 10-Kommission, vgl. § 12 G 10. Erfährt der Betroffene auf anderem Wege, etwa durch Indiskretion des Dienstes o.ä., von der Maßnahme, wird vertreten, dass der Rechtsweg bis zur offiziellen Mitteilung dennoch suspendiert bleibt. § 13 G 10 wäre dann im Ergebnis eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung. 12 § 13 G 10 hat aber nur einen eingeschränkten Anwendungsbereich: Für den Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Individualkontrolle gemäß § 3 G 10 ist der Rechtsweg zwar im vollen Umfange suspendiert, für Maßnahmen der strategischen Kontrolle nach § 5 aber nur bezüglich der Kontrollen, die sich nach Satz 3 Nr. 1 auf die Abwehr von der Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland beziehen. Für den gesamten Bereich der strategischen Kontrolle der organisierten Kriminalität nach den Nr. 2 bis 6 (zukünftig auch Nr. 7 betreffend die Schleuserkriminalität) greift der Rechtswegausschluss daher nicht. 13 Der gerichtliche Rechtsweg bleibt im Umkehrschluss eröffnet. 14 Zudem spricht § 13 G 10 nur von der Anordnung und dem Vollzug der bezeichneten Maßnahmen. Dazu gehört also nur die Informationserhebung und 10 Bei der Schaffung des G 10 von 1968 war der Rechtsweg noch gänzlich ausgeschlossen (vgl. BGBl. I S. 949). Dieses wurde erst durch Gesetz vom 13. September 1978 geändert (vgl. BGBl. I S. 1546). 11 § 13 G 10 ersetzt seit 2001 die alten § 5 Abs. 5 und § 9 Abs. 6 G 10, deren Regelung bisher „schwer verständlich“ waren, vgl. BT-Drs. 14/5655, S. 25. 12 Vgl. Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, B § 5 Rn. 16. 13 Vgl. auch BT-Drs. 14/5655, S. 25; Kaysers, AöR 129 (2004), S. 121 (132 f.). 14 Vgl. Kaysers, AöR 129 (2004), S. 121 (132).
120
2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
-speicherung gemäß §§ 3, 5 i.V. m. § 1 Abs. 1 HS. 2 G 10. Die Datenübermittlung ist in §§ 4 Abs. 4, 7 G 10 geregelt, von denen § 13 G 10 nicht spricht. 15 Auch betrifft der Rechtswegausschluss nur die Fachgerichtsbarkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat für die strategische Kontrolle die Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG für zulässig erklärt, wenn der Betroffene darlegt, „mit einiger Wahrscheinlichkeit“ durch die Anordnung der Kontrollmaßnahme in seinen Grundrechten verletzt zu sein. Das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG greife dabei nicht ein, da die parlamentarische Rechtskontrolle vor der rechtswegeröffnenden Mitteilung kein Rechtsweg im Sinne des BVerfGG sei. 16 Da im angesprochenen verfassungsgerichtlichen Verfahren zwar die strategische Kontrolle Streitgegenstand war, das Gericht seine Ausführungen aber allgemein zur Frage der Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden im G 10-Bereich gemacht hat, spricht alles dafür, die Grundsätze auch auf die Individualkontrolle zu übertragen. 17 Ebenso sperrt der Rechtswegausschluss auch nicht den Gang zu den Landesverfassungsgerichten, zu denen eine Individualverfassungsbeschwerde statthaft ist. Zwar könnte man meinen, das G 10 als Bundesgesetz schlägt die Rechtswegeröffnung in den jeweiligen Verfahrensgesetzen gemäß Art. 31 GG. Allerdings hat der Bund keine Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet der Landesverfassungsgerichtsbarkeit, auch nicht über Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. 18 Es kommt daher zu keiner Kollision zwischen dem Rechtswegausschluss im G 10 und den Verfahrenseröffnungen in den Landesverfahrensgesetzen. Die Eröffnungen in den Verfahrensgesetzen bleiben gültig. Wenn die Verfassungsgerichte den Rechtsweg demnach als eröffnet ansehen, steht § 13 G 10 dem nicht entgegen. Weiter ist noch die Frage der Fernwirkung von § 13 G 10 bedeutsam. Sie wird grundsätzlich dort relevant, wo es um die Überprüfung von Maßnahmen anderer Sicherheitsbehörden geht, die auf einer Datenübermittlung durch die Dienste beruhen. Wenn die Daten aus einer Individualkontrolle oder einer von § 13 G 10 umfassten strategischen Kontrolle stammen und eine Mitteilung nach § 12 G 10 noch nicht erfolgt ist, darf dann in einem gerichtlichen Verfahren gegen die Maßnahmen der anderen Sicherheitsbehörden inzidenter die G 10-Maßnahme überprüft werden? Im Gegensatz zur Datenübermittlung sind die Datenerhebung und -verarbeitung von § 13 G 10 umfasst. Es muss daher ebenso die Frage aufgeworfen werden, ob die Erhebung und Speicherung inzidenter überprüft werden darf, wenn in einem gerichtlichen Verfahren die Rechtmäßigkeit der Datenübermittlung untersucht wird. Vereinzelt wird in der Literatur gefordert, 15 16 17 18
Vgl. auch Riegel, G 10, § 5 Rn. 35; Rieger, DVBl. 1983 S. 1050 (1051). Vgl. BVerfGE 67, 157 (169 ff.). So Riegel, G 10, G 10 § 5 Rn. 35. Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 74 Rn. 8 m.w. N.
1. Abschn. A. Der gerichtliche Rechtsschutz
121
die Maßnahmen nach dem G 10 hätten bis zur Mitteilung Tatbestandswirkung für die gerichtliche Kontrolle. Dieses gelte auch für die Inzidentkontrolle. 19 Da Tatbestandswirkung bedeutet, dass ein bestimmter (rechtswirksamer) staatlicher Akt von allen Staatsorganen zu beachten ist und bei ihrer Entscheidung als „Tatbestand“ zugrunde zu legen ist, 20 ist nach dieser Ansicht eine Inzidentkontrolle ausgeschlossen. Die auf die G 10-Maßnahme aufbauende Maßnahme wäre insoweit als rechtmäßig zu betrachten. Ein Ausschluss der Inzidentkontrolle wird von anderen Teilen der Literatur mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG jedoch für verfassungswidrig gehalten. § 13 G 10 müsse als Ausnahmevorschrift eng ausgelegt werden, Art. 19 Abs. 4 GG fordere eine umfassende gerichtliche Kontrolle der Maßnahmen anderer Sicherheitsbehörden. 21 Somit wäre eine Inzidentkontrolle der Maßnahmen nach G 10 möglich, obwohl sie noch der Kontrolle der G 10-Kommission unterliegen. Die Rechtsprechung hat diese Frage bisher offen gelassen. 22 Die abschließende Klärung dieser Frage erfordert jedoch die umfassende Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG und erfolgt im 2. Abschnitt. Schließlich ist im vorliegenden Zusammenhang noch auf eine singuläre Vorschrift über die Rechtswegeröffnung im Landesrecht hinzuweisen. Nach § 5a Abs. 12 Satz 1 sächsVSG können Betroffene nach Erledigung eines Lauschangriffs binnen vier Wochen nach ihrer Benachrichtigung die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung sowie der Art und Weise des Vollzugs beantragen und nach Satz 3 ggf. gegen die Entscheidung sofortige Beschwerde erheben. Das Landesrecht weist gemäß § 5a Abs. 8 Satz 1, Abs. 12 Satz 2 sächsVSG den Rechtsschutz der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu und erklärt gemäß Abs. 8 Satz 3 das FGG für das Verfahren anwendbar. Die Sonderzuweisung ist zwar sowohl nach § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO als auch nach § 1 FGG zulässig. 23 Allerdings hat das Landesrecht zusätzlich zur Zuweisung eine eigene Frist- und Rechtsmittelbestimmung für die gerichtliche Überprüfung des Lauschangriffs getroffen. Das Bundesgesetz lässt in § 200 dagegen nur Bestimmungen zur Ergänzung und Ausführung des FGG zu. 24 § 22 19
Vgl. Arndt, G 10-Verfahren, S. 61. Vgl. Maurer, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 8 (zum Verwaltungsakt). 21 Vgl. Riegel, G 10, G 10 § 5 Rn. 36 f.; im Ergebnis, Rieger, DVBl. 1983, S. 1050 (1052 f.). 22 Vgl. BGHSt 29, 244 (246); NJW 1990, 1799 f. Eine mittelbare Kontrolle hat allerdings das OLG Köln, NJW 1979, S. 1216 f. bejaht. Aus der Entscheidung geht jedoch nicht hervor, ob bereits eine Mitteilung erfolgt ist. 23 Für die letztere Vorschrift vergleiche: Bumiller / Winkler, FGG, § 1 Rn. 1. Allgemein zur Zulässigkeit entsprechender Verweisungen im Recht der Sicherheitsbehörden: Rachor, HbdPolR, K Rn. 39. 24 Vgl. Bumiller / Winkler, FGG, § 189 und § 200. 20
122
2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Abs. 1 FGG enthält aber eine Vorschrift über die Beschwerdefrist und in den §§ 21 f., 27, 29 FGG Regelungen über die sofortige Beschwerde und die weitere sofortige Beschwerde. Die Regelungen im sächsVSG sind demnach nicht ergänzend oder ausführend, sondern wären ersetzend. Da das Bundesgesetz jedoch keine Abweichungen zulässt, sind seine Regelungen abschließend. Der Bund hat auch nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die Kompetenz zum Erlass von Verfahrensvorschriften im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung. Ein Landesgesetz, das eigene Verfahrensbestimmungen enthält, obwohl der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht auf dem Gebiet des Gerichtsverfahrens abschließend Gebrauch gemacht hat, ist jedoch kompetenzwidrig. 25 Die diesbezüglichen Regelungen im sächsVSG sind daher schon formell verfassungswidrig und bedürfen im Folgenden keiner weiteren Würdigung.
III. Kenntnisgewähr Um Rechtsschutz gegen nachrichtendienstliche Maßnahmen in Anspruch nehmen zu können, muss der jeweilige Betroffene zunächst über die nachrichtendienstlichen Maßnahmen Informationen erhalten. Der Betroffene muss mit anderen Worten entsprechende Kenntnis nehmen können bzw. die Nachrichtendienste müssten ihm korrespondierend dazu Kenntnis gewähren. Als Instrumente der Kenntnisnahme respektive Kenntnisgewähr kommen zum einen Informationsansprüche und zum anderen Unterrichtungspflichten, auch Benachrichtigungsoder Mitteilungspflichten genannt, in Betracht. 26 Informationsansprüche vermitteln insbesondere dem vermeintlich Betroffenen das Recht, aktiv darüber Kenntnis zu erlangen, ob er von einer Maßnahme betroffen ist und was die Behörden über ihn wissen. Die Initiative geht insoweit von dem vermeintlich Betroffenen als Informationsnachfrager aus. 27 Die Informationsansprüche lassen sich weiter in Auskunftserteilungsrechte (Auskunftsansprüche) und Einsichtsrechte unterteilen. 28 Mittels Auskunftsansprüchen kann der Betroffene jederzeit und unabhängig von einem förmlichen Verwaltungsverfahren allgemein die Informationsbasis der datenverarbeitenden Stelle in Erfahrung bringen, soweit seine personenbezogenen Daten betroffen sind. 29 Die datenver25 Vgl. zu landesrechtlichen Regelungen auf dem Gebiet der VwGO: BVerfG, NJW 1967, S. 435 ff.; NJW 1967, S. 1019 f. 26 Teilweise werden Informationsansprüche und Unterrichtungspflichten auch unter Informationsrechte zusammengefasst, vgl. Lodde, Informationsrechte, S. 7 ff. 27 Vgl. Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 2; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 1. 28 Vgl. allgemein: Erichsen, Jura 1993, S. 180; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 2; wohl auch Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 3. Soweit es auf Akteneinsichtsrechte nicht ankommt, werden die Begriffe „Auskunftsanspruch“ und „Informationsanspruch“ in der Literatur auch synonym verwandt, vgl. etwa Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 15 Rn. 73. 29 Vgl. Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 2.
1. Abschn. A. Der gerichtliche Rechtsschutz
123
arbeitende Stelle muss ihm dazu die entsprechenden Informationen in einer ermessensfehlerfreien Form mitteilen. 30 Mittels Einsichtsrechten kann er die ihn betreffenden Akten und Registereinträge einsehen, sofern solche angelegt wurden. Insbesondere die Akten enthalten umfangreiche Informationen und sind in einem etwaigen förmlichen Gerichts- oder Verwaltungsverfahren die zentralen Quellen des wesentlichen „Verfahrensstoffs“. 31 Beide Arten des Informationsanspruchs sind aber nicht immer sauber voneinander zu trennen: Da die Form der Auskunftserteilung im Ermessen der datenverarbeitenden Stelle liegt, ist eine Auskunftsgewährung auch durch Akteneinsicht denkbar. 32 Im vorliegenden Zusammenhang ist eine weitere Einteilung der Informationsansprüche in nicht-prozessuale und prozessuale Ansprüche sinnvoll: Die nichtprozessualen Informationsansprüche sind grundsätzlich für Betroffene einschlägig, die Adressaten von staatlicher Verarbeitung personenbezogener Daten sind, auch wenn die Daten nicht in einem förmlichen staatlichen Verfahren erhoben bzw. in ein solches eingeführt wurden. Die prozessualen Informationsansprüche sind für die Betroffenen als Verfahrensbeteiligte in einem förmlichen staatlichen Verfahren (also Verwaltungsverfahren oder gerichtlichem Verfahren) einschlägig. 33 Unterrichtungspflichten verpflichten hingegen die Behörde, von sich aus den Betroffenen über eine Maßnahme zu informieren und die heimliche Maßnahme dadurch offenzulegen. 34 Hier geht die Initiative von der Behörde aus. Sie ist verpflichtet, dem Betroffenen Kenntnis zu gewähren. Die dargestellten Rechte und Pflichten der Kenntnisgewähr wurden einfachgesetzlich sowohl im Bundesrecht als auch im Recht der Länder normiert. Die geschaffenen Formen der Kenntnisgewähr werden im Folgenden in den erarbeiteten Unterteilungen dargestellt, wobei jeweils zunächst die Normen des Bundes und schließlich diejenigen der Bundesländer herangezogen werden. Zwar besteht gegenüber den Nachrichtendiensten stets eine einfach-gesetzlich ausgestaltete Kenntnisgewähr, die entsprechenden Gesetze kennen aber alle Versagenstatbestände und Ausnahmen, die jedenfalls im nachrichtendienstlichen Bereich im Wesentlichen gleich sind. Sie dienen zum einen dem öffentlichen Interesse und schützen die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der Behörde, die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere das Wohl des Bundes und 30
Vgl. Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 15. Vgl. Lodde, Informationsrechte, S. 13. 32 Vgl. Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 15; Krieger, Behördliche Auskunft, S. 31; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 118, 123. 33 Vgl. Lodde, Informationsrechte, S. 7. 34 Vgl. Gola / Schomerus, § 19a Rn. 1; Mallmann, Simitis, § 19a Rn. 1 ff.; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 15 Rn. 72. 31
124
2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
der Länder, oder das Amtsgeheimnis bzw. das Staatsgeheimnis allgemein (Daten, die nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig sind). Zum anderen dienen die Versagungstatbestände dem Schutz der Interessen privater Dritter (Geheimhaltung wegen überwiegend schutzwürdiger Interessen Dritter). Wenn sie im Folgenden zum ersten Mal auftauchen, wird ihre Definition in Rechtsprechung und Literatur vorgestellt. Im Weiteren sei dann auf diese erste Definition verwiesen, sofern ein Informationsanspruch nicht ausnahmsweise abweichende Regelungen vorsieht. Im Ergebnis ist bei vielen Normen, die Kenntnis gewähren, zusätzlich zum Vorliegen eines Versagungstatbestandes einfachgesetzlich eine Abwägung zwischen dem mit den in den Tatbeständen genannten Gütern öffentlichen Interesses bzw. Interesses Dritter und dem Interesse des Betroffenen an Auskunft explizit vorzunehmen. Wie noch gezeigt werden wird, ist die Auskunft von geheimen Maßnahmen aber auch grundrechtlich garantiert. Da es sich bei den Versagensgründen um generalklauselartige Tatbestände handelt, kommt einer etwaigen verfassungskonformen Auslegung ein großes Gewicht zu. Insbesondere bei der vorzunehmenden Güterabwägung wird sie entscheidend sein, da hinter den Versagenstatbeständen und Kenntnisgewährrechten Verfassungsgüter stehen, die miteinander kollidieren. Insbesondere die Kriterien für die Vornahme der Abwägung können aber erst nach der Erarbeitung der verfassungsrechtlichen Lage ermittelt werden. Die Vorstellung der Tatbestände wird im Folgenden zunächst auf diejenigen Erkenntnisse beschränkt, die das einfach-gesetzliche System allein bietet. 1. Nach Normen des Bundes a) Nicht-prozessuale Informationsansprüche Mit den nicht-prozessualen Informationsrechten kann der von der Verarbeitung personenbezogener Daten Betroffene jederzeit und unabhängig von einem förmlichen Verwaltungsverfahren Informationen über die Datenverarbeitung erlangen. Zentralnorm für die Bundesdienste ist § 15 BVerfSchG. Dieser regelt das Auskunftsrecht des Betroffenen gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz. § 7 BNDG und § 9 MADG verweisen für die übrigen Bundesdienste auf § 15 BVerfSchG ohne weitere Voraussetzungen aufzustellen, so dass die folgenden Ausführungen zu dieser Norm entsprechend für MAD und BND gelten. Neben dem speziell für die Bundesdienste geschaffenen § 15 BVerfSchG kommt noch § 19 BDSG in Betracht. Auch er gilt unabhängig von einem Verwaltungsverfahren und regelt das Auskunftsrecht allgemein für datenverarbeitende Stellen im Sinne des BDSG. Für nachrichtendienstliche Sachverhalte ist weiter der Auskunftsanspruch nach § 39 Abs. 1 StVG relevant, der im Anschluss an § 19 BDSG vorgestellt wird. Er ermöglicht die sog. Halterauskunft. Die Relevanz für die vorliegende Arbeit
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scheint wegen der unterschiedlichen Materie, Straßenverkehrsrecht auf der einen Seite und Nachrichtendienstrecht auf der anderen, nicht sofort eingängig. Klar wird sie jedoch, wenn man bedenkt, dass Observationen oft vom Auto aus durchgeführt werden. Wenn ein Betroffener herausfinden möchte, wer ihn beschattet bzw. auf wen das Auto zugelassen ist, das über einen längeren Zeitraum vor seinem Haus parkt, ist eine Halterauskunft die einzige Möglichkeit auf Antwort. Nur durch Kenntnis der observierenden Behörde, kann der entsprechende Rechtsweg beschritten werden. In der Praxis kam es daher immer wieder zu Klagen auf Auskunft, wobei es in der Natur der Sache lag, dass nach dem Sachverhalt nicht klar war, welche Behörde o.ä. observierte. 35 Schließlich werden noch vereinzelte Informationsrechte zusammengefasst dargestellt, die in nachrichtendienstlichen Sachverhalten relevant werden können, allerdings entweder nicht jedermann zustehen, sondern nur bestimmten Personengruppen (Beamte, Soldaten), oder Archiveinsicht ermöglichen (Stasiunterlagen, Bundesarchiv) und damit im Regelfall nicht mehr für die Inanspruchnahme von Rechtsschutz, etwa wegen Verjährung von Ansprüchen etc., in Betracht kommen. aa) Auskunftsanspruch nach § 15 BVerfSchG, § 7 BNDG, § 9 MADG (1) Allgemeines § 15 BVerfSchG regelt seit 1990 36 den Auskunftsanspruch gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz respektive gegen den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst. Der Anspruch ist als Surrogat der regelmäßig fehlenden Bekanntgabe von Grundrechtseingriffen konzipiert. 37 Er gibt nach ihrer gesetzlichen Konzeption aber keinen Anspruch auf Einsicht in (operative) Akten der Dienste. 38 Die Bestimmung löste die frühere Regelung des § 13 BDSG von 1977 39 ab, die den Auskunftsanspruch allgemein gegen Personendaten verarbeitende Stellen regelte. Er war zwar für Verfassungsschutzbehörden aufgrund einer Sonderregelung in Abs. 2 i.V. m. § 12 Abs. 2 Nr. 1 BDSG nicht direkt anwendbar, führte aber nach allgemeiner Ansicht, teils gewohnheitsrechtlich begründet, teils im Umkehrschluss aus § 13 Abs. 2 i.V. m. §§ 13 Abs. 1, 35 Vgl. BVerwGE 74, 115 ff.; CR 1986, S. 497 ff.; NJW 1986, 2331 f.; VGH BW, VBlBW 1984, S. 212 ff.; NJW 1984, S. 1911 ff.; OVG Rhl.-Pf., NJW 1984, S. 1914 f. 36 Eingeführt durch Art. 2 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970). 37 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 190 f. 38 Vgl. BVerwG, NJW 2008, S. 1398 f.; Droste, HbdVS, S. 603. 39 Gesetz zum Schutz vor Missbrauch personenbezogener Daten bei der Datenverarbeitung (Bundesdatenschutzgesetz) vom 27. Januar 1977 (BGBl. I S. 201).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
12 Abs. 2 Nr. 1 BDSG, zu einem Auskunftsanspruch nach Ermessen der Verfassungsschutzbehörde. 40 Zwar weist auch das das BDSG 1977 grundlegend novellierende und bis heute gültige BDSG 1990 41 einen allgemeinen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch auf, vgl. § 19 BDSG 1990, allerdings wurde vor dem Hintergrund des § 15 BVerfSchG in § 27 BVerfSchG diese datenschutzrechtliche Bestimmung insoweit eingeschränkt, als dass sie bei der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben durch das Bundesamt keine Anwendung findet. 42 In der Regel bleibt damit für ein Auskunftsgesuch gegen Nachrichtendienste § 15 BVerfSchG die zentrale Norm. Der Auskunftsanspruch in § 15 BVerfSchG sucht einen Ausgleich zwischen den Interessen des Einzelnen und denen des Verfassungsschutzes, namentlich im Hinblick auf die sog. Ausforschungsgefahr, herzustellen. Ausforschungsgefahr meint, der Bürger könnte durch Auskünfte den Kenntnisstand des Verfassungsschutzes ausforschen und mittelbar Kenntnisse über Arbeitsmittel und -methoden erlangen. 43 § 15 BVerfSchG enthält sowohl materielle Regelungen zum Auskunftsrecht und seine Grenzen als auch formelle Regelungen hinsichtlich der Begründungspflicht bei Ablehnung von Auskunftsbegehren. Er verpflichtet in seinem Abs. 1 das BfV, dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten grundsätzlich auf Antrag unentgeltlich Auskunft zu erteilen. Abs. 2 stellt in seinem Satz 1 jedoch mehrere enumerierte Tatbestände auf, die bei Vorliegen dazu führen, dass eine Auskunftserteilung unterbleibt. Die Entscheidung auf Auskunftsversagung trifft nach Satz 2 der jeweilige Behördenleiter bzw. ein von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. Sofern die Ausschlussgründe des Abs. 2 nicht vorliegen, trifft Abs. 3 jedoch Einschränkungen hinsichtlich des Umfanges, die jedenfalls beachtet werden müssen. Abs. 4 schließlich trifft Regelungen zum 40
Vgl. umfangreiche Nachweise zur alten Rechtslage in BVerwGE 84, 375 (386 f.); vgl. auch BVerfG, NVwZ 2001, S. 185, sowie Gusy, Richterliche Kontrolle I, S. 74; Kniesel, Datenschutz für Sicherheitsbehörden, Rn. 826. 41 Novelliert durch Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954). 42 Nach dem Regierungsentwurf sollte auch weiterhin das BDSG 1990 die Auskunftsansprüche gegen die Nachrichtendienste regeln. Dafür war ein allgemeiner und für die Dienste lediglich ermessensabhängiger Auskunftsanspruch (dort noch § 17 BDSG-E) enthalten. Das BVerfSchG enthielt zunächst keinen eigenen Auskunftsanspruch, vgl. BTDrs. 11/4306, S. 10 f., 30 und § 24 BDSG-E. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde dann aber ein datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch, vgl. BT-Drs. 11/7235, S. 30, und die dargestellte Konstruktion des § 15 bzw. § 27 BVerfSchG geschaffen, vgl. BTDrs. 11/7235, S. 61 f., 70, 102. Selbst wenn es §§ 15, 27 BVerfSchG nicht gäbe, weist der dann anwendbare heutige § 19 BDSG keinen Ermessensspielraum mehr auf. Darüber hinaus weisen auch die Ablehnungsgründe in Abs. 4, die bei den anderen Sicherheitsbehörden heute Anwendung finden, keinen Beurteilungsspielraum mehr auf, vgl. zur Auslegung dieser Norm bei den übrigen Sicherheitsbehörden: BVerwGE 89, 14 (17). 43 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 190; Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 110.
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Begründungsumfang einer den Antrag auf Auskunft ablehnenden Entscheidung und normiert zudem die Möglichkeit der stellvertretenden Begründung gegenüber dem Bundesdatenschutzbeauftragten. Letztere Möglichkeit wurde bereits bei der Vorstellung der Datenschutzbeauftragten besprochen. 44 (2) Voraussetzungen, § 15 Abs. 1 BVerfSchG Nach § 15 Abs. 1 BVerfSchG hat das Bundesamt dem Betroffenen die Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten auf Antrag unentgeltlich zu erteilen. 45 Über die Form des Antrages trifft Abs. 1 keine Regelungen. Wie im Datenschutzrecht üblich, kann der Antrag daher schriftlich oder mündlich, auch telefonisch gestellt werden. 46 Allerdings stellt Abs. 1 hinsichtlich der inhaltlichen Begründung Voraussetzungen auf: Danach muss der Betroffene auf einen konkreten Sachverhalt hinweisen und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegen. Insoweit besteht nur die Pflicht zur Auskunftserteilung. Die Auskunft bezieht sich bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen auf zur Person des Antragsstellers gespeicherten Daten. Systematisch wird dieses Tatbestandsmerkmal mit § 3 Abs. 1 BDSG ausgelegt. 47 Für die Auslegung mit dem BDSG spricht regelmäßig die dargestellte Entstehungsgeschichte des § 15 BVerfSchG, der als spezialgesetzliches Pendant im Gesetzgebungsverfahren für § 19 BDSG (§ 17 BDSG-E) eingefügt wurde. Nach § 3 Abs. 1 BDSG sind die zur Person gespeicherten Daten bzw. personenbezogenen Daten 48 Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener). Im Unterschied zum § 13 BDSG 1977 macht das BDSG 1990 keinen Unterschied mehr zwischen in Akten gespeicherte Daten und Daten in elektronischen Dateien. Der Auskunftsanspruch nach dem BDSG ist nicht mehr auf letztere beschränkt. 49 Gleiches gilt mangels gegenteiligen Hinweisen auch für § 15 BVerfSchG. 50 Darüber hinaus gilt aufgrund 44
Siehe oben unter 1. Teil C. I. 1. Bei den sog. Projektdateien muss die Auskunft jedoch im Einvernehmen mit der jeweiligen Behörde erteilt werden, die die jeweilige datenschutzrechtliche Verantwortung für die Projektdatei trägt, vgl. § 22a Abs. 3 BVerfSchG und § 9a Abs. 3 i.V. m. § 7 BNDG. 46 Allerdings muss sich die Auskunftserteilende Stelle von der Identität des Antragsstellers überzeugen, vgl. Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 13 f.; Mallmann, Simitis, § 19 BDSG Rn. 32. Auch der Antrag eines Bevollmächtigten ist zulässig, vgl. Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 34. 47 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 191. 48 Das BDSG verwendet die beiden Ausdrücke synonym, vgl. Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 4; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 11, jeweils zu § 19 BDSG. 49 Vgl. Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 11. 50 Vgl. umfassend BVerwG, NVwZ 2008, S. 580 (581 f.) (zu § 7 BNDG) mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte; sowie Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 191. 45
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
des ausdrücklichen Ausschlusses gemäß § 27 BVerfSchG nicht die Einschränkung für automatisierte Dateien nach § 3 Abs. 2 BDSG. Schließlich genügt die Speicherung auch beim Dienst, d. h. die betroffene Datei muss nicht von ihm angelegt worden sein. Unerheblich ist auch, ob die Daten aus eigener Informationserhebung der Verfassungsschützer stammen oder von anderen öffentlich oder privaten Stellen. 51 Das zusätzliche Tatbestandsmerkmal „Betroffener“ in § 15 Abs. 1 BVerfSchG und in § 3 Abs. 1 BDSG ist denkbar weit: Bei den Personen kommt es weder auf Nationalität oder Wohnsitz noch auf Geschäftsfähigkeit 52 oder sonstige besondere Voraussetzungen an. Allerdings kann eine Auskunft zu anderen Personen nicht erhalten werden. 53 Weisen die Dateien jedoch einen sog. Doppelbezug auf, betreffen sie also mehrere Personen gleichzeitig, liegt die Betroffeneneigenschaft des Anfragenden vor. 54 Sind diese allgemeinen Voraussetzungen gegeben, müssen jedoch noch die genannten Begründungserfordernisse des Hinweises auf einen konkreten Sachverhalt und der Darlegung eines besonderen Interesses an der Auskunftserteilung erfüllt sein, die das BDSG nicht kennt. Das einschränkende Tatbestandsmerkmal „konkrete[r] Sachverhalt“ meint, dass kein unspezifischer Auskunftsantrag gestellt werden darf, sondern genaue Angaben auf das vorhandene Datenmaterial gemacht werden müssen, die zu einem konkreten Lebenssachverhalt gehören. 55 Es darf z. B. nicht pauschal ein Beobachtungsfeld des Nachrichtendienstes benannt werden. 56 Das Tatbestandsmerkmal schränkt dabei nicht nur generell die Auskunft ein, sondern grenzt nach dem Wortlaut des Abs. 1 („hierzu“) auch den Umfang des Auskunftsanspruches auf den Sachverhaltsvortrag ein. 57 Die Voraussetzung des konkreten Sachverhaltsvortrages ist die zentrale Ausprägung des Schutzes nachrichtendienstlicher Daten gegen die sog. Ausforschungsgefahr. 58 Sie war schon früher von der Rechtsprechung als entgegenstehendes Interesse anerkannt und ist vom Gesetzgeber mit dem Tatbestandsmerkmal übernommen worden. Nach der früheren Rechtsprechung konnten allgemein gehaltene Anfragen allgemeine Geheimhaltungsinteressen entgegengehalten werden, da anderenfalls bei unterschiedlicher Beantwortung unspezifischer Auskunftsbegehren bereits aus der Art der Antwort Rückschlüsse über den Kenntnisstand, die Arbeitsweise etc. der Dienste gezogen werden könnten. 59 Damit ging die Recht51
Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 192. Für die Antragsstellung ist im Falle der Geschäftsunfähigkeit jedoch nach allgemeiner Ansicht ein gesetzlicher Vertreter notwendig, vgl. Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 33. 53 Vgl. Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 13 f. 54 Vgl. Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 4. 55 Vgl. BVerwG, NVwZ 2008, S. 580 (582); OVG NRW, DVBl. 1995, S. 371 (372). 56 Vgl. Droste, HbdVS, S. 604. 57 Vgl. Droste, HbdVS, S. 606. 58 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 192. 59 Vgl. BayVGH, NVwZ 1985, S. 663 f. 52
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sprechung von einem grundsätzlichen Vorrang der Geheimhaltungsinteressen des Staates vor dem Informationsinteresse des Bürgers aus. 60 Die Übernahme insbesondere dieses Merkmals löste bereits im Gesetzgebungsverfahren Kritik aus. Der Innenausschuss des Bundesrates beantragte im Gesetzgebungsverfahren die zusätzliche Erschwernis hinsichtlich des Auskunftsanspruchs zu streichen. Er war der Auffassung, eine entsprechende Darlegungslast insbesondere für einen konkreten Sachverhalt kenne das Datenschutzrecht nicht. Die Darlegung trage dem Informationsrecht des Betroffenen nicht ausreichend Rechnung und erscheine neben dem Auskunftsverweigerungsrecht in dieser Vorschrift als übermäßige Sicherung. 61 Daneben wird dem Merkmal in der Literatur Widersprüchlichkeit vorgeworfen, da der Bürger logischerweise erst Informationen brauche, um überhaupt konkrete Anfragen stellen zu können. Dem wird aber stets entgegnet, nur durch das einschränkende Tatbestandsmerkmal werde die Geheimheit der Daten der Dienste wirksam geschützt. 62 Die Frage jedoch, wann ein dargelegter Sachverhalt hinreichend konkret ist, um einen Auskunftsanspruch auszulösen bzw. ob dieses Merkmal überhaupt verfassungskonform ist, bleibt letztlich eine Frage der verfassungskonformen Auslegung mit den Grundrechten und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 63 Das zweite einschränkende Tatbestandsmerkmal „[Darlegen eines] besondere[n] Interesse[s]“ stellt weitere qualifizierte Anforderungen an die Antragsbegründung: Nach systematischer Auslegung der Rechtsprechung muss das besondere Interesse jedenfalls über das einfache Interesse etwa nach § 19 Abs. 1 Satz 3 oder Abs. 4 a.E. BDSG oder das berechtigte bzw. schutzwürdige Interesse z. B. nach § 12 Abs. 2 Satz 2 oder § 13 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG hinausgehen. Das Interesse muss im Vergleich mit dem Geheimhaltungsbedürfnis hinreichend gewichtig sein. 64 Die Gründe müssen aufgrund des Merkmals „darlegen“ substantiiert vorgetragen werden. Die Definition hilft jedoch kaum weiter. Im Ergebnis läuft es darauf hinaus, dass das Interesse vorliegt, wenn das Interesse an der Auskunft im Einzelfall das generelle Geheimhaltungsinteresse überwiegt. Tatbestandsvoraussetzung ist demnach eine Abwägung zwischen den beteiligten öffentlichen und individuellen Belangen. 65 In die Abwägung müssen jedoch wieder verfassungsrechtliche 60
Vgl. BVerwGE 84, 375 (388); dazu auch Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 192. Vgl. BR-Drs. 379/90, Anlage I, S. 31. 62 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 193 f. 63 So auch BVerfG, NVwZ, 2001, S. 185 f. 64 Vgl. OVG NRW, DVBl. 1995, S. 371. Droste, HbdVS, S. 604, konkretisiert dahingehend, dass sich das Interesse nicht nur aus Art. 1 Abs. 1 i.V. m. 2 Abs. 1 GG ergeben dürfe, sondern das Gewicht der Belange höher wiegen müsse. Sie bleibt aber der Antwort schuldig, welches Gut unter dem Grundgesetz allgemein höhergewichtig als ein Grundrecht sein soll. 65 Vgl. Bull, JZ 1986, S. 637; Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 194. 61
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Einflüsse beachtet werden, die erst im folgenden Abschnitt mit berücksichtigt werden können. Erst dann kann geklärt werden, wann die Abwägung allgemein zugunsten des Antragsstellers ausfällt, bzw. ob das einschränkende Merkmal überhaupt verfassungskonform ist. Jedenfalls wird hier aber die Kritik aus dem Gesetzgebungsverfahren verständlich, dass mit „besonderes Interesse“ und „konkreten Sachverhalt“ Tatbestandsmerkmale geschaffen wurden, die die Interessen des Dienstes bereits durch einen Abwägungsvorgang in Abs. 1 aufnehmen, obwohl in Abs. 2 noch umfangreiche Ausschlusstatbestände folgen, die die Interessen der Dienste an der Geheimhaltung zusätzlich berücksichtigen. Insoweit kann schon nach der einfach-gesetzlichen Konzeption von einer Übersicherung gesprochen werden. 66 Wenn die Voraussetzungen nicht vorliegen, trifft das Gesetz keine Regelungen darüber, ob dann, wie nach alter Rechtlage im § 13 BDSG 1977, ein Anspruch auf Ermessensprüfung anstatt des gebundenen Anspruchs auf Auskunft nach § 15 BVerfSchG besteht. Die Rechtsprechung und Teile der Literatur leiten diesen aus den Grundrechten bzw. dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ab. 67 Wichtig ist dieses auch für den sog. Negativtest bzw. die sog. Negativauskunft. Damit fragt ein vermeintlich Betroffener bei den Diensten an, ob keine Daten über ihn gespeichert sind. 68 Natürlicherweise kann er dazu keinen konkreten Sachverhalt benennen. Schließlich trifft das Gesetz mit Ausnahme von § 15 Abs. 3 BVerfSchG auch keine detaillierten Regelungen über den Umfang der Auskunft, also auf welche Daten genau sich die Auskunft bezieht. Es spricht von Daten, die zur Person des Betroffenen gespeichert wurden. Allein aus der einfach-gesetzlichen Rechtslage kann aber die Frage nicht abschließend geklärt werden, ob dazu auch vermeintlich „unwichtige“ Daten gehören, also beispielsweise auch diejenigen Daten, die sich in sog. Sachakten oder -dateien befinden und damit nicht in Akten oder Dateien, die extra zu dem Betroffenen angelegt wurden. 69 66
Vgl. so BR-Drs. 379/90, Anlage I, S. 31. Vgl. etwa BVerfG, NVwZ 2001, S. 185 f. mit Verweis auf das Gesetzgebungsverfahren (Beschlussempfehlung Innenausschuss, BT-Drs. 12/4094; S. 3, 11 ff.); NJW 2006, S. 116 f.; BVerwGE 84, 375 (378 f., 381); OVG Bremen, NJW 1987, S. 2393 (2394 f.); Bäumler, NVwZ 1988, S. 199 (202); Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 194; Kniesel, Datenschutz für Sicherheitsbehörden, S. 261; Lodde, Informationsrechte, S. 56 f.; Riegel, NJW 1989, S. 539 (540 f.); Simitis, NJW 1990, S. 2713 (2717); Weichert, NVwZ 2007, S. 1004 (1005 ff.). 68 Vgl. Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 23; Weichert, NVwZ, S. 1004 f.; auch die Legaldefinition in § 24 Abs. 1 Satz 2 HessSOG. 69 Dafür: Scheffczyk / Wolff, NVwZ 2008, S. 1316 (1318); Verneinend: OVG NRW v. 13. 02. 2009 − 16 A 844/08, Rn. 19 f., das zusätzlich noch dahingehend differenziert, ob die Daten gezielt zur Person angelegt wurden und damit eine Verknüpfung über NADIS erfahren haben oder, ob die Daten nur über eine Person, irgendwo in einer Sachakte ohne Verknüpfung angelegt wurden; Droste, HbdVS, S. 606. 67
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(3) Versagungsgründe, § 15 Abs. 2 BVerfSchG Sofern die Hürden der einschränkenden Merkmale genommen wurden und auch sonst die Voraussetzungen des Auskunftsanspruches nach Abs. 1 vorliegen, unterbleibt die an sich zulässige Auskunftserteilung dennoch nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG, soweit durch die Auskunftserteilung die Aufgabenerfüllung des Dienstes gefährdet ist (Nr. 1), Quellen gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu befürchten ist (Nr. 2), die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde (Nr. 3) oder die Daten oder Tatsachen der Speicherung ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen (Nr. 4). Die Tatbestände räumen der Behörde keinerlei Einschätzungsprärogative ein, sondern sind gerichtlich voll überprüfbar. 70 § 15 Abs. 2 BVerfSchG stellt aufgrund des eindeutigen Wortlautes („Auskunft unterbleibt“) ein Auskunftsverbot für den Dienst dar. 71 Es gilt aber ebenso explizit nur, soweit ein Geheimhaltungsgrund vorliegt; im Übrigen bleibt es bei einer Auskunft nach Abs. 1. Wird eine Auskunft abgelehnt, ist dem Antragssteller dieses zu bescheiden, wenn nicht die Voraussetzungen des Abs. 4 vorliegen. 72 Zusammen mit den Anforderungen „konkreter Sachverhalt“ und „besonderes Interesse“ führen die Ablehnungsgründe in der Praxis dazu, dass die Auskunft regelmäßig nicht erteilt wird und § 15 BVerfSchG im Regelfalle kein geeignetes Mittel zur Erlangung des Wissens um Informationseingriffe und damit zur Erlangung eines effektiven Rechtsschutzes darstellt. 73 Die Versagungsgründe in den Nummern 1, 3 und 4 entsprechen im Wesentlichen den Versagungsgründen des allgemeinen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruches gemäß § 19 Abs. 4 BDSG. Das verwundert auch nicht, da die beschriebene Entstehungsgeschichte gezeigt hat, dass § 19 BDSG 1990 nach dem Regierungsentwurf noch die Auskunft für die Dienste regeln sollte. Beide Auskunftsnormen, § 15 BVerfSchG und § 19 BDSG 1990, stehen wiederum in Kontinuität zu § 13 BDSG 1977. 74 Die Versagungsgründe des § 19 Abs. 4 BDSG 1990 entsprechen auch nahezu wortgleich denen des § 13 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 BDSG 1977. Für die Auslegung des § 15 BVerfSchG kann demnach die Auslegung der Versagungsgründe des § 13 Abs. 3 BDSG 1977 bzw. des § 19 Abs. 4 BDSG herangezogen werden.
70
StRSpr. des BVerwG seit E 81, 12 (17); Knemeyer, JZ 1992, S. 348 (349). Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle I, S. 73 zu § 13 Abs. 3 BDSG; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 75. 72 Dazu gleich unter (5). 73 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 204 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechungspraxis in dem Beitrag. 74 Vgl. insbesondere für § 19 BDSG (§ 17 BDSG-E): BT-Drs. 11/4306, S. 46. 71
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Lediglich § 15 Abs. 2 Nr. 2 ist im Nachrichtendienstrecht eigenständig. Die Nummer nimmt wieder die Ausforschungsgefahr auf, denen bereits die einschränkenden Voraussetzungen des Abs. 1 dienen. Zusätzliches Motiv in Nr. 2 ist der Quellenschutz. Die Variante trägt damit den besonderen Gegebenheiten eines Nachrichtendienstes gegenüber anderen Behörden Rechnung. Sie wird aber lediglich als Spezialfall der übrigen Ziffern angesehen, da eine Ausforschung des Kenntnisstandes und der Arbeitsweise bzw. ein Aufdecken von Quellen die Aufgabenerfüllung nach Nr. 1 oder Dritte nach Nr. 4 gefährden oder sogar zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nach Nr. 3 führen kann. 75 Nr. 1 dient dem Ausschluss einer Gefährdung der Aufgabenerfüllung. Wie ein Blick auf § 13 Abs. 3 BDSG 1977 zeigt, ist mit der Aufgabenerfüllung die rechtmäßige Aufgabenerfüllung gemeint. Der Dienst muss also formell zuständig sein und materiell im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben, etwa nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG, handeln. 76 Nicht geheimhaltungsbedürftig ist danach natürlich die Absicht, rechtswidrige Handlungen eines Amtes zu verbergen, denn die Vertuschung solcher Handlungen ist kein rechtlich anerkannter Belang und gefährdet gerade nicht die rechtmäßige Aufgabenerfüllung, sondern fördert sie vielmehr. 77 Gleiches gilt für die bloße Verbesserung der Erfolgschancen des Rechtsstreits durch Auskunftsverweigerung. 78 Da Nr. 2 bereits die Ausforschungsgefahr aufnimmt und damit einen wesentlichen Geheimhaltungsgrund in nachrichtendienstlichen Fällen umfasst, ist Nr. 1 Auffangtatbestand. Das bedeutet aber nicht, dass an Nr. 1 wegen der Weite des Tatbestandes geringere Anforderungen, als an Nr. 2 zu stellen wären. Beide Nummern stehen gleichberechtigt nebeneinander, so dass die systematische Auslegung Tatbestandsadäquanz erforderlich macht. Nr. 1 kann demnach nur erfüllt sein, wenn der Grad der Gefährdung der Rechtsgüter dem der in Nr. 2 aufgeführten Beispielsfälle entspricht. 79 Weitere Voraussetzung ist, dass die Aufgabenerfüllung dabei gerade durch die Auskunft gefährdet wird. Die Auskunft muss die Gefährdung demnach selbst herbeiführen können. 80 D. h., dass die Gefährdung also durch die Auskunft, mithin durch die Offenlegung der Daten, nicht durch die Erteilung erfolgen muss. Die Arbeitsbelastung des Dienstes und seiner (Verwaltungs-)Mitarbeiter durch die Auskunftserteilung bleibt daher grundsätzlich außer Betracht. 81 Letzteres gilt 75
Vgl. Droste, HbdVS, S. 609; implizit: Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 25. Vgl. OVG NRW, DVBl. 1995, S. 371 f. 77 Vgl. im Ergebnis ebenso: Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 197. 78 Vgl. Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung, S. 348. 79 Vgl. OVG NRW, DVBl. 1995, S. 371. 80 Vgl. BVerwGE 89, 1 (18); Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 25. 81 Vgl. Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 26; Kniesel, Datenschutz für Sicherheitsbehörden, Rn. 828; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 84. Großzügiger: Auernhammer, BDSG, § 19 Rn. 28; (Verweigerung, wenn „Anzahl und Häufigkeit außerhalb des Üblichen oder Normalen[liegt]“). 76
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insbesondere deshalb, weil bereits die Konzeption des Auskunftsanspruches als Auskunft auf Antrag und nicht als verwaltungsintensive Mitteilungspflicht von Amts wegen die Behörde vor übermäßiger Arbeitsbelastung schützen soll. 82 Nach Nr. 3 muss die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten. Wie der Wortlaut zeigt, ist das Wohl des Bundes oder eines Landes der Oberbegriff, zu dem auch die öffentliche Sicherheit zählt. Wohl des Bundes oder Landes meint aber nur wesentliche Interessen dieser Gebietskörperschaft, d. h. solche, die den Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates betreffen. Das Wohl eines bestimmten Teilbereichs, also die Regierung, ist für sich genommen nicht geschützt, es sei denn, die Störung des Teilbereichs wirkt sich auf die gesamte Körperschaft aus. 83 Die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ist ein beispielhafter Unterfall. Die öffentliche Sicherheit ist aus dem Polizeirecht übernommen und umfasst als Teilschutzgüter die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, die Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen und den Bestand des Staates und der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und sonstiger Träger der Hoheitsgewalt. 84 Zwar ist der Begriff weit und nahezu umfassend (das letzte Teilschutzgut überschneidet sich sogar teilweise mit dem Wohl der Gebietskörperschaft). Da die öffentliche Sicherheit hier aber als Unterfall des Wohls der jeweiligen Gebietskörperschaft begriffen wird, muss die Gefahr und das jeweilige Teilschutzgut eine dem Wohl der Gesamtgebietskörperschaft entsprechende Schwere erreichen. 85 Nicht einschlägig ist aber die Nr. 3 ebenso wie Nr. 2, wenn ein Rechtsverstoß oder Verstoß gegen Datenschutzrechte aufgedeckt werden soll, auch wenn die anschließende Kritik in der Öffentlichkeit gegen den Dienst erheblich sein sollte. Das Auskunftsrecht ist gerade auch ein Kontrollrecht. Es ist regelmäßig Vorstufe der Inanspruchnahme von Rechtsschutz gegen eine etwaige Verletzung von Datenschutzrechten etc. Die Kontrollfunktion würde aber ad absurdum geführt, wenn Rechtsverstöße der Dienste ein tauglicher Grund wären, den Auskunftsanspruch zu versagen. Rechtswidriges Verhalten kann in einem Rechtsstaat nicht subjektiven Rechten entgegengehalten werden. 86 82
Vgl. BT-Drs. 7/1027, S. 26 zu § 13 BDSG 1977 (§ 11 BDSG-E). Vgl. Auernhammer, BDSG, § 19 Rn. 29; Bäumler, NVwZ 1988, S. 199 (201); Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 27; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 88. 84 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 8 Rn. 3. 85 Im Gegensatz zu § 19 Abs. 4 Nr. 2 BDSG ist hier nicht die öffentliche Ordnung, d. h. im Ergebnis die Gesamtheit der von der Mehrheit anerkannten, verfassungskompatiblen Sozialnormen, hervorgehoben. Neben den überzeugenden Argumenten, die im Ergebnis zu einer Unvereinbarkeit mit dem sog. Parlaments- bzw. Wesentlichkeitsvorbehalt führen, vgl. dazu Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 8 Rn. 48 ff., ist auch kein Fall ersichtlich, in dem eine Gefährdung von Sozialnormen dem Wohle des Bundes oder eines Landes im oben beschriebenen Sinne Nachteile bereiten könnte. 86 Vgl. zum Ganzen: Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 27; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 87 ff. 83
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Nr. 4 schließlich enthält zwei weitere Alternativen, die trotz der vorgenannten Nummern dieses Absatzes immer noch vorhandene Lücken des Geheimnisschutzes schließen sollen. Die eine Alternative schützt insbesondere Daten, die ihrem Wesen nach, speziell wegen der überwiegend berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen, die andere Alternative schützt insbesondere Daten, die aufgrund einer Rechtsvorschrift geheim gehalten werden müssen. Dabei ist die zweite Alternative die im nachrichtendienstlichen Bereich häufigste. Dieses mutet zunächst ungewöhnlich an. Es wird aber deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass § 15 Abs. 1 BVerfSchG durch seine Existenz gerade postuliert, dass Daten der Nachrichtendienste nicht pauschal nach ihrem Wesen nach geheim sein können. Anderenfalls wäre ein grundsätzlicher Auskunftsanspruch sinnlos. 87 Lediglich die explizit aufgeführten Interessen von Dritten, etwa in bestimmten Fällen bei V-Leuten, können demnach unter der wesensgemäßen Geheimheit fallen, sofern nicht der speziellere Nr. 2 einschlägig ist. Das Tatbestandsmerkmal „überwiegen“ weist aber in diesen Fällen darauf hin, dass jedenfalls eine Abwägung zwischen Geheimhaltungsinteresse und Individualinteresse vorzunehmen ist. Die neben dieser Alternative genannten Rechtsvorschriften sind alle materiellen Rechtsnormen mit unmittelbarer Außenwirkung, also insbesondere Gesetze und Rechtsverordnungen. Die meisten dieser Gesetze dienen jedoch dem Schutz des Betroffenen: Ihm kann beispielsweise nicht der Grundsatz der Amtsverschwiegenheit entgegengehalten werden, da das Amtsgeheimnis gerade zu seinem Schutz besteht. Es soll nämlich die Offenbarung seiner Daten gegenüber Dritten verhindern. Da Nr. 4 bereits in der anderen Alternative eine Abwägung zum Schutze der Interessen Dritter vorgesehen hat, ist diese Alternative gegenüber Rechtsvorschriften zum Schutz Dritter generell als Spezialnorm vorrangig vorzunehmen. Dem Betroffenen kann somit nicht pauschal ein Datenübermittlungsverbot entgegengehalten werden, das bei Daten einschlägig wäre, die sich auch auf einen anderen Betroffenen beziehen. Nötigenfalls sind entsprechende Anonymisierungen das mildere Mittel. 88 Sofern Rechtsvorschriften herangezogen werden, die Sicherheitsbehörden betreffen, und deren Schützgüter weitergehend als in den vorstehenden Nummern sind, werden jene durch diese unter Spezialitätsgesichtspunkte verdrängt: In § 15 Abs. 2 BVerfSchG hat der Gesetzgeber eine Wertung zugunsten derjenigen Schutzgüter vorgenommen, die ausschließ87 Vgl. BVerwG, NVwZ 1994, S. 72 f.; auch BVerfG, NVwZ 2001, S. 185 (187); BVerwGE 75, 1 (14); OVG Bremen, NJW 1987, S. 2393 (2395); Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 198; Scherer, NJW 1978, S. 237 (238); Schneider, NJW 1978, S. 1601 (1605); Weichert, NVwZ 2007, S. 1005 f.; a. A. Schaffland / Wiltfang, BDSG, § 19 Rn. 27 b). 88 Vgl. zum Ganzen: Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 28 f.; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 92 ff.
1. Abschn. A. Der gerichtliche Rechtsschutz
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lich zu einem Auskunftsverbot führen können. Wenn das Spezialitätsverhältnis nicht angenommen würde, könnten andere Rechtsvorschriften mit geringeren Schwellen diese Wertung unterlaufen. Ergänzend zu den Tatbeständen normiert § 15 BVerfSchG keine explizite Einzelfallabwägung. Er macht zwar deutlich, dass eine Auskunft nur unterbleibt, „soweit“ die Versagungstatbestände vorliegen. Damit ist aber nur die Pflicht einer Teilauskunft über denjenigen Teil der Daten angesprochen, der keinen Versagungstatbestand erfüllt. Anders verhält es sich bei dem sonst als Vorbild dienenden § 19 BDSG. Dieser ordnet einfach-gesetzlich eine zusätzliche Abwägung für alle Auskunftsverweigerungstatbestände an („und deswegen das Interesse des Betroffenen (...) zurücktreten muss“). Diese Diskrepanz verwundert deshalb, weil in der Rechtsprechung zum alten, ermessenabhängigen Auskunftsanspruch gegenüber Nachrichtendiensten nach § 13 BDSG 1977 wie bei § 19 BDSG 1990 verfahren wurde und eine Einzelfallabwägung erfolgte. 89 Trotz der fehlenden Anordnung einer Abwägung im § 15 BVerfSchG wird aber in der Rechtsprechung auch weiter so verfahren: Ergänzend zum Vorliegen der Tatbestände wird aus den Grundrechten und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleitet, dass (neben der explizit angeordneten Abwägung in § 15 Abs. 2 Nr. 4 BVerfSchG) stets eine Güterabwägung zwischen Geheimhaltungsinteresse und Auskunftsinteresse zu erfolgen habe. § 15 Abs. 1 BVerfSchG konkretisiere einfach-gesetzlich den verfassungsrechtlichen Auskunftsanspruch, der durch die Schrankenregelung in Abs. 2 nur in verhältnismäßiger Weise beschränkt werden könne. Das Interesse des Betroffenen müsse danach nur zurücktreten, wenn ein Auskunftsverweigerungstatbestand vorliege und die Geheimhaltungsinteressen überwiegten. 90 Teile der Literatur leiten zudem aus der Systematik des Gesetzes her, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bereits einfach-gesetzlich in § 15 BVerfSchG konkretisiert sei und einen Auskunftsanspruch grundsätzlich fordere. Der Anspruch müsse nur ausnahmsweise zurücktreten. 91 Andere in der Literatur sehen hingegen einen Vorrang des Sicherheitsinteresses. 92 (4) Reichweite der Auskunft, § 15 Abs. 3 BVerfSchG Selbst wenn keine Auskunftsversagungsgründe vorliegen, ist die Auskunft jedoch in ihrer Reichweite beschränkt. § 15 Abs. 3 BVerfSchG legt fest, dass sich die Auskunftserteilung nicht auf die Herkunft der Daten, beispielsweise 89
Vgl. dazu Gusy, Richterliche Kontrolle I, S. 75 f. m.w. N. Vgl. BVerfG, NVwZ 2001, S. 185 (187); OVG NRW, DVBl. 1995, S. 371 f.; allgemein für alle mit § 19 BDSG vergleichbaren Auskunftsansprüche: Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 24; Knemeyer, JZ 1992, S. 348 (350); Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 77 f. 91 Vgl. Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 78. 92 Vgl. Droste, HbdVS, S. 609. 90
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
die entsprechenden Informanten, und die Empfänger von Übermittlungen der Daten, also beispielsweise die Strafverfolgungsbehörden, erstreckt. 93 Korrespondierend dazu enthält § 19 Abs. 3 BDSG eine Regelung, die insbesondere festlegt, dass die allgemeine datenschutzrechtliche Auskunftserteilung jeweils der Zustimmung der Verfassungsschutzbehörden, des BND und des MAD bedarf, wenn personenbezogener Daten an diese Stellen übermittelt wurden. Für die Versagung oder Erteilung der Zustimmung gilt § 15 BVerfSchG entsprechend. 94 Die Regelung des § 19 Abs. 3 BDSG wurde vor dem Hintergrund des § 19 Abs. 1 Nr. 2 BDSG geschaffen, wonach sich die Auskunft auch auf den Empfänger der Daten bezieht. Sie verhindert so, dass der Betroffene durch die Auskunft der übermittelnden Stelle indirekt von der Speicherung bei einem Dienst erfährt. 95 Die Vorschriftenkombination verhindert allerdings nicht, dass der Betroffene indirekt von einer Übermittlung durch die Dienste an einen Nicht-Nachrichtendienst erfährt: § 19 Abs. 3 BDSG verhindert zum einen nur die Auskunft über Daten, die an einen Dienst übermittelt wurde, nicht über Daten, die von dem Dienst übermittelt wurden. § 15 Abs. 3 BVerfSchG verhindert zum anderen nur die Auskunft über die Herkunft und den Übermittlungsempfänger bei Auskunftsanträgen, die an den Dienst gerichtet wurden. Ein Auskunftsgesuch an den Übermittlungsempfänger ist folglich nicht gesperrt, wenn der Übermittlungsempfänger kein Nachrichtendienst ist. Der Grund dafür liegt in der Intention des Gesetzgebers, wonach regelmäßig davon ausgegangen werden könne, dass eine Information, die ein Dienst an Dritte außerhalb des Sicherheitsbereichs übermittele, aus Sicherheitserwägungen nicht mehr schutzbedürftig sei. 96 Die Beschränkung der Reichweite in § 15 Abs. 3 BVerfSchG ist absolut. In § 19 Abs. 3 BDSG ist hingegen die ursprüngliche Reichweite des Abs. 1 mit Zustimmung des Dienstes wieder herstellbar. Da eine Übermittlung von personenbezogenen Daten an die Nachrichtendienste aber dann erfolgt, wenn die übermittelnde Stelle den Verdacht hat, dass der Aufgabenbereich der Dienste einschlägig ist und die Dienste in der Folge eine Beobachtung aufnehmen werden, dürfte eine Zustimmung unter entsprechender Anwendung des § 15 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 BVerfSchG bis zum Abschluss der Beobachtung und anschließender Prüfung etc. in aller Regel verweigert werden. Daher kommt es grundsätzlich zu einer faktischen Einschränkung der Auskunft.
93 Kritisch dazu Lodde, Informationsrechte, S. 46 f., der vor dem Hintergrund der umfangreichen Auskunftsverweigerungsgründe des § 19 Abs. 4 BDSG und des § 15 Abs. 2 BVerfSchG den Schutz der Herkunft und der Empfänger der jeweiligen Daten für ausreichend erachtet. 94 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 205. 95 Vgl. Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 70. 96 Vgl. Gola / Schomerus, § 19 Rn. 23.
1. Abschn. A. Der gerichtliche Rechtsschutz
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(5) Begründung der Ablehnung einer Auskunft, § 15 Abs. 4 BVerfSchG Wird eine Auskunftserteilung abgelehnt, so erfährt der Betroffene jedoch nicht zwingend den Grund. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 BVerfSchG bedarf die Ablehnung der Auskunftserteilung nämlich keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Der Betroffene erhält nach Satz 3 dann einen Hinweis auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und ist zusätzlich darauf hinzuweisen, dass er sich an den Bundesbeauftragten für den Datenschutz zwecks des Verfahrens der stellvertretenden Begründung wenden kann. Der jeweilige Dienst muss aber Sachgründe für ein Absehen der Begründung vorweisen können, er darf freilich nicht willkürlich handeln. Daher ist nach Satz 2 eine Begründung aktenkundig zu machen. Die Regelung findet ihre Entsprechung in § 19 Abs. 5 BDSG, wonach die Ablehnung der Auskunftserteilung einer Begründung nicht bedarf, soweit durch die Mitteilung der tatsächlichen und rechtlichen Gründe, auf die die Entscheidung gestützt wird, der mit der Auskunftsverweigerung verfolgte Zweck gefährdet würde. § 13 BDSG 1977 enthielt noch keine solche Bestimmung. Im Gesetzgebungsverfahren zum BDSG 1990 wurde aber darauf hingewiesen, dass Abs. 5 einem allgemeinen verwaltungsrechtlichem Grundsatz entspreche. 97 Es solle demnach durch § 19 Abs. 5 BDSG 1990 respektive § 15 Abs. 4 BVerfSchG verhindert werden, dass, trotz Vorliegen von Aussageverweigerungstatbeständen, aus der Begründung der Schluss gezogen werden könne, dass und u.U. welche Daten beim Dienst einen gespeichert würden. 98 Nach beiden Normen gilt aber auch, dass das Gesetz die Auskunftsverweigerung nur untersagt, soweit der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Es müssen also jedenfalls überhaupt die Verweigerungstatbestände vorliegen. Darüber hinaus ist auch eine teilweise Begründung zulässig. bb) Auskunftsanspruch nach § 19 BDSG Der allgemeine datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch nach § 19 BDSG kommt neben § 15 BVerfSchG nicht in Betracht, da § 27 BVerfSchG seine Anwendung ausschließt. Dieses gilt nach dem Gesetzeswortlaut aber nur „bei der Erfüllung der Aufgaben nach § 3 [BVerfSchG] durch das Bundesamt für Verfassungsschutz“ bzw. entsprechend bei Erfüllung der gesetzlichen Aufgabennorm des jeweiligen anderen Dienstes. 99 Soweit sich die Dienste aber außerhalb ihrer gesetzlichen Aufgaben bewegen, mithin sachlich unzuständig und daher rechts97 98 99
Vgl. BT-Drs. 11/4306, S. 46. Vgl. zu § 19 BDSG: Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 105. Vgl. § 11 BNDG und § 13 MADG.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
widrig handeln, ist der für den Bürger günstigere § 19 BDSG nicht ausgeschlossen, sondern kann neben dem § 15 BVerfSchG geltend gemacht werden, arg. e. contr. § 27 BVerfSchG. Eine etwaige Spezialität nach allgemeinen rechtsdogmatischen Erwägungen greift dann neben § 27 BVerfSchG auch nicht durch, da die Spezialregelung des § 15 BVerfSchG nur für den Bereich der gesetzlichen Aufgabenerfüllung geschaffen wurde und nicht für eine Auskunft gegen Nachrichtendienste in jedem Falle. Auch die allgemein angenommene Subsidiarität des § 19 BDSG gegenüber spezialgesetzlichen Auskunftsansprüchen greift aber nur, soweit bereichsspezifische Regelungen reichen. 100 cc) Auskunftsanspruch nach § 39 StVG Ein weiterer relevanter Auskunftsanspruch ist die Registerauskunft aus dem Fahrzeugregister. Wichtig ist diese Auskunft im nachrichtendienstlichen Bereich, damit derjenige Betroffene, der ein ihn observierendes Fahrzeug bemerkt, überhaupt herausfinden kann, wer Halter dieses Fahrzeuges ist. Anderenfalls ist für ihn eine gerichtliche Überprüfung der Observation nicht möglich, da er nicht weiß, gegen wen er einen etwaigen Rechtsbehelf einlegen muss. Die Registerauskunft ist in den §§ 39 ff. StVG geregelt und ermöglicht eine Auskunft aus dem Fahrzeugregister nach den §§ 31 ff. StVG. Der Auskunftsanspruch ist auf dem Gebiet des Straßenverkehrs gegenüber dem allgemeinen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch die speziellere Norm. 101 Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 StVG werden im Fahrzeugregister insbesondere über Behörden, denen das Kennzeichen eines Fahrzeugs zugeteilt oder ausgegeben wird, Name oder Bezeichnung und Anschrift gespeichert. 102 Das Fahrzeugregister tauchte zuvor gesetzlich nur in der Aufgabennorm des Gesetzes über das Kraftfahrt-Bundesamt auf 103 und war ansonsten teilweise in der StVZO 104 geregelt, die lediglich Verordnungscharakter hat. Zu den Regelungen in der Verordnung gehörte auch die sog. Halterauskunft in § 26 Abs. 5 StVZO 100
Vgl. Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 119. Vgl. BVerwGE 115 (116 f.). 102 Dieses schließt nicht aus, dass ein Kraftfahrzeug unter der Legende eines Mitarbeiters des Verfassungsschutzes, unter dem Namen eines V-Mannes etc. gespeichert wird. Greift der Auskunftsanspruch durch, wird die Verbindung zum Verfassungsschutz dann aller Voraussicht nach im Prozess oder nach einer Strafanzeige gegen den Mitarbeiter etc. offenbar. Greift der Anspruch nicht durch, weiß der Betroffene zumindest, dass er nicht von einem „einfachen Privatmann“ beobachtet wurde. Er kann dann über die allgemeinen Auskunftsanspruchnormen erfragen, ob die jeweiligen Sicherheitsbehörden Daten über ihn gespeichert haben. 103 Vgl. § 2 Nr. 2 KBAG a.F. 104 Straßenverkehrszulassungsordnung in der Fassung vom 15. 11. 1974 (BGBl. I S. 3193, BGBl. I 1975, S. 848). Zu den entsprechenden Normen in der StVZO a.F. zum Fahrzeugregister, vgl. BT-Drs. 10/5343, S. 57 f. 101
1. Abschn. A. Der gerichtliche Rechtsschutz
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a.F. 105 Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsurteil 106 sah sich der Gesetzgeber jedoch veranlasst, das Fahrzeugregister gesetzlich bereichsspezifisch zu regeln. 107 Das Register und der Auskunftsanspruch wurden daher 1987 in die StVG eingefügt. 108 Die für den Betroffenen im nachrichtendienstlichen Bereich einschlägige Anspruchsnorm auf Auskunft ist heute § 39 StVG, der, wie grundsätzlich schon § 26 Abs. 5 StVZO a.F., 109 in seinem Abs. 1 anordnet, dass durch die Zulassungsbehörde oder das Kraftfahrt-Bundesamt bestimmte Fahrzeug- und Halterdaten nach § 33 StVG an denjenigen zu übermittelt sind, der unter Angabe des betreffenden Kennzeichens oder der betreffenden Fahrzeug-Identifizierungsnummer darlegt, dass er die Daten zur Geltendmachung, Sicherung oder Vollstreckung oder zur Befriedigung oder Abwehr von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr oder zur Erhebung einer Privatklage wegen im Straßenverkehr begangener Verstöße benötigt, sog. einfache Registerauskunft. Die zu übermittelnde Informationen der einfachen Registerauskunft sind auf wenige, aber wichtige Daten beschränkt. Die Daten betreffen insbesondere den Namen (Nr. 1 bis 3) und die Anschrift (Nr. 4) des Halters. Die Angaben genügen bereits zum Ergreifen von Rechtsbehelfen, so dass es auf eine erweiterte Auskunft aus dem Register nach den Abs. 2 (etwa Angaben zur Beschaffenheit) für den nachrichtendienstlichen Bereich nicht ankommt. 110 Für eine einfache Registerauskunft genügt schon die Darlegung der Gründe für das Auskunftsbegehren. Dieses zeigt neben dem eindeutigen Wortlaut („darlegt“) auch Abs. 2, der für die erweiterte Registerauskunft eine Glaubhaftmachung fordert. Es müssen daher lediglich diejenigen Tatsachen vorgetragen werden, die das in Abs. 1 näher bezeichnete Interesse begründen, und zusätzlich das Kennzeichen oder die Fahrzeug-Identifikationsnummer. 111 Eine wie im § 26 105
Halterauskunft ist derjenige Begriff, der sich in der Umgangssprache durchgesetzt hat, vgl. etwa BVerwGE 74, 115 ff. 106 BVerfGE 65, 1 ff. 107 Vgl. BT-Drs. 10/5343, S. 30. 108 Vgl. Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vom 28. 1. 1987 (BGBl. I S. 486). Die zu diesem Anspruch maßgeblichen Entscheidungen, insbesondere BVerwGE 74, 1, 115, ergingen noch zur alten Rechtslage. 109 § 26 Abs. 5 StVZO a.F. hatte den Wortlaut: „Die Zulassungsstellen erteilen im Einzelfall auf Antrag Behörden und bei Darlegung eines berechtigten Interesses auch anderen Auskunft über die Fahrzeuge, die Halter und die Versicherungen.“ 110 Abs. 3 gewährt ohnehin nur ein weniger an Daten als Abs. 1 und dient im Kern nur der Geltendmachung, Sicherung und Vollstreckung von nicht mit dem Straßenverkehr im Zusammenhang stehenden öffentlich-rechtlichen Forderungen. 111 Vgl. Dauer, Hentschel, § 39 Rn. 1; auch BT-Drs. 10/5343, S. 74, der als rechtspolitischen Grund für die geringen Anforderungen anführt, dass eine Glaubhaftmachung wegen der Vielzahl der Anfragen (insbesondere zur Geltendmachung zivilrechtlicher An-
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Abs. 5 StVZO a.F. noch nötige Geltendmachung eines „berechtigten Interesses“ ist für die einfache Registerauskunft nicht mehr erforderlich, da die zur Auskunft berechtigenden Interessen als Fallgruppen aufgeführt sind. 112 Sie sind sehr weit, da Kraftfahrzeug-Kennzeichen gerade zur Ermittlung des Halters eingeführt wurden. Die Anonymität des Kennzeichens sollte nur solange bestehen, wie von ihr zur ordnungsgemäßen Abwicklung des Straßenverkehrs Gebrauch gemacht wird, also nicht bei verkehrsfremder Ausnutzung der Anonymität oder Regelverstößen innerhalb des Straßenverkehrs. 113 Im nachrichtendienstlichen Bereich ist das maßgebliche Interesse die „Geltendmachung [...] von Rechtsansprüchen im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr“. Daher führt das notierte Kennzeichen des vermeintlichen Observationsfahrzeuges und der Vortrag, der Betroffene sei in bemerkenswerter Weise von einem Kraftfahrzeug observiert worden und möchte dagegen Rechtsbehelfe einlegen, zu einem Auskunftsanspruch. Insbesondere der nötige Bezug zum Straßenverkehr und damit zu § 39 Abs. 1 StVG im Gegensatz zu den allgemeinen datenschutzrechtlichen Auskunftsansprüchen ist dann hergestellt. 114 Aber auch die Registerauskunft kann verweigert werden, wenn sog. Übermittlungssperren nach § 41 StVG eingreifen. Danach ist die Anordnung einer solchen Sperre im Fahrzeugregister aus zwei Gründen zulässig: Nach Abs. 1 ist eine Sperre anzuordnen, wenn erhebliche öffentliche Interessen gegen die Offenbarung der Halterdaten bestehen, und nach Abs. 2 auf Antrag des von der Übermittlung Betroffenen, wenn er glaubhaft macht, dass durch die Übermittlung seine schutzwürdigen Interessen beeinträchtigt werden. Die Einzelheiten für die Anordnung der Sperre sind gemäß § 47 Nr. 6 StVG in § 43 FZV 115 geregelt. Danach sind für die Anordnung die für die Zulassungsbehörde zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestimmten oder nach Landesrecht zuständigen Stellen ermächtigt. Wird die Sperre angeordnet, ist sie im örtlichen Fahrzeugregister zu vermerken und vom Kraftfahrt-Bundesamt im Zentralen Verkehrsregister einzutragen. Wird nun ein Auskunftsantrag gestellt, leitet die entsprechende Behörde das Ersuchen an die anordnende Stelle weiter. Die Auskunft wird nur dann erteilt, wenn die anordnende Stelle mitteilt, dass die Übermittlungssperre für das vorliegende Ersuchen aufgehoben wird. Wird die Sperre nicht aufgehoben und hält der Auskunftsersuchende an seinem Antrag fest, ist nach Abs. 3 bzw. Abs. 4 zu verfahren. Danach kann trotz sprüche bei Verkehrsunfällen) zu einem nicht mehr vertretbaren Prüfungsaufwand bei den Auskunftsstellen führen würde. 112 Aber auch für § 26 Abs. 5 StVZO a.F. wurde das berechtigte Interesse sehr weit ausgelegt. Es genügte ein lockerer Bezug zum Straßenverkehr, vgl. Bull, JZ 1986, S. 637 m.w. N. 113 Vgl. Hirte, NJW 1986, S. 1899 (1901) bereits zur alten Rechtslage. 114 Vgl. BVerwGE 74, 115 (117); Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 205. 115 Fahrzeug-Zulassungsverordnung vom 25. April 2006 (BGBl. I S. 988).
1. Abschn. A. Der gerichtliche Rechtsschutz
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Übermittlungssperre im Einzelfall dennoch Auskunft gewährt werden. Die Absätze regeln die Konfliktfälle, in denen entweder an der Kenntnis der Daten ein überwiegendes öffentliches Interesse, insbesondere zur Verfolgung von Straftaten besteht (Abs. 3), oder ohne die Kenntnis insbesondere eine Geltendmachung von Rechtsansprüchen im Sinne des § 39 Abs. 1 StVG nicht möglich wäre (Abs. 4). Für den von einer Observation Betroffenen ist die letzte Alternative wichtig. Tritt ein solcher Konfliktfall auf, hat die für die Anordnung der Sperre zuständige Stelle über die Aufhebung zu entscheiden. Hilft sie nicht ab, entscheidet ihre oberste Landesbehörde. Dabei ist dem von der Übermittlung Betroffenen jeweils Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Im Ergebnis führt dieses Verfahren zu einer Güterabwägung zwischen dem Interesse des Betroffenen etwa hinsichtlich der Geltendmachung der Rechtsansprüche und dem öffentlichen Interesse. 116 Diese Abwägung war auch schon bei der Prüfung des „berechtigten Interesses“ in § 26 Abs. 5 StVZO a.F. vorzunehmen. Schon damals war angenommen worden, dass zu den öffentlichen Interessen auch Geheimhaltungsbedürfnisse öffentlicher Stellen zählen. 117 Dazu gehörten insbesondere die heute in § 15 Abs. 3 Nr. 2 BVerfSchG aufgeführten Schutzgüter (Quellenschutz und Schutz der Arbeitsweise der Dienste). 118 Die Darlegungslast für das Interesse auf Rechtsdurchsetzung hat der Antragssteller, diejenige für die öffentlichen Belange liegt bei der Behörde. Es ist in jedem Fall eine Einzelfallprüfung durchzuführen, die im pflichtgemäßen Ermessen der jeweiligen Behörde steht. Die Auskunftserteilung oder -versagung ist zu bescheiden und zu begründen. 119 dd) Sonstige Informationsansprüche Zu den in diesem Zusammenhang einschlägigen sonstigen Ansprüchen auf Information außerhalb eines förmlichen Verfahrens sind noch die Rechte der Beamten, Richter und Soldaten auf Auskunft über Übermittlungen von Personalaktendaten und Akteneinsicht anzusprechen. Für die allgemeinen Bundesbeamten ergeben sich Regelungen über die Personalakte aus den §§ 106 bis 115 BBG 120. Für die Richter verweist das DRiG in § 46 auf diese Regelungen. 121 Für Solda116
Vgl. BT-Drs. 10/5343, S. 76. Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle I, S. 86. 118 Vgl. BVerwGE 74, 115 (118 ff.). 119 Vgl. BVerwGE 115, (118 ff.); Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 205 f. 120 Bundesbeamtengesetz vom 31. März 1999 (BGBl. I S. 675). Bis zur sog. Föderalismusreform I (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (GG) vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034)) und den einfach-gesetzlichen Folgegesetzen enthielten Entsprechendes auch die §§ 56 bis 56 f. BRRG, die aber durch § 63 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten der Länder (Beamtenstausgesetz – BeamtStG) vom 17. 06. 2008 (BGBl. I S. 1010) aufgehoben wurden (nach § 63 Abs. 2 BeamtStG wird das BRRG nahezu gänzlich mit Wirkung zum 1. April 2009 aufgehoben). Dieses war nötig geworden, da, bis auf die Statusrechte und Pflichten der Beamten (Art. 74 117
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
ten trifft das SG in § 29 SG eine eigene Regelung. Zur Personalakte gehören nach der Legaldefinition in § 100 Abs. 1 Satz 4 BBG bzw. § 50 Satz 2 BeamtStG sowie § 29 Abs. 1 Satz 2 SG alle Unterlagen einschließlich der in Dateien gespeicherten, die den Beamten betreffen, soweit sie mit seinem Dienstverhältnis in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang stehen, sog. Personalaktendaten. Die Personalakte ist aber gemäß § 100 Abs. 1 Satz 6 BBG, § 29 Abs. 1 Satz 3 SG nicht die Sicherheitsakte nach § 18 SÜG. Sofern ein Beamter ins Visier der Nachrichtendienste gerät, werden regelmäßig Daten auch aus der Personalakte übermittelt. Zwar bedürfen Auskünfte aus der Personalakte der Einwilligung des Beamten, allerdings ist eine Ausnahme zu machen, wenn Abwehr einer erheblichen Beeinträchtigung des Gemeinwohls oder der Schutz berechtigter, höherrangiger Interessen des Empfängers die Auskunftserteilung zwingend erfordert, vgl. § 111 Abs. 2 Satz 1 BBG. Satz 3 gibt dem Beamte aber einen Anspruch darauf zu erfahren, an wen Daten aus seiner Akte übermittelt wurden. Inhalt und Empfänger der Auskunft sind dem Beamten schriftlich mitzuteilen. Er kann daher auch durch eine Anfrage „ins Blaue hinein“ oder aufgrund von Befürchtungen erfahren, ob ein Nachrichtendienst ihn beobachtet bzw. eine Beobachtung plant. Da keine Einschränkungen der Auskunftspflicht genannt sind, greift dieses Recht auch bei Übermittlungen von Daten an Nachrichtendienste ohne, dass in ihrem Interesse die Auskunft an den Beamten verzögert werden dürfte. Das gleiche gilt für den inhaltsgleichen § 29 Abs. 3 Satz 6 SG, der Soldaten ein entsprechendes Recht einräumt. 122 Das jederzeitige Akteneinsichtsrecht in die Personalakte ergibt sich daneben für Beamte aus § 110 Abs. 1 BBG und für Soldaten aus § 29 Abs. 7 und 8 Satz 1 und 3 SG. Auch durch Nutzung dieser Einsichtsrechte kann sich ein Hinweis auf nachrichtendienstliche Tätigkeit finden lassen. Darüber hinaus sind bei den sonstigen Informationsrechten noch § 3 des StasiUnterlagen-Gesetzes (StUG) und § 5 Abs. 1 des Bundesarchivgesetzes (BArchG) Abs. 1 Nr. 27 GG n.F.), die Gesetzgebungskompetenz für Regelungen über Nicht-Bundesbeamten neuerdings in der Gesetzgebungskompetenz der Länder steht. Die Regelung der Akteneinsichtsrechte gehören nun zur Länderkompetenz, vgl. BT-Drs. 16/4027, S. 1 und 38. Lediglich in § 50 BeamtStG findet sich noch eine Regelung über die Pflicht, eine Personalakte zu führen und über deren Inhalt. Wegen der Aufhebung des Bundesrechts läuft auch die Übergangsregelung in Art. 125a Abs. 1 GG ins Leere. Der Beamte kann sich nicht mehr auf das BRRG berufen, da ein aufgehobenes Gesetz nicht mehr fortgilt. 121 Für Professoren ergab sich dieses Recht aus einer Verweisnorm des § 49 HRG auf das BRRG. Nach der Änderung durch das BeamtStG, gibt es im BRRG keine Regelungen mehr über Einsicht in die Personalakte nach Bundesrecht. Zudem soll das HRG infolge der Föderalismusreform I aufgehoben werden, vgl. BT-Drs. 16/6122, S. 1, 5. Für Professoren als Landesbeamte gilt bezüglich ihrer Personalakten bundesgesetzlich dann lediglich die vorstehend angesprochene Regelung des BeamtStG. 122 Vgl. zum Ganzen: Riegel, Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden, S. 193 f.; ders., HbDSR, Kap. 8.4 Rn. 155.
1. Abschn. A. Der gerichtliche Rechtsschutz
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zu nennen, die Einsicht in besondere Archive des Bundes gewähren. Jener Anspruch gewährt Einsicht in die sog. Stasi-Unterlagen beim zuständigen Bundesbeauftragten mit Hauptsitz in Berlin, dieser Anspruch Einsicht in den Archivbestand des Bundesarchivs mit Hauptsitz in Koblenz. Die Stasi-Unterlagen sind der Bestand der Aufzeichnungen des ehemaligen MfS der DDR und liegen beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (§§ 2, 35 ff. StUG). Jedermann hat das Recht, Auskunft darüber zu Verlangen, ob in den erschlossenen Unterlagen Informationen zu seiner Person enthalten sind. 123 Sofern das der Fall ist, hat derjenige dann weitere Informationsrechte (Einsicht in Unterlagen, Herausgabe von Unterlagen, Recht auf Auskunft), vgl. § 3 Abs. 1 StUG (sog. zweistufiger Anspruchsaufbau). Eine allgemeine Schranke enthält § 3 Abs. 3 StUG, wonach durch die Informationsrechte nicht überwiegend schutzwürdige Interessen anderer Personen beeinträchtigt werden dürfen. Erfasste Personen können Betroffene und Mitarbeiter sein, wobei im hier maßgeblichen Zusammenhang nur Betroffene zählen. Betroffene sind nach § 6 Abs. 3 Satz 1 StUG Personen, zu denen der Staatssicherheitsdienst aufgrund zielgerichteter Informationserhebung oder Ausspähung einschließlich heimlicher Informationserhebung Informationen gesammelt hat. Wenn die Betroffeneneigenschaft vorliegt, regelt § 13 StUG die genauen Abläufe. Weitere Einschränkungen enthält das StUG für vorhandene Daten nicht. Der dargestellte Anspruch kann aufgrund der umfassenden Tätigkeit des MfS allerdings auch Rückschlüsse auf Mitarbeiter und Arbeitsweisen der bundesrepublikanischen Dienste zulassen. Daher regelt § 25 Abs. 4 StUG, dass der Bundesminister des Innern die ersatzlose Herausgabe von Unterlagen anordnen kann, wenn das Verbleiben der Unterlagen beim Bundesbeauftragten dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde. Die Anordnung bedarf allerdings der Zustimmung des PKGr nach den allgemeinen Verfahrensweisen, die das PKGrG vorschreibt. Es ist daher möglich, dass diese Erkenntnisquelle einem von Maßnahmen des MfS Betroffenen, der auch Betroffener von Maßnahmen der bundesrepublikanischen Dienste geworden ist, ausfällt. Das BArchG regelt insbesondere die Nutzung des Bundesarchivs. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BArchG haben Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte des Bundes, die bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts und die sonstigen Stellen des Bundes dem Bundesarchiv alle Unterlagen, die sie zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben einschließlich der Wahrung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nicht mehr benötigen, zur Übernahme anzubieten und, wenn es sich um Unterla123 Zunächst mutet ein Bezug auf die Stasi-Unterlagen im vorliegenden Zusammenhang merkwürdig an. Es gibt jedoch Berichte von den Datenschutzbeauftragten, nach denen die Dienste auch versuchen, die umfangreichen Archive des MfS der ehemaligen DDR für ihre Zwecke nutzbar zu machen, vgl. Bäumler, DuD 1996, S, 537.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
gen von bleibendem Wert handelt, als Archivgut des Bundes zu übergeben. Nach § 5 BArchG hat jedermann das Recht, Archivgut des Bundes zu nutzen. Für die unmittelbare Rechtsverfolgung gegen Nachrichtendienste ist dieser Anspruch jedoch kaum tauglich: Zum einen besteht der Anspruch erst, wenn das Archivgut aus einer mehr als 30 Jahre zurückliegenden Zeit stammt (sog. Sperrfrist), die sich bei nach Rechtsvorschriften des Bundes geheimhaltungsbedürftigen Materials auf 60 Jahre verlängert, vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1 i.V. m. § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BArchG. Zum anderen ist die Benutzung auch nach Ablauf der Sperrfrist unzulässig, wenn insbesondere Grund zu der Annahme besteht, dass das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet würde, § 5 Abs. 6 Nr. 1 BArchG, oder die Geheimhaltungspflicht nach Rechtsvorschriften des Bundes über Geheimhaltung verletzt würde. Die genannten einschränkenden Tatbestände dürften in nachrichtendienstlichen Fällen grundsätzlich Anwendung finden. 30 Jahre oder gar 60 Jahre nach Schaffung des Materials dürfte in der Regel aber kein Geheimhaltungsgrund mehr vorliegen, der eine Verweigerung der Einsicht rechtfertigt. 124 Auch unterliegen Auskunftsverweigerungen selbstverständlich einer gerichtlichen Überprüfung dahingehend, ob die geltend gemachten einschränkenden Tatbestände auch tatsächlich vorliegen. Im Übrigen gehört zu den Informationsansprüchen in nicht-förmlichen Verfahren auch § 475 StPO, der eigenständig neben dem noch zu besprechenden § 147 StPO steht. Dieser Anspruch gewährt Personen (zunächst über einen Rechtsanwalt), die nicht an einem Strafverfahren beteiligt sind, Auskünfte, Akteneinsicht und Beweisbesichtigungen aus einem Strafverfahren, sofern sie ein berechtigtes Interesse darlegen. Dieses Recht kommt dann in Betracht, wenn beispielsweise ein Zeuge in einem Prozess aussagt, der ebenso wie der Angeklagte einer Gruppe angehörte, die von Nachrichtendiensten beobachtet wurde und nähere Informationen über die nachrichtendienstliche Beobachtung benötigt, um Rechtsschutz dagegen in Anspruch zu nehmen. Das Recht kann aber wieder in einer Abwägung versagt werden, wenn der von dem Recht Betroffene ein schützwürdiges Interesse an der Versagung hat, vgl. Abs. 1 a.E. Ähnliche Regelungen für die Akteneinsicht außerhalb von gerichtlichen Verfahren und Beteiligtenstatus enthalten § 299 Abs. 2 ZPO 125 und §§ 35a bis c BVerfGG. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die neuerdings in den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder geschaffene Möglichkeit, Informationen über behördliches Wissen auch ohne Betroffeneneigenschaft zu erlangen (vgl. § 1 IFG), aufgrund der leichten Einschränkbarkeit nach den §§ 2 ff. IFG über das jeweilige Betroffenenrecht hinaus keine weiteren Möglichkeiten 124
So auch Kugelmann, Informatorische Rechtsstellung des Bürgers, S. 270. Dieser gilt nach richtiger Ansicht über § 273 Satz 1 VwGO auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren, vgl. Meissner, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 173 Rn. 224. 125
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der Informationsgewinnung gegenüber Nachrichtendiensten bietet. 126 Zudem hat der Bund Informationsansprüche gegenüber seinen Diensten nach § 3 Nr. 8 IFG ausgeschlossen. b) Prozessuale Informationsansprüche Die prozessualen Informationsansprüche werden nur in einem förmlichen Verfahren gewährt und stehen dem Betroffenen als Verfahrensbeteiligten zu. Sie sind daher lediglich formelle Rechte im Rahmen eines solchen Verfahrens und gewähren keine materiellen Ansprüche außerhalb des Verfahrens. 127 Für den nachrichtendienstlichen Bereich kommen sowohl prozessuale Informationsrechte im allgemeinen und besonderen Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren in Betracht. aa) Anspruch auf Akteneinsicht nach § 29 VwVfG Im Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG) findet sich das Akteneinsichtsrecht in § 29 VwVfG. Danach kann der am Verwaltungsverfahren Beteiligte Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten nehmen, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung seiner rechtlichen Interessen erforderlich ist, vgl. Abs. 1 Satz 1. Beschränkt wird dieses Recht in Abs. 2, wobei die dort genannten Versagungstatbestände im Wesentlichen denen des § 15 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 4 BVerfSchG bzw. § 19 Abs. 4 BDSG entsprechen. Auf die dortigen Ausführungen wird entsprechend Bezug genommen. 128 Wie bei § 15 BVerfSchG ordnet § 29 Abs. 2 VwVfG jedoch explizit auch keine Güterabwägung im Einzelfall ergänzend zu den ggf. vorliegenden Versagungstatbeständen an. Durch das Wort „soweit“ wird ebenso nur auf die Pflicht zur Teilauskunft verwiesen. Im Gegensatz zu § 15 BVerfSchG ist die Behörde bei Vorliegen der Tatbestände aber nicht zur Auskunftsverweigerung verpflichtet, sie „hat“ nicht die Auskunft zu versagen. So wurde der Behörde hinsichtlich der Versagung ein Ermessensspielraum zugestanden, selbst wenn die Versagungstatbestände vorliegen. Als Kehrseite daraus ist sie dann aber auch zur Vornahme der Abwägung innerhalb der Ermessensausübung verpflichtet. 129 Im Ergebnis kann der Auskunftsbegehrende somit ermessensgemäß die Auskunft erhalten, obwohl ein Versagungstatbestand einschlägig ist. Ob ein Verwaltungsverfahren vorliegt und wer daran beteiligt ist, bestimmen §§ 1, 9 VwVfG, sowie § 13 VwVfG. Beteiligt ist nach der letztgenannten 126
So auch Scheffczyk / Wolff, NVwZ 2008, S. 1316 (1319). Vgl. BVerwGE 84, 375 f. zu § 29 VwVfG m.w. N. 128 Vgl. oben unter 2. Teil 1. Abschnitt A. III. 1. a) aa) (3) bzw. bb). 129 Vgl. Bonk / Kallerhoff, Stelkens / Bonk / Sachs, § 29 Rn. 57; Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 29 Rn. 27, jeweils m.w. N. 127
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Norm insbesondere derjenige, an den eine Behörde einen Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat. Bei einem Verwaltungsverfahren muss es sich nach § 1 VwVfG um eine Behördentätigkeit handelt. Dieses trifft auf die Dienste zwar zu, da sie nicht Teil der Regierung als jeweiliges Verfassungsorgan sind. 130 Allerdings ist fraglich, ob die Behörden auch nach § 9 VwVfG ein Verwaltungsverfahren durchführen. Die Norm setzt nämlich insbesondere voraus, dass eine nach außen wirkende Behörde handelt, deren Tätigkeit auf den Erlass eines Verwaltungsaktes im Sinne des § 35 VwVfG gerichtet ist. Ein Verwaltungsakt wird insbesondere dadurch qualifiziert, dass eine Regelung mit Außenwirkung getroffen wird, vgl. § 35 Satz 1 VwVfG. Das Merkmal Außenwirkung grenzt den Verwaltungsakt vom reinen Verwaltungshandeln innerhalb der Behörde ab, das Merkmal Regelung meint eine rechtsverbindliche Anordnung im Gegensatz zu tatsächlichem Handeln. Wenn der Dienst Daten über einen Bürger erhebt, handelt es sich nicht mehr um behördeninternes Handeln. Er tritt nach außen auf. Fraglich ist jedoch, ob er auch eine rechtsverbindliche Anordnung trifft. Diese wäre auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet, die Rechte und Pflichten begründet, ändert aufhebt oder verbindlich feststellt. 131 Liegt eine solche Anordnung nicht vor, ist das Handeln des Dienstes also lediglich auf tatsächlichen Erfolg ausgerichtet, handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um einen sog. Realakt. 132 Es läge dann kein Verwaltungsakt und damit auch kein -verfahren vor. Diese Voraussetzung eines Verwaltungsaktes wurde mit Blick auf das alte Nachrichtendienstrecht (vor 1990), das nur eine Aufgabennorm kannte, allgemein als nicht gegeben angesehen. Nach dieser Ansicht sei die Tätigkeit zwar nach außen gerichtet, sie sei allerdings nur auf die Erlangung und Verarbeitung von Informationen angelegt, mithin auf tatsächliches Handeln, nicht auf rechtsverbindliche Anordnungen, also den Erlass eines Verwaltungsaktes. Daher könne ein von nachrichtendienstlicher Tätigkeit Betroffener typischerweise nicht Beteiligter und damit auch nicht Träger des Akteneinsichtsrechts nach § 29 VwVfG sein. 133 Diese Aussage wurde noch vor dem Hintergrund bloßer Informationssammlung durch traditionelle nachrichtendienstliche Mittel getroffen. Aber auch im modernen Nachrichtendienstrecht, trotz der neu hinzugekommenen besonderen Erhebungsformen, hat sie ihre Berechtigung: Die Dienste handeln größtenteils immer noch in der Form des Realaktes. Sie observieren, belauschen, sammeln 130
Vgl. Bonk / Schmitz, Stelkens / Bonk / Sachs, § 1 Rn. 191. Für Viele: Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 14 Rn. 3 f. 132 Vgl. Rachor, HbdPolR, F Rn. 39. 133 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 205; Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, jeweils mit Verweis auf BVerwGE 84, 375 f.; Scheffczyk / Wolff, NVwZ 2008, S. 1316 (1319); auch Bonk / Schmitz, Stelkens / Bonk / Sachs, § 1 Rn. 191. 131
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Daten, verfolgen oder schleusen Agenten ein. Alle diese Erhebungsformen sind auch im Polizeirecht als Realakte anerkannt. 134 Aber selbst wenn man annehmen würde, dass nachrichtendienstlichen Realakten eine Regelung dergestalt zukommt, dass der Betroffene das tatsächliche Handeln zu dulden habe, sog. konkludente Duldungsverfügung, 135, scheitert ein etwaiger Verwaltungsakt wegen der Heimlichkeit der Maßnahme an der fehlenden Bekanntgabe gegenüber dem Betroffenen gemäß § 43 Abs. 1 VwVfG. Ohne Bekanntgabe fehlt es an der sog. äußeren Wirksamkeit, ein etwaiger Verwaltungsakt bleibt ein bloßes Verwaltungsinternum. 136 Dieses gilt grundsätzlich für jede Maßnahme der verdeckten Informationserhebung. 137 Eine umstrittene Ausnahme macht die Rechtsprechung und Teile der Literatur lediglich für eine Abhörmaßnahme nach dem G 10. Erklärt wird dieses damit, dass für die jeweilige Maßnahme eine Ersatzbekanntmachung an die G 10-Kommission erfolge. 138 Mit dieser Ansicht könnte auch den neuen sog. besonderen Auskunftsverlangen nach § 8a BVerfSchG teilweise Verwaltungsaktsqualität zukommen. Zwar wird nur den dort genannten Unternehmen ein Auskunftsverlangen gegenüber bekannt gegeben und nicht dem Betroffenen, allerdings wird auch hier für bestimmte Fälle eine Ersatzbekanntgabe an die G 10-Kommission vorgenommen, vgl. § 8a Abs. 5 BVerfSchG. 139 Insgesamt ist die Konstruktion, beiden Maßnahmen Verwaltungsaktsqualität zuzugestehen, jedoch wenig überzeugend. Selbst wenn die Ersatzbekanntgabe an die G 10-Kommission eine wirksame Bekanntgabe im Sinne des § 43 Abs. 1 VwVfG darstellte, so ist doch sehr fraglich,
134 Vgl. für den Einsatz verdeckter Ermittler: BVerwG, NJW 1997, S. 2534; für die Speicherung von Daten, heimliches Photographieren: Rachor, HbdPolR, F Rn. 43; insgesamt für die Formen verdeckter Informationserhebung: Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 35 Rn. 67 b. 135 Insbesondere Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 258. Diese Konstruktion ist heute nicht mehr nötig, da Rechtsschutz, wie vor Erlass des Grundgesetzes, nicht mehr nur gegen Verwaltungsakte („polizeiliche Verfügungen“) möglich ist, vgl. dazu Rachor, HbdPolR, F Rn. 46 f. 136 Vgl. Erichsen / Hörster, Jura 1997, S. 659 (663 f.). 137 Vgl. Kniesel, Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden, Rn. 862 ff.; Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 35 Rn. 67 b, der mit der fehlenden Bekanntgabe auch eine Regelung entfallen lässt; Kopp / Schenke, VwGO, Anh. § 42 Rn. 36 m.w. N.; Rachor, HbdPolR, F Rn. 50. A. A. Evers, Rechtsschutz und Privatsspähre, S. 256 ff. 138 BVerwGE 87, 23 (25); BGH, NJW 1990, S. 1799 f.; OVG NRW, NJW 1983, S. 2346; Bonk / Schmitz, Stelkens / Bonk / Sachs, § 2 Rn. 115; Pietzcker, Schoch / SchmidtAßmann / Pietzner, § 42 Abs. 1 Rn. 66; a. A. Kopp / Schenke, VwGO, Anh. § 42 Rn. 36. 139 Das Auskunftsverlangen stellt gegenüber den Unternehmen allerdings keinen Verwaltungsakt dar, da keine Regelung getroffen wird. Den Diensten stehen keine Zwangsbefugnisse gegen die Auskunftsgeber zu, es handelt sich lediglich um ein bloßes Ersuchen, auch, wenn Abs. 7 versehentlich von „Verpflichtetem“ spricht, vgl. Roggan, HbRIS, S. 440 f., mit Verweis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 14/7386 (neu), S. 39.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
worin in den Maßnahmen eine Regelung zu erblicken ist. Es müsste dann wieder auf die Duldungsverfügung zurückgegriffen werden. Daher bleibt es also trotz der genannten Ausnahmefälle auch nach neuem Recht dabei, dass bei nachrichtendienstlicher Tätigkeit typischerweise kein Verwaltungsverfahren stattfindet. In den genannten Ausnahmefällen bliebe zwar das Akteneinsichtsrecht nach § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG grundsätzlich anwendbar. Allerdings ist § 29 VwVfG gegenüber Spezialregelungen subsidiär. Neben allgemeinen systematischen Erwägungen wird dieses in § 1 Abs. 1 VwVfG explizit angeordnet. Danach tritt das VwVfG zurück, soweit Regelungen des Bundes inhaltsgleiche oder entgegenstehende Regelungen treffen. § 15 BVerfSchG regelt die Auskunft an den Betroffenen, die im allgemeinen Datenschutzrecht auch in der Form der Akteneinsicht erfolgen kann, auch wenn man in der Praxis davon ausgeht, dass sich operative Akten der Nachrichtendienste in der Regel nicht für die Akteneinsicht eignen würden. Hinsichtlich der Akteneinsicht („soweit“ gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG) trifft § 15 BVerfSchG also eine spezielle Reglung. § 29 VwVfG bleibt demnach nicht in den genannten Ausnahmefällen anwendbar, selbst wenn man mit der umstrittenen Meinung einen Verwaltungsakt in den genannten Fällen annimmt. Für die Telekommunikationsüberwachung nach dem G 10 trifft § 15 Abs. 5 Satz 1, 2 G 10 eine Regelung, die umfassend die Informationsrechte an den Betroffenen regelt. Für diesen Fall ist § 29 VwVfG mithin ebenfalls nicht heranzuziehen. bb) Auskunftsanspruch nach § 23 SÜG Ein besonders relevanter Auskunftsanspruch ist § 23 SÜG. Das SÜG regelt ein förmliches Verfahren zur Sicherheitsüberprüfung, an der regelmäßig die Verfassungsschutzbehörden und der MAD als sog. mitwirkende Behörden beteiligt sind, vgl. §§ 3 Abs. 2, 12 Abs. 1 Nr. 1 SÜG, bzw. die alle Dienste für ihren Bereich regelmäßig als zuständige Stelle selbst durchführen, vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 SÜG. Letzteres ist der Fall, wenn die Dienste selbst Mitarbeiter mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betrauen wollen, ersteres, wenn andere Stellen entsprechende personalwirksame Maßnahmen treffen wollen. Die Sicherheitsüberprüfung ermöglicht Datenabgleiche und umfassende Datenerhebungen über Personen, die sicherheitsempfindliche Tätigkeiten ausüben, vgl. § 12 SÜG. Über die jeweilige Person wird eine sog. Sicherheitsakte bzw. Sicherheitsüberprüfungsakte nach § 18 SÜG angelegt. Die dort festgehaltenen Ergebnisse über die Sicherheitsüberprüfung können nach Übermittlung des Prüfergebnisses dazu führen, dass der Betroffene nicht für die sicherheitsempfindliche Tätigkeit zugelassen wird, § 14 Abs. 1 i.V. m. § 5 SÜG. Um die Sicherheitsüberprüfung gerichtlich überprüfen und gegebenenfalls mittelbar auch bezüglich darin enthaltener Erkenntnisse der Dienste Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können, benötigt der Betroffene zunächst Auskunft über die gespeicherten Daten. Die
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Auskunft gewährt § 23 Abs. 1 SÜG, indem er die zuständige Stelle oder mitwirkende Behörde verpflichtet, unentgeltlich Auskunft darüber zu erteilen, welche Daten über den Betroffenen im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung gespeichert wurden. Der Anspruch steht nach dem Wortlaut („anfragende Person“) auch den Ehepartnern, Lebenspartnern oder Lebensgefährten zu, die für bestimmte Sicherheitsüberprüfungen auch zum sog. betroffenen Personenkreis gemäß § 2 Abs. 2 SÜG gehören. Bezieht sich die Auskunft an die Dienste als mitwirkende Behörde, ist sie gemäß § 23 Abs. 2 SÜG aber nur mit Zustimmung des jeweiligen Dienstes zulässig. Soweit eine Auskunft für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der betroffenen Person nicht ausreicht und sie hierfür auf die Einsichtnahme in die Akte(n) angewiesen ist, wird der Auskunftsanspruch auf einen Akteneinsichtsanspruch modifiziert, vgl. Abs. 6. Diese Modifizierung unterscheidet § 23 SÜG von § 15 BVerfSchG, der eine Akteneinsicht in operative Akten nicht ausdrücklich vorsieht. Ansonsten sind die Ansprüche jedoch vergleichbar: Die Schrankenregelung in § 23 Abs. 2 SÜG entspricht im Ergebnis den Schranken des § 15 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 4 BVerfSchG bzw. des § 19 Abs. 4 BDSG. Im Gegensatz zu § 15 BVerfSchG ordnet § 23 SÜG aber wie § 19 BDSG explizit eine Güterabwägung ergänzend zum Vorliegen der Ausnahmetatbestände an („und deswegen das Interesse des Anfragenden (...) zurücktreten muss“). Eine mit § 15 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 BVerfSchG vergleichbare Regelung hinsichtlich der Entbehrlichkeit einer Ablehnungsbegründung trifft § 23 Abs. 4 SÜG und die stellvertretende Begründung an den Datenschutzbeauftragten nach § 15 Abs. 4 Sätze 4 und 5 BVerfSchG ist in § 23 Abs. 5 SÜG geregelt. Schließlich ist die Auskunft, wie auch die nach § 15 BVerfSchG unentgeltlich zu erteilen, vgl. § 23 Abs. 7 SÜG. cc) Weitere Ansprüche auf Akteneinsicht in besonderen förmlichen Verfahren Schließlich sei noch auf weitere Einsichtsrechte in besonderen förmlichen Verwaltungsverfahren hingewiesen, die Kenntnisse, die für einen mittelbaren Rechtsschutz gegen Nachrichtendienste benötigt werden, liefern können. Im sozialverwaltungsrechtlichen Verfahren gilt § 25 Abs. 1 SGB X, der ein Einsichtsrecht in Sozialakten gewährt. So kann überprüft werden, welche Daten an Dienste nach § 72 SGB X übermittelt wurden bzw. welche Daten von Diensten stammen (etwa in Fällen der Aufdeckung von Sozialversicherungsmissbrauch etc.). Abs. 3 der Norm enthält eine Schranke. Danach ist die zuständige Sozialbehörde zur Gestattung der Akteneinsicht nicht verpflichtet, soweit die Vorgänge wegen berechtigter Interessen der Beteiligten oder dritter Personen geheim gehalten werden müssen. Die dann folgende Abwägung ist nach den noch zu ermittelnden Kriterien vorzunehmen. Den Beteiligten steht im Steuerverwaltungsverfahren in der einschlägigen Verfahrensordnung, der AO, kein geschriebener Akteneinsichtsanspruch zu. Gerade
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
nach der bereits erwähnten Liechtensteiner-Steueraffäre, bei der der BND die belastenden Informationen beschafft hat, 140 wird aber deutlich, wie wichtig ein Akteneinsichtsanspruch sein kann, um mittelbar gegen nachrichtendienstliche Maßnahmen Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können. Im Steuerverwaltungsverfahren wird jedoch ein ungeschriebener Anspruch nach pflichtgemäßem Ermessen gewährt. Das Ermessen ist dabei regelmäßig auf Null reduziert. 141 Soweit Gründe entgegenstehen, muss die Behörde diese mit dem Interesse des Beteiligten auf Akteneinsicht abwägen. Das Strafverfahren stellt das einschneidenste Verfahren für den Betroffenen dar. Insbesondere in diesem Bereich gibt es eine nahezu unüberschaubare Vielzahl von Übermittlungsvorschriften zwischen Diensten und Strafverfolgungsbehörden. Durch Datenübermittlungen von Nachrichtendiensten kann ein Anfangsverdacht und damit eine strafrechtliche Ermittlung ausgelöst werden. Zum Schutz des Beschuldigten existieren zwar Übermittlungsschwellen in den Übermittlungsvorschriften und u.U. Beweisverwertungsverbote rechtswidrig erlangter und übermittelter Beweismittel. 142 Um diese geltend zu machen, ist aber die genaue Kenntnis der Ermittlungsakte bzw. der Spurenakten notwendig. Nur so kann überprüft werden, woher die verwendeten Beweismittel stammen und, für den Fall, dass sie aus nachrichtendienstlichen Quellen stammen, ob sie rechtmäßig durch die Dienste erhoben wurden. Die Zentralnorm für die Akteneinsicht des Beschuldigten bzw. seines Verteidigers ist § 147 StPO. Das Akteneinsichtsrecht gilt im Ermittlungsverfahren und auch im etwaig anschließenden strafgerichtlichen Prozess, kann ihm aber im Ermittlungsverfahren (u.U. teilweise) verweigert werden. Nach § 147 Abs. 1 StPO ist zunächst der Verteidiger des Beschuldigten befugt, die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der Anklage vorzulegen wären, einzusehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen. 143 Der verteidigte Beschuldigte kann über seinen Verteidiger aber umfassend informiert werden. 144 Für den unverteidigten Beschuldigten gilt nur ein eingeschränktes Informationsrecht, dass ermessenabhängig ist: 145 Ihm können Auskünfte und Abschriften aus den Akten erteilt werden, soweit nicht der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte und nicht überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter entgegenstehen, vgl. Abs. 7. Das Informationsrecht fließt dabei insbesondere aus Art. 6 Abs. 1, 3 EMRK. 146 140
Vgl. dazu oben 1. Teil B. IV. Fußnote 224. Vgl. Wünsch, Pahlke / Koenig, § 91 Rn. 23 m.w. N. 142 Zu den Beweisverwertungsverboten vgl. Volk, StPO, § 28. 143 Zur umstrittenen Frage, ob zu den Gerichtsakten auch die sog. Spurenakten gehören, in denen sich alle Ermittlungshinweise befinden, vgl. Volk, StPO, § 11 Rn. 11. 144 Vgl. Volk, StPO, § 11 Rn. 5 f., auch zur umstrittenen Frage, ob der Verteidiger den Beschuldigten auch über geplante Ermittlungsmaßnahmen mit Überraschungseffekt belehren darf (Haftbefehl etc.), die aus der Akte ersichtlich sind. 145 Vgl. Pfeiffer, StPO, § 147 Rn. 11. 146 Vgl. EGMR, NStZ 1998, S. 429 ff. 141
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Vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens gibt es jedoch eine Schranke hinsichtlich beider Rechte in § 147 Abs. 2 StPO. Die Einsichtnahme kann danach vor dem sog. Abschlussvermerk nach § 169a StPO versagt werden, wenn sie den Untersuchungszweck gefährden kann. Anschließend im Hauptverfahren darf der Verteidiger alle Akten einsehen, die dem Gericht vorliegen. Inwieweit die Nachrichtendienste verpflichtet sind, dem Gericht Beweismittel vorzulegen, ist dann eine Frage des Beweismittelrechts. Werden sie jedoch vorgelegt und zu den Akten genommen, kann das Einsichtsrecht nach Abschluss der Ermittlungen nicht diesbezüglich versagt werden. Die Versagung im Ermittlungsverfahren kann auch auf einzelne Aktenstücke sowie die Besichtigung der amtlich verwahrten Beweisstücke beschränkt werden. Abs. 3 enthält eine Schranken-Schranke für bestimmte Vernehmungsprotokolle und Sachverständigengutachten. Im Vorverfahren entscheidet die Staatsanwaltschaft über die Versagung. Die Entscheidung geht mit der Eröffnung der Hauptverhandlung auf das zuständige Gericht über, vgl. Abs. 5 Satz 1. Betrifft die Versagung durch die Staatsanwaltschaft den Zeitraum nach dem Abschlussvermerk oder befindet sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß, kann das Gericht zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Versagung angerufen werden, vgl. Abs. 5 Satz 2. Die Ablehnung durch den Richter kann mit der Beschwerde angegriffen werden. 147 dd) Anspruch auf Akteneinsicht in gerichtlichen Verfahren Schließlich gibt es im gerichtlichen Verfahren eines jeden Rechtswegs eigenständige Einsichtsrechte in die Gerichtsakten und dem Gericht vorgelegten Akten. Den Rechten ist gemein, dass sie grundsätzlich nicht beschränkt werden können. Von der Frage der Akteneinsicht ist aber die Frage zu trennen, welche Urkunden etc. dem Gericht vorgelegt und ob sie dann zu den Akten genommen werden müssen, vgl. etwa § 99 Abs. 2 VwGO. Dieses Problem wird im Beweismittelrecht behandelt. Für das Akteneinsichtsrecht bleibt festzuhalten, dass dieses grundsätzlich unbeschränkt ist, da es ansonsten auch keiner Regeln wie § 99 Abs. 1 VwGO bedürfte. Da der Verwaltungsprozess der wichtigste Rechtsweg gegen nachrichtendienstliche Maßnahmen ist, sollen die Einsichtsrechte der anderen Rechtswege anhand des § 100 Abs. 1 VwGO dargestellt werden. § 100 Abs. 1 VwGO gewährt die Akteneinsicht in alle dem Gericht vorliegenden Akten. Abs. 2 enthält dabei Regelungen über die Art und Weise der Einsicht (Mitnahme der Akte in die Kanzleiräume eines Anwalts, Abschriften etc.). Abs. 3 schließt die Akteneinsicht von vorbereitenden Handlungen des Gerichts aus (Entwürfe zu Urteilen, Arbeiten zur Vorbereitung etc.).
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Vgl. Volk, StPO, § 11 Rn. 13.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Im zivilrechtlichen Prozess gilt § 299 ZPO, der gemäß § 46 Abs. 1 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Prozess entsprechend gilt. § 299 Abs. 1 und 4 ZPO entsprechen § 100 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 VwGO. Das Akteneinsichtsrecht bezieht sich jedoch nur auf Prozessakten. Das sind die eigenen Akten des Prozessgerichts und zwar in vollständiger Form, auch mit dienstlichen Erklärungen des Richters. Es sind aber nicht alle dem Gericht vorliegenden Akten, wie in der VwGO. Beigezogene Akten anderer Gerichte oder Behörden sind im Gegensatz dazu nämlich nur erfasst, soweit diese die Einsicht gestattet haben. 148 Über die VwGO hinaus regelt § 299 Abs. 2 ZPO aber ein Recht auf Einsicht in die Akten Dritter. Dritte sind alle, die nicht Partei sind. Dieses Recht gehört zu den nicht-prozessualen Informationsrechten. 149 Das Recht steht den Dritten aber nur zu, wenn diese ein rechtliches Interesse an der Einsicht glaubhaft machen (z. B. Rechtsverfolgung in einem verwandten Rechtsstreit) oder die Prozessparteien zustimmen. § 299 Abs. 3 ZPO betrifft noch Einzelheiten über elektronisch geführte Akten, vgl. dazu § 100 Abs. 2 Satz 2 bis 5 VwGO. Der Prozess vor den Finanzgerichten ist in der FGO geregelt. § 78 Abs. 1 FGO gewährt dabei den Beteiligten Akteneinsicht in Gerichtsakten und dem Gericht vorliegenden Akten. Er entspricht damit § 100 Abs. 1 VwGO. Auch im Übrigen entspricht die Regelung nahezu § 100 VwGO vollständig. 150 Im sozialgerichtlichen Prozess gibt § 120 Abs. 1 SGG ein Akteneinsichtsrecht. Der Aktenbegriff ist im Gegensatz etwa zur ZPO zwar weit. Er meint alle das Verfahren betreffende Unterlagen. 151 Dieses Recht bildet aber zu den bisher vorgestellten Rechten insoweit eine Ausnahme, als es umfassend eingeschränkt werden kann. Die Einsicht in die Gerichtsakten wird bereits in Abs. 1 insoweit verweigert, als Teile aus übermittelten Akten einer Behörde stammen und diese die Einsicht ausschließt. Zudem kann gemäß Abs. 3 Satz 1 der vorsitzende Richter die Einsicht, Abschrift etc. aus „besonderen Gründen“ versagen. Gegen die Versagung kann das dann endgültig entscheidende Gericht angerufen werden. Ungewöhnlich ist, dass es weder in Abs. 1 noch in Abs. 3 gesetzlich geregelte Verweigerungsgründe gibt. Im Übrigen sind § 120 Abs. 2 und 4 SGG mit § 100 Abs. 2 Sätze 1 und 2 sowie Abs. 3 VwGO identisch. Im Gerichtsprozess gegen nachrichtendienstliche Maßnahmen ist es zudem denkbar, dass gegen ein fachgerichtliches Urteil eine Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. Nr. 4a GG, §§ 90 ff. BVerfGG erhoben wird. Im verfassungs148 Vgl. Huber, Musielak, § 299 Rn. 2; ferner Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 100 Rn. 2. 149 Vgl. Huber, Musielak, § 299 Rn. 3. 150 Eine für hiesige Zwecke nebensächliche Abweichung findet sich lediglich in § 100 Abs. 2 Satz 2 VwGO betreffend die Mitnahme der Akte in die Räume eines Bevollmächtigten. Eine solche Regelung fehlt in § 78 FGO. 151 Vgl. Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, § 120 Rn. 3.
1. Abschn. A. Der gerichtliche Rechtsschutz
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gerichtlichen Verfahren gilt für die Akteneinsicht § 20 BVerfGG, nach dem die Beteiligten das Recht zur Akteneinsicht haben. Auch der Aktenbegriff im BVerfGG ist umfassend und beinhaltet die vollständigen Akten und Aktenteile, die ein Gericht selbst anlegt oder zur Erfüllung seiner Aufklärungspflicht bereits beigezogen hat sowie etwaige zusätzliche Beweismittel. Er erstreckt sich auch auf beigezogene geheimhaltungsbedürftige Unterlagen. Diese können aber aus Gründen der Staatssicherheit durch einen Beschluss von zwei Dritteln der Stimmen des Gerichts gemäß § 26 Abs. 2 BVerfGG aus den Akten nachträglich entfernt werden. 152 Der Vollständigkeit wegen sei noch auf § 147 StPO hingewiesen, der Akteneinsicht neben dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren auch im Gerichtsverfahren gewährt. Er wurde bereits oben besprochen. c) Unterrichtungspflichten Das Pendant zu den Auskunftsansprüchen sind die Unterrichtungspflichten der Behörden. Zentralnorm für alle Behörden sind die §§ 4 Abs. 3, 19a BDSG. Nach § 4 Abs. 3 BDSG ist eine datenerhebende Stelle bei der Erhebung verpflichtet, den Betroffenen über die Identität der erhebenden Stelle und den Zweck der Erhebung, Speicherung und Nutzung zu unterrichten. § 19a BDSG verpflichtet die verantwortlichen Stellen zusätzlich, den Betroffenen auch bei der Speicherung und Übermittlung umfassend über erhobene und gespeicherte Daten zu unterrichten, wenn Daten ohne seine Kenntnis erhoben werden. Diese Umschreibung der Unterrichtungspflichten macht zugleich ihre Bedeutung klar: Da der Betroffene nicht bei allen in Betracht kommenden Behörden ständig und ohne konkreten Anlass Auskünfte über die zu seiner Person erhobenen und gespeicherten Daten beantragt, würde er faktisch keine Kenntnis von verdeckten Datenerhebungen erhalten und könnte die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht überprüfen. Das Nachrichtendienstrecht hat jedoch die Anwendung von §§ 4 Abs. 3, 19a BDSG bei der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Dienste ausgeschlossen, vgl. § 27 BVerfSchG, § 11 BNDG und § 13 MADG. Eine ähnliche Generalnorm weisen die Dienstgesetze jedoch nicht auf, vielmehr enthalten sie mehrere Einzelnormen, die bei bestimmten Maßnahmen eine Benachrichtigung vorschreiben. Sie haben gemeinsam, dass die Benachrichtigung erst erfolgt, wenn eine Gefährdung des Zwecks des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. Das gilt für die gesetzlichen Unterrichtungspflichten zu den besonderen Auskunftsverlangen bei Luftfahrtunternehmen und Unternehmen der Finanz- und Kreditbranche, vgl. § 8a Abs. 4 Satz 7 BVerfSchG, und bei Post- und Telekommunikationsunternehmen, vgl. § 5 Abs. 8 i.V. m. § 12 G 10 (ggf. jeweils i.V. m. § 2a BNDG 152
Vgl. Brink, BVerfGG, § 20 Rn. 6 f.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
bzw. § 4a Satz 1 MADG), zu besonders schweren Eingriffen durch besondere Formen der Datenerhebung, vgl. § 9 Abs. 3 Nr. 1 BVerfSchG (ggf. i.V. m. § 3 BNDG bzw. § 5 letzter HS. MADG), zum Einsatz des sog. IMSI-Catchers, vgl. § 9 Abs. 4 Satz 7 BVerfSchG (ggf. i.V. m. § 3 BNDG bzw. § 5 letzter HS. MADG) und zur Übermittlung personenbezogener Daten, § 19 Abs. 4 Satz 7 BVerfSchG (ggf. i.V. m. § 9 Abs. 2 Satz 1 BNDG bzw. § 11 Abs. 1 Satz 1 MADG). Ein endgültiger Unterrichtungsausschluss ist an keiner Stelle vorgesehen. 2. Nach Normen der Länder a) Nicht-prozessuale Informationsansprüche aa) Auskunftsansprüche in den Landesverfassungsschutzgesetzen Die Kernnorm der nicht-prozessualen Informationsansprüche auf Länderebene ist das jeweilige Pendant zu § 15 BVerfSchG. Ein entsprechender Auskunftsanspruch über bei den Landesämtern zur Person des Betroffenen gespeicherten Daten findet sich in allen Landesverfassungsschutzgesetzen. Allerdings entspricht nur ein Landesgesetz, das baden-württembergische in § 13 bwLVSG, genau der Regelung in § 15 BVerfSchG. Alle anderen Landesgesetze weisen zum Teil erhebliche Abweichungen oder nur partielle Übereinstimmungen auf. Die Regelungen mit ihren Besonderheiten sollen anhand der Struktur des § 15 BVerfSchG im Folgenden dargestellt werden. (1) Zu den Voraussetzungen nach § 15 Abs. 1 BVerfSchG § 15 Abs. 1 BVerfSchG verlangt für die Auskunftserteilung die Darlegung eines konkreten Sachverhalts und eines berechtigten Interesses. Auf diese Einschränkungen verzichten die meisten Ländergesetze, vgl. § 31 Abs. 1 Satz 1 blnVSG, § 12 Abs. 1 Satz 1 bbgVerfSchG, § 16 Abs. 1 Satz 1 bremVerfSchG, § 18 Abs. 1 hessLVerfSchG, § 13 Abs. 1 ndsVerfSchG, § 14 Abs. 1 Satz 1 nwVSG, § 18 Abs.1 Satz 1 rlpLVerfSchG, §21 Abs.1 Satz 1 saarVerfSchG; §9 Abs.1 Satz 1 sächsVSG, § 14 Abs. 1 Satz 1 saVerfSchG, § 25 Abs. 1 shLVerfSchG. Einige verlangen nur ein berechtigtes Interesse, vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 1 bayVSG, § 11 Abs. 1 Satz 1 thürVSG, oder nur einen konkreten Sachverhalt, vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 hmbVerfSchG. Zudem sieht die Bundesnorm keinen Auskunftsanspruch für nicht zur Person gespeicherte Daten vor. Einige Länder gewähren aber auch diese Auskunft, soweit die antragsstellende Person Angaben macht, die das Auffinden der Daten mit angemessenem Aufwand ermöglicht, vgl. § 12 Abs. 1 Satz 5 bbgVerfSchG, § 16 Abs. 1 Satz 3 bremVerfSchG, § 23 Abs. 1 Satz 1 HS. 2 hmbVerfSchG, § 26 Abs. 3 mvVerfSchG, § 13 Abs. 1 Satz 3 ndsVerfSchG, § 18 Abs. 1 Satz 3 rlpLVerfSchG, § 21 Abs.1 Satz 3 saarVerfSchG, §9 Abs.1a sächsVSG, §11 Abs. 1 Satz 2 thürVSG.
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Die Form der Auskunftserteilung ist in § 15 Abs. 1 BVerfSchG auch nicht geregelt. Wie dargestellt, geht die Literatur davon aus, dass kein Akteneinsichtsrecht besteht, da sich operative Akten grundsätzlich nicht zur Akteneinsicht eignen würden. Die Landesgesetze kennen hingegen ein explizites Einsichtsrecht, vgl. § 32 blnVSG, § 12 Abs. 1 Satz 2 bbgVerfSchG, § 23 Abs. 1 Satz 3 hmbVerfSchG 153, oder erlauben zumindest eine ermessensfehlerfreie Formwahl der Auskunft, vgl. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 bayVSG, § 16 Abs. 1 Satz 4 bremVerfSchG, § 26 Abs. 1 Satz 3 mvVerfSchG, § 13 Abs. 1 Satz 4 ndsVerfSchG. Nur Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz schließen explizit die Akteneinsicht aus, vgl. § 14 Abs. 1 Satz 2 nwVSG, § 18 Abs. 1 Satz 4 rlpLVerfSchG. Die übrigen Länder treffen wie der Bund keine Regelung, vgl. § 18 Abs. 1 hessLVerfSchG, § 21 Abs. 1 saarVerfSchG, § 9 Abs. 1 sächsVSG, § 14 Abs. 1 saVerfSchG, § 25 Abs. 1 shLVerfSchG, § 11 Abs. 1 thürVSG. (2) Zu den Versagensgründen nach § 15 Abs. 2 BVerfSchG § 15 Abs. 2 BVerfSchG führt Fallgruppen auf, bei deren Vorliegen die Auskunft insoweit unterbleibt. Diese wurden von einigen Ländern übernommen, vgl. Art. 11 Abs. 3 bayVSG, § 31 Abs. 2 Satz 3 blnVSG, § 18 Abs. 2 Satz 2 hessLVerfSchG, § 9 Abs. 2 sächsVSG, § 14 Abs. 2 saVerfSchG, § 11 Abs. 2 thürVSG. Die übrigen Landesgesetze modifizieren die Fallgruppen entweder leicht, vgl. § 12 Abs. 2 Satz 1 bbgVerfSchG, § 16 Abs. 2 Satz 1 bremVerfSchG, § 23 Abs. 2 hmbVerfSchG, § 26 Abs. 2 Satz 1 mvVerfSchG, § 13 Abs. 2 Satz 1 ndsVerfSchG, § 14 Abs. 2 Satz 1 nwVSG, § 18 Abs. 2 Satz 1 rlpLVerfSchG, oder verzichten ganz auf Fallgruppen und schreiben nur eine allgemeine Abwägung zwischen den Interessen des Einzelnen an der Auskunft und den Interessen der Allgemeinheit an der Geheimhaltung vor, vgl. § 21 Abs. 2 saarVerfSchG, § 25 Abs. 1 shLVerfSchG. Soweit die Länder in ihren Auskunftsansprüchen Fallgruppen geregelt haben, die zur Versagung der Auskunft führen, ordnen nur Berlin, Brandenburg und Hessen eine ergänzende Güterabwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse der Öffentlichkeit bzw. privater Dritter und dem Auskunftsinteresse des Betroffenen an, vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 blnVSG, § 12 Abs. 2 Satz 1 bbgVerfSchG und § 18 Abs. 2 Satz 1 hessLVerfSchG. (3) Zur Reichweite der Auskunft nach § 15 Abs. 3 BVerfSchG Der Auskunftsanspruch gegen die Bundesdienste beschränkt die Reichweite der Auskunft. Die Auskunft erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Da153
Jedenfalls ist ermessensfehlerfreie Formwahl vorgeschrieben, vgl. § 23 Abs. 1 Satz 4 hmbVerfSchG.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
ten und die Empfänger der Übermittlung. Auch die Mehrzahl der Bundesländer kennt diese Beschränkung, wobei Berlin sie sogar auf Informationen erweitert, die nicht in der alleinigen Verfügungsberechtigung des Landesamtes stehen, vgl. § 31 Abs. 1 blnVSG, § 16 Abs. 1 Satz 2 bremVerfSchG, § 18 Abs. 3 hessLVerfSchG, § 13 Abs. 1 Satz 2 ndsVerfSchG, § 14 Abs. 3 nwVSG, § 18 Abs. 1 Satz 2 rlpLVerfSchG, § 9 Abs. 1 Satz 2 sächsVSG, § 14 Abs. 3 saVerfSchG, § 11 Abs. 2 Satz 1 thürVSG. Im Übrigen werden die Einschränkungen von den Ländern unterschiedlich modifiziert: Teilweise werden diese Informationen gegeben, soweit ihnen nicht die Versagenstatbestände entsprechend entgegenstehen, vgl. (explizit) § 26 Abs. 1 Satz 2 mvVerfSchG, § 25 Abs. 1, 2 shLVerfSchG, teilweise können die genannten Informationen nach pflichtgemäßem Ermessen verweigert werden, vgl. § 21 Abs. 1 Satz 2 saarVerfSchG. Auch gibt es in Brandenburg eine Regelung, die die Auskunft über diese Daten zeitlich begrenzt, vgl. § 12 Abs. 1 Satz 4 bbgVerfSchG. Bayern erteilt die Informationen betreffend einer Datenübermittlung, sofern die Informationen im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung bzw. Überprüfung der Verfassungstreue für Bewerber für den öffentlichen Dienst übermittelt wurden, vgl. Art. 11 Abs. 2 bayVSG. Schließlich beschränkt Hamburg die Auskunft hinsichtlich der Übermittlung auf Informationen, die sich auf regelmäßige oder automatisierte Übermittlungen beziehen, vgl. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 hmbVerfSchG. (4) Zur Begründung der Ablehnung nach § 15 Abs. 4 BVerfSchG Die Begründung der Ablehnung ist außer in Bayern, vgl. Art. 11 Abs. 4 Satz 1 bayVSG, in allen Landesgesetzen vorgesehen, soweit durch die Begründung nicht der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde, vgl. § 12 Abs. 4 Satz 1 bbgVerfSchG, § 16 Abs. 3 Satz 1 bremVerfSchG, § 23 Abs. 3 hmbVerfSchG i.V. m. § 18 Abs. 4 hmbDSG, § 26 Abs. 3 mvVerfSchG, § 13 Abs. 3 Satz 1 ndsVerfSchG, § 14 Abs. 4 Satz 1 nwVSG, § 18 Abs. 3 Satz 1 rlpLVerfSchG, § 21 Abs. 3 Satz 1 saarVerfSchG, § 9 Abs. 3 Satz 1 sächsVSG, § 14 Abs. 4 Satz 1 saVerfSchG, § 25 Abs. 2 shLVerfSchG, § 11 Abs. 4 thürVSG. Berlin schreibt sogar für jeden Fall eine Begründung vor, die die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung der Verweigerungsgründe möglich macht, jedoch ohne dabei den Zweck der Auskunftsverweigerung zu gefährden, vgl. § 31 Abs. 3 blnVSG. Im Gegensatz zu § 15 Abs. 4 BVerfSchG verzichten aber einige Länder auf die Dokumentation der Ablehnungsgründe, vgl. Art. 11 Abs. 4 bayVSG, oder auf die Regelung der Begründung stellvertretend an den jeweiligen Datenschutzbeauftragten des Landes, vgl. arg. e contr. § 23 Abs. 3 hmbVerfSchG i.V. m. § 18 Abs. 6 hmbDSG, § 18 Abs. 4 hessLVerfSchG, § 18 Abs. 3 rlpLVerfSchG, § 25 Abs. 4 shLVerfSchG.
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bb) Sonstige Auskunftsansprüche aus den Landesgesetzen Neben den nicht-prozessualen Auskunftsansprüchen aus den Landesverfassungsschutzgesetzen kommen hinsichtlich der Gesetzgebung der Länder für den nachrichtendienstlichen Bereich noch Auskunftsansprüche aus den Landesdatenschutzgesetzen in Betracht. Daneben soll noch kurz auf Auskunftsansprüche aus den Landesbeamtengesetzen, den Landesarchivgesetzen und den Prozessordnungen der Landesverfassungsgerichte eingegangen werden, deren Erheblichkeit für den nachrichtendienstlichen Bereich bereits für die entsprechenden Bundesgesetze dargelegt wurde. Die Landesdatenschutzgesetze enthalten durchgehend Auskunftsansprüche, die bei gespeicherten personenbezogenen Daten einschlägig sind, vgl. etwa § 10 bayDSG oder § 18 nwDSG. Allerdings wurde die Anwendung für den nachrichtendienstlichen Bereich in allen Landesverfassungsschutzgesetzen ausgeschlossen oder modifiziert, soweit es um die gesetzliche Aufgabenerfüllung geht, vgl. etwa Art. 10 bayVSG oder § 28 nwVSG i.V. m. § 14 nwVSG. Es gelten demnach allein die Auskunftsregelungen in den Verfassungsschutzgesetzen. Korrespondierend dazu findet sich in den jeweiligen Datenschutzgesetzen eine mit § 19 Abs. 3 BDSG vergleichbare Regelung, vgl. etwa Art. 10 Abs. 4 bayDSG oder § 18 Abs. 5 nwDSG. Ebenso wie im Bundesbeamtenrecht finden sich bezüglich der Personalakten der Beamten in den Landesbeamtengesetzen umfassende Rechte. Alle Beamte haben danach ein uneingeschränktes Akteneinsichtsrecht, vgl. etwa Art. 107 Abs. 1 bayBG oder § 87 Abs. 1 nwLBG, und müssen ausnahmslos bei Datenübermittlungen aus der Akte über Empfänger und übermittelten Inhalt informiert werden, vgl. Art. 108 Abs. 2 Satz 2 bayBG oder § 88 Abs. 2 Satz 2 nwLBG. Nur Schleswig-Holstein ließ bis vor Kurzem von der Information eine Ausnahme zu, soweit eine Prüfung ergibt, dass dadurch die Erfüllung der Aufgaben einer empfangenden Stelle gefährdet würde, vgl. § 106e Abs. 3 Satz 3 shLBG. Diese Ausnahme wurde jetzt aber abgeschafft, vgl. § 89 Abs. 3 Satz 2 shLBG. 154 Die Landesarchivgesetze der Länder kennen ebenso wie das Bundesarchivgesetz Nutzungsrechte, vgl. etwa Art. 30 Abs. 1 bayArchG oder § 7 Abs. 1 nwArchG. Die Nutzung der Archive ist aber ebenso wie beim Bundesarchiv erst nach sehr langer Zeit, in der Regel 30 Jahre bzw. 60 Jahre bei geheimhaltungsbedürftigen Akten, möglich, vgl. etwa Art. 30 Abs. 3 bayArchG oder § 7 Abs. 2 nwArchG. Das jeweilige Informationsrecht ist für etwaigen Rechtsschutz daher kaum verwertbar. Zudem gibt es noch die Einsichtsrechte Dritter, also Nicht-Beteiligter, in Akten der Landesverfassungsgerichte. Relevant wird dieses im nachrichtendienstli154
Vgl. Gesetz zur Neuregelung des Beamtenrechts in Schleswig-Holstein vom 26. 03. 2009 (GVOBl. 2009 S. 93).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
chen Bereich aber nur bei den Gerichten, vor denen eine Individualverfassungsbeschwerde statthaft ist, da es in objektiven Verfahren (etwa Normenkontrollen etc.) keinen von nachrichtendienstlichen Maßnahmen Betroffenen gibt. Eine Akteneinsicht von Kontaktpersonen etc. kommt dann nicht in Betracht. Landesverfassungsbeschwerden kennen die Länder Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. 155 Eine den §§ 35a bis c BVerfGG vergleichbare Regelung kennen Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland, vgl. Art. 19 Abs. 5 bayVfGHG, § 16 Abs. 1 Satz 2 hessStGHG i.V. m. §§ 23a ff. BVerfGG, § 13 mvLVerfGG i.V. m. § 173 Satz 1 VwGO i.V. m. § 299 Abs. 2 ZPO, § 14a ff. saarVerfGHG. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass auch einige der bestehenden Informationsfreiheits- bzw. Informationszugangsgesetze der Länder einen Informationsanspruch gegen die Verfassungsschutzbehörden begründen. Allerdings schließen Bremen, Hamburg, Sachsen-Anhalt, das Saarland und Thüringen, dem Beispiel des IFG des Bundes folgend, einen Anspruch gegen Verfassungsschutzbehörden pauschal aus, vgl. § 3 Nr. 8 bremIFG, § 3 Abs. 2 Nr. 4 hmbIFG, § 3 Abs. 1 Nr. 8 saIZG, § 2 saarIFG, § 1 Abs. 1 und 3 thürIFG i.V. m. § 3 Nr. 8 IFG. NordrheinWestfalen schließt den Anspruch zwar nicht generell aus, regelt aber, dass spezialgesetzliche Auskunftsansprüche dem Informationsanspruch vorgehen, vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 nwIFG. Soweit die Länder den Informationszugang zu Verfassungsschutzbehörden gewähren, gibt es aber in allen Informationsfreiheitsgesetzen entsprechend den Auskunftsansprüchen Beschränkungen, so dass auch auf Länderebene der Informationszugang nicht über den der spezialgesetzlichen Auskunftsansprüche hinausgehen wird. Für den Fall, dass ein spezialgesetzlicher Auskunftsanspruch beispielsweise nicht greift, schließt etwa NordrheinWestfalen die Information aus, wenn diese die Tätigkeit des Verfassungsschutzes beeinträchtigen würde bzw. konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Information die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet, vgl. § 6 Satz 1 lit. a bzw. Satz 2 nwIFG. Es ist aber dennoch regelmäßig im Einzelfall zu prüfen, ob der Informationsfreiheitsanspruch für die Durchsetzung von Rechten gegenüber Verfassungsschutzbehörden weiteren Nutzen bringen kann. Das gilt insbesondere dann, wenn Länder zu ungewöhnlichen Beschränkungstatbeständen greifen, die u.U. anders als in den Auskunftsansprüchen ausgelegt werden: Schleswig-Holstein legt zum Beispiel recht großzügig fest, dass ein Informationszugang erst zu versagen ist, wenn die Information zu einer Schädigung der inneren Sicherheit führen würde, vgl. § 9 Nr. 1 shIFG.
155
Vgl. Nachweise bei: Hartmann, Pieroth / Silberkuhl, § 90 BVerfGG Rn. 175.
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b) Prozessuale Informationsansprüche Auch auf Landesebene gibt es selbstverständlich Auskunftsansprüche in förmlichen Verfahren gegenüber Landesbehörden, die (mittelbar) zu Kenntnissen über nachrichtendienstliche Maßnahmen führen und für den Rechtsschutz gegen Maßnahmen und Folgen verwandt werden können. Die Akteneinsichtsrechte in bundesgerichtlichen Verfahren gelten dabei ebenso für die Landesebene. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. 156 Da der Bund auch die Gesetzgebungskompetenz für das finanz- und sozialbehördliche Verfahren innehat, gilt dasselbe für die Auskunftsansprüche aus dem SGB X und der AO. Zwar hat daneben jedes Bundesland ein eigenes Verwaltungsverfahrensgesetz. Das jeweilige VwVfG entspricht hinsichtlich der Akteneinsicht Beteiligter jedoch wörtlich § 29 VwVfG und regelt das Einsichtsrecht auch stets im § 29 des jeweiligen LandesVwVfG. Eine Ausnahme macht lediglich § 88 shLVwG. Die Beschränkungen sind jedoch ebenso wortgetreu, so dass für alle Landesverwaltungsverfahrensgesetze auf das zum Bundes-VwVfG Gesagte verwiesen werden kann. Ebenso kann für die Sicherheitsüberprüfungsgesetze verfahren werden. Jedes Bundesland weist zwar ein eigenes Sicherheitsüberprüfungsgesetz für seine Behörden auf. Die darin enthaltenen Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte entsprechen jedoch im Wesentlichen § 23 SÜG. Demnach bleibt für die Auskunftsansprüche auf Landesebene noch, die Akteneinsichtsrechte in den Verfahrensordnungen der Landesverfassungsgerichte (mit Möglichkeit der Individualverfassungsbeschwerde) zu besprechen. Die Verfahrensordnungen der Landesverfassungsgerichte kennen ebenso wie das BVerfGG Akteneinsichtsrechte der Beteiligten. Diese sind aber unterschiedlich ausgestaltet. Sie können zum einen in Einsichtsrechte ohne Einschränkungen aufgeteilt werden. Sie entsprechen dann der Regelung im BVerfGG. Solche Einsichtsrechte weisen Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thürigen auf, vgl. § 18 blnVerfGHG, § 16 bbgVerfGG, § 16 Abs. 1 hessStGHG i.V. m. § 20 BVerfGG, § 16 mvLVerfGG, § 10 Abs. 1 sächsVerfGHG i.V. m. § 20 BVerfGG, § 25 Abs. 1 Satz 1 saLVerfGG, § 15 Abs. 2 thürVerfGHG. Zum anderen gibt es Länder, die Einschränkungen vorsehen. Sie betreffen grundsätzlich die sog. Staatssicherheit und werden daher bei Verfahren relevant, die Verfassungsbeschwerden gegen Instanzurteile mit nachrichtendienstlichem Bezug betreffen. Eine Klausel, wonach aus Gründen der Staatssicherheit bzw. des Staatswohls die Akteneinsicht eingeschränkt werden kann, weisen Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland auf: Bayern regelt in Art. 19 Abs. 2 bayVfGHG, dass die Einsichtnahme einstweilen bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshof mit einfacher Mehrheit versagt werden kann, wenn der Vorsitzende oder, soweit am Verfahren beteiligt, der 156
Siehe oben unter 2. Teil 1. Abschnitt A. III. 1. b).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Landtag, die Staatsregierung oder ein Ministerium die Einsichtnahme für mit dem Staatswohl unvereinbar halten. Rheinland-Pfalz schränkt die Akteneinsicht ein, wenn der Vorsitzende dadurch das Staatswohl gefährdet sieht. Gegen die Entscheidung kann der Gerichtshof angerufen werden, vgl. § 14 rlpVerfGHG. Das Saarland schließlich trifft materiell die stärkste und gleichzeitig formell die schwächste Beschränkung: Nach § 14 Abs. 3 saarVerfGHG kann das Akteneinsichtsrecht nach Abs. 2 schon versagt werden, wenn eine Abwägung ergibt, dass öffentliche oder besonders schutzwürdige private Interessen entgegenstehen. Dafür ist allerdings eine Entscheidung von zwei Drittel der Mitglieder des Gerichts erforderlich. c) Unterrichtungspflichten Die Unterrichtungspflichten der Landesverfassungsschutzbehörden sind im Gegensatz zu den Auskunftspflichten sehr unterschiedlich geregelt und werden dadurch kaum überschaubar. Sie bestimmen sich nach den jeweiligen Datenschutzgesetzen und / oder Verfassungsschutzgesetzen. Gemein ist ihnen nur, dass die Unterrichtung in der Regel dann zu erfolgen hat, wenn die Maßnahme abgeschlossen ist und die Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen ist. Die Unterrichtungspflichten sollen im Folgenden anhand der bundesgesetzlichen Regelungstechnik systematisiert werden. Dazu werden zunächst die in den Datenschutzgesetzen vorhandenen Unterrichtungspflichten dargestellt. Anschließend werden die die Anwendung der Datenschutzgesetze ausschließenden Tatbestände beschrieben und in Gruppen eingeteilt. In einem weiteren Arbeitsschritt kann für jedes Bundesland aufgezeigt werden, welche Unterrichtungstatbestände im nachrichtendienstlichen Bereich gelten. Dabei werden schließlich die vorhandenen maßnahmenbezogenen Unterrichtungspflichten in den Dienstgesetzen hinzugenommen. aa) Unterrichtung nach den Datenschutzgesetzen Die grundsätzlich für alle Behörden geltenden Landesdatenschutzgesetze weisen nur teilweise Unterrichtungsregelungen auf, die denen des BDSG entsprechen. Soweit dieses der Fall ist, treffen manche Länder eine kombinierte Lösung, die nicht trennscharf einer Regelung im BDSG zugeordnet werden kann. Sie sind dann im Folgenden zweifach, einmal bei der Erhebung und einmal bei der Speicherung von Daten, aufgeführt. 157 Eine mit § 4 Abs. 3 BDSG vergleichbare Regelung, die die Unterrichtung über die Erhebung von personenbezoge157 Diese Regelungstechnik führt dazu, dass eine Zuordnung der Ländernormen zu den beiden Bundesnormen äußerst schwer fällt, vgl. nur Mallmann, Simitis, § 19a Rn. 52 auf der einen Seite und Gola / Schomerus, BDSG, auf der anderen Seite, die unterschiedliche Zuordnungen vornehmen. Wichtig ist, ob die Erhebung „zum Zeitpunkt der Speicherung“
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nen Daten beim Betroffenen regelt, treffen neun Bundesländer, vgl. § 10 Abs. 5 blnDSG, § 12 Abs. 5 bbgDSG, § 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 bremDSG, § 12a Abs. 2 und 3 hmbDSG, § 12 Abs. 5 hessDSG, § 12 Abs. 2 Satz 4 nwDSG, § 12 Abs. 5 Satz 1saarDSG, § 12 Abs. 6 sächsDSG, § 9 Abs. 5 saDSG. Eine mit § 19a BDSG vergleichbare Regelung hinsichtlich der Unterrichtung des Betroffenen über die Speicherung personenbezogener Daten weisen zehn Bundesländer auf, vgl. § 14 Abs. 2 und 3 bwLDSG, Art. 10 Abs. 8 bayDSG, § 16 Abs. 2 blnDSG (nur bei automatisierter Verarbeitung), § 11 Abs. 2 bremDSG, § 12a Abs. 2 und 3 hmbDSG, § 18 Abs. 1 hessDSG (nur bei automatisierter Verarbeitung), § 12 Abs. 2 Satz 4 nwDSG, § 18 Abs. 1 rlpLDSG, § 9 Abs. 5 saDSG, § 26 Abs. 3 shLDSG. Mecklenburg-Vorpommern trifft als einziges Bundesland eine Regelung, nach der zwar bei Erhebung und Speicherung benachrichtigt werden muss, allerdings nur, wenn die datenverarbeitende Stelle Grund zur Annahme oder Kenntnis davon hat, dass unrichtige, unzulässig erhobene oder unzulässig gespeicherte personenbezogene Daten in der Weise genutzt wurden, dass dem Betroffenen daraus ein Nachteil entstanden ist oder zu entstehen droht, vgl. § 23 mvDSG. Niedersachsen kennt keine generellen Benachrichtigungsrechte über Speicherung oder Erhebung personenbezogener Daten. Als einziges Land hat es aber eine spezielle Benachrichtigung vorgesehen, soweit ein Betroffener einer Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen ausgesetzt ist und die Bilder ihm zugeordnet und verarbeitet werden, vgl. § 25a Abs. 4 Satz 1 ndsDSG. Thüringen beschränkt die Benachrichtigungspflicht auf Fälle regelmäßiger Übermittlungen, vgl. §§ 5 Abs. 1 Nr. 5, 17 thürDSG. bb) Ausschlussnormen in den Landesverfassungsschutzgesetzen Die Regelungen in den Datenschutzgesetzen, soweit vorhanden, sind aber nicht generell wie in den Bundesgesetzen für die Nachrichtendienste der Länder ausgeschlossen. Es gibt auf Landesebene drei Regelungswege: Erstens gibt es Länder, die dem Bund folgen und die Unterrichtungspflichten der Datenschutzgesetze ausschließen. Zweitens gibt es Länder, die anordnen, dass die Datenschutzgesetze dann nicht zur Anwendung kommen, wenn sich aus den Landesverfassungsschutzgesetzen etwas anderes ergibt. Drittens treffen einige Länder in den Verfassungsschutzgesetzen keine Regelung zum Verhältnis zum jeweiligen Landesdatenschutzgesetz. Dann ergibt sich aber eine Vorranganordnung zugunsten des Verfassungsschutzgesetzes aus den allgemeinen Regeln im Landesdatenschutzgesetz. Einen expliziten Anwendungsausschluss bestimmter Regelungen der Datenschutzgesetze haben Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Meckmitgeteilt wird (damit wird dann implizit auch über die Speicherung benachrichtigt), oder ob über die Erhebung auch ohne Speicherung benachrichtigt wird und später noch einmal „über die Speicherung“.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
lenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, SachsenAnhalt und Thüringen, vgl. § 5 Abs. 1 bwLVSG, Art. 10 bayVSG, § 38 blnVSG, § 27 bbgVerfSchG, § 30 mvVerfSchG, § 28 ndsVerfSchG, § 22 rlpLVerfSchG, § 27 saarVerfSchG, § 30 saVerfSchG und § 20b thürVSG. Zu den Ländern, die die Anwendung des Datenschutzgesetzes anordnen, soweit sich aus dem Landesverfassungsschutzgesetz nichts anderes ergibt, gehören Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen, vgl. § 31 bremVerfSchG, § 19 Abs. 1 hessLVerfSchG, § 28 nwVSG und § 4 Abs. 1 Satz 2 sächsVSG. Keine gesonderte Regelung für die Geltung des Landesdatenschutzgesetzes treffen Hamburg und Schleswig-Holstein. cc) Unterrichtungspflichten unter Berücksichtigung der Ausschlussnormen (1) Baden-Württemberg Baden-Württemberg unterrichtet hinsichtlich seiner Verfassungsschutzbehörde nicht über die Speicherung personenbezogener Daten. Dieses stellt zusätzlich zur Ausschlussnorm im bwLVSG auch § 14 Abs. 2 Satz 4 bwLDSG klar. Es wird jedoch aufgrund von Spezialregelungen im bwLVSG eine Mitteilung von der Einholung von Auskünften bei nicht-öffentlichen Stellen (besondere Auskunftsverlangen) gemacht, vgl. § 5 Abs. 8 bwLVSG, ebenso bei der Erhebung mittels eines sog. IMSI-Catchers, vgl. § 6 Abs. 4 Satz 6 bwLVSG und bei Übermittlungen personenbezogener Daten, vgl. § 10 Abs. 4 Satz 9 bwLVSG. Auch für Maßnahmen des sog. Lauschangriff und des sog. IMSI-Catcher 158, sowie für Maßnahmen der nachrichtendienstlicher Mittel, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 Abs. 1 GG gleichkommen, wird ebenfalls eine Mitteilung angeordnet, vgl. § 6 Abs. 6 Satz 6 bwLVSG. Für alle Mitteilungen werden die Reglungen in § 12 G 10 entsprechend angeordnet, gleichgültig, ob ein Eingriff in Art. 10 vorliegt oder in anderen Grundrechten. (2) Bayern Bayern unterrichtet nicht über die Speicherung personenbezogener Daten. Nach seinem Nachrichtendienstgesetz müssen aber Mitteilungen nach den sog. Lauschangriffen gemacht werden, vgl. Art. 6b Abs. 4 und 5 bayVSG. Auch hinsichtlich der neuen Maßnahmen Online-Durchsuchung und verdeckte Wohnungsdurchsuchung gibt es Mitteilungspflichten nach Abschluss der Maßnahmen, vgl. Art. 6 f. 158
Eigentlich aufgrund der entsprechenden Regelung in § 6 Abs. 4 Satz 6 bwLVSG für den IMSI-Catcher nicht nötig.
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Abs. 5 bzw. Art. 6g Satz 2 bayVSG. Schließlich findet sich für den Einsatz des IMSI-Catchers und für besondere Auskunftsverlangen, die sich an Post- und Telekommunikationsunternehmen etc. richten, ein Verweis auf die Mitteilungsvorschriften des § 12 G 10, vgl. Art. 6 f. Abs. 3 Satz 8 bayVSG. (3) Berlin Berlin unterrichtet nicht über die Speicherung personenbezogener Daten, insbesondere nicht bei der automatisierte Verarbeitung, wie es im blnDSG vorgesehen ist. Unterrichtet wird auch hier über Maßnahmen im Rahmen des sog. Lauschangriffs, vgl. § 9 Abs. 6 Satz 1 blnVSG, und über Eingriffe, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Grundrechts aus Art. 10 GG gleichkommen, vgl. § 9a Abs. 3 blnVSG. Auffällig ist hier jeweils, dass die Mitteilung bereits dann erfolgt, wenn die Gefährdung des Zwecks der Datenerhebung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu erwarten ist. (4) Brandenburg Brandenburg hat im Verfassungsschutzgesetz eine spezialgesetzliche Generalklausel für die Benachrichtigung Betroffener geschaffen: Nach § 12 Abs. 5 Satz 1 bbgVerfSchG sind diejenigen, von denen ohne ihre Kenntnis personenbezogene Daten erhoben worden sind, zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung ist dabei nicht an die Beendigung der Maßnahme gebunden, sondern kann bereits dann erfolgen, wenn der Zweck der Maßnahme es zulässt. Zusätzlich gibt es eine Benachrichtigungspflicht für die sog. besonderen Auskunftsverlangen, vgl. § 14a Abs. 5 bbgVerfSchG i.V. m. § 12 G 10. (5) Bremen Bremen hat die Benachrichtigung über die Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten in § 11 bremDSG geregelt. Allerdings ergibt sich aus § 10 Abs. 4 bremVerfSchG für Mitteilungen von bestimmten Datenerhebungen und -verarbeitungen „etwas anderes“ im Sinne des § 31 bremDSG, so dass § 11 bremDSG insoweit suspendiert ist. Nach § 10 Abs. 4 bremVerfSchG erfolgt eine Mitteilung über besondere Auskunftsverlangen, den Einsatz von IMSI-Catchern und Lauschangriffen nach Einstellung der Maßnahmen, sofern eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Da sich diese spezialgesetzliche Benachrichtigungsvorschrift nur auf bestimmte Maßnahmen erstreckt, ist für andere Maßnahmen der Datenerhebung und -verarbeitung weiterhin § 11 bremDSG anwendbar. Allerdings ist die Benachrichtigung über die im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen verdeckten Datenerhebungen und -verarbeitungen nach diesem Gesetz ausgeschlossen, soweit Speicherung oder Über-
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
mittlung der personenbezogenen Daten durch Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist, vgl. § 11 Abs. 3 Nr. 3 bremDSG. Wenn der Verfassungsschutz sich demnach in den Grenzen seiner spezialgesetzlichen Datenspeicherungs- und Datenverarbeitungsvorschriften bewegt, bleibt eine Benachrichtigung ausgeschlossen. Zusätzlich gibt es eine spezielle Mitteilungspflicht bei Übermittlungen personenbezogener Daten durch die Verfassungsschutzbehörde in § 20 Abs. 4 Satz 6 bremVerfSchG. (6) Hamburg Hamburg schließt die Regelungen des hmbDSG nicht aus, die Benachrichtigungsregelungen gelten somit auch für die Tätigkeit des Landesverfassungsschutzes. Allerdings ist auch hier in § 12a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 hmbDSG die Benachrichtigung über verdeckte Datenerhebungen ausgeschlossen, soweit die Speicherung gesetzlich zugelassen ist. Es gilt daher dasselbe wie in Bremen. Aber auch Hamburg hat spezialgesetzlich einige Mitteilungspflichten für bestimmte Maßnahmen des Verfassungsschutzes getroffen: Mitteilungen erfolgen über besondere Auskunftsverlangen gegenüber Luftfahrtunternehmen und Kreditunternehmen etc., sobald die Gefährdung des Zwecks des Eingriffs ausgeschlossen werden kann, vgl. § 7 Abs. 6 Satz 7 hmbVerfSchG. Für entsprechende Mitteilungen über Auskünfte von Post- und Telekommunikationsdienstleistern etc. und bei Maßnahmen der sog. Lauschangriffe ist die entsprechende Anwendung von § 12 G 10 angeordnet, vgl. § 7 Abs. 7 Satz 7 bzw. § 8 Abs. 6 Satz 3 hmbVerfSchG. (7) Hessen Mangels Ausschlussklausel bleibt in Hessen das hessDSG grundsätzlich anwendbar. Das Datenschutzgesetz selbst schließt die Benachrichtigung über Speicherung in automatisierten Dateien aber aus, sofern die Verarbeitung durch Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist, vgl. § 18 Abs. 2 Nr. 2 hessDSG. Insoweit gilt dasselbe wie in Bremen. Die Benachrichtigung über die Erhebung kennt einen solchen Ausschlusstatbestand jedoch nicht und hat gemäß § 12 Abs. 5 Satz 1 hessDSG zu erfolgen, sobald die rechtmäßige Erfüllung der Aufgaben durch die Benachrichtigung nicht mehr gefährdet wird. Für bestimmte Maßnahmen trifft das hessLVerfSchG allerdings abweichende Regelungen: So sieht es selbst Mitteilungstatbestände für besondere Auskunftsverlangen bei Post- und Telekommunikationsdienstleistern, vgl. § 4 Abs. 9 Satz 11 hessLVerfSchG i.V. m. § 12 G 10, und für den sog. großen Lauschangriff vor, vgl. § 5a Abs. 5 Satz 3 hessLVerfSchG i.V. m. § 12 G 10.
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(8) Mecklenburg-Vorpommern Mecklenburg-Vorpommern gehört zwar zu den Ländern, die Teile ihres Datenschutzgesetzes für den Verfassungsschutz ausschließen, allerdings gehört dazu ausdrücklich nicht § 23 mvDSG. Hat das Landesamt für Verfassungsschutz also Grund zur Annahme oder Kenntnis, dass unrichtige, unzulässig erhobene oder unzulässig gespeicherte personenbezogene Daten in der Weise genutzt wurden, dass dem Betroffenen daraus ein Nachteil entstanden ist oder zu entstehen droht, so hat es diesen unverzüglich zu benachrichtigen. Das verdeutlicht auch noch einmal § 7 Abs. 1 Satz 4 mvVerfSchG, der anordnet, dass das mvDSG gilt, soweit das mvVerfSchG nichts anderes bestimmt. Eine spezialgesetzliche Benachrichtigungspflicht ist schließlich nur noch für heimliches Mithören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel außerhalb des Schutzbereiches des Art. 13 GG vorgesehen, vgl. § 11 mvVerfSchG. Schließlich ordnet Mecklenburg-Vorpommern noch eine Mitteilungspflicht für Informationsübermittlung im Rahmen der sog. besonderen Auskunftsverlangen an, vgl. § 24a Abs. 5 Satz 8 mvVerfSchG i.V. m. § 12 G 10 an. (9) Niedersachsen Niedersachsen hat zwar bestimmte Regelungen des Datenschutzgesetzes ausgeschlossen, dieses ist aber hinsichtlich der Benachrichtigung unerheblich, da das Gesetz gar keine allgemeinen Benachrichtigungstatbestände enthält. Eine Ausnahme bildet der oben vorgestellte § 25a ndsDSG, der auch nicht durch § 28 ndsVerfSchG ausgeschlossen wird. Er enthält auch keine Ausnahmetatbestände, die für die Arbeit des Verfassungsschutzes einschlägig wären. Nutzt der Verfassungsschutz daher Videoüberwachungen nach § 25a Abs. 1 ndsVerfSchG, muss der zugeordnete Betroffene benachrichtigt werden. Daneben enthält das ndsVerfSchG noch einen Benachrichtigungstatbestand für bestimmte Maßnahmen: Die Benachrichtigung ist für den Einsatz des IMSI-Catchers, den Lauschangriff und den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel vorgesehen, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Grundrechts aus Art. 10 GG gleichkommen. Die genannten Maßnahmen sind dem Betroffenen mitzuteilen, wenn sie eingestellt wurden und wenn eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann, vgl. § 7 Abs. 4 ndsVerfSchG. Schließlich gibt es noch eine Mitteilungspflicht über die Übermittlung personenbezogener Daten durch das Landesamt, vgl. § 17 Abs. 4 Satz 6 ndsVerfSchG. (10) Nordrhein-Westfalen Nordrhein-Westfalen schließt die Benachrichtigung über Speicherung und Erhebung personenbezogener Daten nach dem nwDSG nicht aus. Es trifft allerdings für bestimmte Maßnahmen besondere Regelungen, die nach § 28 nwVSG
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das nwDSG suspendieren: Alle in Anspruch genommenen besonderen Befugnisse (besondere Auskunftsverlangen) müssen nach ihrer Einstellung mitgeteilt werden, wenn die Gefährdung des Zwecks der Befugnis ausgeschlossen werden kann, vgl. § 5a Abs. 3 Satz 11 VSG, der auf § 5 nwAGG 10 verweist (entspricht § 12 G 10). Zudem sind unter denselben Voraussetzungen erfolgte Lauschangriffe, Einsätze des IMSI-Catchers und Einsätze von nachrichtendienstlichen Mitteln, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, wozu nach dem Gesetz insbesondere das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel gehören, mitzuteilen, vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 1 nwVSG. Schließlich gibt es noch eine Mitteilungspflicht bei der Übermittlung personenbezogener Daten durch die Verfassungsschutzbehörde, vgl. § 17 Abs. 4 Satz 5 nwVSG. (11) Rheinland-Pfalz Rheinland-Pfalz hat die Benachrichtigungspflicht über die Speicherung personenbezogener Daten nach dem Landesdatenschutzgesetz für den Landesverfassungsschutz ausgeschlossen. Spezialgesetzlich finden sich Benachrichtigungspflichten für Lauschangriffe und den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel von einer besonderen Art und Schwere, vgl. § 10 Abs. 8 rlpLVerfSchG. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die entsprechende Regelung in Nordrhein-Westfalen verwiesen. Daneben gibt es für alle dort sog. weiteren Einzelfallbefugnisse (besondere Auskunftsverlangen) Benachrichtigungspflichten, wenn die Maßnahmen beendet wurden und eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann, vgl. § 10a Abs. 5 Satz 6 rlpLVerfSchG i.V. m. § 5 rlpAGG10 (entspricht § 12 G 10). (12) Saarland Das Saarland hat die allgemeine Benachrichtigungspflicht bei Datenerhebungen für das Landesamt für Verfassungsschutz ausgeschlossen. Spezialgesetzlich findet sich eine Benachrichtigungspflicht nur für die besonderen Auskunftsverlangen, vgl. § 15a Abs. 3 Satz 3 saarVerfSchG i.V. m. § 12 G 10. (13) Sachsen Sachsen schließt die im Datenschutzgesetz vorgesehene Benachrichtigung bei Erhebung personenbezogener Daten nicht aus. Eine Mitteilungspflicht scheidet aber nach § 12 Abs. 6 Satz 4 Nr. 4 sächsDSG jedenfalls in den Fällen aus, in denen die erhobenen Daten aufgrund einer Rechtsvorschrift zu speichern sind. Im Bereich des sächsVSG ist die Anwendung wegen der umfassenden Speicher-
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befugnis in § 6 sächsVSG daher gering. Im Verfassungsschutzgesetz finden sich daneben aber noch spezielle Benachrichtigungsvorschriften, die sich auf Lauschangriffe beziehen. So ist der von einem sog. großen Lauschangriff Betroffene von der Maßnahme zu benachrichtigen, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme geschehen kann. Der von einem kleinen Lauschangriff Betroffene erhält Kenntnis, sobald dieses ohne Gefährdung der für den Verfassungsschutz tätigen Person geschehen kann, vgl. § 5a Abs. 10 Satz 1, Abs. 11 Satz 3 sächsVSG. Zudem wird der Kreis der Betroffenen neben der Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, auf den Inhaber und Bewohner der Wohnung, in der die jeweilige Maßnahme durchgeführt worden ist und sogar sonstige überwachte Personen explizit erweitert, vgl. § 5a Abs. 10 Satz 3 Nr. 2 und 3 sächsVSG. Eine Unterrichtung von Betroffenen nach Satz 4 Nr. 2 und 3 unterbleibt allerdings, wenn überwiegende schutzwürdige Belange anderer Betroffener entgegenstehen oder die Identität von Betroffenen nach Satz 4 Nr. 2 und 3 nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermittelt werden kann, vgl. § 5a Abs. 10 Satz 5 sächsVSG. Schließlich gibt es noch eine Benachrichtigungspflicht bei den sog. besonderen Auskunftsverlangen, vgl. § 11a Abs. 9 Satz 3 sächsVSG. (14) Sachsen-Anhalt In Sachsen-Anhalt ist die Anwendung der Benachrichtigungsvorschriften des saDSG durch das saVerfSchG ausgeschlossen worden. Es enthält jedoch Benachrichtigungspflichten für den sog. großen Lauschangriff nach seiner Beendigung und wenn eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffes ausgeschlossen werden kann, vgl. § 8 Abs. 2 Satz 8 saVerfSchG, und für alle besonderen Auskunftsverlangen unter denselben Voraussetzungen, vgl. § 17a Abs. 4 Satz 4 saVerfSchG i.V. m. § 12 G 10. (15) Schleswig-Holstein Schleswig-Holstein schließt die Regelungen des shLDSG in seinem Verfassungsschutzgesetz nicht aus, die Benachrichtigungsregelungen gelten somit auch für die Tätigkeit des Landesverfassungsschutzes. Sie treten aber gemäß der deklaratorischen Regelung in § 3 Abs. 3 shLDSG als Ausdruck des Vorrangs speziellerer Gesetze vor allgemeinen Gesetzen zurück, soweit besondere Rechtsvorschriften etwas anderes regeln. § 8 Abs. 4 und 5 shVerfSchG regelt eine solche spezielle Benachrichtigungspflicht. Danach müssen Eingriffe mit nachrichtendienstlichen Mitteln nach ihrer Einstellung mitgeteilt werden, wenn sie in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 GG gleichkommen und eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Damit ist sogleich eine umfassende Benachrichtigungsregelung vorhanden. Die Unterrichtungspflicht in § 26 Abs. 3 shLDSG bleibt aber für weniger schwere verdeckte Eingriffe anwendbar.
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(16) Thüringen Thüringen schließt für die Tätigkeit seines Verfassungsschutzes sogar die sowieso schon restriktive Benachrichtigungspflicht des § 17 thürDSG aus. Allerdings enthält das thürVSG mehrere spezialgesetzliche Benachrichtigungspflichten. Gemäß § 5 Abs. 7 Satz 2 bzw. Abs. 10 thürVSG jeweils i.V. m. § 12 G 10 findet eine Benachrichtigung über alle besonderen Auskunftsverlangen statt, wenn die Maßnahme beendet ist und die Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Unter denselben Voraussetzungen findet eine Benachrichtigung beim Einsatz eines sog. IMSI-Catchers, vgl. § 7 Abs. 6 Satz 5 i.V. m. § 5 Abs. 7 Satz 2 thürVSG, beim kleinen Lauschangriff, vgl. § 7 Abs. 3 thürVSG, und beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gegen Mitglieder des thüringischen Landtages, vgl. § 6 Abs. 5 thürVSG statt. Diese Benachrichtigungspflicht zugunsten Landtagsabgeordneter ist bundesweit einmalig.
IV. Besondere Vorschriften über die Beweiserhebung bzw. Aktenbeiziehung Selbst die umfassende Kenntnis von einer verdeckten Maßnahme der Nachrichtendienste, der unbeschränkte Zugang zu Gerichten und ein uneingeschränktes Akteneinsichtsrecht in die Gerichtsakten helfen dem Rechtsschutzsuchenden nicht, wenn das Gericht den der Maßnahme zugrunde liegenden Sachverhalt nicht umfassend überprüfen kann. Es benötigt Aktenvorgänge und Beweismittel, die oft im Herrschaftsbereich der Dienste belegen sind (Urkunden, Agenten bzw. Mitarbeiter als Zeugen etc.); Beweismittel sind nötigenfalls zu sichern. Werden dem Gericht die Beweismittel nicht zur Verfügung gestellt, kann es nicht feststellen, ob eine Rechtsverletzung tatsächlich vorliegt und ob diese zu beseitigen ist. Die Akteneinsichtsrechte, die dem Rechtsschutzsuchende als Beteiligten im gerichtlichen Verfahren zustehen, mögen dann zwar eine Einsicht in die Gerichtsakten vorsehen, allerdings läuft das Recht natürlich faktisch leer, da sich nur diejenigen Urkunden etc. in den Akten befinden, die dem Gericht zur Kenntnis gegeben wurden. Um der Sachverhaltsaufklärung des Gerichts genüge zu tun, enthalten alle Verfahrensordnungen Regelungen über das Beweisverfahren, die das Gericht ermächtigen, verfahrensrelevante Beweismittel zu nutzen. Der Beteiligte hat regelmäßig die Möglichkeit entsprechende Beweiserhebungen zu beantragen. Die genannten Regelungen greifen auch gegenüber Behörden. Insbesondere gegenüber Nachrichtendiensten gibt es aber Sonderregelungen, die diese Behörden ermächtigen, die Vorlage von Beweismitteln aufgrund von Staatswohlerwägungen zu verweigern. Der Problemkreis wurde bereits bei den Untersuchungsausschüssen deutlich. Dort wie hier ist ein weiterer Problemschwerpunkt die Verweigerung der Aussagegenehmigung von nachrichtendienstlichen Mitarbeitern als Zeugen.
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Im Folgenden sollen die Besonderheiten des Beweismittelrechts mit Bezug zu nachrichtendienstlichen Maßnahmen dargestellt werden. Zunächst werden dabei die Akten- bzw. Urkundsvorlage- und Auskunftspflichten an das Gericht vorgestellt, im Anschluss daran die Regelungen über die Aussagegenehmigung von Amtsträgern als Zeugen. Im Mittelpunkt stehen wieder die Normen aus der VwGO, da hier der Rechtsschutz unmittelbar gegen nachrichtendienstliche Aktivitäten in Anspruch genommen wird. Insbesondere im Zusammenhang mit terroristischen Straftaten häufen sich aber auch die Prozesse, in denen nachrichtendienstliche Tätigkeit die entscheidenden Beweise für die strafprozessuale Anklage geliefert hat. 159 Dort entsteht neben der Frage der Beweiswürdigung etwa von anonymen Zeugenaussagen grundsätzlich das Problem, dass der Angeklagte den Belastungszeugen nicht befragen kann, weil u. a. die Aussagegenehmigung verweigert wird. 160 Die Zulässigkeit der zugrunde liegenden nachrichtendienstlichen Maßnahme kann aber (mittelbar) erst dann beurteilt werden, wenn diese Beweismittel beurteilt werden können. Daher soll auf den Regelungen in der StPO auch ein Schwerpunkt liegen. Die Regelungen in den anderen Verfahrensordnungen werden im Anschluss vorgestellt. 1. Akten-, Urkundsvorlage und Auskunft an das Gericht a) § 99 VwGO aa) Allgemeines Die Verwaltungsgerichtsordnung enthält in § 99 VwGO die grundlegende Vorschrift über die Akten- und Urkundsvorlage und die Auskunftsverpflichtung gegenüber Behörden. Er konkretisiert die allgemeine Amtshilfeverpflichtung der 159 In diesem Zusammenhang sei bereits hier auf die Problematik bezüglich des Legalitätsprinzips hingewiesen: Die Dienste sind nicht an dieses Prinzip gebunden, die Staatsanwaltschaften schon. Je nachdem, welche Daten die Dienste an die Staatsanwaltschaften weiterleiten (der Dienst entscheidet nach den Übermittlungsregelungen, was zur Verhinderung oder Verfolgung bestimmter Delikte erforderlich ist), entscheiden sie mit, gegen wen ein Tatverdacht entsteht und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden muss und gegen wen, mangels Kenntnis der verdachtbegründenden Tatsachen, nicht, vgl. dazu Roggan, HbdRIS, S. 423 f., 434 f. m.w. N. 160 Vgl. BGH, NJW 2000, S. 1661 f. zur Verurteilung eines Mitgliedes der PFLP (Popular Front for the Liberation of Palestine), die im Herbst 1977 die Lufthansa-Maschine „Landshut“ entführt hatte und so die RAF (Rote Armee Fraktion) unterstützte, die mit der Entführung des Präsidenten des Arbeitgeberverbandes und des BDI, Dr. Hanns Martin Schleyer, ihre Inhaftierten Mitglieder freipressen wollte; BGH, NJW 2004, S. 1259 f. zur Verurteilung von Mounir al Motassadeq, dem Beihilfe zum vielfachen Mord im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World-Trade-Center in New York vorgeworfen wurde.
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Behörden gegenüber Gerichten aus Art. 35 GG und § 14 VwGO. 161 Durch die Pflicht soll sichergestellt werden, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt so umfassend wie möglich aufgeklärt wird und die Beteiligten am Prozess von entscheidungserheblichen Vorgängen erfahren und sie zur Rechtsverteidigung nutzen können. 162 In Abs. 1 Satz 1 wird die Vorlage- und Auskunftspflicht normiert. Satz 2 enthält demgegenüber die Voraussetzungen unter denen die Behörden von der Pflicht aus Gründen des Staatswohls entbunden sind und die Vorlage verweigern dürfen. 163 Wird das Vorliegen der Voraussetzungen bestritten, regelt Abs. 2 das Verfahren, in dem auf Antrag eines Beteiligten des Verwaltungsprozesses die Rechtmäßigkeit der Vorlageverweigerung überprüft werden kann. Dieses besondere Verfahren wird als „in camera“-Verfahren bezeichnet. 164 § 99 Abs. 2 VwGO erhielt seine heutige Fassung im Wesentlichen durch Art. 1 des RmBereinVpG vom 20. Dezember 2001. 165 Die frühere Regelung enthielt nicht die Möglichkeit der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Vorliegens von Verweigerungsgründen. Das Gericht der Hauptsache konnte nur überprüfen, ob glaubhaft gemacht ist, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verweigerung vorliegen. 166 Trotz zunehmend höherer Anforderungen an die Glaubhaftmachung 167 wurde die Regelung aber durch das Bundesverfassungsgericht insoweit mit Art. 19 Abs. 4 GG für unvereinbar erklärt, als sie die Aktenvorlage auch 161
Vgl. Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 1; Ziekow, BayVBl. 1992, S. 132 (133). Vgl. BVerwGE 119, 229 (230). 163 Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 99 VwGO Rn. 6 c, geht davon aus, dass Regelungen immer stärker an praktischer Bedeutung gewinnen werden, da Erkenntnisse der Nachrichtendienste vor dem Hintergrund internationaler Terrorismusaktionen wichtiger denn je seien. 164 Der Begriff geht in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurück, das eine solche Regelung zur Überprüfung geheim zu haltender Vorgänge anregte, vgl. BVerfGE 101, 106 (128). Er wird heute allgemein für § 99 Abs. 2 VwGO verwendet, vgl. nur Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 2. 165 BGBl. I S. 3987. Zur Gesetzgebungsgeschichte vgl. Kienemund, NJW 2002, S. 1231 (1234 f.); Margedant, NVwZ 2001, S. 759 (763); Redeker / Kothe, NVwZ 2002, S. 313 (314). 166 § 99 Abs. 2 VwGO in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686) lautete: „Auf Antrag eines Beteiligten entscheidet das Gericht der Hauptsache durch Beschluß, ob glaubhaft gemacht ist, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verweigerung der Vorlage von Urkunden oder Akten und die Erteilung von Auskünften vorliegen. Die oberste Aufsichtsbehörde, die die Erklärung nach Absatz 1 abgegeben hat, ist zu diesem Verfahren beizuladen. Der Beschluß kann selbstständig mit der Beschwerde angefochten werden. Über die Beschwerde entscheidet das Bundesverwaltungsgericht, wenn das Oberverwaltungsgericht erstmalig mit der Sache befasst war.“ Im Ergebnis führte das Verfahren lediglich zu einer Selbstkontrolle der Dienste, vgl. Hirsch, Kontrolle der Dienste, S. 124 f. 167 Vgl. Nachweise bei Redeker / Kothe, NVwZ 2002, S. 313 (314). 162
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in den Fällen ausschließt, in denen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes von der Kenntnis der Verwaltungsvorgänge abhängt. 168 Zur Überprüfung der Verweigerungsgründe hat es zudem das „in camera“-Verfahren als verfassungsgemäße Möglichkeit der Überprüfung der Rechtsmäßigkeit vorgeschlagen, das der Gesetzgeber schließlich aufgegriffen hat. 169 bb) Vorlage- und Auskunftspflicht nach Abs. 1 Satz 1 § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet grundsätzlich alle Behörden zur Verschaffung von Beweismitteln und zur umfassenden Information über ihren Geschäftsbereich. Er stellt lapidar fest, dass Behörden dem Gericht gegenüber zur Vorlage von Urkunden oder Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet sind und meint damit den Regelfall. Behörden sind alle deutschen Behörden, egal, wie sie zu einem Beteiligten stehen bzw. ob sie selbst beteiligt sind, 170 d. h. alle Dienste bei jedem Verwaltungsprozess (also etwa die Landesverfassungsschutzämter, auch wenn es primär um eine Maßnahme des MAD geht). Urkunden werden wie im Zivilrecht verstanden als eine schriftlich verkörperte Gedankenerklärung durch solche Lautzeichen, die aus sich heraus ohne weiteres verständlich sind. Der Begriff ist enger als im Strafrecht und umfasst nicht so genannte Beweiszeichen als nichtschriftliche Gedankenverkörperungen. Er umfasst auch nicht elektronische Dokumente, da sie nicht aus sich heraus verständlich sind. 171 Der Tatbestand des § 99 VwGO weist für diese Dokumente aber ein eigenes Merkmal auf. Akten meint ein Konvolut von Urkunden, die zueinander im Sachzusammenhang stehen. Da beide Merkmale, Akten und Urkunden, aufgeführt sind, wird verdeutlicht, dass nicht nur Verfahrensakten, sondern darüber hinaus auch einzelne im Besitz einer Behörde befindlichen Urkunden vorzulegen sind. Es ist gleichgültig, woher die Urkunden stammen. 172 Eine Ausnahme gilt für die im Prozess selbst angefallenen Akten, etwa mit Hinweisen auf Prozesstaktik und Korrespondenz mit Prozessbevollmächtigten etc., sofern sie nicht (auch) zu einem bereits abgeschlossen Prozess gehören. 173 Die Anforderung ergeht (auf Antrag oder von Amts wegen) als Beweisbeschluss und muss nicht im Einzelnen spezifiziert werden. Welche Akten angefordert werden, steht im Rahmen 168
Vgl. BVerfGE 101, 106 ff. Vgl. BT-Drs. 14/6393, S. 10. 170 Vgl. Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 99 VwGO Rn. 8. 171 Vgl. Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 98 Rn. 187. 172 Vgl. Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 4. 173 Vgl. Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 4; Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 99 VwGO Rn. 12. 169
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des Amtsermittlungsgrundsatzes des § 86 Abs. 1 VwGO im Ermessen des Gerichts. 174 Eine Grenze ist aber dort, wo die angeforderten Akten oder Urkunden bzw. die angeforderte Auskunft den konkreten Streitgegenstand nicht betreffen. 175 Eine unberechtigt nicht erfüllte Vorlagepflicht ist nicht erzwingbar, da insbesondere die §§ 167 ff. VwGO nicht zur Vollstreckung von Beweisbeschlüssen dienen, vgl. arg. e contr. § 168 Abs. 1 VwGO, und auch aus sonstigen Normen eine Erzwingung nicht möglich ist. 176 Das Gericht kann aber Druck durch Fristsetzung mit Verweis auf die Präklusionsregelung in § 87b VwGO auf den jeweiligen Nachrichtendienst ausüben. Sofern auch dieses erfolglos ist, hat das Gericht nach den Regelungen über die Beweisvereitelung vorzugehen. 177 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass ein solches Verhalten mit der Bindung der Dienste an Recht und Gesetz aus Art. 20 Abs. 3 GG absolut unvereinbar wäre. Zudem führt ein dadurch obsiegendes Urteil für den Betroffenen regelmäßig zu Amtshaftungsansprüchen, die ihm u.U. anderenfalls versagt blieben, wenn der Dienst rechtmäßig gehandelt hätte. Im Übrigen würde ein solches Verhalten für den jeweils handelnden Beamten aufgrund der Verletzung gesetzlicher Pflichten zu disziplinarischen Konsequenzen führen. Soll durch die Verletzung der Vorlagepflicht nicht nur rechtswidriges, sondern auch strafbares Verhalten gedeckt werden, kommt zudem noch eine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung gemäß § 258 StGB in Betracht. cc) Verweigerung aus Gründen des Staatsschutzes nach Abs. 1 Satz 2 Satz 2 regelt dann die für Nachrichtendienste entscheidenden Ausnahmen: Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten, elektronischen Dokumente oder dieser Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage von Urkunden oder Akten, die Übermittlung der elektronischer Dokumente und die Erteilung der Auskünfte verweigern (sog. Sperrerklärung). Wie im Bereich der Sicherheitsbehörden üblich, wird hier mit den Beschränkungen zugunsten des Staatswohls und der Wahrung des Staatsgeheimnisses gearbeitet, die schon aus § 15 BVerfSchG und den anderen Informationsansprüchen bekannt sind.
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Vgl. Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 5; Rachor, HbdPolR, K Rn. 135. Vgl. BVerwGE 119, 229 (230). 176 So auch Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 216 f. 177 Vgl. Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 7; Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 99 Rn. 65; ferner Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 125. 175
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Die genannte oberste Aufsichtsbehörde ergibt sich aus den Dienstgesetzen: Für den BND ist es das Bundeskanzleramt, vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 BNDG, für den MAD das Bundesministerium der Verteidigung, vgl. § 1 Abs. 1 MADG, und für das BfV das Bundesinnenministerium, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG. Die Landesverfassungsschutzämter bzw. -abteilungen sind regelmäßig dem jeweiligen Innenministerium zugeordnet, vgl. etwa § 2 Abs. 1 Satz 2 nwVSG (i.V. m. § 4 Abs. 1 nwLOG, Art. 55 Abs. 2 nwVerf). Zuständig für die Entscheidung über Erteilung der Auskunft ist die jeweilige oberste Bundes- oder Landesbehörde, um die politische Verantwortung der Maßnahme zu betonen. 178 Beide von Abs. 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen müssen jedenfalls kumulativ vorliegen: Mindestens ein Verweigerungstatbestand muss erfüllt worden sein und die zuständige oberste Aufsichtsbehörde muss die Vorlage bzw. Auskunft verweigert haben. Wie bei den anderen Informationsansprüchen werden die Verweigerungstatbestände restriktiv ausgelegt und sind aufgrund des eindeutigen Wortlaut abschließend: 179 Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes kommen danach nur in Betracht, wenn wesentliche Interessen der betroffenen Gebietskörperschaft negativ berührt werden, wozu Beeinträchtigungen oder konkrete Gefährdungen des Bestandes des Bundes oder eines Landes, der äußeren oder inneren Sicherheit, der freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Staaten oder internationalen Organisationen oder eine massive Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zählen. 180 Insbesondere für Verfassungsschutzakten wird darüber hinaus vertreten, dass Nachteile dann vorliegen, wenn die Offenbarung der Beweismittel etc. die verfassungsmäßigen Aufgaben erheblich erschweren oder in weiten Teilen unmöglich machen würden. 181 Anderen reicht sogar die (bloße) Erschwerung der Aufgabenerfüllung. 182 Auch wird allgemein angenommen, dass nach dieser Fallgruppe die Geheimhaltung auch geboten ist, wenn damit drohenden Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen begegnet werden muss. 183 Anerkannt ist weiter, dass die bloße Möglichkeit des Eintritts der Nachteile nicht ausreicht. Umstritten ist jedoch, ob die Nachteile mit hinreichender 184 oder hoher Wahrscheinlichkeit 185 erwartet werden müssen. 178
Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 216. Vgl. mit Hinweis auf das Gesetzgebungsverfahren: Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 99 Rn. 14, 24; zum abschließenden Charakter ebenso Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 13. 180 Vgl. Kienemund, NJW 2002, S. 1231 (1235); Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 10; Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 99 Rn. 16; Ziekow, BayVBl. 1992, S. 132 (134). 181 Vgl. BVerwGE 75, 1 (10). 182 Vgl. Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 10. 183 Vgl. BVerwGE 75, 1 (10); Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 10; Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 99 Rn. 15. 184 Vgl. Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 10. 185 Vgl. Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 99 Rn. 16. 179
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Die nächste Fallgruppe schützt insbesondere das Amtsgeheimnis. Danach sind Akten geheimzuhalten, wenn ein Gesetz dieses anordnet. Es muss sich dabei um eine spezielle gesetzliche Vorschrift handeln, die den Behörden hinsichtlich spezifischer Informationen Geheimhaltung auferlegt (beispielsweise das sog. Steueroder das Sozialgeheimnis gemäß § 30 AO oder § 35 SGB I). Nicht hierher gehören daher die allgemeinen Vorschriften zur Amtsverschwiegenheit (vgl. etwa §§ 67 BBG) oder zum allgemeinen Datenschutz nach dem BDSG. 186 Interessanter ist die abschließende Fallgruppe, die Geheimheit dem Wesen nach anordnet. Hierunter sind insbesondere die Interessen privater Dritter mit Blick auf den Schutz ihrer Privatsphäre (etwa bei Krankenakten oder Personalakten) angesiedelt. § 99 VwGO führt in einer Fallgruppe nicht, wie die anderen Informationsansprüche, explizit die Interessen privater Dritter auf, vgl. etwa § 19 Abs. 4 Nr. 3 BDSG, § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BVerfSchG oder § 29 Abs. 2 VwVfG. Allerdings begreifen die Vorschriften die Drittinteressen jedoch nur als einen Unterpunkt der wesengemäßen Geheimheit („insbesondere wegen überwiegenden (...) Interessen eines Dritten“). Daneben soll noch einmal wiederholend klargestellt werden, dass auch unter § 99 VwGO gilt, dass Verfassungsschutzakten nicht pauschal aufgrund ihres Wesens geheim sind, sondern nur unter Hinzutreten der besonderen Voraussetzungen der ersten Fallgruppe. 187 Wie auch bei § 15 BVerfSchG ordnet § 99 VwGO nicht explizit an, dass neben dem Vorliegen der Versagungstatbestände eine Abwägung zwischen dem Interesse des Betroffenen an Offenlegung und dem der Öffentlichkeit bzw. Dritter an der Geheimhaltung stattzufinden hat. Wie bei § 29 Abs. 2 VwVfG wurde hier jedoch ein Ermessen eröffnet, indem die oberste Aufsichtsbehörde bei Vorliegen der Tatbestände nicht die Vorlage bzw. Auskunft verweigern muss, sondern „kann“. In der Ermessenausübung ist daher im Regelfall eine Abwägung vorzunehmen. 188 Dieses gilt bei Vorliegen aller Versagenstatbestände, also auch dann, wenn ein anderes Gesetz eine zwingende Geheimhaltung anordnet (etwa landesgesetzliche Auskunftsnormen in den Verfassungsschutzgesetzen). § 99 VwGO ist im Verhältnis zu allen übrigen Geheimhaltungsvorschriften eine verwaltungsprozessuale Spezialvorschrift. 189 Sie ist somit nicht an die zwingenden Rechtsfolgen anderer Geheimhaltungsvorschriften gebunden. Vielmehr muss die Behörde stets ihr Ermessen ausüben. Im Rahmen des Ermessens ist zudem die 186 Vgl. Lodde, Informationsrechte, S. 142; Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 99 Rn. 17; Ziekow, BayVBl. 1992, S. 132 (134 f.). 187 Vgl. BVerwGE 75, 1 (14); Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 99 Rn. 21 m.w. N. Im Ergebnis auch Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 11. 188 Vgl. BVerwGE 75, 1 (9) mit Verweis auf BVerfGE 57, 250 (285) zu § 96 StPO; Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 99 Rn. 25 ff.; Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 17 m.w. N. 189 Vgl. BVerwG, DVBl. 2004, S. 1493 (1494 f.); DVBl. 2006, S. 1245 f.; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 36 Rn. 21; Scheffczyk / Wolff, NVwZ 2008, S. 1316 (1319).
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Möglichkeit einer Differenzierung der einzelnen Aktenstücke und eine Teilauskunft zu prüfen, ansonsten handelt die Behörde ermessensfehlerhaft. 190 dd) Sog. „in camera“-Verfahren nach Abs. 2 Zur Überprüfung der von der Behörde vorgebrachten Gründe kann der Beteiligte aber das Verfahren nach Abs. 2 anstrengen, sog. „in camera“-Verfahren. Verwaltungsprozessual handelt es sich um ein Zwischenverfahren, das mit einer rechtskräftigen und für das Hauptsachegericht bindende Entscheidung 191 endet: Der Antrag wird zwar nach Satz 3 bei dem Gericht in der Hauptsache gestellt, er wird aber anschließend an ein anderes Gericht zur Klärung der Verfahrensfrage abgegeben. Im „in camera“-Verfahren werden die verweigerten Akten dem dafür zuständigen Gericht im notwendigem Umfang vorgelegt. 192 Die oberste Aufsichtsbehörde hat dabei keine Wahl. Sie ist verpflichtet, die nach Abs. 1 Satz 2 verweigerten Urkunden oder Akten auf Aufforderung dieses Spruchkörpers vorzulegen, die elektronischen Dokumente zu übermitteln oder die verweigerten Auskünfte zu erteilen, Satz 5. Im Gegenzug tagt das Gericht nach Satz 6 geheim (besondere Ausgestaltungen finden sich in den Sätzen 7 f. und 10 f.), so dass die Kenntnisnahme der Akten etc. auf das Gericht beschränkt wird. Die Akteneinsicht nach § 100 VwGO findet auf diese Akten keine Anwendung. Die Beteiligten erhalten vom Tatsachenstoff des Verfahrens also keine Kenntnis. Das Gericht tagt mit anderen Worten „in camera“. 193 Das Verfahren wird durch einen Beweisbeschluss nach § 98 VwGO i.V. m. § 358 ZPO des Gerichts der Hauptsache in Gang gesetzt. 194 Ob bestimmte Akten etc. der Vorlagepflicht unterfallen und ob sie entscheidungserheblich sind, entscheidet ebenfalls das Gericht der Hauptsache. Das Gericht des „in camera“-Verfahrens ist daran gebunden, da es im Zwischenverfahren nur die Rechte hat, die ihm ausdrücklich in § 99 Abs. 2 VwGO zugewiesen wurden. 195 Sachlich und funktionell zuständig für das Verfahren sind die dafür eigens zu bildenden Fachsenate bei den Oberverwaltungsgerichten bzw. beim Bundesverwaltungsgericht, vgl. Satz 4 i.V. m. § 189 VwGO. Generell ist das Oberverwaltungsgericht zuständig, das Bundesverwaltungsgericht nur, wenn eine oberste Bundesbehörde die Vorlage- bzw. Auskunftsverweigerung auf das Bundeswohl 190
Vgl. BVerwG vom 18. 06. 2008 – 20 F 44.07 Rn. 6 ff. abrufbar im Internet unter: http://www.bundesverwaltungsgericht.de/enid/1fc8034f195efeacc65598446e56b33b ,0/Entscheidungen/Entscheidungssuche_8n.html (abgerufen am 03. 03. 2009). 191 Vgl. BVerwG, NJW 2007, 789 (792). 192 Vgl. zum Umfang: Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 215 f. m.w. N. 193 Vgl. BVerfGE 101, 106 (128). 194 Vgl. BVerwG, E 125, 40 (42); Beschluss vom 25. 02. 2008 – 20 F 43.07, Rz. 7. 195 Vgl. BVerwGE 117, 8 (9 f.); 119, 229 f.; DVBl. 2006, S. 851 f.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
stützt oder das Bundesverwaltungsgericht nach § 50 VwGO für die Hauptsache zuständig ist, vgl. Satz 2. Das Bundesverwaltungsgericht soll aufgrund dieser Einteilung für die besonders sensiblen Staatsschutzsachen zuständig sein. 196 Gegen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts ist jedenfalls eine Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht möglich, vgl. die Sätze 12 f. Auf die Nachrichtendienste übertragen bedeutet dies, dass das jeweilige Oberverwaltungsgericht für die Maßnahmen der Landesverfassungsschutzämter zuständig ist. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts ist grundsätzlich beim BfV gegeben, da sich die oberste Bundesbehörde regelmäßig auf das Wohl des Bundes und nur selten auf das Landeswohl berufen wird. Beim MAD ist wegen des Aufgabengebiets nur der Fall denkbar, dass ein Berufen auf das Bundeswohl erfolgt. 197 Für den BND besteht im Übrigen eine Sonderzuweisung zum Bundesverwaltungsgericht, da dieses gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO für alle Klagen in der Hauptsache zuständig ist, die Vorgänge im Geschäftsbereich des BND betreffen. Wurde schließlich festgestellt, dass die Sperrerklärung unrechtmäßig ergangen ist, hat die Behörde die Akten an das Hauptsachegericht herauszugeben. Über eine Erzwingung gilt das oben Gesagte entsprechend. Wurde die Erklärung hingegen für rechtmäßig erachtet, muss das Gericht der Hauptsache die ihm verbleibenden Möglichkeiten zur Sachverhaltaufklärung nutzen. b) § 96 StPO aa) Amtshilfe und Einschränkungen aus Gründen des Staatswohls Eine mit § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO vergleichbare Vorschrift für den Strafprozess bzw. das Ermittlungsverfahren existiert nicht. Zwar regelt § 95 StPO eine Herausgabepflicht für Gegenstände, die im Sinne des § 94 StPO als Beweismittel für die strafprozessuale Untersuchung von Bedeutung sein können und damit der Beschlagnahme unterliegen, allerdings gilt § 95 StPO nicht für eine Herausgabepflicht gegenüber Behörden. 198 Behördlich verwahrte Sachen werden über ein allgemeines Amtshilfeersuchen nach Art. 35 Abs. 1 GG, § 161 Abs. 1 StPO herausverlangt. Entsprechendes gilt für ein Auskunftsersuchen der Strafverfolgungsbehörden bzw. des Strafgerichts gegenüber Behörden. 199 § 96 Satz 1 StPO enthält jedoch eine Einschränkung der Amtshilfe der Behörden gegenüber den Strafverfolgungsorganen aus Gesichtspunkten des Staats196 197 198 199
Vgl. BT-Drs. 14/7474, S. 15. So auch BT-Drs. 14/7474, S. 16; Kienemund, NJW 2002, S. 1231 (1235). Vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 95 Rn. 3. Vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 96 Rn. 1; Pfeiffer, StPO, § 161 Rn. 2.
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wohls. Danach darf die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderer in amtlicher Verwahrung befindlicher Schriftstücke durch Behörden und öffentliche Beamte nicht gefordert werden, wenn die oberste Dienstbehörde erklärt, dass das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde. Auch hier kann also eine Sperrerklärung abgegeben werden. Dabei soll nach der Rechtsprechung die Sperrerklärung jedoch die Ausnahme bleiben, da alle Behörden verpflichtet seien, dazu beizutragen, dem Gericht möglichst gute Beweismittel zur Verfügung zu stellen. 200 Wörtlich bezieht sich die Sperrerklärung allerdings nur auf schriftliche Beweismittel, nicht aber auf Auskunftsverlangen. § 96 StPO wird jedoch analog auf das Auskunftsverlangen angewendet, da die Auskunft gegenüber dem Vorlegen von Akten die geringere Pflicht sei. 201 Nach einer Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs wurde jedoch die Anwendung bei jeglichem Auskunftsverlangen auf die Fälle beschränkt, in denen sich das Verlangen auf Auskunft über den Namen und die ladungsfähige Anschrift eines behördlich geheim gehaltenen Zeugen erstreckt. 202 Uneingeschränkt analog angewendet werden aber in jedem Falle der nur beschränkte Katalog der Weigerungsgründe und die übrigen Voraussetzungen (Sperrerklärung nur durch oberste Dienstbehörde) des § 96 Satz 1 StPO. 203 Für verdeckte Ermittler gilt spezialgesetzlich § 100b Abs. 3 Satz 3 StPO, der auf § 96 StPO verweist. Er ist aber auf andere „verdeckte Ermittler“, etwa die der Nachrichtendienste, nicht anwendbar, sondern bezieht sich nur auf Ermittler des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens. Ob die Analogie zu § 96 StPO trotz der spezialgesetzlichen Normierung noch für andere verdeckt operierende „Ermittler“ haltbar ist, ist umstritten. 204 Nach der Rechtsprechung ist es jedoch ein Gebot des fairen Prozesses und des Fragerechts des Angeklagte, insbesondere im Hinblick auf § 6 III lit d EMRK, sowie der Pflicht des Strafgerichts zur umfassenden Wahrheitsfindung nach § 244 Abs. 2 StPO, dass der Angeklagte so weit wie möglich dem Belastungszeugen Fragen stellen kann. Es sind daher stets Möglichkeiten zu prüfen, ob eine Befragung unter Wahrung der erforderlichen Anonymität erfolgen kann, auch wenn die Sperrerklärung im Bezug auf die Identität des Zeugen mit dem Hinweis auf eine Gefährdung desselben oder ein Abebben der Informationsquelle erfolgt. Dafür wurde ein System von Schutzstufen entwickelt. Genügt eine dieser Stufen 200
Vgl. etwa BVerfGE 57, 250 (283); BGHSt 35, 82 (85); BGH NStZ 2005, S. 43. Vgl. BGH, NJW 1981, S. 1052; BGHSt 44, 107 (116). Diese (einfach-gesetzliche) analoge Anwendung erkennt auch das Bundesverfassungsgericht (E 57, 250 (282)) an. 202 Vgl. BGH (GrS), NJW 1984, S. 247 f; so auch Meyer-Goßner, StPO, § 96 Rn. 12; Pfeiffer, StPO, § 96 Rn. 2. 203 Vgl. BGH, NJW 1981, S. 1052; Meyer-Goßner, StPO, § 96 Rn. 13. 204 Vgl. Volk, StPO, § 27 Rn. 31 m.w. N. 201
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
der erforderlichen Anonymität, ist die Sperrerklärung dann insoweit aufzuheben. Die jeweils zu prüfenden drei Stufen beginnen mit einem niedrigen Schutzgrad, der von Stufe zu Stufe steigt. 205 Auf der ersten Stufe befindet sich der Zeuge in der Hauptverhandlung, wird aber durch Nichtnennung seines Wohnortes und seiner Personalien geschützt, vgl. § 68 Abs. 2 und 3 StPO. Zusätzlich kann die Öffentlichkeit für den Prozess nach § 172 Nr. 1a GVG oder sogar der Angeklagte für die Vernehmung nach § 247 StPO ausgeschlossen werden. 206 Weiterhin ist es möglich, dass der Zeuge seine Aussage an einem anderen Ort macht und per Video- / Audioübertragung zeitgleich oder per Aufzeichnung an das Gericht übertragen wird. Dabei kann die Stimme technisch verzerrt werden und der Zeuge visuell unkenntlich gemacht werden, sog. Videokonferenz unter optischer und akustischer Abschirmung. 207 Die nächste Stufe wäre eine sog. kommissarische Vernehmung durch einen ersuchten oder beauftragten Richter außerhalb der Hauptverhandlung nach §§ 223 f. StPO. Das Protokoll ist dann in der Hauptverhandlung nach § 251 Abs. 2 StPO verlesbar. Die letzte Stufe ist schließlich der sog. Zeuge vom Hörensagen (etwa der bei einer Vernehmung anwesende Ermittlungsbeamte). Erachtet die Behörde trotz der Möglichkeiten den Zeugen weiterhin für gefährdet, sperrt sie ihn völlig und gibt seine Identität nicht Preis. Diese Sperrung muss aufgrund ihres erheblichen Eingriffs in den Gang der Rechtspflege aber die Ausnahme sein. 208 Der Zeuge ist dann, und nur dann, 209 als Beweismittel unerreichbar, vgl. § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO. Auf der einen Seite ist dann ein entsprechender Beweisantrag abzulehnen und auf der anderen Seite geht die richterliche Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung von Amtswegen nach § 244 Abs. 2 StPO in diesem Punkte ins Leere. 210 Kennt das Gericht aber aus sonstigen Erkenntnisquellen die Identität des Zeugen, steht die Sperrerklärung seiner Ladung und Vernehmung nicht entgegen. 211 bb) „In camera“-Verfahren im Strafprozess? Die Verweigerungstatbestände zugunsten des Staatswohls werden zwar wie in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ausgelegt. 212 Auch muss dem Gericht eine Begrün205
Zur Stufentheorie: Volk, StPO, § 27 Rn. 32 ff. Vgl. BGH (GrS), NJW 1984, S. 247 (249); BGH NStZ 2004, S. 345 (346 f.); Volk, StPO, § 27 Rn. 33. 207 Vgl. BGH NStZ 2004, S. 345 (346 f.); NStZ 2005, S. 43; Meyer-Goßner, StPO, § 96 Rn. 12. 208 Vgl. BGHSt, 35, 82 (85); BGH, NStZ 2005, S. 43. 209 Vgl. BGH, NJW 1981, S. 1052. 210 Bei belastenden Zeugen gilt dann zugunsten des Beschuldigten der Zweifelssatz, vgl. Lisken, NJW 1991, S. 1658 (1660). 211 Vgl. BGH NStZ 2003, S. 610; Pfeiffer, StPO, § 96 Rn. 3. 212 Vgl. Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 10; Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 99 Rn. 15. 206
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dung zur Sperrerklärung vorgelegt werden, aus der die Sperre verständlich wird und dem Gericht die Möglichkeit eröffnet, im Rahmen der Gegenvorstellung tätig zu werden. 213 Eine Gegenvorstellung ist ein gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehener „Rechtsbehelf“, durch den die Behörde veranlasst werden soll, ihre Entscheidung zu überdenken. Allerdings sieht § 96 StPO kein förmliches „in camera“-Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit wie in § 99 Abs. 2 VwGO vor. Dieses ist auch für den Fall einer Sperrerklärung belastender Beweismittel nicht nötig, da ein aufgrund einer solchen Erklärung zurückgehaltenes Dokument wegen des Zweifelssatzes „in dubio pro reo“ nicht zulasten des Angeklagten benutzt werden darf. Wird ein gesperrtes Dokument aber zur Verteidigung des Angeklagten gebraucht, kann sich eine Sperrerklärung für ihn nachteilig auswirken. § 99 Abs. 2 VwGO wird daher von der Strafjustiz für den Angeklagten fruchtbar gemacht, wenn ein verweigertes Dokument einer Behörde der Verteidigung dient. Der Angeklagte kann mit einer Anfechtungsklage die Sperrerklärung nach § 96 StPO vor dem Verwaltungsgericht mit der Behauptung anfechtet, die vom Strafgericht (!) verlangten Akten etc. seien rechtswidrig mit einer Sperrerklärung belegt worden. Denn eine rechtswidrige Sperrerklärung würde das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren verletzten. 214 Das Strafgericht selbst oder die Staatsanwaltschaft können ein solches Verfahren jedoch nicht einleiten. Dem Gericht bleibt nur die Gegenvorstellung, zu der es im Übrigen verpflichtet ist, wenn die Begründung der Sperre fehlt oder offensichtlich fehlerhaft ist. Hat die Gegenvorstellung kein Erfolg, bleibt die Sperrerklärung für das Gericht bindend, das Beweismittel ist unerreichbar im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO. 215 Die Folge ist, dass das Gericht auf sachfernere Beweismittel zurückgreifen muss (etwa Beweissurrogate: Vernehmung eines Augenscheinsgehilfen anstatt in Augenscheinsnahmen eines gesperrten Augenscheinsobjekts) und unter Anwendung des Zweifelssatzes „in dubio pro reo“ zu einer vorsichtigen Beweiswürdigung kommen muss. 216 Ist eine Sperrerklärung jedoch willkürlich oder offensichtlich fehlerhaft, darf nicht auf Beweissurrogate zurückgegriffen werden, die Informationen aus gesperrten Beweismitteln werden dann nicht in die Verhandlung eingeführt. 217 Zudem können dann die die begehrten Informationen enthaltenden Behördenakten beschlagnahmt werden. 218 213 Der bloße Hinweis auf die von Sicherheitsbehörden wahrzunehmende Aufgaben genügt nicht, vgl. BVerwG vom 10. 02. 2003 – 6 VR 3/03 Rz. 19. 214 Vgl. BVerwG, E 75, 1 (5 ff.).; Beschluss vom 10. 02. 2003 – 6 VR 2/03, Rz. 7 ff.; NJW 2004, S. 963 ff.; DVBl. 2006, S. 851 f. 215 Vgl. BGH (GrS), NJW 1984, S. 247 (248 f.); Meyer-Goßner, StPO, § 96 Rn. 9 f. 216 Vgl. auch zu den Einzelheiten dieser Art der Beweiswürdigung: BGH NJW 2004, S. 1259 (1262) sowie BVerfG, NJW 2001, S. 2245 f.; Meyer-Goßner, StPO, § 96 Rn. 10; Pfeiffer, StPO, § Rn. 1. 217 Vgl. Volk, StPO, § 27 Rn. 37. 218 Vgl. Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung, S. 294, auch für den Fall, dass nur ein wichtiges öffentliches Interesse an der Verfolgung des Strafanspruchs besteht; Velten, Befugnisse der Ermittlungsbehörden, S. 60, mit Verweis auf BGH, StrafV 1992, S. 308 ff.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
c) Regelungen in den übrigen Verfahrensordnungen Auch in den übrigen Verfahrensordnungen der einzelnen Rechtswege gibt es besondere Vorschriften über die Beweiserhebung bzw. Aktenbeiziehung, die in nachrichtendienstlichen Fällen von Bedeutung sind. Aufgrund der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf dem Gebiet des Gerichtsverfahrens nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, von der der Bund auch Gebrauch gemacht hat, gelten die Regelungen freilich auch für die Gerichte der Länder. Die einzig in der Kompetenz des Landesgesetzgebers verbliebenen und in dem vorliegenden Zusammenhang relevanten Verfahrensregelungen sind die Verfahrensordnungen der jeweiligen Landesverfassungsgerichte, bei denen die Möglichkeit einer Individualverfassungsbeschwerde besteht. aa) Normen des Bundes Die bundesgesetzlichen Verfahrensordnungen der anderen Gerichtszweige enthalten jeweils Vorschriften über Beweiserhebungskompetenzen und entsprechenden Einschränkungen. Eine mit § 99 VwGO vergleichbare Regelung enthält allerdings nur die FGO in § 86. Sie ist strukturell gleich, wobei bei Vorlageverweigerung ein entsprechendes Zwischenverfahren beim Bundesfinanzhof durchgeführt wird. Die für sozialgerichtlichen Verfahren einschlägige Norm, § 119 SGG, ist hingegen nur mit § 99 Abs. 1 VwGO vergleichbar. Die Anrufung des Gerichts und ein § 99 Abs. 2 VwGO entsprechendes Zwischenverfahren ist bei der Verweigerung der Aktenvorlage nicht vorgesehen. Im bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren kann das Bundesverfassungsgericht hingegen uneingeschränkt den für die Erforschung der Wahrheit erforderlichen Beweis erheben, vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Zwar ist das Gericht keine Tatsacheninstanz, jedoch kann es die Wahrheit selbstständig untersuchen. Da das Verfahren dem Untersuchungsgrundsatz unterliegt, stellen Beweisanträge der Beteiligten lediglich Beweisanregungen dar, die auch nicht förmlich beschieden werden. 219 Eine Einschränkung der Wahrheitsermittlung des Gerichts von Seiten der Behörden ist nicht vorgesehen. Das Gericht kann sich nur selbst beschränken. 220 Dazu kann es erklären, dass die Beiziehung von Beweismitteln aus Gründen der Staatssicherheit unterbleibt. Die Staatssicherheit in diesem Sinne ist dann bedroht, wenn der Verfassungsstaat Bundesrepublik Deutschland, seine Glieder oder zentralen Einrichtungen in Bestand oder Funktionsfähigkeit gefährdet sind. 221 Das BVerfGG hat jedoch im einschlägigen § 26 Abs. 2 BVerfGG eine hohe Hürde gesetzt: Es ist ein Beschluss mit einer Mehrheit von zwei Dritteln 219 220 221
Vgl. Brink, BVerfGG, § 26 Rn. 2. Vgl. Evers, Privatsphäre und Verfassungsschutz, S. 273. Vgl. Brink, BVerfGG, § 26 Rn. 11.
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der Stimmen des Gerichts erforderlich. Der Beschluss kann sich nach der Regelung wiederum auch nur auf die Beiziehung von Urkunden beziehen, nicht auf andere Beweismittel. Daneben sind alle Behörden nach § 27 BVerfGG zur unbeschränkten Amtshilfe verpflichtet, vgl. Satz 1. Fordert das Gericht Akten von Behörden an, so sind sie ihm bereits nach der einfach-gesetzlichen Konzeption zwingend vorzulegen, vgl. Satz 2. Das zivilgerichtliche Verfahren (entsprechendes gilt gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i.V. m. ZPO für das arbeitsgerichtliche Verfahren) weist keinen einzelnen Tatbestand auf, vielmehr finden sich in der ZPO verstreute Regelungen. In den allgemeinen Vorschriften zum zivilgerichtlichen Verfahren finden sich die Kompetenzen des Gerichts, die Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten anzuordnen, die sich im Besitz einer Prozesspartei oder eines Dritten befinden, vgl. § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Norm betrifft also die Nachrichtendienste als beklagte Partei, aber auch als Nichtpartei. § 142 Abs. 1 ZPO mutet wie ein Bruch mit dem zivilprozessualen Beibringungssatz an, was allerdings auch beabsichtigt ist: Aufgrund der Änderung des Berufungsrechtes soll die Sachverhaltsaufklärung der Erstinstanz und die Informationsbefugnis des Gerichts und der Beteiligten gestärkt werden. 222 Dennoch darf die Norm nicht zu einer faktischen Untersuchungsbefugnis des Zivilrichters werden, wie sie im Verwaltungsverfahren in § 86 Abs. 1 VwGO (Amtsermittlung) beheimatet ist. Daher ist § 142 ZPO immer an das Vorbringen der Parteien zur Sache gebunden. 223 Die Vorlageanordnung des § 142 Abs. 1 ZPO steht im Ermessen des Gerichts, dass von seinem Ermessen bei Anregung durch eine Partei jedenfalls Gebrauch machen muss. 224 Die Vorlage kann nach Anordnung einer Frist gemäß § 142 Abs. 1 Satz 2 ZPO von Nachrichtendiensten als Prozess-Dritte erzwungen werden. Allerdings stehen ihnen u.U. die Verweigerungsgründe nach § 142 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu, wonach sie die Vorlage verweigern dürfen, wenn sie gemäß den §§ 383 bis 385 ZPO zur Zeugnisverweigerung berechtigt sind. Für Dienste kommt hier § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO in Betracht. Danach haben Personen, denen insbesondere kraft Amtes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschriften geboten ist, ein Zeugnisverweigerungsrecht. Zu diesen Personen gehören insbesondere Beamte, deren Verschwiegenheitsverpflichtung sich nach den Beamtengesetzen richtet. Die Rechtmäßigkeit der Verweigerung kann im sog. Zwischenstreit nach den §§ 387 bis 389 ZPO geklärt werden, vgl. § 142 Abs. 2 Satz 2 ZPO, der nach Anhörung der Parteien durch Zwischenurteil entschieden wird, vgl. § 387 Abs. 1 ZPO. Dagegen ist nach § 387 Abs. 3 ZPO die sofortige Beschwerde statthaft.
222 223 224
Vgl. Stadler, Musilak § 142 Rn. 1 mit Hinweis auf das Gesetzgebungsverfahren. Vgl. Stadler, Musilak § 142 Rn. 1; Reichold, Thomas / Putzo, § 142 Rn. 1. Vgl. BGH, NJW 2007, S. 2989 (2992); Stadler, Musilak § 142 Rn. 1.
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Nicht erzwungen werden kann eine Vorlage gegen Prozessparteien. Wird die Frist zur Urkundenvorlage (§ 142 Abs. 1 Satz 2 i.V. m. § 273 Abs. 2 Nr. 5 ZPO) jedoch nicht eingehalten, gilt § 296 Abs. 1 ZPO gegenüber dem Dienst als vorlagepflichtigen Partei. Angriffs- und Verteidigungsmittel des Dienstes sind dann grundsätzlich zurückzuweisen, was regelmäßig zu einem erheblichen Nachteil im Prozess führt. Daneben ist § 427 ZPO anzuwenden, nach dem schon die bloßen Behauptungen des Betroffenen als richtig angesehen werden können. 225 Neben der Anordnungsbefugnis nach § 142 ZPO stehen selbstständig die §§ 422 ff. ZPO. 226 Diese Regelungen betreffen das Beweisverfahren hinsichtlich des Urkundsbeweis und dienen der beweisbelasteten Partei (Beweisführer) zum Beweisantritt. § 422 ZPO verpflichtet die gegnerische Partei zur Vorlage von Urkunden, wenn der Beweisführer nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Herausgabe oder die Urkunde verlangen kann. Er muss also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Vorlage haben. Da die meisten dieser materiell-rechtlichen Vorschriften insbesondere getätigte Rechtsgeschäfte und nicht deliktisches Handeln betreffen (vgl. etwa § 810 BGB 227), kommen sie für zivilrechtliche Prozesse gegen die Dienste in der Regel nicht in Betracht. Zudem kommen als Grenze der Vorlagepflicht die Zeugnisverweigerungsgründe aus § 384 Abs. 1 ZPO entsprechend zum Tragen. 228 Sollte der Nachrichtendienst dennoch einmal vorlagepflichtig sein und kommt der Pflicht nicht nach, bestimmt sich die Folge nach § 427 ZPO, so dass eine Behauptung des Beweisführers insbesondere über den Inhalt der Urkunde als bewiesen angesehen werden kann. Schließlich kann im Falle der Parteistellung des Dienstes Auskunft auch noch über eine Parteivernehmung erzielt werden. Diese ist als subsidiäres Beweismittel unter den Voraussetzungen der §§ 445 ff. ZPO zulässig und wird auf Antrag oder unter engeren Voraussetzungen von Amts wegen angeordnet, vgl. §§ 445, 448 ZPO. Lehnt der Dienst es als Gegner ab, sich daraufhin vernehmen zu lassen oder gibt er auf Verlangen des Gerichts keine Erklärung ab, kann das Gericht gemäß § 446 ZPO die behauptete Tatsache als bewiesen ansehen. Ist der Nachrichtendienst im Prozess Dritter, also etwa Zeuge, richtet sich die Vorlegung nach § 432 ZPO, der eine einfach-gesetzliche Vorschrift der Amtshilfe aus Art. 35 GG darstellt. Die Entscheidung wird nach pflichtgemäßem Ermessen von der Behörde getroffen. In diesem Rahmen hat sie auch die Interessen der Öffentlichkeit etwa an Geheimhaltung oder die Interessen Dritter mit dem Interesse des Beweisführers abzuwägen. Eine analoge Anwendung des Verfahrens 225
Vgl. Reichold, Thomas / Putzo § 142 Rn. 5. Vgl. BGH, NJW 2007, S. 2989 (2991 f.). 227 Eine Aufzählung der weiteren Normen findet sich beispielsweise bei Schreiber, MüKo ZPO, § 422 Rn. 6. 228 Vgl. Huber, Musielak, § 422 Rn. 1; Schreiber, MüKo ZPO, § 422 Rn. 5. 226
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nach § 99 VwGO kommt aber nicht in Betracht. 229 Der Beweis ist bei einer Vorlageweigerung dann nicht erbracht. Steht dem Beweisführer ein öffentlichrechtlicher Anspruch auf Vorlage zu, ist vom Gericht eine Beibringungsfrist unter den Voraussetzungen des § 356 ZPO zu bestimmen und der Beweisführer kann gegen die Ablehnung verwaltungsgerichtliche Klage erheben. 230 Hat er hingegen einen zivilrechtlichen Anspruch auf Vorlage nach § 422 ZPO, kann er Fristsetzung nach § 432 Abs. 3 ZPO i.V. m. §§ 428 bis 431 ZPO beantragen und gegen die Behörde auf Vorlegung klagen. 231 Dem Gericht selbst bleiben nur die formlosen Verfahren der Gegenvorstellung oder Dienstaufsichtsbeschwerde, ansonsten ist die Entscheidung der Behörde bindend. 232 bb) Normen der Länder (Landesverfassungsgerichte) Schließlich gilt es noch die entsprechenden Normen über Beweiserhebung (Akten-, Urkundsvorlage und Auskünfte) und Aktenbeiziehung der Landesverfassungsgerichte vorzustellen, soweit die Verfahrensordnungen bzw. Landesverfassungen eine Individualverfassungsbeschwerde zulassen. Eine Regelung wie in den §§ 26 f. BVerfSchG für das Bundesverfassungsgericht, die der Beweisaufnahme zugunsten der Staatssicherheit nur bei Urkunden eine Grenze durch einen eigenen Beschluss des Gerichts setzt, treffen Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, das Saarland (Einschränkungen werden allerdings auch zugunsten allgemeiner öffentlicher Interessen und zugunsten privaten Interessen Dritter zugelassen) und Sachsen, vgl. §§ 25 f. blnVerfGHG, §§ 13, 17 und 23 bbgVerfGG, §§ 13, 22 f. mvLVerfGG, § 14 Abs. 1 und 3 saarVerfGHG und § 10 Abs. 1 sächsVerfGHG. Von der bundesgesetzlichen Regelung abweichend wendet Bayern für die Vorlage- und Auskunftsverpflichtung der Behörden § 99 Abs. 1 und 2, Sätze 1 und 2 VwGO entsprechend an, vgl. Art. 18, 23 Abs. 1 bayVfGHG. Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt kennen hingegen gar keine Einschränkung des entsprechenden Teils der Beweisaufnahme, vgl. §§ 16, 22 Abs. 1 und 2 hessStGHG, § 17 rlpLGVerfGH und §§ 22, 33 saLVerfGG. 2. Aussagegenehmigung für Amtsträger i.w. S. als Zeugen Ein weiteres und wichtiges Problem der Beweisaufnahme in nachrichtendienstlichen Fällen ist der Umstand, dass in nahezu allen Verfahrensordnungen des Bundes und der Verfassungsgerichte der Länder für die Zeugenaussage von 229 230 231 232
Vgl. Schreiber, MüKo ZPO, § 432 Rn. 9 m.w. N. Vgl. Huber, Musielak, § 432 Rn. 6. Vgl. Huber, Musielak, § 432 Rn. 6; Schreiber, MüKo ZPO, § 432 Rn. 10. Vgl. BGH, NJW 1952, S. 305 f.; Schreiber, MüKo ZPO, § 432 Rn. 10.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Amtsträgern und anderen Personen des öffentlichen Dienstes eine Aussagegenehmigung erforderlich ist. Die Verfahrensordnungen weisen dafür strukturgleiche Vorschriften auf, die auf die jeweils einschlägigen beamtenrechtlichen Vorschriften über Amtsverschwiegenheit und Aussagegenehmigung verweisen. Für den Strafprozess ist dieses § 54 StPO, der bereits im Untersuchungsausschussverfahren vorgestellt wurde. 233 Für den Zivilprozess gilt § 376 Abs. 1, 3 ZPO, auf den die Verwaltungsgerichtsordnung über den Globalverweis auf die ZPO gemäß § 98 VwGO für den Verwaltungsprozess 234, das Sozialgerichtsgesetz ausdrücklich gemäß § 118 Abs. 1 SGG für den sozialgerichtlichen Prozess, das Arbeitsgerichtsgesetz über den Globalverweis auf die ZPO gemäß § 46 ArbGG und die Finanzgerichtsordnung ausdrücklich in § 82 FGO 235 verweist. Als besondere beamtenrechtliche Vorschriften kommen für Bundesbedienstete die § 67 f. BBG in Betracht. Für Landesbedienstete enthält das BeamtStG in § 37 entsprechende Regeln. Für Richter gelten die §§ 46, 71 Abs. 1 DRiG vorbehaltlich etwaiger landesrechtlicher Regelungen, für Soldaten gelten die § 14 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 SG i.V. m. § 68 BBG. Die für die Verschwiegenheitspflichten und Aussagegenehmigungen vorbildhaften §§ 67 f. BBG wurden bereits im Abschnitt über das parlamentarische Untersuchungsverfahren vorgestellt. 236 Wieder werden die bekannten Staatswohlschranken vom Gesetz verwendet. Eine Genehmigung der Aussage ist nur zu versagen, wenn die Aussage dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde, vgl. § 68 Abs. 1 BBG. Den Behörden wurde durch den Gesetzgeber bei der Entscheidung Ermessen eingeräumt, das aber nicht gegeben ist, wenn die Versagungstatbestände gar nicht einschlägig sind. 237 Die Erteilung und Versagung ist ein Verwaltungsakt, der im Wege der verwaltungsgerichtlichen Klage angegriffen werden kann. 238 Dann wird auch wieder § 99 VwGO relevant. Für die Einleitung des Verfahrens kann dem Beteiligten im Ausgangsprozess auch eine Frist eingeräumt werden. Dem Gericht selbst bleibt wieder nur das Heranziehen von formlosen Verfahren, etwa einer Gegenvorstellung. 239 233
Siehe oben unter 1. Teil C. IV. § 376 Abs. 1 ZPO ist im Rahmen des Globalverweises des § 98 VwGO anwendbar, vgl. Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 98 Rn. 54 m.w. N. 235 Arg. e contr. §§ 83 bis 89 FGO. 236 Siehe oben unter 1. Teil C. IV. 1. b) cc). 237 Vgl. BVerwGE 66, 39 (42). 238 Vgl. Reichold, Thomas / Putzo, § 377 Rn. 1; Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 98 Rn. 58, jeweils m.w. N. 239 Vgl. für den Verwaltungsprozess: Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 98 Rn. 58. 234
1. Abschn. B. Der parlamentarische Rechtsschutz
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Lediglich die Verfassungsgerichtsbarkeit kennt die Möglichkeit, eine verweigerte Aussagegenehmigung eigenständig für unwirksam zu erklären: Aufgrund von § 28 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG ist es dem Bundesverfassungsgericht trotz wirksamer Verweigerung der Aussagegenehmigung erlaubt, sich mit zwei Dritteln der Stimmen des Senats über eine Aussageverweigerung hinwegzusetzen, wenn das Gericht die Verweigerung der Aussagegenehmigung für unbegründet hält. Nach dem Beschluss darf sich ein Zeuge oder Sachverständiger nicht auf seine Schweigepflicht berufen. Eine vergleichbare Regelung auf Landesebene treffen Brandenburg, Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, das Saarland und Sachsen-Anhalt, wobei bei den beiden letztgenannten nur die einfache Mehrheit für den Beschluss erforderlich ist, vgl. § 24 bbgVerfGG, § 27 Abs. 2 blnVerfGHG, § 22 Abs. 3 hessStGHG, § 25 mvLVerfGG, § 19 Abs. 2 saarVerfGHG, § 23 Abs. 2 saLVerfGG. Bayern und Sachsen wenden hingegen für die Zeugeneinvernahme die Regelungen der ZPO entsprechend an, vgl. § 23 Abs. 2, 4 bayVfGHG und § 12 sächsVerfGHG. Nur Rheinland-Pfalz kennt für sein Verfahren über die Individualverfassungsbeschwerde keine Einschränkung der Aussagen von Amtsträgern als Zeugen zugunsten des Staatswohls, vgl. § 17 Abs. 1, 3 i.V. m. § 2 Nr. 2 rlpLGVerfGH.
B. Der parlamentarische Rechtsschutz insbesondere nach dem G 10 Der parlamentarische Rechtsschutz ist kein gerichtlicher, sondern nur ein gerichtsähnlicher Rechtsschutz. Aus Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG ergibt sich, dass insbesondere der (gerichtliche) Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 GG für Eingriffe in die Schutzbereiche des Art. 10 Abs. 1 GG, d. h. jeweils in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis, ausgeschlossen werden kann. Dieses ist auch durch den Erlass des G 10 geschehen. 240 Die Rechtskontrolle übernimmt danach die sog. G 10-Kommission. In jüngerer Zeit hat sich die Kontrolle der Kommission auch auf nicht im G 10 genannte Maßnahmen erstreckt. Dazu finden sich in den speziellen Dienstgesetzen entsprechende Verweise. Wichtigstes Beispiel ist § 8 Abs. 5 BVerfSchG, der die sog. besondere Auskunftsverlangen, soweit sie gegenüber Post- und Telekommunikationsunternehmen erfolgen, der umfassenden Kontrolle der G 10-Kommission unterwirft. Auch wenn die Kommission dem sog. parlamentarischen Rechtsschutz gegen die genannten Maßnahmen dient, ist sie dennoch kein Parlamentsorgan, sondern ein Staatsorgan sui generis, das dem Funktionsbereich der Exekutive zuzurechnen ist. 241 Im Gegensatz zum PKGr muss sie konsequenterweise auch nicht zwingend mit Abgeordneten besetzt wer240
Vgl. Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 10 Rn. 23. Vgl. BVerfGE 30, 1 (28); Arndt, G 10-Verfahren, S. 54; Droste HbdVS, S. 640; Miltner, Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes, S. 63. 241
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den, was in der Vergangenheit auch nicht geschah. 242 Die Mitglieder sind bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben keine Vertreter einer Partei oder einer Parlamentsfraktion, sondern sie haben allein dem Rechtsschutz zu dienen. Dieses stellt § 15 Abs. 1 Satz 3 G 10 ausdrücklich klar, indem er die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Amtsführung für die Mitglieder der Kommission anordnet.
I. Aufgaben und Befugnisse der G 10-Kommission Der Rechtsschutz gegen Maßnahmen, die nach gesetzlichen Anordnungen im G 10 bzw. anderen Dienstgesetzen nicht dem normalen Rechtsweg nach Art. 19 Abs. 4 GG folgen sollen, ist zunächst der G 10-Kommission zugewiesen. Nach der Mitteilung über die Maßnahmen gemäß § 12 G 10 ist aber wieder der gerichtliche Rechtsschutz mit den erwähnten umfangreichen Besonderheiten im nachrichtendienstlichen Bereich möglich, vgl. insbesondere § 13 G 10. 243 1. Nachträgliche Kontrolle Die grundlegende Vorschrift für Bestellung und Arbeit der Kommission ist § 15 G 10. Die Vorschrift wurde aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1999 (E 100, 313 ff.) geschaffen 244 und fasst die vorher neben § 9 a.F. im G 10 zerstreuten Befugnisse zusammen, ergänzt und ordnet sie neu. 245 Die G 10-Kommission wird für die Dauer einer Legislaturperiode (mit Übergangsfrist) vom PKGr nach Anhörung der Bundesregierung gewählt, vgl. Abs. 1 Satz 4. 246 Für das Handeln der Bundesdienste gibt es im gesamten Bundesgebiet nur eine Kommission, deren Zusammensetzung in Abs. 1 Satz 1 und 2 geregelt ist: Die Kommission besteht aus dem Vorsitzenden und drei Beisitzern, 247 sowie vier Stellvertretern mit Anwesenheits-, Rede- und Frage-
242
Vgl. Droste, HbdVS, S. 640; Riegel, G 10, § 9 Rn. 22. Von dieser Möglichkeit wurde in der Vergangenheit aber äußerst selten Gebrauch gemacht (bis 1980 nur ein Mal), vgl. Bull, Datenschutz und Ämter für Verfassungsschutz, S. 133 (156). 244 Durch das Gesetz zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (BGBl. I S. 1254, 2298). 245 Die Vorschrift soll nach der gesetzgeberischen Konzeption die Bedeutung der Kommission im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hervorheben, vgl. BT-Drs. 14/5655, S. 25. 246 Die Anhörung der Bundesregierung dient primär der Mitteilung der Ergebnisse umfassender Sicherheitsüberprüfungen, vgl. Penner, Parlamentskontrolle der Dienste, S. 112 Fußnote 43. 247 Die Zahl der Kommissionsmitglieder wurde 1995 (Art. 2 des Gesetzes vom 28. 4. 1995, BGBl. I S. 582) von drei auf vier aus politischen Gründen erhöht, vgl. Riegel, G 10, § 9 G 10, Rn. 12. 243
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recht 248. Sie ist beschlussfähig, wenn mindestens vier Mitglieder oder Vertreter anwesend sind. 249 Die mindestens einmal monatlich stattfindenden Beratungen der Kommission sind freilich nach Abs. 2 geheim und richten sich nach einer Geschäftsordnung, die der Zustimmung des PKGr nach Anhörung der Bundesregierung bedarf, vgl. Abs. 4. Es ist jedoch unabdingbares Recht des Vorsitzenden, bei Stimmengleichheit die entscheidende Stimme inne zu haben, vgl. Abs. 1 Satz 3. Der Kommission ist gemäß Abs. 3 die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Personal- und Sachausstattung mit eigenem Haushaltstitel 250 zur Verfügung zu stellen, wozu insbesondere Personal mit technischem Sachverstand gehören soll, vgl. Abs. 3. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass unter angemessener Personalausstattung neben technischem Personal insbesondere Personal mit Befähigung zum Richteramt gemeint ist. 251 Die Kontrollkapazität wird aber in der Praxis aufgrund der derzeitigen Ausstattung als zu gering empfunden. 252 Die Mitglieder selber üben jedoch kein bezahltes, sondern ausdrücklich ein „öffentliches Ehrenamt“ aus (Abs. 1 Satz 3) und erhalten lediglich eine Aufwandsentschädigung. 253 Die Entschädigung dient in erster Linie der Abdeckung von Reisekosten. 254 Die G 10-Kommission kann wie ein Gericht auf Antrag (das Gesetz nennt das „Beschwerde“) entscheiden, hat aber darüber hinaus auch die Möglichkeit, von Amts wegen 255 über die „Zulässigkeit und Notwendigkeit“ der ihr zugewiesenen Maßnahmen zu entscheiden, wozu in erster Linie die sog. Beschränkungen nach den §§ 3 und 5 G 10 (Beschränkungen in Einzelfällen (Individualkontrolle) und strategische Beschränkungen) gehören, vgl. Abs. 5 Satz 1. „Zulässigkeit“
248 Die Rechte der stellvertretenden Mitglieder waren vorher nur in der Geschäftsordnung geregelt, vgl. BT-Drs. 14/5655, S. 25. 249 Vgl. § 3 Abs. 3 der Geschäftsordnung der G 10-Kommission, nach Penner, Parlamentskontrolle der Dienste, S. 112. 250 Vgl. etwa im Bundeshaushaltsplan 2008: Einzelplan 02, Deutscher Bundestag, Haushaltsstelle F 52605/011: 104 000 € (Aufwandsentschädigung für Mitglieder = 78000 €, sachliche Ausgaben, einschließlich Ersatz für besondere Aufwendungen = 26 000 €), einsehbar im Internet unter: http://www.bundesfinanzministerium.de /bundeshaushalt2008/html/ep02/ep02.html (abgerufen am 22. 12. 2008). 251 Vgl. BT-Drs. 14/5655, S. 26. 252 Vgl. Reichenbach, Frankfurter Streitschrift für Demokratie, Recht und Gesellschaft 8 (2007), S. 48 (50). 253 Vgl. Haushaltstitel oben in Fußnote 250. Sofern nur den ständigen Mitglieder und nicht den Stellvertretern die Entschädigung zusteht, erhalten die Mitglieder eine Aufwandsentschädigung von 19.500 € jährlich (= Haushaltsansatz von 78000 €: 4 Mitglieder). 254 Vgl. Penner, Parlamentskontrolle der Dienste, S. 112 Fußnote 44. 255 Arndt, Parlamentarische Kontrolle, S. 1385, vergleicht die G 10-Kommission daher mit den alten Inquisitionsgerichten, bei denen der Richter gleichzeitig die Ermittlungsund Anklageinstanz war.
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meint jedenfalls die Rechtmäßigkeitskontrolle. 256 Ob „Notwendigkeit“ nur ein deklaratorischer Hinweis auf die im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfindende Erforderlichkeitsprüfung ist 257 oder darüber hinaus sogar eine über die gerichtliche Kompetenzen hinausgehende Zweckmäßigkeitsprüfung, 258 ist im vorliegenden Zusammenhang nicht entscheident. Für die Durchsetzung subjektiver Rechtspositionen und die Abwehr von Rechtsverletzungen ist eine wirksame Rechtmäßigkeitskontrolle notwendig. Eine unzweckmäßige, aber rechtmäßige Verkürzung subjektiver Rechtspositionen ist nicht rechtsschutzrelevant, da das subjektive Recht nicht gegen Verletzungen geschützt und durchgesetzt werden muss. Die Reichweite der Kontrollbefugnis der G 10-Kommission ist denkbar umfassend: Zu ihr gehören die personenbezogene Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung sowie die Mitteilung über die Maßnahme nach § 12 G 10. Zur Datenverarbeitung gehört auch die Übermittlung der Daten. Dieses zeigt insbesondere § 3 Abs. 4 BDSG. Anders wäre die vom Gesetzgeber gewollte umfassende Überprüfung durch die G 10-Kommission auch nicht möglich. Der Gesetzgeber musste das oben genannte Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen, das auch eine fehlende Kontrolle der G 10-Kommission hinsichtlich der Übermittlung erhobener Daten rügte. 259 Die Kontrolle der Maßnahmen obliegt der G 10-Kommission des Bundes, sofern BND, MAD und BfV Maßnahmen durchführen. Soweit die Maßnahmen von den Verfassungsschutzämtern der Länder durchgeführt wurden, sind die jeweiligen G 10-Kommissionen nach den Ausführungsgesetzen zum G 10 der Länder mit grundsätzlich identischen Kompetenzen zuständig, vgl. etwa § 3 nwAGG 10 oder Art. 2 bayAGG 10. Letzteres verwundert auch nicht, da § 16 G 10 vorschreibt, dass personenbezogene Daten des Bundes nur dann an Landesbehörden übermittelt werden dürfen, wenn die Kontrolle ihrer Verarbeitung und Nutzung durch den Landesgesetzgeber geregelt ist. Daneben regelt neuerdings § 8a Abs. 8 BVerfSchG, dass bestimmte Befugnisse der besonderen Auskunftsverlangen den Landesverfassungsschutzämtern nur zustehen, wenn die Landesgesetze insbesondere eine dem Bundesamt adäquate parlamentarische Kontrolle vorschreiben. Wird eine Kommission auf Beschwerde tätig, erhält der Antragsteller als sog. Beschwerdeführer nach Abschluss der Prüfungen einen entsprechenden Be256
Vgl. Arndt, G 10-Verfahren, S. 57; Droste, HbdVS, S. 641; Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 9 G 10, Rn. 19; Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, B § 9 Rn. 10. 257 Vgl. Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 9 G 10, Rn. 19; Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, B § 9 Rn. 10; missverständlich, aber im Ergebnis wohl auch Droste, HbdVS, S. 641. 258 Vgl. Arndt, G 10-Verfahren, S. 57. 259 Vgl. BVerfGE 100, 313 (404) mit Verweis auf § 3 Abs. 3, 5 und 6 G 10 a.F.; BTDrs. 14/5655, S. 13, 25.
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scheid. Nach einer Vereinbarung aller Kommissionen des Bundes und der Länder untersucht dabei diejenige Kommission, an die sich der Beschwerdeführer gewandt hat, federführend, ob der Beschwerdeführer in ihrem Zuständigkeitsbereich oder in dem einer anderen Kommission in seinem Grundrecht aus Art. 10 GG verletzt worden ist und teilt es ihm mit. Der Bescheid enthält die Angabe, ob das Grundrecht aus Art. 10 GG verletzt worden ist oder nicht. Wurde es verletzt, werden im Bescheid die näheren Umstände mitgeteilt. Wurde es nicht verletzt, wird in der Regel nur mitgeteilt, dass das Grundrecht nicht verletzt wurde, auch, wenn ein Eingriff vorlag, der aber rechtmäßig war. Letztere Methode dient dazu, den sog. Negativtest (im Bereich des G 10 auch Testbeschwerde genannt) zu verhindern, der auch bei § 15 BVerfSchG eine erhebliche Rolle spielt. Im Bereich des G 10 ist aber bekannt, dass der Bundesminister des Innern in Einzelfällen von dieser Praxis abweicht und zusätzlich bescheinigt, dass definitiv kein Eingriff vorgelegen hat (bekannt gegenüber dem Schriftsteller Heinrich Böll). 260 2. Vorbeugende Kontrolle Die G 10-Kommission kontrolliert jedoch nicht nur nachträglich oder laufend die Beschränkungsmaßnahmen, vielmehr ist sie, der Regelung eines Richtervorbehalts gleich, vor dem Vollzug der Maßnahmen zu unterrichten, vgl. Abs. 6 Satz 1. Das Procedere stellt sich dabei wie folgt dar: Sieht die vom Gesetz in § 10 Abs. 1 G 10 benannte Stelle des Nachrichtendienstes die materiellen Voraussetzungen (§§ 1 bis 3, 5, 8 G 10) als gegeben an, muss sie an den zuständigen Minister einen substantiierten Antrag stellen, der auch eine Vorprüfung der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme enthalten muss. 261 Der Minister erlässt gemäß § 10 G 10 dann auch die Anordnung mit den in Abs. 2 bis 4 genannten Inhalten (Art, Umfang, Dauer, Suchbegriffe etc.). Anordnungen, die die Kommission nach Unterrichtung allerdings für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat das zuständige Bundesministerium unverzüglich aufzuheben, vgl. Abs. 6 Satz 3. Eine Ausnahme von der Unterrichtungspflicht vor Vollzug der Maßnahme kann ausnahmsweise aber bei Gefahr im Verzug gemacht werden, vgl. Abs. 6 Satz 2. Gefahr im Verzug wird wie im Polizei- bzw. Strafprozessrecht verstanden, wo es einen Ausnahmefall zum Richtervorbehalt darstellt, vgl. etwa Art. 13 Abs. 2 GG bei der Wohnungsdurchsuchung. 262 Gefahr im Verzug ist dann gegeben, wenn die Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Maß-
260 Vgl. zum Ganzen: Arndt, G 10-Verfahren, S. 57 f.; ders., Parlamentarische Kontrolle, S. 1391 f.; Droste, HbdVS, S. 642. 261 So Gusy, NJW 1981, S. 1581 (1583). 262 Vgl. Riegel, G 10, § 9 Rn. 8.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
nahme gefährden würde. 263 Auf die G 10-Kommission übertragen bedeutet dies, dass ein Ausnahmefall vorliegt, wenn der Erfolg der Beschränkungsmaßnahme durch den Abstimmungsprozess zwischen Ministerium und Kommission gefährdet würde. 264 Soll ein Sachverhalt mit Maßnahmen des G 10 durch einen Dienst erforscht werden, muss die Sachverhaltserforschung durch den Abstimmungsprozess demnach unwiederbringlich vertan sein. 265 Liegen die Voraussetzungen vor, kann der Vollzug dann bereits vorher angeordnet werden, ist aber wie in den Regelfällen auf Verlangen der Kommission aufzuheben, vgl. ausdrücklich Satz 3. Wie eng die Gefahr im Verzug-Regelung auszulegen ist, ist nicht geregelt. Ebenso wenig, wann die Kommission nachträglich informiert wird. Im Polizeiund Strafprozessrecht wird, beispielsweise für Wohnungsdurchsuchungen, eine verfassungsrechtliche Pflicht angenommen, die Voraussetzungen eng und streng auszulegen und sich rechtzeitig um eine Anordnung zu bemühen. 266 Weiter wird etwa bei verdeckten Maßnahmen der Polizeien im Polizeirecht eine Verpflichtung zu einem unverzüglichen Nachzuholen der richterlichen Entscheidung angenommen, vgl. etwa § 18 Abs. 3 Satz 3 nwPolG. Sogar das Nachrichtendienstrecht bestimmt die Unverzüglichkeit bei Maßnahmen, die einen Richtervorbehalt auslösen, vgl. etwa § 9 Abs. 2 Satz 4 BVerfSchG. In der Literatur zum G 10Verfahren werden dennoch unterschiedliche Zeiträume vertreten. Danach reicht die Zeitspanne von unverzüglichem Nachholen 267 über zulässigem Abwarten bis zum Verweis auf die nächste turnusmäßige Sitzung. 268 Die Frage der Unverzüglichkeit stellt sich schließlich auch bei den Maßnahmen, die außerhalb des Anwendungsbereichs des G 10 der G 10-Kommission übertragen wurden. Auch hier wurde zwar ein Gefahr im Verzug-Tatbestand geschaffen, eine bestimmte Frist über die Nachholung der Entscheidung der Kommission ist jedoch nicht angeordnet, vgl. § 8a Abs. 5 Satz 2 BVerfSchG. Ein gesetzlich normierter Eilfall ist die strategische Kontrolle bei einer nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben einer Person im Ausland nach § 8 G 10. Ist eine solche Maßnahme ohne Unterrichtung der Kommission erfolgt, ordnet Abs. 6 Satz 4 an, dass die Anordnung für diesen Spezialfall der Gefahr im Verzug-Regelung ihre Gültigkeit verliert, wenn sie nicht binnen drei Tagen von der Kommission bestätigt wird. Die Regelung verdeutlicht den Ausnahmecharakter der Maßnahme. 269 Ist eine Entscheidung der Kommission in dieser Zeit nicht 263
Vgl. BVerfGE 57, 97 (111); Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 18 Rn. 29, jeweils zur Wohnungsdurchsuchung. 264 Vgl. Riegel, G 10, § 9 Rn. 8. 265 Vgl. Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, B § 9 Rn. 11. 266 Vgl. BVerfGE 103, 142 (153 ff.); Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 18 Rn. 29. 267 Vgl. Riegel, G 10, § 9 Rn. 8. 268 Vgl. Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, B § 9 Rn. 11; Droste, HbdVS, S. 641; Roewer, Nachrichtendienstrecht, § 9 G 10 Rn. 20. 269 Vgl. BT-Drs. 14/5655, S. 26.
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möglich, darf der Vorsitzende oder sein Stellvertreter die Bestätigung aussprechen, wobei die Zustimmung der Kommission hier ausdrücklich unverzüglich nachzuholen ist.
II. Mitteilungspflicht Neben der Aufgabe, die Beschränkungsmaßnahmen zu kontrollieren, überwacht die G 10 Kommission zudem die Mitteilung der Beschränkungsmaßnahmen nach den §§ 3, 5 und 8 G 10 an die Betroffenen, 270 vgl. § 15 Abs. 7 i.V. m. § 12 G 10. Dazu ist die Kommission monatlich über die Mitteilungen von Bundesbehörden über eine Beschränkungsmaßnahme oder über die Gründe, die einer Mitteilung unter Umständen entgegenstehen, zu unterrichten, vgl. § 15 Abs. 7 Satz 1 G 10. Sofern keine Mitteilung erfolgt ist, kann sie dann eigenständig eine Mitteilung anordnen, wenn sie es für geboten hält, vgl. Satz 2. Lediglich, wenn Daten aus seiner Maßnahme an eine Landesbehörde übermittelt wurden, ist das genannte Recht der Kommission beschränkt. Sie muss sich dann mit der jeweiligen Landesbehörde Einvernehmen über die Mitteilung erzielen, vgl. Satz 3 i.V. m. § 12 Abs. 3 Satz 2 G 10. Auch das G 10 normiert wie die anderen Nachrichtendienstgesetze Unterrichtungspflichten über verdeckte Maßnahmen, die es Mitteilungspflichten nennt. Die Mitteilungspflicht ist seit der Novellierung des G 10 in § 12 G 10 geregelt. Zuvor fanden sich Regelungen über Mitteilungspflichten im Gesetz verstreut, vgl. insbesondere § 3 Abs. 8 und § 5 Abs. 5 G 10 a.F. 271 Die in § 12 G 10 normierten Mitteilungspflichten treffen generell die Behörden, auf deren Antrag die jeweilige Anordnung zu einer Maßnahme ergangen ist, vgl. § 12 Abs. 3 Satz 1 G 10. Da die Dienstgesetze der Bundesländer entweder auf § 12 Abs. 1 und 2 G 10 verweisen oder eine entsprechende Regelung treffen, gilt das Folgende entsprechend für die Maßnahmen der Landesverfassungsschutzämter. Für Maßnahmen der Individualbeschränkung nach § 3 G 10 gilt ebenso wie für Maßnahmen der strategischen Beschränkung nach den §§ 5 und 8 G 10, dass eine Mitteilung nach Einstellung der Maßnahme zu erfolgen hat, wenn die Gefährdung des Zwecks der Beschränkung ausgeschlossen werden kann. 272 270 Die Mitteilung wird von Huber, NVwZ 2000, S. 393 ff., scherzhaft als „Post aus Pullach“ bezeichnet. 271 Eine gute Zusammenfassung zur Entwicklung der Mitteilungspflichten im G 10 findet sich bei Kaysers, AöR 129 (2004), S. 121 (126 ff.). 272 Prominentestes Beispiel für eine solche Mitteilung ist die Telefonüberwachung des Schriftstellers Wallraff, der wegen des Verdachts des Hochverrats abgehört wurde. Der Verdacht gründete sich auf bloße gegenseitige Besuchskontakte zu Mitgliedern der sog. Baader-Meinhof-Bande. Eine gegen die Anordnung gerichtete Klage hatte zunächst Erfolg vgl. dazu VG Köln, NJW 1981, S. 1630 ff. Das obsiegende Urteil wurde jedoch vom OVG NRW, NJW 1983, S. 2346 ff. aufgehoben.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Wenn das am 27. 03. 2009 durch den Bundestag beschlossene Erste Gesetz zur Änderung des Artikel 10-Gesetzes in Kraft tritt, 273 wird die Formulierung dahingehend geändert, dass eine Mitteilung solange unterbleibt, als „eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung nicht ausgeschlossen werden kann oder solange der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes absehbar ist“, vgl. Art. 1 § 12 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzesbeschlusses. In Satz 3 wird dann ergänzt, dass eine nach Satz 2 zurückgestellte Genehmigung nach einer Rückstellzeit von 12 Monaten der Zustimmung der G 10-Kommission bedarf, die dann nach Satz 4 die Dauer der Zurückstellung bestimmt. Bei strategischen Maßnahmen erfolgt jedoch auch weiterhin keine Mitteilung über erhobene personenbezogene Daten, die unverzüglich nach der Erhebung gelöscht wurden, vgl. § 12 Abs. 2 Satz 1 G 10. Kann bei den übrigen Daten der strategischen Beschränkung und bei den Daten der Individualbeschränkung noch nicht abschließend beurteilt werden, ob eine Gefährdung ausgeschlossen werden kann, hat die Mitteilung zu erfolgen, sobald die Beurteilung möglich ist und freilich zugunsten der Mitteilung ausfällt, vgl. § 12 Abs. 1, Abs. 2 G 10. Hinsichtlich des Zeitpunktes der Entscheidung gesteht die Rechtsprechung der G 10-Kommission einen gewissen Beurteilungsspielraum zu, wobei Zweifel wegen des Gesetzeswortlauts („ausgeschlossen werden kann“) zu Lasten einer Mitteilung gehen. 274 Die Voraussetzungen der Mitteilung sind nichts G 10-spezifisches, sondern finden sich bei allen Unterrichtungspflichten im nachrichtendienstlichen Bereich. 275 Da geraume Zeit vergehen kann, bis die Behörden vom Ausschluss der Zweckgefährdung der Überwachungsmaßnahmen ausgehen, wollte der Gesetzgeber eine Regelung schaffen, die Mitteilung endgültig zu versagen und ein Löschen der Daten zu ermöglichen, um einer „Häufung“ der „Daten-Vorratshaltung“ Einhalt zu gebieten: 276 Die G 10-Kommission kann nach § 12 Abs. 1 Satz 3 (zukünftig 273 Vgl. dazu den Gesetzesentwurf in der Fassung der Beschlussempfehlung des Innenausschusses, BT-Drs. 16/509, 16/12448 und die Beschlussmitteilung an den Bundesrat, BR-Drs. 350/09. 274 Vgl. BVerwG, NJW 2008, S. 2135 (2139). 275 Siehe oben unter 2. Teil 1. Abschnitt A. III. 1. c) bzw. 2. c). 276 Vgl. BT-Drs. 14/5655, S. 24. Dieses gesetzgeberische Motiv wird durch die Regelungen zur sog. Vorratsdatenspeicherung, bei der der Gesetzgeber den Telekommunikationsunternehmen zumutet, nahezu sämtliche Telekommunikationsverbindungsdaten für 6 Monate zu speichern, den umfangreichen Speicherregelungen im Zusammenhang mit der Anti-Terrordatei und den umfangreichen Datenerhebungs- und Speichervorschriften der neueren Sicherheitsgesetze ad absurdum geführt. Das Gesetz zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung wurde in dieser Form jedoch wegen Verstoßes gegen Art. 10 Abs. 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Die Vorratsdatenspeicherung an sich ist jedoch nicht verfassungswidrig, vgl. BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2. 3. 2010, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen /rs20100302_1bvr025608.html (abgerufen am 01. 06. 2010).
1. Abschn. B. Der parlamentarische Rechtsschutz
193
Satz 5) G 10 durch einstimmigen Beschluss die Behörde von der Pflicht zur Mitteilung endgültig entbinden, wenn sie festgestellt hat, dass eine Gefährdung auch noch fünf Jahre nach Beendigung der Maßnahme noch nicht ausgeschlossen werden kann (Nr. 1) 277 (wobei die Frist bei strategischen Beschränkungsmaßnahmen mit der Erhebung der personenbezogenen Daten beginnt, vgl. § 12 Abs. 2 Satz 2 G 10), der Ausschluss der Gefährdung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht möglich sein wird (Nr. 2) und die Voraussetzungen für eine Löschung der durch die Beschränkung gewonnenen Daten sowohl bei der erhebenden Stelle als auch beim Empfänger vorliegen (Nr. 3). Die Löschung richtet sich für die erhebende Stelle nach § 4 Abs. 1 G 10 für individuelle und nach § 6 Abs. 1 G 10 für strategische Beschränkungsmaßnahmen. Beiden Regelungen ist gemein, dass eine Löschung zu erfolgen hat, wenn die erhobenen Daten für die im Gesetz genannten Zwecke der Erhebung (§ 5 Abs. 1 bzw. § 1 Abs. 1 Nr. 1 G 10) nicht mehr erforderlich sind, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 5 Abs. 1 Satz 1 G 10. Die Löschung hat jedoch zu unterbleiben, soweit die Daten für eine Mitteilung nach § 12 Abs. 1 G 10 oder für eine gerichtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Beschränkungsmaßnahme von Bedeutung sein können. In diesen Fällen sind die Daten zu sperren und dürfen nur zum Zwecke der Mitteilung oder gerichtlichen Nachprüfung verwendet werden, vgl. § 4 Abs. 1 Sätze 4 und 5 bzw. § 6 Abs. 1 Sätze 4 und 5 G 10. Für strategische Beschränkungen gibt es jedoch die Sonderregelung, dass eine Löschung dennoch erfolgen darf, wenn die Daten unverzüglich nach der Erhebung gelöscht wurden. D. h. wenn ein erhobenes personenbezogenes Datum direkt nach seinem Eingang spurenlos ausgesondert und gelöscht worden ist. 278 Zusammenfassend sind die Löschungsvorschriften mit den Vorschriften über ein endgültiges Versagen der Mitteilung verschränkt: Liegt bei prognostizierter 277
Die Fünf-Jahres-Frist gab es bereits schon einmal von 1978 bis 1994 in § 5 Abs. 5 Satz 3 G 10 a.F. Damals allerdings ohne weitere Voraussetzungen. So durfte endgültig auf die Mitteilung verzichtet werden, wenn nach 5 Jahren seit der Einstellung der Maßnahme eine Gefährdung des Zwecks der Erhebung immer noch nicht ausgeschlossen werden konnte. So konnte auch eine Löschung erfolgen, vgl. § 7 Abs. 4 G 10 a.F., vgl. Roewer, Nachrichtendienstrecht, G 10 § 7 Rn. 11. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass das Interesse des Betroffenen an der Mitteilung mit der Zeit abnimmt und die Rechtssicherheit so überwiegt, vgl. BT-Drs. 7/2507, S. 8. Die Regelung wurde 1994 wieder gestrichen, der Gesetzgeber wollte die Vorschriften an die StPO (§ 101 StPO) anpassen, vgl. BTDrs. 12/6853, S. 43. 278 Vgl. Kaysers, AöR 129 (2004), S. 121 (130). Nach alter Rechtslage bis zur Novellierung 2001 durfte der Dienst auf eine Mitteilung verzichten, wenn die Daten innerhalb von 3 Monaten nach Erhebung gelöscht wurden, vgl. § 3 Abs. 8 Satz 2 G 10 a. F (1994). Er konnte so die Daten verarbeiten, ohne eine Mitteilung zu prüfen. Diese Regelung wurde in E 100, 313 ff. für verfassungswidrig erklärt. Die Exekutive habe danach fortlaufend zu prüfen und festzustellen, ob eine Mitteilung zu erfolgen habe. Die vorgebrachte Verwaltungspraktikabilität könne einen so weit reichenden Eingriff nicht rechtfertigen. Eine Ausnahme könne vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit nur bei unverzüglicher Löschung für als irrelevant eingestufte Daten gemacht werden, vgl. E 100, 313 (398 f.).
194
2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Gefährdung des Maßnahmeerfolgs zum Zeitpunkt des Fristablaufs von 5 Jahren die Voraussetzung für die Löschung insbesondere bei der erhebenden Behörde vor, darf eine Löschung erfolgen. Dieses ist wiederum ausgeschlossen, wenn die Daten für eine Mitteilung oder eine gerichtliche Überprüfung von Bedeutung sein können. Dann unterbleibt eine Löschung und auch ein endgültiges Versagen der Mitteilung bleibt ausgeschlossen. Wird hingegen eine Mitteilung endgültig versagt und die entsprechende Löschung vorgenommen, kommt es zu einem faktischen Ausschluss des nachträglichen gerichtlichen Rechtsschutzes gegen diese Maßnahmen. Denn ohne Mitteilung ist zum einen der gerichtliche Rechtsweg gemäß § 13 G 10 rechtlich verschlossen, zum anderen ist er mangels Kenntnis der Maßnahme für den Betroffenen faktisch verschlossen.
III. Vorschriften über die Beweiserhebung Die G 10-Kommissionen des Bundes und der Länder haben die Befugnis, alle für sie erforderlichen Beweise zu erheben und den Sachverhalt umfassend aufzuklären. Ihnen müssen alle für ihre Entscheidungen erhebliche Unterlagen (Akten, Dossiers, Tonbänder, Videos, andere Datenträger etc.) zugänglich gemacht werden. Ihnen gegenüber gibt es insbesondere weder die aus dem gerichtlichen Rechtsweg bekannte Verweigerungsmöglichkeit etwa nach § 99 VwGO noch die Amtsverschwiegenheit von Angehörigen des öffentlichen Dienstes und die Möglichkeit der Verweigerung der Aussagegenehmigung etwa nach §§ 67 f. BBG. 279 Explizit ist den Kommissionen (bzw. teilweise ihren Mitarbeitern) insbesondere das Recht eingeräumt, Auskunft zu ihren Fragen und Einsicht in alle Unterlagen, insbesondere in die gespeicherten Daten und in die Datenverarbeitungsprogramme, die im Zusammenhang mit der Beschränkungsmaßnahme stehen, sowie jederzeit Zutritt zu allen Diensträumen zu erhalten, vgl. etwa § 15 Abs. 3 G 10, Art. 2 Abs. 5 Satz 1 bayAGG 10 oder § 3 Abs. 5 Satz 3 nwAGG 10. 280 Trotz der erheblichen Befugnisse stützt die G 10-Kommission in der Praxis ihre Entscheidungen regelmäßig auf den Sachvortrag des Bundesministers bzw. der anordnenden Stelle und nimmt die umfassenden Befugnisse nur in Einzelfällen wahr. 281 In der Literatur ist dazu Kritik laut geworden: Die Kommission sei durch 279 Vgl. Arndt, G 10-Verfahren, S. 57. Im Ergebnis auch Kaysers, AöR 129 (2004), S. 121 (134). Insoweit irrt Gusy, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 10 GG Rn. 99, der davon spricht, dass die Kommission zu einer eigenen Informationserhebung nicht berechtigt sei. Eine andere Frage ist, ob die Kommission die Informationen in der Praxis auch tatsächlich erhebt. 280 Roewer, Nachrichtendienstrecht, G 10 § 9 Rn. 19, spricht unter Verkennung rechtstaatlicher Prinzipien von einer Belästigung der Nachrichtendienste durch die Rechte Kommission. 281 Vgl. Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, B § 9 Rn. 13; Droste, HbdVS, S. 641 f.; Gusy, NJW 1981, S. 1581 (1584); Miltner, Parlamentarische Kontrolle des Verfassungs-
1. Abschn. B. Der parlamentarische Rechtsschutz
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diese Praxis nicht in der Lage, eine effektive Kontrolle durchzuführen, vielmehr sei sie von der anordnenden Stelle abhängig. Ihr fehle die tatsächliche Grundlage einer neutralen Beurteilung, die Voraussetzung jeglicher gerichtlicher Entscheidung ist. Der parlamentarische Rechtsschutz bleibe so hinter dem gerichtlichen weit zurück. 282 Teile der Literatur entgegnen der Kritik mit dem Hinweis darauf, dass bisher kein Fall bekannt geworden sei, in dem die anordnende Stelle die Kommission falsch informiert habe und aus Furcht vor einer negativen Presseberichterstattung und der weiteren Zusammenarbeit auch kein Interesse daran haben könne. Zudem sei die Anordnung nach Abschluss und Mitteilung der Beschränkungsmaßnahme verwaltungsgerichtlich überprüfbar. Die anordnende Stelle trage weiter die rechtliche und politische Verantwortung. 283 Auch wenn erst im nächsten Abschnitt geklärt wird, ob eine verfassungsrechtliche Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung jenseits des Vortrages der anordnenden Stelle durch die Kommission besteht, erscheinen doch bereits jetzt diejenigen Argumente äußerst zweifelhaft, die die Befürworter der Kontrollpraxis vorbringen. Wenn die Kommission eine zu den Gerichten adäquate Kontrollinstanz sein soll, warum ist dann das Vorbringen des zu Kontrollierenden im Regelfall entscheidend? Man stelle sich vor, der Vortrag des Klägers oder des anklagenden Staatsanwaltes würde ohne weitere Beweiserhebung zur Grundlage des Urteils gemacht. Dann könnte man auch nicht von effektivem Rechtsschutz sprechen. Wenn die Befürworter weiter vortragen, der Minister sei auch in Zukunft auf eine gute Zusammenarbeit angewiesen, so gehen sie davon aus, dass die auf einen unrichtigen Vortrag folgende schärfere Kontrolle nicht im Interesse des Ministers liegt. Warum sollte er aber eine schärfere Kontrolle fürchten, wenn er doch nichts zu verbergen hat? Schließlich wird vorgebracht, hinter der Entscheidung der Kommission stehe noch die Möglichkeit einer anschließenden gerichtlichen Überprüfung. Jedoch soll gerade die Kommission eine solche adäquat ersetzen. Im gerichtlichen Verfahren greifen zudem wieder die Beweiserschwernisse zugunsten des Staatswohls. Auch bleiben gerade diejenigen Fälle ungeklärt, in denen nach dem G 10 auf eine Mitteilung endgültig verzichtet wird. Die rechtliche Verantwortung der anordnenden Stelle ist dann schutzes, S. 63. Ein eindrucksvoller Beleg für diese Praxis findet sich im Urteil des VG Köln (Wallraff), NJW 1981, S. 1630 (1631). Dort hatte die G 10-Kommission darauf verzichtet, ein den Journalisten Wallraff belastendes Notizbuch selbst einzusehen und sich nur auf den Vortrag des Bundesministers verlassen. 282 Vgl. Gusy, NJW 1981, S. 1581 (1584); ferner Schlink, Der Staat 12 (1973), S. 85 (107). Rechtspolitisch sei angemerkt, dass nach der Schaffung des § 99 VwGO ein G 10Verfahren nicht mehr notwendig ist. Dieses entspricht auch der Konzeption des ursprünglichen Entwurfs des Gesetzes zur Änderung von Artikel 10 GG, vgl. BT-Drs. IV/2633, S. 2. 283 Vgl. Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, B § 9 Rn. 13; Droste, HbdVS, S. 642; Miltner, Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes, S. 64; Schelter, Parlamentarische Kontrolle, S. 163 f.
196
2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
nichts mehr wert; ebenso nicht die politische Verantwortung, wenn die Öffentlichkeit oder die politischen Gremien nichts von einer unzulässigen Maßnahme erfahren. Die Argumente der Befürworter sind daher schon ohne Kenntnisse der verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht haltbar.
2. Abschnitt
Verfassungsrechtliche Einflüsse auf den Rechtsschutz in nachrichtendienstrechtlichen Fällen Das einfach-rechtliche Rechtsschutzsystem bei nachrichtendienstlichen Maßnahmen muss vor der Verfassung bestehen. Denn das Grundgesetz stellt selbst Anforderungen an Rechtsschutzsysteme in seinem Geltungsbereich auf, die der Gesetzgeber in allen Bereichen zu beachten hat. Die verfassungsrechtliche Prüfung orientiert sich zweckmäßigerweise an den Problembereichen, die das einfache Recht durch Sonderregelungen für Nachrichtendienste schafft: Zu klären sind die Zulässigkeit von Suspendierung und Präklusion des Rechtswegs, die Notwendigkeit der Kenntnisgewähr verdeckter Maßnahmen und die Anforderungen an die Aufklärung und Bewertung der Sach- und Rechtslage in gerichtlichen Rechtsschutzverfahren. Als verfassungsrechtlicher Maßstab kommt zuvorderst Art. 19 Abs. 4 GG in Betracht. Im Zuge des ersten größeren Kompetenzausbaus der Nachrichtendienste im Jahre 1968 hielt der verfassungsändernde Gesetzgeber die Norm für so zentral für den Rechtsschutz gegen Nachrichtendienste, dass er sie für die Kenntnisgewähr und den Rechtsschutz durch den neuen Satz 3 ausklammerte und eine Sonderregelungen in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG schuf. Art. 19 Abs. 4 GG ist die maßgebliche Verfassungsnorm für Rechtsschutz gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt. Öffentliche Gewalt in diesem Sinne ist jedenfalls die Exekutive. 284 Da die Nachrichtendienste an die Bundes- bzw. Landesregierung als Exekutivorgane angegliedert sind, ist ihr Handeln stets auch exekutiv und der Rechtsschutz gegen ihre Maßnahmen an dieser Norm zu messen. 285
284
Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1011 m.w. N. Vgl. dazu auch das Bundesverfassungsgericht, dass allgemein feststellt, dass der Grundrechtsschutz uneingeschränkt auch gegenüber den Nachrichtendiensten bestehe und kein Grund ersichtlich sei, warum die verfassungsrechtlichen Anforderungen für die nachrichtendienstliche Aufgabenerfüllung nicht gelten sollte, Urteil 1 BvR 256/ 08 vom 2. 3. 2010, Absatz-Nr. 232 f., abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de /entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html (abgerufen am 01. 06. 2010). 285
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
197
Weiter muss die Sonderregelung in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG beachtet werden. Sie schließt die Anwendung des Art. 19 Abs. 4 GG für Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 10 GG unter bestimmten Bedingungen aus und ermöglicht, dass an die Stelle des gerichtlichen Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane treten kann. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG wurde allein für nachrichtendienstliches Handeln geschaffen und ist auf den Aufgabenbereich der Nachrichtendienste zugeschnitten. Die Vorstellung des einfach-gesetzlichen Rechtsschutzsystems hat ergeben, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit eines alternativen, parlamentarischen Rechtsschutzes genutzt hat und im G 10 ein eigenes Rechtsschutzsystem geschaffen hat, das die Kontrolle von Beschränkungen im Bereich des Grundrechts aus Art. 10 GG übernimmt. Dieses parlamentarische Rechtsschutzsystem muss vor dem gegenüber Art. 19 Abs. 4 GG spezielleren Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG bestehen. Die verfassungsrechtliche Prüfung des nachrichtendienstlichen Rechtsschutzsystems muss daher zweigeteilt erfolgen: Der Rechtsschutz gegen Eingriffe der Dienste in Art. 10 GG ist an Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG zu messen, der Rechtsschutz gegen Eingriffe in die übrigen Grundrechte an Art. 19 Abs. 4 GG. Zunächst sind die verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen gerichtlichen Rechtsschutz gegen nachrichtendienstliche Aktivitäten zu entwickeln und auf das bestehende einfach-rechtliche gerichtliche Rechtsschutzsystem anzuwenden (dazu unter A.). Anschließend wird der Spezialfall des parlamentarischen Rechtsschutzsystems vor dem Hintergrund des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG (B.) betrachtet. Des Weiteren kommen aber auch andere rechtsschutzgewährleistende Verfassungsnormen und -prinzipien in Betracht (Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip), Art. 92 GG, Art. 95 Abs. 1 GG, Art. 97 f. GG, Art. 103 Abs. 1 GG), die für den allgemeinen Rechtsschutz eine essentielle Bedeutung haben. Für die spezifischen Defizite des Rechtsschutzes im nachrichtendienstlichen Bereich (faktischer Rechtswegausschluss durch mangelnde Kenntnis der Maßnahme, mangelnde Sachverhaltsaufklärung durch Verweigerung von Beweismitteln etc.) spielen sie gegenüber den Gewährleistungen von Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG aber eine untergeordnete Rolle. Jedoch ergänzen und konkretisieren sie die verfassungsrechtlichen Anforderungen der beiden genannten Verfassungsnormen. Ihr konkreter Einfluss wird grundsätzlich im Rahmen der systematischen Auslegung von Art. 19 Abs. 4 GG bzw. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG erarbeitet.
A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz Um das einfach-rechtliche gerichtliche Rechtsschutzsystem an der Verfassung messen zu können, ist zunächst eine umfassende Darstellung der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG erforderlich (dazu unter I.).
198
2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Hierbei soll freilich nicht eine Kommentierung des Grundrechts erfolgen. Soweit wie möglich und nötig, wird die Darstellung daher auf die Spezifika, die für den nachrichtendienstlichen Bereich notwendig sind, beschränkt. Art. 19 Abs. 4 GG ist in das allgemeine System der Justizgewährleistungsrechte und der allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren eingebettet. Deren Anforderungen werden im Rahmen der systematischen Auslegung zu beachten sein. Eine Ausnahme bildet jedoch das sog. Bestimmtheitsgebot, das keine hier notwendigen systematischen Erkenntnisse für die Auslegung von Art. 19 Abs. 4 GG liefert. Im nachrichtendienstlichen Bereich wird es aber durch die jüngste Gesetzgebung für sich genommen immer relevanter, da viele Vorschriften insbesondere durch umfangreiche Verweisungen unüberschaubar werden. Das Bestimmtheitsgebot wird daher anschließend gesondert dargestellt (II.). Schließlich werden die Erkenntnisse auf das einfachrechtliche Rechtsschutzsystem angewendet (III.).
I. Art. 19 Abs. 4 GG als Garantienorm im System der Justizgewährung Subjektiv-rechtlich gibt Art. 19 Abs. 4 GG ein Grundrecht auf Rechtsschutz. 286 Es ist ein sog. formell-rechtliches Grundrecht oder Verfahrensgrundrecht und wird in der Literatur mit Art. 2 Abs. 1 GG verglichen: Art. 19 Abs. 4 GG verbürge danach den lückenlosen gerichtlichen Rechtsschutz so wie Art. 2 Abs. 1 GG als materiell-rechtliches Grundrecht den Freiheitsschutz lückenlos abschließt. 287 Daneben werden ihm noch objektiv-rechtliche Wirkungen zugeschrieben, etwa die Entscheidung des Grundgesetzes für ein System des Individualrechtsschutzes. 288 Im Folgenden soll Art. 19 Abs. 4 GG auf seine subjektiven und objektiven Gewährleistungen untersucht werden (unter 1.). Anschließend wird die Frage erörtert, wann Beeinträchtigungen im nachrichtendienstlichen Bereich vorliegen (unter 2.) und ob sie verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden können (unter 3.).
286 Vgl. Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 25 m.w. N.; Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 52; Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 344, 367; Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 34; Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Rn. 7; Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 1207; den Grundrechtscharakter bezweifelt Lorenz, AöR 105 (1980), S. 623 (635). 287 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1006; Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 19 Abs. 4 Rn. 40; ebenso Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 55. 288 Vgl. Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 344.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
199
1. Gewährleistungsgehalt Zunächst soll der Gewährleistungsgehalt bestimmt werden, d. h. es sind die dem Grundrechtsträger zukommenden Wirkungen des Grundrechts (Schutz, Freiheit, Teilhabe o.ä.) herauszuarbeiten. 289 Dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist zu entnehmen, dass die Rechtswegeröffnung die Gewährleistung des Grundrechts ist. Sie wird zunächst untersucht (siehe unter a). Im Anschluss ist auf die Voraussetzung der Rechtswegeröffnung einzugehen, die Rechtsverletzung durch die öffentliche Gewalt (b). Schließlich soll noch auf die Frage eingegangen werden, ob Art. 19 Abs. 4 GG auch vor einer Rechtsverletzung, also bei drohender Verletzung, Schutzwirkungen entfaltet und einen präventiven Rechtsschutz ermöglicht (c). Aufgrund des stets heimlichen Vorgehens der Nachrichtendienste kommt dieser Form des Rechtsschutzes eine immer stärkere Bedeutung zu, da die jeweilige Informationserhebung grundsätzlich zu einem irreversiblen Grundrechteingriff führt (etwa Durchführung eines sog. Lauschangriffs etc.) und der Betroffene zudem keinen Rechtsschutz bis zur Mitteilung der Maßnahme in Anspruch nehmen kann. a) Garantie der Rechtswegöffnung Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG steht jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Das Merkmal „öffentliche Gewalt“ trifft auf Nachrichtendienste zu. Die weiter verlangte Rechtsverletzung durch Nachrichtendienste wird bis zur abschließenden Klärung für die folgende Erörterung vorausgesetzt. Die Garantie des offenen Rechtsweges wird allgemein als Garantie des Individualrechtsschutzes aufgefasst. Art. 19 Abs. 4 GG diene als zentrales Instrument der Rechtsdurchsetzung primär dem einzelnen Menschen und seiner Selbstverwirklichung. 290 Zwar vereinigt die Norm neben dieser primären Garantie nach allgemeiner Auffassung noch zwei weitere in sich: Zum einen die objektive Wertentscheidung u. a. im Sinne einer gerichtsgeprägten Gewaltenteilung und zum anderen institutionelle Garantien für die Gerichtsbarkeit. 291 Für die vorliegende Fragestellung ist jedoch der Individualrechtsschutz entscheidend. Er soll im Folgenden schwerpunktmäßig betrachtet werden.
289 Vgl. für die verwendete Definition von Gewährleistungsgehalt: Böckenförde, Der Staat 2003, S. 165 (174 f.); Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 203; Volkmann, JZ 2005, S. 261 (265). 290 Vgl. Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 344. 291 Vgl. Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 46; Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 54; Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Rn. 10.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Die Garantie des Individualrechtsschutzes erfüllt in der Einordnung nach Jellinek 292 traditionell die klassische Grundrechtsfunktion des sog. status positivus. 293 Der einzelne Status bezeichnet dabei den Zustand des Einzelnen gegenüber dem Staat, der in verschiedenen Grundrechten ausgeformt und gesichert ist. 294 Der status positivus beschreibt den Zustand, in dem der Einzelne seine Freiheit nicht ohne den Staat haben kann, sondern für die Schaffung und Erhaltung seiner freien Existenz auf staatliche Vorkehrungen angewiesen ist. 295 Nach Jellinek ist der zentrale und bedeutendste Anspruch des status positivus derjenige auf Rechtsschutz. Der Anspruch ergebe sich unmittelbar aus der Anerkennung der Persönlichkeit des Betroffenen. 296 Der Staat müsse dabei den Anspruch ausgestalten. 297 Im Rechtsstaat bundesrepublikanischer Prägung ist, wie auch Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zeigt, 298 der Gesetzgeber zur Ausgestaltung berufen. 299 Die im Normtext des Art. 19 Abs. 4 GG angesprochene Rechtswegeröffnung setzt Gerichte und Gerichtsverfassungs- und Verfahrensgesetze voraus, deren Ausgestaltung den Inhalt der Garantie des Grundrechts (mit)prägt. 300 Art. 19 Abs. 4 GG ist daher insoweit ein Grundrecht mit normgeprägtem Schutzbereich. 301 Wegen seines Verfassungsrangs kann es allerdings nicht nur dem einfach-gesetzlichen Gesetzgeber überlassen werden, wie der Rechtsschutz ausgeprägt ist. 302 Die Verfahrensgesetze ihrerseits müssen wieder dem Grundrecht genügen. 303 Daher sind die originär verfassungsrechtlichen Rechtsschutzelemente durch Auslegung zu ermitteln. Da die Vorstellung des einfach-rechtlichen Rechtsschutzsystems gezeigt hat, dass die oft fehlende Kenntnis nachrichtendienstlicher Maßnahmen ein zentrales Problem des Rechtsschutzes darstellt, wird die Frage, inwieweit Art. 19 Abs. 4 GG auch Kenntnisgewähr bietet, umfassend beantwortet werden müssen. Sie 292
Vgl. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 87, 94 ff. Vgl. Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 34. 294 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 57. 295 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 60. 296 Vgl. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 124 f. 297 Implizit: Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 127. 298 Vgl. Buermeyer, Rechtsschutzgarantie S. 28 f. 299 Vgl. BVerfGE 107, 395 (408); Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 28. 300 Vgl. Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 19 GG Rn. 42; Pieroth / Schlink, Grundrechte, S. 1007. 301 Vgl. Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 368; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1007. 302 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1007; ebenso Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 30. 303 Vgl. Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 30. 293
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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wird zur besseren Übersicht aber zunächst ausgeklammert und gesondert nach der Ermittlung des allgemeinen Gewährleistungsgehalts behandelt. aa) Grammatische Interpretation Zunächst ist der Wortlaut bzw. Wortsinn zu untersuchen. Auch wenn der Wortlaut des Art. 19 Abs. 4 GG allgemein als missglückt empfunden wird, so verleiht dennoch allein das Wort dem Gesetz die normative Kraft und ist daher der Ausgangspunkt für die Bestimmung des Sinngehalts. 304 Art. 19 Abs. 4 GG spricht von Rechtsweg. Zur genaueren Bedeutungsanalyse muss dieses sprachliche Kompositum getrennt werden. In der deutschen Sprache bestimmt beim hier vorliegenden sog. Determinativkompositum das Erstglied (Determinans, Bestimmungswort) das Zweitglied (Determinatum, Grundwort, Basiswort) näher. 305 „Recht“ bestimmt den „Weg“. Unklar bleibt zwar die genaue Bedeutungsbeziehung zwischen „Recht“ und „Weg“. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wird „Rechtsweg“ aber final als „Weg zum Finden des Rechts“ oder einfach „Weg zum Recht“ verstanden. 306 Der Weg ermöglicht nach seinem Beschreiten demnach das Erreichen, die tatsächliche Verwirklichung des Rechts. Rechtsweg meint daher den Weg, auf dem Recht durchgesetzt werden kann, d. h. der Weg, auf dem Rechtsschutz gewährt wird. Der Rechtsweg wird dabei allgemein als Gerichtsweg aufgefasst und damit der dritten Gewalt zugeordnet. 307 Vielfach wird dieses Ergebnis aus der grammatischen Interpretation gewonnen, 308 ist aber eigentlich ein systematisches: Art. 14 Abs. 3 Satz 4, Art. 19 Abs. 4 Satz 2, Art. 34 Satz 3, Art. 93 Abs. 4 Nr. 4 GG und der Umkehrschluss aus Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG zeigen, dass das Grundgesetz den Begriff „Rechtsweg“ als „Gerichtsweg“ versteht. 309 Über welche Auslegungsmethode dieses Ergebnis nun erzielt wird, ist freilich unerheblich. Dieser Gerichtsweg „steht (...) offen“, wie es Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ausdrückt. Die indikativische Formulierung ordnet dabei bereits von Verfassungs wegen ein Offenstehen an, so dass die Beschreitung des Rechtsweges tatsächlich zu ermöglichen ist. Bereits der Wortlaut garantiert demnach den wirklichen Zugang zu den Gerichten, er darf umgekehrt nicht bloß theoretisch sein. Mit anderen Worten muss die Garantie des offenen Rechtswegs also effektiv sein. 310 304
Vgl. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 148 m.w. N. Vgl. Kessel / Reimann, Gegenwartssprache, S. 104. 306 Vgl. Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 12. 307 Vgl. Buermeyer, S. 12; Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 20; Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 119; auch allgemein für die Terminologie des gesamten Rechts: Creifelds, Rechtswörterbuch, S. 1077. 308 Vgl. Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 12 f. m.w. N. 309 Vgl. auch Creifelds, Rechtswörterbuch, S. 1077. 305
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Ein Rechtswegausschluss wäre daher mit dem Wortlaut nicht vereinbar. Dieses zeigt ergänzend auch ein systematisches Argument: Gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 3 GG darf nur in den Fällen des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG der Rechtsweg ausgeschlossen werden. In allen anderen Fällen ist daher ebenso wie gegen Maßnahmen anderer Teile der öffentlichen Gewalt auch gegen nachrichtendienstliche Maßnahmen der Zugang zu Gericht gegeben, sofern sie nicht gemäß Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis beschränken. Ein absoluter Rechtswegausschluss existiert zwar normativ auch nicht. Allerdings ist er faktisch bei nachrichtendienstlichen Maßnahmen denkbar, wenn der Betroffene nichts von den Maßnahmen erfährt und dadurch der Zugang zu den Gerichten nicht wahrgenommen werden kann. Ob sich deshalb ein Kenntnisnahmeanspruch direkt aus Art. 19 Abs. 4 GG ableiten lässt, ist aber einer gesonderten Prüfung vorbehalten. Zusammenfassend gibt der Wortlautbefund bereits Aufschluss über einen Teilgehalt der Garantie des Grundrechts. Art 19 Abs. 4 GG gewährleistet danach das „Ob“ des Rechtsschutzes, nämlich einen effektiven Zugang zum Rechtsweg. Dieser Teilgehalt wird hier als effektive Rechtsweggarantie bezeichnet. 311 Damit ist aber noch nichts über die Anforderungen an den dann offen stehenden Rechtsweg gesagt, d. h. über das „Wie“ der Rechtsdurchsetzung, also den Rechtsschutz als solchen. Die grammatische Auslegung bietet keine Anhaltspunkte für diesen Teil der Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG. 312 bb) Historische Interpretation Die nun folgende historische Interpretation wird hier als die rechtsgeschichtliche anhand der Texte von Normvorläufern und Normvorbildern, die dem zu untersuchenden Normtext vorgingen, verstanden. 313 Als Normvorläufer des Art. 19 Abs. 4 GG ist zum einen der Art. 107 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) 314 zu sehen. Danach müssen „im Reiche 310 Vgl. Lorenz, Jura 1983, S. 393 f.; auch Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 86; Wilfinger, Das Gebot effektiven Rechtsschutzes, S. 38. 311 Nach Lorenz, Jura 1983, S. 393 f. 312 So auch Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 56, der aber zu weitgehend zum Ergebnis kommt, aus dem Wortlaut lasse sich auch nicht die effektive Rechtsweggarantie ableiten. Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 18, hingegen will bereits dem Wortlaut auch eine Rechtsschutzgarantie entnehmen. Tatsächlich arbeitet er aber hauptsächlich mit teleologischen Interpretationselementen, indem er argumentiert, ein bloßes Beschreiten des Rechtswegs nütze dem Verletzten wenig, wenn es dabei sein Bewenden habe. Es müsse daher noch Weiteres hinzukommen, um die Wirkkraft der Rechtsfolge des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu erhöhen. 313 Vgl. zu dieser Unterscheidung zwischen historischer und genetischer Interpretation: Müller, Methodik, S. 336 f. 314 Verfassung vom 11. 08. 1919, RGBl. Nr. 152, 1919, S. 1383 ff.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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und in den Ländern [...] nach Maßgabe der Gesetze Verwaltungsgerichte zum Schutze der einzelnen gegen Anordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden bestehen“. 315 Bereits der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee sah in Art. 138 seines Entwurfs (HChE), der die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe insbesondere bei Anordnung einer Verwaltungsbehörde garantierte, 316 lediglich eine Wiederholung eines der in der WRV enthaltenen tragenden Grundsätze der Rechtspflege. 317 Der Parlamentarische Rat entfernte allerdings diesen Artikel wieder. Aus diesem Umstand kann aber keine fehlende Kontinuität zwischen Art. 107 WRV und Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet werden. Vielmehr wurde Art. 138 HChE nur deshalb nicht übernommen, weil der zuständigen Ausschuss davon ausging, der spätere Art. 19 Abs. 4 GG gehe in der Gewährleistung weiter als Art. 138 HChE, sei hinsichtlich des Rechtsweges und der Eingriffsakte weiter gefasst und enthalte daher bereits dessen Rechtsschutzziel. 318 Die Gewährleistungen des Art. 107 WRV können daher zur unmittelbaren Interpretation eines Teilgehaltes des Art. 19 Abs. 4 GG herangezogen werden. Art. 107 WRV garantierte, dass in Verwaltungssachen ein Rechtsweg zu den gerichtsähnlich (im Sinne der bestehenden ordentlichen Gerichtsbarkeit) ausgestalteten Verwaltungsgerichten besteht. 319 Damit sollte der Zustand vor der Schaffung der Verwaltungsgerichte aufgehoben werden, wonach in Verwaltungssachen nur eine Beschwerde an die vorgesetzte Verwaltungsbehörde zulässig war. 320 Die Verwaltungsgerichte mussten dabei bestimmte Mindestanforderungen erfüllen: Ihre Rechtsprechung musste dem Ziel der Gesetzmäßigkeit folgen und sie sollten rechtlich und tatsächlich in der Lage sein, unabhängig und unparteiisch zu entscheiden, sowie einem der ordentlichen Gerichtsbarkeit nachgebildetem Verfahren folgen. Ihre Mitglieder mussten zudem fachlich speziell in Verwal315
Abgedruckt bei Anschütz, WRV, S. 494. Der Normtext des Art. 138 Abs. 1 des Entwurfs lautet: „Wer sich durch eine Anordnung oder durch die Untätigkeit einer Verwaltungsbehörde in seinen Rechten verletzt oder mit einer ihm nicht obliegenden Pflicht beschwert glaubt, kann gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen“, vgl. Verfassungsausschuss der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen Besatzungszonen – Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat II, S. 504 ff., 612. 317 Vgl. Bericht der Ergebnisse des Unterausschusses III durch Ministerialrat Leusser an das Plenum, Protokoll der 7. Sitzung des Plenums, abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat II, S. 403 ff., 418 f. 318 Vgl. Protokoll der 7. Sitzung des Ausschusses für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege, 6. Dezember 1948, abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat XIII/2, S. 1347 ff., 1447 f. 319 Hier kann der Streit dahinstehen, ob auch der ordentliche Gerichtsweg in Verwaltungssachen durch einfachgesetzlichen Verweis zulässig wäre, wichtig ist überhaupt ein Verweis auf einen mit bestimmten Anforderungen ausgestalteter Gerichtsweg, vgl. dazu Anschütz, WRV, S. 496 f. 320 Vgl. Anschütz, WRV, S. 500. 316
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
tungssachen ausgebildet worden sein und die nötige Berufserfahrung besitzen. 321 Allerdings leiteten sich aus Art. 107 WRV keine subjektiven Rechte ab, vielmehr ist dieser Artikel ein Gesetzgebungsauftrag mit weitem Gestaltungsspielraum, so dass sich subjektive Rechte immer nur aus den Ausführungsgesetzen ableiten ließen. 322 Diese Ausführungsgesetze mussten aber den Zugang zur Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Regel machen, um nicht im Widerspruch zu Art. 107 WRV zu stehen. Dieses konnte durch eine Generalklausel geschehen oder durch eine Enumerierung der Fälle, in denen der Verwaltungsgerichtsweg eröffnet werden sollte. Die Enumerierung führte dann zwar zu einem nicht gänzlich lückenlosen Rechtsschutz. Sie musste aber wiederum so engmaschig sein, dass sie im Ergebnis einer Generalklausel möglichst nahe kommt. 323 Der historische Befund des Art. 107 WRV stützt demnach die aus dem Wortlaut bzw. -sinn gewonnene Forderung der Effektivität der Rechtsweggarantie nicht, da der Zugang nur die Regel sein muss und der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Ausführung hatte. Er schließt sie aber auch nicht aus, da Art. 107 WRV lediglich für einen Teil der Gewährleistung in historischer Kontinuität steht, Art. 19 Abs. 4 GG also zusätzliche Gewährleistungen geben oder die Gewährleistungen des Art. 107 WRV verstärken kann. Allerdings hilft der Gewährleistungsgehalt des Art. 107 WRV die Anforderungen an den nach Art. 19 Abs. 4 GG offen stehenden Rechtsweg zu verstehen. Es wird die Auffassung gestützt, dass der Wortsinn von „Rechtsweg“ Gerichtsweg bzw. gerichtsvergleichbarer Weg ist. Zudem können bereits Einzelanforderungen dieses Gerichtsweges abgeleitet werden. Ein Spruchkörper wird nämlich diesem Weg nur gerecht, wenn er Gesetzmäßigkeit, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit wahrt. Wie im heutigen Grundgesetz in Art. 97 Abs. 1 GG fanden sich diese Voraussetzungen an die Richter explizit auch schon in Art. 102 WRV. Dieses schließt aber nicht aus, dass sich die Gewährleistungen ebenso aus Art. 107 WRV bzw. Art. 19 Abs. 4 GG ergeben. Neben Art. 107 WRV wird auch § 182 der Paulskirchen-Verfassung (PKV) 324, etwa vom Bundesverfassungsgericht, als Normvorläufer bzw. -vorbild angesehen. 325 Ein Beleg für die unmittelbare Kontinuität zwischen § 182 PKV und 321
Vgl. Anschütz, WRV, S. 495 f., 500. Vgl. Anschütz, WRV, S. 500; Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 17. Entsprechende Ausführungsgesetze zur Schaffung von Verwaltungsgerichten wurden lediglich in einigen Ländern erlassen (Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz). Das Reichsverwaltungsgesetz kam über das Entwurfstadium nicht hinaus, vgl. Nachweise bei Klein, VVDStRL 8 (1950), S. 67 (75). 323 Vgl. Anschütz, WRV, S. 500; Poetzsch-Heffter, WRV, S. 389. 324 Verfassung vom 28. 03. 1849, RGBl. Nr. 16, 28. 04. 1849, S. 101 ff., online abrufbar unter: http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/que/normal/que835.pdf (abgerufen am 24. 10. 2007). 322
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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Art. 19 Abs. 4 GG findet sich in den Beratungen zum Grundgesetz nicht, dort wird in diesem Zusammenhang nur auf die WRV Bezug genommen. 326 Eine mittelbare Kontinuität zwischen PKV und WRV und damit auch für das Grundgesetz ergibt sich aber aufgrund der historischen Bedeutung der PKV für die demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung Deutschlands, so dass § 182 PKV jedenfalls in diesem Sinne als Normvorläufer angesehen werden kann. 327 § 182 Abs. 1 PKV bestimmte, dass die „Verwaltungsrechtspflege (auf-)hört [...]“ und „über alle Rechtsverletzungen [...] die Gerichte (entscheiden)“. Absatz 2 untersagte der Polizei die Strafgerichtsbarkeit. Insbesondere der erste Absatz stellte sich gegen die Rechtspflege durch die Verwaltungsbehörden selbst. Sie sollte zugunsten der Gerichte aufgehoben werden. 328 § 182 Abs. 1 PKV stützt dadurch das Verständnis des „Rechtswegs“ als „Gerichtsweg“. Weitergehenden Erkenntnisse lassen sich für die vorliegende Fragestellung aber nicht ableiten. cc) Genetische Interpretation Ertragreicher ist die genetische Interpretation. Diese Auslegung wird hier verstanden als Arbeit mit Nicht-Normtexten aus der rechtspolitischen Debatte, vor allem aber aus den Verhandlungen der legislativen Gremien und der Entstehungsgeschichte und Gesetzgebungsmaterialien der vor der Fragestellung auszulegenden Normtexte. 329 Entscheidendes Legislativgremium ist der mit der Schaffung des Grundgesetzes beauftragte Parlamentarische Rat, der vom 1. September 1948 bis zum 8. Mai 1949 in der Pädagogischen Akademie in Bonn tagte. (1) Legislativer Prozess Der spätere Art. 19 Abs. 4 GG wurde zunächst als Art. 2 Abs. 4 GG vom Ausschuss für Grundsatzfragen in den Entwurf eingefügt. Er wies bereits den 325 Vgl. BVerfGE 107, 395 (404 f.). So implizit Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 81; Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 19 Rn. 2; Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 151. 326 Vgl. Bericht der Ergebnisse des Unterausschusses III durch Ministerialrates Leusser an das Plenum, Protokoll der 7. Sitzung des Plenums, abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat II, S. 403 ff., 418 f. 327 So für die Weimarer Verfassung Jellinek, VVDStRL 2 (1925), 8 ff., der nur in der Frage, ob Verwaltungssachen wie in der PKV den ordentlichen Gerichten zugeordnet werden sollen (sog. justizstaatliches Modell) oder wie in der WRV den Verwaltungsgerichten, eine Diskontinuität zwischen § 182 PKV und Art. 107 WRV sieht. Umfassend zur kontinuierlichen gesetzgeberischen und rechtswissenschaftlichen Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit vgl. Klein, VVDStRL 8 (1950), S. 67 ff. 328 Vgl. Kühne, Paulskirchen-Verfassung, S. 347; Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 7; Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 152. 329 Vgl. Müller, Methodik, S. 336.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
gleichen Wortlaut auf wie der heutige Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Der Vorschlag des Normtextes kam vom Unterausschuss des Grundsatzausschusses und wurde mit der Begründung aufgenommen, eine Generalklausel für die allgemeine Verfolgbarkeit von Eingriffen in die Freiheit sei dem Unterausschuss wichtig. „Rechtsweg“ bedeute dabei das Verfahren vor den ordentlichen wie den Verwaltungsgerichten. Eine Klage bei Eingriffen in Freiheitsrechten müsse jedenfalls möglich sein. 330 Die genauere Ausgestaltung sollte im Rechtsprechungsabschnitt des Grundgesetzes als jeweiliges lex specialis geregelt werden. 331 Art. 2 Abs. 4 GG wurde vom (neben dem Plenum) maßgeblichen Hauptausschuss anschließend auch übernommen. 332 Nach dem zweimaligem Hinweis des mit der Gesamtredaktion beauftragten Redaktionsausschusses, dass Art. 2 Abs. 4 GG hinter den Grundrechtsteil gezogen werden müsse, um sich auf alle Grundrechte zu beziehen und nicht nur auf diejenigen in Art. 2 GG, 333 folgte ihm der Grundsatzausschuss in seiner 32. Sitzung. Dort wurde der Artikel noch einmal durch den Abgeordneten Süsterhenn dahingehend konkretisiert, das er die Aufgabe habe, die Grundrechte verfahrensmäßig zu sichern. 334 Im späteren Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates wurde der ebenfalls vom Redaktionsausschuss vorgeschlagene heutige Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG eingefügt. Nach Auffassung des Antragstellers, von Brentano, würden dadurch Kompetenzkonflikte verhindert, damit nicht derjenige, der als Richter angerufen werde, seine eigene Unzuständigkeit zu behaupten vermag. Jedenfalls solle der ordentliche Richter verpflichtet sein, sich seiner Sache anzunehmen, wenn nicht ein anderer Rechtsweg gegeben sei. Dadurch werde die Garantie verstärkt, dass der Rechtsweg unter allen Umständen offen stehe und dass der Betroffene nicht erst suchen muss, welcher Rechtsweg offen steht. 335 Danach blieb der Normtext unverändert und fand nach mehreren redaktionellen Änderungen seinen Platz in Art. 19 Abs. 4 GG. 336 Das Plenum beschloss den 330 Vgl. Berichterstattung über die Arbeit des Unterausschusses an den Grundsatzausschuss durch von Mangoldt, Protokoll der 4. Sitzung vom 23. 09. 1948, abgedruckt in: Der Parlamentarische RatV/1, S. 62, 75. 331 Vgl. von Mangoldt, Protokoll der 23. Sitzung des Hauptausschusses vom 19. 11. 1948, abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat V/2, S. 603, 609. 332 Vgl. Stenographisches Protokoll des Hauptausschusses (17. Sitzung, 3. 12. 1948), S. 205 f. 333 Vgl. die redigierte Fassung des Redaktionsausschusses der Präambel und Art. 1 – 29c vom 13. 12. 1948, abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat V/2, S. 875, 877, ferner Fassung der Art. 1 – 20 nach der 1. Lesung des Redaktionsausschusses vom 16. 11. 1948, abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat V/2, S. 578, 583. 334 Vgl. Protokoll vom 11. 01. 1949, abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat V/2, S. 910. 335 Vgl. Stenographisches Protokoll des Hauptausschusses (44. Sitzung, 19. 01. 1949), S. 569, 591 f. 336 Vgl. im Einzelnen: JöR, Bd. 1, S. 183 ff., sowie stenographisches Protokoll des Hauptausschusses (57. Sitzung, 05. 05. 1949), S. 743, 748.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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so vorgelegten Art. 19 Abs. 4 GG in dritter Lesung am 8. 05. 1949. 337 Bereits zur zweiten Lesung am 6. 05. 1949 wurde ein schriftlicher Bericht des Hauptausschusses für das Plenum vorgelegt, auf dessen Grundlage entschieden wurde. Darin hält der für den Grundrechtsteil zuständige Berichterstatter von Mangoldt fest, Art. 19 Abs. 4 GG sichere in Form einer Generalklausel die Menschenund Freiheitsrechte. Er gewährleiste für die Grundrechte gerichtlichen Rechtsschutz. 338 (2) Auslegungsergebnis Die genetische Auslegung stützt demnach den Wortlautbefund nach einer effektiven Rechtsweggarantie, die auch weiterhin als Gerichtsweggarantie aufgefasst werden muss. 339 Der Zugang zu Gerichten sollte jedenfalls absolut bei Eingriffen in die Freiheitsrechte eröffnet sein und nicht nur möglichst erreicht werden. Insoweit geht Art. 19 Abs. 4 GG weiter als seine beiden Vorgängernormen. Daneben lassen sich im Gegensatz zu den beiden vorstehenden Auslegungsmethoden weitergehende Erkenntnisse über die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals „Rechtsweg“ gewinnen: „Rechtsweg“ meint nicht nur Gerichtsweg als bloße Zuweisung von Rechtsverletzungen an die Judikative, sondern stellt besondere Anforderungen an diesen, ohne die ein Gerichtsweg kein „Rechtsweg“ im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG ist. Das Grundrecht soll die Freiheitsrechte verfahrensmäßig vor ungerechtfertigten Eingriffen sichern und, durch die Gewährung von Rechtsschutz, durchsetzen. Der Rechtsweg als Gerichtsweg muss daher zu einer Entscheidung führen, die Verletzungen der den Art. 19 Abs. 4 GG vorstehenden Menschen- und Freiheitsrechte wirksam begegnet. 340 Anderenfalls kann Art. 19 Abs. 4 GG den vom Parlamentarischen Rat gewollten Sicherungsund Durchsetzungsauftrag nicht erfüllen. Der Rechtsschutz, den der Rechtsweg bietet, muss demnach wie der Zugang zum Rechtsweg wirksam und umfassend, d. h. effektiv sein, denn nur dann sind auch die geschützten Rechte selbst effektiv. 341 Anders gewendet folgt daher aus der gewollten Effektivität der Rechte ebenso das Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes als verfassungsrechtlich abgesicherter Mindeststandard. 342 337
Vgl. JöR Bd. 1, S. 186. Vgl. v. Mangoldt, Schriftlicher Bericht zum Grundgesetz, S. 5, 13. 339 Vgl. Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 80 f., 88 f. m.w. N.; Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 153. 340 So auch Lorenz, Jura 1983, S. 393 (394). 341 Vgl. Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Abs. 4 Rn. 335 f. 342 So auch Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Abs. 4 Rn. 453; ferner Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 89. 338
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
dd) Systematische Interpretation Im Rahmen der systematischen Interpretation sollen die bisherigen Ergebnisse anhand der Stellung von Art. 19 Abs. 4 GG im Normgefüge der Verfassung überprüft und weiter konkretisiert werden. Letzteres gilt insbesondere für die bisherige Erkenntnis, dass die Effektivität des Rechtswegzugangs und des Rechtsschutzes von Art. 19 Abs. 4 GG garantiert werden. Aus dem Prinzip der Effektivität müssen Einzelanforderungen deduziert werden, um die mannigfaltigen, differenzierten Einzelregelungen des einfach-rechtlichen Rechtsschutzsystems verfassungsrechtlich überprüfen zu können. Der systematische Interpretationsansatz wird der Erkenntnis gerecht, dass ein Normtext nur umfassend verstanden werden kann, wenn der Regelungszusammenhang, in dem er steht, betrachtet wird. Dabei verhält sich ein Normtext nicht anderes als jeder andere Text: Auch ein Satz in einem Roman ist erst umfassend verständlich, wenn die ganze Seite, die Seite, wenn das ganze Kapitel, das Kapitel, wenn der ganze Roman gelesen wurde. Die Kehrseite des Versuchs, einen Normtext aus einem Gesamtzusammenhang zu verstehen ist aber, ihn als Teil eines logischen Gesamtzusammenhanges zu sehen, mithin eines Systems, in das er sich widerspruchsfrei einfügt. Anderenfalls könnten keine logisch begründeten Rückschlüsse aus seiner Stellung im Normensystem gezogen werden. Systematische Interpretation hat daher auch die Aufgabe, der inneren Logik des Gesamtsystems gerecht zu werden. Die Logik im Normensystem Grundgesetz wird dabei als Einheit der Verfassung bezeichnet, der eine systematische Interpretation nachkommen muss. D. h., die Verfassungsnormen sind so zu interpretieren bzw. auszulegen, dass die Verfassung eine logische Einheit von Rechtssätzen bildet, die sich einander nicht widersprechen. Die Verfassung soll dadurch zwar nicht spannungslos sein, aber ein in sich ruhendes, sinnvoll zusammenschließendes Normengefüge darstellen. 343 Art. 19 Abs. 4 GG konkretisiert den Rechtsschutz bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt. Er ist dadurch eine Ausprägung allgemeiner rechtsstaatlicher Grundsätze, die im Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegt sind und steht neben anderen verfassungsrechtlichen Rechtsschutzregelungen. 344 Um im Rahmen der systematischen Auslegung weitere Erkenntnisse über Art. 19 Abs. 4 GG zu erzielen, ist daher das Verhältnis zu den weiteren Rechtsschutzregelungen im Gefüge des Rechtsstaates, also Justizgrundrechte bzw. -prinzipien, zu klären. Dadurch kann Art. 19 Abs. 4 GG weiter konkretisiert werden und gleichzeitig kann ein differenziertes Bild der Schutzmechanismen des 343 Vgl. zum Ganzen: Müller, Methodik, Rn. 383 f., insbesondere mit Verweis auf die entsprechende Definition von Hans Kelsen. 344 Vgl. Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Rn. 15; ders., NVwZ 1983, S. 1 (2); Schulze-Fielitz, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 37.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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Grundgesetzes herausgearbeitet werden, das den Spezifika der einzelnen Rechtsschutzgewährungen Rechnung trägt. So können zum einen Einzelforderungen an den Rechtsschutz gegen Nachrichtendienste aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet werden. Zum anderen kann geklärt werden, ob die übrigen Rechtsschutzgewährungen weitergehende Anforderungen an einen diesbezüglichen Rechtsschutz stellen. Zur besseren Übersichtlichkeit wird der Gewährleistungsgehalt in einen allgemeinen Rechtsschutzstandard oder Kongruenzbereich (unter (1)) und einen besonderen Rechtschutzstandard (unter (2)) aufgeteilt. Diese Einteilung wurde von Schmidt-Aßmann entwickelt. Der allgemeine Rechtsschutzstandard umfasst dabei die Rechtsschutzgewährleistungen, soweit sie alle Rechtswege betreffen. Der besondere Rechtsschutzstandard umfasst die Anforderungen an Rechtsschutz, die darüber hinausgehen, nämlich insoweit, als sie für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt und der damit verbundenen besonderen Gefahrenlage im Subordinationsverhältnis nötig sind. 345 (1) Allgemeiner Rechtsschutzstandard (Kongruenzbereich) Der Gehalt des allgemeinen Rechtsschutzstandards wird zunächst aus dem systematischen Verhältnis zum Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt, das Anforderungen für jeglichen Rechtsweg aufstellt. Im Anschluss kann eine weitere Konkretisierung des Rechtsschutzstandards durch systematische Auslegung von Art. 19 Abs. 4 GG mit Vorschriften des Grundgesetzes erfolgen, die ebenso für alle Rechtswege gelten. Zuvorderst sollen die geschriebenen Vorschriften betrachtet werden, die unmittelbare Vorgaben hinsichtlich der gebotenen richterlichen Rechtsschutzgewährung enthalten. Sie finden sich im IX. Abschnitt des Grundgesetzes (Art. 92 GG bis Art. 104 GG). 346 Anschließend wird noch auf das Gewaltenteilungsprinzip eingegangen, soweit es darüber hinausgehende Erkenntnisse liefert. (a) Erkenntnisse aus dem Rechtsstaatsprinzip (aa) Justizgewährung Das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG enthält selbst Maßstäbe für den gerichtlichen Rechtsschutz und verpflichtet den Staat zur Justizgewährung. Die Pflicht ergibt sich zwingend aus dem Gewaltmonopol des Staates: Mit 345
Vgl. Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4, Rn. 18. Auch Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 18 und NVwZ 1983, S. 1 (2), zieht insbesondere die genannten Rechtsschutzgewährungen zur Konkretisierung des allgemeinen Rechtsschutzstandards heran. 346
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
der Inanspruchnahme des Gewaltmonopols verbietet der Staat den Bürgern, die Durchsetzung insbesondere ihrer Rechte in die eigene Hand zu nehmen. Die Bürger unterliegen insoweit einer Friedenspflicht. Der Staat allein darf Recht und Gesetz durchsetzen. Nur so ist ein freiheitlicher, argumentativer Diskurs über die Bestimmung des Allgemeinwohls möglich, aus dem Gesetze letztlich entstehen. 347 Um das Gewaltmonopol zu wahren, müssen Konflikte um Recht und Gesetz dementsprechend kanalisiert werden, damit das Gewaltmonopol nicht durch innere Spannungen beschädigt oder, als Extrem, durch einen Bürgerkrieg zerstört wird. Die Konflikte müssen dann in ein staatliches Verfahren übergeleitet werden. Für dieses Verfahren sind in einem demokratischen Staat die Gerichte berufen. 348 Die Kehrseite dieses Monopols ist daher, dass der Staat Rechtsschutz gewährleistet. Diese Garantie ist im Rechtsstaatsprinzip als Kristallisation der Kehrseite verankert. 349 Zum einen muss daher der Rechtsstaat für die Inanspruchnahme von Rechtsschutz den Zugang zu den Gerichten für Konflikte zwischen den Bürgern und zwischen Bürger und Staat eröffnen. Zum anderen hat er dafür zu sorgen, dass die materiellen Rechtspositionen auf dem Rechtsweg auch wirksam durchgesetzt werden können. 350 Immer dann, wenn der Bürger sein Recht verteidigen muss, hat der Staat Rechtsschutz zu gewähren. Daraus ergibt sich, dass die Pflicht zur Justizgewährung jedenfalls dann entsteht, wenn in ein dem Bürger zustehendes Recht (subjektives Recht), gleich durch wen, eingegriffen wird. 351 Die Justizgewährungspflicht ist allerdings, wie das Rechtsstaatsprinzip insgesamt, nur objektives Recht. Es vermittelt dem Einzelnen zunächst keine eigenen Rechte. In Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG oder anderen spezielleren Grundrechten wird die Justizgewährungspflicht aber zu einem subjektiven Anspruch. 352 Dieser sog. allgemeine Justizgewährungsanspruch gemäß Art. 2 Abs. 1 GG (oder speziellerer Grundrechte) i.V. m. Art. 20 Abs. 3 GG gewährt demnach, ebenso wie Art. 19 Abs. 4 GG, Rechtsschutz durch Gerichte.
347
Vgl. Isensee, HbdStR III, § 57 Rn. 44. Vgl. Isensee, HbdStR I, § 13 Rn. 82. 349 Vgl. Görisch, JuS 1997, S. 988 (990); Papier, HbdStR VI, § 153 Rn. 1: „Dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ist die Gewährleistung staatlichen Rechtsschutzes immanent, die einen Ausgleich für das Gewaltmonopol (...) darstellt.“ Velten, Befugnisse der Ermittlungsbehörden, S. 112 bezeichnet den Justizgewährleistungsanspruch treffend als „Reflex“ und „Gegenmacht“ zum Macht- und Gewaltmonopol des Staates. 350 Vgl. BVerfGE 88, 118 (123); Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 23; Ramminger, Geheimhaltungsansprüche, S. 16. 351 Vgl. BVerfGE 107, 395 (401); Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 59 f.; Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, S. 261 f. 352 Für viele: Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Abs. 4 Rn. 352, 355; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 241 f. 348
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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Der allgemeine Justizgewährungsanspruch schützt aber im Gegensatz zu Art. 19 Abs. 4 GG bei der Verletzung subjektiver Rechte gleich durch wen. Er ist also auch etwa bei zivilrechtlichen Streitigkeiten anwendbar. Art. 19 Abs. 4 GG besitzt hingegen das Merkmal „durch die öffentliche Gewalt“, um seinen Anwendungsbereich einzuengen. Er ist daher nur einschlägig, soweit die Verletzung subjektiver Rechte durch die öffentliche Gewalt erfolgt. Dadurch wird er zur spezielleren Norm und verdrängt den allgemeinen Justizgewährungsanspruch in seinem Anwendungsbereich. Für Verletzungen durch die öffentliche Gewalt, und damit für den nachrichtendienstlichen Bereich, ist Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 20 Abs. 3 GG somit nicht anwendbar. 353 (bb) Gemeinsamer rechtsstaatlicher Mindeststandard Das Verhältnis der Spezialität bedeutet aber nicht, dass Art. 19 Abs. 4 GG und der allgemeine Justizgewährungsanspruch keinen sich deckenden rechtsstaatlichen Mindeststandard bei Verletzungen subjektiver Rechte aufwiesen. Es ist zwar im Einzelfall denkbar, die Gewährleistungen wegen besonderer Gefahrenlagen (insb. existentielle Eingriffe im Subordinationsverhältnis) oder Verfahrensituationen (Schiedsverfahren im Zivilrecht etc.) hinsichtlich der Einzelableitungen aus dem Gewährleistungsgehalt zu modifizieren. Auch kann dadurch das eine Grundrecht über das andere jeweils hinausgehen. Jedoch ist nicht ersichtlich, warum beide Grundrechte nicht im Kern dasselbe Gewährleistungsprogramm besitzen sollen. Sie haben beide ihre Wurzeln in der gemeinsamen Rechtsstaatsidee und -tradition. 354 Es ist auch kein Umstand ersichtlich, der dafür spräche, dass der Parlamentarische Rat nicht von eben genau dieser Idee mit ihren Anforderungen und Gewährleistungsprogramm für Art. 19 Abs. 4 GG ausginge. Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt meint nicht irgendeinen Rechtsschutz durch irgendein Gericht in irgendeinem Verfahren, sondern einen effektiven Rechtsschutz durch staatliche Gerichte, der in Verfahren und Ausgestaltung den Anforderungen eines rechtsstaatlichen Mindeststandards, wie er nach oben beschriebener rechtsstaatlicher Tradition in Art. 20 Abs. 3 GG und seinen jeweiligen Konkretisierungen etwa in Art. 92, 97 GG niedergelegt ist, genügt. 355 Eine gegenteilige Annahme ergäbe schließlich auch keinen Sinn: Nach seinem Wortlaut schützt Art. 19 Abs. 4 GG, ebenso wie Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 20 353 Vgl. nur BVerfGE 83, 182 (194); Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 19 Abs. 4 Rn. 34; Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 58. Anders Schmidt-Aßmann und Krebs, die ein Verhältnis der sog. Komplementarität annehmen, vgl. dazu Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4, Rn. 18; Krebs, vMünch / Kunig, Grundgesetz, Art. 19 Rn. 62. 354 Vgl. Papier, HbdStR VI, § 153 Rn. 6; vMangoldt, Grundgesetz, S. 601 für Art. 19 Abs. 4 GG; ferner vMangoldt, Grundgesetz, S. 141. 355 Vgl. Ibler, Berliner Kommentar, Art. 19 IV Rn. 362; im Ergebnis auch Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 58 ff.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Abs. 3 GG, jedwede subjektiven Rechte und nicht nur die Art. 19 Abs. 4 GG vorangestellten Grundrechte. Würden beide Grundrechte keinen überschneidenden Bereich aufweisen, änderten sich die Anforderungen an Rechtswegzugang und Rechtsschutzeffektivität nur, weil in einem Fall die öffentliche Gewalt in ein bestimmtes subjektives Recht eingreift und im anderen Falle ein Privater, obwohl letzterer in dasselbe Recht eingreift. Wie gezeigt, ergibt sich aber aus dem Umkehrschluss aus Gewaltmonopol und Selbsthilfeverbot, dass subjektive Rechte unabhängig von dem Eingreifenden stets effektive Durchsetzung beanspruchen können. Daher stellt auch das Bundesverfassungsgericht fest, dass „das Grundgesetz [...] nur einen einheitlichen Begriff von „Rechtsweg“ und „Gericht“ [kenne]; es mach[e] für die Anforderungen, die an ein Gericht zu stellen [seien], keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Zweigen der Gerichtsbarkeit“. 356 In späteren Entscheidungen wird explizit auf denselben rechtsstaatlichen Kerngehalt hingewiesen, insbesondere mit Blick auf die Effektivität des Rechtsschutzes. 357 Auch der überwiegende Teil der Literatur geht von einer weitgehenden Vergleichbarkeit bzw. Parallelität, 358 teilweise sogar von einer inhaltlichen Entsprechung der Gewährleistungsgehalte aus. 359 Beide Grundrechte haben demnach einen entsprechenden Kerngehalt, der für alle Rechtswege gelten muss. Art. 19 Abs. 4 GG weist insoweit die Gewährleistungen des allgemeinen Justizgewährungsanspruches auf, als er für alle Rechtswege als rechtsstaatlicher Mindeststandard gilt. (cc) Konkretisierung des Mindeststandards Der gemeinsame Mindeststandard enthält diejenigen Rechtsschutzelemente, die der Staat dem Einzelnen reflexhaft gewähren muss, um für sich das Gewaltmonopol in Anspruch zu nehmen und so dem Bürger die Selbsthilfe zur Durchsetzung subjektiver Rechte verbieten zu können. Bereits aus dieser Gegenprobe lassen sich weitere konkrete und zwingende Voraussetzungen für eine rechtsstaatliche Rechtsdurchsetzung ableiten.
356
Vgl. BVerfGE 4, 331 (344). Vgl. BVerfGE 88, 118 (129); 107, 395 (403). 358 Vgl. Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers, S. 13 f.; Papier, HbdStR VI, § 154 Rn. 12 f.; Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 21; Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 189, 206; Sommermann, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 20 Rn. 321; ebenso die Nachweise bei Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 17. Im Ergebnis auch Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 353 f., 356, 358 hinsichtlich wesentlicher Gewährleistungen, auch wenn er in Rn. 355 vertritt, dass der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch wegen des Vehikels Art. 2 Abs. 1 GG in seiner Konsequenz hinter dem mit Grundrechtsqualität ausgestattetem Art. 19 Abs. 4 GG erkennbar zurückbleibt. 359 Vgl. Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 35; Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, S. 493. 357
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
213
(α) Gerichtszugang und -entscheidung Zunächst muss der Staat eine Institution schaffen, derer sich der Bürger bedienen kann und die sein Recht durchsetzt. Diese Institutionen sind in unserer Rechtstradition die Gerichte. 360 Sie sind insoweit von der Justizgewährungspflicht des Staates umfasst, als es für die rechtsstaatlichen Aufgaben erforderlich ist. 361 Die bloße Existenz der Gerichte verhilft dem Rechtsschutzsuchenden aber noch nicht zu seinem Recht. Er muss die Gerichte auch nutzen können bzw., bildlich gesprochen, zu ihnen gelangen. Der Staat muss daher sichern, dass der Zugang zu den Gerichten auch effektiv möglich ist und zwar nicht nur theoretisch, sondern auch faktisch. 362 Dazu gehört auch, dass der Rechtsschutzsuchende klar und bestimmt erkennen kann, welchen Rechtsweg er beschreiten muss (sog. Rechtswegklarheit). 363 Die Rechtsdurchsetzung kann jedoch nicht erfolgen, wenn das Gericht die Durchsetzung nicht in der sozialen Wirklichkeit erreichen kann. Daher müssen die Entscheidungsbefugnisse des Gerichts dergestalt sein, dass das Gericht drohende Rechtsverletzungen abwenden oder erfolgte Rechtsverletzungen beheben kann. 364 Als Reaktion zur Rechtsverletzung ist spiegelbildlich die Kompensation durch den gerichtlichen Ausspruch zu verlangen (sog. Kompensationszweck der Justiz). 365 Die Prüfung des Streitbegehrens und der Ausspruch dessen, was rechtens ist, müssen in eine verbindliche gerichtliche Entscheidung münden. 366 D. h. insbesondere, dass die Entscheidungen vollstreckbar sein müssen. 367 Die Akte der Entscheidung müssen folglich formal zu einer wirksamen Rechtsdurchsetzung führen können. Im Übrigen muss die Entscheidung zeitnah, in einer dem Rechtsschutzanliegen angemessenen Frist erfolgen, denn eine Entscheidung, die zu spät kommt, ist für den Rechtsschutzsuchenden wertlos. 368 360 Vgl. Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 22; Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers, S. 12; Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 203. 361 Vgl. Schulze-Fielitz, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 213. 362 Vgl. Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 60; Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 20; Lorenz, Jura 1983, S. 393 (394); i. E. auch Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 20 Rn. 93. 363 Vgl. BVerfGE 57, 9 (21); Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 231. 364 Vgl. stRspr. BVerfGE 61, 82 (111); 101, 106 (123); Papier, HbdStR VI, § 153 Rn. 18. 365 Vgl. Gusy, Der Staat 47 (2008), S. 511 (513). 366 Vgl. BVerfGE 107, 395 (401); Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 88, 96; Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 32; Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 62; Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 211. 367 Vgl. Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 96 f.; Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers, S. 274; Papier, HbdStR VI, § 153 Rn. 22. 368 Vgl. stRSpr BVerfG, etwa E 54, 39 (41); ebenso allgemeine Meinung in der Literatur, vgl. nur Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 90 f.; Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, S. 488.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
(β) Verfahren der Entscheidungsfindung Schließlich muss der Staat zwischen Zugang zum Gericht und Entscheidung Vorgaben über die Art und Weise gerichtlicher Entscheidungsprozesse, also dem Verfahren, so treffen, dass mit der Rechtsdurchsetzung das Recht auch entfaltet werden kann. Es muss seinem Inhalt nach wirken können, sonst ist es nichts wert. Im Gegensatz zur Verbindlichkeit der Entscheidung, die die formale Seite der Rechtsdurchsetzung betrifft, muss das Recht daher so durchgesetzt werden, dass es seine in der Rechtsordnung angelegte Funktion erfüllen kann. Der Rechtsschutz muss mit anderen Worten auch materiell effektiv, die Rechtskontrolle auch in materieller Hinsicht tatsächlich wirksam sein. 369 Da jegliche Selbstjustiz untersagt ist, muss der Rechtsschutz als Spiegelung dieses Verbots auch umfassend und lückenlos sein. 370 Daraus ergibt sich auch, dass die materiellen Rechte selbst und unmittelbar durchgesetzt werden müssen. Es muss folglich ein sog. Primärrechtsschutz geschaffen werden, also die gerichtliche Überprüfung einer staatlichen Maßnahme mit dem Ziel ihrer Aufhebung und Beseitigung der durch sie bewirkten Rechtsverletzung. Ein bloß sekundärer Rechtsschutz, der statt auf Abwehr der Rechtsverletzung nur auf Schadensausgleich in Geld verweist, wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht. 371 Fraglich ist, an welchen materiellen Qualitätsanforderungen sich der Rechtsschutz orientieren muss. Wegen der Ableitung aus dem Selbsthilfeverbot, kommt als Qualitätsmaßstab dabei die sachliche Richtigkeit einer Entscheidung als Verwirklichung des materiellen Gehalts des zu schützenden Rechts in Betracht. 372 Wie soll es aber für ein Gericht überhaupt möglich sein, eine materiell richtige Entscheidung zu treffen? Abweichungen kommen zwangsläufig durch eine nicht immer wirklichkeitsnahe Aufklärung des Sachverhalts zustande. Weitere Fehlerquellen sind Unklarheiten über die Auslegung materiellen Rechts und das allgemeine Vorverständnis des Richters. Diese Fehlerquellen führen zwangsläufig zu einer nicht völlig wahrheitsgetreuen Entscheidung. Es kann daher, wie auch in naturwissenschaftlichen Experimenten, nur darum gehen, die Fehlerquellen nach Möglichkeit zu eliminieren. Daher kann Art. 19 Abs. 4 GG lediglich eine möglichst hohe Wahrscheinlichkeit der sachlichen Richtigkeit der Entschei369 Vgl. BVerfGE 35, 263 (274); 35, 382 (401); 40, 272 (275); 65, 1 (70); 77, 275 (284); 84, 34 (49); 93, 1 (13); 101, 106 (122); Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 90; Görisch, JuS 1997, S. 988 (990); Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 212. 370 Vgl. BVerfGE 10, 264 (267); 25, 352 (365); Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 60, 90. 371 Vgl. BVerfGE 58, 300 (323 f.); NJW 1990, S. 501; Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 23; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 119; Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 450 ff.; Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 283. 372 Vgl. Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 70 f.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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dung fordern. 373 Entscheidend sind dafür der Umfang und die Intensität der vom Gericht im Hinblick auf den Streitgegenstand in Ansatz gebrachten Überprüfungshandlungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, um eine möglichst hohe Wahrscheinlichkeit sachlicher Richtigkeit zu erhalten. 374 Geschützt ist dabei aber nicht die sachliche Richtigkeit als solche, sondern nur eine auf diese gerichtete Vorgehensweise. Etwas anderes ist auch nach den angesprochenen Fehlerquellen nicht möglich. Zudem könnte man anderenfalls über Art. 19 Abs. 4 GG stets jedes Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht anfechten. Daher kann eine Verfassungsbeschwerde grundsätzlich nur darauf gestützt werden, dass der Richter Vorgaben hinsichtlich der Anforderungen der Entscheidungsfindung, wie etwa die umfassende neutrale Überprüfungspflicht, verletzt hat, nicht aber als solches darauf, dass eine getroffene Entscheidung nach dem Recht, für das das Ausgangsgericht sachlich zuständig ist, unrichtig ist. 375 Aus dem Erfordernis der sachlichen Richtigkeit wurden Einzelforderungen in Rechtsprechung und Literatur abgeleitet. Zu den Anforderungen, die für den nachrichtendienstlichen Bereich besonders wichtig sind, gehören eine Entscheidung auf Grundlage der richterlichen Untersuchung, um sachfremde Erwägungen zu verhindern und das Verfahrensziel nicht von vornherein zu konterkarieren, sowie der Grundsatz des fairen Verfahrens und die sog. Waffengleichheit, d. h. die Gleichwertigkeit der Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten, um insbesondere einen dialektischen Prozess der Wahrheitsfindung zu ermöglichen. 376 (γ) Insbesondere: Gebot des fairen Verfahrens Eine besondere Ausprägung aus dem Rechtsstaatsprinzip ist das sog. Gebot des fairen Verfahrens. Es soll als „allgemeines Prozessgrundrecht“ zur Anwendung kommen, wenn andere speziellere Prozessgrundrechte nicht greifen. 377 Es verbietet eine übermäßig erschwerende Handhabung verfahrensrechtlicher Regeln, die den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar verkürzen. Insbesondere ist es Gerichten untersagt, die prozessrechtlichen Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung so eng auslegen, dass ihnen eine sachliche Prüfung der vorgelegten Fragen nicht möglich ist. Auch müssen sie die Beweislastregeln fair handhaben. 378 Das Gericht hat das Verfahrensrecht dergestalt anzuwenden, dass die eigentlichen materiellen Rechtsfragen entschie373
Im Ergebnis auch: Rachor, HbdPolR, K Rn. 132. Ferner: Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 61. 374 Vgl. Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 79. 375 Vgl. im Ergebnis Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 61. 376 Vgl. Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 86 Dazu sogleich unter (γ). 377 Vgl. BVerfGE 57, 250 (257); Sommermann, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 20 Rn. 324. 378 Vgl. Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 216.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
den werden und diesen nicht durch übertriebene Anforderungen an das formelle Recht ausgewichen wird. Verfahrensrecht ist so auszulegen, dass es mit einer rechtsstaatlichen Verfahrensordnung nicht in Widerspruch gerät und den Rechtssuchenden nicht unverhältnismäßig belastet. 379 Das Gericht ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet. 380 Das Gebot eines fairen Verfahrens fordert zusammenfassend Gerichte, die ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabe der Sachverhaltsaufklärung und Rechtsfindung mit der nötigen Distanz, neutral und unbefangen ausüben. Ein rechtsstaatlich faires Verfahren ist durch Waffengleichheit zwischen den Prozessparteien gekennzeichnet. Der Grundsatz der Waffengleichheit wurde insbesondere im Strafverfahren entwickelt und gebietet dort den Ausgleich des strukturell unterlegenden Angeklagten oder Zeugen gegenüber dem ressourcenreichen und fachlich geschulten Staatsanwalt. Der Angeklagte oder ein Zeuge darf sich daher stets eines Anwalts bedienen. Nur so kann der Betroffene prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der notwendigen Sachkunde selbstständig wahrnehmen und unfaire Übergriffe staatlicher Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren. 381 Waffengleichheit ist aber auch in den anderen Prozessarten herzustellen, etwa im Zivilprozess. 382 Sie fordert eine formale Gleichstellung und darüber hinaus die Gleichwertigkeit der Rechtsstellung: Die Parteien müssen gleichermaßen die Möglichkeit haben, Anträge zu stellen, sachliche und rechtliche Stellungnahmen abzugeben und Prozesshandlungen vorzunehmen. 383 Konkret wirkt sich die Waffengleichheit auf die Beweislastverteilung aus und kann dazu führen, dass die Anwendung allgemeiner Beweislastregelungen in der konkreten Situation für eine Prozesspartei unzumutbar ist, weil sie den Beweis typischerweise nicht zu erbringen vermag. Die Regelungen sind daher zu Gunsten der strukturell unterlegenden Prozesspartei zu modifizieren. 384 Aus dem Vorstehenden wird deutlich, dass der Verfahrensbeteiligte die Möglichkeit haben muss, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Er darf nicht Objekt des Verfahrens sein, ist also nicht gezwungen sein, passiv darauf zu vertrauen, dass staatliche Stellen seine Rechte wahren und durchsetzen, sondern muss aktiv seine Rechtsdurchsetzung vorantreiben können. Dieses Recht wächst daher auch aus der Subjektstellung des Einzelnen gegenüber dem Staat, wie sie durch die Menschenwürdegarantie des Art. 1 GG gewährleistet wird. 385 379
Vgl. BVerfG, NJW 2005, S. 814 ff. Vgl. BVerfGE 38, 105 (111 ff.); NJW 1988, S. 2787. 381 Vgl. BVerfGE 38, 105 (111); Hartmann / Apfel, Jura 2008, S. 495 (497). 382 Vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 848. 383 Vgl. Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, S. 499. 384 Vgl. BVerfG NJW 1979, 1929 ff.; NJW 2001, 2531 (2531 f.). 385 So auch Buermeyer, S. 52 mit Verweis auf Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers, S. 51; Sommermann, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 20 Rn. 324. Das Bundesverfassungsgericht 380
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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(b) Erkenntnisse aus Art. 92, Art. 97, Art. 98 und 101 Abs. 1 Satz 2 GG Weiter ist zu untersuchen, ob sich zunächst aus den Art. 92, Art. 97 und Art. 98 GG weitere systematische Erkenntnisse zur Ableitung von Einzelforderungen des allgemeinen Rechtsschutzstandards ziehen lassen. Diese Artikel zeigen, welche Anforderungen das Grundgesetz an die innerhalb der Institution Gericht tätigen Richter auf allen Rechtswegen stellt. Sie sind im Gegensatz zu Art. 19 Abs. 4 GG jedoch objektive Gebote und keine subjektiven Rechte. Wie auch beim Rechtsstaatsprinzip bzw. der Justizgewährungspflicht kann ihr Gehalt nur über Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte subjektiviert werden. 386 In der Regelung des Art. 92 Hs. 1 GG, nach der die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut ist, liegt eine Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips insoweit, als dieser Aufgabenbereich bei den Richtern monopolisiert ist. 387 Art. 97 GG konkretisiert zusammen mit Art. 98 den Art. 92 Hs. 1 GG. 388 Sie schreiben insbesondere vor, dass die Richter unabhängig, nur dem Gesetze unterworfen sind und eine besondere Rechtsstellung innerhalb des öffentlichen Dienstes haben müssen. Besondere Aufgaben der Rechtsprechung lassen sich daraus allerdings nicht ableiten. Ziele und Funktionen eines Prozesses werden von den Normen vielmehr vorausgesetzt und ergeben sich allgemein aus dem Rechtsstaatsprinzip. 389 Da Art. 19 Abs. 4 GG im Kern denselben Gewährleistungsgehalt wie der Justizgewährungsanspruch aufweist, liegt die Annahme nahe, dass er auch Gehalte der anderen, das Rechtsstaatsprinzip konkretisierenden Normen umfasst. Der in Art. 92 Hs. 1. GG angesprochenen rechtsprechenden Gewalt unterfallen von Verfassung wegen alle Aufgaben, die das Grundgesetz an anderer Stelle den Richtern bzw. Gerichten überträgt, also durch Rechtsweggarantien und Richtervorbehalte. 390 Eine solche Aufgabenzuweisung liegt in der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Daher haben Richter zu entscheiden, ob der Kläger von der öffentlichen Gewalt in seinen Rechten verletzt wurde. 391 Die Rechtsweggaund Teile der Literatur sehen im Gebot der Fairness und Waffengleichheit hingegen auch Art. 3 Abs. 1 (Willkürverbot) hineinspielen, vgl. Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 20 mit entsprechenden Nachweisen. 386 Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 92 Rn. 1. 387 Vgl. Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 46; Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 131. 388 Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 97 Rn. 1. 389 Anders Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 48 m.w. N.: Er leitet aus Art. 92 GG ab, dass der Richter auch eine besondere Funktion hat und der Prozess daher folgende Ziele erreichen muss: Der Richter muss im Prozess das objektive Recht bewahren (Kontrollfunktion), den Rechtsfrieden wahren (Schiedsfunktion) sowie die Feststellung und Durchsetzung subjektiver Rechte wahren (Rechtsschutzfunktion). 390 Allgemeine Ansicht, vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 92 Rn. 2 m.w. N. 391 Vgl. Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 132.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
rantie des Art. 19 Abs. 4 GG hat demnach immer einen Rechtsweg vor Augen, der zu einem Richter im Sinne der Art. 92 Hs. 1, 97, 98 GG führt. 392 Über Art. 19 Abs. 4 GG können diese objektiven Gehalte also geltend gemacht werden. Allerdings könnte Art. 19 Abs. 4 GG durch Konkurrenz mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in Fällen der Verletzung der Art. 92 ff. GG verdrängt werden. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG garantiert das Recht auf den gesetzlichen Richter und ist ein grundrechtgleiches, nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG verfassungsbeschwerdefähiges Recht. 393 Der gesetzliche Richter in seinem Tatbestand muss dabei die Anforderungen des Art. 92 Hs. 1 GG, konkretisiert durch Art. 97 f. GG, erfüllen. Art. 101 GG verleiht auf diese Weise das subjektive Recht, dass diese Anforderungen gewahrt werden. 394 Beide, Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, sind also auf den ersten Blick auch auf Sachverhalte anwendbar, in denen nachrichtendienstliche Maßnahmen von einem Richter kontrolliert werden, und sie gewährleisten beide, dass dieser die Anforderungen der Art. 92 Hs. 1, 97 f. GG erfüllt. Eine Verdrängung kann einmal in Form der sog. normlogischen Spezialität oder echten Grundrechtskonkurrenz erfolgen. Diese liegt vor, wenn eine Norm alle Tatbestandsmerkmale einer anderen Norm und zusätzlich mindestens ein weiteres Tatbestandsmerkmal enthält. 395 Die Tatbestände der Grundrechte verhalten sich zueinander also wie die Flächen konzentrischer Kreise. 396 Die Folge wäre nach dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali eine Verdrängung der allgemeinen durch die spezielle Norm. 397 Der Tatbestand eines Grundrechts ist dabei der Inbegriff der notwendigen Voraussetzungen der grundrechtlichen Rechtsfolge, die − vorbehaltlich der Grundrechtsschranken − dem Gewährleistungsgehalt entspricht. 398 Auch bei Grundrechten ist daher von einer Konditionalbeziehung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge auszugehen, insbesondere um die allgemeinen Konkurrenzregeln auf die Grundrechtsdogmatik übertragen zu können. Tatbestandliche Voraussetzung in diesem Sinne ist bei Art. 19 Abs. 4 GG die Rechtsverletzung eines subjektiven Rechts durch die öffentliche Gewalt. Dann wird die Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG ausgelöst und ein Rechtsweg 392 Vgl. Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 22, 38; Herzog, Maunz / Dürig, Art. 92 Rn. 46; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 441; Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 84. 393 Vgl. Degenhart, Sachs, Art. 101 Rn 1. 394 Vgl. Degenhart, Sachs, Art. 101 Rn. 9; Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 192. 395 Vgl. unter dem Begriff logische Spezialität: Heß, Grundrechtskonkurrenzen, S. 59; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 76; unter dem Begriff echte Grundrechtskonkurrenz: Herzog, Maunz / Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rn. 31. 396 Bild nach Herzog, Maunz / Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rn. 31. 397 Vgl. Heß, Grundrechtskonkurrenzen, S. 59 m.w. N. 398 Vgl. Sachs, Grundrechte, S. 90.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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eröffnet, auf dem der Richter den Anforderungen der Art. 92 ff. entsprechen muss. Der Gewährleistungsgehalt von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wird hingegen immer dann ausgelöst, wenn ein staatlicher Richter Aufgaben in spezifisch richterlicher Verantwortung wahrzunehmen hat. 399 In personeller Hinsicht steht das Recht dann jedem zu, der nach dem jeweiligen Verfahrensrecht Partei in einem solchen Verfahren sein kann. 400 Zusammenfassend wird ein Richter, der die Anforderungen der Art. 92 ff. GG erfüllt, gewährleistet, wenn sich der Grundrechtsträger in einer entsprechenden Prozesssituation befindet. Der eine Tatbestand ist bei Rechtverletzungen durch die öffentliche Gewalt erfüllt, der andere in Prozesssituationen. Es geht um verschiedene Situationen, in denen sich der Bürger auf verschiedene Grundrechte berufen kann. Die Grundrechtstatbestände von Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG überlagern sich daher nicht wie konzentrische Kreise. Es liegt somit keine normlogische Spezialität vor und beide Tatbestände stehen grundsätzlich nebeneinander. Eine Ausnahme ist aber dann gegeben, wenn zur Kontrolle der Rechtsverletzung gegen die öffentliche Gewalt schon prozessiert wird. Dann wären beide Tatbestände einschlägig. Art. 19 Abs. 4 GG einmal, weil eine (mögliche) Verletzung subjektiver Rechte vorliegt und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, weil sich der Betroffene im Prozess befindet. Es kommt zwar nicht zu einer konzentrischen Überlappung der Tatbestände, sondern nur zu einer Tatbestandsüberschneidung. Diese kann aber auch zu Verdrängungen im Sinne einer Spezialität führen, nämlich dann, wenn die eine Norm nach wertender Betrachtung eine abschließende Sonderregelung enthalten soll, also nach seinem Sinngehalt einen stärkeren sachlichen Bezug zu dem zu prüfenden Sachverhalt aufweist, sog. normative Spezialität. 401 Auf den ersten Blick schützt Art. 19 Abs. 4 GG immer auch die Art. 92 ff. GG, da Rechtsweg nur der rechtsstaatliche Rechtsweg im Sinne der Vorstellungen des Grundgesetzes sein kann. Anderenfalls würde das Grundgesetz mit unterschiedlichen Rechtswegbegriffen arbeiten. Wenn aber Art. 19 Abs. 4 GG auch sämtliche Anforderungen der Art. 92 ff. GG gewährleisten würde, fragt sich, welche eigenständige Funktion Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG für Prozesse gegen die öffentliche Gewalt noch hätte. Für diese Fälle wäre Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur noch deklaratorischer Natur. Diese systematische Ansicht widerspräche jedoch dem genetischen Befund: Der Parlamentarische Rat wollte die Ausgestaltung des Rechtswegs im Rechtsprechungsabschnitt des Grundgesetzes kodifizieren und spezifizieren, zu dem auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gehört. Demnach ist Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG für den Bereich des allgemeinen Rechts399 400 401
Vgl. Classen, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 101 Abs 1 Rn. 11. Vgl. Wassermann, Alternativkommentar, Art. 101 Rn. 13. Vgl. Heß, Grundrechtskonkurrenzen, S. 62 f. m.w. N.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
schutzstandards lex specialis zu Art. 19 Abs. 4 GG. 402 Nur soweit sich aus dem besonderen Rechtsschutzstandard, d. h. aus dem Schutzstandard vor den besonderen Gefahren des Subordinationsverhältnisses, Gewährleistungen des gesetzlichen Richters ergäben, die über die allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hinausgehen, wäre Art. 19 Abs. 4 GG wiederum die Spezialnorm. Zusammenfassend ergibt sich also, dass der Schutz der Art. 92 ff. GG ab Prozessbeginn grundsätzlich durch den für den allgemeinen Rechtsschutzstandard spezielleren Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geltend gemacht werden kann. Dieses gilt grundsätzlich auch für den nachrichtendienstlichen Bereich, es sei denn, aus den besonderen Gefahren des Subordinationsverhältnisses ergäben sich erhöhte Anforderungen an den Rechtsweg, die dann über Art. 19 Abs. 4 GG geltend zu machen wären. (c) Erkenntnisse aus Art. 95 Abs. 1 GG Aus Art. 95 Abs. 1 GG lassen sich für den Gewährleistungsgehalt von Art. 19 Abs. 4 GG keine neuen Erkenntnisse gewinnen. Bei unbefangener Lektüre könnte man aus diesem Regelungsauftrag zwar den systematischen Schluss ziehen, das Grundgesetz wolle durch die Aufführung der „Verwaltungsgerichtsbarkeit“ für Eingriffe der Exekutive stets eine Rechtswegzuweisung zu den Verwaltungsgerichten vornehmen. Allerdings zeigt Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG im Umkehrschluss, dass Art. 19 Abs. 4 GG keinen besonderen Gerichtszweig fordert. Alle Gerichtszweige sind vor Art. 19 Abs. 4 GG gleichwertig. 403 (d) Erkenntnisse aus Art. 103 Abs. 1 GG Art. 103 Abs. 1 GG ist eine Ausprägung insbesondere des Rechtsstaatsprinzips 404 und als solche bereits in ihm angelegt. Nach seinem Wortlaut garantiert er jedermann vor Gericht einen Anspruch auf rechtliches Gehör. Rechtliches Gehör im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten im Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Insbesondere sichert es, dass sie mit Ausführungen und Anträgen gehört werden. Neben Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sichert Art. 103 Abs. 1 GG so, dass die richterliche Entscheidung willkürfrei durch eine nach objektiven Kriterien be402 Vgl. auch Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 39; a. A. Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 38, der von einem „Komplementärverhältnis“ ausgeht. 403 Vgl. Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 48; im Ergebnis auch Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 101. 404 Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 103 Rn. 1.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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stimmte Instanz auf einer hinreichend gesicherten Tatsachengrundlage und auf Grund einer unvoreingenommenen rechtlichen Würdigung unter Einbeziehung des Vortrags der Parteien ergeht. 405 Für das systematische Verhältnis von Art. 19 Abs. 4 GG zu Art. 103 Abs. 1 GG muss das Gleiche wie für Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gelten; freilich nur für den Bereich, in dem es überhaupt zu inhaltlichen Überschneidungen kommen kann. Öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG sind nicht die Gerichte, während Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich an die Gerichte adressiert ist. 406 Für die Verletzung des Gehörsrechts durch die Gerichte ist demnach Art. 103 Abs. 1 GG allein einschlägig und überschneidet sich nicht mit Art. 19 Abs. 4 GG. Da er aber im Rechtsprechungsabschnitt des Grundgesetzes steht, definiert er zudem − wie mit dem genetischen Befund gezeigt wurde − den „Rechtsweg“ im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG. Wenn der Rechtsweg also durch Rechtsverletzung der Exekutive eröffnet ist, so muss der dann etwa durch den Gesetzgeber ausgestaltete Rechtsweg in der Weise beschaffen sein, dass rechtliches Gehör möglich ist. Insoweit ist also eine Überschneidung der Grundrechte denkbar. 407 Auch Art. 103 Abs. 1 GG hätte aber keine eigenständige Funktion gegenüber Art. 19 Abs. 4 GG in Prozessen gegen die öffentliche Gewalt, würde die Rechtsschutzgarantie ebenso rechtliches Gehör gewähren. Zudem gilt hier wieder die genetische Erkenntnis, nach der „Rechtsweg“ im Rechtssprechungsabschnitt konkretisiert werden sollte. Art. 103 Abs. 1 GG ist daher aus normativen Gesichtspunkten lex specialis zu Art. 19 Abs. 4 GG. 408 In der Literatur wird jedoch teilweise vertreten, Art. 19 Abs. 4 GG richte sich nur auf das „ob“ der Rechtswegöffnung, Art. 103 Abs. 1 GG auf das „wie“ des durch die Rechtsschutzgarantie eröffneten Verfahrens, also auf die Verfahrensgestaltung. 409 Richtig ist zwar, dass Art. 103 Abs. 1 GG dem Rechtssuchenden vor Gericht nach der Eröffnung des Rechtswegs rechtliches Gehör gewähren will, um eine möglichst richtige und sachgerechte Entscheidung zu gewährleisten. D. h. Art. 103 Abs. 1 GG ist eine weitere verfassungsrechtliche Garantie für eine qualitativ hochwertige Entscheidung. 410 Art. 19 Abs. 4 GG aber eröffnet den Zugang zum Gericht und gibt darüber hinaus Garantien für die vollständige Überprüfung des Sachverhalts im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes. 411 Art. 103 405
Vgl. BVerfGE 107, 395 (403). Vgl. BVerfGE 107, 395 (407). 407 Vgl. Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 66. 408 Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 103 Rn. 2; Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 39; Offengelassen: Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 39. 409 Vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 1451; ferner: Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 360. 410 Vgl. Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 140 f. 411 Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 103 Rn. 2. 406
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Abs. 1 GG enthält für diese Überprüfung nur einen Teilaspekt und würde alleine nicht den Anforderungen einer effektiven Gewährleistung genügen (Beispiel: angemessene Zeit der Entscheidung und umfassende Prüfung und vollstreckbares Urteil gerade aufgrund dieser Prüfung). Auch deshalb beschränkt sich Art. 19 Abs. 4 GG nicht allein auf die Öffnung des Rechtswegs. Er wird aber im Bereich des allgemeinen Rechtsschutzstandards von Art. 103 Abs. 1 GG verdrängt. Nur insoweit gilt die Unterscheidung nach dem „Ob“ und dem „Wie“. Einen eigenständigen Anwendungsbereich hat Art. 19 Abs. 4 GG nur noch für den besonderen Rechtsschutzstandard. Dort also, wo Probleme, die sonst der allgemeinen Gehörsgewährung zuzurechnen sind, wegen der besonderen Entscheidungsstruktur im Subordinationsverhältnis eine besondere Ausformung verlangen. 412 (e) Erkenntnisse aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz Der Gewaltenteilungsgrundsatz ist ein zentrales Element formeller Rechtsstaatlichkeit. 413 Er ist daher im Zusammenspiel der Rechtsschutzvorschriften zur Konkretisierung des Art. 19 Abs. 4 GG heranzuziehen. Der Gewaltenteilungsgrundsatz verteilt formell staatliche Macht auf verschiedene staatliche Ebenen, um Machtmissbrauch und Willkür zu verhindern und Freiheit und Menschenwürde zu sichern. 414 Der Grundsatz ist in vertikaler und den horizontaler Gewaltenteilung aufzuteilen. Der hier nicht relevante vertikale Gewaltenteilungsgrundsatz sucht unter dem Grundgesetz eine Konzentration staatlicher Macht durch die Aufteilung der Hoheitsgewalt auf verschiedene staatliche Ebenen des Bundesstaates gem. Art. 20 Abs. 1 GG entgegenzuwirken. Der sog. horizontale Gewaltenteilungsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verteilt Macht funktionell auf verschiedene Organe, um durch gegenseitige Kontrolle zur Steigerung rationaler Machtausübung und Vermeidung von Machtmissbrauch beizutragen. 415 Diese Organe sind Exekutive, Judikative und Legislative. Daher ist eine Präzisierung des Art. 19 Abs. 4 GG konsequenterweise auch mit der Funktion der Rechtsprechung in dem Zusammenspiel der Staatsgewalten vorzunehmen. 416 Da die Gewalten untereinander agieren, sich mitunter kontrollieren und sich so ihre Funktionen überlappen, ist jeder Gewalt zumindest ein Kernbereich zuzubilligen. 417 Art. 19 Abs. 4 GG regelt insoweit das Verhältnis der Gewalten unterein412 Vgl. Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 145 f.; Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 103 I Rn. 7. 413 Vgl. Sommermann, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 20 Abs. 2 Rn. 197. 414 Vgl. Sommermann, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 20 Abs. 2 Rn. 197. 415 Vgl. Sommermann, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 20 Abs. 2 Rn. 198. 416 Vgl. Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 26, 311. 417 Vgl. BVerfGE 67, 100 (139); Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 337.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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ander, als der rechtsprechenden Gewalt eine exponierte Stellung zur Kontrolle der Exekutive zukommt. 418 Allerdings kann die Judikative nicht allein dieser Anforderung des Art. 19 Abs. 4 GG gerecht werden, vielmehr sind die anderen Gewalten zur Mitwirkung aufgefordert. 419 Die Aufgabe der Legislative zur Unterstützung der Kontrollfunktion ist dabei klar: Der Rechtsweg, den Art. 19 Abs. 4 GG dem Einzelnen gewährleistet, bedarf der gesetzlichen Ausgestaltung. Diese Ausgestaltung muss der Kontrollfunktion der Rechtsschutzgarantie genügen. Rechtsschutz ist eine staatliche Leistung, deren Voraussetzungen erst geschaffen, deren Art näher bestimmt und deren Umfang im Einzelnen in den jeweiligen Verfahrensordnungen festgelegt werden müssen. Art. 19 Abs. 4 GG lässt dem Gesetzgeber dabei einen Gestaltungsspielraum, gibt jedoch die Zielrichtung und die Grundzüge der Regelung vor. 420 Wo in diesem Wechselspiel die Grenzen des Ausgestaltungsspielraumes liegen, wird bei der Frage der Beeinträchtigung bzw. verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zu klären sein. 421 Die Exekutive trifft im Rahmen des sog. institutionellen Rücksichtnahmegebotes die Pflicht, nicht durch faktische Maßnahmen (etwa sofortige Abschiebung) eine gerichtliche Nachprüfung unmöglich zu machen. 422 Anderenfalls ist die Kontrollfunktion gegenüber exekutivischer Macht nicht denkbar. Für die Judikative ergibt sich Folgendes: Sofern die Legislative nur unzureichend verfahrensrechtliche Maßnahmen geschaffen hat, kommt ausnahmsweise ein unmittelbarer Rückgriff des Richters auf Art. 19 Abs. 4 GG als Verfahrensnorm in Betracht. 423 Wie beim Rechtsstaatsprinzip gilt dieses aber nur, wenn sich unzweideutig ergäbe, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt wären. Denn es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, die Verfassung zu konkretisieren und zwischen möglichen Alternativen bei der normativen Konkretisierung eines Verfassungsgrundsatzes zu wählen. 424 Die Judikative hat weiter die Aufgabe der Legislative zu respektieren. Die Judikative muss daher auch aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz ein Verfahren streng gesetzesakzessorisch mit einer begründeten Entscheidung abschließen. Diese Formalisierung der Entscheidungsfindung ist notwendig, um überprüfbar zu machen, ob sich die Judikative an die einfach-gesetzlichen Ausgestaltungen
418 419 420 421 422 423 424
Vgl. Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 26, 139. Vgl. Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 338 f. Vgl. BVerfGE 118, 168 (207). Siehe in diesem Abschnitt unter A. I. 2 und 3. Vgl. Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 356 f. Vgl. Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 35. Vgl. BVerfGE 50, 250 (276).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
der Legislative gehalten hat, also hinsichtlich der formellen und materiellen Voraussetzungen des Prozesses. 425 (2) Bestimmung des besonderen Rechtsschutzstandards Nun ist zu klären, ob Art. 19 Abs. 4 GG über den allgemeinen Rechtsschutzstandard hinaus noch einen besonderen Rechtsschutzstandard enthält, der den besonderen Anforderungen des Subordinationsverhältnisses und der damit verbundenen Gefahrenlage für Rechte des Betroffenen Rechnung trägt (unter (a)). Sofern die Auslegung der Rechtsschutzgarantie für einen besonderen Rechtsschutzstandard spräche, wäre sein Inhalt mit den Einzelanforderungen zu bestimmen (unter (b)). Der besondere Rechtsschutzstandard könnte dabei auch durch das systematische Verhältnis zwischen den materiellen Grundrechten und Art. 19 Abs. 4 GG modifiziert werden. Da im Subordinationsverhältnis regelmäßig in die materiellen Grundrechte eingegriffen wird, liefern sie im Rahmen der systematischen Auslegung möglicherweise weitere Erkenntnisse (unter c). (a) Eigenständiger Gewährleistungsgehalt Der allgemeine Rechtsschutzstandard des Art. 19 Abs. 4 GG enthält für Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt grundsätzlich dieselben Gewährleistungen wie der allgemeine Justizgewährungsanspruch. Zwar ist Art. 19 Abs. 4 GG als formelles Grundrecht ausgestaltet und schmälert dadurch den Spielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Rechtsschutzes stärker als der Justizgewährungsanspruch, so dass eine eigenständige Bedeutung in der quantitativen Durchsetzung des allgemeinen Rechtsschutzstandards liegt. 426 Inhaltlich hat er im Bereich des allgemeinen Rechtsschutzstandards aber keinen eigenständigen Gewährleistungsgehalt. Die systematische Auslegung soll jedoch dazu führen, dass die einzelnen Normen ein sinnvolles und spannungsfreies Gefüge bilden. Eine Auslegung, die dazu führte, dass eine Norm keine eigenständige Bedeutung hätte, sollte daher vermieden werden, wollte man dem Verfassungsgeber nicht sinnloses Schaffen von Normen unterstellen. Natürlich kann man es dabei bewenden lassen, dass gerade der geringere Ausgestaltungsspielraum bei Art. 19 Abs. 4 GG dem Grundrecht Bedeutung gibt. Dagegen spricht aber zum einen, dass die Frage des Ausgestaltungsspielraumes eine 425
Vgl. Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 364. Vgl. dazu Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 GG Rn. 355; Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers, S. 13; Ramsauer, Alternativkommentar, Art. 19 Abs. 4 Rn. 30; ferner Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 17 a, der von „offeneren Rechtsfolgen“ des allgemeinen Justizgewährleistungsanspruchs spricht; auch Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 62 f. 426
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
225
Frage der Beeinträchtigung und nicht des Gewährleistungsgehaltes bzw. Schutzbereiches ist, welcher jedoch eigentlich den Anknüpfungspunkt für die Klärung des systematischen Verhältnisses der Normen untereinander bildet. 427 Zum anderen zeigt die historische Interpretation, dass Art. 19 Abs. 4 GG als Folge einer Reaktion auf das Handeln der Exekutive geschaffen wurde und den noch nicht vollendeten deutschen Rechtsstaat abschließen sollte. 428 Die Rechtsschutzgarantie hatte danach die Aufgabe, ein Rechtsschutzniveau gegen exekutivische Rechtsverletzungen zu errichten, das die allgemeinen rechtsstaatlichen Anforderungen zuvor nicht garantiert haben. Ein solches Aufgabenverständnis von Art. 19 Abs. 4 GG wird auch von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestützt, die die primäre historische Funktion dieses Grundrechts darin sieht, der vormaligen „Selbstherrlichkeit der Verwaltung“ entgegenzuwirken. 429 Denn dazu war das Rechtsschutzsystem der Weimarer Republik nicht in der Lage. Daher ist Art. 19 Abs. 4 GG im Sinne eines eigenständigen, überschießenden Gewährleistungsgehalts zu interpretieren, der auf die besonderen Gefahren für den Rechtsschutzsuchenden gegenüber Verwaltungshandeln reagiert. 430 Ein besonderer Rechtsschutzstandard ist somit aus systematischen und historischen Gründen angezeigt. (b) Inhalt des besonderen Rechtsschutzstandards Nachfolgend soll der Inhalt dieser eigenständigen Funktion, die hier als besonderer Rechtsschutzstandard bezeichnet wird, bestimmt werden. In der Literatur und Rechtsprechung hat sich eine Vielzahl von Einzelableitungen und, damit verbunden, eine umfassende Kasuistik herausgebildet. 431 Die Darstellung bleibt zweckmäßig auf diejenigen Ableitungen beschränkt, die sich auf die identifizierten Rechtsschutzeinschränkungen in nachrichtendienstlichen Fällen beziehen. Weiter bleibt hier noch die Frage nach einer Verankerung des Kenntnisnahmeanspruchs in Art. 19 Abs. 4 GG offen. Die Beantwortung bleibt wegen der Bedeutung im nachrichtendienstlichen Bereich und zur besseren Übersichtlichkeit einem eigenen Gliederungspunkt vorbehalten. 427 Vgl. Herzog, Maunz / Dürig, Art. 5 Rn. 31 Fußnote 4; Jarass, AöR, 120 (1995), S. 345 (359). 428 Vgl. insbesondere Art. 138 Abs. 1 HChE. Siehe dazu oben unter 2. Teil 2. Abschnitt A. I. 1. a) bb). 429 Vgl. BVerfGE 10, 264 (267). 430 Vgl. Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 18; im Ergebnis auch Ibler, Berliner Kommentar, Art. 19 Abs. 4, Rn. 361 f. und Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 28, 61; a. A. Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, S. 492 f., der Art. 19 Abs. 4 GG nur eine deklaratorische Funktion aus historischen Gründen zubilligt, sonst aber von einer inhaltlichen Entsprechung mit dem allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch ausgeht. 431 Vgl. nur Schmidt-Aßmann, Maunz-Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 229 ff.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
(aa) Allgemeine Kontrollüberlegung Der Inhalt des besonderen Rechtsschutzstandards wird danach bestimmt, was gerade zur Kompensation der besonderen Nachteile und Gefahren für den Rechtsschutzsuchenden bei Streitigkeiten im Subordinationsverhältnis notwendig ist. Als grundlegender Unterschied zu Privaten im Gleichordnungsverhältnis kann der Staat zum einen durch Verwaltungsakte einseitig selbst vollstreckbares Recht setzen. Zum anderen hat er enorme Eingriffsbefugnissen in Freiheit und Eigentum. Er muss nicht erst einen vollstreckbaren Titel durch Gerichtsbeschluss erwirken, sondern verschafft sich den Titel selbst. Da dadurch bereits eine Kontrollinstanz im Hinblick auf sachliche Richtigkeit der staatlichen Maßnahme fehlt, muss Art. 19 Abs. 4 GG auf dem Rechtsweg spezifische Antworten auf die erheblichen Kompetenzen des Staates im Subordinationsverhältnis geben, wenn er den materiellen Rechten des Betroffenen zur Wirksamkeit verhelfen will. (bb) Vorläufiger Rechtsschutz Als erste Konsequenz muss dazu das Fehlen der Kontrollinstanz vor Erlass eines vollstreckbaren Titels in Gestalt eines Verwaltungsaktes ersetzt werden, wenn durch den Erlass oder die Vollstreckung Tatsachen geschaffen werden, die durch eine nachträgliche Überprüfung nicht wieder rückgängig gemacht werden können. Diesen sog. vorläufigen Rechtsschutz gewährt Art. 19 Abs. 4 GG. 432 Der vorläufige Rechtsschutz ist aber auch eine Konsequenz aus der allgemeinen Rechtsschutzeffektivität und insoweit auch für Rechtsschutz im Gleichordnungsverhältnis angelegt. Auch unter Privaten gibt der allgemeine Justizgewährungsanspruch vorläufigen Rechtsschutz. 433 Wegen der Eingriffstiefe sind im Subordinationsverhältnis aber erhöhte Anforderungen an die sachliche Richtigkeit der Entscheidung zu stellen, soweit ein bestehender Eingriff des Staates durch das Gericht bestätigt wird. Umgekehrt darf die sachliche Richtigkeit bei erheblicher Eingriffstiefe u.U. weniger stark ausgeprägt sein, soweit zugunsten des Bürgers entschieden wird. Zusammenfassend ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers um so stärker, je schwerer die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken. 434 Insoweit sind die allgemeinen Rechtsschutzkomponenten zu modifizieren, die die Einhaltung der sachlichen Richtigkeit einfordern. 435 432
Vgl. BVerfGE 37, 150 (153); 65, 1 (70); 93, 1 (14); Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 30; Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 474; Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 19 Rn. 57; Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 273; Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 211. 433 Vgl. Papier, HbdStR VI, § 154 Rn. 12. 434 Vgl. BVerfG, E 35, 382 (402); E 67, 43 (61f.), NVwZ 1998, 834 (835). 435 Vgl. Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 276; im Ergebnis auch Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 19 Rn. 57.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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(cc) Kontrolldichte im nachträglichen Rechtsschutz Was im vorläufigen Rechtsschutz gilt, gilt selbstverständlich im erhöhten Maße für das nachträgliche Verfahren. Auch dort sind die Rechtsschutzkomponenten zu modifizieren. Diejenigen Komponenten, die im Hauptverfahren die sachliche Richtigkeit der Entscheidung sicherstellen sollen, müssen die Dichte und den Umfang der Kontrolle erhöhen. Wie bereits im allgemeinen Rechtsschutzstandard beschrieben, gilt aber auch hier, dass als Qualitätsmaßstab nur eine höchst mögliche Wahrscheinlichkeit der sachlichen Richtigkeit einer Entscheidung gefordert werden kann. Dieses ist über das Verfahren sicherzustellen. Entscheidend sind also Verfahrensmodifikationen, die die Vorteile der exekutivischen Vorentscheidung hinsichtlich eigener, gerichtlicher Feststellungen und Wertungen ausgleichen. Dazu gehört, dass allgemein die Fürsorgepflicht des Richters gegenüber Zivilprozessen u.ä. erhöht werden muss. Da die Verwaltung vor Erlass des Verwaltungsaktes die Tatsachenlage nicht in einem förmlichen Beweisverfahren vor einem Gericht darlegen muss, sondern von der von ihr ermittelten Tatsachenlage ausgehen darf, muss dieser Nachteil für den Betroffenen ausgeglichen werden: Das Gericht muss die Rechts- und Tatsachenlage selbstständig aufklären und darf sich dabei nicht an die Feststellungen und Wertungen der Verwaltung binden lassen. Das Gericht muss die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und seine rechtliche Auffassung unabhängig von der Verwaltung, deren Entscheidung angegriffen ist, gewinnen und begründen. 436 Soweit der obige Nachteil reicht, darf dem Betroffenen nicht die Behauptungs- und subjektive Beweislast (Beweisführungslast) aufgebürdet werden, sondern das Gericht muss den Sachverhalt aufklären. 437 Das heißt aber nicht, dass die Aufklärung auch Bereiche umfassen muss, die auf die zumutbare Mitwirkung der Prozessbeteiligten entfallen, z. B. wenn es um Umstände geht, die vernünftigerweise nur der jeweilige Beteiligte aufklären kann. Es bleibt also bei einer gewissen Mitteilungslast, die sich im Einzelfall ergeben kann und entweder zu einer Verkürzung der Aufklärungspflicht führt oder sich in der Beweiswürdigung zulasten des Mitwirkungspflichtigen auswirkt. 438 Feste Maßstäbe für jeden Fall lassen sich aber nicht ableiten. Vielmehr ist eine Abwägung vorzunehmen, die sich aus der Funktion des Rechtsschutzes, der Durchsetzung eines verletzten Rechts ergibt: 439 Je höher die Eingriffsintensität 436
Vgl. BVerfGE 101, 106 (123); Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 28; Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 19 Rn. 63; Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 506; Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers, S. 271; Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, S. 489; Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 19 IV, Rn. 116; Wilfinger, Das Gebot effektiven Rechtsschutzes, S. 448 f. 437 Vgl. Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 227; Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 19 IV Rn. 116. 438 Vgl. Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 221. 439 Vgl. Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 219.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
der Maßnahme ist, d. h. je stärker die Verwaltung von den Eingriffsmöglichkeiten Gebrauch macht, die einem Privaten mithilfe eines Titelgerichts nicht zustehen, desto höher muss die Kompensation durch Rechtsschutz und damit durch Sachverhaltsermittlung sein. 440 Daher muss umfassend auf Aufklärungsbzw. Beweismittel zurückgegriffen werden und die nötigen Beweismittel müssen den Gerichten im Bedarfsfalle zugänglich gemacht werden. 441 Das Gericht darf im Sinne seines Rechtsschutzauftrages nur auf die Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten verzichten, wenn Beweismittel unzulässig, schlechterdings untauglich, tatsächlich unerreichbar oder für die Entscheidung unerheblich sind. Zeit- oder Arbeitsintensität sind kein zulässiger Verzichtsgrund. 442 Durch die Abwägung können sich im Einzelfall die verfassungsrechtlichen Anforderungen mit dem einfach-gesetzlich normierten Untersuchungsgrundsatz decken. In seiner konkreten Ausgestaltung ist der Grundsatz aber nicht geschützt. 443 Aus den übrigen Ausführungen folgt zudem, dass die objektive Beweislast (Feststellungslast), die insbesondere an die durchzusetzenden materiellen Rechte gebunden ist, nicht durch Art. 19 Abs. 4 GG modifiziert wird. 444 Etwa bei Beweisvereitelungen kann aber bereits der allgemeine Rechtsschutzstandard (Gebot des fairen Verfahrens) zu einer anderen Verteilung der objektiven Beweislast führen. Im Übrigen wird die Verfahrensart bzw. die Form der Anrufung eines Richters nicht vorgeschrieben, sie muss lediglich dem jeweiligen Rechtsschutzanliegen angemessen sein. 445 (dd) Auswirkungen auf das Verwaltungsverfahren Der umfassenden Aufklärungspflicht kann das Gericht nicht nachkommen, wenn die Verwaltung die spätere Nachprüfung durch das Gericht behindern oder ausschalten würde. Das dem gerichtlichen Verfahren vorgelagerte Verwaltungsverfahren darf daher nicht so angelegt werden, dass der gerichtliche Schutz unzumutbar erschwert wird. 446 Die Anforderungen an die Verwaltung sind dabei 440 Vgl. BVerfGE 35, 382 (402); 69, 315 (363 f.); Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 113; Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 507. 441 Vgl. BVerfGE 101, 106 (123); Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 19 IV Rn. 116. 442 Vgl. Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 224. 443 Vgl. Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 219; Schulze-Fielitz, Art. 19 IV Rn. 115; a. A. Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 112 f.; Rosenberger, Geheimnisschutz, S. 113. Weitergehend Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 138, der von der Deckungsgleichheit zwischen § 86 VwGO und der verfassungsrechtlichen Gewährleistung ausgeht. 444 Vgl. Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Rn. 227 f.; Winkler, JA 2000, S. 552 (553). 445 Vgl. Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 122 f.; Schulze-Fielitz, Dreier, Art.19 IV GG Rn. 106. 446 Vgl. BVerfGE 61, 82 (110); 69, 1 (49); Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 19 Rn. 67; Schmidt-Aßmann, NVwZ 1983, S. 1 (5).
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wieder umso höher, je weniger eine nachträgliche Kontrolle durch die Gerichte möglich ist. 447 Im Einzelnen ergibt sich daraus die Pflicht zur Aktenführung, d. h. die die Rechtskontrolle ermöglichende schriftliche Aufzeichnung über Vorgänge, die subjektive Rechte berühren. 448 Eine Vernichtung der Aufzeichnungen oder anderer Daten darf nicht erfolgen, wenn die Daten noch zur gerichtlichen Kontrolle benötigt werden. 449 Weiter besteht eine Begründungspflicht für belastende Verwaltungsentscheidungen. 450 Eine Nachholung der Begründung im gerichtlichen Verfahren entlastet nicht von dieser Pflicht, sondern führt vor dem dargestellten Schutzzweck des Art. 19 Abs. 4 GG nur nicht zu einer Kassation der Verwaltungsentscheidung. 451 (c) Verhältnis zu den materiellen Grundrechten Schließlich bleibt das Verhältnis zu den materiellen Grundrechten zu klären. Materielle Grundrechte sind für die Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG entscheidend, weil sie selbst Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Verfahrensgestaltung bilden. 452 Die materiellen Grundrechte fordern danach eine Gestaltung, Auslegung und Anwendung des Verfahrensrechts, die dem betroffenen Grundrecht tatsächliche Wirksamkeit zu verschaffen vermögen. 453 Bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten des Verfahrensrechts bedeutet der Befund, diejenige Möglichkeit zu wählen, die es dem Gericht ermöglicht, die Grundrechte der Verfahrensbeteiligten durchzusetzen und zu verwirklichen. 454 Damit wird den materiellen Grundrechten zugleich ein intendierter Verwirklichungswille zugeschrieben, der über den materiellen Gehalt hinausweist. 455 Letzteres führt dazu, dass jedem materiellen Grundrecht auch unabhängig von den Rechtsschutzga447
Vgl. Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 19 IV Rn. 87. Vgl. BVerfGE 65, 1 (70); BVerfGE 118, 168 (210 f.); Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 485; Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 19 IV Rn. 88; Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 255. 449 BVerfGE 100, 313 (364 f., 400 f.). 450 Vgl. BVerfGE 103, 142 (160 f.); Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 19 Rn. 70; SchmidtAßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 254; Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 19 Rn. 88. A. A. Ibler, Berliner Kommentar, Art. 19 IV Rn. 295 ff., der die Rechtsgrundlage im allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch sieht; ebenso wohl Krieger, Behördliche Auskunft, S. 198. Allerdings ist der Gewährleistungsgehalt des Justizgewährleistungsanspruchs nach der hier vertretenen systematischen Auffassung in Art. 19 Abs. 4 GG integriert. 451 Vgl. Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 254 a; im Ergebnis wohl auch Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 19 Rn. 70. Großzügiger: Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 19 IV Rn. 88. 452 Vgl. BVerfGE 69, 315 (355); Jarass, HbdGR II, § 38 Rn. 52. 453 Vgl. auch BVerfGE 53, 30 (65) m.w. N. 454 Vgl. BVerfGE 49, 252 (259 f.). 455 Vgl. Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 249. 448
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
rantien objektiv-rechtlich eine Rechtsschutzkomponente zugewiesen wird, die auf die Verwirklichung des materiellen Gehalts des Grundrechts gerichtet ist. 456 Was gilt aber im Konkurrenzfalle zwischen den Verfahrenskomponenten materieller Grundrechte und Art. 19 Abs. 4 GG? Einigkeit besteht darin, dass die materiellen Grundrechte Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu verdrängen vermögen. 457 Fraglich bleibt aber, ob sie daneben hinsichtlich ihrer Verfahrenskomponente parallel angewendet werden müssen. Nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts kommen die Verfahrenskomponenten der materiell-rechtlichen Grundrechte auch neben Art. 19 Abs. 4 GG zum Tragen. In einer früheren Entscheidung deutete das Bundesverfassungsgericht zwar noch eine ausschließliche Anwendung an. 458 Diese Auffassung ist aber durch neuere Entscheidungen überholt, in denen auf ein ergänzendes Nebeneinander abgestellt wird, obwohl in jedem der entschiedenen Fälle auch Art. 19 Abs. 4 GG einschlägig war. 459 Danach solle die Verfahrenskomponente für die verfassungsrechtlich gebotenen Art und Weise der Rechtsschutzgewährung im Regelfall nur innerhalb der allgemeinen Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 GG zu berücksichtigen sein und darin im Ergebnis aufgehen, um das Entstehen eines grundrechtsspezifischen Sonderverfahrensrechts zu verhindern. Die Verfahrenskomponente der Grundrechte gehe aber in Ausnahmefällen über die Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG hinaus. Entweder, „wenn sich unzweideutig ergäbe, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse hinreichenden Rechtsschutzes nicht mehr gewahrt wären“ 460 oder „wenn es um besondere oder zusätzliche Maßgaben geht, die gerade im Interesse einer bestimmten verfassungsrechtlichen Freiheitsgarantie erforderlich [seien]“ 461. Dann fordere die Gewährung effektiven Rechtsschutzes besondere Garantien, die dem sachlichen Gehalt des als verletzt behaupteten Grundrechts gerecht werden. 462 In der Literatur wird zum einen mit dem Bundesverfassungsgericht ein Ergänzungsverhältnis angenommen. 463 Zum anderen wird angenommen, Art. 19 456 Vgl. BVerfGE 24, 367 Leitsatz Nr. 3, 5 und S. 401; 39, 276 (294); 101, 106 (122); 109, 13 (34); Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 242 ff.; Jarass, HbdGR II, § 38 Rn. 52; Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 250; Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, S. 477; Papier, HbdStR VI, § 154 Rn. 14 ff.; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 99; Schmidt-Aßmann, HbdGR II, § 45 Rn. 47 ff.; Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, S. 277 ff. 457 Vgl. etwa Schmidt-Aßmann, HbdGR II, § 45 Rn. 49; Papier, HbdStR VI, § 154 Rn. 15; Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, S. 278 f. 458 Vgl. BVerfGE 35, 348 (361f.). 459 Vgl. BVerfGE 45, 297 (333); 49, 252 (256 f.); 60, 253 (296 ff.). 460 Vgl. BVerfGE 60, 253 (298). 461 BVerfGE 101, 106 (122). 462 Vgl. BVerfGE 60, 253 (297); implizit auch BVerfGE 94, 166 (206 f.).
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
231
Abs. 4 GG sei abschließend im Verhältnis zu den Verfahrenskomponenten der materiellen Grundrechte. Danach könne auf die Verfahrenskomponente nur zurückgegriffen werden, wenn Art. 19 Abs. 4 GG nicht berührt sei, d. h. wenn es nicht um Grundrechtseingriffe der öffentlichen Gewalt und den dagegen gerichteten Gerichtsschutz gehe. 464 Der objektiv-rechtliche Tatbestand der Verfahrenskomponente und der Tatbestand des Art. 19 Abs. 4 GG sind immer dann erfüllt, wenn eine mögliche Grundrechtsverletzung vorliegt. Darüber hinaus sichert Art. 19 Abs. 4 GG aber auch die Verletzung anderer subjektiver Rechte; er gilt jedoch nur für das gerichtliche Verfahren. Die Verfahrenskomponente der Grundrechte kennt diese Beschränkung auf das gerichtliche Verfahren hingegen nicht. Die Tatbestände des Art. 19 Abs. 4 GG und der materiellen Grundrechte in ihrer objektiv-rechtlichen Ausprägung gehen daher beide jeweils übereinander hinaus. Sie bilden demnach keine konzentrischen Kreise, sondern überschneiden sich. Ein normlogisches Spezialitätsverhältnis scheidet demnach aus. 465 Es ist aber im Sinne normativer Spezialität zu fragen, wie das Verhältnis beider Formen der Rechtsschutzgarantien ist. Systematisch wäre es denkbar, sowohl der Lösung des Bundesverfassungsgerichts als auch der entgegengesetzten Lösung nach Teilen der Literatur zu folgen. Beide Wege ergeben ein widerspruchsfreies Bild einer einheitlichen Auslegung des Grundgesetzes. Entscheidendes Moment kann daher die Entstehungsgeschichte sein. Art. 19 Abs. 4 GG wurde „vor die Klammer“ der Grundrechte gezogen und sollte gerade der Durchsetzung der Grundrechte dienen. Mehr noch: Seine Schaffung sollte die Durchsetzung erst ermöglichen. Es ist daher nicht erforderlich, die Verfahrenskomponente der Grundrechte auch auf die gerichtliche Durchsetzung auszudehnen, es sei denn, man wollte den Grund für die Schaffung von Art. 19 Abs. 4 GG negieren. Die Grundrechte dienen daher nur zur systematischen Konkretisierung des Gewährleistungsgehaltes des Art. 19 Abs. 4 GG im Rahmen des effektiven Rechtsschutzes. Denn letzterer muss sich stets wieder daran messen lassen, ob er die materiellen Grundrechte hinreichend durchsetzt. Der Richter muss bereits aufgrund der Vorgaben des Art. 19 Abs. 4 GG den materiellen Grundrechten zur tatsächlichen Wirksamkeit verhelfen. Der Schutz des materiellen Grundrechts wird so, wie der Schutz jeden anderen sub463
Vgl. Lorenz, AöR 105 (1980), S. 623 (638 f.); Spielmann, Konkurrenz von Grundrechten, S. 277 ff., 288 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 1451; Wilfinger, Das Gebot effektiven Rechtsschutzes, S. 113; enger: Schmidt-Aßmann, HbdGR II, § 45 Rn. 49; ders. NVwZ 1983, S. 1 (3 f.). 464 Vgl. Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 37; Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 256 f., 258; Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 364; Papier, HbdStR VI, § 154 Rn. 15 ff.; Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 392; Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, S. 477; Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 19 IV Rn. 148. 465 Vgl. Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, S. 276.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
jektiven Rechts, zur inhaltlichen Leitlinie für die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens. 466 Die Rechtsschutzgarantie dient daher gerade den vorangestellten materiellen Grundrechten und darüber hinaus noch einfach-gesetzlichen subjektiven Rechten. Daher ist Art. 19 Abs. 4 GG für seinen Anwendungsbereich abschließend. Die Verfahrenskomponente der Grundrechte kommt dann noch in (eindeutig) außergerichtlichen oder in privaten Sachverhalten zum Tragen. 467 Für das Verwaltungsverfahren kommen die Verfahrenskomponenten nur in Betracht, wenn es sich nicht um Überschneidungen mit der Rechtsschutzgarantie handelt. 468 Im Ergebnis führt die Wertung daher zu einem (normativen) Spezialitätsverhältnis zugunsten von Art. 19 Abs. 4 GG. Für die Bestimmung des besonderen Rechtsschutzstandards bedeutet diese Erkenntnis nichts Neues. Sie verstärkt nur die besonderen Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz. Die Grundrechte müssen insbesondere gegenüber der Verwaltung wirksam durchgesetzt werden. Grundbedingung ist dafür zunächst die Kenntnis von Grundrechtsverletzungen und eine für den jeweiligen Fall und das jeweilige Grundrecht angemessen Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage und schließlich der Durchsetzung. Dazu wirkt Art. 19 Abs. 4 GG in das jeweilige vorgelagerte Verwaltungsverfahren mit den genannten Gewährleistungen hinein. ee) Verfassungsrechtliche Gewährleistung der Kenntnisnahme Bislang ausgeklammert blieb die Frage, ob die Verfassung einen Anspruch auf Kenntnisnahme heimlicher Ermittlungsmaßnahmen enthält. Die vorstehenden Ausführungen deuten bereits darauf hin, dass Art. 19 Abs. 4 GG wegen seinen Vorwirkungen auf das Verwaltungsverfahren einen solchen Anspruch enthält, der vom Betroffenen gegenüber den Nachrichtendiensten geltend gemacht werden kann (unter (1)). Ergänzend ist zu fragen, ob auch das Gericht selbst einen etwaigen Kenntnisnahmeanspruch zur Sachverhaltsaufklärung nutzen kann (unter (2)). Schließlich kommen für die verfassungsrechtliche Verankerung der Kenntnisgewähr noch die Verfahrenskomponenten materieller Grundrechte (unter (3)), das Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG (unter (4)), die Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 2. HS GG (unter (5)) und das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG (unter (6)) in Betracht.
466 467 468
Vgl. Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 20 f. Vgl. Schulze-Fielitz, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 364. Vgl. Papier, HbdStR VI, § 154 Rn. 17.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
233
(1) Ableitung aus Art. 19 Abs. 4 GG Das in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Recht auf Beschreiten des Rechtswegs ist ineffektiv, wenn nicht gewährleistet ist, dass der Betroffene auch Kenntnis von den hoheitlichen Maßnahmen erhält, gegen deren Rechtmäßigkeit er sich auf dem von der Verfassung vorgesehenen Weg wenden will. 469 An der Kenntnis mangelt es aber regelmäßig bei heimlichen Maßnahmen der Nachrichtendienste. Insbesondere kann der Bürger oft nicht erkennen, welche Daten über ihn gespeichert werden bzw. ob sie an andere Stellen übermittelt wurden. Der faktische Kontrollverlust durch mangelnde Kenntnis darf nicht zur Entstehung kontrollfreier Räume führen. 470 Die Kenntnisnahmemöglichkeit ist also für Nachrichtendienstfälle eine essentielle Voraussetzung effektiven Rechtsschutzes. Will man der Gewährleistung nach effektiven Rechtsschutz nachkommen, müssen geheime Maßnahmen, insbesondere der Nachrichtendienste – von Eingriffen nach Art. 19 Abs. 4 Satz 3 GG i.V. m. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG abgesehen – mitgeteilt werden, soweit es für eine Durchsetzung der betroffenen Grundrechte notwendig ist. Anderenfalls können diese Grundrechte nicht, wie vom Normgeber gewollt, gesichert werden. Die Garantie effektiven Rechtsschutzes wirkt daher über die gerichtliche Kontrolle und das gerichtliche Verfahren hinaus in das behördliche Verfahren hinein, wenn eine solche Vorwirkung für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes faktisch erforderlich ist und garantiert dann die Kenntnisnahme. 471 Die Kenntnisnahme kann durch Mitteilungspflichten und Auskunftsansprüche erzielt werden. Die Mitteilungspflichten treffen die Behörden, also auch die Nachrichtendienste. Sie müssen von sich aus Mitteilung über rechtsschutzrelevante Aktivitäten machen. Auskunftsansprüche hingegen stehen dem Betroffenen zu und ermöglichen ihm, aktiv nach den ihn betreffenden Maßnahmen zu fragen. Kenntnisnahme betrifft für eine effektive Rechtsweggarantie das „Ob“ und für ei469
Vgl. Dörr, Rechtsschutzauftrag, S. 26; Lodde, Informationsrechte, S. 57; Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers, S. 266, 269; Riegel, DVBl. 1985, 765 (772). 470 So auch Gusy, Präventionsstaat, S. 287. 471 Vgl. BVerfGE 65, 1 (70); 100, 313 (361, 364); 101, 106 (123); 109, 279 (364); 118, 168 (207 f.); ebenso Deutsch, Die heimliche Erhebung von Informationen, S. 25; Geiger, DVBl. 1990, S. 748 (756); Gusy, Präventionsstaat, S. 287; Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 484; Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 19 Rn. 69 f.; Mayer-Metzner, Auskunft aus Dateien, S. 136 f.; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1020; Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 252 a; Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung, S. 350 f.; Velten, Befugnisse der Ermittlungsbehörden, S. 88 f. Vorsichtiger: Simitis / Fuckner, NJW 1990, S. 2713 (2716): „Ausfluß eines in die Nähe von Art. 19 IV GG gerückten Ermessens“. A. A., aber völlig verfehlt Ehmann, CR 1988, S. 575 (577) und Roewer, NVwZ 1989, S. 11 (15), die nicht erkennen, dass Art. 19 Abs. 4 GG nicht (primär) das Auskunftsrecht selbst schützt, sondern materielle Rechte, die durch nachrichtendienstliche Tätigkeit möglicherweise verletzt wurden und mittels Auskunftsanspruch durchgesetzt werden sollen.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
ne effektive Rechtsschutzgarantie das „Wie“ einer möglichen Rechtsverletzung, jedenfalls zu wesentlichen Feststellungen oder Erwägungen des behördlichen Verfahrens, die für den Rechtsschutz bedeutsam sein können. 472 Zwar gibt Art. 19 Abs. 4 GG eine konkrete Form der Kenntnisgewährung nicht vor. 473 Eine Mitteilungspflicht ist aber dann verfassungsrechtlich geboten, wenn ein heimlicher Eingriff vorliegt und Auskunftsansprüche nicht eingeräumt wurden oder den Rechten der Betroffenen nicht angemessen Rechnung tragen. 474 Eine Mitteilungspflicht ist mit anderen Worten immer dann geboten, wenn diese Form der Kenntnisgewähr Voraussetzung für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes ist. 475 Letzteres ist bei der Normierung nur einer Auskunftspflicht grundsätzlich gegeben, da es dem Betroffenen nicht möglich ist, alle in Betracht kommenden Behörden um Auskunft über heimliche Maßnahmen zu bitten und die bloße Auskunftspflicht ohne zusätzlicher Mitteilungspflicht dadurch den Rechten des Betroffenen im Sinne von effektivem Rechtsschutz nicht angemessen Rechnung trägt. Aber auch eine normierte Mitteilungspflicht ohne zusätzlichen Auskunftsanspruch kann u.U. nicht genügen. Wenn der Betroffene etwa von einer Observation auf anderem Wege als durch Mitteilung erfährt, muss es ihm möglich sein, zur Inanspruchnahme von (sofortigem) Rechtsschutz, Auskunft über rechtserhebliche Tätigkeiten der observierenden Behörde zu erlangen. Nur so kann er eigenständig und in der konkreten Situation überhaupt seine Rechte verteidigen und in einer etwaigen Klagesituation substantiiert vortragen. 476 Anderenfalls müsste er passiv eine irgendwann erfolgende Mitteilung abwarten. Nur ein Auskunftsanspruch wird also auch seiner Subjektstellung im Rechtsschutzverfahren gerecht. Eine etwa nachträgliche Mitteilung reicht dazu nicht aus. 477 Sofern in komplexen Verfahren nur ein Auskunftsanspruch in Form einer Akteneinsicht für einen effektiven Rechtsschutz angemessen ist, kann sich der Auskunftsanspruch 472
Vgl. Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 19 Rn. 69. Vgl. BVerfGE 100, 313 (361); BVerfG, 1 BvR 2388/03 vom 10. 3. 2008, Absatz-Nr. 69, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20080310 _1bvr238803.html; Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 252 a. 474 Vgl. BVerfGE 30, 1 (31 f.); 100, 313 (361); 109, 279 (363 f.); BVerfG, 1 BvR 2388/03 vom 10. 3. 2008, Absatz-Nr. 73 ff., abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg .de/entscheidungen/rs20080310_1bvr238803.html. 475 Vgl. BVerfGE 65, 1 (70); 100, 313 (364); 118, 168 (209 f.); ebenso Hölscher, Mitteilungspflichten, S. 210 f.; Hoppe, Vorfeldermittlungen, S. 183. Im Ergebnis auch Rachor, HbdPolR, K Rn. 11. 476 Vgl. Huber, NJW 2007, S. 881 (882); Kutscha, NVwZ 2003, S. 1296. 477 Vgl. Lodde, Informationsrechte, S. 39; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 2; Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung, S. 351 f. Im Ergebnis auch: Auernhammer, DuD 1992, S. 6 (7). A. A. Mayer-Metzner, Auskunft aus Dateien, S. 142, der aber das aufgezeigte Problem nicht sieht. 473
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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darüber hinaus auf einen Akteneinsichtsanspruch verdichten. 478 Teil einer Auskunft kann schließlich auch in der Einsichtnahme in den Verwaltungsvorgang bestehen. 479 In der Regel sind also beide Formen der Kenntnisgewähr, Auskunftsanspruch und Mitteilungspflicht, kumulativ erforderlich. Korrespondierend ergeben sich insoweit aus der Rechtsschutzgarantie auch weitergehende Dokumentations- und Begründungspflichten der Behörde, deren Erfüllung einen effektiven Rechtsschutz erst ermöglicht. 480 Im Bereich der Auskunftsansprüche ergibt sich die Begründungspflicht jedoch nicht aus dem materiellen Recht, zu dessen Durchsetzung die Auskunft begehrt wird. Die dazu erforderliche Begründung befasst sich nämlich mit der Frage, welche Gründe für den Eingriff in das materielle Recht vorliegen. Die Begründungspflicht der Auskunftsverweigerung ergibt sich vielmehr aus dem Auskunftsanspruch selbst, in den durch die Auskunftsverweigerung eingegriffen wurde. Auch dieser Eingriff bedarf einer Begründung, insbesondere, weil der Betroffene erst Rechtsschutz gegen die Auskunftsverweigerung in Anspruch nehmen muss, um anschließend, im Falle des Obsiegens, Rechtsschutz gegen den Eingriff in das materielle Recht mit den Informationen aus der erstrittenen Auskunft in Anspruch nehmen zu können. Die Frage der Detailausgestaltung der Ansprüche und -pflichten ist aber Sache des Gesetzgebers, da Art. 19 Abs. 4 GG ausgestaltungsbedürftig ist. Wenn der Eingriff heimlich erfolgt, Auskunftsansprüche aber nicht eingeräumt worden sind oder den Rechten des Betroffenen nicht angemessen Rechnung tragen, ergeben sich die Ansprüche jedoch unmittelbar aus Art. 19 Abs. 4 GG. Denn im Falle eines pflichtwidrigen gesetzgeberischen Unterlassens dürfen die Gerichte ausnahmsweise durch Richterrecht die Anforderungen der Verfassung hinreichend konkretisieren. 481 Wegen des Gewaltenteilungsgrundsatzes ist aber auch nur dann ein Rückgriff durch die Gerichte direkt auf Art. 19 Abs. 4 GG möglich. 482 (2) Erweiterung des Kenntnisnahmeanspruchs aus Art. 19 Abs. 4 GG auf das Gericht Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird der Kenntnisnahmeanspruch von Art. 19 Abs. 4 GG aber nicht nur dem Grundrechtsträger 478
Vgl. Huber, ThürVBl. 1992, S. 121 m.w. N.; Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung, S. 352; ähnlich Kugelmann, Informatorische Rechtsstellung des Bürgers, S. 251. 479 Vgl. Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 19 Rn. 69; Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 256. 480 Vgl. BVerfGE 49, 24 (66 f.); 65, 1 (70); 69, 1 (49); 100, 313 (364 f.); 103, 142 (160); 118, 168 (208). 481 Vgl. Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 405 ff.; Ossenbühl, DVBl. 1994, S. 977 (979). 482 Vgl. BVerfGE 100, 313 (361, 364); 109, 279 (363 f.); 118, 168 (207 f.).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
zugesprochen, sondern auch dem Gericht, soweit es zur Gewährung effektiven und umfassenden Rechtsschutzes erforderlich ist. Das Gericht müsste anderenfalls stets von den Darlegungen der Behörde ausgehen und könnte allenfalls die Schlüssigkeit des Vorbringens prüfen. Es ist aber gerade nicht an Feststellungen der Verwaltung gebunden, sondern muss die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und seine rechtliche Auffassung unabhängig von der Verwaltung, deren Entscheidung angegriffen ist, gewinnen und begründen. 483 Es darf mit anderen Worten seine Herrschaft über die Beweiserhebung nicht aus der Hand geben. 484 Insoweit steht also auch dem Gericht die Kenntnisnahmebefugnis zu. Aufgrund der Feststellungen zum allgemeinen Rechtsschutzstandard, nach dem das Gericht die Tatsachenlage aufklären können muss, um die sachliche Richtigkeit möglichst gut zu gewährleisten, kann diese Feststellung nicht verwundern. Aber auch nach den Feststellungen zum besonderen Standard, in dem der Eingriff und dessen Intensität möglichst genau bestimmt werden müssen, ist dieser Befund selbstverständlich. Die Reichweite des Kenntnisnahmeanspruches im Detail kann sich zunächst nur aus der Aufgabenstellung einer rechtsstaatlichen Rechtsprechung ergeben, wie sie für den allgemeinen Rechtsschutzstandard ermittelt wurde. Ergänzende Anforderungen bei Subordinationsfällen ergeben sich aber für die Feststellung des Eingriffs und dessen Intensität: Da Art. 19 Abs. 4 GG allgemein die umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Rechtsschutzbegehrens gewährt, hat die Behörde alle Informationen an das Gericht herauszugeben, bis die Entscheidungsreife des jeweiligen Verfahrensgegenstandes nach dem Maßstab einer hohen Wahrscheinlichkeit sachlicher Richtigkeit erreicht ist. 485 Das gilt insbesondere dann, wenn dem Gericht die Aufklärung mit anderen Mitteln nicht möglich ist. Fragen der Einschränkung dieses Anspruches sind nicht auf Gewährleistungssondern auf Rechtfertigungsebene zu klären, der Kenntnisnahmeanspruch wird zunächst in den dargestellten Grenzen absolut gewährleistet. (3) Kenntnisnahme aus der Verfahrenskomponente materieller Grundrechte Zu klären bleibt, ob sich die Kenntnisnahmemöglichkeit aus anderen Grundrechten ableiten lässt und wie sich diese systematisch zu Art. 19 Abs. 4 GG hinsichtlich einer entsprechenden Gewährleistung verhalten. Vorausgeschickt werden kann, dass eine Ableitung aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch wegen der Verdrängung durch den spezielleren Art. 19 Abs. 4 GG in diesem Zusammenhang unbeachtlich wäre. 486 483 484 485
Vgl. BVerfGE 101, 106 (123) m.w. N. Vgl. Winkler, JA 2000, S. 552 (553). Vgl. auch BVerfGE 101, 106 (123).
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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Das Bundesverfassungsgericht leitet den Kenntnisnahmeanspruch regelmäßig auch aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ab. 487 Danach muss jeder wissen, wer was über ihn weiß. 488 Das Gericht verlangt aber darüber hinaus auch Begrenzungen informationsbezogener Maßnahmen in Form besonderer verfahrensrechtlicher Sicherungen, wozu es insbesondere Auskunftsrecht und Mitteilungspflichten zählt, für Grundrechtseingriffe, die besonders geschützte Zonen der Privatheit betreffen oder auf andere Weise ein erhöhtes Gewicht aufweisen. 489 Damit meint das Gericht aber nicht einen materiell-rechtlichen Auskunftsanspruch, sondern wieder die Verfahrenskomponente der Grundrechte, die einen Kenntnisnahmeanspruch in bestimmten Fallkonstellationen gewährt. 490 Mit der besonderen Verfahrenskomponente der Kenntnisnahmegewährleistung kann es sich aber nicht anders verhalten als mit den anderen Verfahrenskomponenten. Soweit es um Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt geht, sind sie aus dem Gewährleistungsgehalt der materiellen Grundrechte herauszunehmen und Art. 19 Abs. 4 GG zuzugeben. 491 Nur dieses Verständnis ist mit der genetischen Auslegung vereinbar und führt zu systematisch spannungsfreien Ergebnissen.
486 Ähnlich Deutsch, Die heimliche Erhebung von Informationen, S. 21 f., der aber daneben untaugliche Argumente anführt: Zum einen führt er an, das Rechtsstaatsprinzip sei zu vage, als dass aus ihm ein Anspruch abgeleitet werden könne. Zum anderen erkennt er zwar an, dass aus dem Rechtsstaatsprinzip trotz der Vagheit das Recht auf rechtliches Gehör abgeleitet werde. Die Ableitungen seien aber nur schwach, da das einfache Recht in § 28 Abs. 2 VwVfG auch von einer Vielzahl von Ausnahmen ausgehe. Die Interpretation von Verfassungsrecht mit einfachem Recht ist freilich unzulässig. 487 Vgl. BVerfGE 101, 106 (122). Restriktiver: Schoch, Jura 2008, S. 352 (354), der materiellen Grundrechten nur ausnahmsweise leistungsrechtliche Dimensionen im oben genannten Sinne zugesteht. 488 Vgl. Lodde, Informationsrechte, S. 39; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 1 m.w. N.; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 100; a. A. Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 2 m.w. N.. Tendenziell: BVerfGE 65, 1 (43, 46); ausdrücklich offengelassen: BVerfG, NVwZ 2001, S. 185. 489 Vgl. BVerfGE 118, 168 (202) m.w. N. 490 Insoweit irrt Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, S. 277, indem er dem Bundesverfassungsgericht in E 101, 106 die Ableitung eines materiell-rechtlichen Auskunftsanspruchs neben der Ableitung aus der objektiv-rechtlichen Verfahrenskomponente des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterstellt. Das Gericht spricht nur davon, dass der Beschwerdeführer den Anspruch in seinem Vortrag ableitet. Es selbst geht nur von einem Auskunftsanspruch aus der Verfahrenskomponente aus (siehe explizit S. 122 des Urteils). 491 So auch Huber, ThürVBl. 1992, S. 121 (124).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
(4) Kenntnisnahme aus dem Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG Die Gewährleistung des Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG führt im vorliegenden Zusammenhang hingegen zu Besonderheiten. Das Recht auf rechtliches Gehör gewährleistet unter anderem das Recht auf Akteneinsicht im Prozess. Der Prozessbeteiligte hat gegenüber dem Gericht einen Anspruch auf Kenntnis des Verfahrensstoffs. Art. 103 Abs. 1 GG gibt diesen Anspruch aber nicht gegen die Behörde. Adressat ist allein das Gericht. 492 Hinsichtlich eines Akteneinsichtsanspruches gegen das Gericht ist Art. 103 Abs. 1 GG gegenüber Art. 19 Abs. 4 GG aber allein anwendbar, da es gegenüber seinem allgemeinen Rechtsschutzstandard − wie festgestellt − lex specialis ist. Gegenüber einer Behörde, also insbesondere der Nachrichtendienste, ist Art. 19 Abs. 4 GG jedoch alleine anwendbar, da Art. 103 Abs. 1 GG nur gegenüber Gerichten gilt. Die Rechtsschutzgarantie gewährt dabei nicht Kenntnis der gesamten Akte, sondern nur insoweit, als ein Beschreiten des Rechtsweges nötig ist. Dazu gehören demnach jedenfalls die Kenntnis der Maßnahme hinsichtlich Art und Weise (Zeit / Ort) und die Kenntnis der eingreifenden Behörde und des Grundes des Eingriffs. Will das Gericht selbst Akten beiziehen, so kann es sich von vornherein nicht auf Art. 103 Abs. 1 GG stützen, sondern nur auf Art. 19 Abs. 4 GG, da es durch die Beiziehung den Sachverhalt genau ermitteln will. Art. 103 Abs. 1 GG gibt dem Gericht hingegen keine eigenen Rechte. Will der Rechtsschutzsuchende aber in die dann beigezogene Akte Einsicht nehmen, ist dieses wiederum eine Frage von Art. 103 Abs. 1 GG. Beantragt schließlich der Rechtsschutzsuchende die Beiziehung der Akten, lehnt dass Gericht diesen Antrag aber ab, so kann er sich wieder auf Art. 19 Abs. 4 GG stützen. Zwar ist öffentliche Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG nicht die Judikative; der Ausgangseingriff wurde jedoch auch nicht von dem Gericht vorgenommen. Wegen der unvollständigen Sachverhaltsaufklärung ist dann der Rechtsschutz gegen eine Rechtsverletzung durch die Exekutive ineffektiv. Dadurch verletzt die Judikative Art. 19 Abs. 4 GG, da eine wirksame Kontrolle des Verwaltungshandelns behindert wird. 493 (5) Kenntnisnahme aus der Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 2. HS GG In diesem Zusammenhang bleibt weiter zu klären, ob Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 2. HS GG als Informationsfreiheit auch unabhängig von einer Prozesssituation 492 493
Vgl. Ramminger, Geheimhaltungsansprüche, S. 13 m.w. N. Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 896.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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jedermann Einsicht in behördliche Akten als materiell-rechtlichen Anspruch gewährt. Die Informationsfreiheit gewährt nach ihrem Wortlaut jedermann das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. Danach könnte ein Betroffener, vorbehaltlich der Schranken des Art. 5 GG, auch aus diesem Recht in seinen Verwaltungsvorgang bei den Diensten Einsicht nehmen und so einen Prozess vorbereiten bzw. von einer Maßnahme erfahren, wenn er eine solche befürchtet. Auch könnte er ohne Anlass Einsicht nehmen. Allerdings werden Behördenakten nicht als allgemein zugängliche Quellen im Sinne der Informationsfreiheit angesehen. 494 Dieses wird regelmäßig mit der deutschen Tradition begründet, wonach Behördenakten grundsätzlich nicht öffentlich sind. Dieses Verständnis beginnt zwar durch die Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der Länder aufzuweichen. 495 Die Weiterentwicklung wurde bisher von der Rechtsprechung aber noch nicht aufgegriffen. Da Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG jedoch Kenntnis bzw. Akteneinsicht gewähren und wegen der Vorbehaltlosigkeit jedenfalls in der Rechtsschutzsituation einen stärkeren Anspruch als Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. GG geben, soll dieser Streit hier offen bleiben. (6) Kenntnisnahme aus dem Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG Die Bedeutung der Öffentlichkeit für die Demokratie wurde bereits in der Einleitung festgestellt. Verfassungsrechtlich ist das Publizitätsgebot im Demokratieprinzip verankert. 496 Aus ihm lässt sich jedenfalls das grundsätzliche Gebot der Öffentlichkeit staatlichen Handelns ableiten, auch wenn es geheimes Staats- und Verwaltungshandeln nicht gänzlich verbietet. Es ist als Staatsfundamentalnorm, wie jede Verfassungsnorm, in Einklang mit anderen Verfassungsgütern zu bringen. In diesem Spannungsfeld können zwar entgegenstehende Verfassungsgüter zwingende Gründe für den Geheimnisschutz sein und im Einzelfall Geheimheit verlangen. 497 Dennoch muss es beim Prä der Öffentlichkeit bleiben, will sich der Staat als Demokratie bezeichnen. 498 Das Demokratieprinzip liefert demnach Publizitätsanforderungen, die Öffentlichkeit staatlichen Handelns herstellen sollen. Möglicherweise ließe sich daraus ein Anspruch des Einzelnen auf Kenntnisgewähr staatlicher Vorgänge ableiten. 494
Vgl. BVerfG, NJW 1986, S. 1243. Mit Recht gehen Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 565, davon aus, dass die überkommene Auffassung überholt ist. Ein Auskunftsanspruch aus der Informationsfreiheit leitete Krieger, Behördliche Auskunft, S. 135, auch schon vor Erlass der IFGen ab. 496 Vgl. Pieroth, JuS 1981, S. 625 (627) m.w. N. 497 Vgl. BVerfGE 70, 324 (383 f.). 498 Vgl. zum Ganzen: Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 61 f. m.w. N. 495
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Öffentlichkeit meint jedoch im tatsächlichen Sinne die Summe der der Allgemeinheit, als unbestimmte Anzahl von Staatsbürgern, zugänglichen Informationen. 499 Die Öffentlichkeit ermöglicht so kritische Stellungnahmen zu Sachverhalten von allgemeinem Interesse. 500 Die Anforderungen erfolgen also unabhängig davon, ob der Staatsbürger von staatlichem oder Verwaltungshandeln betroffen ist oder nicht. Daraus ergibt sich, dass das Demokratieprinzip nicht darauf angelegt ist, dem Einzelnen gegenüber dem Staat spezifische Informationsrechte zu verschaffen, es will vielmehr eine offene Gesellschaft insgesamt erreichen. Aus der Verfassungsdirektive der Publizität lassen sich demnach keine konkreten subjektiven Informationsrechte entnehmen. 501 b) Schutz bei Rechtsverletzungen Der Gewährleistungsgehalt des Art. 19 Abs. 4 GG, die Rechtswegöffnung, wird bei Maßnahmen der Nachrichtendienste aber nach dem Wortlaut nur ausgelöst, wenn der betroffene Grundrechtsträger „in seinen Rechten verletzt“ wurde. Im Folgenden ist zunächst zu klären, wann dies der Fall ist (unter aa). Anschließend werden die wichtigsten Grenzfälle im nachrichtendienstlichen Bereich herausgearbeitet (bb). aa) Grundlegung: Schutznormtheorie Nach allgemeiner Ansicht liegt eine Rechtsverletzung im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn einschlägige Normen dem Grundrechtsträger ein subjektives Recht verleihen und geltend gemacht wird (d. h. schlüssig und plausibel dargelegt wird), in dieses werde rechtswidrig eingegriffen. 502 Das Erfordernis der bloßen Behauptung steht in historischer Kontinuität: Auch für Art. 107 WRV genügte bereits eine behauptete Machtüberschreitung der Behörde. 503 Daneben ist es aber auch logisch zwingend, da die endgültige Klärung der Rechtswidrigkeit des Eingriffs vor Gericht erst noch erfolgen soll. Subjektive Rechte liegen nach der sog. Schutznormtheorie immer dann vor, wenn die Auslegung der einschlägigen Rechtsnormen ergibt, dass die Normen objektiv dem Schutz des einzelnen Betroffenen zu dienen bestimmt sind, d. h. final 499
Vgl. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 63 mit Verweis auf RGSt 21, 254
(255). 500
Vgl. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 63. Vgl. Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 20 Rn. 13; Pieroth, JuS 1981, S. 625 (628) m.w. N. 502 Vgl. Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 19 Rn. 36, 41 m.w.N; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1014; Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV Rn. 116 ff.; Schulze-Fielitz, Art. 19 IV Rn. 60 ff. Im Ergebnis auch: BVerfGE 100, 313 (364) („wenn Verletzung [...]möglich erscheint“). 503 Vgl. Anschütz, WRV, S. 500. 501
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
241
auf dessen Schutz zielen. 504 Dazu zählen alle subjektiven Rechte des öffentlichen und des privaten Rechts, also jedenfalls die Grundrechte. 505 bb) In welche Rechte greift nachrichtendienstliches Handeln ein? Tangiert aber jedes Handeln der Nachrichtendienste ein Grundrecht bzw. wird in dieses eingegriffen? Bei den Maßnahmen, die Schutzbereiche spezieller Grundrechte betreffen, ist die Feststellung eines Eingriffs regelmäßig ohne Probleme möglich. Dieses gilt, wegen der tatsächlichen Vorgänge während eines Eingriffs, insbesondere bei Maßnahmen, die Art. 10 GG und Art. 13 GG berühren. So geht auch das BVerfSchG in § 9 Abs. 2 Satz 13 und Abs. 4 Satz 8 durch Verweis im Sinne des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG (Zitiergebot) davon aus, dass die Maßnahmen zur besonderen Datenerhebung jedenfalls die Grundrechte aus Art. 10 und 13 GG einschränken, mithin den Schutzbereich betreffen und in diesen eingreifen. Die Eingriffe in spezielle Grundrechte setzen sich auch durch Speicherung der erhobenen Daten und Übermittlung der Daten an andere Stellen fort und werden perpetuiert. 506 Darüber hinaus kann in der anschließenden Veröffentlichung übermittelter Daten im Rahmen der Verfassungsschutzberichte ein neuer selbständiger Eingriff oder eine eingriffsgleiche Maßnahme liegen. Zum einen, weil sie selbst erhebliche Nachteile für den Betroffenen mit sich bringen kann, und zum anderen, weil der Bericht auch aus Dateiübermittlungen an das jeweilige Innenministerium oder direkt aus Dateiverarbeitungen im Dienst resultiert und den bereits erfolgten Eingriff perpetuiert. Besonders relevant wurden in der Vergangenheit die speziellen Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 38 Abs. 1 GG etwa bei Berichten über die Religionsgemeinschaft „Scientology“ 507, über das Presseorgan „Junge Freiheit“ 508 oder Abgeordnete der Partei PDS / DIE LINKE 509. 504 Vgl. Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 19 IV GG Rn. 61; Sobota, Prinzip Rechtsstaat, S. 207. 505 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1012. 506 Vgl. BVerfGE 100, 313 (366 f.) zu Art. 10 GG. 507 Vgl. OVG NRW vom 12. 02. 2008 − 5 A 130/05, abrufbar im Internet unter: http:// www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2008/5_A_130_05urteil20080212.html (abgerufen am 23. 06. 2009). 508 Vgl. BVerfGE 113, 63 (74 ff.). 509 Vgl. OVG NRW vom 13. 02. 2009 − 16 A 845/08, abrufbar im Internet unter: http:// www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2009/16_A_845_08urteil20090213.html (abgerufen am 23. 06. 2009). Dementsprechend bezeichnet Murswiek, NVwZ 2004, S. 769 (771 ff., 773, mit weiteren Beispielen), den Verfassungsschutzbericht als Mittel des politischen Kampfs mit erheblichen faktischen Auswirkungen für die Betroffenen durch die Brandmarkung als extremistisch hinsichtlich medialer Darstellung, Wahl, Mitgliedschaft etc.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Schwierig ist die Frage des Eingriffs aber beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. 1 Abs. 1 GG zu beantworten und insbesondere bei Maßnahmen, die der Informationssammlung nach dem Mosaiksystem dienen. Ab wann ist dabei die Schwelle zum Eingriff überschritten? Ab wann ist das Schöpfen aus allgemein zugänglichen Quellen oder Aussagen Dritter (etwa Nachbarn, Arbeitskollegen etc.) keine bloße Informationssammlung mehr, sondern Datenerhebung? Auch wenn die vorliegende Arbeit von der Verletzung subjektiver Rechte durch Nachrichtendienste ausgeht, so lohnt sich doch eine Betrachtung dieser materiell-rechtlichen Frage, da das bloße Nachrichtensammeln den Hauptteil der Tätigkeit der Nachrichtendienste ausmacht. (1) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt die Freiheit des Einzelnen selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenze persönliche Lebenssachverhalte offenbart oder verwendet werden. Es wurde aus dem Recht auf Selbstdarstellung als Ausformung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit entwickelt. 510 Der Schutz Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erstreckt sich umfassend auf Informationen über Personen. 511 Dabei ist unerheblich, wie sensibel, intim oder relevant die Daten sind oder, ob die Daten öffentlich zugänglich sind oder nicht. 512 Die Schutzwürdigkeit jeden Datums ergibt sich aus den Gefahren der Verknüpfung und Verarbeitung scheinbar unsensibler Daten durch elektronische Verarbeitungssysteme. Durch die Möglichkeiten dieser Systeme kann ein Datum im Zusammenspiel mit anderen personenbezogenen Daten einen sensiblen neuen Stellenwert bekommen. Es kann demnach kein belangloses personenbezogenes Datum geben. 513 Für die Bewertung, ob ein Eingriff speziell durch Informationserhebungen durch Nachrichtendienste in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt, wird der Spielraum dabei auf der einen Seite durch Rottmann abgesteckt, der in der gesamten Tätigkeit der Nachrichtendienste, sofern sie nicht die Schutzbereiche der speziellen, die Privatsphäre schützenden Grundrechte tangiert, keinen Eingriff sieht, sondern erst die Folgemaßnahmen als solche qualifiziert. Der Bürger müsse etwaige Belästigungen im Interesse der Staatssicherheit 510 Vgl. BVerfGE 65, 1 (42 f.); 118, 168 (184); Pieroth / Schlink, Rn. 377 b; Schoch, Jura 2008, S. 352 (353). 511 Vgl. Kühling / Seidel / Sivridis, Datenschutzrecht, S. 76. 512 Vgl. BVerfG, EuGRZ 2008, S. 186 ff.; Kühling / Seidel / Sivridis, Datenschutzrecht, S. 79. 513 Vgl. Vgl. BVerfGE 65, 1 (45); 118, 168 (185); Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 377 b; Schoch, Jura 2008, S. 352 (353).
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hinnehmen. 514 Auf der anderen Seite steht Schwan, der in jeder Informationserhebung persönlicher Daten, unabhängig von den Begleit- oder Folgeeingriffen, einen Eingriff in die Privatsphäre i.w. S. sieht. 515 Das Problem ist aber kein spezifisch nachrichtendienstrechtliches, sondern vielmehr ein datenschutzrechtliches, das alle Sicherheitsbehörden betrifft. Auch Polizeien und Staatsanwaltschaften schöpfen u. a. ihre Erkenntnisse aus allgemeinen Quellen. Ob ein Eingriff vorliegt oder nicht, ist nach gleichen Kriterien zu beurteilen und ergibt sich aus der allgemeinen Grundrechtsdogmatik. Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bestimmt sich nach dem sog. modernen Eingriffsbegriff. 516 Danach liegt ein Eingriff vor, wenn ein staatliches Handeln dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht. In Abkehrung vom sog. klassischen Eingriffsbegriff ist dabei unerheblich, ob diese Wirkung final oder beabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich, mit oder ohne Befehl oder Zwang erfolgt. 517 Die Grenze liegt dort, wo es nur zu bloßen Bagatellen, alltäglichen Lästigkeiten, subjektiven Empfindlichkeiten kommt. 518 D. h. für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liegt die Grenze dort, wo das Eigenverfügungsrecht über personenbezogene Daten nur unwesentlich beeinträchtigt ist. 519 Ein Eingriff liegt wiederum dann vor, wenn staatliches Handeln es dem Grundrechtsträger ganz oder teilweise unmöglich macht, selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenze persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Um einen Eingriff zu bejahen, müssen demnach personenbezogen Daten erhoben werden, die von demjenigen, auf den sich die Informationen beziehen, nicht freiwillig abgegeben wurden. Das ist der Fall, wenn eine Auskunftspflicht bestand, wenn die Information von der Behörde ohne oder gegen den Willen des Betroffenen ermittelt wurde oder wenn sie von Dritten über den Betroffenen erhoben wurde. 520 Da die Daten erhoben, d. h. beschafft werden müssen, scheiden sog. aufgedrängte Daten aus, da dem Beschaffen der Daten der Zweck ihrer Verarbeitung immanent ist. Aufgedrängte Daten sind von den Behörden unaufgeforderte Daten. Eine Ausnahme ist aber dann zu machen, wenn die so aufgedrängte Information
514
Vgl. Rottmann, AöR 88 (1963), S. 227 (241 f.). Vgl. Schwan, VerwArch 66 (1975), S. 120 (130 ff.). Ebenso Gusy, DÖV 1980, S. 431 f. 516 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 380. 517 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 240, zum klassischen Eingriffbegriff vgl. dort Rn. 238 f. Ferner: Schoch, Jura 2008, S. 352 (356). 518 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 248; Schoch, Jura 2008, S. 352 (357). 519 Vgl. Schmitt Glaeser, HbdStR VI, § 129 Rn. 97. 520 Vgl. Gusy, Polizeirecht, Rn. 201, ders., NVwZ 1983, S. 322. 515
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
dem Aufgabenfeld der Behörde zuzurechnen ist. 521 Auch ist zu bedenken, dass wegen des weiten Schutzbereiches bereits die schlichte Kenntnisnahme ein Eingriff ist, wenn eine Verwendung dem Grundrechtsträger gegenüber möglich ist und er auch schon dadurch in seiner Freiheit gehemmt werden kann, aus eigener Selbstbestimmung über seine Daten zu entscheiden. 522 (2) Folgerungen für die Tätigkeit der Nachrichtendienste Die Tätigkeit der Nachrichtendienste in Grenzfällen soll nun auf Eingriffsqualität hinsichtlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung anhand der dargestellten Maßstäbe untersucht werden. Dabei ist kurz die Einschlägigkeit des Grundrechts festzustellen (unter (a)). Anschließend werden besondere Datenerhebungsmethoden bzw. -quellen geprüft (siehe (b)). (a) Personenbezogene Daten Zunächst müssen die Beobachtungen von Bestrebungen sich überhaupt auf Daten beziehen, die in den Schutzbereich fallen, d. h. sie müssen personenbezogen sein. Der verfassungsrechtliche Begriff der persönlichen Daten bzw. der vom Schutzbereich umfassten Informationen ist deckungsgleich mit dem im einfach-gesetzlichen Datenschutzgesetz. 523 Da Nachrichtendienste zunächst nur Bestrebungen beobachten, liegt in einem Informationssammeln erst dann eine Datenerhebung, wenn Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person beschafft werden. (b) Datenerhebungsmethode und -quelle Nun ist danach zu differenzieren, ob die Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln erlangt wurden (siehe unter (aa)), ob sie durch Befragungen erhoben wurden (siehe (bb)) oder, ob die Informationen aus sog. offenen Quellen stammen (siehe (cc)).
521 Vgl. implizit Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 13 Rn. 3, für die Datenerhebung der Polizei, allerdings mit der weiteren Voraussetzung, dass die Polizei deshalb zur Kenntnisnahme verpflichtet sein muss, weil die Daten ein polizeiliches Tätigwerden erforderlich machen oder machen könnten. 522 Vgl. Di Fabio, Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 175 f. 523 Vgl. Di Fabio, Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 175.
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(aa) Datenerhebung mit nachrichtendienstlichen Mitteln Wurden die Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln erlangt, erfolgte dieses verdeckt. Die Mittel sind u. a. in § 8 Abs. 2 BVerfSchG aufgezählt. Der beispielsweise dort genannte Einsatz verdeckter Ermittler und V-Leute ist auch nicht offen denkbar, soll er seinen Sinn nicht verlieren. Die weiter genannte Observation könnte zwar, wie im Polizeirecht, auch offen, etwa zur Verunsicherung, Einschüchterung oder Abschreckung des Betroffenen erfolgen. 524 Fraglich ist aber, ob sie auch in dieser Form für die Dienste zulässig wäre. Eine offene Observation führt zu einer erheblichen Belastung des Betroffenen, weil der Staat ihm die soziale Kontaktaufnahme mit anderen Personen erschwert oder unmöglich macht. 525 Es läge dann auch ein (faktischer) Eingriff in diejenigen (Kommunikations-)Grundrechte vor, auf deren Ausübung der Beobachtete verzichtet. 526 Zur bloßen Informationsbeschaffung, die nach § 3 BVerfSchG, § 3 Abs. 1 nwVSG, § 1 Abs. 2 BNDG, § 1 Abs. 1 MADG maßgebliche Aufgabe der Dienste ist, tritt somit eine faktische Lenkungswirkung auf den Betroffenen als zusätzliche Folge der Observation hinzu. Dieses würde den gesetzlichen Auftrag der Nachrichtendienste aber überschreiten, sie haben einen solchen Auftrag nicht. Darüber hinaus wäre ein solches Einwirken auf den Betroffenen eine polizeiliche Befugnis nach § 8 Abs. 3 BVerfSchG, 527 § 2 Abs. 3 BNDG, § 4 Abs. 2 MADG, die den Nachrichtendiensten nicht zustehen: In Fällen der offenen Observation möchte der Betroffene zwar weiter seine sozialen Kontakte pflegen, es wird aber ein solch starker faktischer Zwang aufgebaut, dass er diese Kontakte nicht mehr pflegen kann, obwohl er es im Einzelfall will. Auch wenn in einem solchen Fall kein rechtliches Zwangsmittel, wie etwa der unmittelbare Zwang, vorliegt, wird jedoch faktisch eine entsprechende Wirkung psychisch erzielt und dieses genügt für die Definition nicht gestatteter polizeilicher Befugnisse. Auch die Observation ist somit, wie die anderen nachrichtendienstlichen Mittel, ausschließlich verdeckt anzuwenden. Verdeckte Mittel stellen regelmäßig einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. 528 Dies gilt für verdeckte Ermittler, insbesondere beim Abhören des nicht-öffentlich gesprochenen Wortes, 529 und für V-Leute. 530 524 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 14 Rn. 100; Rachor, HbdPolR, F 325 Fußnote 450. 525 Vgl. Petri, HbdPolR H 225. 526 Vgl. BVerfG v. 11. 03. 2008 – 1 BvR 2074/05, Absatz Nr. 88, http://www.bverfg .de/entscheidungen/rs20080311_1bvr207405.html (abgerufen am 11. 03. 2008). 527 Beispielhaft für die Landesverfassungsschutzämter: § 5 Abs. 6 Satz 2 nwVSG. 528 Vgl. Hoppe, Vorfeldermittlungen, S. 54. 529 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 14 Rn. 109, 119; Schenke, POR, Rn. 201; implizit: Gusy, Polizeirecht, Rn. 205.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Im Gespräch von Betroffenen und Ermittler / V-Mann ist dabei egal, ob über nachrichtendienstlich relevante Sachverhalte gesprochen wird oder nicht, da der Betroffene infolge der Identitätstäuschung seinen Gesprächspartner nicht mehr als Nachrichtendienstmitarbeiter / -beauftragter erkennen kann. Er kann seinen Kommunikationspartner nicht mehr frei wählen, obwohl dieses ebenso vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung mitgeschützt ist. 531 Er gibt dann Informationen zwar nicht gegen seinen Willen, aber ohne seinen Willen im Sinne der Eingriffsdefinition preis. Letzteres Merkmal liegt deshalb vor, weil er die notwendigen Informationen für eine korrekte Willensbildung nicht hat und deshalb auch nicht frei über die Offenbarung persönlicher Daten entscheiden kann. Auch die Observation stellt als verdeckte Maßnahme grundsätzlich einen Eingriff dar. 532 Dieses gilt sowohl für die langfristige Observation, d. h. für eine Observation über 24 Stunden oder wiederholt punktuell an mehr als zwei Tagen, 533 als auch für die kurzfristige Observation, d. h. eine kürzere, aber planmäßige Beobachtung. 534 Ergänzend muss angefügt werden, dass die Maßnahmen „verdeckter Ermittler“, „V-Mann“ und „langfristige Observation“ so intensiv eingreifen, dass sie nicht durch eine Generalklausel gerechtfertigt werden können. 535 Die Generalklauseln im BVerfSchG, MADG und BNDG (§§ 8 Abs. 2, 9 Abs. 1 BVerfSchG, §§ 4 Abs. 1, 5 MADG i.V. m. §§ 8 Abs. 2, 9 BVerfSchG, § 3 BNDG i.V. m §§ 8 Abs. 2, 9 Abs. 1 BVerfSchG) genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen insoweit nicht.
530 Vgl. BVerfG, 2 BvR 2017/94 vom 1. 3. 2000, Absatz-Nr. 9; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 14 Rn. 108; Rachor, HbdPolR, F 324; Schenke, POR, Rn. 201; implizit: Gusy, Polizeirecht, Rn. 204. 531 Vgl. Rachor, HbdPolR, F 248 f. 532 So schon das königlich preußische Oberverwaltungsgericht zur Anordnung der Observation eines Lehrers, dem Vorgeworfen wurde, er käme noch nach der Polizeistunde aus einer Schankstube, vgl. PrOVGE 63, 464 (466 f.): Unzulässiges „Eingreifen“ mit „polizeilichen Machtmitteln“. Ebenso Salzwedel, FS Peters, S. 756 (761 ff.). 533 Vgl. Gusy, Polizeirecht, Rn. 202; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 14 Rn. 100, Rachor, HbdPolR, F 327. 534 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 14 Rn. 100; Rachor, HbdPolR, F 326 f. 535 Vgl. für den Einsatz V-Leute: BVerfG, 2 BvR 2017/94 vom 1. 3. 2000, Absatz-Nr. 9, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20000301 _2bvr201794.html (abgerufen am: 23. 03. 2009); Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 14 Rn. 108; Rachor, HbdPolR, F 324; Schenke, POR, Rn. 201; für den Einsatz von verdeckten Ermittlern: Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 14 Rn. 109; Schenke, POR, Rn. 201; für die längerfristige Observation: Petri, HbdPolR, H 226; Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 14 Rn. 104.
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(bb) Datenerhebung durch Befragung Die Eingriffsqualität einer einfachen Befragung, d. h. das der Informationserhebung dienende Gespräch, 536 bestimmt sich danach, ob die Befragung offen oder verdeckt erfolgt. Erfolgt sie offen, stellt sie bei dem Betroffenen keinen Eingriff dar, wenn sie, wie im Nachrichtendienstrecht vorgesehen, ohne Duldungs- oder Auskunftspflicht erfolgt. Da den Diensten polizeiliche Befugnisse verwehrt sind, dürfen sie den Betroffenen nicht anhalten, er muss dem Befragenden nicht einmal zuhören, sondern kann einfach weiter gehen. Auch ist bei der einfachen Informationserhebung nach den Generalklauseln im Nachrichtendienstrecht keine Auskunftspflicht eingefügt. Im Gegenteil: Beispielsweise § 8 Abs. 4 Satz 2 BVerfSchG verpflichtet den Dienst sogar dazu, den Betroffenen auf die Freiwilligkeit seiner Angaben hinzuweisen. Der Betroffene hat so weiterhin die − durch das informationelle Selbstbestimmungsrecht gewährte − Autonomie zu entscheiden, ob er persönliche Sachverhalte offenbart. Erfolgt die Informationserhebung hinsichtlich personenbezogener Daten bei Dritten, so liegt darin ein Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen. 537 Der Betroffene kann dann nicht mehr frei darüber entscheiden, wer was wann über ihn weiß. Erfolgt die Befragung verdeckt, gelten dieselben Regelungen wie bei einem verdeckten Ermittler. Durch die Identitätstäuschung erfolgt die etwaige Preisgabe personenbezogener Informationen regelmäßig ohne den Willen des Betroffenen. 538 (cc) Offene Datenquelle Die personenbezogene Datenerhebung aus einer sog. offenen Quelle stellt regelmäßig kein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. 539 Offene Quellen sind allgemein zugängliche Quellen. Hierin liegt nach obiger Definition deshalb kein Eingriff, weil der Grundrechtsträger darin so erscheint, wie er sich offenbaren möchte oder offenbart hat. Keine eingriffsfreie offene Quelle in diesem Sinne liegt natürlich dann vor, wenn sie selbst unter Verletzung des Persönlichkeitsrechtes zustande kam, insbesondere, wenn die Grenze zu einer Observation (etwa durch unzulässige Presseberichterstattung) überschritten wurde. Dann liegt in der Kenntnisnahme ein sich perpetuierender Eingriff vor, da die Dienste sich diese Persönlichkeitsrechtsverletzung zu eigen machen. Die Grenze des Eingriffs wird weiter dann überschritten, wenn durch die Verknüpfung vieler offener Quellen ein (partielles) Persönlichkeitsbild des Betroffe536 537 538 539
Vgl. Rachor, HbdPolR, F 244 Fußnote 375. Vgl. Gusy, Polizeirecht, Rn. 201; Rachor, HbdPolR, F 257. Vgl. zum Ganzen auch Hoppe, Vorfeldermittlungen, S. 54. Vgl. Di Fabio, Maunz / Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 176; Gusy, DVBl. 1991, S. 1288.
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nen erstellt werden kann. Insbesondere durch die Möglichkeiten elektronischer Datenverarbeitung wird diese Gefahr immer größer. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung flankiert und erweitert den grundrechtlichen Schutz von Verhaltensfreiheit und Privatheit, indem es ihn schon auf der Stufe der Persönlichkeitsgefährdung beginnen lässt. 540 Eine derartige Gefährdungslage kann bereits im Vorfeld konkreter Bedrohungen benennbarer Rechtsgüter entstehen, so insbesondere wenn personenbezogene Informationen in einer Art und Weise genutzt und verknüpft werden, die der Betroffene weder überschauen noch beherrschen kann. Vor allem mittels elektronischer Datenverarbeitung können aus solchen Informationen weitere Informationen erzeugt und so Schlüsse gezogen werden, die die grundrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen beeinträchtigen können. 541 Sollte der Nachrichtendienst demnach aus offenen elektronischen Quellen, etwa dem Internet, schöpfen, ist ein Eingriff deshalb bereits dann anzunehmen, wenn nach der Art der Information und der Verknüpfungseigenschaften mit anderen bereits gewonnen Informationen die Möglichkeit besteht, (partielle) Persönlichkeitsbilder oder auch nur ein detailliertes Bewegungsprofil zu erstellen. 542 Jedenfalls liegt ein Eingriff vor, wenn sich der Nachrichtendienst den neueren Onlineangeboten privater Unternehmen (etwa Spock.com, Wink.com und Zoominfo.com) bedient, die sich die Erstellungen von Persönlichkeitsprofilen mittels Durchsuchen des Internets und anschließendem Verknüpfen gewonnener Informationen zwecks Erstellung von Online-Personen-Dossiers zur Aufgabe gemacht haben. Die Unternehmen scannen soziale Netzwerke wie StudiVZ oder MySpace, sowie Blogs (etwa über politische Themen), Foren (etwa Selbsthilfeforen zu medizinischen Themen), Zeitungsartikel, Online-Enzyklopädien wie Wikipedia und Fotoportale. Die Daten, die sie dort über eine Person finden, stellen sie zu einem Profil zusammen. Aufgrund der geringen Speicherkosten werden komplette soziale Netzwerke und Datenspuren der Nutzer zur Suche nach Vergleichsmustern heruntergeladen. Der Nutzer hat jedoch entweder seiner Datennutzung nur durch das jeweilige Einzelangebot zugestimmt, nicht hingegen der Verknüpfung, oder nie, wenn die Veröffentlichung eines Fotos, Videos etc. durch Dritte erfolgt ist. Denn in den sozialen Netzwerken ist es grundsätzlich möglich, private Fotos hochzuladen, die darauf befindlichen Menschen (etwa auf einer Party oder schlimmstenfalls in kompromittierenden oder intimen Situationen) zu identifizieren und die Bilder automatisch deren Profil zuordnen zu lassen. So werden in den Onlineangeboten dieser Personensuchmaschinen alle Spuren gebündelt, die ein Mensch in seinem Leben im Internet hinterlas-
540 541 542
StRspr, vgl. aus neuerer Zeit: BVerfGE 120, 378 (397 f.). Vgl. BVerfGE 118, 168 (184 f.). Vgl. BVerfGE 120, 378 (407); ferner: BVerfGE 65, 1 (42).
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sen hat. 543 Es entsteht ein Persönlichkeits- und Sozialprofil, dessen Abruf durch die Nachrichtendienste ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung darstellt. c) Präventiver Schutz Macht ein Rechtsschutzsuchender einen rechtswidrigen Eingriff in subjektive Rechte, insbesondere in die Grundrechte geltend, werden die bereits dargestellten Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 GG ausgelöst. Eine Rechtsverletzung im Sinne dieser Rechtsschutzgarantie ist dann gegeben. Bisher zielen die Gewährleistungen im Kern jedoch auf nachträglichen, sog. repressiven Rechtsschutz zur Abwehr der Rechtsverletzung. Allerdings hat Art. 19 Abs. 4 GG im Verfassungsgefüge die Aufgabe, die Grundrechte effektiv zur Geltung zu bringen und die garantierten Freiheiten umfassend zu sichern. Bei nicht revidierbaren Eingriffen wird eine nachträgliche Durchsetzung dieser Aufgabe jedoch nicht gerecht. Zwar haben die Prozessordnungen der Bundesrepublik regelmäßig auch die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes vorgesehen, wenn ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung zu nicht revidierbaren Eingriffen führt. Was ist aber, wenn eine Maßnahme so angelegt ist, dass sie bereits beim Eingriff zu einer nicht revidierbaren Verletzung der grundrechtlich geschützten Freiheit führt und selbst ein vorläufiger (Eil-)Rechtsschutz zu spät kommt und nicht zur Grundrechtssicherung führen kann? Damit Art. 19 Abs. 4 GG dann seiner Funktion überhaupt noch gerecht werden kann, müsste er auch eine sog. vorbeugende, präventive Kontrolle vor dem eigentlichen Eingriff der genannten Art vorsehen. Die Kontrolle würde dann bereits im Stadium der Gefährdung des Rechts erfolgen. Gegen die Annahme einer Einschlägigkeit bei Rechtsgefährdungen könnte jedoch der Wortlaut von Art. 19 Abs. 4 GG sprechen, der die Grenze jeder Auslegung bildet. 544 Die Rechtsschutzgarantie verlangt nämlich die Behauptung einer Rechtsverletzung. Verletzen kommt vom mittelhochdeutschen „letzen“. Es bedeutet „schlaff machen“ 545 oder „schwächen“, „schädigen“ 546. Die Schlaffheit oder Schwäche eines Rechts ist jedoch grundsätzlich erst mit dem Eingriff gege543
Vgl. Köver, Chris, Die Zeit 34/2007, Internetversion ohne Seitenangabe; SZ / Wissen-Redaktion, Süddeutsche Zeitung (SZ Wissen) 19/2007, Internetversion ohne Seitenangabe. Siehe auch zur umfangreichen Sammlung und Vernetzung persönlicher Daten durch das Unternehmen Goggle Inc. aus seiner Suchmaschine „Google“, seinem Videoportal „YouTube“, seinem Website-Analyse-Service „Google-Analytics“, seinem Mailservice „Google-Mail“ und dem Patientendaten-Verarbeitungsprogramm „Goggle Health Beta“: Bonstein / Rosenbach / Schmundt, DER SPIEGEL 44/2008, S. 76 ff. 544 Vgl. Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 467. 545 Vgl. Brockhaus, Stichwort „Verletzung“. 546 Vgl. Grimmsches Wörterbuch, S. 779 f.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
ben, da es seine Gewährleistungen dann nicht aufrechterhalten kann. Das heißt aber auch, dass es erst dann geschädigt ist. Daher muss der Rechtsschutzsuchende auch das Vorliegen eines (erfolgten) rechtswidrigen Eingriffs behaupten. Ihm können vorher die Gewährleistungen noch nicht zugute kommen, da der Schutzbereich bei einer bloßen Rechtsgefährdung also noch nicht einschlägig ist. 547 Die Schwäche eines Rechts kann sich aber auch im Angesicht einer erheblichen Bedrohung zeigen, wenn eine Gegenwehr offensichtlich aussichtslos ist. Dann steht bereits ex ante die Schwäche des Rechts fest. Beispielsweise ist das Recht auf Leben der Menschen im Umkreis eines Kernreaktors angesichts einer Kernschmelze offensichtlich wertlos, auch wenn der Austritt von Radioaktivität erst bevorsteht und die Menschen noch leben. Da noch kein Eingriff in Leben und Gesundheit vorliegt, können die Bewohner in der Nähe eines Kernkraftwerkes noch nicht aufgrund einer subjektiven Abwehrfunktion des Rechts auf Leben verlangen, dass der Staat Vorkehrungen trifft, um eine Kernschmelze zu verhindern. Allerdings hat das Lebensrecht einen Wert für das Staatswesen als Ganzes, über das Abwehrinteresse des Einzelnen hinaus. Diese auch objektiv-rechtliche Funktion verpflichtet den Staat, sich schützend vor das Recht auf Leben zu stellen, wenn die Abwehr einer bereits eingetretenen Verletzung zu spät käme. Das Lebensrecht verpflichtet den Staat auf Schutz, sog. Schutzpflicht. Diese Pflicht setzt aber bereits auf der Ebene der Grundrechtsgefährdung an. 548 Der Schutzpflicht korrespondiert ein grundrechtliches Schutzrecht, das der Grundrechtsträger geltend machen kann. 549 Da neben dem Lebensrecht auch die übrigen Grundrechte objektiv-rechtliche Funktionen aufweisen, hat sich der Staat auch schützend vor sie zu stellen, wenn ein Grundrechtsschutz nach Eintritt der Schädigung zu spät käme und so nicht mehr effektiv wäre. Zur Feststellung, wann es eines Gefährdungsschutzes bedarf, beziehen Pieroth / Schlink die klassische subjektiv-rechtliche Abwehrfunktion der Grundrechte wieder mit ein und können so ermitteln, wann ein Schutz, der erst an der Verletzung ansetzt, ineffektiv wäre. Dieses ist danach der Fall, wenn die Grundrechtsverletzung, die sich aus der Grundrechtsgefährdung zu entwickeln droht, irreparabel, die Entwicklung, die aus der Grundrechtsgefährdung die Grundrechtsverletzung hervorzubringen droht, unbeherrschbar, oder das konflikt- und kollisionsreiche Zusammenspiel der Einzelnen, in dem 547
Im Ergebnis auch Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 91. Zwar kommt die Schutzpflicht häufig beim Schutz des Grundrechtsträgers vor Dritten zu tragen, natürlich wirkt sie aber auch gegen den Staat, vgl. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 178 f.; Jarass, HbdGR II, Rn. 22, 50. 549 Vgl. zuletzt BVerfG v. 12. 11. 2008 − 1 BvR 2456/06, Absatz-Nr. 23 ff., http://www .bverfg.de/entscheidungen/rk20081112_1bvr245606.html (abgerufen am 12. 12. 2008); allgemein: Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 19 Rn. 6; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 97. 548
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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Grundrechtsverletzungen passieren können, von den Betroffenen nicht autonom regulierbar wäre. 550 Auch die Rechtsschutzgarantie als Grundrecht muss staatlicherseits vor irreparablen Eingriffen geschützt werden. Sie ist, wie die genetische Interpretation gezeigt hat, gerade dazu berufen, die Menschen- und Freiheitsrechte insgesamt verfahrensrechtlich zu sichern. Dadurch hat sie Bedeutung über die Verletzung subjektiver Rechte des Einzelnen hinaus. Die Garantie muss ihrer Kontrollfunktion auch schon im Gefährdungsstadium nachkommen und insoweit Vorwirkung entfalten. Da Art. 19 Abs. 4 GG die wichtige objektive Funktion aber nicht um seinetwillen haben kann, sondern aufgrund seiner Aufgabe um der Menschenund Freiheitsrechte, ist auch klar, dass die Schutzpflicht nur ausgelöst wird, wenn ein entsprechend hohes Rechtsgut aufgrund der dargestellten Gefahren frühzeitig geschützt werden muss. Dann entfaltet Art. 19 Abs. 4 GG Vorwirkungen, die den verfahrensrechtlichen Schutz vor den besonderen Gefährdungen gewährleisten. 551 Nun könnte man argumentieren, dass die hier angenommene Schutzpflicht des Art. 19 Abs. 4 GG für die (materiellen) Freiheits- und Menschenrechte bereits die Hauptpflicht des Grundrechts als Verfahrensrecht ist und eine zusätzliche sekundäre Schutzpflicht für das Verfahrensrecht selbst nicht angenommen werden kann. Allerdings sind auch bei Verfahrensrechten objektiv-rechtliche Dimensionen anerkannt (sog. querliegende Grundrechtsfunktionen). 552 Zudem galt es, dem eindeutigen Wortlaut zu entsprechen, der Schutz zwar bei möglichen, aber erst vollendeten Rechtsverletzungen gibt. Letztlich kann wegen des besonderen Verhältnisses von Art. 19 Abs. 4 GG und den zu schützenden materiellen Grundrechten aber dahinstehen, ob diese Schutzpflicht über eine sekundäre objektiv-rechtliche Funktion oder über die Hauptfunktion des Art. 19 Abs. 4 GG begründet wird. Es ist nämlich durchaus möglich, als Hauptfunktion von Art. 19 Abs. 4 GG die Verpflichtung zu einer präventiven Kontrolle zu sehen, weil nur das dem effektiven Rechtsschutz des jeweils zu schützenden materiellen Grundrechts in der konkreten Situation entspricht. Art. 19 Abs. 4 GG gäbe dann Schutz durch Verfahren als Reflex auf die Bedrohung des materiellen Grundrechts. 550 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 98. Im vorliegenden Zusammenhang wird der Konzeption gefolgt, nach der Grundrechtsschutz durch Verfahren ein Teil der Schutzwirkung der Grundrechte ist, vgl. aber krit. dazu: Poscher, Grundrechte als Abwehrrechte, S. 67 f., 390 ff., der Verfahrensansprüche direkt aus der abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte ableitet. 551 Vgl. auch Gusy, JZ 1998, S. 167 (169); Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 467; Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 279. A. A., aber ohne Begründung, wohl Kniesel, Datenschutz für Sicherheitsbehörden, Rn. 845 f. 552 Vgl. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 238 f.; Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 19 Rn. 12.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Auch bezüglich des präventiven Verfahrens konkurriert Art. 19 Abs. 4 GG wieder mit den materiellen Grundrechten, da die eigene objektiv-rechtliche Schutzfunktion materieller Grundrechte häufig bereits im Ausbau von Verfahrenspositionen besteht. 553 D. h. auch aus einem materiellen Grundrecht könnten sich wiederum Verfahrensvorkehrungen ergeben, die ebenso Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisten würde. Wie beim systematischen Verhältnis von materiellen Grundrechten und Art. 19 Abs. 4 GG gezeigt, werden diese dann aber ausschließlich von Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet, da sie sich hier auf ein (wenn auch vorgelagertes) gerichtliches Rechtsschutzverfahren beziehen. Welche Gewährleistungen dann im Einzelnen angesprochen werden müssen, wird dann wieder von der Schutzbedürftigkeit des konkret bedrohten Rechts bestimmt. Ist das Recht schutzbedürftig und fordert einen Schutz vor Gefährdungen, gibt Art. 19 Abs. 4 GG bezüglich des Rechtsschutzes die Schutzmittel vor, 554 soweit nicht andere Verfahrensrechte berührt werden, die systematisch Art. 19 Abs. 4 GG vorgehen. Allerdings muss dem Gesetzgeber ein Spielraum belassen werden, wie er die Schutzpflicht umsetzt, da die vollen und zwingenden Gewährleistungen mangels Eingriffs noch nicht ausgelöst wurden. 555 Sie wirken nur vor. Als Mindeststandard ist jedoch eine unabhängige Kontrolle der Eingriffsvoraussetzungen zu fordern, da der Einfluss von Art. 19 Abs. 4 GG bei der Gestaltung der Schutzpflicht sonst gar nicht spürbar würde. 556 Da Rechtsweg im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG aber Gerichtsweg heißt, wird dieser Spielraum bei einem besonders tiefen Grundrechtseingriff jedoch in der Regel zu einem Richtervorbehalt reduziert. 557 Orientierungsrahmen sind dann auch die gefundenen Anforderungen der für den gerichtlichen Rechtsschutz geltenden Anforderungen. 558 Der Richtervorbehalt gilt daher bei tiefgreifenden heimlichen Maßnahmen oder anderen grundrechtsgefährdenden Maßnahmen, bei denen der Betroffene noch nicht einmal die Gefährdung erkennen kann und nachträglicher Rechtsschutz den Grundrechtseingriff nicht mehr kompensieren könnte. 559 Daneben 553 Vgl. BVerfGE 53, 30 ff.; Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 232; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 99. 554 Vgl. auch Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers, S. 281: „Soweit (...) vorbeugender Rechtsschutz bestehen muß, aktualisiert Art. 19 Abs. 4 den in den (...) materiellen Rechten latent angelegten Unterlassungsanspruch zum einklagbaren Recht“. 555 Die bestehenden einfach-gesetzlichen Richtervorbehalte entsprechen daher auch nicht einem qualitativ vollwertigen Rechtsschutzverfahren (dieses ist mangels Anhörung des Betroffenen auch nicht möglich, vgl. bezüglich strafprozessualer Richtervorbehalte, Hölscher, Mitteilungspflichten, S. 120 ff.). 556 Im Ergebnis ebenso Guttenberg, NJW 1993, S. 567 (575 f.). 557 Vgl. BVerfGE 120, 274 (331); BVerfG, Urteil 1 BvR 256/08 vom 2. 3. 2010, AbsatzNr. 248; abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20100302 _1bvr025608.html (abgerufen am 01. 06. 2010). 558 Vgl. Gusy, JZ 1998, S. 167 (171 ff.). 559 Vgl. Gusy, JZ 1998, S. 167 (171).
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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kommt als vorwirkende Gewährleistung von Art. 19 Abs. 4 GG die vorbeugende Unterlassungs- bzw. Feststellungsklage in Betracht, die der Betroffene selbst erhebt. 560 Da Nachrichtendienste aber regelmäßig auch heimlich Informationen beschaffen, wird der Vorbehalt grundsätzlich erforderlich. Ein Richtervorbehalt dient der vorbeugenden Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz. 561 Richter können aufgrund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer ausschließlichen Bindung an das Gesetz die Rechte des Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren. 562 Der Gesetzgeber darf nur eine andere Stelle mit der vorbeugenden Kontrolle betrauen, wenn sie die gleiche Gewähr für Unabhängigkeit und Neutralität bietet, wie ein Richter. 563 Die Übertragung auf Stellen, die ein Interesse an der Maßnahme haben können (etwa ein Behördenleitervorbehalt oder Zustimmungsvorbehalt der obersten Landesbehörde) genügt diesen Vorgaben nicht. 564 Grundrechtseingriffe in besonders wichtigen Bereichen menschlicher Freiheit werden daher auch von der Verfassung an verschiedenen Stellen explizit mit Richtervorbehalten gesichert, vgl. etwa Art. 13 Abs. 2 GG, Art. 104 Abs. 2 GG. Die besonderen Richtervorbehalte sind dann bereits normierte Reaktionen auf regelmäßig tiefe Eingriffe und somit nicht Ausnahmen, sondern Positivierungen eines bereits in Art. 19 Abs. 4 GG angelegten Rechtsgedankens. 565 Auf die Haupttätigkeit der Dienste, das Sammeln von Informationen, angewendet, fordert Art. 19 Abs. 4 GG folglich für beabsichtigte tiefe Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG 560 Vgl. Harries-Lehmann, Rechtsweggarantie, S. 123 f., 369; Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 460; Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 278. 561 Vgl. BVerfGE 96, 44, 51 ff.; 103, 142, 151 m.w. N. 562 Vgl. BVerfGE 103, 142 (151); 107, 299 (325); 120, 274 (332). 563 Vgl. BVerfGE 120, 274 (332). 564 Vgl. BVerfGE 120, 274 (335). Dagegen mit einer abwegigen Begründung Deutsch, Die heimliche Erhebung von Informationen, S. 275, der eine vorbeugende Kontrolle in der Behördenhierarchie für präventive Maßnahmen befürwortet, um ein effektives Einschreiten der Behörden nicht zu gefährden. 565 Dafür: Gusy, ZRP 2003, S. 275, der diesen aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 Abs. 4 GG, ableitet und auch entsprechende Ansätze in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sieht. Vgl. auch Kutscha, NVwZ 2003, S. 1296 (1298); Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers, S. 139 f.; ferner: SächsVerfGH, LKV 1996, S. 273 (287); Hilgruber, Maunz / Dürig, Art. 92 Rn. 34; Hölscher, Mitteilungspflichten, S. 19 ff.; Rachor, HbdPolR, K Rn. 39. A. A. Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 461, der Richtervorbehalte in den Verfahrenskomponenten spezifischer Grundrechte angesiedelt sieht; Lin, Richtervorbehalt, S. 247 f., die aber das Konzept der Schutzwirkung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht erwägt und für einen verfassungsrechtlichen Richtervorbehalt sui generis plädiert.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
einen Richtervorbehalt, auch wenn dieser nicht normiert ist. Ein tiefer Eingriff in das Recht wäre u. a. die Sammlung von Informationen aus der Intimsphäre des Betroffenen. 566 Zur Intimsphäre gehört beispielsweise das Sexualleben des Betroffenen. 567 Grundsätzlich müssen Eingriffen in diese besonderen Zonen der Privatheit unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung gestellt werden. 568 Seit jüngster Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Eingriff in ein privates informationstechnisches System auch stets als tiefer Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu Werten, der einen Richtervorbehalt auslöst. 569 Ebenso wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat das Gericht das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme abgeleitet, das immer dann greift, wenn ein privates informationstechnisches System vorliegt, dessen Schutz nicht durch Art. 10, 13 GG oder dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet ist. 570 2. Beeinträchtigungen a) Ausgestaltungsbedürftigkeit Art. 19 Abs. 4 GG erfüllt die Grundrechtsfunktion eines Leistungsrechts. Ein solches Recht wird im Gegensatz zu einem Abwehrrecht grundsätzlich nicht durch (aktives) Tun beeinträchtigt, denn zu einem Tun verpflichtet es den Staat gerade, sondern durch das Unterlassen der pflichtgemäßen Handlung. 571 Art. 19 Abs. 4 GG ist als Grundrecht mit normgeprägtem Schutzbereich ausgestaltungsbedürftig. Die Pflicht des Gesetzgebers ist es daher, durch einfach-gesetzliche Ausgestaltung 572 die im Grundrecht verbürgten Garantien tatsächlich zu entfalten. 573 Die Ausgestaltung muss sich dabei als Akt der Erfüllung eines in dem betreffenden Grundrecht enthaltenen Ausgestaltungsauftrags darstellen. 574 Der Gesetzgeber darf dabei zwar die gegenläufigen Interessen in Einklang bringen, die sich aus den Funktionsbedingungen von Rechtsschutzsystem und -in566
Zur Sphärentheorie vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 376. Vgl. BVerfGE 109, 279, 313 zum Menschenwürdekern in Art. 13 GG. 568 Vgl. BVerfGE 120, 274 (331). 569 Vgl. BVerfGE 120, 274 (332). 570 Zur Eingrenzung des Schutzbereichs dieses Grundrechts vgl. BVerfGE 120, 274 (302 ff.). 571 Vgl. Jarass, Pieroth / Schlink, Vorb. Art. 1 Rn. 31; Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, S. 259, 263. 572 Die allgemeinen dogmatischen Probleme der Figur der Ausgestaltung können in dieser Arbeit nicht behandelt werden, vgl. dazu Aubel, Mutterschutz, S. 159 ff. 573 Vgl. BVerfGE 74, 297 (334); Epping, Grundrechte, Rn. 416; Jarass, HbdGR II, § 38 Rn. 174. 574 Vgl. Jarass, Jarass / Pieroth, Vorb. Art. 1 Rn. 35. 567
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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stitutionen ergeben. 575 Er darf dabei aber nicht sonstige öffentliche Interessen verfolgen. 576 Daher muss die Ausgestaltung insgesamt von den Garantien des jeweiligen Grundrechts her geboten sein. 577 Die Garantien des Art. 19 Abs. 4 GG sind der effektive Zugang zum Rechtsweg und der effektive Rechtsschutz auf diesem Rechtsweg. Der Gesetzgeber muss folglich Gerichte und Gerichtsverfassungen sowie prozessuale Instrumente bereitstellen, denn der Grundrechtsberechtigte kann ansonsten nicht von den Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 GG Gebrauch machen. 578 Dabei ist die Garantie der Effektivität von Rechtswegzugang und Rechtsschutz Leitlinie der Ausgestaltung. Einfach-gesetzliche Ausgestaltung von Art. 19 Abs. 4 GG ist demnach regelmäßig keine Beeinträchtigung, sondern eine einfach-gesetzliche Konkretisierung der Gewährleistungen. 579 Der Staat eröffnet in der Weise Verhaltensmöglichkeiten des Grundrechtsträgers und schränkt nicht Verhalten ein, das durch das Grundrecht gewährt wäre. Der Staat verkürzt den Schutzbereich also nicht, wie es beim abwehrrechtlichen Eingriff der Fall ist. Der Schutzbereich bleibt vielmehr grundsätzlich bei der Ausgestaltung intakt. 580 Es stellt sich nun die Frage, ob die Ausgestaltung unbegrenzt möglich ist. Nähme man keine Grenzen an, wäre das Grundrecht zur Disposition des einfachgesetzlichen Gesetzgebers gestellt und er könnte den Schutz des Grundrechts beliebig verkürzen. Das kann aber bereits aus normenhierarchischen Gründen nicht richtig sein. Es müssen daher Grenzen der Ausgestaltung vorhanden sein, jenseits derer der Gesetzgeber den Schutzbereich nicht mehr ausgestaltet, sondern beeinträchtigt. Es ist dann zu fragen, ob eine solche Regelung ausnahmsweise verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. b) Ausgestaltungsgrenzen Zur Beantwortung der Frage nach der Bestimmung der Ausgestaltungsgrenzen kann auf die Dogmatik zurückgegriffen werden, die für die sog. Einrichtungsgarantien entwickelt wurde. Einrichtungsgarantien lassen sich „als von der 575
Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 895; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1023. Vgl. Jarass, Jarass / Pieroth, Vorb. Art. 1 Rn. 35. 577 Vgl. Epping, Grundrechte Rn. 895. Auf die Frage, ob die Ausgestaltung auch verhältnismäßig sein muss, kommt es hier nicht an, siehe dazu anschließend unter c), Fußnote 591. 578 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1023. 579 Vgl. BVerfGE 90, 60 (94); 97, 228 (267); Jarass, HbdGR II, § 38 Rn. 57; SchulzeFielitz, Dreier, Art. 19 IV Rn. 79. 580 Vgl. Jarass, Jarass / Pieroth, Vorb. Art. 1 Rn. 34; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 209. 576
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Verfassung in gesteigertem Maße abgesicherte juristisch-tatsächliche Gebilde bezeichnen, die als Eigenwerte auch künftig fortbestehen sollen und sowohl von rechtlichen als auch gesellschaftlichen Einflüssen durchdrungen sind“ 581. Dazu gehören institutionelle Garantien wie die Schulaufsicht nach Art. 7 Abs. 1 GG und Institutsgarantien wie die Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG. Zwar ist umstritten, ob Art. 19 Abs. 4 GG ebenso eine institutionelle Garantie und damit Einrichtungsgarantie darstellt, 582 allerdings weisen Art. 19 Abs. 4 GG und die unbestrittenen Einrichtungsgarantien jedenfalls die Gemeinsamkeit auf, dass sie als Verfassungsnorm einfach-gesetzlich ausgestaltungsbedürftig sind. 583 In der Literatur wird vorgeschlagen, die qualitativen Wesensmerkmale, die struktur- und typusbildenden Kerneigenschaften, der jeweiligen Einrichtung als Kriterium für die gesuchte Grenze heranzuziehen, wobei der Ausgangspunkt die historische Gestalt der Einrichtung ist. Der Vergangenheitsbezug sei den Einrichtungsgarantien wegen ihrer bewahrenden Funktion grundsätzlich immanent. 584 Da die Geschichte die natürliche Geselligkeit des Menschen rechtlich verfasst habe, stelle eine Regelung, die mit der Tradition bricht, grundsätzlich keine Ausgestaltung des Schutzbereichs mehr dar sondern ist Beeinträchtigung. 585 Jedenfalls für Art. 19 Abs. 4 GG überzeugt dieses Kriterium, da der Parlamentarische Rat mit „Rechtsweg“ den rechtsstaatlich tradierten Prozess vor den ordentlichen und Verwaltungsgerichten meinte. Er gestaltete den von Art. 19 Abs. 4 GG eröffneten Rechtsweg entsprechend rechtsstaatlicher Traditionen aus und schaffte dafür ein System von Justizgewährleistungen. Die Rechtsschutzgarantie wurde schließlich darin eingebettet und sollte zusätzlich die bis dahin bestehenden Schwächen des Rechtsstaats gegenüber exekutivischen Machtmissbrauch kompensieren. Die rechtsstaatliche Tradition ergänzt um Schutzvorkehrungen gegen die Machtmittel nationalsozialistischer Herrschaft lag der Vorstellung des Verfassungsgebers somit zugrunde und bildet den bereits ermittelten Gehalt von Art. 19 Abs. 4 GG. Zwar wird für die traditionellen Einrichtungsgarantien, beispielsweise die Ehe, vertreten, die geschichtliche Wesensbestimmung könnte sich infolge gesellschaftlicher Wandlungen ändern und sei daher nicht allein maßgebend. 586 581
Vgl. Kloepfer, HbdGR II, S. 933. Dafür: Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 14; Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 19 IV Rn. 42. Dagegen: Kloepfer, HbdGR II, S. 954. 583 Vgl. zu den Einrichtungsgarantien allgemein: Kloepfer, HbdGR II, S. 934 ff.; zur Ausgestaltungsbedürftigkeit von Art. 19 Abs. 4 GG, vgl. BVerfGE 100, 313 (361, 364); 109, 279 (363 f.); 118, 168 (207). 584 Vgl. Kloepfer, HbdGR II, S. 935. 585 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 213 mit Verweis auf Kloepfer, HbdGR II, S. 935. 586 Vgl. Kloepfer, HbdGR II, S. 935. 582
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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Für Art. 19 Abs. 4 GG kann dieses hinsichtlich seiner Kernanforderungen aber nicht gelten: Hier wurden die Mindestanforderungen an den Rechtsweg im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG bereits verfassungsunmittelbar als Konkretisierungen des Rechtsstaatsprinzips ermittelt. Die Effektivität der Rechtsweggarantie und der Rechtsschutzgarantie mit seinen systematisch ermittelten Einzelableitungen (insb. eine lückenlose und tatsächlich wirksame Kontrolle) sind bereits in der Verfassung verbürgt; sie greifen im Falle einer unzureichenden Ausgestaltung sogar verfassungsunmittelbar anspruchsbegründend ein. 587 Art. 19 Abs. 4 GG hat insoweit also schon einen durch die Verfassung stark konkretisierten Schutzbereich, der nach seiner Konzeption gerade vor demokratie- und rechtsstaatgefährdenden gesellschaftlichen Entwicklungen Bestand haben sollte. Ein gesellschaftlicher Wandel, der eine andere Auffassung von Rechtsschutz entwickelte, darf sich hinter jenen Mindeststandard nicht zurückentwickeln. Die Grenzen der Ausgestaltung ergeben sich demnach aus dem verfassungsrechtlichen Mindeststandard hinsichtlich der Effektivität des Rechtswegs und des Rechtsschutzes. Bei der einfach-gesetzlichen Konkretisierung hat der Gesetzgeber zwar einen gewissen Ausgestaltungsspielraum, so dass nicht in jeder Regelung, die nicht die Rechtsschutzeffektivität maximiert, eine Beeinträchtigung liegt. 588 Sind aber gesetzliche Erschwerungen des Zugangs zu Gericht oder der Rechtsdurchsetzung zur Entfaltung der Effektivität des Rechtsschutzes und Rechtswegs nicht geboten oder werden gar die Mindestanforderungen der Garantien nicht erfüllt, wird der geforderte verfassungsrechtliche Mindeststandard als Ausgestaltungsgrenze unterschritten, und es liegt eine rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung vor. 589 Wegen des leistungsrechtlichen Charakters des Grundrechts gilt dieses selbstverständlich auch, wenn der Gesetzgeber eine Ausgestaltung völlig unterlässt. 590 c) Regelungen des nachrichtendienstrechtlichen Rechtsschutzsystems Im nachrichtendienstlichen Bereich liegt durch die hier relevanten Regelungen des einfach-rechtlichen Rechtsschutzsystems stets eine Beeinträchtigung des Art. 19 Abs. 4 GG vor, da die Regelungen den gebotenen Mindeststandard des 587
Vgl. Kloepfer, HbdGR II, S. 954 f. Vgl. Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 152. 589 Vgl. Epping, Grundrechte, Rn. 895; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1023, 1025; ebenso Hufen, Staatsrecht II, § 44 Rn. 7, der bei wesentlichen Einschränkungen der Rechtsschutzgarantie eine Beeinträchtigung bejaht. 590 Vgl. Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 94 f.; Kloepfer, HbdGR II, § 43 Rn. 83 zur Gewährleistung einer umfassenden Prüfung der Sach- und Rechtslage. Das Unterschreiten unter den verfassungsrechtlichen Mindeststandard wird auch als qualifiziertes Unterlassen bezeichnet, vgl. Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, S. 259. 588
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Rechtsschutzes deutlich unterschreiten bzw. es der Gesetzgeber unterlässt, überhaupt verfassungsrechtlich erforderliche Regelungen zu schaffen. 591 Zudem hat die Vorstellung des Rechtsschutzsystems gezeigt, dass er stets die Einschränkungen von Rechtswegzugang und Rechtsschutz mit öffentlichen Interessen rechtfertigt, die sich nicht aus den Funktionsbedingungen von Rechtsweg und Rechtsschutz ergeben, sondern außerhalb von Art. 19 Abs. 4 GG, etwa in der öffentlichen Sicherheit wurzeln. Es wurde beispielsweise bereits herausgearbeitet, dass Art. 19 Abs. 4 GG die Kenntnisnahme heimlicher Maßnahmen gewährt. Teilweise schafft das Nachrichtendienstrecht aber zugunsten etwa der öffentlichen Sicherheit nur eingeschränkte Kenntnisgewähransprüche, teilweise werden durch den Gesetzgeber gar keine geschaffen. Darin liegt eine rechtfertigungsbedürftige Beeinträchtigung. 592 Auch enthält das Grundrecht die Forderung, einen effektiven Rechtswegzugang zu schaffen. Im Nachrichtendienstrecht wird aber sogar der Zugang zum Rechtsweg teilweise suspendiert. Weiter garantiert die Rechtsschutzgarantie eine umfassende Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das Gericht. Zwar wird dem Gesetzgeber beispielsweise ein großer Spielraum dahin gehend eingeräumt, wie er das gerichtliche Verfahren hinsichtlich des Verfassungsgebots einer umfassenden Aufklärung der Sach- und Rechtslage gestaltet. Wenn er dem Gericht in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO aber nicht ermöglicht, zur Aufklärung zwingend erforderliche Beweismittel zu erhalten, gestaltet er nicht aus, sondern bleibt eindeutig unter dem Verfassungsgebot und beeinträchtigt. Eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts ist dann nicht möglich, insbesondere nicht, wenn andere Beweismittel nicht vorhanden sind (denn nur dann ist das Beweismittel erforderlich). 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Im Folgenden soll nun die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der Rechtsschutzgarantie durch das nachrichtendienstrechtliche Rechtsschutzsystem untersucht werden. Zunächst sind dafür verfassungsrechtliche Schranken aufzusuchen. Grundrechtsschranken ergeben sich in erster Linie aus einem dem Grundrecht explizit angefügten Gesetzesvorbehalt. Grundsätzlich ist daneben aber auch eine Beschränkung durch kollidierendes Verfassungsrecht möglich, sog. verfassungsimmanente oder -unmittelbare Schranke. 593 591 Daher kommt es auf die Frage nicht mehr an, ob der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung im Rahmen seines Ausgestaltungsspielraums auch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden ist, vgl. dazu Epping, Grundrechte, Rn. 416. Speziell für Art. 19 Abs. 4 GG bejaht dies Schenke, BK, Art. 19 Abs. 4 Rn. 152. 592 So auch BVerfGE 100, 313 (367); Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 375.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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Art. 19 Abs. 4 GG enthält allerdings keinen geschriebenen Gesetzesvorbehalt und kann daher grundsätzlich nicht durch einfaches Gesetz beschränkt werden. Die vereinzelt angedachte Übertragung der Schranken aus Art. 2 Abs. 1 GG oder anderen Grundrechten auf vorbehaltlose Grundrechte ist systematisch nicht zulässig. 594 Es bleibt daher nur, die Beschränkungsmöglichkeit durch kollidierendes Verfassungsrecht zu betrachten. Diese Grenzen der Grundrechte knüpfen an den bekannten systematischen Erwägungen an: So wie die Verfassungsnormen widerspruchs- und spannungsfrei ausgelegt werden müssen, soll auch ihr Gebrauch im Zusammenspiel mit anderen Verfassungsnormen möglichst konfliktfrei bzw. kollisionsfrei erfolgen. 595 Das systematische Argument (in diesem Zusammenhang auch schlagwortartig als Einheit der Verfassung bezeichnet) begründet aber nur die Pflicht zur Auflösung verfassungsrechtlicher Spannungsverhältnisse vor. Insbesondere wird nicht die Art und Weise der Spannungsauflösung, also nach welchem Ausgleichs- und Vorrangprinzip sie erfolgen muss, vorgegeben. 596 Dafür wurde die sog. praktischen Konkordanz entwickelt, d. h. die entgegenstehenden Verfassungsgüter müssen im Wege der Abwägung zu einem schonenden und angemessenen Ausgleich gebracht werden, in der eine Rechtsposition auch nicht bevorzugt und maximal behauptet wird. 597 Die Abwägung stellt im Ergebnis eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne dar. 598 Eine Anwendung der verfassungsimmanenten Schranken birgt aber stets die Gefahr in sich, die einzuschränkenden Grundrechte zu stark zu relativieren 599 und diese Gefahr wird durch die dargestellte Methode der praktischen Konkordanz sogar erhöht: Zunächst besteht bei Verfassungsgütern stets das Problem unklarer Begrenzungen des Lebens- und Sachbereichs und des Gewährleistungsgehalts. Wird beispielsweise das Demokratieprinzip als kollidierendes Verfassungsgut herangezogen, ist im Kollisionsfalle mangels konkreter Einzeldeduktionen die 593 Vgl. nur Jarass, AöR 120 (1995), S. 345 (370); ders.:, Jarass / Pieroth, Vorb. Art. 1 Rn. 37 ff. 594 Vgl. Bamberger, Verfassungswerte als Schranken, S. 103 f.; Berg, Konkurrenzen, S. 87; Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 28 f.; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 315 ff. mit Verweis auf BVerfGE 30, 173 (192) und 32, 98 (107). 595 Vgl. Kokott, HbdGR I, § 22 Rn. 47; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 314, 326; Stern, Staatsrecht III/2, S. 603 f. 596 Vgl. Sondervotum der Richter Mahrenholz und Böckenförde, BVerfGE 69, 1 (57 ff., 62 f.); auch Pieroth, AöR 114 (1989), S. 422 (437 f.). 597 Vgl. BVerfGE 93, 1 (21); 97, 169 (176); Kokett, HbdGR I, § 22 Rn. 47; Stern, Die Grundrechte und ihre Schranken, S. 1 (15). 598 Vgl. Stern, Die Grundrechte und ihre Schranken, S. 1 (17); ders., Staatsrecht III/2, S. 625 f.; auch Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 374; allgemein zum Inhalt der Verhältnismäßigkeit ieS: Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 289 ff. 599 So auch Böckenförde, Der Staat 2003, S. 165 (190).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Begrenzung des Prinzips kaum auszumachen. Diese unklare Begrenzung wird weiter durch den Abwägungsvorgang erhöht, der schon seiner Natur nach keine konkreten Abwägungslinien aufweist. 600 Im Ergebnis könnte man durch weite Auslegung des kollidierenden Verfassungsgutes und durch möglichst unkonkrete Abwägungslinien zu nahezu beliebigen Ergebnissen kommen oder jedenfalls die Möglichkeit eröffnen, ein vorbehaltloses Grundrecht gleichsam unter einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt zu stellen. 601 Gerade dieses war vom Verfassungsgeber aber nicht gewollt. 602 Er hat bei den vorbehaltlosen Grundrechten eine Kollisionsgefahr mit anderen Verfassungsgütern im alltäglichen Verfassungsleben nicht gesehen und daher prinzipiell eine Eingriffsnotwendigkeit durch den Gesetzgeber verneint. 603 Die Grundrechte sollten vielmehr unbeschränkt zur Wirksamkeit kommen und nur in Ausnahmefällen eingeschränkt werden. 604 Im Ergebnis darf die Annahme einer verfassungsimmanenten Schranke also nicht dazu führen, dass das System der geschriebenen Gesetzesvorbehalte unterlaufen wird bzw. ein Grundrecht vorschnell zu Gunsten eines anderen Verfassungsgutes relativiert wird. Es ist daher in jedem Schritt dieser Kollisionslösung Vorsicht und Zurückhaltung geboten. 605 Das gilt insbesondere bei der Wahl der Verfassungsgüter, die als taugliche verfassungsimmanente Schranken angesehen werden. Dabei ist zwischen Grundrechten, sog. echte Grundrechtskollision, und anderen Verfassungsgüter, sog. unechte Grundrechtskollision, zu unterscheiden. 606 Bei der echten Grundrechtskollision stößt ein Grundrechtberechtigter bei der Wahrnehmung eines Grundrechts auf die Grundrechtsposition eines anderen Berechtigten. Dadurch beansprucht das eine Grundrecht Geltung auf Kosten des anderen Grundrechts. 607 Durch das Instrument der verfassungsimmanenten Schranke wird das kollidierende Grundrecht zu einer Schranke des durchzusetzenden Grundrechts. Grundrechte als Schranken für vorbehaltlose Grundrechte sind im Grundsatz anerkannt. 608 Aber auch hier gilt der oben gemachte Vorbe600 Vgl. Stern, Staatsrecht III/2, S. 629. Siehe auch allgemein zu Abwägungsentscheidungen auf Rechtfertigungsebene: Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 445 (456, 461) und Volkmann, JZ 2005, S. 261 (270), die insbesondere auf die Gefahr der subjektiven Wertungen des Rechtsanwenders hinweisen. 601 Im Ergebnis auch das Sondervotum der Richter Mahrenholz und Böckenförde: BVerfGE 69, 1 (57 ff.); Böckenförde, Der Staat 2003, S. 165 (190); Kokott, HbdGR I, § 22 Rn. 47; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 328. 602 Vgl. v. Brentano, Schriftlicher Bericht, S. 74 f.; v. Mangoldt, Schriftlicher Bericht zum Grundgesetz, S. 5 f. 603 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 331 f. 604 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 334. 605 Vgl. Jarass, Jarass / Pieroth, Vorb. Art. 1 Rn. 45 f. 606 Terminologie nach Stern, Staatsrecht III/2, S. 629 und 657. 607 Vgl. Stern, Staatsrecht III/2, S. 629.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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halt nach einer vorsichtigen und zurückhaltenden Anwendung des Instruments. Es gilt insbesondere den Schutzbereich des kollidierenden Grundrechts genau zu bestimmen und nicht beliebig weit zu ziehen. Im Ergebnis ist auf den Gewährleistungsgehalt und nicht auf den weit auslegbaren Lebens- und Sachbereich zu rekurrieren. 609 Beides, die zurückhaltende Auslegung des kollidierenden Grundrechts und die vorsichtige Abwägung, muss sich aber jedenfalls ergänzen, um den besonderen Schutz vorbehaltloser Grundrechte nicht durch einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt wirkungslos zu machen. 610 Problematischer ist die Einschränkung vorbehaltloser Grundrechte durch unechte Kollision, bei der ein Grundrecht einer anderen, nicht-grundrechtlichen Verfassungsnorm gegenübersteht. 611 Zu diesen Verfassungsnormen werden beispielsweise die Sicherung der Existenz und der Funktionsfähigkeit des Staates (u. a. inklusive Landesverteidigung, Schutz der Verfassung, finanzielle Sicherheit des Staates), explizit oder implizit in der Verfassung genannte Gemeinwohlbelange (u. a. Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege, Volksgesundheit) und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gezählt. 612 Die Aufzählung zeigt bereits, dass im Falle der unechten Kollisionen das System der geschriebenen Gesetzesvorbehalte noch stärker als bei den echten Kollisionen gefährdet wird. Insbesondere durch die konturarmen implizit genannten Gemeinwohlbelange kann nahezu jede beliebige Schranke gefunden werden. 613 Dieses wird noch deutlicher, wenn man die Kompetenz-, Organisations- und Verfahrensvorschriften des Grundgesetzes betrachtet und darin kollisionsfähige Gemeinwohlbelange erblicken sollte. 614 Der rechtsstaatlich unzulässige Schluss von der Aufgabe auf die Befugnisse scheint dann in greifbarere Nähe. 615 Die 608 Vgl. stRspr. BVerfG seit E 2, 1 (72 f.); Bamberger, Verfassungswerte als Schranken, S. 147; Böckenförde, Der Staat 42 (2003), S. 165 (190); Jarass, Jarass / Pieroth, Vorb. Art. 1 Rn. 45; Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, S. 265; Starck, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 1 Rn. 320; Stern, Staatsrecht III/2, S. 629 ff. 609 Vgl. Böckenförde, Der Staat 42 (2003), S. 165 (190). Implizit: Stern, Die Grundrechte und ihre Schranken, S. 1 (17); Volkmann, JZ 2005, S. 261 (270). Enger: Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 334, die nur die Menschenwürdegehalte der Grundrechte für kollisionsfähig halten. 610 Ähnlich: Volkmann, JZ 2005, S. 261 (270). 611 Vgl. Stern, Staatsrecht III/2, S. 657. 612 Vgl. die Aufzählung bei Stern, Die Grundrechte und ihre Schranken, S. 1 (15 f.) mit umfangreichen Nachweisen aus der Literatur und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 613 So auch Stern, Staatsrecht III/2, S. 681 f. 614 Vgl. nur das vielbeachtete Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetz, in dem die Senatsmehrheit in den Vorschriften der Art. 12 a, 73 Nr. 1, 87a und 115b GG eine „verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine wirksame militärische Landesverteidigung“ erblickt, die zum Verfassungsrang der Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr führe, BVerfGE 69, 1 (21 f.). Dage-
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
letztgenannten Vorschriften weisen aber gerade keine materiell-rechtlichen Handlungsaufträge, -gebote oder sonstige Wertentscheidungen von Verfassungsrang auf, sondern legen normativ nur Zuständigkeiten staatlichen Handelns fest. Auch kann ihnen kein Doppelcharakter im Sinne einer normativen Wertentscheidung oder materiell-rechtlichen Wirkung zugunsten des festgelegten Handlungsbereiches entnommen werden. Dem Handlungsbereich wird vielmehr gerade und nur dadurch entsprochen, dass der Staat für diesen neue Zuständigkeiten besitzt. Das heißt aber nicht, dass darüber hinaus ein neues Verfassungsgut geschaffen wurde, weil dann der Verfassungsgeber methodisch ein anderes Instrument gewählt hätte, etwa die Schaffung eines Staatsstrukturprinzips oder einer neuen Grundrechtsschranke (vgl. etwa die Schaffung des Art. 20a GG oder Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG). 616 Bei Kompetenznormen als verfassungsimmanente Schranken ergäbe sich zudem das merkwürdige Ergebnis, dass eine Grundrechtseinschränkung nur soweit möglich ist, als der Bund und nicht die Länder kompetent sind. 617 Um die ausufernde Anwendung der unechten Grundrechtskollision zu begrenzen und dadurch den vorbehaltlosen Grundrechten ihrer historischen Konzeption nach zu einer möglichst unbeschränkten Wirkung zu verhelfen, gleichzeitig aber die Spannungen zwischen den Verfassungsgütern zu lösen, muss besonders restriktiv und nur im Ausnahmefall von dem Instrument der verfassungsimmanenten Schranken mittels nicht-grundrechtliche Verfassungsnormen Gebrauch gemacht werden: Zunächst kann nicht jede Andeutung in einer Kompetenz-, Organisations- oder Verfahrensnorm zur Grundrechtsbeschränkung genutzt werden. Die Verfassung will dem Staat lediglich für ein bestimmtes Rechtsinstitut eine neue Zuständigkeit geben. Dieses Rechtsinstitut ist zunächst zu ermitteln, wobei der historisch-genetischen Auslegung die entscheidende Rolle zur Bestimmung des Rechtsinstituts zukommt. 618 Damit fallen ungeschriebene Kollisionsgüter, die auch schon aus rechtsstaatlichen Erfordernissen nicht in Betracht kommen, 619 und alle impliziten Gemeinschaftswerte aus dem Kanon der zulässigen Kollisionsgüter heraus. 620 Um den Wert der vorbehaltlosen Grundrechte widerzuspiegeln, muss ihnen zudem elementare Bedeutung für das Verfassungsgen mit gewichtigen und überzeugenden Gründen: Sondervotum der Richter Mahrenholz und Böckenförde ab S. 57 des Urteils. 615 Ähnlich: Pieroth, AöR 114 (1989), S. 422 (445 f.). 616 Vgl. zum Ganzen: Sondervotum der Richter Mahrenholz und Böckenförde, BVerfGE 69, 1 (57 ff., insb. 60 ff.). 617 Vgl. Jarass, Jarass / Pieroth, Vorb. Art. 1 Rn. 46. 618 Vgl. Pieroth, AöR 114 (1989), S. 422 (447 f.) mit Verweise auf die entsprechende verfassungsgerichtliche Rechtsprechung. 619 Vgl. Sachs, Sachs, Vor Art. 1 Rn. 119. Im Ergebnis auch Kokott, HbdGR I, § 22 Rn. 96. 620 Vgl. Bamberger, Verfassungswerte als Schranken, S. 102 ff.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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gefüge zugemessen werden, die der freiheitssichernden Bedeutung der Grundrechte nahe kommt. 621 Da den Rechtsinstituten aber selbst unter dieser Prämisse kein normativer Verwirklichungsauftrag zukommt, sondern von Verfassungs wegen nur eine Zuständigkeit begründet wird, muss dem Rechtsinstitut allenfalls dann zur Wirkung im Sinne praktischer Konkordanz verholfen werden, wenn ohne Grundrechtsbeeinträchtigung die Zuständigkeit überhaupt nicht ausgeübt werden kann, die zugrunde liegende Verfassungsnorm also keine Anwendung fände. 622 Mit anderen Worten müssen die Einschränkungen mit dem Rechtsinstitut zwangsnotwenig verbunden sein. 623 In der praktischen Anwendung trägt dafür der eingreifende Staat die Beweislast. 624 Bei beiden Kollisionsmodellen muss eine durch systematische Auslegung mit anderen Verfassungsgütern erzeugte Beschränkung jedenfalls vom Gesetzgeber ausgefüllt werden, da ein vorbehaltloses Grundrecht, in das nach seinem Konzept grundsätzlich nicht eingegriffen werden sollte, nicht einfacher beschränkt werden darf, als ein Grundrecht mit Gesetzesvorbehalt, das regelmäßig zur Lösung von Kollisionsfällen durch Gesetz beschränkt werden kann. 625 a) Kollidierende Verfassungsgüter in nachrichtendienstrechtlichen Fällen Die entwickelten Grundsätze werden nun auf im nachrichtendienstlichen Bereich die relevanten Kollisionsgüter angewandt. Dazu soll die Prüfung nach den typischen, den Rechtsschutz einschränkenden Tatbeständen im Nachrichtendienstrecht gegliedert werden. Bei der Vorstellung des einfachrechtlichen Rechtsschutzsystems wurde dazu deutlich, dass bestimmte Versagungstatbestände auf Bundes- wie auch auf Länderebene durchgehend verwendet werden, die sich auch in anderen Gesetzen, insbesondere dem BDSG finden. So spricht das Norm621
Vgl. Böckenförde, Der Staat 2003, S. 165 (190), der von elementaren Nichtstörungsschranken der funktionsfähigen Rechtsordnung spricht. Stern, Staatsrecht III/2, S. 686 f., der von Rechtsgütern oder Rechtsinstitutionen von existentieller Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Verfassungslebens spricht. Enger: Pieroth / Schlink, Grundrechte Rn. 334, die bei unechten Kollisionslagen nur eine Beschränkung zugunsten von den Grundsätzen des Art. 20 GG zulassen. 622 Vgl. Kokott, HbdGR I, § 22 Rn. 53. 623 Vgl. die Rechtsprechung nach dem Sondervotum der Richter Mahrenholz und Böckenförde in BVerfGE 69, 1 (57 ff.): BVerfGE 77, 240 (255); 81, 278 (293); Jarass, Jarass / Pieroth, Vorb. Art. 1 Rn. 46; Sachs, Sachs, Vor Art. 1 Rn. 122. Speziell zu den Gütern im nachrichtendienstlichen Bereich, vgl. Lodde, Informationsrechte, S. 160. 624 Vgl. Kokott, HbdGR I, § 22 Rn. 53; Stern, Staatsrecht III/2, S. 687 f. 625 Vgl. Pieroth, AöR 114 (1989), S. 422 (443) m.w. N.; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 333. Insoweit irrig Scheffczyk / Wolff, NVwZ 2008, S. 1316, die (wohl aus rechtspolitischen Gründen) meinen, die Behörde bräuchte für die Berufung auf überwiegende öffentliche Belange nicht immer eine gesetzlichen Grundlage.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
vorbild einfach-gesetzlicher Auskunftsansprüche, § 19 Abs. 4 BDSG, davon, dass eine Auskunft verweigert werden kann, soweit die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der entsprechenden Stelle, oder die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet würden oder sonst dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde, oder die Daten nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen berechtigten Interessen eines Dritten geheimgehalten werden müssen. Auch § 15 BVerfSchG verwendet diese Tatbestände und ergänzt noch die Quellengefährdung und die Ausforschungsgefahr. Bereits oben wurde aber gezeigt, dass dieser Tatbestand nur Spezialfälle der genannten Tatbestände des § 19 BDSG abdeckt. Zusammenfassend weisen alle rechtsschutzerheblichen Vorschriften die genannten Tatbestände auf, modifizieren sie unerheblich oder ordnen lediglich eine allgemeine Abwägung zwischen Rechtsschutzinteresse und Interesse der Allgemeinheit oder betroffener Dritter an. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass sich die öffentlichen Interessen, die in eine Abwägung einfließen würden, mit den normierten öffentlichen Interessen decken. Die nachfolgende Prüfung der kollidierenden Verfassungsgüter kann sich daher anhand der normierten öffentlichen Interessen und deren Abwägung mit den Rechtsschutzinteressen des Betroffenen orientieren. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich bei den folgenden Fallgruppen die ersten beiden allgemein auf Rechtsschutzeinschränkungen beziehen können, die letzten beiden beziehen sich grundsätzlich nur auf Informationsrechte, die von Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet werden. aa) Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bzw. Ordnung und Staatswohl Die öffentliche Sicherheit und Ordnung wird vom Wortlaut der einschlägigen Gesetze als Unterfall des Staatswohls begriffen, vgl. § 15 Abs. 2 Nr. 3 BVerfSchG („die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes (...) Nachteile bereiten“). Das Staatswohl ist jedoch ein Begriff mit sehr unklaren Begrenzungen und kann von der Wortbedeutung das Wohl des Staates sowohl als Ganzes als auch nur seiner Teile, etwa der derzeitigen Regierung mit ihren machtpolitischen Interessen, meinen. 626 Zur Begrenzung eines vorbehaltlosen Grundrechts eignet es sich jedoch nur, wenn es in einer Weise (verfassungskonform) ausgelegt wird, dass es entsprechend hochwertige Verfassungsgüter umfasst. Dazu gehören der Bestand des Staates als solches, wie er auch in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 11 Abs. 2 GG, Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 73 Nr. 10 lit. b 626 Auf diese Gefahr weist Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 69, hin, indem er feststellt, der Begriff des Staatswohls unterliege einem geschichtlichen Wandel, der erstaunlich eng mit den jeweils vorherrschenden politischen Wertvorstellungen zusammenhänge.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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GG, Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG, Art. 91 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommt, seine Funktionsfähigkeit (innerstaatlicher Friedenszustand, Verteidigungsfähigkeit (Art. 115a ff. GG), das gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG), die geordnete Rechtspflege (Art. 92 ff. GG), die Gesundheit der Staatsbürger in der Gesamtheit (sog. „Volksgesundheit“)) und die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die in den Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 11 Abs. 2 GG, Art. 18 Satz 1 GG, Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 73 Nr. 10 lit. b GG, Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG, Art. 91 Abs. 1 GG genannt wird. 627 Die aufgeführten Schutzgüter sind die denknotwendige Voraussetzung dafür, dass sich Grundrechte überhaupt entfalten können, und sind ihnen daher in ihrer Bedeutung gleichwertig. Sie können somit grundsätzlich zur Begrenzung dienen. Wie im Ergebnis auch bei der einfach-gesetzlichen Auslegung des Staatswohls vertreten wird, können diese Rechtsgüter aber nur betroffen sein, wenn sie nicht mehr dazu in der Lage sind, die staatliche Friedensordnung insoweit aufrechtzuerhalten, dass die Grundrechte der Staatsbürger wirken können. Sie müssen verletzt oder, wie es auch die Tatbestände regelmäßig verlangen, gefährdet sein. Verfassungskonform müsste die Gefährdung aber konkret sein, eine abstrakte Beeinträchtigung kann aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zur Einschränkung des vorbehaltlosen Grundrechts nicht genügen. 628 Denn die Kollisionslage ist zwischen konkret kollidierenden Verfassungsgütern im jeweiligen Einzelfall aufzulösen. Weiter muss die Gefährdung des so verstandenen Staatswohls (Bestand, Funktionsfähigkeit) den Staat als Ganzes betreffen. 629 Die Gefährdung von Staatsteilen oder Staatsfunktionen genügt nur, wenn sich die Störung des Teilbereichs auf die gesamte Körperschaft auswirkt. 630 Da die Verfassung jedoch nur den Staat schützt, der die freiheitlich-demokratische Grundordnung gewährleistet, darf Bestandsschutz des freiheitlichen Staates nicht mit Staatsschutz der derzeitig herrschenden Staats- und Gesellschaftsordnung verwechselt werden. Denn die Verfassung sieht gerade die Möglichkeit vor, die Staatsordnung im Sinne der Staatsorganisation bzw. der Gesellschaftsordnung im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unter Beachtung des Art. 79 Abs. 3 GG abzuändern. Nur der freiheitssichernde Staat im obigen Sinne ist daher von der 627 Vgl. Stern, Staatsrecht III/2, S. 687; ders., Die Grundrechte und ihre Schranken, S. 1 (15 f.) mit umfangreichen Rechtsprechungsnachweisen. Das Verfassungsgut freiheitlichdemokratische Grundordnung wird noch im Rahmen der Auslegung des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG ausführlich behandelt, vgl. unter 2. Teil 2. Abschnitt B. I. 3. 628 Vgl. Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung, S. 474 f. Allgemein für die nachrichtendienstliche Arbeit vgl. jüngst das Urteil des BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2. 3. 2010, Absatz-Nr. 231 f., 261, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen /rs20100302_1bvr025608.html (abgerufen am 01. 06. 2010). 629 Vgl. Petri, HbdPolR, H Rn. 560; Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung; S. 406; ebenso Lisken, NJW 1991, S. 1658 (1660) zur verfassungskonformen Auslegung von § 96 StPO. 630 Vgl. Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 27; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 88.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Verfassung geschützt, nur wenn dieser bedroht wird, ist ein Schutz der Verfassung erforderlich. 631 Nur die restriktive Auslegung wird dann auch der Forderung gerecht, dass die Beeinträchtigung des Rechtsschutzes zwangsnotwendig mit der Sicherung des Rechtsinstituts verbunden sein muss. Das im Übrigen in der Literatur angesprochene Schutzgut der freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Staaten oder internationalen Organisationen 632 findet zwar als Rechtsinstitut ebenso Anklang in der Verfassung (Art. 32 Abs. 1 GG, Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 lit. c GG). Es ist jedoch nur in Extremsituationen vorstellbar, dass die Beeinträchtigung dazu führen könnte, dass der Staat als Ganzes in seiner freiheitssichernden Funktion bedroht ist (etwa, wenn Handlungen von Grundrechtsträgern so erheblich gegenüber einem anderen Staat sind, dass Krieg droht). Die weiter genannte öffentliche Sicherheit als Spezialfall des Staatswohls enthält nach einfach-gesetzlichem Verständnis aus dem Polizeirecht übernommen Teilschutzgüter Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen und Bestand des Staates und der Einrichtungen und Veranstaltung des Staates und sonstiger Träger der Hoheitsgewalt. 633 Der Begriff ist demnach weit und umfassend, der verbleibende Anwendungsbereich jedoch gering: Die Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates sind nur insoweit ein taugliches kollidierendes Rechtsgut, als sie sich auf die genannten für den Staat und seiner Funktionsfähigkeit elementaren Verfassungsgüter beziehen. Die subjektiven Rechte und Rechtsgüter Einzelner decken sich mit dem Spezialfall der Interessen Dritter und werden von dieser Fallgruppe umfasst. Schließlich bleibt noch die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung. Diese Fallgruppe ist aber wiederum nur dann als Einschränkung der vorbehaltlosen Rechtsschutzgarantie geeignet, soweit die von ihr umfassten Normen den Grundrechten Einzelner oder den genannten Verfassungsgütern des Staates dienen. 634 Sollte sich dennoch ein eigenständiger Anwendungsbereich für die öffentliche Sicherheit finden, muss die Gefahr und das jeweilige Teilschutzgut im Sinne von 631 Vgl. Herzog, Auftrag der Verfassungsschutzbehörden, S. 1 (8 f.). Im Ergebnis auch Schwagerl / Walther, Verfassungsschutz, S. 7 f. A. A. Mayer-Metzner, Auskunft aus Dateien, S. 182, der irrig den Grundsatz der Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, das Mehrparteiensystem etc. durch Straftaten im Zusammenhang mit Protesten gegen das Kernkraftwerk Wackersdorf betroffen sieht. Zum einen legt er aber pauschal in die Straftaten eine die FDGO negierende Aussage hinein. Zum anderen verwechselt er Kriminalitätsbekämpfung mit erforderlichem Verfassungsschutz. Durch eingrenzbare Straftaten im Zusammenhang mit den Protesten war zu keinem Zeitpunkt die Staats- bzw. Verfassungsordnung gefährdet. 632 Vgl. Kopp / Schenke, VwGO, § 99 Rn. 10; Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 99 Rn. 16. 633 Vgl. Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 8 Rn. 3. 634 So auch allgemein: BVerfGE 67, 157 (173); OVG Bremen, NJW 1987, S. 2393 (2395).
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(systematischer) Tatbestandsadäquatheit jedenfalls eine dem Wohl der Gesamtgebietskörperschaft entsprechende Schwere erreichen, da er hier als Unterfall des Wohls der jeweiligen Gebietskörperschaft begriffen wird. 635 Schließlich findet sich in einigen Gesetzen bzw. nach deren einfach-gesetzlicher Auslegung die öffentliche Ordnung als eigenständiges Schutzgut. Das Schutzgut umschreibt nach der allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen Definition im Ergebnis die Gesamtheit der von der Mehrheit anerkannten, verfassungskompatiblen Sozialnormen. Neben den überzeugenden Argumenten im Schrifttum, die im Ergebnis zu einer Unvereinbarkeit des einfachen Rechts mit dem sog. Parlaments- bzw. Wesentlichkeitsvorbehalt führen, 636 können ungeschriebene Normen nicht die Einschränkung eines vorbehaltlosen Grundrechts legitimieren, sofern sie nicht ausnahmsweise mit geschriebenen Verfassungsgütern deckungsgleich sind. Es ist beispielsweise auch kein Fall ersichtlich, in denen eine Gefährdung von Sozialnormen dem Wohle des Bundes oder eines Landes im oben beschriebenen Sinne Nachteile bereiten könnte. bb) Gefährdung der Aufgabenerfüllung des Nachrichtendienstes / Ausforschungsgefahr Ebenso restriktiv müssen einfach-gesetzliche Normen ausgelegt werden, die die Ausforschungsgefahr und die damit verbundene Gefährdung der (rechtmäßigen) Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste abwehren wollen. 637 Die weiten und umfassenden Aufgaben der Nachrichtendienste sind nicht in ihrer Gesamtheit von Verfassungsgütern gedeckt, die die Beeinträchtigung eines vorbehaltlosen Grundrechts nach den entwickelten Grundsätzen rechtfertigen. Zwar wird namentlich der Verfassungsschutz als Institution in der Verfassung in den Art. 73 Nr. 10 lit. b GG, Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG erwähnt und auch die anderen Dienste finden ihre Grundlage in den Kompetenznormen (vgl. Art. 73 Nr. 1 GG („auswärtige Belange“ und „Verteidigung“) für den BND und Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG für den MAD) 638. Aus der Entstehungsgeschichte der Dienste lässt sich auch entnehmen, dass der Verfassungsgeber den Verfassungsschutz sowie die Landesverteidigung und auswärtige Belange, zu denen auch eine entsprechende Aufklärung gehört, als Rechtsinstitute in den jeweiligen Normen verfassungsrechtlich absichern wollte. Allerdings erfüllt die Institution der Nachrichtendienste, auch wenn sie ihren Widerhall in verfassungsrechtlichen Instituten finden, für sich genommen nicht 635
So auch Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 89. Vgl. auch umfassend zu diesem Schutzgut: Pieroth / Schlink / Kniesel, POR, § 8 Rn. 48 ff. 637 Vgl. Kugelmann, Informatorische Rechtsstellung des Bürgers, S. 252 zu § 29 Abs. 2 Alt. 1 VwVfG. 638 Siehe oben unter 1. Teil B. I. 1. 636
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
die Qualität der Verfassungsgüter, die eine elementare freiheitssichernde Funktion erfüllen. Freiheitssicherung ist nicht zwingend mit den Nachrichtendiensten verbunden. 639 Der Schutz nachrichtendienstlicher Aufgabenerfüllung kann daher nur die Rechtsschutzgarantie begrenzen, wenn die Aufgaben den oben genannten Rechtsgütern oder Grundrechten dienen und nicht nur um der Dienste selbst willen. 640 Dann muss die konkrete Aufgabe aber auch im Einzelfall einem solchen Schutzgut entsprechen. 641 Denkbar ist beispielsweise der Fall, dass der Verfassungsschutz eine Organisation beobachtet, die eine Gefährdung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellt. Weiter muss das Schutzgut auch konkret gefährdet sein. 642 Dieses kann beispielsweise bei einem Auskunftsbegehren dann nicht der Fall sein, wenn die Informationen aus offenen Quellen stammen, weil dann weder die Arbeitsweise noch die Datenbestände ausgeforscht werden können. 643 Für die Fälle der Auskunftsbegehren muss die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung gerade durch die Preisgabe der erwünschten personenbezogenen Daten gefährdet sein. 644 Letzteres ist ein Hinweis auf die Voraussetzung einer zwingenden Verbindung zwischen Rechtsschutzbeeinträchtigung und Aufgabenerfüllung. Ein pauschaler Verweis auf die Aufgaben des Verfassungsschutzes, etwa die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen, genügt jedenfalls nicht. 645 Auch ein pauschaler Verweis auf ein bloßes Erschweren der Aufgabenerfüllung, das in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung für ausreichend erachtet wird, 646 kann weder der Anforderungen an eine konkrete Gefährdung eines kollidierenden Verfassungsgutes noch einer einzelfallbezogenen Abwägung gerecht werden. Erforderlich ist vielmehr, dass die Auskunft an die Substanz der Aufgabenerfüllung geht, also materiell unmöglich gemacht oder erheblich in Frage gestellt würde. 647 Konse639
Was in der Verfassungspraxis auch die Abschaffung des Landesverfassungsschutzamtes des Landes Berlin als eigenständige Institution zeigt, vgl. dazu das Gesetz über die Strukturreform des Verfassungsschutzes in Berlin vom 30. November 2000, GVBl. S. 495. 640 Vgl. OVG Bremen, NJW 1987, S. 2393 (2395); Bäumler, NVwZ 1988, S. 199 (202). Im Ergebnis auch OVG NRW, NWVBl. 1994, S. 470 (471); Gusy, Präventionsstaat, S. 186. 641 Vgl. für das einfache Recht: BVerwGE 89, 14 (18 f.); Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 82. Das gilt insbesondere für den Beobachtungsbereich der organisierten Kriminalität, wie er in einigen Landesverfassungsschutzgesetzen normiert ist, vgl. dazu Soiné, ZRP 2008, S. 108 (110) mit Verweis auf SächsVerfGH, NVwZ 2005, S. 1310. 642 So auch Scheffczyk / Wolff, NVwZ 2008, S. 1316 (1317); Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung, S. 471. 643 Vgl. VG Köln, NVwZ 1989, S. 85 (89); Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 193. 644 Vgl. BVerwGE 89, 14 (18 f.); Gola / Schomerus, § 19 Rn. 25; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 83; Petri, HbdPolR, H Rn. 558. 645 Vgl. BVerfG, NVwZ 2001, S. 185 (187). 646 Vgl. BVerwG, DVBl. 2006, S. 851 (853) m.w. N. 647 Vgl. Auernhammer, BDSG, § 19 Rn. 28.
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quenterweise überwiegt das Rechtsschutzinteresse wieder, sobald die Aufgabengefährdung, etwa durch Ermittlungsabschluss, ausgeschlossen ist. Im Beispiel müsste durch die Auskunftserteilung die konkrete Gefahr bestehen, dass die mit dem Beobachtungsauftrag verbundenen Arbeitsmethoden aufgedeckt und dadurch die Beobachtung der Gefährdung durch die Nachrichtendienste unmöglich werden. 648 Nach Abschluss der Beobachtung entfällt dieses rechtfertigende Argument selbstverständlich wieder und die Auskunft ist zu erteilen. Aus der zwingenden Verbindung zwischen Auskunft und Aufgabenerfüllung ergibt sich auch, dass die Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch Arbeitsüberlastung bzw. bürokratischem Aufwand, insbesondere infolge hoher Auskunftsanträge, kaum denkbar erscheint. 649 Es muss tatsächlich ein Zusammenbruch der Verwaltungstätigkeit drohen, der auch durch gebotene organisatorische Maßnahmen (z. B. Umsetzung, Überstunden) nicht behoben werden kann. 650 Bei der Abwägung zwischen dem Rechtsschutzinteresse und dem öffentlichen Interesse an einer ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung ist dabei auch zu bedenken, dass die Rechtsschutzgarantie lückenlosen Rechtsschutz gerade gegenüber der Verwaltung garantiert und diese Garantie nicht durch Hinweis auf Verwaltungsbelange vorschnell relativiert werden darf. 651 Anderenfalls könnte sich der Staat etwa durch Kosten- bzw. Personaleinsparungen in der Verwaltung seinen grundrechtlichen Pflichten entziehen. Zwar kann das nicht dazu führen, dass der Rechtsschutzsuchende verlangen kann, die Verwaltung immer weiter auszustatten, um seinem Auskunftsbegehren nachzukommen. Die Grenze dürfte hier aber erst der für Teilhaberechte entwickelte sog. Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen sein, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft respektive dem Staat beanspruchen kann. 652 cc) Geheimhaltung nach Rechtsvorschriften Ebenso wie die Geheimhaltung wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, hat die Geheimhaltungspflicht nach Rechtsvorschriften gegenüber den bereits genannten Staatswohlbelangen kaum einen eigenen Anwendungsbereich. Einfach648 Vgl. etwa die „Ausforschungskampagne“ der DKP, dazu: Roewer, NVwZ 1989, S. 11 (14). 649 So auch Petri, HbdPolR, H Rn. 558; Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung, S. 406. 650 Vgl. Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 84. Noch restriktiver: Deutsch, Die heimliche Erhebung von Informationen, S. 26, und Kugelmann, Informatorische Rechtsstellung des Bürgers, S. 252 f. zu § 29 Abs. 2 Alt. 1 VwVfG. Letzterer weist richtigerweise auch auf die Risikosphären hin: Für einen organisatorisch reibungslosen Ablauf habe zunächst die Verwaltung selbst zu sorgen, da sie schließlich auch die Organisationsgewalt inne habe. 651 Vgl. Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, S. 490. 652 Vgl. dazu BVerfGE 33, 303 (333); 75, 40 (68); 90, 107 (116); 112, 50 (65 f.).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
gesetzlich wurden die Vorschriften regelmäßig zum Schutz des Staatswohls erlassen. 653 Sie dienen daher als Schrankengesetz für diejenigen Verfassungsgüter, die die Rechtsschutzgarantie einzuschränken vermögen. Die übrigen zur Geheimhaltung verpflichtenden einfach-gesetzlichen Regelungen können jedoch ein Grundrecht schon aus normenhierarchischen Gründen nur einschränken, wenn sie ihrerseits einem Verfassungsgut entsprechen, dass die Qualifikation der bereits genannten Verfassungsgüter besitzt, ein vorbehaltloses Grundrecht einzuschränken. Andere als dem Staatswohl dienende Regelungen sind jedoch nicht ersichtlich. Zwar werden hier etwa die Verschwiegenheitspflichten der Mitglieder des PKGr nach § 5 Abs. 1 Satz 1 PKGrG genannt oder die allgemeinen strafrechtlichen Vorschriften zum Schutz von „Staatsgeheimnissen“, vgl. §§ 93 ff. StGB. 654 Aber auch diese Gesetze können wieder nur die Rechtsschutzgarantie beschränken, wenn sie im konkreten Fall einem qualifizierten Verfassungsgut dienen. Und das wird für die genannten Tatbestände grundsätzlich nur im Regelungsbereich der ersten Fallgruppe zu finden sein. Schließlich sind die einfach-gesetzlichen Regelungen über die Amtsverschwiegenheit regelmäßig zum Schutz der Daten Dritter geschaffen worden und dienen deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, so dass sie erst unter der noch folgenden Fallgruppe fallen. 655 Aber selbst wenn Rechtsvorschriften einem hinreichend qualifizierten Verfassungsgut dienen und potentiell die Geheimhaltung von rechtsschutzrelevanten Informationen rechtfertigen, müssen die Rechtsgüter trotzdem nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz mit den Interessen des Rechtsschutzsuchenden abgewogen und zu einem schonenden Ausgleich gebracht werden. Speziell für die Geheimhaltung von Informationen durch Auskünfte etc. haben sich in Rechtsprechung und Literatur bestimmte Fallgruppen herausgearbeitet, die bei konkret kollidierenden qualifizierten Verfassungsgütern in zweckmäßiger Weise Abwägungslinien vorgeben. Zum einen wird nach den nachrichtendienstlichen Beobachtungsbereichen unterschieden. Ein Geheimhaltungsinteresse dürfte danach am stärksten im Bereich der Spionageabwehr wiegen, da jede Auskunft an potentielle Spione erkennen lässt, ob eine Beobachtung erfolgt, der Spion also schon enttarnt ist, so dass die Abwehr vom Grunde her ineffektiv wird. Ähnliches gilt für die Terrorismusbekämpfung. Bei der Extremismusbeobachtung wiegt das Geheimhaltungsinteresse jedoch regelmäßig deswegen schwächer als im Spionagebereich, weil die Grenze zwischen Extremismus und Agitation am Rande des politischen Spektrums fließend ist und zudem ein Großteil der Informationen aus öffentlichen Quellen stammt. 653 654 655
Vgl. Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 28. Vgl. Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 92. So auch Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 28.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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Am anderen Ende des Spektrums steht der Bereich der Sicherheitsüberprüfung. An der Sicherheitsüberprüfung wirkt der Betroffene mit; er liefert zudem durch den Erklärungsbogen den Großteil der Informationen. Hier ist kein Grund ersichtlich, nicht zu erfahren, ob die vom Geheimschutzbeauftragten des jeweiligen Unternehmens oder der Behörde übermittelte Daten beim Nachrichtendienst (noch) gespeichert sind. 656 Zum anderen gilt für alle Fallgruppen, dass dann mehr für eine Auskunft spricht, wenn der Verfassungsschutz dem Betroffenen offen gegenüber tritt. Wer offen handelt, kann sich widerspruchs- und willkürfrei nicht zugleich auf die Heimlichkeit seines Handelns berufen. 657 Das gilt erst recht, wenn die Information vom Betroffenen selbst mitgeteilt wurde. Je substantiierter das Auskunftsbegehren also ist, desto eher entsteht eine Auskunftspflicht. 658 Weiter kann sich der Nachrichtendienst in diesem Zusammenhang auch nicht auf Geheimheit berufen, wenn er selbst Umstände offenbart hat, etwa wenn er mittelbar die begehrten personenbezogenen Daten in ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren eingeführt oder die Daten an Dritte weitergegeben hat und diese die Daten (mittelbar) offenbart haben. 659 Die Fallgruppen lassen sich allgemein dahingehend zusammenfassen, dass die Rechtsschutzinteressen des Betroffenen umso stärker wiegen, je konkreter die Anhaltspunkte des Bürgers für die Erhebung bzw. Speicherung personenbezogener Daten sind. Der Nachrichtendienst braucht dann umso stärkerwiegende Belange, um die Auskunft im Einzelfall auszuschließen. 660 dd) Geheimhaltung dem Wesen nach und Interessen Dritter / Quellenschutz Die „Geheimhaltung dem Wesen nach“ kann Art. 19 Abs. 4 GG nicht einschränken. Zum einen gibt es keine an sich geheimzuhaltenden Daten. Die Geheimhaltungsbedürftigkeit kann sich vielmehr nur im konkreten Fall ergeben. Das gilt insbesondere für Daten der Dienste, wie die Rechtsprechung stets festgestellt hat. 661 Zum anderen kann eine wesengemäße Geheimheit nur dann ein (vorbehaltloses) Grundrecht einschränken, wenn die Geheimheit im Kollisi656 Vgl. zum Ganzen: OVG Bremen, S. 2393 (2396 f.); VG Köln, NVwZ 1989, S. 85 (88 f.); Bäumler, NVwZ 1988, S. 199 (202 f.) m.w. N.; Riegel, NVwZ 1989, S. 539 ff. 657 Vgl. BVerwGE 74, 115 (121). 658 Vgl. VG Köln, NVwZ 1983, S. 112 (114); Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 192. 659 Vgl. BVerwGE 74, 115 (121); 84, 375 (388); OVG Bremen, NJW 1987, S. 2393 (2396); Bäumler, DuD 1996, S, 537 (540); Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 193. 660 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 193. 661 Vgl. etwa BVerwG, E 74, 115 (120 f.); NVwZ 1994, S. 72 f.; auch BVerfG, NVwZ 2001, S. 185 (187); BVerwGE 75, 1 (14); OVG Bremen, NJW 1987, S. 2393 (2395).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
onsfall von einem geschriebenen und hinreichend qualifizierten Verfassungsgut gefordert wird. Dann sind aber grundsätzlich die übrigen Fallgruppen einschlägig. Jegliche überpositivierten Gemeinschaftsgüter, die sich unter Umständen unter die Fallgruppe subsumieren lassen, sind daher ungeeignet. Aufgrund der übrigen umfassenden Ausnahmetatbestände sind sie auch nicht erforderlich. Im Umkehrschluss hat der Gesetzgeber durch die Normierung der übrigen Tatbestände vielmehr gezeigt, dass er selbst nicht von einer Geheimhaltung dem Wesen nach ausgeht. 662 Die Fallgruppe hat daher keinen eigenständigen Anwendungsbereich mit der Ausnahme, die den meisten nachrichtendienstlichen Gesetzen selbst als Unterfall normieren: die Interessen Dritter. 663 Denn hinter diesen Interessen verbergen sich die Grundrechte Dritter, die von den bisherigen Fallgruppen noch nicht aufgenommen wurden aber zur Beschränkung eines vorbehaltlosen Grundrechts herangezogen werden können. 664 Darunter fallen auch die Interessen eines Informanten oder Mitarbeiters. Möchte der Rechtsschutzsuchende den jeweiligen Namen erfahren, kollidiert insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Gestalt des Rechtes der Selbstdarstellung 665 aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG mit dem Recht des Rechtsschutzsuchenden aus Art. 19 Abs. 4 GG. Als besonderes Abwägungskriterium wurde hier anerkannt, ob der Informant seine Angaben leichtfertig, wider besseres Wissen oder, nach der neueren Rechtsprechung, in der vorgefassten Absicht der Rufschädigung macht und dafür ausreichende Anhaltspunkte vorliegen. Dann überwiegen regelmäßig die Interessen des Rechtsschutzsuchenden nach einer vollständigen Aufklärung des Sachverhalts zur Durchsetzung seiner Rechte. 666 Die auch vertretene Ansicht, dass die Zusicherung der Vertraulichkeit an einen Informanten sowie das Interesse der Behörden, auch in Zukunft an Informationen durch Informanten zu kommen, pauschal zuungunsten des Betroffenen wirkt, 667 mag zwar praktisch bzw. moralisch angezeigt sein, wird einer einzelfallbezogenen Abwägung aber nicht gerecht. Bis auf 662
So auch Kugelmann, Informatorische Rechtsstellung des Bürgers, S. 256. Im Ergebnis auch Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 97 ff.; Rosenberger, Geheimnisschutz, S. 148 ff. 664 Skeptisch Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, S. 490, der es für schwer vorstellbar erachtet, dass die Verfolgung eigener Rechte an der Existenz materieller Rechte anderer Personen scheitern soll. Grundrechtliche Konfliktlagen seien nicht auf prozessualer Ebene, sondern auf der vorgelagerten materiell-rechtlichen Ebene zu lösen. 665 Zu dieser Kategorisierung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 377. 666 Vgl. BVerwGE 89, 14 (21); 119, 11 (15); Auernhammer, DuD 1992, S. 6 (8); Gola / Schomerus, BDSG, § 19 Rn. 25; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 102; Schaffland / Wiltfang, BDSG, § 19 Rn. 23; ferner: BVerwG, NJW 2003, S. 3217 (3218). 667 Vgl. Tinnefeld / Ehmann / Gerling, Datenschutzrecht, S. 535 f., die es aber selbst kritisch sehen, dass Informanten häufig nicht der Aufgabenerfüllung der Behörden dienen wollen, sondern sachfremde Ziele (z. B. Rachsucht, Denunziantentum) verfolgen und dem 663
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den Extremfall, in dem die Aufgabenerfüllung unter den oben genannten Voraussetzungen konkret gefährdet ist, dient dieses Interesse auch keinem hinreichend qualifizierten Verfassungsgut. Schließlich ist diese Fallgruppe auch einschlägig wenn es darum geht, einen Informanten, Mitarbeiter des Nachrichtendienstes oder deren Angehörige vor Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit zu schützen. Diese Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GG gebieten dann Schutz in Form von Geheimhaltung der Daten, wenn es etwa um einen Mitarbeiter im weitesten Sinne geht, der in eine kriminelle Szene eingeschleust wurde und dem bei Enttarnung Gewalt etc. droht. 668 ee) Allgemeine Abwägungsgrundsätze Neben den dargestellten speziellen Abwägungsgrundsätzen bei den einzelnen rechtfertigenden Tatbeständen gilt allgemein, dass die kollidierenden Interessen zunächst hinreichend konkret für den Einzelfall bestimmt werden müssen. Wie gezeigt, wird in Rechtsprechung und Literatur wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass eine pauschale Abwägung nicht zulässig ist. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Staat für eingreifendes Handeln grundsätzlich beweispflichtig ist und die konkrete Gefährdung durch Tatsachen belegen können muss. Auf der einen Seite ist daher die konkrete Gefährdung für das konkrete Schutzgut des Nachrichtendienstes zu bestimmen und auf der anderen Seite das konkrete Rechtsschutzinteresse. Insbesondere bei Informationsrechten ist danach zu fragen, in welchem Umfang Informationen für einen wirksamen Rechtsschutz erforderlich sind. Zusätzlich gehören zu den Interessen des Betroffenen selbstverständlich auch die eventuellen Folgewirkungen, die nachrichtendienstliche Maßnahmen etwa für das berufliche Fortkommen haben können. 669 Anschließend müssen dem Grundsatz der praktischen Konkordanz folgend die entgegenstehenden Verfassungsgüter im Wege der Abwägung zu einem schonenden und angemessenen Ausgleich gebracht werden, nach der eine Rechtsposition auch nicht bevorzugt oder maximal behauptet wird. 670 Im Ergebnis ist daher ei-
Betroffenen lediglich schaden wollen. Insoweit fällt auch die praktische bzw. moralische Komponente beim Informantenschutz häufig genug weg. Ebenso fragt Wollweber, NVwZ 2002, S. 825 (826), ob der Rechtsstaat Sachverhaltsaufklärung um jeden Preis, ggf. auch um den Preis ungerechtfertigter, ehrabschneidender Denunziationen betreiben darf. 668 Vgl. Rachor, K 140 Rn. 140, der den Schutz aber unbegründet dem Tatbestand Staats- bzw. Landeswohl zuordnet. 669 Vgl. OVG Bremen, NVwZ 1983, S. 2393 (2396); Bäumler, NVWZ 1988, S. 199 (204). 670 Vgl. BVerfGE 93, 1 (21); 97, 169 (176); Kokett, HbdGR I, § 22 Rn. 47; Stern, Die Grundrechte und ihre Schranken, S. 1 (15).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
ne Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne vorzunehmen. 671 Dieses Vorgehen ist verfassungsrechtlich zwingend und insbesondere von den Gerichten vorzunehmen. Es kann nicht darauf verwiesen werden, dass der einfache Gesetzgeber diese Abwägung bereits pauschal, in der Regel zugunsten der Nachrichtendienste vorgenommen habe. Ein solches Vorgehen würde den kollidierenden Verfassungsgütern im Einzelfall nicht gerecht werden. 672 Daher gilt, dass Einschränkungen nur soweit und solange greifen können, wie das zu schützende Verfassungsgut betroffen ist. 673 Das gilt insbesondere für Informationsrechte. Die durch die Abwägung begrenzte sachliche Reichweite des Verweigerungsrechtes führt dazu, dass zwingend eine Teilauskunft als milderes Mittel zu einer Totalverweigerung geprüft wird. Dazu kann die Aufsplittung der Akten in normale Verwaltungsvorgänge, besondere nachrichtendienstliche Vorgänge (Arbeitsweise, Nachrichtensammlung, Auswahl und Einsatz von V-Leuten) und dem gesammelten Nachrichtenmaterial erforderlich sein. 674 An erstere und letztere Aktenvorgänge werden dabei regelmäßig geringere Anforderungen an den Geheimschutz zu stellen sein, als an die besonderen Vorgänge. Auch sind beim Auskunftsanspruch in Form des Akteneinsichtsrechts Teilauskünfte etwa durch Schwärzungen denkbar. 675 Im Normalfall dürften die Auskunftsverweigerungsgründe einer Teilauskunftserteilung nicht entgegenstehen. 676 Die begrenzte Reichweite in zeitlicher Hinsicht führt weiter dazu, dass eine nachträgliche Information stets zu erfolgen hat, so dass ein völliger Ausschluss der Bekanntgabe mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar ist. 677 Allgemein hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung heimlicher Maßnahmen festgestellt, dass solche Maßnahmen in einem Rechtsstaat die Ausnahme sein müssen. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis sollte daher stets beachtet werden. Der Ausschluss von Rechtsschutz wegen mangelnder Kenntnisnahme verstärkt zudem das Gewicht des materiellen Grundrechtseingriffs. Auch das muss schließlich bei der Durchsetzung materieller Rechte bedacht werden. 678 671 Vgl. Stern, Die Grundrechte und ihre Schranken, S. 1 (17); ders., Staatsrecht III/2, S. 625 f.; allgemein zum Inhalt der Verhältnismäßigkeit ieS: Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 289 ff. 672 So aber Schäfer, NVwZ 1983, S. 85. 673 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 194. 674 Vgl. bereits Ehmke, DÖV 1956, S. 417 (420 f.); ihm folgend Schneider, NJW 1978, S. 1601 (1605). 675 Vgl. Evers, ZRP 1980, S. 110 (114); implizit: BVerwG vom 01. 08. 2007 – Az.: 20 F 10.06, Rn. 6 ff. 676 Vgl. Bull, JZ 1986, S. 637 (638); Krieger, Behördliche Auskunft, S. 85 f. 677 Vgl. Gusy, Präventionsstaat, S. 186. Zur einschränkenden Auslegung der Ausschlussnorm Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG siehe unten 2. Teil 2. Abschnitt B. I. 678 Vgl. BVerfGE 118, 168 (199 f.); 120, 274 (325); Bäumler, NVwZ 1988, S. 199 (201).
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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b) Ungeschriebene Gemeinschaftsgüter in nachrichtendienstrechtlichen Fällen? Neben den geschriebenen Rechtfertigungsgründen finden sich in der Literatur besondere, ungeschriebene Rechtfertigungsgründe, die im Sachzusammenhang mit Sicherheitsbehörden immer wieder genannt werden. Beispielhaft seien hier Staatsräson bzw. Grundsatz der „streitbaren Demokratie“, Staatsnotstand, Beweisnot und soziale Adäquanz genannt. 679 Es wird auch von einem allgemeinen „Grundrecht auf Sicherheit“ 680 oder von der sog. Gemeinwohlklausel als allgemeine Grundrechtsschranke gesprochen. 681 Das Grundgesetz hat diese unbestimmten Werte jedoch nicht zu einem speziellen Verfassungsgut erhoben. D. h. das Recht erlaubt dem Staat die Berufung auf die genannten Gemeinschaftsgüter nicht, um die Freiheit der Bürger zu schmälern. Ein überrechtliches Notstandsrecht, gleich wie geartet oder genannt, würde auch, wie Georg Jellinek treffend formuliert, nur ein Ausdruck dessen sein, dass Macht vor Recht gehe. 682 Dieses Vorrangverhältnis ist einem Rechtsstaat jedoch fremd, da es ihn negieren würde. Weil ungeschriebene Werte nicht tauglich sind, vorbehaltlose Grundrechte einzuschränken, können die genannten Topoi nur zur Rechtfertigung von Eingriffen in die Rechtsschutzgarantie herangezogen werden, soweit sich dahinter entsprechend qualifizierte Verfassungsgüter verbergen und im konkreten Fall Schutz beanspruchen. Ansonsten scheidet eine Heranziehung überpositivistischer Gemeinschaftswerte aus rechtsstaatlichen Gründen aus. 683
II. Bestimmtheitsgebot Bereits bei der Vorstellung der Befugnisse der Nachrichtendienste wurde deutlich, dass die Komplexität der Ermächtigungsgrundlagen immer stärker zunimmt. 679 Zum Ganzen: Evers, Privatsphäre und Verfassungsschutz, S. 102. Das Bundesverfassungsgericht betont in seiner Rechtsprechung, dass sich die Bundesrepublik für die sog. streitbare Demokratie entschieden hat und zieht diesen Grundsatz aus einer Gesamtschau der Art. 9 Abs. 2, 18, 21 GG. Mit diesem Grundsatz legt er dann auch Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG systematisch aus (vgl. BVerfGE 30, 1, 19 f.). Kritisch dazu bereits das Sondervotum auf den Seiten 45 f. Zum sog. Staatsnotstand: Stern, Notstand, S. 171 ff. 680 Dazu: Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 84 ff. 681 Vgl. BVerwGE 1, 48 (52); ablehnend: Buermeyer, Rechtsschutzgarantie, S. 32 f. 682 Zitiert nach: Salzwedel, FS Peters, S. 756 (767). 683 Vgl. nur Müller, Positivität, S. 13 f. Gegen überpositivistische Rechtsgüter wendet sich das Bundesverfassungsgericht insoweit, als es ein von der Verfassung anerkanntes Rechtsgut verlangt, vgl. BVerfGE 30, 1 (20). Ebenso: Arndt, NJW 1961, S. 897 (898 f.); Kniesel, Datenschutz für Sicherheitsbehörden, Rn. 655 ff.; Salzwedel, FS Peters, S. 756 (770); vorsichtiger Evers, Privatsphäre und Verfassungsschutz, S. 102 ff.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Insbesondere die besonderen Auskunftsverlangen, die auch den Schutzbereich von Art. 10 GG tangieren, sind grundsätzlich nicht in den jeweiligen G 10-Gesetzen des Bundes und der Länder aufgeführt, obwohl sie systematisch dort normiert werden müssten. Vielmehr arbeiten die allgemeinen Dienstgesetze mit mannigfaltigen, kaum überschaubaren, teils pauschalen Verweisungen untereinander und auf das jeweilige G 10-Gesetz sowie auf andere Gesetze. 684 Die Verweisungsketten machen es allerdings schwer, die Voraussetzungen für nachrichtendienstliches Handeln zu erfassen und die Anwendung der Maßnahmen anhand der Ermächtigungsnorm zu kontrollieren. Die Normen haben keinen klaren Umriss, ihre Anwendung wird fehleranfällig. Jedoch setzt das sogenannte Bestimmtheitsgebot aus dem Rechtsstaatsprinzip 685 gerade Normenklarheit voraus, damit insbesondere sichergestellt ist, dass die Gerichte die Rechtskontrolle durchführen können. 686 Damit wird die Rechtsschutzrelevanz des Prinzips deutlich. Darüber hinaus soll das Bestimmtheitsgebot ermöglichen, dass der betroffene Bürger anhand der gesetzlichen Regelung die Rechtslage so erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag 687 und sich auf mögliche belastende Maßnahmen einstellen kann. Weiter bewirkt das Gebot, dass die gesetzesausführende Verwaltung für ihr Verhalten steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfindet. Eine zu komplizierte Verweisungstechnik, die Vorhersehbarkeit und Kontrolle zu stark erschwert, kann demnach das Bestimmtheitsgebot verletzen. 688 Spezifiziert für den Bereich der Überwachungsmaßnahmen verlangt das Bestimmtheitsgebot zwar nicht, dass die konkrete Maßnahme vorhersehbar ist, wohl aber, dass die betroffene Person grundsätzlich erkennen kann, bei welchen Anlässen und unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten mit dem Risiko der Überwachung verbunden ist. Dabei kommt die Begrenzung durch hinreichend bestimmte Voraussetzungen auch zufällig Betroffenen zugute, die keinen Anlass zur Überwachung gegeben haben. 689 Der Gesetzgeber hat Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs hinreichend bereichsspezifisch, präzise und normenklar 684 Vgl. etwa Bayern mit einer dynamischen Verweisung auf Bundesrecht: Art. 6c Abs. 2 Satz 1 bayVSG i.V. m. § 118a TKG. 685 Vgl. BVerfGE 110, 33 (53, 57, 70); 113, 348 (375); Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 128 f. 686 Vgl. BVerfGE 110, 33 (52 ff.); 118, 168 (187); 120, 274 (315 f.); BVerfG, NJW 2005, S. 2603 (2607); Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 129, 133. 687 Vgl. BVerfGE 110, 33 (53). 688 Vgl. BVerfGE 110, 33 (61 ff.); 118, 168 (192); Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 143, der ausführt, Verweisungen dürften nicht so unklar und zahlreich sein, dass es zu hohen Fehlerrisiken bei der Rechtsanwendung kommt. 689 Vgl. BVerfG, NJW 2005, S. 2603 (2607).
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festzulegen. 690 Eine zusätzliche, hier wichtige Grenze bei der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bildet die Justitiabilität des Gesetzes, die nicht gefährdet sein darf. 691 Die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes steigen mit der Intensität des Eingriffs. 692 Hier wird der Zusammenhang des Bestimmtheitsgebotes mit der schon bekannten Wesentlichkeitslehre und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz deutlich: Je schwerwiegender die Auswirkungen einer Regelung sind, desto genauer müssen – im Rahmen dessen, was generell-abstrakter Regelung „praktisch möglich“ ist 693 – die Vorgaben des förmlichen Gesetzgebers sein. 694 Des Weiteren würde ein unklares und unbestimmtes Gesetz mehr Eingriffe eröffnen als zur Erreichung des Gesetzeszwecks erforderlich sind und regelmäßig auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzen. 695 Zwar können bei unbestimmten Rechtsbegriffen gefestigte Konkretisierungen der Rechtsprechung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß die Anforderungen an die Bestimmtheit mildern. 696 Wie bei der polizeilichen Generalklausel besprochen, setzt aber auch hier wieder der Wesentlichkeitsvorbehalt Grenzen, der eine spezielle und damit regelmäßig bestimmte Spezialregelung bei intensiven und typisierbaren Eingriffen fordert. 697 Schließlich kann das Bestimmtheitsgebot wie die Justizgewährungspflicht über die objektiv-rechtliche Verfahrenskomponente der Grundrechte versubjektiviert werden und damit einen klagefähigen Anspruch des Grundrechtsträgers begründen. 698 Für den Rechtsschutz gegen Nachrichtendienste kann es so für den Betroffenen fruchtbar gemacht werden.
III. Das nachrichtendienstrechtliche System des gerichtlichen Rechtsschutzes im Lichte der Verfassung Schließlich gilt es, die verfassungsrechtlichen Erkenntnisse auf das einfachrechtliche System des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen Nachrichtendienste an690 Vgl. BVerfGE 100, 313 (359 f., 372); 110, 33 (53); 113, 348 (375); 120, 274 (315 f.). 691 Vgl. BVerfGE 110, 33 (57); 118, 168 (188). 692 Vgl. BVerfGE 110, 33 (53). 693 Vgl. BVerfGE 57, 9 (22); Schulze-Fielitz, Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 133. 694 Vgl. BVerfGE 110, 33 (55); Gusy, Präventionsstaat, S. 291; Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 20 Rn. 54 m.w. N. 695 Vgl. Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 312. Im Ergebnis auch: BVerfGE 118, 168 (187). 696 Vgl. BVerfGE 54, 143 (144 f.); Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 20 Rn. 54. 697 Vgl. oben unter 1. Teil B II. 1. b) aa). 698 Vgl. BVerfGE 65, 1 (44 ff., 54); 100, 313 (359f., 372); 110, 33 (53 ff.); 113, 348 (375); 118, 168 (186 f.).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
zuwenden. Das Prüfungsschema entspricht dabei im Wesentlichen der Struktur nach der das System vorgestellt wurde. Zunächst werden daher die Rechtswegeröffnung und ihre konkrete Ausgestaltung besprochen. Darauf folgen die Informationsrechte und -pflichten hinsichtlich der Kenntnis von heimlichen Grundrechtseingriffen. Dabei ist zu beachten, dass die dortigen Aussagen nur den Fall betreffen, dass diese Rechte bzw. Pflichten für die Inanspruchnahme von Rechtsschutz erforderlich sind, denn nur dafür wurden – dem Titel der Arbeit entsprechend – die verfassungsrechtlichen Vorgaben untersucht. Werden beispielsweise die Informationsrechte nicht zur Erlangung des Rechtsschutzes genutzt, ergibt sich ihre verfassungsrechtliche Verankerung mangels Einschlägigkeit nicht aus dem vorbehaltlosen Art. 19 Abs. 4 GG, sondern (nur) aus der Verfahrenskomponente des jeweils betroffenen Grundrechts. Wenn dieses dann etwa einen einfachen Gesetzesvorbehalt aufweisen, sind die Anforderungen an eine Beschränkung selbstverständlich geringer. Schließlich werden die maßgeblichen materiellen Ermächtigungsgrundlagen noch daraufhin untersucht, ob ihre Anwendbarkeit den Grundsätzen des präventiven Rechtsschutzes genügt, und ob besonders komplexe Befugnisse dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot genügen. 1. Die Rechtswegeröffnung und deren Ausgestaltung § 13 G 10, der Rechtswegsuspendierung für bestimmte Maßnahmen nach den §§ 3, 5 G 10 anordnet, bezieht sich mit seinem unmittelbaren Anwendungsbereich auf Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 GG. Er nimmt seine Rechtfertigung jedoch aus der speziellen Rechtsschutzbeschränkung des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG und wird daher erst im Rahmen des parlamentarischen Rechtsschutzes an der Verfassung gemessen. Auch die oben aufgeworfene Frage der Fernwirkung des § 13 G 10 kann ohne Wissen über Reichweite der speziellen Grundrechtsschranke noch nicht abschließend verfassungsrechtlich geklärt werden. 699 2. Kenntnisgewähr Die Kenntnisgewähr heimlicher Grundrechtseingriffe ist eine zentrale Forderung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Im einfach-gesetzlichen Nachrichtendienstrecht außerhalb des Anwendungsbereichs des G 10 wird versucht, ihr durch Auskunftsansprüche und durch Mitteilungspflichten für bestimmte Maßnahmen zu entsprechen. Bei der Auslegung der Rechtsschutzgarantie wurde gezeigt, dass nur eine Kumulation aus Auskunftsansprüchen, u.U. auch in der Form der Akteneinsichtsrechte, und Mitteilungspflichten einem effektiven 699
Vgl. dazu oben unter 2. Teil 2. Abschnitt B. III. 3.
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Rechtsschutz genügen. Im (einfach-gesetzlichen) Nachrichtendienstrecht wurden flächendeckend generalisierte Auskunftsansprüche geschaffen, die für jegliches Handeln der Dienste – außerhalb des G 10-Bereichs – Auskunft gewährleisten. Ihnen stehen jedoch keine generalisierten Unterrichtungspflichten gegenüber. Da die Ansprüche und Pflichten der einfach-gesetzlichen Konkretisierung des verfassungsrechtlich erforderlichen Mindeststandards dienen, gilt für ihre Einschränkungstatbestände die gefundene verfassungskonforme Auslegung. 700 Nachfolgend müssen daher nur noch die rechtsschutzrelevanten Problembereiche der Auskunftsansprüche (unter a)) und der Unterrichtungspflichten (unter b)) geklärt werden, die bei der Vorstellung der einfach-gesetzlichen Kenntnisgewähransprüche neben den Einschränkungstatbeständen deutlich geworden sind. a) Rechtsschutzrelevante Problembereiche der Auskunftsansprüche Zu den Problemen im Zusammenhang mit den Auskunftsansprüchen gehören das Erfordernis der Darlegung eines konkreten Sachverhalts und eines besonderen Interesses, die Einschränkungen der Ablehnungsbegründung (auch, wenn sich dieses Problem mit der Einführung des in camera-Verfahrens in § 99 Abs. 2 VwGO entschärft hat) 701, die Zulässigkeit des sog. Negativtests und die Reichweite der Auskunft, insbesondere vor dem Hintergrund der normierten Einschränkungen hinsichtlich Herkunft und Übermittlung personenbezogener Daten. aa) Darlegung eines konkreten Sachverhalts und eines besonderen Interesses Das Nachrichtendienstrecht normiert bei den Auskunftsansprüchen insbesondere gegen die Bundesdienste, aber auch gegen einige Landesverfassungsschutzämter, dass sie nur soweit reichen, als der Betroffene auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an der Auskunft darlegt. Das Erfordernis der Darlegung eines konkreten Sachverhalts wurde geschaffen, um der Ausforschungsgefahr und damit der Vermeidung von Gefährdungen der Aufgabenerfüllung der Dienste zu begegnen. Allerdings gewährt die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG einen Anspruch auf unbeschränkte Kenntnisgewähr, im vorliegenden Fall durch einen Auskunftsanspruch. Jedes Minus stellt daher eine Beeinträchtigung dar und muss sich im Rahmen der 700
Vgl. auch Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 200; Margedant, NVwZ 2001, S. 759
(762). 701
Vgl. zur alten Rechtslage, Schatzschneider, NVwZ 1988, S. 223 (224), der sogar von einer „Illusion eines effektiven Rechtsschutzes“ spricht.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
verfassungsrechtlichen Rechtfertigung messen lassen. 702 Die Darlegung eines konkreten Sachverhalts ist allerdings durch seine einfach-gesetzliche Zwecksetzung, dem Begegnen der Ausforschungsgefahr, nichts anderes als der bereits normierte Versagungstatbestand der Gefährdung der Aufgabenerfüllung. Um dieser Gefahr zu begegnen, enthalten die Auskunftsansprüche also bereits einen umfassenden Versagungstatbestand. Eine weitere Einschränkung der Auskunft ist somit nicht erforderlich und vor allem nicht zwangsnotwendig mit dem Schutz der Aufgabenerfüllung verbunden. 703 Zwar ist eine gesetzliche Regelung, die gegen Verfassungsrecht verstößt, nichtig. Die Folge der Nichtigkeit greift jedoch ausnahmsweise nicht, wenn insbesondere der Wortlaut eine sog. verfassungskonforme Auslegung zulässt. 704 Eine Auslegung des Tatbestandsmerkmals dahingehend, dass nur die Ausforschungsgefahr bekämpft werden soll, ist mit der Verfassung zwar nicht vereinbar. Das selbstverständliche Erfordernis einer hinreichenden Konkretisierung des Antrages dergestalt, dass sich daraus die Einschlägigkeit des Tatbestands der Rechtsschutzgarantie ergibt, hingegen schon. Ein solches Verständnis lässt der Wortsinn auch zu. Mit anderen Worten muss also nach dem Vortrag des Betroffenen die Möglichkeit einer Rechtsverletzung subjektiver Rechte durch den Nachrichtendienst bestehen. Der Tatbestand muss jedoch insgesamt sehr weit ausgelegt werden, so dass das Merkmal „konkreter Sachverhalt“ kaum eine Einschränkung des Auskunftsanspruchs bedeutet. 705 Es genügt also auch pauschal ein Beobachtungsfeld des Nachrichtendienstes zu benennen, wenn die Möglichkeit einer rechtsverletzenden Beobachtung, etwa durch Aufenthalt in einer extremistischen Szene, besteht und die begehrten Informationen zur Rechtsverfolgung erforderlich sind. 706 Anderenfalls wäre die Auskunftserlangung auch kaum möglich, da der Rechtsschutzsuchende gerade durch die Auskunft Kenntnis über eine Beobachtung zur Rechtsverfolgung erlangen möchte. 707 Dem Bürger dürfen schließlich auch nicht aus etwaig mangelhafter Erfüllung von Informationsorganisationspflichten der Dienste Nachteile erwachsen. Die Informationsorganisation liegt − gerade vor dem Hintergrund der Möglichkeiten 702 Verfehlt Mayer-Metzner, Auskunft aus Dateien, S. 152 f., der bereits davon ausgeht, dass es einen verfassungsrechtlichen Auskunftsanspruch ohne Begründungspflicht nicht gibt und die Begründungspflicht daher nicht als Beeinträchtigung begreift. Darüber hinaus rechtfertigt er die Begründungspflicht mit dem rechtspolitischen Argument, der wichtige Auftrag des Verfassungsschutzes mache die Begründungspflicht nachvollziehbar. 703 Siehe dazu bereits die entsprechenden Bedenken im Gesetzgebungsverfahren: BRDrs. 379/90, Anlage I, S. 31. 704 Vgl. Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 20 Rn. 33 f. m.w. N. 705 Im Ergebnis auch: OVG NRW, NWVBl. 1994, S. 470 (471); DVBl. 1995, S. 371 (372). 706 A. A. Droste, HbdVS, S. 604; Scheffczyk / Wolff, NVwZ 2008, S. 1316 (1317). 707 So auch Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 193 f.
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moderner elektronischer Datenverarbeitung − in der Risikosphäre der Dienste. Es steht im Übrigen auch nicht zu befürchten, dass durch eine Vielzahl von Auskunftsanträgen aus einer Szene die konkreten Beobachtungen durch die Dienste ausgeforscht werden. Denn dazu hält das einfache Recht den der Ausforschung begegnenden Versagungstatbestand bereit. Allerdings kann ein Auskunftsantrag nach der weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals nicht mehr pauschal abgelehnt werden, vielmehr muss der Dienst nachweisen, dass der Auskunftsanspruch im konkreten Fall, allein oder im Zusammenspiel mit mehreren Auskunftsanträgen, die Aufgabenerfüllung etwa durch Ausforschungen gefährdet. Das weitere einschränkende Erfordernis eines besonderen Interesses wurde bereits in seinen widersprüchlichen Auswirkungen dargestellt. Da es hinreichend gewichtige Gründe für eine Auskunft fordert, läuft es im Ergebnis auf eine Abwägung zwischen den Rechtsschutzinteressen des Einzelnen und den Geheimhaltungsinteressen des Nachrichtendienstes hinaus. Eine solche Abwägung muss jedoch im Rahmen der praktischen Konkordanz ohnehin erfolgen. Das Tatbestandsmerkmal deutet einfach-gesetzlich auf diese verfassungsrechtliche Anforderung hin und ist lediglich deklaratorisch. Soweit das Tatbestandsmerkmal aber nach der einfach-gesetzlichen Auslegung so verstanden wird, dass zur Gewährung eines Auskunftsanspruches Interessen des Einzelnen gefordert werden, die über einfache Rechtsschutzinteressen hinausgehen, muss es verfassungskonform reduziert werden. Dem Betroffenen steht von Verfassungs wegen der Auskunftsanspruch aufgrund des weiten Tatbestandes des Art. 19 Abs. 4 GG schon dann zu, wenn er eine mögliche Rechtsverletzung durch den Nachrichtendienst als öffentliche Gewalt vorträgt, also Rechtsschutzinteressen geltend macht. 708 Ob im konkreten Fall der Anspruch auch von den Nachrichtendiensten erfüllt werden muss, ist dann eine Frage der Abwägung innerhalb der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Das Tatbestandsmerkmal eröffnet schließlich nach einfach-gesetzlicher Auslegung die Möglichkeit, dass andere als die in den Versagungstatbeständen genannten Gründe zu einer Versagung der Auskunft führen können. 709 Die Auslegung ist zwar nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden. Aber auch diesem Tatbestandsmerkmal müssen dann wieder hinreichend qualifizierte Verfassungsgüter entsprechen. Anderenfalls kann der einfach-gesetzliche Auskunftsanspruch nicht verfassungskonform eingeschränkt werden. Da die normierten Versagungstatbestände jedoch bereits generalklauselartig formuliert sind und nahezu alle in Betracht kommenden Schutzgüter erfassen, ist kein Verfassungsgut neben den bereits genannten ersichtlich, das diese Voraussetzungen erfüllen könnte. 708 Vgl. Droste, HbdVS, S. 605; im Ergebnis auch: Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 195. 709 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 194.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
bb) Eingeschränkte Ablehnungsbegründung Die einfach-gesetzlichen Auskunftsansprüche enthalten durchgehend Regelungen, die ein Fehlen der Begründung von Auskunftsverweigerungen erlauben, soweit durch eine Begründung der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Der Sinn der Regelungen ist unmittelbar einsehbar: Eine Auskunftsverweigerung, bei der der Nachrichtendienst gezwungen ist, die verweigerte Information zur Begründung seiner Weigerung anzugeben, wäre selbst widersprüchlich. Ebenso wie die Auskunftsverweigerungsgründe, sind die Regelungen der Einschränkung des Begründungserfordernisses erst nach verfassungskonformer Reduzierung zulässig: Art. 19 Abs. 4 GG garantiert die Begründung für Maßnahmen, die in subjektive Rechte eingreifen, um eine effiziente Rechtskontrolle sicherzustellen. 710 Die Begründungspflicht ist aber durch kollidierende Verfassungsgüter einschränkbar. Dabei orientiert sich auch die vorzunehmende Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse der Öffentlichkeit und dem Rechtsschutzinteresse des Einzelnen am konkreten Fall. Als allgemeine Abwägungslinie gilt hier aber, dass weiterhin eine Begründungpflicht besteht, wenn die Begründung die abgelehnte Information nicht enthalten muss und auch keine Rückschlüsse auf diese zulässt. Die Einschränkung des Begründungserfordernisses bezieht sich daher grundsätzlich nur auf das „Wie“ der Begründung. 711 Auch kann für diesen Bereich die Differenzierung nach Beobachtungsbereichen hilfreich sein. 712 Keinesfalls entspricht es aber den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen, pauschal ein bestimmtes Begründungsniveau als ausreichend anzusehen. In Literatur und Rechtsprechung wird häufig die Formel verwendet, die die Gerichte zur Glaubhaftmachung im Sinne des § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. entwickelt haben. Danach müsse die Verfassungsschutzbehörde die Geheimhaltungspflichtigkeit ihrer Erkenntnisse nur so einleuchtend darlegen, dass diese unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Belange noch als triftig anerkannt werden könne. 713 Die dadurch geforderte Begründung auf gerade noch ausreichendem Minimalniveau kann zwar auch das Ergebnis nach einer Einzelfallabwägung sein. Ebenso kann die Abwägung aber ein sehr viel höheres Niveau fordern. Dann genügt die Begründung nach der pauschalen Formel nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen im konkreten Fall.
710
Vgl. Bäumler, NVwZ 1988, S. 199 (205). Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 201. 712 Vgl. Bäumler, NVwZ 1988, S. 199 (205). 713 Vgl. BVerwG, E 66, 233 (236); E 74, 115 (120); NVwZ 1994, S. 72 (73); OVG Berlin, NVwZ 1987, S. 817 (820); Schaffland / Wiltfang, BDSG, § 19 Rn. 22 m.w. N. 711
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Im Übrigen bleibt die Begründungspflicht trotz der Schaffung des in cameraVerfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO weiter erforderlich, weil jetzt zwar dem Gericht alle Tatsachen, die zur Verweigerung der Auskunft geführt haben, offengelegt werden müssen, der Rechtsschutzsuchende jedoch erst einmal eine hinreichend substantiierte Tatsachengrundlage benötigt, um entscheiden zu können, ob er den Rechtsweg beschreitet. Zudem kann er im in camera-Verfahren sein Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht wahrnehmen. Er hat daher nur die Möglichkeit, zu den Gründen aus dem Ablehnungsbescheid vorzutragen und seine Rechtsposition entsprechend zu verteidigen. cc) Zulässigkeit des Negativtests Eine verwandte Problematik gibt es im Zusammenhang mit dem sog. Negativtest bzw. der sog. Negativauskunft. Damit fragt ein vermeintlich Betroffener bei den Diensten an, ob keine Daten über ihn gespeichert sind. 714 In der Literatur und Rechtsprechung ist ein solcher Anspruch als Teil einer umfassenden Auskunft anerkannt. 715 Der Anspruch wird jedoch primär für den Anwendungsbereich der Verfahrenskomponente des informationellen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG oder speziellerer Grundrechte gesehen. Mit ihm soll in Erfahrung gebracht werden, wer was über wen weiß. 716 Darüber hinaus sind Negativauskünfte aber auch für Rechtsschutzbelange dienlich. Beispielsweise dann, wenn der Betroffene eine Observation bemerkt, jedoch nicht weiß, wer ihn observiert hat und bei welcher Stelle personenbezogene Daten gespeichert wurden. Dann ist ein Antrag auf Negativauskunft an die in Betracht kommenden Stellen ein mögliches Mittel, den Kreis der möglichen eingreifenden, also erhebenden und speichernden Behörden einzugrenzen. 717 Insbesondere zur Feststellung der Behörden, die neben der erhebenden Behörde die 714 Vgl. Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 23; Weichert, NVwZ 2007, S. 1004 f.; auch die Legaldefinition in § 24 Abs. 1 Satz 3 hessSOG. 715 Vgl. BVerwG, NJW 1990, S. 2765 (2768); OVG Berlin, NJW 1986, S. 2004 f.; Bäumler, NVwZ 1988, S. 199 (203 f.); Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 203; Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 23; Simitis / Fuckner, NJW 1990, S. 2713 (2715); Weichert, NVwZ 2007, S. 1004 m.w. N. 716 Vgl. Weichert NVwZ 2007, S. 1004 ff. 717 So geschehen in einem Fall in Schleswig-Holstein. Dort fand der Betroffene einen GPS-Peilsender unter seinem Auto. Zur Eingrenzung der möglichen observierenden Behörden, stellte seine Anwältin an alle in Betracht kommenden Behörden Anträge auf Negativauskunft. Die Anträge wurden im Übrigen von allen Behörden mit dem Tenor beschieden, dass keine Daten über den Betroffenen gespeichert seien. Dennoch fordert das Innenministerium Schleswig-Holstein den GPS-Sender zurück. Vgl. Schneider, taz vom 22. 04. 2008, abrufbar im Internet unter: http://www.taz.de/nc/1/archiv/print-archiv /printressorts/digiartikel/?ressort=na&dig=2008%2F04%2F22%2Fa0009 (abgerufen am: 02. 03. 2009).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Daten auch speichern, ist eine Positivauskunft regelmäßig ineffektiv, da die Gesetze grundsätzlich die Auskunft über Herkunft der Daten und Empfänger von Übermittlungen ausschließen, vgl. etwa § 15 Abs. 3 BVerfSchG oder § 14 Abs. 3 nwVSG. Auch ist eine Negativauskunft aus Rechtsschutzgründen denkbar, um zu überprüfen, ob der Nachrichtendienst nach einem Urteil, das die Rechtswidrigkeit einer Beobachtung festgestellt hat, Datensammlung und -speicherung tatsächlich einstellt. 718 Problematisch ist jedoch, dass allein durch die Differenzierung zwischen Negativauskunft und Auskunftsverweigerung Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der Nachrichtendienste gezogen werden können. Würde stets dem tatsächlichen Erkenntnisstand entsprechend beschieden, müsste für den Fall, dass keine Daten über eine Person gespeichert sind, eine Negativauskunft erteilt werden; für den Fall gespeicherter Daten müsste aber u.U. eine Auskunftsverweigerung beschieden werden. Dann liegt der Rückschluss für den Betroffenen auf der Hand: Hat der Dienst Daten über den Bürger, so würde es ein Versagen der Auskunft in der Regel belegen. Insbesondere im Spionage- und Terrorismusbereich könnte eine Negativauskunft dann die Sicherheit vermitteln, noch nicht gespeichert bzw. enttarnt zu sein. 719 Diese abstrakte Gefahr rechtfertigt es jedoch nach den hohen Anforderungen für die Einschränkung von Art. 19 Abs. 4 GG nicht, Negativauskünfte generell nicht zu erteilen. Die Einschränkung von vorbehaltlosen Grundrechten muss vielmehr zwingend mit dem Schutzgut verbunden sein. Hypothesen, allgemeine Erfahrungen oder Vermutungen genügen nicht, um ein Auskunftsersuchen zurückzuweisen. 720 Verbleibende Zweifel müssen insbesondere vor dem Hintergrund der allgemeinen Beweislastverteilung bei Eingriffsbefugnissen des Staates hingenommen werden. Es ist im Falle des sog. „non liquet“ also zugunsten des Auskunftsbegehrenden zu entscheiden. 721 Da zudem im Regelfall über den Betroffenen nur die Daten aus dem Auskunftsersuchen selbst gespeichert sind, wird eine Negativauskunft grundsätzlich zu erteilen sein. 722 Eine Einschränkung kann hingegen eine konkrete Ausforschungsgefahr ergeben: Gibt es Hinweise auf eine solche Gefahr, etwa durch vermehrte Anfragen aus einer beobachteten Szene, ist unter Anwendung der Grundsätze der praktischen Konkordanz nach einem verhältnismäßigen Ausgleich der gegenläufigen 718 Denkbar etwa für den Bundestagsabgeordneten Bodo Ramelow, der vor dem OVG NRW ein Urteil erstritt, nach dem das Bundesamt für Verfassungsschutz den Abgeordneten nicht mehr überwachen darf, vgl. Urteil vom 13. 02. 2009 – 16 A 845/08. 719 Vgl. Bäumler, NVwZ 1988, S. 199 (204). 720 Vgl. Bäumler, NVwZ 1988, S. 199 (204); Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 203; Weichert, NVwZ 2007, S. 1004 (1007). 721 Vgl. Mayer-Metzner, Auskunft aus Dateien, S. 201. 722 Vgl. Weichert, NVwZ 2007, S. 1004 (1007).
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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Interessen zu suchen. Zu beachten ist dabei, dass eine unwahre Negativauskunft, die angibt, dass keine personenbezogenen Daten gespeichert wurden, obwohl Daten gespeichert sind, einen schwerer wiegenden Eingriff in die Rechtsschutzgarantie darstellen, als eine verweigerte Auskunft. Eine verweigerte Auskunft führt regelmäßig dazu, dass der Betroffene zur Durchsetzung seiner Rechte auf Auskunft klagt, also einen anderen Weg der Rechtsdurchsetzung nimmt. Eine unwahre Negativauskunft führt hingegen dazu, dass der Betroffene in Sicherheit gewiegt wird und dadurch von der Durchsetzung seiner Rechte mittels Gerichtsschutz verzichtet. Er wird also aktiv von der Rechtsdurchsetzung durch Täuschung abgehalten. Dagegen kommen als verhältnismäßige Lösungsmöglichkeiten für den Fall relevanter Ausforschungsgefahr zum einen der ausdrückliche Ausschluss der Negativauskunft für bestimmte Beobachtungsbereiche in Betracht. Danach könnte der Bescheid den Zusatz enthalten, die Auskunft beziehe sich nicht auf den Bereich der Spionageabwehr und der Terrorismusbekämpfung. 723 Zum anderen könnte für bestimmte Tranchen von Negativauskünften (etwa aus einer bestimmten Szene, die das Mittel zur Ausforschung des Kenntnisstandes des Verfassungsschutzes benutzt) der Hinweis enthalten sein, dass jeder fünfte, zehnte o.ä. Negativtest pauschal untersagt wird. 724 Dieses Prinzip wird auch als sog. „Zehnerpatsche“ bezeichnet. 725 Im Gegensatz zum bisherigen Anwendungsbereich, darf das Instrument wegen des Verbots pauschaler Einschränkung der Rechtsschutzgarantie jedoch nicht generell für alle Auskunftsansprüche und zu jeder Zeit angewendet werden, sondern nur dann, wenn eine konkrete Ausforschungsgefahr droht. dd) Reichweite der Auskunft Die einfach-gesetzlichen Auskunftsansprüche gewähren regelmäßig die Auskunft über die zur Person des Betroffenen gespeicherten Daten, vgl. etwa § 15 Abs. 1 BVerfSchG oder § 14 Abs. 1 nwVSG. Der Auskunftsanspruch umfasst alle personenbezogenen Daten im Sinne des § 3 Abs. 1 BDSG, gleichgültig wo diese gespeichert sind. 726 Explizit von der Auskunftspflicht ausgenommen sind jedoch in einer Vielzahl nachrichtendienstlicher Vorschriften die Herkunft der 723 Vgl. VG Köln, NVwZ 1989, S. 85 (89); Bäumler, NVwZ 1988, S. 199 (204, insb. Fußnote 53); Mayer-Metzner, Auskunft aus Dateien, S. 200 f. 724 Ähnlich Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 203. 725 Vgl. Diederichs, CILIP 54 (2/1996), S. 29 ff.; Mayer-Metzner, Auskunft aus Dateien, S. 202. 726 Vgl. Mallmann, Simitis, § 19 Rn. 19 ff.; Scheffczyk / Wolff, NVwZ 2008, S. 1316 (1318); a. A. zur einfach-gesetzlichen Rechtslage: Droste, HbdVS, S. 606. Auch das OVG NRW, Beschluss v. 13. 02. 2009 − 16 A 844/08, verneint schon die Anwendbarkeit des § 15 Abs. 1 BVerfSchG für Daten, die außerhalb der Personenakte bzw. außerhalb einer
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Daten und die Empfänger von Übermittlungen, vgl. § 15 Abs. 3 BVerfSchG oder § 14 Abs. 3 nwVSG. Verfassungsrechtlich wurzelt die weitgehende Auskunftserteilungspflicht für Rechtsschutzzwecke in Art. 19 Abs. 4 GG und gewährt die Kenntnis derjenigen Daten die zur Durchsetzung individueller Rechte im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren erforderlich sind. 727 Dazu gehören mindestens diejenigen Informationen, die für eine zulässige Klageerhebung notwendig sind, d. h. die gesetzlichen Mindestangaben der Klageschrift. Nach § 82 Satz 1 VwGO muss eine Klageschrift für den Verwaltungsgerichtsprozess den Kläger, Beklagten und Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Gegenstand des Klagebegehrens umfasst nicht den Streitgegenstand im Sinne des § 121 VwGO, sondern eine Kennzeichnung dessen, worum es dem Kläger geht. 728 Dazu ist aber erforderlich, dass sich dieses aus dem Schriftsatz ergibt. Die Angabe des Begehrens ist insbesondere deshalb erforderlich, damit das Gericht in die Lage versetzt wird, die Beiziehung der richtigen Verwaltungsvorgänge zu veranlassen. 729 Für andere Gerichtszweige, etwa dem Zivilprozess, gelten noch höhere Anforderungen an die Substantiierung des Klagebegehrens. 730 Der Auskunftsanspruch für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren gegen eine nachrichtendienstliche Maßnahme umfasst demnach die Information, ob überhaupt Daten erhoben bzw. gespeichert wurden, durch welche eingreifende Maßnahme (Zeit, Ort) die Daten erhoben wurden und welche öffentlich-rechtliche NADIS-Verknüpfung in einer Sachakte gespeichert sind. Es begründet diese Auslegung damit, dass es für das Amt ein zu großer Aufwand sei, alle Akten- und Datenbestände nach Daten zu durchsuchen, die über eine Person gespeichert sind (Rn. 19 f.). Selbst für elektronische Daten, bei der die suche denkbar einfach ist, gelte § 15 BVerfSchG dann nicht. Das Gericht verweist für die Fälle (ab 2007 werden die Akten und Daten digitalisiert) auf den − ungeschriebenen − ermessensabhängigen Auskunftsanspruch (Rn.23). Die Auffassung des Gerichts ist jedoch in seiner Verallgemeinerung verfassungsrechtlich nicht haltbar. Die Speicherung personenbezogener Daten führt stets zu einem Auskunftsanspruch. Dieser ergibt sich im hiesigen Zusammenhang aus Art. 19 Abs. 4 GG und ist dann zu gewähren, wenn nach dem Vortrag des Betroffenen die Möglichkeit einer Rechtsverletzung subjektiver Rechte durch den Nachrichtendienst besteht. Sollte die Suche dann zu einer Gefährdung der Aufgabenerfüllung führen, ist nicht etwa der Auskunftsanspruch nicht einschlägig, wie das OVG annimmt, sondern er kann verfassungsrechtlich gerechtfertigt beschränkt werden. Daneben missversteht das Gericht aber auch die einfach-gesetzliche Systematik. Ist das Begehren zu allgemein, ist § 15 Abs. 1 BVerfSchG dennoch einschlägig, es liegt dann aber kein konkreter Sachverhalt vor, so dass aus diesem Grunde der Auskunftsanspruch entfällt. Überfordert die Anfrage hingegen die Behörde, ist an § 15 Abs. 2 Nr. 1 BVerfSchG zu denken. Dennoch kann nicht von vornherein die Anwendbarkeit der Vorschrift negiert werden. 727 Vgl. auch Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 195. 728 Vgl. Ortloff / Riese, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 82 Rn. 6. 729 Vgl. Geiger, Eyermann, § 82 Rn. 6. 730 Vgl. Foerste, Musielak, § 253 Rn. 25 ff.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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Körperschaft oder Behörde die Maßnahme durchgeführt hat, also als richtiger Klagegegner nach § 78 Abs. 1 VwGO in Betracht kommt. 731 Die Informationsfülle ist im Einzelfall natürlich auszudehnen, soweit sie für den Rechtsschutz erforderlich sind. 732 Das kann bedeuten, dass der Nachrichtendienst auch die Herkunft und Empfänger von Daten offenlegen muss. Sofern der jeweilige einfachgesetzliche Auskunftsanspruch diese Information ausschließt, ergibt sich ein Informationsanspruch unmittelbar aus der Verfassung. Für die Einschränkungsmöglichkeiten gelten wieder die bereits dargestellten Beschränkungsmöglichkeiten durch kollidierende Verfassungsgüter nach den Abwägungsgrundsätzen der praktischen Konkordanz. b) Rechtsschutzrelevante Problembereiche der Unterrichtungspflichten Im Gegensatz zu den Auskunftspflichten sind Unterrichtungspflichten im einfachen Nachrichtendienstrecht nicht auf alle Maßnahmen bezogen und generalklauselartig geregelt. Nur bei einzelnen Maßnahmen finden sich darauf zugeschnittene Pflichten. Fraglich ist daher, ob die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG eine allgemeine Benachrichtigungspflicht fordert (dazu unter aa)). Soweit Benachrichtigungspflichten bestehen, findet eine Benachrichtigung jedoch nach allen Regelungen erst dann statt, wenn eine Gefährdung des Zwecks des jeweiligen Eingriffs ausgeschlossen werden kann. Diese von den Auskunftsansprüchen abweichende Regelungstechnik ist ebenfalls vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher Gewährleistungen zu untersuchen (unter bb)). aa) Keine Unterrichtungsgeneralklausel Nach dem Auslegungsergebnis der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ist bei Rechtsverletzungen durch Nachrichtendienste neben einem Auskunftsanspruch kumulativ eine Unterrichtungspflicht erforderlich, um die jeweiligen Lücken der Kenntnisgewähr, die durch nur eines der beiden Rechtsschutzinstrumente entsteht, zu schließen. Dieser Anforderung werden das BDSG und Teile der Landesdatenschutzgesetze gerecht, jedoch nicht das Nachrichtendienstrecht. Die Unterrichtung über Datenerhebungen ohne Kenntnis wird nur für einzelne Maßnahmen gesondert festgelegt. Die weitergehende Klausel besteht beispielsweise im BVerfSchG nur bei Eingriffen mit nachrichtendienstlichen Mitteln, die
731
Vgl. BVerwGE 74, 115 (121 f.). Vgl. etwa Bäumler, NVwZ 1988, S. 199 (205), der im Extremismusbereich zumindest einen Hinweis auf den Speichergrund (Mitglied in der XY-Gruppe) für notwendig erachtet. 732
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
ihrer Art und Schwere nach einer Beschränkung der Grundrechte aus Art. 10 GG gleichkommen. Die dargestellten Regelungen entsprechen jedoch nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Wird durch die Nachrichtendienste heimlich in subjektive Rechte eingegriffen, gebietet die Rechtsschutzgewährleistung eine Benachrichtigung, soweit nicht der Betroffene etwa durch einen positiven Bescheid infolge eines Auskunftsersuchens anderweitig Kenntnis von dem Eingriff erlangt hat. Vorbild kann hier die entsprechende Regelung in § 19a BDSG sein. Zwar suspendiert das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Kontodatenabfrage nach der AO und dem KWG die Benachrichtigungspflicht, wenn der heimliche Eingriff nicht in ein spezielles Grundrecht erfolgt oder für den Betroffenen ohne nachteilige Folgen bleibt. 733 Diese Ansicht wird jedoch nicht den Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 GG gerecht. Die Rechtsschutzgarantie differenziert ihren Gewährleistungsgehalt weder nach der Art der Eingriffschwere noch nach Art des möglicherweise verletzten subjektiven Rechts. Auch wurde hinsichtlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung festgestellt, dass ein Eingriff bereits in der Datenerhebung selbst vorliegt und damit unabhängig vom Folgeeingriff. Schließlich kann bereits ein belastungsfolgenloser Eingriff ein Rechtsschutzbedürfnis begründen. 734 Belastungswirkungen für den Betroffenen können daher nur in der Abwägung mit Geheimhaltungsbelangen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung erfolgen, verkürzen aber nicht den Gewährleistungsgehalt der Rechtsschutzgarantie. Soweit also noch keine anderweitige Kenntnisnahme erfolgt ist, muss eine Benachrichtigung für jeden Eingriff in ein subjektives Recht normiert werden und erfolgen. 735 bb) Unterrichtung erst nach Abschluss der Maßnahme Die einfach-gesetzlich vorhandenen Mitteilungspflichten gebieten eine Benachrichtigung erst, wenn die Gefährdung des Zwecks des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. Da aber die Benachrichtigung verfassungsrechtlich gewährleistet ist, stellt jede nicht erfolgte oder verzögerte Benachrichtigung eine Beeinträchtigung der Rechtsschutzgarantie dar. Dann kann aber nichts anderes gelten als für die übrigen Beeinträchtigungen: Sie müssen durch entsprechend qualifizierte Rechtsgüter gerechtfertigt werden. Anderenfalls liegt ein verfassungswidriges Unterlassen der Benachrichtigung vor. 733
Vgl. BVerfGE 118, 168 (209). Vgl. Kühling, ZRP 2005, S. 196 (197). 735 Vgl. Kühling, ZRP 2005, S. 196 (197 f.); speziell zum Verfassungsschutz: Rupp, Rechtsschutz und Verfassungsschutz, S. 157 (167). 734
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Auf die einfach-gesetzlichen Benachrichtigungspflichten bezogen bedeutet dieses Ergebnis, dass nicht jeder Zweck eine Suspendierung der Benachrichtigung rechtfertigen kann. Der konkrete Zweck des Eingriffs muss vielmehr einem entsprechenden Verfassungsgut, also etwa dem Bestand des Bundes, dienen. Auch muss die Suspendierung der Benachrichtigung zwingend mit dem Schutz des Verfassungsgutes verbunden sein. Schließlich ist eine entsprechende Güterabwägung vorzunehmen. Des Weiteren hat das Bundesverfassungsgericht in E 109, 279 (367) festgestellt, dass es ein wesentliches Element des Grundrechtsschutzes ist, dass Gerichte auch mit der Überprüfung der Gründe für die weitere Geheimhaltung staatlicher Eingriffe befasst werden. 736 Gerichte müssen daher durchgehend prüfen, ob eine Suspendierung der Benachrichtigung noch gerechtfertigt ist. Die fortlaufende Überprüfung ist eine Ausprägung des vorbeugenden Rechtsschutzes und wirkt deshalb, weil der Betroffene mangels Kenntnis seinen Grundrechtsschutz nicht selbst wahrnehmen kann. Es besteht im Ergebnis in einem Fortwirken des Richtervorbehaltes. 737 Das gilt zumindest in den Fällen, in denen ein Richtervorbehalt einfach-gesetzlich oder verfassungsrechtlich normiert wurde, aber nach der hier vertretenden Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG auch dann, wenn ein Richtervorbehalt zwar nicht normiert wurde, aber verfassungsrechtlich durch einen tiefen Grundrechtseingriff erforderlich ist. 738 Eine Überprüfung alle 6 Monate wird dabei für ausreichend erachtet. 739 3. Besondere Vorschriften über die Beweiserhebung bzw. Aktenbeiziehung a) Allgemeine Anforderungen Die Rechtsschutzgarantie gewährleistet die umfassende Prüfung der Sach- und Rechtslage. Das Gericht ist dabei nicht an Feststellungen der Verwaltung gebunden, sondern muss die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und seine rechtliche Auffassung unabhängig von der Verwaltung, deren Entscheidung angegriffen ist, gewinnen. 740 Soweit die Effektivität des Rechtsschutzes, also insbesondere die Aufklärung des Sachverhalts, von der Offenlegung der Verwaltungsvorgänge zu der angegriffenen Maßnahme oder anderen Beweismitteln 736 Im Anschluss an MVVerfG, LKV 2000, S. 345 (355). In jüngster Zeit bestätigt durch Urteil 1 BvR 256/08 vom 2. 3. 2010, Absatz-Nr. 244, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html (abgerufen am 01. 06. 2010). 737 Vgl. BVerfGE 109, 279 (368). 738 So auch Rachor, HbdPolR, K Rn. 224. 739 Vgl. BVerfGE 109, 279 (367 f.). 740 Vgl. BVerfGE 101, 106 (123) m.w. N.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
aus der Sphäre der Behörde (Zeugenaussagen von Amtsträgern etc.) abhängt, hat die Behörde alle Informationen an das Gericht herauszugeben, bis die Entscheidungsreife nach dem Maßstab einer hohe Wahrscheinlichkeit sachlicher Richtigkeit erlangt ist. Das betrifft alle Verwaltungsvorgänge, Auskünfte etc., die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung und der geltend gemachten Rechtsverletzung von Bedeutung sein können. 741 Insoweit wird die Kenntnisnahme der Verwaltungsvorgänge oder anderer Beweise durch das Gericht von dem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG erfasst. 742 Liegt demnach ein für den effektiven Rechtsschutz erforderlicher Beweis vor, wird die Heranziehung des Beweismittels von Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet. Die Beweisvorschriften sind hinsichtlich des Katalogs der Beweismittel entsprechend weit auszulegen. 743 Bei Klagen gegen Auskunftsverweigerungen sind die Aktenvorgänge, aus denen die Auskunft gerade begehrt wird, regelmäßig die einzigen erforderlichen Beweismittel und ihre Beiziehung ist daher stets verfassungsrechtlich gewährleistet. 744 b) Effektiver Rechtsschutz trotz Verweigerungsrechte Nach den Regelungen über das Beweisrecht hat die Behörde aber die Befugnis, Beweismittel zu verweigern, insbesondere Auskünfte und Auskunftsgenehmigungen nicht zu erteilen, wenn Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würden, vgl. etwa § 96 Abs. 1 StPO, oder auch wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, vgl. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Neben den Beschränkungen zu Gunsten des Staatswohls weisen einige Vorschriften noch die Aufgabenerfüllung als Schutzgut auf, vgl. etwa § 68 Abs. 1 BBG. Zu den Schranken gilt aber das zu den Auskunftsansprüchen Gesagte entsprechend, so dass eine pauschale Verweigerung unzulässig ist. 745 Stellt die Behörde die Beweismittel nicht zur Verfügung, muss das Gericht zunächst selbst den Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz gerecht werden und die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, um die Behörde oder Aufsicht zur Genehmigung der Beweismittel zu bewegen. Dieses kann beispielsweise im Rahmen einer Gegenvorstellung an die Behörde oder Aufsichtsbehörde geschehen. Die Gegenvorstellung ist wegen der Zusammenarbeitspflicht aus der Gewaltenteilung von der Behörde oder ihrer Aufsicht nochmal sorgfältig zu prüfen. 741
Vgl. Beutling, DVBl. 2001, S. 1252 (1254); Kuhla / Hüttenbrink, DVBl. 2002, S. 85
(87). 742 743 744 745
Vgl. auch BVerfGE 101, 106 (123). Vgl. Ziekow, BayVBl. 1992, S. 132 (133). Vgl. BVerfGE 101, 106 (126). Vgl. BVerfGE 57, 250 (284); Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 214.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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Gegen die Weigerung muss darüberhinaus aber auch eine effektive Rechtskontrolle möglich sein. 746 Eine bloße Glaubhaftmachung, wie sie § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. verlangte, wird der umfassenden und von behördlichen Feststellungen unabhängigen Kontrolle nicht gerecht. 747 Da aber ebenso ein gerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Beiziehung der Beweismittel mittels qualifizierter Verfassungsgüter möglich ist, muss diesen bei der Kontrolle der Verweigerungsgründe angemessen Rechnung getragen werden. Zwar steht zum Zeitpunkt der Verweigerungserklärung noch nicht fest, dass die Behörde rechtmäßig die Beweismittel verweigert hat. Würde ein Gerichtsverfahren jedoch nach einer öffentlichen Beweiserhebung feststellen, dass die Weigerung zu Recht erfolgt ist, wäre eine korrekte Geheimhaltung von vornherein ad absurdum geführt. Insbesondere der stets anwesenheitsberechtigte Kläger hätte durch die Beweisaufnahme im Überprüfungsverfahren bereits die eigentlichen Informationen erhalten, die er gerade durch die ursprüngliche Klage gewinnen wollte. Sein Rechtsschutzziel wäre also schon durch die Vorlage erreicht. Dieses öffentliche Verfahren wäre jedoch den potentiell kollidierenden Verfassungsgütern erkennbar nicht angemessen. Als verfassungsrechtlich unbedenkliche Lösung wurde daher vom Bundesverfassungsgericht in E 101, 106 ff. der Weg des sog. in camera-Verfahrens vorgeschlagen, der vom Gesetzgeber für das verwaltungs- und finanzgerichtliche Verfahren mit § 99 Abs. 2 VwGO n.F. bzw. § 86 FGO aufgegriffen wurde. Diese Regelungen ermöglichen es, berechtigten Geheimhaltungsbedürfnissen Rechnung zu tragen und gleichzeitig eine effektive Rechtskontrolle zu gewähren. Sie sind im Hinblick auf eine angemessene Abwägung der gegenläufigen Verfassungsgüter daher verhältnismäßig. 748 Die Einschränkung des rechtlichen Gehörs des Klägers, der im in camera-Verfahren nicht zugegen ist, ist im Hinblick auf die Rechtsschutzeffektivierung gerechtfertigt. 749 c) Verfahrensordnungen ohne „in camera“-Verfahren Zwar enthalten weder § 96 StPO noch die oben genannten Bestimmungen der ZPO (i.V. m. § 46 ArbGG) oder § 121 SGG für den Straf-, Zivil-, Arbeitsge746
Vgl. Huber, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 19 Rn. 455. Vgl. BVerfGE 101, 106 (126 ff.). 748 Vgl. BVerfGE 101, 106 (128); Rachor, HbdPolR, K Rn. 137. 749 Vgl. BVerfGE 101, 106 (129 ff.); a. A. Schatzschneider, NVwZ 1988, S. 223 (224); Ziekow, BayVBl. 1992, S. 132 (139). So bereits die Regierungsbegründung des Entwurfs zur Änderung des Art. 10 GG in der 4. Legislaturperiode, der anstatt eines parlamentarischen Rechtsschutzes noch ein geheimes richterliches Verfahren vorsah: „Das Fehlen eines rechtlichen Gehörs wird nämlich wettgemacht dadurch, daß der überprüfende Richter, anders als in einem normalen gerichtlichen Verfahren in Anbetracht der dort bestehenden Zeugnis-, Auskunfts- und Aktenvorlageverweigerungsrechte, in die Lage versetzt wird, vor Erlaß oder Bestätigung der Beschränkungsanordnung alle geheimen Unterlagen der Sicherheitsbehörden zu prüfen und zu würdigen“, BT-Drs. IV/2633, S. 4. 747
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
richts- und Sozialgerichtsprozess ein in camera-Verfahren. Eine entsprechende Regelung in den Prozessordnungen wäre aber aus verfassungsrechtlicher Sicht auch nicht zusätzlich zum neuerdings normierten in camera-Verfahren in der VwGO erforderlich. Im Strafprozess wirken Geheimhaltungsinteressen des Staates „in dubio pro reo“. Geheimgehaltene Beweismittel dürfen also nicht zu Lasten des Angeklagten verwendet werden. 750 Ein in camera-Verfahren hätte die merkwürdige Konsequenz, dass geheimhaltungsbedürftige Tatsachen gegen den Angeklagten verwendet werden, ohne dass er sich dazu äußern könnte. 751 Möchte der Angeklagte hingegen entlastende Umstände vorbringen, die der Nachrichtendienst nicht offenbart, die aber für die Verteidigung erforderlich sind, kann er einen Auskunftsantrag stellen und bei Versagen gegen die Ablehnung verwaltungsgerichtlich vorgehen. Das Gleiche gilt für den Fall, dass die Behörde ihren Mitarbeitern die Aussage verweigert. Hier ist eine entsprechende Klage vor dem Verwaltungsgericht mit dem Begehren, die Behörde zur Genehmigung zu verurteilen, statthaft. 752 Das Strafverfahren ist allerdings für diese Zeit nach § 246 Abs. 2 StPO analog 753 oder § 228 Abs. 1 StPO auszusetzen. Über die Erforderlichkeit entscheidet dabei das Strafgericht nach Maßgabe seiner Prozessordnung (also durch Zulassung eines Beweisantrages oder explizitem Verlangen der Aktenvorgänge) und nicht das Verwaltungsgericht. 754 Hält das Gericht die Beiziehung für nicht erforderlich, der Angeklagte hingegen schon, liegt darin zunächst ein einfach-rechtliches Problem vor dem Hintergrund der gerichtlichen Aufklärungspflicht und Beweiswürdigung. Das Gericht hat beispielsweise nur bei den in § 244 Abs. 3, 4 und 5 StPO enumerativ aufgeführten Gründen die Möglichkeit, einen Beweisantrag abzulehnen. 755 Zusätzlich zum Verfahrensfehler liegt aber dann eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz vor, wenn das Gericht den verfassungsrechtlichen Mindeststandard unterschreitet, d. h. eine wirksame Rechtskontrolle durch entsprechende Aufklärung des Sachverhalts unterlässt. Das Recht fließt dann nicht zwingend aus Art. 19 Abs. 4 GG, weil das Gericht nicht zur öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG gehört. Jedenfalls ist aber der allgemeine Justizgewährungsanspruch in Gestalt des Rechts auf ein faires Strafverfahren betroffen, der auch eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts, insbesondere in Richtung entlastender Umstände für den Beschuldigten fordert. 756 Zusätzlich ist 750
Vgl. BGH, NJW 2000, S. 1661 (1662 f.). Vgl. BVerfGE 101, 106 (129 f.). 752 Vgl. BGH, NJW 184, S. 247 (248); BVerwG, NJW 1983, S. 638 ff.; Riedel, NVwZ 1983, S. 337 (338). 753 Vgl. zur analogen Anwendung bei sächlichen Beweismitteln: Pfeiffer, StPO, § 246 Rn. 2. 754 Vgl. BVerwG, E 119, 229 (230 f.); NJW 2004, S. 963. 755 Vgl. Vierhaus, DVBl. 2009, S. 629 (632). 756 Vgl. BVerwG, E 75, 1 (5 ff.); Beschluss vom 10. 02. 2003 – Az.: 6 VR 3/03, Rn. 8 f. 751
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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das den Gewährleistungsanspruch konkretisierende Recht auf rechtliches Gehör verletzt: Das Grundrecht zwingt die Gerichte zur Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines solchen Antrags verstößt daher gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn es im Prozessrecht keine Stütze findet. 757 Der dann folgende Gerichtsbeschluss bzw. das dann folgende Gerichtsurteil wäre schon aus dem Grunde der Gehörsverletzung rechtswidrig. Entsprechendes gilt für die anderen Prozessarten, soweit die Auskünfte etc. für die Rechtsverteidigung erforderlich sind, wobei unter obiger Maßgabe das Gericht des jeweiligen Rechtswegs ebenso über die Erforderlichkeit (etwa durch Beiziehung oder Beweiserhebung) nach seinen Verfahrensvorschriften entscheidet. 758 Besteht über die Erforderlichkeit Streit, ist hier wieder zu fragen, ob das einfache Beweisrecht verletzt wurde und sich bereits aus diesem Grunde ein Anspruch auf Beiziehung der Akten etc. ergibt, und ob darüber hinaus auch eine Verletzung des Justizgewährungsanspruchs vorliegt, so dass sich auch aus diesem Recht ein Anspruch auf Beiziehung ergibt. Insgesamt können die Mängel der Prozessordnungen ohne in camera-Verfahren über den Umweg über das Verwaltungsgericht behoben werden. Der Weg, den die FGO mit einer Parallelregelung gewählt hat, verhindert jedoch gesplittete Zuständigkeiten und langwierige Unterbrechungen des ursprünglichen Prozesses. Aus Gründen der Prozessökonomie ist ein eigenes in camera-Verfahren für jeden Gerichtszweig daher zumindest rechtspolitisch angezeigt. d) Sperrerklärungen im vorläufigen Rechtsschutz Trotz des normierten „in camera“-Verfahrens, das im Gegensatz zur alten Rechtslage Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich entspricht, sind dennoch Fallgestaltungen denkbar, in denen das Verfahren zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes nicht ausreicht. Namentlich ist dieses beim vorläufigen Rechtsschutz der Fall, wenn für ein in camera-Verfahren keine Zeit mehr bleibt. Jenseits der Fragen der Beweiswürdigung nicht erreichbarer Beweismittel gebietet es dann die Rechtsschutzgarantie, dass das angerufene Gericht im Rahmen des summarischen Verfahrens die Rechtmäßigkeit von Sperrerklärungen überprüft. 759 Da im einstweiligen Verfahren regelmäßig kein Vollbeweis erforderlich ist, sondern nur die Glaubhaftmachung von Tatsachen, können hier die Grundsätze der Anforderungen an die Glaubhaftmachung aufgegriffen werden, die von der Rechtsprechung zu § 99 Abs. 2 VwGO a.F. entwickelt wurden. Da die konkreten Gewährleistungen der Rechtsschutzgarantie von dem bedrohten Recht mitbestimmt 757 758 759
Vgl. BVerfGE 50, 32 (35 f.); NJW 2009, S. 1585 (1586) m.w. N. Vgl. BVerwG, NJW 2008, S. 1398 (1399). Angedeutet auch bei BVerwG, DVBl. 2003, S. 869 (870).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
werden, sind die Anforderungen an die Überprüfung der von der Behörde vorgebrachten Gründe umso höher, je tiefer der Eingriff in das von Art. 19 Abs. 4 GG im konkreten Fall durchzusetzende subjektive Recht ist. Das verlangt der besondere Rechtsschutzstandard. Werden die Anforderungen im Einzelfall dann so hoch, dass sie sich einem Vollbeweis nähern, bleibt in letzter Konsequenz nur die Möglichkeit eines einstweiligen in camera-Verfahrens durch den jeweiligen Fachsenat in analoger Anwendung der §§ 80 Abs. 5 bzw. 123 jeweils i.V. m. § 99 Abs. 2 VwGO. 760 4. Präventiver Rechtsschutz Die Rechtsschutzgarantie fordert bei tiefen Grundrechtseingriffen die Absicherung der subjektiven Rechte des Betroffenen durch präventiven Rechtsschutz. Dieses ergibt sich aus der Schutzwirkung des Grundrechts. Zwar steht dem Gesetzgeber, und ggf. der Judikative bei unzureichender Regelung des präventiven Rechtsschutzes, ein Spielraum bei der Ausgestaltung der vorwirkenden Schutzansprüche zu. Auf der einen Seite verdichtet sich dieser Spielraum aber bei besonders tiefen Eingriffen in subjektive Rechte zu einem Richtervorbehalt, der folglich normiert werden muss. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen besonders tiefen Eingriff etwa bei Maßnahmen der sog. Online-Durchsuchung gesehen, da diese in das in Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG wurzelnde sog. Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme eingreifen. Auch Informationserhebungen aus dem Intimbereich des Betroffenen erfordern nach der Rechtsprechung des Gerichts einen solchen präventiven Rechtsschutz. 761 Der Intimbereich ist dabei ein wenig weiter als der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung. In Ersteren darf kaum, in Letzteren gar nicht eingegriffen werden. Auf der anderen Seite ist aber unter bestimmten Bedingungen auch jenseits der Eingriffstiefe, die den Spielraum reduziert, ein Richtervorbehalt verfassungsrechtlich geboten: Soweit die Voraussetzungen einer Schutzwirkung, die den präventiven Rechtsschutz auslöst, vorliegen, kommt bei verdeckten Maßnahmen nur ein Richtervorbehalt in Betracht, da alle anderen Instrumente des präventiven Rechtsschutzes (vorbeugende Unterlassungs- oder Feststellungsklage) eine Kenntnis oder Indizienwissen einer geplanten nachrichtendienstlichen Maßnahme voraussetzen. Sofern demnach ein Eingriff geplant ist, der die Gefährdung subjektiver Rechte dergestalt mit sich bringt, dass der vorwirkende Schutz erforderlich ist, bleibt grundsätzlich nur die Anordnung eines Richtervorbehalts. 760 So auch Schenke, NVwZ 2008, S. 938 (940). Die Zulässigkeit eines solchen Verfahrens wurde von BVerwG, Beschluss vom 10. 02. 2003 – Az.: 6 VR 2/03, Rn. 2 f. grundsätzlich anerkannt. 761 Vgl. dazu oben 2. Teil 2. Abschnitt A. I. C.
2. Abschn. A. Einflüsse auf den gerichtlichen Rechtsschutz
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Werden Richtervorbehalte bei entsprechenden Maßnahmen nicht normiert, liegt ein Art. 19 Abs. 4 GG beeinträchtigendes gesetzgeberisches Unterlassen vor. Das einzige Nachrichtendienstgesetz, das bisher eine verdeckte Online-Durchsuchung vorsieht, das bayerische Verfassungsschutzgesetz in Art. 6e bayVSG, schützt dem Vorstehenden entsprechend auch verfassungskonform mit einem Richtervorbehalt über eine Verweisung in Art. 6 f. Abs. 5 bayVSG. Im Gegensatz dazu fehlt aber in allen Nachrichtendienstgesetzen des Bundes und der Länder ein Richtervorbehalt bei Eingriffen in die Intimsphäre des Betroffenen. Zwar gibt es regelmäßig eine Regelung, die bei tiefen Eingriffen mit nachrichtendienstlichen Mitteln, „die einer in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, wozu insbesondere das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel gehören“, eine Benachrichtigungspflicht gegenüber dem Betroffenen und eine Informationspflicht gegenüber dem jeweiligen parlamentarischen Kontrollgremium vorschreiben, vgl. etwa § 9 Abs. 3 BVerfSchG oder § 7 Abs. 3 nwVSG. Ein Richtervorbehalt ist aber nicht vorgesehen. Allerdings verlangt Art. 19 Abs. 4 GG eine entsprechende Regelung, die die präventive Rechtsschutzlücke jenseits der für spezielle Eingriffe normierten Richtervorbehalte schließt. Die Regelungen der speziellen Richtervorbehalte schließlich, die eine Suspendierung der richterlichen Anordnung für den Eilfall anordnen, vgl. etwa § 9 Abs. 2 Satz 3 BVerfSchG für den sog. Lauschangriff, bedeuten eine Einschränkung der Schutzwirkung. Soweit sie in einem Grundrecht spezialgesetzlich normiert sind, richtet sich ihre Einschränkbarkeit nach diesem Grundrecht. So sieht Art. 13 Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 2 GG eine spezielle Schranke für den Richtervorbehalt für Lauschangriffe bei Gefahr im Verzug vor. Aber auch diese Schranke wird sehr restriktiv verstanden. 762 Ihr Vorliegen ist jedenfalls zu einer späteren Überprüfung sorgfältig zu dokumentieren. 763 Sofern die Richtervorbehalte sich hingegen aus der Schutzwirkung von Art. 19 Abs. 4 GG ableiten, kommt keine spezialgesetzliche Schrankenregelung zum Tragen. Jede Einschränkung muss sich an den herausgearbeiteten Schranken messen lassen. 764 Zwar ist dann zu berücksichtigen, dass es sich nur um Vorwirkungen von Art. 19 Abs. 4 GG handelt, eine Einschränkung also unter geringeren Voraussetzungen erfolgen kann. In der Abwägung mit den entgegenstehenden Rechtsgütern ist aber weiterhin zu beachten, dass es sich um ein vorbehaltloses Grundrecht handelt, das nur durch entsprechend hochwertige Rechtsgüter im 762 Vgl. BVerfGE 103, 142 (153 ff.); Jarass, Jarass / Pieroth, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 19 m.w. N. 763 Vgl. Gusy, JZ 1998, S. 167 (169). 764 Allgemein dazu: Gusy, JZ 1998, S. 167 (171).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
Wege des schonenden Ausgleichs eingeschränkt werden kann. Diejenige tief eingreifende Maßnahme, die zunächst ohne richterliche Genehmigung erfolgt, muss daher auch diesen Rechtsgütern dienen und ihre Anwendung muss im konkreten Fall auch angemessen sein. 5. Bestimmtheit der Kompetenznormen Sämtliche Kompetenznormen der Nachrichtendienste von Bund und Ländern auf ihre Vereinbarkeit mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot zu untersuchen, würde erkennbar den Rahmen der Arbeit sprengen, in der das Bestimmtheitsgebot zwar einen wichtigen, aber eben nur ein Randaspekt darstellt. Daher soll sich die Prüfung auf zwei sehr problematische Normen(ketten) beschränken. Zum einen ist § 8a Abs. 2 BVerfSchG zu nennen, der regelt, bei welchen Unternehmen besondere Auskunftsverlangen eingeholt werden dürfen und für welche Schutzgüter eine solche Abfrage erfolgen darf. Grundsätzlich wird hinsichtlich der Schutzgüter zwar auf die wohl ausreichend bestimmte Aufgabennorm des § 3 Abs. 1 BVerfSchG verwiesen. Für den Fall des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG (freiheitlich demokratische Grundordnung, Bestand des Staates, Amtsführung der Verfassungsorgane des Staates) gibt es aber in § 8a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BVerfSchG Modifizierungen: So sollen die Schutzgüter tatbestandlich nur für die erforderliche Maßnahme ausreichen, wenn Bestrebungen beobachtet werden, die bezwecken oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, insbesondere Gewaltanwendung zu befürworten oder Vereinigungen zu unterstützen, die Anschläge auf Personen oder Sachen befürworten. Das Tatbestandsmerkmal „Befürworten“ ist jedoch denkbar weit. Es kann von impliziten Äußerungen abstrakt-ideologischen Verständnisses für Gewaltanwendungen bis zu eindeutigen Lobeshymnen auf Gewalttaten reichen. Neben den Bedenken vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit kommt hier die fehlende Bestimmtheit hinzu. Das Tatbestandsmerkmal ist weder gesetzlich definiert, noch ist eine gefestigte Rechtsprechung erkennbar, die den Bestimmtheitsmangel heilen könnte. Zudem gibt es dieses Tatbestandsmerkmal auch nicht in anderen Gesetzen aus einem vergleichbarem Politik- bzw. Rechtsbereich, etwa dem StGB oder dem BKAG. Auch die Gesetzesbegründung hilft zur Eingrenzung nicht weiter. Sie spricht zur Erklärung des Merkmals „befürworten“ lediglich tautologisch von „gutheißen“. 765 Durch das weite Spektrum des als eingrenzendes Tatbestandsmerkmal konzipiertes „Befürworten“ ist eine Kontrolle hinsichtlich der rechtmäßigen Anwendung der Auskunftsverlangen insoweit nicht möglich. Das Merkmal verstößt gegen den rechtstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz.
765
Vgl. Gesetzesbegründung zum Gemeinsamen-Dateien-Gesetz, BT-Drs.: 16/2950, S. 31; dazu ebenso kritisch: Roggan / Bergemann, NJW 2007, S. 876 (877).
2. Abschn. B. Einflüsse auf den parlamentarischen Rechtsschutz
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Zum anderen sind die umfangreichen Verweisketten im bayVSG vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebotes problematisch. Durch Verweisketten steigt das Risiko der Fehleranfälligkeit der Rechtsanwendung und es leidet die Rechtskontrolle. 766 Beispielsweise werden für die Online-Durchsuchung nach Art. 6e bayVSG Verfahrensregelungen in Art. 6 f. Abs. 5 bayVSG aufgestellt. Die Norm regelt die Verfahrensvorschriften jedoch nicht abschließend, sondern verweist zusätzlich auf die Verfahrensvorschriften des Art. 6b Abs. 1 bis 4 und 6 bayVSG. Für Fälle absolut geschützter Inhalte (Kernbereich etc.) wird weiter auf die §§ 53, 53a StPO verwiesen und eine entsprechende Anwendung der Art. 6b Abs. 2 Satz 7 und Abs. 6 bayVSG angeordnet. Warum dort noch einmal auf die Regelungen der Abs. 2 und 6 verwiesen wird, obwohl eine pauschale Anwendung der Abs. 1 bis 4 und 6 bereits angeordnet wurde, bleibt unklar. Art. 6b wiederum verweist auf die Aufgabennorm des Art. 6a Abs. 2 und pauschal auf die gesamte StPO: Daten dürfen nur dann „zur Verfolgung von Straftaten [verwendet] werden, wenn die Voraussetzungen der Strafprozessordnung für die Datenerhebung bei der Erhebung vorgelegen haben und bei der Übermittlung noch vorliegen.“ Art. 6a Abs. 2 bayVSG verweist schließlich u. a. auf das WaffG, das Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen und auf mannigfaltige Vorschriften des StGB. Selbstverständlich muss der Gesetzgeber nicht stets wiederholend alle Tatbestandsmerkmale in einem Gesetz aufführen, wenn er Verweisungstechniken nutzen kann. Verschachtelte, pauschale und doppelte Verweisungen auf dasselbe Gesetz und zusätzlich noch auf Gesetze anderer Körperschaften machen ein Gesetz jedenfalls fehleranfällig und schwer zu kontrollieren. Vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebotes ist die gewählte Regelung daher höchst bedenklich. Dieses gilt insbesondere deshalb, weil die Online-Durchsuchung einen tiefen Eingriff darstellt und die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes dementsprechend hoch sind.
B. Einflüsse auf den parlamentarischen Rechtsschutz Der parlamentarische Rechtsschutz wird durch die G 10-Kommission ausgeübt. Sie hat hinsichtlich der Beweismittel zwar größere Kompetenzen als die Gerichte im Hauptsacheverfahren. Es sind bei der Vorstellung ihres Verfahrens und ihrer Kompetenzen aber auch rechtsschutzerhebliche Fragen offengeblieben. Neben den grundsätzlichen Problemen einer Überantwortung des Rechtsschutzes auf ein mittelbar parlamentarisches Gremium, zählt dazu insbesondere die Frage der sachlichen und zeitlichen Zuständigkeit in Abgrenzung zu den Gerichten. Maßgebliche Vorschrift für den parlamentarischen Rechtsschutz ist Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG. Er soll zunächst vorgestellt werden (dazu unter I.). Als be766
Vgl. BVerfGE 110, 33 (61 ff.).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
sondere Regelung zu den Grundrechten aus Art. 10 GG ist der parlamentarische Rechtsschutz jedenfalls nur zulässig, wenn Art. 10 GG auch betroffen ist. Insbesondere bei Fragen der Erhebung von Verbindungsdaten oder aus informationstechnische Systemen ist daher eine genaue Abgrenzung der Schutzbereiche von Art. 10 GG und anderen Grundrechten, insbesondere des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG vorzunehmen (dazu unter II.). Schließlich ist das parlamentarische Rechtsschutzsystem in seiner vorgestellten einfach-gesetzlichen Ausgestaltung an den gefundenen verfassungsrechtlichen Anforderungen zu messen (dazu unter III.).
I. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG als Ermächtigungsgrundlage Nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG dürfen Beschränkungen der Grundrechte aus Abs. 1 durch Gesetz angeordnet werden. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG (i.V. m. Art. 19 Abs. 4 Satz 3 GG) geht aber darüber hinaus und ermächtigt auch zu Einschränkungen des Rechtsschutzes gegen solche Beschränkungen. Er stellt nach seinem Wortlaut eine Ermächtigung für den Gesetzgeber zur Schaffung eines Mitteilungsausschlusses und alternativen Rechtswegs dar. Dient nämlich die Beschränkung der Grundrechte aus Abs. 1 dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann durch Gesetz bestimmt werden, dass sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und dass an die Stelle des Rechtswegs die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt. Maßgeblich für die Auslegung dieser Verfassungsnorm ist die sog. Abhörentscheidung bzw. das sog. Abhörurteil 767 des Bundesverfassungsgerichts in E 30, 1. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht gegen massive Bedenken in der Literatur und dem der Entscheidung anschließenden Sondervotum 768 die Verfassungsänderung für vereinbar mit der Grenze für Verfassungsänderungen aus Art. 79 Abs. 3 GG erklärt. 769 Es hat in systematischer Auslegung versucht, Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 79 Abs. 3 GG unter Zuhilfenahme des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes miteinander zu vereinbaren. 770 Da die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verfassungsänderung in der vorliegenden Arbeit ausgeklammert wurde, ist diese Auslegung für das weitere Vorgehen maßgeblich. 767 Vgl. diese Bezeichnungen etwa bei Alberts, JuS 1972, S. 319 ff.; Häberle, JZ 1971, S. 145 ff.; Hall, JuS 1972, S. 132 ff.; Schlink, Der Staat 12 (1973), S. 12 ff. 768 Vgl. etwa Erichsen, VerwArch 1971, S. 291 ff.; Häberle, JZ 1971, S. 145 ff.; Kalkbrenner, BayVBl. 1971, S. 146 f.; Rupp, NJW 1971, S. 275 ff.; Schlink, Der Staat 12 (1973), S. 85 ff.; sowie das Sondervotum der Richter Geller, von Schlabrendorff und Rupp, E 30, 1 (33 ff.). 769 Vgl. BVerfGE 30, 1 (26 ff.). 770 Spöttisch als „verfassungskonforme Verfassungsauslegung“ bezeichnet, vgl. Hermes, Dreier, Art. 10 Rn. 60.
2. Abschn. B. Einflüsse auf den parlamentarischen Rechtsschutz
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Die Abhörentscheidung und die beiden entscheidenden Nachfolgeentscheidungen zum G 10 (E 67, 157 ff. und E 100, 313 ff.) 771 mit ihren wesentlichen Auslegungsergebnissen werden dementsprechend im Folgenden dargestellt (unter 1. und 2.). Da die Entscheidungen jedoch nicht auf die Auslegung der Schutzgüter des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG eingehen, muss die Auslegung des Gerichts diesbezüglich durch eine eigene Auslegung ergänzt werden (unter 3.). 1. Die Auslegung im ersten Abhörurteil Im ersten Abhörurteil legt das Gericht Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 79 Abs. 3 GG getrennt aus. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG sei danach ein Spezialfall des Satzes 1 und konkretisiere die Beschränkungen, die bei den genannten Schutzgütern möglich sind. Das Gericht hält die Beschränkungen (Ausschluss des gerichtlichen Rechtswegs, fehlende Benachrichtigung) vor den genannten Schutzgütern und der ihnen dienende effektiven Arbeit des Verfassungsschutzes zudem für legitim. 772 Im Folgenden schränkt es die Weite des Wortlautes aber in systematischer Auslegung wieder ein. Auf der einen Seite stehe die Grundentscheidung des Grundgesetzes für eine „streitbare Demokratie“, wie sie in Art. 9 Abs. 2 GG, Art. 18 GG etc. konkretisiert werde. Freiheit dürfe danach nicht zum Kampf gegen die freiheitliche Verfassung genutzt werden. Zudem wird die Gemeinschaftsbezogenheit des Individuums betont. 773 Gegen diese „Grundentscheidungen“ des Grundgesetzes stünde aber der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten lasse. 774 Beschränkungen der Grundrechtsposition seien auf das unbedingt Notwendige zum Schutz eines von der Verfassung anerkannten Rechtsgutes (wozu das Gericht bei Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG den Bestand des Staates und seiner Verfassungsordnung zählt) zu reduzieren. Dieses gelte für die gesetzliche Anordnung und eine solche im Einzelfall. Zusätzlich folge aus dem Rechtsstaatsprinzip die Anforderung einer effektiven Rechtskontrolle bei hoheitlichen Eingriffen in Freiheit und Eigentum der Bürger. 775 Das Ergebnis der systematischen Auslegung für das Gericht ist anschließend, dass eine Nichtbenachrichtigung für den Betroffenen und das Ersetzen des Gerichtsschutzes von der Verfassung legitimiert sei. Ein Einfallstor für den Verhält771 Teilweise auch als zweite und dritte Abhörentscheidung bezeichnet, vgl. Löwer, vMünch / Kunig, Art. 10 Rn. 53; Müller-Terpitz, Jura 2000, S. 296 (297). 772 Vgl. BVerfGE 30, 1 (18). 773 Vgl. BVerfGE 30, 1 (19 f.). 774 Die Verortung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rechtsstaatsprinzip sehen auch große Teile der Literatur, vgl. nur Sommermann, v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 20 Rn. 308 m.w. N. (mit einer geschichtlichen Herleitung in der folgenden Randnummer). 775 Vgl. BVerfGE 30, 1 (20 f.).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
nismäßigkeitgrundsatz sieht es jedoch im Wort „kann“ in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG. Der Grundsatz lasse danach die nachträgliche Benachrichtigung über die Maßnahme zu und fordere sie sogar, wenn eine Gefährdung für die genannten Schutzgüter ausgeschlossen werden könne. Darüber hinaus könne es auch im letzten Falle beim normalen Rechtsweg bleiben. Es wird also Raum für die Beibehaltung des Rechtswegs oder ein gesondertes gerichtliches Verfahren gelassen, falls die Gefährdung der Schutzgüter dadurch möglich sein sollte. 776 Weiter führt das Gericht aus, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fordere zudem, dass die Beschränkungen der Grundrechte des Art. 10 GG auf die Fälle begrenzt werde, bei denen „konkrete Umstände den Verdacht eines verfassungsfeindlichen Verhaltens rechtfertigen und [...] dem verfassungsfeindlichen Verhalten im konkreten Fall nach Erschöpfung anderer Möglichkeiten der Aufklärung nur durch [die Beschränkung] [...] beigekommen werden [könne]“ 777. Das sei nötig, um die Zahl der Nichtbenachrichtigungen Betroffener einzuschränken. 778 Bei der Prüfung der materiellen Voraussetzungen durch das parlamentarische Gremium ist demnach eine Eingriffsschwelle, ähnlich dem strafrechtlichen Tatverdacht oder der polizeirechtlichen Gefahr, zu beachten. Schließlich stellt das Gericht noch Anforderungen an den Ersatzrechtsweg auf. Aus dem Wortlaut der Norm, wonach „an die Stelle des Rechtswegs“ der parlamentarische Rechtsschutz treten soll, und aus systematischer Auslegung mit dem Rechtsstaatsprinzip ergebe sich die erforderliche Gleichwertigkeit von parlamentarischem und gerichtlichem Rechtsschutz in materieller und verfahrensmäßiger Hinsicht. Eine Ausnahme stelle nur die fehlende Mitwirkung des Betroffenen dar. Mindestens sei aber eine ebenso wirkungsvolle Rechtskontrolle vonnöten. Das Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG ausführende Gesetz müsse daher ein Organ vorsehen, dessen Mitglieder richterliche Unabhängigkeit genössen, auf bestimmte Zeit berufen seien und das „für alle an der Vorbereitung, verwaltungsmäßigen Entscheidung und Durchführung der Überwachung Beteiligten verbindlich über die Zulässigkeit der Überwachungsmaßnahme und über die Frage, ob der Betroffene zu benachrichtigen ist, entscheide[...] und die Überwachungsmaßnahme untersag[e], wenn es an den rechtlichen Voraussetzungen dazu fehl[e]“. 779 Zusätzlich müssten die Mitglieder über die notwendige Rechtsund Sachkunde verfügen und kompetent sein, die Kontrolle laufend auszuüben. Ihnen seien zudem alle für die Entscheidung erforderlichen Unterlagen zugänglich zu machen. Schlussendlich lasse Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG aber auch zu, dass eine Regelung geschaffen werde, nach der die Mitglieder eine rechtmäßige Maßnahme aus „Gründen der Opportunität“ stoppten. 780 776 777 778 779 780
Vgl. BVerfGE 30, 1 (21). BVerfGE 30, 1 (22). Vgl. BVerfGE 30, 1 (22). BVerfGE 30, 1 (23). Vgl. BVerfGE 30, 1 (23 f.).
2. Abschn. B. Einflüsse auf den parlamentarischen Rechtsschutz
301
Im weiteren Fortgang der Entscheidung 781 wird dann noch die Vereinbarkeit des durch Verfassungsänderung eingefügten Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG mit Art. 79 Abs. 3 GG geprüft, der aber im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle spielen soll. Schließlich wurde noch dass G 10 anhand der gefundenen Auslegung gemessen, wobei insbesondere Art. 1 § 5 Abs. 5 G 10 a.F. für mit dem Grundgesetz insoweit unvereinbar erklärt wurde, als er eine Benachrichtigung auch nach Abschluss der Maßnahme nicht vorsah. 2. Die Auslegung im zweiten und dritten Abhörurteil Im 14 Jahre später ergangenen zweiten Abhörurteil 782 bestätigte das Gericht die Ergebnisse der vorangegangenen Entscheidung im Wesentlichen, lieferte aber unter Rechtsschutzgesichtspunkten keine neuen Erkenntnisse. Vielmehr handelte es sich um materiell-rechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit der strategischen Kontrolle durch den BND. Das Gericht sah es auch deshalb nicht als erforderlich an, den Rechtsschutz gegen die umfangreichen Sammlungen der strategischen Kontrolle zu verstärken, weil es damals technisch nicht ohne weiteres möglich war, aus den umfangreichen Daten auf Einzelpersonen zu schließen. 783 Wieder 15 Jahre später äußerte sich das Bundesverfassungsgericht zum dritten Mal zu Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG und dem G 10. 784 Auch dieses Urteil bestätigte grundlegend die beiden vorherigen Abhörurteile und bezog sich durchgehend darauf. Es übertrug darüber hinaus aber auch die Grundsätze des Volkszählungsurteils zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung 785 auf die spezielle Garantie des Art. 10 GG. Dadurch leitete das Gericht die besonders hohen Bestimmtheitsanforderungen bei der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten (insbesondere hinsichtlich der datenschutzrechtlichen Zweckbestimmung bei Datenerhebungen) auf den Gewährleistungsgehalt des speziellen Grundrechts über. 786 Für die Auslegung des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG enthält die Entscheidung jedoch kaum weitere Erkenntnisse. Es wird noch einmal klargestellt, dass eine Mitteilungssuspendierung nur für die Maßnahmen in Betracht komme, die den Schutzgütern des Satzes 2 dienen (hier: bewaffneter Angriff auf das Bundesgebiet, § 3 Abs. 2 Nr. 1 G 10 a.F.). Allerdings könnten sich Geheimhaltungsgründe für andere Beobachtungsbereiche (hier: organisierte Kriminalität, § 3 Abs. 2 Nr. 1 781
Vgl. BVerfGE 30, 1 (26 ff.). BVerfGE 67, 157 ff. 783 Vgl. insbesondere BVerfGE 67, 157 (184 f.), anders dann die jüngere Entscheidung, vgl. BVerfGE 100, 313 (378 f.). 784 Vgl. BVerfGE 100, 313 ff. 785 Vgl. BVerfGE 65, 1 ff. 786 Vgl. BVerfGE 100, 313 (359 f.). 782
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
bis 6 G 10 a.F.) auf die Schranke in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 stützen, wenn etwa die Spionageabwehr oder der Schutz von Informationsquellen zu einer Geheimhaltung aus Gründen des Staatswohls hinzukämen. 787 Zur Klarstellung muss hier darauf hingewiesen werden, dass sich diese Feststellung des Bundesverfassungsgerichts jedoch nur auf die Schranke für Art. 10 GG bezieht, nicht auf eine Beschränkung von Art. 19 Abs. 4 GG. Es kann daher nur die Schranke für eine Mitteilungspflicht aus der Verfahrenskomponente des Art. 10 GG gemeint sein. Da Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG i.V. m. Art. 19 Abs. 4 Satz 3 GG gerade nicht einschlägig ist, ergibt sich im Umkehrschluss, dass für eine Einschränkung des Art. 19 Abs. 4 GG die hohen Beschränkungserfordernisse des Art. 19 Abs. 4 GG als vorbehaltloses Grundrecht gelten und nicht die einfache Beschränkungsmöglichkeit in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG. Daneben weist die Entscheidung noch einmal explizit darauf hin, dass die Kontrolle der G 10-Kommission den gesamten Prozess der Erfassung und Verwertung personenbezogener Daten umfasse. Dazu gehöre auch die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Maßnahme. Die Behörde müsse entsprechend personell ausgestattet sein. Anderenfalls könnten die Maßnahmen keinen verfassungsrechtlichen Bestand haben. 788 Schließlich wird ausdrücklich festgestellt, dass der Rechtsweg auch beschritten werden könne, wenn der Betroffene auf andere Weise von der Maßnahme erfahre. Der Rechtsschutz würde sonst in unnötiger Weise verkürzt, wenn er in derartigen Fällen gleichwohl von einer Mitteilung abhängig wäre. 789 Die Entscheidung beschäftigt sich ansonsten im Schwerpunkt mit den materiellen Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlagen im G 10. So werden Grenzen für die Überwachungsbereiche, insbesondere im Hinblick auf die organisierte Kriminalität, aus der Gesetzgebungskompetenz des Art. 73 Nr. 1 GG 790 und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 791 gezogen. Aus letzterem Grundsatz werden dann auch die Einschreitschwellen für Datenerhebungen entwickelt. Die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips stiegen nach der Feststellung des Gerichts konsequenterweise mit der Intensität des Eingriffs, die sich nach der Ausgestaltung der Eingriffsschwellen, der Zahl der Betroffenen, dem Anonymisierungsgrad dieser und dem erfassten Inhalt der Gespräche bzw. Daten allgemein bemesse, 792 sowie danach, welche Nachteile dem Grundrechtsträger 787
Vgl. BVerfGE 100, 313 (397 f.). Vgl. BVerfGE 100, 313 (401 f.). 789 Vgl. BVerfGE 100, 313 (399 f.). 790 Vgl. BVerfGE 100, 313 (368 ff., 383). 791 Vgl. BVerfGE 100, 313 (373). 792 Eine umfassende Differenzierung hinsichtlich der Inhalte der gewonnenen Daten hat das Gericht darüberhinaus insbesondere in BVerfGE 34, 238 (zur Verwertung heim788
2. Abschn. B. Einflüsse auf den parlamentarischen Rechtsschutz
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aufgrund der Überwachungsmaßnahme drohten oder von ihnen nicht ohne Grund befürchtet würden. 793 Bei der Übermittlung von Daten wirke wieder das Verhältnismäßigkeitsprinzip stark auf die Rechtsschutzanforderungen ein. Die Daten seien weiter zu kennzeichnen, damit erkennbar bleibe, dass sie unter Aufhebung des Fernmeldegeheimnisses erlangt wurden. 794 Die Daten blieben auch bei der Übertragung an den Zweck gebunden, den das zur Kenntnisnahme ermächtigende Gesetz festgelegt habe. Eine Zweckänderung sei nur aufgrund einer gesetzlichen Grundlage möglich, die hohe Anforderungen erfüllen müsse. 795 Zu den Anforderungen von Art. 19 Abs. 4 GG spricht das Gericht schließlich noch aus, dass bezüglich der Speicherung von Daten besondere verfahrensrechtliche Vorkehrungen zum Rechtsschutz (Auskunftsansprüche und Benachrichtigungspflichten) geschaffen werden müssten. 796 Des Weiteren müsse bei der Informationsverarbeitung erkennbar bleiben, zu welchem Zweck die Daten erhoben wurden und aus welcher grundrechtlich geschützten Sphäre sie stammten. 797 Es seien auch Löschungsansprüche vorzusehen, die generell von Amtswegen beachtet werden müssten. Die Löschungsansprüche ergäben sich bei Zweckfortfall aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. 798 Im Zusammenhang mit einem wirksamen Rechtsschutz unterbleibe die Löschung allerdings, wenn die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen nach Mitteilung anderenfalls nicht möglich wäre. Art. 19 Abs. 4 GG verbiete, den Rechtsschutz durch vorzeitige Vernichtung zu vereiteln. 799 Die Daten dürften dann aber auch nur zum Zwecke des Rechtsschutzes gespeichert werden. 800 licher Tonbandaufnahmen im Strafprozess) und 109, 279 (zur akustischen Wohnraumüberwachung) vorgenommen. 793 Vgl. BVerfGE 100, 313, 376; sowie aus jüngster Zeit Urteil 1 BvR 256/ 08 vom 2. 3. 2010, Absatz-Nr. 233, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de /entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html (abgerufen am 01. 06. 2010). Hinsichtlich der nicht zu unterschätzenden Furcht vor Grundrechtsausübung wegen evtl. drohenden Nachteilen sei rechtsvergleichend auf den sog. chilling-effect hingewiesen. Dieser hat in den USA nach der Rechtsprechung des supreme court zum I. Verfassungszusatz Verfassungsrang und verbietet dem Kongress Gesetze zu erlassen, die diesen Effekt, also eine abschreckende Wirkung auf die Grundrechtsausübung, haben können (vgl. Tribe / Tyler: constitutional law, p. 863/864). Dieser Gedanke hat auch Eingang in die deutsche verfassungsrechtliche Rechtsprechung gefunden (vgl. BVerfGE 100, 313, 381). Nach E 65, 1, 42 f. sei es darüber hinaus für die individuelle Selbstbestimmung notwendig, dass der Einzelne nicht die Unsicherheit verspüren dürfe, geschützte Grundrechtsausübung wäre mit Risiken verbunden. 794 Vgl. BVerfGE 100, 313 (360). 795 Vgl. zum Einzelnen: BVerfGE 65, 1 (52, 62). 796 Vgl. BVerfGE 65, 1 (44); 100, 313 (361). 797 Vgl. BVerfGE, 65, 1 (46); 100, 313 (360 f.). 798 Vgl. BVerfGE 100, 313 (359) mit Verweis auf das Volkszählungsurteil. So auch schon BVerfGE 30, 1 (22 f.); 65, 1 (46).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
3. Auslegung der Schutzgüter des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG Die beiden Schutzgüter des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG sind die freiheitlichdemokratische Grundordnung und der Bestand bzw. die Sicherheit des Bundes oder eines Landes. Die FdGO ist ein Begriff mit unklaren Umrissen, der auch noch in weiteren Verfassungsbestimmungen vorkommt, vgl. Art. 11 Abs. 2 GG, Art. 18 Satz 1 GG, Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 73 Nr. 10 lit. b GG, Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG, Art. 91 Abs. 1 GG. Er bedarf aber der Konkretisierung, da er jeweils zu erheblichen Eingriffen ermächtigt und anderenfalls die Gefahr besteht, dass er einfach mit den jeweiligen herrschenden politischen Verhältnissen gleichgesetzt wird. 801 Der Wortlaut „Grundordnung“ spricht bereits für eine restriktive Auslegung, die sich auf die grundlegenden Rechtsgüter der Staats- bzw. Verfassungsordnung bezieht. Die genetische Auslegung spricht ebenso für eine restriktive Auslegung und verengt den Begriff der Ordnung auf die Verfassungsordnung: Eine Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG (nahezu) entsprechende Änderung wurde bereits in der 4. Legislaturperiode als Regierungsentwurf in den Bundestag eingebracht. 802 In der Begründung zu dem Entwurf heißt es: „Geheimhaltung von Überwachungsmaßnahmen soll [..] nicht in allen Fällen zulässig sein, sondern nur, soweit es sich um den Schutz solcher Rechtsgüter handelt, die nach der Wertordnung des Grundgesetzes höchsten Rang genießen“. 803 Zwar wurde der Gesetzentwurf keinem Beschluss zugeführt, allerdings griff ihn die Bundesregierung für ein Vorhaben zur Änderung des Grundgesetzes in der 5. Legislaturperiode wieder auf und formulierte die Anforderungen an die zu schützenden Rechtsgüter wortgleich. Zudem unterstrich die Gesetzesbegründung den abschließenden Charakter der Aufzählung in den einzufügenden Sätzen. 804 Darüber hinaus strich man noch das Schutzgut „Abwehr oder Verfolgung schwerer Straftaten“, das noch im vorherigen Entwurf enthalten war. Der verfassungsändernde Gesetzgeber wollte gerade, dass es bei Überwachungsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr oder zur Strafverfolgung hinsichtlich schwerer Straftaten bei dem normalen Rechtsweg bleibt. 805 Im Ergebnis entspricht es daher Wortlaut und genetischer Interpretation, wenn in der Literatur das Schutzgut möglichst eng ausgelegt wird. Freiheitlich-demo799
Vgl. BVerfGE 100, 313 (364 f., 398 f.). Vgl. BVerfGE 100, 313 (400 f.). 801 Vgl. Gusy, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 10 Rn. 95; Schatzschneider, Ermittlungstätigkeit und Grundrechte, S. 19. Auf historische Lehren weist Kalkbrenner, BayVBl. 1971, S. 146 (147) hin. Zur Gefahr verfassungsrechtlicher „Blankettbegriffe“ in diesem Zusammenhang, vgl. Häberle, JZ 1971, S. 145 (155). 802 Vgl. BT-Drs. IV/2633, S. 2. 803 BT-Drs. IV/2633, S. 3. 804 Vgl. BT-Drs. V/1879, S. 17. 805 Vgl. BT-Drs. V/1879, S. 17. 800
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kratische Grundordnung meint danach gerade die in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze, die einer Verfassungsänderung gemäß Art. 79 Abs. 3 GG entzogen sind. 806 Soweit das Bundesverfassungsgericht noch weitere Merkmale unter den Begriff fast (Chancengleichheit für alle politischen Parteien, Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition) 807, die sich in ihren weiten Ausprägungen nicht zwingend mit den Grundsätzen aus Art. 79 Abs. 3 GG decken, liegt das daran, dass diese Rechtsprechung zu Art. 21 Abs. 2 GG gefasst wurde und das Parteienverbot gerade als Spiegelung auf den Nationalsozialismus in Programm, Vorstellungswelt und Gesamtstil reagiert. 808 Eine Erweiterung der Schutzgüter der FdGO ergibt sich für Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG aufgrund der Entstehungsgeschichte aber gerade nicht, vielmehr ist die Norm auf die ranghöchsten Rechtsgüter nach der Wertordnung des Grundgesetzes zu beschränken, die in Art. 79 Abs. 3 GG niedergelegt sind. 809 Der Bestand des Bundes oder der Länder meint die territoriale Unversehrtheit des Bundes oder Bundesländer und deren politische Unabhängigkeit. 810 Soll das Tatbestandsmerkmal „Bestand des Bundes oder eines Landes“ neben „freiheitlich-demokratischer Grundordnung“ noch eine eigene Bedeutung haben, so ist die Beeinträchtigung der inneren Ordnung von Letzterer geschützt. Erstere meint dann separatistische Bestrebungen, die ein Land aus dem Bund herauslösen wollen, ohne die freiheitlich-demokratische Grundordnung angreifen zu wollen. 811 Mit „Sicherung“ des Bundes oder eines Landes ist das bereits besprochene Schutzgut der „Sicherheit“ des Bundes oder Landes gemeint. 812 Beide Tatbestandsmerkmale sind äußerst restriktiv auszulegen. Dafür spricht insbesondere, dass es das Grundgesetz auch bei einem Angriff mit Waffengewalt auf das Bundesgebiet (Verteidigungsfall gemäß Art. 115a GG) nicht für erforderlich erachtet, dass der Rechtsschutz eingeschränkt wird. Selbst wenn es um den Bestand des Staates geht, bleibt also loyales Handeln der beteiligten Organe und Personen im Bewusstsein der Bindung an Verfassung, Recht und Gesetz und die Kontrolle dessen unverzichtbar. 813 Darüber hinaus wird für die Auslegung auf 806 Vgl. Ipsen, Sachs, Art. 21 Rn. 160. Für eine restriktive Interpretation allgemein (ohne auf die Schutzgüter konkret einzugehen) sprechen sich etwa auch Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 10 Rn. 20; Pagenkopf, Sachs, Art. 10 Rn. 47 und Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 30 aus. 807 Vgl. insbesondere BVerfGE 2, 1 (12 f.); 5, 85 (187). 808 Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 21 Rn. 33 mit Verweis auf BVerwG, NJW 1993, S. 3215. 809 Großzügiger Gusy, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 10 Rn. 95, der davon spricht, dass die Anknüpfung an die frühere Umschreibung des BVerfG im Ausgangspunkt zutreffend sei. 810 Vgl. Pieroth, Jarass / Pieroth, Art. 21 Rn. 34. 811 Vgl. Ipsen, Sachs, Art. 21 Rn. 165 f. 812 So auch BT-Drs.: V/1879, S. 17. 813 Vgl. Vitzthum, HbdStR VII, § 170 Rn. 54.
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
die obigen Ausführungen verwiesen, wonach sich die Gefährdung jeweils auf die Körperschaft als Ganzes bezieht. 814 Die restriktive Auslegung der Tatbestandsmerkmale ist eine zentrale Weiche für den parlamentarischen Rechtsschutz: Dient eine Maßnahme nicht den qualifizierten Rechtsgütern, ist ausnahmslos der gerichtliche Rechtsschutz einschlägig. Die G 10-Kommission hat dann keine Kompetenz. Dieses gilt insbesondere für Maßnahmen der Dienste gegen organisierte Kriminalität, weil sich der verfassungsändernde Gesetzgeber gerade dafür entschieden hat, Maßnahmen der Verfolgung und Abwehr schwerer Straftaten dem Gerichtsweg zu überantworten. Dem entspricht auch die einfache Gesetzeslage, vgl. arg. e contr. § 13 i.V. m. § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 G 10.
II. Abgrenzung zwischen Art. 10 Abs. 1 GG und den übrigen Grundrechten Für den Betroffenen nachrichtendienstlicher Maßnahmen gibt es erhebliche Unterschiede zwischen dem Rechtsschutz nach Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 19 Abs. 4 GG. Da aber nur bei Eingriffen in Art. 10 GG der Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG suspendiert werden kann, gilt es, einschlägige Maßnahmen daraufhin zu untersuchen, ob sie in Art. 10 GG oder in andere Grundrechte eingreifen. Besonders problematisch ist das Verhältnis zum Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, speziell in diesem Zusammenhang dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Die genannten Grundrechte werden sämtlich beim Zugriff auf abgelegte Verkehrsdaten auf Telekommunikationsgeräten (Handys, sog. smart phones, Computer etc.) in der Wohnung des Betroffenen bedeutsam, so dass anhand dieser Maßnahme das Verhältnis geklärt werden soll: Grundsätzlich gilt, dass Art. 10 GG lex specialis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist. 815 Das Persönlichkeitsrecht 814 Vgl. oben unter 2. Teil 2. Abschnitt A. I. 3. a) aa) (1). Daraus ergibt sich, dass das Schutzgut nur gefährdet ist, wenn die Körperschaft als Ganzes gefährdet wird. Bei Gefährdungen der Sicherheit der in Deutschland stationierten NATO-Truppen wird dieses daher nicht stets der Fall sein, insofern muss § 1 Abs. 1 Nr. 1 G 10 auch restriktiv ausgelegt werden. Zwar ging auch der verfassungsändernde Gesetzgeber davon aus, dass eine Gefährdung der stationierten Truppen immer zugleich auch als eine Gefahr für die Sicherheit des Bundes angesehen werden muss, vgl. BT-Drs. V/1879, S. 17. Allerdings ist dabei zu beachten, dass sich diese Aussage explizit auf die sog. Drei Mächte (Frankreich, Groß Britannien und den USA) als ehemalige Besatzungsmacht und ihres weiterhin bestehenden Eingriffsvorbehalts nach Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages vom 26. Mai 1952 (BGBl. I 1955, S. 306) bezog. 815 Vgl. BVerfGE 100, 313 (358 f.); 110, 33 (53); 113, 348 (364); 115, 166 (189);118, 168 (184); Badura, BK, Art. 10 Rn. 34; Gusy, vMangoldt / klein / Starck, Art. 10 Rn. 103;
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schützt in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor der Erhebung personenbezogener Informationen, Art. 10 GG speziell die Vertraulichkeit des Informationsaustausches während der Kommunikation mit bestimmten Medien. 816 Die Gewährleistung des Telekommunikationsgeheimnisses nach Art. 10 GG schützt die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe des Telekommunikationsverkehrs. 817 Es ist gleichgültig, welche Form der Übertragung genutzt wird, geschützt sind daher auch moderne Kommunikationsformen. 818 Der Schutz erstreckt sich auch auf Kommunikationsumstände. 819 Dazu gehören neben den Verkehrsdaten der Kommunikation auch die Bestandsdaten, wenn sie bei Auskunftsverlangen etwa der Dienste zu spezifischen Verkehrsdaten übermittelt werden. 820 Da Art. 10 GG jedoch nur vor den besonderen Gefahren der räumlich distanzierten Kommunikation schützt, greift Art. 2 Abs. 1 i.V. m Art. 1 Abs. 1 GG wieder ein, sobald die Kommunikation abgeschlossen ist und sich die Daten im Herrschaftsbereich des Betroffenen und damit außerhalb der besonderen Gefahren der Kommunikation befinden. 821 Befinden sich die Daten dann in einem von Art. 13 Abs. 1 GG geschützten Raum, ist dieser zusätzlich einschlägig. 822 Vorher, wenn die Beeinträchtigung des Geheimnisschutzes also durch Ausnutzen der fernmeldetechnischen Übermittlung erfolgt, hingegen noch nicht. 823 Werden aber etwa neben der Telekommunikationsüberwachung gleichzeitig Gespräche in einem von Art. 13 Abs. 1 GG geschützten Raum geführt, sind beide Grundrechte einschlägig. 824 Sofern jedoch ein sog. informationstechnisches System betroffen ist, greift jeine besondere, vom Bundesverfassungsgericht im Urteil zur Online-Durchsuchung entwickelte Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, das sog. Recht auf Gewährleistung und Vertrautheit informationstechnischer Systeme. Zur Konkretisierung führt das Verfassungsgericht aus: „Das Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationsJarass, Jarass / Pieroth, Art. 10 Rn. 2; Kühling / Seidel / Sivridis, Datenschutzrecht, S. 84; Schoch, Jura 2008, S. 352 (355). 816 Vgl. Badura, BK, Art. 10 rn. 33 f. 817 Vgl. BVerfGE 67, 157 (172). 818 Vgl. BVerfGE 113, 348 (383). 819 Vgl. BVerfGE 67, 157 (172); 100, 313 (358); 107, 299 (312 f.); Kühling / Seidel / Sivridis, Datenschutzrecht, S. 81. 820 Vgl. Kühling / Seidel / Sivridis, Datenschutzrecht, S. 81 Fußnote 167 m.w. N. 821 Vgl. BVerfGE 115, 166 (183 ff.; 189); 120, 274 (307 f.); Kühling / Seidel / Sivridis, Datenschutzrecht, S. 85; Schoch, Jura 2008, S. 352 (355). 822 Diff. Kutscha, NJW 2007, S. 1169 (1170 f.) bei einer sog. Online-Durchsuchung. 823 Vgl. BVerfGE 115, 166 (183 f.); Jarass, Jarass / Pieroth, Art. 10 Rn. 2. Diff.: BVerfGE 120, 274 (309 ff.). 824 Vgl. Gusy, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 10 Rn. 101; Kühling / Seidel / Sivridis, Datenschutzrecht, S. 85; Löwer, vMünch / Kunig, Art. 10 Rn. 55.
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technischer Systeme ist [...] anzuwenden, wenn die Eingriffsermächtigung Systeme erfasst, die allein oder in ihren technischen Vernetzungen personenbezogene Daten des Betroffenen in einem Umfang und in einer Vielfalt enthalten können, dass ein Zugriff auf das System es ermöglicht, einen Einblick in wesentliche Teile der Lebensgestaltung einer Person zu gewinnen oder gar ein aussagekräftiges Bild der Persönlichkeit zu erhalten. Eine solche Möglichkeit besteht etwa beim Zugriff auf Personalcomputer, einerlei ob sie fest installiert oder mobil betrieben werden. Nicht nur bei einer Nutzung für private Zwecke, sondern auch bei einer geschäftlichen Nutzung lässt sich aus dem Nutzungsverhalten regelmäßig auf persönliche Eigenschaften oder Vorlieben schließen. Der spezifische Grundrechtsschutz erstreckt sich ferner beispielsweise auf solche Mobiltelefone oder elektronische Terminkalender, die über einen großen Funktionsumfang verfügen und personenbezogene Daten vielfältiger Art erfassen und speichern können.“ 825 Soweit das Grundrecht betroffen ist, schützt Art. 10 GG dann noch die mit einem an das Internet angeschlossenen informationstechnischen System geführte laufende Fernkommunikation 826 und Art. 13 GG nur, wenn sich das informationstechnische System in der Wohnung befindet, wobei eine räumliche Zuordnung bei modernen Kommunikationsformen (etwa über Netzwerke) schwierig ist. Art. 13 GG schützt aber nicht, wenn die durch die Infiltration des Systems ermöglichte Erhebung von Daten, die sich im Arbeitsspeicher oder auf den Speichermedien eines informationstechnischen Systems befinden, das in einer Wohnung steht, die Datenerhebung also mittelbar erfolgt. 827 Ansonsten ist Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG in der genannten Ausprägung betroffen und der parlamentarische Rechtsschutz aufgrund der fehlenden Einschlägigkeit von Art. 10 GG nicht zulässig. Es bleibt beim gerichtlichen Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG.
III. Das nachrichtendienstrechtliche System des parlamentarischen Rechtsschutzes im Lichte der Verfassung Die erste Abhörentscheidung hat zusammenfassend zur Folge, dass gegen den einfach-gesetzlichen parlamentarischen Rechtsschutz nach dem G 10 kaum verfassungsrechtliche Bedenken bestehen können. Die grundlegende Entscheidung, einen Ersatzrechtsweg überhaupt begründen zu können, ist aufgrund spezieller verfassungsrechtlicher Ermächtigung zulässig. Alle weiteren, oben aufgeworfenen Probleme bewegen sich eher in Randbereichen parlamentarischen Rechtsschutzniveaus. Sie betreffen die tatsächliche Handhabung des Beweis825 826 827
BVerfGE 120, 274 (314). Vgl. BVerfGE 120, 274 (340 f.); Kühling / Seidel / Sivridis, Datenschutzrecht, S. 88. Vgl. BVerfGE 120, 274 (310 f.) mit Verweis auf BVerfGE 113, 29 (45).
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rechts, die Regelungen für Gefahr im Verzug, die Eröffnung des Rechtswegs nach unbeabsichtigter Offenlegung einer Maßnahme und die Inzidenterkontrolle, die Mitteilungsüberwachung durch die G 10-Kommission nach § 12 G 10, den sog. Negativtest und den präventiven Rechtsschutz. 1. Handhabung des Beweisrechts durch die G 10-Kommission Die G 10-Kommission kennt keine Beschränkung des Beweisrechts. Sie kann vielmehr jeden Beweis heranziehen, den sie benötigt. Ebenso wie im Bereich des Art. 19 Abs. 4 GG müssen die Beweise von der handelnden Behörde aber selbstverständlich auch gesichert werden. Dazu muss eine Dokumentations- bzw. Aktenführungspflicht kommen. 828 Allerdings lassen die genannten Literaturbelege darauf schließen, dass sich die Kommission oftmals mit der Darstellung der Dienste begnügt und den Sachverhalt nicht selbst aufklärt. Dieses Vorgehen entspricht erkennbar nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Der Auslegung im ersten Abhörurteil zufolge muss der parlamentarische Ersatzrechtsweg dem gerichtlichen Rechtsweg gleichwertig sein. 829 Dazu gehört zwingend, dass die Überprüfungsinstanz nicht auf den Tatsachenvortrag der Behörde vertraut, sondern den Sachverhalt selbstständig aufklärt. Anderenfalls kann die Überprüfungsinstanz die Rechtslage nicht angemessen prüfen und den subjektiven Rechten des Betroffenen gerecht werden. Die Aufklärung der Sach- und Rechtslage ist, wie gezeigt, eine Kernanforderung an ein rechtsstaatliches Verfahren. Sofern das parlamentarische Gremium die Tatsachenlage nicht selbst aufklärt, ist es keine gleichwertige Instanz. Es findet nicht der geforderte ebenso effektiver Rechtsschutz gleich dem gerichtlichen Rechtsschutz statt. Da eine gleichwertige Kontrolle die Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG und der darauf rekurrierenden einfach-gesetzlichen Regelungen ist, sind Maßnahmen, die dieser nicht entsprechen, bereits aus diesem Grunde verfassungswidrig. 830 2. Gefahr im Verzug-Regelungen Aus den Ausführungen ergibt sich auch, dass für die Gefahr im Verzug-Regelungen nichts anderes gelten kann, als beim gerichtlichen Rechtsschutz. Die Kontrolle der G 10-Kommission ist die Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit einer Maßnahme des jeweiligen Dienstes. Die Eilregeln müssen daher wie 828 So auch Huber, NJW 2005, S. 2260 (2263); eine andere, aber mit der Verfassung unvereinbare Ansicht: OVG NRW, NJW 1983, S. 2346 (2349). 829 Vgl. BVerfGE 30, 1 (23 f.). Dementsprechend verlangt Arndt, NJW 2000, S. 47 (48), insbesondere für die strategische Kontrolle eine Vorprüfung der Suchbegriffe durch die Kommission. 830 Vgl. BVerfGE 100, 313 (401 f.).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
beim Richtervorbehalt restriktiv gehandhabt werden, so dass die Kommission unverzüglich zu unterrichten ist. Im Übrigen wird auf die Ausführungen zum Richtervorbehalt bei Gefahr im Verzug-Maßnahmen verwiesen. 831 3. Eröffnung des gerichtlichen Rechtswegs bei unbeabsichtigter Offenlegung und Inzidentkontrolle Die Frage nach der Eröffnung des gerichtlichen Rechtsweges hat sich bereits bei der Vorstellung der dritten Abhörentscheidung geklärt. Der gerichtliche Rechtsweg muss immer auch dann eröffnet sein, wenn der Betroffene auf andere Weise von der Maßnahme erfährt. Der Rechtsschutz würde sonst in nicht erforderlicher Weise verkürzt, wenn er in derartigen Fällen gleichwohl von einer Mitteilung abhängig wäre. 832 Dieses ergibt sich auch aus der dann fehlenden Einschlägigkeit der Schutzgüter des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG: Da ein weiteres geheimes Vorgehen hinsichtlich des Schutzes der genannten Rechtsgüter nach der Aufdeckung sinnlos ist, dient die verdeckte Maßnahme auch nicht mehr diesem Schutz. Es ist nach der Offenlegung kein Grund ersichtlich, den Rechtsweg weiter geschlossen zu halten. 833 Das bedeutet auch, dass dann eine mögliche Inzidenterkontrolle der Maßnahmen nach dem G 10 durch Gerichte nicht nur möglich, sondern auch verfassungsrechtlich geboten ist. 4. Mitteilungsüberwachung Nach § 12 G 10 überwacht die G 10-Kommission die Einhaltung der Mitteilungsvorschriften. Die Regelung entspricht den verfassungsrechtlichen Vorgaben nach einer umfassenden Überwachung. Allerdings entscheidet die Kommission auch über alle Mitteilungen von Datenerhebungen und -verarbeitungen aus der strategischen Kontrolle des § 5 G 10. Es wurde aber bereits gezeigt, dass Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG nicht für die Fälle der strategischen Kontrolle wirkt, die sich mit der organisierten Kriminalität befassen. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass Art. 19 Abs. 4 GG bei Maßnahmen, die einem Richtervorbehalt unterliegen, fordert, dass die Mitteilung durch ein Gericht (fortlaufend) überprüft wird. 834 Für die Bereiche der organisierten Kriminalität kann die entsprechende G 10-Kommission daher zwar zusätzlich die Einhaltung der Mitteilungsvorschriften überwachen; es muss aber dafür gesorgt werden, dass 831
Siehe oben unter 2. Teil 2. Abschnitt A. I. 1. c) und III. 4. Vgl. BVerfGE 100, 313 (399 f.). 833 Vgl. BVerfGE 100, 313 (399 f.); Borgs / Ebert, Recht der Geheimdienste, B § 5 Rn. 16 mit Verweis auf BT-Drs. 8/1848, S. 18 und 10; Gusy, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 10 Rn. 96. 834 Vgl. BVerfGE 109, 279 (367). 832
2. Abschn. B. Einflüsse auf den parlamentarischen Rechtsschutz
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bei Maßnahmen, für die ein Richtervorbehalt normiert ist bzw. die einen Richtervorbehalt aufgrund ihres tiefen Eingriffs fordern, dann auch ein Richter die Kontrolle übernimmt. Problematisch ist zudem die Änderung, die das Erste Gesetz zur Änderung des Artikel 10-Gesetzes bewirken wird. Das Gesetz wurde am 27. 03. 2009 durch den Bundestag beschlossen. 835 Nach Inkrafttreten soll die Mitteilung nicht nur solange unterbleiben, wie eine Gefährdung des Zwecks ausgeschlossen werden kann, sondern auch solange wie der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes absehbar ist. Die Begründung der Beschlussempfehlung des Innenausschusses meint damit den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts in der dritten Abhörentscheidung entsprechen zu können: 836 Die bisherige Möglichkeit zur Rückstellung der Mitteilung („Zweck der Beschränkung“) umfasse danach nicht alle Konstellationen, die das Gericht als zulässige Ausnahmen angesehen habe. Vielmehr könne eine Mitteilung auch bei übergreifenden Staatswohlinteressen unterbleiben. 837 Dabei missversteht der Ausschuss jedoch das Bundesverfassungsgericht: Es wird in der Entscheidung noch einmal klar gestellt, dass eine Mitteilungssuspendierung zunächst nur für die Maßnahmen in Betracht komme, die den Schutzgütern des Satzes 2 dienen. Allerdings könnten sich Geheimhaltungsgründe für andere Beobachtungsbereiche auf die Schranke in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG stützen, wenn etwa die Spionageabwehr oder der Schutz von Informationsquellen eine Geheimhaltung aus Gründen des Staatswohls hinzukämen. 838 Die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich aber nur auf die Schranke für Art. 10 GG, nicht auf eine Beschränkung von Art. 19 Abs. 4 GG. Es kann daher nur die Schranke für eine Mitteilungspflicht aus der Verfahrenskomponente des Art. 10 GG gemeint sein. Da Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG i.V. m. Art. 19 Abs. 4 Satz 3 GG etwa in Fällen der organisierten Kriminalität gerade nicht einschlägig ist, ergibt sich im Umkehrschluss, dass für eine Einschränkung des Art. 19 Abs. 4 GG die hohen Beschränkungserfordernisse des Art. 19 Abs. 4 GG als vorbehaltloses Grundrecht und nicht die einfache Beschränkungsmöglichkeit in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG gelten. Die Änderung durch das erste Änderungsgesetz sind daher verfassungskonform wie folgt auszulegen: Für Maßnahmen, die den besonderen Schranke des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG dienen, darf die Mitteilung zugunsten der dort genannten Schutzgüter unterbleiben, soweit die Gefährdung ihres Zwecks dieses notwendig macht. Anderenfalls muss mitgeteilt werden. Sonst ist eine Mittei835 Vgl. dazu den Regierungsentwurf in der Fassung der Beschlussempfehlung des Innenausschusses, BT-Drs. 16/509, 16/12448, und die Beschlussmitteilung an den Bundesrat vom 24. 04. 2009, BR-Drs. 350/09. 836 Es wird explizit auf BVerfGE 100, 313 (397 f.) Bezug genommen. 837 Vgl. BT-Drs. 16/12448, S. 21. 838 Vgl. BVerfGE 100, 313 (397 f.).
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
lungssuspendierung nur unter den hohen Voraussetzungen möglich, wie sie für die Einschränkung der Mitteilungspflichten aus Art. 19 Abs. 4 GG erarbeitet wurden. Die Einschränkbarkeit der Verfahrenskomponente des Art. 10 GG spielt insoweit keine Rolle, da sie systematisch von Art. 19 Abs. 4 GG verdrängt wird. Das in § 12 Abs. 1 GG genannte Staatswohl muss demnach hinreichend qualifiziert gefährdet sein, um eine Mitteilung zu verhindern. Einfach-gesetzlich dürfte die Aufnahme des Staatswohls zudem unnötig sein. Wenn dieses Tatbestandsmerkmal einschlägig ist, ist auch der Zweck der Beschränkung regelmäßig der Schutz des Staatswohls und es ist dann die Mitteilungssuspendierung aufgrund Zweckgefährdung (= Staatswohlgefährdung) auch schon nach der bisherigen Rechtslage möglich. Die weitere Änderung durch das erste Änderungsgesetz, die Kontrolle der G 10-Kommission über die Dauer der Mitteilungssuspendierung in § 12 Abs. 1 Sätze 3 und 4 G 10 n.F. auszuweiten, ist hingegen zu begrüßen. Sie entspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen und stellt ein Äquivalent zur notwendigen gerichtlichen Kontrolle der Rückstellungen dar. Problematisch in § 12 G 10 ist allerdings weiterhin, dass in Abs. 1 Satz 3 (zukünftig Satz 5) die Möglichkeit der endgültigen Mitteilungsversagung geschaffen wurde. Danach kann eine Mitteilung endgültig versagt werden, wenn die Voraussetzungen für eine Offenlegung der Maßnahme 5 Jahre nach Beendigung der Maßnahme noch nicht eingetreten sind, sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht eintreten werden und die Voraussetzungen für die Löschung der Daten bei der erhebenden Stelle und dem Empfänger vorliegen. Ein endgültiger Ausschluss der Mitteilung führt aber faktisch zu einem endgültigen Ausschluss des Rechtswegs und würde daher gegen Art. 19 Abs. 4 GG bzw. gegen die Auslegung des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht verstoßen. Die Kenntnis ist Voraussetzung für das Beschreiten des Rechtswegs. Solange und soweit der Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG also einschlägig ist, d. h. eine Rechtsverletzung möglich ist, muss die Maßnahme nach Wegfall der Gefährdung des Zwecks mitgeteilt werden. 839 839 So auch Huber, NJW 2001, S. 3296 (3300 f.), der auf BVerwG NJW 1991, S. 581 verweist, wonach das Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellungsklage bei einem Eingriff in Art. 10 GG noch 11 Jahre nach Beendigung der Maßnahme angenommen wurde. Ebenso Lodde, Informationsrechte, S. 153; Wollweber, ZRP 2001, S. 213 (216). A. A. Kaysers, AöR 129 (2004), S. 121 (137ff.), der zwar zu Recht daraufhinweist, dass für den Anwendungsbereich des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG die Rechtsschutzgarantie mit ihren Gewährleistungen nicht gilt, aber verkennt, dass diese nur suspendiert sind und das Bundesverfassungsgericht Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG systematisch mit dem Rechtsstaatsprinzip ausgelegt hat. Aus Letzterem ergibt sich, dass ein Eingriff offengelegt werden muss, sobald eine Gefährdung des Zwecks ausgeschlossen werden kann, vgl. BVerfGE 30, 1 (31 f.). Sobald die Maßnahme nicht mehr den Schutzgütern des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG dient, fällt auch die rechtfertigende Wirkung dieser Ausnahmevorschrift weg
2. Abschn. B. Einflüsse auf den parlamentarischen Rechtsschutz
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5. Negativtest Der Negativtest ist grundsätzlich wie im Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 4 GG zu betrachten. Auch die Einschränkungen des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG sind nach der Auslegung in den Abhörurteilen des Bundesverfassungsgerichts an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden. Eine Einschränkung der Mitteilungspflicht ist daher auf das Notwendige zu begrenzen. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zum Negativtest außerhalb des Anwendungsbereichs des G 10 verwiesen. 840 Allerdings besteht bei Anfragen an die G 10-Kommission allgemein eine Besonderheit, die sich auch auf die Handhabung des Negativtests auswirkt: Soweit sich aus der Anfrage verifizierbar ergibt, dass die Maßnahme aufgedeckt, also offengelegt wurde, ist die Ausnahmeregelung des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG nicht mehr einschlägig. Es greift dann wieder der gerichtliche Rechtsschutz. Die Versagung oder Erteilung einer Auskunft oder Negativauskunft bestimmt sich dann anhand der hohen Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG und nicht nur an denen des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG. 6. Präventiver Rechtsschutz Der präventive Rechtsschutz wird durch die G 10-Kommission ausgeübt. Das ist für den Bereich des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG nicht nur zulässig, sondern auch verfassungsrechtlich geboten. 841 Fraglich ist jedoch, ob dieser präventive Rechtsschutz auch bei denjenigen Maßnahmen der sog. strategischen Kontrolle ausreicht, die aufgrund ihres fehlenden Bezuges zu den Schutzgütern des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG in den Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG fallen. Es wurde bereits festgestellt, dass Art. 19 Abs. 4 GG bei tiefen Grundrechtseingriffen einen präventiven Rechtsschutz fordert, der sich zu einem Richtervorbehalt verdichten kann. Da bei der strategischen Kontrolle die Suchwörter für jede Anordnung spezifisch festgelegt werden, kann hier nicht abstrakt festgelegt werden, wann ein Richtervorbehalt zwingend ist. Sofern die Suchkriterien aber die Intimsphäre der Abgehörten betreffen können oder mit dem Eingriff in Art. 10 GG durch die strategische Kontrolle auch der Schutzbereich spezifischer Grundrechte berührt wird, muss ein zwingender Richtervorbehalt geprüft werden, jedenfalls zum Schutz derer, die im Kontrollprozess individualisiert werden. 842 Die alleiniund dann greifen wieder die Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 GG, die eine Mitteilung über mögliche Rechtsverletzungen verlangen. 840 Siehe unter 2. Teil 2. Abschnitt A. III. 2 a) cc). 841 Vgl. BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2. 3. 2010, Absatz-Nr. 248, abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html (abgerufen am 01. 06. 2010). 842 Auch das Bundesverfassungsgericht hat für die vergleichbare Methode der Rasterfahndung festgestellt, dass die Maßnahme zumindest dann einen Eingriff darstellt,
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2. Teil: Die Justizgewährleistungsrechte des Betroffenen
ge Zuständigkeit der G 10-Kommission für präventiven Rechtsschutz reicht dann insoweit nicht mehr aus.
wenn die Daten nicht unmittelbar nach der Erfassung wieder technisch anonym, spurenlos und ohne Erkenntnisinteresse für die Behörde gelöscht werden, vgl. BVerfGE 115, 320 (343) mit Verweis auf BVerfGE 100, 313 (366). Wenn ein Eingriff vorliegt, ist dabei auch bei der Erfassung großer Datenmenge ein tiefer Eingriff, insbesondere bei bestimmten Daten mit Persönlichkeitsrelevanz gegeben. Die Eingriffintensität steigert sich weiter, wenn spezielle Grundrechte berührt werden (etwa die Sammlung betreffend rassischer und ethnischer Herkunft, politischer Meinungen, religiöser Überzeugungen, Gewerkschaftszugehörigkeit, Gesundheit, Sexualleben), BVerfGE 115, 340. Auch Gusy, vMangoldt / Klein / Starck, Art. 10 Rn. 99 stellt fest, dass die vorgetragenen Anonymität der Rasterfahndung stark bezweifelt werden muss. Zumindest sei die Möglichkeit strategischer Rasterfahndung nie ganz ausgeschlossen.
3. Teil
Besondere prozessuale Fragen im gerichtlichen und parlamentarischen Rechtsschutz Im letzten Teil der Untersuchung sollen noch einmal die prozessualen Fragen angesprochen werden, die bisher noch nicht im Zusammenhang mit den einfach-gesetzlichen oder verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsrechten behandelt wurden. Im Schwerpunkt sind das besondere Fragen der Zulässigkeit gerichtlicher Rechtsbehelfe auf verschiedenen Rechtswegen und die Eröffnung der Rechtswege (dazu unter A). Es soll aber darüber hinaus der Problemkreis der Beweiswürdigung bei rechtmäßiger Verweigerung von Beweismittel im Rahmen der Beweiserhebungsregelungen beleuchtet werden (unter B.).
A. Probleme der Zulässigkeit und des Rechtswegs gerichtlicher Rechtsbehelfe Zulässigkeitsprobleme betreffen den gerichtlichen Rechtsschutz. Er hat Verfahrensordnungen, die Sachentscheidungsvoraussetzungen enthalten. Sind die Sachentscheidungsvoraussetzungen gegeben, ist das Gericht verpflichtet, die Rechtssache zu entscheiden. 1 Die G 10-Kommission kennt hingegen keine Verfahrensordnung mit entsprechenden differenzierten Sachentscheidungsvoraussetzungen. § 15 Abs. 5 Satz 1 G 10 spricht lapidar davon, dass die Kommission von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen entscheidet. Zwar kann man vertreten, dass der Wortlaut („entscheidet“) eine Entscheidungspflicht anordnet. Im Ergebnis ist die Frage aber unerheblich, da die Kommission sowieso verpflichtet ist, die Maßnahmen zu genehmigen und zu überwachen. Wird ausnahmsweise eine Maßnahme angesprochen, bei der die Kommission ein Überwachungsdefizit sieht, ist sie selbstverständlich verfassungsrechtlich verpflichtet, das Defizit zu beheben. Im nachgehenden gerichtlichen Verfahren wird dann auch die ausreichende Kontrolle der G 10-Kommission überprüft. 2 1 2
Vgl. etwa Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 10 Rn. 3. Vgl. BVerwG, NJW 2008, S. 2135 (2139).
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3. Teil: Besondere prozessuale Fragen im Rechtsschutz
Anforderungen an die Beschwerde stellt das G 10 hingegen nicht. Auch der Gesetzgeber hat dieser Art der Verfahrenseinleitung, durch die der Betroffene initiativ eine Prüfung bewirken kann, offenbar keine große Aufmerksamkeit geschenkt. In der Gesetzesbegründung findet sich kein Wort zur Prüfung aufgrund einer Beschwerde, geschweige denn von ihren Voraussetzungen. 3 Besondere Zulässigkeitsprobleme stellen sich im Zusammenhang mit dem parlamentarischen Rechtsschutz daher nicht. Die einschlägigen problematischen Aspekte der Zulässigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes sind bei den Prüfungspunkten Eröffnung des jeweiligen Rechtswegs (unter I.), statthafte Klage- und Antragsart (unter II.), Klage- und Antragsbefugnis (unter III.) und Rechtsschutzbedürfnis (unter IV.) verortet.
I. Eröffnung des jeweiligen Rechtswegs Als unmittelbarer Rechtsschutz gegen nachrichtendienstliche Maßnahmen kommt, neben der Möglichkeit des außerordentlichen Rechtsbehelfs eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens, zuvorderst der verwaltungsgerichtliche Rechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Betracht. Der Rechtsweg ist nach dieser Norm in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Eine Streitigkeit nach dieser Norm ist dann öffentlich-rechtlich, wenn sie aus einem hoheitlichen Verhältnis der Überund Unterordnung entsteht, aber auch, wenn die streitentscheidende Norm öffentlich-rechtlich ist. 4 Das einfach-rechtliche Nachrichtendienstrecht erfüllt diese Voraussetzungen problemlos, so dass der Verwaltungsrechtsweg für Rechtsbehelfe gegen Nachrichtendienste regelmäßig gegeben ist. Auch die Rechtsprechung verfährt stets so. 5 Da es sich bei nachrichtendienstlichen Maßnahmen mangels Strafverfolgungsbefugnis nicht um sog. doppelfunktionale Maßnahmen handeln kann, also solche Maßnahmen, die Gefahrenabwehr und zugleich Verfolgung von Straftaten bezwecken, kommt es auf das regelmäßig auftauchende polizeirechtliche Problem der abdrängenden Sonderzuweisungen des § 23 EGGVG und des § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO zu den Strafgerichten nicht an. 6 Für Klagen gegen Vorgänge, die im Geschäftsbereich des Bundesnachrichtendienstes liegen, gibt es in § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO eine spezielle Zuweisung 3
Vgl. BT-Drs. 7/2507, S. 8. Vgl. insbesondere GSOGB 1/88, BGHZ 108, 284 f. 5 Vgl. nur BVerwG NJW 2008, S. 1398; NJW 2008, S. 2135; NJW 1991, S. 581; OVG NRW DVBl. 1995, S. 371; DVBl. 1995, S. 373; OVG Bremen, NJW 1987, S. 2393. Ebenso die Literatur, vgl. etwa Droste, HbdVS, S. 602; Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 125; Rieger, DVBl. 1983, S. 1050 (1053). 6 Vgl. dazu Rachor, HbdPolR, K Rn. 19 ff. 4
A. Probleme der Zulässigkeit gerichtlicher Rechtsbehelfe
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zum Bundesverwaltungsgericht. Allerdings greift die Zuweisung nur, wenn für den Streitgegenstand überhaupt der Verwaltungsgerichtsweg eröffnet ist. 7 Es ist also keine Sonderzuweisung zum Rechtsweg, sondern nur (instanziell) zum Bundesverwaltungsgericht. Für den unmittelbaren Rechtsschutz gegen nachrichtendienstliche Maßnahmen wird jedoch auch durch Sonderzuweisungen sowohl in Bundes-, als auch in Landesgesetzen der Rechtsweg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit nach dem FGG vorgesehen. Sofern eine Bundeszuweisung vorliegt, vgl. etwa § 9 Abs. 2 Satz 6 BVerfSchG, ist die Verweisung unproblematisch. Eine Sonderzuweisung nach Landesrecht, also nach den Verfassungsschutzgesetzen der Länder, ist zwar auch nach § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO sowie nach § 1 FGG erlaubt. 8 Allerdings darf das Landesrecht, wie das sächsVSG, keine modifizierenden Regelungen über das gerichtliche Verfahren treffen. Das Bundesgesetz lässt in § 200 nur Bestimmungen zur Ergänzung und Ausführung des FGG zu. 9 Soweit das Bundesgesetz jedoch keine Abweichungen zulässt, sind seine Regelungen abschließend, da der Bund nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die Kompetenz zum Erlass von Verfahrensvorschriften im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung innehat. Ein Landesgesetz, das eigene Verfahrensbestimmungen enthält, obwohl der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht auf dem Gebiet des Gerichtsverfahrens abschließend Gebrauch gemacht hat, ist dann kompetenzwidrig. 10 Daneben sind auch die übrigen Rechtswege für Rechtsschutz gegen nachrichtendienstliches Handeln denkbar. In diesen Fällen geht es in der Hauptsache aber regelmäßig nicht um die Kontrolle von Maßnahmen der Nachrichtendienste, sondern um die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen anderer Behörden oder, etwa bei arbeitsgerichtlichen Prozessen aufgrund von Ergebnissen der Sicherheitsüberprüfung, von Privaten. Die Maßnahmen sind materiell rechtmäßig, wenn sie auf Tatsachen gestützt wurden, welche in Übereinstimmung mit dem jeweiligen Prozessrecht herangezogen werden durften. Bei der Prüfung dieser Frage können dann so mittelbar auch die Maßnahmen der Informationserhebung und -verarbeitung durch Verfassungsschutzbehörden Gegenstand gerichtlicher Nachprüfung werden. 11 Zu den häufigsten Prozessen dieser Art gehören etwa der arbeitsgerichtliche Prozess im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfun-
7
Vgl. BVerwG, NJW 2008, S. 1398. Für die letztere Vorschrift vergleiche: Bumiller / Winkler, FGG, § 1 Rn. 1. Allgemein zur Zulässigkeit entsprechender Verweisungen im Recht der Sicherheitsbehörden: Rachor, HbdPolR, K Rn. 39. 9 Vgl. Bumiller / Winkler, FGG, § 189 und § 200. 10 Vgl. zu landesrechtlichen Regelungen auf dem Gebiet der VwGO: BVerfG, NJW 1967, S. 435 ff.; NJW 1967, S. 1019 f. 11 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 212. 8
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3. Teil: Besondere prozessuale Fragen im Rechtsschutz
gen, 12 der Strafprozess aufgrund von Erkenntnissen der Nachrichtendienste 13, der Amtshaftungsprozess insbesondere bei deliktischem Handeln der Dienste 14 oder der Schadensersatzprozess wegen Verletzungen von gesetzlichen Datenschutzbestimmungen nach § 7 BDSG 15. Sofern die Informationen der Nachrichtendienste aber nicht zulasten der Rechtsposition des Betroffenen in den jeweiligen Prozessen genutzt werden sollen, sondern der Betroffene Informationen, die er zur Stützung seiner Rechtsposition benötigt, von den Nachrichtendiensten nicht erhält, kann er einen Auskunftsanspruch gegen den jeweiligen Dienst durchsetzen. Dieser Auskunftsanspruch wird jedoch nicht eigenständig von den Gerichten geprüft, sondern muss vom Betroffenen selbst vor den Verwaltungsgerichten geltend gemacht werden. Dafür sind dann die Verwaltungsgerichte auch sachlich zuständig. 16 Eine Ausnahme ist hiervon für die bereits dargestellten Fälle zu machen, in denen die jeweilige Verfahrensordnung, etwa die FGO, ein „in camera“-Verfahren vorsieht und das Gericht die Beiziehung entsprechender Beweismittel für notwendig erachtet. Dann ist das vorgesehene Verfahren zu beschreiten.
II. Statthafte Klage- und Antragsarten Unter der Überschrift statthafte Klage- oder Antragsart sollen die richtigen Rechtsbehelfe für den verwaltungsgerichtlichen Prozess im Hauptsacheverfahren und einstweiligen Rechtsschutz geklärt werden. Die Vielzahl der Rechtsbehelfe auf anderen Rechtswegen, die mittelbar nachrichtendienstliche Maßnahmen überprüfen, führt dazu, dass es im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist, alle in Betracht kommenden Rechtsbehelfe aller Rechtswege zu bestimmen. Die richtige Klage- bzw. Antragsart im verwaltungsgerichtlichen Prozess muss der Betroffene nicht treffend bestimmen. Das Gericht muss vielmehr selbst darauf hinwirken, dass unklare Anträge erläutert und sachdienliche Anträge gestellt werden, vgl. § 86 Abs. 3 VwGO. Bei fortbestehenden Zweifeln darüber, was der Betroffene will, ist das Gericht auch nicht an die Fassung des Antrages gebunden, vgl. § 88 VwGO, sondern muss ihn so auslegen, dass das Rechtsschutzziel
12
Vgl. etwa BAG, NJW 1984, 324 ff. Vgl. etwa BGH, NStZ 1981, 270; dazu BayObLG München, 16. Mai 1980, Az: 3 St 11/79 (nicht veröffentlicht); auch der Beschluss über die gegen die Entscheidung des BGH erhobene Verfassungsbeschwerde in BVerfGE 57, 250 ff. (der Beschluss über den einschlägigen Antrag auf einstweilige Anordnung findet sich in BVerfGE 56, 396 ff.). 14 Vgl. OLG München, OLGR München 2006, 486 f.; Hirsch, Kontrolle der Dienste, S. 125. 15 Vgl. Hirsch, Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 126. 16 Vgl. zum arbeitsgerichtlichen Prozess, BVerwG 2008, S. 1398 ff. 13
A. Probleme der Zulässigkeit gerichtlicher Rechtsbehelfe
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des Betroffenen erreicht wird. 17 Für seinen Rechtsschutz ist die Frage daher von untergeordneter Bedeutung. Die statthafte Klage- oder Antragsart bestimmt sich nach dem Klage- oder Antragsbegehren des Klägers bzw. Antragsstellers nach § 88 VwGO. 18 Will der Kläger oder Antragssteller gegen eine nachrichtendienstliche Maßnahme vorgehen oder begehrt er eine Auskunft, stellt sich für die genauere Eingrenzung der Maßnahme die Frage nach der Rechtsnatur der Maßnahme. Genauer: Stellt die angegriffene Maßnahme oder die begehrte Auskunft ein Verwaltungsakt dar, kommen Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen nach § 42 Abs. 1 VwGO in Betracht. Sofern eine Anfechtungsklage im Hauptsacheverfahren angenommen wird, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO, ansonsten nach § 123 VwGO, vgl. § 123 Abs. 5 VwGO. Bereits oben wurde geklärt, dass die verdeckten Informationseingriffe der Nachrichtendienste bis auf wenige Ausnahmefälle mangels Regelung und / oder Bekanntgabe keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG sondern Realakte darstellen. 19 Es kommt daher für Informationseingriffe, bis auf die oben genannten Ausnahmen, keine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in Betracht. Konsequenterweise wird von den Verwaltungsgerichten daher in solchen Fällen von einer Feststellungsklage im Sinne des § 43 VwGO ausgegangen, soweit es sich um die Feststellung vergangener Rechtsverhältnisse handelt. Dauert die beanstandete Handlung noch an (etwa durchgehende Beobachtung oder fortlaufende Behauptungen über den Betroffenen in der Öffentlichkeit), ist von einer Leistungsklage in Form einer Unterlassungsklage auszugehen. 20 Bei ersterem Fall wird das für eine Feststellungsklage nötige Feststellungsinteresse bei Klagen gegen nachrichtendienstliche Maßnahmen grundsätzlich angenommen. 21 Ein anderes Ergebnis wäre auch − jedenfalls dann wenn durch die Maßnahme Grundrechte betroffen sind − mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar: Durch die Heimlichkeit der nachrichtendienstlichen Maßnahmen wurde schließlich schon einmal der Rechtsschutz vereitelt. Überzogene Anforderungen an den (nur) späteren Rechtsschutz sind dann nicht mehr erforderlich und würden den Rechtsschutz 17
Vgl. Rachor, HbdPolR, K 46 m.w. N. Vgl. Ortloff / Riese, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 88 Rn. 3. 19 Siehe oben unter 2. Teil 1. Abschnitt A. III. 1 b) aa). 20 Vgl. VG Berlin vom 31. 08. 1998 − 26 A 623.97, S. 5 f.; dass. vom 13. 12. 2001 − 27 A 260.98, S. 28 f.; VG Düsseldorf vom 14. 02. 1997 − 1 K 9318/96 (dem folgend OVG NRW vom 22. 05. 2001 − 5 A 2055/97); Evers, Privatsphäre und Verfassungsschutz, S. 277. Zur Ableitung eines Unterlassungsanspruch aus den Grundrechte: BVerwGE 82, 76 (77 f.); Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 27 Rn. 4. 21 Vgl. BVerwG, NJW 2008, S. 2135 (2136); OVG NRW, DVBl. 1995, S. 373; OVG NRW, DVBl. 1995, S. 375; OVG NRW, NWVBl. 1994, S. 468; VG Köln, NJW 1981, S. 1630. Ebenso die Literatur, vgl. etwa Deutsch, Die heimliche Erhebung von Informationen, S. 280; Rieger, DVBl. 1983, S. 1050 (1052ff.). 18
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3. Teil: Besondere prozessuale Fragen im Rechtsschutz
endgültig vereiteln, obwohl nach Abschluss der Maßnahme kein entgegenstehendes Interesse mehr vorliegt. 22 Bei den umstrittenen Ausnahmen für G 10Verfahren wendet die Rechtsprechung wegen der Erledigung eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO an. 23 In dem Zusammenhang ist schließlich darauf hinzuweisen, dass auch für die Fälle der Zuweisung zur ordentlichen Gerichtsbarkeit nach dem FGG nachträglicher Rechtsschutz bei schweren Grundrechtseingriffen möglich sein muss. Auch wenn sich das FGG nach seiner Konzeption nicht für Feststellungsbegehren eignet, hat das Bundesverfassungsgericht nun ausdrücklich festgestellt, dass ein solcher Rechtsschutz aufgrund von Art. 19 Abs. 4 GG dennoch möglich sein muss. 24 Im Gegensatz zu den heimlichen Maßnahmen, ist die Auskunft hingegen ein Verwaltungsakt. § 15 BVerfSchG oder andere nachrichtendienstliche Auskunftsnormen schreiben ein Verfahren vor bei dem die Behörde zu prüfen hat, ob sie Auskunft erteilt bzw. angeforderte Informationen preisgibt. Oftmals wird die Behörde auf Antrag tätig. Das Ergebnis dieser Prüfung bescheidet sie gegenüber dem Antragssteller. Dieser Bescheid ist das nach außen sichtbare Ergebnis dieses behördeninternen Vorgangs. Der rechtliche Schwerpunkt liegt daher nicht in der Auskunftserteilung als solche, sondern in dem durch den Bescheid zum Ausdruck gebrachten Prüfungsergebnis. Im Gegensatz zu den Informationseingriffen der Dienste liegen hier die beiden problematischen Tatbestände, Regelung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG und Bekanntgabe im Sinne des § 43 Abs. 1 VwVfG, vor, so dass im positiven wie negativen Auskunftsbescheid ein Verwaltungsakt vorliegt. 25 Die Folge ist, dass im Falle einer Auskunftsablehnung die statthafte Klageart eine Verpflichtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO gerichtet auf 22 So auch Velten, Befugnisse der Ermittlungsbehörden, S. 90. A. A. Hölscher, Mitteilungspflichten, S. 174 f., die vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG aber zu einer großzügigen Handhabung des fehlenden Interesses mahnt. Das Bundesverfassungsgericht erkennt dieses Interesse immer dann an, wenn ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliegt. Das sei stets der Fall, wenn in Art. 10 GG eingegriffen wird. Daneben, wenn in ein Grundrecht eingegriffen wird, dass durch einen einfach-gesetzlichen oder verfassungsrechtlich Richtervorbehalt gesichert ist. Denn der Vorbehalt deute auf einen schwerwiegenden Eingriff hin, vgl. BVerfG vom 04. 02. 2005 − 2 BvR 308/04, Absatz-Nr. 19, http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20050204_2bvr030804.html (abgerufen am 26. 03. 2009) m.w. N. 23 Vgl. BVerwGE 87, 23 (25); OVG NRW, NJW 1981, S. 2346. 24 Vgl. BVerfG, NJW 98, S. 2432 (2433); ebenso Graulich, Justizgewährung, S. 156. Dazu umfassend mit weiteren Nachweisen zu den Instanzgerichten: Bumiller / Winkler, FGG, § 12 Rn. 14 f. 25 Vgl. BVerwGE 30, 301 (306 f.) zu § 99 VwGO; BVerwG, NJW 2008, S. 580 zu § 15 BVerfSchG; Deutsch, Die heimliche Erhebung von Informationen, S. 279; Kniesel, Datenschutz für Sicherheitsbehörden, Rn. 860; Wünsch, Pahlke / Koenig, § 91 Rn. 24 zum Verfahren in der AO mit Verweis auf AEAO § 91 Nr. 4; a. A. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 200, Fußnote 53; Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung, S. 395, mit Verweis auf das Presserecht, anders aber wiederum auf S. 409: grundsätzlich Verwaltungsakt.
A. Probleme der Zulässigkeit gerichtlicher Rechtsbehelfe
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den Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes ist. 26 Konsequenz ist aber ein vorher durchzuführendes Vorverfahren, vgl. § 68 Abs. 1, 2 VwGO, sofern nicht eine oberste Bundesbehörde den Ausgangsbescheid erteilt hat, vgl. § 68 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. 27 Entsprechende statthafte Antragsart für Auskunftsbegehren im einstweiligen Verfahren ist demnach ein Antrag nach § 123 VwGO. Schließlich sei noch auf die Möglichkeit der Amtshaftungs- bzw. Schadensersatzansprüche hingewiesen, soweit es beim Betroffenen zu einem Schaden gemäß § 249 BGB gekommen ist. Im Rahmen einer entsprechenden Klage kann auch gemäß § 253 Abs. 2 BGB Schmerzensgeld etwa wegen Persönlichkeitsverletzungen verlangt werden. Die Schadensersatzansprüche sind allerdings vor den Zivilgerichten geltend zu machen. 28 Vor den Verwaltungsgerichten kann daneben aber ein Anspruch auf Folgenbeseitigung geltend gemacht werden. Dieser folgt aus dem Rechtsgedanken des § 249 BGB und richtet sich auf die Wiederherstellung eines durch hoheitliches Handeln rechtswidrig verursachten nachteiligen Zustands. Der Anspruch kann im Wege der allgemeinen Leistungsklage durchgesetzt werden. Ein Spezialfall stellt aber § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO dar, der als Annex zur Anfechtungsklage Folgenbeseitigung von Zuständen gewährt, die durch Verwaltungsakt herbeigeführt wurden. 29
III. Speziell: Beschwerdebefugnis bei verfassungsgerichtlichen Verfahren Im Rahmen der Beschwerdebefugnis stellt sich für das verfassungsgerichtliche Verfahren aufgrund einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG ein Sonderproblem. Das BVerfGG setzt in § 90 Abs. 1 voraus, dass der Beschwerdeführer behauptet, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein. Darüber hinaus muss er durch den Akt der öffentlichen Gewalt selbst, gegenwärtig und unmittelbar in seinen Grundrechten betroffen sein. 30 Sofern der Betroffene gegen ein letztinstanzliches Urteil vorgehen möchte, wurde er bereits durch eine Maßnahme der Behörde selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen, gegen die er vor den Fachgerichten Rechtsschutz gesucht hat. Problematisch ist es aber, wenn der potentiell Betroffene gegen ein Gesetz vorgehen 26
Vgl. BVerwGE 30, 301 (307); 84, 375 (376); BVerwG, NJW 1990, S. 2761; NJW 2008, S. 580; BayVGH, BayVBl. 1991, S. 467; OVG Berlin, NVwZ 1987, S. 817; OVG Bremen, NJW 1987, S. 2393; VG Köln, NVwZ 1989, S. 85. 27 Vgl. BVerwGE 30, 301 (305); 84, 375; BVerwG, NJW 1990, S, 2761; BayVGH, NVwZ 1985, S. 663; Kniesel, Datenschutz für Sicherheitsbehörden, Rn. 861; Wünsch, Pahlke / Koenig, § 91 Rn. 24 zum Einspruchsverfahren. 28 Vgl. umfassend dazu Maurer, Verwaltungsrecht, § 25 ff. 29 Vgl. zum Ganzen: Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 28 Rn. 6 ff. 30 Vgl. nur BVerfGE 90, 128 (135).
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3. Teil: Besondere prozessuale Fragen im Rechtsschutz
will, dass den Diensten (neue) Befugnisse verschafft, von denen der potentiell Betroffene befürchtet, erfasst zu werden. Von einem Gesetz ist der Beschwerdeführer als potentiell Betroffene jedoch regelmäßig nicht unmittelbar betroffen. Er kann die Verfassungsbeschwerde daher eigentlich nicht gegen das Gesetz, sondern erst gegen den Vollzugsakt erheben. Das Bundesverfassungsgericht macht hier jedoch eine Ausnahme und argumentiert, dass der Beschwerdeführer keine Möglichkeit habe, den Vollzugsakt anzugreifen, wenn er davon, aufgrund der Heimlichkeit der Maßnahmen, keine Kenntnis erlangt. Daher muss er die Verfassungsbeschwerde in solchen Fällen unmittelbar gegen das Gesetz richten können. 31 Den Anforderungen an die Begründung seiner Verfassungsbeschwerde nach §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG komme er in diesen Fällen dann nach, wenn er darlegt, dass „er mit einiger Wahrscheinlichkeit durch Maßnahmen, die auf den angegriffenen Rechtsnormen beruhen, in seinen Grundrechten berührt wird“ 32. Der potentiell Betroffene kann sich daher auch gegen neue gesetzliche Befugnisse der Dienste zur Wehr setzen und muss nicht abwarten, bis er von solchen Aktivitäten als tatsächlich Betroffener erfährt. Für eine entsprechende Verfassungsbeschwerde ist er auch vorher beschwerdebefugt. Er sollte aber stets die Fristbestimmung des § 93 Abs. 3 BVerfGG beachten, wonach er die Verfassungsbeschwerde nur binnen eines Jahres seit Inkrafttreten des Gesetzes zu erheben kann.
IV. Rechtsschutzbedürfnis Das Rechtsschutzbedürfnis bei Klagen gegen nachrichtendienstliche Maßnahme wirft gegenüber den allgemeinen verwaltungsprozessualen Anforderungen, die hier aber nicht Gegenstand sind, keine Schwierigkeiten auf. Wie gezeigt, sind Feststellungsinteresse und Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei heimlichen Maßnahmen mit Grundrechtsbezug regelmäßig gegeben. Hier soll lediglich noch einmal verdeutlicht werden, dass prozessuale Informationsrechte eigenständige Rechte sind, die auch eigenständig verfolgt werden können. Insbesondere entfällt das Rechtsschutzbedürfnis nicht aufgrund von § 44a Satz 1 VwGO, der bestimmt, dass Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können. Die Geltendmachung eigenständiger prozeduraler Rechte, wie das Recht auf Akteneinsicht, werden jedoch nicht von § 44a VwGO erfasst. 33 31
Vgl. BVerfGE 30, 1 (16 f.); 67, 157 (169); 100, 313 (354). BVerfGE 100, 313 (354); vgl. auch BVerfGE 67, 157 (170). 33 Vgl. Schmidt-Aßmann, Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. 4 Rn. 246; Stelkens, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 44a Rn. 8. A. A., aber vor dem Hintergrund der Anforde32
B. Beweiswürdigung
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Wird der Rechtsschutz dagegen dennoch versagt, liegt regelmäßig eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG vor. 34
B. Beweiswürdigung Schließlich bleibt noch zu klären, welche Einflüsse eine rechtmäßig verweigerte Auskunft, Akten- oder Urkundsvorlage auf den Prozess haben. Es müssen also die Folgen für einen Prozess in den Fällen betrachtet werden, in denen ein zur Sachaufklärung erforderliches Beweismittel rechtmäßig nicht in den Prozess eingeführt werden kann.
I. Allgemeines Beruft sich die Behörde zulässigerweise auf eine Vorlage- bzw. Auskunftsverweigerungsvorschrift, obwohl das Gericht die Auskunft oder Vorlage für den Prozess gegen nachrichtendienstliche Maßnahmen als beweis- bzw. aufklärungsbedürftig erachtet hat, steht die Information endgültig nicht zur Verfügung. Die Folge der Unaufklärbarkeit ist nur dann für den Betroffenen ohne nachteilige Folgen, wenn sich im Laufe des Prozesses herausstellt, dass die Würdigung der Tatsachenfrage nicht entscheidungserheblich war oder wenn die Tatsachenfrage in anderer Weise aufgeklärt werden kann. Dann muss das Gericht den entsprechenden Anträgen der Beteiligten nicht nachgehen. 35 Bei Entscheidungserheblichkeit der vorenthaltenen Beweismittel kommt es jedoch regelmäßig nach der materiellen Beweislastverteilung zu einer Klageabweisung. 36 Obwohl die Behörde also Beweismittel vorenthält und dem Kläger die Beweisführung unmöglich macht, kommt es zu für ihn zu nachteiligen Folgen, auch wenn er materiellrechtlich im Recht sein sollte.
II. Beweisrechtliche Lösung Im Strafprozess kann die Verweigerung belastender Beweismittel nicht zu Lasten des Beschuldigten verwendet werden, auch wenn der Nachrichtendienst versichert, im Besitz einer solchen Information zu sein, diese aber nicht vorlegt. Beweismittel, die hingegen zugunsten des Beschuldigten sprechen, aber rungen des Art. 19 Abs. 4 GG zu restriktiv: Trantas, Akteneinsicht und Geheimhaltung, S. 513. 34 Vgl. BVerfG, NJW 1991, S. 415 (416); umfassend dazu Kugelmann, Informatorische Rechtsstellung des Bürgers, S. 338 ff. 35 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 216. 36 Dafür: Rosenberger, Geheimnisschutz, S. 173.
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3. Teil: Besondere prozessuale Fragen im Rechtsschutz
rechtmäßig nicht herausgegeben werden, werden im Rahmen einer sog. beweisrechtlichen Lösung behandelt. 37 Danach muss das Gericht auf sachfernere Beweismittel zurückgreifen. Dazu gehören insbesondere Beweissurrogate, etwa die Vernehmung eines Augenscheinsgehilfen anstatt in Augenscheinsnahmen eines gesperrten Augenscheinsobjekts. Darüber hinaus muss das Gericht unter Anwendung des Zweifelssatzes „in dubio pro reo“ zu einer vorsichtigen Beweiswürdigung kommen. 38 Wenn der Beschuldigte durch das Vorenthalten der Beweismittel dann ein Beweisverwertungsverbot der Beweissurrogate geltend macht (etwa, weil die Aussagen in einem ersatzweise herangezogenen Vernehmungsprotokoll durch Foltermaßnahmen gewonnen wurden) gebietet es das Rechtsstaatsprinzip in Gestalt des fairen Verfahrens, dass er nicht den vollen Nachweis der Voraussetzungen eines Beweisverwertungsverbotes erbringen muss. Schließlich kann er es faktisch auch nicht. Hier sollten, wie Werner Beulke vorgeschlagen hat, die Grundsätze der Arzthaftungsprozesse angewandt werden, in denen sich der Beweisbelastete in einer beweisrechtlich ähnlichen Situation befindet. Es ist daher schon dann der Nachweis eines Beweisverwertungsverbots erbracht, wenn der Beschuldigte verdächtige Umstände nachweist, die in der Sphäre der Justiz liegen und die Vermutung der Rechtmäßigkeit und Justizförmigkeit des staatlichen Verfahrens ernsthaft erschüttern. 39 Ist eine Sperrerklärung jedoch willkürlich oder offensichtlich fehlerhaft, darf nicht auf Beweissurrogate zurückgegriffen werden, die Informationen aus gesperrten Beweismitteln werden dann nicht in die Verhandlung eingeführt. 40 Da sich die beweisrechtliche Lösung aus dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Recht auf ein faires Verfahren ergibt, und das Rechtsstaatsprinzip für alle Rechtswege gilt, sind keine Gründe ersichtlich, wieso diese Lösung nicht auf andere Prozesse übertragen werden können. 41 Auch auf anderen Rechtswegen ist daher entsprechend zu verfahren.
III. Beweisvereitelung Sofern aber auch dieses Beweismittel gänzlich fehlt, würde eine Entscheidung nach der allgemeinen Beweislastverteilung regelmäßig zu Lasten des Bürgers ge37
Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 218, Fußnote 108. Vgl. auch zu den Einzelheiten dieser Art der Beweiswürdigung: BGH NJW 2004, S. 1259 (1262) sowie BVerfG, NJW 2001, S. 2245 f.; Meyer-Goßner, StPO, § 96 Rn. 10; Pfeiffer, StPO, § Rn. 1. 39 Vgl. zum Ganzen: Beulke, Jura 2008, S. 653 (665) mit Verweis auf BVerfGE 52, 131 (145 ff.). 40 Vgl. Volk, StPO, § 27 Rn. 37. 41 Vgl. Gusy, Präventionsstaat, S. 289 f. 38
B. Beweiswürdigung
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hen, obwohl der Staat dem Bürger den (Gegen-)Beweis vereitelt hat. 42 Der Staat darf aber aufgrund von Art. 19 Abs. 4 GG vom Bürger Beweismittel nicht verlangen, deren Benutzung er ihm anderweitig durch Anordnung der Geheimhaltung entzogen hat. Er würde damit die Inanspruchnahme von Rechtsschutz gegen sich, gegen den Staat vereiteln. Der Rechtsschutz wäre dann nicht mehr effektiv. 43 Dieses will Art. 19 Abs. 4 GG aber gerade verhindern. Daher schlägt Christoph Gusy überzeugend vor, nach den Regeln der sog. Beweisvereitelung zu verfahren. 44 Dieses im Zivilprozess anerkannte Rechtsinstitut kann zu einer Umkehrung der Beweislast führen, wenn durch den jeweiligen Gegner die Beweisführung für die beweisbelastete Partei schuldhaft verhindert oder erschwert wird. In der ZPO ist dieser Fall nur für den Urkundenbeweis in §§ 371 Abs. 3, 427, 441 Abs. 3 Satz 3, 444 geregelt, er wird aber auf die anderen Beweismittel übertragen. 45 Sofern der Staat also einen Beweis nicht zur Verfügung stellt, nimmt er daher in Kauf, dass etwa im Strafprozess ein materiell ungerechtfertigter Freispruch oder im verwaltungsgerichtlichen Prozess eine materiell ungerechtfertigte Verurteilung des Staates ergeht. 46 Dieses Problem kann der Staat umgehen, wenn er nach zulässiger Informationsverweigerung zumindest mittelbare Beweise zur Verfügung stellt. Das am Rande der Beweiswürdigung liegende Problem eines in den Prozess eingeführten Beweismittels, das aus Informationen der Dienste besteht, die nach dem Nachrichtendienstrecht rechtswidrig erlangt wurden, ist eine allgemeine 42 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 220. So aber Kienemund, NJW 2002, S. 1231 (1236), jedoch ohne das in diesem Bereich nötige Problembewusstsein. 43 Vgl. Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers, S. 268 f. 44 Vgl. Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 220 f. So auch allgemein für den Verwaltungsprozess: Rudisile, Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 98 Rn. 238. 45 Vgl. zum Ganzen Foerste, Musielak, § 286 Rn. 62; ebenso BGH NJW 1986, 59 (60 f.). Einen größeren Spielraum im Rahmen der Beweiswürdigung sieht Prütting, MüKo ZPO, § 286 Rn. 92, der aber auch dann zu einer Beweislastumkehr bzw. zu einer Wahrannahme einer Behauptung kommt, wenn die freie Beweiswürdigung (wie im hier anzunehmendem Falle) nicht zum Ziele führt. 46 Vgl. Evers, Privatsphäre und Verfassungsschutz, S. 270 f.; Gusy, Richterliche Kontrolle II, S. 221. Margedant, NVwZ 2001, S. 759 (763), möchte hingegen die Interessen des Bürgers im „in camera“-Verfahren gewahrt wissen, dort soll bei einem ohne die Geheimhaltung günstigen Ausgang für den Bürger der Behörde die Möglichkeit für die Rücknahme der Maßnahme oder der Anerkennung der Klage gegeben werden. A. A. Ziekow, BayVBl. 1992, S. 132 (139), der aber dennoch ausführt, dass die nicht vorgelegten Vorgänge nur unter nicht näher genannten strengen Voraussetzungen zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden verwendet werden dürfen. Auch das BVerwG, DVBl. 2008, S. 1242 (1246), spricht aus, dass der durch eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO verursachte Beweisnotstand unter Berücksichtigung der gesetzlichen Verteilung der materiellen Beweislast zu berücksichtigen ist. Im Gegensatz zur hier vertretenen Ansicht, lässt es aber inkonsequenterweise eine Beweislastumkehr zugunsten des Betroffenen letztlich nicht zu, selbst wenn dem Betroffenen eine beweisrechtliche Vorstufe nichts nützt.
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3. Teil: Besondere prozessuale Fragen im Rechtsschutz
prozessuale Frage, die im vorliegenden Rahmen nicht geklärt werden kann. Wenn man sich allein die Literatur und Rechtsprechung zu Beweisverwertungsverboten im Strafprozess vor Augen hält, wird dieses schnell deutlich. Allgemein soll hier dennoch festgehalten werden, dass die Bindung an Recht und Gesetz aus Art. 20 Abs. 3 GG für ein Verwertungs- und Verwendungsverbot in allen Prozessen spricht. 47
47 So jüngst das BVerfG, Urteil 1 BvR 256/08 vom 2. 3. 2010, Absatz-Nr. 252 f., abrufbar im Internet unter: http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608 .html (abgerufen am 01. 06. 2010). Ebenso Gusy, NVwZ 1983, S. 322 (323); Gröpl, Nachrichtendienste, S. 270; Rosenberger, Geheimnisschutz, S. 176 ff. Für den Strafprozess ist die Einführung präventiver Kenntnisse nur zulässig, wenn die Maßnahme, durch die aufgrund eines anderen Gesetzes personenbezogene Daten zu Beweiszwecken erlangt wurden, auch nach der StPO zur Aufklärung der verfolgten Straftaten hätte angeordnet werden können. Dabei ist dann ein hypothetischer Alternativverlauf mit Strafverfolgungsbehörden nach der StPO durchzuspielen (sog. hypothetischer Ersatzeingriff). Dabei ist dann zu bedenken, dass ein Beweisverwertungsverbot jedenfalls bei bewusster oder objektiv willkürlicher Umgehung der Beweiserhebungsvorschriften durch die Strafverfolgungsorgane gilt; zudem greift es bei Eingriffen in die Intimsphäre bzw. den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, vgl. Beulke, Jura 2008, S. 653 (658 ff.), auch mit der berechtigten Kritik an der Figur des hypothetischen Ersatzeingriffs.
Zusammenfassung A. Begriffliches 1. Rechtsschutz ist wörtlich als Schutz des Rechts zu verstehen. Schutz meint unmittelbare Rechtsdurchsetzung des Rechtsträgers durch eine unabhängige Institution. „Rechte“ meint ausschließlich subjektive Rechte. Die Rechtsschutzinstitution muss einer rechtsstaatlichen Friedensordnung entsprechend verfahren und einen umfassenden Rechtsschutz gewährleisten. Sie ist nach heutigem Verständnis das Gericht, so dass Rechtsschutz grundsätzlich Gerichtsschutz bedeutet. 2. Nachrichtendienst ist gegenüber Geheimdienst der engere Begriff. Ersterer wird als staatliche Institution verstanden, die nur rezeptive Tätigkeiten ausführt, d. h. die Beschaffung und Auswertung von Informationen leistet. Vom Betreiben weiterer aktiver Maßnahmen ist er ausgeschlossen. Letzterer hingegen führt neben der Sammlung von Informationen auch aktive Handlungen zur Störung oder Beeinflussung politischer Gegner im In- und Ausland durch. Die bundesdeutschen Geheimdienste sind gesetzlich als Nachrichtendienste konzipiert, wobei ihnen zusätzlich aus dem geheimdienstlichen Bereich die Spionageabwehr zugeordnet wurde. 3. Staatsschutz meint den umfassenden Schutz eines jeden Staates vor Gefahren, die allgemein seine Sicherheit oder konkret seinen Bestand oder seine Einrichtungen bedrohen. Verfassungsschutz ist der engere Begriff und meint nur den Schutz der verfassungsrechtlichen Grundordnung des Staates.
B. Struktur und Kompetenzen 4. Die bundesrepublikanischen Geheimdienste gliedern sich in die Inlandsdienste mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und den jeweiligen Landesbehörden, dem Bundesnachrichtendienst (BND) als Auslandsaufklärungsdienst und dem militärischen Abwehrdienst (MAD) als Aufklärungsdienst für den Bereich der Bundeswehr. 5. Polizeiliche Befugnisse stehen den Nachrichtendiensten nicht zu. Das sind traditionell solche Befugnisse der Polizei, die unter Einsatz rechtlicher oder faktischer Zwangsmittel geschehen, d. h. wenn der Widerstand eines Betroffenen zur Durchsetzung gebrochen werden muss.
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Zusammenfassung
6. Die Aufgabe der Nachrichtendienste unterscheidet sich von den Aufgaben der Polizeien und Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaften). Durch den weiteren Ausbau der Vorfeldarbeit wird die Gefahr der Aufgabenübertretung jedoch größer. Der Gesetzgeber reagiert auf diese Gefahr − paradoxerweise − allerdings nicht mit materiell-rechtlichen Kompetenzbeschränkungen, um wieder den traditionellen Eingriffsschwellen zu entsprechen, sondern mit einer weiteren Annährung der sachlichen Zuständigkeiten der Behörden, so dass eine Abgrenzung der Aufgabenbereiche wiederum immer schwieriger wird. 7. Das grundlegende Gesetz für die Kompetenzen der Dienste ist das BVerfSchG. Zwar zeichnet sich die Normierung der nachrichtendienstlichen Befugnisse durch ein kompliziertes Normengeflecht aus. MADG und BNDG verweisen aber an verschiedenen Stellen auf das BVerfSchG und gehen selten über die Kompetenzen in diesem Gesetz hinaus. Ähnliches gilt für die Befugnisse der Landesverfassungsschutzämter, deren Zuständigkeiten überdies bereits für den Bereich der Zusammenarbeit mit dem Bundesamt durch das Gesetz festgelegt wurde. 8. Die historische Entwicklung zeigt den enormen Zuwachs der Kompetenzen der Nachrichtendienste. Ihnen wurde im Laufe der Zeit nie ein Weniger, sondern stets ein Mehr an Kompetenzen zugestanden. Das führte schließlich dazu, dass auf dem Boden der Verfassung weitere Instrumente zur noch umfassenderen Informationserhebung kaum denkbar sind. Der erreichte Gipfel der denkbaren Erhebungskompetenzen ist verbunden mit einem erheblichen Eingriffspotenzial in Grundrechte, die insbesondere personenbezogene Daten im Allgemeinen oder in speziellen Lebensbereichen schützen. 9. Das gilt auch für den Bereich der Datenübermittlung an andere Behörden. Das detaillierte System der Datenübermittlungsvorschriften und der damit verbundene Grundrechtsschutz wird durch das Einpflegen großer und umfassender Datenbestände in gemeinsamen Dateien durch verschiedene Behörden mit unterschiedlichen Aufträgen weiter ad absurdum geführt, da nahezu sämtliche Dateien jederzeit und für jede Behörde automatisiert zur Verfügung stehen. 10. Die Befugnisse der Dienste zur Datenübermittlung dürfen nicht durch die allgemeinen Amtshilfevorschriften erweitert werden. Die Regelungen der Amtshilfe sind zu allgemein und können nicht zu einer Erweiterung der Kompetenzen der Nachrichtendienste führen, sondern nur zur Überwindung der örtlichen Zuständigkeitsregelung genutzt werden.
C. Kontrollinstanzen 11. Für die Überwachung der dargestellten Kompetenzen der Nachrichtendienste gibt es mehrere Kontrollinstanzen. Zum einen sind das die Gerichte
D. Einfach-rechtliches Rechtsschutzsystem
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bzw. die gerichtsähnlichen G 10-Kommissionen, die jeweils Rechtsschutz vermitteln. Daneben gibt es aber noch Instanzen, die entweder nur mittelbar der Rechtsdurchsetzung dienen und nicht die institutionellen Voraussetzungen wie die Gerichte aufweisen (Bundes- und Landesdatenschutzbeauftragte sowie Petitionsausschüsse) und / oder nicht der Durchsetzung subjektiver Rechte dienen, sondern nur der objektiven Rechtskontrolle oder der bloßen Information des Parlaments bzw. der Öffentlichkeit (Parlamentarisches Kontrollgremium, Vertrauensgremium und Bundesrechnungshof, Untersuchungsausschuss sowie Verteidigungs- und Innenausschuss, ZFdG-Gremium und die Gremien nach Art. 13 Abs. 6 GG, Informationsrechte der Abgeordneten, Dienst- und Fachaufsicht, Öffentlichkeit und Presse). Diese Instanzen gewähren wegen der genannten Defizite aber keinen Rechtsschutz. Sie können den gerichtlichen Rechtsschutz auch nicht ersetzen, aber Transparenz schaffen und dadurch gerichtliche Überprüfungen bisher nicht bekannter nachrichtendienstlicher Aktivitäten anstoßen.
D. Einfach-rechtliches Rechtsschutzsystem 12. Das einfachrechtliche Rechtsschutzsystem gegen nachrichtendienstliche Aktivitäten ist zweigeteilt: Auf der einen Seite steht der gerichtliche Rechtsschutz, der grundsätzlich zur individuellen Kontrolle zur Verfügung steht. Er ist primär in das verwaltungsrechtliche Rechtsschutzsystem eingebettet und enthält vereinzelte Sonderregelungen für Verfahren auf nachrichtendienstlichem Gebiet. Auf der anderen Seite steht der parlamentarische Rechtsschutz. Er findet regelmäßig Anwendung bei Maßnahmen, die das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 GG betreffen. In dieser Form des Rechtsschutzes findet die Kontrolle zunächst nicht durch Gerichte statt, sondern durch die sog. G 10-Kommission nach § 15 G 10, die gerichtsähnliche Befugnisse zur Rechtsdurchsetzung besitzt. 13. Um gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, ist es erforderlich, den Rechtsweg beschreiten zu können. Der Rechtsweg muss mit anderen Worten von den Verfahrensordnungen für den Streitgegenstand aus dem nachrichtendienstlichen Bereich eröffnet werden. Der Rechtsschutz gegen die Nachrichtendienste ist in das allgemeine Rechtsschutzsystem eingebettet und darin ist der Verwaltungsrechtsweg regelmäßig eröffnet. 14. Unabhängig von der Art des Rechtswegs gibt es allerdings sowohl rechtliche, als auch tatsächliche Hindernisse, die insbesondere in nachrichtendienstlichen Fällen immer wieder zum Tragen kommen. Zunächst gibt es rechtlich normierte zeitliche Rechtswegausschlüsse, die zu Verzögerungen des Rechtswegzugangs von verschiedener Dauer führen. Daneben gibt es aber auch tatsächliche Verhinderungen der Rechtswegeröffnung: Um den Rechtsschutz beschreiten zu können, ist es zuvorderst nötig, überhaupt von Aktivitäten der Nachrichtendienste Kenntnis zu erhalten, die zu einem Rechtsschutzbegehren führen können.
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Zusammenfassung
Wird das Begehren nicht erzeugt, weil der Betroffene nichts von Aktivitäten der Dienste weiß, ist der Rechtsweg faktisch verschlossen. 15. Als Instrumente der Kenntnisnahme respektive Kenntnisgewähr gibt es zum einen Informationsansprüche und zum anderen Unterrichtungspflichten, auch Benachrichtigungs- oder Mitteilungspflichten genannt. Die Rechte und Pflichten der Kenntnisgewähr wurden einfach-gesetzlich sowohl im Bundesrecht als auch im Recht der Länder normiert. Informationsansprüche vermitteln insbesondere dem vermeintlich Betroffenen das Recht, aktiv darüber Kenntnis zu erlangen, ob er von einer Maßnahme betroffen ist und was die Behörden über ihn wissen. Die Initiative geht insoweit von dem vermeintlich Betroffenen als Informationsnachfrager aus. 16. Die Informationsansprüche lassen sich in Auskunftserteilungsrechte (Auskunftsansprüche) und Einsichtsrechte unterteilen. Mittels Auskunftsansprüchen kann der Betroffene jederzeit und unabhängig von einem förmlichen Verwaltungsverfahren allgemein die Informationsbasis der datenverarbeitenden Stelle in Erfahrung bringen, soweit seine personenbezogenen Daten betroffen sind. Die datenverarbeitende Stelle muss ihm dazu die entsprechenden Informationen in einer ermessensfehlerfreien Form mitteilen. Mittels Einsichtsrechten kann er die ihn betreffenden Akten und Registereinträge einsehen, sofern solche angelegt wurden. Beide Arten des Informationsanspruchs sind aber nicht immer sauber voneinander zu trennen. Da die Form der Auskunftserteilung im Ermessen der datenverarbeitenden Stelle liegt, ist eine Auskunftsgewährung auch durch Akteneinsicht denkbar. 17. Im nachrichtendienstlichen Bereich ist eine weitere Einteilung der Informationsansprüche in nicht-prozessuale und prozessuale Ansprüche sinnvoll. Die nicht-prozessualen Informationsansprüche sind grundsätzlich für Betroffene einschlägig, die Adressaten von staatlicher Verarbeitung personenbezogener Daten sind, auch wenn die Daten nicht in einem förmlichen staatlichen Verfahren erhoben bzw. in ein solches eingeführt wurden. Die prozessualen Informationsansprüche sind für die Betroffenen als Verfahrensbeteiligte in einem förmlichen staatlichen Verfahren (also Verwaltungsverfahren oder gerichtlichem Verfahren) einschlägig. 18. Unterrichtungspflichten verpflichten hingegen die Behörde, von sich aus den Betroffenen über eine Maßnahme zu informieren und die heimliche Maßnahme dadurch offenzulegen. Hier geht die Initiative von der Behörde aus. Sie ist verpflichtet, dem Betroffenen Kenntnis zu gewähren. 19. Zwar besteht gegenüber den Nachrichtendiensten stets eine einfach-gesetzlich ausgestaltete Kenntnisgewähr, die entsprechenden Gesetze kennen aber alle Versagenstatbestände und Ausnahmen, die jedenfalls im nachrichtendienstlichen Bereich im Wesentlichen gleich sind. Sie dienen zum einen dem öffentlichen Interesse und schützen die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der Behörde,
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die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere das Wohl des Bundes und der Länder oder das Amtsgeheimnis bzw. das Staatsgeheimnis allgemein (Daten, die nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig sind). Zum anderen dienen die Versagungstatbestände dem Schutz der Interessen privater Dritter (Geheimhaltung wegen überwiegend schutzwürdiger Interessen Dritter). 20. Schließlich ist es für einen umfassenden Rechtsschutz auch erforderlich, dass der dem jeweiligen Verfahren zugrunde liegende Sachverhalt hinreichend ermittelt werden kann. Anderenfalls wäre eine richtige rechtliche Würdigung des Rechtsfalls nicht möglich. Um der Sachverhaltsaufklärung des Gerichts genüge zu tun, enthalten alle Verfahrensordnungen Regelungen über das Beweisverfahren, die das Gericht ermächtigen, verfahrensrelevante Beweismittel zu nutzen. Der Beteiligte hat regelmäßig die Möglichkeit entsprechende Beweiserhebungen zu beantragen. 21. Insbesondere gegenüber Nachrichtendiensten gibt es aber Sonderregelungen, die diese Behörden ermächtigen, die Vorlage von Beweismitteln aufgrund von Staatswohlerwägungen zu verweigern. Ebenso gibt es Regelungen, die eine Verweigerung der Aussagegenehmigung von nachrichtendienstlichen Mitarbeitern als Zeugen ermöglichen. 22. Der parlamentarische Rechtsschutz ist kein gerichtlicher, sondern nur ein gerichtsähnlicher Rechtsschutz. Er ergibt sich aus Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG und dem G 10. Die Rechtskontrolle übernimmt die sog. G 10-Kommission. In jüngerer Zeit hat sich die Kontrolle der Kommission auch auf nicht im G 10 genannte Maßnahmen erstreckt. Dazu finden sich in den speziellen Dienstgesetzen entsprechende Verweise. 23. Auch wenn die Kommission dem sog. parlamentarischen Rechtsschutz gegen die genannten Maßnahmen dient, ist sie dennoch kein Parlamentsorgan, sondern ein Staatsorgan sui generis, das dem Funktionsbereich der Exekutive zuzurechnen ist. Die Mitglieder sind nicht Vertreter einer Partei oder einer Parlamentsfraktion, sondern dienen allein dem Rechtsschutz. Ihre Amtsführung muss unabhängig und weisungsfrei sein. 24. Die G 10-Kommission kann wie ein Gericht auf Antrag („Beschwerde“) entscheiden, hat aber darüber hinaus auch die Möglichkeit von Amts wegen über die „Zulässigkeit und Notwendigkeit“ der ihr zugewiesenen Maßnahmen zu entscheiden, wozu in erster Linie die sog. Beschränkungen nach den §§ 3 und 5 G 10 (Beschränkungen in Einzelfällen (Individualkontrolle) und strategische Beschränkungen) gehören. 25. Die Reichweite der Kontrollbefugnis ist dabei denkbar umfassend: Zu ihr gehören die personenbezogene Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung sowie die Mitteilung über die Maßnahme nach § 12 G 10. Zur Datenverarbeitung
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Zusammenfassung
gehört auch die Übermittlung der Daten. Die G 10-Kommission kontrolliert jedoch nicht nur nachträglich oder laufend die Beschränkungsmaßnahmen, vielmehr ist sie, der Regelung eines Richtervorbehalts gleich, vor dem Vollzug der Maßnahmen zu unterrichten. Neben der Aufgabe, die Beschränkungsmaßnahmen zu kontrollieren, überwacht die G 10 Kommission zudem die Mitteilung der Beschränkungsmaßnahmen nach den §§ 3, 5 und 8 G 10 an die Betroffenen. 26. Soweit die Maßnahmen von den Verfassungsschutzämtern der Länder durchgeführt wurden, sind die jeweiligen G 10-Kommissionen nach den Ausführungsgesetzen zum G 10 der Länder mit grundsätzlich identischen Kompetenzen zuständig. 27. Um die Überwachung angemessen durchführen zu können, haben die G 10-Kommissionen des Bundes und der Länder die Befugnis, alle für sie erforderlichen Beweise zu erheben und den Sachverhalt umfassend aufzuklären. Ihnen müssen alle für ihre Entscheidungen erhebliche Unterlagen zugänglich gemacht werden. Ihnen gegenüber gibt es insbesondere weder die aus dem gerichtlichen Rechtsweg bekannte Verweigerungsmöglichkeit noch die Amtsverschwiegenheit von Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder die Möglichkeit der Verweigerung der Aussagegenehmigung.
E. Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG 28. Subjektiv-rechtlich gibt Art. 19 Abs. 4 GG ein Grundrecht auf Rechtsschutz. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG steht jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Die Garantie des offenen Rechtsweges wird allgemein als Garantie des Individualrechtsschutzes aufgefasst. Das Merkmal „öffentliche Gewalt“ trifft auf Nachrichtendienste zu. Der Gewährleistungsgehalt der Rechtsschutzgarantie kann nur durch umfassende Auslegung ermittelt werden. 29. Der Wortlautbefund spricht für einen effektiven Zugang zum Rechtsweg, sog. Rechtsweggarantie. Damit ist aber noch nichts über die Anforderungen an den dann offen stehenden Rechtsweg gesagt, d. h. über den Rechtsschutz als solchen. Die grammatische Auslegung bietet keine Anhaltspunkte für diesen Teil der Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG. 30. Die historische Interpretation stützt sich auf Art. 138 HChE, Art. 107 WRV und auf § 182 PKV als Normvorläufer des Art. 19 Abs. 4 GG. Art. 138 HChE spricht dafür, dass die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe insbesondere bei Anordnung einer Verwaltungsbehörde garantiert. Art. 107 WRV und § 182 PKV sprechen dafür, dass der Wortsinn von „Rechtsweg“ Gerichtsweg bzw. gerichtsvergleichbarer Weg ist. Art. 107 WRV hilft darüber hinaus die Anforderungen an den nach Art. 19 Abs. 4 GG offen ste-
E. Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG
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henden Rechtsweg zu verstehen: Dem Rechtsweg als Gerichtsweg wird ein Gericht nur gerecht, wenn es Gesetzmäßigkeit, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit wahrt. 31. Die genetische Auslegung stützt den Wortlautbefund nach einer effektiven Rechtsweggarantie, die als Gerichtsweggarantie aufgefasst werden muss. Der Zugang zu Gerichten sollte jedenfalls absolut bei Eingriffen in die Freiheitsrechte eröffnet sein und nicht nur möglichst erreicht werden. „Rechtsweg“ meint nicht nur Gerichtsweg als bloße Zuweisung von Rechtsverletzungen an die Judikative, sondern stellt besondere Anforderungen an diesen auf, ohne die ein Gerichtsweg kein „Rechtsweg“ im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG ist. Der Rechtsweg als Gerichtsweg muss zu einer Entscheidung führen, die Verletzungen der den Art. 19 Abs. 4 GG vorstehenden Menschen- und Freiheitsrechte wirksam begegnet. Der Rechtsschutz, den der Rechtsweg bietet, muss demnach wie der Zugang zum Rechtsweg wirksam und umfassend, d. h. effektiv sein. Das Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes bildet den verfassungsrechtlich abgesicherten Mindeststandard. 32. Systematisch ist Art. 19 Abs. 4 GG eine Ausprägung allgemeiner rechtsstaatlicher Grundsätze, die im Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegt sind und steht als Teil des Prinzips neben anderen verfassungsrechtlichen Rechtsschutzregelungen. 33. Art. 19 Abs. 4 GG ist lex specialis gegenüber dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch für Rechtseingriffe durch die öffentliche Gewalt respektive durch die Nachrichtendienste. Art. 19 Abs. 4 GG und der Justizgewährungsanspruch weisen im Kern denselben Gewährleistungsgehalt auf, der als allgemeiner Rechtsschutzstandard oder Kongruenzbereich bezeichnet wird. 34. Der allgemeine Rechtsschutzstandard enthält die Gewährleistung eines effektiven Gerichtszuganges, einer vollstreckbaren Gerichtsentscheidung und einer umfassenden gerichtlichen Überprüfung eines angefochtenen Sachverhalts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Dabei ist aber nicht die sachliche Richtigkeit als solche gewährleistet, sondern nur eine auf diese gerichtete Vorgehensweise. Die sachliche Richtigkeit ist daher das Verfahrensziel. Darüber hinaus wird noch die Gewährleistung eines fairen Verfahrens übernommen. 35. Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG hat immer einen Rechtsweg vor Augen, der zu einem Richter im Sinne der Art. 92 Hs. 1, 97, 98 GG führt. Über Art. 19 Abs. 4 GG könnten diese objektiven Gehalte grundsätzlich geltend gemacht werden. Aus systematischen Überlegungen wird der Schutz der Art. 92 ff. GG ab Prozessbeginn aber durch den für den allgemeinen Rechtsschutzstandard spezielleren Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet. 36. Art. 103 Abs. 1 GG ist eine Ausprägung insbesondere des Rechtsstaatsprinzips und als solche bereits in ihm angelegt. Soweit der allgemeine Standard betroffen ist, tritt die Rechtsschutzgarantie hinter ihm zurück.
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Zusammenfassung
37. Aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz ergibt sich, dass die Exekutive im Rahmen des sog. institutionellen Rücksichtnahmegebotes nicht durch faktische Maßnahmen eine gerichtliche Nachprüfung unmöglich machen darf. 38. Sofern die Legislative nur unzureichend verfahrensrechtliche Maßnahmen geschaffen hat, ist ausnahmsweise ein unmittelbarer Rückgriff des Richters auf Art. 19 Abs. 4 GG als Verfahrensnorm möglich. Wie beim Rechtsstaatsprinzip gilt dieses aber nur, wenn sich unzweideutig ergäbe, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt wären. Denn es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, die Verfassung zu konkretisieren und zwischen möglichen Alternativen bei der normativen Konkretisierung eines Verfassungsgrundsatzes zu wählen. 39. Neben dem allgemeinen ist aus systematischen und historischen Gründen ein besonderer Rechtsschutzstandard angezeigt. Dieser verleiht Art. 19 Abs. 4 GG gegenüber dem Justizgewährungsanspruch einen inhaltlich eigenständigen, überschießenden Gewährleistungsgehalts, der auf die besonderen Gefahren für den Rechtsschutzsuchenden gegenüber Verwaltungshandeln im Rahmen des Subordinationsverhältnisses reagiert. 40. Der Inhalt des besonderen Rechtsschutzstandards wird danach bestimmt, was gerade zur Kompensation der besonderen Nachteile und Gefahren für den Rechtsschutzsuchenden in Streitigkeiten im Subordinationsverhältnis notwendig ist. Als grundlegender Unterschied zu Privaten im Gleichordnungsverhältnis kann der Staat durch Verwaltungsakte einseitig selbst vollstreckbares Recht setzen und hat er enorme Eingriffsbefugnissen in Freiheit und Eigentum. Da dadurch bereits eine Kontrollinstanz im Hinblick auf sachliche Richtigkeit der staatlichen Maßnahme fehlt, muss Art. 19 Abs. 4 GG auf dem Rechtsweg spezifische Antworten auf die Kompetenzen des Staates im Subordinationsverhältnis geben, wenn er den materiellen Rechten des Betroffenen zur Wirksamkeit verhelfen will. 41. Zum besonderen Rechtsschutzstandard gehören die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, eine erhöhte Kontrolldichte im nachträglichen Verfahren und Vorwirkungen auf das dem gerichtlichen Rechtsschutz vorgelagerte Verwaltungsverfahren. 42. Aus Art. 19 Abs. 4 GG lässt sich zudem ein Anspruch auf Kenntnisgewähr ableiten. Dieser umfasst sowohl Informationsansprüche als auch Unterrichtungspflichten und wird ausgelöst, wenn die Kenntnisnahme für die Inanspruchnahme von Rechtsschutz faktisch erforderlich ist, also insbesondere bei heimlichen Maßnahmen der Nachrichtendienste. In seinem Anwendungsbereich verdrängt Art. 19 Abs. 4 GG darüber hinaus die Verfahrenskomponente der materiellen Grundrechte, die ebenso einen Anspruch auf Kenntnisgewähr begründet. 43. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet aufgrund seiner objektiv-rechtlichen Schutzfunktion auch präventiven Rechtsschutz. Dieser führt bei einem beson-
F. Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG
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ders tiefen Grundrechtseingriff in der Regel zu einem Richtervorbehalt. Die speziellen Richtervorbehalte des Grundgesetzes sind daher nur deklaratorische Ausprägungen dieser Gewährleistung. Daneben gewährleistet das Grundrecht noch vorbeugende Unterlassungs- und Feststellungsklagen. 44. Art. 19 Abs. 4 GG ist als Grundrecht mit normgeprägten Schutzbereich ausgestaltungsbedürftig. Die Ausgestaltungsgrenzen ergeben sich aus der Anforderung einer effektiven Rechtsweggarantie und einer effektiven Rechtsschutzgarantie als verfassungsrechtlichen Mindeststandard. 45. Der vorbehaltlose Art. 19 Abs. 4 GG kann durch sog. kollidierendes Verfassungsrecht beschränkt werden. Um das System der geschriebenen Gesetzesvorbehalte jedoch nicht zu relativieren ist aber äußerste Vorsicht geboten. Dieses gilt im erhöhten Maße für die sog. unechte Grundrechtskollision, bei der ein Grundrecht gegen eine andere, nicht-grundrechtliche Verfassungsnorm steht. Kompetenz-, Organisations- oder Verfahrensnorm können zur Grundrechtsbeschränkung nur genutzt werden, wenn dem in ihnen verbürgten Rechtsinstitut elementare Bedeutung für das Verfassungsgefüge zugemessen werden kann, die der freiheitssichernde Bedeutung der Grundrechte nahe kommt. Zudem müssen die Einschränkungen mit dem Rechtsinstitut zwangsnotwenig verbunden sein.
F. Anforderungen des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG 46. Zwar ist nach systematischer Auslegung des Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip eine Nichtbenachrichtigung für den Betroffenen und das Ersetzen des Gerichtsschutzes von der Verfassung legitimiert. Durch das Wort „kann“ lässt Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG die nachträgliche Benachrichtigung über die Maßnahme aber zu und fordert sie sogar, wenn eine Gefährdung für die genannten Schutzgüter ausgeschlossen werden kann. 47. Aus dem Wortlaut der Norm, wonach „an die Stelle des Rechtswegs“ der parlamentarische Rechtsschutz treten soll, und aus systematischer Auslegung mit dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich die erforderliche Gleichwertigkeit von parlamentarischem und gerichtlichem Rechtsschutz in materieller und verfahrensmäßiger Hinsicht. 48. Eine Mitteilungssuspendierung kommt nur für die Maßnahmen in Betracht, die den Schutzgütern des Satzes 2 dienen. Satz 1 bildet nur eine Schranke für eine Mitteilungspflicht aus der Verfahrenskomponente des Art. 10 GG. 49. Wortlaut und genetische Interpretation sprechen dafür, dass die Schutzgüter des Satz 2 möglichst eng ausgelegt werden. Freiheitlich-demokratische Grundordnung meint die in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze, die einer Verfassungsänderung gemäß Art. 79 Abs. 3 GG entzogen sind.
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Zusammenfassung
50. Der Bestand des Bundes oder der Länder meint die territoriale Unversehrtheit des Bundes oder Bundesländer und deren politische Unabhängigkeit. Mit „Sicherung“ des Bundes oder eines Landes ist das Schutzgut der „Sicherheit“ des Bundes oder Landes gemeint. Beide Tatbestandsmerkmale sind äußerst restriktiv auszulegen. Darüber hinaus muss sich die Gefährdung jeweils auf die Körperschaft als Ganzes bezieht.
G. Verfassungsrechtliche Einflüsse auf das einfach-rechtliche Rechtsschutzsystem 51. Die rechtfertigenden Tatbestände in den rechtsschutzrelevanten Vorschriften sind äußerst restriktiv auszulegen. Das gilt insbesondere deshalb, weil sie bis auf die Interessen Dritter unechte Grundrechtskollisionen mit Art. 19 Abs. 4 GG darstellen. 52. Der gerichtliche Rechtsweg muss immer auch dann eröffnet sein, wenn der Betroffene auf andere Weise von der Maßnahme erfährt. Das bedeutet auch, dass dann eine mögliche Inzidenterkontrolle der Maßnahmen nach dem G 10 durch Gerichte nicht nur möglich, sondern auch verfassungsrechtlich geboten ist. 53. Für die Informationsansprüche ist es nur nötig, eine mögliche Rechtsverletzung darzulegen. Die verfassungskonforme Auslegung der Ansprüche führt zudem dazu, dass der Nachrichtendienst u.U. auch die Herkunft und Empfänger von Daten offen legen muss. Schließlich ist ebenso der sog. Negativtest grundsätzlich von den Informationsansprüchen umfasst. Neben den Informationsansprüchen sind flächendeckend Benachrichtigungspflichten zu normieren. 54. Insgesamt können die Mängel der Prozessordnungen ohne in cameraVerfahren über den Umweg über das Verwaltungsgericht behoben werden. Die Gerichte haben das dann aber auch zu ermöglichen. Im vorläufigen Rechtsschutz kann darüber hinaus auch ein einstweiliges in camera-Verfahrens durch den jeweiligen Fachsenat in analoger Anwendung der §§ 80 Abs. 5 bzw. 123 jeweils i.V. m. § 99 Abs. 2 VwGO angezeigt sein. 55. Richtervorbehalte sind im Nachrichtendienstrecht nicht an allen erforderlichen Stellen vorgesehen. Es handelt sich insoweit um gesetzgeberisches Unterlassen und stellt eine Beeinträchtigung der Rechtsschutzgarantie dar. 56. Das Merkmal „Befürworten“ in § 8a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BVerfSchG verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot. Zudem sind die zahlreichen Verweisketten im bayVSG vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots verfassungsrechtlich problematisch. 57. Für die Bereiche der organisierten Kriminalität kann die entsprechende G 10-Kommission zwar die Einhaltung der Mitteilungsvorschriften nach § 12
H. Besondere prozessuale Fragen
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G 10 überwachen. Es muss aber dafür gesorgt werden, dass bei Maßnahmen, für die ein Richtervorbehalt einfach-rechtlich oder verfassungsrechtlich normiert ist bzw. die einen Richtervorbehalt aufgrund ihres tiefen Eingriffs fordern, dann auch ein Richter zusätzlich die Kontrolle übernimmt.
H. Besondere prozessuale Fragen 58. Für Klagen gegen Nachrichtendienste ist grundsätzlich der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Ein Landesverfassungsschutzgesetz, das eigene Verfahrensbestimmungen enthält, obwohl der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht auf dem Gebiet des Gerichtsverfahrens abschließend Gebrauch gemacht hat, ist insoweit kompetenzwidrig. 59. Bei rechtmäßigen Sperrerklärungen müssen die Gerichte aller Rechtswege nach der im Strafprozess entwickelten sog. beweisrechtlichen Lösung vorgehen und auf fernere Beweismittel und Beweissurrogate zurückgreifen. 60. Sofern aber auch diese Beweismittel gänzlich fehlen, ist nach den Regeln der sog. Beweisvereitelung aus dem Zivilprozess zu verfahren. Das kann unter Umständen zu einer Beweislastumkehr zu Lasten der Nachrichtendienste führen.
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Sachwortverzeichnis Akteneinsichtsrecht 85, 89, 94, 110, 122, 123, 142, 145 ff., 149 ff., 151 ff., 155, 157 ff., 168, 175, 234, 238 f., 274, 278, 322, 330 Alliierter Kontrollrat 37,43 Amt Blank 38, 42 Amt für die Sicherheit der Bundeswehr (ASBw) 42 Amt für nationale Sicherheit (AfNS) 38 Amtshaftungsprozess 118, 172, 318, 321 Anfrage (parlamentarische) 42, 45, 61, 109, 114 Anti-Terror-Datei 76, 192 arbeitsgerichtlicher Prozess 118, 152, 181, 317 f. Aufgabennorm 45 f., 52, 57 ff., 63, 137 f., 146, 296 f. aufgedrängte Daten 243 Ausforschungsgefahr 126, 128, 132, 264, 267, 279 f., 284 f. Aussagegenehmigung 104 f., 168 f., 183 ff., 194, 331 f. Außenpolitischer Nachrichtendienst (APN) 38 Außerordentliche Allrussische Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage der UdSSR (Tscheka) 31 automatisierte Personendatenbank (PDB) 38 Beanstandung (des Datenschutzbeauftragten) 80, 82 Befugnisnorm 45 f., 58 f. Bestand und / oder Sicherheit des Bundes oder eines Landes 32, 34, 43, 45, 47,
52, 66, 73, 133, 173, 179, 264 ff., 289, 296, 298 f., 304 f., 327, 336 Bestandsdaten 62, 307 Bestrebung 43 ff., 47, 52 f., 57 f., 70, 75, 244, 296, 305 Beweisantrag 178, 180, 292 f. Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) 38, 40, 43 f., 47 f., 50, 52, 54, 61, 71, 112, 126, 173, 176, 188, 327 Bundesarchiv 125, 143, 157 Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik 74, 143 Bundeskanzleramt 39, 50, 105, 111, 173 Bundesministerium der Verteidigung 43, 50, 173 Bundesnachrichtendienst (BND) 32, 38 ff., 43, 47 f., 50 ff., 66 f., 70 ff., 79, 92, 100, 105 f., 107, 111, 113 f., 124, 136, 150, 173, 176, 188, 267, 301, 327 Central Intelligence Agency (CIA) 39, 93 chilling-effect 303 Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) 42, 45, 93 Christlich-Soziale Union (CSU) 45, 49 f., 93 CIA-Geheimgefängnisse 93 Cicero-Affäre 143 f. counter man (CM) 60 Datenerhebung 120, 148, 154, 155, 163 f., 166, 188, 192, 241 f., 244 f., 247, 287 f., 297, 301 f., 308, 310, 331 Datenlöschung 69, 193 f., 303, 312 Datennutzung 58, 63, 68 f., 82, 153, 188, 248, 331
Sachwortverzeichnis Datenspeicherung 35, 48, 62 f., 68 f., 71, 75, 120, 128, 131, 136, 147, 153, 160 ff., 192, 241, 271, 284, 286, 303 Datensperrung 69, 178 Datenübermittlung 56, 70, 71 ff., 78 f., 93, 107, 120, 134, 150, 156 f., 328 Datenveränderung 68 Eigensicherung 40, 49, 114 Eingriffsschwelle 52, 54, 56, 300, 302, 328 Enquête-Kommission „Verfassungsrecht“ 87 Freie Demokratische Partei (FDP) 49, 61, 93 Freiheitlich demokratische Grundordnung (FdGO) 45, 52, 72 f., 265 f., 304 f., 268, 375 G 10-Gremium 91 G 10-Kommission 63, 65, 79 ff., 83 f., 92, 119, 121, 147, 185 ff., 192, 194 f., 297, 302, 306, 309 f., 312 ff., 329, 331 f., 336 Gefahr im Verzug 63, 189 f., 295, 309 f. Gegenspionage siehe Spionage Geheime Staatspolizei (Gestapo) 28 f., 31, 38 Geheimfond des Bundeskanzlers / des Auswärtigen Amtes 97 Gemeinwohlbelange 261 Gerichtsakten 150 ff., 168 Gesetzesvorb