Rechtsfragen der Digitalisierung des Gesundheitswesens 9783504386702

Die „digitale Transformation“ verändert unsere gesamte Lebens- und Arbeitswelt. Auch das Gesundheitssystem profitiert vo

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Rechtsfragen der Digitalisierung des Gesundheitswesens
 9783504386702

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Katzenmeier Rechtsfragen der Digitalisierung des Gesundheitswesens

Schriftenreihe der Kölner Juristischen Gesellschaft Band 33 herausgegeben vom Vorstand

Rechtsfragen der Digitalisierung des Gesundheitswesens von

Prof. Dr. Christian Katzenmeier

2019

Vortrag Katzenmeier vom 30.1.2019 vor der KJG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-65018-6 ©2019 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: VUA, Büttelborn Printed in Germany

Vorwort Am 30. Januar 2019 hielt der Ordinarius und Direktor des Instituts für Medizinrecht der Universität zu Köln Professor Dr. Christian Katzenmeier vor der Kölner Juristischen Gesellschaft einen vielbeachteten Vortrag zu Rechtsfragen der Di­gitalisierung des Gesundheitswesens. Er skizzierte und analysierte die immensen wissenschaftlichen Forschungsaufgaben und prak­tischen Anwendungsfragen, die vor uns liegen. Die reiche und l­ ebhafte Diskussion im Anschluss zeigte das große Interesse an s­ einem Vortrag. Er schließt thematisch an die erfolgreiche Vortragsreihe der Kölner Juristischen ­Gesellschaft des Jahres 2017 zum Themenkreis der Digitalisierung an. Referenten waren Oberstaatsanwältin Eva Bartholomy, Generalstaatsanwaltschaft Köln, und Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, Staatsanwaltschaft Köln (Darknet und Cybercrime), Prof. Dr. Michael Grünberger, LL.M. (NYU), Bayreuth (Verträge über digitale Güter), Prof. Dr. iur. Dipl.-­Biologe Herbert Zech, Basel (­Industrie 4.0 – Rechte an Daten), und Prof. Dr. Gerald Spindler, Göttingen (Industrie 4.0 und Haftung – insbesondere für automatisierte Prozesse). Die Aufnahme der Vorträge vor der Kölner Juristischen Gesellschaft in die Schriftenreihe der Gesellschaft stößt immer wieder auf verständliche Hinderungsgründe bei den Referentinnen und Referenten, ebenso an Grenzen der Finanzressourcen der Gesellschaft. Umso mehr freuen sich Vorstand und Beirat der Gesellschaft, dass Herr Professor Katzenmeier seinen Vortrag in unserer Schriftenreihe veröffentlicht. Ein Parallelabdruck erfolgt in der Zeitschrift Medizinrecht 2019. Herrn Professor Dr. Felix Hey, Geschäftsführender Gesellschafter des Verlags Dr. Otto Schmidt KG, und Frau Dr. Birgitta Peters, Leitung Geschäftsbereich Recht, danken wir für die Ermöglichung einer sehr zügigen Drucklegung und für die freundliche Zusammenarbeit. Köln, im Februar 2019

Heinz-Peter Mansel Margarete Gräfin von Schwerin Rainer Klocke 5

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 I. Erscheinungsformen und Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 II. Entwicklung der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1. Big Data – Systemmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Verknüpfung von Therapie und medizinischer Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3. Krankenversicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 a) Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden . . . . 14 b) Krankheitsdispositionen und -risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 III. Rechtliche Regulierung – Gründe und Grenzen . . . . . . . . . 17 1. Code is law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Herausforderung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3. Technik und Recht – Beispiel Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . 22 IV. Themenkomplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Elektronische Gesundheitskarte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 a) Inhalt und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 b) Technische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Mobile Health – Gesundheits-Apps und Wearable Devices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 b) Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 c) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 d) Kostentragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 e) Individualisierung und Solidarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3. Fernbehandlung/Telemedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Fernbehandlungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Liberalisierung des Berufsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 c) Verzicht auf „Goldstandard“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

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4. Künstliche Intelligenz und Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 a) Algorithmic Decision Making (ADM) . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Konfliktlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 c) Medizinethische Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 d) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 V. Das Arzt-Patienten-Verhältnis in Zeiten der ­ Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Der Arzt als Experte und Partner des Kranken . . . . . . . . . . . 51 2. Dominanz der Naturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Gesundheitskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

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Christian Katzenmeier

Rechtsfragen der Digitalisierung des Gesundheitswesens1

I. Erscheinungsformen und Interessen Die digitale Transformation ist allgegenwärtig, sie prägt die (post-) moderne Welt2. Nahezu alle Bereiche des öffentlichen, wirtschaftli­ chen und privaten Lebens sind von dieser Entwicklung betroffen. Auch der Gesundheitssektor steht vor großen Herausforderungen3. Gesundheitsversorgung und Pflege sowie die medizinische For­ schung erfahren grundlegende Veränderungen. Ob Aufbau und Vernetzung medizinischer Datenbanken, Verarbeitung persönli­ cher Gesundheitsinformationen in elektronischen Gesundheitsund Patientenakten, Einsatz gesundheitsbezogener Apps, Wearables oder digitaler Assistenz- und Überwachungssysteme, Fernbehand­ lung und Telemedizin, Nutzung künstlicher Intelligenz in Diagnos­ tik, Therapie und Forschung – Menge und Vielfalt gesundheitsrele­ vanter Daten sowie technologische Anwendungen zur Vernetzung, Auswertung und Nutzung dieser Daten wachsen stetig und in un­ 1 Schriftliche Fassung des am 30.1.2019 vor der Kölner Juristischen Gesell­ schaft gehaltenen Vortrages. Nachdruck mit freundlicher Geneh­migung des Springer Verlags. Erstveröffentlichung in „Medizinrecht (MedR)“. 2 Unter „Digitalisierung“ wird gemeinhin die Darstellung (das Erfassen) von Informationen in elektronischer Form verstanden, eine allgemein anerkannte Definition des Begriffs existiert nicht. 3 Zu „e-Health, Big Data und Co – Informationelle Vernetzung der Medi­ zin als Herausforderung für das Recht“ s. Medizinrechtslehrertagung 2016 in Bremen, Beiträge abgedruckt in MedR 2016, 649-711, Vorwort von Hase/Buchner. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, v. 7.2.2018, Z. 4719 ff.: „Eine der größten Heraus­ forderungen des Gesundheitswesens in den nächsten Jahren“.

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Rechtsfragen der Digitalisierung des Gesundheitswesens1

I. Erscheinungsformen und Interessen Die digitale Transformation ist allgegenwärtig, sie prägt die (post-) moderne Welt2. Nahezu alle Bereiche des öffentlichen, wirtschaftli­ chen und privaten Lebens sind von dieser Entwicklung betroffen. Auch der Gesundheitssektor steht vor großen Herausforderungen3. Gesundheitsversorgung und Pflege sowie die medizinische For­ schung erfahren grundlegende Veränderungen. Ob Aufbau und Vernetzung medizinischer Datenbanken, Verarbeitung persönli­ cher Gesundheitsinformationen in elektronischen Gesundheitsund Patientenakten, Einsatz gesundheitsbezogener Apps, Wearables oder digitaler Assistenz- und Überwachungssysteme, Fernbehand­ lung und Telemedizin, Nutzung künstlicher Intelligenz in Diagnos­ tik, Therapie und Forschung – Menge und Vielfalt gesundheitsrele­ vanter Daten sowie technologische Anwendungen zur Vernetzung, Auswertung und Nutzung dieser Daten wachsen stetig und in un­ 1 Schriftliche Fassung des am 30.1.2019 vor der Kölner Juristischen Gesell­ schaft gehaltenen Vortrages. Nachdruck mit freundlicher Geneh­migung des Springer Verlags. Erstveröffentlichung in „Medizinrecht (MedR)“. 2 Unter „Digitalisierung“ wird gemeinhin die Darstellung (das Erfassen) von Informationen in elektronischer Form verstanden, eine allgemein anerkannte Definition des Begriffs existiert nicht. 3 Zu „e-Health, Big Data und Co – Informationelle Vernetzung der Medi­ zin als Herausforderung für das Recht“ s. Medizinrechtslehrertagung 2016 in Bremen, Beiträge abgedruckt in MedR 2016, 649-711, Vorwort von Hase/Buchner. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, v. 7.2.2018, Z. 4719 ff.: „Eine der größten Heraus­ forderungen des Gesundheitswesens in den nächsten Jahren“.

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gekannter Geschwindigkeit4. Der Informationsfluss wird schneller und transparenter, darüber verspricht die Gesundheitsversorgung effizienter und sicherer und letztlich kostensparend zu werden. Die an die Digitalisierung im Gesundheitswesen geknüpften Er­ wartungen sind vielfältig. Patienten wünschen bessere Information und stärkere Einbeziehung in das Behandlungsgeschehen, damit sie es aktiv mitgestalten können. Leistungserbringer (Ärzte, Zahn­ ärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser) erhoffen sich ein besse­ res Verständnis von Erkrankungen, eine zielgenauere Diagnostik und Therapie sowie weniger Bürokratie. Leistungsträger (Kranken­ versicherungen) streben nach einer besseren Qualität und Wirt­ schaftlichkeit der Gesundheitsversorgung, Politik und Gesellschaft hoffen auf größere Effizienz des Gesundheitssystems5.

II. Entwicklung der Medizin Die moderne Medizin verknüpft Erkenntnisse aus den Lebenswis­ senschaften zunehmend mit Methoden aus den Informationswis­ senschaften und macht die erzielten Ergebnisse und gewonnenen Erkenntnisse für die Behandlung von Patienten in Kliniken und Arztpraxen nutzbar6. Das Zukunftsbild der Medizin wird geprägt 4 Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit  – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung, Stellungnahme, November 2017, S. 11 ff., 52 ff. 5 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesund­ heitswesen, Gutachten 2018, Nr.  800  ff.; zu Akteuren und Interessen Heckmann, Rechtliche Aspekte der Digitalisierung des Gesundheitswe­ sens, vbw Studie, 2017, S.  5  ff.; Gigerenzer/Schlegel-Matthies/Wagner, eHealth und mHealth  – Chancen und Risiken der Digitalisierung im Gesundheitsbereich, 2016, S. 2 ff.; s. auch Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit, 2017, S. 89 ff. 6 Vgl. BMBF, Maßnahmen zur Etablierung der Systemmedizin. Das For­ schungs- und Förderkonzept e:Med, 2012, abrufbar unter https://www. gesundheitsforschung-bmbf.de/files/Systemmedizin.pdf mit Vorstellung von Forschungsprojekten verschiedenster Bereiche der Medizin.

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gekannter Geschwindigkeit4. Der Informationsfluss wird schneller und transparenter, darüber verspricht die Gesundheitsversorgung effizienter und sicherer und letztlich kostensparend zu werden. Die an die Digitalisierung im Gesundheitswesen geknüpften Er­ wartungen sind vielfältig. Patienten wünschen bessere Information und stärkere Einbeziehung in das Behandlungsgeschehen, damit sie es aktiv mitgestalten können. Leistungserbringer (Ärzte, Zahn­ ärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser) erhoffen sich ein besse­ res Verständnis von Erkrankungen, eine zielgenauere Diagnostik und Therapie sowie weniger Bürokratie. Leistungsträger (Kranken­ versicherungen) streben nach einer besseren Qualität und Wirt­ schaftlichkeit der Gesundheitsversorgung, Politik und Gesellschaft hoffen auf größere Effizienz des Gesundheitssystems5.

II. Entwicklung der Medizin Die moderne Medizin verknüpft Erkenntnisse aus den Lebenswis­ senschaften zunehmend mit Methoden aus den Informationswis­ senschaften und macht die erzielten Ergebnisse und gewonnenen Erkenntnisse für die Behandlung von Patienten in Kliniken und Arztpraxen nutzbar6. Das Zukunftsbild der Medizin wird geprägt 4 Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit  – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung, Stellungnahme, November 2017, S. 11 ff., 52 ff. 5 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesund­ heitswesen, Gutachten 2018, Nr.  800  ff.; zu Akteuren und Interessen Heckmann, Rechtliche Aspekte der Digitalisierung des Gesundheitswe­ sens, vbw Studie, 2017, S.  5  ff.; Gigerenzer/Schlegel-Matthies/Wagner, eHealth und mHealth  – Chancen und Risiken der Digitalisierung im Gesundheitsbereich, 2016, S. 2 ff.; s. auch Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit, 2017, S. 89 ff. 6 Vgl. BMBF, Maßnahmen zur Etablierung der Systemmedizin. Das For­ schungs- und Förderkonzept e:Med, 2012, abrufbar unter https://www. gesundheitsforschung-bmbf.de/files/Systemmedizin.pdf mit Vorstellung von Forschungsprojekten verschiedenster Bereiche der Medizin.

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von immer weiter reichender Transparenz des Individuums, einem Primat der Gesundheitsoptimierung, stetiger Gesundheitsüberwa­ chung und individueller Verantwortungszuschreibung des Einzel­ nen für seine Gesundheit7. 1. Big Data – Systemmedizin Systemmedizin heißt der neue Ansatz, mit dem die komplexen bio­ logischen Vorgänge im menschlichen Körper erfasst und die Ursa­ chen von Krankheiten systematisch erforscht werden sollen, auch von Volkskrankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Demenz8. Es geht um die Wechselwirkungen von genetischen Eigenschaften, Lebensgewohnheiten und Umwelteinflüssen. Die Systemmedizin will die Zusammenhänge der unterschiedlichen Ge­ sundheitsfaktoren verstehen und daraus neue Möglichkeiten für die Erkennung, Behandlung und Prävention von Krankheiten ableiten9. Zu diesem Zweck werden große Datenpools angelegt, in denen ver­ schiedenartige Datentypen gesammelt werden, neben biologischen Informationen wie das Genom des Menschen etwa auch sozio-de­ mographische Daten, z.B. berufliche Situation, Alter, Bildung. Die intelligente Verknüpfung und Auswertung dieser unterschiedli­ chen Daten durch immer leistungsfähigere IT-Systeme birgt die Möglichkeit, neue Hypothesen über medizinische Kausalzusam­ menhänge zu generieren, Krankheitsentwicklungen auf Bevölke­ 7 Friele/Schmitz-Luhn/Woopen, EthikMed 2018, 87, 88; Langanke/Fi­ scher/Erdmann/Brothers, EthikMed 2013, 243 ff.; Maio in Katzenmeier/ Bergdolt, Das Bild des Arztes im 21.  Jahrhundert, 2009, S.  21  ff.; aus rechtlicher Sicht Eberbach, MedR 2008, 325 ff. 8 Das Begriffsverständnis ist nicht einheitlich. Europäische Kommission und BMBF verwenden verschiedene Definitionsansätze. Die System­ medizin ist abzugrenzen gegenüber verwandten Forschungsdisziplinen wie Systembiologie, Individualisierte Medizin, Präzisionsmedizin, auch Gendiagnostik. 9 Vgl. BMBF, Maßnahmen zur Etablierung der Systemmedizin, 2012 und Systemmedizin: Neue Chancen in Forschung, Diagnose und Therapie, 2015.

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rungsebene zu verfolgen, aber auch ein dynamisches und ganzheit­ liches Bild der Gesundheit jedes einzelnen Menschen zu zeichnen10. So schafft die Systemmedizin die Grundlagen, um innovative The­ rapien und maßgeschneiderte Präventionsmaßnahmen zu entwi­ ckeln, in deren Zentrum das Individuum steht. Es vollzieht sich ein Paradigmenwechsel von dem indikationsori­ entierten Ansatz hin zu einer personalisierten Medizin11. Im Kern geht es nicht mehr so sehr um die Frage nach der besten Therapie zur Behandlung einer bestimmten Diagnose/Indikation als viel­ mehr um die Frage nach der besten Therapie für den konkreten Patienten mit seinen spezifischen Eigenschaften und individuellen Besonderheiten. Die Systemmedizin gilt als Schlüssel zu einer mo­ dernen Medizin, deren Vorzeichen personalisiert, präventiv, prä­ diktiv sowie partizipierend sind (sog. P4-Medizin)12. 2. Verknüpfung von Therapie und medizinischer Forschung Systemmedizin löst aber auch Unsicherheiten der Beurteilung aus13. Schwierigkeiten bereitet schon die Klassifizierung system­ medizinischer Maßnahmen. Diese lassen sich zumeist nicht als Standardbehandlung qualifizieren14. Denn Standard in der Medi­ 10 BMBF, Digitalisierung in der Medizin https://www.bmbf.de/de/digita​ lisierung-in-der-medizin-2897.html. 11 Deutscher Ethikrat, Personalisierte Medizin, Tagungsdokumentation, 2012, S. 7 ff. 12 J. Timm, MedR 2016, 681, 684 sieht eine wirklich individuelle patien­ tenorientierte Medizin „noch in weiter Ferne“; Hart, MedR 2016, 669, 670 erkennt „(eher) ein Zukunftskonzept auf dem Weg zur Anwen­ dung“; zu den Möglichkeiten der Medizin heute s. Eberbach, MedR 2019, 1 ff. mit zahlreichen Anwendungsbeispielen. 13 Hart, MedR 2016, 669 ff.; monographisch Fleischer, Rechtliche Fragen der Systemmedizin, 2018; demnächst Ernst, Rechtsfragen der System­ medizin, 2019; s. auch Keil, Rechtsfragen der Individualisierten Medi­ zin, 2015. 14 § 630a Abs. 2 BGB bestimmt: „Die Behandlung hat nach den zum Zeit­ punkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachli­

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zin repräsentiert „den jeweiligen Stand der naturwissenschaftli­ chen Erkenntnis und ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erpro­ bung bewährt hat“15. Bei der Systemmedizin aber verlagert die enge Verknüpfung von Forschung und Therapie die Behandlung oftmals vor den Standard in den forschenden (individuellen oder systematischen) Heilversuch16. Soweit und solange sich noch kein Standard etabliert hat, sind sol­ che Behandlungen nach allgemeinem oder speziellem Heilver­ suchsrecht zu beurteilen17. Dabei erschwert die Systemmedizin nicht nur die Etablierung neuer Standards18, vielmehr droht eine Zersetzung bestehender Standards, indem auf größere Patienten­ kollektive ausgerichtete Behandlungsvorgaben abgelöst werden durch eine Vielzahl speziellerer, auf kleinere Patientengruppen zu­ geschnittene Regeln (sog. Stratifizierung)19. Die regelmäßige Einordnung systemmedizinischer Maßnahmen als Heilversuch führt in die rechtlichen Anforderungen medizini­

chen Standards zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist“; Komm. von Mansel in Jauernig, BGB, 17. Aufl. 2018, § 630a; Katzen­ meier in BeckOK/BGB, 49. Ed. 2019, § 630a. 15 Allg. Begriffsverständnis im Anschluss an Carstensen, DÄBl 1989, A-2431, A-2432; s. Hart, MedR 1998, 8  f.; Taupitz, AcP 211 (2011), 352, 355 ff.; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. 2015, Kap. X Rdnr. 7; ergänzend Frahm/Jansen/Katzenmeier/Kienzle/ Kingreen/Lungstras/Saeger/Schmitz-Luhn/Woopen, MedR 2018, 447, 448; demnächst monographisch Jansen, Der medizinische Standard, 2019. 16 Hart, MedR 2016, 669, 672. 17 Hart, MedR 2016, 669, 672. 18 Diese richtet sich heute in erster Linie nach den methodischen Grund­ sätzen der Evidenzbasierten Medizin (EbM), s. insges. https://www. cochrane.de/de/ebm; grundlegend Sackett/Rosenberg/Gray/Haynes/ Richardson, BMJ 312 (1996), 71. 19 Eberbach, MedR 2019, 1, 2: Die Aufsplitterung in immer genauere ­Untergruppen verändert das früher einheitliche Krankheitsbild zum Mosaik.

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schen Erprobungshandelns20. Es gelten gegenüber der Standardbe­ handlung erhöhte Sorgfaltspflichten, zudem besonders strenge An­ forderungen an Inhalt und Umfang der Aufklärung des Patienten21. Dieter Hart prognostiziert, dass die Haftung künftig weniger den Behandler als Letzten in der Kette treffen könnte, stattdessen die Institution, die die Forschungs- und Behandlungsprozesse und -programme organisiert und für deren Qualität und Sicherheit ein­ zustehen hat22. Behandlungsfehler würden eher zu Programm­ anwendungsfehlern23. 3. Krankenversicherungsrecht a) Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden Probleme bereitet sodann die Übernahme der Kosten systemmedi­ zinischer Anwendungen durch die Gesetzliche Krankenversiche­ rung (GKV). Heilversuch bedeutet in der GKV regelmäßig, dass eine neue Methode zur Anwendung kommt24. Neue Untersu­ 20 Hart, MedR 2016, 669, 672; zu Standards medizinischen Erprobungs­ handelns Hart, MedR 2015, 766 ff. 21 Hart, MedR 2016, 669, 673 f. mit Verweis auf Damm, MedR 2011, 7 ff., der eine „neue“ Kommunikationsverfassung für die zukünftige mo­ derne personalisierte Medizin anmahnt; s. auch Eberbach, MedR 2019, 1, 5 ff. und 111 ff. Allg. zu erhöhten Sorgfalts- und Aufklärungspflich­ ten bei einer Standardabweichung Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/ Lipp, Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap.  X, Rdnrn. 94  ff.; aus der Rspr. s. BGHZ 168, 103, 109 (Robodoc) = NJW 2006, 2477, 2478 f. m. Anm. Katzenmeier, NJW 2006, 2738, 2740 = MedR 2006, 650, 651; BGHZ 172, 1, 13  ff. (Arzneimittel-Heilversuch)  = NJW 2007, 2767, 2770  = MedR 2007, 653, 656 m. Anm. Hart, MedR 2007, 631, 633 = JZ 2007, 1104, 1108 m. Anm. Katzenmeier. 22 Zu den Organisationspflichten bei der Krankenbehandlung s. Hart in Rieger/Dahm/Katzenmeier/Steinhilper/Stellpflug, HK-AKM, 2012, Or­ ganisationsfehler, Nr.  3948; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. 2015, Kap. X, Rdnrn. 41 ff. 23 Hart, MedR 2016, 669, 671, 675. 24 Lipp in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap.  XIII, Rdnr. 39; v. Dewitz in Rieger/Dahm/Katzenmeier/Steinhilper/Stellpflug,

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chungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztli­ chen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen aber nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in Richt­ linien nach § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode, sowie deren medizinische Notwen­ digkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wis­ senschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung anerkannt hat, § 135 Abs. 1 SGB V25. Die Methodenbewertungs­ verfahren beanspruchen bisweilen viel Zeit. Da sich der Markt im digitalen Bereich ungleich schneller entwickelt, besteht die Gefahr, dass zum Zeitpunkt der Umsetzung von Regularien das Etablierte schon nicht mehr state of the art ist26. Abgesehen davon bereitet an­ gesichts der geringen Größe der Zielgruppen von Behandlungsme­ thoden einer individualisierten Medizin oft schon der Nachweis ihrer Wirksamkeit anhand der Grundsätze der Evidenzbasierten Medizin (EbM) mittels wissenschaftlicher Studien Schwierigkei­ ten27. Gelingt dieser Nachweis nicht, ist eine Übernahme der Be­ handlung durch die GKV grundsätzlich auch dann ausgeschlossen,

HK-AKM, 2015, Heilversuch, Nr. 2480, Rdnr. 55; Rolfs in FS 50 Jahre BSG, 2004, S. 475 ff. 25 Dazu Francke/Hart, MedR 2006, 131  ff. Im Krankenhaus kann eine neue Methode zu Lasten der GKV erbracht werden, solange der G-BA die ­Methode nicht durch eine Richtlinie ausschließt, §  137c SGB  V, dazu Huster, GesR 2010, 337; Hauck, GesR 2014, 257 ff.; Felix, MedR 2017, 517 ff. 26 Ex/Amelung, G+S 2018, 26, 30 empfehlen daher, „die aktuell sehr vol­ len Finanztöpfe zu nutzen, um anstelle eines graduellen Transformati­ onsprozesses einen kurzen, radikalen Wandel – im Wirtschaftsbereich auch „Cold Turkey-Strategie“ genannt – durchzuführen.“ 27 Eberbach, MedR 2011, 757; Huster/Gottwald, GesR 2012, 449, 453; v. Hardenberg/Wilman, MedR 2013, 77, 79; König/Junge, GuP 2015, 132, 137 f. Die Orphanisierung, bei der große Krankheitsbilder in immer kleinere homogene Subgruppen zerfallen, die der Definition einer sel­ tenen Erkrankung genügen, erfordert immer mehr Spezialwissen.

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wenn sie im Einzelfall gute Heilungsaussichten verspricht28. Ledig­ lich bei der Behandlung seltener Erkrankungen oder in Anwen­ dungsfällen des §  2 Abs.  1a SGB  V (sog. „Nikolausfälle“) kommt ausnahmsweise eine Erstattung in Betracht29. Offen ist, ob die Sys­ temmedizin maßgeblich auf diesem Wege Eingang in das GKV-­ Leistungsrecht findet. b) Krankheitsdispositionen und -risiken Die Kostentragung ist auch unter einem zweiten Gesichtspunkt problematisch: Die durch Big Data erheblich verbesserten Mög­ lichkeiten der Ursachenforschung führen zu einer Fokussierung der Medizin auf Krankheitsdispositionen und -risiken, darüber zu einer Ausdehnung des Krankheitsbegriffs30. Inwiefern damit eine Ausweitung der Leistungspflicht der Krankenkassen korrespon­ diert, ist unklar. Öffentlich diskutiert wurden Fälle der prophylak­ tischen Mastektomie („Angelina Jolie-Fälle“). Die Rechtsprechung ist uneinheitlich. Viele Klagen auf Kostenübernahme wurden ab­ gewiesen, weil es vor Ausbruch der Krankheit an einer Funktions­ beeinträchtigung fehlt. Das BSG aber hat in Fällen eines erhöhten Krankheitsrisikos verschiedentlich auch ohne aktuelle Funktions­

28 BSGE 79, 194 (Remedacen)  = MedR 1996, 373 m. Anm. Schroeder-­ Printzen; BSGE 78, 70 (Methadon) = MedR 1997, 123 m. Anm. Wim­ mer, MedR 1997, 224; seither st. Rspr.; Roters, NZS 2007, 174 ff.; Kat­ zenmeier, NVersZ 2002, 537 ff., mit Vergleich der BSG-Rspr. zur GKV und BGH-Rspr. zur PKV. 29 BVerfGE 115, 25  = MedR 2006, 164 m. Bespr. Francke/Hart, MedR 2006, 131 ff. = NJW 2006, 891 m. Bespr. Kingreen, NJW 2006, 877 = JZ 2006, 463 m. Anm. Huster; BVerfG, NJW 2017, 2096 = MedR 2017, 954 m. Anm. Bernzen  = NZS 2017, 582 m. Bespr. Bocholdt, NZS 2017, 569  ff.; sozialgerichtliche Rspr. im Nachgang zu dem „Nikolaus-Be­ schluss“ des BVerfG v. 6.12.2005 unter https://www.nikolaus-beschluss. de. Zu Folgen für das Arzthaftungsrecht s. Katzenmeier/Schmitz-Luhn in DFG-FOR 655, Priorisierung in der Medizin, 2009, S. 167 ff. 30 Zur Bedeutung des Krankheitsbegriffs für das Krankenversicherungs­ recht s. nur Huster in S. Beck, Krankheit und Recht, 2017, S. 41 ff.

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beeinträchtigung das Vorliegen einer Krankheit angenommen31. Entsprechend urteilte das BVerwG im Jahr 2017: „Eine Krankheit liegt auch dann vor, wenn die auf Tatsachen gestützte konkrete Ge­ fahr einer schwerwiegenden Gesundheitsschädigung besteht und die schädigenden Folgen, die im Falle des Ausbruchs der Krankheit einträten, so schwer sind, dass die Behandlungsbedürftigkeit be­ reits vor Realisierung der Gefahr zu bejahen ist, weil der betreffen­ den Person bei wertender Gesamtbetrachtung nicht zuzumuten ist, dem Geschehen seinen Lauf zu lassen und sich auf die Inanspruch­ nahme von Früherkennungsmaßnahmen zu beschränken“32. BSG und BVerwG anerkennen damit Leistungsfälle der „risikoadaptier­ ten Prävention“33. Indem schon beim Gesunden ansetzende algo­ rithmisch gebildete Risikoprofile Einzug in die Versorgungspraxis nehmen, verändern sich Konzepte von Gesundheit und Krank­ heit34.

III. Rechtliche Regulierung – Gründe und Grenzen Schon das Vorstehende erhellt: Die Entwicklung der Medizin ver­ spricht enorme Vorteile, wirft aber auch eine ganze Reihe von ­Fragen auf. Antworten erfordern eine gesellschaftliche Debatte. Immer deutlicher wird, dass die digitale Transformation des Ge­ sundheitswesens einer ethischen Fundierung und der rechtlichen Regulierung bedarf. Das Austarieren von Chancen und Risiken der

31 BSGE 85, 132 = SGb 2000, 641; BSG, NZS 2011, 20, 21 f.; weitere Nach­ weise bei Hauck, NJW 2016, 2695, 2697 ff. 32 BVerwGE 160, 71 = NVwZ 2018, 173; so im Erg. auch die Vorinstanzen VG Darmstadt, MedR 2016, 365 m. Anm. Huster/Harney; VGH Kassel, Urt. v. 10.3.2016 – 1 A 1261/15. 33 Schmutzler/Huster/Wasem/Dabrock, DÄBl 2015, A-910 ff.; Meier/Har­ ney/Rhiem et al., Risikoadaptierte Prävention. Governance Perspective für Leistungsansprüche bei genetischen (Brustkrebs-)Risiken, 2018. 34 Friele/Schmitz-Luhn/Woopen, EthikMed 2018, 87, 88; Huster in S. Beck, Krankheit und Recht, 2017, S. 47 ff., zum Phänomen der „healthy ill“.

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beeinträchtigung das Vorliegen einer Krankheit angenommen31. Entsprechend urteilte das BVerwG im Jahr 2017: „Eine Krankheit liegt auch dann vor, wenn die auf Tatsachen gestützte konkrete Ge­ fahr einer schwerwiegenden Gesundheitsschädigung besteht und die schädigenden Folgen, die im Falle des Ausbruchs der Krankheit einträten, so schwer sind, dass die Behandlungsbedürftigkeit be­ reits vor Realisierung der Gefahr zu bejahen ist, weil der betreffen­ den Person bei wertender Gesamtbetrachtung nicht zuzumuten ist, dem Geschehen seinen Lauf zu lassen und sich auf die Inanspruch­ nahme von Früherkennungsmaßnahmen zu beschränken“32. BSG und BVerwG anerkennen damit Leistungsfälle der „risikoadaptier­ ten Prävention“33. Indem schon beim Gesunden ansetzende algo­ rithmisch gebildete Risikoprofile Einzug in die Versorgungspraxis nehmen, verändern sich Konzepte von Gesundheit und Krank­ heit34.

III. Rechtliche Regulierung – Gründe und Grenzen Schon das Vorstehende erhellt: Die Entwicklung der Medizin ver­ spricht enorme Vorteile, wirft aber auch eine ganze Reihe von ­Fragen auf. Antworten erfordern eine gesellschaftliche Debatte. Immer deutlicher wird, dass die digitale Transformation des Ge­ sundheitswesens einer ethischen Fundierung und der rechtlichen Regulierung bedarf. Das Austarieren von Chancen und Risiken der

31 BSGE 85, 132 = SGb 2000, 641; BSG, NZS 2011, 20, 21 f.; weitere Nach­ weise bei Hauck, NJW 2016, 2695, 2697 ff. 32 BVerwGE 160, 71 = NVwZ 2018, 173; so im Erg. auch die Vorinstanzen VG Darmstadt, MedR 2016, 365 m. Anm. Huster/Harney; VGH Kassel, Urt. v. 10.3.2016 – 1 A 1261/15. 33 Schmutzler/Huster/Wasem/Dabrock, DÄBl 2015, A-910 ff.; Meier/Har­ ney/Rhiem et al., Risikoadaptierte Prävention. Governance Perspective für Leistungsansprüche bei genetischen (Brustkrebs-)Risiken, 2018. 34 Friele/Schmitz-Luhn/Woopen, EthikMed 2018, 87, 88; Huster in S. Beck, Krankheit und Recht, 2017, S. 47 ff., zum Phänomen der „healthy ill“.

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neuen Technologien wird als „die vermutlich größte gesellschafts­ politische Herausforderung unserer Zeit“ bezeichnet35. 1. Code is law Die prinzipielle Notwendigkeit einer staatlich-rechtlichen Rege­ lung der Medizin ist heute unbestritten. Recht erfüllt hier wie in anderen Lebensbereichen wichtige Funktionen: Es stiftet Frieden, sichert Freiheit und stabilisiert Vertrauen36. Die grundsätzliche Frage aber ist, welche Rolle dem Recht als Steuerungsinstrument in einer digitalisierten Welt überhaupt noch zukommt. Angesichts der immer größer werdenden Macht der Algorithmen wird eine „Ohnmacht des Rechts“ konstatiert37. Das begrenzende und be­ grenzte Recht gerate immer stärker in Widerspruch zu den grund­ legenden Ideen, den Basisstrukturen und Anforderungen der un­ körperlichen oder immateriellen, auf Entgrenzung angelegten digitalisierten Welt38. Schon heute dienten andere Mechanismen – wie z.B. Social Software – dazu, Vertrauen und Ordnung zwischen Menschen zu generieren und damit Verhalten zu steuern39. Zuneh­ 35 Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit, 2017, S. 171; Polonetsky/ Tene, Stanford Law Review 66 (2013), 26; Roßnagel/Nebel, DuD 2015, 455, 459; s. auch Wagner/Dauner-Lieb, AcP 218 (2018), 151. 36 Zu den Funktionen des Rechts allg. Rehbinder, Rechtssoziologie, 8. Aufl. 2014, Rdnrn. 96  ff.; in der Medizin s. Katzenmeier in Katzenmeier/­ Bergdolt, Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, 2009, S. 45, 47 f. 37 Titel des Aufsatzes von Boehme-Neßler, NJW 2017, 3031; s. auch Boeh­ me-Neßler, Das Ende der Demokratie?, 2018, S. 59 ff.; Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 20 ff.: „Erosion der praktischen Maßgeblichkeit von Recht“; Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovati­ on, 2016; zuspitzend Hofstetter, Sie wissen alles. Wie intelligente Ma­ schinen in unser Leben eindringen und warum wir für unsere Freiheit kämpfen müssen, 2014; Hofstetter, Das Ende der Demokratie, 2016. 38 Boehme-Neßler, NJW 2017, 3031, 3032 ff.; Boehme-Neßler, Das Ende der Demokratie?, 2018, S. 5 ff. 39 Boehme-Neßler, Unscharfes Recht, 2008, S. 443 f.; zu den Unterschie­ den der Steuerung durch Rechtsnormen und durch Algorithmen Hoff­ mann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 25 ff.

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mend werde das Recht durch den digitalen Code verdrängt: Code is law40. Die Frage sei letztlich, ob die digitalisierte Welt überhaupt noch ein Rechtssystem braucht, oder ob sich durch den Siegeszug des Internets neue Strukturen entwickeln, die das Recht überflüssig machen (können)41. Nicht nur Informatiker, auch einige Soziologen sagen dies schon seit längerem voraus42, in jüngerer Zeit melden sich gar einzelne Stimmen aus der Rechtswissenschaft zu Wort, die das Recht in ei­ ner digitalisierten Welt zunehmend für entbehrlich erachten. Langfristig werde es der Menschheit gelingen, mit Hilfe von künst­ licher Intelligenz und Robotik das seit alters her beherrschende Knappheits- und Verteilungsproblem zu überwinden. Künstliche Intelligenz und Robotik generierten einen Wachstumsschub, der der Menschheit einen schlaraffenlandartigen Zustand beschere43. Recht werde weitgehend überflüssig. Insbesondere für Zivil- oder Sozialrecht bestehe kaum Bedarf. Zur Bewältigung entstandener Sach- und Personenschäden werde man kaum einen Konfliktbe­ wältigungsmechanismus, wie etwa das Haftungs- oder das Kran­ kenversicherungsrecht, benötigen, einfach deshalb, weil Schäden durch Roboter sofort beseitigt oder kompensiert würden44.

40 Lawrence Lessig, Code and Other Laws of Cyberspace, 1999, p.  3  ff.; 2nd ed. 2006, p.  1  ff.; Vorarbeiten von Joel R. Reidenberg, Lex infor­ matica: The Formulation of Intermation Policy Rules through Techno­ logy, Texas Law Review (1998) 76 (3), 553/555, 568; aus jüngerer Zeit Mireille Hildebrandt, Smart Regulation and the End(s)of Law, 2016. 41 Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1  ff.; Boehme-Neßler, NJW 2017, 3031, 3035. 42 Bereits Luhmann, Soziologische Aufklärung, 1975, S.  51 führte aus, in  der sich herausbildenden „Weltgesellschaft“ erfolge die Steuerung nicht mehr normativ, durch Rechtsregeln, sondern durch kognitive Regeln und Erwartungen; zur Regulierung des Gesundheitswesens un­ ter den Bedingungen der datenbasierten Medizin Ladeur, MedR 2016, 650 ff. 43 Schwintowski, NJOZ 2018, 1601 f. 44 Schwintowski, NJOZ 2018, 1601, 1607.

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2. Herausforderung des Rechts Gegenüber solchen Verheißungen scheint eine gewisse Skepsis an­ gebracht. Abgesehen davon gilt es vor einer allzu kritiklosen Ak­ zeptanz einer Technosteuerung zu warnen45. Gerade auch im Medizinwesen mit seinen vielen Interessengruppierungen und ­ zahlreichen Verteilungskämpfen bleibt staatliches Recht notwen­ dig46. Es gibt kein vergleichbar wirksames Instrumentarium, das Konflikte vermeidet, Freiheit sichert und Vertrauen stabilisiert. Die gesellschaftlichen Rahmen- und Entfaltungsbedingungen einer di­ gitalisierten Medizin sind in einem demokratischen Verfahren zu entwickeln, nicht durch wenige Datenmachthaber47. Der digita­ le  Code, der von Internet-Konzernen mit ökonomischer Macht durchgesetzt wird, widerspricht der demokratischen Idee48, kann schon deshalb kein zuverlässiger Ersatz für staatliches und supra­ nationales Recht sein49. Erforderlich ist ein Rechtsrahmen, der den sich aus den neuen Technologien ergebenden Chancen hinrei­ chend Raum zur Entfaltung bietet, gleichzeitig aber auch Risiken begegnet, indem er Sicherheit und Zuverlässigkeit gewährleistet50.

45 So auch Lessig, Harvard Magazine online v. 1.1.2000, Code is law, ab­ rufbar unter https://harvardmagazine.com/2000/01/code-is-law-html. 46 Hilgendorf, medstra 2017, 257, 258 bezeichnet Digitalisierung als das neue Leitthema des gesamten Medizinrechts. Zur Notwendigkeit recht­ licher Regulierung und Unumgänglichkeit untergesetzlicher Normset­ zung in einer informationell vernetzten Gesundheitsversorgung Wald­ hoff, MedR 2016, 654 ff. 47 So auch Woopen, Digitalisierung im Gesundheitswesen, Vortrag 120. DÄT 2017, abrufbar unter https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/ user_upload/downloads/pdf-Ordner/120.DAET/120DAET​Vortrag​ Woopen.pdf. 48 Eindrücklich Hofstetter, Das Ende der Demokratie, 2016; Boehme-Neß­ ler, Das Ende der Demokratie?, 2018, S. 59 ff. 49 So auch Boehme-Neßler, NJW 2017, 3031, 3036; Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 25  ff., 36  ff., 41: Warnung vor der Verfestigung eines rechtsfreien Raums mit erheblichen gesamtgesellschaftlichen Folgen. 50 So Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit, 2017, S. 123.

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Es geht um die richtige Justierung von Innovationsoffenheit und Innovationsverantwortung51. Im Gesundheitswesen erweist sich die seit langem bestehende Auf­ gabe, Technik und Recht aufeinander abzustimmen, als zentrale Herausforderung der Digitalisierung. Das Recht muss die Entwick­ lung aufmerksam begleiten. Es darf nicht rückständig sein, darf der Technik nicht hinterherhinken und es versäumen, den Fortschritt gerade im Bereich der digitalisierten Medizin zu steuern52. Dazu muss das Recht sich nicht neu erfinden53, zunehmend wichtiger wird aber die Schaffung von Allianzen. Das Recht muss intelligen­ te  Kooperationen eingehen, etwa mit der Informatik und Soft­ wareentwicklung54, damit es seine Steuerungskraft bewahrt und auch in einer digitalisierten Welt seine traditionellen Funktionen weiterhin erfüllen kann55. 51 Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 5; zu dem Begriffspaar Hoff­ mann-Riem, AöR 131 (2006), 255. 52 Zum Wettlauf des Gesetzgebers mit dem technischen Fortschritt s. be­ reits Bauer, Langenbecks Archiv für Chirurgie 1968, 23; Laufs, Medi­ zin und Recht im Zeichen des technischen Fortschritts, 1978, S.  6; Laufs in Rössler/Waller, Medizin zwischen Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft, 1989, S.  105, 129; Katzenmeier in Katzenmeier/ Berg­dolt, Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, 2009, S. 45, 49. 53 Demggü. hält Schwintowski, NJOZ 2018, 1601, 1609 eine „neue Welt­ rechtsordnung“ für erforderlich, um künstliche Intelligenz und Robo­ tik zu integrieren. 54 Anschaulich Borges/Grabmair/Krupka/Schäfer/Schweighofer/Sorge/Waltl in Gesellschaft für Informatik, Technische und rechtliche Betrachtun­ gen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 17 ff. (Studien und Gutachten im Auftrag des Sachverständigenrats für Verbraucher­ fragen). 55 Boehme-Neßler, NJW 2017, 3031, 3037; Boehme-Neßler, Unscharfes Recht, 2008, S.  641  ff., skizziert Felder transrechtlicher Kooperation; Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 8 ff. spricht von „Entscheidungs­ architektur“, 36 f.: technische und rechtliche Regeln müssen „optimie­ rend kombiniert und verzahnt werden“; monographisch Hoffmann-­ Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016; Bräutigam/ Klindt, NJW 2015, 1137, 1142 plädieren für eine enge Zusammenar­

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3. Technik und Recht – Beispiel Datenschutz Wie wichtig die gesetzliche Absicherung individueller Rechte ist, zeigt sich besonders deutlich beim Datenschutz56, besser gesagt der Datensouveränität57. Mit dem immer schnelleren und transparen­ teren Informationsfluss im Zuge der Digitalisierung wachsen die Gefahren eines unautorisierten Zugriffs oder einer missbräuchli­ chen Verwendung von Daten. Hierzulande hat der Gesetzgeber das Feld nicht etwa geräumt und die Regulierung den Technikkonzer­ nen überlassen, vielmehr besteht ein umfangreiches Regelwerk58. Der Schutz der besonders sensiblen Gesundheitsdaten59 beruht im Wesentlichen auf vier Säulen: Dem allgemeinen Datenschutz­ recht, dem bereichsspezifischen Datenschutzrecht für den Gesund­ heitssektor, dem Sozialdatenschutzrecht und den Regelungen zur ärzt­ lichen Schweigepflicht. Zum allgemeinen Datenschutzrecht

beit zwischen den Rechts- und Ingenieurwissenschaften; spez. für das Gesundheitswesen Kluth, ZRP 2017, 194, 196: vertiefte Zusammenar­ beit von Rechts- und Sozialwissenschaften. 56 Zu den Schwierigkeiten angesichts der nicht an nationale Grenzen ­gebundenen Datenallokationsphänomene und Möglichkeiten grenz­ überschreitender Regulierung Lewinski/Herrmann, ZD 2016, 467 ff.; s. auch Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit, 2017, S. 165 ff. 57 Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung, 2017; Krüger, ZRP 2016, 190  ff.; s. auch Maas, DuD 2015, 579 f. 58 Zum Folgenden Buchner in Rieger/Dahm/Katzenmeier/Steinhilper/ Stellpflug, HK-AKM, 2017, Datenschutz, Nr. 1340, Rdnrn. 3 ff.; Buch­ ner, MedR 2016, 660, 661: möglicherweise zu viel an Regulierung; Buchner/Schwichtenberg, GuP 2016, 218 ff.; s. auch Kingreen/Kühling, Gesundheitsdatenschutzrecht, 2015; unter der DS-GVO Buchner (Hrsg.), Der neue Datenschutz im Gesundheitswesen, 2018. 59 Art. 4 Nr. 15 DS-GVO definiert Gesundheitsdaten als „personenbezo­ gene Daten, die sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit einer natürlichen Person, einschließlich der Erbringung von Gesundheits­ dienstleistungen, beziehen und aus denen Informationen über deren Gesundheitszustand hervorgehen“.

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zählen die DS-GVO und das BDSG60 sowie die sechzehn Landes­ datenschutzgesetze61. Daneben existieren bereichsspezifische Da­ tenschutznormen, vor allem für Krankenhäuser62. Aus dem So­ zialdatenschutzrecht sind neben den allgemeinen Grundsätzen, §§  67  ff. SGB  X, insbesondere die bereichsspezifischen Daten­ schutzvorschriften für die gesetzliche Krankenversicherung rele­ vant, §§ 284 ff. SGB V. Schließlich sind bei der Verarbeitung von patientenbezogenen Gesundheitsdaten die Regelungen der ärztli­ chen Schweigepflicht zu beachten, berufsrechtlich normiert und strafrechtlich abgesichert in § 203 StGB63. Das nationale Datenschutzrecht leidet an Unübersichtlichkeit, im Gesundheitsbereich wäre eine Modernisierung, Straffung und Ver­ 60 Zu personenbezogenen Gesundheitsdaten s. Art. 9 Abs. 2 lit. a) bis j) DS-GVO, ergänzend § 22 BDSG. 61 Je nachdem wer Träger der Gesundheitseinrichtung ist. Für Einrich­ tungen in kirchlicher Trägerschaft gelten überdies die Datenschutz­ normen der evangelischen oder katholischen Kirche. 62 Manche Landeskrankenhausgesetze sehen keine Regelungen zum ­Datenschutz vor, manche enthalten mehr oder weniger umfangreiche Bestimmungen. Bremen und Nordrhein-Westfalen haben sogar ein eigenes Gesetz erlassen: Bremisches Krankenhausdatenschutzgesetz (BremKHDSG) v. 25.4.1989 und Gesetz zum Schutz gesundheitsbezo­ gener Daten im Gesundheitswesen (GDSG NRW) v. 22.2.1994; krit. Buchner, MedR 2016, 660, 661; Buchner/Schwichtenberg, GuP 2016, 218, 222: ebenso unübersichtliches wie uneinheitliches Regelungsge­ flecht. 63 § 203 StGB wurde im Herbst 2017 reformiert, um den Bedürfnissen der Digitalisierung (auch im Gesundheitswesen) Rechnung zu tragen. Unter best. Voraussetzungen ist die Weitergabe von Patientendaten durch einen Arzt an externe Dienstleister gestattet, die ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtet werden. Das Gesetz strebt einen Aus­ gleich zwischen den nachvollziehbaren wirtschaftlichen Interessen von Berufsgeheimnisträgern und schützenswerten Geheimhaltungsin­ teressen an, vgl. BT-Dr. 18/11936, S. 3, 25; krit. Dochow, GesR 2018, 137, 152: Relativierung des Patientengeheimnisschutzes; näher zu Un­ terscheidung und Verhältnis von Gesundheitsdatenschutz und ärztli­ cher Schweigepflicht Dochow, MedR 2019, Heft 4 und 5.

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einheitlichung zu wünschen64. Das Schutzniveau aber ist nicht ­defizitär, sondern im internationalen Vergleich hoch. Die Verar­ beitung von Gesundheitsdaten ist grundsätzlich verboten, nur aus­ nahmsweise erlaubt, wenn entweder die betroffene Person aus­ drücklich einwilligt oder ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand vorliegt65. Damit orientiert sich das Datenschutzrecht an verfas­ sungsrechtlichen Vorgaben. Auf das Phänomen Big Data ist es aber nur unzureichend eingestellt66. Zentrale Grundsätze wie Zweck­ bindung, Datensparsamkeit, Einwilligung und Transparenz sind mit den Besonderheiten von Big Data-Anwendungen schwerlich in Einklang zu bringen67. Sollen die mit den neuen technischen Mög­ lichkeiten verbundenen Chancen besserer Erkennung, Behand­ lung und Prävention von Krankheiten genutzt werden können, stellt sich die Frage nach neuen Gestaltungsoptionen und Rege­ lungsmechanismen. Auch bei einer Umstellung auf eine bereichs­ adäquate smart regulation68 darf der Datenschutz nicht relativiert werden. Im Gesundheitswesen geht es um hochsensible Daten, ab­ gesichert durch das Grundrecht auf „informationelle Selbstbestim­ mung“69. Dieses Grundrecht ist eine der zentralen Errungenschaf­ 64 S.  etwa Weichert, Bundesgesundheitsblatt 2018, 285  ff.; Buchner/ Schwichtenberg, GuP 2016, 218, 223. 65 Vgl. Art.  9 DS-GVO, aufgrund von Öffnungsklauseln ergänzt durch § 22 BDSG; nach Erwägungsgrund 52 der DS-GVO soll die Verarbei­ tung von Gesundheitsdaten insbes. dann zulässig sein, wenn sie für die Gewährleistung der öffentlichen Gesundheit und Verwaltung der Ge­ sundheitsversorgung notwendig ist; zu den gesteigerten Rechtmäßig­ keitsanforderungen des Art. 9 Abs. 2 DS-GVO s. Weichert in Kühling/ Buchner, DS-GVO/BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 9, Rdnrn. 43–131 m.w.N. 66 Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit, 2017, S. 128 ff., 142 ff. 67 Buchner, DuD 2016, 155, 156 f.; Spindler, DB 2016, 937, 939; Paal/Hen­ nemann, NJW 2017, 1697, 1700; Hornung in Hoffmann-Riem, Big Data – Regulative Herausforderungen, 2018, S. 81 ff. 68 Zu Regelungsoptionen s. Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit, 2017, S. 154 ff. 69 Grdl. BVerfGE 65, 1 = NJW 1984, 419 (Volkszählung): Befugnis des Einzelnen, „grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und inner­ halb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart wer­

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ten moderner Werte und Traditionen, es ist Grundbedingung einer informationstechnisch hochentwickelten freiheitlichen Demokra­ tie70. Gegenüber privaten Datenschutzgefährdungen besteht eine staatliche Schutzpflicht Vorkehrungen zu ergreifen71. Auch wer das Datenschutzrecht kritisch beurteilt, manches als überzogen moniert, muss erkennen, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland nicht durch die geltenden rechtlichen Regelungen behindert wird, vielmehr sind unzurei­ chende technische Rahmenbedingungen der Grund für die schlep­ pende Entwicklung. Im Folgenden sollen die Notwendigkeit und die Schwierigkeiten der wechselseitigen Abstimmung von Recht und Technik bei der Digitalisierung der Medizin anhand zentraler Themenkomplexe aufgezeigt werden.

IV. Themenkomplexe 1. Elektronische Gesundheitskarte a) Inhalt und Ziele Durch das GKV-Modernisierungsgesetz72 wurde zum 1.1.2004 die elektronische Gesundheitskarte (eGK) eingeführt. §  291a SGB  V

den“ (42  f.), wobei es durch digitale Verarbeitung und Verknüpfung „kein ,belangloses‘ Datum gibt“ (45); Kingreen/Poscher, Grundrechte, 33. Aufl. 2017, Rdnr. 449; Di Fabio in Maunz/Dürig, GG, 84. EL 2018, Art. 2 Abs. 1, Rdnrn. 173 ff. m.w.N. 70 BVerfGE 65, 1, 43 = NJW 1984, 419, 422; Weichert, ZD 2013, 251. 71 BVerfGE 84, 192, 194  f.; zum Schutz des informationellen Selbstbe­ stimmungsrechts unter Privaten Buchner, Informationelle Selbstbe­ stimmung im Privatrecht, 2006; Hoffmann-Riem, AöR 123 (1998), 513; Gurlit, NJW 2010, 1035; Di Fabio in Maunz/Dürig, GG, 84. EL 2018, Art. 2 Abs. 1, Rdnrn. 189 ff. m.w.N. 72 Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) v. 14.11.2003, BGBl. I S. 2190.

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ten moderner Werte und Traditionen, es ist Grundbedingung einer informationstechnisch hochentwickelten freiheitlichen Demokra­ tie70. Gegenüber privaten Datenschutzgefährdungen besteht eine staatliche Schutzpflicht Vorkehrungen zu ergreifen71. Auch wer das Datenschutzrecht kritisch beurteilt, manches als überzogen moniert, muss erkennen, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland nicht durch die geltenden rechtlichen Regelungen behindert wird, vielmehr sind unzurei­ chende technische Rahmenbedingungen der Grund für die schlep­ pende Entwicklung. Im Folgenden sollen die Notwendigkeit und die Schwierigkeiten der wechselseitigen Abstimmung von Recht und Technik bei der Digitalisierung der Medizin anhand zentraler Themenkomplexe aufgezeigt werden.

IV. Themenkomplexe 1. Elektronische Gesundheitskarte a) Inhalt und Ziele Durch das GKV-Modernisierungsgesetz72 wurde zum 1.1.2004 die elektronische Gesundheitskarte (eGK) eingeführt. §  291a SGB  V

den“ (42  f.), wobei es durch digitale Verarbeitung und Verknüpfung „kein ,belangloses‘ Datum gibt“ (45); Kingreen/Poscher, Grundrechte, 33. Aufl. 2017, Rdnr. 449; Di Fabio in Maunz/Dürig, GG, 84. EL 2018, Art. 2 Abs. 1, Rdnrn. 173 ff. m.w.N. 70 BVerfGE 65, 1, 43 = NJW 1984, 419, 422; Weichert, ZD 2013, 251. 71 BVerfGE 84, 192, 194  f.; zum Schutz des informationellen Selbstbe­ stimmungsrechts unter Privaten Buchner, Informationelle Selbstbe­ stimmung im Privatrecht, 2006; Hoffmann-Riem, AöR 123 (1998), 513; Gurlit, NJW 2010, 1035; Di Fabio in Maunz/Dürig, GG, 84. EL 2018, Art. 2 Abs. 1, Rdnrn. 189 ff. m.w.N. 72 Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) v. 14.11.2003, BGBl. I S. 2190.

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erfuhr seither mehrere Neufassungen73. Die Vorschrift regelt die über die Funktion als Versicherungsnachweis (§ 291 SGB V) hin­ ausgehende Nutzung der eGK sowie gemeinsam mit § 291 SGB V den erforderlichen Datenschutz für Pflichtangaben, Pflichtanwen­ dungen sowie einwilligungsabhängige freiwillige Angaben und Anwendungen (wie etwa die elektronische Patientenakte nach § 291a Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB V)74. Die Speicherung personenbe­ zogener Gesundheitsdaten auf der eGK oder verschlüsselt auf ex­ ternen Speichermedien soll insbesondere Informationen zur bishe­ rigen Behandlung des Versicherten verfügbar machen, um die Wirtschaftlichkeit, Qualität und Transparenz der Behandlung zu verbessern. Mit einer differenzierten Festlegung der Zugriffsrech­ te und Übermittlungsbefugnisse und der Betonung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung des Versicherten trägt §  291a SGB V der besonderen Schutzwürdigkeit personenbezogener Ge­ sundheitsdaten Rechnung75. Die eGK wurde bei ihrer Einführung als „Leuchtturmprojekt“ be­ zeichnet76. Mit ihrer Hilfe sollen die Kommunikation im Gesund­ heitswesen befördert und die Patientenrechte gestärkt, unnöti­ ge  Doppeluntersuchungen wie unerwünschte Wechselwirkungen zwischen Medikamenten vermieden werden, Behandlungsdaten im Notfall schneller verfügbar sein77. Das Anliegen, mit Telematik-­ Infrastruktur und eGK eine flächendeckend verfügbare moder­ ne  technologische Basis für den sicheren Austausch von medi­ 73 Zuletzt durch das Gesetz für sichere digitale Kommunikation und An­ wendungen im Gesundheitswesen sowie zur Änderung weiterer Ge­ setze (E-Health-Gesetz) v. 29.12.2015, BGBl. I S. 2408. 74 Zur Rechtmäßigkeit des Erfordernisses einer eGK zur Inanspruchnah­ me vertragsärztlicher Leistungen s. BSGE 117, 224 (Rdnr. 15)  = ZD 2015, 441, 443. 75 Koch/Marx/Elmer, DuD 2013, 131  ff.; Michels in Becker/Kingreen, SGB V, 6. Aufl. 2018, § 291a, Rdnr. 1; Scholz in BeckOK/SozR, 51. Ed. 2018, § 291a SGB V, Rdnrn. 2, 10 ff. 76 Bundeskanzlerin Angela Merkel, zitiert nach Der Spiegel 2018, Nr. 20, S. 102: um der Welt zu beweisen, „auf welchen Gebieten wir vorn sind“. 77 Bales/v. Schwanenflügel, NJW 2012, 2475.

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zinischen Informationen zu schaffen, erfuhr große Zustimmung. Nach allgemeiner Ansicht ist der Gesetzgeber auch den hohen ­datenschutzrechtlichen Anforderungen durchaus gerecht gewor­ den78. Die Verschlüsselung verschafft dem Patienten die Hoheit über seine Gesundheitsdaten79. b) Technische Rahmenbedingungen Angesichts der getroffenen gesetzlichen Regelungen lässt sich bei der eGK nicht bemängeln, dass das Recht der Technik hinter­ herhinkt. Das Problem des §  291a SGB  V ist vielmehr, dass er ­technische Rahmenbedingungen voraussetzt, die bis heute nicht realisierbar sind80. Aufbau und Finanzierung der erforderlichen „interoperablen und kompatiblen Informations-, Kommunika­ tions- und Sicherheitsinfrastruktur (Telematikinfrastruktur)“, § 291a Abs. 7 bis 7e SGB V, bereiten derart große Probleme, dass gesetz­ lich festgelegte Fristen immer wieder verschoben werden mussten. Nach über vierzehn Jahren und Investitionen in Milliarden-Höhe81 stand die eGK im Mai 2018 vor dem Aus82. Die Bundesregierung hat das Projekt nicht aufgegeben. Damit die eGK endlich einen echten Mehrwert hat, will die Politik die Ver­ 78 Weichert, Stellungnahme zur eGK anlässlich der öffentlichen Anhö­ rung des Gesundheitsausschusses am 25.5.2009; Schaar, 21. Tätigkeits­ bericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informa­ tionsfreiheit 2005–2006, S.  38; Schifferdecker in KassKomm, 101. EL 2018, § 291a SGB V, Rdnr. 4; Buchner, MedR 2016, 660, 662 m.w.N. 79 Koch/Marx/Elmer, DuD 2013, 131, 132  f.; Scholz in BeckOK/SozR, 51. Ed. 2018, § 291a SGB V, Rdnrn. 2, 10 ff. 80 Schifferdecker in KassKomm, 101. EL 2018, §  291a SGB  V, Rdnr. 10; Buchner, MedR 2016, 660, 663; Paland/Holland, NZS 2016, 247 ff. 81 Die von der BReg regelmäßig zitierte IBM/ORGA-Projektdokumenta­ tion, S. 16, ging im Jahr 2004 von einmaligen Kosten für den Aufbau der Telematikinfrastruktur von bis zu 1,4 Mrd. Euro sowie jährlichen Betriebskosten zwischen etwa 120 und 148  Mio. Euro. aus, vgl. BTDr. 16/2973, S. 1, 16/5010, S. 6. 82 Mihm, FAZ v. 8.5.2018.

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netzung der verschiedenen Sektoren (Arztpraxen, Krankenhäuser, Apotheken, Pflegeeinrichtungen) forcieren83 und die Anwendun­ gen der eGK erweitern. Angekündigt war ein E-Health-Gesetz II bis Ende 2018, aktuell werden aber einzelne Regelungen in laufen­ de Gesetzesverfahren integriert. So sieht das „Gesetz für mehr Si­ cherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) die Einführung des elektronischen Rezepts vor84. Nach dem „Terminservice- und Versorgungsgesetz“ (TSVG) werden die Krankenkassen verpflich­ tet, ihren Versicherten spätestens ab dem 1.1.2021 elektronische Patientenakten zur Verfügung zu stellen. Auf diese sollen Versi­ cherte künftig auch ohne Einsatz der elektronischen Gesundheits­ karte mittels mobiler Endgeräte (Smartphone oder Tablet) zugrei­ fen können (Aufhebung des Zwei-Schlüssel-Prinzips: bislang eGK und elektronischer Arztausweis)85. Damit geht freilich ein deutli­ cher Verlust an Datensicherheit einher86. Der Zugriff via Smart­ phone ist komfortabel, er konterkariert aber das ursprünglich mit dem Aufbau einer Tele­ma­tikinfrastruk­tur verbundene Ziel, Ge­ sundheitsdaten vor dem Zugriff unberechtigter Dritter wirksam zu 83 BT-Dr. 19/5810 v. 15.11.2018, S. 29; s. bereits der seinerzeitige Bundes­ gesundheitsminister Gröhe, FAZ v. 9.1.2017, S. 18: Digitale Vernetzung von 150.000 Arztpraxen, 2,3  Mio. sonstigen Gesundheitsberufen, 2.000 Krankenhäusern, 20.000 Apotheken und über 70 Mio. gesetzlich Versicherten. 84 Referentenentwurf eines Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arznei­ mittelversorgung (GSAV) v. 14.11.2018, S. 52. 85 Regierungsentwurf eines Gesetzes für schnellere Termine und bessere Versorgung (TSVG) v. 7.12.2018, BT-Dr. 19/6337, S. 62; s. auch S. 136: elektronische Patientenakte (in der Behandlungsdaten, Befunde und Laborwerte durch die Leistungserbringer abgelegt werden) und elek­ tronisches Patientenfach (in dem der Versicherte selbst eigene Kör­ perdaten, Laborwerte und Bilder speichert) sollen begrifflich zusam­ mengeführt werden, da den Versicherten künftig der Zugriff auf die Patientenakte auch ohne Anwesenheit eines Leistungserbringers er­ möglicht wird. 86 Probleme bereiten die Schnittstellen etwa zu Android (Google) und iOS (Apple). Die im September 2018 eingeführte Gesundheits-App „Vivy“ wurde von Datenschutzexperten kritisch beurteilt.

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schützen87. Derweil erschüttern Meldungen über Hackerangriffe und Cyberattacken auf Krankenhäuser das Vertrauen in die Daten­ sicherheit von Netzen. Und sie nähren Zweifel an der Sachgerech­ tigkeit einer zentralen Speicherung personenrelevanter Gesund­ heitsdaten. So läuft das Recht der eGK mit seinen vorbildlichen datenschutzrechtlichen Regelungen leer, solange die Technik nicht leisten kann, was das Recht voraussetzt88. 2. Mobile Health – Gesundheits-Apps und Wearable Devices Ein riesiger Markt entwickelt sich bei mobile Health-Anwendun­ gen. Der Begriff steht für die Unterstützung von medizinischen Verfahren und Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge durch Gerä­ te wie Smartphones, Tablets, digitale Assistenzsysteme sowie durch Lifestyle- und Gesundheitsapplikationen. Die Gesundheits-Apps und Wearable Devices erlauben Nutzern, ihre individuellen ge­ sundheitsbezogenen Daten selbst zu erheben und zur Erreichung gesetzter Gesundheitsziele auszuwerten. Sie sollen Selbstma­ nagement und Therapietreue verbessern89, damit eine dezentrali­ sierte, patientenzentrierte, selbstbestimmte Gesundheitsversor­ gung fördern90. Apps errechnen mittels Sensoren u.a. Blutzucker und ­Blutdruckwerte, ermöglichen eine Fernüberwachung des Ge­ sundheitszustandes  – insbes. von Patienten mit chronischen Be­ schwerden – durch „Remote Monitoring“, personalisieren und be­ gleiten Fitness- und Ernährungspläne, erinnern an die Einnahme 87 BÄK, Stellungnahme zum RegE TSVG v. 8.1.2019, S. 13, abrufbar un­ ter https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/down​ loads/pdf-Ordner/Politik/TSVG_GE_SN_BAEK_08012019.pdf. 88 Buchner, MedR 2016, 660, 663; Schifferdecker in KassKomm, 101. EL 2018, § 291a SGB V, Rdnr. 10. Zu Möglichkeiten eines dezentralisier­ ten sicheren Datenaustauschs mittels Blockchain-Technologie s. Deut­ scher Ethikrat, Big Data und Gesundheit, 2017, S. 58 f. 89 Rübsamen, MedR 2015, 485; Ortner/Daubenbüchel, NJW 2016, 2918 f.; Sedlmayr, GesR 2018, 17  ff.; zu Wirkungen und Auswirkungen der personalisierten Prävention Eberbach, MedR 2014, 449 ff. 90 Europäische Kommission, mHealth. Digital Single Market, abrufbar unter https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/mhealth.

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von ­Medikamenten u.a.m. Schlafrhythmen, Bewegungsprofile und ­Ernährungsmuster können permanent kontrolliert werden91. Die Vielfalt und Menge der erhobenen Daten ist dabei nicht allein für die individuellen Nutzer interessant, sondern auch für die medizi­ nische Forschung und Versorgung. Die Europäische Kommission weist den technischen Entwicklungen mobiler Kommunikation eine Schlüsselrolle in der Umgestaltung der Gesundheitssysteme zu92. Der Arzt scheint zunehmend nur noch eine nachgeordnete Rolle zu spielen, aus der altbekannten Redensweise „an apple a day keeps the doctor away“ wird „an app a day keeps the doctor away“93. Mobile Health-Anwendungen werfen Rechtsfragen der Regulie­ rung, des Datenschutzes, der Schadenshaftung, der Kostentragung, schließlich der Solidarität im Gesundheitswesen auf94. a) Regulierung Software als Kernelement aller mobile Health-Dienste ist als Medi­ zinprodukt einzustufen, wenn sie der Diagnose und/oder Therapie einer Erkrankung dient. Nach § 3 Nr. 1 MPG (ab Mai 2020 nach Art. 2 Nr. 1 der Medical Device Regulation95) ist die Zweckbestim­ 91 Bekannt sind etwa die Apps „MySugr“ (Blutzucker-Tagebuch), „skin­ vision“ (Hautkrebs-Screening), „23andme“ (DNA-Analyse), „Scanadu“ (mobiles Diagnosegerät), „ada health“ („persönliche Gesundheitsbe­ gleiterin“). 92 Europäische Kommission, Grünbuch über Mobile Health-Dienste („mHealth“) v. 10.4.2014, KOM (2014) 219 endg., S. 4. 93 Woopen, Digitalisierung im Gesundheitswesen, Vortrag auf dem 120.  DÄT 2017. Nach einer repräsentativen Umfrage im Jahr 2015 konnten sich bereits 16% der Bevölkerung vorstellen, dass Gesund­ heits-Apps einen Arztbesuch ersetzen, s. DÄBl 2015, A-1394. 94 Rübsamen, MedR 2015, 485  ff.; Ortner/Daubenbüchel, NJW 2016, 2918 ff.; umfangreich Albrecht (Hrsg.), Chancen und Risiken von Ge­ sundheits-Apps (Charismha), 2016. 95 Zu den Änderungen durch die Verordnung EU 2017/745 über Medi­ zinprodukte (Medical Device Regulation), EU-Amtsblatt Nr. L 117/1 v. 5.5.2017 s. Hill, MPR 2017, 109 ff.; Köbler, GuP 2018, 132 ff.

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mung des Herstellers maßgebend, etwa in der Etikettierung, Ge­ brauchsanweisung oder den Werbematerialien96. Abzugrenzen ist Therapie-Software von bloßen Wellness-Anwendungen97. Soweit ein Medizinprodukt vorliegt, darf es nur in Verkehr gebracht wer­ den, wenn es mit einer CE-Kennzeichnung versehen ist (§§  6  ff. MPG), was an das Durchlaufen eines Konformitätsbewertungsver­ fahrens gemäß Medizinprodukte-Verordnung geknüpft ist98. Ver­ stöße können straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlich geahndet werden. In der Praxis sind bislang nur wenige mobile Health-Apps CE-ge­ kennzeichnet, viele sind nicht qualitätsgestützt99. Die Sicherheit könnte durch entsprechende Zertifizierungsprogramme erhöht werden. Zunehmend werden Forderungen erhoben nach Ein­ führung von Gütesiegeln für Gesundheits-Apps, die Qualität, Si­ cherheit und Vertrauenswürdigkeit signalisieren100. Doch herrscht 96 Einzelheiten bei Jäkel in Rieger/Dahm/Katzenmeier/Steinhilper/Stell­ pflug, HK-AKM, 2018, Medizinprodukterecht, Nr. 3590, Rdnrn. 11 ff. Die subjektive Zwecksetzung ist begrenzt durch ein Willkürverbot. Soll ein nach seinem Wesen allein der medizinischen Versorgung dienen­ des Produkt durch widersprüchliche oder wissenschaftlich un­haltbare Herstellerangaben der Regulierung entzogen werden, ist die objektive Eignung entscheidend, BGH, MedR 2015, 34 f. m. Anm. Koyuncu. 97 Näher zur rechtlichen Einordnung von Gesundheits-Apps als Me­ dizinprodukte Heimhalt/Rehmann, MPR 2014, 197 ff.; s. auch Bach, Der Gynäkologe 2017, 473 ff. Versuch einer Konkretisierung der Ab­ grenzungskriterien durch EuGH, MPR 2018, 28 = EuZW 2018, 166 m. Anm. Gassner/Modi. 98 Dessen Prüfungsumfang ist gem. § 13 Abs. 1 MPG i.V.m. Anhang IX der Richtlinie 93/42 EWG von der Risikoklasse des Produkts abhän­ gig; die ab dem 26.5.2020 geltende Medical Device Regulation führt für Software eine neue Klassifizierungsregel ein, dazu v. Czettritz/ Strelow, PharmR 2017, 433, 434 f. 99 Albrecht, Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (Charismha), 2016, S.  286; einige wenige Beispiele aus der Praxis nennen Bork/ Weitz/Penter, DÄBl 2018, A-62, A-65 f. 100 So etwa BÄK-Präsident Montgomery anlässlich des Tages der Patien­ tensicherheit am 17.9.2018.

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keine Einigkeit über die Kriterien, nach denen eine valide Prüfung und Vergabe erfolgen soll. Bei dem grenzüberschreitenden, schnell­ lebigen, hochdynamischen, niedrigpreisigen Geschäftsmodell sind Interessenkonflikte unausweichlich101. b) Datenschutz Datenschutzrechtlich ist auch bei mobile Health-Anwendungen für die Verarbeitung personenbezogener (Gesundheits-)Daten eine Einwilligung oder eine spezielle Ermächtigungsgrundlage notwen­ dig102. Die in der Praxis gebräuchlichen Datenschutzbestimmun­ gen sind meist detailliert und schwer verständlich103, sie werden in aller Regel nicht gelesen, sondern einfach akzeptiert. Und doch ermächtigen solche Einwilligungen als teilweiser Verzicht auf den Schutz durch Recht die Unternehmen zur Ausweitung ihrer Hand­ lungsmacht zu Lasten der Nutzer104. Die Frage lautet, wie ein nicht nur rein formales, sondern ein informiertes, selbstbestimmtes Ein­ 101 Albrecht, DÄBl 2018, A-67: Notwendigkeit eines Konsensusprozesses sämtlicher medizinischer Fachgesellschaften mit dem Ziel der De­ finition basaler Gütekriterien, über die die Hersteller von Gesund­ heits-Apps informiert werden. Das Aktionsbündnis Patientensicher­ heit stellt eine Checkliste für die Nutzung von Gesundheits-Apps zur  Verfügung, abrufbar unter https://www.aps-ev.de/wp-content/ uploads/​2018/05/2018_APS-Checkliste_GesundheitsApps.pdf. 102 Vgl. Art. 9 DS-GVO, aufgrund von Öffnungsklauseln ergänzt durch §  22 BDSG; Weichert in Kühling/Buchner, DS-GVO/BDSG, 2.  Aufl. 2018, Art. 9; speziell zu mobile Health-Anwendungen Dregelies, VuR 2017, 256 ff. 103 Katko/Babaei-Beigi, MMR 2014, 360, 362  f.: Überflutung des Ver­ brauchers mit Informationen. 104 Krit. Buchner, Informationelle Selbstbestimmung im Privatrecht, 2006, S.  258  ff.; Buchner in Rieger/Dahm/Katzenmeier/Steinhilper/ Stellpflug, HK-AKM, 2017, Datenschutz, Nr. 1340, Rdnr. 39; Simitis in Simitis, BDSG, 8. Aufl. 2014, § 4a, Rdnr. 62; Hoffmann-Riem, AöR 142 (2018), 1, 21 ff.; Martini, JZ 2017, 1017, 1019; Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit, 2017, S.  137: „als Legitimationsmittel kaum mehr geeignet“.

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verständnis sichergestellt werden kann105. Aus Sicht der Anwender sollten die besonders wichtigen Fragen zur Datennutzung auf ei­ nen Blick zu erkennen sein. Wünschenswert wäre auch, dass die Grundeinstellung maximalen Datenschutz vorgibt und die Freiga­ be zur Datenweitergabe an Dritte jeweils aktiv angeklickt werden muss. Doch selbst wenn sich dies sicherstellen ließe, bleiben die aus der Vervielfältigung der Zugriffsebenen (Server, Netzwerk, Gerät, Betriebssystem, Software) und potentiell involvierten Akteure re­ sultierenden Sicherheitsrisiken106. c) Haftung Durch den Einsatz fehlerhafter Software kann der Nutzer schweren Schaden erleiden, etwa wenn eine App, die verspricht, das Haut­ krebsrisiko privater Nutzer durch eine Bilderkennungssoftware zu ermitteln, gefährliche Melanome als harmlos qualifiziert. Hier kommt eine Haftung des Herstellers nach Vertrags- und nach ­Deliktsrecht in Betracht107. Aufgrund des Risikopotentials gelten strenge Sicherheitsanforderungen (§ 4 MPG). Vereinzelt wird ge­ fordert, das Verhalten des Softwareherstellers am Facharztstandard zu messen, jedenfalls wenn er die Gesundheits-App als Substitut einer ärztlichen Heilbehandlung bewirbt108. Streitig ist die An­ wendbarkeit des ProdHaftG. Eine App ist eine geistige Leistung und kein körperlicher Gegenstand, damit nach h.M. kein Produkt 105 Augsberg/v. Ulmenstein, GesR 2018, 341  ff.; Martini, JZ 2017, 1017, 1019 fordert, den Datenschutz stärker (auch) als kollektiven Güter­ schutz zu konzipieren. 106 Rübsamen, MedR 2015, 485, 487. 107 Anders als bei fehlerhaften Arzneimitteln, für die in § 84 AMG eine Gefährdungshaftung normiert ist, bestehen für Medizinprodukte kei­ ne haftungsrechtlichen Sonderregelungen. Bei Hochrisiko-Medizin­ produkten kommt eine Haftung der Benannten Stelle i.S.v. § 3 Nr. 20 MPG und Art. 16 der RL 93/42/EWG in Betracht, s. EuGH, NJW 2017, 1161 = MedR 2017, 539 m. Anm. Lücker; BGH, NJW 2017, 2617. 108 Gaßner/Strömer, VersR 2015, 1219, 1223 f.; Brönneke/Kipker in Baum­ gärtel/Scholz, DGRI Jahrbuch 2015, S. 73, 80.

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i.S.d. §  2 ProdHaftG109. De lege ferenda wird eine Einbeziehung von Immaterialgütern erwogen110. In Betracht kommt auch eine Haftung des medizinischen Anwenders, wenn der Patient durch den Einsatz einer nicht dem fachlichen Standard entsprechenden mobile Health-Anwendung geschädigt wird111. Die Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Hersteller und Anwender kann Schwierigkeiten bereiten112. Bei einer fehlerhaften Anwendung durch den Nutzer selbst kann der Hersteller wegen Verletzung von Instruktionspflichten haften113. d) Kostentragung Mobile Health-Dienste haben es bislang noch nicht in die Regel­ versorgung der GKV geschafft. Der Nachweis eines klinischen und wirtschaftlichen Nutzens ist angesichts der Evidenzlage auf dem Gebiet schwierig114. Solange sie nicht in das Verzeichnis der ab­ rechnungsfähigen Leistungen, den Einheitlichen Bewertungsmaß­ 109 Zum Streitstand Wagner in MüKo/BGB, 7. Aufl. 2017, § 2 ProdHaftG, Rdnrn. 12 ff. mit abw. Ansicht in Rdnrn. 17 ff.; Oechsler in Staudinger, BGB, Neubearb. 2018, § 2 ProdHaftG, Rdnrn. 64 ff.; Katzenmeier in NK/BGB, 3. Aufl. 2016, § 2 ProdHaftG, Rdnrn. 2 f.; Zech, Information als Schutzgegenstand, 2012, S. 342 f. 110 Europäische Kommission, Evaluation oft the Directive 85/374/EEC concerning Liability for Defective Products, 2016, S. 3; Rott, Rechts­ politischer Handlungsbedarf im Haftungsrecht, insbes. für digitale Anwendungen – Gutachten im Auftrag des vzbv, 2018, S. 15 ff. 111 Droste, MPR 2018, 109 ff.; für die Bildung eines objektiven Qualitäts­ standards und spezifischer mHealth-Leitlinien für mHealth-Anwen­ dungen plädieren Gaßner/Strömer, VersR 2015, 1219 ff. 112 Einzelheiten bei Ortner/Daubenbüchel, NJW 2016, 2918, 2921 ff.; Brön­ neke/Kipker in Baumgärtel/Scholz, DGRI Jahrbuch 2015, S. 73, 76 ff. 113 Rübsamen, MedR 2015, 485, 489; Ortner/Daubenbüchel, NJW 2016, 2918, 2922 f.; allg. zu Instruktionspflichten des Herstellers Wagner in MüKo/BGB, 7. Aufl. 2017, § 823, Rdnrn. 826 ff.; Katzenmeier in NK/ BGB, 3. Aufl. 2016, Rdnrn. 314 ff. 114 Brönneke/Kipker in Baumgärtel/Scholz, DGRI Jahrbuch 2015, S.  73, 90 m.w.N.

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stab (EBM), aufgenommen sind115, dürfen sie nicht zu Lasten der GKV abgerechnet werden116. Kontrovers diskutiert wird, ob der Nutzennachweis für Health-Apps abgewandelt werden soll, um auf die Marktdynamik und die schnellen technischen Entwicklungs­ zyklen zu reagieren. e) Individualisierung und Solidarität Einzelne Versicherungen belohnen die Übermittlung von Daten über Lebensführung, sportliche Aktivitäten und Ernährungsver­ halten mittels einer Gesundheits-App mit Gutscheinen und Prä­ miennachlässen117. In der Gesetzlichen Krankenversicherung sieht §  65a SGB  V die Möglichkeit der Gewähr von Boni für gesund­ heitsbewusstes Verhalten vor. Diese dürfen nicht die private Le­ bensführung zum Gegenstand haben118, die Regelung berührt in­ des den Grenzbereich119. Die Besonderheit sog. Vitality-Tarife in der Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung besteht darin, dass sich gesundheitsbewusstes Verhalten nicht unmittelbar auf das Zu­standekommen des Versicherungsvertrages oder die Kalku­ lation der Prämie auswirkt, vielmehr zu einer höheren Überschuss­ beteiligung gegenüber den Kunden außerhalb der Vitality-Tarife führt. Der versicherungsaufsichtsrechtliche Gleichbehandlungs­ 115 Mit dem Durchlaufen des Konformitätsbewertungsverfahrens ist ein Nutzennachweis nicht verbunden. 116 Zu dezentralen Ansätzen Rübsamen, MedR 2015, 485, 490. 117 So seit dem 1.7.2016 die Generali mit dem Vitality-Tarif für spezielle Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen. Anfang des Jahres 2019 wurde gemeldet, das Fitness-Programm solle auch in der Privaten Krankenversicherung eingebaut werden. Im Gegensatz zur GKV mit Kontrahierungszwang und Prämiendifferenzierungsverbot wird in der PKV vor Abschluss des Vertrages das individuelle Krankheitsrisiko ta­ rifiert, individuelle Preisnachlässe sind zulässige Tarifbestimmungen, BT-Dr. 18/3849, S. 6; Looschelders, ZVersWiss 104 (2015), 481, 493 ff. 118 BT-Dr. 15/1525, S. 95. 119 Kluth/Bauer, VSSR 2010, 341, 351; nicht unkritisch auch Bundesversi­ cherungsamt, Sonderbericht zum Wettbewerb der Gesetzlichen Kran­ kenversicherung, 2018, S. 76.

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grundsatz (§ 138 Abs. 2 VAG)120 steht dem nicht entgegen, wenn sachliche, d.h. medizinisch und mathematisch belastbare Differen­ zierungsgründe vorliegen und Beitragsermäßigungen im Vi­talitätsTarif nicht zu Lasten konventioneller Tarife finanziert ­werden. Auch die versicherungsvertragsrechtliche Regelung der Überschussbetei­ ligung (§§ 153 Abs. 2, 176 VVG)121 schließt Vitalitäts-Tarife nicht aus, wenn die Überschussverteilung in Einklang mit dem Gleichbe­ handlungsgebot steht und sich versicherungsmathematisch nach­ vollziehbar begründen lässt, dass gesundheitsbewusstes Verhalten im Großen und Ganzen in dem Maße zur Entstehung von Über­ schüssen beiträgt, in dem es bei der Verteilung der Überschüsse be­ rücksichtigt wird122. Es ist indes umstritten, ob Vitalitäts-­Tarife tat­ sächlich zu einer Kostenreduzierung bei den Versicherungen beitragen123. Und es wird angezweifelt, dass die Datenbasis valide genug ist, um eine solche Subventionierung zu Lasten der anderen Tarife auf Dauer ausschließen zu können124. Faktisch führen die Bo­ nussysteme dazu, dass irgendwann derjenige, der keinen „Überwa­ chungstarif “ akzeptiert, mit höheren Beiträgen abgestraft wird125. Datengetriebene Versicherungsmodelle bergen so die Gefahr ei­ ner schleichenden Diskriminierung. Die Individualisierung von Ta­ rifen bedeutet einen weiteren Schritt in Richtung Entsolidarisie­ 120 Allg. zum Gleichbehandlungsgrundsatz im Versicherungsrecht Brand in Looschelders/Michael, Düsseldorfer Vorträge zum Versicherungs­ recht 2015, S. 7, 9; v. Koppenfels-Spies, VersR 2004, 1085 ff. 121 Zum Anwendungsbereich s. Reiff in Prölss/Martin, VVG, 30.  Aufl. 2018, § 153, Rdnrn. 7 ff.; weiter Heiss in MüKo/VVG, 2. Aufl. 2017, § 153, Rdnr. 9. 122 Brömmelmeyer, r+s 2017, 225, 227 ff., 231 f.; s. auch Brömmelmeyer in Schmidt-Kessel/Grimm, Telematiktarife & Co – Versichertendaten als Prämienersatz, 2018, S. 117, 138. 123 S. etwa etwa bei Hänold, ZD-Aktuell 2018, 06220; bejahend Brömmel­ meyer, r+s 2017, 225, 228. 124 S. bei Gatschke, VuR 2017, 340, 342. 125 So die vormalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die In­ formationsfreiheit Andrea Voßhoff, mitgeteilt von Hänold, ZD-Aktu­ ell 2018, 06220; s. zur Problematik auch Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit, 2017, S. 107 ff.

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rung126. Der gewünschte verhaltenssteuernde Effekt ist auch im ­Übrigen problematisch. So ist das „Pay-as-you-live“-Angebot für Gesunde (Sportler, Nichtraucher, Vegetarier) zwar verlockend, aber die freiwillige Selbstüberwachung macht den Einzelnen manipu­ lierbar und unfrei. Nachdrücklich warnt Juli Zeh: „Totalitäre Struk­ turen kleiden sich heute ins Gewand von Serviceangeboten. (...) Es geht hier keineswegs um das Wohl des Einzelnen, sondern einzig und allein um die Interessen von mächtigen Konzernen.“127 3. Fernbehandlung/Telemedizin a) Fernbehandlungsverbot Digitalisierung ermöglicht telemedizinische Versorgungsformen. Doch verhinderte das Berufsrecht bis vor kurzem deren Etablie­ rung. Ärzten war eine Behandlung, insbesondere auch Beratung, ausschließlich über Kommunikationsmedien untersagt, § 7 Abs. 4 MBO-Ä a.F. Das Verbot bezweckte, dass sich der Arzt nicht allein auf subjektive Schilderungen des Patienten oder Wahrnehmungen Dritter verlässt, sondern sich von dem anwesenden Patienten ein unmittelbares Bild durch eigene Wahrnehmungen verschafft, denn äußere Anzeichen und Verhaltensauffälligkeiten können auf be­ stimmte Krankheiten hindeuten. Die Verbotsnorm beugte dem Absehen von einem gebotenen Arztbesuch bzw. einer defizitären Behandlung vor und legte damit einen medizinischen Standard fest128. Auch ging es um den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient, das auf der Erkenntnis fußt, dass Men­ schen nicht nur verbal miteinander kommunizieren und ein Kran­ ker persönliche Zuwendung benötigt129. 126 Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit, 2017, S. 152; s. zu die­ sem Einwand aber auch Looschelders, ZVersWiss 104 (2015), 481, 498. 127 Juli Zeh, Interview, SZ v. 26.11.2014; zust. Woopen, Digitalisierung im Gesundheitswesen, Vortrag 120. DÄT 2017. 128 Scholz in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 7 MBO-Ä, Rdnr. 14. 129 Scholz in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 7 MBO-Ä, Rdnr. 14; Rehborn in D. Prütting, Medizinrecht Kommentar, 4.  Aufl. 2016, § 7 MBOÄ, Rdnr. 12.

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b) Liberalisierung des Berufsrechts Gleichwohl wurde auf dem 121. Deutschen Ärztetag im Mai 2018 in Erfurt das berufsrechtliche Verbot ausschließlicher Fernbehand­ lung gelockert. Der reformierte §  7 Abs.  4  MBO-Ä bestimmt in Satz  3: „Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärzt­ lich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbeson­ dere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Be­ handlung sowie Dokumentation gewahrt wird und (...) der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.“ Mit der Novellierung reagiert die verfasste Ärzteschaft auf den durch die Digitalisierung bedingten Wandel der Gesundheitsversorgung. Immer mehr Unternehmen bieten medizinische Beratung online an, häufig aus dem Ausland. Große Nachfrage erfahren etwa das in Großbritannien ansässige Internetportal DrEd130 oder die teleme­ dizinischen Zentren MedGate und Medi24 aus der Schweiz. Der Beschlussfassung des 121. DÄT war eine intensive, durchaus kontroverse Diskussion vorangegangen, in der viele Vorbehalte und Befürchtungen geäußert wurden, etwa vor einer „Callcenter-­ Medizin“ oder einer „telemedizinischen Primärversorgung“, die zu einer weiteren Entfremdung und Entpersönlichung des Arzt-Pati­ enten-Verhältnisses führen131. Dem stehen als Vorteile eine partiel­ le Lösung für den Ärztemangel im ländlichen Raum, die Chance auf frühzeitigere Feststellung bestehenden Behandlungsbedarfs, die Überwindung etwaiger Offenbarungsängste der Patienten und die Vermeidung von Ansteckungsrisiken im Wartezimmer ge­ genüber132. Mehrheitlich entschloss sich die Ärzteschaft für eine Lockerung des Verbots ausschließlicher Fernbehandlung, nicht 130 Demnächst Umbenennung in Zava, abgeleitet von dem französischen „Ça va?“ – „Wie geht’s?“. 131 Berichte über die Diskussion im Vorfeld und auf dem 121. DÄT von Krüger-Brand, DÄBl 2018, A-806 ff. und A-965 ff. 132 Zur Erforderlichkeit einer Chancen-Risiken-Abwägung vgl. nur Hahn, MedR 2018, 384.

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z­uletzt um den digitalen Fortschritt aktiv zu gestalten133. Dazu müssen die einzelnen Landesärztekammern ihre rechtsverbindli­ chen Berufsordnungen entsprechend ändern und die zuständigen Aufsichtsbehörden (Landesgesundheitsministerien) dies genehmi­ gen. Mit Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein gab es be­ reits zwei „Sonderfälle“ (Pilotprojekte), mit den Ärztekammern Brandenburg und Saarland aber auch zwei erklärte Gegner der aus­ schließlichen Fernbehandlung. Es wird zu einer Zersplitterung des Berufsrechts kommen134. Mit der Liberalisierung des Berufsrechts sind parallele rechtliche Beschränkungen der Fernbehandlung in die Diskussion geraten. Das – im Jahr 2016 als Reaktion auf ausländische Internetportale eingeführte – Fernverschreibungsverbot in § 48 Abs. 1 Satz 2 AMG wird durch das „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelver­ sorgung“ (GSAV)135 aufgehoben und damit das elektronische ­Rezept ermöglicht136. Als nächstes wird die Streichung des Werbe­ verbots für Fernbehandlungen in § 9 HWG gefordert137. Nur hin­ sichtlich der Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus der Ferne, etwa per WhatsApp, herrscht angesichts großer Missbrauchsgefahr Zurückhaltung138. Will die Ärzteschaft den digitalen Fortschritt aktiv gestalten, so müs­ sen bezüglich der Organisation, Umsetzung und rechtlichen Rah­ 133 Konsentierter Vorschlag zur Änderung des § 7 Abs. 4 MBO-Ä, Be­ gründungstext des Vorstands der BÄK in der Sitzung am 15./16.3.2018. 134 Zu den Gefahren eines berufsrechtlichen „Flickenteppichs“ s. May­ baum, DÄBl 2018, A-846; Krüger-Brand, DÄBl 2018, A-965. 135 Referentenentwurf eines Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arznei­ mittelversorgung (GSAV) v. 14.11.2018. 136 Dahingehende Forderung erhoben von Hahn, MedR 2018, 384, 389 ff.; Hahn, GesR 2018, 687 ff.; Braun, MedR 2018, 563, 566 ff. 137 Vgl. Hahn, MedR 2018, 384, 388 f.; Braun, MedR 2018, 563, 565 f. 138 Bislang wird aus den §§ 2 Abs. 5 Satz 2, 4 Abs. 1 AU-RL die Unzu­ lässigkeit der Ausstellung von AU-Bescheinigungen ohne persönli­ chen Kontakt hergeleitet; s. auch 121. DÄT 2018, Beschlussprotokoll, S. 298, unter Hinweis auf Behandlungsqualität und Rechtssicherheit; zweifelnd Hahn, ZMGR 2018, 282 f.; Braun, GesR 2018, 409, 411.

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menbedingungen noch viele Fragen geklärt werden, beispielsweise der Qualitätssicherung und der Dokumentation, wiederum des Da­ tenschutzes und der Datensicherheit139 sowie der Abrechnung140. c) Verzicht auf „Goldstandard“ Unsicher sind darüber hinaus die haftungsrechtlichen Grenzen der Fernbehandlung141. Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass für eine Beratung oder Behandlung über neue Medien wie bei einer „traditionellen“ Behandlung drei grundsätzliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit das ärztliche Handeln beruflich legiti­ miert ist und vor dem Recht bestehen kann. Erstens ist eine medi­ zinische Indikation erforderlich, d.h. der ärztliche Heilauftrag muss die vorgesehene Maßnahme umfassen und gebieten, zweitens bedarf der Arzt des Einverständnisses seines aufgeklärten Patien­ ten (informed consent), drittens hat sein Handeln den Regeln des Fachs zu entsprechen (Verfahren lege artis)142. Nur wenn diese Vo­ raussetzungen erfüllt sind, ist nach § 7 Abs. 4 Satz 3 MBO-Ä eine Fernbehandlung „im Einzelfall erlaubt“. 139 Dazu Kuhn/Heinz, GesR 2018, 691, 694 ff.; zum Rettungsdienst s. be­ reits Katzenmeier/Schrag-Slavu, Rechtsfragen des Einsatzes der Tele­ medizin im Rettungsdienst, 2010, S. 123 ff. 140 Mangels einer Gesamtkonzeption für die Abrechnung in der Regel­ versorgung wird derzeit überwiegend auf vertraglicher Grundlage im Rahmen von regionalen Modellprojekten (§§  63, 64 SGB  V) abge­ rechnet. Zu telekonsiliarischer Befundbeurteilung von Röntgenauf­ nahmen und Videosprechstunde s. § 291g SGB V; dazu Kuhn/Hesse, GesR 2017, 221; zu Leistungs- und Vergütungsvoraussetzungen der Teleradiologie Cramer/Henkel/Dahm, MedR 2015, 392 ff. 141 Näher dazu Katzenmeier, demnächst in MedR; Stellpflug, GesR 2019, 76 ff.; vor der Reform Bergmann, MedR 2016, 497, 499 ff.; zum Ret­ tungsdienst Katzenmeier/Schrag-Slavu, Rechtsfragen des Einsatzes der Telemedizin im Rettungsdienst, 2010, S. 67 ff. 142 Vgl. Laufs, MedR 1986, 183, 184; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S.  272; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap. X, Rdnr. 1; aus strafrechtlicher Perspektive Sternberg-Lie­ ben in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 223, Rdnrn. 33 ff.

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Probleme wird die Wahrung der fachlichen Standards bereiten. § 7 Abs.  4 Satz  1  MBO-Ä stellt klar, dass die ärztliche Beratung und Behandlung auch nach der Novellierung grundsätzlich im persön­ lichen Kontakt zwischen Arzt und Patient zu erfolgen hat. Die Be­ ratung und Behandlung unter physischer Präsenz des Arztes soll weiterhin den „Goldstandard“ darstellen143. Berücksichtigt man, dass die Arzt-Patienten-Kommunikation zum großen Teil nonver­ bal und nur zu einem kleinen Teil verbal ist, dann wird eine Fern­ behandlung zumeist nicht die gleiche Qualität haben wie die ­persönliche Behandlung. Der „Goldstandard“ wird systematisch verlassen144. Ein neuer Fernbehandlungs-Standard existiert  – je­ denfalls derzeit noch – nicht. Wenn sich ein solcher in der Praxis herausbilden sollte, dann ist fraglich, ob die Rechtsprechung ihn akzeptiert145. Die Frage lautet, ob der Arzt auf die Einhaltung des „Goldstandards“ verzichten kann, ohne im Schadensfall für die Folgen einstehen zu müssen146. Die bloße Inanspruchnahme tele­ medizinischer Leistungen bedeutet noch keine konkludente Ver­ einbarung einer Standardunterschreitung147. Besonders problema­ 143 121. DÄT 2018, Beschluss TOP IV, abrufbar unter https://www.aerzte​ blatt.de/down.asp?id=20974. 144 Eberbach, MedR 2019, 1, 4 f. Zu der Besonderheit qualitätssteigernder Effekte der Telemedizin, deren neue Möglichkeiten dazu führen kön­ nen, „bisher geübte temporale und sektorale Differenzierungen des haftungsrechtlich maßgeblichen Standards zu verwischen und diesen flächendeckend anzuheben“, s. Pflüger, VersR 1999, 1070, 1072; Kat­ zenmeier/Schrag-Slavu, Rechtsfragen des Einsatzes der Telemedizin im Rettungsdienst, 2010, S. 67 ff. 145 Pauge/Offenloch, Arzthaftung, 14.  Aufl. 2018, Rdnr. 215: uneinge­ schränkte Geltung des Facharztstandards; s. auch 121. DÄT 2018, ­Beschluss TOP IV, abrufbar unter https://www.aerzteblatt.de/down. asp?id=20974: Beachtung des anerkannten Standes der medizini­ schen Erkenntnisse, vgl. § 2 Abs. 2 u. 3 MBO-Ä. 146 Zu von der Rspr. akzeptierten Abstufungen fachlicher Standards s.  Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap. X, Rdnrn. 18 ff. 147 Näher Katzenmeier, demnächst in MedR; wie hier Stellpflug, GesR 2019, 76, 79 f.; wohl a.A. Hahn, MedR 2018, 384, 385, auch unter Be­

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tisch ist, dass der Arzt seine Entscheidung, ob eine telemedizinische Behandlung vertretbar ist, einzig und allein auf telemedizinischer Grundlage trifft148. Erweist sich diese Einschätzung später als falsch, dann liegt der Schluss auf ein fehlerhaftes ärztliches Han­ deln nahe. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte dem Arzt, der sich auf eine derart verkürzte Wahrnehmung bei der Anamne­ se einlässt, das Prognoserisiko zuweisen, ihn also haftbar machen für einen Schaden, den der Patient bei einer persönlichen Behand­ lung möglicherweise nicht erlitten hätte149. Bei einem Befunderhe­ bungsfehler wird die Beweislast hinsichtlich der haftungsbegrün­ denden Kausalität zu Lasten des Arztes umgekehrt, § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB150. So zieht das Haftungsrecht der Krankenbehandlung ohne persönlichen Kontakt, zumal der ausschließlichen Fernbe­ handlung, auch nach der Liberalisierung des Berufsrechts doch recht enge Grenzen151. 4. Künstliche Intelligenz und Robotik a) Algorithmic Decision Making (ADM) Rasante Fortschritte in der Leistungsfähigkeit von Hard- und ­Software haben die Technik weit über die schlichte Darstellung zugnahme auf die „Therapiefreiheit“ (388) und den „mündigen Ver­ braucher“ (391). 148 Eberbach, MedR 2019, 1, 4: Der reduzierte Bildschirm-Blick auf den Patienten kann dessen ganzkörperliche Wahrnehmung nicht wirklich ersetzen. 149 Die bisherige Rspr. ist streng, vgl. etwa BGH, NJW 1979, 1248, 1249 zur Hausbesuchspflicht im Rahmen einer nach damaligem Recht zu­ lässigen Fernbehandlung; s. auch VG Frankfurt, Urt. v. 19.10.2004 – 21 BG 1748/04, Rdnrn. 98 ff.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 4.6.2013 – 20 U 137/12, Rdnrn. 19 ff. 150 Näher Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap.  XI, Rdnrn. 112  ff.; spez. in einem Fernbehandlungsfall OLG Koblenz, MedR 2016, 893 = VersR 2017, 890. 151 Spindler in BeckOGK/BGB, 2018, § 823, Rdnrn. 1002 ff.; näher Kat­ zenmeier, demnächst in MedR.

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und sonstige Verarbeitung von Informationen in elektronischer Form, also die „klassische“ Digitalisierung, hinausgeführt152. Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ (KI) bezeichnet selbstständig ler­ nende und entscheidende Software153. KI ist in der Lage, komplexe Auswahlprozesse unter Einbeziehung einer Vielzahl von Daten selbstständig durchzuführen und mit Hilfe von softwaregesteuer­ ten Maschinen umzusetzen154. Stellten Algorithmen ursprünglich elektronische Auswahlprozesse dar, die von menschlichen Pro­ grammierern determiniert waren, können Algorithmen neuerer Generation durch neuronale Netzwerkstrukturen mit Rückkopp­ lungsmechanismen aus großen Datenmengen, mit denen sie ge­ speist werden, autonom Muster identifizieren, Informationen ka­ tegorisieren, auf diese Weise „lernen“ und auf der Basis wiederum auswählen, d.h. entscheiden („machine learning“)155. KI ist zu abstrahierendem „Denken“ im Wege des Vergleichens auf der ­ Grundlage möglichst umfangreichen Datenmaterials in der Lage156. Dadurch löst sich KI von den Vorgaben der Programmierer157 und 152 Das Folgende nach Dettling/Krüger, PharmR 2018, 513  ff.; Hoff­ mann-Riem, AöR 142 (2017), 1 ff.; Martini, JZ 2017, 1017 ff.; Spindler, DB 2018, 41 ff. 153 Zu KI s. Bitkom/DFKI (Hrsg.), Künstliche Intelligenz: Wirtschaftliche Bedeutung, gesellschaftliche Herausforderungen, menschliche Ver­ antwortung, 2017; Kirn/Müller-Hengstenberg, MMR 2014, 205, 225 ff.; Stiemerling, CR 2015, 762 ff. 154 Dettling/Krüger, PharmR 2018, 513, 514: unter Einbeziehung emotio­ naler Aspekte. 155 Dettling/Krüger, PharmR 2018, 513, 514 mit Verweis u.a. auf Bitkom/ DFKI (Hrsg.), Künstliche Intelligenz, 2017, S. 32; Eberl, Smarte Ma­ schinen, 2016, S. 100; Tegmark, Leben 3.0: Mensch sein im Zeitalter Künstlicher Intelligenz, 2017, S. 109 ff.; Volland, Die kreative Macht der Maschinen, 2018, S. 16 f., 58 ff. Zum Autonomiebegriff in Bezug auf Systeme Schulz, Verantwortlichkeit bei autonom agierenden Sys­ temen, 2015, S. 43 ff. 156 Dettling/Krüger, PharmR 2018, 513, 514. 157 Dettling/Krüger, PharmR 2018, 513, 514; zurückhaltender die Ein­ schätzung von Spindler, DB 2018, 41, 48; s. auch Gleß/Weigend, ZStW 126 (2014), 561, 568 ff.

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setzt das Mega-Thema der menschlichen Kontrolle über KI auf die Tagesordnung politischer, ethischer und rechtlicher Diskussionen. KI wirft die fundamentale Frage der Beherrschung von Technikfol­ gen auf158, entsprechend intensiv sind die Parlamente inzwischen mit dem Thema befasst.“159 In der Medizin gehört KI zu den großen Hoffnungsträgern160. Ihr Einsatz verspricht eine bessere individuelle Gesundheitsversor­ gung durch neue Möglichkeiten in der Diagnose und Therapie von Krankheiten, kann zu einem längeren selbstbestimmten Leben bei­ tragen durch Assistenzsysteme bei der Erledigung von Alltagsauf­ gaben und Robotik, zu einer Entlastung der Pflege161. Algorithmen, die qualitätsbasiert erarbeitet und systematisch weiterentwickelt werden, dienen als zusätzliche Informationsbasis für Gesundheits­ entscheidungen. Schon heute gibt es Applikationen auf der Basis intelligenter Datenbanken, die den Abgleich der individuellen Da­ ten eines Patienten mit einer bestimmten Erkrankung und den Verläufen vergleichbarer Krankheitsfälle einschließlich Nebendia­ gnosen über Jahrzehnte ermöglichen162. Algorithmen, die hinter 158 Dettling/Krüger, PharmR 2018, 513, 515. 159 Vgl. Deutscher Bundestag, Beschl. v. 28.6.2018 zur Einsetzung der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz  – Gesellschaftliche ­ Verantwortung und wirtschaftliche Potentiale“, BT-Dr.  19/2978; ­Europäisches Parlament, Entschließung mit Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik (2015/2013[INL]), P8_TA(2017)0051 v. 16.2.2017. 160 Vgl. BMBF (Hrsg.), Forschung und Innovation für die Menschen: Die Hightech-Strategie 2025, August 2018, S. 11 f., 16 ff.; Jörg, Digitalisie­ rung in der Medizin, 2018; Huss, Künstliche Intelligenz, Robotik und Big Data in der Medizin, 2019; weitere Nachweise bei Dettling/Krüger, PharmR 2018, 513, 516. 161 BReg, zit. nach Kahl/Krüger-Brand, DÄBl 2018, A-1258, A-1260; zu Robotern Beck, MedR 2018, 772  ff.; Eberbach, MedR 2019, 1, 3 zu androiden Robotern wie „NAO“ und „Pepper“. 162 Aus Japan kam im Jahr 2016 die Meldung, dass IBMs Künstliche In­ telligenz Watson in lediglich zehn Minuten Daten und Gene einer Patientin mit den Daten von 20  Millionen anderen Krebspatienten verglichen und eine seltene Form von Leukämie diagnostiziert hat,

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den Kulissen arbeiten, avancieren zu zentralen Steuerungsinstru­ menten der digitalen Gesellschaft163. Nicht mehr ihre Heranzie­ hung bedarf der Begründung, vielmehr wird es auch im Rahmen ärztlicher Entscheidungsfindung immer schwieriger, den Verzicht auf den Einsatz verfügbarer KI zu rechtfertigen164. b) Konfliktlinien Trotz aller Fortschritte und Verheißungen besteht gerade in der Medizin gegenüber algorithmischer Entscheidungsfindung (ADM) verbreitet ein gewisses Unbehagen165. Aufgrund potentiell undurch­ sichtiger Entscheidungskriterien und möglicher Überwachung166 werden Befürchtungen geäußert, ihr Einsatz fördere Machtmiss­ brauch und Manipulation im Gesundheitswesen167, die hinter den Algorithmen stehenden Unternehmerinteressen führten zu einer Entmündigung des Menschen168. Deutlich werden die durch Digi­ damit für eine schnellere lebensrettende Therapie sorgte. In der Fol­ gezeit wurden die bei der Therapie von Tumorerkrankungen in das System gesetzten Erwartungen allerdings enttäuscht, vgl. Balzter, FAZ v. 3.6.2018, Watson erwies sich als „deutlich weniger intelligent als erhofft“. 163 Martini, JZ 2017, 1017; Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 4. 164 Taupitz, AcP 211 (2011), 352, 386; Montgomery in Katzenmeier/­ Woopen, Standard und Medizin  – Verwerfungen und Perspektiven, 2019, Vorwort; allg. zu Datenwirtschaft in der Unternehmenspraxis Spindler, DB 2018, 41, 45. 165 Vgl. die Studie „Was Europa über Algorithmen weiß und denkt“, Er­ gebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, Februar 2019, S. 7, 27. 166 Gesellschaft für Informatik (GfI), Technische und rechtliche Betrach­ tungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S. 17. 167 Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit, 2017, S. 18 f.: „großes Missbrauchspotenzial“; zu Manipulationen ärztlicher Entscheidun­ gen zugunsten der Produkte eines bestimmten Arzneimittelherstel­ lers s. Taupitz, AcP 211 (2011), 352, 384 m. Rspr.-Nachw. 168 Ergebnisse einer Befragung der Bevölkerung bei Kahl/Krüger-Brand, DÄBl 2018, A-1258.

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talisierung ausgelösten Konfliktlinien zwischen Innovation, medi­ zinischem Fortschritt und technischer Machbarkeit einerseits und individuellen Rechtsgütern, objektiven Wertprinzipien sowie ethi­ schen Grundprinzipien andererseits169. Fraglich ist, wie auch bei einer algorithmenbasierten Technosteuerung von Verhalten die Beachtung tradierter, weiterhin maßgeblicher Gemeinwohlziele wie Chancengleichheit, Diskriminierungsschutz, Manipulations­ abwehr, Fairness, Transparenz, Folgenverantwortung, individuelle Selbstbestimmung gewährleistet werden kann170. Wegen der Vorbehalte gegenüber KI besteht unter Medizinern und Medizinethikern weitestgehend Einigkeit, dass Algorithmen den Arzt unterstützen, aber nicht ersetzen dürfen171. KI soll den Arzt von Routinetätigkeit entlasten und ihm bei der Ersteinschätzung Hilfe leisten172. Im Idealfall werde der Mediziner seine Erkenntnis­ se aus der analogen Welt um die der digitalen Welt erweitern und so eine bessere Diagnose treffen173. Nur der Arzt könne die sozia­ len, psychologischen und persönlichen Rahmenbedingungen in die Behandlung miteinbeziehen, einzig er sei zu der – im Umgang mit dem Kranken so wichtigen – Empathie fähig. 169 So das Ziel der von Kluckert/Haase am 6.9.2017 an der FU Berlin aus­ gerichteten Tagung „Gesundheitsentscheidungen durch Algorith­ men  – rechtliche Rahmenbedingungen der Digitalisierung des Ge­ sundheitswesens“, vgl. Bericht von M. Hahn, MedR 2018, 27  f.; Ferlemann, NZS 2018, 56 f. 170 Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 36; Hoffmann-Riem, Big Data – Regulative Herausforderungen, 2018, S. 13 f. 171 Vgl. nur etwa Werner, F&L 2018, 680, 681; Kahl/Krüger-Brand, DÄBl 2019, A-1258 ff.; Antes, DÄBl 2019, A-18; a.A. Thielscher, DÄBl 2019, A-19: Der Arzt der Zukunft als Maschinist am Computer. 172 Auch dann ist die Qualität der Datensätze entscheidend, stellt sich die Frage nach einer Algorithmenkontrolle, Spindler, DB 2018, 41, 45. 173 Taupitz, AcP 211 (2011), 352, 383, 387; Epple, Der Einsatz von EDV und die ärztliche Haftung, 1994, S. 75, 128. Bei einer solchermaßen algorithmen-gestützten Gesundheitsentscheidung handelt es sich nicht um eine – nach § 22 DS-GVO grds. unzulässige – „automati­ sierte Entscheidungsfindung“, die keinerlei menschlichem Einfluss unterliegt.

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Dagegen hat Gerd Gigerenzer in seinem Essay „Roboärzte“ polemi­ siert: Ärzte haben für ihre Patienten wenig Zeit und denken wenig, sie verstehen keine Gesundheitsstatistiken, sind in einem System der Vergütung von Einzelleistungen Interessenkonflikten ausge­ setzt, führen unnötige Tests und Behandlungen durch (CTs, über­ flüssige Pap-Abstriche, Routine PSA-Tests), um sich vor Patienten­ klagen abzusichern. Arztpraxen sind so mit einer Psychologie belastet, die der guten Betreuung in den Weg gerät und die Sicher­ heit von Patienten untergräbt. Als radikale Lösung nennt Gigeren­ zer den Einsatz von „Roboärzten“, die Gesundheitsstatistiken ver­ stehen, keine Interessenkonflikte haben und sich nicht fürchten, verklagt zu werden174. Den wahren Gewinn seines Vorschlags prä­ sentiert Gigerenzer am Ende: Patienten vertrauen Roboärzten nicht blind, sondern beginnen selbständig zu denken, ob diese nicht von den profitorientierten Kliniken so programmiert sind, dass sie Pro­ fite maximieren und nicht die Gesundheit. Damit ist der Kern des Problems benannt. Die Funktionsweise von KI gleicht einer Blackbox175. Der mathematisch-logische Problem­ bewältigungsmechanismus eines Algorithmus verspricht Objekti­ vität. Seine in Programmcode transformierten Entscheidungsmaß­ stäbe bleiben für den Nutzer einer Softwareanwendung allerdings ein Mysterium. Es ist nicht erkennbar, wie diese zu ihren Arbeitser­ gebnissen gelangt176. Die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen kann nur prüfen, wer die Datengrundlage, Handhabungsfolge und Ge­ wichtung der Entscheidungskriterien kennt und versteht. Algo­ rithmen sind nicht per se objektiv oder neutral. Sie beruhen auf menschlichen Modellierungen, damit folgen ihre Wertungen struk­ turell den Zielmustern des Entscheiders und ­damit typischerweise 174 Gigerenzer in John Brockman, Was sollen wir von künstlicher Intelli­ genz halten?, 2017, S. 382–385. 175 Das Folgende nach Martini, JZ 2017, 1017; im Anschluss an Pasquale, The black box society, 2015; s. auch Hoffmann-Riem, AöR 142 (2017), 1, 29: Bezeichnung als „opaque, inscrutable artefacts“. 176 Martini, JZ 2017, 1017, 1018: Der fehlende Einblick in das Arsenal der Softwareanwendung „entwaffnet den Verbraucher“.

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eher der ökonomischen Rationalität ihrer Schöpfer als Wertvorstel­ lungen des Gemeinwesens. Algorithmen fehlt der „ethische Kom­ pass“177. c) Medizinethische Prinzipien Es darf kein Zweifel bestehen: Auch eine Entscheidungsfindung mittels Algorithmen muss sich messen lassen an den vier „klassi­ schen“ medizinethischen Prinzipien: Respekt vor der Autonomie bzw. Selbstbestimmung des Patienten (daraus resultierend das ­Erfordernis eines informed consent), Schadensvermeidung (Un­ terlassen schädigender Eingriffe), Fürsorge (Pflicht zu aktivem Handeln) und Gerechtigkeit (faire Allokation von Ressourcen im Gesundheitskontext)178. Inzwischen sind die Parlamente mit dem Thema befasst. Am 18.12.2018 hat die von der EU-Kommission eingesetzte Experten­ gruppe für Künstliche Intelligenz den  ersten Entwurf ihrer „Ethik-Leitlinien für die Entwicklung und Nutzung von KI“ veröf­ fentlicht179.  Dargelegt wird, wie Entwickler und Benutzer sicher­ stellen können, dass KI die Grundrechte, die geltenden Vorschrif­ ten und Grundprinzipien respektiert. Auf nationaler Ebene wurde die von der Bundesregierung eingesetzte Daten-Ethikkommission beauftragt, einen Entwicklungsrahmen für den Umgang mit Algo­ 177 Martini, JZ 2017, 1017, 1018: In vielen Kontexten sind Algorithmen den Schwankungen und Vorurteilen menschlicher Entscheidungsfin­ dung zwar überlegen, diskriminierungsfrei sind sie aber nicht; Bei­ spiele für programmierten Rassismus nennt Wolfangel in DIE ZEIT v. 19.6.2018. 178 Vier-Prinzipien-Modell nach Beauchamp/Childress, Principles of Bio­ medical Ethics, 7th ed. 2012; dazu Maio, Mittelpunkt Mensch: Ethik in der Medizin, 2.  Aufl. 2017, S.  157  ff.; Kreß, Medizinische Ethik, 2. Aufl. 2009, S. 15 ff.; zur Geltung als ethische Leitplanken auch in einer digitalisierten Medizin Woopen, Vortrag 120. DÄT 2017. 179 Der Entwurf für die Ethik-Leitlinien (Ethics guidelines for trust­ worthy AI) ist abrufbar unter https://ec.europa.eu/digital-single-­ market/​en/news/draft-ethics-guidelines-trustworthy-ai.

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rithmen und KI vorzuschlagen. Um Transparenz herzustellen, sol­ len „Algorithmen- und KI-basierte Entscheidungen, Dienstleistun­ gen und Produkte überprüfbar“ gemacht werden180. Erforderlich ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Recht und Informa­ tik, um wechselseitig die neuen Herausforderungen zu verstehen und Lösungen auszuarbeiten. Idealerweise besteht ein gemeinsa­ mes Ziel zwischen Juristen und Technikern: die optimierte und rechtskonforme Konzeption und Implementierung von ADM181. d) Haftung Das Aufkommen neuer Technologien wirft die alte Frage nach der Haftung für deren Fehlfunktionen erneut auf182. Diskutiert werden neue Zurechnungsmodelle oder aber neue Tatbestände der Ge­ fährdungshaftung. In besonders sensiblen Einsatzbereichen wie bei medizinischen Prozessen oder dem Einsatz von Pflegerobotern soll nach dem Vorbild der Tierhalter-, Straßenverkehrs- und Arznei­ mittelhaftung eine Gefährdungshaftung für digitale automatisier­

180 BReg, BT-Dr.  19/1982 v. 27.4.2018, S.  8. Martini, JZ 2017, 1017, 1019 ff. erarbeitet Regulierungsvorschläge: Bei einer black box könn­ ten Transparenz- und Begründungspflichten ein taugliches Regulie­ rungsinstrument sein, um Licht in sensible Entscheidungsvorgänge zu bringen, für ein staatliches Kontrollverfahren („Algorithmen-­ TÜV“); Spindler, DB 2018, 41, 46 spricht sich für eine behutsame Er­ weiterung von Kontroll- und Aufsichtsmöglichkeiten statt eines breit­ flächigen Algorithmusgesetzes aus. 181 Gesellschaft für Informatik (GfI), Technische und rechtliche Betrach­ tungen algorithmischer Entscheidungsverfahren, 2018, S.  18; s. be­ reits sub III.2.: intelligente Kooperationen erforderlich. 182 Zur Haftung des Arztes bei dem Einsatz computerunterstützter Assis­ tenzsysteme in der operativen Medizin s. die „Robodoc“-Entschei­ dung BGHZ 168, 103 = NJW 2006, 2477 m. Anm. Katzenmeier, NJW 2006, 2738 = VersR 2006, 1073 m. Anm. Buchner, VersR 2006, 1460 = MedR 2006, 650; dazu auch Vogeler, MedR 2008, 697 ff.; allg. zur Haf­ tung des Arztes bei dem Einsatz medizinischer Informationstechno­ logie Taupitz, AcP 211 (2011), 352, 385 ff.

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te Prozesse gelten183. Langfristig könnte eine wachsende Autono­ mie  von Robotern und Softwareagenten, deren Reaktionen nicht mehr vom Programmierer vorhersehbar sind, sondern wesentlich durch intelligentes Lern- und Kommunikationsverhalten bestimmt werden („machine learning“), eine Art Rechtssubjektivität und Ausstattung mit einem eigenen Haftungsfonds erforderlich ma­ chen. Die Diskussion um die Anerkennung einer E-Person ist er­ öffnet184.

V. Das Arzt-Patienten-Verhältnis in Zeiten der ­Digitalisierung Die angestellten Überlegungen zur Digitalisierung des Gesund­ heitswesens schließen mit einer Anmerkung zu dem Arzt-Patien­ ten-Verhältnis185. Durch den Einzug immer neuer Technologien in das Behandlungsgeschehen erfährt der Umgang des Mediziners mit dem Kranken nachhaltige Veränderungen.

183 Spindler, CR 2015, 766, 775; Spindler, DB 2018, 41, 49 f.; Bräutigam/ Klindt, NJW 2015, 1137, 1139; Schaub, JZ 2017, 342 ff.; Martini, JZ 2017, 1017, 1024; Borges, NJW 2018, 977 ff. 184 Früh schon Sester/Nitschke, CR 2004, 548; Beck, JR 2009, 225, 229 f.; Hilgendorf, Jenseits von Mensch und Maschine, 2012, S. 119, 125 ff.; aus jüngerer Zeit Kersten, JZ 2015, 1, 6  f.; Wendehorst, NJW 2016, 2609; Taeger, NJW 2016, 3764 f.; J.-E. Schirmer, JZ 2016, 660 ff.; Teub­ ner, AcP 218 (2018), 155 ff. Aufsehen erregte die Entschließung des Europäischen Parlaments v. 16.2.2017 mit Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik (2015/2013 [INL]) – P8_TA(2017)0051. 185 BVerfGE 52, 131, 169  f.  = NJW 1979, 1925, 1930 (Arzthaftungsbe­ schluss): Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist „weit mehr als eine juristi­ sche Vertragsbeziehung“; s. auch BGHZ 29, 46, 52 f.; Laufs in Laufs/ Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. 2015, Kap. I, Rdnr. 14; Katzen­ meier, Arzthaftung, 2002, S. 5 ff.

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te Prozesse gelten183. Langfristig könnte eine wachsende Autono­ mie  von Robotern und Softwareagenten, deren Reaktionen nicht mehr vom Programmierer vorhersehbar sind, sondern wesentlich durch intelligentes Lern- und Kommunikationsverhalten bestimmt werden („machine learning“), eine Art Rechtssubjektivität und Ausstattung mit einem eigenen Haftungsfonds erforderlich ma­ chen. Die Diskussion um die Anerkennung einer E-Person ist er­ öffnet184.

V. Das Arzt-Patienten-Verhältnis in Zeiten der ­Digitalisierung Die angestellten Überlegungen zur Digitalisierung des Gesund­ heitswesens schließen mit einer Anmerkung zu dem Arzt-Patien­ ten-Verhältnis185. Durch den Einzug immer neuer Technologien in das Behandlungsgeschehen erfährt der Umgang des Mediziners mit dem Kranken nachhaltige Veränderungen.

183 Spindler, CR 2015, 766, 775; Spindler, DB 2018, 41, 49 f.; Bräutigam/ Klindt, NJW 2015, 1137, 1139; Schaub, JZ 2017, 342 ff.; Martini, JZ 2017, 1017, 1024; Borges, NJW 2018, 977 ff. 184 Früh schon Sester/Nitschke, CR 2004, 548; Beck, JR 2009, 225, 229 f.; Hilgendorf, Jenseits von Mensch und Maschine, 2012, S. 119, 125 ff.; aus jüngerer Zeit Kersten, JZ 2015, 1, 6  f.; Wendehorst, NJW 2016, 2609; Taeger, NJW 2016, 3764 f.; J.-E. Schirmer, JZ 2016, 660 ff.; Teub­ ner, AcP 218 (2018), 155 ff. Aufsehen erregte die Entschließung des Europäischen Parlaments v. 16.2.2017 mit Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik (2015/2013 [INL]) – P8_TA(2017)0051. 185 BVerfGE 52, 131, 169  f.  = NJW 1979, 1925, 1930 (Arzthaftungsbe­ schluss): Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist „weit mehr als eine juristi­ sche Vertragsbeziehung“; s. auch BGHZ 29, 46, 52 f.; Laufs in Laufs/ Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. 2015, Kap. I, Rdnr. 14; Katzen­ meier, Arzthaftung, 2002, S. 5 ff.

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1. Der Arzt als Experte und Partner des Kranken Seit jeher haben Ärzte bei der Behandlung eine Expertenfunktion und die Rolle eines Partners für den kranken Menschen wahrzu­ nehmen. Diese Rollen haben sie in den verschiedenen geschicht­ lichen Epochen, ausgehend von der prähistorischen Stufe des ma­ gischen Animismus, über die theurgische und hippokratische Medizin, die abendländische Heilkunde bis hin zur naturwissen­ schaftlichen Medizin der Neuzeit, auf unterschiedliche Weise aus­ gefüllt186. Durch die Verwissenschaftlichung, Technisierung und Spezialisierung der Medizin wurde die Expertenfunktion des Arz­ tes gestärkt, dieser aber sukzessive seiner Partnerrolle beraubt187. 2. Dominanz der Naturwissenschaft Das persönliche Band zwischen Arzt und Patient schwächt sich ab. Angesichts der Dominanz des naturwissenschaftlichen Konzepts neigt die moderne Medizin dazu, subjektive Wahrnehmungen des Arztes, seine individuelle Erfahrung und seine Interaktionsweise mit dem Patienten bei der Diagnosefindung, also all das, was seit jeher als die „ärztliche Kunst“ angesehen wird, als Phantasma zu desavou­ ieren188. Sie räumt der Wissenschaft das Primat vor dem Handeln ein189. Als höchste Bewährung gilt die Exaktheit einer U ­ ntersuchung, 186 Zur Arzt-Patient-Beziehung und dem ärztlichen Rollenverständnis in Vergangenheit und Ge­genwart vgl. Laín-Entralgo, Arzt und Patient. Zwischenmenschliche Beziehungen in der Geschichte der Medizin, 1969; Überblick bei v. Uexküll/Wesiack, Theorie der Humanmedizin, 2. Aufl. 1991, S. 575 ff.; zu den sich wandelnden Krankheitslehren s. Schipperges, Krankheit und Kranksein im Spiegel der Geschichte, 1999. 187 v. Uexküll/Wesiack, Theorie der Humanmedizin, 2. Aufl. 1991, S. 595; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S.  11  ff.; s. auch Montgomery in ­Katzenmeier/Woopen, Medizin und Standard  – Verwerfungen und Perspektiven, 2019, Vorwort. 188 Murrhardter Kreis, Das Arztbild der Zukunft, 3. Aufl. 1995, S. 41. 189 Bergdolt in Katzenmeier/Bergdolt, Das Bild des Arztes im 21. Jahrhun­ dert, 2009, S. 105 ff.; Maio, ibid., S. 21, 28 ff.; Höffe, ibid., S. 61, 68 ff.

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die Genauigkeit einer Methode oder eine höhere Kausalität. Größt­ mögliche Sachlichkeit ist Methode und Ziel zugleich190. Da die moderne Medizin auf eindeutige Zeichen angewiesen ist, löste sie das maßgebliche Krankheitsbild von der Person des Kran­ ken und seiner psychosozialen Situation. Herrschend ist ein so­ matisches Krankheitsverständnis: Nur objektiv feststellbare Funk­ tionsstörungen des Organismus gelten als Krankheit. Subjektive, nicht messbare Lebensumstände bleiben außer Betracht. Damit droht ein Verlust der Patient-als-Person-Orientierung, wenn ein­ seitig auf Organdefekte spezialisierte Experten im Patienten weni­ ger den leidenden Menschen als einen passiven Träger objektiver Zeichen erkennen191. Sehen sie ihre Aufgabe in der Behandlung der Krankheit und nicht des Kranken, dann wird die ganzheitliche Zuständigkeit der Medizin für den hilfesuchenden Menschen er­ setzt durch eine zweckrationale Beziehung, wird die Forderung nach menschlicher Zuwendung und Nähe zu einer mehr oder we­ niger systemfremden Forderung192. 190 Dies entspricht indes – entgegen einem verbreiteten Irrtum – nicht dem Leitbild der Evidenzbasierten Medizin, denn danach sind bei Therapieentscheidungen neben dem besten wissenschaftlichen Wirk­ samkeitsnachweis auch die Expertise des Arztes und die individuel­ len  Belange des Patienten in die Entscheidung einzubeziehen, s. ­https://www.cochrane.de/de/ebm; grundlegend Sackett/Rosenberg/ Gray/Haynes/​Richardson, BMJ 312 (1996), 71; aus juristischer Pers­ pektive Hart, MedR 2000, 1 ff.; gleichwohl krit. ggü. der EbM etwa Eichler et al., DÄBl 2015, A-2190; Leiß, DÄBl 2015, A-130. 191 Maio, Mittelpunkt Mensch, Lehrbuch der Ethik in der Medizin, 2. Aufl. 2017, S. 118: herrschendes mechanistisches Verständnis des Menschen im naturwissenschaftlich geprägten Alltag der Medizin; Woopen in Deutscher Ethikrat, Personalisierte Medizin, 2012, S.  10: zunehmende Biologisierung des Krankheitsverständnisses, schlei­ chende Ausblendung der eigentlich personalen Dimension von Krankheit und Leiden; Shorter, Das Arzt-Patient-Verhältnis in der Geschichte und heute, 1991, S. 45 ff., 51; Saynisch, Arzt und Patient: Die bedrohte Beziehung, 1997, S. 6 ff. 192 Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 15 ff. mit Zitat von Karl Jaspers, Der Arzt im technischen Zeitalter, 1958: „Je größer das wissenschaft­

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Die moderne Medizin steht vor einer Herausforderung. Notwendig ist die Überwindung des kartesianischen Paradigmas (Mensch-­ Maschine-Modell) zugunsten einer anthropologischen, patienten­ zentrierten, auch psychosomatischen Medizin193. Krankheit ist nicht die Störung eines kausaldeterminierten Mechanismus, sondern Antwort eines lebenden Systems. Bei einer medizinischen Behand­ lung sind daher außer dem Körper des Kranken auch dessen ­geistig-seelische Verfassung sowie seine Abhängigkeiten von der natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt in Betracht zu ziehen194. 3. Gesundheitskompetenz Ob die Digitalisierung der Medizin helfen kann, diese Heraus­ forderung zu meistern, ist fraglich. Dies geling sicher nicht, wenn sich Patienten künftig auf interessengeleiteten Websites in­ formieren, Daten anhand von nicht qualitätsgestützten Gesund­ heits-Apps auf ihren Smartphones selbst erheben, anschließend eine Fern­behandlung durch telemedizinische Primärversorger er­ fahren, deren Gesundheitsentscheidungen auf undurchsichtigen Algorithmen beruhen, schließlich ein zum bloßen Maschinisten am Computer degradierter, ja degenerierter Arzt, womöglich ein „­RoboDoc“, diese Entscheidung dem Kranken verkündet und der Code vollzogen wird195. Eine Reduzierung des Menschen auf seine liche Erkennen und Können, je leistungsfähiger die Apparaturen für Diagnostik und Therapie, desto schwerer, einen guten Arzt, ja über­ haupt einen Arzt zu finden!“. 193 F. Unger (Hrsg.), Das Paradigma der Medizin im 21.  Jahrhundert, 2007; s. auch die Beiträge in v. Uexküll, Psychosomatische Medizin, 8. Aufl. 2018; Maio in Katzenmeier/Bergdolt, Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, 2009, S. 21, 33 ff.; Gahl, EthikMed 2011, 67 ff. 194 Es gilt in der Praxis einzulösen, was die Systemmedizin in der Theorie verspricht, dazu sub II. 1. 195 Verbreitet sind Befürchtungen einer „Enthumanisierung“ der Medi­ zin durch die zunehmende Bedeutung von und Interaktion mit Ma­ schinen; dagegen Hilgendorf, medstra 2017, 257: „Bedenken gegen eine ‚seelenlose Roboter-Medizin‘ überzeugen nicht“; Beck, MedR 2018, 772, 774 f.

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Daten196 bedingte empfindliche Qualitätseinbußen in der medizi­ nischen Versorgung, indem sie zu einem Verlust an menschlicher Zuwendung und Empathie führt, die für Hilfesuchende schwerlich zu ertragen ist197 – wohl nicht einmal für die „digital natives“, auch wenn diese sogar Lebenspartner über soziale Netzwerke suchen, finden und ihre sozialen Beziehungen darüber führen. Eine Verbesserung der Arzt-Patienten-Beziehung verspricht die Digitalisierung aber dann, wenn es gelingt, die Daten und In­ formationen für eine echte Behandlungs- und Entscheidungs­ partnerschaft fruchtbar zu machen198. Dann gewinnt das Gebot „par­tizipativer Entscheidungsfindung“ besonderen Wert – „shared decision making“ statt „algorithmic decision making“199. Voraus­ setzung für eine echte Behandlungs- und Entscheidungspart­ 196 Yvonne Hofstetter, Festvortrag „Mensch, Maschine! – Eine Verteidi­ gung des europäischen Menschenbildes“ auf der Jahrestagung der Akademie für Ethik in der Medizin am 13.9.2018 in Köln: Die Di­ gitalisierung verlängert den Menschen zwar mit Hilfe von Smart­ phones, reduziert ihn letztlich aber auf seine Daten (Kevin Kelly, The Inevitable, Understanding the 12 Technological Forces that will Shape our Future, 2016, p. 127: „I am larger than before, but thinner too“). Die Technik führt zu Freiheitsgewinnen des Einzelnen als Konsu­ ment, aber zu Freiheitsverlusten als Individuum. 197 Antes, DÄBl 2019, A-18: Technikgläubigkeit hat Auswirkungen auf die Menschlichkeit der Medizin; s. auch Bergdolt in Katzenmeier/ Berg­dolt, Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, 2009, S. 105 ff. 198 In diesem Sinne hat Christiane Woopen in ihrem Vortrag auf dem 120. DÄT 2017 die Erwartung geäußert, dass Digitalisierung die Arzt-­ Patienten-Beziehung verbessere: „Die zunehmende Technisierung der Medizin auch unter Einbeziehung von Informations- und Entschei­ dungsunterstützungssystemen birgt die Chance einer Rück­besinnung auf die heilende Kraft menschlicher Nähe. Der Arzt ist da ein wichti­ ger Begleiter, Erklärer und Ratgeber“; s. auch Christiane Woopen ­https://www.landdergesundheit.de/beteiligung/digitale-revo​lution. 199 Zu dem Gebot partizipativer Entscheidungsfindung s. Birnbacher, MedR 2012, 560; Katzenmeier, Bundesgesundheitsblatt 2012, 1093 ff.; Katzenmeier, MedR 2012, 576, 582  f.; Hart, MedR 2015 1, 7; Maio, Mittelpunkt Mensch: Ethik in der Medizin, 2. Aufl. 2017, S. 221 ff.

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nerschaft ist Gesundheitskompetenz („Health Literacy“)200. Sie ist der Schlüssel zur Selbstbestimmung201. Im Zeitalter der Digitalisie­ rung müssen Patienten Gesundheitsinformationen im Internet fin­ den, verstehen und beurteilen können, um angemessene Entschei­ dungen treffen zu können. Das setzt zunächst transparente und verlässliche (evidenzbasierte) Gesundheitsinformationen voraus. Diese müssen von interessengeleiteter und oft irreführender Infor­ ma­tion  im Netz zu unterscheiden sein202. Die moderne Medizin mit ihren unterschiedlichen Präventionsangeboten, Diagnose- und Therapiemöglichkeiten stellt hohe Anforderungen an die Gesund­ heitskompetenz des Einzelnen. Auch bei den Akteuren im Ge­ sundheitswesen ist die „Digital Health Literacy“ zu fordern und zu fördern. Patienten erwarten von den Heilberufen Beratung und Empfehlung der für sie geeigneten digitalen Gesundheitsangebote. Hierzu sind adäquate Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote wichtig203.

VI. Fazit Die Digitalisierung des Gesundheitswesens verheißt mehr Sicher­ heit, Partizipation und Selbstbestimmung, wissenschaftlich abge­ sicherte und zugleich verständliche Gesundheitsinformationen, zukunftsweisende Versorgungsformen und neue Therapiemöglich­ 200 Informationen zu „Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz“ abrufbar unter https://www.nap-gesundheitskompetenz.de/. 201 Woopen, Vortrag 120. DÄT 2017; Gigerenzer/Schlegel-Matthies/Wagner, Digitale Welt und Gesundheit, 2016, S. 4. 202 Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesund­ heitswesen, Gutachten 2018, Nr.  833  f. plädiert für ein „Nationales Gesundheitsportal“ als zentrale Anlaufstelle; das IQWiG erstellte im Auftrag des BMG ein „Konzept für ein nationales Gesundheitsportal“, aktuell: Version 1.2. v. 31.8.2018. 203 Informationen zu der „Allianz für Gesundheitskompetenz“ abruf­ bar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/ Dateien/3_Downloads/E/Erklaerungen/Allianz_fuer_Gesundheits­ kompetenz_Abschlusserklaerung.pdf.

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nerschaft ist Gesundheitskompetenz („Health Literacy“)200. Sie ist der Schlüssel zur Selbstbestimmung201. Im Zeitalter der Digitalisie­ rung müssen Patienten Gesundheitsinformationen im Internet fin­ den, verstehen und beurteilen können, um angemessene Entschei­ dungen treffen zu können. Das setzt zunächst transparente und verlässliche (evidenzbasierte) Gesundheitsinformationen voraus. Diese müssen von interessengeleiteter und oft irreführender Infor­ ma­tion  im Netz zu unterscheiden sein202. Die moderne Medizin mit ihren unterschiedlichen Präventionsangeboten, Diagnose- und Therapiemöglichkeiten stellt hohe Anforderungen an die Gesund­ heitskompetenz des Einzelnen. Auch bei den Akteuren im Ge­ sundheitswesen ist die „Digital Health Literacy“ zu fordern und zu fördern. Patienten erwarten von den Heilberufen Beratung und Empfehlung der für sie geeigneten digitalen Gesundheitsangebote. Hierzu sind adäquate Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote wichtig203.

VI. Fazit Die Digitalisierung des Gesundheitswesens verheißt mehr Sicher­ heit, Partizipation und Selbstbestimmung, wissenschaftlich abge­ sicherte und zugleich verständliche Gesundheitsinformationen, zukunftsweisende Versorgungsformen und neue Therapiemöglich­ 200 Informationen zu „Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz“ abrufbar unter https://www.nap-gesundheitskompetenz.de/. 201 Woopen, Vortrag 120. DÄT 2017; Gigerenzer/Schlegel-Matthies/Wagner, Digitale Welt und Gesundheit, 2016, S. 4. 202 Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesund­ heitswesen, Gutachten 2018, Nr.  833  f. plädiert für ein „Nationales Gesundheitsportal“ als zentrale Anlaufstelle; das IQWiG erstellte im Auftrag des BMG ein „Konzept für ein nationales Gesundheitsportal“, aktuell: Version 1.2. v. 31.8.2018. 203 Informationen zu der „Allianz für Gesundheitskompetenz“ abruf­ bar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/ Dateien/3_Downloads/E/Erklaerungen/Allianz_fuer_Gesundheits­ kompetenz_Abschlusserklaerung.pdf.

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keiten. Echten Fortschritt bringt die digitale Transformation aber nur, wenn nicht technische Möglichkeiten, sondern die menschli­ chen Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen204. Digitalisierung ist in erster Linie nicht ein Technik-Thema, vielmehr ein soziales The­ ma205. Zentrale Herausforderung ist die Justierung von Innovati­ onsoffenheit und Innovationsverantwortung. In Zeiten der immer weiter reichenden Transparenz des Individuums, einem Primat der Gesundheitsoptimierung, stetiger Gesundheitsüberwachung und individueller Verantwortungszuschreibung des Einzelnen für seine Gesundheit ist staatliches Recht unverzichtbar zum Schutze der Freiheit des Einzelnen, Wahrung der Solidarität im Gesundheits­ system und Sicherung unserer Grundwerte.

204 Deutscher Ethikrat, Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus, 2016, S. 37 ff.; s. auch Gröhe, FAZ v. 9.1.2017, S. 18. 205 Boehme-Neßler, Das Ende der Demokratie? – Effekte der Digitalisie­ rung aus rechtlicher, politologischer und psychologischer Sicht, 2018; Hoffmann-Riem, Big Data  – Regulative Herausforderungen, 2018, S. 11 ff.; eindringlich der Appell von Markus Gabriel, FAS v. 20.5.2018, S. 21: „Wir brauchen dringend erheblich mehr geisteswissenschaftli­ che und philosophische Forschung, die sich direkt den Problemen des Informationszeitalters widmet. Das geht nicht, indem man alle Universitäten in Technikinstitute nach dem Modell eines MIT um­ wandelt.“

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